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German Pages 744 [745] Year 2023
1 Susanne Schlechter Verschwundene Umsiedler aus Bessarabien Eine Spurensuche
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Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa Band 84
Gefördert von Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages als Forschungsprojekt in der Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen/ Oldenburg 2007. Zugleich Dissertation an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, verteidigt am 24. Juni 2016 vor der Prüfungskommission der Fakultät III Sprach- und Kulturwissenschaften, Prof. Dr. Karen Ellwanger (Erstgutachterin), Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch (Zweitgutachter), Prof. Dr. Hans- Henning Hahn, Prof. Dr. Gunter Kreutz. 2019 bis 2022 überarbeitet, erweitert und aktualisiert für das BKGE mit PD Dr. Hans-Christian Petersen (Redaktion) und Oliver Rösch (Lekorat). © 2023 Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Oldenburg Veröffentlicht durch den Verlag De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2023 Titelbild unter Verwendung von Material aus dem Nachlass von Dorothee Rakow (†). Umschlaggestaltung: leGraph, Bremen Druck und Bindung: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen ISBN 978-3-11-113587-8. ISBN E-Book 978-3-11-113700-1. Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Bundesinstituts unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
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Susanne Schlechter
Verschwundene Umsiedler aus Bessarabien Eine Spurensuche
DE GRUYTER OLDENBOURG
4 Die Veröffentlichung erfolgt mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Den fragenden Töchtern
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Inhalt EINLEITUNG Kultureller Kontext 1. Forschen und Gedenken: Geschichte des Projekts . . . . . . . . . . . . . .
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2. „Euthanasie“ und Umsiedlung: Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . .
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3. Historiker als Detektive: Spurensuche als Methode . . . . . . . . . . . . .
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I. „JAGD NACH KRANKEN“ Ein Arzt im „Heim ins Reich“-Einsatz. Der Umsiedlungs-Gebietsarzt und spätere Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes in der Auslandabteilung der Reichsärztekammer über die Umsiedlung von Kranken, Alten und Hilfsbedürftigen 1940 I.A. „Ich dachte, es ginge zu einer Expedition nach Afrika“ Jungärzte im Auslandseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.B. „Meine Arbeit als Gebietsarzt“ – und „Die Jagd nach Kranken“ Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940 . . . . . . . . . . 105 I.C. „Wir wollten ja nicht Tote umsiedeln, sondern Lebendige!“ Gespräch mit Dr. Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I.D. „Was danach im Lager oder auf dem Schiff passierte, davon weiß ich nichts“ Kritische Fragen nach „Euthanasie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. „SCHWIERIGE AUFGABEN ...“ NS-Schwestern im „Heim ins Reich“-Einsatz. Auswertung des Nachlasses der NS-Oberin „Schwester Dorothee“, zweite Stellvertreterin der Generaloberin im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt und „Führerin“ der NS-Schwestern bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina 1940 II.A. Annäherungen an Schwester Dorothee . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.A.1 Rekonstruktion: Geschichte des Nachlasses (1940–2007) . . . . . . . II.A.2 Biografie: Dora – Dörthen – Dorothee – Dora P. (1899–1989) . . . . . . II.A.3 Karriereweg einer NS-Schwester (1935–1941) . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
II.B. SPURENSUCHE in der Biografie in sieben Fragmenten . . . . . . . . II.B.Spur 1: Parteimitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.B.Spur 2: „Von Vergasungen noch keine Ahnung“ Fortbildung in Tutzing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.B.Spur 3: Kinderschutzkongress und Kinder-„Euthanasie“ . . . . . . . . . II.B.Spur 4: Vermittlung von NS-Schwestern in Konzentrationslager . . . . . II.B.Spur 5: „Geflohenes Personal“ Besetzte Krankenhäuser in Polen 1939/1940 . . . . . . . . . . . . . . II.B.Spur 6: August 1941: Stopp der „T4“ und Ausstieg als „Ehrenmitglied“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.B.Spur 7: September 1941: Der Kinofilm Ich klage an und Schwester Dorothees Hoffnung auf Legalisierung der „Euthanasie“ . . .
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II.C. SPURENSUCHE im Bessarabien-Nachlass in 19 Fragmenten . . . . . II.C.Spur 1: Einberufung des Umsiedlungskommandos „Bereithalten zum Sondereinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 2: Sammelplatz Wien „Unbedingte Pflichterfüllung oder Verzicht an der Aufgabe“ . . . . . . . . II.C.Spur 3: Nicht umgesiedelt: Juden „Ja, und diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt“ . II.C.Spur 4: Selten umgesiedelt: Mischehen „Sehr viele Ehen wurden in diesen Tagen geschieden“ . . . . . . . . . . . II.C.Spur 5: Wo sind sie geblieben? Pfleglinge aus bessarabischen Heimen „Biologisch ist die Bevölkerung gesund“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 6: Vorkommando „Da gab es natürlich mehr zu tun“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 7: Entlausungen „Früh 6 h alles antreten zur Kontrolle!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 8: Lager Semlin: DRK-Zelt und Lazarettzug „Der Tagesablauf [...] war ein militärischer“ . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 9: Lager Prahovo: ein weißer Fleck . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 10: Lager Galatz I: Konkurrenzen „Daß wir mehr zentral liegen müssten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 11: Lager Galatz II: Selektion der Kinder Die „Säuglingskoch- und Badeküche“ der NS-Schwestern im Haus der Lagerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 12: Lager Galatz III: Isolierte Kinder Die „Kinderklinik“, ein „besonderes Kinderkrankenhaus“ im Lazarett . . . II.C.Spur 13: Lager Galatz IV: Meldepflichten in der „Erwachsenenbetreuung“ „Die Bessaraber wollten nicht krank sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
II.C.Spur 14: Häfen Kilia und Reni: Schiffe mit Krankenstuben und Lazarettschiffe „Kinder mit ihren Müttern und ganz alte Leutchen“ . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 15: Dobrudscha November 1940: NS-Schwestern „z.b.V.“ „Gesundheitsbogen“ und „wilde Umsiedler“ . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 16: Südbukowina November 1940: Vorkommando „Neue, schwierige Aufgaben ...“ und blasse Umsiedler. . . . . . . . . . . II.C.Spur 17: Berlin: das Reichshauptamt der NSV nach der Umsiedlungsaktion „Ärger“ und „gespannte Verhältnisse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.C.Spur 18: Lücken im Lebenslauf 1941: Schwesternerholung Berlin, Karlsbrunn, Peterswaldau, Herrsching oder anderswo . . . . . . . II.C.Spur 19: Wien: Sterbehilfe für NS-Schwestern? „Seelisch die besten Voraussetzungen dazu“. . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. FAZIT UND FOLGEN Das Fazit der Spurensuche und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Q DAS QUELLEN-INVENTAR Die Dokumente aus dem Nachlass der Führerin der NS-Schwesternschaft bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina 1940. Kommentierte Edition Q1/LEBENSBERICHT Der Bessarabieneinsatz in den Lebenserinnerungen von Dora P. alias Schwester Dorothee. Ausschnitt aus dem Typoskript: „Das war mein Leben!“ (1986–1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Q2/TAGEBUCH Das Tagebuch der Führerin der NS-Schwesternschaft im Umsiedlungseinsatz: „Bessarabien – D. Rakow Sept./Nov. 1940“ . . . . . . . . . . . . 390 Q3/EINZELBLÄTTER Einzelne Blätter, Notizblätter, Karten, Skizzen im BessarabienNachlass von NS-Oberin „Schwester Dorothee“ . . . . . . . . . . . . . 432
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Inhalt
Q4/LAGERBEFEHLE Lagerbefehle im Lager der Volksdeutschen Mittelstelle Galatz vom 21. September bis 1. November 1940 . . . . . . . . . . . . . Q5/FOTOS Fotos der Umsiedlung aus Sicht der NS-Schwestern im Zeitraum vom 3. September bis 16. November 1940 . . . . . . Q6/BRIEFE Briefe von NS-Schwestern aus dem Umsiedlungseinsatz (September 1940 bis September 1941) . . . . . . . . . . . . . . . Q7/BERICHTE Berichte der NS-Schwestern über den Umsiedlungseinsatz 1940 . .
. . 455 . . 468 . . 527 . . 586
IV. ANHANG Verzeichnisse und weitere Quellen IV.A. Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 IV.B. Namensverzeichnis zur Spurensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 IV.C. Weibliche Hierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 IV.D. Geographisches Verzeichnis zur Spurensuche mit Ortsnamenskonkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 IV.E. Alphabetische Register a. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 b. Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703 IV.F. Literatur und weitere Quellen a. Archive und Privatarchive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Literatur und gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Weblinks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Theater und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Zeitschriftenbeiträge zum Projekt Verschwundene Umsiedler . . . . . . f. Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
712 714 731 732 732 735
IV.G. Dank und Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 IV.H. Berlin-Topografie: T4 und NS-Schwesternschaft . . . . . . . . . . . . 744
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EINLEITUNG Kultureller Kontext
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11 „Sei es wie es sei. Jedenfalls weiß unser Gedächtnis viel mehr als wir selbst wissen.“
Harald Welzer, Theorie der Erinnerung1
1. Forschen und Gedenken: Geschichte des Projekts Im Oktober 2018 wurden die Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Dieses Ereignis wurde als „Erinnerungskultur als Lebensaufgabe“2 gewürdigt. Im selben Jahr ereigneten sich – als Spätfolgen meiner eigenen Projekte zum Nationalsozialismus – mehrere Merkwürdigkeiten, gerade so, als solle damit der Titel eines Werkes von Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur,3 bestätigt werden. Bevor ich später in diesem Vorwort, das genau genommen ein Nachwort ist, darauf zurückkommen werde, möchte ich rekonstruieren, auf welchem gesellschaftlichen Hintergrund unserer europäischen Erinnerungskultur die hier vorliegende Arbeit entstand. Denn seitdem ist über ein Jahrzehnt vergangen.
Wie und wo es begann ... Die Auswertung des privaten Nachlasses einer „Braunen Schwester“ unternahm ich schon vor vierzehn Jahren. Auch das Gespräch mit einem ehemaligen SS-Arzt fand im selben Jahr 2007 statt. Der Anlass zu Beidem war ein durchaus fragwürdiges Unternehmen, eine geradezu detektivische Spurensuche in einem von der historischen Forschung damals noch so gut wie unbeackerten Feld. Welche Rolle könnte die NS-Schwesternschaft, die sich im Selbstverständnis einer Eliteorganisation als eine Art weibliche Form der SS verstand, bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen gespielt haben? Meine zu der Zeit noch sehr offene Hypothese war, dass gerade die NS-Schwestern in ihrer politischen Funktion eine aufschlussreiche Schnittstelle zwischen der im Geheimen organisierten Krankenmord-„Aktion T4“ und der propagandistisch öffentlich präsentierten „Heim ins Reich“-Aktion gewesen sein könnten. Heute erscheint die Frage nach einer solchen Verknüpfung fast selbstverständlich, doch damals waren – obschon diese beiden groß angelegten nationalsozialistischen ‚Aktionen‘ während des Zweiten Weltkrieges zeitgleich, in den Jahren 1 Welzer 2011 [2002], Kommunikatives Gedächtnis, S. 18. 2 Maier, Erinnerungskultur als Lebensaufgabe, NWZ, 13.10.2018. 3 Assmann 2016 [2013], Unbehagen.
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Einleitung
1940/41, abliefen – noch kaum gedankliche Überschneidungen zu finden, weder in den zahlreichen Dokumentationen der Umsiedlung noch in den Überlegungen der Historiker.4 Zu Beginn meiner Spurensuche begriff ich mich nicht als Historikerin. Etwa ab dem Jahr 1999 versuchte ich als Autodidaktin, das Schicksal meines Großvaters aus Bessarabien (Basarabia, Бессарабія) aufzuklären und stand nicht nur vor einer verwirrenden Familienüberlieferung, vermischt mit eigenen unreflektierten Geschichtsbildern, wie es für nachgeborene Enkelgenerationen5 nach dem Zweiten Weltkrieg typisch ist.6 Auch bei der Suche nach hilfreicher wissenschaftlicher Hintergrundliteratur – denn Kulturwissenschaftlerin war ich durchaus – offenbarte sich im Jahr 2000 eine Lücke im damaligen Geschichtsbild,7 in das ein Schicksal wie das meines Großvaters nicht hinein zu passen schien. Die NS-„Euthanasie“-Forscher, oft für NS-Gedenkstätten vor Ort tätig, hatten vor 20 Jahren noch genug an den konkreten Orten der Verbrechen aufzuklären. Die deutschen „Heil- und Pflegeanstalten“ in den Kriegsgebieten des östlichen Europa lagen noch nicht in ihrem Fokus. Auch kreuzte ihr Interesse nicht die Umsiedlungen von „Volksdeutschen“, wenn auch so manche „Heil- und Pflegeanstalt“ im „Altreich“ als Umsiedlerlager verwendet wurde. Auf der anderen Seite blendeten die zahlreichen Dokumentationen der Umsiedlung, Flucht und Vertreibung, die seit Kriegsende diese Erinnerung im kulturellen Gedächtnis bewahren wollten, die Verbrechen und Selektionspraktiken der deutschen NS-Gesundheitspolitik aus. Zur starken Abgrenzung beider Forschungsfelder mag auch lange die zu wenig differenzierte Auffassung beigetragen haben, dass die Umsiedler als Ansiedler in den besetzten Gebieten ‚Profiteure‘ der Besatzungspolitik gewesen seien. In die Selektionspolitik seien die Umsiedler sogar indirekt mit den „Euthanasie“-Aktionen verstrickt gewesen, da in der Tat so manche „Heil- und Pfle-
4 Hier und im Folgenden verwende ich der Einfachheit halber die traditionelle Schreibweise in der männlichen Form, auch wenn mir bewusst ist, dass sprachliche Differenzierungen zur Darstellung der Geschlechter eine große Bedeutung haben. 5 Als neueres Beispiel für eine Familiengeschichte aus der bessarabiendeutschen Enkelgeneration vgl. Unger 2016, Heimat der Wölfe. 6 ������������������������������������������������������������������������������������������ Das Geschichtsbewusstsein nachgeborener Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg ist zusammengesetzt aus Schulwissen, unreflektierten Familienbildern und Filmen über den Holocaust. Die intergenerationelle Weitergabe der NS-Vergangenheit, insbesondere die Einordnung des eigenen Familiengedächtnisses in den Rahmen des Erlernten bleibt allzu oft eine gescheiterte Herausforderung, sowohl für die Zeitzeugengeneration wie auch für deren Kinder und Enkel. Diese wiederum füllen die Lücken, die das nur andeutende „leere Sprechen“ in den Familien hinterlässt, mit Filmbildern aus den Medien auf, so das Ergebnis der Untersuchung über Tradierung von Geschichtsbewusstsein. In: Welzer u.a. 2015 [2002], Opa war kein Nazi. 7 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. das Kapitel zum Forschungsstand. In den beiden ansonsten sehr aufschlussreichen und wichtigen Werken von Jachomowski (1984) und von Heinemann (2003) wurde der Komplex der NS„Euthanasie“-Morde nur sehr marginal mitgedacht und direkte Zusammenhänge durch Einbindung der Umsiedler noch nicht explizit vermutet.
Forschen und Gedenken: Geschichte des Projekts
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geanstalt“ 1940/41 für die Unterbringung „volksdeutscher“ Umsiedler geräumt worden war und die vorherigen Insassen in die Gasmordanstalten ‚verlegt‘ wurden.8 Ein Komplex schuldhafter Verstrickung auf der einen Seite, eine Art Loyalitätskonflikt der in Deutschland als Umsiedler und Flüchtlinge Aufgenommenen auf der anderen Seite mag gedankliche Differenzierungen und Verknüpfungen für lange Zeit blockiert haben. So erschien es auch mir selbst zunächst widersprüchlich und fragwürdig, dass mein Großvater laut familiärer Überlieferung einerseits „volksdeutscher“ Umsiedler, andererseits angeblich ein Opfer des Krankenmordes in einer deutschen Klinik im besetzten Polen gewesen sein sollte. Um am Ende der 1990er Jahre einen passenden historischen Rahmen für die spärliche familiäre Überlieferung zu finden, galt es zunächst, die beiden komplexen Themenfelder Umsiedlung und NS-„Euthanasie“ je für sich ausführlich zu erfassen. Das Aufspüren von chronologischen und topographischen Schnittpunkten, das kleckshafte Ausfüllen leerer Felder, gelang mir hierbei am besten beim Lesen zahlloser Biografien, denn sie überlieferten Details über die Schauplätze des Geschehens. Jan Piskorski erklärt sich die besondere Rolle der literarischen oder biografischen Werke für die historische Aufklärung damit, dass sie von den sensibleren Wahrnehmungen von künstlerischen Schriftstellern, Frauen oder von traumatisierten, schreibenden Zeitzeugen herrühren und uns dabei Anderes überliefern bzw. uns anders aufklären, als die von Verwaltungsbeamten des NS-Staates verfassten Aktentexte, die Historiker gewöhnlich in den Archiven vorfinden und deren Gehalt an Wahrheit ebenso fraglich bzw. einseitig sein kann, wie man es Erinnerungsberichten zuschreibt.9 Für mein Geschichts-Puzzle war ich etwa fünf Jahre lang auf der Suche nach den fehlenden Teilen, mit denen ich mir einen erweiterten und passgenaueren geschichtlichen Rahmen zu konstruieren suchte.10 Konkret war ich seit Ende der 1990er Jahre bis Mitte 2004 dem rätselhaften Schicksal meines Großvaters auf der Spur, der nach der Umsiedlung aus Bessarabien 1942 in der Heil- und Pflegeanstalt Konradstein (Cocborowo) in Westpreußen zu Tode kam. Daher konnte ich 2007 bei der Bearbeitung des vorliegenden Projektes schon auf intensive Literaturrecherchen und Quellen zu den Themen „Euthanasie“ und Umsiedlung zurückgreifen, wenn auch die Forschungslage zu Überschneidungen dieser beiden Themen immer noch sehr dürftig war.
18 ����������������������������������������������������������������������������������������� Auf diesen Zusammenhang wies Götz Aly schon früh hin, so auch erneut 2013 im Kapitel: Umsiedlung, Krieg und Krankenmorde. In: Ders. 2013, Die Belasteten, S. 92–102. 19 Jan Piskorski, Professor für vergleichende Geschichte Europas an der Universität Stettin (Szczecin), sinngemäß zitiert am 14.1.2014 bei der Autorenlesung im Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Oldenburg zu: Piskorski 2013, Die Verjagten. 10 Schlechter 1999–2004, Ohne Boden.
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Einleitung
Freiraum Der Soziologe Harald Welzer geht in seiner Theorie der Erinnerung davon aus, dass unser „Kulturelles Gedächtnis“ immer auch ein „Kommunikatives Gedächtnis“11 ist, „indem bestimmte Aspekte ab- und andere wieder aufgewertet werden und wieder andere neu hinzugefügt werden.“12 Da diese Aspekte und Themen mit wechselnden Bedeutungen verbunden sind, sind solche Vorgänge, in denen man ein bestehendes Geschichtsbild beständig weiterentwickelt, wie passgenaue Korrekturen der eigenen Identität. „Wäre das anders, wäre man einfach handlungsunfähig“. Ein persönlicher Antrieb, die Dynamik, eine entdeckte Wissenslücke schließen zu wollen, folgt „der überraschenden Dimension unseres autobiographischen Gedächtnisses, mehr zu wissen, als wir selbst wissen.“ Unsere Ich- oder Wir-Identitäten können wir aus vielfältigen Quellen modellieren: „Es ist ein ‚kommunikatives Unbewusstes‘, das diese Quellen verbindet und grundsätzlich auf mehr ‚Wissen‘ basiert, als jedem einzelnen Handelnden und auch allen zusammen bewusst verfügbar ist.“ Vorhandene Quellen können so oder so befragt werden. Je nach Anordnung bzw. Umordnung, je nach Fragestellung, je nach Verknüpfung kann daraus dieses oder jenes Wissen über die Vergangenheit erwachsen: „Unsere kommunikative Praxis besteht eigentlich in einem unablässigen Vorgang der Montage. […] Dem autobiographischen Gedächtnis kommt dabei die Aufgabe zu, all unsere Vergangenheiten so umzuschreiben und anzuordnen, dass sie dem Aktualzustand des sich erinnernden Ich passgenau entsprechen. [...] Und am Ende passt alles wieder zusammen.“13
Zu einer Spurensuche gehören ein geschützter Raum, in dem man Ahnungen, Verdachtsmomenten, Spekulationen nachgehen kann, und ein gewisser Zeitraum, in dem man sich diesem widmen kann. Welzer bestätigt, „dass wir den Kern des kommunikativen Gedächtnisses, nämlich den, der in seiner Praxis selbst besteht, wissenschaftlich immer nur unzureichend und unvollständig erfassen können – ästhetische Zugänge wie literarische Autobiographien [...], Filme [...] etc. kommen wegen ihrer Freiheit, ihre Überlegungen nicht belegen zu müssen, dem Phänomen des kommunikativen Gedächtnisses oft näher, als es mit den sperrigen Instrumenten der wissenschaftlichen Argumentation möglich ist. Das gilt insbesondere dann, wenn man sich in das Feld der unbewussten Wahrnehmungs- und Gedächtnisbildungsvorgänge hineinwagt, die sich nur sehr eingeschränkt in wissenschaftliche Begründungszusammenhänge einfügen lassen.“14
11 12 13 14
Welzer 2011 [2002], Kommunikatives Gedächtnis. Ebd., S. 15. Zitate im folgenden Absatz ebd., S. 222, 225f., 230. Ebd., S. 236. Ebd., S. 16.
Forschen und Gedenken: Geschichte des Projekts
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Aus dieser Art Freiraum entstand die damals noch sehr spekulative Leitfrage, die ich mir an das Quellenmaterial zu stellen erlaubte: Waren NS-Schwestern 1940 aktiv bei Selektionen oder sogar bei der „Ausmerzung“ unerwünschter Umsiedler beteiligt gewesen? Könnten ihre Dokumente aus dem Bessarabieneinsatz uns heute Auskunft geben über das ungeklärte Schicksal von Umsiedlern aus Bessarabien, da diese unter die NS-Kategorie des sogenannten „lebensunwerten Lebens“ fielen? Wie wurde bei der Umsiedlungs-Organisation eigentlich mit körperlich und geistig Behinderten aus Bessarabien konkret verfahren? Gab es an den Schauplätzen im fernen Osteuropa jenseits der bekannten Praktiken der „T4“-Organisation mit ihren Meldebögen und grauen Bussen möglicherweise noch weitere, uns bisher ganz unbekannte Vorgehensweisen? Wohin genau führten Krankentransporte aus Bessarabien? Als Chance, solcherlei Fragen nachzugehen, bot sich mir der Nachlass der führenden NS-Oberin im Umsiedlungseinsatz. Das Forschungsprojekt war zu diesem Zeitpunkt ein Experiment mit offenem Ausgang. Aus heutiger Sicht ist diese Perspektive längst etabliert. Die weitere Forschung konnte inzwischen einige Wissenslücken schließen.
Ein prekärer Ort Zur besonderen Entstehungsgeschichte des Projektes mag auch die prekäre Situation des Entstehungsortes gehören: Er lag abseits eines wissenschaftlichen Umfeldes, wie es eine Universität mir geboten hätte.15 Mein Arbeitsplatz war eine kleine NS-Gedenkstätte auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik in Wehnen bei Oldenburg. Das Gebäude der „Alten Pathologie“16 war eine ehemalige Leichenhalle mit einem christlichen kreuzförmigen Grundriss, die von 1936 bis 1945 durch die Umfunktionierung zu einem Sezierraum entweiht worden war. In der Ausstellung neben meinem Büro standen in einem gefliesten Raum noch die Überreste des später abgebrochenen Seziertisches, an dem NS-Pathologen der Anstalt auf der Suche nach erblichen Geisteskrankheiten Gehirne untersuchten. 2007 hatte ich bereits drei Jahre als Leiterin und Gestalterin dieser NS-Gedenkstätte gearbeitet,17 die zwar klein war, aber als bundesweite Besonderheit von einem Angehörigen-Verein initiiert und getragen wurde. Die Mitglieder des Gedenkkreises Wehnen e.V. hatten 15 Das vorliegende Werk entstand im Diskurs außeruniversitärer wissenschaftlicher Netzwerke, auf Veranstaltungen der Bundes- und Landeszentralen für Politische Bildung, der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, der Interessensgemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und des interdisziplinären und internationalen Arbeitskreises zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation. 16 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Thelen: Gedenkstätte „Alte Pathologie“. In: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten/IG niedersächsischer Gedenkstätten 2009, Geschichte bewusst machen, S. 66–69. 17 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Pressesammlung der Gedenkstätte 1997–2008 (Kopie im Privatarchiv). Persönliche Darstellung: Aktivposten in der Gedenkstätte, NWZ (Ammerland), 16.2.2006, S. 32.
16
Einleitung
Kissen. Trauer- und Gedenkanlage für die Opfer der NS-„Euthanasie“ der Heilund Pflegeanstalt Wehnen auf dem ev. Friedhof Bad Zwischenahn-Ofen Konzept und Zeichnung: S. Schlechter 2002
sich in den 1990er Jahren gefunden, nachdem ein Historiker in seiner Dissertation das Geschehen vor Ort aufgedeckt und veröffentlicht hatte.18 Unsere gemeinsamen Anstrengungen waren angetrieben von der Vision, hier einen Lern- und Gedenkort zu schaffen, an dem mehrere Wissenschaftler sich der Aufklärung der Geschehnisse vor Ort im direkten Dialog mit den Zeitzeugen widmen könnten, unterstützt durch die von dem Historiker begutachteten Krankenakten.19 Die Ergebnisse der Forschung sollten in die Dauerausstellung einfließen und die interessierte Öffentlichkeit aufklären. Ein nachhaltiges, bis heute ausgestelltes Produkt aus diesem Ansatz sind die Roten Bücher mit anschaulichen Biografien von Patienten aus der NS-Zeit, die ich gemeinsam mit Angehörigen erstellte und die den Opfern ein Gesicht geben sollten.20 Auf dem nahegelegenen Friedhof bot eine interaktive Trauer- und Gedenkanlage den Angehörigen der Opfer die Möglichkeit einer nachträglichen Trauerarbeit, nachdem sie sich mit der Lücke ihres Familiengedächtnisses beschäftigt hatten.21 18 Harms 1996, Hungertod. 19 Vgl. Gedenkstätten- und Forschungskonzept. In: Harms 2007, Alte Pathologie; Harms/Fleßner 2007, Oldenburgische NS-„Euthanasie“. 20 Schlechter, Patientengeschichten, S. 113–128. In: Reiter (Hg.) 2007, Opfer der NS-Psychiatrie. Das Projekt wurde 2005/06 gefördert von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und ging dem BKM-Projekt unmittelbar voraus. Die 33 rekonstruierten Biografien liegen bis heute als Rote Bücher auf einem Krankenbett im Zentrum des Ausstellungsraumes. Die regionale Presse begleitete das Projekt mit Titeln wie: „Den Opfern ein Gesicht geben“ oder „Schicksale im Spurenordner“, NWZ 1.3.2006, S. 34. – Seit 2013 werden die Roten Bücher als pädagogisches Material verwendet. Vgl. Thelen, Opferbiographien in der Gedenkstätte Wehnen. In: Harms/Fleßner/George/ Keller (Hg.) 2014, Medizin im NS, S. 169–181. 2020 wurden sie umgestaltet. 21 Schlechter 2002, Kissen. Das Konzept wurde mit dem Oldenburger Bildhauer Marc Janzen ausgeführt. Die Gedenkanlage wurde am 1.9.2008 eröffnet. Vgl.: Gedenkstein gegen das Vergessen
Forschen und Gedenken: Geschichte des Projekts
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Dieser Art waren die Projekte, die dem vorliegenden Forschungs-Projekt direkt vorausgegangen waren und in die es eingebettet war. Diesen vielleicht nicht zufälligen Zusammenhang möchte ich genauer in den Blick nehmen.
Gedächtnisorte von unten Ein umfassendes gesellschaftliches Netzwerk aus vielen einzelnen persönlichen Initiativen, deren winzigster Teil wir lediglich waren, bestimmt die deutsche Erinnerungskultur mit ihren zahlreichen Erinnerungsorten, Gedenkorten, Gedenkstätten, Gedenktafeln.22 Inzwischen wachsen im globalen world wide web virtuelle Landkarten europäischer Erinnerungslandschaften partizipativ immer weiter an, zur NS„Euthanasie“ wurde 2011 eine zentrale europäische Übersichtskarte eingerichtet.23 Noch viele Jahrzehnte nach Kriegsende ist diese Erinnerungskultur als ein „langer Schatten der Vergangenheit“24 sehr lebendig. Die Traumata, die die Menschenrechtsverletzungen der NS-Diktatur sowohl individuell wie kollektiv verursacht hatten, wurden in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende mit einem Schweigen beruhigt, das als Bewältigungsstrategie der Erlebnisgeneration noch gesellschaftlicher Konsens gewesen sein mag. Erst die nachfolgenden Generationen widmeten sich der Aufgabe, die vom Schweigen verursachten Lücken des kommunikativen Gedächtnisses wieder aufzufüllen. Vor allem kam damit die Ungerechtigkeit gegenüber verschwiegenen Opfergruppen zu ihrem Recht, die nun als Zeitzeugen Gehör fanden. An vielen Gedenkorten findet man daher nicht nur symbolische Gedenktafeln vor, die die NS-Verbrechen im kulturellen Gedächtnis bewahren solund Verdrängen. Erinnerungsstätte auf dem Friedhof der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in Wehnen, NWZ, 1.9.2008, S. 23; sowie: Den Vergessenen steinerne Kissen, TAZ-nord 25.8.2008, S. 17. – 2018 wurde die Gedenkanlage vom Vorstand des Vereins umgestaltet und nach Intervention wieder zurückgebaut. Die ursprüngliche Form ist noch sichtbar im Abspann des TV-Spielfilms „Ich werde nicht schweigen“. Gronenbaum, ZDF/arte 2017. 22 Eine frühe Übersichtskarte aller derzeit bekannten Gedenkstätten in Deutschland bot Puvogel/ BdP (Hg.) 1997 [1987], Gedenkstätten für die Opfer des NS, Kartenbeilage in Bd. 2. 23 Vgl. die partizipative online-Landkarte von Robert Parzer (Red.): Gedenkort T4 / Europakarte: Biografien und Gedenkstätten von Opfern der NS-‚Euthanasie‘-Verbrechen. URL: www.gedenkort-t4.eu/de (seit 24.1.2018). (Abruf 26.4.2019: 146 Orte). Aber: „der virtuelle Gedenk- und Informationsort Gedenkort-T4.eu besteht seit 2011. Er wurde geschaffen, um die Entstehung des Gedenk- und Informationsortes für die Opfer der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Morde an der Berliner Tiergartenstraße 4 zu begleiten und zu fördern“. Um diesen symbolischen Gedenkort am Sitz der Berliner „T4“-Organisationszentrale hatte es vorher lange Zeit Kontroversen gegeben, da sich die „Gedenkstättenlandschaft“ an den ‚Orten der Opfer‘, die nur durch lokale Spurensuchen ans Licht kamen, dezentral aufgebaut hatte und den zentralen Standort für eine zentrale „Euthanasie“-Gedenkstätte, zudem an einem ‚Ort der Täter‘, in Berlin ablehnte. Die virtuelle Karte macht wiederum die einzelnen Orte zugänglich. 24 Assmann 2007, Der lange Schatten.
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len. NS-Gedenkstätten als „Lernorte“ verstehen sich inzwischen als Institutionen der politischen Aufklärung und des Bewahrens der Erinnerung am konkreten Ort des Geschehens, auch für nachfolgende Generationen. Nach Aleida Assman werden diese „Gedächtnisorte ‚von unten‘“ als Leistungen der Zivilgesellschaft in ihrer Bedeutung für die Erinnerungskultur immer noch nicht genug wertgeschätzt. Die lebendig gewachsene Gedenkstättenlandschaft leide unter dem zugeschriebenen Image eines sinnentleerten „Gedächtnistheaters, das der Staat für seine Bürger veranstaltet“. Dies geschieht jedoch nur auf einer anderen, offiziellen Ebene einer staatstragenden Gedächtnispolitik, die symbolische Orte und Rituale braucht. „Tatsächlich sind die lokalen Gedächtnisorte, die aus zivilgesellschaftlichen Initiativen hervorgegangen sind und weiter hervorgehen, die wichtigsten und zugleich auch unscheinbarsten Praxisfelder der deutschen Erinnerungskultur“25. Die Realität dieser „unscheinbarsten Praxisfelder“ bedeutet für die involvierten Geisteswissenschaftler oft genug das Hamsterrad des ‚Prekariats‘.26 Seit der Eröffnung unserer budgetlosen Gedenkstätte im April 2004 waren fortlaufend neue Anträge gefordert, um den Betrieb mit Projektfinanzierungen der niedersächsischen Gedenkstättenstiftung erfolgreich aufzubauen und abzusichern. War ein Projekt mit einer Laufzeit von nur drei oder vier Monaten bewilligt, musste noch während der Umsetzung desselben wiederum das nächste rechtzeitig erdacht und beantragt werden. Sachberichte, Verwendungsnachweise und der Zeitdruck der Bearbeitungen ließen keinerlei zeitliche Überschreitungen der jeweils befristeten Projekte zu. Andererseits ließ der Druck auf dem Hintergrund einer Politik des ‚Förderns und Forderns‘ wiederum keine Lücken und Verschnaufpausen zwischen den Projekten zu. Solcherlei Arbeitsbedingungen sind eigentlich nur tragbar, wenn man beseelt ist vom Aufbau eines solchen Projekts und getragen wird von einem gleichgesinnten Netzwerk. Gedenkstätten als lebendige gesellschaftliche Orte erwachsen aus und in einer Gesellschaft. Als deren Teil erlebte ich den Alltag dieses Ortes damals genauso, wie es der Leiter einer viel etablierteren NS-Gedenkstätte 2006 entgegen den üblichen Vorurteilen klarstellte: „Arbeit in Gedenkstätten bedeutet nicht, sich unablässig Asche aufs Haupt zu streuen. Sondern hier wird vielmehr Freundschaft geschaffen. Die Überlebenden und Zeitzeugen, sie bringen ihre Herzen mit.“27 25 Zitate dieses Absatzes aus: Assmann 2016 [2013], Unbehagen, S. 107–109. Assmann kritisiert in diesem Abschnitt zu Recht Harald Welzers Unbehagen an der „Beschilderung der Republik mit Tafeln“, der darin eine „besorgniserregende ‚Diktatur der Vergangenheit‘ und Verstellung von Zukunft“ sah. 26 Das Projekt entstand in einer Phase des grundlegenden Umbaus der Sozialgesetze. Die sogenannten „Hartz-IV-Gesetze“ wurden ab Januar 2005 eingeführt, seit 2019 wird ihre Abschaffung und eine Entschärfung des Prinzips des „Förderns und Forderns“ diskutiert. 27 Volkhard Knigge, Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, sinngemäß zitiert nach meiner Mitschrift aus seiner Rede zur Verleihung des Carl-von-Ossietzky-Preises im Oldenburger Schloss im Mai 2006.
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Als außeruniversitäre und interdisziplinäre Forschungsorte bergen Gedenkstätten mit ihrem Drängen nach Aufklärung des Geschehenen vor Ort besondere Chancen, weil hier – im gegenseitigen Aufklärungsinteresse – ein direkter Kontakt der Wissenschaft mit Zeitzeugen, familiär Betroffenen und der Öffentlichkeit besteht. Die Provenienz des vorliegenden Forschungsmaterials ist somit keineswegs einem beliebigen Zufall geschuldet, vielmehr gehörte das Geschenk wertvoller historischer Dokumente zum Tagesgeschehen einer „Gedenkstätte im Dialog“.28
Provenienz Es war eine Besucherin unserer Gedenkstätte, die mir das vorliegende Quellenmaterial eines Tages im Jahr 2005 oder 2006 persönlich anvertraute. Allein das Stichwort „Bessarabien“, das seit der Eröffnung der Gedenkstätte nie mehr gefallen war, wirkte nun wie eine Initialzündung. Die Besucherin hatte mir nach einer Führung die persönliche Frage gestellt, warum eine junge Frau an einem solchen morbiden Ort arbeite. Solches Interesse an meiner persönlichen Motivation war äußerst selten, unsere Besucher konzentrierten sich üblicherweise auf die Funktion der „T4-Aktion“ und die Geschehnisse in der Wehner Anstalt. Nachdem mir so meine langjährigen Familienforschungen entlockt waren, denn letztlich hatten diese mich in die Gedenkstättenarbeit geführt, zeigte sich unser gemeinsamer biografischer Schnittpunkt. Die Mutter dieser Besucherin war bei der Umsiedlungsaktion aus Bessarabien 1940 als Krankenschwester eingesetzt gewesen. So lud sie mich ein, mir die Fotos aus deren Nachlass anzuschauen. Beim Besuch in ihrer Wohnung wurde die Bedeutung dieses Privatarchivs noch spektakulärer, denn wie ich dann erfuhr, war die „Krankenschwester“ die „Führerin der NS-Schwestern“ im Bessarabien-Einsatz gewesen und, wie ich im dritten Schritt bei weiteren Gesprächen erfuhr, außerdem noch in Berlin die zweite stellvertretende Generaloberin der NS-Schwesternschaft. Ihr privater Nachlass war damit historisch so wertvoll, dass er meines Erachtens in die Obhut eines staatlichen Archivs gehörte.29 Doch dies war damals explizit nicht der Wunsch der Dame, da sie Bedenken hatte, dass er dort unbearbeitet im Archiv liegen bleiben könnte. Mit einer erstaunlichen Gewissheit, dass ich aus dem Bessarabien-Nachlass ihrer Mutter etwas machen würde, vertraute sie mir die wertvollen Unterlagen persönlich an. Aus dieser fast subversiven Handlung erwuchs für mich wiederum eine hohe Verpflichtung. Mit der Förderung des Staatsministers für Kultur und Medien konnte ich mich von Mai bis Oktober 2007 für sechs Monate der Auswertung des Nachlasses widmen, der Gedenkkreis Wehnen war als Projektträger gewonnen. Für den weiteren 28 Zentraler Begriff im Prospekt der Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen 2005. 29 Das Bundesarchiv Berlin wurde bereits 2007 über den Dokumentenschatz informiert.
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Nordwest-Zeitung 20.7.2007
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Betrieb der Gedenkstätte war das befristete Projekt existentiell wichtig, auch wenn es vorübergehend nicht mehr um die Aufklärung der Ereignisse in der Wehner Anstalt gehen sollte, sondern die historischen Schauplätze nun weit entfernt in Südosteuropa lagen. Der Region vor Ort wurde das neue Projekt mit Hilfe einer historischen Landkarte von Südosteuropa präsentiert.30
Europa Die zunehmende Professionalisierung der NS-Gedenkstätten beinhaltet qualitativ verbindliche Standards, zu denen zwingend der Blick über die deutsche Erinnerungs-Perspektive hinaus gehört, denn dies ist die Voraussetzung dafür, dass die deutschen Gedächtnisorte als Institutionen überhaupt Teil einer ganz Europa umfassenden „Topographie des Terrors“ werden können.31 Sowohl die Erfahrung der NS-Verbrechen wie auch die der „Verjagten“32, der gesamte Komplex von ‚Umsiedlung, Flucht und Vertreibung‘, sind nicht nur das sogenannte ‚dunkelste Kapitel‘ in der deutschen Geschichte, sondern gemeinsames europäisches Gedächtnis.33 Das ganz Europa überspannende „nationalsozialistische Migrationsregime“34 vollführte neben der biologischen ‚Auslese und Ausmerze‘ auch soziale ‚Inklusionen und Exklusionen‘, was in der vermeintlich homogenen „Volksgemeinschaft“ sowohl Kooperationen als auch Konflikte auslöste. So lauten die Begrifflichkeiten in aktuellen Diskursen. Andrej Angrick merkte dazu 2018 an, dass die aus der NS-Gemeinschaft Ausgegrenzten nicht nur „exkludiert“, sondern geradezu „satanisiert“ wurden im 30 Schwarz, Geschichte aufgedeckt, NWZ 20.7.2007, S. 1 u. 3; Ders., Alter Nachlass neu erforscht, NWZ 24.7.2007, S. 31f. (hier abgebildet: S. 32). Durch die familiäre Herkunft des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler gewann Bessarabien seinerzeit eine gewisse Aufmerksamkeit. Der Infokasten erläuterte Bessarabien als „Heimat von Horst Köhlers Eltern“. 31 „Gerade weil Gedenkstätten zwischen dem vergangenen Geschehen an den Orten der Tat und dem gegenwärtigen, aktiven Erinnern vermitteln, müssen sie sich in ihren Aufgaben, Fragen und Zielgruppen immer in Bezug zu den Bildungsanforderungen der Gegenwart setzen. Dabei dürfen wissenschaftliche und museale Standards und Inhalte nicht relativiert werden, die aus dem konkreten historischen Ort als Bestandteil der Europa umfassenden Topographie des Terrors folgen.“ Zit. nach Knoch 2009, Gedenkstätten und Initiativen, S. 13. 32 Titel des 2013 erschienenen Buches von Jan Piskorski, Professor für vergleichende Geschichte Europas. 33 Eine solche Nebeneinanderstellung von deutschen, polnischen und jüdischen biografischen Erzählungen, die sich an unterschiedlichen Kriegsschauplätzen des östlichen Europa abspielten, bot Helga Hirsch 2007. In: Dies., Entwurzelt. Eine dieser Geschichten betraf die Umsiedlung aus Bessarabien 1940: „Wir waren Besatzer im eigenen Land“. Warum Artur Singer sein Dorf in Bessarabien verlassen musste. Ebd., S. 97–126. 34 Oltmer (Hg.) 2012, Nationalsozialistisches Migrationsregime (Beiträge einer Tagung in Berlin 2010). Jochen Oltmer ist Vorstand des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien.
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Sinne einer Dämonisierung, die die Deutschen erst zu solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit befähigte.35 Nach dem Krieg galten die „volksdeutschen“ Flüchtlinge und Vertriebenen in der Differenzierung der Gruppen von Displaced Persons aufgrund ihrer Einbürgerungen ins „Deutsche Reich“ offiziell als ein Teil der feindlichen „enemy-Bevölkerung“.36 Im Gegensatz zu den verfolgten Gruppen wurde ihnen eine Existenz zugesichert, wenn auch unter einem Druck der „Bewährung“ als Siedler in einem Kriegsgebiet.37 Dabei hatten insbesondere die Umgesiedelten aus Bessarabien und der Bukowina (Buchenland, Bucovina, Bukowyna) während der Kriegsjahre sogar eine zweifache Zwangsmigration hinter sich. Im Kontext des kriegerischen Gesamtgeschehens, das im „Exodus“ verschiedenster Gruppen geradezu definiert war als Displacement of people in Europe,38 bleiben Grauzonen jenseits eindeutiger Zuschreibungen: Auch wenn eine tradierte Lesart die „volksdeutschen“ Migranten immer wieder als „Profiteure“ und „Nutznießer der Enteignung und Verfolgung der Polen und Juden“ darstellt39 und sie eher der „Auslese für die Siedlergesellschaft“40 zuordnet und das damit unmittelbar verbundene Risiko einer ‚Ausmerze aus der Siedlergesellschaft‘ in den Schatten gestellt, waren doch zumindest Teile von ihnen ‚unerwünschter Bevölkerungszuwachs‘. Sie wurden reale Zielscheiben und Opfer der mörderischen NS-Politik, schon vor dem Einbürgerungsverfahren oder auch noch nach der Ansiedlung. Lange wurden die von den Zwangsmigrationen in den 1930er und 1940er Jahren verursachten „Bewegungen von Menschen im Raum“41 in getrennten Forschungsfeldern behandelt, die sich kaum berührten, obwohl sie zeitgleich und in ähnlichen Strukturen stattfanden. So gehört inzwischen neben der Emigration von Juden, der Emigration von NS-Gegnern, der Deportation von 35 Angrick 2018, Aktion 1005, S. 23 und Anm. 21. 36 Bauer, Deutsche aus der Bukowina. In: Benz/Weber 2017, Exodus, S. 123f. 37 Am 2.3.1941 sprach Himmler, Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums, bei einer Großkundgebung in der „Jahrhunderthalle, der einzigartigen Feierstätte des deutschen Ostens“ vor 12.000 „Volksdeutschen“, die mit Sonderzügen aus allen Teilen Schlesiens nach Breslau (Wrocław) gefahren wurden. 5.000 Umsiedlern aus der Bukowina wurde feierlich ihre Einbürgerungsurkunden übergeben, verbunden mit Rechten und Pflichten: „Deutschland erwartet von Euch volksdeutschen Männern, daß Ihr mit Eurem Leibe und wenn es sein muß mit Eurem Leben für Großdeutschland kämpft.“ In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 234f., Foto S. 235. 38 Markus Bauer sowie auch schon Karl Schlögel (Verschiebebahnhof Europa, 2005) erinnerten an die in der NS-Zeit in die USA emigrierten Autoren Eugene Kulischer und Joseph Schechtmann, die schon in den 1940er Jahren das „Displacement of people in Europe“ beschrieben und dabei die „volksdeutschen“ Umsiedler in diesen Kontext des Kriegsgeschehens als Kriegsopfer mit einschlossen, unter dem Motto: „Migrationen führen zu Kriegen, Kriege führen zu Migrationen“ (Kulischer). In: Bauer, Deutsche aus der Bukowina, in: Benz/Weber 2017, Exodus, S. 126. 39 Harvey 2018, Inszenierung expandierende Volksgemeinschaft, S. 358. 40 So der Titel der Arbeit von Maria Fiebrandt 2014, die sich mit dem Schicksal der „volksdeutschen“ Anstaltspatienten bei den verschiedenen „Heim ins Reich“-Umsiedlungen befasste. 41 Oltmer 2012, Nationalsozialistisches Migrationsregime.
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Zwangsarbeitern, der Deportation der Juden in Lager auch der Komplex der Umsiedlung und Ansiedlung der „Volksdeutschen“ in diese Reihe.42 Unter Letzteren wiederum sind die „verschwundenen Umsiedler“ ein neues Forschungsfeld, wenn es auch „die Leidensperspektive“43 innerhalb eines sehr differenziert zu sehenden Komplexes betonen mag. Ein gesamteuropäischer „Blickwechsel“44 öffnet die Augen für ausgeblendete gemeinsame Themen, nachdem allzu lange ein enger, jeweils nationaler Fokus der betroffenen Nationen auf die Geschichte für grenzüberschreitendes Geschehen blind war. Seit 1989 sind die Hürden für den Austausch zwar weniger die Landesgrenzen, aber weiterhin die Sprachbarrieren. Außerdem bestanden in der Nachkriegszeit auf beiden Seiten Gründe für Vertuschungen, die jetzt aufgelöst werden: „Eine neue Welle der Exhumierung von Massengräbern“ soll zur Zeit von der Bevölkerung in der Ukraine ausgehen, regionale Suchdienste decken bisher nicht überlieferte Kriegstaten unter deutscher Besatzung auf, wie etwa das lebendige Begraben von verletzten Behinderten. Für das lange Schweigen über solche erzwungene Kollaborationen auf sowjetisch besetztem Gebiet seien Verhaftungen der „Kollaborateure“ und „Vaterlandsverräter“ durch den NKWD in der Nachkriegszeit mit verantwortlich.45 Für das kollektive Schweigen über deutsche Kriegsverbrechen in der deutschen Nachkriegszeit ist dagegen die Vertuschungs-„Aktion 1005“ verantwortlich, deren Spurenbeseitigung in ihrem Umfang bisher unterschätzt war.46 Die zahlreichen großen und kleinen Massengräber in der Ukraine und in ganz Osteuropa sind „verschwundene Tatorte“, die „Himmlers Spurenbeseitiger“ 1942 bis 1945 unter dem Tarnnamen „Organisation 1005“ für die Nachwelt systematisch und relativ erfolgreich unsichtbar machten. Die zahlreichen aktiven Geheimnisträger, die Leichen exhumierten, verbrannten, Knochen zu Erde vermahlten, mit Asche gedüngte Gärten hinterließen, Akten vernichteten, wurden nach dem Krieg zu schweigenden Komplizen. Methoden der Kriminalistik und Archäologie, konkretes Gedenken an konkreten Orten der killing fields sind aktuell nötige Schritte. Auch wenn diese Greueltaten heute wie „ewig her und gar nicht wahr“ erscheinen, spuken sie noch nach Jahrzehnten in den Köpfen der Nachfahren weiter; dies auszuloten, 42 Die im Absatz genannten fünf Forschungsfelder werden von Oltmer aufgeführt, ebd., S. 10. 43 So Elizabeth Harveys Einschätzung zum Thema „Verschwundene Umsiedler“. In: Harvey 2018, Inszenierung expandierende Volksgemeinschaft, S. 358. 44 Vgl. den Titel der vom BKM geförderten Zeitschrift: Blickwechsel. Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Hg. v. Deutschen Kulturforum östliches Europa, Potsdam. 45 Penter 2019, Vergessene Opfer Ukraine. In: Journal of Modern European History, S. 375. Für den Hinweis danke ich Hans-Christian Petersen 2019. – Vgl. dazu auch Myeshkov 2012, Die Deutschen in der Ukraine; sowie Steinhart 2012, Creating Killers; Ders. 2015, Holocaust and Germanization Ukraine. Diese Hinweise verdanke ich Hans-Christian Petersen 2021, ausführlicher dazu vgl. Kap. I.A. 46 Angrick 2018, Aktion 1005, Bd. 1. Zitierte Begriffe im folgenden Absatz in ebd., S. 10f., 14, 16. Den Hinweis auf dieses Werk verdanke ich Hans-Christian Petersen 2020.
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zu erkennen, ist eine psychologische und künstlerische Herausforderung und Leistung.47 Der konkrete Austausch zwischen Ost- und Westeuropa über die unsäglichen Massenmorde und insbesondere über „die bislang wenig beachtete europäische Dimension“48 der „Euthanasie“-Krankenmorde sowie auch über die Massenumsiedlungen, die erzwungenen Bevölkerungsverschiebungen der europäischen Kriegsgeschichte eröffnet noch genug zukünftige Chancen und Herausforderungen im Zusammenkommen Europas.
Kollektive Biografie Die Herausforderung beginnt bereits mit der Frage: Was ist / wo liegt B essarabien? Auf heutigen Landkarten ist es kaum noch zu entdecken.49 Die Beschreibung: östlich von Transsylvanien und ‚hinter‘ der Walachei ist geografisch zwar korrekt, trägt aber zur Mystifizierung bei. Dennoch leben in Deutschland – sowie auch im Ausland – heute noch viele Menschen, die in Bessarabien geboren wurden. Orte im Familiengedächtnis tragen Namen wie „Leipzig“, „Wittenberg“, „Paris“, benannt nach den Freiheitskämpfen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, oder auch „Friedenstal“, „Hoffnungsthal“, „Gnadenfeld“, „Eigenheim“, benannt nach den Hoffnungen
„Bessarabien“-Fest in Tarutyne/Ukraine 2017. Unter den vielen historischen Kulturen stellte ein ukrainischer oder russischer Verein auch die „deutsche“ Vergangenheit dar. Foto: S. Schlechter 2017
47 Vgl. Frenk 2020, Ewig her. Der aktuelle Roman lotet Visionen, Träume, Traumata, Haltungen aus, mit denen familiäre Erfahrungsschätze mehrerer Generationen, Kriegs- und Migrations-Vergangenheiten in Bessarabien, Transnistrien, Moldawien, Rumänien im Kopf einer jungen Frau in Berlin weiterleben und ihren nur scheinbar aktuellen deutschen Alltag und ihre Beziehungen historisch belasten. 48 Fritz-Bauer-Insitut/Gedenkstätte Hadamar, Tagungsbericht 2019, NS-Krankenmord Europa. In: HSozKult 3.9.2019. URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8422 (Abruf 26.9.2019). 49 ������������������������������������������������������������������������������������������ Informationen bietet u.a. die Homepage des Bessarabiendeutschen Vereins. URL: www.bessarabien.de.
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der Auswanderer – Orte in einem Land der Erinnerung, die heute längst andere, ukrainische oder moldowanische, Namen tragen: Serpnewe, Malojaroslawez Perschyj, Weselyi Kut, Myrnopillja, Nadeschdyne, Blahodatne, Seleniwka.50 Hinter diesem Heimatverlust der „Bessarabiendeutschen“51 steht eine „kollektive Biografie“52, die trotz ihrer historischen Komplexität verkürzt zusammengefasst werden kann. Ihre Vorfahren waren Anfang des 19. Jahrhundertes zumeist aus Baden-Württemberg nach Russland ausgewandert, in einen Landstrich am Schwarzen Meer östlich von Odessa. Ursprünglich ca. 9.000 Kolonisten lebten hier – neben vielen Eingewanderten aus verschiedenen anderen Ländern und Kulturkreisen – über mehrere Generationen. Doch die Region Bessarabien war in dieser Zeit wechselhaften Grenzen und Gesetzen ausgesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg, der für die „Bessarabiendeutschen“ mit drohenden Deportationen nach Sibirien verbunden war, wurde das russische Bessarabien zum östlichsten Teil Rumäniens, und die „Russlanddeutschen“ dieser Region wurden nun zu „Rumäniendeutschen“, was sie in den 1930er Jahren vor den Verfolgungen des NKWD und vor der Hungersnot auf der anderen Seite des Grenzflusses schützte. Im Zweiten Weltkrieg wurde Bessarabien an einem Tag im Sommer 1940 wiederum von der Sowjetunion besetzt, was in gemeinsamer Absprache zwischen Hitler und Stalin im Herbst 1940 zur „Heim ins Reich“-Umsiedlung ins „Großdeutsche Reich“ von über 90.000 Menschen aus Bessarabien führte, die deutsche Vorfahren nachweisen konnten und die sich ‚freiwillig‘ zwischen einem Leben unter Hitler oder unter Stalin entscheiden konnten. Die NS-Propaganda bezeichnete sie als „volksdeutsche Rückwanderer“.53 Hieran schloss sich das monatelange heimatlose Leben in Umsiedlungslagern der „Volksdeutschen Mittelstelle“ an. Nach den heimlichen Rasse-Musterungen der „Einwandererzentralstelle“ (EWZ) und Erlangung der „Einbürgerungsurkunde“ 50 Hilfreich ist: de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_Bezeichnungen_bessarabiendeutscher_Orte. 51 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Zur kritischen Analyse der Begriffsgeschichte bei der sprachlichen Konstruktion ‚deutscher Volksgruppen‘ wie „Russlanddeutsche“, „Sudetendeutsche“ usw., vgl. Petersen/Weger 2017, Neue Begriffe, S. 187f. (zum Begriff „Bessarabiendeutsche“). Unser Verständnis der Vergangenheit ist oft unreflektiert durch tradierte Begriffe geprägt, die für ‚völkische‘ Forscher der Zwischenkriegszeit relevant waren. Die so reproduzierte Vorstellung vermeintlich homogener ‚Volksgruppen‘ überlagert die Wahrnehmung der realen Vielfalt von Selbstbestimmung und Fremdzuschreibungen bis heute. Hilfreich bei der Reflexion sei die Frage nach „Bruchlinien“ (ebd., S. 198). – In einer neueren Untersuchung ging Petersen noch expliziter der Begriffsgeschichte der Bessarabiendeutschen nach. Vgl. Petersen 2020, Wechselnde Loyalitäten. 52 Zum Begriff „kollektive Biografie“ vgl. Schmidt 2003, Die Deutschen. Schmidt interviewte und verglich in ihrer Untersuchung drei Generationen von Bessarabiendeutschen: 1. die Erlebnisgeneration, die bei der Umsiedlung 1940 erwachsen war, 2. die Generation, die die Umsiedlung als Kinder erlebte, 3. die nachfolgende Generation ohne eigene Zeitzeugenschaft. 53 ������������������������������������������������������������������������������������������� Hinter dieser Fremdbeschreibung als „Rückwanderer“ lag die Konstruktion einer „Volksgemeinschaft“ mit Deutschland. Die „völkische Radikalisierung“ geschah jedoch erst in den 1930er Jahren durch „Ethnomanager wie Karl Stumpp“, die gezielt nationalsozialistische Presse und politisches Personal in Bessarabien einsetzten und förderten. In: Petersen 2020, Wechselnde Loyalitäten, S. 53.
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folgte in der Regel ab 1941 die „Ansiedlung“ der Familien in den Häusern und Bauernhöfen der vertriebenen und deportierten Polen im deutsch besetzten „Reichsgau Danzig-Westpreußen“ und im sogenannten „Warthegau“ – alternativ der Verbleib im „Altreich“ bei Arbeit in der Rüstungsindustrie. Als erlebtes Kriegsende gehört zur kollektiven Erfahrung der Ost-„Ansiedler“ die Flucht aus Polen nach Westen ab Januar 1945 und die Aufnahme in Deutschland als „Flüchtlinge“. Spätestens seit den 1960ern war deren Integration in die deutsche Nachkriegsgesellschaft so geglückt, dass die nächste Generation ihrer Kinder und Enkel schon nichts mehr über Bessarabien und die Herkunft ihrer eigenen Familien wusste. Zur kollektiven Biografie der Deutschen aus Bessarabien gehört daher auch die unzureichende Weitergabe ihrer komplizierten Geschichte an die Nachgeborenen, umgekehrt deren daraus folgende Unkenntnis und Verständnislosigkeit. Zur eher unreflektierten gemeinsamen Ess-Kultur könnte noch eine Vorliebe für typische Speisen der Großeltern (Strudeln, Platschentas, Galuschken, Wassermelonen) gehören. Zum kaum durchschauten historischen Phänomen gehören für die Nachgeborenen auch die Verwandtschaftsverhältnisse nach Übersee – diese waren Folgen verschiedener historischer Auswanderungswellen aus Bessarabien (um 1874 wegen Einführung des russischen Kriegsdienstes nach Kanada, um 1925 wegen Hungersnot nach Brasilien oder um 1950 in der Nachkriegszeit die Emigration aus Deutschland in die USA). Heute ist Bessarabien geografisch zwar immer noch der Landstrich am Schwarzen Meer, der wie ein Dreieck von den Flüssen Djnestr (Dnister, Nistru, Dnestr, Dniestr) und Pruth (Pyretus, Prut) begrenzt wird, doch verlaufen inzwischen wiederum veränderte Landesgrenzen quer darüber. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Bessarabien weder russisch noch rumänisch. Der nördliche Teil gehört heute zur Republik Moldau, und der südliche Teil bildet den südwestlichsten Zipfel der Ukraine. Als ehemaliges Einwanderungsland, dessen Bewohner immer wieder politischen Grenzverschiebungen ausgesetzt waren, was ihnen wechselnde Staatszugehörigkeiten, Enteignungen, Auswanderungen, Umsiedlungen einbrachte, ist die Region Bessarabien noch heute von einem Selbstverständnis des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen geprägt. Auch wenn es heute fern der Lebenswirklichkeit der in der Ukraine lebenden Menschen ist, wird diese historische kulturelle Vielfalt des alten Bessarabiens, das Schauplatz vieler Migrationsprozesse war, bis heute re-inszeniert.54 54 Auf unserer Bessarabienreise 2017 erlebten wir zufällig in Tarutino (Tarutyne) ein großes „Bessarabien“-Fest, für das über 30 verschiedene ethnische Gruppen ihre historischen Traditionen in Trachten, Tänzen und Essen präsentierten. Erstaunlicherweise wurden dabei auch in einem „Deutschen Haus“ traditionelle Essensgerichte der Bessarabiendeutschen angeboten, ukrainische Kinder tanzten und sangen hier in altdeutschen Kindertrachten, und auch ein „Deutscher Wagen“ mit einem alten Pferdegespann war Teil des großen Festumzugs. – Auch wenn diese Inszenierung kultureller Vielfalt den Eindruck einer Landestradition mit voneinander abgegrenzten separaten Kulturen wiedergibt, versteht man heute, dass das Zusammenleben der Menschen transkulturell
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Die 1940 aus dem derzeit rumänischen Bessarabien umgesiedelten Bewohner mit deutschen Vorfahren hatten weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausgemacht. Für sie spielen Landesgrenzen, ob historische oder aktuelle, keine Rolle mehr, die ehemaligen Bessarabiendeutschen und ihre Nachkommen leben heute global verstreut.55 Vor allem die ältere Erlebnisgeneration hält ein im „Bessarabiendeutschen Verein e.V.“ immer noch lebendiges Netzwerk aufrecht.56 Das Netzwerken wird als Teil ihrer historischen Identität hervorgehoben: „Das ist ein Kennzeichen der Bessarabiendeutschen, dass sie weit verstreut leben und doch Verbindungen untereinander halten. Natürlich gibt es das auch anderwärts. Aber bei uns geht das auf eine generationenlange Übung zurück.“57 Am Netz wird weiterhin aktiv geknüpft. Damit es sich nicht aus natürlichen Gründen bald auflöst, soll das Interesse der früher eher vernachlässigten „nachwachsenden Generation“ aktiv geweckt werden.58 Ein vom Verein betriebenes „Heimathaus“ mit Museum und Archiv bewahrt die gemeinsame Geschichte mit Foto-Sammlungen, Ortschroniken und historischen Ortsplänen. Eine Bibliothek sammelt die seit vielen Jahrzehnten produzierte Erinnerungsliteratur, Fotobände, autobiografische Erlebnisberichte. Über umfangreiche Datenbanken des Familienarchivs wird persönliche Unterstützung geboten bei Familienrecherchen. Das „Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins e.V.“59 geschieht. So „bestehen die Unterschiede jetzt nicht mehr zwischen klar abgegrenzten Kulturen, sondern sie ergeben sich zwischen diversen transkulturellen Netzen.“ Zit. nach: Welsch 1997, Transkulturalität, S. 9. 55 ������������������������������������������������������������������������������������������ Nach einer internen Hochrechnung ging der Verein 2007 insgesamt von ca. 40.000 in Deutschland und im Ausland verstreut lebenden Menschen mit bessarabiendeutschen Wurzeln aus, die von der kollektiven Geschichte familiär betroffen sind. Telefonische Auskunft des damaligen Bundesgeschäftsführers des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., Werner Schäfer, am 5.7.2007. 56 ���������������������������������������������������������������������������������������������� 2006 schlossen sich drei große Nachkriegs-Organisationen der vormaligen Umsiedler aus Bessarabien zusammen: Das Hilfskomitee der evangelisch-lutherischen Kirche aus Bessarabien e.V. (Hannover), die Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen e.V. und das Heimatmuseum der Deutschen aus Bessarabien e.V. (Stuttgart) fusionierten zum „Bessarabiendeutschen Verein e.V.“ unter damaliger Leitung von Ingo Isert. 57 Arnulf Baumann, Gschwischtrichkender on Freind – Bessarabischer Familiensinn. In: MB 13 (5.7.2007), S. 5. 58 Auf der Tagung des Fachausschusses „Nachwachsende Generation“ am 12.5.2007 wurden Ideen gesammelt, die die jüngeren Nachkommen der ehemaligen Bessarabiendeutschen – dazu gehören bereits die 1960er-Jahrgänge – stärker integrieren, z.B. durch eine „spektakuläre Reise oder Wanderung mit jungen Leuten nach Bessarabien“, begleitet von Fernsehberichten, Arbeit mit Schulen, Austausch mit der Republik Moldau und der Ukraine, Einrichtung von E-Mail-Adressen und Newslettern, Umgestaltung des bisherigen Mitteilungsblattes in Aufmachung und Stil, was ab Januar 2008 umgesetzt wurde. 2007 recherchierte man für die umfangreichen Stammbaum-Dateien im Familienarchiv des Vereins auch die Adressen der Nachkommen, um sie zukünftig anzuschreiben. In: MB 13 (5.7.2007) S. 3. 59 Hg. Bessarabiendeutscher Verein e.V., bis Ende 2007 zweiwöchentlich im DIN-A3-Zeitungsformat, ab Januar 2008 in neuer Gestaltung als farbiges DIN-A4-Heft monatlich. Im Jahr 2007 etwa 3.000 Abonnenten.
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enthält als Forum Erinnerungen, Reiseberichte in die alte Heimat, Todesanzeigen, persönliche Spurensuchen und Aufrufe, politische und kirchliche Nachrichten aus der Ukraine und der Republik Moldau, Einladungen zu regionalen Treffen und Fachtagungen sowie Informationen über die Tätigkeiten der zahlreichen per Briefwahl gewählten Delegierten und Fachausschüsse des Vereins. Zum Netzwerk des Vereins gehören auch Verbindungen zu Partner-Organisationen in den USA oder Brasilien, über deren Arbeit informiert wird. Über die Homepage60 ist der Verein international erreichbar. Das „Haus der Bessarabiendeutschen“ in Stuttgart ist die Institution, mit der die Erinnerungsgemeinschaft ihre Geschichte im kollektiven Gedächtnis bewahren und weitergeben kann.61 Darüber hinaus werden Kontakte in die frühere geografische Heimat gepflegt. Mit der Organisation von Flug- und Busreisen, Hilfstransporten, Spenden und gegenseitigen Einladungen bestand eine lebendige und fruchtbare internationale Kooperation mit der Ukraine und der Republik Moldau, lange bevor Europas Grenzen sich öffneten.
Topografische Dekonstruktion Die realen Ereignisse, denen die zu analysierenden Dokumente entstammten, fanden während der Kriegsjahre 1940/41 auf dem Boden mehrerer südosteuropäischer Länder statt, deren Grenzen sich im Laufe der Geschichte öfters verschoben. Damit beinhalten die Schauplätze des historischen Umsiedlungsgeschehens topografische Dimensionen, die schon eine Herausforderung an sich sind. Man bewegt sich in virtuellen historischen Topografien zudem an Orten, die im Quellenmaterial noch meist deutsche Ortsnamen tragen, aber heute in einer anderen Sprache längst ganz anders heißen. Überlieferte Ortsnamenskonkordanzen, die z.B. der Bessarabiendeutsche Verein bewahrt, sind hierbei eine wertvolle Hilfe. Auch werden heute im Internet historische Topografien als work in progress in Zusammenarbeit vieler Menschen rekonstruiert.62 Die Rekonstruktion von Landkarten ist ein wesentliches methodisches Hilfsmittel der Spurensuche, eine visuelle Vorstellung geografischer Muster kann hilfreich sein, wenn man Wege und Abläufe, z.B. von Krankentransporten, verfolgen möchte.63 Mit ihnen machen wir uns ein Bild, um historisches Geschehen nachzuvollziehen. 60 URL: www.bessarabien.de. Webmaster: Heinz Fieß. 61 Die Bewahrung und das Schicksal solcher Orte ist ein aktuelles Problem. Vgl. BKGE (Hg.) 2008, Heimatsammlungen. 62 Vgl. das mehrsprachige online-Kartenwerk von Sindy Schilling Payne aus Arizona/USA: Work in progress-Internetseite der Germans from Russia Heritage Society (GRHS) in Bismarck, North Dakota, USA. URL: GermansfromRussiaSettlementLocations.org (Abruf 7.7.2019); vgl. dazu Bornemann, Ansiedlungskarte Google Maps. In: MB 8 (2017), S. 19. 63 Das Erkennen von topgrafischen Bezügen und Mustern ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Aufklärung der NS-Geschichte. Vgl. die Bezeichnung der Gedenkstätte „Topografie des Terrors“
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Die Umsiedlungs-Akteure hinterließen uns Landkarten und Dorfpläne, die kurz vor der Räumung bei der Umsiedlungsaktion noch gezeichnet wurden und die einzeln namentlich aufgeführten Häuser aller „volksdeutschen“ Familien enthalten. Auch die Bessarabien-Karte von Karl Stumpp von 1940 ist bis heute eine gern verwendete Kartengrundlage,64 auch wenn sie von einem hohen NS-Rang stammte und seine Darstellung der Zahl der deutschen Einwohner inzwischen kritisch gelesen werden muss.65 Durch neueste Archivfunde wird deutlich, dass zumindest der Sippenforscher und Kartograph Stumpp die „Sondertransporte“ aus dem Alexanderasyl in Sarata (Sărata, Сарата) und dem Heim für Männer in Arzis (Arcis, Arzys) kannte, denn er hatte sie selbst zum Hafen Reni (Рені) begleitet: „Erschütternd war der Abtransport der Kranken und Schwachsinnigen aus den Heimen in Sarata und Arzis, den ich bis Reni zu begleiten hatte. Es war eine anstrengende Fahrt mit zwei schlaflosen Nächten. Allerlei Schwierigkeiten waren zu überwinden, bis der Dampfer abgehen konnte.“66
Wie verlief ihr weiterer Weg? Wer sich mit der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen beschäftigt, hat sich meist ein bestimmtes, vielfach verwendetes Bild der
in Berlin. Ein eigenes museumspädagogisches Topografie-Konzept in regionalem Rahmen. In: Schlechter 1999, NS-Topografie Delmenhorst; sowie Gerda Hartmann, Das Projekt „Topografie der NS-Zeit in Delmenhorst“ der Museen der Stadt Delmenhorst. In: Das Land Oldenburg. Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft, Heft 117 (2003), S. 19–20. – Das Originalwerk mit 60 Arbeitsmappen für 60 exemplarische Delmenhorster NS-Orte ist heute im Museum leider verschollen. 64 ������������������������������������������������������������������������������������������ Die zeitgenössische Vorlage von Stumpp wird bereits auch ohne Nennung des Urhebers verwendet. Vgl. die „Karte von Bessarabien (Stand 1940)“ und „Deutsche Siedlungen in Bessarabien, bearbeitet von Heinz Fieß“. In: Fieß, Rückführung, S. 209. – Eine moderne, farbige Version mit korrekter Benennung der „Vorlage von Karl Stumpp“ und aller fünf inhaltlichen und graphischen Bearbeiter ist die eingelegte Faltkarte: Deutsche Siedlungen in Bessarabien im Jahre 1940. In: Schmidt 2008, Bessarabien. 65 Vgl. Petersen 2017, Making of Russlanddeutschtum, S. 179f. (zu Stumpps Bessarabien-Karte), sowie S. 167–189 (zur Biografie). Hans-Christian Petersen erarbeitet zur Zeit eine umfassende Biografie über Karl Stumpp, einen der „völkischen Aktivisten eines transnationalen Nationalismus [...]. Er lieferte damit den statistischen und kartografischen Unterbau für das völkische Narrativ der Russland- und Bessarabiendeutschen als ‚auslandsdeutsche Volksgruppe‘, die nicht mehr über ihre regionale Zugehörigkeit und als nationale Minderheit des rumänischen Staates gedacht wurde, sondern als Teil des ‚Auslandsdeutschtums‘.“ In: Petersen 2020, Wechselnde Loyalitäten, S. 52f. 66 Schreiben von Stumpp an den Leiter des DAI am 27.9.1940. In: BA Berlin Lichterfelde, R 57/1692. Ich danke Hans-Christian Petersen für diesen seltenen Hinweis zu den Sondertransporten aus den Heimen, Mitteilung vom 29.4.2019. – Er fand auch Belege von 1937 für die unverkennbar nationalsozialistische Ausrichtung von Stumpps „Sippenforschung“ nach der Politik der Auslese und Ausmerze: „Körperliche ‚Missbildungen‘ und ‚geistige Eigenschaften‘ wie ‚Schwachsinn‘ oder ‚Trunksucht‘ dürften nicht weiter getragen werden, die Wissenschaft könne hier ‚hemmend, erlösend und andererseits fördernd eingreifen‘.“ In: Ders. 2017, Making of Russlanddeutschtum, S. 187, 189.
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Umsiedlung eingeprägt, das 1941 für die Nachwelt abgedruckt wurde. Es zieht sich in einem Querformat von Ost nach West entlang der Donau (Duna, Dunav, Dunărea, Dunaj, Danube) durch das südliche Europa: Die Umsiedlung verlief nach dieser Überlieferung von Bessarabien aus mit Schiffen und Zügen durch die Länder Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien ins Deutsche Reich – mit Grenzübertritt im heutigen Österreich, von wo aus die Umsiedler in die Lager der „Volksdeutschen Mittelstelle“ im Gau Ostmark, Bayern oder Sachsen verteilt wurden. Bis heute wird diese von der SS nur halbwegs überlieferte Umsiedlungstopografie als vermeintlich neutrale Umsiedlungslandkarte auch von kritischen Autoren weiterhin unhinterfragt reproduziert – ein unbewusstes Phänomen „visueller Politik“.67
Die 1941veröffentlichte Umsiedlungstopografie trägt den Titel: „Der Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“.
Kartenskizze (Ausschnitt). In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73 (Urheber ungenannt).
67 Karen Ellwanger plädiert dafür, sich zur Analyse der Auswirkungen „visueller Politik“ auch älteren Konzepten wieder zuzuwenden. Maurice Halbwachs hat bereits in den 1920er Jahren „die visuelle Dimension des Gedächtnisses; es gebe keine ‚Idee ohne Bild‘ [...], Idee und Bild [...] bezeichnen [...] zwei Gesichtspunkte, unter denen die Gesellschaft gleichzeitig die gleichen Gegenstände betrachten kann“, in die Gedächtnisforschung integriert. Auch Aby Warburg verstand bereits 1924 Elemente des Bildgedächtnisses als soziales Gedächtnis. Nach Ellwanger 2005, Gender-Memory, S. 12 und 16, Anm. 15; zu „visuelle Politik“ S. 13.
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Um diese Karte als ‚zeitloses‘ Bild der historischen Umsiedlung zu adaptieren, wird die Version von 1941 heute gerne durch zwei Maßnahmen aktualisiert: einmal durch Umbenennung des Originaltitels „Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“ in eine modernisierte, objektivierende Bezeichnung wie „Umsiedlungsweg“68 oder „Karte mit den Transportwegen“69 und zum anderen durch aktive Bildbearbeitungen, die die Herkunft der Vorlage weiter verschleiern: Auf dem Original von 1941 sind zwei SS-Führer als Leiter der Umsiedlung rechts unten als Fotomontage abgebildet, die teilweise die Karte überlappen, ein kompositorischer Kniff des Originals: Ihre Laufrichtung von rechts nach links gibt der Umsiedlung auf dem Bild eine Dynamik von Ost nach West, visuell unterstützt vom Ostwind, der die abgebildeten Fähnchen nach Westen wehen lässt. Aus den aktualisierten Versionen werden die SS-Männer des Umsiedlungskommandos herausretouchiert.70 Die Motive dafür mögen nachvollziehbar sein, jedoch wird so das Originalbild zur Fälschung. Durch immer weitere Bearbeitung bei Beibehaltung der teilweise ungenannten Bildgrundlage geschieht durch die modifizierte Tradierung des Originals fast unbemerkt ein unkritischer Vorgang einer Manifestierung dieses bewussten Trugbildes der NS-Propaganda hin zu einem zeitlosen ‚Symbolbild‘ der Umsiedlung. Die nur scheinbare Objektivität dieses Umsiedlungsbildes ist schließlich kaum noch durch Quellenkritik dekonstruierbar. Viele Jahrzehnte lang gab es tatsächlich keinen Grund, diese anschauliche Topografie der Umsiedlung in Frage zu stellen. Auch ich selbst ging während der Spurensuche im Nachlass der NS-Schwestern und im Gespräch mit dem Umsiedlungsarzt wie selbstverständlich noch von ihrer Richtigkeit aus. Die übersichtliche Zeichnung der Umsiedlungsstrecke stammt aus einem zeitgenössischen Bildband von 1941, der uns die Umsiedlung aus Bessarabien als stolze Leistung des „Umsiedlungskommandos“ vorführt. So ist auch diese Buch-Illustration Teil einer NS-Propaganda und Zensur, die den Zeitgenossen die „Volksdeutschen“ aus Bessarabien als homogene, „rassereine“ und biologisch „gesunde“ Gruppe präsentieren wollte. Mit dieser Intention zeigte dieses Bild ganz bewusst eine ‚Umsiedlung der Gesunden‘ und blendete die Lazarettzüge und mögliche „Sondertransporte“ aus – obschon doch 68 Fiebrandt 2014, Auslese, S. 634. 69 Fieß 2015, Rückführung, S. 67. 70 Vgl. die Karte: Umsiedlungsweg Bessarabien/Dobrudscha. In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 634. Die Originalquelle von 1941 wurde hier genannt, aber aus dem Original wurden ohne weiteren Hinweis die Köpfe der beiden leitenden SS-Männer herausgeschnitten. – Vgl. auch die „Karte mit den Transportwegen“ bei Fieß 2015, Rückführung, S. 67: Die angegebene Quelle „Archiv Heimatmuseum des Bessarabiendeutschen Vereins“ lässt Datum und Autor bzw. Bearbeiter der Karte offen. Die Kartengrundlage von 1941 ist in Ausschnitt, Format, Komposition und Bildzeichen immer noch gut erkennbar, wenn sie auch durch PC-Bearbeitung im Design modernisiert wurde. Sie bekam neue Schriften und vereinfachte Linien, entfernt wurden die Symbole und Belegungszahlen für die drei Zwischenlager an der Donau, die Zeichen-Legende und auch die beiden SS-Führer. Ersatzweise wurden Richtungspfeile nach Westen hinzugefügt.
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auch die Krankentransporte als stolze, fürsorgliche Umsiedlungs-Leistung hätten dargestellt werden können. Immerhin enthält dasselbe Buch Aufsätze und Fotos von Umsiedlungsärzten, Sanitätskraftfahrern und Krankenschwestern. Darunter ist auch ein Aufsatz des SS-Arztes, den ich im Mai 2007 noch dazu befragen konnte. Auch er – als wohl damals letztes noch lebendes Mitglied des Umsiedlungskommandos – hatte mich in keinster Weise darauf gebracht, welche anderen, unbekannten Dimensionen diese Landkarte verbarg. Im Nachhinein finde ich es immer noch erstaunlich, dass weder das Gespräch mit ihm als Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes noch die Dokumente der Führerin der NS-Schwesternschaft die späteren Erkenntnisse über die Topografie der Krankenumsiedlung auch nur ansatzweise hatten erahnen lassen. False memory? In den zahlreichen Oral-History-Projekten, in denen ab Anfang der 1990er Jahren Frauen nach ihren Erinnerungen an die NS-Zeit befragt wurden, fanden sich durchaus Gesprächspartnerinnen, die die Alltagsgeschichte im Nationalsozialismus in weiblichen Tätigkeitsfeldern wie im Bund Deutscher Mädel (BDM), im Reichsarbeitsdienst weibliche Jugend (RADwJ) und im Kriegshilfsdienst (KHD) beschrieben.71 Auf all diesen Ebenen, angefangen bei den Jungmädel (JM), konnten Mädchen und junge Frauen schon den Rang einer „Führerin“ erreichen. Doch die Frauen, die dann auch die weiblichen Karrieremöglichkeiten als „Führerinnen“ in höheren gesellschaftlichen Positionen voll ausgeschöpft hatten, schwiegen weiterhin: „Die NS-Frauenprominenz verweigerte jedes Gespräch.“72 So ist die lückenhafte Überlieferung zu den Transportwegen von weiblicher wie männlicher Seite vermutlich nicht ausschließlich eine Frage trügerischer Erinnerungen, die bei Zeitzeugengesprächen stets mitschwingt. Die false memory-Debatte73 und auch neurobiologische Gehirnforschungen, die auch die gender memory stützen,74 ergaben faszinierende Erkenntnisse zu fließenden Übergängen und unbe71 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Gravenhorst/Tatschmurat 1990, Töchter Fragen. – Anfang der 1990er Jahre wurden Fragen zur vermeintlich nebensächlichen Rolle der Frauen im Nationalsozialismus neu bewertet. In einem der zahlreichen Projekte regionaler Gleichstellungsstellen aus dieser Zeit wirkte ich 1992 mit ersten Archivrecherchen im Landkreis Wesermarsch mit. In: Bernhold/Sethje-Eilers 1996, Ist denn da was gewesen. 72 Michel, Führerinnen. In: Steinbacher 2007, Volksgenossinnen, S. 115–137, hier S. 137. 73 Verschiedenste Formen der false memory, bei der es „im Kern um Beurteilungsmöglichkeiten für wahre und falsche Erinnerungen“ geht, ausführlicher in: Welzer 2011 [2005], Kommunikatives Gedächtnis, S. 32–44 und S. 208–221. 74 Die Vorstellung vom Gedächtnis als eine Art Festplatte, die Daten speichert und diese im Prozess der Erinnerung wieder abruft, eine Konstruktion des digitalen Zeitalters, wurde von Ergebnissen der modernen Gehirnforschung (Singer 2000) widerlegt. „Auch die Neurobiologie kommt nun zu dem in den Kulturwissenschaften längst etablierten Schluss, dass immer selektives und um Sinnzusammenhänge ergänztes Wahrnehmen ohne gleichzeitiges Erinnern und gefühlsmäßiges Bewerten nicht möglich ist. [...] Gedächtnisspuren werden beim Erinnern neu geschrieben.“ In: Ellwanger 2005, Gender Memory, S. 11.
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wussten Interaktionen zwischen authentischen Erinnerungen und eingebauten oder gar erfundenen Teilen. Auch muss berücksichtigt werden, dass jenseits des Realitätsgehaltes des Mitgeteilten emotionale Verknüpfungen oder veränderte soziale Bedeutungen mitwirken. „Individuelle und kollektive Vergangenheit [...] werden in sozialer Kommunikation beständig neu gebildet.“75 Jede autobiografische Selbstdarstellung wird dabei „nur als jeweils zuhörerorientierte Version, als aktuell angemessene Montage lebensgeschichtlicher Erinnerung“ realisiert.76 So schrieb die frühere NS-Oberin Schwester Dorothee später ihre Lebenserinnerungen mit der Schreibmaschine für ihre Tochter als Adressatin, nachdem diese sie wegen ihrer hohen NS-Position und den jahrelangen Vertuschungen angegriffen hatte, möglicherweise um sie zu besänftigen. Der ehemalige SS-Arzt wiederum sprach über einen Zeitraum von lediglich zwei Stunden beim Kaffee mit einer ihm unbekannten Wissenschaftlerin aus einer nachgeborenen Enkelgeneration, die ihm ziemlich direkte Fragen stellte. Was konnte er ihr anvertrauen? Der zeitliche Abstand der vielen Jahrzehnte, die zwischen dem Geschehen und den selbstverfassten Memoiren der NS-Oberin bzw. dem Interview mit dem Umsiedlungsarzt liegen, hatte längst den Interpretationsrahmen für die autobiografischen Erzählungen verändert. Im Rückblick werden Erinnerungen dann „neu sortiert und gerahmt und aus der Gegenwart heraus bewertet.“77 Hierin ist nicht nur ein Verlust an Authentizität und Realitätsgehalt des Erinnerten zu beklagen, worauf sich Harald Welzers Ausführungen konzentrierten, sondern umgekehrt liegt in der Neusortierung auch eine Chance der persönlichen Reflexion für die Zeitzeugen. Aus der zeitlichen Distanz könnten sie über einen Perspektivwechsel einen persönlichen Abstand zur eigenen Verstrickung und Mitverantwortung herausbilden und nun offen über damalige NS-Verbrechen sprechen, um zur Aufklärung beizutragen; eine Hoffnung, die sich hier nicht erfüllte.78 Ihr beider Mitteilungsbedürfnis war vor allem davon motiviert, diesen Lebensabschnitt, das ‚Abenteuer‘ Bessarabien, als positive Lebenserinnerung weiterzugeben, nicht ohne Stolz, an maßgeblicher Stelle dabei gewesen zu sein. Über die eigentlichen Fragen sagten sie als exponierte Experten in einer Art Komplizenschaft nichts Wesentliches aus.79 Am Ende des ersten Moduls war mein Bild 75 Welzer 2011 [2005], Kommunikatives Gedächtnis, S. 44. 76 Ebd., S. 213. 77 Ebd., S. 209. 78 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Ein Oldenburger Zeitzeuge mit einer hohen Position in der HJ, dessen Privatarchiv mit nationalsozialistischen Hinterlassenschaften ich für das Stadtmuseum dokumentierte, sagte mir während unserer Zusammenarbeit einen sehr offenen Satz: „Aber Susanne, ich kann dir doch nicht alles erzählen. Du weißt doch: Mord verjährt nicht.“ In: Schlechter 2006, Werner Z. – Durch dieses Zeitzeugengespräch konnte u.a. die bisher nicht dokumentierte nationalsozialistische Kindheit eines international bekannten Oldenburger Künstlers neu geschrieben werden. Vgl. Albrecht 2016, Horst Janssen, S. 37–40. 79 ������������������������������������������������������������������������������������������� Kathrin Kompisch zeigte 2008 in ihrer NS-Täterinnenforschung eine weiterhin bestehende Komplizenschaft auf. Die Protagonistinnen würden sich zwar nicht mehr zum Nationalsozialismus
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der Umsiedlung immer noch das von der „Heim ins Reich“-Propaganda gezeichnete. Die 1941 veröffentlichte Landkarte der Umsiedlung hatte auch ich immer noch nicht in Frage gestellt. Erst im zweiten Baustein unseres Projektes zeichnete sich recht schnell ab, dass dieses vom SS-Umsiedlungskommando überlieferte Bild der Umsiedlung eine Augenwischerei war. Um verborgene Muster sichtbar zu machen, muss man sich ein eigenes Bild verschaffen. Dies geschah im nachfolgenden Modul unter dem Titel Zeitzeugenforum mit anderen Zeugen der Zeit, die bisher nie befragt worden waren. In einzelnen Familiengedächtnissen waren Todesfälle bei der Umsiedlung zwar als eine private Familientragik bewahrt, aber noch nicht im Kontext mit einem so heiklen Thema gesehen worden, nach dem nun unverblümt gefragt wurde.80 Viele der nun ermittelten Todesdaten von Familienangehörigen trugen die Jahre 1940 oder 1941, sie verstarben also schon kurz nach der separaten Kranken-Umsiedlung, was bestimmte Ahnungen von mir bestätigte. Überraschender waren dagegen die genannten Todesorte. Kein einziger der zahlreichen Hinweisgeber aus den betroffenen UmsiedlerFamilien hatte Kenntnisse von den Wegen und Zielen der Krankentransporte. Jedoch erbrachte die Sammlung der vielen einzelnen in den Familiengedächtnissen überlieferten Sterbeorte und -daten von Behinderten, Kranken, Alten die fehlenden Puzzlestücke für ein ganz neues Bild der Umsiedlungs-Topografie. Bis dahin kamen auf der Grundlage der bekannten „Karte der Umsiedlung“ – rein spekulativ – als verschwiegene potentielle Ziele möglicher Sondertransporte die bekannten „T4“-Gasmordanstalten in Österreich (Hartheim), Süddeutschland (Münsingen), Sachsen (Pirna-Sonnenstein) in Frage, da diese sich im lokalen Umfeld der Umsiedlungslager befanden. Nun offenbarte sich nach und nach, dass manche genannten Todesorte weit über den nördlichen Rand der „Karte der Umsiedlung“ hinaus im nicht sichtbaren Bereich lagen. Die separate ‚Umsiedlung der Kranken‘ fand also verborgen außerhalb der Grenzen des überlieferten Geschichtsbildes statt, mit dem wir alle uns so lange zufrieden gaben. Schon Anfang 2008 zeichnete sich auf der neuen Landkarte der Umsiedlung in verblüffender Klarheit ab: Die Hilfsbedürftigen und Kranken aus Bessarabien wurden in Reservelazarette nach Schlesien (Silesia, Śląsk) und die körperlich oder geistig Behinderten in deutsche Heilund Pflegeanstalten in die besetzten Gebiete Polens in den „Reichsgau Wartheland“, genannt „Warthegau“ (Okręg Warcki), verbracht.81 bekennen, aber sie „betonen vielmehr positiv erlebte Teilaspekte des ‚Dritten Reichs‘. Das Wissen um Verbrechen wird aber auch innerhalb dieser Gruppe, die selbst daran beteiligt war, abgestritten und geleugnet“. In: Kompisch 2008, Täterinnen, S. 244. 80 Schlechter 2007, Frage an die Zeitzeugen. In: MB, 4.10.2007, S. 2. Dieser erste, lange Artikel erläuterte ausführlich die sachlichen Hintergründe meiner Fragestellung und führte unverhofft zu über 80 Rückmeldungen auf die Frage, wem 1940 etwas verdächtig vorgekommen war. 81 Die erste Skizze der Umsiedlung nach dem Wissensstand vom Februar 2008 findet sich im Endbericht zum BKM-Modul 2 (Zeitzeugenforum) als farbige Handskizze, die ich mithilfe von Pauspa-
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Die erste konkrete Spur im Zeitzeugenforum (BKM-Modul II), die einen Zusammenhang mit der „Aktion T4“ ahnen ließ, kam Ende 2007 durch eine Hinweisgeberin, die dem Aufruf im bessarabiendeutschen Vereinsblatt gefolgt war.82 Zur Zeit der Umsiedlung war sie ein junges Mädchen und erinnerte sich nun an einen gleichaltrigen behinderten Jungen in ihrem bessarabiendeutschen Heimatort, der zusammen mit anderen Hilfsbedürftigen vorab von einem Bus mit unbekanntem Ziel abgeholt worden sei. Sein Todesdatum und -ort suchte sie in den genealogischen Listen ihrer Ortschronik: Demnach war dieser Junge – was sie jetzt schockierte – schon wenige Tage später verstorben, und zwar in einem ihr völlig unbekannten Ort namens „Gnesen“. Für NS-„Euthanasie“-Forscher ist dieser Ort durchaus nicht unbekannt, da es der Standort der Heil- und Pflegeanstalt Tiegenhof im Warthegau ist.83 Tatsächlich bestätigte sich dieses Ziel später in den Akten, die Dietmar Schulze und Maria Fiebrandt 2008 vor Ort in polnischen Archiven vorfanden. Aus den Aufnahmelisten der Transporte in die Anstalten Tiegenhof und Warta und aus den Krankenakten der bessarabiendeutschen Umsiedler konnte Dietmar Schulze die Wege und Namen der Patienten, ihre Todesfälle und ihre Verlegungen in weitere Anstalten konkret weiter verfolgen. Damit nahm die Spurensuche, mittlerweile unter dem Titel Verschwundene Umsiedler, neue Dimensionen an, die Dietmar Schulze 2011 in Posen vorstellte.84 Die herkömmliche Umsiedlungs-Topografie ist mit der Aufdeckung der Wege und Ziele der ‚Umsiedlung der Kranken‘ also inzwischen längst ergänzt. Gleichzeitig brachte die fortgesetzte Arbeit mit den Zeitzeugen und Angehörigen noch weitere Kategorien Verschwundener Umsiedler zu Tage, die auf ähnliche Weise herkömmlich überlieferte Bilder der Umsiedlung dekonstruierten.85
Männer und Frauen Wie erwähnt, bot sich gleich zu Beginn des Projekts die Chance auf ein ZeitzeugenInterview mit einem Umsiedlungs-Gebietsarzt. Aus dem zweistündigen Gespräch entpier auf der Grundlage verschiedener zeitgenössischer Atlas-Landkarten rekonstruierte. Später im vierten BKM-Modul folgten zahlreiche weitere Topografien mit Hilfe von PC-Bildbearbeitungsprogrammen auf einer selbst erstellten Kartengrundlage, die ich aus verschiedenen alten Karten mit den Grenzen von 1942 zusammenmontierte. 82 Diese Schlüsselgeschichte wurde unmittelbar nach ihrer Entdeckung im Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins veröffentlicht. In: Schlechter/Schill, Geschichte, MB 1 (2008), S. 14–17. 83 ������������������������������������������������������������������������������������������� Die später durch Aktenfunde belegten Ziele der Transporte aus den bessarabiendeutschen Heimen, die Heil- und Pflegeanstalten Tiegenhof und Warta im Warthegau, stellte Maria Fiebrandt als Zwischenergebnis ihres DFG-Forschungsprojektes 2009 auf einer Arbeitskreistagung in Hartheim vor. Vgl. Fiebrandt 2009, Warta und Tiegenhof, S. 219–238. 84 Schulze 2011, Einbeziehung bessarabiendeutscher Umsiedler, S. 93–103. 85 Vgl. Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler.
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stand ein eigenständiges Kapitel, das die Auswertung des ‚weiblichen‘ Nachlasses sinnvoll ergänzte, denn so wurden die deutlich voneinander getrennten Arbeitsbereiche des männlichen und des weiblichen medizinischen Umsiedlungspersonals erkennbar. Während männliche Verstrickungen und Täterschaften bereits allgemein thematisiert und generell auch gründlicher untersucht wurden, blieben weibliche NSKarrieren lange Zeit im Schatten. Zur Forschung über „Verdrängte Täterinnen“,86 die früher undifferenziert als „SS-Frauen“ oder „weibliches SS-Gefolge“87 bezeichnet wurden, lässt sich ein Versäumnis sowohl in der Strafverfolgung wie in der Erinnerungskultur der Frauenbewegung konstatieren:88 „Wir könnten auch sagen, der Schritt von der ‚Frauenforschung‘ zur ‚Geschlechterforschung‘, die die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern und den Geschlechterkonstruktionen zum Thema macht, ist auch in den Holocaust-Studien dringlich.“89
Die ersten Beispiele zur Erforschung der Rolle von Frauen im Rahmen der „Heim ins Reich“-Umsiedlungen waren Elizabeth Harveys Untersuchungen zu spezifisch weiblichen Arbeitsbereichen der Ansiedlungsbetreuerinnen90 oder einer Propagandafotografin.91 Die Auswertung des Nachlasses der Führerin der NSSchwesternschaft öffnet nun ein weiteres seltenes Blickfeld in noch unbeleuchtete weibliche Tätigkeiten im deutschen Umsiedlungskommando. Ausführlicher werde ich im Literaturbericht auf den Geschlechter-Aspekt zurückkommen. Jedem Projekt mit dem Ansinnen „Vergessenes Sichtbarmachen“ stehen „hegemoniale Politiken der (Un)sichtbarmachung“92 gegenüber. Diese Art „visueller Politik“ fordert zur Analyse der Geschlechterpolitik sowie überhaupt der „Gedächtnispolitik“ heraus, die dahinter steht.93 86 Vgl. Schwarz 1992, Verdrängte Täterinnen SS. 87 Gudrun Schwarz fand diesen Begriff als offiziellen Terminus der SS in einer früheren Untersuchung des „Schwarzen Korps“ bereits 1977. In: Ebd., S. 198. 88 Nach Kompisch 2008, Täterinnen, im Kapitel: Das zwiespältige Verhältnis der Frauenbewegung zu NS-Täterinnen: Belastete Vorbilder und weibliche Erinnerungskultur, S. 245f. – Vgl. ebd., Kapitel 4: Auslese und Ausmerze. Frauen im Sozial- und Gesundheitsdienst, hier die Abschnitte: Die „Braunen Schwestern“ (S. 112–123); sowie: Frauen und „Euthanasie“-Morde (S. 123–128). 89 ��������������������������������������������������������������������������������������� Eschebach/Jacobeit/Wenk 2002, Gedächtnis und Geschlecht, S. 13. – Zur Bedeutung der Geschlechterdifferenz, Geschlechterkonstruktionen und -ideologien: „Bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, dass gerade diese – häufig und zumeist unausgesprochen – die Wahrnehmung, Beschreibung und Bewertung des historischen Genozids bestimmen.“ In: Ebd., S. 25, Anm. 47. 90 Harvey 2009 [2003], Der Osten braucht Dich. 91 Dies. 2007, Purper. 92 ������������������������������������������������������������������������������������������� Ellwanger 2005, Gender Memory. Abschnitt I: Vergessenes Sichtbarmachen; Abschnitt II: Hegemoniale Politiken der Unsichtbarmachung. – Die Tagung des Kollegs „Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien“ thematisierte die „Vernachlässigung der Kategorie Geschlecht in Gedächtnistheorien, sowie die Ausblendung von Gedächtnis und Erinnerung in der Geschlechterforschung“. In: Ebd., S. 5. 93 Zur „visuellen Politik“ vgl. ebd., S. 8 und 12f.
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Gedenken an verschwundene Umsiedler Seit 2013 reiften im Vorstand des Bessarabiendeutschen Vereins Pläne für eine eigene Gedenkstätte für die Verschwundenen Umsiedler.94 Die Umsetzung geschah in zwei Schritten 2016 und 2018. Am 17. Juli 2016 wurde die erste Version im Eingangsbereich des „Heimathauses der Bessarabiendeutschen“ in Stuttgart eingeweiht. Zwei weiße Tafeln zeigten ein christliches Kreuz und einen Gedenkspruch.95 Eine Andacht von Pastor Baumann, der gleichzeitig Vorsitzender der „Historischen Kommission“ des Vereins war, reflektierte dazu den Bibelspruch „Du sollst nicht töten“. Zwei Vorträge von Dr. Matthias Beer96 und Heinz Fieß, als Mitglieder der Historischen Kommission, informierten umfassend über den historischen Kontext.97 Anschließend konnte ich in einer Retrospektive die chronologische Entwicklung des gesamten Prozesses, angefangen beim Verschweigen über das Spurensuchen und Forschen bis hin zum Gedenken darstellen.98 Zwei Jahre später folgten drei weitere Tafeln mit Namenslisten der Opfer und erläuternden Informationen.99 Diese zweite Einweihung am 5. Oktober 2018 sollte Politik und Medien ansprechen. Zu einer der Planungssitzungen für die Umsetzung der gewünschten Namenstafeln lud man auch Dietmar Schulze und mich als wissenschaftliche Berater ein. Die gewünschten Namenslisten der Opfer stellten wir aus der Datenbank, die Dietmar Schulze 2008 als Projektmitarbeiter erarbeitet hatte, in zwei Varianten zusammen. Die Historische Kommission, die über die Gestaltung entschied, wurde außerdem über Datenschutzregeln aus der Erfahrung der NS-Gedenkstättenarbeit informiert; auch die Einbeziehung einer „AngehörigenKommission“ wurde angeregt. Da die Opfer-Namensliste ohne Erläuterung der 94 Vgl. Vossler, Einweihung, MB 11 (2013), S. 3. Diese Einladung des Bundesvorsitzenden zu einer Einweihung am 24.11.2013 war voreilig; sie kam drei Jahre zu früh. Auf einer Sitzung mit der Historischen Kommission im Dezember 2013 wurden zunächst die ersten gemeinsamen Grundlagen für die Gestaltung der Tafeln, des Textes, der Frage der Namensnennung usw. gelegt. Es ist normal, dass dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nehmen kann. 95 Gedenkspruch 2016: „Wir gedenken der Bessarabiendeutschen, die im Zuge der Umsiedlung 1940 Opfer der NS-Vernichtungsmaßnahmen gegenüber behinderten und kranken Menschen wurden, darunter auch die Bewohner des Alexander-Asyls in Sarata.“ 96 Dr. Matthias Beer, stellv. Leiter des Instituts für Donauschwäbische Geschichte u. Landeskunde, Tübingen. 97 Vgl. Vossler, Einweihung Gedenktafel 17.7.2016, MB 10 (2016), S. 3–6. – Die drei Beiträge von Baumann, Beer und Fieß wurden hier von Günter Vossler zusammengefasst. – Ich danke neben den Festrednern insbesondere Herrn Vossler für die gelungene Planung und Gestaltung der Gedenkfeier. Ihm ist auch die Auswahl der nicht namentlich genannten Musiker zu verdanken, die mit Jazz-Klassikern wie „feelings“ die Atmosphäre unter den ca. 50 Anwesenden verzauberten. 98 Schlechter, Forschen und Gedenken, MB 9 (2016), S. 3–6 und 14–17. Ich danke der Redakteurin Christa Hilpert-Kuch für den ungekürzten Abdruck meiner schriftlichen Vortragsfassung. Einige Bilder des Powerpoint-Vortrages wurden aus Platzgründen nicht abgedruckt. 99 Vossler, Einweihung Gedenkort, MB 11 (2018), S. 3–6.
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Einleitung Die erste Version der Gedenkstätte für Verschwundene Umsiedler, eröffnet am17. Juli 2016 im Heimathaus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart. Foto: S. Schlechter, 17. Juli 2016
sechs ermittelten unterschiedlichen Kategorien von „Verschwundenen Umsiedlern“ missverständlich ist, beschloss man, dass ein kurzer Text für eine Infotafel verfasst werden sollte. Mein Textvorschlag wurde in den folgenden Treffen der Kommission verworfen und von einem Mitglied der Kommission ohne Rücksprache nach einem anderen Konzept mit Fotos gestaltet, was sich erst nach der Einweihung, an der Dietmar Schulze und ich aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen konnten, zeigte. Das ist der Hintergrund, warum sich die veröffentlichten Informationen sachlich nicht mehr mit den Ergebnissen unserer Forschung decken.100 Die neue Tafel informiert mit Text und Bild didaktisch anschaulich über die „T4-Aktion“ im Deutschen Reich mit ihren grauen Bussen und Verbrennungsöfen, doch das bekannte Foto der rauchenden Schornsteine der „T4“-Gasmordanstalt Hadamar in Hessen, auf derselben Tafel kombiniert mit Fotos von Pfleglingen des bessarabien100 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Die Verantwortlichen wurden über die Problematik informiert, zuerst in einer E-Mail an den damaligen Vorsitzenden der Historischen Kommission am 8.6.2019, dann ausführlich im Vortrag am 25. 9.2020 in Stuttgart. In: Schlechter 2020, Grußwort Gedenktag, MB 11 (2020), S. 7–9.
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deutschen Alexanderasyls, suggeriert, dass die Heiminsassen aus Bessarabien als Opfer der NS-„Euthanasie“ ebenso vergast und verbrannt worden seien wie die zahlreichen anderen Pfleglinge aus damaligen deutschen Heil- und Pflegeanstalten. Eine Erkenntnis unserer Arbeit, respektive der Archivrecherchen von Dietmar Schulze, war es allerdings, dass die Tötungsmethode durch Gas, das aus Duschen strömte, den Pfleglingen aus Bessarabien erspart blieb. Zwar gerieten sie nach der Umsiedlung ebenso in die Fänge der NS-Medizin, und sie wurden als staatenlose Heiminsassen im Warthegau auch in der „Meldebogen“-Logistik der „Aktion T4“ erfasst. Doch die Gasmorde wurden im August 1941 reichsweit gestoppt, zu einem Zeitpunkt als sich die Patienten aus Bessarabien seit Juli noch in „Zwischenanstalten“ – also kurz vor der Weiterverlegung in eine dieser sechs im Reich verteilten GasmordAnstalten – befanden. Die für die Bessarabiendeutschen vorgesehene „T4“-Anstalt wäre nicht in Hadamar in Hessen, sondern die „Heil- und Pflegeanstalt“ in Bernburg in Sachsen-Anhalt gewesen, auch dies war eine Erkenntnis aus der Nachverfolgung der Krankenakten. Allein den zeitlichen Abläufen war es geschuldet, dass sie erst in die sogenannte „zweite Phase“ der NS-„Euthanasie“-Morde gerieten, bei denen Patienten dezentral mit anderen Methoden in den einzelnen Heimen selektiert und getötet wurden. Für eine Spurensuche ist es ein Rückschritt, falsche Fährten, die man gerade dekonstruiert hatte, für die Nachwelt wiederum als neue Mythen konstruiert zu sehen, die die konkrete Aufklärung erneut verschleiern, indem sie die aufgedeckten Erkenntnisse nicht benennen. Noch in einer weiteren Hinsicht vermitteln die Gedenktafeln ein sachlich falsches Bild, weil die sechs Kategorien von „verschwundenen Umsiedlern“, die während des Verlaufs der Forschung erkennbar wurden, nicht passend zu den Namenstafeln differenziert wurden. Die 210 aufgeführten Namen aus unserer umfassenderen „Liste B“ stehen eben nicht nur für bessarabiendeutsche Behinderte und Heiminsassen. Diese Gruppe wäre in der zum Infotext passenderen, aber kleineren „Liste A“ mit 138 Namen verzeichnet gewesen. 72 der veröffentlichten Namen sind demnach einer falschen Gruppe zugeordnet. Im sozialen Prozess der Aushandlung einer Gedenkstätte spielen offenbar andere Regeln und Bedürfnisse eine Rolle, die wissenschaftliche Sorgfalt oder den Wunsch nach Aufklärung in den Hintergrund treten lassen. Die didaktische Ambition der Informationstafel erzeugt eine Suggestion mit symbolischen Inhalten (rauchender Schornstein), indem die Gruppe sich in einen vorhandenen Wissenskanon („T4“Gasmorde) und in anerkannte Opfergruppen (NS-„Euthanasie“-Opfer) einordnet. Gerade weil die Information nicht in die vorhandene Dauerausstellung über die Geschichte der Bessarabiendeutschen integriert wurde, sondern die Gedenktafeln separat an exponierter Stelle im Eingangsbereich jeden Besucher des Heimathauses empfangen, erhält dieser Teil der kollektiven Biografie eine außerordentliche Funktion und Bedeutung. Es zeigt einerseits den hohen Stellenwert des Themas für die Wir-Identität und die Würdigung der neuen Erkenntnisse, um einer vergessenen
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Menschengruppe innerhalb der eigenen Erinnerungsgemeinschaft zu gedenken. Andererseits bleibt die Aufgabe der Aufklärung weiterhin unerfüllt, will man dem wirklichen Geschehen und damit den persönlich Betroffenen und ihren Angehörigen und Nachkommen als Opfergemeinschaft gerecht werden.101
Unbehagliche Erinnerungskultur An dieser Stelle komme ich zurück auf das eingangs erwähnte „neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“, wie es Aleida Assmann für die Gegenwart konstatierte und in seinen unterschiedlichen Facetten beschrieb. Auch Götz Aly, seit 1981 einer der Pioniere bei der Erforschung der NS-„Euthanasie“, gab 2013 in einem Rückblick nach 32 Jahren seinen verstörenden Erfahrungen mit Wissenschaft und Gedenken Ausdruck.102 Nach dem Abstand eines guten Jahrzehnts möchte auch ich mir erlauben, über Fehlentwicklungen und meine eigene Rolle darin nachzudenken. So viele Jahre nach der Entstehung der vorliegenden Arbeit sollte ich eigentlich zufrieden sein, dass das Forschungsprojekt von 2007 nicht nur als ,bahnbrechendes‘ Pilotprojekt angesehen war, begleitet von euphorischer Unterstützung von allen Seiten, und schließlich Grundstein wurde für eine neue Gedenkstätte und seit 2020 für einen jährlichen Gedenktag.103 Mit dieser Eigendynamik hatte ich nicht gerech-
101 ������������������������������������������������������������������������������������� „Das jahrzehntelange Ausblenden der Opfer der Umsiedlung sowie des genuinen Zusammenhangs von völkischer Inklusion und Selektion zeugen auch in ihrem Fall von der Problematik des ‚groupism‘ im Sinne Rogers Brubakers“. Als „eine bemerkenswerte Entwicklung“ wertet HansChristian Petersen daher die Offenheit für kritische Fragen und Selbstreflexion, die sich 2016 in der Einrichtung einer Gedenkstätte zeigte. In: Petersen 2020, Wechselnde Loyalitäten, S. 57. 102 Aly 2013, Die Belasteten, S. 293–301: In einer Nachbemerkung unter dem Titel: „Endlich, nach 32 Jahren“ warf Götz Aly hier einen sehr persönlichen Rückblick auf die Entwicklung der „Euthanasie“-Forschung. Er kritisierte u. a. „viele deutsche Zeitgeschichtsforscher – publikumsscheu, gedankenarm und immer auf der Suche nach Drittmitteln und Druckkostenzuschüssen“. – 2019 bemängelte er an der Erinnerungskultur, dass man sich in den zahlreichen Gedenkstätten mit den Opfern identifiziere, jedoch die NS-Geschichte im eigenen Familiengedächtnis gleichzeitig begrabe. Nach: Götz Aly, Historiker und Holocaust-Experte. TV-Sendung: Talk aus Berlin, ausgestrahlt am 31.2.2019, 23.30 Uhr. URL: mediathek.rbb-online.de (Abruf 18.5. 2019); sowie: Tonaufnahme eines Vortrags 2014: Dr. Götz Aly, Die Belasteten: ‚Euthanasie‘ 1939–1945 – 17.2.2014. URL: www.youtube.com (Abruf 18.5.2019). 103 Hans Rudolf Wahl, der neue Vorsitzende der Historischen Kommission, erläuterte den Sinn eines Gedenktages: „Eine Erinnerungsstätte ohne Erinnerung, eine Gedenkstätte ohne Gedächtnis könnte freilich auch zur bloßen Geste, zur Attitüde des ‚Wir haben ja was gemacht‘ verleiten. Dies würde gleichfalls die Gefahr in sich bergen, dass diese Opfer des NS-Regimes ein zweites Mal in Vergessenheit versinken, dass sie ein zweites Mal verschwinden. Deshalb regt die Historische Kommission an, ab dem kommenden Jahr den 25. September zum Tag des Gedenkens an die Verschwundenen Umsiedler zu machen und diesen jährlich mit einer entsprechenden Gedenkfeier zu begehen.“ In: Wahl 2020, Festansprache, MB 11 (2020), S. 6f.
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net.104 Wie konnte es geschehen, dass sich die Gedenkpraxis inzwischen von meinen eigenen Vorstellungen, sowohl als Wissenschaftlerin wie auch als betroffene Angehörige, ablösen konnte? Ein Loyalitätskonflikt erzeugt gewisse Tabuzonen, aber gerade diese enthalten nach Assmanns Definition des „Unbehagens an der Erinnerungskultur“ wichtige Ressourcen der Erkenntnis, denn im persönlich empfundenen „Unbehagen“ liegt eine Chance: „Dieses Unbehagen, das analysiert und Kritik übt, ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die permanente Selbstbeobachtung, Selbstkorrektur und moralische Selbststeuerung des Gemeinwesens. Ein Unbehagen dagegen, das sich nicht deutlich ausdrücken darf, will oder kann und nicht die Form eines Arguments annimmt, kann schwerlich in kritische Debatten münden, die etwas aufgreifen, erhellen, bewegen oder verändern.“105
Gedenkorte sind soziale Räume. Im Ringen darum, die richtige Form für das Gedenken zu finden, erfolgen intensive Auseinandersetzungen. Die enge Verbindung von Spurensuche, Aufklärung und Gedenken ist zunächst vor allem ein Anliegen der Opfer bzw. ihrer hinterbliebenen Angehörigen. Verdiente Autoritäten des Vereins wollten mit der Gestaltung von Gedenktafeln ihrer Verantwortung gegenüber dem gesamten Verein und auch der Öffentlichkeit gerecht werden. Gleichzeitig waren einige der Akteure aber Nachkommen von prominenten Repräsentanten der NSKollaboration. Als „Kontaminierte“106 gestalteten sie die Gedenktafeln für die Opfer und sprachen Grußworte „im Namen der Angehörigen“. Die religiöse Andacht zur zweiten Einweihung wollte „Schuld erkennen und vor Gott ablegen – damit 104 Hier berührt mein Unbehagen möglicherweise auch meine persönliche Angehörigenperspektive, aus der die Initiative für das Forschungsprojekt einmal hervorging. „Emotionale Einbezogenheit erzeugt [...] eine andere Ausgangsbedingung für das, was wahrgenommen, eingespeichert, aufbewahrt und abgerufen wird. Emotionale Erinnerungs- und Weitergabeprozesse sind etwas anderes als das Lernen von Fakten und das Verfügen über Wissen – und deshalb stellen kommunikativ tradierte Gewissheiten und kognitiv repräsentiertes Wissen unterschiedliche Bereiche des Geschichtsbewusstseins dar. Diese können [...] völlig unverbunden nebeneinander existieren; sie können aber auch, wie die kumulative Heroisierung und Viktimisierung zeigt, Verbindungen eingehen, mit denen kein Geschichtsdidaktiker jemals gerechnet hätte“. In: Welzer/Moller/ Tschuggnall 2015 [2002], Opa war kein Nazi, S. 209. 105 Assmann 2016 [2013], Unbehagen, S. 91. 106 ������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 62. Aleida Assmann beschreibt zu diesem Aspekt eine neueres Unbehagen an der Erinnerungskultur der 68er Generation als „Gefühlte Opfer“ nach den Thesen von Ulrike Jureit und Christian Schneider in deren gleichnamigem Buch: „Die Identifikation mit den jüdischen Opfern habe den 68ern geholfen, mit ihren eigenen Familien zu brechen und aus einem kontaminierten historischen Umfeld in eine moralisch einwandfreie Welt überzuwechseln. Das Mittel dieser wunderbaren Rettung durch Identitätskonversion sei die Erinnerungskultur gewesen, mit deren Hilfe man sich die Erlösung von deutscher Schuld erhoffte.“ Nach Assmann war andererseits die Identifikation dieser Generation mit den Opfern des Holocaust erst die Voraussetzung für die Entwicklung einer deutschen Erinnerungskultur.
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die Schuld uns nicht erdrückt“.107 Aber spiegelt die Schuldfrage wirklich das innere Erleben von Angehörigen wider, die gerade erfolgreich eine Lücke ihres Familiengedächtnisses durch Aufdeckung eines vergessenen Opfer-Schicksals schließen konnten? Vielleicht schon in einigen Fällen. Erinnerungsgemeinschaften, die nach außen hin homogen und einheitlich erscheinen, bergen in sich durchaus ausgesprochene oder unausgesprochene Konflikte, denn „das, was im ‚kollektiven Gedächtnis‘ aufbewahrt wird und werden soll, hat immer auch mit der ‚Identität‘ derjenigen zu tun, die sich zu diesem Kollektiv zugehörig fühlen. Diese allgemeine Einsicht kann zur durchaus schmerzhaften Erfahrung werden, wenn Erinnerungsgemeinschaften aufeinandertreffen, deren Geschichten sich als eine ‚der Täter‘ und eine ‚der Opfer‘ gegenüberstehen. Nur zu nahe liegt der Verdacht, dass auch die Nachgeborenen des Täterlandes die Politik des Vergessenwollens teilen“,108
währenddessen die Nachgeborenen des Opferlandes weiter nach Klarheit und Aussage streben. Überhaupt ist grundsätzlich das „Erinnern ein Ergebnis gesellschaftlicher Konflikte, bei denen ‚inoffizielle Erinnerungen [...] manchmal eine eigensinnige historische Gewalt‘“ haben.109 Aleida Assmann hat die „Enteignung“, die bei den „ritualisierten Choreografien“ auf Gedenkveranstaltungen geschieht, als einen fast unvermeidlichen Prozess auf dem Weg ins kulturelle Gedächtnis beschrieben: „Die Erinnerung wird an die Spitze der Gesellschaft weitergereicht, sie wird verstetigt und geht in eine langfristige Form über, und gleichzeitig wird sie von den Betroffenen abgelöst, von der persönlichen Geschichte und Stimme abgetrennt und in eine Abstraktion übersetzt. [...] Ritualisierung ist somit das Ergebnis eines unvermeidlichen Prozesses der Umbettung, Enteignung und Umwidmung, den die Erinnerung durch Überführung ins politische und kulturelle Gedächtnis durchmacht. In diesem Prozess kommt es gleichzeitig zum ‚Erkalten‘ einer ehemals ‚heißen‘ Erinnerung.“110
Im Prozess der Enteignung mag auch ein Generationenproblem eine Rolle spielen. Die Spurensuche unternahmen wir als Kriegsenkel in der unserer Generation eigenen „opfer-orientierten“ Grundeinstellung, mit der wir uns in eine europäische und weltweite Erinnerungskultur einordnen können, denn wir als dritte Generation „spre107 Psalm 32, Andachtstext zur Einweihung der Tafeln im Oktober 2018. In: Vossler, Einweihung Gedenkort, MB 11 (2018), S. 4. – Ich danke der evangelischen Kirchenrätin Andrea Aippersbach für unseren Austausch über ihren Andachtstext. 108 Wenk/Eschebach, Soziales Gedächtnis und Geschlechterdifferenz. In: Eschebach/Jacobeit/Wenk 2002, Gedächtnis, S. 13–40, insbes. S. 14f., Zitat auf S. 14. 109 Ellwanger 2005, Gender-Memory, S. 12 [in Zitierung eines Satzes von Peter Burke von 1989]. – Ellwanger: „Ausgehend von Verschiebungen der Erinnerungsformen an den NS-Genozid haben Insa Eschebach und Silke Wenk konkurrierende Erinnerungsgemeinschaften der Täter- versus der Opferkinder in die Debatte gebracht und auf die Bedeutung und Funktionen von implizit immer mitverhandelten Geschlechterbildern focussiert.“ In: Ebd., S. 16, Anm. 16. 110 Assmann, Unbehagen 2016 [2013], S. 79–81. Zitat auf S. 80.
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chen die Sprache einer ethischen Erinnerung, die empathisch opferorientiert ist und gleichzeitig die historische Identifizierung mit dem ‚Tätervolk‘ aufrechterhält.“111 Dagegen sei das „opfer-identifizierte“ Erinnern wiederum die besondere Eigenart der zweiten Generation nach dem Holocaust, die sich aus Abgrenzung zum Trauma deutscher Schuld der eigenen Eltern in Form eines „negativen Gedächtnisses“ mit der Opferseite als „gefühlte Opfer“ identifizierte. Das Verdienst der 68erGeneration war nach Assmann, dass sie damit überhaupt die Grundlage für eine deutsche Erinnerungskultur bereitete. Doch „während Überidentifikation die Differenz zwischen Identitäten auslöscht, setzt Empathie die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen voraus.“112 Mit den Nachwirkungen der NS„Euthanasie“ in den nachgeborenen Generationen befasste sich eine Tagung des Bessarabiendeutschen Vereins kurz nach der Gedenktafeleinweihung.113 Ein charmanter Ausdruck der Generationendifferenz lag in der Vorstellung meiner Person (derzeit 60 Jahre) als „eine junge Forscherin aus unseren Reihen“,114 indessen noch jüngere Generationen sich längst mit dem #Yolocaust beschäftigen.115 Der neuen Gedenkstätte für die Verschwundenen Umsiedler wurde eine besondere historische Bedeutung zugeschrieben: „Soweit uns bekannt, wird der Bessarabiendeutsche Verein dann die erste Organisation aus dem Osten Europas sein, die dem Gedenken an die Opfer einen angemessenen Rahmen geschaffen hat.“116 In einer eigenen Darstellung über „Die NS-Mordaktionen an Behinderten und die Bessarabiendeutschen“ wurde versucht, die historische Entwicklung eugenischer Debatten bis zu den unfassbaren NS-„Euthanasie“-Morden für die Vereinsmitglieder im Jahrbuch nachvollziehbar darzustellen. Doch dieser vermutlich wiederum pädagogisch intendierte Erklärungsversuch beinhaltete unbewusst eine unterschwellige „Moralisierung und Historisierung [...]. Dazu gehört eine klare Schwarz-Weiß-Zeichnung der Geschichte. Die pauschale Verurteilung dieser Zeit und insbesondere die Dämonisierung der Täter verhindert ernsthafte Auseinandersetzungen, denn sie schafft einen Sicherheitsabstand von diesem Geschehen, der den Nachgeborenen suggeriert: Diese Menschen waren ganz und gar anders, mit ihnen haben wir nichts zu tun!“117
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Ebd., S. 66. Ebd., S. 65. Zu „opfer-orientierter“ und „opfer-identifizierter“ Erinnerung ebd., S. 64–68. Seemann, Herbsttagung 2.–4. November 2018, MB 12 (2018), S. 15–17. Pastor Arnulf Baumann, Leiter der Historischen Kommission des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., in mehreren Aufsätzen und Reden. 115 Schlechter, Pia 2020, Yolocaust. 116 ��������������������������������������������������������������������������������������� Baumann, NS-Mordaktionen. In: Ders./Schlarb (Hg.), Heimatkalender 2019, S. 160–174, Zitat auf S. 172. – Die Darstellung der Entwicklung meines Forschungsprojektes enthält in diesem Beitrag leider an vielen Stellen sachliche Fehler, insbesondere in Teilen meiner Biografie und zur Entwicklung des gesamten Projekts. Vgl. die korrekte frühere Darstellung. In: Schlechter, Forschen und Gedenken, MB 9 (2016), S. 3–6, 14–17. 117 Assmann, Unbehagen 2016 [2013], S. 92.
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War es ein Wunsch nach „Abschluss“, der für die neuen Gedenktafeln 2018 einen anderen Bibelspruch finden ließ: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz“? Jan und Aleida Assmann hatten bereits 1998, als Martin Walser öffentlich ein Ende des Gedenkens an den Holocaust forderte, einen „Kampf um die Erinnerung“ erkannt, bei dem Kultur nicht Konsens, sondern „ein umkämpfter Raum ist, in dem die Beteiligten um das Recht auf Repräsentation streiten.“118 Auch darin liegt ein Generationenaspekt. Für die nächste Generation nach der Erlebnisgeneration stellt sich nicht mehr die Gewissens- oder Schuldfrage, erst recht nicht der Wunsch nach einem Abschluss quälender Erinnerungen. Für die nachfolgenden Generationen ist es vor allem eine Gedächtnisfrage, bei der Genauigkeit und Richtigkeit der Überlieferung allerdings wichtig werden. „Die Forschung muss deshalb immer wieder die Muster aufbrechen, die sich bilden, wenn die Geschichte aus zweiter Hand vermittelt wird.“119 Der Unterschied zwischen einem vermittelten „Wissen“ und der selbstverständlichen „Gewissheit“, die man als Betroffener über die eigene Vergangenheit hat, führt zu immer neuen Aushandlungen. „Die nationalsozialistische Vergangenheit unterliegt mithin einem permanenten Prozess der erinnernden Verlebendigung.“120 Symbolisches Gedenken birgt die Gefahr der Mythenbildung, sobald Wünsche nach politischer Repräsentation und nach Abschluss eine Rolle spielen. Genau dieser Abschluss wird dann nicht erreicht. Der Versuch des inszenierten Einfühlens in die Opfer kann in unreflektierten Gedenkinitiativen misslingen,121 denn „Empathie ist keine sentimentale Gefühlsäußerung, sondern beginnt mit Aufklärung, Infor118 Assheuer/Lau, Gespräch mit Aleida und Jan Assmann zum Walser-Streit, DIE ZEIT, 3.12.1998, S. 43f. 119 Ebd., S. 44. 120 „Dass dem Holocaust und damit seinen Opfern dieses Privileg nicht zukommt, liegt in ihm selbst begründet. Die Vergangenheit der vernichteten jüdischen Deutschen kommt in nichtjüdischen deutschen Familien lediglich als Geschichte ihres Verschwindens vor, nicht einmal als Geschichte der Toten, geschweige denn als lebendige Geschichte.“ In: Welzer/Moller/Tschuggnall 2015 [2002], Opa war kein Nazi, S. 210. 121 �������������������������������������������������������������������������������������������� Ein Oldenburger Beispiel für eine misslungene Gedenkpraxis: Der Radiojournalist Martin Goldsmith hatte seit 2000 über seine familäre Spurensuche mehrere Bücher in den USA veröffentlicht, 2020 wurde die Geschichte mit dem Schauspieler Bruno Ganz verfilmt. Mehrmals wurde Goldsmith in Oldenburg feierlich empfangen, an die frühere Villa seines Großvaters wurde eine Gedenktafel angebracht. Erst 2013 führte die unsensible Gestaltung einer zentralen Gedenktafel für die verfolgten Oldenburger Juden zum Eklat, denn in den Namenslisten wurden als „letzter Wohnort“ jeweils die sogenannten „Judenhäuser“ angegeben, in denen die Oldenburger jüdischen Familien vor der Deportation gesammelt wurden. Die Adressen ihrer „arisierten“ Oldenburger Häuser blieben so ungenannt. Die Verletzung, die diese verzerrte Darstellung auslöste, führte dazu, dass Martin Goldsmith schwor, niemals wieder nach Oldenburg zu kommen, „so tief saß die Verletzung, zu groß war das Unverständnis“. In: Bernsmann 2020, Winterreise, NWZ 1.9.2020, S. 9.
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mation und der Aneignung von konkretem Wissen.“122 – Gedenkstätten, die als gesellschaftliche Orte offene Prozesse der Aufklärung ermöglichen, verknüpfen Gedenken und Forschen sowie den Dialog mit den Betroffenen gleichermaßen. In der von ihnen erwarteten Integration in das deutsche „Gedächtnistheater“,123 mit dem die Nachkommen der Täter ihre Vergangenheit verarbeiten und ihre Identität seit Kriegsende neu konstruieren, liegt eine Ausgrenzung der Nachkommen der Opfer als ein – damals wie heute – passiver Teil des Geschehens. Nach den jüngsten provokanten Thesen des Politologen Max Czollek steht nämlich hinter dem „Homogenitätsideal“ bei den Gedenkpraktiken eine „Scheuklappen-Strategie des Ignorierens“, mit der die „Dominanzkultur“ sich die aus dem verdrängten Untergrund hervorgegangenen kulturellen Produktionen aneignet. „Im Interesse des eigenen Seelenheils“ sei es ratsam, auch die „eigene Komplizenschaft mit dem deutschen Trauma und der deutschen Phantasie“ von den Opfern zu reflektieren. „Desintegration bedeutet die Anerkennung der Abgründe, die durch uns alle hindurchgehen.“124
122 Assmann, Unbehagen 2016 [2013], S. 138. 123 Czollek 2018, Desintegriert Euch, S. 9f. und 106. – Der Begriff „Gedächtnistheater“ wurde nach Czollek bereits 1996 von Y. Michael Bodemann geprägt. 124 ������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 113 (Scheuklappen), 115 (Homogenitätsideal), 147 (Seelenheil), 151 (Komplizen, Abgründe).
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Karl Popper, Logik der Forschung125
2. „Euthanasie“ und Umsiedlung: Stand der Forschung „Die Bessarabiendeutschen haben kein einziges ‚unwertes Leben‘ mit auf deutschen Boden gebracht.“126 Dieser vielsagend gemeinte Satz einer bessarabiendeutschen Zeitzeugin der Umsiedlung wurde zu einem Zeitpunkt gesagt, als die Wissenschaft noch längst nicht so weit war, diesem Hinweis nachzugehen. Zur Auswanderungsund Umsiedlungsgeschichte Bessarabiens sind sowohl in den autobiografischen Dokumentationen von Zeitzeugen als auch in der wissenschaftlichen Literatur aufschlussreiche Einblicke zu finden. Dennoch verknüpften und zitierten sich beide Bereiche gegenseitig kaum. Ahnungen wie die oben zitierte blieben unbeantwortet, andererseits wurden mit Aktenbeständen zur Umsiedlung wichtige Hintergründe aufgedeckt, die von Zeitzeugen damals nicht zu durchschauen waren.
Siedler-Selektion Schon 1984 beschrieb Dirk Jachomowski anhand von Akten der Einwandererzentralstelle (EWZ) die heimlich durchgeführten Rassemusterungen bei den Einbürgerungen in den Umsiedlungslagern und ihre Bedeutung für die Ansiedlung ausführlich am Beispiel der Umsiedlung aus Bessarabien, der Dobrudscha (Trans-Danubien, Dobrudgea) und der Bukowina.127 Damit deckte er eine Selektion der Umsiedler über „Wertungsstufen“ von I bis IV auf. Aber mit den vorhandenen Quellen konnte 125 Dieses passende Zitat verdanke ich Dietrich Fieß im Juni 2019. 126 Dieses Zitat als Überlieferung verdanke ich Elvire Bisle-Fandrich neben weiteren wichtigen Hinweisen zu Beginn meines Forschungsprojekts im Mai 2007. Die bessarabiendeutsche Autorin hatte seit den 1980er Jahren zahlreiche Zeitzeugen zu Themen interviewt, die einer nostalgisch idyllisierenden Heimaterinnerung entgegenstanden, wie z.B. Waisenkinder, Armut, alleinerziehende Mütter oder den Sturz des Oberpastors Daniel Haase in den 1930er Jahren in ihrem Heimatort Tarutino. Der in dem von ihr überlieferten Zitat angesprochene Gedanke an „Euthanasie“-Morde sei jedoch noch zu brisant gewesen, um ihn zu veröffentlichen. Vgl. Dies. 2007 [2002], Sonnrosen und Piker. Die Aussagen der inzwischen verstorbenen Zeitzeugen sind als Tonbandaufnahmen im Privatarchiv Bisle dokumentiert. 127 Jachomowski 1984, Umsiedlung. – Bis zur Jahrtausendwende blieb die Arbeit von Jachomowski das maßgebliche Werk. Auch eine Magisterarbeit über die Umsiedlung von Eric Chraplak, Uni Bremen, bezog sich in den 1990er Jahren vor allem auf die Vorlage von Jachomowski. Erst nach der Jahrtausendwende erschienen neuere Forschungen zur Selektion der Umsiedler.
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Jachomowski noch nicht das konkrete Schicksal der Gruppe des „unerwünschten Bevölkerungszuwachses“ mit der Klassifizierung IV aufklären. Mit den Umsiedler-Akten der EWZ beschäftigten sich später weitere Autoren. Isabel Heinemann untersuchte 2003 genauer die Rolle der Mitarbeiter des „Rasse- und Siedlungshauptamts der SS“ bei der „rassenpolitischen Neuordnung Europas“.128 Rasseexperten dieses Amtes wurden „Eignungsprüfer“ und stellten bei den „Durchschleusungsvorgängen“ in den einzelnen Umsiedlungslagern heimliche „Siedlungsatteste“ aus: „Der Volksdeutsche darf nicht merken, dass er einer rassischen Beurteilung unterzogen wird. Er darf daher weder die Karteikarte noch diese Anleitung in die Hand bekommen. Der Eignungsprüfer hat daher geschickt vorzugehen. Er soll die Untersuchung in Zivil durchführen.“129
2011 untersuchte Andreas Strippel erneut die „Rassenpolitische Selektion der Einwandererzentralstelle“,130 dabei insbesondere das Spannungsfeld, in dem diese NSBehörde vorgegebene Normen einer rassistischen Weltanschauung, die von einer Höherwertigkeit der Deutschen ausging, aus einer problematischen Rassen-Theorie in die Praxis einer Rassen-Politik umsetzte, was nicht ohne Widersprüche geschehen konnte. Der Dualismus von konstruktiven Elementen der NS-Siedlungspolitik („Festigung deutschen Volkstums“) einerseits und deren destruktiven Politik der Vertreibung und des Mordes andererseits, gaben der SS-Führung ein Selbstbild und eine Selbstlegitimierung, zu der die Ausgrenzung als ihr Wesensmerkmal gehören musste: „Die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik Deutschlands ist somit der Rahmen jeder Beschäftigung mit der Volkstumspolitik von 1939 bis 1945.“131 Neben der „Siedlerauslese“ war also die „Definition der Ausgegrenzten“132 die maßgebliche praktische Funktion der EWZ. Die fortgesetzte Aufdeckung der heimlichen Arbeitsweise dieser Verwaltungsbehörde ist ganz zentral für das Verständnis der „Heim ins Reich-Umsiedlungen“, die zusammen mit den in der NS-Sprache ebenso als „Umsiedlungen“ bezeichneten Deportationen in den Tod im Rahmen der Shoah zur „Germanisierungs“-Politik des kriegerischen „Generalplan Ost“133 gehörten. Die im besetzten Polen Angesiedelten werden zwar im Gesamtrahmen der Verfolgungen und Morde an Juden und Polen als „Profiteure“ dieser NS-Politik 128 Heinemann 2003, Rasse Siedlung, S. 232–250. Das Zitat ist der Untertitel des Buches. 129 Chef des Sippenamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt, Schreiben vom 14.10.1939. Zitat nach ebd., S. 237. 130 Strippel 2011, Einwandererzentralstelle. – Zu den Selektionsverfahren der EWZ insbes. S. 98– 129, zu den Wertungsstufen S. 112f. 131 Ebd., S. 15. 132 Begriff nach ebd. 133 Vgl. Heinemann/Oberkrone/Schleiermacher/Wagner 2006, Generalplan Ost, S. 29–31: Die Umsiedlung der Volksdeutschen.
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dargestellt. Doch war die Siedler-„Selektion“ eben nicht allein eine Frage von angeblichem Profit durch positive Auslese. Weniger Beachtung finden Aspekte der Unfreiwilligkeit und Nötigung, insbesondere das konkrete Schicksal der NichtAngesiedelten und der Widerständigen. „Rassewerte“ von I bis IV sowie politische Noten von 1 bis 5 entschieden über die „zukünftige Verwendung“. Sämtliche Umsiedler unterlagen damit einer fremdbestimmten Selektion und wurden familienweise einkategorisiert als O-Fälle, A-Fälle, S-Fälle oder R-Fälle.134 Insbesondere den „R-Fällen“, also den bisher kaum untersuchten „Rückkehrern“, widmete sich Mariana Hausleitner ab 2015. Aus der Bukowina wurde 1940 „viel Mischmasch mitgenommen“135: ethnisch gemischte Familien, deren nicht-„volksdeutsche“ Mitglieder nach den Umsiedler-Selektionen ausgegrenzt wurden. Ein Abschnitt fragt auch nach dem „Umgang mit unerwünschten und behinderten Umsiedlern“136 aus der Bukowina. Hausleitner untersuchte in ihrer Arbeit vor allem die persönlichen Netzwerke der Umsiedlungsakteure. Insbesondere hatte sie ein Interview von 1952 mit einem vormaligen Stabsleiter des SD, der in der Bukowina den Abtransport der Behinderten beaufsichtigt hatte, als Quelle aufgetan. Doch – ganz ähnlich wie in meinem Interview mit dem Gebietsarzt in der Bessarabien-Umsiedlung – konnte auch sie dieser hochrangigen Quelle keinerlei Hinweis zu den Zielorten der Krankentransporte aus der Bukowina entnehmen.137
134 Die EWZ-„Wertungsstufen“ für Umsiedler und ihre Folgen wurden aus Aktenquellen dargestellt von Heinemann 2003, S. 232ff.; Schmidt 2003, S. 183ff.; Strippel 2011, S. 112; Fiebrandt 2014; sowie grundlegend bereits von Jachomowski 1984. – Kurz zusammengefasst: Waren Umsiedlerfamilien in die Rassegruppen I bis III eingestuft, wurden sie als „O-Fälle“ in den besetzten Ostgebieten angesiedelt. Je nach Wertungsstufe wurden größere oder kleinere Höfe zugeteilt. Keine Hofzuteilung erhielten dagegen die mit Stufe IV bewerteten: Als „A-Fälle“ wurden sie für unselbständige Arbeit im Altreich z.B. in der Industrie verwendet oder als „S-Fälle“ (Sonderfälle) als „fremdvölkisch“ und „rassisch unerwünscht“ wieder abgeschoben bzw. ins Generalgouvernement „evakuiert“. Für „R-Fälle“ gab es sogenannte Rückwandererlager. 135 Hausleitner 2018, Mischmasch Bukowina (BKM-Projekt Juli 2015–Juni 2016). 136 ����������������������������������������������������������������������������������������� Abschnitt ebd., S. 140–147, Zitat auf S. 146: „In Erinnerungen war selten von diesen Verschwundenen die Rede. Erst seit einigen Jahren wird bezüglich der Deutschen aus Bessarabien versucht, ihre Spuren zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. [...] Durch die Befragung vieler betroffener Familien von Umsiedlern wurden die Transportwege und Sterbeorte ermittelt“. Ich danke Mariana Hausleitner für unseren Austausch zum Aspekt der „Verschwundenen Umsiedler“ in der Bukowina und in Bessarabien im September 2016. Ebd., S. 145f. u. 134. – Die Akten der 1950er Jahre offenbarten Hausleitner personelle Konti137 ��������������������������������������������������������������������������������������������� nuitäten in den Landsmannschaften. Am Beispiel von Rudolf Wagner, der bis 2004 die meisten Publikationen über die Bukowina-Umsiedlung verfasst hatte, konnte sie aufzeigen, dass der ehemalige Stabsleiter des SD später bestimmte Aspekte der Umsiedlung vernebelte. In den Akten fand Hausleitner 2016 in persönlichen Berichten von Umgesiedelten zudem viele bisher noch nie öffentlich thematisierte Erfahrungen. So Hausleitner in: Abschlussbericht des BKM-Projektes „Die Umsiedlung aus der Bukowina 1940 und die Folgen“, S. 2. E-Mail von Maria Hausleitner 28.9.2016.
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Zu dieser Frage liegen seit 2014 konkrete Ergebnisse vor: Heimpfleglinge aus Bessarabien und der Bukowina wurden 1940 in die Anstalten des Warthegaus gebracht, und ein „volksdeutscher“ Arzt aus der Bukowina wurde sogar selbst in der Ziel-Anstalt Tiegenhof tätig. Maria Fiebrandt führt in ihrer Arbeit über die „Auslese für die Siedlergesellschaft“138 neben den O-, A-, S-, R-Fällen noch weitere „Fälle“ auf. Sie ging explizit der Frage nach „Einbeziehung der Umsiedler in die Erbgesundheitspolitik“ nach. Die Eignungsprüfer der EWZ selektierten die Umsiedler nicht nur, sie konnten auch Zwangsmaßnahmen einleiten wie die Zwangssterilisation von „erbkranken“ oder „rassisch minderwertigen“ Umsiedlern.139 Eine direkte Verknüpfung mit dem Thema „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Rahmen der „Aktion T4“ war mit den früheren Untersuchungen über die EWZ-Selektionen noch nicht direkt gegeben. Erst Fiebrandt verknüpfte die Erkenntnisse aus der EWZForschung mit denen aus der Erforschung der NS-„Euthanasie“. Bevor ich darauf zurückkomme, möchte ich einen Blick auf die Vorgeschichte dieser gedanklichen Verknüpfung werfen.
„Volksdeutsche“ und „Euthanasie“ Die Organisationsstruktur der von Berlin aus zentral gesteuerten geheimen „Aktion T4“ und ihre mörderische Praxis bis zum offiziellen Stopp der Vergasungen im August 1941 ist hinreichend untersucht worden, was ihre Praxis auf dem Boden des im Nationalsozialismus sogenannten „Alt-Reichs“ bzw. der heutigen deutschen Landesgrenzen betrifft.140 Der Frage nach „Euthanasie“-Verbrechen
138 Fiebrandt 2014, Auslese. Zit. aus dem Untertitel ihres Buches. 139 Vgl. Leniger, Amt XI, in Gruner/Nolzen 2001, Bürokratien, S. 81–109. Es konnten 2001 von Leniger allerdings keine konkreten Fälle beschrieben werden. Den Hinweis verdanke ich Maria Fiebrandt im Juli 2007. Ausführlicher zu Leniger s.u. im folgenden Abschnitt. 140 Kurz zusammengefasst: Organisationsmerkmale dieser ab Kriegsbeginn bis August 1941 aktiven „ersten Phase“ der Patientenmorde in Heil- und Pflegeanstalten waren die von den Tarn-Organisationen der Berliner „T4“-Zentrale angeordneten Verlegungen von mit „Meldebogen“ in den einzelnen Anstalten erfassten und von „T4“-Gutachtern in Berlin angekreuzten Patienten. In einer „planwirtschaftlichen Maßnahme“ wurden diese mit den grauen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft (Gekrat)“ in weit entfernte Anstalten transportiert, die als „Zwischenanstalten“ vor der weiteren Verlegung in eine der sechs „Tötungsanstalten“ fungierten. Dort wurden die Patienten mit Kohlenmonoxyd in umgebauten Duschräumen vergast. Nachdem Gerüchte in der Bevölkerung und im Ausland aufkamen, wurde die Aktion im August 1941 gestoppt, die Patientenmorde jedoch in den Anstalten „dezentral“ fortgeführt, in der zweiten Phase als sogenannte „wilde Euthanasie“. Ab 1943 folgte als dritte Phase die weniger aufgeklärte „Aktion Brandt“. Inzwischen wurde diese konstruierte Einteilung in drei Phasen auf Vorschlag von Klaus Dörner im Arbeitskreis zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ längst in Frage gestellt. – Grundlegende Darstellungen der „Aktion-T4“ erfolgten in den 1980er Jahren.
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Einleitung
in den besetzten Gebieten und bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungsaktionen der deutschstämmigen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg wurde dabei wenig Aufmerksamkeit geschenkt Götz Aly hatte zwar schon früh auf einen Berührungspunkt zwischen der Umsiedlung von „Volksdeutschen“ und der NS-„Euthanasie“ hingewiesen, denn für die Nutzung als Umsiedlungslager wurden u.a. auch Heil- und Pflegeanstalten freigeräumt, indem die vorherigen Insassen zum Teil durch sogenannte „planwirtschaftliche Maßnahmen“ in Tötungsanstalten verlegt wurden. Diese verhängnisvolle Schnittstelle belegte allerdings die „Volksdeutschen“ mit einer gewissen indirekten Verantwortung für die Krankenmorde, mit denen sie in Wirklichkeit nichts zu tun haben konnten. Die strukturelle Verstrickung lenkte möglicherweise den wissenschaftlichen Blick von der Möglichkeit ab, dass auch die Umgesiedelten im Deutschen Reich selbst zu Opfern der deutschen „Erbgesundheits“-Politik werden konnten. Der erste Historiker, der über „Volksdeutsche als Opfer der Euthanasie“141 forschte, ist meines Wissens Dietmar Schulze.142 Im bundesweiten „Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘ und Zwangssterilisation“ galt er 2003 als Experte. Vor seinen Forschungen zu den Krankentransporten bei der Umsiedlung der Baltendeutschen hatte er sich 2002 bereits mit der NS-„Euthanasie“ in der von Deutschland besetzten Tschechoslowakei beschäftigt.143 Auch war er den Krankentransporten bei den ersten „Heim ins Reich“-Umsiedlungen aus dem Baltikum nachgegangen und konnte an diesem Beispiel zeigen, dass „volksdeutsche“ Insassen von Anstalten aus den Herkunftsländern als geschlossene Gruppe in Krankentransporten umgesiedelt wurden. Deren Topografie legte er bereits 2003 offen:
Vgl. Klee 1985, Euthanasie; Aly (Hg.) 1989, Aktion T4; oder als früheres Beispiel: Honolka 1961, Kreuzelschreiber. 141 Schulze, Volksdeutsche als Opfer der Euthanasie, Vortrag AK-Tagung in Gütersloh 2003. – Der Vortrag betraf die Krankentransporte bei der Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus dem Baltikum nach Westpreußen. 142 Das Interesse von Dietmar Schulze an diesem Thema entstand in der DDR, wo – anders als in der Bundesrepublik – umgesiedelte Deutsche ein staatlich tabuisiertes Thema waren, das seine Neugier weckte. Seit der Frühjahrstagung des Arbeitskreises 2003 in Wehnen standen wir im Austausch. Zu der Zeit wurde er als einziger Experte zu einem hilfreichen Ratgeber für meine Familienforschung zu Bessarabien. 2004 unternahmen wir auf dem Weg zu einer ArbeitskreisTagung in Warschau (Warszawa) eine Spurensuche durch Polen zu verschiedenen ehemaligen deutschen Heil- und Pflegeanstalten. 2008 gewann ich Dietmar Schulze für acht Monate als Mitarbeiter in einem der Folgemodule des BKM-Projekts. So wie er 2003 die Wege und Ziele der Krankentransporte aus dem Baltikum anhand der Krankenakten verfolgt hatte, tat er es 2008 mit denen aus Bessarabien, wobei sich die Anstalt Tiegenhof als topografischer Schnittpunkt beider Wege herausstellen sollte. 143 Schulze, Euthanasie im Sudetenland. In: Arbeitskreis Bd. 3, 2003 [AK-Tagung 2002], S. 147– 168; vgl. Schulze/Simunek (Hg.), NS-Euthanasie im Sudetenland, EU-Kooperations Projekt, Prag 2008.
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Der Weg der baltendeutschen Anstaltspatienten führte sie zunächst mit Schiffen in den Reichsgau Danzig-Westpreußen, danach wurden sie auf verschiedene deutsche Heil- und Pflegeanstalten verteilt oder weiterverlegt.144 Bei Recherchen zur NS-„Volkstumsarbeit und Umsiedlungspolitik“ fand Markus Leniger 2004 in Akten mit zeitgenössischen Erlebnisberichten von Umsiedlern, die das Deutsche Ausland-Institut145 (DAI) 1939 angelegt hatte, auch Fälle, die dem nach außen hin idealisierten Umsiedlungsverlauf nicht entsprachen. Offenbar waren Gerüchte von „Euthanasie“-Morden zu den Umsiedlern durchgedrungen. So berichtete ein EWZ-Arzt von panischer Angst einzelner Umsiedler vor Spritzen, die er ihnen vor dem Tätowieren gab: „Beim Grenzübertritt wurde den Umsiedlern von den Russen erklärt, in Deutschland würden alle alten, gebrechlichen und kranken Menschen eine Spritze bekommen, an der sie nach 8–14 Tagen sterben müßten.“146 Leniger konnte nur vermuten, dass die Umsiedler ebenso wie Reichsdeutsche in die „Euthanasie“ einbezogen sein könnten. Immerhin arbeitete der berüchtigte Selektions-Arzt des KZ Auschwitz, Dr. Josef Mengele, als erbbiologischer Gutachter bei der baltendeutschen Umsiedlung. Aufgrund der Aktenlage sei zumindest zu erkennen gewesen, dass „die Sterilisation von ‚erbkranken‘ Umsiedlern an der Tagesordnung war“.147 Konkrete Fälle lagen jedoch noch nicht vor. Die Erinnerungsliteratur der Deutschen aus Bessarabien dokumentierte vor allem die Erlebnisse der Flucht 1945 als traumatische Erfahrung. Die Auswirkungen der nationalsozialistischen „Erbgesundheitspolitik“, deren Opfer sie durch die Umsiedlungsaktion selbst hätten werden können oder ihre Angehörigen zum Teil wurden, waren nicht Thema ihrer Erinnerungsberichte. Geschichten von in Krankenhäusern unter mysteriösen Umständen „verschwundenen“ Angehörigen wurden vielleicht vertraulich erzählt, aber bisher kaum veröffentlicht.148 Es mag an den Nachwirkungen einer Art Zwickmühle, in der die Umsiedler steckten, liegen, wie es Ute Schmidt 2003 sah: „Der fatale Doppelcharakter der Umsiedlung bestand gerade darin, dass sie den betroffenen volksdeutschen Gruppen als ‚Rettungsaktion‘ erschien, zugleich aber dem 144 Schulze, Volksdeutsche als Opfer der Euthanasie, Vortrag AK-Tagung in Gütersloh 2003 (Mitschrift). 145 ���������������������������������������������������������������������������������������� Die modernere Schreibweise ist „auslandsdeutsch“ mit s. Mit Ausnahme des Bundes der Auslandsdeutschen gebrauchten die meisten Organisationen und Autor/innen in den 1920er Jahren die Schreibweise „auslanddeutsch“ ohne s. 1934 änderte die NSDAP dies per Verordnung in „auslandsdeutsch“. Vgl. Retterath 2006, Russlanddeutsche Kultur, S. 73. – Danke an HansChristian Petersen, Mai 2021. 146 Leniger 2006 [2004], Volkstumsarbeit, S. 187. 147 Ebd., S. 179. 148 Die erste mir bekannte Veröffentlichung einer Erzählung über Bessarabiendeutsche, die in deutschen Krankenhäusern ‚verschwanden‘, findet sich in: Hirsch 2007, Entwurzelt, S. 105, in der Umsiedlungsgeschichte von Arthur S. aus Bessarabien. Für den Hinweis danke ich David Aippersbach.
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Einleitung NS-Regime als Instrument einer langfristig ausgelegten Raumplanung, Siedlungsund ‚Umvolkungspolitik‘ diente.“149
Für die „NS-Menscheningenieure“ waren die Umsiedler nur ein „‚Menschenmaterial‘, über das sie nach Belieben verfügen zu können glaubten.“ Die bessarabiendeutschen Umsiedler sahen sich spätestens in den Lagern „mit einem ausgefeilten System bürokratischer Kontrolle konfrontiert und nach Kriterien willkürlich aufgestellter Rassenmerkmale und politischer Zuverlässigkeit selektiert.“150 Die anfängliche Hochstimmung sei „nicht selten einer tiefen Verzweiflung“ gewichen, weil sei sich ins „Unvermeidliche zu fügen“ hatten.151 Möglicherweise bemerkten die Umsiedler tatsächlich nichts von den heimlichen Aktenvorgängen, die EWZ-Eignungsprüfer in den Umsiedlerlagern über sie anlegten und die Betroffene und Angehörige heute in der Sammlung des „Berlin Document Center“ im Bundesarchiv Berlin einsehen können. Doch offensichtlich spürten oder wussten manche damals doch, was von den vorgeblichen Gesundheitsuntersuchungen für sie auf dem Spiel stand. So bemerkte ein Eignungsprüfer: „Viele bessarabiendeutsche Umsiedler empfanden die gesamte Prozedur als Einschüchterung und verhielten sich [...] ‚stark verschüchtert, z.T. sogar sehr ängstlich.‘“152
Pirna, „Euthanasie“-Anstalt und Umsiedlungslager 2003 war bereits aufgefallen: „Selbst kranke Volksdeutsche wurden in den Krankenhäusern von Eignungsprüfern des Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) erfasst und rassisch untersucht.“153 Isabel Heinemann hatte den Hinweis in einem Bericht von 1940 der „Kommission I“ über die „Schleusung“ im „Krankenlager Pirna-Sonnenstein“154 gefunden. Ihr unterlief ein winziger Fehler in der Anmerkung, der allerdings als heiße Spur für die „Euthanasie“-Fragestellung von größerer Bedeutung hätte sein können. Sie zog eine örtliche Verbindung vom „Krankenlager“ des Umsiedlerlagers zur „vormaligen ‚Euthanasieanstalt‘ Pirna-Sonnenstein“.155 Doch die Vergasung von hierher verlegten Patienten in der sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein, die eine der sechs reichsweiten Tötungsanstalten der
149 150 151 152
Schmidt 2003, Minderheit, S. 177. Zitate in diesem Absatz ebd. Ebd., S. 187. Erfahrungsbericht von Dr. K., „Eignungsprüfer“ bei der „Fliegenden Kommission VIII“. Zit. nach Schmidt 2003, Minderheit, S. 185. 153 Heinemann 2003, Rasse Siedlung, S. 239. 154 Ebd., S. 239. Quelle BA R 69/502. Bl. 00I. 155 Ebd., S. 239, Anm. 163.
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„T4“ war,156 war eben nicht „vormalig“, sondern sie lief im selben Zeitraum ab,157 in dem auf dem Gelände der Anstalt ein Umsiedlerlager für Bessarabiendeutsche bestand. Derselbe winzige Fehler – in umgekehrter Anordnung – findet sich in einer 2007 veröffentlichten Geschichte eines Umsiedlers, der mit seinem gesamten Ort Hoffnungsthal (Надеждівка) aus Bessarabien im Pirnaer Umsiedlungslager angekommen war, in dem ‚anschließend‘ eine Tötungsanstalt gewesen sei.158 PirnaSonnenstein blieb in der Erinnerung von dort untergebrachten Umsiedlern lediglich als „ein schönes Schloss“ haften.159 Auch in den Dokumentationen der Galiziendeutschen, die schon 1939 umgesiedelt wurden, war Pirna-Sonnenstein bis 2011 nur ein „Umsiedlerlager“.160 Die Spuren der 100 Pfleglinge aus den ehemaligen „Zöckler’schen Anstalten“ aus Stanislau/Galizien (heute Ukraine), die ebenso im „Umsiedlerlager Schloss Pirna-Sonnenstein“ ankamen, verloren sich. Sie seien gleich nach dem Eintreffen in Pirna in eine „Heil- und Pflegeanstalt“ gebracht worden. „Wir haben von ihnen nichts mehr gehört“.161 Doch am selben Ort wurden „insgesamt 13.720 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen“ aller Altersstufen, „hauptsächlich aus Sachsen, Thüringen, 156 Vgl. Böhm/Schilter 2004, Sonnenstein. 157 „Zwischen Juni 1940 und August 1941 sind in der sächsischen Anstalt 13.720 Kranke und anschließend KZ-Häftlinge in der Gaskammer ermordet worden.“ In: Klee 1986, Was sie taten, S. 118. 158 Hirsch 2007, Entwurzelt, S. 105, in der Geschichte über die Umsiedlung von Arthur Singer aus dem Dorf Hoffnungsthal/Bessarabien. 159 „Es war ein schönes Schloss“. Zit. aus dem Gespräch mit David A. in der Gedenkstätte Wehnen am 16.5.2006. David A., geb. 1934, kam als Junge mit seiner Familie 1940/41 in das Umsiedlerlager Pirna-Sonnenstein. Von den ganz in der Nähe zur selben Zeit vorgehenden Patientenmorden ahnte er nichts. Bis 2006 hatte er nicht einmal gehört, dass Pirna-Sonnenstein eine sogenannte „Euthanasie“-Anstalt war. Auf dem Prospekt der Gedenkstätte konnte er 2006 auf dem abgebildeten Lageplan verorten, wo die Umsiedler untergebracht waren: Der ganze Ort Hoffnungsthal aus Bessarabien wohnte damals im Schloss. Derzeit war das Terrain des Umsiedlungslagers auf dem Geländeplan der Gedenkstätte nicht eingezeichnet. 160 ������������������������������������������������������������������������������������������ Auskunft von Christoph Zöckler, Redakteur beim Mitteilungsblatt des Galiziendeutschen Vereins: Das heilige Band. Der Galiziendeutsche, Berlin 2011. Nach dem Abschlussbericht des Projekts „Verschwundene Umsiedler“ im Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins schrieb er mir, dass das unbekannte Schicksal der Heiminsassen aus Galizien bisher so hingenommen wurde. „Ihre Arbeit hat mich aber erkennen lassen, dass man sich mit dieser Auskunft nicht zufrieden geben darf“, Christoph Zöckler, E-Mail 17.4.2011. 161 Zit. nach: Zöckler (Martin), Stanislauer Anstalten. In: Heimatbuch des Galiziendeutschen 1977, S. 265–273. – Der Autor, Vater von Christoph Zöckler, hatte 1977 die Geschichte dieser Anstalt aufgezeichnet. Demnach hatte Oberin Martha Zöckler die Pfleglinge von Stanislau bis Pirna begleitet. Der Großvater Theodor Zöckler hatte ab 1896 in Stanislau/Galizien (heute Ukraine) die „Zöcklerschen Anstalten“ für die dort lebenden Auslandsdeutschen aufgebaut. 1951 wurde eine Folgeanstalt in Göttingen betrieben. 2011 sollte auf einer Jubiläums-Veranstaltung das unaufgeklärte Schicksal der Pfleglinge aus Galizien thematisiert werden. Ich danke Christoph Zöckler für die Kopien und unseren Austausch im April 2011.
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Einleitung
Franken, Schlesien sowie West- und Ostpreußen“, in einem Keller mit Gaskammer ermordet und verbrannt.162 Auf einem Geländeplan wurde 2012 die Situation in Pirna-Sonnenstein im Zeitraum 1940/41 rekonstruiert: Links oben im Schloss und auf dem weitläufigen Gelände war das Umsiedlerlager für Bessarabiendeutsche, rechts oben die von Mauer und Bretterzaum umgebene und von einem Polizeikommando bewachte Tötungsanstalt der „T4-Aktion“. Mögliche Verbindungen zwischen der „T4“-Anstalt Pirna-Sonnenstein und dem Umsiedlerlager der „Volksdeutschen Mittelstelle“ waren zumindest bis 2003 nicht untersucht worden.163 Maria Fiebrandt schloss diese Lücke 2007 im Rahmen der Untersuchungen zur „Durchgangsstation Sonnenstein“,164 die ein zentrales Sammellager bei verschiedenen Umsiedlungsaktionen war. Noch nach Kriegsende wurden Vertriebene im „Umsiedlungspunkt Pirna“ aufgenommen.165 Im Rahmen der „Heim ins Reich“-Umsiedlungen war der Sonnenstein nicht nur Lager für Umsiedler aus Bessarabien, sondern vorher und nachher auch für die aus Wolhynien, Gali162 „Im Keller eines Männerkrankengebäudes – Haus C16 – baute man eine Gaskammer und ein Krematorium ein. Der vier Häuser umfassende Komplex wurde an der Elb- und Parkseite mit einer heute noch weitgehend vorhandenen Mauer, an den übrigen Abschnitten mit einem hohen Bretterzaun umgeben, um die Vorgänge im Innern zu verdecken. Ende Juni 1940 nahm die Tötungsanstalt ihren Betrieb auf. Nach Passieren des von einem Polizeikommando bewachten Eingangstores der Anstalt wurden die Opfer vom Pflegepersonal im Erdgeschoß des Hauses C16 nach Männern und Frauen getrennt in einen Aufnahmeraum gebracht und anschließend einzeln zwei Ärzten vorgeführt, die eine fingierte Todesursache festlegten. Nach der ‚Untersuchung‘ mussten sich die Kranken unter der Aufsicht von Schwestern und Pflegern in einem weiteren Raum entkleiden. Danach wurden jeweils 20 bis 30 Menschen unter dem Vorwand, es ginge ins Bad, in den Keller gebracht. Dort führte man sie in die als Duschraum mit mehreren Brauseköpfen an der Decke hergerichtete Gaskammer. Dann schloss das beteiligte Personal die Stahltür zur Gaskammer. Ein Arzt öffnete die Ventile der Kohlenmonoxyd-Flaschen und beobachtete den Tötungsvorgang, der mehrere Minuten dauerte. Nach ärztlicher Feststellung des Todes zogen Heizer die Leichen aus der Gaskammer heraus und verbrannten sie in zwei Öfen. Zuvor wurden den Leichen vorhandene Goldzähne herausgebrochen und ausgewählten Opfern die Gehirne seziert. Die Asche der Opfer wurde auf Anforderung in Urnen an Angehörige versandt, der übrige Teil auf der Anstaltsdeponie abgelagert oder einfach den Elbhang hinter Haus C 16 hinuntergeschüttet.“ Zitat in: Böhm/Haase/von Wilcken, Euthanasie-Verbrechen auf dem Sonnenstein 1940–41, Prospekt der Stiftung Sächsische Gedenkstätten [ca. 2004]. 163 ����������������������������������������������������������������������������������������� Gespräch mit dem Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein Dr. Boris Böhm auf der Herbsttagung des Arbeitskreises zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation, Gütersloh, November 2003. – Ich danke Boris Böhm für die 2012 erstellte Karte, die er mir am 12.2.2021 überließ. 164 Fiebrandt, Scholle. In: Gedenkstätte Sonnenstein (Hg.) 2007, Durchgangsstation Sonnenstein, S. 33–62. 165 Vgl. Ricarda Segger: Die Pirna Einrichtungen für Vertriebene 1945–1949. In: Gedenkstätte Sonnenstein (Hg.) 2007, Durchgangsstation Sonnenstein, Abb. S. 77: Ein abgebildetes Fotoalbum des „Vertriebenen- und Heimkehrerlager Pirna-Sonnenstein“ trägt einen gemalten Titel: „Umsiedlungs-Punkt Pirna“.
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Pirna-Sonnenstein bei Dresden 1940/41: Geländeplan mit farbig rekonstruierten Arealen: Braun: „Tötungsanstalt Juni 1940–August 1941“; Gelb: „Volksdeutsches Lager 1940–1941“ Archiv Stiftung Sächsische Gedenkstätten/Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein
zien und Bosnien – unter wechselnden Bezeichnungen wie „Beobachtungslager“ oder „EWN“-Nebenstelle der EWZ.166 Bei ihren Recherchen zu möglichen Zusammenhängen mit der Gasmordanstalt auf demselben Gelände kam Fiebrandt 2007 zu dem Schluss: „Nach bisherigem Erkenntnisstand existierte keine Verbindung zwischen der Tötungsanstalt PirnaSonnenstein und dem volksdeutschen Lager.“167 Systematische Verbindungen zur 166 Bis April 1940 „Beobachtungslager“, von April–Sept. 1940 Sammellager der Volksdeutschen Mittelstelle, von Juli–Sept. 1940 EWN-Nebenstelle der EWZ, ab September 1940 wieder „Beobachtungslager“. Letzteres betraf zeitlich die Umsiedlung aus Bessarabien. – Zusammengefasst nach Fiebrandt, Scholle 2007, S. 33–62. 167 Fortsetzung des Zitats: „Lediglich in drei Fällen fand sich auf den entsprechenden Karteikarten von Patienten, die in Pirna ermordet worden sind, der Hinweis ‚Wolhyniendeutscher‘ bzw. die Kennkartennummer, sowie unter dem Herkunftsort der Eintrag ‚Beob.-Lgr. Sonnenst.‘ Allerdings wurden diese psychisch Kranken, die mit einem Transport aus Wolhynien gekommen waren, zunächst in die Landesanstalt Arnsdorf verlegt, welche wiederum als Zwischenanstalt der Tö-
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Einleitung
„Aktion T4“, die üblicherweise bürokratisch mit „Meldebögen“ arbeitete, konnten nicht direkt nachgewiesen werden. Zum Zeitpunkt des Forschungsstands von 2007 waren noch viele Fragen offen. In den folgenden Jahren forschten wir im BKM-Projekt über „Verschwundene Umsiedler“ und Maria Fiebrandt im DFG-Projekt über die „Siedlerauslese“, teilweise im Austausch, teilweise parallel.168 Unsere Zwischenergebnisse wurden 2009 in Österreich vorgestellt.169 Der Tagungsort Schloss Hartheim bei Linz war eine von sechs „T4“-Gasmord-Anstalten gewesen170. Im selben Zeitraum 1940/41 waren im damaligen Gau Ostmark des Großdeutschen Reichs Bessarabiendeutsche in geräumten und zu Umsiedlungslagern umfunktionierten Schlössern und Klöstern untergebracht worden, und Wien war zentraler „Sammelpunkt“ der Umsiedlungskommission vor und nach der Bessarabien-Umsiedlung gewesen. Der europäische Schauplatz Österreich bot für die Spurensuche potentungsanstalt fungierte. Ob psychisch kranke Umsiedler schon im Lager Pirna systematisch anhand des Meldebogens der ‚T4‘ im Zuge der gesundheitlichen Untersuchungen erfasst wurden, muss offen bleiben. Eine erbbiologische Erfassung fand aber statt.“, Fiebrandt 2007, Scholle, S. 42. 168 ������������������������������������������������������������������������������������������ Die Entwicklung des BKM-Projektes stellte Fiebrandt in ihrem Rückblick 2014 bedauerlicherweise völlig falsch dar. Nach Fiebrandt habe als erste Ute Schmidt 2004 auf „Fälle von Euthanasie“ bei der Umsiedlung aus Bessarabien hingewiesen (vgl. Schmidt 2003, Minderheit, S. 146). Schmidts Aussage war jedoch zu dieser Zeit wissenschaftlich weder haltbar noch von ihr belegt. Die kurze Anmerkung war möglicherweise inspiriert von unserem Telefonat im Jahr 2002. – Fiebrandt konstruierte daraus falsch: „Diesen und weiteren Fällen gingen Susanne Schlechter und Dietmar Schulze ab 2008 in einem vom Bessarabiendeutschen Verein finanzierten Projekt nach“ (Fiebrandt 2014, Auslese, S. 28). Auch die zeitliche Parallelität der BKM-Forschung mit der DFG-Forschung erkannte sie offensichtlich nicht. Aus Unkenntnis der Gesamtentwicklung kommt Fiebrandt im Literaturbericht ihrer Arbeit schließlich zu einer reduzierten Sicht auf das BKM-Projekt Verschwundene Umsiedler: „Eine Einbettung in den Kontext der Umsiedlung im Sinne einer allgemeinen und über die Einzelfälle hinausgehenden Darstellung der Krankentransporte aus Bessarabien, der Unterbringung in den Anstalten des Warthegaus, der Situation in den aufnehmenden Anstalten und der Sterblichkeit unter den Bessarabiendeutschen erfolgt nicht“ (ebd., S. 29). Diese Fehldiagnose entstand vermutlich, nachdem Fiebrandt von mir das Zwischenergebnis mit der Sammlung von biografischen Geschichten des dritten BKM-Moduls 2008 bekommen hatte, das sie offenbar für das Endergebnis hielt (Fiebrandt 2014, Auslese: Literaturverzeichnis, S. 661). Als ich 2011 in Oxford das Gesamtprojekt vorstellte, war mir nicht klar, dass Fiebrandt offensichtlich auch dabei nicht wahrnahm, dass 2009–2010 das vierte und längste Modul mit einer umfangreichen Kontextualisierung gefolgt war. – Die Fehler in der offensichtlich sehr bedeutsamen Chronologie der Ereignisse seien hiermit richtig gestellt. Der Missstand liegt meinerseits darin, dass die Veröffentlichung der Ergebnisse des BKM-Projekts noch aussteht. 169 Forschungsstand 2009: Schulze, Odyssee, S. 175–192; Schlechter: Verschwundene Umsiedler, S. 193–218; Fiebrandt, Warta und Tiegenhof, S. 219–238. In: Arbeitskreis (Hg.) 2012 (Tagung 17.–19.4.2009 in Hartheim), Euthanasie in der Ostmark (Berichte des Arbeitskreises 8). 170 Vgl. Reese/Kepplinger, Orte und Aktionen. In: OÖLA (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, o.J. – Ich verdanke dem 2007 verstorbenen Leiter Hartmut Reese das Buch im Jahr 2005. Es enthält neben Beiträgen zu Hartheim auch ausführliche Darstellungen aller sechs Gasmordanstalten der „T4“.
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tiell topografische Schnittpunkte zwischen „Aktion T4“ und „Heim ins Reich“Umsiedlung, vor allem nachdem Hinweise von Zeitzeugen aus den dort gelegenen Umsiedlungslagern kamen. Doch letztlich sollten weitere Spuren uns im Laufe des Projekts in ganz andere Regionen führen, die jenseits der bekannten Umsiedlungstopografie lagen. Dietmar Schulze, der 2008 mein Mitarbeiter im BKM-Modul III war, ging gemeinsam mit Maria Fiebrandt auf Archivreisen in Polen, wo sie Krankenakten der „volksdeutschen“ Patienten fanden. 2011 stellte er seine Ergebnisse zu den Krankentransporten aus Bessarabien in Posen (Poznań) vor,171 und im selben Jahr Maria Fiebrandt und ich die unseren in Oxford.172 Das Interesse im Ausland – in Österreich, Polen, England – machte deutlich, dass Aufklärung über diese „unbekannten Vorgänge“173 eine europäische Dimension auch jenseits einer deutschen Perspektive hat.174 Die internationale Konferenz in Oxford befasste sich 2011 mit Zusammenhängen zwischen den German Ethnic Minorities and Interwar Eugenics.175 Aus verschiedenen Perspektiven wurde in den Blick genommen, wie Vorläufer-Gedanken deutscher Rassenpolitik und Eugenik auch bei den im Ausland lebenden Minderheiten schon in den 1920er Jahren wirkten.176 Daraus ergab sich die zentrale Frage, ob „the Volksdeutsche“ bei den späteren Umsiedlungen Schachfiguren oder willige Helfer bei der Umsetzung der NS-Rassepolitik waren? – In meiner Arbeit mit den Zeitzeugen der Umsiedlung waren 2010 mehrere Kategorien von aus dem öffentlichen Blick „Verschwundenen“ sichtbar geworden: 171 Schulze, Poznan 2011, Einbeziehung, S. 93–103. Vgl. Fiebrandt 2014, Auslese, S. 29, Anm. 72. 172 Fiebrandt 2011, Selections; Schlechter 2011, Missing Resettlers (Vorträge in Oxford 18.12.2011). 173 Uwe Neumärker, Direktor der „Stiftung Denkmal für die Ermordeten Juden Europas“, konzipierte 2011 eine Dokumentation über „unbekannte Vorgänge in Europa“, zu der u.a. das Thema Verschwundene Umsiedler gehören sollte (E-Mail 18.2.2011). Für die Vermittlung danke ich Konrad Gündisch, BKGE. Das Vorhaben wurde doch nicht realisiert, aber ich danke Uwe Neumärker für unseren Austausch 2011 und 2019. 174 „Flucht, Vertreibung und Versöhnung [...] dürfen nicht allein einer privaten und landmannschaftlichen Erinnerung überlassen sein, sie sind ein gesamtdeutsches und ein europäisches Thema, das die Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in den Jahren 1933–1945 allerdings nicht ausblenden kann.“ Neumärker, Soldau. In: Benz/Distel (Hg.) 2009, Ort des Terrors, S. 619. 175 �������������������������������������������������������������������������������������� „The German Archipelago. The German Ethnic Minorities and Interwar Eugenics“, International Conference am Balliol College in Oxford vom 16.–19.12.2011, Leitung Paul Weindlung und Tudor Georgescu, Oxford Brooks University, Working group on the History of Race and Eugenics, gefördert von der Berendel Foundation, London und vom BKM, Bonn. Für die Einladung danke ich Björn Felder, Osteuropa-Abteilung der Universität Göttingen. 176 Tudor Georgescu wies am Beispiel der Rumäniendeutschen nach, dass die Rassenpolitik kein Import der NS-Zeit war. Ein Bestand von 400 Akten zeigte, dass schon in den 1920er Jahren Rasseprüfungen gemacht wurden. Da Mischehen mit Rumänen keine Ausnahme waren, wurden „rassereine“ Kinder finanziell honoriert. Auch Kinderreichtum entsprach dem politischem Interesse nach Vermehrung der deutschen Volksgruppe. Vgl. Georgescu, Transylvanian Saxons Eugenics, Vortrag in Oxford am 16.12.2011.
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Einleitung „All of them are ‚missing resettlers‘ who have never become part of the public memory. ‚Volksdeutsche‘ [ethnic Germans], seen as a monolithic bloc, which was in total agreement with Adolf Hitler, is as legacy, the Nazi propaganda machine has passed on to posterity. Even today the question, whether the German minorities who yielded willingly to the call ‚Heim ins Reich‘ were willing accomplices [willige Komplizen] or merely ‚pawns‘ [Schachfiguren] in the game of politics, is an ideological mine field [Minenfeld]“177
Die Umsiedler waren keine homogene Gruppe, kein monolithischer Block von Schachfiguren oder Komplizen, nach meiner Auffassung gab es beides. Die Heimlichkeit als Merkmal der Tätigkeiten des „T4“-Personals und des EWZ-Personals machten diese jeweils zu eingeschworenen Gemeinschaften, zu Komplizen gegen Menschen, die sie als Patienten bzw. als Umsiedler in der Tat wie Schachfiguren der NS-Politk von Ausmerze und Auslese behandelten. 2007 erschien mir die Einbindung der Umsiedler in die „T4-Aktion“ nicht zwangsläufig als einzige Möglichkeit für eine „Ausmerze“ unerwünschten Bevölkerungszuwachses. Rein hypothetisch musste auch an unbekannte Organisationsstrukturen für Selektionen oder Tötungen sogar innerhalb der VoMi oder der EWZ gedacht werden. Inzwischen sind die Vorgänge wesentlich transparenter und weitgehend aufgeklärt.178 Fiebrandts umfassendes Buch über die „Auslese für die Siedlergesellschaft“179 wurde 2014 veröffentlicht und ist als wichtige Ergänzung heranzuziehen, um die Bessarabien-Umsiedlung in den Kontext des gesamten Umsiedlungsgeschehens einzubetten.180 Neben der „Siedlerauslese“ der EWZ zeigt Fiebrandt auch die Verbindungen zur „Aktion T4“. Die Heil- und Pflegeanstalten Tiegenhof und Warta im Warthegau stehen dabei als Ziele der Krankentransporte bzw. als Durchgangsstationen im Focus.181 Die „volksdeutschen“ Patienten waren ohne EWZ-Einbürgerungsverfahren als „Staatenlose“ in diese Anstalten gebracht worden, was ein Aspekt für ihre Einbeziehung in die „Aktion T4“ gewesen sein könnte.182 Fiebrandt ging auch der Rolle einzelner Ärzte und anderer Umsiedlungs-Akteure nach. Auch über den SS-Arzt, den ich im Mai 2007 interviewte, liefert sie aufschlussreiche Ergänzungen, die mir 2007 nicht bekannt waren. Verknüpfungen mit Fiebrandts Recherchen habe ich in der Personendatenbank meiner Arbeit mit 177 ������������������������������������������������������������������������������������������ Schlechter, Missing Resettlers, Vortrag in Oxford 18.12.2011. Für die Übersetzung ins Englische, auch für die inhaltlichen Diskussionen und kanadischen Whisky danke ich Fred Kautz, Darmstadt. 178 Spätere Darstellungen beziehen sich vor allem auf Fiebrandt. Vgl. Fieß 2015, Rückführung. 179 Fiebrandt 2014, Auslese. 180 Teile aus den BKM-Modulen I und III fanden Verwendung in Fiebrandt 2014, Auslese, S. 303, 309, 313, 358, 380, 527. 181 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Tabelle „Transporte volksdeutscher Patienten in die Anstalten Tiegenhof, Warta und Gostynin in den Jahren 1940/41“. In: ebd., S. 360. 182 Ebd., S. 373–376, hier S. 373.
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Anmerkungen zu den betreffenden Namen versucht zu ermöglichen.183 Vor allem betrifft dies die männliche Protagonisten, weniger die Frauen des Umsiedlungskommandos.184
Militärische Arztkarrieren Wenn es – wie oben gezeigt – fast 60 Jahre brauchte, um überhaupt gedankliche Verbindungen zwischen der „Euthanasie“ und Umsiedlern am konkreten Ort PirnaSonnenstein herzustellen, so könnte gerade dieser Ort als ‚heiße Spur‘ weitere Überraschungen bereit halten. Etwa 2008 offenbarte sich aus den Geschichten der Zeitzeugen im Projekt „Verschwundene Umsiedler“ ein neues Forschungsfeld, in dem man nach Umsiedlern als „Material“ für medizinische Experimente fragen konnte. Die Spur beginnt im Umsiedlungslager Pirna-Sonnenstein mit der besagten Gruppe aus Hoffnungsthal/Bessarabien. Die Bewohner dieses Ortes wurde nicht wie die meisten anderen im Laufe des Jahres 1941 selektiert und angesiedelt, sondern blieben bis 1943 geschlossen in Pirna. „Doctors formed networks“,185 welche medizinischen Netzwerke auch immer dazu geführt haben mögen: 1942 deportierte man eine größere Gruppe dieser immer noch nicht Angesiedelten186 vom Lager Pirna-Sonnenstein aus mit einem verschlossenen Zug über 1.000 km zu einer Trachom-Behandlung nach Ostpreußen in den „Amalienhof“ (Malinowo) bei Soldau (Działdowo), einem bislang völlig unbekannten Ort der NS-Topografie.187 Pläne für eine „Ansiedlung der Tra183 Dies betrifft z.B. Lorenz und Siekmeyer als Umsiedlungsleiter sowie die Ärzte Zielke, Franke, Maneke, die im Tagebuch von NS-Oberin Dorothee Rakow vorkommen, sowie den interviewten Dr. med. Helmut Ritter. 184 Mit Verweis auf Harvey (Ansiedlungsbetreuerinnen) und Schlechter (NS-Schwestern) entdeckte Fiebrandt im Deutschen Ärzteblatt auch ‚weibliche‘ Umsiedlungsberichte von Medizinstudentinnen: „Diese abwertenden Einschätzungen der jungen Medizinstudentinnen, die die Volksdeutschen als rückständig erscheinen ließen, lassen sich in einer Vielzahl ähnlicher Äußerungen unter anderem von Ansiedlerbetreuerinnen oder in den Lagern eingesetzten Schwestern einreihen.“ In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 527. 185 Weindling 2015, Victims and Survivors. – „Doctors formed networks“ und „Links developed“ (S. 49) zu einem „active research network“ (S. 111), „T4 served as a research agency“ (S. 111). [Ärzte formten Netzwerke, Verbindungen entwickelten sich zu einem aktiven Forschungsnetzwerk, T4 diente als Forschungsagentur]. Bezüge zu Pirna-Sonnenstein ebd., S. 40, 111, 140, 145. – Ich danke Paul Weindling für seine interessierte Frage nach Umsiedlern als Opfer medizinischer Versuche auf der Tagung in Oxford 2011. 186 So berichtet es eine von ca. 70 Geschichten mit Zeitzeugen im BKM-Projekt Verschwundene Umsiedler, Modul III/IV. – Dem Archiv der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein wurden 2009 von mir zwei Geschichten aus dem noch laufenden Projekt zur Verfügung gestellt, deren Schauplätze das Umsiedlerlager Pirna-Sonnenstein waren. Brief an Boris Böhm 11.6.2009. 187 Recherchen zum „Amalienhof“ 2011: Weder Sascha Topp noch Uwe Neumärker als Experten für die NS-Topografie in Ostpreußen und für den Lagerkomplex des KZ Soldau noch dem Soldauer
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chomkranken aus Bessarabien 1940–41“ wurden perfekt getarnt.188 Und eine wissenschaftliche Arbeit über das „Trachom bei der ehemaligen deutschen Volksgruppe in Bessarabien“ schrieb 1941 ausgerechnet ein bekannter „T4“-Arzt.189 Ärzte und Medizinstudenten bekamen im Zweiten Weltkrieg besondere Möglichkeiten für ihre Doktorarbeiten. Trachom ist eine Augenkrankheit, die in tropischen Gebieten vorkommt. Stephan Töpel war 2013 bei seinen Forschungen zu den militärischen Karrieren von Augenärzten im Zusammenhang mit Trachom-Forschungen auf den „Amalienhof“ gestoßen.190 Auch er hatte mit der auf den ersten Blick ‚harmlosen‘ Augenheilkunde ein Neuland in der NS-Forschung betreten.191 Seit 2015 führten wir unsere Erkenntnisse zusammen. Dabei bildete wiederum der SS-Arzt, den ich 2007 interviewte, eine weitere Schnittstelle in diesem Zusammenhang, da dieser selbst „wissenschaftliche Umsiedlerakten“, in denen Untersuchungen mit Bessarabiendeutschen eine Rolle gespielt haben sollten, Anfang 1945 aus Ostpreußen gerettet habe. 188
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Heimatverein war ein „Amalienhof“ im Komplex der Soldauer Konzentrationslager bekannt. Vgl. Neumärker 2009, Soldau. – Erst 2019 fand Stephan Töpel weitere Ergebnisse, s.u. „Es musste aber unbedingt vermieden, werden, dass durch die Errichtung eines Trachomgebietes eine psychische Verfassung entsteht und das Gebiet verrufen ist wie ein Lepradorf. Das Trachomgebiet wurde daher so geplant, dass es als schmaler, geschwungener Streifen (s-Kurve) sich durch verkehrsgünstige Gebiete der verschiedensten Bodenarten zieht.“ Bundesarchiv Potsdam R49/3048: Planungsabteilung der SS-Ansiedlungsstäbe Posen und Litzmannstadt, Vermerk vom 13.2.1941 betr. Ansiedlung der Trachomkranken aus Bessarabien, S. 3. Für diese interessante Quelle danke ich Elizabeth Harvey 2012. Aquilin Ullrich: Das Trachom bei der ehemaligen deutschen Volksgruppe in Bessarabien. Preußische Staatsbibliothek Berlin: MS 41/5964. – Auch diese Quelle verdanke ich Elizabeth Harvey 2012. – Im angehängten Lebenslauf schrieb A. Ullrich hier am 2.8.1941, dass er am 13.3.1940 „für eine Sonderverwendung u.k. gestellt“ wurde. Er war nämlich seit dem 15. März 1940 in der Berliner Zentrale der „T4“ als Anstaltsarzt registriert: Vgl. Ärzte-Liste der „T4“, als FaksimileDokument abgebildet u.a. in: Klee 1989 [1985], Euthanasie im NS-Staat, S. 229. Töpel 2013, Universitätsaugenklinik. Vgl. zu Trachom ebd. die Kapitel: Augenlicht, der erste Gruß des Reiches, S. 100–103; Trachomarzt im Dienste des Reiches, S. 106–109. – Stephan Töpel war während seiner Forschung über die militärischen Arztkarrieren selbst Stabsarzt der Bundeswehr. Telefonat 26.3.2015. Ich danke ihm für unseren spannenden Austausch bei der Spurensuche nach dem „Amalienhof“ seit 2015. Töpel wurde daher 2014 der Dissertationspreis der Julius-Hirschberg-Gesellschaft verliehen: „Während man in anderen Fachgebieten wie der Pathologie und Anatomie die ‚zweifelhafte Herkunft‘ von Gewebeproben für wissenschaftliche Untersuchungen in der Zeit des Nationalsozialismus bereits vor Jahren erörtert hat, war dies für die Augenheilkunde bislang so nicht bekannt. Anhand einer unscheinbaren Arbeit aus einem Fachjournal von 1938 konnte u.a. erstmalig auf Untersuchungen ‚lebensfrischer‘ Augen eines Hingerichteten hingewiesen werden. Woraufhin Medizinhistoriker nunmehr weitere Belege für auf den ersten Blick ‚harmlose‘ Forschungsberichte aus der Augenheilkunde gefunden haben.“ In: Untersucht: Die Universitätsaugenklinik Greifswald im Nationalsozialismus. Dissertationspreis für medizinhistorische Forschungsarbeit. Pressemitteilung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald vom 19.11.2014. URL: idw-online. de/de/news614258 (Abruf 27.3.2015). Vgl.: Töpel/Tost: Vom Auge eines Hingerichteten. In: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde (2013).
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Thomas Beddies erkannte 2007 die besondere Rolle der Jungärzte im Nationalsozialismus und untersuchte nach Ernst Klees früheren Forschungen noch einmal intensiver die Karrieren der deutschen Medizinstudenten, die aufgrund ihrer Volkstumsforschungen in Bessarabien in den 1930er Jahren ab 1940 einen Karrieresprung als junge Anstaltsdirektoren machten und dort selbst die Gashähne zur Tötung aufdrehten.192 Fortbildungen, die auf der theoretischen Grundlage von Kursen über „Eugenik“ und „Rassenhygiene“ auf die Umsetzung der NS-Gesetze zu Zwangssterilisationen und Tötungen von Patienten in den Heil- und Pflegeanstalten vorbereiten sollten, bot die „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“ in Alt-Rehse für Ärzte, Apotheker und Hebammen an.193 Über Fortbildungen für Krankenschwestern oder NS-Gemeindeschwestern in Alt-Rehse lagen 2007 keine Erkenntnisse vor. Immerhin hielt die Generaloberin Käthe Böttger hier Vorträge über „Die Entwicklungsgeschichte der Organisation der NS-Schwesternschaft.“194 Nach Anja Peters’ Recherchen befassten sich die Hebammen-Kurse in Alt-Rehse mit den verbotenen Abtreibungen und mit den Meldepflichten bei Geburten von behinderten Kindern.195 Ähnlich wie NS-Schwestern waren Hebammen in das Meldesystem der NS-Gesundheitsämter eingebunden und damit eine Schnittstelle zur Kinder-„Euthanasie“. Zum Berufsbild der Hebammen im Nationalsozialismus schloss Wiebke Lisner 2006 eine Forschungslücke.196 Mit der Reichshebammenführerin Nanna Conti wurde auch hier bereits eine hochrangige weibliche NS-Karriere sichtbar. 2014 bis 2017 untersuchte Lisner in einem DFG-Projekt „Hebammen im ‚biopolitischen Laborraum‘ des ‚Reichsgaus Wartheland‘“,197 indem sie die Arbeitsumstände deutscher, polnischer und jüdischer Hebammen miteinander verglich.198 1940 wurde eine Hebammenschule in 192 ������������������������������������������������������������������������������������������� Beddies 2007, Jungärzte. Vortrag in Alt-Rehse. Ich danke Thomas Beddies am Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin für Unterstützung und Rat bei der Auswertung des Interviews mit Dr. Ritter 2007. 193 Prospekt der Dauerausstellung in der Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse, 2007: Alt-Rehse und der gebrochene Eid des Hippokrates. – Vgl. Tröger/Bussmann: Alt Rehse. Des Teufels hübsches Erbe. Bilderbuchdorf mit spooky Geschichte. Reiseblog. In: URL: www. hierdadort.de/alt-rehse-am-tollernsee (Abruf 18.7.2019). 194 Maibaum 2007, Führerschule Alt-Rehse, S. 212. 195 Peters, Hebammenkurse, Vortrag 2007. – Die Hebammenkurse in der Ärzteführerschule fanden im Freien statt, die Teilnehmerinnen waren uniformiert in dunkelblauen Trainingsanzügen. Ich danke Anja Peters für das Gespräch in Alt-Rehse im Mai 2007. Lisner 2006, Hüterinnen. Vgl. Rezension von Robert Jütte. In: Steinbacher 2007, Volksgenossin196 ���������������������������������������������������������������������������������������������� nen, S. 188–190. 197 ��������������������������������������������������������������������������������������� DFG-Projekt 2014–2017, bearbeitet von Wiebke Lisner: Hebammen im „biopolitischen Laborraum“ des „Reichsgaus Wartheland“. Geburtshilfe zwischen Privatheit und staatlichem Zugriff. Historisches Seminar der Leibniz-Universität Hannover unter Leitung von Prof. Cornelia Rauh, in Kooperation mit Prof. Dr. Elizabeth Harvey, Universität Nottingham und dem Deutschen Historischen Institut Warschau. 198 Vgl. Lisner 2018, Geburtshilfe im Kontext. In: Schmiechen-Ackermann u.a. (Hg.) 2018, Volks-
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Lodsch (Łódź) geplant, in der polnischen Stadt, die im Zweiten Weltkrieg unter dem neuen deutschen Namen „Litzmannstadt“ zur zentralen ‚Drehscheibe‘ der Bevölkerungsverschiebungen des „Generalplans Ost“ gemacht wurde,199 und in der auch Rakow und Ritter sich vor bzw. nach der „Heim ins Reich“-Aktion aufhielten.
NS-Schwestern und „Heim ins Reich“-Umsiedlung Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) war ein williger Kooperationspartner der Deutschen Wehrmacht beim Überfall auf Polen im September 1939. Der NSV-Sonderbeauftragte installierte umgehend in Litzmannstadt eine NSV-Dienststelle.200 Die Zerstörung der Städte, Verletzung und Nötigung der Menschen und gleich anschließend die komplette Neuorganisation von Fürsorge, Ernährung, Wohnungszuteilung, ärztlicher Pflege nach NS-Kriterien im Sinne einer Umverteilung, die „Volksdeutsche“ bevorzugte, Polen nur dürftig versorgte und Juden grundsätzlich ausschloss, waren kooperative Kriegstaten bei der „Heimholung alten deutschen Bodens“.201 Dabei waren 800 NS-Schwestern und 500 Reichsbund-Schwestern beteiligt.202 Leider gibt es im Nachlass der NS-Oberin Schwester Dorothee dazu keinerlei Hinweis, doch man kann von ihrer persönlichen, vielleicht sogar leitenden Beteiligung ausgehen, wurde doch ihre Ernennung zur NS-Oberin im August 1939 mit deutlich ausgedrückten Erwartungen des Vorgesetzten Hilgenfeldt verknüpft. Ob und inwiefern NS-Schwestern auch bei den Siedler-Selektionen der EWZ oder bei medizinischen Untersuchungen der Umsiedler eingebunden waren, war 2007 nicht bekannt. Eher zufällig entdeckte man in der Arbeit von Isabel Heinemann über die Mitarbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes auf einem Foto, das die „Durchschleusung“ einer Familie im „EWZ-Sonderzug“ der sogenannten „Fliegenden Kommission“ dokumentiert, eine Rot-Kreuz-Schwester.203 Sie blickt erschrocken in die Kamera, während die nackten Familienmitglieder darauf warten, gemeinschaft, S. 311–323. Ich danke Wiebke Lisner für unseren telefonischen Austausch im Oktober 2014. 199 ���������������������������������������������������������������������������������������� Kurz zusammengefasst: Litzmannstadt (Lodz) war Sitz der EWZ für die „volksdeutschen“ Umsiedler sowie der UWZ (Umwandererzentralstelle) für die Deportationen von Polen als Zwangsarbeiter nach Deutschland sowie ebenso des größten Ghettos, über das die gesammelten Juden weiter in die Vernichtungslager deportiert wurden, was die NS-Sprache ebenso als „Umsiedlungen“ bezeichnete. – Die Bedeutung der Stadt Łódź als Zentralstelle bei der Ansiedlung von Umsiedlern sei jedoch vor Ort kaum bekannt gewesen. Ich danke Monica Kuzner von der Hochschule in Lodz für unseren Austausch 2011. Vgl. Dies. 2013, Deutsche in Lodz. 200 Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen. 201 Ebd., S. 5, im Vorwort von NSV-Oberbefehlsleiter Hilgenfeldt. 202 Ebd., S. 15, im Abschnitt: Vom Einsatz der Schwestern. 203 �������������������������������������������������������������������������������������� Erkennbar an Brosche und Haube. Abb. in Heinemann 2003, Rasse Siedlung, S. 240. Originalunterschrift ebd., „Umsiedlung Gottschee. Messen und Wiegen (Vater und Sohn G...) Photograph: Dr. Gradmann, EWZ“.
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von ihr gewogen zu werden, und ein Arzt im weißen Kittel mit dem Ausfüllen von Karten beschäftigt ist. Es wird hier schon sichtbar, dass Krankenschwestern bei der „Schleusung“ der Umsiedler durch die EWZ-Behörde durchaus tätig waren, und 2008 enthielt eine neue Untersuchung über das Rote Kreuz unter der NS-Diktatur auch schon ein Kapitel über den Kriegseinsatz der DRK-Schwestern bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen.204 Der ‚weiße Fleck‘ bei der spezifischen Rolle der NS-Schwestern bei der Umsiedlung ist ein historisches Phänomen der Frauen- und Geschlechtergeschichte, die sich erst spät dem Phänomen der NS-„Täterinnen“205 und noch später den nicht erforschten weiblichen NS-Karrieren im medizinischen Bereich206 zuwandte. Erst in den Jahren 1989 bis 1992 waren im „Historikerinnenstreit“ überhaupt die ersten Denkrichtungen zum lange verdrängten Komplex weiblicher Beteiligung an den NS-Verbrechen herausgearbeitet worden.207 Symptome schlichter Unkenntnis waren in diesen ersten Jahren der Aufarbeitung noch die Ungenauigkeiten in den Bezeichnungen der Täterinnen als sogenannte „SS-Frauen“ und „SS-Krankenschwestern“208 oder als „Frauen im Apparat der SS“209 wie z.B. die „SS-Schwestern“210 im „weiblichen SS-Gefolge“211 oder als mörderische Ehefrauen von SS-Führern.212 204 Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 322–326, Abb. S. 342. 205 Vgl. Kompisch 2008, Täterinnen. Kompisch versammelte 2008 ohne neue Quellen in einer Art Rückblick die Forschungsergebnisse zu verschiedenen Kategorien von Täterinnen im Nationalsozialismus, dazu zählen hier u.a. auch „Die ‚Braunen Schwestern‘“ (S. 112–123) und „Frauen und ‚Euthanasie‘-Morde“ (S. 123–128). 206 Aktuelle Beispiele sind die Untersuchungen von Julia Nebe über eine Zahnärztin, von Petra Betzien über drei KZ-Ärztinnen, von Maike Rotzoll und Christoph Beyer über eine Assistentin eines Kinder-Euthanasie-Arztes. In: Tagungsbericht: Medizintäter. Ärzte und Ärztinnen im Spiegel der NS-Täterforschung, 2019. In: H-Soz-Kult, 18.9.2019. URL: https://www.hsozkult.de/ conferencereport/id/tagungsberichte-8450; sowie aus Kanada von Melissa Kravetz über „Women Doctors in Weimar an Nazi Germany“; vgl. Lisner, Rezension, H-Soz-Kult, 12.3.2020. URL: www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28872. 207 Vgl. den Rückblick von Heinsohn, Volksgemeinschaft Geschlecht. In: Schmiechen-Ackermann u.a. (Hg.) 2018, Volksgemeinschaft, S. 245–258. 208 Taake 1998, SS-Frauen vor Gericht, S. 30. 209 Vgl. Schwarz 1992, Täterinnen. Frauen im Apparat der SS. In: Wobbe, Nach Osten, (Hg.), S. 197–223. 210 Ebd. im Abschnitt: SS-Ärztinnen und SS-Krankenschwestern, S. 211–215. „SS-Schwester“ ist hier eine „Rotkreuzschwester und Oberin der im SS-Lazarett arbeitenden Krankenschwestern“ (S. 212), und drei „SS-Schwestern kamen vom ‚Reichsbund Deutscher Schwestern‘“ im KZ Ravensbrück (S. 213). 211 Ebd., S. 198. Gudrun Schwarz fand den Begriff „weibliches SS-Gefolge“ als offiziellen Terminus der SS bei einer Untersuchung des „Schwarzen Korps“ in ihrer unveröffentlichten Diplomarbeit von 1977. – Unter dem Begriff „SS-Gefolge“ wurden 1992 „SS-Ärztinnen“, „SS-Krankenschwestern“, „SS-Aufseherinnen“ im KZ bis zu „SS-Nachrichtenhelferinnen“ verstanden. Vgl. Heike 1992, Lagerverwaltung und Bewachungspersonal. In: Füllberg-Stolberg (Hg.), Frauen in KZ, S. 224. 212 Lower 2014, Hitlers Helferinnen, S. 170 und 176.
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Noch weitaus länger war in der Literatur über die „Heim ins Reich-Aktionen“ nur von den „Männern des Umsiedlungskommandos“ die Rede. Unter dem Himmel Bessarabiens hätten sie „dem Männerbündischen, der Landsknechtromantik, den Kameradschaftserlebnissen bei abenteuerlichen Fahrten durch die weite und unwegsame Steppenlandschaft“ gefrönt.213 Doch kamen auch Frauen als Mitglieder des deutschen Umsiedlungsstabes mit eigenen Arbeitsbereichen mit in den Auslandseinsatz. In zeitgenössischen Fotobänden sieht man sie an Schreibtischen bei der Registrierung der Umsiedler oder als Gruppen von Krankenschwestern in ihren unterschiedlichen Trachten in einem der Auffanglager marschierend. Eine Hierarchie wird sichtbar: Vorne weg in der Kolonne verschiedener Schwesternverbände gehen die NS-Schwestern, und in deren erster Reihe nur die blonden „Braunen Schwestern“.214 Man findet auch weiblichen Familienanhang höherer SS-Ränge: „Auf den Schiffen war eine wunderbare Betreuung. Selbst die Frau von Obergruppenführer Lorenz und seine zwei Töchter waren in Schwesternuniformen auf dem Schiff tätig.“215 Die Reichsfrauenführerin reiste aus Berlin an, um die großen Auffanglager zu besichtigen.216 2003 zeigte Elizabeth Harvey in ihrer Pionierarbeit über Women in the Nazi East die Beteiligung deutscher Frauen an der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik im „Osten“, indem sie sich mit den Ansiedlungsbetreuerinnen befasste.217 Dabei fragte sie nach den Motiven des „weiblichen Aktivismus“, der diese oftmals jungen gebildeten Frauen dazu antrieb, sich nach dem Motto „Der Osten braucht Dich!“ auf den Weg zu machen und sich als Führerinnen, Lehrerinnen, Betreuerinnen in den besetzen Gebieten für die „Festigung des Deutschtums“ zu engagieren.218 Ein weiteres Beispiel für ein weibliches Betätigungsfeld im Kriegsgeschehen fand Harvey 2007 in einer NS-Propaganda-Fotografin, die mitten im Krieg quer durch ganz Europa reiste.219 Ihre Fotos machten zahlreiche weibliche Kriegsaktivitäten sichtbar: 213 Schmidt 2003, Minderheit, S. 153. 214 Abb. in: Reister/Egger 1941, Das große Aufgebot, S. 74. Der Propaganda-Fotoband über das Zwischenlager in Semlin (Zemun) zeigt Krankenschwestern bei der Arbeit (Abb. S. 40, 45, 48, 61–64, 67) und beim Marschieren. (Abb. S. 74 trägt den Untertitel: „Der Tagesablauf in den Lagern war ein militärischer [...] von früh morgens bis spät in die Nacht widerhallten die Straßen der Zeltstadt vom Marschtritt der Arbeiterkolonnen.“) Auf dem Foto marschieren Krankenschwestern in einer Gruppe von ca. 20 Frauen im Lager Semlin. Vorne die „Braunen Schwestern“, dahinter die „Blauen“ (Freien) oder Rot-Kreuz-Schwestern (nicht zu identifizieren). Bei den „Braunen Schwestern“ wiederum marschieren die Blonden vorne. 215 Mayer 1986, Weg aus der Steppe, S. 107. 216 Gertrud Scholtz-Klink ist auf zwei Fotos im Nachlass von Schwester Dorothee zu erkennen, außerdem ist ihr Besuch im Zwischenlager Semlin in zeitgenössischen Bildbänden der Umsiedlung dokumentiert. 217 Harvey 2010, Der Osten braucht Dich [2003: Women and the Nazi East]. 218 Ebd., S. 29–34 im Abschnitt: Missionarinnen, Karrieristinnen oder Konformistinnen? 219 Harvey, Propaganda-Fotografin Purper. In: Steinbacher (Hg.) 2007, Volksgenossinnen, S. 138– 153.
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„Maiden“ im Reichsarbeitsdienst, Frauen mit Stahlhelmen bei Luftschutzübungen der Reichsfrauenführung, Kindergärtnerinnen der NS-Frauenschaft in der Ukraine, Spaziergänge mit Soldaten durch die Ruinen einer zerstörten Stadt oder den eigenen Blick der Fotografin auf Menschen in Litzmannstadt.220 Harvey suchte weitere offizielle Foto-Inszenierungen der „Homecoming“-Aktionen und analysierte die Propagandafotos zur Bessarabien-Umsiedlung.221 Möglicherweise warnte sie zu Recht, dass ein kritischer Blick auf die Vergangenheit der Bessarabiendeutschen, auf deren eigene Beeinflussung durch die NS-Propaganda, aktuell in den Hintergrund treten werde, wenn unsere neueren Forschungsprojekte mit dem Focus auf die Einbeziehung von Umsiedlern in die „Euthanasie“-Aktionen „die Leidensperspektive“ der Erinnerungsgemeinschaft verstärkt.222 Im Bildarchiv des Bessarabiendeutschen Vereins untersuchte sie 2012 kritisch vor Ort, wie die historischen Fotos der Umsiedlung später in Chroniken und Heimatkalendern weiterverwendet und kommentiert wurden. So warf sie hier auch einen Blick in die unveröffentlichte Dokumentation der BKM-Projekte über Verschwundene Umsiedler. In den späteren Modulen sind nicht nur die ca. 100 Fotos aus dem Nachlass von Schwester Dorothee abgebildet, sondern auch zahlreiche Fotos aus privaten Familienarchiven in den Geschichten der Zeitzeugen. Zudem zog ich im vierten Modul Propagandafotos heran, um bestimmte Erkenntnisse zu untermauern: z.B. die konkurrierende Gegenüberstellung von deutschen Krankenschwestern und bessarabiendeutschen Müttern.223 Nach unserem Austausch und der gemeinsamen Sichtung des Nachlasses224 gab sie einen Gedanken aus dieser Bildanalyse, den sie teilte, auf einer Konferenz bei der German History Society in Edinburgh weiter: Schon am Bildaufbau mancher Propagandafotos wird nämlich deutlich, dass die deutschen Krankenschwestern den bessarabiendeutschen Müttern ihre Kinder ‚wegnahmen‘, wenn diese passiv ohne ihre Kinder im schattigen Hintergrund standen, während jene ihre Babies im Mittelpunkt des Bildes fröhlich pflegten.225 220 Abbildungen ebd. 221 ����������������������������������������������������������������������������������������� Harvey, Inszenierung Heimkehr. In: Schmiechen-Ackermann u.a. (Hg.) 2018, Ort der Volksgemeinschaft, S. 353–374. – Vgl. Harvey, Documenting Heimkehr. In: Evans/Betts/Hoffmann (Hg.) 2018, Ethics of Seeing, S. 79–107. 222 Harvey, Inszenierung Heimkehr, S. 358, Anm. 12, bezogen auf Fiebrandt (DFG-Projekt) und Schlechter (BKM-Projekt). 223 Schlechter, Verschwundene Umsiedler, BKM-Modul IV (2010), Archivexemplar/Ordner A: Die Kinder der Umsiedler, S. 8–14: Kommentierte Propaganda-Fotos aus: Reister/Egger 1941, Das große Aufgebot. 224 Harvey, Brief 30.8.2012. – Ich danke Elizabeth Harvey für Ihren Besuch in Oldenburg 2012. 225 ������������������������������������������������������������������������������������������������ „Other images unintended to show the limitless care provided for resettlers also seem – in hindsight – to communicate other unintended meanings. They show – as Susanne Schlechter has pointed out – mothers being pushed to the sidelines by nurses attending to their babies, babies and children being undressed and washed in public, or the small figure of an elderly woman in the sick bay addressed as ‚Mutter‘ facing a doctor and three nurses looming over her“. In: Harvey,
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Aber sind Krankenschwestern überhaupt der Schlüssel für Fragen nach „Euthanasie“Maßnahmen bei den Umsiedlungen? In einem zeitgenössischen Aufsatz über die „NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen“226 hat man diesen Eindruck keineswegs. Doch „Krankenschwestern im Nationalsozialismus“ bewegten sich „Zwischen Pflegen und Töten“, so legte es Ulrike Gaida 2006 nahe.227 Die Polarisierung von „Frontschwester und Friedensengel“228 in der „Kriegskrankenpflege“ zeigte auch Birgit Panke-Kochinke bereits 2002 am Beispiel der DRK-Schwestern in den Wehrmachtslazaretten, allerdings ohne dabei Fragen nach „Euthanasie“ zu berühren.229 Sie appellierte für mehr historisches Bewusstsein in der Pflegeausbildung.230 Schon in den 1980er Jahren hatten Arbeitsgemeinschaften von Krankenschwestern nach historischem Quellenmaterial gesucht, um ihre Berufsgeschichte kritisch aufzuarbeiten.231 Pädagogische Quellenbücher, wie sie später auch für die Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannseekonferenz“ zusammengestellt wurden,232 zeigten schließlich das breite Spektrum der Handlungsspielräume von Krankenschwestern vor dem Hintergrund ärztlicher Tötungs-Anordnungen oder Vereidigungen zur Geheimhaltung. Krankenschwestern, die nach 1945 für ihre Taten hingerichtet worden waren, hatten in den Nachkriegsprozessen eindeutige Aussagen hinterlassen. Die Amerikanerin Wendy Lower, die 2014 mit den Mythen weiblicher Harmlosigkeit aufräumte, betonte explizit deren aktive Rolle als Augenzeuginnen, Komplizinnen und Täterinnen: „Die erste nationalsozialistische Massenmörderin war nicht die KZAufseherin, sondern die Krankenschwester. Von allen weiblichen Berufen war dieser der tödlichste.“233 Krankenschwestern waren in Sachen „Rassenhygiene“ engagiert, und bei ihren Kriegseinsätzen wurden sie „unmittelbare Augenzeuginnen des Holocaust in Europa, und einige von ihnen wurden zu Massenmörderinnen“234 im Rah-
Documenting displacement, Vortrag in Edinburgh 2012, S. 5f., Anm. 14. Ich danke Elizabeth Harvey für die Zusendung des Typoskripts ihres Vortrags. 226 Baeskow, Schrader, Als NSV-Schwestern. In: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 210–213. 227 Gaida 2006, Pflegen und Töten (Zitierung der Untertitel). 228 Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke 2002, Frontschwestern. 229 Vermutlich gehörten auch Soldaten in Lazaretten zu den „unproduktiven und gebrechlichen Leuten“, die ab Mitte 1942 Opfer der sogenannten „dritten Phase“ des NS-„Euthanasie“-Programms in der nach dem Leibarzt von Adolf Hitler benannten „Aktion Brandt“ wurden. Vgl. Harms 1995, Aktion Brandt. 230 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Panke-Kochinke 2000, Berufskunde der Pflege. Das Kapitel „Die Geschichte des Nationalsozialismus zeigt, dass die Humanität kein selbstverständlicher Teil der Krankenpflege ist“ (ebd., S. 248) verzeichnet Aufsätze zum Thema Krankenpflege im Nationalsozialismus in Fachzeitschriften für Pflegeberufe. – Vgl. Dies. 2001, Geschichte der Krankenpflege. Diese Quellensammlung enthält allerdings kaum Material über die NS-Zeit. 231 Vgl. AG Krankenpflegegeschichte/Noebel 1985, Krankenpflege Aufarbeitung. 232 Vgl. Gaida 2006, Pflegen und Töten. 233 Lower 2014, Hitlers Helferinnen, S. 357. 234 Ebd., S. 63f.
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men der verschiedenen „Euthanasie“-Aktionen. Neben aktiven gab es auch vielfältige indirekte Beteiligungen an den Tötungen, z.B. indem Schwestern Papiere weitergaben, von denen sie wussten, dass sie für Patienten unheilvolle Auswirkungen hatten. Andererseits belegen Quellen auch Verweigerungen der unter Geheimhaltung angetragenen Tötungsaufgabe, passiven Widerstand von Krankenschwestern durch stumme Verweigerung der Beteiligung beim Ankleiden der Opfer oder vorsichtige Sabotage-Versuche, indem die vom Arzt verordnete tödliche Dosis eigenmächtig herabgesetzt wurde. Hilde Steppe begann 2001 eine Liste des „Krankenpflegepersonals im Widerstand“ und zeigte, dass so manche Krankenschwester im Nationalsozialismus unter dem Fallbeil endete und dass lange vor dem prominenten Widerstand des Kardinals von Galen im August 1941 bereits einige konfessionelle Oberinnen öffentlich gegen die „Euthanasie“-Maßnahmen eingetreten waren,235 aber die Regel war das nicht. Wenig Spielraum hatten auch die Rotkreuz-Schwestern, die traditionell den ethischen Konventionen des Internationalen Roten Kreuzes verbunden waren. Das unter der NS-Diktatur umgebaute DRK kooperierte seit 1936 mit SS und später mit der „T4“, stellte seine neutralen Autokennzeichen der Reichsärztekammer zur Tarnung „bei der Rückführung der Deutschen aus Rumänien“ sowie für den Transport von „Geisteskranken“ und auch von Zyklon B zur Verfügung.236 Die seit 1934 von der NS-Frauenschaft vereinnahmte DRK-Krankenschwesternschaft wurde zu einer militärischen Sanitätseinsatztruppe, die den Soldaten, aber nicht den NS-Opfern half.237 Der weiblichen Kooperation in den heterogen zusammengesetzten Einheiten der Volksdeutschen Mittelstelle, die nach Abschluss der „Heim ins Reich“-Umsiedlungen die „Germanisation“ der Ukraine unter aktiver Einbindung der vor Ort lebenden „Volksdeutschen“ durch Enteignungen und Erschießungen von Nicht-„Volksdeutschen“ umsetzte, widmete Eric Steinhart 2015 in seiner in den USA preisgekrönten Dissertation besondere Aufmerksamkeit. Deutsche Frauen, ob in der Verwaltung oder als DRK-Krankenschwestern, seien Öl im Getriebe der Vernichtungsmaschine gewesen, indem sie nicht selten Beziehungen zu den Männern der Exekutionskommandos eingingen und ihre Ehefrauen wurden: „Cupids Arrow normalized Sonderkommando R’s increasingly brutal mission in Transnistria“.238 Das
235 Vgl. Ursula Kiel-Römer, Martina Süß, Hilde Steppe: Widerstand des Pflegepersonals. In: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, ab S. 189. 236 Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 306, 408, 452f. 237 Das heutige DRK bedauert diesen Teil seiner Geschichte: „Tatsächlich wiegt die Tatsache, dass die Opfer der NS-Diktatur, die Unterdrückten und Verfolgten, vom DRK unter der SS-Führung fast keine Hilfe erhielten, besonders schwer“. Deutsches Rotes Kreuz: Homepage. URL: www. drk.de/wir über uns/geschichte/themen/drk-unter-der-ns-diktatur (Abruf 13.7.2019). 238 Steinhart 2015, Holocaust and Germanization Ukraine, S. 62–69, zitiert S. 69, im Abschnitt: German Women in Sonderkommando R. Vgl. Ders. 2012, Creating Killers, S. 64. – Zum „Sonderkommando R“ vgl. Kap. I.A. im Abschnitt zum Leiter Horst Hoffmeyer, der zuvor Leiter der Umsiedlung aus Bessarabien gewesen war.
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traditionell helfende Berufsbild der Krankenschwester wurde durch Nationalsozialismus und Krieg beschädigt.239 Bei der Suche nach aktiven Rollen von Krankenschwestern bei Tötungen sind zeitliche Differenzierungen zu ziehen. Bis August 1941, in der „ersten Phase“ der von Berlin aus gesteuerten Mord-„Aktion“, spielten die „T4-Schwestern“ bzw. die sogenannten „Berliner Schwestern“ eine besondere Rolle. Aus einzelnen Heil- und Pflegeanstalten waren sie ins Berliner Columbushaus „einberufen“ worden, um für das Mitmachen und Stillschweigen vereidigt zu werden.240 Später, während der sogenannten „wilden Euthanasie“ ab September 1941, erhielten die Krankenschwestern bei „politischer Zuverlässigkeit“ Tötungsaufträge von Ärzten.241 In der früher sogenannten „dritten Phase“ der wenig erforschten „Aktion Brandt“ gibt es Beispiele reisender Tötungsschwestern, die verwundeten Soldaten in Lazaretten und Militärkrankenhäusern den „Gnadentod“ brachten.242 Als erste stellte Birgit Breiding 1997 in der ersten und maßgeblichen Untersuchung über die „Braunen Schwestern“243 die „offene Frage“,244 ob insbesondere NS-Schwestern für die praktische Durchführung der „Euthanasie“ herangezogen wurden. Ihre Hypothese, dass dies so war, schloss sie aus der ideologischen Zusammengehörigkeit der NS-Schwesternschaft und der SS. Bis heute sei die praktische Organisationsstruktur der Tötungen nicht durchschaut, da sowohl in der Literatur als auch in den Nachkriegs-Verhören nie die Frage nach der Verbandszugehörigkeit der angeklagten Krankenpflegerinnen gestellt worden war. Während des Krieges arbeiteten in Krankenhäusern und Anstalten sowohl konfessionelle Schwestern der Inneren Mission 239 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Nie wieder mit diesem Beruf zu tun haben wollte nach dem Krieg eine Kollegin, die als 19-jährige Krankenschwester „Lebensborn“-Transporte aus Ostpreußen begleitet hatte und angeblich täglich verstorbene Säuglinge, die in den Waggons auf Stroh lagen, aus dem fahrenden Zug hinaus zu werfen hatte. Gespräch am 31.7.2007 mit der Krankenschwester Gertrud Knöttig, die 2007 Betriebsratsvorsitzende eines Oldenburger Krankenhauses und Vorsitzende des Gedenkkreises Wehnen war. 240 „Es war aber doch ein gewisser freiwilliger Zwang. Wir bekamen einige Minuten Bedenkzeit, es handelte sich aber nur um Minuten. Herr Blankenburg hatte während dieser Minuten den Raum verlassen. Wir haben unterdess nicht weiter über die Sache gesprochen. Niemand sagte, er könne es nicht. [...] Wir hatten ja keine Verantwortung, alles machten die Ärzte. Sehr wohl fühlten wir uns nicht, hatten jedoch keine sittliche Bedenken.“ In: Quelle Nr. 25. In: Gaida 2006, Pflegen und Töten, S. 160. 241 Ebd., S. 37. 242 �������������������������������������������������������������������������������������������� Lower 2014, Hitlers Helferinnnen, S. 160f. u. S. 300, Anm. 6, zum Fall der NS-Schwester Pauline K. 243 Breiding 1998, Braune Schwestern. 244 Ebd., S. 302, im Kapitel: Offene Fragen. Ihre offenen Fragen waren: „Wurden die NS.-Schwestern nur dann gerufen, wenn die örtlichen Pflegerinnen [...] sich weigerten, an den Tötungen mitzuwirken? Oder wurden sie generell bevorzugt eingesetzt als ‚vertrauenswürdiges Fachpersonal‘ in Sachen ‚Euthanasie‘, auf das sich die Organisatoren des Mordens besonders verlassen konnten? Wurden die NS.-Schwestern zur Kontrolle der örtlichen Pflegerinnen, die sich zur ‚Mitarbeit‘ bereit erklärt hatten, eingesetzt?“
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oder der Diakonie als auch NSV-Schwestern als Freie Schwestern („Blaue Schwestern“) und NS-Schwestern („Braune Schwestern“). Dass die Organisatoren der „Euthanasie“ – die auch nach der öffentlichen Gesetzgebung des „Dritten Reichs“ Mord blieb – „bewährtes und verschwiegenes Fachpersonal“ benötigten, ist nachvollziehbar. Diese besondere politische Vertrauenswürdigkeit einer „Eliteorganisation der SS“ genoss strukturell die NS-Schwesternschaft, so die 1997 aufgestellte Hypothese von Breiding, auf der ich 2007 die Nachlassauswertung gründete. Bei diesem Gedanken setzt auch eine aktuelle, weitere grundlegende Arbeit über die NS-Schwesternschaft an. Petra Betzien245 schloss 2018 mit ihrer Untersuchung über Krankenschwestern in Konzentrationslagern am Beispiel des KZ Ravensbrück eine schon lang konstatierte Forschungslücke246 zur Rolle der oft nur als „SS-Schwestern“ bezeichneten KZ-Krankenschwestern. Ihre Forschung, die 2011 begann, vergleicht sie im Rückblick „mit einem langen Weg, auf dem ein Sammler Mosaiksteine sucht, einsammelt und zu einem Bild zusammenfügt.“247 Schließlich kommt sie zum Ergebnis, dass in den KZ tatsächlich maßgeblich NS-Schwestern eingesetzt wurden.248 Zur Frage ihrer Rekrutierung konnte schon 2011 ein Detail aus den Lebenserinnerungen von Schwester Dorothee, die bis 1941 im Berliner Hauptamt für Volkswohlfahrt für die reichsweite NS-Schwesternkartei zuständig gewesen war, in der Arbeit von Betzien beitragen.249 Dasselbe Fragment war auch für die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück bedeutsam.250 Seit 2020 widmet sich ein neuer Ausstellungsschwerpunkt unter dem Titel Im Gefolge der SS dem weiblichen Personal des 245 Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ. 246 Dunja Martin erhielt 1994 in einem Zeitzeuginnengespräch bereits Hinweise auf KZ-Schwestern als „sog. ‚braune Schwestern‘, die Parteimitglieder waren und die ‚blauen‘ Schwestern, die zwar ebenfalls Mitglieder der NSDAP waren, aber nur als Interimskräfte einsetzt wurden“. In: Martin, Menschenversuche im Krankenrevier des KZ Ravensbrück; sowie Dies., Opfer medizinischer Experimente. In: Füllberg-Stolberg 1994, Frauen in KZ, S. 99–122 u. 113–122, Zitat auf S. 100. – Zum Begriff „SS-Schwestern“ vgl. Heike, ebd., S. 224. 247 Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ, S. 563. 248 Ebd., im Kapitel: Neuer Schwesterntyp – die NS-Schwesternschaft, S. 97–112. 249 Vgl. ebd., S. 183f. – An dieser Stelle möchte ich die Quellenangabe etwas genauer fassen, um sie besser auffindbar zu machen: Die Angabe „Bl. 30“ bezog sich in meiner Spurensuche auf „Lebensbericht, Blatt 30 (2. Version)“, bearbeitet im Kapitel II.B.Spur 4: „Vermittlung von NSSchwestern in Konzentrationslager“. – Im Quellenband Q1/Lebensbericht findet man jedoch nur „Q1/Blatt 30/(1. Version)“. Die von Dora P. verfasste zweite Version des Blattes Nr. 30 gehört nicht zum hier edierten Bessarabien-Konvolut. 250 Das Kapitel II.B.Spur 4 „Vermittlung von NS-Schwestern in Konzentrationslager“ wurde durch Vermittlung von Petra Betzien 2011 auch der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück im Rahmen einer Ausstellung zum Krankenrevier zur Verfügung gestellt. KZ-Krankenschwestern waren neben den SS-Ärztinnen und -Ärzten für die Organisation des Krankenreviers zuständig; zu den Krankenschwestern verfügte das Archiv der Gedenkstätte nur über spärliche Informationen. Ich danke Sabine Kritter, wiss. Mitarbeiterin der Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück, E-Mail vom 19.9.2011.
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Frauen-Konzentrationslagers.251 Noch in den 1980er Jahren hatte Dora P., ehemals NS-Oberin Rakow, regelmäßig Besuch von einer früheren NS-Schwester des KZ Ravensbrück,252 was auf nachhaltig bestehende Netzwerke deutet. Das Fehlen einer Mitgliederkartei der NS-Schwesternschaft konstatierte sowohl Birgit Breiding 1998 als auch noch Petra Betzien 2018 als bedauerlichen Missstand für die Forschung.253 Betzien konnte eine umfangreiche Namensliste von KZ-Krankenschwestern aus verschiedenen Quellen zusammenstellen. Auch aus dem Nachlass von Schwester Dorothee erschloss sich in teilweise detektivischer Arbeit ein Namensverzeichnis, das sich im Anhang befindet. Hier zeigt sich eine weitere historische Bedeutsamkeit dieser Dokumente. Ein Foto aus dem Nachlass zeigt 58 leitende NS-Schwestern in der „N.S.V.-Reichsschule Blumberg b. Berlin“254, die sich von 1935255 bis 1944256 in einem Schloss bei Ahrensfelde nordöstlich von Berlin befand. Vermutlich handelt es sich um die Teil251 „Von 1939 bis 1945 waren etwa 3.340 vorwiegend junge Frauen als Aufseherinnen im FrauenKZ Ravensbrück tätig. Das KZ Ravensbrück diente als Ausbildungsstätte für das weibliche Wachpersonal aller Konzentrationslager [...]. Am 25. Juli 2020 eröffnet in einem der acht ehemaligen Aufseherinnenhäuser eine neue historisch-dokumentarische Dauerausstellung zum Thema des weiblichen SS-Personals des Frauen-KZ Ravensbrück, die auf aktuellen Schwerpunkten der NS-Täterforschung basiert: Anwerbung, Motive und Karrieren der Aufseherinnen sind ebenso Thema, wie die Dienstverpflichtung, die Strafverfolgung und die Figur der SS-Aufseherin in der Populärkultur.“ In: Eschebach/Hurth 2020, Bilder, Stimmen Klischees (Ausstellungsprospekt). Kuratorin dieses neuen historischen Ausstellungsteils ist Simone Erpel. Renate J. stellte der Gedenkstätte Ravensbrück 2011 einen Brief der in Holland lebenden Freun252 ���������������������������������������������������������������������������������������������� din ihrer Mutter Dora P. aus ihrem Privatarchiv zur Verfügung, der mir 2007 noch nicht bekannt war: „Ich wusste nur, dass Frau T. in Ravensbrück gewesen war und ich wusste auch, dass meine Mutter einen ziemlich hohen Posten in der NS-Schwesternschaft in Berlin gehabt hatte und fand diese Freundschaft etwas pikant, habe die beiden aber auf diese Tatsache hin nicht angesprochen.“ Erst später führte diese Zeit „mit all den Vertuschungen“ zu Konflikten. Brief von Renate J. an Sabine Kritter, Gedenkstätte Ravensbrück, 18.11.2011. Ich danke Renate J. für die Kopie. 253 Ich danke Birgit Breiding, Universität Heidelberg, für unseren Austausch im Oktober 2016 und Petra Betzien für unseren Austausch 2011 und 2019. 254 Bezeichnung auf historischen Postkarten. Vgl. Ansichtskartenpool. URL: https://www.akpool. de/ansichtskarten/46889-ansichtskarte-postkarte-blumberg-ahrensfelde-b-berlin-reichsschule (Abruf 13.2.2021). 255 „1935 [...] Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt kauft das Blumberger Schloss nebst Park und richtet eine Reichsschule ein, in der NS-Schwestern ideologisch unterwiesen werden.“ Seit 1933 war hier ein Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD), davor eine „Gemeinnützige Siedlungstreuhandgesellschaft“, die der Soziologe Franz Oppenheimer 1931 in einem vormaligen Rittergut gegründet hatte. In: Lemke, Blumberg, in: Gemeinde Ahrensfelde (Hg.) 2006, Chronik Ahrensfelde, S. 36. 256 „Im Jahr 1935 kam das Schloss und sein Parkgelände in den Besitz der Nationalsozialisten. Es diente bis 1944 dem NSV-Reichsseminar, wurde dann von der Wehrmacht genutzt, was schließlich nach dem Einzug der Roten Armee am 20./21. April 1945 sein Ende bedeutete. Es wurde zerstört und die Ruinen später abgerissen.“ In: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/ Blumberg_(Ahrensfelde) (Abruf 13.2.2021).
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„Generaloberin u. Leitende Krankenhausschwestern zur Arbeitstagung in der Reichsschule Blumenhagen b./Berlin“258
[Beschriftung der Albumseite von Schwester Dorothee. Foto: Nachlass Dorothee Rakow]
Gemeint ist die NSV-Reichsschule Blumberg bei Ahrensfelde. 6. von links: Käthe Böttger (Reichsvertrauensschwester u. Generaloberin der NS-Schwesternschaft); 3. von links: Dorothee Rakow (2. Stellvertretung d. Generaloberin / Reichsleitung NS-Schwesternschaft)
nehmerinnen des „Lehrgangs für leitende Schwestern von Krankenhäusern, Krankenpflegeschulen und Jungschwesternheimen“ vom 2. bis 9. Mai 1937 in „Blumenberg [...] der parteiamtlichen Führerschule, Reichsschule der NS-Volkswohlfahrt“.257 Ob Blumenberg, Blumenhagen oder Blumberg, ist inzwischen geklärt.258 Der Teilnehmerliste dieses Kurses konnte Breiding Namen und Alter der leitenden NS-Schwestern entnehmen, allerdings waren „14 der 58 Teilnehmerinnen nicht zu ermitteln“, weil ihre Personalakten nicht vorhanden waren. Es gäbe dagegen Hinweise auf ihre vorsätzliche Vernichtung. Breiding fand keinen spezifischen Quellenbestand zum Thema „Braune Schwestern“ in den Archiven.259 Auch im Namensregister einer Darstellung des Bundesarchivs von 1988 über die Nationalsozialistische 257 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 161 (zitierte Quelle: Bundesarchiv BA NS 37/1030). 258 ���������������������������������������������������������������������������������������� Kommentar zu diesem Foto auf der Albumseite, handschriftlich von Dorothee Rakow. Das Album ist leider nicht mehr vorhanden, es wurden nur einzelne Seiten bewahrt, vermutlich nach 1989 aussortiert. 259 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zur Quellenlage ausführlicher ebd., S. 161 und 7f. Eine Mitgliederkartei der NS-Schwesternschaft suchte sie auch vergeblich im Berlin Document Center (BDC) im Bundesarchiv Berlin.
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Volkswohlfahrt (NSV) entdeckt man nur wenige weibliche Namen. Unter diesen wiederum ist weder Käthe Böttger als Generaloberin der NS-Schwesternschaft noch ihre Stellvertreterinnen wie Dorothee Rakow und auch keine der anderen NSOberinnen zu finden.260 Ihr Vorgesetzter, NSV-Leiter Hilgenfeldt war bekannt,261 und im abgebildeten Berliner Dienstgebäude262 der NSV war zeitweise oder parallel auch eine Adresse der „Abtlg. NS-Schwesternschaft.“263 Auf einem Gruppenfoto wird die Generaloberin sogar abgebildet, blieb 1988 aber noch unerkannt.264 Deutliche Geschlechterdifferenzen im weiblichen und männlichen Personal der NSV zeigten sich während der Umsiedlungsaktion: „Die Transportführung lag an der Reichsgrenze in den Händen der NSV. Über diese Männer selbst und ihr Verhalten ist nichts zu sagen. Erwähnt mag jedoch werden, dass sie sich keiner besonderen Beliebtheit erfreuen konnten. Die NS-Schwestern dagegen haben sich in jeder Beziehung außerordentlich verdient gemacht. Die Transportärzte haben sich anerkennend ausgesprochen. Das Gleiche gilt von den begleitenden Frauen der NSV und den ab Reichsgrenze eingesetzten Männern der Ordnungspolizei“.265
Weibliche SS Während die Rotkreuz-Schwestern aus der Tradition ihrer Lazarettarbeit der Wehrmacht zugeordnet waren und christliche Ordensschwestern kirchlichen Verbänden angehörten, war die „NS.-Schwesternschaft“266 ein Schwestern-Orden, der ideologisch dem SS-Orden mit seinem rassischen Elitegedanken nahe stand. Ein Orden ist eine geistige Gemeinschaft, die durch ein Gelübde und strenge Regeln gebunden ist. Im April 1937, also kurz vor der oben erwähnten Schulung von NS-Oberinnen in der NSV-Reichsschule, verkündete Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink die Zusammenarbeit der „totalitären Eliten“ SS und NS-Schwesternschaft.267 Hinter dem missionarischen Auftrag der NS-Gemeindeschwestern, „an alle Volksgenossen 260 Vgl. Personenregister. In: Vogtländer 1988, NSV, S. 542–544. 261 �������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 308, Dokument Nr. 117: Umwandlung der NSV-Schwesternschaft zur NS-Schwesternschaft auf Anordnung von Hilgenfeldt, 8.6.1934. 262 Ebd., Abb. 1: NSV-Dienstgebäude am Maybachufer. 263 Vgl. Q6/Brief 22, adressiert an: „NS Oberschwester Dorothea Rakow, Berlin Maybachufer, Reichsleitung d. N.S.V., Abtlg. N.S. Schwesternschaft“, 4.9.1941. 264 Ebd., Abb. 13: Generaloberin der NS-Schwesternschaft Käthe Böttger, 2. von links. 265 Bericht über die gesundheitliche Betreuung der Umsiedler aus Bessarabien auf dem Transport. In: Bundesarchiv Berlin R59/376, S. 25. – Ich danke Renate Kersting für diese Quelle, 28.1.2010. 266 ���������������������������������������������������������������������������������������� Diese Schreibweise aus der NS-Zeit – mit einem Punkt nach NS. – wird von Breiding durchgehend verwendet. Ich habe mich nicht an diese Regel gehalten, da diese Schreibweise auch in zeitgenössischen Quellen nicht immer so gehandhabt wurde. 267 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 267.
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die nationalsozialistische Weltanschauung im täglichen Kleinkampf des Lebens von Mensch zu Mensch heranzutragen,“268 stand schon 1935 die Glaubensmission der SS für ihre mitleidlose „geschichtliche Aufgabe“: „Jede Organisation ist nichts ohne die Kräfte, die sie ideenmäßig beseelt [...]. Wir müssen an uns selbst arbeiten. In unerhörter Selbstzucht müssen wir die ewigen Grundsätze der uns vom Führer gegebenen Weltanschauung in uns verankern und einhalten. Wir müssen uns erst einmal geistig g l e i c h r i c h t e n , daß jeder über jeden Gegner gleichmäßig denkt, ihn gleich grundsätzlich ablehnt, ohne persönlich egoistische und mitleidige Ausnahmen zu machen. Um unser Volk zu erhalten, müssen wir dem Gegner gegenüber hart sein [...] Und wir, die S.S., wollen dabei der weltanschauliche Stoßtrupp und die Schutzstaffel der Idee des Führers sein.“269
NS-Schwestern, schon 1938 verstanden als „weibliche Soldaten des Führers“270, wurden 1940 zum Auslandseinsatz „einberufen“.271 Ausgestattet mit „Sonderausrüstung“272 und Rucksäcken273, hieß es nun euphorisch: „Es geht an die Front“.274 Und die Führerin der NS-Schwesternschaft bei der Umsiedlungsaktion schrieb aus Rumänien nach Berlin: „Ich bin so froh, dass ich mal für längere Zeit in der Frontarbeit stehen darf. Ich hoffe, für die weitere Arbeit dabei sehr viel zu profitieren.“275 In ihrem Nachlass fand sich ein Presseausschnitt, auf dem fröhliche NS-Schwestern mit ihrer Sonderausrüstung für die Umsiedlungsaktion vor Männern in volkstümlichen Trachten abgebildet sind. Zurück „aus dem Einsatz bei der Rückführung von Volksdeutschen“ schrieb eine NS-Schwester Lore ein Gedicht über diese „Kriegstat“: „Wir waren dabei ... / Wir Schwestern marschieren im gleichen Tritt / wie Soldaten. / Wir waren dabei, wir halfen mit. / Wir haben zwar keine Schlachten geschlagen, / wir haben nie die Waffe getragen, / und haben doch eine Heeresmacht / dem Reich und 268 Ziele der NS-Gemeindeschwester, zit. nach ebd., S. 85 und S. 221. 269 Heydrich, Wandlungen unseres Kampfes, in: SS (Hg.) 1935, Schwarzes Korps [Sonderheft], S. 5, 18, 20. – Der Autor war SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, Chef des Sicherheitshauptamtes des Reichsführers SS. Ich danke Herrn Dr. Mönninghoff aus Wilhelmshaven für die Zusendung dieser Quelle, 3.7.2007. 270 Formulierung von NSV-Leiter Hilgenfeldt 1938, zit. nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 30. 271 Formulierung aus zeitgenössischen Quellen. In: Gaida 2006, Pflegen und Töten, Quellen 25 und 30. 272 „Sonderausrüstung“: Q2/Tagebuch, S. C16; sowie: Q2/Seite C17, C18; vgl. Kommentar zu Q5/ Foto C1. 273 NS-Schwestern in Rucksack-Montur: Q5/Foto C3; Q5/Foto C1. 274 Eine „Gauvertrauensschwester“ aus Thüringen meldete im April 1940 an die Generaloberin die „Mobilmachung“ von 40 NS-Gemeindeschwestern ihres Gaues für das Protektorat Böhmen und Mähren in soldatischer Sprache: „in Marsch setzen [...] Helle Begeisterung bei allen Kameradinnen [...] es geht an die Front.“ Zit. nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 262. 275 Aus: Q6/Brief Nr. 9: NS-Oberin Dorothee Rakow aus „Galatz, Dtsch. Umsiedlungslager“ an Generaloberin Käthe Böttger, Reichshauptamt für Volkswohlfahrt in Berlin, 1.11.1940.
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Einleitung dem Führer heimgebracht. / [...] Einen Heerbann, der Deutschlands Äcker soll pflügen, / der mit Sense und Spaten den Feind wird besiegen. / Den haben wir Schwestern in brauner Tracht, / dem Führer als unsere Kriegstat gebracht, / wie Soldaten.“276
Neben den Tätigkeitsfeldern in SS-Mütterheimen, SS-Lazaretten, SS-Junkerschulen und „in den besetzten Gebieten im Gefolge der Wehrmacht“277, im „Dienst bei Sonderaktionen“, z.B. bei der „Eingliederung der dem Reich zurückgewonnenen Gebiete“278, hatten NS-Schwestern nach Kriegsbeginn „Sondereinsätze“279 im Rahmen der „Heim ins Reich“-Umsiedlungen. Auch von „Erziehungs- und Pflegediensten […] nach der Eroberung und Besetzung Osteuropas“ ist die Rede,280 doch es fehlen konkrete Tätigkeitsbeschreibungen. Die Umsiedlungsstäbe waren von der SS aufgestellt, die Leitung der Umsiedlungskommandos hatten SS-Obergruppenführer. Doch die SS hatte im Krieg bekanntermaßen sehr mörderische Aufgaben. Wie verhielten sich die weiblichen Pendants dazu? Dazu vermutete Breiding: „Die Funktionen, die die NS.-Schwestern in Zusammenarbeit mit der SS erfüllten, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: zum einen in Funktionen, die öffentlich genannt wurden, und zum anderen in Funktionen, die in der Öffentlichkeit unerwähnt blieben, weil sie im Zusammenhang mit den Verbrechen des nationalsozialistischen Staates standen. In der Öffentlichkeit genannt wurde der Einsatz der NS-Schwestern in den ‚Mütterheimen der SS‘ und in den ‚Lazaretten der SS‘. Verschwiegen wurde der Einsatz der NS.-Schwestern bei den sogenannten ‚Euthanasie‘-Aktionen und in den Konzentrationslagern. Dazu gibt es keine Bilder in den Werbeschriften für die NS.-Schwesternschaft.“281
Die NS-Schwestern, die mit ihren „seelischen Kräften“ Menschen beeinflussen sollten, standen inmitten eines politisch gewollten Wertewandels in der Wohlfahrtspflege zugunsten der NS-Volkswohlfahrt: „Das Mitleiden mit den Betreuten hat jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin der NSV in der Tätigkeit auszuschalten“.282 Die 276 Q7/Berichte Nr. 11: Gedrucktes Blatt mit Foto aus dem Nachlass von Schwester Dorothee, Zeitungsausschnitt o.J., o.O. 277 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 316. Ebd., S. 85–86. Diese rätselhaften zeitgenössischen Formulierungen fand Breiding in einer Wer278 ���������������������������������������������������������������������������������������������� bebroschüre über den Einsatz der NS-Schwestern. 279 Ebd., S. 264. Breiding zählt aus einer Broschüre der NS-Schwesternschaft die Heranziehung von NS-Schwestern zu „Sondereinsätzen“ für die „Rückführung der Deutschen aus Bessarabien, Wolhynien und Galizien“ sowie Frankreich und Belgien auf. 280 Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 77: „Nach der Eroberung und Besetzung Osteuropas wurden dort Krankenschwestern im Erziehungs- und Pflegedienst eingesetzt.“ 281 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 266. 282 So NSV-Leiter Erich Hilgenfeldt, Vorgesetzter der NS-Schwesternschaft, zit. nach ebd., S. 28.
„Euthanasie“ und Umsiedlung: Stand der Forschung
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Autorin der aktuellsten Arbeit über die Krankenschwestern im NS-System widmete ihr Buch den mutigen Pflegekräften, die solche menschenverachtenden Forderungen verweigerten oder unterliefen. Petra Betzien zeigt NS-philosophische Aspekte moralischer Konditionierungen auf, die im gleichgeschalteten Berufsethos „Krankenpflegerinnen“ zu Patientenmörderinnen machen konnten. Die „NS-Moral“, zu der das „Leistungsprinzip“ und „Gemeinnutz“ gehörten, konnte die Berufstradition, die aus der christlichen Ethik der Fürsorge und Nächstenliebe entstanden war, nicht ganz verdrängen. Doch in der Tat konnte sich im Nationalsozialismus jenseits ethischer Grundlagen ein ganz „neuer Schwesterntyp“ herausbilden.283 Dieser neue Schwesterntyp der nationalsozialistischen Schwester war – wie die vorliegende Spurensuche zeigen wird – bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen in den Auffanglagern für die Säuglinge und Kinder bis zum vierten Lebensjahr zuständig. NSV-Leiter Erich Hilgenfeldt hatte 1938 einen „Internationalen Kinderschutzkongreß“ veranstaltet, den die NS-Oberin Dorothee Rakow mitorganisierte.284 Ihr Vorgesetzter hatte offensichtlich bereits Einblick in praktische Erfahrungen mit der Kinder-„Euthanasie“, als er 1943 schimpfte: „Entweder will man nicht, dass die Kinder am Leben bleiben – dann soll man sie nicht langsam verhungern lassen und durch diese Methode noch viele Liter Milch der allgemeinen Ernährung entziehen; es gibt dann Formen, dies ohne Quälerei und schmerzlos zu machen.“285
Diese zynische, vermeintliche Gutmütigkeit der ‚Herren über Leben und Tod‘, ihre Morde „schmerzlos“ zu gestalten, kann nur ein schwacher Trost sein für die heimtückisch getöteten Kinder und ihre Familien. Folgende Geschichte aus der Bessarabien-Umsiedlung wurde mir erzählt: Krankenschwestern nahmen den bessarabiendeutschen Frauen, die oft viele Kinder hatten, auf den Donauschiffen die kleinen Kinder ab. Das mag von den Müttern zunächst als Hilfe verstanden worden sein. Eine Mutter hatte ein Kind mit einem „Wasserkopf“. Eine Schwester nahm ihr das Kind beim Betreten des Schiffes ab und brachte es auf ihrem Arm an Bord. Später suchte diese Mutter ihr Kind vergeblich auf dem Schiff und fand schließlich die 283 Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ, Abschnitt 2 und 3, S. 35–112. Ausführlicher über den Zusammenhang zwischen Kinder-„Euthanasie“ und Kinderschutzkon284 ������������������������������������������������������������������������������������� gress vgl. hier im Kapitel II.B.Spur 3. 285 Erich Hilgenfeldt, Leiter des Hauptamtes für Volkswohlfahrt bei der Reichsleitung der NSDAP, Schreiben an den Reichsführer SS vom 11.8.1943 betr. die Versorgung der Kinder von ausländischen Arbeitskräften. Zit. nach Isabel Heinemann 2003, Rasse Siedlung, S. 503. – Weiteres ebd., zum Umgang der NSV mit ausländischen Kindern: ‚Gutrassige‘ Kinder von ausländischen Zwangsarbeiterinnen wurden den Müttern nach der Geburt genommen, in NSV-Pflege gegeben und in deutsche Pflegefamilien vermittelt (S. 502). 1942 kamen so ca. 10.000 uneheliche Kinder von deutschen Soldaten und russischen Frauen aus den besetzten Ostgebieten in NSV-Fürsorge, Kinder von SS-Vätern kamen in Lebensborn-Heime (S. 529).
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Einleitung
Krankenschwester. Ihre Antwort an die Mutter sei gewesen: „Ich habe es tun müssen […].“286 Mit diesem Hinweis einer Zeitzeugin, der mir im April 2007 gegeben wurde, startete wenige Tage später am 1. Mai 2007 das Forschungsprojekt mit der damals für alle noch völlig offenen Fragestellung unter dem Arbeitstitel: „Die Behandlung sog. ‚lebensunwerten Lebens‘ bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen im September und November 1940“.
286 Die Überlieferung dieser mündlichen Zeitzeugen-Erinnerung verdanke ich Elvire Bisle-Fandrich im April 2007. In den späteren Modulen, als ich begann, solche Hinweise systematisch zu dokumentieren und zu vertiefen, trug sie mit ihrem langjährigen Zeitzeugen-Netzwerk dazu aktiv bei. Diese Erzählung war die erste.
77 „Gerade die große Zahl der Zeugen entpuppte sich als Erschwernis, denn es war mehr als wahrscheinlich, dass die Missetäterin sich im Dunkeln immer wieder unters Volk gemischt hatte.“ Aus dem Kriminalroman „Aufruhr in Oxford“ von Dorothy Sayers, 1935287
3. Historiker als Detektive: Spurensuche als Methode Wissenschaftler bewegen sich im „Nationalsozialismus als Kriminalroman“.288 Bei der Suche nach verborgenen Verbrechen ging ich wie eine passionierte Detektivin vor, folgte Verdachtsmomenten und konstruierte Spuren. Mit einer Lupe, symbolisches Attribut der Detektive, betrachtete ich Details auf den alten Fotos. Zeitzeugen, die sich später auf meine Aufrufe für die weitere Forschung meldeten, nannte ich Hinweisgeber, so wie man es eher von Kriminalermittlern kennt. In Wahrheit war ich sowohl Hobby-Detektivin als auch Hobby-Historikerin. Auf den ersten Blick erschienen die Dokumente und Fotos aus dem Nachlass der NS-Oberin nichtssagend. Wie vorgehen? Zunächst sortierte und begutachtete ich sie und legte einen Katalog mit Signaturen für alle einzelnen Dokumente an. So entstand ein Quellen-Inventar, auf das ich bei der späteren Auswertung zurückgreifen konnte. Die Trennung in einen Quellenband und einen separaten Textband entspricht dem Arbeitsprinzip von Museen:289 Ein Lager mit signiertem Bestandsinventar ist so wichtig wie die Ausstellung, wesentlich ist die räumliche Trennung zwischen dem nicht Sichtbaren und dem Sichtbargemachten. Je nach Ausstellungsthema bedient man sich aus dem Fundus, die ausgewählten Objekte gewinnen eine Aussage. Die Dinge beginnen zu sprechen, indem sie in sinnhafte Beziehungen und Kontexte gesetzt werden. Auch in der kriminalistischen Spurensicherung wird zuerst systematisch gesichert. Jo Reichertz machte 2007 eine Feldstudie zum Prozess der Tataufklärung bei Kriminalermittlern, um die kriminologische Spurensuche mit der wissenschaftlichen zu vergleichen. Am Tatort wird Gefundenes dokumentiert als „Spur 1, Spur 2, Spur 3 ...“, um ihnen erst später – möglicherweise – eine Bedeutung geben zu können, „denn die Spur ist nicht gegeben, sondern allein eine Fülle von Eindrücken, die vor dem Hintergrund des Wissens geordnet werden muss und dann erst Sinn macht.“ Im Ergebnis stellte Reichertz fest: Spuren werden „entgegen tiefsitzenden (auf die poetische Kri287 Sayers, o.J. [1935], Aufruhr in Oxford, S. 201. An einer Stelle dieses englischen Krimnalromans griff Dorothy L. Sayers die zeitgenössische Eugenik-Debatte zur damals aktuellen NS-Gesetzgebung auf. 288 Saupe 2009, Historiker als Detektiv. 289 Vgl. Kraus/Kohtz (Hg.) 2012, Geschichte als Passion. Interview mit Museumsleiterin Anke te Heesen im Kapitel: Erkennen und Begrenzen, S. 71–108, Zitat auf S. 80.
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Einleitung
minalliteratur zurückgehenden) Missverständnissen von den Fahndern nicht einfach entdeckt und gelesen, sondern sie werden von ihnen konstruiert.“290 Eine wichtige Rolle bei der Konstruktion von Ordnungsmustern – bei der Polizei ebenso wie in Museen – spielt die Intuition.291 Spuren sind wahrgenommene Eindrücke: „Eine Spur entsteht durch einen einmaligen Eindruck, eine Bahn oder ein Pfad durch wiederholte Bewegung auf einer Strecke. […] Nur der Eindruck, wie hauchdünn auch seine Substanz zu sein scheint, wie ungreifbar seine Spuren, ist ein Kriterium der Wahrheit“.292 Es sei mir verziehen, wenn ich beim Spurenlesen in der „verborgenen Geschichte“ möglicherweise auch falschen Eindrücken und falschen Fährten nachging. Denn Spurenlesen „ist die ‚Kunst des (intelligenten) Vermutens‘, ein Können also, das unter bestimmten Umständen zu neuem Wissen führt – uns aber auch dessen Grenzen spüren läßt.“293 2007 – zufällig im Entstehungsjahr dieses Forschungsprojekts – dachten Mitarbeiter des „Helmholtz Instituts für Kulturtechnik“ über „die Spur“ und die „Wissenskunst“ des Spurenlesens nach.294 Eine „Avantgarde-Rolle für die Rehabilitierung des Spurenlesens als einer wissenschaftlichen Methode“ bekamen „Spurensicherungen“ als ästhetische Erfahrung in der arte povera der 1970er Jahre.295 In den 1980er Jahren wurde die Kulturtechnik der Spurensicherungen296 als „Indizienparadigma in den Humanwissenschaften“297 erkannt, das zum Ende des 19. Jahrhunderts auftauchte. Seit dieser Zeit suchten und erkannten gleichermaßen Psychoanalytiker, Kunstwissenschaftler und die Detektive der Kriminalliteratur in ganz nebensächlichen Details „Indizien“ für verborgene Vergangenheiten, aus denen dann komplexe Zusammenhänge erkannt bzw. konstruiert wurden. So bekommt die Spurensuche als Methode eine gesellschafts-psychologische Funktion, indem „das Verdrängte und Unbewusste des historischen Gedächtnisses“298 wiedererkannt und analysiert 290 Reichertz, Spur des Fahnders. In: Krämer/Kogge/Grube (Hg.) 2007, Spur, S. 309–332, Zitat auf S. 314f., 324. 291 Zur Rolle der „Intuition“ beim Schaffen von „Ordnungsmustern“ in der musealen Ausstellungspraxis vgl.: Interview mit Museumsleiterin Anke te Heesen, in: Kraus/Kohtz (Hg.) 2012, Geschichte als Passion, S. 88f. 292 Assmann 2007, Der lange Schatten, S. 128 und 130. Das letzte Zitat aus Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (Roman). 293 Sybille Krämer: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? In: Dies./ Kogge/Grube (Hg.) 2007, Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, S. 11– 36, Zitat auf S. 21. – Die Autoren sind Mitarbeiter des Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik. 294 Krämer unterscheidet mindestens fünf Traditionen und Felder von Bedeutsamkeit der „Spur“, die zu den „Wissenskünsten des Spurenlesens“ gehören: Spürsinn, Spur der Erinnerung, Metaphysik der Spur, Indizienparadigma, wissenschaftliche Visualisierung, ebd., S. 21–27. 295 Ebd., S. 20, im Abschnitt: Spurensicherung als Kunst und als ästhetische Erfahrung. 296 Vgl. Ginzburg 1988, Spurensicherungen. 297 Zu Ginzburg vgl. Krämer 2007, Spur, S. 168ff., Zitat auf S. 168. 298 Saupe 2009, Historiker als Detektiv, S. 13. – Saupe weist auf einen interessanten Kulturvergleich hin: In Frankreich sei Geschichtsschreibung Kunst, in Deutschland Handwerk, ebd., S.14.
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wird, oder auch eine metaphysische Dimension, denn Bilder aus dem Unbewussten zu formen, ist ein ästhetischer Erkenntnisprozess. So gesehen, „handelt es sich bei der Geschichtsschreibung nicht um eine Wissenschaft, sondern um eine Kunst“, denn ähnlich wie Künstler offenbaren Historiker „das Schweigen der Quellen“.299 2012 wurden die praktischen Arbeitsweisen der Geschichtsforschung eruiert, die „Geschichte als Passion“300 betreiben.
Aufklärung Achim Saupe zeigte 2009, wie „der Historiker als Detektiv und der Detektiv als Historiker“ sich historisch im Zeitalter der Aufklärung entwickelten. Im Mittelalter erpressten inquisitorische Strafgerichte durch Folter Schuld-‚Geständnisse‘ – und die Historiker alter Zeiten ‚urteilten‘ wie Richter über den Wahrheitsgehalt antiker Quellen. Nach der französischen Revolution entstand im 19. Jahrhundert vor Gericht der Beweis durch „Indizien“ als Fortschritt der Strafrechtsreformen. Um Verbrechen aufzuklären, musste nun der Untersuchungsrichter quasi wie ein Historiker vorgehen. – Auch die Historiker entwickelten im Zeitalter der ‚Aufklärung‘ ein neues Selbstverständnis: quasi gleich Detektiven und Untersuchungsrichtern unterzogen sie „die Quellen einer umfassenden Prüfung, [...] um dann innerhalb einer freien Beweisführung eine These, die im Hinblick auf eine leitende Idee entworfen wurde, per Indizienverfahren darzulegen. [...] Historiker begriffen sich nun als Zuarbeiter für eine Wahrheitsfindung vor Gericht, die ihre Ergebnisse der Erinnerungs- und Forschungsgemeinschaft überstellten, welche als Geschworenengericht über seine Erkenntnisse tagt.“301
Dieses Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft mit Historikern, die ‚Detektive‘ und ‚Untersuchungsrichter‘ sind, bestimmt die Historiografie bis heute. Doch liegt nach Saupe im ‚kriminalistischen‘ Zugriff auf die Vergangenheit ein Problem: „Deutlich wird dies insbesondere angesichts der Geschichte des Holocausts, bei der ein kriminalistischer Zugriff auf die Zeugnisse, Erzählungen, die Zeugnisliteratur, Memoiren und Tagebücher der Überlebenden trifft, deren Erfahrungen und deren Geschichten kaum mit kriminalistischen, weil immer auch kriminalisierenden Methoden zu rekonstruieren sind.“302
299 Kraus/Kohtz 2012, Geschichte als Passion, im Abschnitt: Zwischen Leichen und Dämonen. Dem Schreiben von Geschichte auf der Spur, S. 7–37, Zitat auf S. 12. 300 Kraus/Kohtz 2012, Geschichte als Passion. 301 Saupe 2009, Historiker als Detektiv, S. 472f. Saupe bezieht sich hier auf Michel Foucault. 302 Ebd., S. 478, sowie die Zitate im folgenden Absatz.
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Einleitung
Auch die Wurzeln des problematischen Verhältnisses zu Zeitzeugen als historische Quelle begründet Saupe historisch, denn mit dem Indizienparadigma des 19. Jahrhunderts war eine „Abwertung des ‚Geständnisses‘ und historischer Zeugenschaft“ verknüpft. Die Geschichtswissenschaft müsse daher eine grundsätzlich andere Einstellung gegenüber den „Subjekten ihres Erkenntnisinteresses“ finden, ohne die kritischen Prinzipien über Bord zu werfen. Saupe erkannte die Entwicklung einer sogenannten „neuen Täterforschung“ in der NS-Geschichtsschreibung. Beim Versuch, Gewalt und Schrecken des NS-Regimes begreifbar zu machen und Empathie mit dem Geschehenen zu erzeugen, griffen diese Historiografien stilistisch auf literarische Vorbilder des Detektivromans zurück, wie er an den prominenten Werken von Goldhagen oder Browning aus den 1990er Jahren zeigt.303 Dieser „konsequenten Kehrtwende“ in der NS-Täterforschung ging nämlich voraus, dass die „in Verwaltungsdeutsch geschriebenen historiographischen Texte“ über den Holocaust – in gewisser Ähnlichkeit mit der „distanzierten Einstellung eines Ausrottungsverwalters“ – eine „Neutralisierung des Schreckens“ bewirkt hatten.304 Um das Grauen der konkreten Schicksale neu begreifbar zu machen, braucht es „geschichtspoetologische Verstehensmuster“305, die durchaus der Populärkultur entlehnt sein dürfen. In den 1990er Jahren löste dies unter Historikern noch Kontroversen aus. In den Debatten um die „willigen Vollstrecker“306 erkannte der kanadisch-deutsche Literaturwissenschaftler Fred Kautz biografische Befangenheiten der German Historians.307 Er zeigte, dass die prominenten deutschen Vertreter einer „zum akademischen Denksport heruntergekommenen Holocaust-Forschung“ aus der biografischen Perspektive der ehemaligen „Flakhelfergeneration“ als hochrangige Historiker die Regeln und Sichtweisen der Geschichtsschreibung in Deutschland vorgaben 303 Ebd., S. 449. Saupe erkannte literarische Stilelemente in zwei Fallstudien über NS-Täter aus den 1990er Jahren: Daniel Goldhagen („Hitlers willige Vollstrecker“) mit einer Aufreihung „enervierender Schreckensberichte“ für seine Leser und Christopher R. Browning („Ganz normale Männer“) mit einem narrativen Einstieg als Stilelement wie in einem Thriller. 304 Ebd., S. 448. – Saupe bezieht sich hier auf Saul Friedländer: Der Holocaustforscher hatte 1992 eine Debatte über die Darstellbarkeit des Holocaust initiiert und dabei die emotionslose Sprache in der historischen Forschung kritisiert. 305 Ebd., S. 469. 306 Vgl. Samuel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996. [Originalausgabe: Hitler’s Willing Executioners. New York 1996]. – Das Buch löste in den 1990er Jahren die sog. „Goldhagen-Debatte“ aus. 307 Kautz 2002, Sperrfeuer. – Der Begriff German Historians stammt aus der englischen Fassung. Kautz befasste sich mit der Debatte, die das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ des Amerikaners Daniel Goldhagen 1996 unter Historikern ausgelöst hatte. „So problematisch es ist, über ‚die deutschen Historiker‘ zu sprechen. [...] Die Art und Weise, wie sie sein Buch in Grund und Boden verdammten, ließ allzu deutlich erkennen, dass sie auf ihn nicht als Spezialisten – also Historiker – sondern als Deutsche reagiert haben, deren Biographien in unterschiedlich starker Ausprägung mit dem Nationalsozialismus verbunden sind.“ Ebd., S. 9.
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und die nachfolgende Generation die Kritik an den Lehrmeistern scheute.308 Hinter ihrer nüchternen Sprache in diesem „gescheiterten Dialog“ blieben die Abgründe der NS-Verbrechen verborgen: „Man kann zwar als ‚gelernter Historiker‘ ohne Bezugnahme auf sein ‚Ich‘ über den Abgrund hinwegreden, mehr noch, man kann sich durch diese Sprechweise fast vergessen machen, dass es ihn gibt, aber er besteht dennoch weiter und verschwindet nicht. [...] Gefühl, Wille und Verstand [...] müssten sich gegenseitig durchdringen, um die kulturelle Leistung historischen Erinnerns zu vollbringen. [...] Somit ist der Historiker nicht nur Fachmann, sondern auch Nachgeborener. Er verstößt gegen seine Forscherpflicht, wenn er [...] meint, seine Arbeit erschöpfe sich in ‚nüchterner Aufarbeitung‘. […] Die Toten fordern unseren Respekt, sie geben sich nicht mit einem beiläufigen Gruß zufrieden.“309
Historisches Erinnern will als kulturelle Leistung vollbracht werden. Die hier vorliegende Spurensuche entstand – wie oben bereits beschrieben – in einem gewissen autodidaktischen Freiraum. Als wissenschaftliches Methodenexperiment mit fragmentarischen „Spuren“-Kapiteln ist sie in der NS-Historiografie daher der „neuen Täterforschung“ zuzuordnen.
Innere Dialoge Ganz ähnlich wie bei der Lektüre eines Romans befand ich mich beim Lesen und Auswerten der alten Tagebucheinträge, Briefe, Berichte der NS-Schwestern nach einer Weile wie eine stumme Zuhörerin inmitten ihres sozialen Gefüges. NSSchwestern tauschten sich persönlich, kollegial oder vertraulich miteinander und übereinander aus, sprachen sich mal mit Vor-, mal mit Nachnamen, mal mit beiden Namen an, und erst mit Hilfe einer Tabelle gelang es mir nach und nach, ihre vollen Namen und Funktionen zusammenzuführen und zu entschlüsseln. Diese NamensDatenbank enthält sämtliche im Bessarabien-Konvolut vorkommenden Personen und gedieh schließlich zu einer eigenständigen Quelle für deren Auswertung. Außer den wiederholt von mehreren NS-Schwestern angedeuteten „schwierigen Aufga308 Vgl. Kautz 2004, Glashaus, S. 19. Untertitel: Von der Suche der Deutschen nach einer passenderen Vergangenheit. 309 Kautz 2002, Sperrfeuer, S. 113 und 114. – Zum Hintergrund: Kautz, ein deutsch-kanadischamerikanischer Literaturwissenschaftler mit bessarabiendeutschen Wurzeln, mischte sich in die Goldhagen-Debatte ein, um den Amerikaner Goldhagen, der jüdische Wurzeln in der Bukowina hat, zu verteidigen. Das „NS-Migrationsregime“ (Oltmer) hatte beide auf einen anderen Kontinent geführt. Ich danke Fred Kautz für unsere Zusammenarbeit bei einer interessanten Fallgeschichte aus seiner Familie im Projekt Verschwundene Umsiedler (BKM-Modul III), fruchtbare Kritiken und Diskussionen und auch für seine wertvolle Hilfe als Dolmetscher meines englischen Vortrags in Oxford 2011.
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Einleitung
ben“ oder „schweren Aufgaben“, die für uns nachgeborene Leser an keiner Stelle näher erklärt werden, klingen die Briefe und Berichte harmlos. Meine Leitfrage nach möglichen Mord-Taten, nach irgendwelchen Einbindungen in die damalige „Euthanasie“-Praxis, stellte ich an jede einzelne Quelle. „Für den Historiker fungiert nichts als Beweis, was er nicht durch seine Fragestellung zu einer Antwort herausgefordert hat. Der Prozess des Fragenstellens wird dabei als ein innerer Dialog und weniger als ein Dialog mit anderen Wissenschaftlern verstanden.“310
Doch in diesem inneren Dialog findet gleichzeitig „die intersubjektive Dimension historischer Forschung im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Tradition wie mit den Fachkollegen“ statt. In Kriminalromanen wird dieses Prinzip der Rhetorik in der Tradition altgriechischer Philosophen als Erkenntnisvorgang in dialogisch agierenden Detektivfiguren wie Sherlock Holmes und Dr. Watson angewendet. Aber auch in der Wissenschaft kann „Geschichtsschreibung als detektivische Erzählung“ verstanden werden, wie Achim Saupe es faszinierend zeigt.311 In ihrem Bessarabien-Tagebuch können wir dem ‚inneren Dialog‘ der NS-Oberin lauschen. Die Teile in Deutscher Schrift scheint sie teilweise für eine öffentliche Leserschaft geschrieben zu haben, als habe sie ein Buch über die Reise geplant, jedoch dieses Konzept nicht durchgehalten. Ganz sicher können wir davon ausgehen, dass der stenografierte Teil des Tagebuchs nicht für andere Leser bestimmt war. Die alte Version der Kurzschrift Stolze-Schrey hatte Dorothee Rakow noch als junges Mädchen 1916 gelernt. Für Experten der Version von 1925 ist sie schon nicht mehr lesbar. Auch 1940 war es schon eine Art Geheimschrift, denn in den1930er Jahren wurde in Deutschland die Deutsche Kurzschrift verbindlich.312 Erst nach längerer Suche nach einem Schriftexperten konnten 2007 diese Passagen doch noch entschlüsselt werden.313 Nur in ihren Stenografie-Passagen nannte die NS-Oberin Namen.
310 �������������������������������������������������������������������������������������������� Saupe 2009, Historiker als Detektiv, S. 225, im Abschnitt: Geschichtsschreibung als detektivische Erzählung. Saupe bezieht sich auf die aristotelische Erkenntnislehre, nach der jedes Beweisverfahren „als grundlegenden Kern“ eine rhetorische Dimension hat (S. 45): „Vorbild dieser Selbstbefragung sind die sokratischen Dialoge, in denen Denken als Frage-und-Antwort-Prozess und als ‚Dialog der Seele mit sich selbst‘ verstanden wird“ (S. 225). 311 Zitate im letzten Absatz ebd., S. 225 und Anm. 35. 312 Vgl. Strassner 1949, Kurzschriftlehre. 313 Ich danke dem Netzwerk in der Deutschen Stenographenvereinigung für die Unterstützung. 2007 feierte der bundesweite Verein zufällig sein 100-jähriges Jubiläum in Oldenburg. Unter den Mitgliedern war ein NS-Zeitzeuge, der 1941 bei der Marine mit Morsezeichen die Predigt des Bischofs von Galen gegen die „Euthanasie“-Aktionen heimlich verbreitet hatte. In den 1930er Jahren war Dr. Mönnighoff Sieger im Reichsberufswettkampf der Stenografen. Er klärte mich über damals übliche Verschlüsselungspraktiken von Geheimbotschaften in Briefen auf. Ausführlicher in den einleitenden Anmerkungen in: Q2/Tagebuch.
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Die Suche nach der Wahrheit Einem Mordverdacht 70 Jahre nach dem Geschehen nachzugehen, ist eine wissenschaftliche Herausforderung. Umgekehrt gingen die polizeilichen Ermittler im aktuellen Fall eines „Klinikmörders“314 mit wissenschaftlichen Methoden einem Verdacht nach, dessen unfassbare Dimensionen lange in der Vergangenheit verdeckt lagen. Ein Krankenpfleger war 2005 ‚auf frischer Tat‘ bei der Tötung eines Patienten ertappt worden, worauf er wegen Mordes bereits 2006 verurteilt wurde. Nur auf jahrelanges hartnäckiges Drängen von Angehörigen, deren Mordverdacht sich auf etliche noch frühere Todesfälle bezog, wurden seit 2014 weitergehende Ermittlungen von einer Sonderkommission der Kriminalpolizei angestellt, die bis 2018 andauerten und nach zahlreichen Exhumierungen tatsächlich an die 100 weitere Morde auch in anderen Häusern seit 1999 durch denselben Krankenpfleger belegten: Ein Problem der Ermittlungen zu dieser „größten Mordserie Deutschlands“315 war – ähnlich wie bei meiner eigenen Spurensuche nach über 60 Jahren – auch hier der zeitliche Abstand: „Was hatte er wo getan, was konnte man ihm zehn oder 15 Jahre nach einer Tat noch nachweisen? Noch nie hatte es eine vergleichbare Ermittlung gegeben, in Deutschland nicht und auch anderswo nicht.“316
Die „Internationale Mordermittler Gesellschaft“317 befasste sich 2019 mit den Methoden der Oldenburger Sonderkommission, die erfolgreich waren. Denn schließlich hatte sich der Verdacht tatsächlich bestätigt, dass H. schon etliche Jahre vor seiner Verhaftung, etwa seit 1999, unzählige Patienten in Krankenhäusern getötet hatte. Über 100 Einzelfällen war man konkret nachgegangen, 85 Morde konnten am Ende des Prozesses nachgewiesen werden, die wahren Dimensionen blieben jedoch offen. Es war der größte Prozess gegen einen Serienmörder seit den Nachkriegsprozessen in Deutschland, das Interesse der in- und ausländischen Medien am Gerichtsprozess war entsprechend groß.318 Von Oktober 2018 bis Mai 2019 waren 23 Verhandlungstage für den Prozess der Wahrheitsfindung angesetzt. Die Verurteilung des Täters war längst nicht mehr das Ziel der Verhandlung, da er bereits in zwei vorausgegangenen 314 Oft verwendeter Begriff in der Presseberichterstattung, vgl. Krogmann 2019, der Fall Högel. 315 Krogmann, größte Mordserie, NWZ, 26.8.2017, S. 17 (chronologische und topographische Rekonstruktion 1994–2018). Vgl. Ders. 2021, Todespfleger. 316 Krogmann, Tipps aus Oldenburg fürs FBI, NWZ, 25.7.2019, S. 13. 317 Die „International Homicide Investigators Association“ in Texas/USA veranstaltet unter Federführung des FBI internationale Mordermittler-Konferenzen, vgl. URL: www.ihia.org (Abruf 25.7.2019). Am 5.8.2019 stellte der Leiter der Oldenburger Sonderkommission in den USA die Ermittlungsmethoden im Fall des Oldenburger Klinikmörders vor. 318 Vgl. Krogmann 2018, Der Fall Högel, Multimedia-Reportage der NWZ zum Gerichtsprozess des Landgerichts Oldenburg von Oktober 2018 bis Juni 2019. In: URL: www.nwzonline.de/ krankenpfleger-prozess (Abruf Juni 2019). Der Redakteur wurde für seine Investigationen im Fall Högel ausgezeichnet.
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Prozessen die in Deutschland mögliche Höchststrafe bekommen hatte. Nun sollte es – wiederum nur auf Initiative von Angehörigen der Ermordeten, die Druck auf die Staatsanwaltschaft ausgeübt hatten – darum gehen, zu verstehen, wie es möglich war, dass Patientenmorde in Krankenhäusern so lange unentdeckt blieben. Zum Auftakt dieses dritten Gerichtsprozesses, der wegen des öffentlichen Interesses in einem großen Veranstaltungszentrum stattfand, wurde angesichts der zahlreichen Angehörigen, die als Nebenkläger im Saal saßen, eine Gedenkminute für die ermordeten Patienten eingelegt und die über 100 Namen einzeln verlesen.319 „Fand dieses Gedenken vielleicht deshalb in einem Gerichtssaal statt, weil es von dort, wo es eine Gedenkinitiative hätte geben sollen – z.B. von Kirche oder Stadt – kein Gedenken an die Mordopfer in den Krankenhäusern gab?“320 Zwei Jahre nach dem Prozess refklektierte ein Theaterstück genau diese Leerstellen und füllte die Lücken mit Sprache.321 Der nächste Schritt auf diesem Weg ins kulturelle Gedächtnis wird ein Spielfilm sein.322 Doch 2018 ging es nach der Schweigeminute im Gerichtssaal vorerst noch um „die verzweifelte Suche nach der Wahrheit“.323 Unter einem zahlreichen Publikum nahm auch ich als Prozessbeobachterin an allen Verhandlungstagen teil. Es interessierte mich, welches Gedankensystem hinter den aktuellen Patientenmorden stand. Gab 319 Das Totengedenken am 30.10.2018 war ein Novum in der Gerichtspraxis. Im selben Jahr erkannte die Justiz die NS-Patientenmorde in der Wehner Heil- und Pflegeanstalt erstmals offiziell an. Nach der Ausstrahlung des TV-Spielfilms „Ich werde nicht schweigen“ (Regie: Esther Gronenborn, ZDF/arte 2017), dessen Handlung in der ehem. Heil- und Pflegeanstalt Wehnen spielt, hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Vgl. dazu: Justiz bestätigt Morde in Wehnen. NWZ, 30.10.2018; sowie: Anerkennung für die Opfer erst sehr spät. Warum die Staatsanwaltschaft 70 Jahre nach den Taten noch einmal ermittelt hat. NWZ, 8.11.2018, S. 13. 320 Sinngemäß zitiert aus dem Theaterstück „Überleben“ der Göttinger werkgruppe2, die den Gerichtsprozess verfolgt hatte und sich in einer Inszenierung des Staatstheater Oldenburg mit dem Oldenburger Klinikmordprozess auseinandersetzte. Nach der erfolgreichen Premiere am 29.2. 2020 fielen weitere Vorführungen wegen der Corona-Pandemie aus. Trotzdem wurde das Stück im Februar 2021 für einen Preis nominiert. Das Stück bot keine Bühne für den Mörder, sondern konzentrierte sich auf das Ausloten des Erlebens der Angehörigen und der Überlebenden der Mordversuche, außerdem auf die Aufgabe, Formen und Symbole des Gedenkens zu finden und als Schauspieler gleich Stellvertreter der Opferangehörigen „unmittelbar künstlerisch zu intervenieren“. Roesler 2020, Überleben. Programmheft zum Theaterstück, S. 15. 321 „Von Lücken sind das Geschehen und die Aufarbeitung geprägt. Das Theaterstück ‚Überleben‘ sammelt und ordnet dieses Nicht-Wissen: die Leerstellen, die fahrlässigen Unterlassungen, die aufgestauten Emotionen, die unbeachteten Erinnerungen.“ Schulz, NWZ, 25.2.2020, das Unfassbare erzählen, S. 12. 322 Letterbox-Filmproduktion, Hamburg, Regie: Esther Gronenborn und Sönke Lars Neuwöhner. Der Spielfilm „Das weiße Schweigen“ wurde nach der Premiere am 25. Juni 2022 auf den Münchener Filmfestspielen für den Deutschen Fernsehpreis 2022 nominiert. Ich danke der Produzentin Nadine Lewerenz für ihr Interesse an den Protokollen, die bei meiner Prozessbeobachtungen anfertigte, sie konnten dem Autorenteam 2020 als Anregung dienen, E-Mail 5.2.2021. 323 Wiederholter Appell des Richters Sebastian Bührmann während der Verhandlungstage.
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es Bezüge zu den historischen Patientenmorden der NS-Zeit? Immerhin stammte der Mörder aus einer Familie von Pflegern und Krankenschwestern, die teilweise noch in der NS-Zeit geprägt sein mussten. Auch interessierte mich der lange ‚Prozess‘ der Aufklärung, bei dem wissenschaftliche Expertisen mehrerer Fachdisziplinen herangezogen wurden, sowie mögliche Parallelen zu meiner Spurensuche. Aus den Erkenntnissen, die ich aus der Prozessbeobachtung gewann, lassen sich in drei wesentlichen Aspekten nachträglich Rückschlüsse auf die Ergebnisse meiner Spurensuche von 2007 ziehen und auch Parallelen in der Schwierigkeit der Aufklärung finden: 1. Aspekt: Konstrukte und ihre Dekonstruktion Der „Klinikmörder“ zeigte sich in seiner Verhandlung 2018 ähnlich undurchschaubar wie es für mich 2007 die Briefe und Tagebücher der NS-Schwestern gewesen waren. Er galt als gesellig und kompetent, einige Ärzte hatten seine Reanimationskünste geschätzt. Vor Gericht schien er kooperieren zu wollen, um zur Aufklärung beizutragen, den Angehörigen zuliebe versuchte er, sich an jeden einzelnen Fall zu erinnern. Doch blieb dabei trotzdem bis zuletzt sein persönliches Motiv schwer zu greifen, seine Taten blieben für alle „unfassbar“.324 Als Methode vor Gericht spielte das Prinzip der Dekonstruktion eine Rolle, um Möglichkeiten einzukreisen. Sowohl Darstellungen des Täters als auch hypothetische Grundannahmen der Ermittler wurden nach und nach dekonstruiert – einige sofort, andere erst am Ende des langen Prozesses. Relativ schnell wurden Bezüge zu (aktuellen) „Euthanasie“-Motiven ausgeschlossen: Gegen Sterbehilfe aus Mitleid sprach, dass er Patienten zu Tode brachte, die nach erfolgreicher OP auf dem Weg der Besserung waren. Als zweites wurde die Hypothese eines geheimen Netzwerks von Mittätern verworfen, nachdem Ermittler nach akribischen Dienstplananalysen und Todesfallstatistiken eindeutige Häufungen bei Anwesenheit des „Todespflegers“ festgestellt hatten. Eine sehr bedeutsame Dekonstruktion vollzog sich erst gegen Ende des Prozesses, nachdem Gutachter verschiedener Fachdisziplinen ihre Expertisen aus jahrelanger Prüfung sämtlicher Einzelfälle vorstellten. Nach Analyse aller Krankenakten, fast 100 Exhumierungen und Obduktionen widerlegten die Expertisen u.a. die aktuelle Darstellung des Täters, er habe keine wachen, ansprechbaren Patienten umgebracht, sondern nur sedierte. Über viele Jahre hinweg hatte sich im Bild der Öffentlichkeit ein psychologisches Tatmotiv bereits verfestigt, das kaum noch hinterfragt wurde: Nur aus krankhaftem „Narzissmus“ habe der junge „Rettungsrambo“ mit medikamentösen „Manipulationen“325 gefährliche Krisen bei seinen Opfern ausgelöst, um den Kollegen seine Reanimationskünste vorzuführen, was dann teilweise misslang, 324 Begriff aus der Ansprache des Richters Sebastian Bührmann an den Angeklagten. 325 ���������������������������������������������������������������������������������������� „Narzissmus“, „Rettungsrambo“, „Manipulationen“, „Klinikmörder“ waren wiederholt verwendete Begriffe im Prozess und in den Medienberichten. Notizen im eigenen Gerichtsbeobachtungsprotokoll.
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also juristisch genaugenommen Totschlag statt Mord wäre. Diese langlebige Version wurde erstens aus den Krankenakten medizinisch widerlegt, da teilweise nicht reanimiert worden war, zweitens durch die psychologischen Gutachten. Nach vielen Jahren der Therapie in der Haft waren mehrere Psychologen zum selben Resultat gekommen: Narzissmus könne die Taten nur zum Teil erklären: „Über seine wahre Motivation wollte der Angeklagte nicht sprechen“.326 Ein Experte vom „Zentrum für Aussagepsychologie“,327 der die Aussagen des Täters während des Prozesses beobachtete und analysierte, entdeckte seine „Konstruktionsfehler“. Eine „Lügenbereitschaft“ habe er schon früher gezeigt, indem er Taten nur zugab, nachdem man sie nachgewiesen hatte. Selbst das sehr gute Zeugnis, mit dem man den schon lange verdächtigen Pfleger entließ, bevor er im nächsten Krankenhaus weitermordete, war ein unehrliches Dokument. Die Wahrheit wurde nicht allein vom Täter vernebelt. Als Fazit zeigte sich hier, dass mit Lügenkonstrukten falsche Motive und falsche Bilder konstruiert werden, um die wahren Motive für die Krankenmorde bzw. die Patientenmorde an sich zu verschleiern und die eigentliche Aufklärung zu verhindern. Übertragen auf die NS-„Euthanasie“ kann man bei den Akteuren von 1940 ebenso mit Vernebelungstaktiken und Lügenkonstrukten rechnen, die das wahre Geschehen bis heute verschleiern, da die Beteiligten wissen: Mord verjährt nicht. Die einzige Chance dahinter zu kommen, ist der Beweis, nicht das Therapie-Gespräch mit dem Täter oder das vertrauensvolle Zeitzeugengespräch mit ehemaligen Leitern der Umsiedlungsaktion. Auch Dokumente müssen nicht die Wahrheit ‚dokumentieren‘ – das Entlassungszeugnis eines Krankenhauses für einen Klinikmörder so wenig wie die historischen Dokumente der NS-Schwestern – umso mehr, als sie in einer NS-Diktatur verfasst wurden, die Geschriebenes zensierte. 2. Aspekt: Verschworene Gemeinschaft Nachdem der „Klinikmörder“ Niels Högel in den früheren Prozessen geschwiegen hatte, war er ab 2018 bereit, offen auszusagen. Erstmals zeigte er vor den Pressefotografen sein Gesicht, statt einen Aktenordner davor zu halten. Fatal war jedoch, dass nunmehr einige Kollegen und Vorgesetzte die Aufdeckung erschwerten. Immerhin drohte ihnen Anklagen wegen Tötung durch Unterlassen, da trotz eines schlimmen Verdachts niemand Anzeige erstattet hatte. Der Richter erkannte, dass sie – ganz offensichtlich aus Selbstschutz – stereotyp bedauerten, sich ‚leider‘ an nichts mehr erinnern zu können, baute Brücken, appellierte immer wieder vergeblich an unsere gemeinsame „verzweifelte Suche nach der Wahrheit“ – und ließ dann etliche der mauernden Kollegen und Vorgesetzten vereidigen. Sie legten ganz offensichtlich Mein326 Vgl. Jung: Högels Lügenkonstrukt gerät ins Wanken, NWZ, 6.4.2019. 327 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zu den Erkenntnissen von Prof. Dr. Max Steller, Psychologe vom Zentrum für Aussagepsychologie in Berlin, vgl. Jung, Nur Högel kennt die Wahrheit, NWZ, 5.4.2019, S. 13.
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eide ab, denn ihr damals gehegter Verdacht, den sie nun bestritten, konnte z.B. in ihren alten E-Mails bewiesen werden, die dem Publikum im Gerichtssaal über große Monitore vorgeführt wurden. Andere Kollegen, die bereitwillig zu ihrem damals gehegten Verdacht aussagten, waren vom Kollegium gemobbte Außenseiter. Ihre frühzeitigen Meldungen an Vorgesetzte wurden als unbewiesene Verdächtigungen und als ‚Rufmord‘ unter Kollegen gewertet, der strafbar sei. Vorgesetzte unternahmen nichts bzw. versuchten, das Problem intern zu regeln, ohne der Polizei das Material ihrer internen Ermittlungen zu übergeben. Ob hinter dem beharrlichen Schweigen einiger angestellten Ärzte, Pflegedienstleiter, Pfleger und Krankenschwestern ein von der Klinikleitung verhängter „Maulkorb“328 stand oder eine Strategie der von der Klinik finanzierten Anwälte oder ob es ein sozialer Gruppendruck unter Kollegen war, wurde während der Gerichtsverhandlung nicht klar erkennbar. Ähnliche unbekannte Anordnungen, Strategien oder gruppendynamische Phänomene wirkten möglicherweise im sozialen Beziehungsgeflecht der NS-SchwesternGemeinschaft. Vielleicht haben gar die bekannten ‚Schweigekartelle‘ der NS-Medizin solche bis heute wirksamen Traditionslinien im Verhalten vor Gericht bewahrt. Angesichts der juristischen Strafbarkeit von Morden sind Aussagen aus einer potentiellen Täterinnengemeinschaft wie der NS-Schwesternschaft fast unmöglich zu erwarten. In einer Quelle erwähnte die NS-Oberin ihre „eingeschworene Gemeinschaft“, und zum Auftakt der Umsiedlungsaktion hatten sich die Mitglieder der Umsiedlungskommission beim „Einschwören“ in Wien nach einer eindringlichen Rede des SS-Oberführers Werner Lorenz vor Ort zu entscheiden, ob sie mitmachten oder nicht. – Welches gemeinsame Hintergrundwissen, welches Redeverbot ließ eine NS-Schwester an eine andere NS-Schwester schreiben: „Haben Sie sich schon an die große Aufgabe gemacht?“329 Oder war es ein zynischer Witz? Während wir noch rätseln, ob „Aufgaben“ vielleicht ein Pseudonym für bestimmte Verbrechen sein könnte, verstanden sie untereinander eindeutig, was gemeint war.330 Wir sind Außenstehende der redseligen Kommunikation dieser wie auch immer miteinander ‚verschworenen Gemeinschaft‘ des medizinischen Umsiedlungspersonals. Weder die Führerin der NS-Schwesternschaft beim Bessarabieneinsatz in ihren Dokumenten und Memoiren noch der Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes im Interview offenbarten mir 2007 den geringsten Hinweis auf Wege und Ziele der Krankentransporte. Trotz ihrer hohen verantwortlichen Positionen zeigten sich beide als hochran328 Begriff, der im Prozess und in Zeugenaussagen verwendet wurde. 329 Die genannten Zitate dieses Absatzes stammen aus: Q2/Tagebuch, Q5/Briefe und werden im Hauptteil besprochen. 330 Gerade der Begriff „Aufgaben“ wurde gleich acht Mal in einem einzigen Zitat verwendet, das Andrej Angrick aus einer Besprechung von SS-Führern des KZ Auschwitz abdruckte. Er erkannte in dem ganzen zitierten Bericht jede Menge eindeutige Andeutungen, die nur Nichteingeweihte als „verklausulierte Formulierungen“ lesen, vgl. Angrick 2018, Aktion 1005 Spurenbeseitigung NS-Masssenverbrechen, S. 213f.
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gige Quellen zu dieser Frage auffällig unwissend und verschlossen – vielleicht ähnlich wie die mauernden Kollegen und Ärze im Klinikmordprozess. Fazit: Mehr Beitrag zur Aufklärung ist offenbar aus Hinweisen von Außenseitern und den „Verlierern der Geschichte“331 zu erwarten. Das zeigten die Zeugenaussagen von gemobbten Kollegen im aktuellen Gerichtsprozess gegen den „Klinikmörder“ ebenso deutlich, wie das Zeitzeugenforum ab Ende 2007 (BKM-Projekt II), in dem Angehörige von Verschwundenen Umsiedlern erstmals – Jahrzehnte nach den Ereignissen – zu Wort kamen; mit Schicksalen, die bis dahin in der Historiografie nicht gefragt waren. Die Erinnerungsgemeinschaft der Bessarabiendeutschen repetierte lange ein offizielles Trugbild, das bestimmte Geschichten aus dem vermeintlich gemeinsamen kulturellen Gedächtnis ausschloss. 3. Aspekt: Wahrheitskennzeichen In den Dokumenten der NS-Oberin, in ihrem Tagebuch und in den zahlreichen Briefen und Berichten der NS-Schwestern, suchte ich zwischen den Zeilen nach Hinweisen auf praktische „Euthanasie“-Maßnahmen, fahndete nach kleinsten Indizien, aus denen ich Spuren konstruierte, in dem ich sie kontextualisiert aufschlüsselte und kapitelweise sichtbar machte. Doch nach dem Experten vom „Zentrum für Aussagepsychologie“332, der im Krankenmordprozess 2018 aus Berlin hinzugezogen wurde, bringe es nichts, wie mit der Lupe akribisch kleinteilig nach „Wahrheitskennzeichen“ zu suchen. Er wusste aus seiner psychologischen Erfahrung, dass „Wahrheitskennzeichen“ in Aussagen stets deutlich und stichhaltig wahrnehmbar sind. Kriterien seien dabei z.B. Anschaulichkeit oder emotionale Erinnerungsverknüpfungen. Tatsächlich hatte ich eine solche Stichhaltigkeit an einer Stelle des Tagebuchs von Schwester Dorothee intuitiv deutlich wahrgenommen und seine Bedeutung als „Wahrheitskennzeichen“ sofort selbst erkannt: Es ist die einzige Stelle, 331 Assmann 2007, Der lange Schatten, S. 69, im Abschnitt: Wer schreibt die Geschichte: Sieger oder Verlierer? – Nach Reinhart Kosellek, dem Assmann ihr Buch widmete, sind „die Verlierer der Geschichte die besseren Historiker“. Aus der Perspektive der Verlierer sei Geschichtsschreibung „komplexer und instruktiver [...]. Mag die Geschichte – kurzfristig – von Siegern gemacht werden, die historischen Erkenntisgewinne stammten – langfristig – von den Besiegten“ (ebd. S. 69). Nach Peter Burkes Reflexionen über das Erinnern von Geschichte haben die Sieger „die Geschichte vergessen. Sie können sich’s leisten, während es den Verlierern unmöglich ist, das Geschehene hinzunehmen; diese sind dazu verdammt, über das Geschehene nachzugrübeln, es wiederzubeleben und Alternativen zu reflektieren“ (ebd., S. 70). 332 Max Steller, Prof. für forensische Psychologie am „Zentrum für Aussagepsychologie“ (ZAB) in Berlin, trug sein psychologisches Gutachten zum Ende des Gerichtsverfahrens im April 2019 vor. Er hatte die Aussagen des Krankenpflegers in früheren Akten anderer Psychologen und während des laufenden Prozesses studiert und analysiert und „Konstruktionsfehler“ in den Lügenkonstruktionen des Täters gesucht. Nach vielen Jahren der Therapie in der Haft und nach der Analyse seiner sämtlichen Aussagen vor Gericht waren alle drei Psychologen zu keinem Resultat gekommen. Steller konstatierte: Über seine wahre Motivation wollte der Angeklagte nicht sprechen. Vgl. Jung, Nur Högel kennt die Wahrheit, NWZ, 5.4.2019, S. 13; sowie eigene Protokolle.
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an der sie in einem Absatz plötzlich ins Präsens verfällt. Hier beschreibt sie emotional ergriffen die Szene, wie sie im ausgewickelten Tragetuch einer Mutter aus Bessarabien ein stark körperlich behindertes Kind mit einer Muskeldystrophie entdeckte. Nach der ergreifenden Beschreibung folgt eine Lücke: Man vermisst hier in dem sonst so akribisch geführten Tagebuch einen Satz mit einem Hinweis darauf, was in solchen Fällen nun organisatorisch geschah. Ihr Schweigen an dieser Stelle wird zum empfundenen Verschweigen. Der deutlich wahrgenommene „Eindruck“ einer ‚Spur‘ vollzog sich hier im wahrsten Sinne des Wortes, so wie es Aleida Assmann bildhaft beschrieb. Vor allem aufgrund dieser bedeutsamen Szene zog ich 2007 am Ende meiner Untersuchung das gewagte Fazit, dass – auch wenn sich kein einziger konkreter Hinweis in den Quellen fand – sich der Verdacht auf „Euthanasie“-Maßnahmen bei der Umsiedlung erhärtet habe. ***
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I. „JAGD NACH KRANKEN“
Ein Arzt im „Heim ins Reich“-Einsatz Der Umsiedlungs-Gebietsarzt und spätere Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes in der Auslandabteilung der Reichsärztekammer über die Umsiedlung von Kranken, Alten und Hilfsbedürftigen 1940
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I.A. „Ich dachte, es ginge zu einer Expedition nach Afrika“ Jungärzte im Auslandseinsatz Bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen im Herbst 1940 wurden „alte Hasen“ aus den vorangegangenen Umsiedlungen eingesetzt.1 Einer von ihnen war Helmut Ritter aus Bremen, der in Bessarabien als „Gebietsarzt in einem Gebietsstab“2 bzw. „Gebietsarzt Al 9“3 eingesetzt wurde. Während seines Auslandseinsatzes im Gebiet Albota (Albota des Sus) im Herbst 1940 schrieb er einen Bericht über seine Aufgaben und Tätigkeiten bei der Umsiedlungsaktion, der 1941 in einem illustrierten Sammelband über die „Heimkehr der Bessarabiendeutschen“ veröffentlicht wurde.4 2007 lebte er in einem Altersheim in Bremen.5 Geboren 1917, war er bei der Umsiedlung im Herbst 1940 ein junger Arzt im 23. Lebensjahr. Von einem „alten Hasen“ kann also keine Rede sein. Zwar hatte er tatsächlich bereits 1939 Erfahrungen mit Umsiedlern aus Wolhynien (Wołyń, Wolyn) und Galizien (Galicja, Halytschyna) im östlichen Polen gemacht, sein ärztlicher Erfahrungsschatz kann sich jedoch allenfalls auf dem Niveau eines Medizinstudenten bewegt haben; schließlich war er ein bei Kriegsbeginn „notapprobierter“ Medizinstudent. Dennoch wurde ihm als „Gebietsarzt“ in Bessarabien die Verantwortung für einige tausend Menschen übertragen. Als er mich im Mai 2007 im Seniorenheim zu unserem Gespräch empfing, war sein erster Satz zur Umsiedlungsaktion: „Ich war damals erst zweiundzwanzigeinhalb Jahre alt!“ Die Frage, ob er denn als so junger Mensch die Verantwortung für Tausende von Menschen überhaupt habe tragen können, beantwortete er selbstgewiss mit: „Ja!! Deshalb bin ich ja auch später in Berlin Leiter des Ärztlichen Dienstes der Volksdeutschen Umsiedlung bei der Reichsärztekammer geworden.“6 Da – 1944 – war er erst 25 Jahre alt. Bevor ich auf Dr. Ritters Aufgaben als Gebietsarzt in Bessarabien zurückkomme, möchte ich einige Überlegungen zu diesem erstaunlichen Aspekt voranstellen. Die Kombination aus ärztlicher Unerfahrenheit und politischer Begeisterung sowie Karriereaussichten der Jungärzte werden in der Erforschung der nationalsozialistischen 1 Vgl. Schmidt 2003, Die Deutschen aus Bessarabien, S. 152. 2 So namentlich aufgeführt im Mitarbeiterverzeichnis in: Pampuch 1941, Heimkehr. 3 So ohne Namen aufgeführt in zeitgenössischen Akten. Vgl. Kersting 2008, Alexanderfeld, S. 307. 4 Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 128–135. 5 Hinweis und Adresse verdanke ich Elvire Bisle, Bessarabiendeutscher Verein e.V. Inzwischen ist Herr Dr. Ritter verstorben. Ich danke ihm für unser Gespräch in Bremen im Mai 2007, dem wir das folgende Kapitel verdanken. 6 Ritter im Gespräch am 9.5.2007. An anderer Stelle in diesem Gespräch erinnerte er sich an die genauere Bezeichnung seiner Stellung von 1944: „Leitender Arzt des Amtes für Umsiedlergesundheitsdienst bei der Auslandabteilung der Ärztekammer Berlin, Grunewald“.
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„Euthanasie“ als eines der wesentlichen Merkmale für das ungeheure moralische Versagen der Medizin im Nationalsozialismus gesehen.7 Ältere Ärzte standen dem sogenannten „Gnadentod“ reservierter gegenüber, während die jungen Ärzte im Nationalsozialismus sich eher mit den „Euthanasie“-Maßnahmen einverstanden zeigten; die älteren Ärzte wurden schnell von jüngeren ersetzt.8 Ab 1936 eröffnete der Fortbildungsbeauftragte und spätere stellvertretende Reichsgesundheitsführer Kurt Blome in der damaligen „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ in AltRehse den ersten Kurs für Jungärzte. Weitere Kursthemen von Blome waren z.B. die „Nürnberger Gesetze“ oder auch die Organisation der NS-Schwesternschaft.9 Auch die Generaloberin Käthe Böttger referierte einmal in Alt-Rehse die Entstehungsgeschichte ihres Ordens.10 Fahnenhissen, Schlafen in 8-Bett-Zimmern, Sport und uniformierte Kleidung (Trainingsanzüge) gehörten zum pädagogischen Programm. Die politische Ausbildung der Ärzte stand in der Ärzte-„Führerschule“ unter dem zeitgenössischen Motto: „Der Patient heißt nicht Meyer, er heißt Deutschland.“ Schon in den 1930er Jahren gehörten die „Volksdeutschen im Ausland“ offenbar zu diesem Volkskörper. So reiste etwa im Rahmen der „Reichsberufswettkämpfe“ eine Gruppe von zwölf Würzburger Medizinstudenten 1938 nach Bessarabien, um im Auslandseinsatz eine komplette Untersuchung der Bevölkerung des Ortes Teplitz (Toplița, Teplyzja) durchzuführen.11 Da das Ergebnis dieser Studienfahrt 1939 preisgekrönt wurde, wurde ihr Leiter Aquillin Ullrich bei der Siegerehrung am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, persönlich Hitler vorgestellt und von Prof. Heyde im März 1940 für die geheime Krankenmord-„Aktion T4“12 angeworben.13 Schon kurz da17 Beddies 2007, Jungärzte. 18 Ebd. Beddies bezog sich in dieser Einschätzung auf die Untersuchungen von Michael Kater 1989, Doctors unter Hitler, sowie des Psychiaters Robert J. Lifton 1986, The Nazi Doctors. – Zur profunden Bedeutung dieser ersten psychologischen Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Ärzten im Diskurs der 1980er Jahre vgl. Tümmers 2020, Dr. Jekyll und Mr. Hyde. URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2020/5832 (Abruf 10.4.2021). 1 9 ������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd. aus einem Programmblatt der Führerschule Alt-Rehse im Lichtbildvortrag von Thomas Beddies. Zur Schulung der NS-Schwesternschaft ist nichts weiter bekannt. Gespräch mit Thomas Beddies, Mai 2007. 10 Vorträge zum Thema NS-Schwesternschaft von Käthe Böttger und Vorträge von Kurt Blome sind aufgeführt in einer Tabelle. In: Maibaum, Führerschule Alt-Rehse 2007, S. 211f. 11 Nach Beddies 2007, Jungärzte. Zum Bessarabieneinsatz der deutschen Medizinstudenten gibt es frühere Ausführungen von Ernst Klee. Beddies verwies zudem auf Thomas Schilter (vgl. Böhm/ Schilter 2004, Pirna-Sonnenstein). 12 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Von September 1939 bis August 1941 steuerte die staatliche „Aktion T4“ von Berlin aus (Tiergartenstraße 4) die reichsweite Selektion und Ermordung von Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten mit einem System aus Meldebögen und Verlegungslisten. Sechs Anstalten wurden zu Tötungszentren, in denen insgesamt über 70.000 Patienten in den Duschräumen mit Kohlenmonoxyd ermordet wurden (Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Pirna-Sonnenstein, Bernburg, Hadamar). Vgl. Kogon (Hg.) 1995 [1983], Giftgas, S. 62. 13 Klee, Was sie taten, 1986, S. 114.
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nach begannen unter Verwendung von Tarnnamen die steilen Karrieren der nach Bessarabien gereisten Medizinstudenten, die inzwischen durch den Kriegsanfang mit Mitte Zwanzig notapprobiert waren: Einer wurde nach einem Tag Bedenkzeit stellvertretender Leiter der Tötungs-Anstalt Brandenburg (Aquillin Ullrich alias ‚Dr. Schmitt‘). Ein anderer Teilnehmer der Bessarabienreise wurde zunächst 1940/41 Tötungsarzt in der „Euthanasie“-Anstalt Pirna-Sonnenstein (Klaus Endruweit, der die fingierten Todesursachen mit ‚Dr. Bader‘ unterschrieb). Im Anschluss an seine mörderische Tätigkeit benutzte er Ende 1941 wiederum die Ergebnisse der Bessarabienreise für seine Dissertation an einem Rassehygienischen Institut. Ein dritter Teilnehmer der Bessarabienstudienfahrt hatte bereits 1938 an einem Institut für Vererbungswissenschaften und Rassenforschung über ein deutsches Dorf promoviert. Wie seine Kommilitonen wurde auch er nach der Preisverleihung für die Bessarabienstudie – als Karriereschub – mit einer praktischen Vorführung in die Tötungsmethode der Vergasungsanstalt Pirna-Sonnenstein 1940 eingewiesen. Doch weil er den Anblick der im ‚Duschraum‘ an Kohlenmonoxyd erstickenden Menschen durch das Sichtfenster der Tür nicht ertrug – er erlitt verständlicherweise einen „großen Schock“ –, bat er umgehend in Berlin um seine Abberufung. Er blieb bei seiner Weigerung, auch als ihm die Stelle des Anstaltsdirektors angeboten wurde.14 Nach diesen Vorführungen rauchten hier „zwischen Juni 1940 bis August 1941“15 trotzdem die Schornsteine der Gaskammer. Und zur selben Zeit befand sich auf dem Gelände der Anstalt Pirna-Sonnenstein ein Umsiedlerlager für Volksdeutsche aus Bessarabien, ohne dass Verbindungen erkannt wurden.16 Gerade in dieser Zweigesichtigkeit der damaligen Medizin bzw. der nationalsozialistischen „Gesundheitspolitik“ und „Rassenforschung“ zwischen Inklusion und Exklusion, Auslese und Ausmerze, die gleichzeitig nebeneinander stattfanden, konnte sich das positive Berufsbild des Arztes trotz aktiven Verstrickungen des Berufsstandes in die NS-Verbrechen aufrechterhalten. Die damaligen Jungärzte, die in ein ab 1933 neu eingerichtetes parteiamtliches Gesundheitssystem hineinwuchsen, dessen politische Vorgaben annahmen und sie für ihre Karriere nutzten, haben das Dritte Reich überlebt und prägten die Medizin nach 1945 noch lange Zeit weiter.17
14 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd. ausführlich über die hier genannten Ärzte im Kapitel: Freigesprochen und verhandlungsunfähig geschrieben, S. 113–128, sowie ebd. Anm. 80, S. 305. 15 ����������������������������������������������������������������������������������������� „Zwischen Juni 1940 und August 1941 sind in der sächsischen Anstalt 13.720 Kranke und anschließend KZ-Häftlinge in der Gaskammer ermordet worden.“ In: Klee 1986, Was sie taten, S. 118. 16 David A., Mitglied im Bessarabiendeutschen Verein e.V., geb. 1934, war als Junge mit seiner Familie 1940/41 im Umsiedlerlager Pirna-Sonnenstein untergebracht. Von den ganz in der Nähe zur selben Zeit vorgehenden Patientenmorden ahnte er nichts. Gespräch mit Herrn A. in der Gedenkstätte Wehnen, 16.5.2006.. 17 Nach Beddies 2007, Jungärzte.
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Auch der Medizinstudent Helmut Ritter, der im Herbst 1940 im Gebiet Albota bei der Bessarabienumsiedlung eingesetzt wurde, war – als junger Mann seiner Zeit – vom politischen Aspekt der ärztlichen Ausbildung beeinflusst. Wie oben gesehen, gab es unterschiedliche Möglichkeiten, seine Karriere zu gestalten. Dr. Ritter unterhielt nach dem Krieg und seiner Internierung eine Arztpraxis in Bremerhaven. Während des Krieges sei er ein „freier Arzt“ gewesen und „hatte mit denen nichts zu tun“,18 womit er entweder ‚die Nationalsozialisten‘ oder ‚die SS-Ärzteschaft‘ gemeint haben mag. Auch sei er nie in der „Führerschule der Ärzteschaft“ in Alt-Rehse ausgebildet worden.19 Dennoch hatte er 1944 im Alter von etwa 25 Jahren eine führende Position in der Reichsärztekammer in Berlin. Nach eigener Bezeichnung wurde er 1944 „Leitender Arzt des Amtes für Umsiedlergesundheitsdienst bei der Auslandabteilung der Ärztekammer Berlin-Grunewald“.20 Zu dieser steilen Karriere des jungen Arztes trug seine vorausgegangene politische Biografie sicherlich bei.21 Dr. Ritter erinnerte sich 2007 mir gegenüber nur, dass er für die Umsiedlungsaktionen rekrutiert wurde, als er noch als Student im Berliner UrbanKrankenhaus arbeitete. Jemand hatte ihn dort angerufen und gefragt, ob er als Arzt eine „Expedition“ mitmachen würde. Er habe dabei an eine Aufgabe in Amerika oder Afrika gedacht.22 Später erhielt er dann die Einberufungen zu den Umsiedlungsaktionen im ‚Osten‘.
18 Ritter im Gespräch am 9.5.2007. 19 Zwischen 1935 und 1940 fanden Schulungen von Ärzten in Alt-Rehse in ca. 90–100 Kursen mit jeweils ca. 100 Teilnehmern also insgesamt ca. 10.000 bis 12.000 Teilnehmern statt. Das heißt, 17 % aller deutschen Ärzte, die von den Gauverwaltungen hierfür vorgeschlagen wurden, waren in der Führerschule in Alt-Rehse geschult worden. Die Teilnehmerlisten der Kurse für Ärzte in Alt-Rehse sind bis heute verschollen. Nach: Stommer 2007, Geschichte der „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“. Ritter im Gespräch am 9.5.2007. Die Auslandabteilung der Reichsärztekammer forderte vom In20 ������������������������������������������������������������������������������������������� nenministerium die Freiräumung von Anstalten für die Umsiedler. In: Aly 2013, Die Belasteten, S. 101 (nach einer Quelle vom April 1941). 21 Vom Hintergrund dieser schnellen Karriere erfuhr ich beim Interview 2007 noch nichts. Inzwischen fand Maria Fiebrandt mehr darüber heraus, dank welcher politischen Aktivitäten der Aufstieg des Jungarztes möglicherweise vonstatten gegangen ist. Nach Fiebrandts Archivrecherchen war Ritter vor der Einberufung zu den Umsiedlungsaktionen in den 1930er Jahren auf einer Militärärztlichen Akademie in Berlin und hatte den Beruf des Militärarztes angestrebt. 1938 wurde er „als SS-Bewerber in den Sanitätslehrsturm des SS-Hauptamtes, der der Ausbildung eines ärztlichen Führernachwuchses innerhalb der SS diente“, aufgenommen. 1938 war Ritter in der Fachgruppe „Medizin“ des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) Leiter der erbbiologischen Arbeitsgemeinschaft und widmete sich der Erforschung von Dörfern an der polnischen Grenze. In der juristischen Sparte des „Reichsberufswettkampfes“ hatte er sich mit „biologischen Verbrechensursachen und -bekämpfung“ beschäftigt. Vgl. Maria Fiebrandt 2014, Siedlerauslese, S. 250–252. 22 Ritter telefonisch am 10.7.2007.
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Die Volksdeutsche Mittelstelle stellte ihm nach Ende des Umsiedlungseinsatzes eine Bescheinigung für die „Dienstleistung im Umsiedlungskommando Bessarabien – Nord-Buchenland“ für den Zeitraum vom 16. August bis 13. Dezember 1940 aus. Die Umsiedlung war ursprünglich auf den 5. September bis 15. November 1940 festgelegt worden.23 Offensichtlich gab es über diese zeitliche Begrenzung hinaus einen Zeitraum für Tätigkeiten davor und danach. Zwischen den Umsiedlungsaktionen aus Wolhynien und aus Bessarabien war Helmut Ritter auch noch Lagerarzt im oberschlesischen Teschen (Cieszyn, Český Těšín).
Dr. Ritters zweite Bescheinigung der Volksdeutschen Mittelstelle vom 13.12.1940.24
23 Nach sechswöchigen Verhandlungen in Moskau (Москва́) wurde am 5. September 1940 der deutsch-sowjetische Umsiedlungsvertrag abgeschlossen, der in 21 umfangreichen Artikeln die beiderseitige Organisation regelte. Mit demselben Tag begann die Umsiedlungsaktion, ihr Ende wurde auf den 15. November 1940 festgelegt. Die „Hauptbevollmächtigten“ für die Umsiedlung auf russischer Seite war ein Major und auf deutscher Seite der SS-Standartenführer Hoffmeyer. In: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 69. 24 ������������������������������������������������������������������������������������������� Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007. – Zwei weitere Dokumente desselben Formulars bescheinigen, dass Ritter vor dem Bessarabieneinsatz vom 6.11.1939 bis 20.2.1940 als Arzt im „Umsiedlungskommando Galizien-Wolhynien-Narewgebiet (U.d.S.S.R.)“ und nachher vom 28.12.1940 bis 5.4.1941 als „Kommando- und Gebietsarzt im Hauptstab Kaunas [...] im Umsiedlungskommando Litauen (U.d.S.S.R)“ eingezogen war (Kaunas poln./russ. Kowno).
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„Jagd nach Kranken“
Der Formulartext lautet unter Hervorhebung der handschriftlichen Einträge: „Dem SS M. Dr. Helmut Ritter, geb. [...] wohnhaft in Teschen [...] wird hiermit bescheinigt, daß er auf Grund des § 4 der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RG.Bl.1, S.1441) vom Reichsführer-SS als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums vom 16. August 1940 bis 13. Dezember 1940 als Arzt eingezogen und zur Dienstleistung im Umsiedlungskommando Bessarabien – NordBuchenland (U.d.S.S.R.) eingesetzt wurde. Berlin, den 13.12.40 – [Stempel:] Volksdeutsche Mittelstelle – Umsiedlung. [Unterschrift:] Hoffmeyer – SS-Standartenführer“
Die Bescheinigung über den Umsiedlungseinsatz in Bessarabien und in der NordBukowina unterschrieb mit schwungvoller Schrift SS-Standartenführer Horst Hoffmeyer,25 der Hauptbevollmächtigte für die Umsiedlungsaktion in Bessarabien, der nicht viel später SS-Führer im „Sonderkommando R“ werden sollte, das einen Teil der ukrainischen „Volksdeutschen“ im weiteren Verlauf des Krieges zu Kollaborateuren des Holocaust machte.26 Hoffmeyer hatte auch schon den Beleg über Ritters vorangegangenen, ersten Umsiedlungseinsatz in Galizien und Wolhynien unterzeichnet, zu dem er Ende 1939 nach Russland eingezogen worden war. Das ansonsten identische Formular enthielt eine kleine, aber wesentliche Abweichung im Vordruck: Hoffmeyer bescheinigte Helmut Ritter am 14. Februar 1940, dass er als Arzt aus dem Berliner Krankenhaus am Urban per Notdienstverordnung „zu den Totenkopfverbänden der SS“ eingezogen war.
25 Horst Hoffmeyer (1903–1944), Bankkaufmann, 1938–1941 Geschäftsführer des Bundes Deutscher Osten, 1927 SA, 1939 SS, 1942 Generalmajor der Polizei. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia. org/wiki/Horst_Hoffmeyer (Abruf 6.6.2021). 26 Das Sonderkommando R (Russland), das Hoffmeyer ab Juli 1941 nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion leitete, operierte im unter rumänischer Besetzung stehenden, östlich von Bessarabien gelegenen Transnistrien (Pridnestrowskaja Moldawskaja Respublika), um die dort lebenden ukrainischen „Volksdeutschen“ zu erfassen. Diese wurden nicht umgesiedelt, sondern „rein deutsche“ Dörfer sollten das Territorium als „Siedlungsbrücke“ nach Osten aufbauen und im Krieg sichern. Ein volksdeutscher „Selbstschutz“ wurde aufgebaut, der in den Ortschaften nach Juden, Kommunisten und Partisanen fahndete und diese Männer, Frauen und Kinder, frühere Nachbarn, erschoss und sich am Besitz der Opfer bereichern durfte. Diese VoMi-Milizen des Sonderkommandos R entwickelten sich unter der Leitung des zum SS-Oberführer und Brigadeführer aufgestiegenen Hoffmeyer 1943 zu „elite killing units“ (S. 70), bei der sogar die Waffen-SS in die Lehre ging. Steinhart reflektierte in seiner preisgekrönten Dissertation die Gründe, die zur Kooperation der ukrainischen „Volksdeutschen“ mit der SS bei diesen Massenmorden führten und aus ihnen Killer machten. In: Steinhart 2012, Creating Killers. Vgl. Ders. 2015, Holocaust and Germanization Ukraine. – Zu SS-Führer Hoffmeyer und zum Sonderkommando R sowie „Sonderkommando Stumpp“ im Zusammenhang mit den Massenexekutionen, vgl. auch Myeshkov 2012, Die Deutschen in der Ukraine, S. 15–19.
Jungärzte im Auslandseinsatz
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Ausschnitt aus Dr. Ritters ersten Bescheinigung der Volksdeutschen Mittelstelle vom 14.2.1940 für seinen Umsiedlungseinsatz als Arzt im „Umsiedlungskommando Galizien-Wolhynien-Narewgebiet (U.d.S.S.R.)“27
In den späteren Bescheinigungen für seine Dienste als Umsiedlungsarzt in Bessarabien und Litauen fehlt dieser Hinweis, dafür steht nun vor seinem Namen das Kürzel „SS-M.“ für SS-Mann, SS-Mediziner oder SS-Mitglied. Aber seine SS-Mitgliedschaft sei dem jungen Arzt aufgezwungen worden, sagte er mir.28 Meine Frage nach der „Totenkopf-SS“ kommentierte Dr. Ritter damit, dass die Umsiedlung von der zivilen SS aufgebaut wurde, mit der SS im Kriege habe diese nichts zu tun gehabt.29 Tatsächlich ist die Entwicklung der SS-Totenkopfverbände und der Waffen-SS differenziert zu betrachten.30 Bevor die Totenkopfverbände in die Waffen-SS integriert zu Vollstreckern der systematischen Vernichtungspolitik wurden, dienten sie der SS als eine Art Hilfspolizei,31 nicht nur als Bewacher in Lagern oder später in den Vernichtungsla27 Bescheinigung für den Zeitraum 6.11.1939 bis 20.2.1940. Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief 5.7. 2007. 28 Dr. Ritter bestritt mir gegenüber, in der SS gewesen zu sein. Während des Röhm-Putsches 1934, als die SA-Führer von der SS „massakriert“ [zit. Ritter] wurden, hielt er sich gerade in England auf und war 16 Jahre alt: „Es war grausam für uns. Wie sollte man damit fertig werden?“ Nach dem Abitur 1935 nahm er ohne vorherige Einberufung zum Reichsarbeitsdienst (RAD) gleich sein Studium auf; er habe mit den Parteiorganisationen nichts zu tun gehabt (Ritter telefonisch am 10.7.2007). – „Die erzwungene SS-Mitgliedschaft“ habe ihm eine erhebliche finanzielle Einbuße wegen der Anerkennung rentenwirksamer Jahre eingebracht, und ohne den Krieg hätte die Auswertung seiner epidemiologischen Erkenntnisse „möglicherweise zu einer Dozentur [...] führen können“ (Ritter im Brief vom 15.9.2007). Die Darstellung der erzwungenen SS-Mitgliedschaft, die ich ihm 2007 glaubte, widerspricht den späteren Recherchen von Fiebrandt über den Medizinstudenten Helmut Ritter: Schon 1938 „forcierte er [...] eine sanitätsdienstliche Karriere in den Reihen der SS und wurde als SS-Bewerber in den Sanitätslehrsturm des SS-Hauptamtes, der der Ausbildung eines ärztlichen Führernachwuchses innerhalb der SS diente, aufgenommen“. In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 251. 29 Die Totenkopf-SS sei später in die Waffen-SS „umgesiedelt“ worden. Ritter telefonisch am 10.7. 2007. 30 Vgl. Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/SS-Totenkopfverbände (Abruf 4.6.2021). 31 „Mit der späteren Waffen-SS hatten die SS-Totenkopfverbände die Abstammung aus den Politischen Bereitschaften gemeinsam, aber sie unterschieden sich vor allem durch ihre Aufgaben von diesen. Im Gegensatz zu den anderen bewaffneten Verbänden der SS, aus denen die Waffen-SS hervorging, waren die Totenkopfverbände anfangs keine kämpfende Truppe, sondern sie waren von Hitler ausdrücklich für ‚Polizeidienste‘ bzw. für ‚hilfspolizeiliche Tätigkeiten‘ vorgesehen worden.“ Ebd., im Abschnitt: Entstehung der Totenkopfstandarten.
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gern bei der „Aktion Reinhardt“, sondern offensichtlich seit 1939 auch für „Dienstleistungen“ bei den „Heim ins Reich“-Aktionen. Als „PK Männer“ spielten sie eine Rolle bei den verdeckten Krankentransporten; Die NS-Schwestern kamen mit ihnen in Berührung bei der Entladung von Kranken aus Eisenbahnwaggons: „SDG’s u. PK Männer greifen tüchtig zu u. haben wir nur gütig zur Eile zu mahnen.“32 Die „Männer der Ordnungspolizei“ bzw. das „Pol. Transportbegleitkommando“ hatten „mit großer Umsicht gearbeitet“ und der „Pol. Transportführer“ lieferte die „genauesten Meldungen über unterwegs ausgeladene Kranke“.33 Es erschließt sich etwas mühsam daraus, dass Jungärzte im Totenkopfverband der SS wie Helmut Ritter diese „PKMänner“ waren und im Umsiedlungskommando unter dem Kürzel „PK“34 als eine Art Polizei-Kommando für „hilfspolizeiliche Tätigkeiten“ dienten, aber ohne dass der Begriff „Polizei“ irgendwo einmal deutlich ausgeschrieben zu finden war. Äußerlich erkannte man diese SS-Mitglieder wohl an dem Totenkopf, den sie nicht wie bei der Waffen-SS oder den Panzertruppen der Wehrmacht auf dem Kragenspiegel, sondern als große blinkende Metallbrosche oben auf ihrer Mütze trugen.35 Der SSStandartenführer Hoffmeyer und ebenso der Gebietsarzt Helmut Ritter trugen im Umsiedlungseinsatz auf Fotos die gleiche sogenannte „Baschlick“-Mütze, eine vorne geknöpfte „Feldmütze“ aus Lodenstoff, eine traditionelle Hutform von Jägern, Skiläufern oder Gebirgsjägern, die, aufgeknöpft und herunter geklappt, Wetterschutz für Ohren, Hals und Nacken bot. Zu solchen „Waffen-SS-Einheitsfeldmützen“36 gehörten Mützen-Abzeichen in einer ganz spezifischen Form. Mützenabzeichen „SS-Totenkopf“, zweite Version von 1934 bis 1945.
Foto: Creative Commons Free Software. File:SS Totenkopf.jpg. (Lizenzfrei); URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SS_Totenkopf.jpg
32 Q2/Tagebuch, S. C56; Vgl. Kap. II.C.Spur 14, Hafen Reni. 33 In: Bericht gesundheitliche Betreuung auf dem Transport, Transportführung, S. 25, BA R59/376, Bl. 76. Vgl. Kap. II.C.Spur 14, Hafen Reni. 34 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Q4/Lagerbefehle, Übersicht Verteilerschlüssel. In den Abkürzungen der Verteiler für die Befehlsblätter, die der Lagerleiter im Lager Galatz an das Umsiedlungskommando ausgeben ließ, kommt das Kürzel „PK“ nicht vor. 35 Hilfreich bei den Recherchen waren die Expertisen verschiedener Militariahändler im Internet, die zu den zum Kauf angebotenen Originalen oder Repliken differenzierte Informationen über verschiedene historische Ausführungen einzelner Devotionalien – wie zu den verschiedenen Formen von Totenkopf-Abzeichen – geben. 36 Bezeichnungen in Internetangeboten von Militariahändlern, z.B. in: Weitze, URL: www.weitze. net/militaria/Allgemeine_SS_Waffen_SS_SS_Verfuegungstruppe_33.html (Abruf 5.6.2021). – Vgl. Historische Entwicklung der militärischen und paramilitärischen Feldmützen in: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Feldmütze (Abruf 5.6.2021): „Bei der Waffen-SS war statt der Kokarde ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen zu sehen.“
Jungärzte im Auslandseinsatz
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Totenköpfe auf den „SS-Einheitsfeldmützen“ im Umsiedlungseinsatz 1940: Links: SS-Standartenführer Horst Hoffmeyer, Hauptbevollmächtigter für die Umsiedlung. Rechts: Gebietsarzt Helmut Ritter (Vergrößerte Bildausschnitte aus: Pampuch 1941, Heimkehr, Abb. S. 73 und 126)
Nur in starker Vergrößerung lassen sich die Flecken an ihren oberen Hutspitzen als Totenkopf-Embleme erkennen bzw. erahnen. Beim „Schlussappell in Wien“, als Hoffmeyer am Ende der Umsiedlungsaktion die Reihen seines Umsiedlungskommandos abschritt, trugen fast alle Männer diese Feldmützen, doch Totenköpfe sind kaum zu erkennen, außer an der Parade-Schirmmütze des SS-Standartenführers.37 Es wäre nicht ganz abwegig, dass die Totenköpfe an ihren Mützen für die Veröffentlichung im Propaganda-Bildband „Heimkehr der Bessarabiendeutschen“ 1941 etwas retouchiert wurden. Sicher aber war die Verbindung mit einem Totenkopf-Emblem an seiner Mütze Dr. Ritter bei unserem Gespräch 2007 mir gegenüber nicht recht gewesen: Als ich ihn beim Betrachten des Fotos mit den Sankrafahrern nach den deutlich erkennbaren Gegenständen – Funkgerät oder Taschenlampe? – auf seiner Jacke fragte, versicherte er mir mehrfach, dies seien keine Abzeichen, nur „Lichtreflexionen“, was mich damals verwirrt hatte und sich mir erst heute erklärt.38 Nur aus der Entfernung, sowohl der örtlichen wie der zeitlichen, können die Broschen wie Lichtpunkte erscheinen. Wie auch immer: Die Vorstellung, dass sich Männer des deutschen Umsiedlungskommandos vor den Umsiedlern mit Totenköpfen zeigten, ist auch ein bemerkenswertes visuelles Phänomen, dem bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde. 37 Abbildung in Pampuch 1941, Heimkehr, S. 231. 38 Dieser Spur der Rolle der SS-Totenkopfverbände ging ich erst bei den Überarbeitungen im Juni 2021 nach einem Hinweis von Hans-Christian Petersen zu Hoffmeyers Rolle im Sonderkommando R nach. Bis dahin hatte ich weder Hoffmeyers Bedeutung genug Aufmerksamkeit geschenkt noch hatte ich die in der Tat schwer erkennbaren Totenkopf-Abzeichen auf Helmut Ritters Mütze überhaupt gesehen oder erahnt. Der gesamte Abschnitt ab der Abbildung der Bescheinigung von 1940 bis hier zeigt neue, aufschlussreiche Erkenntnisse.
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„Jagd nach Kranken“
Dr. Ritter hielt es für wahrscheinlich, dass er das letzte noch lebende Mitglied des Umsiedlungskommandos ist, da er damals noch so jung und 2007 schon 90 Jahre alt war. Ich erhoffte mir von ihm als Zeitzeugen Auskunft über die Rolle der Ärzte und der Schwestern bei der Betreuung der Kranken, Kinder und Alten während der Umsiedlungsaktion. Wenn er auch zum Thema „Euthanasie“ immer nur wiederholte, dass er davon nichts gewusst habe, geben sowohl das Gespräch vom 9. Mai 2007 wie auch sein damaliger Bericht von 1940 bzw. 1941 uns zumindest einen Einblick in die organisatorische Behandlung der kranken oder hilfebedürftigen Umsiedler. Im vorausgehenden deutsch-sowjetischen Umsiedlungsvertrag regelten Art. 14 und Art. 18 die Umsiedlung der Kranken und Hilfsbedürftigen, die „in erster Linie“ bei der Umsiedlung berücksichtigt werden sollten: „Bei der Umsiedlung werden nach Möglichkeit in erster Linie die Arbeitsunfähigen, Kranken, Invaliden, Alten, alleinstehende und schwangere Frauen, Kinder, Personen, die unter staatlicher Fürsorge stehen, sowie die Personen berücksichtigt, deren Familienmitglieder sich nicht im Umsiedlungsgebiet befinden.“39
und: „Die Beförderung der Kranken und Schwachen erfolgt unabhängig von der Jahreszeit nach Möglichkeit in Sanitätswagen. Stark ansteckende Kranke können im Transport nicht mitgenommen werden und werden entweder nach ihrer Wiederherstellung oder gesondert transportiert [...].“40
Seine Aufgabe als „Gebietsarzt in Albota“ war es vor allem, die kranken Umsiedler von ihren bessarabischen Heimatorten seines zugewiesenen Umsiedlungsgebietes „Al 9“ bis zum russischen Grenzübergang am Fluss Pruth vom russisch besetzten Bessarabien auf rumänischen Boden zu bringen. Dabei standen ihm männliche Sanitäter und Sanitätskraftwagenfahrer („Sankra-Fahrer“) zur Verfügung. Die deutschstämmigen Umsiedler seines Gebietes hatten unter den über 11.000 Einwohnern einen hohen Prozentanteil.41 Das Gebiet Albota war neben den Umsied39 „Deutsch-sowjetische Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der Nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich vom 5. September 1940“, Abschnitt III, Art. 14. Als Quelle abgedruckt in Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 214. 40 Ebd., Abschnitt III, Art. 18. 41 Zum Gebiet Albota gehörten die Ortsbereiche (mit Einwohnerzahlen): Albota 2.120, Eichendorf (Doina) 1.430, Wischniowka (Visniovca) 1.352, Kulm (Culmea, Podgornoje, Pidhirne) 2.084, Posttal (Dolynivka) 3.120, Neu-Elft (Fere Champenoise II, Novoselivka) 1.620 und Alexanderfeld (Alexandru-cel-bun, Cîmpeni) 1.020, zusammen ca. 11.000 Menschen. In: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 69 und S. 167. – Das Bauerndorf Albota hatte 1940 949 Einwohner, davon waren Deutsche: 837, Rumänen: 25, Bulgaren: 19, Juden: 19, Gagausen: 4, Russen: 9. „Es gibt im Ort nur eine Mischehe“. In: Otto Schäfer (volksdeutscher Lehrer in Albota): Bericht über die Entwicklung der Tochterkolonie Albota in Bessarabien nach dem Stand von 1940. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 50.
Jungärzte im Auslandseinsatz
Ausschnitt aus der Karte: „Die wichtigsten deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet (nach Dr. Hahn)“, in: Pampuch 1941, Heimkehr, Kartenanhang.
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lungsbezirken Beresina (Berezyne), Mannsburg (Alexejewka, Oleksijiwka) und Kischinew (Kischinau, Chișinău) zu einem von vier „Standorten der Gebietsbevollmächtigten und Gebietsvertreter“ in Bessarabien bestimmt worden, da es dem ersten großen Auffanglager Galatz (Galati) am nächsten lag.42 Zu den großen Hangars dieses vormaligen Flughafens wurden alle gesunden und kranken Umsiedler zunächst über die Grenze gebracht und auf rumänischem Boden für ein paar Tage gesammelt, bevor sie im Hafen Galatz aus auf die Donauschiffe in Richtung der Grenzen des „Großdeutschen Reiches“ gebracht wurden. Auf ihrem Weg zum Lager Galatz durchquerten auch die Umsiedlertrecks aus den anderen drei Gebietszonen das Gebiet Albota, für das Ritter verantwortlich war.43 So konnte er sämtliche aus Bessarabien durch sein Gebiet fahrende Trecks, Eisenbahnzüge und LKW-Kolonnen kontrollieren. In dieser zentralen Position versuchte er, möglichst vollständige Listen von Kranken aus Bessarabiens zu erstellen.
Legende zur Karte auf der vorhergehenden Seite: Der Umsiedlungsbezirk Albota im südwestlichen Teil Bessarabiens war 1940 das Einsatzgebiet des Medizinstudenten Ritter als Gebietsarzt bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. Geografische Erläuterungen Der Fluß Pruth (links) bildete nach der russischen Besetzung Bessarabiens im Sommer 1940 die neue Grenze zwischen Russland und Rumänien. Bis dahin war der Djnestr (rechts) der Grenzfluß zu Russland gewesen. Das große Auffanglager in Galatz für die ca. 90.000 „volksdeutschen“ Umsiedler aus Bessarabien lag westlich des Grenzflusses Pruth auf der rumänischer Seite. Gegenüber lag der Hafenort Reni. Hierhin konnten alte Menschen und Mütter mit Kleinkindern sich mit Omnibussen bringen lassen und im Lager auf ihre Familien warten. Reni, Galatz, und Kilia waren Hafenstädte im Donaudelta, von hier aus wurden die Umsiedler auf Schiffen über Jugoslawien Richtung Österreich gebracht, das damals als „Gau Ostmark“ zum „Großdeutschen Reich“ gehörte. 42 Die deutsche und die sowjetische Seite ernannten jeweils fünf Gebietsbevollmächtigte mit Stellvertretern und 21 Personen als Hilfspersonal. Darüber hinaus gab es die gemischte deutsch-sowjetische Umsiedlungskommission mit je einem Hauptbevollmächtigten und je 28 Mitarbeitern. Außerdem waren je 50 Ortsbevollmächtigte zu ernennen. Das Ende der Umsiedlung war festgelegt auf den 15.11.1940. „Deutsch-sowjetische Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der Nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich vom 5. September 1940“, Abschnitt III, Art. 11 b. Als Quelle abgedruckt in Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 69, S. 213. 43 Der Ort Alexanderfeld im Gebiet Albota „wurde zu einem der Übernachtungsorte, Rastplätze und Futtermittelergänzungsorte für Trecks bestimmt“. In: Kersting 2008, Alexanderfeld, S. 310.
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I.B. „Meine Arbeit als Gebietsarzt“ – und „Die Jagd nach Kranken“ Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
„Der dritte von rechts, das bin ich! Wir Ärzte trugen diese ausgemusterten Mäntel. Wir durften ja keine Abzeichen tragen, auch keine Uniformmützen. Wir trugen nur diese Käppis. Daneben stehen unsere Fahrer (links) und unsere Sanitäter.“ Dr. Helmut Ritter im Gespräch am 10.5.2007 Abb. aus Pampuch 1941, Heimkehr, S. 126: „Gebietsärzte, Sanitäter, Sankra-Fahrer“.
Die „Arbeit des Gebietsartzes“ im veröffentlichten Bericht 1941 Der Medizinstudent Helmut Ritter schrieb seinen Bericht „Meine Arbeit als Gebietsarzt“44 während seiner Einsatzzeit in Albota an einem Tag, an dem er selbst von einer – nicht weiter erklärten – „bessarabischen Krankheit“ befallen war, die „in fast jedem Hause herrscht“ und von der auch nur wenige seiner „Kameraden“ verschont geblieben waren. Ein Medikament gegen die „bessarabische Krankheit“ brachte er
44 Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 128–135. Im Mitarbeiterverzeichnis (ebd., S. 242) wird der Autor vorgestellt als „Dr. Helmut Ritter – Teschen, Gebietsarzt in einem Gebietsstab“. Herausgeber war „Dr. Andreas Pampuch, Stabsleiter in einem Gebietsstab“.
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„in Massen“ aus dem Lager Galatz mit. Ansonsten fand er als Gebietsarzt „die Mehrzahl der Ortsbezirke aus Albota frei von Infektionskrankheiten“ vor.45 Dem Bericht kann man unterschiedliche Tätigkeiten entnehmen, die Ritter im Herbst 1940 als Gebietsarzt bei der Umsiedlung zu erfüllen hatte. Der Text ist aus der Perspektive des organisierenden Arztes geschrieben. Er enthält Informationen darüber, wie mit den Alten, Kranken und Hilfebedürftigen bei der Umsiedlungsaktion verfahren wurde. Als Arzt des Umsiedlungskommandos kamen ihm offensichtlich weniger praktische ärztliche Aufgaben zu, als vielmehr vorbeugende und bürokratische: – „Abendliche Planung und Stabsbesprechung“.46 – Ärztliche Betreuung der „Volksdeutschen“ im Gebiet Albota mit Hausbesuchen: „Während ich die Schwerkranken in den Häusern aufsuche“.47 – Ärztliche Betreuung der Kommandomitglieder: „Therapie mit Ricinus, Teepause, heißen Bauchwickeln und Aplona“48 gegen die „bessarabische Krankheit“. – Wasseruntersuchungen. Hierbei wird eine Konkurrenzsituation des deutschen Gebietsarztes mit einem sowjetischen Arzt angedeutet: „Besonders primitiv gestaltete sich die Wasseruntersuchung durch den ‚sowjetischen Arzt‘ [...]. Zum Abschluss wurde von dem Wasser, das der sowjetische Arzt als völlig einwandfrei bezeichnete, eine große Flasche zur gründlichen Untersuchung nach Kahul (Cahul) mitgenommen.“49 – „Mütterschulung“: In fünf großen Dörfern des Gebietes Albota bereitete Ritter die Mütter auf die Reise vor. Er gab ihnen Anordnungen zur Kennzeichnung der Kinderwäsche und der Kinder: „Ein gelindes Grauen geht durch die Reihen, wenn die Frauen hören, daß bei der Wolhynien-Umsiedlung mehrere Kinder verwechselt wurden, indem ihre Kennnummern verloren gingen. So wird die Anordnung gewissenhaft befolgt.“50 Mit Vorführungen und Geschmacksmustern versuchte er, das Zutrauen der Mütter zur „Deutschen Milch“ zu gewinnen, die aus einem Pulver angerührt wurde.51 – „Sprechstunden“: Im Anschluss an die Mütterschulungen hielt er Sprechstunden ab, in die vorwiegend kranke Säuglinge und Kleinkinder gebracht wurden. Der „Dienstkram“ blieb dabei vordringlicher als die ärztliche Behandlung der Kinder: „Da möchte ich manchmal allen Dienstkram lassen und nur Arzt sein. Doch kann man die Leute ja trösten, in zwei bis drei Wochen sind sie in Deutschland, da helfen viele Ärzte“.52 45 46 47 48 49 50 51 52
Ebd. Ebd., S. 130. Ebd., S. 128. Ebd., S. 129. Mit „Bessarabische Krankheit“ sind Durchfallerkrankungen gemeint. Ebd., S. 130. Ebd., S. 128. Es handelte sich um Alete-Milchpulver. Erläuterung von Ritter im Gespräch am 9.5.2007. Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 129.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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– Krankentransporte nach Galatz mit Sankras: „Die Kranken werden mit Sanitätskraftwagen nach Galatz transportiert.“53 Den vorgeschriebenen Dienstweg des „Sowj.-Hauptstabes“, der ein zeitaufwendiges „bestausgeklügeltes Meldesystem“, Anfertigung von Transportlisten usw. für Krankentransporte forderte, versuchte der Gebietsarzt mit einem „dicken Protest“ über Verzögerungen zu unterlaufen, denn unter den Kranken waren z.B. auch akute Blinddarmentzündungen. Einen Eindruck davon, wie beschwerlich diese Fahrten mit den „Sankras“ für die kranken Patienten bei den schlechten bessarabischen Straßenverhältnissen gewesen sein müssen, gibt der Bericht eines Fahrers im selben Sammelband von 1941: „Riesige Schlaglöcher, der Staub lag bis zu 10 cm hoch und überzog Fahrzeug und Insassen nach kurzer Zeit mit einer dicken Staubschicht – bei Regen verwandelten sich die Wege in einen schlüpfrigen braunen Brei. [...] Wegweiser fehlten völlig. […] Man war froh, wenn man auf diesen Wegen 5 bis 6 km in der Stunde hinter sich gebracht hatte. [...] Am Ende war man heilsfroh, wenn es doch immer wieder gerade noch glatt und ohne ernsteren Unfall abgegangen war.“54
Bei jeder Fahrt war auch ein „russischer Begleiter“ zugegen, der half oder auch nicht, und die Grenze musste unter Zeitdruck bis 18 Uhr erreicht sein, da dann die Pontonbrücke über den Pruth eingezogen wurde. In dem Bericht wird vom Stabsleiter Pampuch hervorgehoben: „Die Anforderungen an die Fahrer und Wagen beim Abtransport der Kranken waren groß.“55 Doch wie groß waren die Anforderungen dieser Fahrten für die Kranken? Der Sankra-Fahrer erwähnt, dass eine Trage, auf der ein kranker Junge festgeschnallt war, wegen der Schlaglöcher brach und der Kranke „arg bedrängt“ darunter lag. Möglicherweise lagen die Kranken auf einer offenen Ladefläche, denn sie wurden „völlig eingestaubt“: „Ich war noch nicht lange gefahren, da klopfte es am Fenster meiner Rückwand. [...] kletterte nach hinten. [...] Völlig eingestaubt waren meine Kranken, der eine meinte, er bekomme keine Luft mehr, dem anderen war schlecht. So ging es mehrere Male, bis ich zuletzt ungeduldig wurde und die Teeflasche zu Hilfe nehmen musste.“56
Möglicherweise wurden die Kranken im Notfall mit Beruhigungsmitteln im Tee ruhig gestellt, wenn der unter Zeitdruck stehende Fahrer wegen ihrer Beschwerden „ungeduldig“ wurde. Auf glitschigen Hügeln konnte der Fahrer den Sankra oft „kaum noch halten“ und rutschte zurück in die Maisfelder: „Meine Kranken 53 Ebd., S. 129. 54 Pampuch, Sankra-Fahrer (Bericht des Sankra-Fahrers R. aus Stuttgart). In: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 125–127. 55 Ebd. 56 Ebd., S. 127.
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„Jagd nach Kranken“
wurden unruhig, die zwei alten Frauen jammerten, sie meinten, es wäre ihr Ende jetzt!“57 – „Trecküberwachungsfahrten“ bzw. „Treck-Kontrollfahrten“: Treck-Kontrollen kannte Dr. Ritter bereits aus seinem Einsatz in Wolhynien. In Bessarabien fuhr er zusammen mit einigen Begleitern in einem Auto den Eisenbahnzügen, LKW-Kolonnen und Pferdetrecks, die aus ganz Bessarabien durch das Gebiet Albota kamen, entgegen, um sie auf ihrem Weg ins Lager Galatz abzufangen. Zunächst wurden Kleinkinder mit Milch aus Trockenpulver versorgt, dazu nahm er einen Vorrat an Milchflaschen mit. „Ich beschließe, selbst die Milchausgabe an die Kleinkinder unterwegs zu übernehmen und damit gleichzeitig eine Treck-Kontrollfahrt zu verbinden.58 […] Im Morgendämmern [...] geht die Fahrt [...] möglichst südlich auf die Hauptstrecke, [...] um möglichst viele Trecks [...] abzufangen. [...] Wir haben Glück. Gerade ist ein 1000-Personen-Zug aus dem Gebiet Kischinew eingetroffen, [...] bin ich froh, von meinem Milchflaschenvorrat wenigstens für die Mütter mit Kleinkindern zwischen 1/2 und 1 Jahr aushelfen zu können.“59
Gleichzeitig mit der wohltuenden Milchausgabe an die Kinder kontrollierte der Arzt den Gesundheitszustand der Umsiedler – so wie er es bereits bei der Umsiedlungsaktion aus Wolhynien getan hatte: „Meine Zugkontrolle geht schnell und altgewohnt vonstatten.“60 Offensichtlich blieb bei diesen Gesundheitskontrollen die ärztliche Versorgung akuter Krankheiten außen vor. Er fragte nicht, ob jemand krank ist, sondern rief jeweils in jeden Wagen hinein: „Na, seid Ihr alle gesund?“61 Offenbar ja, denn „die Fuhrleute sind erfreut, daß wir sie immer wieder nach dem Woher und Wohin fragen und uns nach ihrem Ergehen erkundigen. Stramm grüßen sie mit ‚Heil Hitler‘ und lachendem Gesicht.“62 Als dem Gebietsarzt einmal tatsächlich akut Kranke gemeldet wurden, machte er sich gar nicht erst auf die Suche. Der angebliche Armbruch sei „fraglich“ und das pünktliche Eintreffen des Trecks wichtiger als die Notfallversorgung. „[...] begegnen wir einer LKW-Kolonne aus Mathildendorf (Saralica-Veche, Zhovtneve). Sie hat aus einem Fuhrentreck [...] einen Bauern mit Herzbeschwerden und eine Frau mit ‚Bladern‘ (Geschwüre) oder fraglichem Armbruch übernommen und bringt sie nun beschleunigt an die Grenze. Da niemand weiß, in welchem Wagen die Kranken sitzen, verzichte ich auf die Kontrolle aller 40 Wagen, die in Gruppen von vier bis sieben Wagen weit auseinandergezogen fahren. In solch einem Falle kann nicht 57 58 59 60 61 62
Ebd. (alle Zitate in diesem Absatz aus dem Bericht des Sankra-Fahrers R.). Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 130. Ebd., S. 131. Ebd. Ebd. Ebd., S. 133.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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wegen einer Notversorgung ein annähernd pünktliches Eintreffen an der Grenze und davon abhängig die Abfertigung der Kolonne am gleichen Tage gefährdet werden“.63
Dass man Mütter mit Kleinkindern und Altersschwache schon vorher mit Omnibussen in den Donauhafen Reni abtransportiert hatte, hielt er für keine gute Idee: „die ewig gleichen Schwierigkeiten, die kurz vor der Abfahrt in fast allen Ortsbezirken gemacht werden. So [...] sind die Treckfahrer neu aufgestellt worden, weil Mütter mit Kleinkindern und Altersschwache mit Omnibussen abtransportiert werden konnten und bereits in Reni auf die Familie warten, die mit den Fuhren nachkommen. Zwar bin ich auf diese Weise die Sorge um die Kleinkinder los geworden – [...] doch fallen sie nun dem Verschiffungsarzt zur Last, da sie zwei Tage lang auf die Ankunft ihrer Angehörigen in den Hallen warten müssen, bevor sie verschifft werden können“.64
Aus Sicht der Alten, Mütter und Kinder mag dieser zweitägige Aufenthalt in Hallen im Gegensatz zu einer ununterbrochenen, mehrtägigen Treckfahrt jedoch eine gewisse Erleichterung gewesen sein, auch wenn sie dort „dem Verschiffungsarzt zur Last“ fielen. Es wird deutlich, dass die Umsiedlungsärzte ihre Verantwortung nicht in der Behandlung der Umsiedler sahen. Vor dem Hintergrund von Zeitdruck und Pünktlichkeit waren sie vor allem mit Kontrollaufgaben beschäftigt. Von einer Beteiligung an der Pflege und Fürsorge durch Pfleger oder Krankenschwestern ist keine Rede. – Eisenbahn-„Krankenwagen“: Ansonsten gab es auch in den Eisenbahnzügen eigene „Krankenwagen“. Auch diese Waggons inspizierte er bei der Durchfahrt: „Im Krankenwagen sind einige Alte und Kranke untergebracht“.65 – „Krankenbegleitscheine“ für Einweisungen ins Krankenhaus: Einzelne Umsiedler konnten aus den Zügen oder Trecks heraus in Krankenwagen umgesetzt werden. Für die Direkt-Überweisung stellte der Gebietsarzt einen „Krankenbegleitschein“ aus: „Krankenbegleitscheine fülle ich in Transporten nur aus, wenn ich einen mit einem Transport mitgehenden Kranken in das Krankenhaus Galatz eingewiesen haben möchte“.66 Es ist nicht klar, ob das Krankenhaus in der Stadt Galatz oder im Lager Galatz gemeint ist. – „Gesundheitspässe“: In manchen Zügen oder Trecks fand der Gebietsarzt bei seinen Kontrollen viele Kleinkinder mit Durchfall. Um den Müttern das Säubern zu erleichtern, besorgte er heißes Wasser aus der Lokomotive: „Die Autorität des Arztes ist notwendig, um den sowjetischen Transportbegleiter zu veranlassen, heißes Wasser aus der Lo63 64 65 66
Ebd. Ebd., S. 134. Ebd., S. 131. Ebd., S. 135.
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„Jagd nach Kranken“
komotive zum Waschen der Kleinkinder bereitstellen zu lassen oder den Aufenthalt auf der Station ‚aus gesundheitlichen Gründen‘ zu verkürzen“.67 Eine längere Liste mit Kranken beschleunigte offenbar die Grenzkontrollen. So kam es dem Gebietsarzt gelegen, möglichst viele von Durchfall betroffene Kleinkinder zusammen mit anderen, schon längst behandelten Kranken in den „Gesundheitspass“ einzutragen: „In anderen Personentrecks, die auch die Kleinkinder mit auf den Weg nehmen [...], finden sich stets 20 bis 30 Kleinkinder mit Durchfallstörungen, zum Teil mit Ekzemen oder Abzessen; ich trage sie alle der Reihe nach auf die leeren Seiten des Gesundheitspasses, wie ich es auch schon bei der Zug- und Treckabfertigung in Hrubieszów (Grubeschow) damals getan hatte, und schreibe schließlich die Kranken, die sich in den Ortsbezirken krank gemeldet hatten und von mir behandelt waren, mit hinein“.68
– „vollständige Liste der Kranken“: Vor allem hatte seine „Jagd nach Kranken“ bei den ärztlichen Treck-Kontrollen einen bürokratischen Sinn: „2 Gesundheitspässe werden mir nach Aufforderung gezeigt, allerdings sind sie noch leer und sollten bis zur Grenze ausgefüllt werden“.69 Vor dem Grenzübertritt kontrollierte der Gebietsarzt die Gesundheitspässe aller durchfahrenden Transporte mit dem besonderen Ehrgeiz einer möglichst vollständigen Erfassung kranker Umsiedler. Mit dieser Vorarbeit spielte er dem nächsten zuständigen Kollegen zu: „Damit hat der Verschiffungs- und Schiffsarzt gleich eine fast vollständige Liste der Kranken in dem betreffenden Transport.“70 Die Beschreibung seiner „Trecküberwachungsfahrten“ nahm im Bericht des jungen Gebietsarztes einen besonderen Raum ein. Vielleicht wollte er sie für die Reichsärztekammer hervorheben, um sich auf diesem Gebiet wegen seiner Erfahrungen bei den vorangegangenen Umsiedlungsaktion der Wolhyniendeutschen als Experte zu präsentieren. Offensichtlich war sein Aufgabenfeld während der Umsiedlung überwiegend von Präventionsmaßnahmen (z.B. sogenannten „Mütterschulungen“) geprägt, die mit Anordnungen verbunden waren, sowie von bürokratischen Kontrolltätigkeiten wie u.a. dem Anfertigen möglichst vollständiger Kranken-Listen. Insofern war für den Auslandseinsatz des jungen Medizinstudenten tatsächlich nur am Rande praktische ärztliche Erfahrung und Verantwortung nötig. Andererseits zeigte sich die Notwendigkeit ärztlicher Praxis unerwartet bei einer Geburt von Zwillingen im fahrenden Umsiedlerzug. Dieses Ereignis erzählte mir Dr. Ritter nur in der Rückschau, es kam in seinem damaligen Bericht nicht vor. Ansonsten 67 68 69 70
Ebd., S. 131. Ebd., S. 135. Ebd., S. 132. Ebd., S. 135.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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fiel mir auf, dass er in Zusammenhang mit den Bessarabiendeutschen nicht vom „Behandeln“ oder „Betreuen“ der Kranken sprach, sondern vom „Überwachen“. Auch das Wort „Patient“ fiel nie. Da er während der Umsiedlung für tausende von Umsiedlern zuständig war, war vor allem sein Organisationstalent gefragt. Dazu gehörte auch das Selbstbewusstsein, sich mit „ärztlicher Autorität“ gegen russische Bestimmungen eigenmächtig durchzusetzen, wie Ritter es in seinem zeitgenössischen Bericht mehrfach andeutete. Möglicherweise legten all diese Erfahrungen mit Bürokratie, Kontrolle, Anordnungen, Durchsetzungsvermögen zusammengenommen die Grundlage für seine spätere Karriere und ‚uk-Stellung‘ in der Reichsärztekammer. Vielleicht besaß er diese Voraussetzungen bereits vor seiner Einberufung zum Umsiedlungseinsatz. Als ich Dr. Ritter im Mai 2007 in einem Bremer Altersheim besuchte, hatte ich einen sehr großen und sehr aufrecht stehenden, gut aussehenden Mann mit einer kräftigen Stimme vor mir. Trotz seines Lebensalters von 90 Jahren war er eine beeindruckende Erscheinung. So konnte ich mir gut vorstellen, dass er damals als junger Mann mit dieser Körpergröße und diesem Stimmvolumen trotz seines jungen Alters ‚ärztliche Autorität‘ ausstrahlte. Auch auf dem zeitgenössischen Foto von 1940 überragt er seine Kollegen vor dem Sanitätskraftwagen deutlich. Das Gerät71 an seiner Brust, das er als einziger der drei abgebildeten Ärzte auf diesem Foto trägt, weist darauf hin, dass er auch unter ihnen eine besondere Stellung inne hatte. Sein Bericht von 1940 wurde in Berlin redigiert und als vermeintlich authentische Tätigkeitsbeschreibung eines Gebietsarztes in einem Buch über die Umsiedlungsaktion 1941 veröffentlicht. Daher lohnt im folgenden Abschnitt ein Vergleich mit seiner Urschrift, die Helmut Ritter mir nach unserem Gespräch zur Verfügung stellte.
Die Urschrift: Briefkopf des vierseitigen Berichts von Helmut Ritter nach Berlin am 27.9.1940, Privatarchiv Ritter
71 Dr. Ritter konnte sich nicht an die Funktion dieses Gerätes erinnern, telefonische Nachfrage am 24.5.2007.
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„Jagd nach Kranken“
Die „Jagd nach Kranken“ in der Urschrift von 1940 Helmut Ritter hatte als Gebietsarzt auf Anordnung der „Dienststelle der Auslandabteilung der Reichsärztekammer“ in Berlin „Lageberichte über unsere Arbeit zu geben [...], trotz der vielen laufenden Arbeiten.“72 An der Redaktion seines Aufsatzes, den der Stabsleiter Andreas Pampuch in einem Buch über die Umsiedlung 1941 herausgab, sei er derzeit selbst nicht beteiligt worden: „Herr Pampuch hat [...] ohne mein Wissen die Berichte in seinem Buch wohl auszugsweise und leicht nach seinem Gutdünken verwertet.“73 Die Urschrift steht uns zum Vergleich zur Verfügung, da Dr. Ritter den Durchschlag seines Berichts fast sieben Jahrzehnte lang privat aufbewahrte. Viele andere Akten des Umsiedlergesundheitsdienstes der Reichsärztekammer habe er nach Anweisung des Leiters dieser Dienststelle 1945 verbrannt, als er kurz vor Kriegsende Leiter einer Ausweichdienststelle auf der Sachsenburg wurde.74 Auftraggeber zur Vernichtung der Dokumente der Auslandabteilung der Reichsärtzekammer war 1945 noch derselbe Dr. med. Haubold, der 1940 als „Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer“ als Vorgesetzter in der Reichsärztekammer die Berichte aus Bessarabien nach Berlin geschickt bekommen hatte. Die „10-Tagemeldung“ von „Ritter, 2. Gebietsarzt Albota“, vom 27. 9.1940 war ein vierseitiger Schreibmaschinenbericht, gerichtet an die „Abteilung Presse und Propaganda“ in der Reichsärztekammer. Dieses Typoskript enthält aufschlussreiche Teile, die im Buch von Pampuch 1941 nicht veröffentlicht wurden und die ich hier in den wesentlichen Teilen darstellen und mit der zensierten Fassung vergleichen möchte. „2. Gebietsarzt Albota
Albota, den 27. 9. 40 [...] Nach einer abenteuerlichen Irrfahrt mit der Autokolonne, die uns gleich die ungeheuren Schwierigkeiten des Abtransportes der Umsiedler ahnen ließ, erreichten wir nach 11-stündiger Fahrtzeit unseren Gebietssitz Albota, Sonntag, den 15.9.40.
72 Ritter 1998, „Volksdeutsche Umsiedlung“. Private Niederschrift, Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007. 73 Ebd. 74 �������������������������������������������������������������������������������������������� „Sämtliche ärztliche Akten“ wurden nach der zunehmenden Gefährdung Berlins in der „Ausweichdienststelle des Umsiedlergesundheitsdienstes auf der Sachsenburg bei Frankenberg/Sachsen gesammelt“ und von ungefähr fünf Medizinstudentinnen „geordnet“. Im März 1945, als die „Auslandabteilung der Ärztekammer sich nach Süddeutschland in das Lager Siessen/Saulgau absetzte“, leitete Dr. Ritter die Ausweichdienststelle auf der Sachsenburg bis zur Kapitulation. „Ich bin bis zum 7.5.45 auf der Burg geblieben. Wir hatten lediglich Akten der Auslandabteilung der RÄK nach Anweisung des Herrn Dr. Haubold verbrannt, jedenfalls keine wissenschaftlichen Umsiedlerakten.“ In: Brief von Dr. med. Ritter an Prof. Dr. med. R., Universitätsaugenklinik München, 22.1.1956 (Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007). Vgl. Kap. II.B.Spur 2, verbrannte Akten.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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Die Vertreter der Sowjetseite waren anwesend, ebenfalls der Ortsleiter der Deutschen Partei. Die Volksdeutschen haben uns ungeduldig erwartet, mit Umsicht die Arbeit gut vorbereitet. In allen Gemeinden liegen z.B. Listen der Kranken, Gebrechlichen, Schwangeren und Kleinkinder vor, so daß wir nur diese Listen mit den Erhebungen der Umsiedlungslisten zu vergleichen, evtl. auf den neuesten Stand bringen müssen, um eine brauchbare Bestandsaufnahme des Personenkreises zu besitzen, der vor allem ärztlicher Fürsorge bedarf. Der Sonntag galt der Sanitätsplanung. Dr. Widmer75 fuhr am 2. Tag nach Al 7, Wittenberg (Malojaroslawez Perschyj), erhielt vom Hauptstab Mitteilung von einem Lazarettzug mit einem Kontingent von 20 Kranken für Gebiet Albota, und war seitdem bis zum 25.9. und ab heute wieder auf ‚Jagd nach Kranken‘76 in den Ortsbezirken Al 4; 5; 6; 7 und 8. Er wird in seiner Arbeit unterstützt von Dr. Necker77, Tarutino, den er für das Gebiet Albota zur Mitarbeit gewonnen hat. Allerdings hat der Hauptstab ihn ebenfalls in die Arbeit dort eingespannt. Der 2. Tag in Albota verging mit der Einrichtung des ärztlichen Ambulatoriums in einem geräumigen Zimmer der Schule, die auch dem Gebietsstab und Ortsstab Al 1 als Dienststelle dient. Hier ist auch die sog. Entbindungsstation mit 2 Betten. Das Mobiliar hatten die Volksdeutschen zusammengetragen. Die 8 Betten für die Krankensammelstelle,78 in den ‚guten Stuben‘ eines großen Bauernhauses eingerichtet, waren ebenfalls bereitwilligst zur Verfügung gestellt. [...] Raummangel gibt es in den Dörfern jetzt nicht. Aller Hausrat wird verkauft. Es gehen Fremdländische, Moldowaner, Bulgaren und Gagausen von Haus zu Haus, überall herrscht Handel und Gefeilsche. Die breite Dorfstraße wird belebt durch deren Fuhrwerke, die mit Tischen, Betten, Möbeln kurz Sack und Pack vollbeladen sind. Vom seuchenhygienischen Standpunkt würden wir gerne auf dieses bunte Bild verzichten! Im rumänischen Teil Balabans (Balabanu), einem kleinen Moldowanerdorf entdeckte ich z.B. Scharlach – und alle Bewohner überschwemmen den deutschen Dorfteil, um den Hausrat zu erstehen. In einem anderen deutschen Dorf herrscht z.Zt. Keuchhusten. Auch hier das gleiche Bild des Handels um die gute Stube. [...] Unmöglichkeit, die Käufer und Kontaktträger aus den Dörfern fernzuhalten. [...] 75 „Dr. Widmer“ war „ein bessarabien-deutscher Arzt“. Aus dem Brief von Dr. M. an Dr. R., 29.12. 1955, Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007. 76 Jagd nach Kranken: Diesen Begriff hatte ich 2007 bei der Spurensuche als bedeutsam markiert. Er kommt in der Urschrift an zwei Stellen vor. 77 Vgl. Necker 1936, Bessarabische Sorgen, S. 408–413. Für diese Quelle, die mir 2007 nicht bekannt war, danke ich Elizabeth Harvey (ca. 2014). – Dr. med. A. Necker aus Tarutino war ein bessarabiendeutscher Arzt, der schon 1936 die „Gefahr der Entartung“ der deutschen Volksgruppe in Bessarabien durch „eugenischen Verfall“ (S. 410) sah und sich für eine Förderung des Kinderreichtums in Familien mit guten Erbanlagen aussprach (ausführlicher zu Necker im Namensverzeichnis im Anhang). 78 Krankensammelstelle: Diesen Begriff hatte ich 2007 bei der Spurensuche als bedeutsam markiert.
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„Jagd nach Kranken“ Die ärztlichen Verhandlungen mit den Sowjeten über die 3-Tagemeldungen sind bisher ergebnislos verlaufen. Nach einer langen Debatte über die Forderungen der Anlage 10 des Vertrages kreuzte endlich gestern Dr. Skleroski, der Oberkreisarzt aus Cahul auf. Er machte sich die Sachen einfach, indem er feststellte, es gäbe weder in den deutschen noch in den Dörfern, durch die eine Kolonne zieht, Seuchen. Auch war natürlich die Flucht der rumänischen Amtsärzte vor 2 Monaten ein willkommener Entschuldigungsgrund für die fehlende Seuchenstatistik. Als ich von meinen „Entdeckungen“ z.B. in Balaban sprach, meinte er: ‚Ein Bazillus ist kein Bazillus‘, und er fragte, ob ich denn ‚Infektionist‘ sei. Er glaube nur an Krankheiten, die er selbst gesehen habe. Die nächsten Tage waren mit Fahrten in die O-Bezirke Al 1; 2; 3; 9 vollauf angefüllt. Ich stellte in diesen Orten selbst die ersten Erhebungen über Seuchen – Krankheitsstand, Imfungen, Verlausung usw. an, denn die stellvertr. OD79 waren mit der Einrichtung der Diensträume und dem Beginn der Registrierung vollauf beschäftigt, bis zum Abgang des ersten LKW-Transportes aber überlastet. Von ihnen waren daher keine eingehenden Erhebungen zu erwarten. In den 3 Bereichen, in denen eine Treckstation eingerichtet wird, schickten wir gleich zu Beginn der Umsiedlung einen SDG80, damit dort die Grundlagen von Anfang an geschaffen werden können. Am 20.9.40 begleitete ich die ersten 5 Kranken in das Lazarett Galatz. Es war der erste Bessarabientransport überhaupt, der über die Grenze ging. (siehe Sonderbericht).81 Das freudige Gefühl, das nach diesem Durchpauken des Grenzüberganges den Sankrafahrer und mich erfüllte war der Ansporn zu weiterer Jagd nach Kranken,82 damit die Krankentransporte sich einlaufen sollten. [...] Bis zum 27.9. sind aus Al 1; 2; 3 u. 9 insgesamt 41 Kranke, aus dem ganzen Gebiet 52 Kranke mit Sankra nach Galatz, mit Lazarettzug weitere 19 Kranke ausgesiedelt worden. [...] Die nächsten Tage waren angefüllt mit der Vorbereitung der Sankratransporte. Es ist gelungen, noch vor Abgang des ersten LKW-Transportes in den Ortsbereichen diese von den Schwerkranken und Gebrechlichen zu leeren. In Al 9 trat in Alexanderfeld 1 Scharlach, 3 Ruhrfälle auf, im Nachbardorf herrscht z.Zt. Keuchhusten. 5 Kinder wurden in Galatz isoliert. 3 weitere haben das Stadium convulsivum überschritten. Der geplante Abtransport dieser Dörfer in das Lager Galatz wurde aus diesem Grunde abgesagt. Dafür werden die Frauen und Kinder mit Fuhren bis Reni zu einem Transportschiff geschafft. Auf diese Weise sind Seuchenkontakte mit anderen Menschengruppen vermieden worden.
79 Unleserlich, evtl. auch möglich: „Ob“ oder „Ol“ (Ortsleiter?). 80 SDG: Abkürzung für Sanitätsdienstgrad. 81 Bei diesem „Sonderbericht“ könnte es sich um den Bericht des Sankra-Fahrers handeln, der auch in dem Buch von Pampuch 1941 veröffentlicht wurde, falls nicht Helmut Ritter selbst einen Sonderbericht schrieb, den er mir gegenüber nicht erwähnte. 82 Jagd nach Kranken: Ritter verwendete den Begriff an dieser Stelle zum zweiten Mal in seiner Urschrift, diesmal ohne Anführungsstriche.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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[...] Herr Prof. Fischer83 hat die Durchfälle als ‚Bessarabische Krankheit‘ bezeichnet, zweifellos damit das Richtige getroffen. [...] Das ist wohl auch die einzig gangbare Art, da ja niemals alle Durchfälle im Dorf erfasst werden können und damit seuchenhygienisch als halbe Maßnahme zu betrachten sind. Andererseits ist wohl die Immunitätslage gegen Ruhr in Bessarabien günstiger, so daß kaum die obigen Merkmale der Krankheit so kraß in Erscheinung treten. Die Indolenz84 der Dorfbewohner ist ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor. So besteht die Gefahr, daß sich doch ein oder mehrere Ruhrkranke unter den gemeinsam Ausgesiedelten befinden. Es werden von den nachfolgenden Ärzten (Schiff, Lager) also alle Fälle herausgesondert werden müssen, die von den Gebietsärzten unmöglich sämtlich erfasst werden können. Besondere Schwierigkeit bereitet die Diff. Diagnose bei den Kleinkindern, bei denen man in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von langdauernder Durchfallstörung die klinische Diagnose Ruhr stellten müsste. In die Sanitätspässe schrieb ich u.a. jeweils etwa 20 bis 30 Durchfallstörungen bei Kleinkindern von 3/4 bis zu 2 Jahren. Ritter. 2. Gebietsarzt Albota.“85
Diese unveröffentlichten Teile des Berichts unterstreichen abermals den Eindruck, dass die Aufgabe eines Gebietsarztes nicht nur war, die Hilfsbedürftigen gesund über die Grenze zu bringen, sondern dass vor allem deren bürokratische Erfassung im Vordergrund stand. Im Folgenden entnehme ich aus dem ursprünglichen Bericht Hinweise über die Organisation der Kranken-Umsiedlung und potentiell Wichtiges zu unserer Fragestellung: Wir erfahren von einer „Krankensammelstelle“ mit acht Betten in einem Bauernhaus, außerdem von einem provisorischen „Ambulatorium“ beim SS-Umsiedlungsstab Albota in einem Schulgebäude, wo auch eine „sog. Entbindungsstation“ mit zwei Betten eingerichtet wurde. Auch ein „Lazarett Galatz“ wird erwähnt, in dem Kinder isoliert wurden. Sanitäter (SDG) wurden zu den Treckstationen geschickt, um „die Grundlagen“ zu schaffen, vielleicht ging es dabei um die Einrichtung von Räumlichkeiten, vielleicht auch um Maßnahmen zur Erfassung von Kranken, dies ist nicht klar. 83 Vermutlich war es „Prof. Otto Fischer, Leiter der tropenmedizinischen Anstalt der Universtität Tübingen. [...] Ich stand in enger Verbindung mit ihm lediglich während der Umsiedlung der Volksdeutschen aus der Dobrudscha“. Dr. Ritter brieflich an Prof. Roh. in München am 22.1.1956, Privatarchiv Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007. 84 Indolenz = Gleichgültigkeit. 85 Ritter, Gebietsarzt Albota, 10-Tagemeldung vom 27.9.1940 an Dr. med Haubold, Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer, Reichsärztekammer Berlin, Abt. Presse und Propaganda. Maschinenschrift, vier Seiten. Privatarchiv Ritter, überlassen als Kopie im Brief vom 5.7.2007.
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„Jagd nach Kranken“
Die „Bestandsaufnahme des Personenkreises, der vor allem ärztlicher Fürsorge bedarf“86 aus den Umsiedlungslisten wurde erleichtert und erweitert durch die Listen „der Kranken, Gebrechlichen, Schwangeren und Kleinkinder“, die „in allen Gemeinden“ bereits von bessarabiendeutscher Seite vorbereitet worden waren, bevor die deutsche Umsiedlungskommission eintraf. Dabei gab es teilweise einen Übereifer angesichts der offenbar auch in Bessarabien bekannten NS-Erbgesundheitspolitik: So meldete der Bürgermeister der Gemeinde Leipzig/Bessarabien nicht nur Erkrankte, sondern z.B. auch „Mischehen“.87 Der Gebietsarzt stellte für einzelne Orte „Erhebungen über Seuchen-Krankheitsstand, Impfungen, Verlausung usw.“ auf. Für diese Fahrten in die Ortsbezirke benötigte er mehrere Tage. Unterstützt wurde er dabei auch durch bessarabiendeutsche Ärzte wie die genannten Dr. Widmer oder Dr. Necker aus Tarutino, der sich schon 1936 Sorgen um die „Entartung“ und den „eugenischen Verfall“ der Bessarabiendeutschen gemacht hatte.88 Insofern ist dessen Beteiligung an möglichen Selektionsarbeiten im Rahmen der „Jagd nach Kranken“ oder Auszugrenzenden vor und auch während der Umsiedlungsaktion nicht abwegig. Praktisches Ziel dieser Erfassungen waren jedoch nicht nur möglichst vollständige Kranken-Listen. Aus der ungekürzten Urfassung des Berichts erfahren wir auch von möglichen unangenehmen Konsequenzen solcher Erfassungen: Die Entdeckung von einzelnen „Seuchen“-Kranken konnte zur „Absonderung“ einzelner Umsiedler und sogar zur „Absage“ der Umsiedlung für ein ganzes Dorf führen. Darüber kam es durchaus zu Konflikten: Nach „Anlage 10“ des Umsiedlungsvertrags versuchte der Medizinstudent Ritter offenbar für das Gebiet Albota eine Seuchenstatistik zu erstellen und war dabei vielleicht etwas überengagiert. „Fremdländische“ Straßenhändler waren in seinen Augen „Kontaktträger“ von Scharlach und Keuchhusten, die er am liebsten aus den deutschen Dörfern ferngehalten hätte. Der Oberkreisarzt von Cahul nannte den jungen deutschen Fachkollegen in dieser Auseinandersetzung einen „Infektionisten“. Ritter wollte seinem rumänischen Kollegen nicht abnehmen, dass es keine Seuchen in der Gegend gebe, umgekehrt stellte Dr. Skleroski die entdeckten Fälle von Scharlach in Frage. Schließlich erfahren wir, dass infolge dieser Seuchenerfassung im Gebiet Albota die Umsiedlung von zwei Orten – Alex86 Zitate im ganzen folgenden Teil stammen aus der Auswertung der Urschrift des Berichtes. 87 Vgl. „Village-Reports“ [Ortsberichte]. In: Odessa Digital Library/Collections/War Documents/ Village Reports. URL: www.odessa3.org (Abruf 2000). – Auf dieser amerikanischen Internetseite wurden die Aktenbestände der EWZ aus dem „Berlin Document Center“ (BDC) ins Englische übersetzt und veröffentlicht. Heutiger Standort des BDC ist das Bundesarchiv Berlin, dort dürften die Ortsberichte in deutscher Sprache vorliegen. – Den Hinweis verdanke ich Christina Schlechter, berichtet aus der Erinnerung nach einem Abruf im Jahr 2000 im Telefonat im Juni 2007. – Dietmar Schulze hat 2008 die einzelnen Ortsberichte mit den Listen von Kranken und Hilfsbedürftigen aus Bessarabien eingesehen und in seinen Arbeiten beschrieben. 88 Necker 1936, Sorgen, S. 408–413, Zitat auf S. 410.
Der Bericht von 1941 – und die Urschrift von 1940
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anderfeld (Alexandru-cel-bun, Cîmpeni) und ein Nachbarort – „abgesagt“ wurde, nachdem dort einige Kinder mit Scharlach und Keuchhusten entdeckt worden waren. „5 Kinder wurden in Galatz isoliert“, diente als Begründung. Wir erfahren im Zusammenhang mit der Seuchen-Erfassung zudem von einem besonderen Transportschiff im Hafen Reni, das Frauen und Kinder aufnahm, die von den anderen Umsiedlern getrennt wurden, um „Seuchenkontakte mit anderen Menschengruppen“ zu vermeiden. Dies war allerdings nur ein Vorschlag des leitenden Hygienikers Gerhard Rose gewesen, der am Ende nicht umgesetzt wurde.89 Der erste Transport überhaupt, der Bessarabiendeutsche „über die Grenze“ nach Rumänien brachte, war Ritters Krankentransport mit fünf Personen aus dem Bezirk Albota am 20. September 1940. „Das freudige Gefühl, das nach diesem Durchpauken des Grenzüberganges den Sankrafahrer und mich erfüllte, war der Ansporn zu weiterer Jagd nach Kranken, damit die Krankentransporte sich einlaufen sollten.“
Dieser erste Sankra-Transport war schneller als der „Lazarettzug“ mit „Kontingent von 20 Kranken aus dem Gebiet Albota“, der bereits „am 2. Tag“, also am 16. September, angekündigt worden war. Vielleicht auch, um den bereit stehenden Lazarettzug – „bis zum 27.9.“ schließlich wenigstens mit 19 Kranken – voll zu bekommen, wurde das Aufspüren von Kranken im Wettlauf mit der Zeit für die Gebietsärzte zu einer ‚Jagd‘. Der mehrfach verwendete Begriff „Jagd nach Kranken“ ist ein geflügeltes Wort mit verhängnisvoller Wirkung. In seiner Mehrdeutigkeit, die Ärzte und Sanitäter als Jäger statt als Behandler zeigte, wurde dieser Ausdruck aus dem ursprünglichen Bericht wohlweislich in der veröffentlichten Version 1941 vermieden.
89 Renate Kersting, deren Familie aus Alexanderfeld stammte, konnte diesen heiklen Vorgang, bei dem der „zuständige Gebiestarzt den bereits terminlich festgelegten Abtransport der Alexanderfelder zunächst gestoppt“ (S. 307) hatte, in Akten des Bundesarchivs finden und rekonstruieren. Der Name von Ritter wurde darin nicht genannt, aber es wird deutlich, dass seine Initiative als „Gebietsarzt Al 9“ einigen Wirbel verursacht hatte. Die Hygieniker Rose und Fischer mussten sich mit dem Fall befassen; Gerhard Rose reiste vom Hauptstab Tarutino nach Albota, um Ritter zu maßregeln. Schließlich war es Roses vermittelnde Idee, im Hafen Reni einen Extra-Transport auf einem kleinen Schiff zu organisieren. Kersting, die dem Schicksal der Alexanderfelder weiter nachging, konnte zeigen, dass die geplante Isolierung des „seuchenverdächtigen Transportes Al 9“ missglückte. Im Donauhafen Reni gelangten die Alexanderfelder zusammen mit den anderen Umsiedlern auf ein großes Umsiedlerschiff mit Ziel Prahovo. Von dort fuhren sie ohne Aufenthalt zusammen mit den anderen Umsiedlern weiter mit Eisenbahnzügen nach Deutschland. In: Kersting 2008, Alexanderfeld, S. 307–309. – Der Leitende Arzt im Hauptstab Tarutino deutete in seinem Abschlussbericht diese „Panne“ auf dem großen Dampfer „Passau“ nur an; er machte die unzuverlässige Telegrammzustellung dafür verantwortlich. In: BA R59/377, S. 6.
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I.C. „Wir wollten ja nicht Tote umsiedeln, sondern Lebendige!“ Gespräch mit Dr. Ritter Erinnerungen von Dr. med. Helmut Ritter, Bremen, Mai 2007 (Gesprächsprotokoll90): „Ich war im Herbst 1940 Gebietsarzt in Albota und habe damals über meinen Auslandseinsatz Berichte für die Auslandabteilung der Reichsärztekammer geschrieben. Nur einer davon ist in dem Buch von 1941 veröffentlicht91. Es gibt noch mehrere Berichte, die ich aber nicht mehr habe. Teil meiner Aufgabe bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen war es, herauszufinden, wo Transportgefährdete, Gebrechliche und Alte waren, die nach Deutschland rübersiedeln sollten. Ich hatte dafür zu sorgen, dass sie heil und gesund von ihrem Bauernhof zu den Häfen in Galatz und Reni kamen. Zum Transport standen mir zwei Sankra (Krankenwagen) zur Verfügung, soweit die Umsiedler nicht mit der Familie im Treck oder den Bahnreisen fahren wollten. Für die vielen ‚Hausbesuche‘ stand mir noch ein Fahrer im Admiral zur Verfügung. Abb. aus Pampuch 1941, Ich war damals erst dreiundzwanzigeinhalb Jahre Heimkehr, S. 126 (Ausschnitt) alt! Ich bin in Bremen am 30. Januar 1917 geboren. Meine Doktorarbeit ist 1938 fertiggestellt und 1939 durch den Kriegsanfang liegengeblieben. Durch eine Notverordnung wurden Medizinstudenten nach mindestens zehn Semestern und einem Nachweis über ein geburtshilfliches Praktikum in einer Frauenklinik vorzeitig approbiert.92 So bin ich 1939 durch die Kriegsumstände approbierter Arzt geworden.93
90 Schlechter, Gesprächsprotokoll nach einem Besuch bei Dr. Ritter in Bremen am 9.5.2007, 16 bis 18 Uhr. Gesprächsnotizen und Erinnerungsprotokoll wurden von mir in Ich-Form des Befragten ausgearbeitet und chronologisch geordnet, anschließend wurde das Skript von Dr. Ritter gegengelesen und teilweise mit weiteren Erinnerungen ergänzt im Brief vom 5.7.2007 und späteren Telefonaten. Verständnisfehler wurden mehrfach korrigiert. Folgende Endfassung, die auch Dr. Ritter bekam, stand im Herbst 2007. 91 Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch 1941 (Hg.), Heimkehr, S. 128–135. 92 Approbationsurkunde, Privatarchiv Ritter. „Datum der Bestallung: 20.9.1939“. Eintrag zu Dr. Ritter. In: Reichsärztekartei. Für die Recher93 ������������������������������������������������������������������������������������������������ che danke ich Thomas Beddies, Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin, 2007.
Gespräch mit Dr. Ritter
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Den Doktortitel habe ich 1942 im Felde nachgeliefert bekommen, nachdem mein Professor94 meine Arbeit über entzündliche Lungenabszesse, die durch bakterielle Infektionen u.ä. entstehen, eingereicht hatte.95 Nach kurzer Zeit als Pflichtassistent am Krankenhaus am Urban in Berlin wurde ich durch die Auslandabteilung der Reichsärztekammer für die VOMI96 uk-gestellt97 und vom 6. Oktober 1939 bis 20. Februar 1940 in der Umsiedlung der Volksdeutschen eingesetzt.98 Nach dem Polenfeldzug im September 1939 wurde Polen durch eine Trennlinie, die die Flüsse San und Bug bildeten, in der Mitte zerschnitten und jeweils Deutschland und Russland zugeteilt. Nach einer gewissen Vorbereitung begann die aktive Umsiedlung der Volksdeutschen aus Ostpolen. Die Volksdeutschen aus den sowjetisch besetzten Gebieten wurden nach deutsch-sowjetischen Abkommen nach Deutschland ausgesiedelt. Dabei war ich als Arzt in Hrubieszów99 eingesetzt. Der Ort lag am Übergang zwischen dem russischen und dem deutschen Teil Polens. Von dort wurde ich nach einigen Wochen nach Wladimir Wolinsk100 in Ostpolen für die Überwachung der Mütter, Säuglinge und der hilfebedürftigen, alten und kranken Umsiedler eingesetzt. Ich musste die verstreut wohnenden Deutschen besuchen mit Pferdeschlitten, verpackt in wärmenden Bärenpelz. Da die deutsche Autokolonne von PKWs und LKWs nur zum Teil aufgrund des strengen Winters einsatzfähig gehalten werden konnten. Die Umsiedler wurden dann im bittersten Winter meist mit Zügen in den Westen abgefahren.101 1939/40 ging ich dann zurück nach Berlin. Die Volksdeutsche Mittelstelle hatte das Kommando über die Umsiedlung. Die Volksdeutschen aus dem östlichen Teil Polens wurden nun in Deutschland in verschie194 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Dr. Ritter studierte Medizin in Greifswald, München und Berlin. Er promovierte bei Prof. Siebeck, nach Angaben in seinem Lebenslauf vom 5.10.1950, Kopie aus dem Privatarchiv Ritter, überlasssen 2007. 195 Ritter, Lungenabszess und seine Behandlung, Universität Berlin, Dissertation vom 14. März 1942 (Maschinenschrift). Für die Recherche danke ich Thomas Beddies, Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin, 2007. 196 VOMI = Volksdeutsche Mittelstelle 197 uk = unabkömmlich 198 Dies betraf noch nicht die Umsiedlung aus Bessarabien, sondern die der „Volksdeutschen“ aus Wolhynien. Einen kurzen Überblick über die verschiedenen „Heim ins Reich“-Aktionen bietet z.B. Ruchniewicz 2010, S. 160–167. Der „Atlas zur Geschichte Ostmitteleuropas“, in dem die „Heim ins Reich“-Umsiedlungen nur auf sieben Seiten dargestellt sind, bietet gleichzeitig einen katalogartigen Überblick über die Zwangsumsiedlungen anderer Bevölkerungsgruppen, die sich gleichzeitig im Kontext des Zweiten Weltkriegs abspielten. 199 Hrubieszów liegt im südöstlichen Teil Polens, östlich davon befindet sich das Gebiet Wolhynien. In: Meyers Lexikon 1936, Atlasband, Karte 14bD3. 100 Ebd., Karte 14bD3: Wlodzimierz Wol. liegt in der Nähe, östlich von Hrubieszów. Heute Wolodymyr-Wolynskyj/Ukraine. 101 Nach der Umsiedlung der Baltendeutschen im Nov./Dez. 1939 war „die nächste große Gruppe [...] die Umsiedler aus Ostpolen, genauer aus den von der Sowjetunion annektierten Gebieten Galizien [...], Narew [...] und Wolhynien (zwischen Bug und Djnepr). Von Ende Dezember 1939 bis Anfang Februar 1940 kamen rund 128.000 Menschen per Zug in den Warthegau.“ In: Heinemann 2003, S. 242.
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„Jagd nach Kranken“ denen Unterkünften – hauptsächlich in Schulen und Klöstern – untergebracht, bevor sie in die bäuerlichen Ansiedlungsgebiete zugeteilt wurden. In dieser Zeit zwischen meinen Auslandseinsätzen in Polen und Bessarabien wurde ich nach Teschen102/Oberschlesien beordert, um drei Umsiedlerlager, die in Schulgebäuden lagen, zu betreuen. Mein zweiter Sohn ist in Teschen geboren, meine Frau war von Berlin hergekommen. Die volksdeutsche Betreuung in den Umsiedlerlagern war eine der schwierigsten ärztlichen Aufgaben, weil die Siedler aus Gebieten kamen, in denen es seit Jahrhunderten keine Infektionskrankheiten wie Masern, Windpocken usw. gab. Als sie dann zusammen mit den Deutschen lebten, bekamen die Kinder der Volksdeutschen hier die Masern. Dabei gab es so manche Todesfälle. Wir haben damals ein Masern-Serum entwickelt, von Kindern, die die Masern bereits überstanden hatten. Das half, die Todesrate erheblich zu senken. In meinem Bereich kamen vor allem Masern, Windpocken und Meningitis (Hirnhautentzündung) vor. Die Lager habe ich sanieren müssen. Ich führte Impfschutz und Isolierung in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus ein. Dafür bekam ich wissenschaftliches Lob. Aber die Volksdeutschen waren solche Krankheiten nicht gewohnt. Sie versteckten z.B. kurzerhand die Kinder unter den Decken der gemachten Betten, weil sie wussten: Wenn ich bei den täglichen Kontrollen einen Masernfall zu sehen bekam, musste ich ihn isolieren. Alle Leute hatten Angst vor den deutschen Krankenhäusern! Die Angst, im Osten in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden, das ja nur Schwerkranke aufnahm, dort zu sterben, war groß. Das hatte aber nichts mit ‚Euthanasie‘ zu tun, davon wusste ich überhaupt nichts. Von Teschen aus103 bin ich im Herbst 1940 zur Bessarabien-Umsiedlung abkommandiert worden und habe dort das Gebiet Albota ärztlich betreut. Darüber berichtete ich in dem Aufsatz in dem Buch von Pampuch. Etwas Wichtiges habe ich damals in meinen Berichten an die Reichsärztekammer allerdings nicht beschrieben: Bei der Bessarabien-Umsiedlung habe ich hohe volksdeutsche Führer, die die Russen nicht rauslassen wollten104, als Typhuskranke in Sanitätskraftwagen gepackt und sie auf diese Weise über die Grenze gebracht!105 Das blieb geheim.
102 Teschen liegt auf der Grenze zum damaligen „Sudetengau“, ca. 50 km Luftlinie südwestlich von Auschwitz (poln. Oswiecim). In: Meyers Lexikon 1936, Atlasband, Karte 14bB4. 103 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Ärztekartei, Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin, Eintrag für Dr. Ritter: „Aug. 40 [...] Volksdeutsche Mittelstelle Teschen“. Der Bessarabieneinsatz ist in der Ärztekarteikarte nicht extra vermerkt. Im „Sep. 41“. folgte nach dieser Quelle der Einsatz in Litzmannstadt (poln. Łódź). Ich danke Thomas Beddies für die Recherche. 104 ���������������������������������������������������������������������������������������� Mit „volksdeutsche Führer“ sind in diesem Fall vermutlich die von der Umsiedlungskommission aus der Bevölkerung ernannten „Ortsbevollmächtigten“ gemeint. Tatsächlich sind Versuche der sowjetischen Umsiedlungskommission überliefert, z.B. Leiter von bessarabiendeutschen Genossenschaften bei der Übergabe festzuhalten und ihre Umsiedlung nach Deutschland mit Androhung von Deportation nach Sibirien oder Bedrohung mit der Pistole zu verhindern. Dies erforderte einen besonderen Einsatz der deutschen Umsiedlungskommission. Ein solcher Fall aus Arzis/Bessarabien (Arcis, Arzys) wurde autobiografisch beschrieben in: Meyer (Hg.) 1986, Weg aus der Steppe, S. 100–104 u. 107. Ähnlich abenteuerliche Erfahrungen sind über Christian Schlechter aus Kurudschika/Bessara105 ������������������������������������������������������������������������������������������ bien (Curudjica, Suchuvate) mündlich in der Familie überliefert, dem „bei der Übergabe des
Gespräch mit Dr. Ritter
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Auch bei der Abfuhr der Deutschen aus anderen Gebieten Bessarabiens habe ich ärztlich tätig werden müssen. Das Gebiet Albota, für das ich als Gebietsarzt zuständig war, lag nördlich von Galatz, es war deshalb auch das Einzugsgebiet für alle anderen Umsiedlertrecks, die auf dem Weg zu den Umsiedlungshäfen durch dieses Gebiet durchkamen. Einmal habe ich in einem Zug mit Umsiedlern Zwillinge entbunden. Es waren noch diese schönen alten Wagen mit Trittbrettern außen. Während der Fahrt bei 20 bis 30 km/h bin ich auf den Tritten außen entlang bis zur Lokomotive gegangen, um heißes Wasser zu holen. Die Geburt klappte, ich hatte das erste Kind in der Hand und fragte mich, wie man es windelt, denn es war ja nicht wie sonst eine Hebamme dabei, da hieß es: „Herr Doktor, da kommt noch was!“ Da kam das zweite Kind. Seine Wäsche musste bei anderen Umsiedlerinnen organisiert werden. Die Frau hatte nicht mit Zwillingen gerechnet. Später habe ich auch noch den ärztlichen Dienst bei den Umsiedlungen in Litauen106 geleitet, in den beiden Hauptstädten Kowno (Kaunas) und Wilna (Vilnius). Das war aber völlig anders, weil es diesmal städtische Gebiete waren. Für die Umsiedlung wurden dort auch Krankenhäuser und psychiatrische Kliniken mit Volksdeutschen belegt und mit umgesiedelt. Sie wurden mit speziellen Kranken-Eisenbahnwaggons an die Grenze gebracht und dort den deutschen Behörden übergeben. Geisteskranke waren auch dabei107, aber ich weiß nichts von ‚Euthanasie‘. Wir wollten ja nicht Tote umsiedeln, sondern Lebendige. So wie in Bessarabien habe ich auch in Litauen die dortigen Schwerkranken heil und lebendig über die Grenzen begleitet. Gerüchte über ‚Euthanasie‘ wurden vielleicht ab 1942 gemunkelt, aber keiner ‚wusste‘ es! In meinem persönlichen Umkreise gab es auch keine solchen Fälle.
Ortes“ die „Pistole an den Hals“ gesetzt worden sei und der später alleine „mit einem Pferd durch die Steppe“ bis zum Umsiedlerlager in Krems in Österreich geflüchtet sei, wo die anderen ehemaligen Bewohner von Kurudschika schon lange angekommen waren. Dr. Ritter war vom 28.12.1940 bis 5.4.1941 in Litauen eingesetzt. In: Bescheinigung der Volks106 ���������������������������������������������������������������������������������������������� deutschen Mittelstelle Berlin vom 5.4.1941, Dokument im Privatarchiv Ritter. – Es muss sich um eine Nach-Umsiedlung gehandelt haben, denn „die sogenannte ‚Baltendurchschleusung‘ begann im Januar 1939 [...] und war im März 1940 abgeschlossen. […] In der Zeit vom Januar bis März 1941 kamen noch einmal 48.000 Litauendeutsche und 12.000 Nachumsiedler aus Estland und Lettland ins Deutsche Reich“. In: Heinemann 2003, S. 242, Anm. 167. 107 Das Schicksal von „geisteskranken“ Patienten aus den Krankentransporten, die 1939 aus dem Baltikum in Westpreußen als „Volksdeutsche“ ankamen, wurde schon 2003 von Dietmar Schulze aufgeklärt. So wurden im Dezember 1939 nach der baltendeutschen Umsiedlung mit Schiffen über Gotenhafen (Gdingen, poln. Gdynia) 300 baltendeutsche Patienten aus Riga (lettisch Rīga) in der „T4“-Zwischenanstalt Arnsdorf in Sachsen aufgenommen. Am 31.12. waren bereits sieben von ihnen tot. Am 17.5.1940 wurden 270 von ihnen weiterverlegt in die Anstalten Tiegenhof (Dziekanka) in Gnesen (Gniezno) und Pirna-Sonnenstein. – Patienten aus einem Krankentransport aus Reval (Tallinn) kamen über die Zwischenanstalt Meseritz-Obrawalde (Międzyrzecz) in die Anstalt Tiegenhof. Alle diese genannten Anstalten sind als „T4“-Anstalten bzw. Zwischenanstalten bereits bekannt. Die Auslandabteilung des Reichsärzteführers ließ für die Begleitung pro Anstalt je zehn Personen aus dem Pflegepersonal abstellen. In: Schulze, Volksdeutsche Opfer der „Euthanasie“. Vortrag AK-Tagung Gütersloh, 14.–16.11.2003 (eigene Mitschrift, ohne Gewähr).
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„Jagd nach Kranken“ Nach Beendigung des Kowno-Einsatzes in Litauen kam ich nach Litzmannstadt.108 Hier wurde ich vom leitenden Arzt des dortigen Siegfried Staemmler Krankenhauses,109 Herrn Prof. Bernauer,110 als Assistenzarzt der Inneren Frauenabteilung eingesetzt. Ich drängte auf klinische Betätigung, da ja während der Einsätze in der UDSSR Tätigkeiten für meine Ausbildung fehlten! Meine Frau wurde in derselben Zeit in der Nähe Lagerärztin in Zgiesch (Zgierz).111 Für die VOMI hatte ich in Litzmannstadt dann ein großes Kinderkrankenhaus in einem Umsiedlerlager am Morgenweg zusammen mit meiner Frau und einem Kinderarzt zu betreuen.112 Nein, von der auch in Litzmannstadt arbeitenden EWZ (Einwandererzentralstelle) hatte ich keine Ahnung und auch keine Verbindung. Bei der Volksdeutschen-Umsiedlung war ich nur bis 1942 uk-gestellt. Dann wurde ich zur Wehrmacht eingezogen.113 Bis November 1944 war ich im Ostfeldzug als Stabsarzt bei der 58. Infanteriedivision, immer in vorderster Front. Dann wurde ich wieder uk-gestellt für die volksdeutsche Umsiedlung und leitender Arzt des Amtes für Umsiedlergesundheitsdienst bei der Auslandabteilung der Ärztekammer Berlin, Grunewald. Es gab ja Anfang 1945 noch Umsiedlungskrankenhäuser in Schlesien.114 Ich habe von dort ein volksdeutsches Tuberkulose-Krankenhaus115
108 Litzmannstadt: 1939 bis 1945 eingedeutschter Name für die polnische Stadt Lodz, war u.a. Sitz der Einwandererzentralstelle (EWZ) für die volksdeutschen Umsiedler und der Umwandererzentralstelle (UWZ) für auszusiedelnde Polen. Zudem befand sich in Lodz das größte jüdische Ghetto im Zweiten Weltkrieg. 109 Einfügung nach einem Telefonat mit Ritter am 1.6.2007. 110 „Prof. Bernauer war aus Hongkong zurückgekehrt und erhielt die Leitung des Siegfried Staemmler Krankenhauses [...] Bildband des Krankenhauses vorhanden.“ Ritter im Brief vom 5.7. 2007. 111 Zgierz liegt an der Bahnlinie nördlich von Lodz, vgl. Meyers Lexikon 1936, Atlasband, Karte 14bB3. 112 Vgl. Reichsärztekartei (Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin, Recherche von Thomas Beddies), Eintrag für Dr. Ritter: „Sep. 41 [...] Siegfried-Stämmler-Kh, Litzmannstadt [...] Mai 43 [...] Vo.Mi, Ges.Abt., Litzmannstadt [...] Ass.“ Dr. Ritter müsste demnach in der Zeit, in der er nach seinen Angaben ins Heer eingezogen war (1942–44), noch einmal im Mai 1943 in Litzmannstadt für die Volksdeutsche Mittelstelle eingesetzt gewesen sein. 113 „Einberufen (Heer) 28.1.42“. Eintrag in der Reichsärztekartei. Dank für die Recherche an Thomas Beddies, Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin, 2007. 114 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Zu Schlesien als Spur vgl. Kap. II.C.Spur 18. – Erst 2008 wurde bekannt, dass die Ziele der Lazarettzüge ab Galatz „Reservelazarette“ in Schlesien waren. Vgl. Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler. 115 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Hölzer 2001, Zschadraß. In: AK-Berichte 1 (2001), S. 127–137. Demnach gab es ein „Tuberkulosekrankenhaus für Volksdeutsche Umsiedler“ z.B. in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Zschadraß, die sich „im ‚Dritten Reich‘ von einer zentralen Sterilisations- zur größten sächsischen ‚Zwischenanstalt‘ und schließlich zu einer Institution des Todes entwickelte.“ (S. 136). Nach Abschluss der Krankenmordaktion „T4“ durch Patientenverlegungen in Tötungsanstalten wurden „in den geräumigen Anstaltsgebäuden [...] neben einem Reservelazarett für Lungenkranke und sonstige Wehrmachtsangehörige (450 Betten) und einem ‚Tuberkulosekrankenhaus
Gespräch mit Dr. Ritter
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nach Triangel bei Gifhorn116 überwiesen. Als oberster Chef des ärztlichen Dienstes habe ich u.a. auch dieses Krankenhaus in den Westen transportiert. In derselben Eigenschaft war ich im November oder Dezember 1944 auch in Ostpreußen und habe dort ein volksdeutsches Umsiedlerlager evakuiert und dafür gesorgt, dass sie trotz der Schwierigkeiten des Bahntransportes nach Westdeutschland kamen und vor den Russen in letzter Minute geschützt wurden. Nach Kriegsende, am 9. Mai 1945, bin ich in Radewisch117 in Thüringen in amerikanische Gefangenschaft gekommen und erst im Mai 1948 frei geworden. Ich persönlich war weder in der Partei gewesen noch war ich irgendwie belastet worden. Aber im Kriegsgefangenenlager in Dietersheim118 haben mich liebe reichsdeutsche Ärzte, denen ich geholfen hatte, verpfiffen. Das amerikanische Kriegsgefangenenlager mit 10.000 Insassen habe ich mitgeleitet und dort über Böringer/Ingelheim Impfungen gegen Typhus an den Mitgefangenen veranlasst, nachdem in Bretzenheim119 an der Lahn eine Typhus-Epidemie ausgebrochen war, mit ‘zig Toten, und weil wir im Lager das Wasser aus der Lahn tranken. Meine Frau hatte ich schon im Februar 1945 aus Berlin-Templin, wo sie ärztlich tätig war, mit beiden Kindern und einem polnischen Mädchen, das uns aus Angst vor den Russen gefolgt war, nach Bremen geholt, wo meine Eltern wohnten. Nach der Gefangenschaft war ich im amerikanischen Lazarett tätig und habe eine Geburtshilfeabteilung geleitet. 1950 habe ich mich schließlich als praktischer Arzt in Bremerhaven niedergelassen. Ich bin wohl der letzte noch lebende Arzt, der bei der Umsiedlung dabei war, denn ich war damals der jüngste und bin heute 90 Jahre alt. Ich hätte gerne über meine guten(!) Erinnerungen erzählt. Das Schöne war, dass man als Arzt helfen konnte, dass man die Begeisterung der Umsiedler kennenlernte, weil sie aus russischer Herrschaft befreit wurden. Wir aus dem deutschen Umsiedlungskommando wussten ja gar nichts von den Lebensbedingungen der Volksdeutschen, die z.B. in Bessarabien ihr
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für volksdeutsche Umsiedler‘ (100 Betten) eine Staatliche Lungenheilstätte (200 Betten) eingerichtet.“ (S. 133). Im Dresdener Ärzteprozess sagte eine Stationsschwester aus, dass in „der Zschadraßer Lungenabteilung [...] auch Lungenkranke aktiv medikamentös ‚beseitigt‘“ wurden. (S. 136). „Wir hatten als Mitarbeiter der Volksdeutschen Mittelstelle ein TBC-Krankenhaus aus Schlesien nach Gifhorn gebracht“. Ritter telefonisch am 23.5.2007. – Dr. Ritter erinnerte sich nicht mehr an den Standort in Schlesien. Chefarzt in Gifhorn war Dr. Schaff. Radewisch/Thüringen wurde nicht gefunden, evtl. handelt es sich um Rodewisch, Radebeul oder Radeberg in Sachsen. In „Dietersheim“, einem Stadtteil von Bingen am Rhein, war von 1945–1948 eines der 23 „Rheinwiesenlager“ zur Internierung von hunderttausenden deutschen Kriegsgefangenen unter amerikanischer Bewachung. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Rheinwiesenlager (Abruf 3.1.2020). An das ehemalige Kriegsgefangenenlager Bretzenheim an der Nahe mit einer Kapazität von 100.000 Gefangenen, genannt „Feld des Jammers“ erinnert heute eine Gedenkstätte. URL: www.bretzenheim.de/project/feld-des-jammers/, vgl. Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz (Hg.), Rheinwiesenlager. URL: rheinwiesen-lager.de/einzelne-lager-im-heutigen-rheinland-pfalz/bretzenheim-winzenheim/ (Abruf 3.1.2020).
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„Jagd nach Kranken“ pfälzisches Volkstum über Jahrhunderte bewahrt hatten. Die Umsiedler sprachen 1940 immer noch ein reines, pfälzisches Deutsch. Sie ließen keine fremden Einflüsse, weder rumänische, jüdische oder bulgarische in ihren Volksbrauch und in ihre Gemeinschaft hinein. Dass heute noch nach ‚Euthanasie‘ bei den Volksdeutschen gefragt wird... – Ich wusste, dass die Jugend der Volksdeutschen im Krieg zerschlissen wurde. Aber von ‚Euthanasie‘-Geschichten weiß ich nichts. Zur Vorbereitung der Umsiedlung gehörte es doch, dass für Säuglinge, Kinder, Eltern, Großeltern und speziell für die Kranken Vorsorge getroffen werden musste. Ich war für die Verpflegung und Versorgung von der Wohnung bis zu den Häfen Reni und Galatz zuständig. Die Kranken verblieben dabei – so weit es ging – ja auch in der Betreuung ihrer Familien. In den Sankras (Sanitätskraftwagen) wurden nur die Bettlägerigen zu den Häfen transportiert. Ich habe keine Ahnung, was dann mit den Kranken im Lager Galatz und danach auf den Schiffen passierte. Es gab damals braune Schwestern, Rotkreuz-Schwestern, freie Schwestern usw. Ich wüsste nicht, dass die ‚Braunen Schwestern‘ besonders politisch waren. Ich hatte als Gebietsarzt bei der Umsiedlung ganz ohne die Hilfe von Schwestern gearbeitet, nur Sanitäter waren dabei. Die Führerschule der NS-Ärzteschaft in Alt-Rehse kenne ich nicht. Ich war freier Arzt, ich hatte mit denen nichts zu tun. Aus meiner Dienstzeit in Berlin kenne ich Ärzte, die damit zu tun hatten, z.B. Conti, den Reichsgesundheitsführer.120 Ich traf ihn in meiner ärztlichen Abteilung in Berlin, wenn er zum Saunabaden kam. Dort in der Sauna erzählte er von seinen Erlebnissen als Amtsarzt in einem Ort in Westdeutschland (Essen? Dortmund?), es waren so Döntjes-Geschichten. Da dachte ich, der Mann ist menschlich ganz in Ordnung. Als ich später in der Gefangenschaft in Dietersheim hörte, daß man ihm solche Greueltaten nachgewiesen und er Selbstmord begangen hatte, dachte ich nur, dass er mir doch als ganz normaler Mensch und Arzt erschienen war.“121
120 ����������������������������������������������������������������������������������������� Dr. Leonardo Conti (1900–1945): Staatssekretär für das Gesundheitswesen im Reichsministerium des Innern in Berlin, SS-Gruppenführer, im Krieg vom Herbst 1939 bis 1944 Reichsärzteführer als Nachfolger von Gerhard Wagner. Mitwisser der spätestens ab Februar 1939 in der Abteilung IV des Reichsinnenministeriums einsetzenden heimlichen Beratungen der geplanten Tötungen von Geisteskranken und Mitorganisator der praktischen Umsetzung, z.B. durch Kohlenmonoxid-Vergasung ab Kriegsbeginn. Die Rundschreiben, die ab Oktober 1939 vom Innenministerium allen Heil- und Pflegeanstalten geschickt wurden und die das Ausfüllen der Meldebögen für die geheime Krankenmordaktion „T4“ anordneten, trugen Contis Namen. In: Klee 2001 [1985], Dokumente, S. 67f. und S. 152. 121 Ende des Protokolls in der erweiterten Fassung vom Juli 2007. Nach unserem zweistündigen Gespräch am 9.5.2007 in Bremen hat Dr. Ritter im Brief am 5.7. einzelne Fotos aus dem Nachlass der NS-Oberin Rakow, die ich ihm vorgelegt hatte (Q5/Fotos), nochmals kommentiert, zudem Dokumentenkopien aus seinem Privatarchiv zur Verfügung gestellt. Weitere Ergänzungen ergaben sich aus Telefonaten. Die unveröffentlichte Endfassung des erweiterten Gesprächsprotokolls gab ich im Oktober 2007 Maria Fiebrandt und Thomas Beddies im kollegialen Austausch zur Kenntnis.
Gespräch mit Dr. Ritter
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Tatsächlich sagte Reichsgesundheitsführer und SS-Obergruppenführer Leonardo Conti, der 1940 selbst an Probetötungen teilgenommen haben soll und der sich im Oktober 1945 in der Haft durch Selbstmord seiner bevorstehenden Verurteilung im Nürnberger Ärzteprozess entzog,122 zuvor noch aus, dass die Ärzteschaft nur gerüchteweise von den „Euthanasie“-Aktionen erfahren hatte und nur wenige Amtsärzte in die heimlichen Mordaktionen eingeweiht worden seien.123 Aber interessierte sich der Leiter der Auslandabteilung der Reichsärztekammer, während er vertraulich mit diesem Conti in der Sauna saß, auch nicht für die Wege und Ziele der Krankentransporte der „Volksdeutschen“, die er 1940 an der rumänischen Grenze abgeliefert und in Listen erfasst hatte? Ein zweistündiges Gespräch kann nicht alles ergründen. Was von mir damals als Protokoll in Ich-Form, wie eine Geschichte verfasst wurde, wurde in den folgenden Wochen noch mehrfach nachträglich durch Telefonate und Briefe ergänzt und erst nach einigen Korrekturen schließlich als sachlich richtig bestätigt. Da Dr. Ritter an ein Atemgerät angeschlossen war, waren seine schriftlichen Korrekturen meiner Verständnisfehler sehr hilfreich. Wegen seiner Augenschwäche fiel ihm allerdings auch das Schreiben nicht leicht. Ich bedaure heute sehr, dass ich allein aus zeitlichem Druck Dr. Ritters Wunsch nach weiterer Ausarbeitung seiner Erinnerungen nicht mehr erfüllen konnte, da in der begrenzten Projektzeit der Nachlass der NSSchwester dringend auf Auswertung wartete und damals unbedingt Vorrang hatte. Posthum bin ich ihm für seine herzliche Kooperationsbereitschaft dankbar, auch wenn Fragen offen blieben.124
122 Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Leonardo_Conti_(Mediziner) (Abruf 10.4.2021). 123 „Conti wurde vor Gericht in übereinstimmenden Zeugenaussagen als ‚machthungriger‘, ‚ehrgeiziger‘ und ‚politischer Exponent‘ geschildert. So hatte er auch einen Plan zur Ausrottung der polnischen Intelligenz durch Sterilisation entworfen [...] Auf Blomes Einspruch gegen eine ungesetzliche Euthanasie hat Conti versichert, daß die Reichsärzteführung und die Ärzteschaft nichts mit der Euthanasieaktion zu tun haben. Nur wenige Amtsärzte waren unterrichtet worden [...] Die Ärzteschaft erfuhr nur ‚gerüchteweise‘ von dem Ablauf der Dinge.“ In: Mitscherlich/ Mielke 1960 [1949], Medizin ohne Menschlichkeit, S. 203. 124 Abschließend schrieb mir Dr. Ritter: „Ich meine, Ihnen mit meinen spärlichen Unterlagen einige Hinweise zu Ihrer Frage der ‚Euthanasie‘ in der Umsiedlung der Volksdeutschen gegeben zu haben. Ob ich damit Ihrem Anliegen zu helfen gedient habe, möchte ich bezweifeln. Unter meinen ärztlichen Einsätzen sind derartige Vorkommnisse nicht bekannt geworden – dennoch ist das Ausmaß der Euthanasie beträchtlich gewesen. [...] Für mich war die Besinnung an meine Umsiedlungstätigkeit nach so vielen Jahren jugendlich forscher Tätigkeit [...] eine gute Erinnerung.“ Brief von Dr. Ritter, 15.9.2007.
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I.D. „Was danach im Lager oder auf dem Schiff passierte, davon weiß ich nichts“ Kritische Fragen nach „Euthanasie“ Zu meinen Fragen nach möglichen „Euthanasie“-Maßnahmen bei der Umsiedlungsaktion konnte Dr. Ritter mir leider keine direkten Auskünfte geben. Wiederholt fiel der Satz: „Davon habe ich nichts gewusst“ und auch nichts „gehört“.125 Erst 1942126 habe er Gerüchte über „Euthanasie“ vernommen.127 Möglicherweise war ihm tatsächlich nichts von solchen Folgemaßnahmen bekannt, wenn es nur seine Aufgabe war, die Kranken „heil und gesund“ über die russische Grenze zu bringen. Allerdings räumte er selbst ein, nicht zu wissen, was danach im Lager Galatz oder auf den Schiffen mit den kranken Umsiedlern geschah. Als ich ihm ein Foto aus dem Nachlass von Dorothee Rakow zeigte,128 das offensichtlich im Lager Galatz aufgenommen war und die Aufschrift „Entlausung“ trug, reagierte er etwas erschrocken spontan mit dem Satz „Davon haben wir nichts gewusst!“ Vermutlich war ihm bekannt, dass Begriffe wie „Entlausung“ oder „Desinfektion“ seinerzeit als harmlose Synonyme für die Vergasung von Menschen verwendet wurden. Eigentlich hatte ich mir bei Vorlage dieses Fotos von ihm als Arzt lediglich eine technische Erläuterung des Vorgangs einer Entlausung erhofft. Eine Weile nach unserem Gespräch rief mich Dr. Ritter zu dieser Frage noch einmal zurück, weil er inzwischen in seinen Unterlagen noch Dokumente gefunden hatte, darunter sei auch „etwas zur Entlausung“.129 Als eine Art Beweis für seine Nicht-Beteiligung an „Euthanasie“-Tötungen berichtete Dr. Ritter mir von Aktionen, die er in seinen Berichten an die Reichsärzte-
125 „Dass heute noch nach Euthanasie bei den Volksdeutschen gefragt wird. [...] Ich wusste, dass die Jugend der Volksdeutschen im Krieg zerschlissen wurde. Aber von Euthanasiegeschichten weiß ich nichts.“ Ritter im Gespräch am 9.5.2007. 126 In der Bevölkerung waren die Gerüchte allerdings schon 1941 so stark geworden, dass die Gasmord-Aktionen in den Anstalten im August 1941 reichsweit gestoppt wurden. 1942, als die Gerüchte Dr. Ritter erreichten, wurden die zuvor angewendeten Methoden und auch das Personal der Krankenmord-„Aktion T4“ bereits weiterverwendet in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhard“. 127 „Gerüchte über Euthanasie wurden vielleicht – ab 1942! – gemunkelt, aber keiner ‚wußte‘ es! In meinem persönlichen Umkreis gab es auch keine solchen Fälle.“ Ritter, Einfügung „ab 1942!“ auf einem Korrekturblatt einer Zwischenfassung, 5.7.2007. 128 Q5/G3. 129 Ritter telefonisch im Juni 2007. Dieses Material aus dem Privatarchiv von Dr. Ritter findet in der Auswertung des Nachlasses der NS-Oberin teilweise Verwendung. Vgl. Kap. II.C.Spur 7, Entlausung.
Kritische Fragen nach „Euthanasie“
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kammer verschwieg: Mit vorgetäuschten Typhus-Diagnosen brachte er „hohe volksdeutsche Führer“ heimlich in Sankras über die Grenze.130 Somit sei er also für die Bessarabiendeutschen eher ein Lebensretter als ein Mörder gewesen. Doch an welchen Stationen der Tätigkeiten eines Gebietsarztes wäre organisatorisch eine Beteiligung an Tötungen oder Selektionen im Rahmen einer geheimen „Euthanasie“-Planung theoretisch denkbar? Dr. Ritter umschrieb zu Beginn unseres Gesprächs seine Aufgabe bei der Umsiedlung u.a. damit, „herauszufinden, wo Kranke waren, die nach Deutschland rübersiedeln sollten.“ In seinem Bericht von 1940/41 hatte er Hausbesuche erwähnt: „Schwerkranke“, die er in ihren Häusern im Gebiet Albota aufsuchte. Dabei hatte er Entscheidungen zu treffen: „Sollte“ diese/r Umsiedler/in umgesiedelt werden? In den deutsch-sowjetischen Umsiedlungsvereinbarungen war festgelegt worden: „Stark ansteckende Kranke können im Transport nicht mitgenommen werden und werden entweder nach ihrer Wiederherstellung oder gesondert transportiert.“131 Entscheidungen über Sondertransporte einzelner Kranker musste der Gebietsarzt auch während der Treckkontrollen fällen, stets unter dem Druck der pünktlichen Ankunft an der Grenze, der sogar Notfälle ignorieren ließ.132 Vielleicht war es auch Hilflosigkeit des Studenten, dem es angesichts solcher medizinischen Anforderungen noch an ärztlicher Erfahrung oder Material fehlte? Nachdem der junge Gebietsarzt für Schwerkranke „Krankenbegleitscheine“ ausgefüllt hatte, wurden die Patienten in das „Krankenhaus in Galatz“ überwiesen. Im Rückblick 2007 erwähnte Dr. Ritter mit gegenüber allerdings die große Angst der Umsiedler vor den deutschen Krankenhäusern: „Die Angst, nicht wieder zu kommen, war groß. Das hatte aber nichts mit ‚Euthanasie‘ zu tun“,133 sondern mit ihrer Angst vor seinen ärztlichen Anordnungen, die zur Isolierung der ansteckenden Kranken führten. Diese Erinnerung bezog sich auf seine vorherigen Erfahrungen im Umsiedlerlager Teschen. Hatten auch die Bessarabiendeutschen zum Zeitpunkt ihrer Umsiedlung bereits Angst
130 ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Bei der Bessarabien-Umsiedlung habe ich hohe volksdeutsche Führer, die die Russen nicht rauslassen wollten, als Typhuskranke in Sanitätskraftwagen gepackt und sie auf diese Weise über die Grenze gebracht“, Ritter im Gespräch am 9.5.2007, vgl. I.C., Gesprächsprotokoll, Anmerkungen. 131 Deutsch-sowjetische Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der Nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich vom 5. September 1940, Abschnitt III, Art. 18. Als Quelle abgedruckt in Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 214. 132 Vgl. Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 133. 133 „Sie versteckten die Kinder unter den Decken der gemachten Betten, weil sie wussten: Wenn ich einen Masernfall zu sehen bekam, musste ich ihn isolieren. Alle Leute hatten Angst vor den deutschen Krankenhäusern! Die Angst, nicht wieder zu kommen, war groß. Das hatte aber nichts mit Euthanasie zu tun. Davon wusste ich überhaupt nichts.“ Ritter im Gespräch am 9.5. 2007, erste Fassung, später differenziert nach Brief vom 5.7.2007 in der in Kapitel I.C. anders dargestellten Endfassung.
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„Jagd nach Kranken“
vor „deutschen Krankenhäusern“?134 Oder war es zunächst die Angst vor den Umsiedlungsärzten mit ihrer Macht, Überweisungen in Isolierstationen und Trennungen von der Familie anzuordnen? Auf seinen „Treckkontrollfahrten“ stellte Dr. Ritter „fast vollständige Listen“ der Kranken jedes Transportes zusammen. Es wird nicht deutlich, ob er diese Arbeit freiwillig aus eigenem Ehrgeiz tat, weil er sie aus seinem früheren Einsatz in Wolhynien als „alter Hase“ wichtig fand, oder ob er die Erstellung von Krankenlisten und die Kontrollen der Gesundheitspässe im Auftrag des Umsiedlungskommandos ausführte. Adressat der Listen war jedenfalls ein „Verschiffungs- und Schiffsarzt“. Ein solcher war im Hafen von Reni auch zuständig für die Alten und Mütter mit Kleinkindern, die mit Bussen vorab aus den Dörfern abgeholt worden waren. Ritter kritisierte den Sinn dieses Vorabtransports, weil die Hilfebedürftigen dem Schiffsarzt „zur Last“ fielen. Dieser Schiffsarzt, dem Ritter an diesen zwei Stellen zuarbeitete, stand scheinbar in der Hierarchie über ihm bzw. war – wie bei einem Staffellauf – für die Kranken in der nächsten Phase der Umsiedlung verantwortlich. Das gibt dem Schiffsarzt die Rolle einer neuen ‚Spur‘. Was im Lager und auf dem Schiff mit dem Umsiedlern passierte, nachdem er sie beim Transport an die Grenze überwacht hatte, wusste Dr. Ritter nicht. Er ließ es offen, ob dort aktiv „Euthanasie“ betrieben wurde, denn mit der nachfolgenden Phase hatte er nichts mehr zu tun. Doch inwieweit wurden seine Listen für spätere Erfassungen und Selektionen von Kranken im Lager Galatz oder auf den Schiffen funktionalisiert? Dieselbe Frage muss wegen der „Gesundheitspässe“ gestellt werden, die er auf den Trecks kontrollierte und die ihm auf „Aufforderung“ von den Umsiedlern vorgezeigt werden mussten. Den „leeren Seiten des Gesundheitspasses“ kommt dabei im Bericht eine erwähnenswerte Rolle zu. Sie hätten offenbar von den Umsiedlern bis zur Erreichung der Grenze ausgefüllt werden sollen. Dies holte er bei den Kontrollen manchmal selbst nach.135 Auf meine Nachfrage zu den von ihm 1940/41 beschriebenen „leeren Seiten des Gesundheitspasses“ klärte mich Dr. Ritter – 67 Jahre später und selbst nicht ganz sicher – auf: „Das waren Pässe, die die Organisation da abgegeben hat, um Auskunft über die einzelnen Personen zu erhalten, z.B. Familie Meyer hat drei Kinder: ein Kind hat ein 134 Solchen Fragen, die sich hier 2007 erstmals stellten, ging ich erst in den nachfolgenden Projekten ab 2008 weiter nach (BKM-Modul II: Zeitzeugenforum, BKM-Modul III, IV: Geschichten, Archivrecherchen. In: Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler). 2007, als ich obige Fragen stellte, waren noch keine Erinnerungsberichte zur Krankenhausangst aus der Perspektive der Betroffenen bekannt. 135 „[...] ich trage sie alle der Reihe nach auf die leeren Seiten des Gesundheitspasses, wie ich es auch schon bei der Zug- und Treckabfertigung in Hrubieszów damals getan hatte, und schreibe schließlich die Kranken, die sich in den Ortsbezirken krank gemeldet hatten und von mir behandelt waren, mit hinein.“ In: Ritter, Gebietsarzt. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 135.
Kritische Fragen nach „Euthanasie“
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Bein gebrochen, eines dies und das usw. Wenn nichts bekannt war, blieben die Seiten leer. Wahrscheinlich hatte jede Familie einen solchen Pass.“136
Festzuhalten bleibt, dass die Umsiedler auf dem Weg zum Auffanglager offenbar „Gesundheitspässe“ zu führen hatten, die der „Organisation“ Auskunft über einzelne Personen geben sollte. Möglicherweise handelte es sich dabei um die Pappkarten, die jeder Umsiedler während des Transportes und der Schifffahrt mit einer Schnur um den Hals trug. Bei der „leeren Seite“ handelt es sich vielleicht um deren Rückseite. Diese Umhänge-Karten werden in den schriftlichen Erinnerungen der Deutschen aus Bessarabien manchmal als „Kennkarten“ erwähnt und abgebildet,137 auch sind sie auf den zahlreichen Fotos der Umsiedlung über der Brust der Umsiedler zu erkennen. Ebenso ist es möglich, dass die erwähnten „Gesundheitspässe“ dazu bestimmt waren, im Lager Galatz oder bei dem erwähnten Schiffsarzt abgegeben zu werden und darum in den Dokumentationen nicht mehr vorkommen. Dr. Ritters Bemerkung „Wir wollten ja nicht Tote umsiedeln“ macht glaubhaft, dass in seinem Einsatzbereich – von den Heimatorten bis zum Auffanglager – keine aktiven „Euthanasie“-Maßnahmen vorgesehen waren, auch wenn „Geisteskranke“ dabei waren.138 Seine bürokratische Beteiligung bei der Erfassung der Kranken in Listen und Gesundheitspässen oder durch Überweisungen ins Krankenhaus mag ihm selbst nicht bewusst gewesen sein. Nach diesem Exkurs über die Tätigkeiten eines Gebietsarztes bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungsaktionen kann bei der Fragestellung nach möglichen „Euthanasie“-Maßnahmen in einzelnen Phasen der Umsiedlung der Blick im nächsten Schritt nun klarer auf das Auffanglager in Galatz gerichtet werden, wo nach dem Organisationsplan alle kranken, alten und hilfebedürftigen Umsiedlungswilligen zunächst möglichst „heil und gesund“ ankommen sollten. Insbesondere die Beobachtung der Kleinkinder, die der Gebietsarzt unter Ruhr-Verdacht stellte, wenn sie Durchfall hatten, schob dieser an seine Kollegen auf dem Schiff und im Lager Galatz weiter. Die erwähnten fünf Kinder mit Scharlach, Ruhr oder Keuchhusten wurden im Lazarett des Auffanglagers Galatz isoliert. Erstmals taucht eine Schnittstelle mit den Krankenschwestern im Auffanglager auf. Vor allem waren die NS-Schwestern hier für die Betreuung der kranken Kinder bis vier Jahren zuständig.139 136 Telefonische Nachfrage bei Dr. Ritter im Juni 2007. Gesprächsnotiz. 137 Abbildungen solcher Papp-Kennkarten, die eine aluminiumkaschierte Rückseite hatten, findet man z.B. in den Dokumentationen von Bisle 1996, Tarutino, S. 226; sowie Mayer 1986, Weg aus der Steppe, S. 107. 138 „Geisteskranke waren auch dabei, aber ich weiß nichts von Euthanasie. Wir wollten ja nicht Tote umsiedeln, sondern Lebendige.“ Ritter im Gespräch am 9.5.2007, hier in Bezug auf die Umsiedlung aus dem Baltikum. 139 Dies ergab die Auswertung der Briefe der NS-Schwestern im Nachlass der Oberin Dorothee Rakow.
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„Jagd nach Kranken“
Sichtbar wurde die scharfe Trennung von Zuständigkeiten für die Kranken in den Phasen der Umsiedlung. Schnittstellen zur Weitergabe der Verantwortung waren Überweisungen ins Krankenhaus oder die Übergabe von „fast vollständigen“ Krankenlisten an andere Ärzte. Offenbar waren auch männliche und weibliche Arbeitsfelder klar voneinander abgegrenzt. Mit den Krankenschwestern im Lager Galatz sei der Medizinstudent Helmut Ritter kaum in Berührung gekommen, auch habe er die NS-Oberin Dorothee Rakow nicht gekannt, die im Auffanglager Galatz als Führerin der NS-Schwestern stationiert war. Ebenso wie die ‚Braunen Schwestern‘ war auch er zusammen mit seinem Umsiedlungskommando von Wien aus über die Donau mit einem Schiff nach Bessarabien gebracht worden. Auf seinem Schiff seien jedoch keine Krankenschwestern gewesen.140 Die erste Phase der Krankentransporte bis zum Auffanglager war als „Jagd nach Kranken“ zunächst ein rein männlicher Einsatz. Gebietsärzte und Sankrafahrer als ‚Jäger‘ nach Kranken und ‚Sammler‘ für die „Krankensammelstellen“ fügen sich in das Bild einer abenteuerlichen „Expedition“141, mit der ihnen die Einberufung zu einem unbekannten Ziel angekündigt worden war. Während diese Männer mit halsbrecherischen Fahrten auf besetztem Kriegsgebiet ihren Teil der Aufgabe erfüllten, war es den Frauen des deutschen Umsiedlungskommandos nicht erlaubt, den Boden Bessarabiens zu betreten. Die einberufenen NS-Schwestern bereiteten derweil hinter der Grenze im Auffanglager Galatz die Ankunft der Kranken auf rumänischen Boden vor und warteten gespannt auf ihren ‚weiblichen‘ Front-Einsatz, den sie untereinander teilweise als „schwierige Aufgaben“ umschrieben. Worin diese genau bestanden, werden wir im nächsten Abschnitt untersuchen. ***
140 Ritter im Gespräch am 9.5.2007. 141 Ritter, Erinnerung an seine telefonische Einberufung. In: Gesprächsprotokoll, I.C.
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II. „SCHWIERIGE AUFGABEN ...“
NS-Schwestern im „Heim ins Reich“-Einsatz Auswertung des Nachlasses der NS-Oberin „Schwester Dorothee“, zweite Stellvertreterin der Generaloberin im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt und „Führerin“ der NS-Schwestern bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina 1940
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II.A Annäherungen an „Schwester Dorothee“
„Schwester Dorothee“
ANNÄHERUNG in drei Schritten II.A.1 Rekonstruktion: Geschichte des Nachlasses (1940–2007) II.A.2 Biografie: Dora – Dörthen – Dorothee – Dora P. (1899–1989) II.A.3 Karriereweg einer NS-Schwester (1935–1941)
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II.A. Annäherungen an Schwester Dorothee Im Jahr 2005 wurden mir aus dem Nachlass von Dora P., geborene Rakow, der ehemaligen Führerin der NS-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen, wertvolle Dokumente aus diesem Einsatz übergeben. Die Umstände der Übergabe durch Renate J., die 1943 als Tochter der NS-Oberin „Schwester Dorothee“ geboren wurde, habe ich bereits in der Einleitung beschrieben. Es gibt sicherlich verschiedene Wege der Annäherung, um die Hinterlassenschaften eines Menschen, den man nicht kannte, zum Sprechen zu bringen, zumal dann, wenn es sich posthum zu einem heiklen Thema entwickelt und sich die Person nicht mehr dazu erklären kann. Daher nähern wir uns in drei Schritten zuerst dem Nachlass und dann der Person und ihrem Berufsweg an, bevor erst im nachfolgenden Abschnitt II.B. die Spurensuche nach möglichen „Euthanasie“-Maßnahmen der NS-Schwestern während der Umsiedlung beginnt. Zunächst sei im Abschnitt II.A.1 rekonstruiert, welchen Gang durch die Geschichte die Dokumente hinter sich hatten, bis sie 2005 in meine Hände gelangten. Für diese Provenienzrecherche1 befragte ich die Schenkerin Renate J. ausführlich. Der chronologische Weg der Dokumente im Zeitraum 1940 bis 2007 war überraschend aufschlussreich und erklärt, wann, warum, welche Teile dieses Nachlasses im Lauf der Zeit verloren gingen und dass wir es nur mit einem Rest zu tun haben. Im zweiten Schritt im Abschnitt II.A.2 folgt eine Biografie der NS-Oberin in Form eines tabellarischen Lebenslaufs von ihrer Geburt 1899 bis zu ihrem Tod im Jahr 1989. Um diesen niederschreiben zu können, wurden etliche Fragmente, Hinweise, Belege aus verschiedensten Quellen streng chronologisch in einer Tabelle einsortiert, die für die spätere Spurensuche einen hilfreichen Kontext bildete. Im dritten Schritt im Abschnitt II.A.3 werfen wir einen genaueren Blick auf die NS-Karriere der Krankenschwester, die sich im Zeitraum von sechs Jahren von 1935 bis 1941 vollzog, bevor sie das Reichshauptamt für Volkswohlfahrt verließ. In der ursprünglichen Fassung meiner Dissertationsschrift teilte ich die doppelte biografische Annäherung in „Versöhnliche Aspekte“ (II.A.2) und „Kritische Aspekte“ (II.A.3). Mit diesem Kniff wollte ich meine eigene Beteiligung zwischen Loyalität, Korrumpierbarkeit und nötiger Distanz in den Griff bekommen und Objektivität und Gerechtigkeit durch den Wechsel von Perspektiven erreichen. Denn durch den Einblick in Tagebücher und persönliche Briefe gewinnt auch das Verhältnis zu einer unbekannten Person zunehmend an Vertraulichkeit, die die für die Analyse nötige Distanz beeinträchtigen kann.
1 Provenienzrecherche als Analyse der Herkunft von Objekten ist auch ein in Museen übliches Verfahren, das den Gegenstand in seinem historischen Kontext erschließt.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Der gesamte Abschnitt II.A., der die Geschichte des Nachlasses, die Biografie und der Karriereweg der NS-Oberin umfasst, bildete – neben dem sortierten Quelleninventar – schließlich einen weiteren hilfreichen Grundstock für die nachfolgende Spurensuche in II.B. Doch die Aufschlüsselung der Biografie und der NachlassVerstecke war zugleich ebenfalls bereits Teil der Spurensuche. Die Chronologien sind aus zahlreichen Fragmenten zusammengestellt, am Ende ergaben sich nur noch wenige Lücken. Die Spurensuche im nachfolgenden Abschnitt II.B. wird sich in zwei Etappen aufspalten: Zunächst zeigen sieben fragmentarische Spuren-Kapitel verdächtige Hinweise in der Biografie vor und nach dem Bessarabien-Einsatz auf. Hier konnte u.a. die persönliche Haltung Schwester Dorothees zur damals aktuellen „Euthanasie“Frage geklärt werden. Erst zu guter Letzt werden wir in Abschnitt II.C. zur eigentlichen Spurensuche im Bessarabien-Nachlass kommen. Hier ergaben sich 19 Spuren zur Fragestellung, ob die NS-Schwestern an Selektionen oder „Euthanasie“-Maßnahmen während der Umsiedlungsaktion beteiligt gewesen sein könnten.
II.A.1 Rekonstruktion: Geschichte des Nachlasses (1940–2007) Im Jahr 2005 wurde mir folgendes „Bessarabien-Konvolut“ aus dem Nachlass der zweiten stellvertretenden Generaloberin der NS-Schwesternschaft übergeben: – ein Tagebuch der NS-Oberin Dorothee Rakow: „Bessarabien – Sept. – Nov. 1940“ – Briefe der NS-Schwestern aus ihren Einsatzorten an die Oberin im Lager Galatz – Berichte der NS-Schwestern über ihren Bessarabien- bzw. Bukowina-Einsatz – Lagerbefehle aus dem Auffanglager Galatz (Galati) – Einzelblätter (Karten, Adresslisten, Notizblätter, u.a.) – ca. 100 Fotos, ungeordnet.2 Die wertvollen Dokumente stammen aus dem Umsiedlungseinsatz von Dorothee Rakow, Schwester Dorothee, die 1940 als NS-Oberin und Führerin der NS-Schwesternschaft in Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina eingesetzt war. Ihre Tochter hatte diese Auswahl erstmals in den 1990er Jahren so zusammengestellt. Die Dokumente sind vollständig im Quelleninventar im Anhang dieser Arbeit erfasst, sortiert, einzeln dargestellt, transkribiert und kommentiert (Angabe: Q1 bis Q7). Jedoch bildet das Konvolut nur einen geringen Teil des Gesamtnachlasses. Wenn dieser auch im Laufe der Jahrzehnte immer weiter reduziert wurde, lagerten im Privatarchiv der Tochter noch etliche weitere Dokumente aus der Zeit ihrer Mutter bei 2 Das gesamte Konvolut ist erschlossen im Quelleninventar Q2 bis Q7. Als Q1 wurden zudem einige Seiten aus dem späteren Lebensbericht der NS-Oberin hinzugefügt, die den Zeitraum der Umsiedlung betreffen.
Annäherungen an Schwester Dorothee: Geschichte des Nachlasses
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der NS-Schwesternschaft (Ausweise, NS-Schwestern-Zeitschriften, Vortragsmanuskripte, Tagungsprogramme, Bücher, Briefe, Fotos). Teilweise wurden auch diese Dokumente zur Auswertung herangezogen, auch wenn sie nicht im Quelleninventar erfasst sind (Angabe: Privatarchiv Renate J.). Im Laufe der fast sieben Jahrzehnte seit Kriegsende veränderte das private Archiv mehrfach seinen Umfang, Aufbewahrungsorte und die Sortierung. In den verschiedenen Wohnungen von Dora P. und ihrem Ehemann Otto P. überlebten die Dokumente nach Kriegsende zunächst in Verstecken, später in Teilen verstreut innerhalb ihres Haushaltes. Ihre einzige Tochter Renate erfuhr von der Existenz der Unterlagen aus der NS-Zeit allerdings erst 1989 nach dem Tode ihrer Mutter. Nach der Haushaltsauflösung lag das Schicksal der Hinterlassenschaften in ihren Händen als Nachlassverwalterin. Auch wenn inzwischen einzelne Teile weitergegeben oder vernichtet sind, ist die langjährige Bewahrung und sukzessive Weitergabe von Teilen dem Wunsch der Tochter nach inhaltlicher Auswertung der Dokumente zu verdanken. Im Laufe der Jahrzehnte übernahmen schon mehrere Forscher und Institutionen einzelne Fragmente des Gesamtnachlasses. Der folgende Abschnitt ist der erste Versuch einer Rekonstruktion für den Zeitraum zwischen 1942 und 2007. Es zeigte sich, dass die Geschichte des Nachlasses eng mit der persönlichen Entdeckungs- und Verarbeitungsgeschichte der Tochter verknüpft war. Angesichts ihrer immer mehr aufkeimenden Zweifel an den Darstellungen der Mutter schuf sie selbst eine schriftliche Auseinandersetzung. Ihr Manuskript Wenn Hitler nicht gewesen wäre ... wurde neben ihrer intensiven Befragung am 7. Mai 2007 als zusätzliche Quelle mit herangezogen. Die Erinnerungen und Vermutungen der Tochter sind heute der einzige Zugang zur Rekonstruktion der Geschichte des Nachlasses der NS-Schwester. Persönliche Abschnitte oder einzelne Wendungen wurden teilweise in wörtlicher Rede nach dem Gesprächsprotokoll wiedergegeben.3 Der Bitte um teilweise Anonymisierung durch Abkürzung von Familien- und Ortsnamen wurde nachgekommen. Der Weg der Dokumente durch die Geschichte von 1940 bis 2007 1936 bis 1942: Dorothee Rakow – Berlin Der Dienstsitz von Schwester Dorothee – als Sachbearbeiterin und zweite Stellvertreterin der Generaloberin der NS-Schwesternschaft Käthe Böttger – war vor und nach dem Bessarabieneinsatz das Reichshauptamt für Volkswohlfahrt in Berlin am Maybachufer, außerdem das „Haus der Deutschen Schwestern“ in der Kurfürstenstraße 110. Hier waren seit 1936 bis 1942 die Dienststellen der „Braunen“ und der „Blauen Schwestern“, die aus der Berufsgemeinschaft der freien Verbände gebil3 �������������������������������������������������������������������������������������������� Rekonstruktion auf der Grundlage des Gesprächsprotokolls mit Renate J. am 7.5.2007 in Oldenburg, korrigierte Fassung nach dem Gegenlesen durch Renate J. in den Monaten Mai bis Juli 2007.
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„Schwierige Aufgaben ...“
det und zusammengefasst im „Reichsbund der Freien Schwestern und Pflegerinnen e.V.“ der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) unter der Leitung Erich Hilgenfeldts unterstellt waren. Die frühere NS-Gemeindeschwester Dorothee Rakow war 1936 von der NS-Generaloberin Käthe Böttger nach Berlin berufen worden und lebte dort zunächst bei dieser zur Untermiete, danach in einer Einzimmerwohnung wenige Schritte vom „Haus der Deutschen Schwestern“ entfernt, schließlich als NS-Oberin in ihrem Schwesternzimmer in der Hölderlinstraße, wo 1939 ein Schwesternheim für die Schwestern der Reichsleitung eingerichtet wurde.4 Die Holzmöbel, die sie für die Einzimmerwohnung hatte anfertigen lassen, konnte sie dorthin mitnehmen. Darunter war ein Schreibschrank, in dem sie ihre persönlichen Unterlagen aufbewahrte. Das Haus der Deutschen Schwestern trug ein NSV-Emblem und eine große Fahnenstange über dem Eingang. Der Chauffeur des Autos oder ein anderer Uniformierter wartete an der Tür. „Sitz der Reichsleitung der NS-Schwesternschaft ist bei der NSDAP Reichsleitung, Hauptsitz für Volkswohlfahrt, im Haus der Deutschen Schwestern, Berlin W 62, Kurfürstenstr. 110.“ Abb. und Untertitel aus einem Werbeprospekt der NS-Schwesternschaft, S. 94f. In: BA Berlin Lichterfelde, NSD 30/30.
Ausschnitt:
Drei oder vier NS-Oberinnen im lebhaften Gespräch. Sind es die Generaloberin Käthe Böttger und ihre Stellvertreterinnen Edith Blawert und Dorothee Rakow? Die linke könnte vielleicht Schwester Dorothee sein. 4 Vgl. Kapitel I.A.1, Geschichte des Nachlasses, 1996; sowie Kapitel II.A.2: Biografische Tabelle, 1939.
Annäherungen an Schwester Dorothee: Geschichte des Nachlasses
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Die Dokumente aus dem Bessarabien-Einsatz von 1940/41 mögen eine Weile im Reichshauptamt gelagert worden sein, da es dienstliche Unterlagen waren. Eine Sortierung und Auswahl der privaten und dienstlichen Unterlagen erfolgte spätestens mit dem Ende ihrer Tätigkeit bei der NS-Schwesternschaft. Im Herbst 1941 brach die NS-Oberin rechtzeitig vor der Zusammenlegung der NS-Schwesternschaft („Braune Schwestern“) mit dem „Reichsbund der Freien Schwestern und Pflegerinnen e.V.“ („Blaue Schwestern“) zum „NS-Reichsbund deutscher Schwestern e.V.“5 im Zuge der personellen Umbesetzungen ihre weitere Laufbahn bei der NS-Schwesternschaft überraschend ab. 1942 verließ sie nach ihrer Heirat die Dienststelle und das Schwesternzimmer in der Reichshauptstadt Berlin für immer und nahm offensichtlich Dokumente mit sich. 1942: Dora P. – Peine/Niedersachsen Noch während des Krieges also zog Dorothee Rakow mit ihren Möbeln aus dem Berliner Schwesternheim und mit Durchschlägen dienstlicher Unterlagen nach Ö. bei Peine. Seit ihrer Heirat im Februar 1942 trug sie einen anderen Namen: Dora P. Im Mai 1943 wurde ihre Tochter Renate geboren. Die Familie lebte in einer Werkswohnung der Hüttenwerke Ilsede-Peine.6 Bis Kriegsende mussten die Dokumente nicht versteckt werden, obwohl möglicherweise den dienstlichen Unterlagen wegen der bevorstehenden Umstrukturierung der Schwesternorganisation bereits eine besondere Bedeutung zukam. Nach ihrem Umzug stand Dora P. als Ehrenmitglied weiterhin in brieflichem Kontakt mit NS-Schwestern und auch mit der ehemaligen Generaloberin. Einzelne Briefe sowie einige Zeitschriften der NS-Schwesternschaft aus dieser Phase zwischen 1942 und 1945 blieben im Gesamtnachlass erhalten. 1945–1948: Das Geheimarchiv im „Podest“ Während der Entnazifizierungsverfahren inspizierten die Engländer auch Wohnungen. Deshalb hatte Doras Ehemann im etwas separat liegenden Wohnzimmer ein etwa 30 cm hohes Podest vor das Fenster gebaut, ca. 1,5 Meter tief und 2 Meter breit. Darin versteckte das Ehepaar nach Kriegsende zunächst alle verfänglichen Unterlagen – Orden, Bücher aus dem „Dritten Reich“, Unterlagen aus der Dienstzeit sowohl von Dora wie von Otto P. Im Herbst 1946 bezogen Flüchtlinge die Wohnung, Doras Schwester mit ihrer Familie, die im Februar 1945 aus dem Osten geflohen war. Sie wurden im schönsten Zimmer der Wohnung einquartiert. Auf dem besagten Podest am Fenster standen Tisch und Stühle. Die damals dreijährige Tochter Renate kann sich an das Podest heute noch erinnern, doch vor 1989 hatte sie nicht realisiert, dass ihre Eltern dar5 Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, ab S. 177. – Mehr dazu in II.A.2: Biografische Tabelle. 6 Adressangabe im Fotoalbum, das Doras Ehemann Otto P. anlegte unter dem Titel: Die Gestaltung des Eigenheims der Familie Otto P[...] (1957–1961), S. 13, Privatarchiv Renate J.
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„Schwierige Aufgaben ...“
unter Unterlagen aus der Nazizeit versteckt hatten. Erst später kam ihr wieder in den Sinn, dass sich ihr Vater über die Fußboden-Erhöhung amüsiert hatte: „Da wohnten sie in dem Zimmer und ahnten nichts davon, was da versteckt war!“ Renate erinnerte sich auch, dass Engländer die Wohnung durchsucht hatten, aber nur unter dem Schreibtisch ein Radio fanden. Die Flüchtlingsfamilie zog 1948 aus, danach wurden weitere Flüchtlinge in der Wohnung aufgenommen. Bis 1957 lebten zwei alte Frauen im ehemaligen Wohnzimmer der Familie. Vermutlich noch vor deren Einzug wurde das Podest abgebaut. Möglicherweise verstauten die Eltern einen großen Teil der versteckten Dokumente auf dem behelfsmäßig ausgebauten Dachboden in Koffern, vermutet die Tochter. Weniger eindeutige Unterlagen, wie z.B. die Briefe ihrer Mutter und Fotoalben lagen nun in den Schränken der Wohnung. 1957: Das Eigenheim in Hessen Renate J. war 15 Jahre alt, als die Familie 12 Jahre nach Kriegsende den Rohbau eines Siedlungshauses in einem kleinen Ort in Hessen kaufte, der heute Battenberg heißt. Wie die Archivalien beim Umzug transportiert wurden, ob sie komplett blieben oder ob bei diesem Anlass eventuell Aussortierungen vorgenommen wurden, ist unbekannt. Möglicherweise verblieb vieles noch für ein Jahr in Peine beim Vater, denn vom Umzugstag am 20. September 1957 bis Oktober 1958 lebten Dora P. und ihre Tochter über ein Jahr lang alleine in dem Rohbau, dessen Fertigstellung die Ehefrau dort selbständig vorantrieb.7 Das Ehepaar verteilte im Laufe der Fertigstellung der Zimmer die jeweils eigenen Erinnerungsstücke in Schränke und Schubladen ihres neuen Eigenheimes. Manches gelangte wiederum auf den Dachboden, wo sich der Vater eine Rückzugsmöglichkeit baute. 1960: Ohne die Tochter Von 1960 bis 1977 lebte das Ehepaar alleine in Hessen. Die Tochter ging nach ihrem Auszug seit 1960 eigene Wege, bis sie sich schließlich 1970 mit ihrer Familie in L. bei Bremerhaven niederließ. Was während dieses Zeitraumes von ca. zwei Jahrzehnten mit den Unterlagen in Hessen geschah, kann nicht rekonstruiert werden. 1977: Erste Entdeckungen In sein Refugium auf dem Dachboden hatte sich Otto P. inzwischen ein Bett auf einem Podest (!) gebaut. Nach seinem Tod 1977 versuchten Frau und Tochter, seinen 7 Daten aus dem Haus-Foto-Album von Otto P., S. 14: „[...] nach erfolgtem Umzug mussten Dore, unsere Mutti, und Renate unsere Tochter allein unser Haus in L[...] hüten und verwalten, während ich selbst bis zum 10. Okt. 1958, dem Tag meiner Pensionierung, in unserer alten Heimat gebunden bleiben musste. [...] Das aber konnte nur dadurch geschehen, daß in den kommenden Monaten unsere Mutti ganz auf sich allein gestellt die ersten und notwendigsten Bauarbeiten einleitete und auch für den laufenden Fortgang dieser Arbeiten Sorge trug.“
Annäherungen an Schwester Dorothee: Geschichte des Nachlasses
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Nachlass zu sortieren. Dabei fand Renate J. unter den vielen alten Büchern, die unsortiert in provisorischen Regalen auf dem Dachboden standen, einige aus dem „Dritten Reich“. Sie fand sie ‚interessant‘ für den Schulunterricht ihrer Kinder. Es blieb aber beim Blättern in den Büchern „und etwas Verwunderung“. 1986: Erste Konfrontation mit der Geschichte – Das Zeugnis Dora P. war inzwischen 86 Jahre alt und wurde immer kränklicher. Ab Mitte der 1980er Jahre reiste Renate J. regelmäßig von Norddeutschland aus ins entfernte Hessen, um ihre Mutter zu betreuen. In dieser Zeit tauchten bei der Tochter erste Zweifel auf. Bis dahin war ihr ihre Mutter eher als besonders mutige Frau in der NS-Zeit erschienen, weil sie durch ihre Heirat im August 1941 einen ‚Dreh‘ gefunden hatte, aus ihrer NS-Position auszusteigen, bevor sie in Dinge hineingezogen wurde, die „ihr vielleicht widerstrebt hätten.“8 Doch
Renate zu Besuch bei ihrer Mutter 1978. Foto (Ausschnitt): Privatarchiv Renate J.
„einmal fand ich in einer Bahnhofsbuchhandlung ein Buch von Horst-Eberhardt Richter: Die Chance des Gewissens. Ich las es auf der Zugreise zu meiner Mutter. In diesem Buch wurde auch Hoche als Mitautor eines schon in den 20er Jahren erschienenen Buches über Die Freigabe der Vernichtung lebensunswerten Lebens erwähnt. Da kamen in mir Kindheitserinnerungen hoch, denn als Jugendliche hatte ich schon ein psychiatrisches Fachbuch eben dieses Autors aus der Bibliothek meiner Mutter gelesen. Plötzlich fand ich auch andere, zeitliche Zusammenhänge: bis dahin hatte ich einfach vermutet, dass meine Mutter sicherlich vor Beginn der Euthanasiemaßnahmen von Berlin fortgegangen war. Nun erst wurde mir klar, dass sie genau zu der Zeit im Berliner Hauptamt für Volkswohlfahrt gearbeitet hatte, als die aktive Phase der ‚Aktion T4‘ war. Erst nach dem offiziellen Stopp der ‚Euthanasie‘Aktionen, zufällig sogar genau Ende August 1941, hatte sie sich entschlossen, per Annonce einen Mann zum Heiraten zu suchen, um Berlin den Rücken zu kehren. Diese Erkenntnis versetzte mir einen Schock! Nach dieser Zugreise fragte ich meine Mutter zum ersten Mal gezielt nach ihren Berufsjahren in Berlin zwischen 1936 und 1942 – und bekam keine Antwort! Auf die Frage, warum sie von Berlin auf ’s Land weggezogen war, antwortete sie nur: ‚Es wurde immer politischer‘, und als ich das nicht verstand, sagte sie auch nur: ‚Na, eben politischer!‘. Sie war krank und abgemagert und ich habe es dann so stehen lassen. Aber seitdem ließ es mir keine Ruhe mehr.“9 8 Renate J., Brief, 27.6.2007. 9 Gesprächsprotokoll mit Renate J. im Mai 2007. Hervorhebungen im Original.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Bei einem ihrer nächsten Besuche fand Renate J. – während Dora P. im Krankenhaus lag – auf dem Küchentisch einen Umschlag vor. Darin war das Dienstzeugnis, das die NS-Generaloberin im August 1941 ihrer Mutter beim Austritt aus der NSSchwesternschaft ausgestellt hatte. Renate J. glaubte, dass dieses Zeugnis die Zweifel der Tochter beruhigen sollte „nach dem Motto: ‚Lies dir das durch und dann weißt du, es war alles ganz normal. Ich war eine gute Mitarbeiterin und du kannst ganz beruhigt sein, was meine Vergangenheit im 3. Reich angeht.‘“10 Mutter und Tochter redeten nicht weiter darüber, da es Dora P. inzwischen gesundheitlich sehr schlecht ging, doch Renates Zweifel verstärkten sich. Bei weiteren Besuchen in Battenberg stöberte die Tochter intensiver auf dem Dachboden unter den alten Büchern und stieß dabei auf Alfred Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts11 oder auf eine Autobiografie von Alfred Hoche,12 der schon 1920 ein Buch über Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens verfasst hatte. In einem psychiatrischen Fachbuch von 1924 fielen ihr alte Anstreichungen ihrer Mutter auf, und zwar an solchen Stellen, die sich mit Fragen des staatlichen „Kampfes“ gegen „Minderwertige“ befassten.13 In den Gedanken der Tochter kämpften starke „Empfindungen zwischen Abstoßung und Anziehung“ und „noch mehr Zweifel“, andererseits auch „eine Ahnung von den subtilen Beeinflussungen“, denen ihre Eltern im „Dritten Reich“ ausgesetzt waren.
Dora P. 1978, als alte Dame im Alter von 78 Jahren, vormals NS-Oberin Dorothee Rakow Foto (Ausschnitt): Privatarchiv Renate J.
10 Renate J., Brief, 27.6.2007. 11 Rosenberg 1935 [1930], Mythus, Exemplar aus dem Nachlass von Dorothee Rakow, Privatarchiv Renate J. – Das Buch galt nach Hitlers Mein Kampf als zweites Standardwerk der NS-Ideologie. Reichsminister Rosenberg, seit 1933 Beauftragter für weltanschauliche Schulung, konstruierte darin eine „Rassenseele“. Eine „Religion des Blutes“ sollte den christlichen Glauben ersetzen. Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Der_Mythus_des_20._Jahrhunderts (Abruf 20.2.2021). 12 Hoche 1936, Jahresringe, Exemplar im Privatarchiv Renate J.; vgl. Ders. 1920, Freigabe. 13 Gottstein 1924, Heilwesen. Exemplar im Nachlass von NS-Oberin Rakow mit Anstreichungen auf den Seiten 192f., 234f., z.B. zum „Egoismus des einzelnen im Kampf mit dem Nutzen der Gesamtheit“, der „von der Gesellschaft zu ihrem eigenen Schutz bekämpft werden“ müsse (S. 235). Zum Thema „Verkrüppelung [...] muß sich die Allgemeinheit auch dieses Gebrechens gesondert annehmen und darf sich auch hier wieder nicht auf die Maßnahmen der Unterstützung und des Mitleids beschränken. Auch hier bedurfte es vielfach der gesetzlichen Regelung als Unterlage der Fürsorge.“ (S. 193).
Annäherungen an Schwester Dorothee: Geschichte des Nachlasses
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1986 bis 1989: Die Memoiren Nach dem sie sich gesundheitlich etwas erholt hatte, begann Dora P. – als Antwort auf die Fragen ihrer Tochter –, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Gleichzeitig ordnete sie ihre Sachen neu und sortierte dabei möglicherweise allzu kritische Dokumente aus. Sie benutzte eine Schreibmaschine, die heute im Besitz der Tochter ist und schrieb in ihren drei letzten Lebensjahren ihre Memoiren. Die 40 Schreibmaschinenseiten mit der Überschrift Das war mein Leben! fand die Tochter erst nach dem Tod der Mutter 1989 zwischen ihren Unterlagen.14 Sie entdeckte darin wiederum, dass insbesondere die Berliner Zeit in verschiedenen Versionen dargestellt wurde. Auch machte es sie stutzig, dass manches Geschriebene den vertrauten Erzählungen der Mutter widersprach: „Sie hatte z.B. sehr gerne vom Bessarabieneinsatz erzählt und ebenso gerne auch öfter mal von Lodz. Auch in Lodz musste sie damals anscheinend einen vertrauensvollen Auftrag ausführen, bei dem sie etwas dargestellt hatte. Später allerdings, als ihre Enkelinnen in der Schule über das Dritte Reich redeten, da hat sie dann auch mal erwähnt, dass sie vom Hotel aus in ihrer Nähe Schüsse gehört habe und sich das gar nicht erklären konnte. Mir hatte sie erzählt, dass sie in Lodz für das Schwesternheim Stoffe aussuchte. Aber in ihrem schriftlichen Bericht kam Lodz überhaupt nicht vor. Das war für mich seltsam. Sie schrieb nun auf einmal von Warschau.“15
Die Tochter hatte den Eindruck: „Der Bericht ist für mich geschrieben, ich darf ihn nicht so nehmen, wie er geschrieben ist!“ Dora P. könnte ihre Lebenserinnerungen angepasst haben, ebenso wie sie beim Ordnen ihrer aufbewahrten Sachen daran gedacht haben mag, den kritischen Fragen ihrer Tochter keinen weiteren Stoff zu geben. Vielleicht hatte sie erst nach der direkten Konfrontation mit ihrer NS-Vergangenheit die alten Unterlagen umsortiert. Es ist denkbar, dass Dora P. dabei Teile davon selbst vor ihrem Tod vernichtete. 1989 bis 1992: Das Erbe im Stall-Archiv Dora P. starb im März 1989. Danach ging das Archiv aus ihrer eigenen Obhut in die Nachlassverwaltung ihrer einzigen Tochter Renate über. Nun war es die verantwortungsvolle Aufgabe der Tochter aus dem nördlichen Niedersachsen, den Haushalt in Hessen aufzulösen und den gesamten Nachlass von Dora P. zu sortieren. Dabei fand sie in der ganzen Wohnung verteilt Unterlagen ihrer Eltern, die sie dort noch nie zuvor gesehen hatte. Zwischen dem Eingemachten im Kellerregal lagen in einem Einweckglas etliche Anstecknadeln und Orden, darunter welche des Vaters aus dem 14 Dora P., Das war mein Leben! Typoskript ohne Datierung [verfasst 1986–1989], 40 Seiten Maschinenschrift auf Pergamentpapier, Privatarchiv Renate J. 15 Gesprächsprotokoll mit Renate J. im Mai 2007, nach Korrekturen im Brief von ihr, 27.6.2007. Hervorhebungen im Orginal.
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Ersten Weltkrieg, andere mit Hakenkreuzen, auch dreieckige,16 mehrere NSVSchwestern-Broschen, Ehrenbroschen, sogar ein Mutterkreuz, obwohl niemand in der Familie so viele Kinder hatte. „Ich fand das alles sehr unpassend deponiert und wurde stutzig. Zum ersten Mal nahm ich dabei den Zwiespalt meiner Mutter wahr: einerseits war sie stolz auf ihre Position in der NS-Schwesternschaft gewesen, andererseits wollte oder durfte sie es nicht zeigen. Die Gegenstände als Erinnerungen an die Zeit waren zwar aus dem Gesichtsfelde herausgenommen, aber niemals ganz weg.“17
Renate kannte den Hang ihrer beider Eltern, alles aufzuheben. Doch nun kam es ihr vor, als seien Sachen in der Zwischenzeit „geordnet“ worden, als wolle ihr ihre Mutter ihre Geschichte auf eine bestimmte Weise hinterlassen. Überraschendes Fundstück war ihr Mitgliedsausweis der NSDAP, obwohl die Mutter zu Lebzeiten immer behauptet hatte, nie in der Partei gewesen zu sein und dass sie das Parteiabzeichen nur aus beruflichen Gründen tragen musste.18 Die Tochter fühlte sich von dieser Haushaltsauflösung vollkommen „überrollt“. So viele überraschend aufgetauchte Dokumente konnten nicht einfach weggeworfen werden. Die Fundstücke verstärkten ihr Bedürfnis, Klarheit über die Vergangenheit ihrer Mutter zu bekommen. Es stellte sich nur die Frage, wie sie dies neben den alltäglichen Familienangelegenheiten im fernen Norddeutschland bewältigen sollte. So fiel der Entschluss, den Nachlass weder aufzulösen noch ihn mit nach Norddeutschland zu nehmen. Stattdessen verkaufte Renate das Haus ihrer Mutter und mietete gleichzeitig das Stallgebäude wieder an. In diesem Steinhäuschen mit einem Innenraum von etwa 20 Quadratmetern konnte sie all die Gegenstände, Möbel und Dokumente ihrer Mutter vorerst lagern. Dem Sortieren der Hinterlassenschaften, besonders der Dokumente ihrer Eltern wollte sich Renate ungestört mit der nötigen Zeit widmen. Zwischen 1989 und 1992 reiste sie zwei bis drei Mal jährlich von Bremerhaven nach Hessen, um sich im Stall-Archiv in die vielen alten Briefe und Dokumente zu vertiefen. Hier erfolgte eine Aufteilung in ‚Persönliches‘ (Möbel, Gegenstände) und ‚Gedrucktes‘ (z.B. Zeitschriften der NS-Schwesternschaft, Bücher, Briefe). Die Textdokumente füllten nach verschiedenen Entsorgungen noch zwei Bananenkisten. Die Briefe ihres Vaters kamen später in eine alte Holzkiste mit dem Aufdruck WK I. Die Briefe und Dokumente der Mutter ordnete sie ohne Briefumschläge in ca. zehn Pappheftern ein. Weiterhin waren ca. zehn Fotoalben vorhanden: „Ich hatte so viele Fotoalben von meinem Vater, meiner Mutter und den kinderlosen Verwandten [...] ich habe 16 Einen solchen dreieckigen Anhänger entdeckte Renate später auf einem Foto der Generaloberin der NS-Schwesternschaft Käthe Böttger. 17 Gesprächsprotokoll mit Renate J. im Mai 2007, nach Korrekturen im Brief von ihr vom 27.6.2007. 18 Renate J., Brief, 27.6.2007.
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Das „Stall-Archiv“ war 1989–1992 Lagerort der Dokumente der NS-Schwesternschaft. Auf diesem früheren Foto von 1978 stehen Renate und ihre Mutter Dora P. vor dem damals ausgebauten und möblierten Stall. Foto: Privatarchiv Renate J.
sie teilweise aufgelöst“. Nur Fotos von „mir bekannten und verwandten Personen oder interessant erscheinende Bilder“ wurden aufbewahrt. Auch Fotoalben aus der Schwesternzeit von Dora P. waren dabei, die leider nicht unbeschadet blieben. Im heutigen Privatarchiv finden sich einige Fotos aus der NS-Schwesternzeit, die immer noch auf den von Dorothee Rakow selbst beschrifteten braunen Papp-Seiten früherer Alben kleben, aber nun von Renate aus den Alben herausgeschnitten wurden. Es ist heute nicht mehr auszumachen, wie viele Alben und Fotos aus der Dienstzeit der NS-Oberin verloren gingen. Nun waren Entscheidungen zu fällen. Was unwichtig erschien, wurde von der Tochter entsorgt, und die verbliebenen Schriftstücke wurden grob nach Personen, Themen und anderen Bezugspunkten sortiert. Komplette Konvolute bildeten die persönlichen Briefe ihrer Eltern. Aus einzelnen Funden wurde ein Konvolut (Tagebuch, Fotos, Briefe) über den Bessarabieneinsatz 1940 zusammengestellt. Nach vier Jahren Sortierarbeit in Battenberg blieben vom Nachlass der Eltern schließlich fünf große Kartons mit Unterlagen, Fotoalben, Bildern und Büchern übrig. Zusammen mit persönlichen Erinnerungsstücken ließ Renate J. sie 1992 von einer Speditionsfirma zu ihrer Familie in die Nähe von Bremerhaven bringen. Auch die Möbel des Berliner Schwesternzimmers reisten mit. Das Stall-Archiv am letzten Wohnort von Dora P. war damit aufgelöst. Bei dieser Aktion verschwand beinahe ein Stapel mit Heften aus der NS-Schwesternzeit, der oben auf den Umzugskisten gelegen hatte. Eine Nachbarin hatte gesehen, wie ein Helfer der Spedition die interessanten Broschüren an sich nahm. Nach einer Beschwerde wurden diese Archivalien zurückgegeben.
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1992 – L. bei Bremerhaven – das Schrankarchiv im Keller Nach dem Transport nach L. verschenkte Renate J. die meisten Bücher, was sie bereute, weshalb sie später einzelne Bücher auf Flohmärkten wieder zurückkaufte, so z.B. das Buch Kamerad und Kameradin, das sie für die Ehe ihrer Eltern wichtig hielt. Deshalb trägt dieses Buch in ihrem heutigen Privatarchiv eine fremde handschriftliche Widmung. Am Ende hatte Renate J. nur noch eine Kiste mit Büchern aus dem „Dritten Reich“ sowie eine weitere Kiste mit Broschüren, Briefen und Dokumenten. Dieses Rest-Archiv fand Platz in einem Schrank im Keller des Hauses, in dem Renate J. zusammen mit ihrem Mann und den Kindern lebte. 1992–2006: Fragmentierung durch Weitergabe Nun begann eine Phase, in der sich das Archiv nicht mehr durch Aussortierung verkleinerte, sondern durch Weitergabe von Fragmenten einzelner Konvolute. Während Renate versuchte, Licht ins Leben ihrer Mutter zu bringen, suchte sie seit 1992 Kontakte zu möglichen Interessenten an den Dokumenten. So wurden nach und nach Teile des Dokumenten-Nachlasses der Eltern für unterschiedliche wissenschaftliche Auswertungen weitergegeben. Als Nachlassverwalterin war sie „bestrebt, ‚kaleidoskopartig‘ Unterlagen und Kopien für bestimmte historisch interessante Fragestellungen zusammenzustellen und sie Personen und Institutionen zur Verfügung zu stellen. Es wurde Hobby und gleichzeitig Verarbeitung meiner eigenen Familiengeschichte.“19 Einerseits wollte sie damit die Unterlagen der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich machen, andererseits erhoffte sie, sich über kompetente Kontakte mehr Klarheit über das Berufsbild der Mutter im „Dritten Reich“ zu verschaffen. Tatsächlich wurde dieses im Laufe der Zeit zunehmend facettenreicher. Folgende Archive haben seit 1992 Teile des Nachlasses übernommen: 1992 Historisches Museum Bremerhaven 1992 gab Renate J. einzelne Fotos und Dokumente aus dem Nachlass ihres Vaters, die die Geschichte Bremerhavens betrafen, dort ab (z.B. Stapellauf eines Schiffes). Als sie jedoch bemerkte, dass sie im Museum erst einmal „nur im Archiv landeten“, wollte sie zurückhaltender mit der Vergabe von Originalen werden. 1993: Wolfgang Benz „Autobiografische Sammlung“, TU Berlin Dem Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin überließ Renate J. Kopien von alten Briefen aus dem Familiennachlass ihrer Eltern und gab ihrer Zusammenstellung den Titel: „‚Nur mein Herz ist noch dasselbe‘ – Briefe von Frauen an einen Mann 1915–1942“.20 19 Renate J., Zur Orientierungshilfe, Brief, 18.5.2007. 20 Ein Exemplar im Privatarchiv Renate J.
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1990er: Kempowski-Archiv, Nartum bei Bremen Der Schriftsteller Walter Kempowski21 suchte Anfang der neunziger Jahre per Zeitungsaufrufe Briefe für das Echolot-Projekt. Für sein „kollektives Tagebuch“ des Krieges übergab Renate J. vor allem Feldpostbriefe ihres Vaters. Auch sein Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg wurde für das Kempowski-Archiv kopiert. In Nartum liegt heute außerdem etwa die Hälfte der Antwortbriefe von Frauen auf Otto P.s Heiratsanzeige im Völkischen Beobachter, über die er im Herbst 1941 schließlich die NS-Oberin Dorothee Rakow kennenlernte und später heiratete. In Kempowskis vierbändiger Sammlung Das Echolot. Fuga Furiosa. Ein kollektives Tagebuch. Winter 194522 wurden 1999 zwischen vielen anderen Schriftstücken auch drei „Briefe von Schwester Dorothee“ veröffentlicht.23 Diese Briefe behielt die Tochter nur als Kopie, die Originale besitzt heute das Kempowski-Archiv. 1995: Schifffahrtsmuseum Bremerhaven Unterlagen ihres Vaters aus der Zeit seiner Lehre auf der Tecklenburg-Werft im Ersten Weltkrieg – wie Zeugnisse, Fotos von Schiffen und auch sein Gesellenstück, einen Amboss – übergab Renate J. dem Schifffahrtsmuseum Bremerhaven. 1996 Bessarabien-Privatarchiv Bisle, Bremerhaven Aus einem Bericht der Nordsee-Zeitung erfuhr Renate J. über ein Buchprojekt zur Geschichte der Deutschen aus Bessarabien: Die Bremerhavener Lehrerin Elvire Bisle hatte 1996 eine umfangreiche Ortschronik über ihren Heimatort Tarutino/Bessarabien erstellt, Gespräche mit ehemaligen Umsiedlern aus der Region geführt und Fotos gesammelt.24 Auch organisierte sie jährliche Treffen für ehemalige Bessarabiendeutsche25 in einem Dorf in der Nähe des damaligen Wohnortes von Renate J. Daraufhin stellte diese aus ihrem NS-Archiv im Kellerschrank ein neues Konvolut aus Bessarabien-Dokumenten ihrer Mutter zusammen, um es der bessarabiendeutschen Autorin zu zeigen. Diese suchte derzeit allerdings hauptsächlich noch nach Fotos über Tarutino. Die Fotos aus dem Bessarabieneinsatz der NS-Oberin trugen kaum Beschriftungen und waren nur schwer zuzuordnen. So verblieb das BessarabienKonvolut vorerst weiterhin unbearbeitet im Kellerschrank in L. 21 Vgl. Dierks, Kempowskis Jahre an der Uni Oldenburg, NWZ, 22.5.2007, S. 13 (anlässlich einer Kempowski-Schau in der Berliner Akademie der Künste). 22 Kempowski 1999, Echolot (4 Bände). 23 Ebd. Band I (12.–20.1.1945), S. 132f. und 137f., sowie Band IV (6.–14.2.1945), S. 630f. – In den drei privaten Briefen von Dora P. – alias Schwester Dorothee – an NS-Krankenschwestern bezeugte sie im Winter 1945 immer noch ihren festen Glauben „an die Kraft und Stärke des deutschen Volkes unter der Führung Adolf Hitlers“ und dass „die östlichen Horden, die zur Zeit gegen uns anrennen, […] bezwungen werden [müssen]“. Außerdem erfährt man etwas über zeitgemäße Erziehungsmethoden am Beispiel ihrer zweijährigen Tochter Renate, ebd. anonymisiert als „Susanne“. 24 Vgl. Bisle-Fandrich/Bisle, 1996, Tarutino. 25 Die von Elvire u. Helmuth Bisle-Fandrich gestalteten Bessarabientreffen fanden jährlich im Mai in Bokel statt.
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1996: Oldenburg Renate J. verzog 1996 alleine nach Oldenburg. Neben ihrer dortigen Tätigkeit in der Kinder- und Alzheimer-Betreuung hoffte sie, in der Stadt mehr Gelegenheit zu haben, an Veranstaltungen zum Thema Nationalsozialismus teilnehmen zu können, um ihre Familiengeschichte weiter aufzuarbeiten. Zunächst als Provisorium gedacht, nahm sie aus dem Keller auch die Möbel des ehemaligen Schwesternzimmers ihrer Mutter zur Einrichtung ihrer Oldenburger Einzimmerwohnung mit. Durch die weitere Nutzung erhielt das 1942 aus dem Berliner Schwesternheim in der Hölderlinstraße mitgenommene Mobiliar bis heute eine Art Bestandssicherung. Alle Zimmer für die NS-Schwestern der Reichsleitung waren nach diesem Muster eingerichtet gewesen.26 Zu dem Ensemble aus hellen, sachlichen Holzfurnier-Schränken, gehörte auch der Schreib-Sekretär, an dem Dora P. ihre Memoiren schrieb. Außerdem brachte Renate J. noch einige geschichtsträchtige Haushaltsgegenstände ihrer Mutter nach Oldenburg: einen Teller aus Nürnberg vom „Reichsparteitag“, einige bestickte Decken, Holzteller und einen Tonkrug aus Rumänien als Mitbringsel aus der Bessarabienumsiedlung 1940. Die „Silberkiste“ Beim Umzug nach Oldenburg wurde der gesamte Nachlass aus dem Kellerarchiv in einem Aluminiumkoffer mitgenommen. Dieser feuersichere Koffer, genannt „die Silberkiste“, war nun im Oldenburger Keller der Behälter des Privatarchivs mit den gesammelten Briefe und Dokumenten von Dora P. und ihrem Ehemann. Devotionaliensammler Aus finanziellen Gründen – die doppelte Haushaltsführung und das Studium der Töchter belasteten das Familienkonto – gingen in dieser Zeit wesentliche Teile des privaten Archivs verloren: Die NS-Orden und -Anstecknadeln, die Renate J. einige Jahre zuvor im Keller ihrer Mutter in einem Einweckglas entdeckt hatte, verkaufte sie nun auf eine Suchanzeige in der Oldenburger Nordwest-Zeitung an einen unbekannten Sammler, vermutlich aus Wilhelmshaven. Er hatte ihr versichert, für ein Museum auf der Suche nach Gegenständen aus dem „Dritten Reich“ zu sein. Später kamen Zweifel an der Seriosität des Mannes auf. Töchter-Fragen: NS-Aufarbeitung In der Universitätsstadt Oldenburg konnte Renate J. tatsächlich tiefer in das Thema Nationalsozialismus einsteigen. Sie nutzte Bibliotheken und verschiedene Veranstaltungen und bekam wichtige Unterstützung bei ihrer persönlichen Aufarbeitung. Durch die ständige Bearbeitung des Nachlasses identifizierte sich Renate J. inzwi-
26 Vgl. Kapitel II.A.2: Biografische Tabelle, 1937, 1939.
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schen mit den „Kindern der Täter“27, deren Fragen nach Aufklärung mittlerweile auch in den Medien thematisiert wurden. Auch wenn sich die Frauenforschung seit Anfang der 1990er Jahre den „Töchter-Fragen“ sowie generell der Rolle der Frauen im Nationalsozialismus zuwandte,28 stieß Renate J. bei konkreten Recherchen zur weiblichen Täterinnenschaft ihrer Mutter in der NS-Schwesternschaft als wissenschaftliche Autodidaktin an ihre Grenzen, denn die Rolle der NS-Schwesternschaft war noch kaum erforscht. Die Weitergabe von einzelnen Fragmenten des Nachlasses setzte sich in Oldenburg fort: 1997: Hilde Steppe, Archiv zur Geschichte der Pflege, Frankfurt/Main Ein entscheidender Schritt, um mit dem Berufsleben der Mutter vertrauter zu werden, gelang Renate J. durch die Lektüre eines Buches über Krankenpflege im Nationalsozialismus.29 Renate J. wandte sich brieflich an die Autorin in Frankfurt/ Main, die sehr an dem Nachlass der NS-Oberin für das Frankfurter Archiv zur Geschichte der Pflege30 und an einem Austausch interessiert war. Leider verstarb Hilde Steppe kurz nach der Kontaktaufnahme.31 Mit ihrem Brief hatte Renate J. mehrere Zeitschriften der NS-Schwesternschaft aus dem Nachlass an die Autorin geschickt, die in deren Nachlass verblieben. 2000: Gabriele Rosenthal, Nachwirkungen der NS-Verbrechen Auf einer Oldenburger Vortragsreihe zu „Gedenken und Heilwerden“32 besuchte Renate J. auch einen Vortrag der Sozialforscherin Gabriele Rosenthal mit dem Titel 27 Vgl. Westernhagen 1991 [11987], Kinder der Täter. – Allerdings geht es in den Gesprächen, die die selbst familiär betroffene Dörte von Westernhagen mit anderen Kindern von NS-Tätern engagiert führte, vor allem um männliche Nachkommen von männlichen NS-Verbrechern. Dies macht die Besonderheit deutlich, weil erst seit den 1990er Jahren Töchter begannen, Fragen an ihre Mütter zu stellen, wie im Fall von Renate J. und Dora P. 28 Vgl. Gravenhorst/Tatschmurat 1990, Töchter-Fragen. – An der gleichnamigen Tagung der Autorinnen in Hannover nahm ich 1993 teil. In den 1990er Jahren begann die Frauenforschung neue Fragen zur Rolle der Frauen im Nationalsozialismus aufzustellen. Mehrere regionale „Frauengleichstellungsstellen“ organisierten in dieser Zeit eigene NS-Forschungsprojekte mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen. Am Projekt der Gleichstellungsstelle Wesermarsch war ich 1992 beteiligt. Vgl. Bernhold/Setje-Eilers 1996, Frauen im NS. 29 Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus. 30 Archiv zur Geschichte der Pflege im Berufsfortbildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Frankfurt/Main. In: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 7. 31 Letzter Brief mit Ankündigung ihrer schweren Krankheit von Hilde Steppe an Renate J., 11.7. 1997, Privatarchiv Renate J. 32 Stadt Oldenburg, Kulturdezernat (Hg.) 2000, Gedenken und Heilwerden. Eine Stadt sucht nach Formen des Gedenkens. Vortragsreihe im PFL-Kulturzentrum Oldenburg 26.–29.6.2000. Prospekt im Privatarchiv Renate J. Ein zweiter Vortrag, den Renate J. hier besuchte, war von Gabriele von Arnim: „Das große Schweigen.“
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Die Nachwirkungen der Verbrechen bei den Kindern und EnkelInnen der Nazi-TäterInnen.33 Viele Verhaltensweisen aus ihrer Familie erkannte sie dabei wieder und fühlte sich im anschließenden Gespräch mit Frau Rosenthal gut verstanden. Sie schickte ihr eine Kopie des Dienstzeugnisses der Mutter vom Herbst 1941 nach Köln. 2003: Biografische Projekte Renate J. wurde nun langsam bewusst, dass ‚die Geschichte‘ noch gar nicht so weit von der Wissenschaft erschlossen war, wie sie es sich als Laie vorgestellt hatte, und dass sie sich offenbar in einer Forschungslücke bewegte. Schon seit dem Gespräch mit Elvire Bisle um 1995 plante sie, „durch die Zusammenstellung der vorhandenen Frauenbriefe von 1859–1948 Einblick und Verstehen in die Zeit zu bekommen.“34 Die ursprünglich zehn Hefter mit Briefen, die Renate J. zehn Jahre zuvor in Hessen aus dem Nachlass zusammengestellt hatte, sortierte sie nun inhaltlich neu zu jeweils zwei Ordnern mit Dokumenten zur Familiengeschichte des Vaters und der der Mutter. Von den zwei Ordnern der mütterlichen Seite enthielt der eine „Briefe von Frauen“ und der zweite „Anderes“. 2000–2004: „Briefe von Frauen“ Hintergrund der Neusortierung war die Idee einer eigenen Publikation der „Briefe von Frauen“ aus ihrer Familie, für die Renate J. Teile ihres Privatarchivs selbst auswerten wollte. Von 2000 bis 2004 transkribierte sie alte Briefe aus der Familie ihrer Mutter. Diese von Renate J. kommentierten Quellen berührten interessante Aspekte aus unterschiedlichen historischen Epochen der Familiengeschichte, u.a. eine Auswanderung nach Hawaii, einen Scharfrichter namens Salomon oder auch die Partnersuche ihrer Eltern über den Völkischen Beobachter.35 2005: „Wenn Hitler nicht gewesen wäre ...“ Inzwischen gewann der Eindruck Oberhand, dass vor allem die Jahre 1940/41 entscheidende Jahre für die Geschichte ihrer Mutter waren, denen Renate J. nun intensiver nachgehen wollte. Anfragen beim Bundesarchiv in Berlin zu ihrer Mutter, der NS-Oberin Rakow, blieben ohne Ergebnis: Viele Unterlagen seien „in den letzten Kriegswirren vernichtet“ worden.36 Nach Anregungen von Freunden und dem Kon33 Gabriele Rosenthal war 1992–1996 Leiterin des DFG-Projekts „Der Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und Nazi-Tätern“ (veröffentlicht unter dem selben Titel 1997). 2002–2010 wurde Rosenthal Präsidentin des Research Committees „Biography and Society“ der International Sociological Association (ISA). Vgl. Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Gabriele_Rosenthal (Abruf 5.1.2020). 34 Renate J., Zur Orientierungshilfe, Brief, 8.5.2007. 35 Im Privatarchiv Renate J. nicht mehr vorhanden. 36 Nach 2007 spürte der Historiker Dietmar Schulze persönliche Dokumente über Dorothee Rakow und Käthe Böttger im Bundesarchiv auf, die in dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden konnten.
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takt mit der NS-Gedenkstätte Alte Pathologie Wehnen entstand 2005 ein weiteres Manuskript von Renate J., das die NS-Geschichte ins Zentrum rückte und Dokumente und Fotos aus der Zeit ihrer Mutter bei der NS-Schwesternschaft einbezog. Sie gab dieser Aufarbeitung den Titel: Wenn Hitler nicht gewesen wäre ... Eine Familienbiografie in Briefen und Berichten 1858–1949.37 Diese Familiengeschichte enthält jeweils ein Kapitel zum Vater (1. Otto. Enkel des Scharfrichters Salomon), zur Mutter: (2. Schwester Dorothee. Soldatin des Führers) und zur Tochter: (3. Renate. Kind der NS-Schwesternschaft). Das Titelbild – ein „verbogener Baum als Sinnbild der Menschen in der Zeit der Nazi-Ideologie“ – symbolisierte ihre Eltern als vom politischen Umfeld ihrer Zeit beeinflusst und auch deren Kind als historisch gebildetes Produkt, denn „ohne Druck von Schwester Dorothee hätte Otto sich wohl nie entschlossen zu heiraten – ohne Hitlers Ideologie wäre Schwester Dorothee nicht in Druck geraten –, und Renate wäre als Folge dieser beiden Tatsachen gar nicht auf die Welt gekommen.“38 Dieses Manuskript überließ sie im Sommer 2005 einem bekannten Verlag zur Ansicht. Nachdem es dort mehrere Monate in der Warteschleife lag, forderte sie es allerdings – vielleicht verfrüht – wieder zurück. Einige Exemplare verteilte Renate an Freunde und an das Deutsche Tagebucharchiv e.V. Emmendingen. Statt einer Publikation sieht sie inzwischen den Sinn ihrer jahrelangen Aufarbeitungen in der privaten Weitergabe ihres Manuskriptes an ihre beiden Töchter. 2005: Birgit Breiding: Die Braunen Schwestern39 Breidings maßgebliche Dissertationsschrift über die „Brauen Schwestern“ von 1998 las Renate J. erst einige Jahre später. Ihre Versuche, den Kontakt mit der Autorin über die Universität Freiburg herzustellen, waren seinerzeit nicht erfolgreich. Aber die Lektüre hellte erstmals und sehr ausführlich die Organisationsstruktur der NSSchwesternschaft auf. Für Renate J. erklärte sich damit vor allem die heikle und entscheidende Position ihrer Mutter, sie sah sie in einer zentralen „Schnittstelle“40: „Das Bindeglied zwischen der NS-Schwesternschaft Reichsleitung und dem SSFührungshauptamt war die Amtsgruppe D. Diese meldete der Reichsleitung N.S. Schwesternschaft [...] die Anzahl der benötigten Schwestern und den Einsatzort [...]. Ich vermute nun ganz stark, bin mir fast sicher, dass Schwester Dorothee bis zum Zusammenschluss der blauen und braunen Schwestern im NSRDS in diesem Schnittpunkt zwischen dem SS Führungshauptamt, Amtsgruppe D (zuständig für Schwesternwesen) und der N.S. Schwesternschaft Reichsleitung, Abt. Schwesterneinsatz – Aufgabengebiet einer der fünf Oberinnen unter Käthe Böttger – in der NSV gearbeitet hat. Ihre Aufgabe war die Schwesternkartei und der Einsatz der Schwestern [...], das hat sie selbst in ihrem Bericht gesagt, aber sie hat nicht gesagt, 37 38 39 40
Vgl. Kapitel II.A.2 mit Abb. des von Renate J. gestalteten Titels. Anmerkungen von Renate J. auf der Innenseite des Titelblattes. Breiding 1998, Braune Schwestern. Renate J., Briefe, 27.6.2007 und 7.8.2007, S. 2.
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„Schwierige Aufgaben ...“ was das bedeutete. Und es bedeutete eben auch den Einsatz der N.S.-Schwestern in Euthanasie-Anstalten und Konzentrationslager.“41
2005 Deutsches Auswandererhaus, Bremerhaven (DAH) Gleich nach der Eröffnung des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven übergab Renate J. dort ein Konvolut mit Briefen von entfernter verwandten Cousinen aus Hawaii. Ein Onkel von Dorothee Rakow war 1885 von Soldin (Myślibórz) aus über Bremerhaven dorthin ausgewandert. Diese Geschichte fand Eingang in die Dauerausstellung des DAH. Eine der biografischen Karten, die dort die Besucher durch die multimediale Dauerausstellung begleiten, stellt die Auswanderergeschichte von Paul Lemke dar und führt zu den originalen Dokumenten. Auch im Ausstellungskatalog des Deutschen Auswandererhauses wurde die Biografie dieses Onkels von „Schwester Dorothee“ veröffentlicht.42 2005: Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen bei Oldenburg – Die Übergabe Ein englischer Freund, der sich in seiner Heimat als Psychiater besonders mit Traumatisierten des Zweiten Weltkriegs beschäftigt hatte, besuchte Renate J. 2005 in Oldenburg. Um ihm auf seiner Deutschlandreise ein interessantes Programm zu bieten, organisierte sie für ihn eine Führung in der 2004 eröffneten Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“ im Nachbarort Wehnen. Danach kam es zu einem persönlichen Gespräch und einer Einladung an die damalige Gedenkstättenleiterin, die ich seinerzeit war, sich den Bessarabien-Nachlass einmal bei ihr anzuschauen. Das Thema Bessarabien war der Anknüpfungspunkt zu meiner eigenen Familiengeschichte, die mich über Recherchen zum Schicksal meines Großvaters zum Thema NS-„Euthanasie“ geführt hatte. Zunächst gab Renate J. nur preis, dass ihre Mutter als Krankenschwester bei der Umsiedlung tätig war. Erst bei meinem Besuch erwähnte sie die Position der Mutter in der NS-Schwesternschaft. Renate J. übergab schließlich den gesamten Nachlass aus dem Bessarabieneinsatz ihrer Mutter an mich persönlich, in der Hoffnung auf eine Auswertung. Nun lagen das Tagebuch der zweiten Stellvertreterin der Generaloberin Bessarabien Sept.–Nov. 1940, Briefe der NS-Schwestern, Berichte der NS-Schwestern sowie einige Einzelblätter und ca. 100 Fotos der Umsiedlungsaktion – in einer Kiste – über ein Jahr lang auf dem Schreibtisch meiner Oldenburger Wohnung. Beruflich hatte ich mich sowieso laufend um Fördergelder für neue Projekte in der Gedenkstätte zu
41 Renate J. 2005, Wenn Hitler, S. 272, Privatarchiv Renate J., Familienbiografie. 42 ���������������������������������������������������������������������������������������� Deutsches Auswandererhaus 2006, Das Buch zum Deutschen Auswandererhaus, S. 64f. (Auswandererbiografie von Paul Lemke aus Soldin nach Hawaii im 19. Jh.). – Ein weiteres Konvolut von ca. 20 Briefen, Karten, Fotos aus dem Nachlass des Vaters, die eine Auswanderung in den 1920er Jahren betrafen, übergab Renate J. an das DAH später im Mai 2007. Liste im Schenkungsvertrag vom 24.5.2007, Privatarchiv Renate J.
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bemühen. Aus dieser Situation entstand die Idee, den wertvollen Nachlassschatz zu editieren und mit der Frage nach Beteiligung der NS-Schwestern an „Euthanasie“Maßnahmen im Rahmen der Umsiedlungsaktion auszuwerten. Doch dieser Weg war lang. Auch der Bessarabiendeutsche Verein wurde angefragt, hatte seinerzeit aber noch keine Erfahrung als Träger und Arbeitgeber für wissenschaftliche Projekte. Derweil beschäftigten mich mehrere befristete Zeitzeugenprojekte in der Gedenkstätte. März 2007: Interview mit arte TV In der Zwischenzeit ließen die Aktivitäten und die Neugier von Renate J. nicht nach. Eine Spurensuchereise nach Dresden, wo 1934 das „Mutterhaus“ der NS-Schwesternschaft gewesen war, verband sie Anfang 2007 mit dem Besuch einer Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum über Tödliche Medizin.43 Zur selben Zeit nahm sie Kontakt zum TV-Sender arte auf, der über Zeitungsaufrufe für eine geplante Filmreihe historische Recherchen anbot: Jeder konnte über einen Fragebogen im Internet eine historische Spurensuche vorschlagen. Renate J. fragte nach dem ihr unbekannten Schicksal von Käthe Böttger, die bis 1942 Generaloberin der NSSchwesternschaft, Vorgesetzte und Vertraute ihrer Mutter gewesen war. Der Sender lud sie zu einem Filminterview ein.44 Die historischen Recherchen wurden aber im März 2007 eingestellt.45 2007: BKM-Projekt – Die Auswertung des Nachlasses Schließlich wurde der Gedenkkreis Wehnen e.V. als Träger unserer kleinen Gedenkstätte Alte Pathologie auch der Träger der auf sechs Monate befristeten Forschung, nachdem der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien in Bonn meinen Antrag, den Nachlass auszuwerten, bewilligt hatte. Von Mai bis Oktober 2007 wanderte das Bessarabien-Konvolut nach fast zweijähriger Aufbewahrung in meiner Wohnung in das Büro der Gedenkstätte, wo ich die Dokumente transkribierte und für mich neu ordnete. Die Annäherung an das Thema begann Anfang Mai zunächst mit Interviews. Es ergab sich das Gespräch mit dem Gebietsarzt Dr. Ritter, und Renate J. arbeitete mit daran, zunächst die Geschichte des Nachlasses möglichst genau zu rekonstruieren. „Und ich bin froh, dass er in guten Händen ist und wissenschaftlich bearbeitet wird“, sagte sie.46 Im Juli fragte sie selbst beim Bundesarchiv Berlin nach der NSDAP-Mitgliedschaft ihrer Mutter, jedoch ohne Resultat. Sie gehörte zu den 43 United States Holocaust Memorial Museum, Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus – Deadly Medicin. Creating the Master Race. Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden, September 2006–Mai 2007. 44 Aufzeichnung des Interviews mit Renate J., Archiv des Senders arte TV. 45 Vgl. biographische Recherchen zur früheren NS-Generaloberin Käthe Böttger. In: Wittneben: Böttger, Lexikonbeitrag. In: Wolff (Hg.) 2004, Lexikon Pflegegeschichte, Bd. 3, S. 56–59. 46 Renate J., Brief, 18.5.2007.
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ca. 20 Prozent der dort nicht Erfassten.47 Zu unserer vertrauensvollen Kooperation gehörte auch, dass sie zur Auswertung immer wieder Teile aus dem restlichen Nachlass zur Verfügung stellte, z.B. weitere Dokumente zur NS-Schwesternschaft, die den Bessarabien-Nachlass ergänzten. Damals wie heute war nicht viel über die NS-Schwesternschaft bekannt. Insofern kommt der Bewahrung des Nachlasses eine besondere Bedeutung zu.48 2009: Frauen-Lesung Renate J. las auf einer öffentlichen Veranstaltung des Frauenbüros der Stadt Oldenburg aus ihren autobiografischen Texten, daneben gab es auch Beiträge von anderen Oldenburgerinnen zum Thema Mütter und Töchter – Töchter und Mütter.49 2011–2020: Materielle Kultur Renate J. übergab 2016 die Bluse, die ihre Mutter als NS-Oberin 1936 in Berlin auf dem „Kinderschutzkongress“ getragen hatte, dem Textilarchiv im Institut für Materielle Kultur der Universität Oldenburg. Auch ich wandte mich nach Ende des Forschungsprojektes seit 2011 der materiellen Kultur zu, mit neuen Aufgaben in einem Handwerksmuseum. Übersicht zur Geschichte des Nachlasses Zusammenfassend lassen sich folgende Phasen der Aufbewahrung und Um- bzw. Aussortierung des übergebenen Bessarabien-Nachlasses erkennen: A. Im Besitz von Dorothee Rakow bzw. Dora P. bis 1942
Amt für Volkswohlfahrt Berlin und Schwesternzimmer Hölderlinstraße 1942–1945 Bestand im ehelichen Haushalt, Mietwohnung Ö. bei Peine 1945–1957 Geheimarchiv im Podest und auf dem Dachboden, Mietwohnung Ö. bei Peine 1957–1986 Verteilung in Wohnung und teilweise Dachboden, Eigenheim Battenberg 1986–1989 Sortierung der Vergangenheit von Dora P. in ihren letzten drei Lebensjahren 47 Matthias Meissner, Bundesarchiv Berlin: Schreiben an Renate J., 24.7.2007, Privatarchiv Renate J. 48 Das Bundesarchiv zeigte Interesse an der Übernahme des Nachlasses von Dorothee Rakow in den Bestand des Hauptamtes für Volkswohlfahrt der NSDAP, Sign. NS 37. Dieser Bestand in der Bundesarchiv-Dienststelle Berlin-Lichterfelde enthält Archivalien zur NS-Schwesternschaft und zum NS-Reichsbund Deutscher Schwestern. E-Mail von Matthias Meissner, Bundesarchiv Berlin, 3.7.2007. 49 Frauenbüro der Stadt Oldenburg: Mütter und Töchter – Töchter und Mütter, Veranstaltung im Horst-Janssen-Museum Oldenburg 2.9.2009.
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B. Nachlassverwaltung der Erbin: Tochter Renate J. geb. P. 1989–1992 Haushaltsauflösung: Sichtung und Sortierung in Battenberg im Stallarchiv 1992–2007 Sukzessive Weitergabe von Fragmenten von L. und Oldenburg aus 2000–2007 Biografische Aufzeichnungen der Tochter mit Einbindung von Unterlagen C. Auswertung im BKM-Projekt I: Susanne Schlechter, Gedenkstätte Alte Pathologie 2007
(Mai bis Oktober) BKM-Projekt I: Auswertung des Bessarabien-Konvoluts als Teil des Gesamt-Nachlasses, Privatarchiv Schlechter seit 2005
II.A.2 Biografie: Dora – Dörthen – Dorothee – Dora P. (1899–1989) Der Auslandseinsatz als Oberin der NS-Schwesternschaft bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen im Herbst 1940 war ein Höhepunkt im Lebenslauf von Dorothee Rakow. So hat es ihre Tochter aus ihren Erzählungen jedenfalls wahrgenommen. Doch ist der Auslandseinsatz in Bessarabien nur ein kleiner Ausschnitt von wenigen Monaten ihrer gesamten Dienstzeit bei der NS-Schwesternschaft von 1935 bis 1942. Der Lebensweg der NS-Schwester ließ sich mit Hilfe von Dokumenten, Zeugnissen und Briefen aus dem Nachlass von Dorothee Rakow sowie aus den Erinnerungen der Tochter an Erzählungen ihrer Mutter rekonstruieren. In ihrer eigenen Familienbiografie50 hatte Renate J. 2005 das Lebens ihrer Mutter erstmals selbst rekonstruiert, vor allem durch die Auswertung von Briefen. Anhand von Familiendokumenten, Zeugnissen und Rentenunterlagen konnte sie teilweise genaue Datierungen vornehmen. Dieses Manuskript diente mir als zusätzliche Quelle. Der zwischen 1986 und 1989 von Dorothee Rakow selbst verfasste Bericht Das war mein Leben! auf 40 Schreibmaschinenseiten51 enthält Datierungen für die 1920er Jahre. Die Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre sind dagegen chronologisch durcheinandergewürfelt und undatiert, z.T. in mehreren Versionen. Der Bericht für die Tochter bricht in der Nachkriegszeit ab. Nach Meinung von Renate J. schildert ihre Mutter 50 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Renate J. 2005, Wenn Hitler, Privatarchiv Renate J. – Vgl. Kapitel II.A.1: Geschichte des Nachlasses. Abschnitt 2000–2005/Eigene Projekte. – Im Folgenden aufgeführt als: „Familienbiografie 2005“. 51 Dora P., Das war mein Leben! Typoskript o. J. [verfasst 1986–1989], 40 Seiten Maschinenschrift auf Pergamentpapier, in: Nachlass Dorothee Rakow – Im Folgenden aufgeführt als „Lebensbericht 1989“.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „ihre Kindheit und Jugendjahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr anschaulich. Es wird weniger, als sie die Ausbildung zur Schwester beschreibt. Und die beschriebenen Verhältnisse im 3. Reich beschränken sich dann hauptsächlich auf für sie positive Dinge, die für sie sehr eindrucksvoll waren (Kinderschutzkongress und BessarabienEinsatz). Kritik kam darin so gut wie gar nicht vor.“52
Doch in Dora Ps. Kommentaren zu einzelnen Stationen ihres Lebens lassen sich zwischen den Zeilen Hinweise auf Beweggründe finden, diesen oder jenen Weg einzuschlagen. Auch schimmert – entgegen der Lesart der Tochter – an mehreren Stellen durchaus Kritik hindurch, wenn sie auch recht unkonkret bleibt. Um zu verstehen, mit welcher inneren Haltung die NS-Schwester Dorothee als Oberin im Bessarabien-Einsatz arbeitete, ist ein Blick auf ihren Werdegang und ihre eigenen Aussagen im sinnvoll.
Autobiografien von Mutter und Tochter Links: Der Lebensbericht von Dora P. „Das war mein Leben!“ – Das erste53 von 40 Blättern des Typoskripts, das Dora P. 1986 bis 1989 in ihren letzten drei Lebensjahren für ihre Tochter schrieb. Rechts: Die Familienbiografie, die Renate J. 2005 anhand der Familiendokumente schrieb: „Wenn Hitler nicht gewesen wäre ... Eine Familienbiografie in Briefen und Berichten 1858–1949. 1. Otto – Enkel des Scharfrichters Salomon; 2. Schwester Dorothee – Soldatin des Führers; 3. Renate – Kind der NS-Schwesternschaft“. 52 Renate J., Familienbiografie 2005, S. 85. 53 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Der erste Satz über ihren Geburtsort lautet: „Soldin in der Neumark, heute östliche Mark Brandenburg und von den Polen besetzt [...]“: Diese provokante Sichtweise von Dorothee Rakow war die Perspektive einer Erlebnisgeneration, die die historischen Grenzverschiebungen nicht als Folge des deutschen Angriffskrieges akzeptieren wollte. In Wahrheit hat Polen nicht die Mark Brandenburg besetzt. – Im Quelleninventar Q1/Lebensbericht sind nur die Blätter des Typoskripts erfasst, in denen es um den Bessarabieneinsatz geht.
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Aus der Verknüpfung dieser beiden Quellen von Mutter und Tochter entstand das Gerüst der folgenden biografischen Tabelle. Später wurden die originalen Dokumente aus dem Privatarchiv der Tochter herangezogen und in die Chronologie eingebaut. Eine hilfreiche Quelle für exakte Datums- und Adressangaben war die Liste ihrer Arbeitsstellen, die Dora P. 1961 für das Rentenamt aufstellte. Grob gegliedert kann man Schwester Dorothees Lebenslauf in mehrere Phasen teilen, in denen sie jeweils andere Vornamen trug. Übersicht: DORA DÖRTHEN
1899–1914: Kindheit in Soldin 1914–1926: Jugend in Berlin. Vom Dienstmädchen zur Sekretärin SCHWESTER DOROTHEE 1926–1935: Ausbildung in Krankenpflege und Psychiatrie NS-SCHWESTER DOROTHEE 1935–1939: Karriere in der NS-Schwesternschaft bis zur zweiten Stellvertreterin der Generaloberin NS-OBERIN RAKOW 1939–1941: Reichsleitung der NS-Schwesternschaft im Hauptamt für Volkswohlfahrt Berlin und Kriegseinsätze DORA P. 1942–1989 Beruflicher Ausstieg als Ehrenmitglied der NSSchwesternschaft, Heirat und Familienleben Die Übersicht verdeutlicht, dass ihre Laufbahn als NS-Schwester zwar zu einer schnellen und steilen Karriere in die Reichsleitung führte, aber innerhalb des gesamten Lebens umfasste der Abschnitt als NS-Oberin nur die Phase im Kriegseinsatz von 1939 bis 1941. Doch genau dieser Zeitraum von September 1939 bis August 1941 entspricht der sogenannten „ersten Phase“ der „Aktion T4“.
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Tabellarischer Lebenslauf: Dora – Dörthen – Dorothee – Dora P. (1899 – 1989) DORA 1899–1914: Kindheit in Soldin 1899 – Am 20. Dezember geboren als Dorothea Rakow, in der Familie genannt Dora, aufgewachsen in Soldin/Pommern, Richtstraße 51, als Tochter des Klempners Emil und der Emma Rakow. 1903 – Tod der Mutter. Die drei Kinder wurden in der Familie verteilt. Dora lebte als Halbwaise zeitweise bei ihrer Tante in Stargard/Pommern (Stargard Szczeciński), anschließend wieder in Soldin bei der Stiefmutter. – Traumatischer Unfall in Stargard: Ein lebensgefährlicher Biss eines Drehorgel-Äffchens riss der dreijährigen Dora die rechte Gesichtshälfte auf. Sie behielt von diesem Vorfall lebenslang die auffällige Narbe auf der rechten Wange. (Meist zeigte sie auf Fotos nur ihr linkes Profil.) 1914 – Konfirmation und Realschulabschluss in Soldin mit gutem Zeugnis. – Beginn des Ersten Weltkriegs. Dora P. im Rückblick: „Trotz Krieg hielt es mich aber nicht zuhause, ich fand mich zu oft gedemütigt.“54 Mit Erlaubnis des Vaters ging die Fünfzehnjährige auf Stellensuche und aus Soldin fort. DÖRTHEN: 1914–1926: Jugendjahre in Berlin – vom Dienstmädchen zur Sekretärin 1914 – Das Mädchen vom Lande, das in Berlin Dörthen genannt wurde, fand verschiedene Stellungen als Dienstmädchen in der Großstadt Berlin: zuerst als Kindermädchen in der Familie eines jüdischen Pelzhändlers, dann als Haushaltshilfe und Kindermädchen in einer Dreigenerationen-Familie einer Offizierswitwe mit Eckkneipe und Ferienhaus an der Spree, schließlich als Dienstmädchen in einem Haushalt mit zwanzig Pensionären. Dora P. im Rückblick: „Mir war es ganz gleichgültig, wo ich arbeitete. Einen Beruf hatte ich nicht, und nach Hause wollte ich auf keinen Fall. Ich hatte mir auch in den Kopf gesetzt, Krankenschwester zu werden, wenn ich das nötige Alter dafür erreicht habe.“55 54 Lebensbericht 1989, Bl. 11. 55 Lebensbericht 1989, Bl. 12.
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1916 – Auf Initiative des Vaters: dreimonatige kaufmännische Ausbildung in der Remington-Fachschule für Maschinenschreiben und Stenographie, Berlin, Leipziger Straße. Unterkunft bei ihrer Großmutter in der Danziger Straße. – 31. 5.: Zeugnis über das Stenografie-System Stolze-Schrey.56 – Ab 1.6.: Stelle in der Registratur für Kontorarbeiten bei der Exportfirma Julius Edelstein57 für „Glas, Porzellan, Steingut, Kristall“ in Berlin, Alexandrinenstraße. Der Inhaber und „ein Drittel des kaufmännischen Personals waren jüdisch.“58 Obwohl ihre Familien Edelstein und Rakow in Soldin miteinander bekannt waren, sträubte sie sich gegen die Bewerbung. – Dora P. im Rückblick: „Ich ließ mich breitschlagen. Was soll ein 16jähriges Mädel tun, und noch zu damaligen Zeiten, in denen ich sowieso als Außenseiter galt. Ich habe mich übers Ohr hauen lassen, ich war engagiert. Eine Weile habe ich doch gebraucht, um dies zu verkraften [...]. Natürlich war ich das Küken und hieß ganz einfach bei allen D ö r t h e n.“59
– Nebenbei nahm Dörthen Englisch-Kurse in der „Wahlfortbildungsschule“ und war Sängerin im „Berliner Volkschor“. 1918 Ende des Ersten Weltkriegs – Erkrankung: „Asiatische Grippe“60: „Die Krankenhäuser waren wegen Überfüllung nicht aufnahmefähig, die Menschen starben wie die Fliegen. Man ging morgens gesund zum Dienst und gegen mittag fühlte man sich so elend, daß man kaum
56 Dokument im Privatarchiv Renate J. Die 1916 erlernte Stenografie nach dem alten System der Stolze-Schrey finden wir 1940 im Bessarabien-Tagebuch (Q2) wieder. 57 Die Glas-, Porzellan- und Steingut-Handels AG mit Sitz in Berlin, Alexandrinenstraße 95/96 vertrieb Porzellan vor allem nach Ostpreußen. Der jüdische Inhaber Julius Edelstein (1882–1941) leitete außerdem in Dorothees Heimatort Soldin das Kettenwerk seines Schwiegervaters Max Pagel. Nach 1933 wurden beide Betriebe „arisiert“. Edelstein, Pagel und ihre Ehefrauen wurden in Riga, Theresienstadt und Auschwitz ermordet, nur ihre Kinder konnten rechtzeitig ins Ausland gebracht werden. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Julius_Edelstein (Abruf 28.2.2021). 58 Lebensbericht 1989, Bl. 13. 59 Ebd. – Was hier unverständliche Andeutungen bleiben, klingt wie eine Entschuldigung für die Anstellung in einer jüdischen Firma, doch „es war wie in einer großen Familie [...] Niemals wieder habe ich ein so gutes Klima im Arbeitsbereich festgestellt.“, ebd. Bl. 16. Im Nachlass befinden sich dazu mehrere Fotos. 60 Mit dieser Bezeichnung in ihrem Lebensbericht meint sie vermutlich die Spanische Grippe von 1918–1920. Als größte Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts wurde 100 Jahre später die aktuelle Corona-Pandemie von 2020 mit dieser verglichen. Die Asiatische Grippe von 1957 war die zweitgrößte weltweite Influenza-Pandemie im 20. Jahrhundert, sie lag den Memoiren von Dora P. von 1989 zeitlich näher.
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noch nach Hause und ins Bett kam. Dann ging es rapide abwärts. Ich blieb auch nicht verschont.“61 – Erholung in Köslin (Koszalin) an der Ostsee bei der Tante. – Tod des Bruders: als Soldat gefallen. – Tod eines Verehrers aus der Buchhaltung: als Soldat gefallen. – Tod von zwei jungen Kolleginnen aus der Buchhaltung: Tuberkulose. – Dora P. im Rückblick: „Der Krieg ging in anderer Form weiter. Das Geld wurde von Tag zu Tag mehr entwertet. Mein Vater riet mir, doch nach Hause zu kommen. Ich blieb trotz aller Entbehrungen in Berlin.“62 1920 – 30.11. Kündigung der Stelle in der Firma Edelstein „auf eigenen Wunsch“63 – 1.12.: Stenotypistin bei der Firma Otto E. Schulze – Finanzierungen, Belle- Alliance-Platz 2. – Kündigung nach drei Monaten wegen einer Geschäftskrise durch die Inflation und Lücken in den Gehaltszahlungen. Zeugnis: „Frau Rakow ist in Stenografie wie in Maschineschreiben absolut perfekt und kann ich sie nur bestens empfehlen.“64 1921 – 8.3.: Sekretärin bei Dr. Julius Ephraim, Chemiker und Patentanwalt für chemische Formeln, Königgrätzer Straße 68 am Belle Alliance-Platz.65 1922 – 31.3.: Kündigung wegen Belästigung und Schikanen: „Eine sehr strapaziöse Zeit [...] Eines Tages habe ich ihm den Stenogrammblock vor die Füße geworfen [...] sowas war wohl noch nicht passiert.“66 – 10.4.: Stenotypistin bei der Firma Frankonia-Ring, Berlin, Export-Abteilung.67 – Zweizimmerwohnung in der Großbeerenstraße. – Tod der Untermieterin: Tuberkulose. – zum 31.10.: Kündigung bei Frankonia wegen unseriösem Angebot, als Jüngste die Leitung der Abteilung zu übernehmen: „Ich wollte mir viel Ärger ersparen.“ 61 Lebensbericht 1989, Bl. 15. 62 Ebd., Bl. 16. 63 Zeugnis von Julius Edelstein für Fräulein Dorothea Rakow, 30.11.1920, Nachlass Dorothee Rakow. 64 Dokument-Kopie. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 88. 65 In der Nähe befand sich das Reichspatentamt. Gitschiner Straße 97. Pharus-Plan Berlin [1933–45]. 66 Lebensbericht 1989, Bl. 17. 67 ������������������������������������������������������������������������������������������� Es könnte sich um die Firma „Frankonia“ handeln, die seit 1908 mit Munition und Waffen handelte. Das „Entwaffnungsgesetz“ des Versailler Friedensvertrages sorgte für Stagnation, doch 1922 begann der Waffenhandel mit einer Großinvestition erneut und blühte in den 1920er Jahren wieder auf. In: Frankonia, Historie, URL: www.frankonia.de/service/ueber-uns/historie.html (Abruf 28.2.2021).
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1923 – 1.1. Assistentin eines Diamantenhändlers: „Mein Chef handelte mit IndustrieDiamanten, und war ich gehalten, auf seinen Reisen, die Diamanten-Kollektion täglich mit nach Hause zu nehmen. Ich packte dann meine Aktentasche voll und spazierte damit durch den Tiergarten nach Hause. Wer vermutet schon bei einem einfachen Mädchen solche Werte.“68 – Flucht vor dem gewalttätigem Chef, der wegen der Inflation Probleme hatte und sie angriff. Sie verließ Berlin, um auf dem Lande die Krise der Inflation besser zu überstehen. –13. 9. „Kaufmännische Stellenvermittlung“ nach Damgarten/Vorpommern als Buchhalterin bei der Gemeinnützigen Siedlungsgenossenschaft Chludowo69 in Ahrenshagen und Todenhagen, Entlohnung mit Roggen-Rentenbriefen. Dora P. im Rückblick: „Um diese Tätigkeit bemühte ich mich damals, nachdem in Berlin eine ausreichende Ernährung nicht mehr für mich möglich war.“70 1925 – 15.9. Beurlaubung wegen Arbeitsunfähigkeit und Gewichtsabnahme. – Rückkehr nach Soldin: Erholung bei ihrer Familie. Diagnose des dortigen Amtsarztes: „Mädchen, du bist vollkommen abgewirtschaftet. Dir fehlt Ruhe und Sonne, sonst gar nichts.“71 Ein Foto zeigt Dörthen als ausgezehrte junge Frau im Alter von 26 Jahren. Krankheit und mehrwöchige Auszeit waren ein Wendepunkt in ihrem Leben: „Ich wollte nun daran gehen, meinen geheimen Plan, Krankenpflege zu lernen, in die Tat umzusetzen.“72 1926 – Erste Bewerbung als Krankenschwester in Berlin-Moabit: Ablehnung wegen Lungenschäden nach ihrer Grippe von 1918. Dora P. im Rückblick: „Für mich begann eine neue Wartezeit. Da meine Ersparnisse für die Ausbildung zur „Berlin Oktober 1925“
Foto (Ausschnitt): Nachlass Dorothee Rakow
68 Lebensbericht 1989, Bl. 18. – Im Mai 1923 trug sie einen großen Amulett-Anhänger mit sechs blinkenden Steinen. Foto im Nachlass von Dorothee Rakow. 69 Die Siedler waren nach dem Ersten Weltkrieg ausgesiedelte Deutsche aus Posen, für die auf den Gütern einer Baronin Siedlungshäuser gebaut wurden. In: Lebensbericht 1989, Bl. 19f. 70 Rentenunterlagen, 19.6.1961, Bl. 1. 71 Lebensbericht 1989, Bl. 22. 72 Ebd.
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Krankenschwester durch Inflation hingeschmolzen waren, mußte ich zur Überbrückung eine Tätigkeit suchen.“73 – 1.5.–31.8.: vier Monate Haushälterin bei drei berufstätigen Frauen in BerlinSchöneberg, Monumentenstraße 12. SCHWESTER DOROTHEE 1926–1935: Ausbildung in Krankenpflege und Psychiatrie 1926 – Bewerbung bei der „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“74. – Dora P. im Rückblick: „Und so las ich eines Tages von der Berufsorganisation für Krankenschwestern, Hauptgeschäftsstelle in Berlin-Wilmersdorf. Mit meinen kaufmännischen Zeugnissen in der Tasche fuhr ich nicht ohne Herzklopfen hin. Die Schwestern dort waren alle älteren Jahrgangs und sehr nett. Man brachte mich zur Generaloberin.“75 – 1.10.: Krankenpflegeausbildung im Kreiskrankenhaus in Burg bei Magdeburg, Gynäkologische Station, Laborschwester. Unterkunft im Drei-Schwestern-Zimmer. 1928 – 18.9.1928: Staatsexamen mit „Gut“. – Spannungen wegen „Chikanen“ der „neuen Oberin des Hauses“, weil Schwester Dorothee in der freien Zeit Krankengeschichten für die Ärzte tippte und von ihnen unterstützt wurde. – Dora P. im Rückblick: „Ich [...] hielt [...] die Zeit für gekommen, meine Sachen zu packen und zu gehen. Dem Chef war es nicht recht, aber für mich war es besser so.“76 – Zum 31.1.1929 Kündigung im Kreiskrankenhaus Burg: „Sie geht auf eigenen Wunsch.“77 1929 – Bewerbung für einen Aufbaukurs in Neurologie und Psychiatrie in Kiel, den sie ab 16.10.1930 begann.
73 Ebd., Bl. 22f. 74 Rentenunterlagen, 19.6.1961. – Diese „Berufsorganisation für Krankenschwestern“ wurde später nach der Gründerin in „Agnes-Karll-Verband“ umbenannt. Ausführlicher in Kapitel II.A.3: Karriereweg. 75 Lebensbericht 1989, Bl. 23. Der Name der als „Generaloberin“ bezeichneten Oberin des AgnesKarll-Berufsverbandes wird von Dorothee Rakow nie genannt; nicht zu verwechseln mit Käthe Böttger, Generaloberin der NS-Schwesternschaft ab 1937. 76 Lebensbericht 1989, Bl. 25. 77 Zeugnisabschriften, Rentenunterlagen, 19.6.1961.
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– 15.2.: Nachfolgerin einer früheren Mitschwester in der Frauenklinik Dr. Buttermann, Berlin-Spandau (gynäkologisch-geburtshilfliche Privatklinik). – 30.4.: Beendigung. Dora P. im Rückblick: „Ich verließ die Stellung, weil ich die Urlaubsvertretung für die Oberin übernehmen sollte und mich dem nicht gewachsen fühlte.“78 Und: „Ich konnte dort nicht bleiben, weil ich die Oberin während ihrer Ferien vertreten sollte. Meine kaufmännischen Kenntnisse waren daran schuld.“79 – ab 2.5.: Vertretung der Oberin im Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin. „[Es] gefiel mir sehr gut, wenn man auch von den angestellten Schwestern (die älteren waren früher Wärterin u. wurden auf Grund der langjährigen Arbeit ins Beamtenverhältnis übernommen) mit Argwohn betrachtet wurde und manchmal auch Steine in den Weg gelegt worden sind.“80
1930 – 30.9.: Kündigung am Virchow-Krankenhaus Berlin: „Sie scheidet heute freiwillig aus.“81 Grund war der Beginn der Ausbildung in der Kieler Nervenklinik, für die sie sich Anfang 1929 beworben hatte. – ab 16.10.: „Einjähriger psychiatrischer Kurs und Ausbildung in der Nervenpflege“ in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Kiel. – Schwester Dorothees Lehrer in Kiel waren Dr. Kolle, „dessen Sohn später in Deutschland die große Aufklärungskampagne startete“, und der Klinikchef Dr. Sterz, „ein Schwiegersohn von Prof. Alzheimer, Entdecker der gleichnamigen Krankheit. (Er musste später kündigen, da seine Frau Jüdin war.)“82 1931 – Nach dem Fachexamen arbeitete sie ein weiteres Jahr in offenen und geschlossenen Stationen der Uni-Nervenklinik Kiel. – Die etwa 30 Jahre junge Dorothee hatte in dieser Zeit einen Freund namens „Hans Arp“83. „Ein interessanter Mensch, aber zu sehr Phantast. Auf Sizilien geboren, wo der Vater Kunstmaler gewesen war. Wenn er ein wenig Realist gewesen wäre, hätte ich ihn gern geheiratet.“84
78 79 80 81 82 83
Rentenunterlagen, 19.6.1961. Lebensbericht 1989, Bl. 25. Ebd. Zeugnisabschriften, Rentenunterlagen, 19.6.1961. Renate J., Familienbiografie 2005, S. 103; sowie Zeugnisabschriften, Rentenunterlagen, 19.6.1961. Diesen Namen gibt Dora P. in ihren Memoiren an. Der 1940 als „entartet“ verfemte Künstler des Surrealismus und Dadaismus, geb. 1886 in Straßburg, kann es aus verschiedenen Gründen nicht sein. Allerdings stammte dessen Familie auch aus Kiel. Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/ Hans_Arp (Abruf 8.1.2020). 84 Lebensbericht 1989, Bl. 26.
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„Univ. Nervenklinik Kiel, Mai 1931“ Foto: Nachlass Dorothee Rakow.
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1932 – 31.8.: Ende der Stelle in der Uni-Nervenklinik Kiel.85 – Vorschlag für eine Oberinnenstelle in der Landesanstalt Stolp/Pommern. – ab 1.9.: Hospitation als Hilfspflegerin in der Provinzial-Heilanstalt Stralsund. Ohne Gehalt, bei freier Pension wurde bei „Bewährung“ eine Einstellung als Abteilungsleiterin in Aussicht gestellt.86 Dora P. im Rückblick: „Das Sagen hatte der Wirtschaftsdirektor und nicht der ärztliche Leiter. Das hieß Sparen in jeder Beziehung. Z.B. wurden mittags die Pellkartoffeln aus einer großen Wanne über den Tisch geschüttet. So, Vogel friß oder stirb! Jede Patientin hatte einen Blechteller u. Löffel. [...] Bald wurde ich hier abgelöst.“87
– Nach der bestandenen Bewährung wurde sie Abteilungsleiterin der Typhus-Station in der Provinzial-Heilanstalt Stralsund. Dora P. im Rückblick: „Auf einer geschlossenen Station war Typhus ausgebrochen. Ich musste mit 2 jungen Pflegerinnen ein kleines geschlossenes Haus für etwa 10 Kranke einrichten. Abgesehen von den täglichen Visiten waren wir uns vollkommen selbst überlassen [...]. Ich war Tag und Nacht für alles verantwortlich.“88
– 16.12.: Erkrankung und Behandlung im Krankenhaus. „Nach Auflösung dieser Station musste ich mich wegen einer Nierenbeckenentzündung in stationäre Krankenhausbehandlung begeben. Nach Entlassung habe ich nicht weitergearbeitet, sondern fuhr nach Hause, um mich zu erholen. Von der Arbeit in einem Landeskrankenhaus hatte ich genug.“89
– Zum 31.3.1933: Kündigung,90 bis dahin Erholungsurlaub. 1933 – Ab 1.4.1933: Stationsschwester im Städtischen Krankenhaus in Finsterwalde/Niederlausitz. Diese Stelle bekam sie auf Anfrage „meiner Berufsorganisation“. 85 86 87 88 89 90
„In Finsterwalde nach dem Nachtdienst“
Foto: Nachlass Dorothee Rakow
Zeugnis, 18.8.1931. Kopie in: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 104. Zeugnisabschriften, Bl. 3, Rentenunterlagen, 19.6.1961. Lebensbericht 1989, Bl. 26. Lebensbericht 1989, Bl. 26,. direkte Fortsetzung des vorherigen Zitats. Lebensbericht 1989, Bl. 26, direkte Fortsetzung des vorherigen Zitats. Zeugnisabschriften, Rentenunterlagen, 19.6.1961.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „[In Finsterwalde] wurde ich zum ersten Mal mit dem Nationalsozialismus konfrontiert. Der Chefarzt war Parteigenosse mit dem goldenen Parteiabzeichen. Das Niveau war mäßig, [...] der Wärter oft renitent, aber vom Chef behütet.“91
1934 – Zum 31.3.: Kündigung. „Auf ihren Wunsch scheidet sie [...] wieder aus“,92 schrieb der NSDAP-Bürgermeister von Finsterwalde ins Zeugnis. – Umzug nach Dresden, die „Stadt der Volksgesundheit“.93 Seit Juli 1934 war hier das „Reichsmutterhaus“ der am 17. Mai gegründeten „NS-Schwesternschaft“ mit einer NS-Schwesternschule im „Rudolf-Heß-Krankenhaus“. Erste Verbindungen wären denkbar.94 – Ab 1.4.: Stationsschwester auf einer geschlossenen Abteilung mit 15 Betten in einer Privatklinik für Nerven- und Gemütskrankheiten in Dresden-Strehlen.95 Leitender Arzt war der Psychoanalytiker Dr. Stoltenhoff, der sich ab 1933 eine Identität als Psychiater zugelegt hatte.96 Schwester Dorothee übernahm hier die Vertretung einer ihr „aus Kiel bekannten Schwester“.97 91 Lebensbericht 1989, Bl. 26. 92 Der Bürgermeister von Finsterwalde, Zeugnisabschriften, Rentenunterlagen, 19.6.1961. 93 Dresden wurde zu einem Ort der „Neuen Deutschen Heilkunde“, die das Wohl des einzelnen Patienten gegenüber der „Volksgesundheit“ zurückstellte. In Dresden war auch das „Deutsche Hygiene-Museum“ und die „Staatsakademie für Rassen-Gesundheitspflege“. Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, im Abschnitt Umzug nach Dresden, S. 137–143, Zitate S. 141. 94 Die Ausbildung der NS-Schwestern „erfolgt in der NS-Schwesternschule des Mutterhauses der NS-Schwesternschaft im Rudolf-Heß-Krankenhaus, Dresden u n d in den staatlich anerkannten Krankenpflegeschulen, [...] bestimmten Krankenhäuser.“ In: Richtlinien der NS-Schwesternschaft. Broschüre Juni 1934, S. 7, Nachlass Dorothee Rakow. – Vgl. ausführlicher im folgenden Abschnitt, 1935, zu Dr. Jensen. 95 Adresse: „Dresden A20, Josephstr. 12 u. 12b“ (Rentenunterlagen, 19.6.1961). – Die Privatklinik war in einem repräsentativen Gebäude im Stil der sogenannten Reformbaukunst im Villenviertel Strehlen (Foto des Gebäudes in: Lars Hermann, Arbeitskreis Stadtgeschichte: Dresdner Stadtteile. URL: www.dresdner-stadtteile.de/Sud/Zschertnitz/Strassen_Zschertnitz/Caspar-David-FriedrichStrasse/caspar-david-friedrich-strasse.html. Abruf 8.1.2020). – 1940 wurde der Straßenname geändert in Caspar-David-Friedrich-Straße 12. Gegenüberliegend in Nr. 15b war eines der Dresdener „Judenhäuser“, in das u.a. auch der jüdische Kulturwissenschaftler Victor Klemperer umziehen musste (ebd. einleitender Abschnitt). Mit seinem Tagebuch „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ hinterließ er eines der wichtigsten Zeugnisse zur NS-Zeit. 96 Der Dresdener Psychiater Heinrich Stoltenhoff (1898–1979), Leiter der Privatklinik von 1932– 1949, hatte von 1924–1932 eine psychiatrische Praxis in Berlin. 1923 hatte er in Wien eine psychoanalytische Ausbildung gemacht und 1926 ein „Kurzes Lehrbuch der Psychoanalyse“ veröffentlicht. Von 1950–1964 war er Direktor der Psychiatrie Arnsdorf bei Dresden und sächsischer Landespsychiater. Fachkollegen war lange nicht bekannt, dass er vor 1933 Psychoanalytiker gewesen war. Ab 1933 „scheint es, dass Heinrich Stoltenhoff seine analytische Identität gegen die eines Psychiaters eintauscht: zumindest nach außen“. In: Theilemann, Annäherung Stoltenhoff. In: Geyer 2011, Psychotherapie in Ostdeutschland, S. 54. 97 Renate J. vermutete in dieser Käthe Böttger (Dies., Familienbiografie 2005, S. 115). – Eine frühe
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Schwester Dorothee, lesend, mit Patientinnen im Garten „Bei Dr. Stoltenhoff in Dresden“ Foto: Nachlass Dorothee Rakow
– Wohnung im Kellergeschoss, Mittagsmahlzeit mit den Kranken, „häufige Beanspruchung auch in Nachtzeiten“.98 1935 – Dora P. im Rückblick: „Aber hier habe ich dann doch ein für alle mal von der Psychiatrie Abschied genommen.“99 Das Haus erschien ihr „fragwürdig“ und eine Stationsschwester entpuppte sich als „Morphinistin“, die sie meldete: „Ich musste dies der Oberin100 unserer Schwesternschaft in Berlin melden, und kam sie am nächsten Tag, um selbst alles zu regeln. [...] Das Haus selbst ist mir ein wenig fragwürdig geworden.“101
– Den endgültigen Abschluss mit der Psychiatrie bewirkte ein Krankentransport aus dem Dresdener Privatsanatorium in die Landesanstalt in Königsberg in Ostpreußen
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Bekanntschaft zwischen Rakow und der späteren Generaloberin wäre denkbar, doch eine Anstellung Böttgers in Kiel ist nicht bekannt. Allerdings hatte Herrmann Jensen, der 1934 Leiter des Reichsmutterhauses der NS-Schwestern in Dresden war, in Kiel Medizin studiert. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 103. Rentenunterlagen, 19.6.1961, Bl. 4. Lebensbericht 1989, Bl. 27. Diese könnte evtl. Käthe Böttger gewesen sein. Lebensbericht 1989, Bl. 27.
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(Kaliningrad). Die ostpreußische Patientin wurde von Schwester Dorothee und dem Chefarzt102 im separierten Zugabteil 1. Klasse begleitet und beaufsichtigt. – Dora P. im Rückblick: „Und dann kam die Einlieferung in die Anstalt. Ich habe die Frau in ihrer Ruhe bewundert. Mit dem Chef zurückfahren wollte ich nicht.“103
– 1.4.1935 Kündigung: „Sie verläßt die Stellung auf eigenen Wunsch“.104 – April: Urlaub an der Kurischen Nehrung und endgültige Abwendung von der Psychiatrie. „Hier in der Stille wollte ich wieder zu mir selbst finden. Obwohl mir die armen eingesperrten Menschen leid taten, habe ich mich doch von der Psychiatrie abgewendet. Sie kostete zuviel seelische Kraft.“105
NS-SCHWESTER DOROTHEE 1935 – 1939: Karriere in der NS-Schwesternschaft Während sich Schwester Dorothee in Königsberg von der Psychiatrie abwandte und nicht mehr nach Dresden zurückkehrte, konstituierte sich auch die schon vor 1933 von Erna Mach begründete „Urzelle der NS-Schwesternschaft“ und gelangte mit der offziellen Anerkennung am 17. Mai 1934 unter männliche Unterweisung.106 Am 1. Juni wurde Machs Unterstützer im Stadtkrankenhauses Hannover, der Oberarzt Hermann Jensen, „Beauftragter des Reichsärzteführers für die weltanschauliche und berufliche Schulung der NS-Schwestern“ und stieg zum neuen ärztlichen Direktor des „Rudolf-Heß-Krankenhauses“ in Dresden auf. Gemäß dem nationalsozialistischen Leitsatz des Führerstellvertreters Rudolf Heß – „Politik ist angewandte Biologie“ – sollte hier das „Biologische Zentralkrankenhaus“, eine Mustereinrichtung der „Neuen Deutschen Heilkunde“ nach nationalsozialistischen Grundsätzen, entstehen. Schon am 1. Juli 1934 wandelte Jensen die hier bestehende Krankenpflege-
102 Königsberg: Der Leitende Arzt der Dresdener Privatklinik, Dr. Heinrich Stoltenhoff hatte 1921 in Königsberg sein medizinisches Examen abgelegt. Vgl. Vita und Foto. In: Zeitreise 100 Jahre Krankenhaus Arnsdorf. Ausstellung im Verwaltungsgebäude, Arnsdorf 2012, Tafel 24: Kurzbiografien der Arnsdorfer Anstaltsdirektoren. URL: skh-arnsdorf.sachsen.de/fileadmin/user_ upload/arnsdorf/pdf/100jahre.pdf (Abruf 8.1.2020). – Möglicherweise handelte es sich um die Anstalt im nahe gelegenen Tapiau (Tapiewo, Gwardejsk). 103 Lebensbericht 1989, Bl. 28. Möglicherweise handelte es sich um eine Zwangseinweisung. 104 Unterzeichner: Ltd. Arzt Dr. Stoltenhoff am 1.4.1935, Zeugnisabschrift, Rentenunterlagen, 19.6.1961. 105 Lebensbericht 1989, Bl. 28. 106 Ausführlich ging Birgit Breiding der Entstehung und Entwicklung der Organisationsstrukturen bis 1934 auf den Grund, vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 88–134, Zitat S. 140 (Urzelle).
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schule in das „Reichsmutterhaus der NSSchwesternschaft“ um.107 Der Arzt trug sowohl den weißen Kittel wie die Uniform.108 Bei der Einweihung stand Schwester Erna Mach als „Führerin der Braunen Schwesternschaft“ noch im Zentrum, bevor sie schon bald abtreten musste.109 Januar bis März 1935 Am 31. Januar 1935 übertrug NSV-Amtsleiter Hilgenfeldt den weiteren Aufbau der Organisation an Käthe Böttger.110 Kurz danach, am 24. Februar zeigte sich Böttger bei einer öffentlichen Vereidigung von NSSchwestern in Oldenburg, deren Art der Feiergestaltung dann „für Deutschland maßgebend“ wurde.111 Der Gauleiter des Gaues Weser-Ems Carl Röver „mahnte die NS-Schwestern, in starkem, fanatischem Glauben an die Richtigkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung ihre Tätigkeit zu beginnen“.112 Auch Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink erschien zu diesem Ereignis. Zwischen all diesen Prominenten blieb Käthe Böttger in der Presse am 25. Februar ungenannt, aber auf dem Foto stand sie direkt neben NSV-Leiter Hilgen-
Zwei Krankenschwestern (rechts: Schwester Dorothee) mit einer Patientin. Die Kollegin hält die Hand einer Puppe an den Totenschädel, in dessen Nasenhöhlen eine Zigarette steckt. „Das nennt man ‚Lernen‘“ Foto: Nachlass Dorothee Rakow
107 Dr. med. Hermann Jensen (1885–1946), einer der Initiatoren der NS-Schwesternschaft, hatte schon am 1.10.1933 als Oberarzt im Krankenhaus Hannover in enger Zusammenarbeit mit Erna Mach eine nationalsozialistische Schwesternschaft aufgebaut und dort die erste NS-Krankenpflegeschule gegründet. Das 1934 so umbenannte „Rudolf-Heß-Krankenhauses“ war zuvor das Dresdener Stadtkrankenhaus Johannstadt, heute Uniklinik Carl Gustav Carus. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Jensen (Abruf 25.5.2021). 108 Vgl. Abbildungen in Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 104 (Arztkittel), S. 144 (Uniform), S. 145 (Rudolf-Heß-Krankenhaus). 109 Bilder von den Einweihungsfeierlichkeiten am 5. Juni 1934, Treppenbild mit Erna Mach, ebd., S. 144. Über die Ablösung Erna Machs im Abschnitt Führungswechsel, ebd., S. 151f. 110 Ebd., S. 152. Zur Biografie Käthe Böttgers, ebd., S. 152–154. 111 Ebd., S. 54. Oberin der NS-Schwestern im Gau Weser-Ems war Lotte Middendorf, ebd., Anm. 275. 112 In: Feierliche Vereidigung der NS-Schwestern. Die Kundgebungen der Gaufrauenschaft. In: Oldenburgische Staatszeitung, 25.2.1935, 2. Beilage (Kopie im Privatarchiv Renate J.).
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feldt und Gauleiter Röver.113 Kurz nach der Vereidigungsfeier der NS-Schwestern in Oldenburg wurde Böttger im März 1935 die „Reichsvertrauensschwester“.114 April 1935 – 1.4.: Schwester Dorothee kündigte derweil rechtzeitig zum 1. April ihre Stellung in Dresden und begann ebenfalls eine neue Laufbahn mit einem schnellen Aufstieg. – 20.4.: zum „Führergeburtstag“ wurde Schwester Dorothee Gemeindeschwester in Neumecklenburg/Kreis Friedeberg (Zwierzyn/Powiat Strzelecko-Drezdenecki) in der Nähe ihres Heimatortes Soldin, wo ihr Vater lebte. Sie arbeitete hier selbständig in Zusammenarbeit mit dem Amtsarzt und war der Gauamtsleitung in Berlin unterstellt. – 21.4.: Eintritt in die NS-Frauenschaft, Ortsgruppe Neumecklenburg.115 – 1.5. am „Tag der Arbeit“: Eintritt in die NS-Schwesternschaft.116 Dora P. im Rückblick: „Ich entschloß mich, in die Gemeindearbeit117 zu gehen. [...] Feststellen musste ich dabei, daß alle neu zu besetzenden Gemeindestationen von der NS-Schwesternschaft besetzt wurden.118 Mir blieb daher nur die Wahl, mich dieser anzuschließen. Wir wurden gar nicht gefragt. Es war selbstverständlich. Eine Berliner Schneiderwerkstatt war verpflichtet, uns jeweils einzukleiden.119 Auch mein ursprünglicher Berufsverband hatte bald kapitulieren müssen und wurde als Reichsverband120 der Krankenschwestern neu gegliedert.“121
113 Ebd. auf dem Foto ganz links (Dorothee Rakow ist als Teilnehmerin hier nicht zu erkennen). 114 Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 152. 115 Ausweis Mitgliedsnr.: 128 240, Privatarchiv Renate J., ausgestellt am 1.6.1935, NS-F-Mitglied seit 21.4.1935, NSDAP-Mitgliedschaft: kein Eintrag, eingeklebte Marken von April 1935 bis Dezember 1938. 116 ����������������������������������������������������������������������������������������� Mitgliedsausweis Nr. 1614 mit Unterschriften von Hilgenfeldt und Wagner, Privatarchiv Renate J. 117 Vorraussetzung für eine Stelle als NS-Gemeindeschwester war die Absolvierung eines Schulungskurses im Rudolf-Heß-Krankenhaus Dresden, das Sitz des Mutterhauses der NS-Schwesternschaft war. Aus der Zeittafel bei Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 17, zu Mai 1935. 118 Zur Tätigkeit der NS-Gemeindeschwestern vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, ab S. 220 im Kapitel: Die NS.-Schwester als Gemeindeschwester. Diese sollten die Gemeindemitglieder „weltanschaulich gewinnen“ (ebd. S. 85). 119 Die einheitliche Schwesterntracht der NS-Schwestern wurde ab dem 1.1.1936 durch das Hauptamt der NSV eingeführt. Nach Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, Zeittafel S. 18. 120 Der „Reichsbund“, gegründet am 3.10.1936, schloss alle bis dahin freien Schwesternverbände ein. Im selben Monat wurde das „Ehegesundheitsgesetz“ erlassen. Vgl. Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 18f. 121 Lebensbericht 1989, Bl. 28.
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– 1.7.: Versetzung nach Berlin als „Gauvertrauensschwester“122 für den Gau Kurmark.123 Dora P. im Rückblick: „Leider! Ungefragt musste ich ihren Platz in Berlin einnehmen.“ – Sie mietete sich ein möbliertes Zimmer in der Nähe der Berliner Dienststelle.124 Die „N.S.V. Gau Kurmark“ befand sich in der Burggrafenstraße 11.125 – 6.12.: Die „Kurmärkische Volkswohlfahrt“ berichtete im „Märkischen Adler“ über den neuen Schwesterntyp, der derzeit im „braunen Ehrenkleid“ in Stadt und Land in der Kurmark unterwegs war. Eine Beteiligung an diesem Propagandaartikel durch die Gauvertrauensschwester ist naheliegend: „Nationalsozialistisches Wohlfahrtsempfinden mußte auch einen Typ neuer Schwestern schaffen, deren Einstellung und Arbeitsweise grundverschieden ist von den Auffassungen bisheriger Fürsorgearbeit. Im Mittelpunkt aller nationalsozialistischen Wohlfahrtsarbeit steht die erblich gesunde deutsche Familie als wertvollstes Glied der Volksgemeinschaft. Behebung ihrer gesundheitlichen, seelischen und wirtschaftlichen Not ist wichtiger als die Aufzucht geistiger und körperlicher Krüppel, die für einen lebensstarken Volkskörper unrettbar verloren sind. Die NS-Schwester, als eine wichtige Mitarbeiterin der NS-Volkswohlfahrt steht also auch auf dem Boden dieser rassisch und erblich bedingten Auffassung. Vorsorge statt Fürsorge. Selbsthilfe statt Fremdhilfe – das ist der tiefste Sinn, der das Werk der NS-Schwesternschaft erfüllt!“126
Nach ihrer Abkehr von der Psychiatrie hatte Schwester Dorothee den neuen politischen Weg der „Vorsorge statt Fürsorge“ beschritten. 1936 – 10.–15.1.: Leitung einer Arbeitstagung für NS-Schwestern des Gaues Kurmark in der „Theodor-Fritsch-Schule“127 in Neuenhagen bei Berlin mit verschiedenen Refe122 Im ganzen Reich wurden Kurse für die Schulung von „Gauvertrauensschwestern“, „Jungschwesternführerinnen“ und leitenden Schwestern durchgeführt, die der Ausrichtung auf NS-Gedankengut dienten. Die Teilnahme der von der NSV benannten Schwestern war Pflicht. Nach Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, Zeittafel, S. 17, zu Mai 1935. 123 Der 1933 eingerichtete NSDAP-Verwaltungsbezirk Gau Kurmark umfasste das weite Umland rund um Berlin, einschließlich Soldin, 1939 wurde er in Gau Mark Brandenburg umbenannt. Der Gau war flächenmäßig und mit über drei Millionen Einwohnern der größte im „Deutschen Reich“. Sitz der Gauleitung Kurmark war in Berlin, Kurmärkische Straße 1. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Gau_Mark_Brandenburg (Abruf 21.2.2021). 124 Da sie die genaue Adresse nicht nennt, ist nicht ganz klar, ob diese Wohnung bereits die erst später zu 1937 erwähnte in der Ansbacher Straße 3 war. Diese lag nämlich in unmittelbarer Nähe zur Dienststelle der NSV Kurmark in der Burggrafenstraße. 125 Stempel mit Adresse auf der Rückseite eines Fotos, das Schwester Dorothee als Vortragende vor NS-Schwestern zeigt, Nachlass Dorothee Rakow. 126 Kurmärkische Volkswohlfahrt [o.A.] 1935, NS-Schwestern erzählen, Nachlass Dorothee Rakow. 127 Theodort Fritsch (1852–1933) hatte 1887 den „Antisemiten-Katechismus“ verfasst, der ab 1933 neu aufgelegt wurde, vgl. Fritsch 1944, Handbuch Judenfrage. Als völkisch-antisemitischer Publizist und Gründer des „Germanenordens“ wurde er von den Nationalsozialisten als „Altmeister
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renten zu Themen wie „Erbbiologie“, „Rassenhygiene“, Gasvergiftung und „Ostlandfragen“.128 Der eigene Vortrag von NS-Schwester Dorothee lautete: „Psychische Erkrankungen“. In ihrem Referat gab sie ab und an Hinweise auf das „Erbgesundheitsgesetz“, das seit 1934 galt: „Das manisch depressive Irresein ist auf erbliche Belastung zurückzuführen und fällt unter das Sterilisationsgesetz.“129
– 7.2.: Die „Kurmärkische Volkswohlfahrt“ brachte einen „Frontbericht aus der NSV.-Arbeit: Eine NS.-Schwester erzählt von ihrer Tätigkeit“.130 Als Redakteurin könnte die Gauvertrauensschwester Dorothee beteiligt gewesen sein, die Berichte ihrer NS-Gemeindeschwestern aus der Kurmark zusammenstellte. Es ging um die kleinen politischen Erfolge an einzelnen Gemeindestationen: „‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘ [...] Die Kleinen haben sich die Bezeichnung Hitlertante für mich ausgedacht [...] Jedes Kind wollte die neue ‚Hitlerschwester‘ begrüßen.“131
– 1.4.: Ende der Stellung als Gauvertrauensschwester im Gau Kurmark. Nachdem Dorothee Rakow nach eigenen Angaben der Ehefrau eines Juden bei der Beschaffung eines Arbeitsausweises geholfen hatte, „ließ der Gauamtsleiter mich von meiner Arbeit ablösen. Ich wurde zur Generaloberin befohlen und erst mal beurlaubt. Gut!“132 – 1.4.–30.6.: Beurlaubung für drei Monate. NS-Schwester Dorothee reiste „auf Abruf“ nach Ording an die Nordsee. Im Nachlass fanden sich zwei leere Ansichtskarten vom „Hermann-Goering-Koog“,133der seit 1935 dort als Mustersiedlung
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der Bewegung“ verehrt. Sein gleichnamiger Sohn (1895–1946), der 1933 den „Hammer-Verlag“ seines Vaters übernahm, bekam eine hohe Position in der Reichsschrifttumskammer und war im Krieg eng mit dem Propagandaministerium verbunden. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/ wiki/Theodor_Fritsch; sowie: de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Fritsch_(Buchhändler) (Abruf 21.2.2021). – Der „sächsische Ingenieur Theodor Fritsch“ gründete den Germanenorden 1912 zusammen mit Rudolf von Sebottendorf, der 1917 in München den Thule-Orden gründete, in dem Hitler und andere spätere NS-Prominenzen vor 1933 Mitglieder gewesen waren. In: Ach/ Pentrop 2001 [1977], Hitlers Religion, S. 32, 35. – Vgl. Kap. II.A.3, Karriereweg. Vortragstitel aus dem Programm lauten u.a.: „Der Führer und sein Werk“ (Pg. Krämer), „Die Erbhofgesetze“ (Dr. Lais), „Erbbiologie und Rassenhygiene“ (Dr. Ruppin), „Gesundheitsführung im Dritten Reich“ (Ders.), „Gasvergiftungen“ (Dr. Rinn) „Das Luftschutzproblem und die moralische Aufrüstung“ (Wichmann), „Ostlandfragen und Grenzlandarbeit“ (Dr. Jantzen, Bd. dt. Osten). Aus dem Tagungsprogramm, Nachlass Dorothee Rakow. Vortragsmanuskript, 5 Seiten Maschinenschrift-Durchschlag, S. 2, Nachlass Dorothee Rakow. Kurmärkische Volkswohlfahrt [o.A.], Frontbericht, 7.2.1936, Nachlass Dorothee Rakow. Ebd. Lebensbericht 1989, Bl. 28. Der Tümlauer Koog bei St. Peter-Ording hieß von 1935 bis 1945 „Hermann-Goering-Koog“. Er war ein durch Eindeichung entstandener Landgewinn in der Nordsee, ein Musterkoog mit
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einer nordischen Rasse aufgebaut wurde. Möglicherweise könnte sie hier an einer Siedlerauslese beteiligt gewesen sein, hatte sie doch durch ihre frühere Arbeit in der Siedlergenossenschaft Chludowo bereits Vorerfahrungen und Anknüpfungspunkte aufzuweisen. Aber auch wenn der Aufenthalt an der Nordsee lediglich ihrer Erholung gedient haben sollte, wird der Hermann-Goering-Koog ihr Interesse gefunden haben, was schon der Besitz der Postkarten belegt. Ihre Aufstellung für das Rentenamt weist für diesen Zeitraum von April bis Juni 1936 eine Lücke von drei Monaten auf,134 obwohl sie in ihrem Lebensrückblick nur „3 Wochen“ Aufenthalt in Ording angab. Dies wirft Fragen auf,135 zumal direkt im Anschluss an die dreimonatige Beurlaubung eine Art Bewährungsstelle folgte, die dann zum Sprungbrett nach Berlin wurde. – 1.7.: Organisation der NS-Schwesternschaft im Landeskrankenhaus Braunschweig. Ihr Gehalt bezog sie von der NSV-Gauamtsleitung Braunschweig.136 Dora P. im Rückblick: „Dann kam das Kommando: Landeskrankenhaus Braunschweig. Es war von der NS-Schwesternschaft neu übernommen, und sollte ich die Oberin bei der ganzen Organisation unterstützen. D.h. die Schreibarbeit erledigen.“
– Nach acht Tagen arbeitete Schwester Dorothee hier als Oberschwester der Inneren Abteilung. Als sie hier einmal ihre Kompetenz aus der psychiatrischen Fachausbildung in Kiel zeigen konnte, schlug sie eine Bresche für die bis dahin offenbar missachtete NS-Schwesternschaft, so jedenfalls Dora P. in ihrem Rückblick: „Das war für uns alle der Durchbruch, der Chefarzt redete und arbeitete mit uns.“137 32 Siedlerstellen, deren Bewohner streng nach nationalsozialistischen Kriterien einer „kämpferischen nordischen Rasse“ ausgewählt wurden. In: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/ Tümlauer-Koog (Abruf 7.3.2021). 134 ������������������������������������������������������������������������������������������ In diesem Zeitraum „verschwindet Schwester Dorothee 3 Monate von der Bildfläche, [...] obwohl sie offensichtlich beim selben Arbeitgeber bleibt – HA für Volkswohlfahrt – ist kein Rentennachweis dafür angefragt. Merkwürdig, aber es wird seine Gründe haben.“ Renate J., Familienbiografie 2005, S. 118. 135 Eine Möglichkeit für Lücken im Rentenverlauf wäre ein Arbeitsauftrag, der nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterlag, vergleichbar mit heutigen Werkverträgen für befristete Projektstellen. – Während des Zeitraumes, in dem das „T4“-Personal von der „Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege“ angestellt war, um die Mordaufträge bzw. Hilfsdienste wie das Auskleiden der Opfer in den „T4“-Anstalten auszuführen, ruhten ihre anderen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bei der NSV oder in einem Krankenhaus. Das „T4“-Personal agierte ohne SSKleidung und die „T4“-Schwestern möglicherweise ohne ihre übliche Schwesterntracht. Die SS fürchtete um ihren Ruf als Eliteorganisation und ließ sogar die SS-Mitgliedschaft für diese Zeit ruhen. Breiding vermutet, dass auch die Verbandszugehörigkeit der „Berliner Schwestern“, die zu den „Euthanasie“-Aktionen anreisten, vorübergehend ausgesetzt wurde, um diese zu verbergen. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 300–302. 136 Rentenunterlagen, 19.6.1961, Bl. 4. 137 Lebensbericht 1989, Bl. 29.
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Doch Schwester Dorothee hatte ihrer Kollegin „Schwester Edith“ [Blawert] am 10. Juli 1936 in einem Brief noch viel mehr über die Hintergründe anvertraut, die sie der Nachwelt verschwieg. Demnach arbeiteten in dem Braunschweiger Krankenhaus vor der Übernahme durch die NS-Schwesternschaft Diakonissinnen, die sich den neuen politischen Änderungen und Autoritäten nicht anpassen wollten. Schwester Dorothees Engagement ging weit über das einer Schreibkraft hinaus: „Hoffentlich hält Frau Oberin Ja[...] durch. Sonst würden die übernommenen Schwestern sofort die Oberhand gewinnen, sie besprechen alles mit ihrem Verwaltungsdirektor, oder wie der Mann heißt, und wir anderen fallen unter den Tisch. Hier muss eine Frau die Leitung haben, die sich nichts gefallen läßt [...]. Durch die übernommenen Schwestern ist etwas Drückendes nicht zu vermeiden, denn sie hassen alle Neuerungen [...]. Vielleicht ist es schon damit geholfen, wenn 2–3 übernommene Schwestern zur Schulung nach Dresden kommen, damit die anderen merken, jetzt haben sie sich an unsere Statuten zu halten, jetzt weht ein anderer Wind.“138
– Die Stelle in Braunschweig wurde schon nach vier Monaten zum Sprungbrett in das Berliner Reichshauptamt. Dora P. im Rückblick: „Dann wurde ich auf die Reichsdienststelle nach Berlin versetzt gegen meinen Wunsch, mich in Braunschweig zu lassen.“139
Die spätere Generaloberin Käthe Böttger bezeugte diesen Aufstieg: „Anschließend nahm Schwester Dorothee einen dreimonatigen Urlaub und wurde dann als Oberinnenvertretung in das Landeskrankenhaus Braunschweig berufen. Die Krankenpflege in diesem Hause wurde zu diesem Termin von der NS.-Schwesternschaft neu übernommen, so dass Schwester Dorothee zusammen mit der Oberin ein großes und verantwortungsvolles Aufgabengebiet hatte. Sie hat sich in dieser Eigenschaft ebenfalls wiederum bestens bewährt, so dass ich sie mir am 1.11.36 als Mitarbeiterin in die Reichsdienststelle der NS.-Schwesternschaft berief.“140
– 1.11.1936: Abberufung in die NSDAP-Reichsleitung, NS-Schwesternschaft, Hauptamt für Volkswohlfahrt in Berlin, Maybachufer. Die Reichsvertrauensschwester Käthe Böttger war gerade im November 1936 zur Generaloberin der NSSchwesternschaft befördert worden.141
138 Schwester Dorothee, Braunschweig, an Schwester Edith, Brief 10.7.1936, Nachlass Dorothee Rakow. 139 Rentenunterlagen, 19.6.1961, Bl. 4. 140 Aus dem Zeugnis der Generaloberin Böttger vom 28.8.1941, Nachlass Dorothee Rakow. 141 ����������������������������������������������������������������������������������������� Käthe Böttger wurde im November 1936 von Hilgenfeldt zur Generaloberin der NS-Schwesternschaft ernannt. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 152 (Quelle: Die Deutsche Schwester, Heft 3, 15.3.1936, S. 78).
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Schwester Dorothee kam vorübergehend in der privaten Berliner Wohnung von Käthe Böttger unter.142 Diese Wohnung in der dritten Etage der Bürknerstraße 20143 lag nur einige Hundert Meter von der Dienststelle am Maybachufer 48/50 entfernt. Schnell stieg Schwester Dorothee hinter Edith Blawert zur zweiten Stellvertreterin der Generaloberin auf: „Im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt ‚mauserte ich mich‘ zur zweiten Vertretung der Generaloberin. [...] Sie und die erste Vertretung waren häufig unterwegs, sodaß mir manche Entscheidung überlassen war. Ich war vollkommen ausgelastet und konnte mir nicht die Frage nach dem Gerntun leisten. Unsere Dienststelle war im Hauptamt für Volkswohlfahrt immer unter den Argusaugen der Parteileute.“144
Ihre Aufgaben im NSV-Hauptamt am Maybachufer: – Bearbeitung der NS-Schwesternkartei.145 „Die Generaloberin brauchte für sich eine fähige Kraft, um erst einmal die ganze Schwesternkartei in Ordnung zu bringen, um das nicht den Männern allein zu überlassen. Ich gewann einen guten Überblick über das Leistungsvermögen der Einzelnen und konnte bei Anforderungen aus den einzelnen Gauen Vorschläge unterbreiten. Die Kartei stand.“146
– Bewerbungen und Entscheidungsvorlagen: „Meine Arbeit war interessant. Alle Telefonate liefen bei mir ein u. wurden zum Teil von mir erledigt. Ich musste alle Bewerbungen bearbeiten und der Generaloberin mit entsprechenden Hinweisen zur Entscheidung vorlegen. Dazu gehörte auch die Vorbesprechung mit unserem ärztlichen Mitarbeiter.“147
Dieser ärztliche Mitarbeiter im Hause könnte der „Amtsleiter der Obersten Leitung der PO/NSD-Ärztebund“ gewesen sein, „in dessen Händen auch die weltanschauliche und berufliche Schulung der NS-Schwestern“ lag.148 142 „Nachdem Schwester Dorothee 1936 von der Generaloberin nach Berlin berufen wurde, lebte sie übergangsweise in deren Wohnung mit zur Untermiete. Es war anscheinend ein großes Vertrauensverhältnis da – vielleicht schon aus früheren Zeiten.“ Renate J., Brief 27.6.2007. 143 „Schwester Dorothee Rakow bei Böttger, Berlin-Neukölln, Bürknerstraße 20, 3. Stock“. Adressangabe in: Böttger, „Festpostkarte vom Reichsparteitag“, Nürnberg, 11.9,1937, Nachlass Dorothee Rakow. 144 Lebensbericht 1989, Bl. 29. 145 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Stand 2.9.1937: „Warnkartei“ für alle haupt- und nebenamtlich Tätigen in den Dienststellen der Partei, insbesondere NSV.; „9.10.1937: Alle ‚Verfehlungen‘ in der NS-Schwesternschaft müssen dem HA für Volkswohlfahrt gemeldet werden.“ Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, Zeittafel S. 20f. 146 Lebensbericht 1989, Bl. 29. 147 Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version. 148 Vgl. Richtlinen der NS-Schwesternschaft 1934, S. 3, Nachlass Dorothee Rakow. – Die Leitung der NS-Schwesternschaft war sowohl dem Amtsleiter der NSV als auch dem Amtsleiter des
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1937 Berlin, Kurfürstenstraße 110, „Haus der Deutschen Schwestern“:149 „Dann endlich konnte in der Kurfürstenstraße, nähe Zoo ein Haus gekauft werden, in dem die Dienststelle der NS-Schwesternschaft und des Reichsbundes der Freien Schwestern untergebracht war. Diesem letzteren war meine frühere Schwesternschaft eingegliedert. Erst spät erkannte ich, daß diese letztere nur eine Tarnorganisation war, um hier den Rest der Schwestern einzugliedern, die nicht der Diakonie unterstanden.“150
– Gleich um die Ecke in der Ansbacher Straße 3151 bezog Oberin Rakow eine „nette, kleine 1 Zimmerwohnung mit Bad, Balkon u. kl. Küche.“ Von einem Tischler aus ihrem Heimatort Soldin ließ sie sich moderne Möbel in hellem Holz anfertigen.152 – 1.5., Tag der Arbeit: Eintritt in die NSDAP, Ortsgruppe Berlin Wittenbergplatz am Wohnort: „Ansbacher Straße 3“.153 – 2.–9.5.: „Lehrgang für die leitenden Schwestern von Krankenhäusern, Krankenpflegeschulen und Jungschwesternheimen“ an der „N.S.V.-Reichsschule Blumberg b. Berlin“ mit 58 Teilnehmerinnen.154 – Sept.: Während die Generaloberin die Massenaufmärsche der NS-Schwesternschaft auf dem Reichsparteitag in Nürnberg anführte, vertrat Schwester Dorothee sie im NSV-Hauptamt am Maybachufer; sie wohnte in dieser Zeit wieder in deren näher am Arbeitsort liegenden Wohnung in der Bürknerstraße 20.155 NSD-Ärztebundes unterstellt. Beide setzten gemeinsam die Führerin der NS-Schwesternschaft ein, ebd. 149 Vgl. Abb. dieses Hauses bei Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 153 (Quelle: Prospekt). 150 Lebensbericht 1989, Bl. 29. 151 Adresseintrag in der NSDAP-Mitgliedskarte, Privatarchiv Renate J. Eintritt Ortsgruppe Wittenbergplatz 1.5.1937. 152 Schränke, Schreibschrank und Rechnung des Tischlers, Privatarchiv Renate J. 153 NSDAP-Mitgliedsausweis Nr. 537 62 09 für Frau Dorothee Rakow NS-Schwester, ausgestellt in München am 30.4.1938. Eintrittsdatum 1.5.1937 Ortsgruppe Wittenbergplatz. Mit etlichen Beitragsmarken: „Beiträge einschl. Rpt. 37/38 bezahlt bis incl. Mai 1939“. 154 Undatiertes Foto, beschriftet von Dorothee Rakow mit „Reichsschule Blumenhagen b./Berlin“, vermutlich in irrtümlicher Vermischung mit „Neuenhagen bei Berlin“, wo sie 1936 eine Schulung leitete. Privatarchiv Renate J. – Datum, Titel der Tagung und Zahl der Teilnehmerinnen des Lehrgangs in „Blumenberg“ aus einer Teilnehmerliste im Bundesarchiv, in: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 161. – Die richtige Bezeichnung ist „N.S.V.-Reichsschule Blumberg b. Berlin“, in Ansichtskartenpool, URL: www.akpool.de/ansichtskarten/46889-ansichtskarte-postkarte-blumberg-ahrensfelde-b-berlin-reichsschule (Abruf 13.2.2021). – Vgl. Lemke 2006, Chronik Ahrensfelde. Ortsbezirk Blumberg, S. 36. 155 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Darauf lässt die Adressangabe „bei Böttger“ schließen, in: Generaloberin Käthe Böttger, Nürnberg, an Dorothee Rakow, Berlin, Postkarte 11.9.1937, Nachlass Dorothee Rakow. Ebd.: „Liebe Schwester Dorothee! Herzliche Grüße vom R.P.T. Was sagen Sie dazu, daß Lydia zurückgefahren ist? Bis jetzt ging alles im Großen und Ganzen gut. Gestern sind wir (500 Schw. die zum Dienst auf die Zeppelinwiese abmarschierten) breit und ausgiebig gefilmt worden. Die ersten Tage wa-
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1938 – April? Okt.?:156 Oberinnenschule der NS-Schwesternschaft inTutzing am Starnberger See: Verleihung der NS-Schwesternbrosche.157 Dora P. im Rückblick: „In Tutzing/Starnbergsee wurde eine Ausbildungsstätte für leitende Schwestern eingerichtet, und musste auch ich an verschiedenen Kursen dort teilnehmen. Wir waren in einem sehr schönen Grundstück, direkt am See untergebracht u. hatten Gelegenheit zum täglichen Schwimmen.“158
– 12.–18.6.: Internationaler Kinderschutzkongress in Frankfurt/Main u.a. NS-Schwester Dorothee Rakow war an der Vorbereitung beteiligt159 und veröffentlichte danach einen Bericht in der Zeitschrift Die Deutsche Schwester:160 „Von der Reichsleitung nahmen wir drei Oberen daran teil, außerdem einige Oberinnen aus dem Reich, die sprachkundig waren. Wir hörten damals viele interessante Vorträge. [...] Für mich war das ein sinnvoller Ausgleich zur alltäglichen Büroarbeit.“161
Für die Empfänge ließ sie sich „Kleider nach eigenem Geschmack anfertigen: Wenn schon Zivil, dann zog ich mich gern sehr gut an.“162
ren sehr heiß, gestern starke Abkühlung und heute leider Kälte u. Regen – u. das gerade bei der H.J.-Kundgebung. Dank für Ihren Brief. Die Arbeit hat nun sicher nachgelassen – bei uns steigts von Tag zu Tag. Morgen heißts um 3 aufstehen! Gestern waren 1440 Schwestern dienstlich beschäftigt, d.h., daß 8 Gruppen doppelt Dienst taten, einschließlich der Wirtschaftsgruppen. Heil Hitler! Ihre Käthe Böttger.“ 156 ����������������������������������������������������������������������������������������� Datierung 1938 nach Beschriftung eines Fotos mit Stempel „Tutzing“, Nachlass Dorothee Rakow – Vgl. Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 22: Der erste einjährige Lehrgang in Tutzing wurde im April 1938 eröffnet. – Vgl. jedoch Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 216: Da die Schule Tutzing nicht fertiggestellt war, fand der Lehrgang April 1938 noch in Herrsching am Ammersee statt. 157 Wenn der Lehrgang ein Jahr dauerte, müsste Schwester Dorothee also bereits 1937 am ersten Lehrgang der am 1.10.1937 gegründeten Schule teilgenommen haben, da sie die Brosche offensichtlich 1938 verliehen bekam. Vgl. Kap. II.B.Spur 2, „Von Vergasungen noch keine Ahnung“. 158 Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version. 159 Dankesschreiben an „Parteigenossin Schwester Rakow“ von NSV-Leiter Hilgenfeldt für den „Reichszusammenschluß für öffentliche und freie Wohlfahrtspflege“ vom 24.8.1938. Dazu: Tagungsprogramme, Vorträge, Fotos zum Kinderschutzkongress im Nachlass von Dorothee Rakow. 160 NS-Schwester Dorothee Rakow, Internationaler Kinderschutzkongreß. In: Die Deutsche Schwester, Heft 7, Jg. 6 (1938), S. 179f., Exemplar im Nachlass Dorothee Rakow. 161 Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version. 162 Ebd., Bl. 31: „Ein langer schwarzer Seidenrock mit kurz überfallender Brokatbluse in Grüntönen. Besetzt mit silbernen Filigranknöpfen. [...] ein Kleid aus dunkelblauer Crepeseide mit großflächigen Mustern in silber und altrosa. Dazu eine kurze Pellerine von gleichem Stoff mit einem kleinen Plisseerand. Dunkelblaue Schuhe u. ein Florentiner Hut.“ Die Bluse übergab die Tochter inzwischen dem Textilarchiv des Instituts für Materielle Kultur der Universität Oldenburg.
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Nicht nur die ausländischen Teilnehmer wurden getäuscht. Der Kinderschutzkongress von 1938 diente Dora P. in der Nachkriegszeit noch lange für eine positive Darstellung ihrer leitenden Tätigkeiten im Nationalsozialismus.163 – 5.–12.9.: Teilnahme am Reichsparteitag in Nürnberg mit dem Motto „Großdeutschland“. Schon im Vorjahr waren 1.200 NS-Schwestern für den Sanitätsdienst angetreten.164 1938 wurde Nürnberg mit der „heimgekehrten Ostmark“ das neue geografische Machtzentrum „Großdeutschlands“.165 – 9.11.: Reichspogromnacht („Reichskristallnacht“): Nach dem Angriff auf die jüdische Synagoge in Berlin sah sich NS-Schwester Dorothee mit einer Parteigenossin den Schaden an: – Dora P. im Rückblick: „Eine von den Freien Schwestern hatte hier eine etwas größere Wohnung. Sie war ohne Staatsexamen, Parteigenossin, blind ergeben. Nach der schrecklichen Kristallnacht kam sie zu mir, ich müsste mir das unbedingt ansehen. Ja ich habe gesehen, was man den Juden angetan hat, die Geschäfte verwüstet. Und diese Frau war begeistert. Ich konnte und durfte nichts sagen, sie hat mein Schweigen gar nicht bemerkt. Auch unsere Generaloberin war konsterniert. Sie stammte aus einem Pastorenhaus. Man musste vorsichtiger werden.“166
NS-OBERIN 1939–1942: in der Reichsleitung der NS-Schwesternschaft im Hauptamt für Volkswohlfahrt Berlin und Kriegseinsätze 1938 oder 1939: NS-Schwesternheim Die NS-Schwestern der Reichsleitung bezogen ein „Schwesternheim“ in der Hölderlinstraße 11,167 das außerhalb des Zentrums, etwa drei Kilometer westlich ihrer
163 Erst durch das Buch von Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, kamen bei der Tochter Zweifel an dieser internationalen Schau im nationalsozialistischen Deutschland, denn Rassenhygiene und „Euthanasie“ betrafen auch Kinder. 164 Nach Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 20. – Vgl. das Kapitel XI.2: Auf dem Reichsparteitag in Nürnberg. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, ab S. 251. 165 Das Motto lautete 1938 „Großdeutschland“. Hitler hatte nach dem Anschluss Österreichs die Reichskleinodien (Insignien der Macht früherer Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation) aus Wien nach Nürnberg bringen lassen: „Zum Reichsparteitag 1938 sind sie aus der heimgekehrten Ostmark in die Stadt der Reichsparteitage Nürnberg zurückgebracht worden, die heute wie vor 500 Jahren in Deutschlands Mitte liegt.“ In: Broschüre, 1938: Reichskleinodien. Nachlass von Dorothee Rakow, Privatarchiv Renate J. – Ein weiteres Souvenir im Nachlass war ein blau-weiß-oranger Porzellanteller „Nürnberg“ (inzwischen verschenkt). 166 Lebensbericht 1989, Bl. 29f. – Die jüdische Synagoge Berlins lag in der Oranienburger Straße. 167 Adressangabe im Brief an Otto P. am 14.9.1941: „Berlin Charlottenburg 9, Hölderlinstr. 11, III. Stock.“ – Vor diesem Haus liegt ein Stolperstein zur Erinnerung an die jüdische Familie Salomon, die 1933 nach Holland floh. Dr. jur. Erich Salomon war ein prominenter Journalist
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Dienststelle in der Kurfürstenstraße lag, aber mit der Berliner Untergrundbahn gut zu erreichen war. Der Innenarchitekt, der die Zimmer der Schwestern einrichtete, kam aus Dresden, wo die NS-Schwesternschaft gegründet worden war:168 „Nun sollte noch ein Schwesternheim für die Schwestern der Reichsleitung eingerichtet werden. Ein Haus in der Hölderlinstraße wurde gekauft. Zwei Etagen waren frei für die Schwestern. Ganz oben wohnte damals die noch sehr junge Gisela Schlüter169, von der wir aber nichts sahen und hörten. Die Einrichtung der Zimmer wurde einem Innenarchitekten aus Dresden übertragen, der sich vorher sehr für meine kleine Einrichtung interessiert hatte. Und so durfte ich mit meinen eigenen Möbeln170 dort einziehen. Mit der U-Bahn hatten wir gute Hin- u. Herverbindung.“171
1939 – 1.8.: Ernennung zur Oberin der NS-Schwesternschaft: „In Anerkennung Ihrer für die NS.-Schwesternschaft geleisteten Arbeit ernenne ich Sie zur Oberschwester der NS.-Schwesternschaft. [...] Gleichzeitig gebe ich der Erwartung Ausdruck, dass Sie auch weiterhin mit aller Einsatzbereitschaft für die Bestrebungen und Ziele der NS.-Schwesternschaft wirken. Heil Hitler! Hilgenfeldt, Hauptamtsleiter.“172
Während mit dieser Beförderung „Erwartungen“ verbunden wurden, liefen im selben Zeitraum in der Tiergartenstraße 4 in Berlin die letzten Vorbereitungen der heimlichen Krankenmord-Aktion „T4“,173 die mit Kriegsbeginn einsetzte.
und Fotograf. In: Bezirksamt Charlottenburg-Willmersdorf: Stolpersteine nach Straßennamen. In: URL: berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/ artikel.179339.php (Abruf 9.1.2020), mit Foto des Hauseingangs. 168 In Dresden, der „Stadt der Volksgesundheit“, wurde unter Führung der NS-Ärzteschaft am 1.7.1934 das „Mutterhaus“ der NS-Schwesternschaft gegründet. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 137–141. 169 Prominente Filmschauspielerin, bekannt als „Quasselstrippe“ durch ihr vieles und schnelles Sprechen. 170 „Beim späteren Umzug in das NS-Schwesternheim in der Hölderlinstraße 11 wurde ihr erlaubt, diese mitzunehmen, weil der einrichtende Architekt Gefallen daran gefunden hatte.“ Renate J., Brief, 27.6.2007. Vgl. Kapitel II.A.1, Geschichte des Nachlasses, 1996; Kapitel II.A.2, Biografie, 1937. 171 Lebensbericht 1989, Bl. 31. 172 Anschreiben von Hauptamtsleiter Hilgenfeldt, NSDAP-Reichsleitung, Hauptamt für Volkswohlfahrt, Maybachufer vom 1.8.1939, Privatarchiv Renate J. 173 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zwischen Juli und September 1939 liefen in der geheimen „T4“-Zentrale die letzten Vorbereitungen für die „Erwachseneneuthanasie“. Im August 1939 wurde die Meldepflicht für Hebammen und Ärzte über missgestaltete Kinder eingeführt. In: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 25.
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Auch der Überfall auf Polen an der Danziger Westerplatte war schon abzusehen. „Am Maybachufer ist Hochbetrieb. Schon im Sommer 1939 geht es los.“174 Das Berliner NSV-Hauptamt bereitete sich auf einen „Großeinsatz“ in Polen vor, ließ die Bevölkerung über die Danziger Gauamtsleitung schon mit „Volksgasmasken“ versorgen und entsandte „vorsorglich“ 100 NS-Schwestern nach Danzig.175 – Ende August: Absage des „Reichsparteitags des Friedens“, der vom 2. bis 11. September in Nürnberg stattfinden sollte.176 Schwester Dorothee hatte ihren Beitrag von zwei Reichsmark für den „Reichsparteitag 1939“ schon bezahlt.177 Marke über 2 Reichsmark für den „Reichsparteitag des Friedens“ 1939 im Parteiausweis von Schwester Dorothee
Kriegsbeginn – 1.9.: Im Gefolge der Wehrmacht wurden direkt nach dem deutschen Überfall auf Polen NSV-Dienststellen in Litzmannstadt und in Warschau installiert. Die NSV bildete eine „Wehrmachtsbegleittruppe“, die nach der Bombardierung publikumswirksam als erste in zerstörte Städte einfuhr, begleitet von einer filmenden Propagandakompanie mit Lautsprecherwagen, die Anweisungen in polnischer Sprache gab und die Essensausgaben an die notleidenden, obdachlos gewordenen Einwohner filmte.178 An diesem Einsatz waren auch rund 800 NS-Schwestern und 500 Reichsbundschwestern beteiligt.179 Ihre Aufgaben an der Front waren: die „seelische Wiederaufrichtung der vom schweren Unglück betroffenen Volksdeutschen“, Erfassung der Hilfesuchenden und die Umverteilung von Lebensmitteln, Kleidung und Wohnungen nach NS-Kriterien, die Juden ausschloss, Polen nur notdürftig versorgte und „volksdeutsche“ Polen bevorzugte.180 Mit solchen Aufgaben war die NSV in direkter Kooperation mit der Wehrmacht am Kriegsbeginn also aktiv beteiligt. 174 Hebenbrock, 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 7 (diese Quelle war mir 2007 noch nicht bekannt). – Walter Hebenbrock war als „Leiter für Werbung und Schulung“ Bereichsleiter einer der vier Hauptabteilungen der NSV Berlin, Maybachufer. In: Heine 1944, Die NSV, S. 6. – Als „Reichsschulungsbeauftragter der NSV“ war er in der Prüfungskommission der NS-OberinnenSchule in Tutzing. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 218f. 175 Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 8. – NSV-Amtsleiter Hilgenfeldt schrieb das Vorwort. 176 Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Reichsparteitag (Abruf 14.3.2021). 177 Beitragsmarke „Reichsparteitag 1939“, in: NSDAP-Mitgliedskarte, Nachlass Dorothee Rakow. 178 ����������������������������������������������������������������������������������������� Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 60 (Wehrmachtsbegleittruppe), S. 49, 52 (Propagandakompanie, Filme, Lautsprecher), 179 Ebd., S. 15. 180 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 10 (seelische Wiederaufrichtung), S. 75 (Erfassung für unterschiedliche Lebensmittelkarten).
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Folgende Ereignisse im Lebenslauf sind teilweise undatierten Dokumenten entnommen, sie fanden ab Kriegsbeginn September 1939 bis 1940 statt. 1939 oder 1940: Dienstreisen in das besetzte Polen – Einkäufe zur Ausstattung des neuen Berliner NS-Schwesternheims in Warschau oder Litzmannstadt:181 „Da Wäsche für die Einrichtung gebraucht wurde und bei uns für Bezugsscheine nur Dürftiges zu kaufen war, wurde ich ins polnisch besetzte Gebiet geschickt, dort Wäsche in den Webereien, die von Volksdeutschen betrieben wurden, einzukaufen. In einem Hotel in Warschau war für mich ein Zimmer reserviert, und in einem Auto der Partei wurde ich umhergefahren, meine Einkäufe zu tätigen. Ich bekam alles, was ich an Handtüchern, Tischwäsche u. Bettwäsche brauchte.“182
Tatsächlich sammelte die Wehrmacht „Beutegut“ und benachrichtigte insbesondere bei größeren Wäsche-Ansammlungen die NSV, die sie „aufbauenden Zwecken zuführte“.183 Es ist eher unwahrscheinlich, dass die NS-Oberin die Wäsche in Polen „einkaufte“. – Besichtigung eines „Judenghettos“ in Warschau oder Litzmannstadt: „Im Hotel traf ich mit einem älteren Herrn aus dem westf. Industriegebiet zusammen. Er fragte mich, ob ich schon im Judengettho [sic!] gewesen sei. Da ich verneinte, arrangierte er mit mir eine Fahrt. Ich war bestürzt, was ich da zu sehen bekam. Im Berliner Judenviertel sah man ja auch viel Armut, aber hier lebten die Menschen in einer Primitivität und trieben Handel untereinander, wie man es sich nicht vorstellen konnte. Auch wenn ich in diesem Lande unterwegs war, gab es in einigen Ortschaften geballt Juden mit ihrem Davidstern, die jeden Nichtjuden grüßen mußten, da sie sonst mit Aggressionen rechnen konnten. Es war furchtbar, und ich war froh als ich die Rückreise antreten konnte.“184
– Eröffnung eines NS-„Jungschwesternheims“ im „Osten“. NS-Oberin Dorothee Rakow hielt eine Rede: 181 Gegenüber ihrer Tochter erwähnte Dora P. mündlich „Lodz“ (Litzmannstadt), nicht „Warschau“ wie im Lebensbericht. Für Lodz spricht, dass es als sogenanntes „Manchester des Ostens“ eine große Textilindustrie hatte, hier könnte gut das Ziel für Dorothee Rakows Auftrag, Webereien zu suchen, gewesen sein. Lodz liegt zudem auf dem Weg nach Warschau. „Jüdische Wohnbezirke“, sog. Ghettos, gab es in beiden Städten nach dem deutschen Überfall als Sammelstellen für die Deportationen in die Vernichtungslager (sogenannte „Umsiedlungen“). – In beiden Städten wurden nach dem Überfall auf Polen in Kooperation mit der Wehrmacht NSV-Versorgungsstellen aufgebaut, wo Beutegut nach NS-Kriterien umverteilt wurde. Nach Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 75. Vgl. Anmerkungen im Ortsverzeichnis zu Litzmannstadt und zu Warschau. 182 Lebensbericht 1989, Bl. 31. 183 „Groß ist die Freude, als uns ein beträchtlicher Posten Wäsche angeboten wird, der herrenlos in der zerschossenen Stadt gefunden und sichergestellt worden ist.“ Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 43f. 184 Lebensbericht 1989, Bl. 31.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Lie. Schw. [...] Sie sind Fackelträgerinnen der neuen Zeit. [...] Sie arbeiten mit an der Erhaltung des Gesunden [...]. Wir brauchen pflichtbewußte Menschen mit soldatischer Haltung, hart gegen sich selbst, die mit weitem Blick, eisernem Willen und höchster Entschlusskraft an der Gestaltung dessen arbeiten, was der Führer von uns verlangt.“185
Möglicherweise instruierte die NS-Oberin hier einige der rund 800 besagten NSSchwestern, die beim Überfall auf Polen eingesetzt waren. Möglich ist auch, dass „volksdeutsche“ Polinnen als NS-Jungschwestern rekrutiert wurden. Juni 1940: Sondereinsätze im Ostsudetenland und Ostoberschlesien Ab Mai 1940 wurden NSV-Schwestern verstärkt zu Sondereinsätzen in den eroberten Gebieten eingesetzt.186 Im Nachlass von Schwester Dorothee fand sich ein Beleg für einen Kindertransport ins Ostsudetenland (Jeseník) , an dem eine Kollegin im Juni beteiligt war: – 21.6.1940: „NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin W.62, Kurfürstenstr. 101“, bekam eine so adressierte Ansichtskarte aus „Sternberg (Ostsudetenland) Sommerfrische Obergund“ (Šternberk, Horní Žleb). Eine NS-Schwester187 teilte ihr darin ihre aktuellen Einsatzorte und -daten mit, denn offensichtlich waren diese den NSOberinnen in Berlin nicht bekannt: „Liebe Schw. Dorothee. Habe gestern ganz plötzlich einen Kinder-Transport ins Sudetenland übernehmen müssen. Es klappte alles prima. Und heute sind ein paar Stunden der Erholung. Herrlich ist es hier, fast möchte ich hier bleiben. Herzl. Gruß Ihre Schw. E[...] – Sudetenland ist schon wieder vergessen. Morgen geht es nach NS-Gemeindestation Orzesche b/Nickolai Kreis Pleß ab 1.7. bis 14.7. Brief folgt.“188
Die Hintergründe dieses Kindertransportes wurden nicht einmal angedeutet. Aber ein Zusammenhang mit der Gau-Heil- und Pflegeanstalt Sternberg im „Reichsgau Sudetenland“ liegt nahe. Bevor die Deutsche Wehrmacht die Anlage mit 45 Gebäuden189 im Juli 1941 umfunktionierte, wurden alle Patienten verlegt, bis dahin
185 Vortragsmanuskript. 4-seitige Maschinenschrift, o.J., o.O., Privatachiv Renate J. 186 ����������������������������������������������������������������������������������������� Datierung unsicher. Zuordnung zu 1940 hier nach dem Hinweis: „10.5.1940: verstärkter Einsatz von NSV-Schwestern in eroberten Gebieten“. In: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, Zeittafel S. 26. 187 Die unleserliche Absenderin „Schw. E...“ könnte Edith Blawert, erste Stellvertreterin der Generaloberin und enge Kollegin der zweiten Stellvertreterin Schwester Dorothee, sein. 188 Postkarte im Nachlass von Dorothee Rakow, Der mir am 12.12.2020 von Renate J. nachgelieferte Fund war mir 2007 noch nicht bekannt. 189 Foto von 1940 und genaue Lage in: Lern- und Gedenkort Schloß Hartheim: Die Gau-Heil- und Pflegeanstalt in Sternberg/Šternberk. In: Die nationalsozialistische ‚Euthanasie‘ und ihre Opfer
Annäherungen an Schwester Dorothee: Biografie
Gruß vom Sondereinsatz einer „NS-Schwester im Ostsudetenland“ und in „Ostoberschlesien“ im Juni/Juli 1940, adressiert an „NS-Schwester Dorothee Rakow, Berlin“. Postkarte aus Sternberg, 21.6.1940, Nachlass Dorothee Rakow
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diente sie als „Sammelanstalt“.190 Für den Kindertransport nach Sternberg im Juni 1940 kommen theoretisch mehrere Möglichkeiten in Frage: Die NS-Schwester könnte Kinder-Patienten aus anderen Regionen einer Abteilung der Psychiatrie zugeführt haben, um diese auszusondern. Ebenso wäre ein Kindertransport im Rahmen von „Eindeutschungs“-Maßnahmen denkbar.191 – 1.–14.7.: Der nächste Einsatzort derselben NS-Schwester war Orzesche (Orzesze) bei der Kleinstadt Nikolai (Mikołów) im Landkreis Pleß (Pszczyna).192 Er lag etwa 130 km östlich in einem anderen besetzten Grenzgebiet in Ostoberschlesien, 40 km westlich von Auschwitz. In der NS-Gemeindestation dieses Dorfes bekam sie vermutlich Aufgaben bei der Umsetzung der deutschen Gesetze im neu eroberten Grenzgebiet. Jedoch verweist der befristete Zeitraum von nur zwei Wochen auf eine begrenztere Aufgabe, als wie man es sich von einer langfristigen NS-Gemeindeschwester vorstellt. Herbst 1940: Sondereinsätze bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen: – 3.–10.9.: Zugfahrt mit NS-Schwestern zum „Sondereinsatz“ mit unbekanntem Ziel. Ankunft in Wien als Sammelort für das gesamte Umsiedlungskommando für die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus Bessarabien, Unterbringung in der Jugendherberge, Augartenstraße. – 17.9–2.11.: Sondereinsatz in Galatz/Rumänien: Schwester Dorothee als „Führerin“ der NS-Schwesternschaft bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. Zeugnis der Generaloberin Käthe Böttger: „Im September 1940 wurde sie von mir als Führerin für einen Sondereinsatz zur Heimholung der Volksdeutschen aus Bessarabien verwandt. Sie hat auch diese Aufgabe wie alle anderen in hervorragendem Maße gelöst.“193
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auf dem Gebiet der heutigen tschechischen Republik 1939–1945, URL: http://www.schlosshartheim.at/projekt-sudetenland-protektorat/de/sternberg.htm (Abruf 13.12.2020). Nach dem Meldesystem der Berliner „T4“ gingen von Sternberg aus Sammeltransporte über Zwischenanstalten in die Tötungsanstalten Pirna-Sonnenstein und Hartheim. Dies ist vor allem für den Zeitraum 1941 dokumentiert. In: Schulze/Simunek (Hg.) 2008, Euthanasie Sudetenland, S. 44–46, 85–89, 202 (Sammelanstalt). So wurden 1940 alle im Protektorat Böhmen und Mähren lebenden Kinder von „Volksdeutschen“ und auch sogenannte „Tschechenkinder“ mit Fragebögen der Schulärzte und Röntgenuntersuchungen vom Rasse- und Siedlungshauptamt der SS erfasst, die die spätere Auslese und Aussonderung vorbereiteten. Vgl. Simunek in: Schulze/Simunek (Hg.) 2008, Euthanasie Sudetenland, S. 151. Die Recherche dieses Ortes war nicht einfach, ist aber eindeutig, Internetquellen zu Orzesche im Ortsregister im Anhang. Zeugnis für „PGn. Oberschwester Dorothee Rakow“, 28.8.1941, gez. von Generaloberin Käthe Böttger, NSDAP-Reichsleitung, NS-Schwesternschaft, Nachlass Dorothee Rakow.
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– ab 3.11.: Fortsetzung als „Führerin“ der NS-Schwestern bei der Umsiedlung der Bukowina-Deutschen, in der „Sammelstelle der NS-Schwesternschaft“194 im Gebietsstab Radautz (Rădăuți) im Südbuchenland (Bucovina). – 16.11.: Vorzeitiger Abbruch, Rückfahrt – wegen Krankheit – im verschlossenen Wagen eines Umsiedlerzuges.195 Ihre Vertretung in Radautz übernahm NS-Schwester Charlotte Con.196 – Ende November 1940 bis Februar 1941: LÜCKE Vier Monate ohne Hinweise auf ihren Aufenthaltsort. In diese Zeit fiel auch die Nachbereitung der Umsiedlungsaktion: Berichte der NS-Schwestern über die Umsiedlung wurden eingefordert. Viele von ihnen waren bereits wieder in ihren Heimatgemeinden tätig oder an anderen Orten im Einsatz und schickten von dort ihre Berichte nach Berlin.197 1941: Schlesien – März: Auch die NS-Schwestern schienen sich besorgt zu fragen, wo ihre Oberin Schwester Dorothee geblieben war. War sie wieder in Berlin? – „Nach all den Wochen der Unbeständigkeit, und Sie fühlten sich auch noch krank – muß man schon solche Ruhetage haben. Inzwischen haben Sie sicher Ihre Arbeit in Berlin wieder aufgenommen.“198
Im März wurde bekannt, dass sie sich in Schlesien aufhielt. Sie schrieb aus Bad Karlsbrunn (Karlova Studánka) im Altvatergebirge (Hrubý Jeseník) im sogenannten „Sudetenschlesien“ (Jeseník). Doch dieser Kurort war offenbar in irgendeiner Weise berüchtigt, darauf lassen folgende Andeutungen schließen: – „Wie ich ersehen habe, befanden Sie sich in Bad-Karlsbrunn. Hoffentlich dienstlich und nicht aus gesundheitlichen Gründen.“199 – „In Karlsbrunn haben Sie ja auch all diese Schönheiten, wenn es auch winterlicher Art war, genossen. Ich hörte hier, daß es dort selten idyllisch sein soll, in all den Wochen haben Sie sich sicher recht erholt. Vielmals danke ich Ihnen für den Brief von dort.“200
194 Formulierung in Q6/Brief 16 von NS-Schwester Cora Spr., die in Karlsberg/Bukowina eingesetzt war. 195 Lebensbericht 1989, Bl. 35. Vgl. Kommentar zu Q5/Foto P8. 196 Q6/Brief 12. 197 Vgl. Q6/Briefe und Q7/Berichte. 198 Q6/Brief 16, 5.3.1941 von NS-Schwester Cora Spr. 199 Q6/Brief 19, 21.3.1941 von NS-Schwester Herta Kra. aus dem Gau Mainfranken. 200 Q6/Brief 21 von NS-Schwester Cora Spr., die nach dem Umsiedlungseinsatz in Karlsberg/Bukowina inzwischen auch in Schlesien angekommen war.
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– April: Zu diesem Zeitpunkt war die Adresse der NS-Oberin in Schlesien das Sanatorium Ulbrichshöhe in Peterswaldau (Pitterschwale, Pieszyce) im Eulengebirge (Góry Sowie, Soví hory).201 Über ein Jahr später deutete sie im Rückblick einen Grund für den Aufenthalt in den Sanatorien nur spärlich an, und zwar wegen: „Infektion in Rumänien u. den Folgeerscheinungen.“202 – Mai–Juli: LÜCKE. Auch für diese drei Monate gibt es keine Belege für Tätigkeiten oder Aufenthaltsorte von Schwester Dorothee. Aber Ende Mai hatte eine NS-Schwester ihr eine etwas zynische Frage nach Berlin geschrieben, die ein Hinweis sein könnte: „Haben Sie sich schon an die große ‚Arbeit‘ gemacht?“203 – 24.8.: STOPP der „Aktion T4“. Der heimlichen, staatlichen Krankenmordaktion waren bis dahin bereits um die 70.000 Menschen durch Verlegung mit „Grauen Bussen“ und Vergasung in umgebauten Duschen der Heil- und Pflegeanstalten zum Opfer gefallen. Der Stopp der Aktion wurde von Hitler aufgrund von Gerüchten darüber in der Bevölkerung angeordnet. Danach wurden die Morde in Krankenhäusern „dezentral“ organisiert und mit anderen Methoden fortgesetzt.204 – 28.8.: Generaloberin Käthe Böttger schrieb „für alle Fälle“ lobende Interims- Dienstzeugnisse für ihre Mitarbeiterinnen.205 Hintergrund: In Berlin wurde die Neuorganisation des gesamten Schwesternwesens geplant. Die „Braunen Schwestern“ (NS-Schwesternschaft) sollten mit den „Blauen Schwestern“ („Reichsbund der Freien Schwestern und Pflegerinnen e.V.“) ab 1942 einheitlich zusammengeführt werden zum NSRDS, dem „NS-Reichsbund deutscher Schwestern und Pflegerinnen e.V.“.206 Personelle Umbesetzungen waren zu erwarten.207
201 Korrigierte Adresse in einer Postkarte vom 28.4.1941. Q6/Briefe. – Vgl. Kapitel II.C.Spur 18. 202 Dorothee Rakow an Otto P., Brief, 30.11.1941. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 189. – Die Krankentransporte aus Bessarabien führten auch nach Schlesien, und noch bis Kriegsende gab es dort Umsiedlerkrankenhäuser, vgl. Kapitel II.C.Spur 18, Lücken im Lebenslauf, Schlesien. 203 Q6/Brief 20, NS-Schwester Cora Spr. an Dorothee Rakow, Berlin, 29.5.1941. 204 Vgl.: Der sogenannte Euthanasie-Stopp am 24. August 1941. Kapitel in: Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, ab S. 333. 205 Nachlass Dorothee Rakow. – Vor allem die Nähe der Daten des Zeugnisses und dem Stopp der „T4“-Aktion begründeten die Zweifel von Renate J. an der Harmlosigkeit der NS-Position ihrer Mutter. – Ausführlicher in Kapitel II.B. 206 Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, ab S. 177 das Kapitel: Der ‚NS-Reichsbund Deutscher Schwestern e.V.‘ 1942–1945. 207 Die Zusammenführung wurde 1942 umgesetzt, und die bisherigen Generaloberinnen Käthe Böttger („Braune Schwestern“) und Rancke („Blaue Schwestern“) wurden entlassen. Ab 21.4. 1942 wurde M. Moser Generaloberin des NSRDS.
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– Auch im August: Innere Kündigung. Schwester Dorothee und eine weitere NSOberin aus dem Reichshauptamt suchten ohne Wissen der Generaloberin nach Heiratsanzeigen im „Völkischen Beobachter“, um auszusteigen.208 – September: Der „Euthanasie“-Propaganda-Spielfilm Ich klage an lief in den Berliner Kinos an. Dorothee besuchte den Film mit Schwesternschülerinnen. In den ersten Briefen mit dem Heiratskandidaten Otto P. gab sie ihm eine ausführliche Inhaltsangabe. „Er handelt von der Euthanasie u. Sterbehilfe, ein für den Laien gewagtes Kapitel. [...] Es ist eine Handlung von so unglaublicher Größe. Unweigerlich wird jeder aufgerüttelt u. gezwungen, darüber nachzudenken.“209
– Oktober: „Beurlaubung von vorerst einem halben Jahr bei vollem Gehalt“, Schwester Dorothee machte eine „Apfelkur“210 in „Herrsching am Ammersee, NSSchwesternheim“211. Sie besuchte auch das Haus der Deutschen Kunst in München212 und traf sich mit ihrem zukünftigen Ehemann Otto P. in Harzburg. Alsbald wurde die Hochzeit besprochen. – 3. November: Schwester Dorothee überraschte Käthe Böttger und Edith Blawert im „Haus der Deutschen Schwestern“ mit Aufkündigung ihrer Stellung bei der NSSchwesternschaft: „Ich habe heute erkennen müssen, daß ich die Generaloberin nicht in Unkenntnis lassen darf. [...] Nun habe ich die Beichte hinter mir. Es war nicht leicht und hat mich stark erschüttert. [...] Aber am meisten ist die Oberin (sie ist die erste Unterstützung und ich die zweite) betroffen, die sehr stark damit gerechnet hat, daß wir auch nach der Reorganisation weiter zusammen arbeiten. [...]“213 – „In der Kurfürstenstraße ist das ganze Amt in Aufruhr, weil man gerade von mir niemals erwartet hat, daß ich diese Arbeit hinter mir lassen könnte. Kurzentschlossen habe ich meine Tracht abgegeben.“214
– Im Dezember: Eheunbedenklichkeitszeugnis vom Gesundheitsamt Berlin.215 208 Renate J.: Nur mein Herz ist noch dasselbe. Briefe von Frauen an einen Mann 1915–1942. Konvolut von Briefen aus dem Nachlass ihres Vaters Otto P., Privatarchiv Renate J. 209 Dorothee Rakow an Otto P., Brief 5.10.1941, Privatarchiv Renate J., ausführlich in Kapitel II.B. 210 Käthe Böttger an Dorothee Rakow, Brief, 24.10.1941, Privatarchiv Renate J. 211 Adressangabe im Brief an Otto P., 5.10.1941, Privatarchiv Renate J. – In „Herrsching am Ammer See“ fand im April 1938 auch der erste Oberinnenlehrgang statt, bevor die NS-Oberinnenschule in Tutzing am Starnberger See fertig war. Nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 216. 212 Dorothee Rakow an Otto P., Brief, 5.10.1941, Privatarchiv Renate J. 213 Dorothee Rakow an Otto P., Brief, 3.11.1941. Transkription in: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 183. 214 Ebd., S. 187f. 215 Die bürokratischen Formalitäten einer SS-Eheschließung gingen noch weit darüber hinaus, doch sind dazu keine Unterlagen im Nachlass. Für die Heiratserlaubnis zur Aufnahme in die „SS-Sip-
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– Am 20. Dezember wurde Dorothee Rakow 42 Jahre alt. Zu diesem Anlass ernannte NSV-Leiter Hilgenfeldt die Ausgetretene noch zum „Ehrenmitglied der NSSchwesternschaft“. Die Urkunde mit „Ehrennadel“ und „Ehrenbrosche“ schickte ihr Generaloberin Käthe Böttger umgehend zu:216 „Ich übersende Ihnen beides schon heute, da wahrscheinlich im nächsten Jahr Verleihungen von Ehrenbroschen nicht mehr vorgenommen werden.“217
DORA P. 1942–1989: Ausstieg ins Familienleben in Niedersachsen und Hessen 1942 – Februar: Hochzeit der vormaligen NS-Oberin mit Otto P. aus Peine. Standesgemäß heirateten sie als Parteigenossen nicht kirchlich, sondern in der nationalsozialistischen Form der pseudogermanischen „Eheweihe“, bei der das Paar üblicherweise in einen Ring trat und ein Feuer entzündete. Zu einer solchen „Feier der Eheschließung von Angehörigen der Partei und ihrer Gliederungen“ gehörte auch eine politische „Ansprache, Verpflichtung und Gelöbnis“.218 Wenn auch kultische Feiern seit 1941 zu den Aufgaben der NS-Schwestern gehörten,219 übernahm in diesem Fall ein Beauftragter des zuständigen NSDAP-Gaues die „erweiterte“ Feiergestaltung: „Wegen unserer Trauungsfeierlichkeit habe ich auch gleich alles veranlassen können. Du brauchst Dich darum erst einmal nicht zu bemühen, lieber Otto. Gestern wurde an den Beauftragten für Feiergestaltung im Gau Süd HannoverBraunschweig geschrieben, daß er für einen guten Redner sorgen soll. [...] Wir haben dann die erweiterte standesamtliche Trauung, d.h. besonderer Redner, evtl. H.J. Spielschar.“220
1942–1945 Familienleben in Peine Nach der Hochzeit zog Dorothee Rakow, nunmehr Dora P., von Berlin nach Niedersachsen zu ihrem Mann Otto P. in eine Werkswohnung der Hüttenwerke Ilsede-Peine in Ö., denn er war Ingenieur bei den „Ilseder Hütten“ der Hermann-Göring-Werke. Vormalige Mitschwestern bezeichneten sie ab nun in Briefen als „Deutsche Frau“.221
216 217 218 219 220 221
pengemeinschaft“ gehörte jeweils noch eine lückenlose Ahnentafel mit Urkunden, Erbgesundheitsbogen, ärztlichem Untersuchungsbogen, Stellungnahme der Vorgesetzten. Vgl. Schwarz 1997, Ehefrauen SS, S. 24–47. Käthe Böttger, Brief 20.12.1941, Privatarchiv Renate J. Ebd. im beiliegenden handschriftlichen Schreiben. Schwarz 1997, Ehefrauen SS, S. 54–59. Zur Feiergestaltung als „kultische“ Aufgabe von NS-Schwestern bei Ehefeiern, Totenfeiern und Namensgebungen vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 79. Dorothee Rakow an Otto P., Brief, 8.1.1942. Transkription in: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 190. Von der Hochzeit existiert kein Foto im Nachlass, ebd., S. 197. Privatarchiv Renate J.
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1943 – 11. Mai: Geburt der Tochter am „11. Wonnemond 1943“. – Glückwunschkarte mit Stempel und Unterschriften des NSDAP-Ortsgruppenleiters: „Die NSDAP freut sich mit Ihnen über die Geburt Ihres Kindes.“222
– Bei der „Namensgebungsfeier“ mit dem Ortsgruppenleiter hielt Otto P. die Rede als Vater: „Möge unser Kind im Sturm des Lebens, der gerade jetzt zur Kriegszeit wieder einmal strengste Auslese hält [...] kräftig genug werden, um frohen Mutes und starken Herzens an der gottgewollten Ewigkeit auch unseres Volkes mithelfen zu können [...] auf seinem Lebenswege, den wir Eltern ihm in nationalsozialistischer Lebensauffassung ebnen wollen. [...] All die Hoffnungen [...] wollen wir in seinen Namen legen [...] Renate.“223
Renate, die Wiedergeborene, war in den 1940er Jahren der meist vergebene Name in Deutschland.224 Auch Namen sind „Erinnerungsorte“, sie geben Hinweise auf „Mentalitäten [...], Ideologien und Ideologiewandel“ der Eltern.225 Ob deren Hoffnung sich auf die Wiedergeburt des Germanentums – vielleicht im Sinne einer Renaturierung nach Erledigung der „schwierigen Aufgaben“ – oder auf den Neubeginn nach dem beruflichen Ausstieg bezog, ist nicht auszumachen. Taufpatin war eine NS-Schwester Else.226 1945 Im Peiner Haushalt half ein „freundliches, sauberes und charakterlich einwandfreies Mädel“, das kaum deutsch sprach.227 „Lisa“ war ein von der Berufsschule überlas222 Abb. der Glückwunschkarte. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 206, Original im Privatarchiv Renate J. 223 Typoskript als Kopie ebd., S. 204, Original im Privatarchiv Renate J. 224 ������������������������������������������������������������������������������������������� 1943 noch auf Platz 2, war Renate 1944, 1945, 1946, 1948 und 1949 auf Platz 1. Vgl. Statistik der Vornamen in den 1940er Jahren, in: Knud Bielefeld, Beliebte Vornamen. URL www. beliebte-vornamen.de/3768-1940er-jahre.htm (Abruf 1.1.2020). 225 Vgl.: Wolffsohn/Brechenmacher 1999, Die Deutschen und ihre Vornamen, S. 211 im Kapitel: Adolf und Horst, Uta, Sigrun und Gundomar. Die Deutschen im ‚Dritten Reich‘. – Renate wird hier als lateinischer Name nur dem Bildungsbürgertum der Nachkriegszeit zugeordnet, ebd., S. 286. – Ein schönes Beispiel für einen Namen als „Erinnerungsort“ ist der Vorname meiner Mutter, die, am Tage des Kriegsbeginns 1.9.1939 geboren, Irene getauft wurde. Der Name stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Frieden. 226 Erinnerung von Renate J., Telefonat 4.1.2021. 227 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Dora P., Peine, an Generaloberin Böttger, Berlin, Brief, 3.1.1945. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 217.
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sener „hauswirtschaftlicher Lehrling“; sie wollte später Krankenschwester werden. Haushaltshilfen der NSV wurden von NS-Gemeindeschwestern nach Hausbesuchen und bei besonderen Notständen vermittelt.228 Tatsächlich beschrieb Dora P. ihren Gesundheitszustand im Januar 1945 als sehr schlecht: Sie habe 35 Pfund abgenommen und leide unter einer Herzmuskelschwäche. Ein Arzt verschrieb ihr Tropfen, empfahl aber „Injektionen, nur gäbe es die nicht. Na wir wissen ja zu gut, wo diese Medikamente Verwendung finden müssen.“229
So vertraute sie es ihrer mitwissenden ehemaligen Vorgesetzten an. Man könnte daraus eine Kritik an den ausufernden „Euthanasie“-Tötungen mit überdosierten Medikamenten folgern. Mit den Nöten der kämpfenden Soldaten kamen zum Kriegsende die „unnützen Esser“ in den Krankenanstalten abermals ins Visier; sie wurden in getarnten Behandlungen ermordet.230 „Ja, liebe Generaloberin wenn ich mich auch gewissermaßen selbst ausgeschaltet habe, so interessiert mich doch das Werden und Wachsen der Schwesternschaft [...]. Sylvester die Führerrede war wieder neuer Kraftquell und Auftrieb zu neuer Schaffensfreudigkeit. Beruhigend ist die Entwicklung des Volkssturms.“231
Sogar im Januar 1945 glaubte sie offenbar immer noch an den Sieg ihres ‚Führers‘, oder es war zynisch gemeint. Auch mit anderen ehemaligen Kolleginnen der NSSchwesternschaft stand sie nach ihrem Austritt aus der NS-Schwesternschaft weiterhin im Briefwechsel.232 Danach ... 1945 – Entnazifizierung Nach Kriegsende waren „Amtsträger des NS-Reichsbundes deutscher Schwestern [...] in die Gruppe II einzuordnen“. „II“ stand in einer Skala von I bis V für „Be228 Vgl. Heine 1944, die NSV, S. 26: Haushaltshilfen. 229 Dora P., Peine, an die „sehr geehrte, liebe Generaloberin“ Käthe Böttger, Berlin, Brief, 3.1.1945. In: Nachlass Dorothee Rakow, sowie in: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 217. 230 Das Pflegepersonal der Anstalten Mauer-Öhling und Gugging half ab 1943 und insbesondere noch im April 1945 auf Anordnung eines Arztes bei seinen zahlreichen Tötungen mit Injektionen, Schlafmitteln, Elektroschocks von nichts ahnenden Patienten, in dem Glauben, dass dies „aus Berlin“ gesetzlich so angeordnet sei. In. Fürstler/Malina 2004, Krankenpflege Österreich NS-Zeit, Kapitel 5, S. 259–298. 231 Dora P., Peine, an die „sehr geehrte, liebe Generaloberin“ Käthe Böttger, Berlin, Brief, 3.1.1945. In: Nachlass Dorothee Rakwo, sowie in: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 217. 232 Briefe im Privatarchiv Renate J. Teilweise abgegeben an das Kempowski Archiv in Nartum, und veröffentlicht in: Kempowski 1999, Echolot, Bd. I und IV (Januar und Februar 1945).
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lastete“. Rotkreuz-Schwestern wurden von der Militärregierung dagegen als nicht belastet angesehen. Die nach Ende der NS-Zeit erhoffte Entfernung der „Braunen Schwestern“ aus dem Pflegedienst gestaltete sich allerdings als schwierig, weil nur wenige von ihnen nach Kriegsende entdeckt wurden.233 Renate J. fand später im Nachlass nur die Unterlagen zur Entnazifizierung ihres Vaters, die sich bis 1949 hingezogen hatte.234 Zur Entnazifizierung ihrer Mutter fand sie keine Unterlagen. 1946–1957 Nachkriegszeit in Peine 1946 traten die Eltern wieder in die Kirche ein, heirateten ein zweites Mal kirchlich und ließen in derselben Zeremonie ihre dreijährige Tochter christlich taufen. Mehrere Taufpatinnen, die aus der ersten germanischen und die aus der zweiten christlichen Taufe, begleiteten ihre Kindheit. Als Einzelkind wuchs Renate in der Nachkriegszeit bei ihren Eltern in Ö. bei Peine auf; sie wusste nichts von deren NSVergangenheit.235236
„Mutti war wie der ‚Fels in der Brandung‘. Sie hatte immer diese ruhige Ausstrahlung.“235 Mutter und Tochter an Renates 9. Geburtstag im Mai 1952 Foto: Nachlass Dorothee Rakow:236
1957 – Netzwerke in Hessen Umzug aus Niedersachsen nach Hessen. Renate J. war beim Umzug in die 250 Kilometer entfernte Gemeinde Battenberg237 14 Jahre alt und glaubte damals, dass der Kauf eines Eigenheimes auf Drängen der Mutter geschah, die sich den Traum vom eigenen kleinen Häuschen verwirklichen wollte. Zunächst zog nur Dora P. alleine mit ihrer Tochter um. Das kleine Dorf hatte weniger als 500 Einwohner, und von diesem „total abgelegenen“ Ort musste Renate nun täglich vier Kilometer zu 233 Zitate im letzten Absatz. In: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 209, 212. 234 „Der Betroffene hat den Nationalsozialismus unterstützt. Kategorie IV. Die Wählbarkeit ist ihm abgesprochen“, Entnazifizierungsausschuss Peine, 11.4.1949. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 239. 235 Renate J., Telefonat, 8.1.2020. 236 Übermittelt von Renate J. 2017. Aufschrift Rückseite: „Renate mit Mutti im Garten am 11. Mai 1952“. 237 Battenberg als Großgemeinde. Zur Anonymisierung wird die Adresse nicht genannt. Der Ort hatte eine historische Bedeutung als Ort einer mittelalterlichen Schlacht. Vgl. Ortsverzeichnis im Anhang.
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Fuß über einen Berg zur Schule wandern. Erst später im Rückblick hielt sie es für möglich, dass ihre Mutter hier ‚untertauchen‘ wollte. Dora P. hatte sich in Peine mit Ottos Bruder entzweit, der kein Nationalsozialist gewesen war. Warum die Auswahl auf diesen Ort gefallen war, war ihr nicht bekannt. Vielleicht war es kein Zufall, dass inzwischen nur 60 km weiter auch die beiden engsten Kolleginnen aus dem Berliner Reichshauptamt lebten. Die ehemalige erste Stellvertreterin Edith Blawert war Leiterin eines Altenheims in Siegen, das 1954 als anthroposophisch orientiertes Christofferhaus gegründet wurde und zu 50 Prozent Vertriebene und Flüchtlinge aufnahm.238 Kurz nach der Gründung zog 1955 auch die vormalige Generaloberin Käthe Böttger ein, die hier bis 1995 lebte und über 100 Jahre alt wurde.239 Sie übernahm Aufgaben im Heimbeirat und organisierte Reisen mit den Bewohnern. Sogar als alte Dame zeigte sich die frühere Generaloberin „immer noch als sehr selbstbewusst und energisch, beinahe als herrisch“.240 Falls Dora P. mit ihren vormaligen Kolleginnen dort in Hessen in Kontakt stand, hatte es die Tochter jedenfalls nicht bemerkt. Renate wurde oft mitgenommen auf Besuche bei ehemaligen NS-Schwestern; so wohnte in Northeim bei Göttingen, etwa 150 km entfernt, eine Ruth Lo., verheiratet mit zwei Kindern.241 War diese vormals Ruth Dühe gewesen, Leiterin für Presse, Propaganda und Schulung der NS-Schwesternschaft? Endgültig klären lässt sich dies heute nicht mehr. Auch die erwachsene Tochter stellte sich diese Frage im Rückblick auf ihre Kindheit. Erst gut zehn Jahre zuvor hatten es diese Frauen beruflich bis ganz nach oben geschafft. Ihre neuen Familiennamen machten ihr Netzwerk für die Nachkriegs-Öffentlichkeit unsichtbar. Doch untereinander waren sie weiterhin verbunden. Im ersten Jahr wohnte Dora P. alleine mit ihrer jugendlichen Tochter im Rohbau in einer Nachkriegssiedlung, der von ungarischen Flüchtlingen erbaut worden war, und organisierte die Bauleitung. Otto P. kam erst nach seiner Pensionierung 238 Das alte Gebäude unter Blawerts Leitung befand sich in der Melanchthonstraße. Inzwischen ist das Heim umgezogen. In: Festschrift Neubau Christofferhaus in Siegen, 2006, S. 54. In: Yumpu. URL: www.yumpu.com/de/document/read/21182455/f-e-s-t-s-c-h-r-i-f-t-christofferhaus-siegen (Abruf 13.12.2020). 239 Vgl. Wittneben, Böttger, Lexikonbeitrag. In: Wolff (Hg.) 2004, Lexikon Pflegegeschichte, S. 56–59. Wittnebens privaten Quellen war Böttgers NS-Vergangenheit bekannt: „Ihre Tätigkeit als NS-Generaloberin hatte K. Böttger in ihrer zweiten Lebenshälfte anscheinend aus ihrem Gedächtnis verdrängt, denn, so ein privater Bericht, darüber hat sie nicht gesprochen. Der Krankenpflege, in der sie drei Jahrzehnte mitgewirkt hatte, davon über zehn Jahre an partei- und berufspolitischen Schalthebeln, hat sie sich offenbar nach 1946 nicht wieder zugewandt.“ Ebd., S. 58. 240 Ebd., S. 64. 241 Kindheitserinnerung von Renate J., Telefonat 14.12.2020. – Internetrecherchen nach Ruth Lo. führten zu einer gleichnamigen Dame, die 1995 die „Universität des Dritten Lebensalters“ (UdL) in Göttingen gründete, sowie zur selben oder einer wiederum gleichnamige Dame, die 2006 im Alter von 95 Jahren Mitglied im Geschichtsverein Göttingen und Umgebung war. Wenn auch plausibel, sind Zusammenhänge hier spekulativ.
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aus Niedersachsen nach. Von 1957 bis 1961 dokumentierte er sorgfältig in einem kleinen ledernen Album mit Fotos und Gedichten die Entwicklung des Eigenheims vom unverputzten Rohbau bis zum weißen Siedlungshaus am Waldrand.
„Frisch weht der Wind im Sonnenschein, wir können wohl zufrieden sein!“242 Familie P. (Dora, Renate, Otto) vor dem Eigenheim in Battenberg/Hessen, im Juli 1959.
1960–1985 Schon drei Jahre nach dem Einzug zog die 18-jährige Tochter aus. Seit 1960 lebte das Ehepaar P. allein in dem Haus am Waldrand. 1961, als Dora P. 60 Jahre alt wurde, stellte sie einen Rentenantrag. Für das Rentenamt rekonstruierte sie nun möglichst lückenlos ihre gesamten beruflichen Tätigkeiten. Als Belege der Daten und Tätigkeiten dienten Zeugnisabschriften, die sie selbst vornahm. Nach dem Tod von Doras Ehemann Otto P. im Jahr 1977 lebte Dora P. noch zwölf Jahre alleine im Haus. 1986–1989 Als Dora P. erkrankte, kam ihre Tochter Renate regelmäßig aus Norddeutschland nach Hessen. Durch direkte Fragen konfrontierte ihre Tochter sie mit ihrer Vergan242 Otto P., Die Gestaltung des Eigenheims der Familie Otto P[...] (1957–1961), Album im Privatarchiv Renate J., Foto und Kommentar, S. 62.
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genheit als NS-Schwester in Berlin. Daraufhin suchte und sortierte Dora P. vermutlich die alten Dokumente aus ihrer Vergangenheit. In dieser Zeit verfasste sie 1986 ihren Lebensbericht „Das war mein Leben!“ 1989–2007 Im März 1989 starb Dora P., geb. Rakow, im Alter von fast 90 Jahren. Bei der Haushaltsauflösung fand die Tochter den Lebensbericht, die Unterlagen und Broschen der NS-Schwesternschaft und begann damit, die Vergangenheit ihrer Mutter posthum aufzudecken. Dieser Vorgang zog sich über viele Jahre hin.
Übersicht der beruflichen Einsatzorte aus der Biografie ALS DIENSTMÄDCHEN und SEKRETÄRIN in BERLIN 1914 Berlin: Dienstmädchen, Haushaltshilfe, Kindermädchen 1916 März Remington Fachschule, Leipziger Straße, Berlin: Ausbildung in Stenografie und Maschinenschreiben (Unterkunft bei der Großmutter, Danziger Straße) Juni Jüdische Exportfirma Julius Edelstein, Alexandrinenstraße, Berlin: Stelle in der Registratur der Porzellanfabrik 1918 Köslin an der Ostsee: Erholung von „Asiatischer Grippe“ 1920 Dez. Firma Otto E. Schulze Finanzierungen, Berlin: Stenotypistin 1921 März Patentanwalt für chemische Formeln, Berlin: Sekretärin 1922 April Firma Frankonia-Ring, Export-Abteilung, Berlin: Stenotypistin: 1923 Diamantenhändler, Berlin: Assistentin 1923 Sept. Damgarten/Vorpommern, Siedlungsgenossenschaft Chludowo: Buchhalterin 1925 Sept. Soldin: Tuberkulose-Verdacht, Rückkehr zur Familie, Wartezeit 1926 Mai Monumentenstraße 12, Berlin-Schöneberg: Haushälterin bei drei berufstätigen Frauen. Der Plan, Krankenschwester zu werden, reift ALS KRANKENSCHWESTER 1926 Sept. Hauptgeschäftsstelle der Berufsorganisation für Krankenschwestern [Agnes Karll], Berlin-Wilmersdorf: Vorstellung bei der Generaloberin MIT DEM STAATSEXAMEN FÜR KRANKENPFLEGE (GYNÄKOLOGIE) 1926 Okt. Kreiskrankenhaus Burg bei Magdeburg: zweijährige Ausbildung zur Krankenpflegerin, Gynäkologie, Laborschwester, Staatsexamen 1929 Feb. Frauenklinik Dr. Buttermann, Berlin-Spandau: Privatklinik Geburtshilfe Mai Rudolf-Virchow-Krankenhaus, Berlin
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MIT DEM FACHEXAMEN NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE 1930 Okt. Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Kiel: Aufbaukurs Nervenpflege und Psychiatrie, Fachexamen 1932 Sept. Provinzial-Heilanstalt Stralsund: Abteilungsleiterin der Typhus-Station 1933 April Städtisches Krankenhaus, Finsterwalde/Niederlausitz 1934 April Privatklinik für Nerven- und Gemütskrankheiten, Dresden-Strehlen 1935 März Landesanstalt Königsberg/Ostpreußen, Transportbegleitung aus Dresden AUFSTIEG ALS NS-SCHWESTER 1935 April Neumecklenburg/Kreis Friedeberg: NS-Gemeindeschwester Mai Eintritt in NS-Schwesternschaft und NS-Frauenschaft Neumecklenburg 1935 Juli NSV Gau Kurmark, Berlin: Gauvertrauensschwester für den Gau Kurmark 1936 Jan. Theodor Fritsch Schule, Neuenhagen b. Berlin: Tagungsleitung April Ording an der Nordsee: Beurlaubung „auf Abruf“ Juli Landeskrankenhaus Braunschweig: NS-Oberin, Innere Abteilung Nov. NSV-Reichshauptamt Berlin, Maybachufer 50: Sachbearbeiterin bei der Reichsvertrauensschwester und Generaloberin der NS-Schwesternschaft, zweite Stellvertreterin der Generaloberin 1937 „Haus der Deutschen Schwestern“, Kurfürstenstraße 110, Berlin: Dienststelle der NS-Schwesternschaft Ansbacher Straße 3, Berlin: Wohnung in der Nähe der Dienststelle. 1. Mai Wittenbergplatz, Berlin: Eintritt in die NSDAP-Ortsgruppe Mai NSV-Reichsschule Blumberg: Lehrgang für leitende NS-Schwestern Sept. NSV-Hauptamt, Maybachufer, Berlin: Vertretung der Generaloberin 1938 April? Tutzing am Starnbergsee: Oberinnenschule der NS-Schwesternschaft Juni Frankfurt am Main: Internationaler Kinderschutzkongress der NSV Sept. Nürnberg: Aufmarsch der NS-Schwestern beim Reichsparteitag der NSDAP Nov. Berlin: Reichspogromnacht 1939? NS-Schwesternheim, Hölderlinstraße 11, Berlin: Wohnungen für die NS-Oberinnen der Reichsleitung mit U-Bahnverbindung zur Dienststelle Aug. Beförderung zur NS-Oberin IM KRIEG ALS NS-OBERIN 1939 Sept. Polen: NSV-Dienststellen Litzmannstadt und Warschau, Ghetto-Besichtigung ? Beutegut: Ausstattung für das NS-Schwesternheim in Berlin ? Rede zur Eröffnung eines NS-Jungschwesternheims „im Osten“
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1940 Juni Sondereinsätze einer Kollegin in: Sternberg/Ostsudetenland: Kindertransport, von dort Kommando nach: Orzesche/Ostoberschlesien: NS-Gemeindestation. Sept. Wien: Sammelstelle des Umsiedlungskommandos zur „Heim ins Reich“-Umsiedlung aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina, Auslandseinsatz als Führerin der NS-Schwesternschaft. Sept. Lager Galatz/Rumänien: Säuglingskoch- und -Badeküche Nov. Radautz/Bukowina: Gebietsstabsstelle, NSV-Verpflegungsstelle 1941 LÜCKE November bis Februar 1942 März Bad Karlsbrunn/Sudetenschlesien (dienstlich oder privat) und April Sanatorium Ulbrichshöhe, Peterswaldau/Schlesien (dienstlich oder privat) LÜCKE Mai bis Juli (Schwester Dorothee fehlt auch auf folgender Tagung: Juni Berlin-Wannsee: Schulungstagung für leitende NS-Oberinnen) Aug. Berlin: offizieller Stopp der Aktion „T4“, und heimliche Ausstiegspläne Sept. Berlin: Kinobesuche mit NS-Schwesternschülerinnen: Ich klage an Okt. NS-Schwesternheim, Herrsching am Ammersee: sechs Monate Beurlaubung bei vollem Gehalt, Ausflüge nach München und Bad Harzburg Nov. Berlin: Kündigung bei der Generaloberin, ebenso wie eine Kollegin Entlassung als Ehrenmitglied 1942 Feb. Peine/Niedersachsen: „Eheweihe“, Politische Feier des NSDAP-Gaues Süd Hannover-Braunschweig, Umzug von Berlin nach Niedersachsen 1943 Mai Geburt der Tochter, Namensgebungsfeier mit NSDAP-Ortsgruppenleiter DANACH 1946 Kircheneintritt: christliche Hochzeit und Taufe in Peine 1949 Entnazifizierungsverfahren des Ehemannes (1954 Altersheim Christofferhaus, Siegen/Hessen: Leiterin ist Edith Blawert, ehemals die erste Stellvertreterin der Generaloberin im Reichshauptamt 1955 Käthe Böttger, die ehemalige Generaloberin, zieht dort mit ein) 1957 Battenberg/Hessen: Umzug in ein abgelegenes Dorf dieser Samtgemeinde 1957–1989 Besuchskontakte mit ehemaligen NS-Schwestern, vielleicht auch nach Siegen 1986–1989 Bohrende Fragen der Tochter, getippte Memoiren und Tod
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Ambivalenzen Mit dem Einblick in Tagebücher, persönliche Briefe und mit der Rückschau auf ein ganzes Leben kann einem eine Person ans Herz wachsen, je länger und tiefer man in ihr Leben, ihre Gefühle und Gedanken eintaucht. Persönliche Dokumente, Briefe und Tagebücher zeigen keine unsympathische Seiten, durch die man eine Distanz gewinnen könnte. Selbst in Täterinnen-Biografien verbieten sich Verurteilungen eines Lebensweges, der von Verstrickungen in NS-Verbrechen bestimmt ist, in die ein Mensch in seiner Zeit hineinwachsen kann. Auch sind mögliche Meinungsänderungen zu respektieren, die sich noch während des NS-Regimes in einer Person vollziehen konnten. Jenseits von anklagender Bewertung einer Person geht es schließlich um Aufklärung von Geschehenem. In der Annäherung an eine NS-Biografie entstehen so persönliche Ambivalenzen. Man bewegt sich in persönlichen Dokumenten wie in einem virtuellen Raum des Miteinanders, schwankt zwischen Sympathie, Verständnis, offenen Fragen, Misstrauen – und bleibt am Ende doch ratlos zurück. Um mich nicht in solchen Unwägbarkeiten zu verlieren, entschloss ich mich, die Biografie von Schwester Dorothee – in Hinblick auf die besondere Fragestellung nach Beteiligung an NS-Verbrechen – methodisch separat von zwei verschiedenen Perspektiven aus zu erschließen, und zwar zunächst in einer versöhnlichen Betrachtungsweise und erst im zweiten Schritt in einer kritischen. Versöhnliche Aspekte: Nach der Rekonstruktion der Geschichte der Nachlassdokumente (II.A.1) und der tabellarischen Biografie (II.A.2) setzt der folgende Teil zunächst erneut biografisch an. Die Darstellung des „Karrierewegs einer NS-Schwester“ (II.A.3) wird sich aus dem geschaffenen Fundus der vorhergehenden Abschnitte bedienen. Nun soll stärker die Phase in der NS-Schwesternschaft (1937–1941) in den Blick genommen werden. Im ersten Schritt werden lediglich ihr persönlicher Lebensweg als Krankenschwester und die Umstände nachgezeichnet, die eine Frau zu einer Karriere in der NS-Schwesternschaft hinführten. Kritische Aspekte: Erst ab Kapitel II.B. werden verstärkt die kritischen Aspekte im Fokus stehen, die sich in ihrer Berufsbiografie, z.B. in Konflikten und Widersprüchen, zeigen – selbst wenn sie oft nur zwischen den Zeilen wahrnehmbar sind. Als Spuren werden Fragen dieser Art das ganze Material in fragmentarischen Spuren-Kapiteln neu ordnen und kontextualisieren. Dabei ist klar, dass Spuren mehr oder weniger aufschlussreiche Konstruktionen sind. Kapitel II.B. zeigt sieben Spuren aus der Biografie, bevor Kapitel II.C. 19 Spuren aus dem Umsiedlungseinsatz nachgeht und damit zur ursprünglichen Fragestellung zurückkommt.
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II.A.3 Karriereweg einer NS-Schwester (1935–1941) Das Mädchen aus einer bürgerlichen Familie, aufgewachsen in einem an mehrere Parteien vermieteten Mehrfamilienhaus mit eigenem Haushaltswarenladen, ging als 16jährige während des Ersten Weltkrieges von ihrem behüteten Zuhause in Soldin fort, um sich in Berlin als Dienstmädchen durchzuschlagen. Der Traum, später Krankenschwester zu werden, war bereits vorhanden. Doch der Vater bürdete ihr 1916 eine kaufmännische Ausbildung auf. Im Lebensbericht von Dorothee Rakow nahm die Darstellung der nun folgenden Jahre einen sehr großen Raum ein. Sie schilderte ausführlich, wie sie sich als junge Frau im Berlin der 1920er Jahre mit etlichen Anstellungen als Sekretärin, Stenografin, Buchhalterin oder als Assistentin eines Diamantenhändlers durchschlug. Die Gründe für die zahlreichen Kündigungen lagen teils in ausbleibenden Gehältern vor dem Hintergrund der Inflationszeit, auffallend oft aber auch in unseriösen Angeboten der männlichen Vorgesetzten an die alleinstehende junge Frau. Bis sie sich 1926 schließlich für eine Krankenpflegeausbildung entschied, hatte sie bereits zehn Jahre Berufserfahrung – bei vier verschiedenen Privathaushalten als Dienstmädchen sowie bei sechs verschiedenen Firmen im Bürobereich – hinter sich gelassen und war wegen Erschöpfung und Krankheit schließlich doch wieder zu Hause in Soldin gelandet. Sie selbst bezeichnete sich als „Außenseiter“.243 Als sie sich nach ihrer Arbeitsunfähigkeit – ein Foto von 1925 zeigt sie von ihrer Lungenkrankheit stark angegriffen – gegen den Willen ihrer Familie 1926 bei der Berufsorganisation der Krankenschwestern vorstellte, knüpfte Die junge Dörthen als Sekretärin sie offensichtlich sofort ein Band mit Rückseite: der Generaloberin, das von nun an für „Berlin 4.4.1917“ längere Zeit Folgen nach sich zog. Der Foto Privatarchiv Renate J. In dieser Zeit arbeitete sie in der Registratur Name der Oberin wurde nicht erwähnt, dafür jedoch deren frühe Prophezeiung, der Pozellan-Exportfirma Julius Edelstein, in Berlin, Alexandrinenstraße 95/96 dass Dorothees Kenntnisse im Bürobe-
243 Lebensbericht 1989.
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reich bestimmt nicht umsonst seien.244 Für ihre Ausbildung im Krankenhaus Burg/ Magdeburg bot ihr die Berufsorganisation Sicherheiten. „Im Hause waren nur Schwestern der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands, jetzt Agnes-KarllVerband. Die Schwestern mußten im Hause wohnen und wurden hier verpflegt, woran mir sehr gelegen war.“245
Rückseite:
„Eine gelehrige Schülerin in Burg/Magdeburg 1928“ Foto: Nachlass Dorothee Rakow
Die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands sowie der Säuglings- und Wohlfahrtspflegerinnen“, später Agnes-Karll-Verband, war 1903 aus der Frauenbewegung heraus gegründet worden. Agnes Karll (1868–1927), eine der ersten Dozentinnen an einer Frauenuniversität, wurde 1909 Präsidentin des Weltbundes der Krankenpflegerinnen und gilt als Reformerin der deutschen Krankenpflege. Ihr Verband vermittelte den Mitgliedern Arbeitsplätze, Versicherungsschutz und Rechtsberatung.
„Agnes Karll setzte sich neben der Anerkennung des Berufsstandes für eine fundierte, dreijährige Ausbildung in der Krankenpflege ein. Pflege sollte mehr sein als technische Hilfsfunktion der Medizin, wenn sie nicht einen wesentlichen Teil ihres Auftrags vernachlässigen wollte. Auch die einheitliche Berufsbezeichnung ‚Krankenschwester‘ ist auf Agnes Karll zurückzuführen.“246
Dorothees Tante aus Honolulu247 wunderte sich bereits drei Monate nach Beginn ihrer Krankenpflegelehre in Burg/Magdeburg über ihr schnelles Fortkommen: „Ich denke du bist in der kurzen Zeit, welche du dort tätig bist, schon recht weit fortgeschritten, in Deutschland ist wohl eine andere Methode als hier.“248 244 Ebd., Bl. 23. 245 Rentenunterlagen, 19.6.1961. 246 Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Agnes_Karll (Abruf 10.1.2020). 247 ����������������������������������������������������������������������������������������� Ein Onkel von Dorothee war von Soldin nach Hawaii ausgewandert. Vgl. Ausstellungsbegleitkarte „Paul Lemke“, Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven. Vgl. Kapitel II.A.1. 248 Tante Agnes an ihre Nichte Dorothee, Brief, 27.1.1927. In Renate J., Familienbiografie 2005, S. 47. – Tante Agnes, eine Schwester von Dorothee Rakows Mutter, war mit Paul Lemke ausgewandert.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Ihre schnelle Karriere zur Vertreterin der Oberin im Virchowkrankenhaus Berlin 1929 führte Dorothee allein auf ihre Büroausbildung zurück: „Meine kaufmännischen Kenntnisse waren daran schuld.“249 In den verschiedenen Krankenhäusern, die sie während ihrer Ausbildung und Weiterbildung durchlief, gab es mehrfach Konflikte mit anderen Schwestern und Oberinnen, während sie sich mit den Ärzten meist sehr gut stellen konnte. Im Krankenhaus Magdeburg sorgte die gute Zusammenarbeit mit Ärzten für „Chikanen“ der Oberin und letztlich für ihre Kündigung. In mehreren Fällen meldete sie Missstände an die Generaloberin ihres Verbandes nach Berlin. Insofern schien auch ein Vertrauensverhältnis ‚nach oben‘ ihre Arbeit zu bestimmen. Nach ihrem Fachexamen in Psychiatrie und Neurologie in der Universitätsklinik Kiel wurde ihr 1932 eine Oberinnenstellung in der Landesanstalt Stolp in Aussicht gestellt, wenn sie sich bewähren sollte. Doch schon nach einer Hospitation in Stralsund, bei der sie die damalige Praxis in Nervenheilanstalten Ende 1932 erlebte, arbeitete sie nicht wieder in einer Anstalt, auch wenn man ihr dort ins Zeugnis geschrieben hatte: „Insbesondere zeichnete sie sich durch ein großes Geschick in der Behandlung von Geisteskranken aus; sie hatte ein Herz für jeden ihr anvertrauten Kranken und suchte den Anforderungen der Pflege in individueller Weise gerecht zu werden.“250
Schwester Dorothee inmitten von Patienten der Nervenklinik Kiel Rückseite:
„Kiel Univers. Nervenklinik Mai 1931“ Foto: Nachlass Dorothee Rakow
Tatsächlich scheint man auf manchen Fotos die herzliche Nähe mit den Patienten zu sehen. Doch die harmonischen Bilder waren scheinbar von etwas anderem getrübt. Nach den Erfahrungen in einem psychoanalytischen Privatsanatorium in Dresden, das ihr 1934 als mögliches Arbeitsfeld erschienen sein mag, wandte sie sich 1935 völlig von diesem Berufsziel ab. Den Abbruch von Arbeitsverhältnissen hatte sie in den 1920er Jahren als Angestellte in Berlin schon eingeübt. Welche konkreten Erfah-
249 Lebensbericht 1989, Bl. 25. 250 Direktion der Provinzial-Heilanstalt Stralsund, Zeugnis für Schwester Dorothea Rakow, 29.4. 1933, Nachlass Dorothee Rakow.
Annäherungen an Schwester Dorothee: NS-Schwester
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rungen genau sie aber in der Psychiatrie seelisch so sehr belasteten, dass sie schließlich im April 1935 nach einer dienstlichen Fahrt von Dresden in die Anstalt Königsberg eine Auszeit an der kurischen Nehrung nahm, sprach sie nie so deutlich aus wie ihre frühere Empörung über die Zustände in der Provinzial-Heilanstalt Stralsund 1932: „Das Sagen hatte der Wirtschaftsdirektor und nicht der ärztliche Leiter. Das hieß Sparen in jeder Beziehung. [...] Friß oder stirb!“251.
Heute ist bekannt, dass die Sparpolitik der NS-„Volksgemeinschaft“ gegenüber „unnützen Essern“ lange vor den „Euthanasie“-Morden, schon in den 1930er Jahren, zum Hungertod von Patienten in den „Heil- und Pflegeanstalten“ führte.252 Außerdem machte Schwester Dorothee die frustrierende Erfahrung, dass die Patienten in der geschlossenen Typhusabteilung von ärztlicher Seite außer täglichen Visiten überhaupt nicht behandelt wurden und die Krankenschwestern in der Isolierbaracke gänzlich sich selbst überlassen blieben. Ihre innere Abwendung von der Psychiatrie setzte Schwester Dorothee erst nach zwei bis drei Jahren praktisch um. Im April 1935 kehrte sie nach der Verlegung einer Patientin, deren Transport von einer privaten Nervenklinik aus Dresden in die ostpreußische Anstalt Königsberg sie persönlich mit dem Chefarzt zu begleiten hatte, nicht wieder mit ihm in das Privatsanatorium zurück. Während der Fahrt hatte sie „gezittert“, ob sich die Patientin – angesichts des Ziels der Reise? – selbst auf der Toilette umbringen würde, und bei der Einlieferung in die Landesanstalt Königsberg habe sie „die Frau in ihrer Ruhe bewundert“ – da sie wusste, was auf sie zukommt? Dies ist nicht zu ergründen. – Als Grund für ihre Abwendung von der Psychiatrie gab sie Mitleid mit den „armen eingesperrten Menschen“253 an und dass die Psychiatrie ihr „zuviel seelische Kraft“ kostete. Ihr weiteres Wissen oder konkretere Aussagen über die damalige politische Haltung gegenüber Insassen der Psychiatrischen Anstalten nach der 1934 eingeführten nationalsozialistischen Gesetzeslage und deren Folgen für die Patienten ließ sie in ihrem Bericht von 1989 unerwähnt. Ihre erste Begegnung mit dem Nationalsozialismus hatte Dorothee Rakow nach eigener Aussage erst im April 1933, als ihr – direkt nach dem Absprung aus der Nervenheilanstalt Stralsund – von ihrer Berufsorganisation eine Stelle als Stationsschwester im Städtischen Krankenhaus in Finsterwalde angeboten wurde, die ein Arzt mit goldenem Parteiabzeichen führte. Die Berufsorganisation der Krankenschwestern, an die sie seit 1926 gebunden war, erschien zumindest als nicht-nationalsozialistische oder wenigstens unpolitische Organisation. Ihre erste politische Verbindung mit der NS-Schwesternschaft geschah erst 1935, als Schwester Dorothee sich für ein 251 Lebensbericht 1989, Bl. 26. 252 Vgl. Todesraten in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen. In: Harms 1996, Wat mööt wi hier smachten. 253 Lebensbericht 1989, Bl. 28.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Leben als Gemeindeschwester entschloss, ein Beruf, der zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht ohne politische Anbindung an den Verband der „braunen“ NS-Schwestern auszuüben war:254 „Mir blieb daher nur die Wahl, mich dieser anzuschließen.“255 Auch ihr „Agnes-Karll-Verband“ hatte „kapituliert“. Schwester Dorothee wechselte den Verband, indem sie am 1. Mai 1935 der NS-Schwesternschaft beitrat, das dafür zulässige Höchstalter von 35 Jahren hatte sie fast erreicht.256 Ab sofort begann ein erstaunlich schneller Aufstieg, und zwar schon zwei Monate später als Gauvertrauensschwester des größten Gaues im „Deutschen Reich“ mit Versetzung zur NSV- Dienststelle des Gaues Kurmark in Berlin und wiederum 16 Monate später zum 1. November 1936 die Berufung ins Reichshauptamt der NSV zur Generaloberin als deren zweite Stellvertreterin – und alles scheinbar ohne ihr eigenes Zutun. Ihre Entscheidung im April 1935, zuerst das ‚braune‘ Städtische Krankenhaus und dann auch die belastende Psychiatrie endgültig zu verlassen, um sich fortan der „Gemeindearbeit“ als NS-Gemeindeschwester zu widmen, kann nicht ohne den Hintergrund des „Erbgesundheitsgesetzes“ gesehen werden, mit dem seit 1934 das Konzept der „Vorsorge statt Fürsorge!“257 umgesetzt wurde. Mit einer pflegerischen „Fürsorge“ konnten die als „minderwertig“ und damit gleichzeitig „unheilbar“ eingestuften Patienten von Heil- und Pflegeanstalten im nationalsozialistischen Staat nicht mehr rechnen. Hitler selbst hatte in den 1920er Jahren schon angekündigt: „Hier wird man, wenn nötig, zur unbarmherzigen Absonderung unheilbar Erkrankter schreiten müssen. Eine barbarische Maßnahme für den unglücklich davon betroffenen, aber ein Segen für die Mit- und Nachwelt“.258
Ihre lang ersehnte Berufslaufbahn als Krankenschwester und dann die Spezialisierung auf die Pflege von Psychiatrie-Patienten hatte Schwester Dorothee offenbar in solche Gewissens-Konflikte geführt, dass sie von der praktischen Krankenpflege generell Abschied nahm. Bei ihren einsamen Überlegungen im April 1935 mag tatsächlich eine seelische Not bei der Vorstellung, weiterhin im Umfeld der damaligen Psychiatrie arbeiten zu müssen, eine Rolle gespielt haben. Mit den ausgegrenzten, „armen, eingesperrten Menschen“ oder solchen Isolierstationen, wie sie sie 1932 oder 1933 in der Anstalt Stralsund für die dortigen Typhuskranken aufgebaut und 254 Tatsächlich wurde kurz danach, am 27.5.1935, ein „Gemeindevertrag“ geschlossen, nach dem die Gemeinden sich verpflichteten, „in Zukunft als Gemeindeschwestern ausschließlich Schwestern zu beschäftigen, die der NS-Schwesternschaft angehören“, Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 17f. (nach einer Quelle aus dem Bundesarchiv Koblenz). 255 Lebensbericht 1989, Bl. 28. 256 Richtlinien NS-Schwesternschaft 1934, Nachlass Dorothee Rakow. 257 Kurmärkische Volkswohlfahrt 1935, Nachlass Dorothee Rakow; sowie Kötschau (Prof. Dr. med.), Gesundheitshege (1941). Vgl. Ders., Zum Aufbau einer biologischen Medizin (1935); Zum nationalsozialistischen Umbruch in der Medizin (1936). 258 Hitler, Mein Kampf, 1936 [1924], S. 280.
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„Arbeitstagung der N.S.-Schwestern des Gaues Kurmark in der Theodor-Fritsch-Schule (Neuenhagen bei Berlin)“ im Gau Kurmark, 10. bis 15. Januar 1936. Oben: Gauvertrauensschwester Dorothee Rakow bei ihrem Vortrag „Psychische Erkrankungen“. Unten: Schwester Dorothee als Tagungsleiterin in der ersten Reihe beim Vortrag des NSV-Schulungsleiters. Fotos: Nachlass Dorothee Rakow (Rückseite: „N.S.V. Gau Kurmark, Berlin W62, Burggrafenstraße 11“)
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geleitet hatte, würde sie in der „Gemeinde-Arbeit“ nichts mehr zu tun haben. Hier würde sie sich von nun an der „Volkspflege“ widmen, was ihr eher wie eine Verwaltungsaufgabe erschienen sein mag. Als NS-Gemeindeschwester könnte sie selbständig eine Station in einem Ort führen, würde mit dem zuständigen Amtsarzt zusammenarbeiten und wäre nur der Leitung der NS-Schwesternschaft in Berlin unterstellt. Vielleicht waren solcher Art ihre Überlegungen, doch da sie sie nicht selbst so formuliert hat, können ebenso andere Hintergründe und Ziele eine Rolle gespielt haben. Ihre Kompetenz und Erfahrung als Psychiatrie-Schwester spielte weiterhin eine Rolle, als sie als Gauvertrauensschwester die NS-Gemeindeschwestern ihres Gaues schulte und vor ihnen Referate über „Psychische Erkrankungen“ hielt. In ihrem Nachlass sind etliche Fotos einer im Januar 1936 von ihr geleiteten Arbeitstagung in der nach Theodor Fritsch, dem „Schöpfer des praktischen Antisemitismus“,259 benannten NSV-Schule östlich von Berlin erhalten geblieben. Das Rednerpult trug das NSV-Emblem, darunter hing die Hakenkreuzfahne. Doch Schwester Dorothee stellte sich bei ihrer Rede etwas abseits in die Ecke und las ihr Referat vom Blatt ab. Ihr Parteigenosse K. wirkte bei seinem Beitrag zum Führer und dessen Werken deutlich souveräner in seiner Körpersprache. Ob die NS-Gemeindeschwestern wirklich hinter dem Programm standen, ob sie sich aus beruflichen Gründen glaubten anpassen zu müssen, ob sie sich manipulieren ließen, ist diesen Bildern nicht anzusehen. Man sieht eine steife und erstarrte Masse von Frauen, die in ihren Trachten wie in Uniformen in Reih und Glied sitzend beschult werden. Schwester Dorothee befand sich möglicherweise schnell in einer hohen Position, aber zwischen den Stühlen. Ob ihr handschriftlicher Kommentar „Bewegt hören wir dem ehrenwerten Schulungsleiter Krämer zu“ ernst oder ironisch gemeint war, ist heute kaum zu beurteilen. Im Tagungsprogramm lautete der Vortrag von „Pg. Krämer: Der Führer und sein Werk“, es war der vorletzte Beitrag nach vier anstrengenden Tagen mit Vorträgen und Filmen, danach folgte ein letzter Beitrag, der die Tagung beenden sollte: „Gasvergiftungen“. Als Gauvertrauensschwester unterzeichnete Dorothee Rakow ihr Tagungsprogramm, doch über ihrer Unterschrift setzte auch ein „Leiter der Abteilung V. Presse-Propaganda-Schulung“ seinen Namen für die Richtigkeit: „f.d.R.“260 Die
259 Fritsch 1944, Judenfrage, Vorwort (Zitat aus der Einleitung von 1933). – Theodor Fritsch (1852–1933) schrieb schon 1887 einen „Antisemitismus-Catechismus“. Das nach seinem Tode 1933 u.d.T. „Handbuch der Judenfrage“ neu aufgelegte Werk wurde 1944 in der 49. Auflage gedruckt und ist heute ohne Kontextualisierung online zu lesen. URL: http://docplayer. org/15651205-Theodor-fritsch-handbuch-der-judenfrage.html (Abruf 17.4.2021). – Zur Theodor-Fritsch-Schule in Neuenhagen bei Berlin vgl. Kap. II.A.2, Biografie, 1936. 260 Tagungsfolge der Referate auf der Arbeitstagung 10.–15.1.1936, Nachlass Dorothee Rakow.
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ideologische Aufwertung des bisherigen Berufsbildes mag damals aus Frauensicht verlockende Karriereziele geboten haben, aber dieser Weg nach oben war untrennbar verbunden mit der Einordnung in eine männliche Welt, die die Frauen für ihre Zwecke funktionalisierte. Als „Soldatin des Führers“ waren die NS-Schwestern vor allem für die weltanschauliche Betreuung der gesunden Volksgenossen zuständig.261 Als Mitglieder einer nationalsozialistischen „Elite“ arbeiteten sie dabei an der Seite des männlichen SSOrdens262 – sie waren die ideale Ergänzung für den „Stoßtrupp“ der männlichen Ärzte bei deren „Kampf um den Körper“, indem sie sich um den „Kampf um die Seele“ der kranken Volksgenossen kümmerten.263 Die fröhliche „Kameradschaft“
Der dunkelbraune Mitgliedsausweis der NS-Schwesternschaft, Nr. 1614 vom 1. Mai 1935 für Dorothea Rakow, unterschrieben von Erich Hilgenfeldt, „Hauptamtsleiter des Hauptamtes für Volkswohlfahrt der Reichsorganisationsleitung“, und K. Wagner, „Vertrauensmann des Stellvertreters des Führers für alle Fragen der Volksgesundheit“ Nachlass Dorothee Rakow
261 Zu Funktionen und Aufgaben der NS-Schwestern sowie zum Begriff „Soldatin des Führers“. Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 199–315. 262 Ebd., S. 40ff. sowie ebd. das Kapitel: Die NS-Schwestern und die SS (S. 266–312). Arbeitsfelder der NS-Schwestern waren Lebensbornheime, SS-Lazarette, Ordensburgen, Napolas – aber auch Konzentrationslager. Vgl. Betzien 2018, Krankenschwestern im KZ, S. 183–189: Unter den „SSSchwestern“ im KZ Ravensbrück konnte sie NS-Oberinnen identifizieren. – Vgl. Kapitel II.B. Spur 4. 263 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 35.
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„Advent. Gauvertrauensschwestern in Neuenhagen bei Berlin“, Aufstellung von NS-Schwestern hinter einer mit Blumentöpfen geschmückten Hitler-Büste, im Hintergrund Hakenkreuzfahnen und Portraitfotos von Goebbels und anderen Männern, vermutlich in der „Theodor-Fritsch-Schule“ im Dezember 1935 oder 1936 (5. von links: Schwester Dorothee), Foto: Privatarchiv Nachlass Dorothee Rakow.
unter den Schwestern war nicht nur schwesterlich gemeint, sondern reihte sie mit sportlichen Übungen, Fahnenhissen usw. in soldatische Traditionen ein. Dazu kam die Frage des „Glaubens“ als persönliche Disposition. Die „Braunen Schwestern“ waren eine „verschworene Gemeinschaft“, eine auf eine Idee vereidigte „Elite“-Organisation mit verschiedenen Einweihungsgraden,264 die den Strukturen 264 Adolf Hitler soll in den (als historische Quelle umstrittenen) Geprächen mit Hermann Rauschning diesem das „Geheimnis“ anvertraut haben, dass er „einen Orden“ gründen wolle: „Gedacht ist an einen wissenden Personenkreis mit gnostischem Graduierungsplan, einen Ring von Eingeweihten innerhalb der Partei, eine geheime Priesterschaft“. In: Ach/Pentrop 2001 [1977], Hitlers Religion, S. 65. Schon lange vor 1933 waren Adolf Hitler, Hermann Göring, Alfred Rosenberg, Heinrich Himmler, Rudolf Heß, Hans Frank, Julius Streicher, Guido von List, Lanz von Liebenfels u.a. Mitglieder des 1918 gegründeten Thule-Ordens, dessen Symbol das Hakenkreuz war und der 1934 offiziell aufgelöst wurde, ebd. S. 33–35. Hitler gab sich in seinen Reden in den Jahren 1933–1945 als gottgläubig, seine „vom Schicksal übertragene Aufgabe“ sei von der „Vorsehung“ gewollt, er „besitze“ um sich eine „verschworene Gemeinschaft [...] mit hingebender Gläubigkeit“, in: Pentrops Sammlung von Hitler-Zitaten zu religiösen Fragen, ebd. S. 69–150, insbesondere S. 144. – In einer Liste von 48 neugermanischen Zusammenschlüssen vor 1933 führt Ach die „Deutsche Schwesternschaft“ auf, ebd. S. 10–12.
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der traditionellen konfessionellen Orden mit einem ähnlichen Glaubensbekenntnis an den gottgleichen „Führer“ Konkurrenz machen wollten.265 Die geheimnisvollen Bande waren sogar noch stärker, denn „aus dem Orden gibt es kein Zurück mehr! Wer ihn böswillig verläßt oder gegen ihn verstößt, wird vernichtet, sowohl er selbst wie seine ganze Familie.“266 Ihren unerschütterlichen Glauben an den „Führer“ hatte Schwester Dorothee sogar angesichts der längst offensichtlichen Niederlage nicht verloren – noch am 19. Januar 1945 glaubte sie: „Die östlichen Horden, die zur Zeit gegen uns anrennen, müssen bezwungen werden, und wir glauben fest an die Kraft und Stärke des deutschen Volkes unter der Führung Adolf Hitlers.“ Und am 7. Februar 1945 glaubt sie ebenso stark an den „Volkssturm“: „Dieser Volkssturm war doch eine geniale Einrichtung des Führers. Wenn er früher einmal sagte, jeder Mann in Deutschland muß einmal Soldat gewesen sein, so hat er die kommende Zeit wohl vorausgeahnt. Heute ist jeder Mann im Augenblick der Feindnäherung Frontsoldat. Wir haben auch den festen Glauben, daß der Bolschewist zurückgeschlagen wird. Wie mag es all den Schwestern ergangen sein, die im Osten gearbeitet haben. So manche mag in der weiten Landschaft ihrem Schicksal erlegen sein.“267
Auch Krankenschwestern starben im Krieg wie „gefallene“ Soldaten. Schwester Dorothee hatte sich selbst zu diesem Zeitpunkt längst durch ihre Heirat geschickt zurückgezogen und sich so vor weiteren Kriegseinsätzen und einem ähnlichen Schicksal an der Front bewahrt. Sie war ab Herbst 1941 „nur“ noch ein durch Erich Hilgenfeldt persönlich ernanntes „Ehrenmitglied der NS-Schwesternschaft“.268 Der Rückzug aus dem öffentlichen Leben war nach Hannah Arendts Analyse die einzige Möglichkeit in der NS-Diktatur, nicht mehr an den Verbrechen teilzunehmen. Die „innere Emigration“ sei dagegen ein Mythos, alle öffentlichen Ämter waren im NS-System verstrickt, und eine „innere Opposition“ gehörte geradezu zu der Zweideutigkeit, in der zwischen mörderischem Eifer und Überwindung ihres inneren Gewissens sie sich ihr persönliches „Alibi“ für ihre unmenschlichen Taten verschafften.269 In ihren Briefen von 1945 reproduzierte Dora P. – ob Alibi oder nicht – weiterhin die ideologischen Floskeln der 1930er Jahre. Wirklich ausgestiegen ist sie nie. Deshalb enthält auch Jahrzehnte später ihr Lebensbericht an keiner Stelle eine 265 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, die Kapitel: Die NS.-Schwestern und der Nationalsozialismus als pseudoreligiöse Weltanschauung (S. 9–21) sowie: Die NS.-Schwesternschaft – ein nationalsozialistischer Orden (S. 36–86). 266 Schlesische Volkszeitung, 28.4.1936, zit. nach Breiding ebd., S. 41, Anm. 197. 267 Aus Briefen von „Schwester Dorothee“. In: Kempowski 1999, Echolot, Bd. I (12.–20.1.1945), S. 630f. und Bd. IV (6.–14.2.1945), S. 132f. 268 Käthe Böttger, Brief, 20.12.1941, Privatarchiv Renate J. 269 Ahrendt 1986 [1963], Eichmann, S. 163–165.
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aufklärende und kritische Reflexion der aktiven Rolle der NS-Schwesternschaft im mörderischen nationalsozialistischen Terror-System. Im Gegenteil, insbesondere der Bessarabieneinsatz diente in ihren Erzählungen zur positiven Darstellung ihrer Aufgaben im Krieg.
„Froh zu sein bedarf es wenig“ NS-Oberin Dorothee verteilt etwas an sichtbar glückliche NS-Schwestern (ca. 1936) Foto: Nachlass Dorothee Rakow, mit handschriftlichem Kommentar
Soweit die versöhnliche Rekonstruktion der Biografie einer NS-Schwester. Nicht ausgelassen werden können nun allerdings die kritischen Fragen an Frau Rakow im folgenden Teil. Das bisher nur erschlossene Material wird im Folgenden zur Basis für die Spurensuche.
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II.B. SPURENSUCHE in der Biografie in sieben Fragmenten II.B.Spur 1 Parteimitgliedschaft Auf manchen Fotos trug die NS-Schwester Dorothee Hakenkreuz-Abzeichen. Dies führte zu Fragen der Tochter, der gegenüber sie immer wieder behauptet hatte, damals nicht in der Partei gewesen zu sein. Tatsächlich war sie zunächst keine Parteigenossin. Anlässlich ihres Neubeginns als Gemeindeschwester trat sie erst am 21. April 1935 der NS-Frauenschaft bei und kurz danach am 1. Mai 1935 der NS-Schwesternschaft. Um ihre Brosche mit dem Parteiabzeichen zu erklären, konstruierte Dora P. in ihrem Lebensbericht einen Konflikt im NSV-Hauptamt, der sich um 1937 abgespielt haben müsste. „Da ich keine Parteigenossin war, wurde ich von den uns vorgesetzten Leuten im Hauptamt für Volkswohlfahrt mit Argwohn beobachtet, man versuchte mir Steine in den Weg zu legen. Ich jedoch blieb ruhig dabei. Dann aber bearbeiteten mich meine Kolleginnen, in die Partei einzutreten. Gut, ich meldete mich endlich an. Aber da war in der Ortsgruppendienststelle eine Schwester ohne Examen, die gern – sie war alte Parteigenossin – in unsere Schwesternschaft eintreten wollte. Leider! ich konnte ihr dazu nicht verhelfen. Ich glaube, sie rächte sich damit, daß ich immer nur Anwärterin der NSDAP blieb, und mir nie die endgültige Parteizugehörigkeit und Mitgliedskarte zugesprochen wurde. Ungewollt tat sie mir damit einen großen Gefallen. Ich blieb immer Anwärterin, durfte auch und ,musste‘ das Parteiabzeichen tragen. Und das Tragen des Abzeichens war für unsere Dienststelle eben wichtig.“270
Tatsächlich fand sich ihr Name unter den ca. 80 Prozent erfassten NSDAP-Mitgliedern im Bundesarchiv nicht.271 Trotzdem lügt ihr Lebensbericht. Doch das stellte sich erst nach ihrem Tod heraus. Die angeblich nie zugesprochene Partei-Mitgliedskarte tauchte überraschend in ihrem Nachlass auf. Die rosafarbene NSDAP-Mitgliedskarte Nr. 5376209 für „Dorothee Rakow NS Schwester“ hatte der Schatzmeister der NSDAP-Reichsleitung in München am 30. April 1938 ausgestellt. Eingetreten in die NSDAP-Ortsgruppe Berlin-Wittenbergplatz war sie – nach
270 Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version. 271 Anfrage von Renate J. im Bundesarchiv Berlin. Antwort Matthias Meissner, Bundesarchiv, 24.7. 2007, Privatarchiv Renate J.
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einem anderen Stempel direkt daneben – aber schon ein Jahr zuvor, zum jährlichen „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1937. Der NSDAP-Ortsbezirk Wittenbergplatz lag in der Nähe der Ansbacher Straße, wo sie wohnte und wo auch ihre Dienststelle im „Haus der Deutschen Schwestern“ in Fußnähe lag. Im Innenteil ihrer Mitgliedskarte waren noch etliche gestempelte Beitragsmarken in die Felder eingeklebt.272 NS-Schwester Dorothee hatte eifrig schon im Voraus „Beiträge einschl. Rpt. 37/38 bezahlt bis incl. Mai 1939“, wie es ein Vermerk im Innern quittierte. Dazu lag noch eine Marke vom Reichsparteitag 1939 dabei und auf lose eingelegten Pappen weitere Beitragsmarken, abgestempelt als „bezahlt“ für die Jahre 1939 bis 1944. Schwester Dorothee war also in Wahrheit von 1937 bis Kriegsende Parteigenossin.
Später Fund im Nachlass, nach 1989: Die NSDAP-Mitgliedskarte von NS-Oberin Dorothee Rakow Privatarchiv Renate J.
272 NSDAP-Mitgliedsausweis Nr. 5376209 für Dorothee Rakow NS Schwester, Berlin, Ansbacher Straße 3, Privatarchiv Renate J.
Spurensuche in der Biografie
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II.B.Spur 2 „Von Vergasungen noch keine Ahnung“ Fortbildung in Tutzing Ein Portraitfoto von 1938 zeigt NS-Schwester Dorothee in dunkler Schwesterntracht mit einer Brosche der NS-Schwesternschaft am Kragenknopf und dem NSDAP-Parteiabzeichen mit Hakenkreuz am Bande über ihrem Herzen. Auf der Bordüre der Schwesternhaube erkennt man im Wechsel mit einem Zeichen die sich im Muster wiederholenden Buchstaben „NS... NS... NS...“.273 Ausnahmsweise ist hier ihre rechte Wange mit der Narbe aus der Kindheit deutlich sichtbar. Sie wirkt schmallippig streng, emotionslos oder auch traurig, andererseits richtet sich ihr Blick ergeben von unten nach oben, so als hätte der Fotograf sie instruiert. Wichtigster Bestandteil der Schwestern-Uniform mit maßgeschneidertem Kleid und dezenter Haube war in der NS-Zeit die „Schwesternbrosche, die einer militärischen Auszeichnung ähnelte und die organisatorische Zugehörigkeit“274 und natürlich ihren Rang oder Führerstatus anzeigte. Ihre Schwesternbrosche als zweite Stellvertreterin der Generaloberin ist auffällig groß, um das „NSV“-Zeichen herum kreist der Schriftzug „NS-Schwesternschaft“, gerahmt von einem Blätterkranz. Durch diese Rahmung unterscheidet sich ihre Brosche von der einer einfachen NS-Schwester. Es handelt sich vermutlich um die goldene oder silberne „Verdienstbrosche“.275 Die Rückseite dieses dienstlichen Fotos verrät, dass die Aufnahme 1938 in Tutzing am handschriftlich Rückseite: Starnberger See gemacht wurde, wo am 1. Ok„Schw. Dorothea Rakow – 1938“ tober 1937 eine NS-Oberinnenschule mit Fotografenstempel, wie auf dem einjährigen Lehrgängen eingerichtet worden Starnberg-Foto unten: war.276 Hier wurde die „Führungselite der Eli„Photo Schweizer – Tutzing“ 273 So glaube ich es in starker Vergrößerung erkennen zu können. 274 Lower 2014, Hitlers Helferinnen, S. 65. 275 Vgl. Heering/Hüsken 1997, Katalog Abzeichen, S. 86, Katalog-Nummern 5614.a-i: Broschen der Nationalsozialistischen Schwesternschaft, sowie Abb. zu Nr. 5614.h (Verdienstbrosche), S. 89. – Die Broschen aus dem Nachlass wurden leider an einen Devotionalienhändler verkauft. Vgl. Kapitel II.A. 276 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 216, Abbildungen des Gebäudes (ebd. S. 218) und der Innenräume (S. 229). Leiterin war Annemarie Berndt, die schon seit 1933 „N.S. Oberin“ war
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teorganisation der NS.-Schwesternschaft herangezogen“,277 wobei der Glaube an die nationalsozialistische Weltanschauung und gebetsartige Huldigungen wie „getreu bis in den Tod an deiner Seite“ das Programm bestimmten. Nach Bestehen der Prüfungen auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gesundheitsgesetze wurde die Verleihung der Schwesternbrosche bei einem Fahnengelöbnis als „kultisches Ereignis“ zelebriert.278 Vermutlich nahm Schwester Dorothee schon am ersten einjährigen Kurs ab Oktober 1937 teil und bekam die Schwesternbrosche demzufolge im Herbst 1938 verliehen. Im Rückblick erinnerte Dora P. sich an ihre Teilnahme „an verschiedenen Kursen“ in Tutzing mit einer Anekdote, mit der sie sich vom Komplott distanzieren wollte: „Selbstverständlich war Biologie das Fach eines Arztes der alten SS-Garde, mit dem ich mich beinahe angelegt habe, dann aber vorzog, zu schweigen, auch als er mich lächerlich machte. Wir hatten ja von Vergasungen noch keine Ahnung u. wurde uns auch nichts davon gesagt.“279
Es erscheint nahe liegend, dass Dorothee Rakow in Tutzing in die „Euthanasie“Pläne ‚eingeweiht‘ wurde, weil sie selbst das Wissen bzw. Nichtwissen über „Vergasungen“ in diesem Zusammenhang erwähnte. Sie habe es jedenfalls vorgezogen, „zu schweigen“, als der SS-Arzt sie im Biologie-Unterricht lächerlich machte. Da sie nur Andeutungen überlieferte, scheint sie das Ungesagte als bekannt vorauszusetzen – oder sie zieht es vor, Details zu verschweigen. 1938 mögen die NS-Schwestern tatsächlich noch nichts von den konkret geplanten Vergasungen gewusst haben. Doch wurden sie offensichtlich spätestens in Tutzing davon unterrichtet, sonst macht die Bemerkung keinen Sinn. Die Ermordungen von Patienten mit Kohlenmonoxyd in umfunktionierten Duschräumen begannen zwar erst mit Kriegsbeginn, doch mussten für solche Pläne ausgewählte Beteiligte vorbereitet und eingeweiht werden. „In Tutzing wurde die Führungselite der Eliteorganisation der NS.-Schwesternschaft herangezogen“ – und: „In Tutzing meldete man sich nicht einfach zur Weiterbildung an, nach Tutzing wurde man ‚einberufen‘.“280 Nach Breiding war es 277 278
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und seit 1936 in Berlin arbeitete, von wo aus sie nach Tutzing ging, ebd. mit Foto, S. 216f. – Vgl. Kapitel II.A.2: Biografie/1938. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 219. Ebd., S. 216–219: „In Tutzing meldete man sich nicht einfach zur Weiterbildung an, nach Tutzing wurde man ‚einberufen‘“ (S. 217). Der Glaube an die nationalsozialistische Weltanschauung und gebetsartige Huldigungen an Adolf Hitler gehörten zum Programm: „[...] getreu bis in den Tod an deiner Seite“ (S. 217). Am „28.2.1939“ legten die ersten NS-Schwestern in siebenstündigen Gruppenprüfungen (S. 219) ihr „Abschlussexamen“ in Tutzing „vor Partei- und Staatsdienststellen“ ab (S. 217). NS-Oberin Blawert nahm eine Klausur ab. Das Examen wurde als „kultisches Ereignis“ zelebriert, mit Fahnengelöbnis und Verleihung der Schwesternbrosche durch Käthe Böttger (S. 219). Lebensbericht 1989, Bl. 30/Version 2. Breiding 1998, Braune Schwestern 1998, S. 217 u. 219.
Spurensuche in der Biografie
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kennzeichnend für die NS-Schwesternschaft als „Eliteorganisation“, dass der Zugang zum ‚inneren Kreis‘, der die Führung übernehmen sollte, nicht jeder fachlich geeigneten Schwester offenstand. Nach dem Vorbild von „Geheimgesellschaften“281 waren NS-Schwestern zu einem höheren Grad „in die nationalsozialistische Weltanschauung eingeweiht“ als die NSV-Schwestern, mit denen sie seit 1936 im „Reichsbund der Freien Schwestern und Pflegerinnen“ zusammengefasst waren. Durch „Einweihungsstufen“ unterschieden sich NSVSchwestern wiederum von den übrigen, z.B. konfessionellen Krankenschwestern. Breiding erkennt in diesem EliteSystem das, was Hannah Arendt deren „negative Qualität der totalitären Elite“ nannte: nämlich „‚niemals Lügen mit der Wirklichkeit zu vergleichen‘, Tutzing am Starnbergsee, denn den Blick auf die Wirklichkeit Oberinnenschule der NS-Schwesternschaft verstellten der NS-Schwesternschaft – mit Hakenkreuzflagge. neben der eigenen weltanschaulichen Postkarte, 1938 Erziehung – nun zusätzlich“ die andeNachlass Dorothee Rakow ren nationalsozialistischen Schwesternorganisationen.282 Mit „Sprüchen vollgestopft“, mit Phrasen, die ihnen „erhebende Gefühle“ verschafften, unterstützten sie sich gegenseitig in einer „Aura der systematischen Verlogenheit, [...] die im Dritten Reich die allgemeine und allgemein akzeptierte Athmosphäre gebildet hatte.“283 Diese „Banalität des Bösen“ machte es nach Hannah Arendt den NS-Tätern und -Täterinnen auch später noch unmöglich, sich ihrer Untaten bewusst zu werden.
281 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vielleicht war es kein Zufall, dass Tutzing auch der Wohnort Mathilde Ludendorffs war, vgl. Anmerkung im Ortsverzeichnis. Allerdings distanzierte Hitler, selbst Mitglied im Thule-Orden, sich nach der Machtübernahme von neugermanischen Gesellschaften, zu denen unter vielen weiteren der Ludendorffer „Bund für Deutsche Gotterkenntnis“ gehörte. Vgl. Ach/Pentrop 2001 [1977], Hitlers Religion, S.19 und 60. 282 Alle Zitate in diesem Absatz in: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 168f. 283 Ahrendt 1986 [1963], Eichmann, S. 82.
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Verbrannte Akten Als zweite stellvertretende Generaloberin hatte Dorothee Rakow eine Vertrauensposition in der Zusammenarbeit mit der Generaloberin, mit der sie mehr Wissen teilte als mit uns. Komplott und Vertuschung gehören zu den Kennzeichen für Verbrechen wie auch die Vernichtung von Beweismaterialien. 1944 wurde die Reichsleitung des „NS-Reichsbundes Deutscher Schwestern e.V.“ (NSRDS) – die ab 1942 die Nachfolgeorganisation der NS-Schwesternschaft wurde – von Berlin nach Tutzing verlegt. Die Bombardierungen in Berlin hatten Ausweichquartiere notwendig gemacht. In diesem Zusammenhang gibt es Hinweise auf Vernichtungen von Aktenmaterial in Tutzing.284 Von verbrannten Akten in einer „Ausweichstelle“ berichtete auch Dr. Ritter.285 Die Reichärztekammer verlegte ihre Dienststelle nach einer Bombardierung im November 1943, bei der die Villa in der Beethovenstraße 3 zu 85 Prozent zerstört wurde, zunächst in die Königsallee 62 nach Berlin-Grunewald.286 Möglicherweise gab es dabei schon Aktenverluste. Bei zunehmender Gefährdung Berlins setzte sich die Auslandabteilung der Reichsärztekammer im März 1945 nach Süddeutschland ab, während „sämtliche ärztliche Akten“ der Auslandabteilung auf der Sachsenburg gesammelt wurden. Nach der Sortierung ließ der damalige Leiter des „Umsiedlergesundheitsdienstes“ sie verbrennen und blieb dort bis zur Kapitulation. Später versicherte Dr. Ritter einem Kollegen, der sich 1956 auf der Suche nach bestimmten Akten an ihn wandte: „Wir hatten lediglich Akten der Auslandabteilung der RÄK nach Anweisung des Herrn Dr. Haubold verbrannt, jedenfalls keine wissenschaftlichen Umsiedlerakten.“287 Doch was waren überhaupt „wissenschaftliche Umsiedlerakten“, wo blieben sie, und welche Akten der Auslandabteilung wurden verbrannt und warum? Die Vernichtung von Dokumenten führte dazu, dass sowohl zur NS-Schwesternschaft als auch zur Auslandabteilung der Reichsärztekammer heute wichtige Akten in den Archiven fehlen.288 Man kann davon ausgehen, dass die Verbrennungsaktionen von Akten, genauso wie die von exhumierten Ermordeten aus den Massengräbern die Spurenbeseitigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinn hatten.289 284 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 7. 285 Gespräch mit Dr. Ritter, Bremen 2007, vgl. Kapitel I.B.; sowie Ortsverzeichnis: Sachsenburg; Saulgau. 286 Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Sexualwissenschaft, Chronologie Institutsgebäude, 1939, 1943. URL: www.magnus-hirschfeld.de/institut/gebaeude/chronologie-der-institutsgebauede (Abruf 18.4.2021). 287 Dr. Ritter an Prof. Dr. med Roh., Universitätsaugenklinik München, Brief 22.1.1956. Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie im Brief vom 5.7.2007. Vgl. Kap. I.B. 288 Heute fehlt dieser Aktenbestand der Auslandabteilung der Reichsärztekammer, wir mir Maria Fiebrandt nach vergeblicher Suche im Bundesarchiv berichtete, Telefonat, 23.7.2007. – Auch Birgit Breiding und Petra Betzien bedauerten die Aktenlage bezüglich der NS-Schwesternschaft, insbesondere fehle eine Mitgliederkartei. E-Mail von Birgit Breiding 6.10.2016; Telefonat mit Petra Betzien 2019. 289 Vgl. Angrick 2018, Aktion 1005.
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II.B.Spur 3 Kinderschutzkongress und Kinder-„Euthanasie“ Vom 12. bis 18. Juni 1938 fand in Frankfurt am Main unter der Schirmherrschaft von Dr. Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ein Internationaler Kinderschutzkongress statt, bei dem NSV-Hauptamtsleiter Hilgenfeldt die ausländischen Gäste empfing und Goebbels die Eröffnungsrede halten sollte.290 An der Vorbereitung war Dorothee Rakow so maßgeblich beteiligt, dass Hilgenfeldt seine Parteigenossin mit einem Dankesschreiben bedachte.291 Die Post gab einen Sonderstempel zum „IKK“ heraus,292 und ein metallener Orden am blauen Band mit Schleife wurde zu diesem Anlass gestaltet.293 Das Bildmotiv auf dem quadratischen Emblem wirkt allerdings befremdlich: Ein haarloser Greis, vermutlich eine Allegorie des ‚Alters‘, aber fast schon eine Leiche darstellend, mit einem nur locker über den Lenden liegenden Tuch greift dem vor ihm knienden Jungen mit beiden Händen fest um den Kopf und blickt ihm tief in die Augen. Der Junge wiederum steckt zwischen den Beinen des Alten fest, sein Kopf wird stark nach hinten gebogen, seine Arme heben sich zum Hals des Alten. Es liegt eine seltsam überhöhte Symbolik in dieser künstlichen Pose von Mann und Kind, Alter und Jugend. Für den nationalsozialistischen „Kinderschutz“ wurde damit ein deutliches Gegenbild zu traditionellen religiösen Mutter-Kind-Darstellungen geschaffen, die das veränderte nationalsozialistische Verhältnis zur Jugend und zum Kinderschutz illustriert. Das umfangreiche Programm sah im Anschluss an die komprimierte Vortragsphase vom 13. bis 15. Juni in Frankfurt noch Besichtigungsfahrten mit Omnibussen „über die Reichsautobahn“ zu nationalsozialistischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in etlichen weiteren Städten rund um Frankfurt vor. Interessante Orte waren bei der „Norddeutschen Fahrt“ u.a. das Müttererholungsheim der NSV in Falkenstein am Taunus, die Orthopädische Klinik in Friedrichsheim, das Kurhaus von Wiesbaden, das Blindeninstitut und die Körperschule, „Kriechschule“, in Marburg, das Reichsseminar für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen der NSV in Steinatal, das Haus der NSV in Kassel, das Altersheim für Schauspielerinnen in Bad Kösen, das Gesundheitsamt in Halle wegen der Säuglingsfürsorge und Jugend290 Programmheft: Internationaler Kinderschutzkongress Frankfurt (Main) 12.–18.6.1938, S. 2. Tagungsmappe, Nachlass Dorothee Rakow. – Goebbels sagte „zu seinem lebhaften Bedauern“ die Eröffnungsrede kurzfristig ab. Mitteilungskarte in vier Sprachen an die Kongressteilnehmer, Juni 1938, ebd. 291 Dankesschreiben von Erich Hilgenfeldt im Namen des „Reichszusammenschluß für öffentliche und freie Wohlfahrtspflege“ an die „Parteigenossin Schwester Rakow“ vom 24.8.1938, ebd. 292 PhilArena-Philatelie. URL: https://www.philarena-shop.de/artikel/30465/postsache-kuvert1938-frankfurtmain-kinderschutz-kongress (Abruf 3.8.2021). 293 Vgl. Abbildung in: War Relics Forum, German Militaria 1933–1945. URL: https://www. warrelics.eu/forum/non-combat-uniforms-related-insignia-third-reich/internationaler-kinderschutzkongress-frankfurt-main-12-18-juni-1938-a-647808/ (Abruf 3.8.2021).
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fürsorge-Einrichtungen in Halle. Bei der „Süddeutschen Fahrt“ waren es u.a. das NSV.-Übungslager Rimdidim für schwächliche und körperbehinderte Knaben bei Darmstadt, ein chirurgisches Tuberkulose-Sanatorium in Heidelberg-Rohrbach, die Kindererholungsstätte in Sandtorf bei Mannheim, die Jugendherberge und das Fröbel-Seminar in Mannheim, die Pflegeanstalt und Schule für schwachsinnige und epileptische Kinder in Neuendettelsau und ein Kindererholungsheim der NSV in Weißenburg. Am 19. Juni ging es zurück nach Berlin.294 Während dieser Exkursionsphase wurden den internationalen Fachleuten neben Festessen, Tee-Empfängen, Opernbesuchen, Promenadenkonzerten, Tanzabenden zudem Besichtigungen alter Bauwerke, Burgen, Dome, Kirchen, Museen, Trachtentänze und Stadtführungen geboten, so dass ein Kulturtourismus den wissenschaftlichen Austausch überlagerte. Da es ein „internationaler Kongress der Fachleute des Kinderschutzes aus über 40 Staaten“ war, wurden die deutschen Teilnehmer vorsorglich in einem Rundschreiben instruiert, wie sie sich zu benehmen hatten: „Jedes demonstrative, aggressive und für andere Weltanschauungen verletzende Hervorkehren nationalsozialistischer Anschauungen [ist] zu vermeiden.“295
Nationalsozialistische Grundsätze durften hier nur von der Kongressleitung oder von bevollmächtigten „Berichterstattern“ vertreten werden, ansonsten hatte die „deutsche Teilnehmerschaft eine geschlossene Einheit“ darzustellen. Das Merkblatt warnte auch davor, in der Gegenwart von Ausländern über „Fragen, die auch vielleicht unter Deutschen noch strittig sind“, zu streiten, da diese womöglich die deutsche Sprache verstehen könnten. Beim „Verkehr mit den Ausländern“ war vor allem wichtig, dass diese sich in Deutschland „wohl fühlen“ sollten. Die „Frage der Sterilisation“ oder „etwaige unliebsame Zwischenfälle, die sich in Deutschland mit Priestern, Mönchen und Nonnen ereignet haben“, sollten mit den ausländischen konfessionellen Wohlfahrtsträgern keinesfalls erörtert werden. „Juden und Halbarier“ unter den ausländischen Kongressteilnehmern dürften „unser Gastrecht in Anspruch nehmen“ und sollten ausnahmsweise – für die Zeit des Kongresses – nicht verfolgt werden. Kurz danach erschien in der Zeitschrift „Die deutsche Schwester“ ein Tagungsbericht von „NS-Schwester Dorothee Rakow“. Ein kurzer Auszug bestätigt, dass die Internationalität lediglich Kulisse für eine Propaganda-Schau war, die nach Lob heischte, während die strittigen Themen auf Anordnung ausgelassen wurden: 294 Auswahl von Orten aus dem Programmheft und Billet-Abreißheft „Einladungen Invitations Invetazioni“. In: Tagungsmappe IKK 1938, Nachlass Dorothee Rakow. – Die Ergebnisse der Recherchen zu allen oben genannten Institutionen sind im Einzelnen zu finden im Ortsverzeichnis im Anhang. 295 ����������������������������������������������������������������������������������������� Alle Zitate in diesem Absatz in: „An die Deutschen Teilnehmer des Internationalen Kinderschutzkongresses Frankfurt 1938“, Rundschreiben vom Reichszusammenschluss für öffentliche und freie Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, Unterschrift unleserlich, o.J. o.O., ebd.
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„Alle diese Referate gaben viel Anregung, uns mit unseren ausländischen Gästen über die sozialen Einrichtungen im In- und Ausland zu unterhalten. Und bei den später folgenden Besichtigungen wurde immer von neuem das Erstaunen ausgedrückt: ‚Wie ist das alles in so kurzer Zeit in Deutschland möglich gewesen?‘“296
Ein deutscher Emigrant schrieb in England einen kritischen Bericht über die NSV und bewertete insbesondere die nationalsozialistische Jugendhilfe als „verheerend“: „Die Kinder sind vielfach gänzlich dem schlechten Einfluß der NS-Institutionen und ihrer Leiter ausgesetzt. Die Resultate sind verheerend: die Zahl der Jugendkriminellen und der ‚schwer erziehbaren Kinder‘ ist außerordentlich gestiegen.“297
Skeptische oder erschöpfte Gesichter der internationalen Zuhörerschaft, unter ihnen einzelne NS-Schwestern. Bildrückseite: „Die Teilnehmer vom Internationalen Kinderschutzkongress in Rothenburg o. Tauber – 17.6.1938. Begrüßung im Rathaus durch den Altbürgermeister“. Stempel: NSV. Bilderdienst Gau Franken, Aufnahme: E. Weinhart, NSV-Reichsbildarchiv Nr. 80768, Foto 470/33a.. Nachlass Dorothee Rakow.
296 NS-Schwester Dorothee Rakow, Internationaler Kinderschutzkongreß. In: Die Deutsche Schwester, Heft 7, Jg. 6 (1938), S. 179f., Nachlass Dorothee Rakow. 297 Heine 1944, Die NSV, S. 27. – Über die Kinder- und Jugendarbeit der NSV, vgl. ebd., S. 11–30.
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Besichtigungsfahrten für die internationale Delegation: Nationalsozialistische Jugendheimstätte Männliche und weibliche Gäste auf einer Veranstaltung des Kinderschutzkonkresses 1938 bei der Besichtigung einer NS-Jugendheimstätte. Die Männer waren unbehütet, die Damen trugen weiße und schwarze Hüte und die NS-Schwestern ihre dunkle Tracht mit langer Schleierhaube. Rechts vor der Treppe: vermutlich NS-Schwester Dorothee. Stempel auf der Rückseite: „19. Juni 1938“, „Bildarchiv NSV., Gau Berlin“ Foto im Nachlass von Dorothee Rakow.
N.S.V. Haus Mutter und Kind Teilnehmer des Internationalen Kinderschutzkongresses 1938 hören unter der Hakenkreuzflagge eine Rede, unter ihnen eine NS-Schwester in brauner Tracht. Foto im Nachlass von Dorothee Rakow
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Barackenbau: Vortrag eines weiß gekleideten Arztes im Tuberkulose-Sanatorium Hohenlychen bei Berlin, vermutlich ist es Prof. Dr. Karl Gebhardt.298 Im Publikum, 4. von rechts: NS-Oberin Dorothee Rakow Stempel: 19. Juni 1938, Foto: Connell, Bildarchiv NSV., Gau Berlin, Kaiser-Wilhelmstr. 58. Foto im Nachlass von Dorothee Rakow.
Einer der vielen Empfänge während des Internationalen Kinderschutzkongresses 1938: Internationale Fahnen hingen quer zu den besser platzierten Hakenkreuzfahnen. Links am Pult ein Redner in Uniform. Foto aus der Mappe „Internationaler Kinderschutzkongreß 1938“, Nachlass Dorothee Rakow.
298 Vgl. Portraitfotos in: Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Karl_Gebhardt (Abruf 27.3.2021). – Karl Gebhardt wurde nach den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlich-
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Genauso wie die „Heim ins Reich“-Umsiedlung diente auch der Kinderschutzkongress Dora P. später gegenüber ihrer Tochter für eine positive Darstellung ihrer beruflichen Tätigkeit im NS-Staat. Ein Einblick in die historische Literatur über den Umgang mit Kindern im Nationalsozialismus ließ schließlich Zweifel an der positiven Rolle dieser internationalen Schau-Veranstaltung aufkommen. Der immer wieder lobend erwähnte Kinderschutzkongress muss zeitlich sogar unmittelbar vor den Beginn der Kinder-„Euthanasie“ eingeordnet werden. Renate J. entlarvte dies „als Beispiel für die Perfidität des Systems, das in dem Augenblick vielleicht nicht einmal die direkt Beteiligten durchschauen. Es ist vergleichbar mit den pompösen 1. Mai-Feiern 1933 und gleich danach wurden dann die Gewerkschaften verboten. Nach außen Glanz und Gloria und danach hinter den Kulissen die Daumenschrauben. Und so ähnlich ist es wohl bei der ‚Heimholung‘ der Volksdeutschen gewesen, nach außen die Lockungen eines starken deutschen Reiches, aber eben nur für die Gesunden, wie es die NSV immer wieder herausgestellt hat.“299
Die „Euthanasie“-Morde an Kindern begannen noch vor denen an Erwachsenen, die erst unter Kriegsbedingungen einsetzten. Allerdings ist die in der Literatur bisher auf 1938 datierte erste offizielle „Euthanasie“-Tötung im „Fall Kind Knauer“ inzwischen widerlegt und korrigiert auf Juli 1939.300 Dennoch stand zur Zeit des Kinderschutzkongresses 1938 und auch schon in früheren eugenischen Debatten spätestens seit 1920 „die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“301 und insbesondere die „Frage, ob es nicht Missgeburten gibt, denen man in ganz früher Lebenszeit den Liebesdienst erweisen sollte“,302 im Raum. Schwester Dorothees NS-Schwesternausweis, ausgestellt am 1.5.1935, trägt die persönliche Unterschrift von „K.Wagner, Vertrauensmann des Stellvertreters des Führers für alle Fragen der
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302
keit 1948 hingerichtet. Er war verantwortlich für grausame medizinische Versuche an gesunden jungen Frauen aus dem KZ Ravensbrück im SS-Sanatorium Hohenlychen, vgl. Półtawska 1993 [1964], Fürchte meine Träume. – Vielleicht besuchte die Delegation am letzten Tagungstag, dem 19.6. (Stempeldatum auf der Rückseite, evtl. Datum der Fotoentwicklung), nach dem Mittagessen, das in Berlin stattfand, noch Hohenlychen. Im Programm kam dieses Ziel nicht vor. Auch auf einem weiteren Foto ist Gebhardt zu sehen, hier wurde der Delegation vorgeführt, wie Frauen in weißen Kitteln junge Männer auf Liegen im Freien massieren, in: Nachlass Dorothee Rakow, Mappe zum Kinderschutzkongress. Renate J., Brief, 27.6.2007, S. 1. Benzenhöfer 2000, NS-Kindereuthanasie, S. 8f. – Benzenhöfer fand durch eigene Recherchen in einem Kirchenbuch den richtigen Namen des getöteten Kindes und sein Todesdatum heraus: 25.7.1939. Vgl. Binding/Hoche 1920, Freigabe. Der Jurist Karl Binding erläuterte in diesem Buch die rechtlichen Grundlagen für eine mögliche Straffreiheit bei „Euthanasie“, und der Mediziner Alfred Hoche rechtfertigte im zweiten Teil des Buches die Tötung kranker Menschen. – Im selben Jahr wurde auch die NSDAP gegründet. Binding ebd., zitiert nach Benzenhöfer 2000, NS-Kindereuthanasie, S. 6.
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Volksgesundheit“.303 Sein Namensvetter, Reichsärzteführer Gerhard Wagner, wollte bereits 1935/36 von Hitler die Freigabe von „Euthanasie“-Tötungen erreichen, der diese erst im Kriegsfall umsetzen wollte.304 Dorothee Rakow dürfte von solchen Diskussionen gewusst haben: In ihrem Nachlass war ein „Schulungsbrief“ von 1938 mit den kumpelhaft formulierten Richtlinien zur „Gesundheitspflege“ als „Programmpunkt 21 der NSDAP“ von Dr. med. Gerhard Wagner.305 Dessen Sorge um die Kinder hatte ein ganz praktisches Motiv: „Hätten wir in den letzten 20 Jahren nur 4 v.H. Säuglingssterblichkeit gehabt, [...] würden heute 1 310 000 Kinder mehr leben [...] im Rahmen der Wehrfähigkeit wären das 488 000 Soldaten.“306 Über die Kinder-„Euthanasie“ in den „Kinderfachabteilungen“ des „Reichsausschusses für erb- und anlagebedingte schwere Leiden“ wurde bisweilen berichtet, dass beim „Einschläfern […] Schwestern aus Berlin“ beteiligt waren.307 Sukzessive Gaben von Luminal und ähnlichen Schlafmitteln in Zäpfchen oder in Milchflaschen aufgelöst waren schmerzlose langsam wirkende Todesbeschleuniger, die die Eltern derjenigen Kinder, die nach „Weisung aus Berlin“ für die „Euthanasie“ bestimmt waren, unauffällig auf das Sterben „vorbereiteten“. Das Füttern der Kinder war mit der Ausführung dieser Taten verbunden.308 Aufgrund ihrer besonderen Vertrauensstellung erscheint es plausibel, dass vor allem NS-Schwestern als Eingeweihte in die politischen Ziele auch als die Ausführenden der Kinder-„Euthansie“ bestimmt waren. Als ebenso folgerichtig erscheint, dass bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung der Bessarabiendeutschen die NS-Schwestern im Lager Galatz in ihren „Säuglingskoch- und Badeküchen“309 für die Betreuung der Kinder von der Geburt bis vier Jahren zuständig waren.
303 Die Berliner Dienststelle des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, war die Nahtstelle zwischen Politik und Verwaltung im Hitler-Staat. Zu den hier eingesetzten Funktionären gehörte auch ein „Sachbearbeiter für alle Fragen der Volksgesundheit Dr. Wagner“. In: Bundesarchiv, ParteiKanzlei, Bestandsbeschreibung, URL: www.archivportal.-d.de (Abruf 2.1.2020). – In der Literatur wird dieser oftmals gleichgesetzt mit dem Reichsärzteführer. Doch das „K.“ für seinen Vornamen in der Unterschrift im Schwesternausweis wäre dann erklärungsbedürftig. Vgl. NSSchwesternausweis, ausgestellt am 1.5.1935, Nachlass Dorothee Rakow. 304 Benzenhöfer 2000, NS-Kindereuthanasie, S. 7. 305 Wagner, Gesundheitsführung Richtlinien, in: Schulungsbrief 1938, Gesundheitspflege, S. 420– 427. Nachlass Dorothee Rakow. 306 Ebd., S. 427. 307 Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 293–299: am Beispiel der Kinderfachabteilung Wiesloch 1941. 308 ������������������������������������������������������������������������������������������� Fürstler/Malina 2004, Krankenpflege Österreich NS-Zeit, S. 300–321, in Kap. 6: „Ich war daher bereit, mitzuarbeiten“ (Nachkriegs-Strafverfahren gegen eine Krankenschwester der KinderHeilanstalt Am Spiegelgrund in Wien). – „Kam die Weisung [aus Berlin], daß das Kind zu behandeln ist, so hieß das, daß wir es töten sollten“, ebd., S. 309, Vernehmungsprotokoll im Strafverfahren 1946. Die Zugehörigkeit zu einem Schwesternverband wurde nicht erfragt. 309 Vgl. Q2/Tagebuch., S. C35 in dieser Schreibweise. Vgl. II.C.Spur 11.
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II.B.Spur 4 Vermittlung von NS-Schwestern in Konzentrationslager
Ausschnitt aus dem Lebensbericht von 1989, Blatt 30, zweite Version Nachlass Dorothee Rakow.
„Wir hatten ja von Vergasungen noch keine Ahnung u. wurde auch nichts davon gesagt. Wir wußten, es gab Konzentrationslager. Und eines Tages kam ein Vertreter des I. SS Mannes, Himmler, in unser Büro und wollte die Generaloberin unter vier Augen sprechen. Heraus kam dabei, daß wir eine Schwester zur Oberaufsicht in das KZ [Einfügung: Ravensbrück] geben mußten. Es war ein Zwang! Die Generaloberin entschied sich für eine sehr robuste nicht ganz junge Schwester. Doch sie kam nach einiger Zeit zur Generaloberin mit der sie lange, lange [Einfügung: u. 4 Augen] sprach. Die Schwester wurde wieder abgelöst. Wir haben nie erfahren, warum.“310
So erinnerte sich Dora P. fünfzig Jahre später. Bei der Abordnung von NS-Schwestern in Konzentrationslager hatte sie möglicherweise selbst eine entscheidende Rolle gespielt. Sie hatte nicht nur 1936 die NS-Schwesternkartei im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt selbst erstellt. Es gehörte auch zu ihren Aufgaben, der Generaloberin bei „Anforderungen aus den Gauen“ Vorschläge zu unterbreiten, da sie als Sachbearbeiterin die besonderen persönlichen Eignungen der NS-Schwestern kannte. Die Mutterhausstruktur der NS-Schwesternschaft ermöglichte es der Leitung, die NS-Schwestern beliebig zu versetzen.311 Die Generaloberin „entschied“ sich für eine „sehr robuste“ Schwester, jedoch waren von ihrer Sachbearbeiterin Rakow vermutlich zuvor mehrere Vorschläge unterbreitet worden. Es mag tatsächlich ein unangenehmer „Zwang“ gewesen sein, den „Anforderungen“ von NS-Schwestern für Konzentrationslager nachzukommen, doch schrieb sie in ihrem Rückblick dann doch zu wenig über den Zwiespalt und ließ ihre eigene Rolle bei der Verteilung der Schwesterneinsätze völlig aus. 310 ������������������������������������������������������������������������������������������� Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version (im Materialanhang Q1 ist nur Bl. 30/1. Version abgedruckt). 311 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 315.
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Auch die Darstellung: „Wir haben nie erfahren, warum“ die Schwester „wieder abgelöst“ wurde, erscheint unwahrscheinlich angesichts ihrer besonderen Vertrauensstellung zu Käthe Böttger. Immerhin lebte sie 1936 vorübergehend in der Privatwohnung der Generaloberin, die sie vermutlich von früher kannte und nach Berlin geholt hatte, „mauserte“ sich im Reichshauptamt schnell zu ihrer 2. Stellvertreterin und stand auch nach Austritt aus der NS-Schwesternschaft weiterhin im Briefwechsel mit ihr.312 Sicherlich hatte es unter den beiden Frauen auch Gespräche unter vier Augen gegeben. Oder gab es Gründe, Schwester Dorothee in dieser Sache lieber nicht ins Vertrauen zu ziehen? Leider ließ sie noch eine weitere Frage offen: Von welcher anderen Kollegin war die robuste NS-Schwester, die das persönliche „lange, lange“ Gespräch mit ihrer Generaloberin gesucht hatte, anschließend für die „Oberaufsicht“ im KZ Ravensbrück „abgelöst“ worden? Die Abordnung in ein Konzentrationslager war offenbar also doch kein Einzelfall. Mögliche Aufgabenfelder einer NS-Schwester im KZ waren wohl auch für Dora P. im Rückblick unaussprechlich. Inzwischen ist aus den Nachkriegsprozessen und aus der nachfolgenden Literatur bekannt, dass das medizinische Personal im KZ Ravensbrück mit Selektionen, medizinischen Experimenten und Tötungen mit Pulvern und Injektionen befasst war.313 Dem Einsatz von NS-Schwestern in Konzentrationslagern widmete Birgit Breiding in ihrer Untersuchung über „die Braunen Schwestern“ ein eigenes Kapitel, das „offene Fragen“ unbeantwortet lassen musste. Zeitzeugen hatten erwähnt, dass bei Selektionen neben den „SS-Aufseherinnen“ auch „Braune Schwestern“ die SS-Männern unterstützten, um Frauen „beiseite“ zu stellen.314 Breiding entgegnete solchen Quellen: „Und stellten sie beiseite – wofür?“315 Die „Geschichte der Pflege“ in den Konzentrationslagern könne heute offenbar nur noch aus Einzeluntersuchungen zusammengefügt werden, da zu diesem Thema – ebenso wie zur Beteiligung der NS-Schwestern an der „Euthanasie“ – keine Quellen von zentralen Stellen – wie der Reichsleitung der NS-Schwesternschaft oder der NSV – mehr vorhanden seien.316 Auch bei den bekannten, grausamen Beinoperationen an jungen, ge-
312 Briefe im Privatarchiv Renate J. – Der chronologisch früheste erhalten gebliebene Brief datiert vom 11.5.1937, kurz nach Schwester Dorothees Parteieintritt am 1.5.1937. Seitdem waren Käthe Böttger und Dorothee Rakow „Parteigenossinnen“. Im Brief vom 11.5.1937 tragen einige Personennamen das „Pg.“-Kürzel. 313 Vgl. Martin, Menschenversuche im Krankenrevier des KZ Ravensbrück; sowie Dies., Opfer medizinischer Experimente. In: Füllberg-Stolberg 1994, Frauen in KZ, S. 99–122; sowie Taake 1998, Angeklagt: SS-Frauen. 314 Zeitzeugenbericht von Hildegard S.: Ostern im KZ, ebd., S. 304. 315 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 303–314 das Kapitel: „‚Und stellten sie beiseite – wofür?‘ Zum Einsatz von NS.-Schwestern im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück“. 316 Ebd., S. 305 sowie Anm. 764.
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„Schwierige Aufgaben ...“
sunden Frauen,317 die von dem später dafür hingerichteten Professor Dr. Gebhardt aus dem nahe gelegenen SS-Lazarett Hohenlychen im KZ Ravensbrück als „Versuchskaninchen“ missbraucht wurden, assistierten „Braune Schwestern“.318 Tödliche Pulver und Injektionen wurden im KZ von Ärzten, Ärztinnen, Häftlingsschwestern, „Blauen“ und „Braunen Schwestern“ gegeben, und nach dem Krieg erhielten auch „Braune Schwestern“ für die Verbrechen in den KZ Todesstrafen.319 Später nahm Petra Betzien in ihrer Untersuchung über Krankenschwestern im Konzentrationslager Ravensbrück vor allem die NS-Schwesternschaft in den Fokus. „Das ist deshalb notwendig, weil diese Schwesternschaft ausdrücklich zur Betreuung der NSDAP- und SS-Gliederungen sowie der Umsetzung rassenhygienischer Ziele gegründet wurde. Schwestern der NS-Schwesternschaft waren die ersten, die Häftlinge in einem Konzentrationslager pflegen sollten.“320
Nur dieser „neue Schwesterntyp“321 war im nationalsozialistischen System für die ‚vertrauensvolle‘ Partnerschaft und Mittäterschaft mit der SS geeignet. Die bisher in der Forschungsliteratur verwendete allgemeine Bezeichnung „SS-Schwestern“322 für die Krankenschwestern, die in KZ mit der SS zusammenarbeiteten, ist – darauf hatte schon Breiding 1998 hingewiesen – nicht dabei hilfreich, die Beteiligung der NS-Schwesternschaft zu beweisen. Auch wenn weitere Belege vorliegen, dass Krankenschwestern tatsächlich vom „Führungshauptamt-SS“ bei der Generaloberin des „NS-Reichsbund Deutscher Schwestern e.V. (NSRDS)“ angefordert wurden,323 verschleierte der Begriff „SS-Schwestern“ deren genaue Verbandszugehörigkeit. Auch Dora P. gab in ihren Lebenserinnerungen 1989 die Verantwortung an die SS mit dem Satz weiter: „Eines Tages kam ein Vertreter des I. SS-Mannes, Himmler, in unser Büro und wollte die Generaloberin unter vier Augen sprechen.“ Heimlichkei317 Vgl. Poltawska 1993 [1964], Fürchte meine Träume (Autobiografie). – Wanda Poltawska war eine der jungen Polinnen im KZ Ravensbrück, die die Tortur überlebten und in den Nachkriegsprozessen angehört wurden. Sie gehörte während des Krieges dem Widerstand an, nach dem Krieg studierte sie Medizin. 318 Nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 311. 319 Ebd., S. 312f., 316f. – Zum Tode verurteilt wurde z.B. Oberschwester E. Marschall. Vgl. zu Marshalls Verteidigungsstrategie auch Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ, ab S. 523. Da Marshall erst 1943 nach Ravensbrück kam, kann es sich hierbei nicht um die „Schwester zur Oberaufsicht“ handeln, die bei Käthe Böttger angefordert wurde (Q1). Böttger und Rakow waren nur bis 1941/42 im Reichshauptamt für die Anforderungen zuständig gewesen, ab 1942 war die neu eingesetzte Generaloberin des NSRDS zuständig. 320 Betzien 2018, Krankenschwestern im KZ, S. 183f. 321 Ebd., Kapitel: Neuer Schwesterntyp – die NS-Schwesternschaft, S. 97–132. 322 Ausführlicher hier in der Einleitung im Kapitel 2: Forschungsstand, NS-Schwestern. 323 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 306, nach einer Quelle aus dem Bundesarchiv. – Die Quelle kann sich nicht auf Personal-Anforderungen der SS an den NSRDS beziehen, mit denen Rakow oder Böttger noch zu tun hatten, denn der NSRDS wurde erst 1942 gegründet. Sowohl Rakow als auch Böttger waren da nicht mehr in diesem Verband tätig.
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ten in intimen „unter vier Augen“-Gesprächen müssen anschließend nicht heimlich bleiben, auch sie sind eine Inszenierung von Exklusivität und Vertraulichkeit. Ein Netz von persönlichen Bindungen, geschaffen durch das Mordkomplott, eine Frage von Loyalität und Einbindung oder Verrat und Ausgrenzung in und aus einer heimlichen Elite. „Es war ein Zwang!“324 schrie Dora P. in ihrem Lebensbericht förmlich ihrer Tochter zu. Sie und wir sollen sie offensichtlich auch ohne weitere Bekanntgabe ihres Wissens verstehen, doch wir gehören nicht zum damaligen Komplott und sind als nachfolgende Generationen offensichtlich immer noch nicht für die wesentlichen Informationen unter „vier Augen“ würdig. Uns hätte sie aus der zeitlichen Distanz von fast fünfzig Jahren und auf dem Hintergrund der Erinnerungskultur der 1980er Jahre durchaus mehr Erläuterungen in den Lebenserinnerungen von 1989 zumuten können. Da Mord als Straftat nicht verjährt, ist die Vorsicht andererseits nachvollziehbar. Um unser Vertrauen heute zu gewinnen, fehlt Transparenz und eine nachvollziehbare Aufklärung. Auch Petra Betzien deutete Rakows Zitat „Es war ein Zwang!“ so, dass auch sie „diesem ‚Zwang‘ als mittelbare Mittäterin nicht entkommen konnte. Dass Rakow eine Schuld empfand, belegt sich schlicht durch die Rechtfertigung.“325
II.B.Spur 5 „Geflohenes Personal“ Besetzte Krankenhäuser in Polen 1939/40 Nach der Angliederung Österreichs als neuer „Gau Ostmark“ wurde noch im Jahr 1938 ein NS-Jungschwesternheim am Wilhelminenspital326 in Wien eingerichtet. Generaloberin Käthe Böttger und NSV-Amtsleiter Erich Hilgenfeldt aus dem Reichshauptamt in Berlin erschienen persönlich zur Einweihung.327 Hilgenfeldt hatte Schwester Dorothee gerade einen Monat vor dem Überfall auf Polen am 1. August 1939 zur NS-Oberin ernannt mit der „Erwartung [...], dass 324 Lebensbericht 1989, Bl. 30/2. Version. 325 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Betzien 2018, Krankenschwestern im KZ, S. 541. – Kapitel II.B.Spur 4 stellte ich vor Veröffentlichung bereits Petra Betzien für ihre Forschungsarbeit über die KZ-Krankenschwestern in Ravensbrück zur Verfügung. Die Rekrutierung von Oberschwestern für das KZ war derzeit noch unbekannt. Hierzu konnte der kurze Hinweis im Lebensbericht von Dora P. einen Anhaltspunkt geben (ergänzende Anmerkung 2019). 326 Außer dem Wilhelminenspital übernahm die NS-Schwesternschaft noch 13 andere österreichische Krankenhäuser. Weitere Krankenhäuser wurden dem Reichsbund der freien Schwestern und den DRK-Schwestern zugewiesen. In: Fürstler/Malina 2004, Krankenpflege Österreich NSZeit, S. 104. 327 Ausführlicher in Q5/Foto A2, Kommentar.
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NS-Jungschwesterheim „Wien, Wilhelminenspital, Baracken der Jungschwestern 5.9.40“ Q5/Foto A2
Sie auch weiterhin mit aller Einsatzbereitschaft für die Bestrebungen und Ziele der NS.-Schwesternschaft wirken.“328 Dies konnte sie bald unter Beweis stellen. Vielleicht war sie selbst unter den „rund 800 NS-Schwestern“, die als Begleittruppe der Wehrmacht schon im September 1939 „mit der NSV nach Polen“329 kamen, die Schäden der Zerstörungen miterlebten und bei der Verpflegung und seelischen Wiederaufrichtung der obdachlos gewordenen und hungernden Bevölkerung helfen sollten. Allerdings geschah dies nach den selektiven Regeln der Besatzer. Spätestens 1940 reiste Oberin Rakow zur Eröffnung eines Jungschwesternheims „im Osten“ und hielt in Vertretung der Generaloberin selbst die Rede zur „Feierstunde der Verpflichtung“. Das undatierte Redemanuskript kann von ihr selbst oder von einer der anderen Frauen im Büro der NS-Schwesternschaft verfasst worden sein.330 In den einleitenden Worten rekapituliert die Rede die Beteiligung der NS-Schwesternschaft am Überfall auf Polen: 100 NS-Gemeindeschwestern seien schon im Au328 Anschreiben zur Ernennungsurkunde von Hauptamtsleiter Hilgenfeldt, NSDAP-Reichsleitung, Hauptamt für Volkswohlfahrt, Maybachufer, 1.8.1939, Privatarchiv Renate J. 329 �������������������������������������������������������������������������������������������� Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, S. 15. – Vgl. ausführlicher in Kapitel II.A.2: Biografie 1939. 330 Redemanuskript zur Eröffnung eines Jungschwesternheims im Osten. 4 S. Typoskript mit Anstreichungen, o.A., o.T., o.J. [1940] o.O. Nachlass Dorothee Rakow, Privatarchiv Renate J.
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gust 1939 nach Danzig „abgestellt“ worden und erlebten hier am 1. September den deutschen Angriff auf die Westerplatte und die Folgen aktiv mit: „Sie betreuten die Flüchtlinge und versorgten ein SS-Lazarett. [...] In den ersten Septembertagen wurde dann eine weitere große Anzahl von Schwestern in anderen Reichsgebieten zur Betreuung der Zivilbevölkerung eingesetzt. Doch hier interessiert uns ganz besonders der Osten und seine Erfordernisse. In verschiedenen Ortschaften hatte das geflüchtete Krankenhauspersonal die verwundeten Soldaten und die Zivilkranken zurückgelassen, diese bedurften einer sachgemäßen Pflege und Versorgung.“331
Die NS-Schwesternschaft wurde „im neu erschlossenen Osten“ zur aktiven Besatzermacht, offenbar in Kooperation mit der SS. Als erstes wurde das Krankenhaus Thorn (Toruń) von der deutschen NS-Schwesternschaft „besetzt“, anschließend die Krankenhäuser in Posen und Bromberg (Bydgoszcz) und die in Ostoberschlesien, in der Region um Auschwitz, nämlich in Lublinitz (Lubliniec), Biala, Teschen-West und Kattowitz (Katowice). In Vorbereitung sei noch „die Besetzung“ des städtischen Krankenhauses Litzmannstadt gewesen, „dem ein SS-Verfügungslazarett angeschlossen ist“. Seit Kriegsbeginn seien etwa 400 NS-Krankenhausschwestern und etwa 200 NS-Gemeindeschwestern im besetzten Polen an der Arbeit, davon einige im Rahmen der „Heim ins Reich“-Umsiedlungsaktion der Wolhynien- und Baltendeutschen.332 Die NS-Schwestern im „Sondereinsatz [...] an der Seite des Beauftragten der NSV“ regulierten die menschlichen Schäden der Zerstörungen, halfen der kriegsgeschädigten Zivilbevölkerung, unterschieden dabei aber „Volksdeutsche“ und Polen: „Es gilt, in den Ortschaften zuerst die deutsche Bevölkerung zu erfassen, die erste Not durch Ausgabe von Lebensmitteln und Kleidern zu lindern. Besonders in den durch Brand und Beschießung zerstörten Ortschaften muss die Schwester mit all ihrer Erfindungsgabe Hilfsmaßnahmen treffen und unter Aufbietung aller seelischen Kräfte die Menschen in ihrer Not stützen und aufrichten.“333
Die Jungschwesternheime in den neuen Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland zogen weiteren Nachwuchs an NS-Schwestern heran, die in den jetzt deutsch besetzten Krankenhäusern und Gemeinden die politischen „Ziele unserer Organisation verwirklichen“ sollten. „Trotz Krieg und wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist es gelungen, ein weiteres Jungschwesternheim zu schaffen, das die Ziele unserer Organisation verwirklichen hilft, 331 Ebd., S. 2. 332 Ebd., S. 2. Zitate und Zahlen dieses Absatzes. – Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 264: Zahlen von eingesetzten NS-Schwestern in „Sondereinsätzen“ in Danzig, Ostpreußen, Wartheland, Bessarabien, Frankreich, Belgien aus einer Broschüre der NS-Schwesternschaft. 333 Ebd., S. 3.
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„Schwierige Aufgaben ...“ und danke ich im Namen unserer Generaloberin, Ihnen Gauamtsleiter, ganz besonders dafür. Es ist uns eine besondere Freude, ein weiteres Jungschwesternheim auf vorgeschobenen Posten erstehen zu sehen. Ist doch bei der Erziehung und Schulung in diesem Haus die Möglichkeit gegeben, einem weiteren Teil unseres Nachwuchses Leben und Wirken im Östlichen Grenzland unmittelbar vor Augen zu führen.“334
Die Etablierung einer NS-Schwestern-Organisation in Polen mit Jungschwesternheimen, die den Nachwuchs sicherten, geschah allerdings nicht „trotz Krieg“, sondern war in Wahrheit erst die Folge davon. Redemanuskript aus dem Nachlass von Dorothee Rakow, zur Eröffnung eines Jungschwesternheims im Osten
(vier Seiten o.D., o.O., o.T., o.A.,) Nachlass Dorothee Rakow
Die Propaganda-Rede von Schwester Dorothee übte unverhohlen und manipulativ Druck auf die jungen NS-Schwestern als „Fackelträgerinnen der neuen Zeit“ aus: „Lie. Schw. Wenn sie heute als Mitglieder in die NS-Schwesterngemeinschaft aufgenommen werden, so wissen sie, dass sie damit ein hohes Ziel erreicht haben. Sie sind Fackelträgerinnen der neuen Zeit. In dieser Bestimmung liegt ein großes Glück. Sie dürfen den Menschen den Glauben bringen an die Erstarkung unseres Vaterlandes. Sie arbeiten mit an der Erhaltung des Gesunden und stehen dabei als Kämpferin der Zeit am Krankenbett, um in der Pflege an Leib und Seele den Menschen für den Lebenskampf gesunden zu lassen. Dazu gehören starke seelische Kräfte, die sie aber nur schöpfen können aus der bedingungslosen Hingabe an Ihre Aufgabe und dem unerschütterlichen Glauben an die Idee, der zu dienen Sie bereit sind. [...]
334 Ebd., S. 1.
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Wir brauchen pflichtbewußte Menschen mit soldatischer Haltung, hart gegen sich selbst, die mit weitem Blick, eisernem Willen und höchster Entschlusskraft an der Gestaltung dessen arbeiten, was der Führer von uns verlangt.“335
Der alte Berufsethos der Fürsorge und Pflege hatte für diese neuen Krankenschwestern ausgedient. Auf dem Hintergrund des Krieges sollten sie „mit eisernem Willen und höchster Entschlusskraft“ in ihrem künftigen Dienst „hart gegen sich selbst“ sein, um alles zu tun, „was der Führer von uns verlangt“! Mit dieser Rede bereitete Dorothee Rakow die geistige Voraussetzung für die erwartete „soldatische Haltung“, mit der Krankenschwestern zu Kriegszwecken bis hin zum Patientenmord funktionalisiert werden konnten. – Die Antwort der Jungschwestern fiel entsprechend der Hingabe an höhere Ziele, die der „Führer“ von ihnen erwartete, pathetisch aus: „Ich bin bereit, alles, alles zu tun!“336 Eher wie eine Nebensächlichkeit erwähnte NS-Oberin Rakow in ihrer Rede „das geflüchtete [polnische] Krankenhauspersonal“. Hier scheint ein Stück Realität des Kriegsgeschehens „im Osten“ hinter der Fassade schöner Worte hervor. „Das Hospital der Verklärung“337 nannte der später als Science-Fiction-Autor berühmt gewordene Stanislaw Lem sein erstes Buch von 1948. Das fiktive Geschehen spielt auf dem realen Hintergrund der grausamen Ereignisse, die sich im September 1939 nach dem Überfall auf Polen in Krankenhäusern und Heil- und Pflegeanstalten abspielten. In den ersten vier Monaten zwischen September 1939 und Januar 1940, in dem die deutsche Verwaltung in den besetzten polnischen Gebieten noch nicht ganz fest installiert war und bevor bürokratische Methoden einsetzten, erschossen SS-Sondereinheiten zahlreiche Menschen direkt an den Massengräbern.338 In der sogenannten „Intelligenzaktion“ mordeten sie so Gymnasiasten und Geistliche, und sie fuhren ebenso Patienten von polnischen Heimen und Anstalten gruppenweise mit LKWs in nahe gelegene Wälder, um sie zu töten.339 Insbesondere die psychiatrischen Anstalten und Heime sollten geräumt und die Gebäude umfunktioniert 335 Ebd., S. 3. 336 ���������������������������������������������������������������������������������������� Ausführlicher zu NS-„Jungschwesternheimen“ in besetzten Gebieten In: Q5/Foto A2, Kommentar. Quelle des Zitates der Jungschwester ebd. 337 Lem 1975 [1948], Hospital der Verklärung. Die erste Fassung des Romans von 1948 wurde als Debüt-Roman von Lektoren „in unzähligen Beratungen in Verlagen“ so weit verändert, dass Stanislaw Lem erst 26 Jahre später als anerkannter Science-Fiction-Autor „unter jenen Überlagerungen die entschwundene Form“ noch einmal „herausschälte“ und es unter dem obigen Titel 1974 neu veröffentlichte, „denn es enthielt meine Erfahrungen aus der Zeit des Krieges und der Okkupation.“ Ebd. im Vorwort, S. 5f. Lem, geb. 1921 in Lemberg (Lviv, Lwòw), gehörte während des Krieges dem Widerstand an, nach dem Krieg studierte er Medizin. 338 Jaroszewski 1993, Zaglada; Rieß 1995, Anfänge der Vernichtung; Schenk 2000, Hitlers Mann. 339 Die großen Gedenkstätten in den Wäldern sind für deutsche Touristen schwer zu finden und werden auch in deutschen Reiseführern nicht erwähnt. Historiker auf Spurensuche reisen mit historischen Karten. Die größten Gedenkstätten befinden sich in den Wäldern von Piaśnica und von Spengawsken (Spengawsk). In Letzterem sind etwa 26 Massengräber, eines davon allein für
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werden.340 Teilweise wurde auch Personal dieser Anstalten verhaftet, erschossen oder in KZs transportiert. Es ist also kein Wunder, dass das polnische Krankenhaus-Personal flüchtete. Leider ist nicht genauer auszumachen, wann genau im Jahr 1939 oder 1940 und wie lange sich NS-Oberin Rakow als Delegierte des NSV-Reichshauptamts im besetzten Polen aufhielt. Im Januar 1940 berichtete eine deutsche Illustrierte in einem völlig harmlos wirkenden Fotobericht über die Übernahme des städtischen Krankenhauses in Posen durch die NS-Schwesternschaft.341 Auf den neun ausgewählten Fotos des NSV-Reichsbildarchivs sieht man junge NS-Schwestern, mit und ohne Broschen, im scheinbar normalen Krankenhaus-Arbeitsalltag. Höchstens die Bildunterschrift „Peinliche Sauberkeit und Ordnung herrschen jetzt in den Wäscheschränken“342 deutet noch auf die feindliche Übernahme hin. Doch das friedliche Bild von NS-Schwestern, die im Januar 1940 in einem Krankenhaus Kranke pflegten, war ein verharmlosendes Bild des wahren Kriegsgeschehens. NSOberin Dorothee Rakow machte in ihrer Rede den NS-Jungschwestern deutlich, dass sie in Wahrheit Kriegsteilnehmerinnen sind: „Aber eins zeichnet die NS-Schw. besonders aus: ihre Aufgabe als Trägerin der nat.soz. Weltanschauung. Als weiblicher Soldat des Führers [...] in [dem] Kampf um die Erhaltung des gesunden Lebens und den Freiheitskampf unseres deutschen Volkes.“343
In Dorothee Rakows Biografie gibt es kaum Dokumente über ihre Tätigkeit im besetzten Polen. Allerdings berichtete sie in ihren Lebenserinnerungen stolz, zum „Einkauf“ der Wäsche-Ausstattung für das Berliner NS-Schwesternheim nach Litzmannstadt oder Warschau gefahren worden zu sein. Dabei habe sie auch das „Gettho“ besichtigt.344 Ein Berliner NSV-Mitarbeiter beschrieb die Tätigkeiten der NSV-Dienststellen in Polen stolz und ausführlich 1940 in der NSDAP-Schriftenreihe 340
341
342 343 344
die erschossenen Patienten aus der nahe gelegenen Anstalt Konradstein (Cocborowo, Kocborowo). Studienreise mit Dietmar Schulze, Mai 2004. Im Gau Danzig-Westpreußen blieb während der deutschen Besatzung lediglich die „Gau-Heilund Pflegeanstalt Konradstein“ in Preuß. Stargard (Starogard Gdansk) weiterhin psychiatrische Anstalt mit „Kinderfachabteilung“ und TBC-Station. Andere polnische Anstalten und Heime wurden umfunktioniert. Vgl. Jaroszewski 1993, Zaglada; Rieß 1995, Anfänge der Vernichtung; Schenk 2000, Hitlers Mann in Danzig. „Aus der Arbeit der NS-Schwesternschaft und des Reichsbundes der freien Schwestern. Das städtische Krankenhaus in Posen wurde durch die NS.-Schwesternschaft und die Landesfrauenklinik durch den Reichsbund der freien Schwestern übernommen.“ Fotobericht o.A. (Fotos: NSVReichsbildarchiv). In: Ewiges Deutschland. Monatsschrift für den deutschen Volksgenossen, 5. Jg., Heft 1 (Januar 1940), S. 8f. – Auf dem Titelblatt Vermerk mit Bleistift: „Schw. Dorothee“, Nachlass Dorothee Rakow. Ebd., S. 9. Redemanuskript, S. 1, Nachlass Dorothee Rakow. Vgl. Kapitel II.A.2: Biografie, 1939.
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„Erlebter Krieg“:345 In Kooperation mit Wehrmacht, Gestapo und Polizei versorgte die NSV nach der Zerstörung der Infrastruktur die notleidende Bevölkerung Polens, um Lebensmittelkarten, Kleidung oder Wohnungen nach den nationalsozialistischen „Rasse“-Kriterien neu zuzuteilen. Dabei wurden „Volksdeutsche“ bevorzugt, Polen nur notdürftig versorgt, Juden generell ausgeschlossen. Diese Selektion war die grundlegende politische Arbeitsweise der NSV. Es ist nicht wahrscheinlich, dass dies der NS-Oberin unbekannt blieb. Kleidung und Wohnungen, die die NSV in Polen großzügig umverteilte, waren kriegerisches Beutegut der Wehrmacht, an dem sie sich einfach bedienen konnte. Es war keine Shopping-Tour im Ausland zu „volksdeutschen Webereien“, wie sie uns 1989 glauben machte. Über Briefe gelangten Informationen sogar ins Altreich, dass die Kleider aus den übervollen NSV-Lagern von ermordeten Juden stammten.346 Das kann einer NS-Oberin nicht verborgen geblieben sein, die 1939 und/oder 1940 im „erlebten Krieg“ selbst am Schauplatz dieses Geschehens in führender Position war und junge NS-Schwesternschülerinnen als „Soldaten“ im „Kampf um die Erhaltung des gesunden Lebens“ instruierte. So wie Schwester Dorothee zuvor die Gauvertrauensschwestern 1936 mit den neuen „Erbgesundheitsgesetzen“ vertraut gemacht hatte, kam ihr ab Kriegsbeginn mit dem Aufstieg in die Position einer NS-Oberin und als zweite Stellvertreterin der Generaloberin nun die Rolle der Rekrutiererin junger NS-Schwestern und verantwortlichen Lenkerin im Kriegsgeschehen zu. Bis 1941 verblieb sie in dieser Position als Führerin in Kriegseinsätzen.
„Flaggenhissung“. NS-Schwestern mit steif zum Hitler-Gruß erhobenen Armen, im Halbkreis aufgestellt um eine Hakenkreuzfahne, an der vermutlich ihre Ausbilderin Schwester Dorothee mit erhobenem Arm steht, während zwei NS-Schwestern die Fahne am Seil hochziehen. Im Hintergrund ein größerer Gebäudekomplex. Foto: Privatarchiv Nachlass Dorothee Rakow
345 Vgl. Hebenbrock 1940, Mit der NSV nach Polen, Heft 1 der NSDAP-Schriftenreihe „Erlebter Krieg“. 346 Lower 2014, Hitlers Helferinnen, S. 126.
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II.B.Spur 6: August 1941: Stopp der „T4“ und Ausstieg als „Ehrenmitglied“ Die NS-Generaloberin Käthe Böttger hatte ihrer engen Mitarbeiterin Dorothee Rakow am 28. August 1941 ein Dienstzeugnis ausgestellt. Personelle Umbesetzungen im Zuge der Neuordnung der Schwesternschaft waren bereits seit dem Sommer abzusehen. Tatsächlich wurden beide Generaloberinnen entlassen, als ab 1942 die „Braunen“ und „Blauen Schwestern“ zum NSRDS zusammengefasst wurden.347 Die vom Amtsleiter Hilgenfeldt ab April 1942 neu eingesetzte Generaloberin im vereinigten NSRDS, Oberin Moser, schrieb 1943 über neue Aufgaben der NSRDS-Schwestern: „Sie muss lebensgesetzlich handeln. [...] als Ausdruck biologischer Unsterblichkeit. Die nationalsozialistische Schwester bejaht daher im Gegensatz zu früheren Auffassungen, die gerade ihrem Beruf lange Zeit das Gepräge gaben, das Leben.“348
Es ist schwer auszumachen, was mit solchen mehrdeutigen Abstraktionen konkret gemeint war. Distanzierte man sich 1943 nun von einem Schwesternbild, das einmal mit dem Tod statt mit dem Leben verbunden war? Andere Deutungen sind ebenso möglich. Die Neuordnung des Schwesternwesens war nicht nur ein organisatorisches, sondern auch ein ideologisches Problem. Für die Reichsbundschwestern bedeutete es den Verlust ihrer „freien“ Schwesternschaft und für die NS-Schwestern den Verlust ihrer Elite-Stellung. Danach sollte es stärker um Pflichterfüllung als um „Berufung“ der Schwestern gehen. Als neue Instrumente wurden „Berufsordnungsausschüsse“ eingeführt, die entsprechende Verfahren gegen einzelne Schwestern einleiteten.349 Schon im Juni 1941 wurden die Gauamtsleiter instruiert, „Warnkarteien“ anzulegen: „Besonders bei der NSV“ sollte die „charakterliche und politische Zuverlässigkeit“ bei allen Mitarbeitern und auch bei Neueinstellungen geprüft werden.350 Vor diesem Hintergrund war Dorothee Rakows dringende Suche nach einem Ehemann vielleicht eine vorsorgliche Maßnahme, um einer fragwürdigen beruflichen Zukunft 347 Die bisherigen Generaloberinnen Böttger („Braune Schwestern“) und Rancke („Blaue Schwestern“) wurden entlassen. Ab 21.4.1942 wurde M. Moser Generaloberin des „NSRDS“. Bormann hatte die Neuordnung der Schwesternschaft bereits im Juli 1941 angeordnet. Nach Breiding 1998, Braune Schwestern, ab S. 177 im Kapitel: Der ‚NS-Reichsbund Deutscher Schwerstern e.V.‘ 1942–1945. 348 Vogtländer 1988, NSV, S. 135 und Dokument Nr. 199–203, S. 400–403. 349 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 179 350 Schreiben an alle Gauamtsleiter der NSDAP/Leiter des Amtes für Volkswohlfahrt 12.6.1941 (Quelle: Bundesarchiv), Abdruck in: Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, S. 125.
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zu entgehen. Gegenüber ihrer Tochter hatte sie später ihren damaligen Weggang aus dem Reichshauptamt so begründet: „Es wurde immer politischer“, ohne dies näher erklären zu können oder zu wollen: „Na, eben politischer!“ – In ihrem Lebensbericht beschrieb sie diese Entscheidungsphase, die sich direkt im Anschluss an den Bessarabieneinsatz abspielte: „Ich muß sagen, mir machte die ganze Arbeit in Berlin keine Freude mehr. Auch die ganze politische Entwicklung gab zu denken. Doch ich musste weitermachen, ich sah noch keinen Ausweg. Wie schon vor meiner Reise hatte ich die Verantwortung für die ganze Organisation. Eine Mitschwester, für die gesundheitliche Betreuung verantwortlich, sprach mit mir über die gespannten Verhältnisse, aber man musste vorsichtig sein. Die Generaloberin, wohl im Stillen mit ihrer Abberufung rechnend, gab uns allen ein Interimszeugnis – für alle Fälle. Aber an eine andere Arbeit unsererseits war überhaupt nicht zu denken [...]“351
Das Datum dieses Zeugnisses „für alle Fälle“, das den Dienstaustritt Schwester Dorothees und einiger weiterer enger Mitarbeiterinnen der Generaloberin Käthe Böttger vorwegnahm, nämlich der 28. August 1941, lässt sich allzu leicht in Verbindung bringen mit dem fast zeitgleichen offiziellen Stopp der zentral von Berlin aus organisierten staatlichen Krankenmord-„Aktion T4“ am 24. August 1941. Zusammenhänge der Umorganisation des Schwesternwesens zum NSRDS mit dem Stopp der „T4“-Organisation sind nicht bekannt, jedoch denkbar. Nach dieser Zäsur wurde das Töten in den Anstalten mit anderen Mitteln „dezentral“ und exzessiv fortgesetzt.352 Möglicherweise hofften dabei die nun in eigener Initiative Tätigen in den Krankenhäusern und Anstalten auf die baldige Legalisierung ihrer Morde an ahnungslosen Patienten, zumal der „Euthanasie“-Propaganda-Film Ich klage an genau in dieser Zeit dieses heikle Thema im Kino gesellschaftsfähig zu machen versuchte. Auch Dorothee Rakow hoffte, dass es „in Kürze“ soweit sei.353 In diesem Zeugnis bescheinigte Käthe Böttger ihrer engen Mitarbeiterin Dorothee Rakow jedenfalls auch die zukünftige Eignung für „verantwortungsvolle Vertrauensposten“: „Mir persönlich war Schwester Dorothee eine sehr gute und zuverlässige Mitarbeiterin in jeder Hinsicht. Ich bestätige Ihr deshalb gern, dass ich sie jederzeit für einen verantwortungsvollen Vertrauensposten geeignet halte. K. Böttger, Generaloberin der NS-Schwesternschaft.“354
351 Lebensbericht 1989, Bl. 36. Vgl. Zeugnis von Käthe Böttger für Pgn. Oberschwester Dorothea Rakow, 28.8.1941, Nachlass Dorothee Rakow. 352 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, ab S. 333 im Kapitel: Der sogenannte Euthanasie-Stopp am 24. August 1941. 353 Ausführlicher im folgenden Kapitel II.B.Spur 7. 354 Abschlusssatz im Zeugnis vom 28.8.1941, Nachlass Dorothee Rakow.
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Dora P. hatte das Zeugnis der Generaloberin erst nach 1986 herausgesucht und in einem Umschlag auf ihren Küchentisch in Battenberg gelegt.355 Ihre Tochter sollte es dort finden, während sie selbst im Krankenhaus lag. Offensichtlich wollte sie damit die Zweifel der Tochter zerstreuen nach dem Motto: „Lies dir das durch und dann weißt du, es war alles ganz normal. Ich war eine gute Mitarbeiterin und du kannst ganz beruhigt sein, was meine Vergangenheit im 3. Reich angeht.“356
Seite 2 des Zeugnisses für „Pgn. Oberschwester Dorothee Rakow“ vom 28. August 1941. Briefkopf auf der Vorderseite: „NSDAP-Reichsleitung – Hauptamt für Volkswohlfahrt – NS.-Schwesternschaft, Berlin W62, Kurfürstenstraße 110“ Nachlass Dorothee Rakow
Tatsächlich war die Generaloberin im Zeugnis voll des Lobes gegenüber ihrer zweiten Stellvertreterin. Trotzdem verstärkte gerade dieses Dokument die Zweifel der Tochter an der Unbedarftheit der Position ihrer Mutter im NS-Staat, denn die Tätigkeitsbeschreibungen im Zeugnis deckten sich nicht mit den Erzählungen von Dora P.: Demnach war ihr Arbeitsschwerpunkt im Reichshauptamt für Volkswohl355 Vgl. Kapitel II.A.1: Geschichte des Nachlasses. Gespräche mit der Tochter Renate J. 356 Renate J., Brief, 27.6.2007.
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fahrt die Schwesternkartei und die Bearbeitung von „Anforderungen“ von Schwestern gewesen, also Personalfragen. Doch im Zeugnis hieß es nun: „[...] Ihr oblagen im Besonderen alle Regelungen finanzieller Art [...]“, also nur unpersönliche, kaufmännische Dinge357, „[...] Schwester Dorothee war fernerhin meine zweite Vertreterin und hat in dieser Eigenschaft oft wochenlang selbständig alle verantwortlichen Geschäfte meiner Dienststelle wahrnehmen müssen.“ Ihre hohe Position lässt zudem auf ein enges Vertrauensverhältnis mit der Generaloberin und vergleichbare Machtbefugnisse schließen. Was Käthe Böttger u.a. im Zeugnis hervorhob und Dora P. dagegen weder in ihren Erzählungen noch in ihrem schriftlichen Lebensbericht erwähnte, war ihr „Aussendienst“: „Sie ist auch für mich im Aussendienst tätig gewesen und hat in meinem Auftrage unsere Arbeitsfelder in den Gauen besucht und dort die Arbeitsausrichtung gegeben.“ – Das einzige Dokument in ihrem Nachlass, das einen „Besuch der Arbeitsfelder in den Gauen“ belegt, ist das undatierte Redemanuskript zur Einweihung eines Jungschwesternheimes im Osten.358 Den Schwestern „die Arbeitsausrichtung“ im „Aussendienst“ zu geben, ist mehrdeutig; man könnte es verstehen als praktische Handlungsanleitungen, was konkret vor Ort zu tun ist. „Aufgrund Ihrer guten Arbeit, die Sie als NS.-Schwester innerhalb der NS.Schwesternschaft geleistet haben“, ernannte „Oberbefehlsleiter Pg. Hilgenfeldt“ NS-Oberin Dorothee noch einige Monate nach ihrem Austreten, zu ihrem 42. Geburtstag im Dezember, zum „Ehrenmitglied der NS-Schwesternschaft“.359 Käthe Böttger übersandte ihr rasch noch im Dezember eine Urkunde und Brosche nach Peine, und zwar „beides schon heute, da wahrscheinlich im nächsten Jahr Verleihungen von Ehrenbroschen nicht mehr vorgenommen werden.“360 Kurz danach, im Januar 1942, wurden die Anstalten in einem Rundschreiben der NSV darauf vorbereitet, dass sie in Kürze mit der Zurückziehung von Schwestern mit „mindestens durchschnittlicher Eignung“ für die „jetzt übertragenen kriegsbedingten Aufgaben“ zu rechnen haben.361 Und einen Tag nach dem Rundschreiben, am 20. Januar, fand die „Wannseekonferenz“ zur „Endlösung der Judenfrage“ statt. Jeder Berufswechsel war Krankenschwestern ab dem 6. Februar untersagt. Schließlich unterstand das Pflegepersonal in den Kriegsgebieten ab 1943 der Waffen-SS und der „Wehrmachtsdisziplinarstrafordnung“.362 Die Kolleginnen im Hauptamt für Volkswohlfahrt hatten schon 1941 Angst: 357 358 359 360 361
Ebd., S. 2. Vgl. II.B.Spur 5. Käthe Böttger, Brief, 20.12.1941, Nachlass Dorothee Rakow. Ebd., im beiliegenden persönlichen Schreiben, 19.12.1941, Nachlass Dorothee Rakow. Rundschreiben an die Leiter der Hauptämter für Volkswohlfahrt in den Gauleitungen der NSDAP, gez. Hilgenfeldt, Oberbefehlsleiter, 29.1.1942. Kopie aus dem Bundesarchiv, ohne Signatur, Privatarchiv Renate J. 362 Daten nach Steppe 2001 [1985], Krankenpflege im Nationalsozialismus, Zeittafel S. 28–30.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „‚Die stellen uns alle an die Wand.‘ [...] Aber warum? ‚Wegen unserer politischen Meinung.‘ Aber wer könnte so mit Euch umgehen? ‚Die Männer in unserer Dienststelle‘, war die knappe Antwort.“363
Mehr konnte Renate J. nicht über die Hintergründe aus ihrer Mutter herausbekommen. Ein letzter Ausweg aus dem – offensichtlich unaussprechlichen – Dilemma tat sich unter den NS-Oberinnen plötzlich auf: „Meine Kollegin kam auf den kuriosen Einfall, ‚wir müssen heiraten‘, dann müsste man uns gehen lassen. Schön und gut, ich hatte niemanden, sie auch nicht. Eines Tages kam sie mit dem Völkischen Beobachter – Heiratsanzeigen. Ich war nicht begeistert davon, obwohl Auswege, die ich gesucht hatte, daran scheiterten, daß man mich wohl zur Erholung schicken wollte, mich aber keinesfalls aus dem Dienstverhältnis entlassen würde. Und meine Kollegin gab nicht nach. Schließlich habe ich mehrere Zeitungen gesichtet und dann auch einen Brief abgeschickt.“364
Den kriegsbedingten Aufgaben – oder was auch immer – durch eine Verheiratung zu entgehen, was NS-Oberin Rakow im August 1941 durch die Beantwortung einer Heiratsanzeige im Völkischen Beobachter erstaunlich schnell schaffte, war bereits seit Mai des Jahres nicht mehr so leicht, denn „angesichts des Mangels an Krankenschwestern, Schwesternhelferinnen, Helferinnen, technischen Assistentinnen usw.“ konnten Anträge auf Entlassung „mit der blossen Tatsache der Verheiratung [...] unbedenklich abgelehnt werden“.365 Frau Rakow heiratete den Mann, dessen Kontaktanzeige sie im August 1941 beantwortet hatte und den sie nach einigen wohlformulierten Briefen im Oktober zum ersten Mal persönlich traf, nach schnellster Erledigung aller Formalien bereits im Februar 1942, Verlobung war bereits im November gewesen. Am 3. November 1941 beschloss sie, den Berliner Kolleginnen ihre Kündigung zu beichten: „Schwester Ruth, Leiterin für Presse, Propaganda und Feiergestaltung [...] meinte, [...] es wäre beinah eine Verlobungsfeier ohne Männer. [...] Die Leiterin für Gesundheit heiratet nämlich bereits in 4 Wochen, u. wir beide werden nun der Generaloberin Kenntnis geben. Wie sie das aufnehmen wird, wenn zwei von ihren 5 engsten Mitarbeiterinnen plötzlich ausfallen. [...] Ruth will unser erstes Kind, ‚das Kind der NS-Schwesternschaft‘ sehen.“366 363 Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 177. 364 Lebensbericht 1989, Bl. 36. 365 Rundschreiben des Reichsamtsleiters der „Hauptstelle Schwesternwesen“ im Hauptamt für Volkswohlfahrt an die Gauamtsleiter der NSDAP, Leiter der Ämter für Volkswohlfahrt, vom 12.5. 1941: „Betr. Entlassung von mobbeorderten Kräften zwecks Heirat“, Privatarchiv Renate J. 366 Dorothee Rakow an Otto P. 3.11.1941. In: Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 184. – Bei der genannten Propagandaleiterin der NS-Schwesternschaft „Schwester Ruth“ handelt es sich um
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Käthe Böttger und Edith Blawert waren nicht eingeweiht und stark betroffen: „Nun habe ich die Beichte hinter mir. Es war nicht leicht und hat mich stark erschüttert. Ich habe wohl in diesem Augenblick erstmalig gespürt, was ich der Generaloberin nicht nur in der Arbeit sondern auch als Mensch bedeute. Aber am meisten ist die Oberin (sie ist die erste Unterstützung und ich die zweite) betroffen, die sehr stark damit gerechnet hat, daß wir auch nach der Reorganisation weiter zusammen arbeiten.“367
Während all dieser Monate vor ihrem überraschenden Austritt, den sie bei einem Besuch in Berlin erledigte, war Schwester Dorothee vom Oberbefehlsleiter Hilgenfeldt für „vorerst ein halbes Jahr mit vollem Gehalt“ beurlaubt worden und weilte zu einer „Apfelkur“ im „Schwesternerholungsheim“ in Herrsching am Ammersee.368 Hier reiften die Ausstiegspläne.
NS-Oberinnen in Zivil im Schwesternerholungsheim in Herrsching am Ammersee, Herbst 1941. Zweite von rechts: Dorothee Rakow [Rückseite Stempel: Foto Schönberger, Herrsching a.A.] Foto: Nachlass Dorothee Rakow
Ruth Dühe. Die „Leiterin für Gesundheit“ ist vermutlich „Schwester Margarete, die im nächsten Monat heiratet“ (Brief an Otto P., 10.11.1941, ebd.). 367 Brief an Otto P., 3.11.1941, ebd. 368 Generaloberin Käthe Böttger an Dorothee Rakow, Brief, 24.10.1941, Privatarchiv Renate J.
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„Schwierige Aufgaben ...“
II.B.Spur 7 September 1941: Der Kinofilm Ich klage an und Schwester Dorothees Hoffnung auf Legalisierung der „Euthanasie“ Dorothee Rakow hatte einige Wochen vor der Umstrukturierung der NS-Schwesternschaft in den NSRDS auf eine Heiratsanzeige geantwortet, die ein Mann aus Peine am 29. Juli 1941 beim Völkischen Beobachter aufgegeben hatte.369 Bevor sie sich mit ihrem zukünftigen Ehemann zum ersten Mal im Oktober traf, schrieb sie ihm mehrseitige Briefe.370 In einem der ersten vom 14. September 1941 erwähnt sie unter der Aufzählung ihrer Hobbies, dass sie in Berlin gerne ins Kino gehe, vor allem, wenn ein Film „politisch wichtig“ sei, wie z.B. der Spielfilm Ich klage an. „Berlin Charlottenburg 9, den 14.9.41. Hölderlinstr. 11 III
Sehr geehrter Herr P [...]! Von einer Dienstreise zurück überraschte mich Ihr Brief. Soviel Übereinstimmungen zweier so entfernt und in ganz anderen Lebensverhältnissen lebenden Menschen ist beinahe unwahrscheinlich. Doch ein Brief zeigt ja noch nicht den ganzen Menschen. Da gibt es noch viel zu ergründen. [...] Ins Kino gehe ich meist nur, wenn ich mal zum Wochenend heimfahre. Es sei denn, ein Film ist politisch wichtig. So steht im Augenblick noch der Besuch des Films ‚Ich klage an‘ aus. [...] Doch ich will nicht zuviel Fragen. Nur noch eins! Ob sie mir wohl antworten werden?“371
Der in diesen Tagen des Briefwechsels „politisch wichtige“ Kinofilm war eine gleichzeitig „treffsichere und unaufdringliche“ Propaganda für die „Euthanasie“, wie es bereits im Oktober 1941 von kirchlichen Kritikern erkannt wurde.372 Der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Kinofilmes im September 1941 korrespondiert übrigens auf bemerkenswerte Art mit dem offiziellen Stopp der Krankenmordaktion „T4“ im August 1941.373 Schon 1935/36 waren drei Schulungsfilme zum Thema „Euthanasie“ produziert worden, von denen die Öffentlichkeit allerdings wenig 369 Schreiben der Anzeigenabteilung des Völkischen Beobachters, Zentralverlag der NSDAP, Zweigniederlassung Berlin, 30.7.1941 an Otto P., Privatarchiv Renate J. (Nachlass des Vaters). 370 Transkription des Briefes. In: Renate J. 2005, Familienbiografie, ab S. 179, im Kapitel: „Otto und Dorothea“. – Nur die Briefe von Dorothee Rakow an Otto P. sind ebd. abgedruckt, jedoch nicht die von Otto P. an Dorothee Rakow. 371 Brief-Fragment (zwei Seiten, Vorder- u. Rückseite, Fortsetzung fehlt), Privatarchiv Renate J. 372 Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 342 (Bischof Preysing, Berlin). 373 Ausführlich zum Film Ich klage an ebd. im Kapitel: Die Zeit bis zum Euthanasie-Stopp, ab S. 342. – Klee beschreibt hier, dass im Laufe des Krieges sogar eine Vergasung nach Drehbuchentwürfen gefilmt und auserwählten Kreisen vorgeführt wurde. Manche extrem körperlich missgestaltete Patienten wurden von der Tötungsaktion zurückgestellt, weil sie noch gefilmt werden sollten.
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Notiz nahm.374 Das Spielfilm-Drama Ich klage an war dagegen professioneller aufgezogen. In Sondervorstellungen saßen im September 1941 ganze Belegschaften von Anstalten, geladene Gäste wie Mediziner, Staatsanwälte, Gauleiter375 – und vermutlich auch die oberen NS-Schwestern aus dem Berliner Hauptamt der NSV. So konnte Schwester Dorothee in ihrem zweiten Brief an den immer noch unbekannten Herrn P. ihm nun einen umfassenden Bericht über diesen Film liefern. Andere Kinofilme, die sie in der Zwischenzeit auch angesehen hatte (Sieg im Westen, Der Gasmann, Robert Koch), wurden dagegen kurz abgehandelt und bildeten nur eine rhetorische Hinführung zu dem Film, auf den es ihr eigentlich ankam. Im Folgenden gebe ich lediglich den Teil des Briefes wieder, in dem Dorothee Rakow sich über den bekannten „Euthanasie“-Propagandafilm auslässt. In dem fünfseitigen Brief nimmt er ganze eineinhalb Seiten Raum ein: „z.Zt. Herrsching / Ammersee d. 5.X.41 NS-Schwesternheim
Sehr geehrter Herr P[...]! [...] ,Robert Koch‘ sah ich ein zweites Mal mit unseren begeisterungsfähigen Schülerinnen. Und in das Gebiet der Medizin greift auch der Film ‚Ich klage an‘. Er handelt von der Euthanasie u. Sterbehilfe, ein für den Laien gewagtes Kapitel. Die junge Frau eines Arztes erkrankt an Multipler Sklerose. Das ist eine neurologische Erkrankung, die meist um die Mitte des dritten Lebensjahrzehnts auftritt, schleichend einhergeht, u. ist der Mensch nach mehreren Schüben unweigerlich dem endgültigen Siechtum verfallen. Wir hatten Patienten, die nach dem ersten Schub 5 Jahre gesund erneut mit Lähmungserscheinungen befallen wurden. Zuletzt ein grauenhaftes Bild des Elends. Doch zurück zum Film. Der Ehemann, nachdem er vom Freund u. einem Prof. der Neurologie von der Diagnose überzeugt wird, sucht in langen bangen Nächten nach einem Gegenmittel, und seine Frau geht rapide den Weg des Siechtums. Ihr Leiden erkennend, bittet sie ihren Mann, ihr die ausreichende Dosis zu einem Ende zu geben. Sie will nicht, daß ihr Gatte sie sieht, gelähmt und verblödet, nur ein Häuflein Kreatur. Und als er eines Tages die Ohnmacht seiner Forschungen einerseits u. die Tücke der Krankheit andererseits erkennt, erlöst er die Frau mit einem letzten Labetrunk. Es folgen die gerichtlichen Verhandlungen, in denen er angeklagt wird, bis er zuletzt als großer Ankläger gegen das Gesetz auftritt, das den Menschen zwingt, Leiden zu ertragen, die nicht Gott gewollt sind, weil sie durch den Menschen mit seinen Mitteln verlängert werden. Es ist eine Handlung von so unglaublicher Größe. Unweigerlich wird jeder aufgerüttelt u. gezwungen, darüber nachzudenken. Ich will nicht weiter darauf eingehen, 374 So die Filme Sünden der Väter, Erbkrank und Abseits vom Wege. In: Wulff 1989, Kultur im Dritten Reich, Bd. 4: Theater und Film, S. 393. 375 Ebd. S. 393 (Bericht im „Filmkurier“, 22.9.1941); sowie Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 343.
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„Schwierige Aufgaben ...“ ich könnte Seiten anfüllen, um ebenfalls gegen dieses Gesetz Stellung zu nehmen. Ich bin im Augenblick nicht ganz sicher, ob es schon geändert ist, zu erwarten wäre sonst die Änderung der alten Gesetzesform in Kürze. [...] Nun Herr P[...], bestimmen Sie den Ort, an dem sich unser Schicksal nach der einen oder anderen Seite entscheiden soll und grüße ich Sie vielmals in dieser Erwartung Heil Hitler! Dorothee Rakow.“376
Nach ihrem ersten Zusammentreffen im Oktober – und während kurz entschlossen schon im November die Papiere für das Aufgebot, die Eheunbedenklichkeitsbescheinigung usw. gesammelt wurden – drängte Dorothee ihren zukünftigen Mann noch einmal: „Lieber Otto, hast Du noch die Gelegenheit nehmen können, dir den Film ‚Ich klage an‘ anzusehen?“377
„erlöst […] mit einem letzten Labetrunk“ Dorothee Rakows Beschreibung des „Euthanasie“-Propagandafilms Ich klage an
(Obere Seite 4 des Briefes von Schwester Dorothee aus dem NS-Schwesternheim in Herrsching am Ammersee vom 5.10.1941 an ihren zukünftigen Mann, Nachlass Dorothee Rakow)
376 Dorothee Rakow, Herrsching, an Otto P., Peine, Brief, 5.10.1941 (fünf handschriftliche Seiten), Privatarchiv Renate J. 377 Dorothee Rakow, [o.O.], an Otto P., Peine, Brief, 28.11.1941. Transkript in: Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 189.
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Die Filmbeschreibung im Brief belegt die positive und kritiklose Haltung von Schwester Dorothee zur sogenannten „Euthanasie“ eindeutig. Die Argumentation der Kirche, dass der Mensch sich nicht die Rolle Gottes als ‚Herr über Leben und Tod‘ anmaßen dürfe, drehte sie um: Lebensverlängernde Behandlungen seien „nicht Gott gewollt“, da sie von den Menschen kämen. Dies würde allerdings die gesamte Medizin in Frage stellen. Das Gesetz, über das sie „Seiten füllen“ könnte, um dagegen Stellung zu nehmen und dessen Aufhebung sie „in Kürze“ erhoffte, war die juristische Bewertung der „Euthanasie“ als Mord. Hitlers persönliche „Ermächtigung“, ein Blatt Papier, das er auf den Kriegsbeginn 1.9.1939 rückdatiert hatte und mit dem er in einem einzigen maschinenschriftlichen Satz „namentlich zu bestimmenden Ärzte“ befugte, „nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken unter kritischster Berücksichtigung ihres Krankheitszustandes“ den „Gnadentod“ zu „gewähren“, war juristisch immer noch fragwürdig. Gesetzesentwürfe mit Titeln wie „Gesetz über die Tötung Lebensunfähiger“ wurden immer wieder diskutiert und als Vorlagen abgefasst, aber letztlich niemals von Hitler unterschrieben.378 Die Tötungen mit Medikamenten-Überdosierungen, Giftspritzen, Elektroschocks, Hunger, die in der späteren Phase der „Euthanasie“-Morde hinter den Mauern von Krankenanstalten an ahnungslosen Patienten praktiziert wurden, wurden erst in den Nachkriegsprozessen offenbar, als auch über die Methoden gesprochen wurde. Verurteilt wegen „bestelltem Meuchelmord“, bekannten die Pfleger und Pflegerinnen sich vor Gericht meist als „nicht schuldig“, da sie unter Zwang und im Glauben gehandelt hätten, dass ihr Tun bereits legalisiert war: „Ich habe wirklich geglaubt, dass es ein Gesetz darüber aus Berlin gibt“,379 zumal die Anweisungen und Kommissionen aus Berlin kamen. Doch muss insbesondere für das an der praktischen Durchführung der Tötungen eingesetzte Pflegepersonal – und noch mehr für die Auftraggeber in den Berliner Zentralen – die bis zum Kriegsende ungeklärt gebliebene juristische Behandlung der Morde zunehmend dringlicher geworden sein. Für sie mag der Kinofilm Ich klage an bereits ein Schritt aus dem heimlichen Milieu der Gaskammern, Krankenzimmer und Wälder hinaus in die gesellschaftliche Öffentlichkeit auf dem Weg zur Legalisierung der „Euthanasie“, d.h. zur „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“, gewesen sein, wie auch Schwester Dorothee sie im Oktober 1941 „in Kürze“ erhoffte.
378 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Klee (Hg.) 2001 [1985], Dokumente, das Kapitel: Die rechtlichen Grundlagen der Tötungen, S. 85–91. 379 Fürstler/Malina 2004, Krankenpflege Österreich NS-Zeit, S. 279.
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II.C. SPURENSUCHE im Bessarabien-Nachlass in 19 Fragmenten II.C.Spur 1 Einberufung des Umsiedlungskommandos „Bereithalten zum Sondereinsatz“ Die Mitglieder des Umsiedlungskommandos wurden bei ihrer Einberufung offenbar nicht über ihren Einsatzort informiert. So berichtete der seit Kriegsbeginn notapprobierte Medizinstudent Helmut Ritter, dass er während seiner Assistenzzeit in einem Berliner Krankenhaus telefonisch von „jemand“ gefragt wurde, ob er an einer „Expedition“ teilnehmen möchte und hatte sich dabei Amerika oder Afrika vorgestellt.380 Seine dann folgende Einberufung durch die Volksdeutsche Mittelstelle in mehrere Umsiedlungskommandos im Osten brachte den jungen Mann in eine uk-Stellung.381 Auch NS-Schwestern aus dem ganzen Land wurden für die „Heim ins Reich“Aktion „abkommandiert“. Unter ihnen war NS-Oberin Schwester Dorothee, die „fieberhaft“ ihre Abberufung aus dem Reichshauptamt in Berlin erwartete, denn sie selbst war als Führerin der NS-Schwestern bei der Umsiedlung aus Bessarabien ausersehen. Als Verwalterin der Schwesternkartei hatte sie aber vermutlich die dafür geeigneten NS-Schwestern selbst ausgewählt. „250 NS-Schwestern werden zur Mitarbeit abkommandiert! Unsere Herzen schlagen höher. Teilnehmen dürfen an einem ganz großen Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung stärksten Ausmaßes. Fieberhaft wird der Abruf erwartet.“382
Die vorgesehenen NS-Gemeindeschwestern waren Ende Juli/Anfang August 1940 per Telefon oder Telegramm benachrichtigt worden und rätselten einen Monat lang über den Ort ihres kommenden „Sondereinsatzes“: „Ein Telegramm, in dem einem mitgeteilt wird, dass man 15 Passbilder einsenden soll, da man für einen Sondereinsatz vorgesehen ist, bekommt man ja nicht alle Tage [...] eine Aufregung für das ganze Dorf [...] am 30. Juli 1940. [...] Reisen ist für mich ein Zauberwort und da zu dieser Reise 15 Passbilder nötig waren, sagte ich mir, dass es wohl weit in die Welt gehen würde.“383
380 Vgl. Kapitel I.B. 381 Uk = unabkömmlich. Eine uk-Stellung schützte vor der Einberufung in den Kriegsdienst der Wehrmacht. 382 Q2/Tagebuch, S. C15. 383 Q7/Bericht 6, S. 1, von NS-Schwester Käthe Sch.
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„[...] wurde uns an einem Tage im August die Mitteilung gemacht ‚bereit halten zum Sondereinsatz‘, wie haben wir uns alle gefreut und es wurde hin und her geraten, wohin es gehen würde; dass es nach Bessarabien gehen sollte, erriet niemand.“384
Andere wiederum wussten schon, dass es auf den Balkan geht, aber auch sie traf das Kommando unvorbereitet: „Der Auftakt unserer Teilnahme an einem der grössten Ereignisse unserer Tage der Völkerwanderung des 20. Jahrhunderts begann mit einem Telefonanruf: ‚Für die Umsiedlung in Bessarabien werden NS.-Schwestern eingesetzt!‘ Erst sahen wir uns ungläubig an. Dann aber brach der Jubel los. [...] Was wussten wir schon vom Balkan? Dass der Balkan oft zum Brandherd der Politik wurde, dass es dort wichtige Oelquellen gibt und dass in vielen Siedlungen Deutsche wohnen. [...] Manchmal war es noch unfassbar, [...] warten und warten.“385
Am 2. September 1940386 war es soweit. Die NS-Schwestern kamen in Gruppen auf Bahnhöfen zusammen, am Bahnsteig verabschiedeten sich ihre Verwandten von ihnen, bevor sie zu einem Sondereinsatz mit unbekanntem Ziel abfuhren:
NS-Schwestern mit braunen Hauben und Ausrüstung für den Sondereinsatz Q5/FotoC3
384 Q7/Bericht 4, S. 1, von NS-Schwester Berti Schleu. 385 Q7/Bericht 5, S. 1 von NS-Schwester Hanna Kl., später Schiffsschwester zwischen Kilia und Semlin. 386 „Da endlich rückte der Tag heran, am 2. September sollten wir abfahren“, NS-Schwester Berti Sch. in Q7/Bericht 4, S. 1.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Wir standen auf dem Bahnhof. Wir waren ein wenig verlegen über das allgemeine Aufsehen, das wir in unserer neuen Ausrüstung erregten, aber im Innern doch recht stolz auf unsere weite Reise. Wie die Soldaten kamen wir uns vor. Schwer bepackt waren wir mit Rucksack und Koffer. Bis ins kleinste hinein war alles gleich.“387.
Einheitlich ausgerüstet mit Rucksäcken, Koffern und Mänteln und auch so gehorsam „wie die Soldaten“ rückten diese Frauen während des Krieges in fremde Länder aus, aufgeregt darüber, an einer von Deutschland gelenkten „Völkerwanderung“ teilzunehmen, aufgeladen als historisches Ereignis, dessen Sinn sie nicht in Frage stellten. „Soldatinnen des Führers“388 waren die NS-Schwestern nun nicht mehr nur im ideologischen Sinne. Da es sich nicht um ihr freiwilliges Engagement handelte, konnten sie allerdings ihre praktische Teilnahme am „Sondereinsatz“ nicht vermeiden. Die NS-Schwestern waren nur ein Teil des Umsiedlungs-„Kommandos“. Die Befehlsgeber jedoch, die sich überraschend per Telegramm und Telefon bei ihnen gemeldet hatten, haben sie in keinem einzigen ihrer späteren Berichte genauer benannt. Waren nicht nur das Ziel, sondern auch die Auftraggeber dieser Mission geheim? Noch während der Zugfahrt waren die von ihren Arbeitsstellen abberufenen NS-Gemeindeschwestern über das Ziel ihres „Sondereinsatzes“ im Unklaren: „Der Zug rollte mit uns ab in die unbekannte Ferne.“389
II.C.Spur 2 Sammelplatz Wien „Unbedingte Pflichterfüllung oder Verzicht an der Aufgabe“ „Vor der Erfüllung einer Aufgabe, der als Auftakt das Erleben einer großen Kameradschaft gegeben war“390, traf sich das gesamte Umsiedlungskommando zunächst beim „Sammelplatz“ Wien, das seit 1938 nicht mehr die Hauptstadt von Österreich war, sondern nun im „Gau Ostmark“ innerhalb des Großdeutschen Reiches lag. Die aus dem Reichshauptamt Berlin angereiste Oberschwester Dorothee Rakow hatte in den ersten Tagen in Wien „nur schlechte Eindrücke [...] verkommene Häuser [...] schlampige, ungepflegte Leute.“391 Vielleicht wusste sie, dass diese Stadt Adolf Hitler verhasst war: In Wien hatte er seine Jugend als verarmter Künstler verbracht.392 Vielleicht nicht zufällig war in Wien auch die Dienststelle von Adolf 387 Q7/Bericht 5, S. 1 von NS-Schwester Hanna Kl., Schiffsschwester zwischen Kilia und Semlin. 388 Ausdruck des NSV-Leiters Hilgenfeldt, nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 30. Derselbe Ausdruck findet sich im Redemanuskript von Dorothee Rakow (1940). Vgl. Kapitel II.B.Spur 5. 389 Q7/Bericht 4, S. 1, von NS-Schwester Berti Schleu. 390 Q2/Tagebuch, S. C19, rechte Seite oben. 391 Vgl. Q6/Brief 1, NS-Oberin Rakow, Wien, an Generaloberin Böttger, Berlin, 11.9.1940. 392 Ausführlich in Maser 1993 [1971], Hitler. Kapitel 3: Künstler und Architekt, S. 77–118.
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Deutsche Jugendherberge Augartenstraße, Wien Sammelplatz der NS-Schwestern vor der Umsiedlungsaktion Q5/Foto D1
Eichmann, von der aus er die Judendeportationen mit der Reichsbahn organisierte, denn für die Umsiedlungsaktion galt Wien als ein „Kraftzentrum“ mit „besonderen Aufgaben“ bei der „Neuordnung auf dem Balkan“.393 Vom 3. September 1940 bis zur Abreise waren die NS-Schwestern in der Deutschen Jugendherberge in Wien untergebracht: „Wir harren der Abreise in der Jugendherberge Augartenstr.“394 Währenddessen wurden die bürokratischen Voraussetzungen geschaffen: „Doch die Zeit muß noch mit den vielen Vorbereitungen gefüllt werden. Aus-, Durch- und Einreisegenehmigungen müssen eingeholt werden. Dafür auszufertigen sind Formulare und Unterschriften auch eine Dutzendzahl von Passbildern gehören dazu. Das bedeutet, daß unsere Länder an dieser Aufgabe beteiligt sind.“395
Unsere Länder? Unsere neuen, von Deutschland besetzten Länder? Offensichtlich rätselte Oberin Rakow zu diesem Zeitpunkt immer noch über den Einsatz.
393 Pampuch (Mitglied des Umsiedlungskommandos), Donaufahrt. In: Ders. 1941, Heimkehr, S. 79. – Das ganze Zitat ist nachzulesen im Kommentar zu Q5/Fotos A3f. 394 Q2/Tagebuch, S. C16. 395 Q2/Tagebuch, S. C15f.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Eignungstests Anfangs waren es 250 NS-Schwestern,396 die zum Sondereinsatz aus allen Gauen abkommandiert worden waren, doch nicht alle bestanden die „Eignungstests“ in Wien: „Die gesundheitliche Eignung der ‚Auserwählten‘ muß überprüft werden. Einer Chininbelastungsprobe397 und Typhusimpfungen muß sich jede unterziehen. Aber niemand empfindet diese Strapazen als Belastung, trotz hohen Fieberanstiegs wird gearbeitet, denn jeder will unbedingt geeignet sein.“398
Schließlich waren – nach den offenbar nicht unerheblichen Strapazen der Eignungstests – nur noch „etwa 150 Schwestern“399 übrig, und nur diese NS-Schwestern sollten nun endlich ihre zukünftige Aufgabe erfahren: „Zur besseren Versorgung und Abwicklung der Transporte sollten in Jugoslawien und Rumänien Schwestern von uns eingesetzt werden.“400 In Jugoslawien lagen die beiden Zwischenlager für die Bessarabiendeutschen entlang der Donau in Prahovo und in Semlin (Zemun) bei Belgrad, in Rumänien war das erste zentrale Auffanglager auf einem Flugplatzgelände in Galatz. „Wir auf der ‚Wien‘ waren 103 NS-Schwestern mit dem Ziel Galatz/Rumänien, während mit dem Schwesterschiff ‚Passau‘ 60 NS-Schwestern Ziel Belgrad und Prahovo fuhren.“401
Die aus dem Reichshauptamt abgerufene NS-Oberin erfuhr offenbar erst hier ihre leitende Rolle: „Mir wurde die Arbeit in Rumänien übertragen.“402 Schwester Dorothees Aufgabe war, die ausgewählten NS-Schwestern nach Bessarabien zu begleiten „und in ihre Arbeit einzusetzen“.403 In dieser Position nahm sie während der Umsiedlungsaktion an den „Führerbesprechungen“404 teil und bekam wie die anderen „Führer bezw. Führerinnen vom Dienst“ eine „Luxuskabine“405 auf dem „bis zum äußersten“ besetzten Donaudampfer, der am 13. September 1940 aus Wien abfuhr. 396 Zahlenangabe. In: Q2/Tagebuch, S. C15. 397 Chinin wurde vorbeugend gegen Malaria eingenommen, eine durch Mücken übertragene Fieber-Krankheit, die in den Sumpfgebieten des Donaudeltas und insbesondere in der Dobrudscha häufig vorkam. 398 Q2/Tagebuch, S. C16. 399 Zahlenangabe. In: Dora P. 1989, Lebenserinnerungen: Q/Lebensbericht, Bl. 30. 400 Dora P. 1989, Lebenserinnerungen: Q1/Lebensbericht, Bl. 30. 401 Q2/Tagebuch, S. C20. – Ein durchgestrichener Satz gibt ebd. einen Hinweis darauf, wo evtl. die restlichen NS-Schwestern verblieben: „Ein größerer Teil Kameradinnen wurde später für die Zugbegleitung eingesetzt.“ 402 Dora P. 1989, Lebenserinnerungen, Q1/Lebensbericht, Bl. 30. 403 Ebd., Bl. 31. 404 Z.B. gleich am ersten Abend nach der Verschiffung in Wien: „Die Führerbesprechungen fanden am 1. Abend erst zu später Nachtzeit ein Ende.“ In: Q2/Tagebuch, S. C20. 405 Q2/Tagebuch, S. C22.
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„Wir Schwestern waren nicht Alleinherrscherinnen des Schiffsraumes. Mit uns fuhren etwa 100 Männer des Umsiedlungskommandos, etwa 60 Männer der NSV, 60 DRK Helferinnen und 80 Frauen vom Hilfsdienst, weiter einige Hebammen, SDG’s406 u. Ärzte.“407
Der damalige Jungarzt Helmut Ritter erinnerte sich nicht, dass auf seinem Donauschiff auch Krankenschwestern gewesen waren.408 Die männlichen Sanitätsdienstgrade, „besonders ausgesuchte, bewährte Kräfte“, fuhren von Wien aus direkt nach Bessarabien „donauabwärts mit dem Schiff bis Reni. Von hier aus fuhr der größte Teil des Kommandos mit einem Sonderzug weiter, während der kleinere Teil [...] die restlichen 85 km mit Omnibussen und Personenkraftwagen befördert wurde.“409
Sonderausrüstung Erst nach dem Bestehen der gesundheitlichen Eignungstests hatten die NS-Schwestern eine „Sonderausrüstung in Empfang“ genommen410 Ihrer einheitlichen Ausrüstung, mit der sie gestartet waren, wurde in Wien also noch etwas Geheimnisvolles hinzugefügt, für das in den Rucksäcken noch Platz war. „Von unserer bevorstehenden Aufgabe und von unserer Sonderausrüstung“411 erzählten die NSSchwestern anschließend ihren Wiener „Kameradinnen“, NS-Jungschwestern, die nach dem Anschluss Österreichs am Wilhelminenspital in Wien bereits im zweiten Lehrgang ausgebildet wurden, bei einem Besuch in ihrem „Jungschwesternheim in der Jagdschlossgasse“.412 Die Neugier der NS-Jungschwestern auf die „Sonderausrüstung“ war so groß, dass sie die Einladung zum gemeinsamen Singen in der Jugendherberge dazu nutzten, „den Inhalt des Rucksackes, den jede Schwester außer dem mit Wäsche und Dienstkleidung gefüllten Koffer mitführte, richtig zu beschnüffeln“.413 Leider wurde diese „Sonderausrüstung“, um die so viel Aufhebens gemacht wurde, an keiner Stelle genauer beschrieben. Auch NS-Schwestern, die
406 407 408 409 410 411
SDG = Sanitätsdienstgrad. Q2/Tagebuch, S. C22. Gespräch in Bremen, Mai 2007, vgl. Kapitel I. Bericht eines SS-Sanitätsdienstgrades. In: Koschnick 1941, Umsiedlung, S. 23. Q2/Tagebuch, S. C16. Q2/Tagebuch, S. C17. Ebd.: „Wie leuchten da die Augen unserer Zuhörerinnen. Die Weite des Landes wird ihnen aufgetan. Es wird uns allen von neuem bewusst, daß es für unseren Führer keine Schwierigkeiten gibt. Wo sind da die Grenzpfähle der Nation? Unbegrenzt sind Aufgaben u. Werke. Selbst der Krieg ist kein Hemmnis.“ 412 Vgl. Q5/Foto A2 mit ausführlichem Kommentar zum Jungschwesternheim. 413 Q2/Tagebuch, S. C18.
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„Schwierige Aufgaben ...“
während der laufenden Umsiedlung zum Kommando nachrückten, wurden vorher in Wien für den Sondereinsatz erst „vorbereitet“.414 Geistige Vorbereitung durch die SS Ebenso wenig, wie uns die Sonderausrüstung beschrieben wird, wurde in den schriftlichen Zeugnissen jemals konkret ausgesprochen, worum es eigentlich bei der „geistigen Vorbereitung“ des Umsiedlungskommandos ging. Eine „besondere Haltung“ wurde erwartet.415 „Am Mittwoch voriger Woche kamen sämtliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Bessarabien-Aktion in einem Saal der Urania zusammen und wurden von der Gaufrauenschaftsleiterin! begrüßt. Frl. Jahn redete ebenfalls u. dann sprach Pg. Lorenz über die Organisation u. Aufgaben unserer Aktion.“416
Die Rede ihres Parteigenossen Werner Lorenz, dem Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, muss es in sich gehabt haben, denn „auch über die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten ließ er uns nicht im Unklaren.“417 Der SS-Obergruppenführer, den sie in allen Aufzeichnungen stets „Pg. Lorenz“ nennt, sprach zu ihnen als „NSV-Beauftragter“:
Links: SS-Oberführer Werner Lorenz, Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle Rechts: SS-Stabsführer Hoffmeyer, Hauptbevollmächtigter der Umsiedlungsaktion in Bessarabien Abb.: Scherenschnitt auf Landkarte (Ausschnitt) aus Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73
„Mit aller Offenheit ohne jede Beschönigung erzählte er von den bevorstehenden Strapazen [durchstrichen: u. dergleichen], gab noch einmal einen Gesamtriß von der Arbeit und forderte von jedem unbedingte Pflichterfüllung oder Verzicht an der Aufgabe.“418 414 Als eine NS-Schwester im Lager Galatz wegen Tuberkulose-Verdachts droht auszufallen, winkt Ersatz aus Wien über NS-Oberin Kluge. Sie hatte bereits „eine ihrer Büroschwestern für den Sondereinsatz [...] vorbereiten lassen.“ In: Q6/Brief 3, S. 5. 415 Vgl. Q2/Tagebuch, S. C18f.: „Aber auch an die geistige Vorbereitung unserer Arbeit konnte in größerem Rahmen gedacht werden. Wir hörten Vorträge über die Besonderheiten der deutschen Menschen im Südosten und wurden aufmerksam, daß von dem ‚Deutschländer‘, das heißt von uns, eine besondere Haltung erwartet würde.“ 416 Q6/Brief 1: NS-Oberin Dorothee Rakow, Wien, an Generaloberin Böttger, Berlin, 11.9.1940, S. 2. 417 Ebd. 418 ���������������������������������������������������������������������������������������� Q2/Tagebuch, S. C19: „Zum Schluß sprach zu uns der NSV Beauftragte Pg. Lorenz. Seine bewährte Führung hatte auch die vorangegangenen Umsiedlungen gesteuert, u. traf er bereits seine Vorbereitungen i. Jugoslawien u. Rumänien.“
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So wurde den NS-Schwestern von Anfang an klargemacht, dass sie in Bessarabien der SS mit „unbedingtem“ Gehorsam unterstanden und auch unangenehme Situationen durchzustehen hatten. Leider führte Dorothee Rakow weder im Tagebuch noch in ihrem Brief, den sie kurz nach der Rede ihres gemeinsamen ‚Pg.‘ an ihre vertraute Generaloberin nach Berlin abschickte, weiter aus, was der SS-Oberführer Werner Lorenz ihnen „mit aller Offenheit und ohne jede Beschönigung“ gesagt hatte. Die Generaloberin wird es offenbar schon geahnt oder gewusst haben.
„Pg. Lorenz“
Abb.: Scherenschnitt auf Landkarte (Ausschnitt) aus Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73
Rivalitäten mit den DRK-Schwestern Als NSV-Beauftragter hatte ‚Pg. Lorenz‘ den NS-Schwestern deren Aufgaben bei der Umsiedlung „klar“ genannt. Diese scheinen im Reichshauptamt der NSV in Berlin vordem noch nicht bekannt gewesen zu sein, denn NS-Oberin Rakow informierte ihre Generaloberin kurz vor der Abfahrt der Schiffe aus Wien noch brieflich darüber: „NS-Schwestern machen den Sanitätsdienst in den Revierstuben der Läger u. beim Schiffs- und Bahntransport, versorgen die Milchküchen und haben die Säuglingsbetreuung.“419
Doch dieser „klargestellte“ Zuständigkeitsbereich der NS-Schwestern führte sehr schnell zu Konflikten. Die ersten Rivalitäten und Kompetenzstreitigkeiten wegen Säuglingsernährung ergaben sich bereits bei der Ankunft des Schiffes „in Belgrad“, als NS-Oberin Rakow im dortigen Zwischenlager Semlin mit einer „Oberwachtführerin“ und zwei „Feldführerinnen“ des Roten Kreuzes aneinandergeriet.420 Deren Behauptung, „Pg. Lorenz liesse uns bitten, mit dem RK in guter Kameradschaft zu arbeiten“421, war für sie offensichtlich eine Provokation, von der sie ihrer Kollegin NS-Oberin Blawert im Reichshauptamt brieflich berichtete. Das Verhältnis von NS-Schwesternschaft, NS-Frauenschaft und DRK war seit der Machtüber419 Q6/Brief 1, Dorothee Rakow, Wien, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 11.9.1940, S. 2. 420 Namentlich genannt werden Frau Bader, RFF, und Frau Hardeland, RFF. In: Q6/Brief 3, NSOberin Dorothee Rakow, Galatz an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9.1940, S. 6. 421 Ebd., S. 6.
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nahme und Umbildung des ganzen Schwesternwesens von ständiger Konkurrenz belastet.422 Nun ging es um unklare Aufgaben im Umsiedlungseinsatz. Tatsächlich wurden in späteren Umsiedlungsberichten die NS-Schwestern – im Gegensatz zu den DRK-Schwestern – im Zusammenhang mit der Krankenbetreuung gar nicht mehr erwähnt.423 Am Ende desselben Briefes aus Galatz wird ein organisatorischer Konflikt vielsagend angedeutet, bei dem es um die praktische Arbeit der NS-Schwestern ging. Statt dass sie im Lager wie geplant oder erhofft die „Revierstuben“ übernahmen, wie es ‚Pg. Lorenz‘ in Wien in einer „Aussprache [...] klar fest“ gestellt hatte, sollten die NS-Schwestern nun „lediglich die Betreuung“ der Umsiedler und die RotkreuzSchwestern allein „alles pflegerische“ übernehmen. NS-Oberin Rakow hatte inzwischen auch entdeckt, dass es im Lager Galatz nur die zwei Rotkreuz-Lazarette mit angeschlossenen Ambulanzen „im Gelände“ gab, aber keine „Revierstuben“,424
NS-Schwestern und Rotkreuz-Schwestern. Verschiffung auf einem Donaudampfer der DDSG in Wien am 12. September 1940. Q5/Foto C6
422 Ausführlicher in Kapitel II.C.Spur 10. Vgl. Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NSDiktatur, S. 65–87. 423 ����������������������������������������������������������������������������������������� „In den Verschiffungshäfen und dem Auffanglager Galatz wurde dann die Betreuung der Kranken von den dort stationierten Ärzten, Sanitätsdienstgraden und DRK-Schwestern übernommen.“ Bericht eines SS-Sanitätsdienstgrades. In: Koschnick 1941, Umsiedlung, S. 23. 424 Q6/Brief 3, NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9.1940, S. 6.
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wie es ihr SS-Oberführer in Wien angekündigt hatte. Ihrer Kollegin im Berliner Hauptamt vertraute die NS-Oberin die schockierende Entdeckung an, „dass wir restlos in d e r Arbeit stecken, die a u c h die Gemeindeschwester nicht aus ihrem Plan hinwegdenken kann. Es war anfänglich ja wohl anders gedacht.“425
Warum diese kryptische Sprache? Zu den Pflichten der Gemeindeschwestern gehörte im Nationalsozialismus die Meldung der Kranken an Amtsärzte. Hatte Dorothee Rakow anfänglich erhofft, in Bessarabien endlich einmal wieder praktische krankenpflegerische Arbeit machen zu können? Und nun fand sie sich und ihre Kameradinnen doch wieder eingespannt in die politische Aufgabe? „Nur Betreuung“ der Umsiedler und meldepflichtige Krankheiten unter ihnen aufspüren? Empörte sie sich gar darüber, dass ihre NS-Schwestern funktionalisiert wurden als Melderinnen – oder Mörderinnen? Spricht aus ihrem Satz „Es war anfänglich ja wohl anders gedacht“426 eine Empörung über eine Art ‚Betrug‘ in der Rede ihres hohen männlichen Parteigenossen bei der Vorbereitung in Wien?
II.C.Spur 3 Nicht umgesiedelt: Juden „Ja, und diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt“ Die Ankunft in der rumänischen Stadt Galatz war ein Kulturschock für die NSSchwestern. Am 17. September fuhren NSKK-Wagen sie vom Hafen Galatz „durch die schmutzige, verjudete Stadt zum Lager“,427 berichtete später NS-Schwester Hildegard. Ihre Oberin notierte in ihrem Bessarabien-Tagebuch: „Wir Mitteleuropäer stellen an eine Hafenstadt mit 120 Tausend Einwohnern gewisse Ansprüche. Auf dieser ersten Fahrt bereits sind sie vollends gesunken: Der Hafenplatz nur zum Teil gepflastert, die Straßen eng, ungepflegt [...] auf den Stufen eines Ladeneinganges lag ein in Lumpen gehülltes schlafendes Etwas. Viele ungepflegte Hunde bildeten oft ein Verkehrshindernis in dem ohnehin schon von Willkür beseelten Fuhrwesen.“428
Einige Wochen später schrieb sie ihrer Kollegin NS-Oberin Blawert ins Reichshauptamt nach Berlin von der Kluft, die zwischen der deutschen Ordnung im Lager und der ausländischen Umgebung herrschte, vor der sie sich grauste: 425 426 427 428
Ebd., S. 5. Ebd. Q7/Bericht 7, S. 1 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh.). Q2/Tagebuch, S. C29f.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Solange man hier im Lager in der Arbeit steht, hat man gar nicht das Gefühl, dass man sich im Ausland befindet. Sobald man aber den Fuß nach draußen setzt und die Strassen, den Staub und Schmutz, die verkommenen Häuser und die schlampigen, dreckigen Gestalten sieht, dazu die fremden Laute hört, graust es einen.“429
„Galatz – Stadtbild“
Bildbeschriftung auf der Rückseite von Schwester Dorothee Q5/Foto G4
Gegenüber ihrer Generaloberin erwähnte Schwester Dorothee allerdings nichts von dem elenden Stadtbild, das sie im Tagebuch und gegenüber ihrer Berliner Kollegin Oberschwester Blawert so drastisch geschildert hatte. Auch die im Vergleich zu Deutschland mit Butter, Kaffee und anderen Lebensmitteln, die in Deutschland seit Kriegsbeginn rationiert waren, gut ausgestatteten rumänischen Geschäfte beschrieb sie nur später in ihren Lebenserinnerungen. Für ihre Vorgesetzte im Reichshauptamt der NSV, die als oberste Dienststelle der Volkswohlfahrt für Versorgungsfragen der Bevölkerung verantwortlich war, war diese Tatsache vielleicht zu heikel. Für den offiziellen Bericht nach Berlin produzierte sie nur einen begrenzten Bildausschnitt, der vorgaukelte, dass es den Menschen in Deutschland viel besser gehe. In netten Anekdoten ließ sie die Galatzer darüber staunen, dass „die deutschen Frauen“ Lederschuhe trugen, und sie naiv fragen, „ob in Deutschland alle Frauen so gekleidet gingen.“ Außerdem seien die NS-Schwestern „mit Blumen beschenkt“ worden, als „am Nachmittag des 17.9. [...] 3 Gruppen à 30 NS-Schwestern“ die Stadt besich429 Q6/Brief 3, NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9.1940, S. 1.
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tigten.430 In Wirklichkeit kämpften die NS-Schwestern innerlich mit den ungewohnten – und gleichzeitig altvertrauten – Anblicken. Es taten sich verdrängte Bilder auf, hier in Galatz wurden sie aufdringlich an die jüngste deutsche Politik der dreißiger Jahre erinnert: – „Bilder, die wir überhaupt nicht mehr kennen, tauchten hier vor uns auf. Verkrüppelte und Verstümmelte hockten an den Straßenecken.“431 (NS-Schwester Hanna) – „Grenzenloses Elend mit unvorstellbarem Schmutz. [...] Anblicke, die man sich bei uns überhaupt nicht mehr denken kann. Sehr auffallend waren auch die unheimlich vielen Juden mit ihren typischen Namen, wie man sie früher auch bei uns an den Geschäften sah.– – –“432 (NS-Schwester Freya) – „Über den meisten Geschäften prangten jüdische Namen, Zigeunerkinder bettelten.“433 (NS-Oberin Schwester Dorothee)
Zigeuner, „unheimlich“ viele Juden, Behinderte waren hier Bestandteile eines Stadtbildes, das es in Deutschland seit einigen Jahren nicht mehr gab. Da diese Menschen nach 1933 in Konzentrationslager, Arbeitslager, Gefängnisse, ins Ausland oder in die Gaskammern der Heil- und Pflegeanstalten abgeschoben, als „blutsfremd“ oder „minderwertige Ballastexistenzen“ rücksichtslos aus dem Sichtfeld entfernt worden waren, hielt dieser Anblick ihnen nun einen ‚Spiegel‘ vor. Wie sollte man hier im Ausland – als eine für die deutsche Umverteilungs- und Ausmerzungs-Politik beruflich stark mitverantwortliche NS-Gemeindeschwester – damit umgehen, jüdische Geschäfte vorzufinden? Es gab bei den Mitgliedern des deutschen Umsiedlungskommandos durchaus ein großes Bedürfnis, hier in Rumänien auf dem freien Markt einzukaufen. Seit Kriegsbeginn wurden in Deutschland bestimmte Waren begrenzt und selektiv über „Berechtigungsscheine“434 von Ämtern zugeteilt, Kaufläden waren zu Verteilerstationen geworden, wo rationierte Waren gegen Essens- und Kleidermarken abgegeben wurden – winzige Schnipsel, die von bedruckten Pappkarten abgeschnitten wurden. Da aber die aus der „Volksgemeinschaft“ Ausgegrenzten in diesem Steuerinstrument weniger oder gar keine Marken zugeteilt bekamen, fand ein eklatantes Elend hinter Lagermauern oder in Verstecken statt, während sich das deutsche Straßenbild als aufgeräumt präsentierte. Sicherlich war es ein unangenehm empfundener Widerspruch, dass hier im scheinbaren Elend Rumäniens eine bessere Versorgung möglich erschien. 430 Q6/Brief 2, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 27.9. 1940). 431 Q7Bericht 5, S. 3 (NS-Schwester Hanna Kl.). 432 Q7/Bericht 8, S.1 (NS-Schwester Freya Weng.), die von ihr gesetzten Gedankenstriche im Zitat drücken das Unaussprechliche aus. 433 Q2/Tagebuch, S. C30. 434 Kammer/Bartsch 1992, NS Begriffe, S. 105.
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Erstaunlich war, daß sämtliche Handwerksbetriebe von Juden geführt wurden. Auch in ihren Lebensmittelgeschäften kaufte man noch sehr gut. Mangelwaren, die es bei uns gar nicht mehr gab oder sehr verknappt waren, z.B. Butter, Kaffee und Tee.“435
Weil sie zuhause erst genügend Marken ihrer „Kleiderkarten“ hätten sammeln müssen, ließen sich viele Kommandomitglieder in Galatz Anzüge und Kleider bei jüdischen Schneidern nähen. Mit Listen von rumänischen Geschäften oder rumänischen Schneidereien versuchte man die deutschen Kommandomitglieder von den jüdischen Läden in Galatz fernzuhalten.436 Die Lagerwache machte wegen der „unerhörten Einkäufe in der Stadt“, die als „Hamsterei“ kriminalisiert wurden, sogar Stichproben.437 Natürlich konnte der Boykott hier im Ausland nicht so rigoros durchführt werden, wie es am 1. April 1933 in Deutschland mit dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte als erster von vielen folgenden allgemeinen Gewaltmaßnamen nach der Machtergreifung passiert war. – Auf diesen Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland hatte es in Rumänien übrigens derzeit eine kurze Gegenreaktion gegeben: den Boykott deutscher Geschäfte.438 NS-Oberin Rakow gehörte jedenfalls zu denen, die sich an den Boykott jüdischer Geschäfte während der Umsiedlung konsequent hielten. Obwohl es sie vor den fremden Lauten der ausländischen Sprachen ansonsten „grauste“, flüchtete sie trotzdem aus den Läden, sobald sie dort freundlich oder auch unfreundlich auf Deutsch begrüßt wurde, denn sofort vermutete sie dahinter einen emigrierten Juden: „Man muss aber, was Verkäufer angeht, unempfindlich sein. Beherrscht wird die Stadt von Juden. Man dreht daher am besten den Geschäften, in denen man gleich mit deutschen Worten empfangen wird, den Rücken.“439
Hinter dieser irrationalen Verachtung rumorte das schlechte Gewissen, wenn sie hier in Rumänien hinter jedem deutschsprechenden Verkäufer gleich einen aus Deutschland vertriebenen Juden vermutete.
435 Q1/Lebensbericht, Bl. 33. 436 ������������������������������������������������������������������������������������ Q6/Brief 3, S. 1 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940): „Jetzt haben wir ein Verzeichnis von nichtjüdischen rumänischen Geschäften erhalten, wo wir die nötigen Dinge einkaufen können. Auch hier kommen wir mit unserem Deutsch aus.“ – Vgl. Q4/Lagerbefehl 7 (Standortbefehl Nr. 1 vom 21.10.1940): Listen von nicht-jüdischen Schneidereien in Galatz. 437 Q4/Lagerbefehl 7, S. 1 (Standortbefehl Nr. 1 vom 21.10.1940): „Betr. Hamsterei“. Begründet wurde die Maßnahme so: „Dieser Umstand ist unerträglich, da dadurch eine Preissteigerung unausbleiblich bleibt.“ 438 Glass, 1996, Zerbrochene Nachbarschaft, S. 389. 439 Q6/Brief 3, S. 1 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9. 1940).
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„Galatz – der Jude“
Beschriftung auf der Rückseite von Schwester Dorothee Q5/Foto G8
In den Augen der NS-Schwestern waren die Juden in Rumänien generell – so wie in Deutschland und überall auf der Welt – nichts als „Ausbeuter“. So schrieben sie es ihnen keineswegs zugute, dass sie „volksdeutsche“ Frauen und Mütter anstellten, deren Männer für „winzigen Sold“ zum rumänischen Militär eingezogen waren, was die „volksdeutschen“ Familien sicherlich unterstützte. Stattdessen legten sie es übel aus: „Höchstens ein Jude gab ihnen noch Arbeit, um sie dementsprechend ausnutzen zu können.“440 Ähnlich verachtenswert fanden sie es, wenn Juden den Umsiedlern für ihr zwangsweise zurückgelassenes Eigentum wenigstens noch etwas Geld gaben: „Rumänen und Juden kaufen für ein Spottgeld die armselige Habe auf, die, da sie für das Reich keinen Wert darstellt, zurückgelassen werden muß.“441 Denselben feindlichen Wahrnehmungsfilter legte die deutsche wissenschaftliche Analyse auf das Gesundheitssystem in Bessarabien. „Professor Fischer beklagte, dass sich der ‚deutsche Kolonist an fremdstämmige Ärzte, vornehmlich Juden‘ wenden mußte“,442 da die deutschen Forscher schon 1937 nur 22 deutschstämmige Ärzte für 440 Q7/Bericht 7, S. 2 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh. über Juden in Galatz). 441 ��������������������������������������������������������������������������������������� Q7/Bericht 10, S. 1 (Bericht von NS-Oberin Irene Pantenius über die Südbukowina-Umsiedlung). 442 Zit. nach Hindemith 2005, Gesundheitszustand der Bessarabiendeutschen, S. 129.
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„Schwierige Aufgaben ...“
ganz Bessarabien zählen konnten. Es wurde nicht überliefert, ob die Bevölkerung mit jüdischen oder rumänischen Medizinern vielleicht gut versorgt und zufrieden war. Neben dem bekannten „volksdeutschen“ Krankenhaus und dem Pflegeheim „Alexanderasyl“ in Sarata werden sogenannte „fremdländische“, d.h. einheimische, Institutionen in Bessarabien, die auch „Volksdeutsche“ behandelten, nur selten erwähnt.443 Es ist der dämonisierende Filter, der die Verbrechen legitimierte.444 Erst in ihren späteren Lebenserinnerungen ging Dora P. moderater mit den Galatzer Juden um. Ihr damaliges „Grausen“ versachlichte sie vier Jahrzehnte später zum bloßen „Erstaunen“. Außerdem erklärte sie nun – endlich – mitfühlend: „Ja, und diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt.“445 Juden waren von der Umsiedlung nach Deutschland von vornherein ausgeschlossen. Umsiedlungswillige Juden wurden von der EWZ-Kommission nicht registriert, wenn sie zu mehr als einem Viertel nicht-arischer Abstammung waren. „Daß ihnen die Ablehnung wahrscheinlich das Leben rettete, ahnten sie nicht.“446 Eiserne Garde Aber auch in Rumänien war das Leben der Juden bereits in Gefahr. Eine NS-Schwester sympathisierte mit den Verfolgern und hetzte: „Auch hier versuchten sie ein Land auszubeuten und ihren Zielen gefügig zu machen. In Deutschland hat der Nationalsozialismus Schluss mit diesen Ausbeutern gemacht. In Rumänien versucht die Eiserne Garde ihr verseuchtes Land wieder freizumachen. Es ist eine schwere Aufgabe“447
Die faschistische Garda de Fier („Eiserne Garde“), eine mystische, antisemitische „Legion des Erzengel Michael“, die die jüdische Bevölkerung in Rumänien verfolgte, gehörte zu den geladenen Gästen des großen „Kameradschaftsabends“, den das Umsiedlungskommdo am Ende der Bessarabien-Aktion am 31. Oktober 1940 im Lager Galatz feierte.448 Anfang September hatte eine Revolte dieser Eisernen Garde 443 Norbert Sprenger (G 1906 in Kurudschika) berichtete mir von einem Krankenbesuch bei meinem Großvater aus Kurudschika, der im Krankenhaus in der Hauptstadt Kischinau gelegen habe, Gespräch in Verden 2006. – In Chisinau gab es auch eine Psychiatrische Anstalt, die die bessarabiendeutsche Autorin Käthe Stumpp in der Kurzgeschichte „Tanja“ erwähnte, die in Sarata spielt, aber das dortige „Alexanderasyl“ nicht erwähnt. 444 Vgl. Angrick 2018, Aktion 1005 Spurenbeseitigung. 445 Q1/Lebensbericht, Bl. 33. 446 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 72. 447 Q7/Bericht 5, S. 3 (Bericht von NS-Schwester Hanna Kl.). 448 Der Kameradschaftsabend fand am 31.10.1940 in der Halle Flandern „unter strenger Zensur“ mit ca. 1.000 Mitgliedern des Umsiedlungskommandos und geladenen Gästen statt: die „deutsche Volksgruppe, der deutsche Konsul und die Eiserne Garde“. Die NS-Schwestern beteiligten sich mit Vorführungen. In: Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 1.11.1940); sowie Q4/Lagerbefehle 12 u. 14.
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in Bukarest die Abfahrt des Umsiedlungskommandos aus Wien noch um ein paar Tage verzögert. Kurz vor der Abfahrt nach Rumänien hatte NS-Oberin Dorothee Rakow über die anschließende Machtübernahme des rumänischen Diktators Antonescu449 begeistert notiert: „Es weht ein anderer Wind!“450 Sein Erlass Curatirea Terenului (Säuberung des Landes) hatte die Ermordung vieler Juden zur Folge. Jene, die die Säuberungsaktionen überlebt hatten, wurden in Ghettos abgeschoben oder in primitive Lager verbannt, wo sie in Grashütten wohnten.451 Die gemeinsame Verfolgung der Juden Bessarabiens begann ein Jahr nach der „Heim ins Reich“-Umsiedlung der „Volksdeutschen“ im September 1941: „Zwei Monate lang deportierten Rumänen und Deutsche über 120.000 bessarabische Juden aus ihrer Heimat in Lager nach Transnistrien. Wer unterwegs zurückblieb, wurde erschossen.“452
Die „Orte großer Massaker“ an Juden 1941/42 in Rumänien lagen im nördlichen Teil Bessarabiens, der Bukowina und im östlich angrenzenden Transnistrien.453 270.000 rumänische Juden wurden während des Holocaust ermordet, „Der größte Teil von ihnen fiel 1941 den Einsatzgruppen und den nicht minder blutdürstigen rumänischen Soldaten zum Opfer. Die meisten wurden erschossen; andere kamen durch Ertrinken, Prügel oder andere Torturen ums Leben. Allein am 25. Juni 1941 wurden in Iasi454 etwa 15.000 Juden ermordet.“455
Das jüdische Mädchen Manche überlebten die Massaker in der Bukowina, indem sie sich versteckten, darunter waren auch Kinder.456 Als NS-Oberin Dorothee während ihres Einsatzes in der 449 Vgl. Hogan 2002, Holocaust-Chronik, S. 200 (mit Foto des Diktators): „Ion Antonescu, 1940– 1944 Staatsführer Rumäniens […] Nachdem er mit Unterstützung der Eisernen Garde, einer faschistischen Bewegung Rumäniens, an die Macht gekommen war, befahl er die Vertreibung der Juden aus den Dörfern und Kleinstädten und ihre Abschiebung in größere städtische Zentren. Er ließ jüdisches Eigentum beschlagnahmen und verstaatlichen. Antonescu wurde 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet.“ 450 Q2/Tagebuch, S. C16, rechte Seite. 451 Hogan 2002 [2000], Holocaust-Chronik, S. 264. Vgl. ebd. die Abbildung eines Durchgangslagers in Bessarabien mit Grashütten sowie ein Foto von brutal misshandelten jüdischen Frauen aus Bessarabien. 452 Ebd., S. 265. 453 Ebd., Schaubild, S. 265. 454 Iasi liegt westlich des Pruth, etwa auf der Höhe der bessarabischen Hauptstadt Kishinew. Kishinew selbst war im vormaligen Bessarabien der südlichste „Ort großer Massaker“ an Juden. Ansonsten ist noch südlicher Dalnyk bei Odessa verzeichnet, östlich des bessarabischen Grenzflusses Djnestr. In: Hogan 2002, Holocaust-Chronik, Schaubild S. 265. 455 Ebd., S. 265. 456 z.B. Aharon Appelfeld, der sich als 8-jähriger, „als die Deutschen kamen“, versteckte. Er emigrierte mit 14 Jahren nach Palästina und schrieb später autobiografische Bücher, u.a.: „Geschichte
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Bukowina im Auftrag des SS-Führers Siekmeyer auf der Suche nach einem angeblich pockenkranken Kind in Alt-Fratautz457 zusammen mit dem Arzt Dr. Maneke458 ein Haus durchsuchte, hatte sie dort im November 1940 eine besondere Begegnung mit einem jüdischen, deutsch sprechenden Mädchen, das sie „erstaunte“: „Wir traten in eine Wohnung und fanden leere, abgezogene Betten, also die andere Tür. Ein sehr freundliches Mädchen zeigte uns mit bedauernden Worten das kranke Kind. Auf die ärztlichen Fragen konnte die nur mit Bedauern antworten, nicht Bescheid zu wissen, da sie selbst ja aus einem Dorf flüchten mussten. Erstauntes Fragen unsererseits wurde dahin aufgeklärt: Gnädigster Herr, ich darf leider nicht umsiedeln. Ich bin doch eine Jüdin.“459
Vielleicht befanden sich beide Kinder, sowohl das jüdische wie auch das – nicht an Pocken, sondern lediglich an Windpocken – erkrankte, in einem Versteck? Wovor musste das jüdische Mädchen „aus einem Dorf flüchten“? War die Eiserne Garde bereits während der Umsiedlungsaktion aktiv? Oder die SS? Offene Fragen. – Schilderungen von Erlebnissen dieser Art, die eine Empathie für verfolgte Juden ausdrücken, findet man nicht in den Berichten und Briefen der NS-Schwestern und auch nicht in den späteren Lebenserinnerungen von Dora P. – Aber NS-Oberin Dorothee Rakow hatte dieses Erlebnis 1940 ihrem Tagebuch anvertraut, und zwar in Stenografie, die – damals wie heute – für andere kaum lesbar war. Auch in Zeitzeugenberichten zur Umsiedlung finden Juden-Verfolgungen und Massaker sehr selten Erwähnung. 2006 berichtete mir ein hundertjähriger Zeitzeuge, der um 1906 in Kurudschika/Bessarabien geboren wurde, seine Erinnerungen an die Juden in Bessarabien.460 Deutsche und Juden seien damals gut miteinander aus 457 458
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eines Lebens“ oder „Elternland“. Ein weiteres prominentes Beispiel ist Erich Goldhagen (Vater von Daniel J. Goldhagen, Verfasser von „Hitlers willige Vollstrecker“), der als jüdisches Kind aus der Bukowina im Ghetto überlebte und in den USA Historiker wurde. Vgl. Karte Q3/Einzelblatt Nr. 7: Alt-Fratautz lag nördlich von Radautz, fast an der russischen Grenze. 2007 konnten wir „Dr. Maneke“ oder „Dr. Mancke“ aus der Stenografie entziffern. Aus weiteren Dokumenten erschloss sich, dass er als DRK-Arzt im Lager Galatz und im Vorkommando Radautz/Bukowina eingesetzt war (Quelle: Briefkopien von Prof. Dr. Maneke, Privatarchiv Dr. Ritter 2007. Ritter war ab Januar 1945 bis Kriegsende Nachfolger Manekes als Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes in der Auslandabteilung der RÄK geworden). – Spätere Recherchen von Maria Fiebrandt erbrachten noch mehr über Dr. Martin Maneke (1909–1998). Vor der Umsiedlung war er wissenschaftlicher Assistent an der Berliner Universitäts-Kinderklinik der Charité. Von Januar 1940 bis Dezember 1944 war er Vertrauensarzt der VOMI und Ärztlicher Leiter des Referats 5 „Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager“ im „Umsiedler-Gesundheitsdienst“ der Auslandabteilung der Reichsärztekammer Berlin. In: Fiebrandt 2014, Auslese Siedlergesellschaft, S. 167, Anm. 206. Q2/Tagebuch, S. A2 (Übersetzung der Stenografie). – Ausführlicher im Kapitel II.C.Spur 16: im Mercedes unterwegs. Gespräch mit Herrn Sprenger auf dem „Bessarabiendeutschen Kirchentag“ in Verden 2006. Die Teilnehmer saßen an Tischen nach Herkunftsorten verteilt. Wir lernten uns am Tisch der Kuru-
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gekommen. Auf dem Markt im Nachbarort von Kurudschika verkauften Juden Waren, die die sonst autarken „volksdeutschen“ Bauern in Bessarabien nicht selber herstellen konnten, wie z.B. Zucker oder modische Schuhe. Kurz vor der Umsiedlung 1940 war er selbst in das Gemetzel eines Erschießungskommandos hineingeraten. Als die Pistole schon auf ihn angelegt war, hatte ihn jemand herausgezogen, weil er in letzter Sekunde noch als „Volksdeutscher“ erkannt worden war. Direkt neben ihm in der aufgestellten Reihe fielen jüdische Männer tot um.461 Juden in Konstanza / Dobrudscha In der Dobrudscha traf eine NS-Schwester, die vorher im Lager Galatz gearbeitet hatte und nun in der Dobrudscha die „Soldaten der SS“ nach Mangalia, 45 km südlich von Konstanza, begleitete, auf deutsche Juden, die schon einen längeren Fluchtweg hinter sich hatten. Sie waren nach ihrem Bericht zuerst von Deutschland nach Polen abgeschoben worden, dann nach Kriegsbeginn von Polen nach Rumänien geflüchtet und nun von Mangalia aus mit einem „Schiff mit 700 Juden über das Schwarze Meer“ Richtung Palästina abgefahren. „Die anderen Juden sammelten sich jetzt in Konstanza, von wo aus sie mit dem Schiff und einem Sonderzug in die Heimat gebracht werden sollten.“462 Im November 1940, also im selben Zeitraum, wurde eines der Flüchtlingsschiffe kurz vor Palästina unbeabsichtigt von der Haganah-Armee versenkt.463 Interessant ist noch der von NS-Schwester Käthe Schm. erwähnte „Sonderzug“ für die Juden, der in Konstanza bereitstand. Hatte er dasselbe Ziel wie die Schiffe, und war er auch von ihnen selbst gebucht? Dort in Konstanza, wo also gleichzeitig mit der Umsiedlungsaktion im November 1940 die Juden aus verschiedenen Ländern in der Dobrudscha sich sammelten oder gesammelt wurden und wo auch die „Mischehen“ der „Volksdeutschen“ ein besonderes Kapitel464 waren, verlor NS-Schwester Käthe die Freude an der ganzen Umsiedlungsaktion: „Uns reichts!“465
dschikaner kennen. Für mich völlig überraschend, hatte der damals 100-jährige Herr Sprenger noch meine Großeltern aus Kurudschika persönlich gekannt. Sie waren u.a. zusammen in der „Brüdergemeinde“. 461 Aus dem Lebensbericht von Norbert Sprenger: „Auf Adlers Flügeln getragen ...“. Unveröffentlichtes Manuskript, Verden o.J., Kopie im Brief 2006, Privatarchiv der Autorin. – Es wird in seinem Bericht nicht klar, ob es sich um ein deutsches oder ein rumänisches Erschießungskommando handelte. 462 Q7/Bericht 6, S. 4 (NS-Schwester Käthe Schm.). 463 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Die „Patria“ hatte 2.000 Juden an Bord, von denen 250 durch den versehentlichen Angriff starben. In: Hogan 2002, Holocaust-Chronik, S. 208. 464 Vgl. Kapitel II.C.Spur 4: Mischehen. 465 Q7/Bericht 6, S. 8. (NS-Schwester Käthe Schm.).
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II.C.Spur 4 Selten umgesiedelt: Mischehen „Sehr viele Ehen wurden in diesen Tagen geschieden“ In ihren Lebenserinnerungen erwähnte Dora P. die deutschsprachigen Rumänen, die nicht umgesiedelt wurden, weil sie Juden waren. Ein anderes Phänomen waren Rumänen, die „kein Wort deutsch“ sprachen, aber sich dennoch zur Umsiedlung meldeten, weil sie mit jemandem verheiratet waren, der oder die einen deutschen Stammbaum vorweisen konnte. Oberin Rakow erwähnte – eher nebenbei – einen solchen Fall, einen Rumänen der in der Küche des Lagers Galatz unter vielen anderen „volksdeutschen“ Helfern mitarbeitete „Am Abwaschtisch werden einige hundert Becher der letzten Mahlzeit gespült. Ein Rumäne, der mit einer Volksdeutschen verheiratet ist, kein Wort deutsch spricht, aber umgesiedelt werden möchte, schichtet gerade Holz zum Feuern auf.“466
Leider verfolgt sie dieses Schicksal nicht weiter. Wir erfahren nicht, ob dieser Rumäne tatsächlich mit seiner „volksdeutschen“ Frau gemeinsam umgesiedelt wurde. Ebensowenig erfahren wir, ob die bessarabiendeutsche Frau umgesiedelt wurde, obwohl sie eine sogenannte „Mischehe“ mit einem „Fremdstämmigen“ eingegangen war. Im Deutschen Reich konnte schon seit dem „Blutschutzgesetz“ von 1935 eine Ehe „nicht geschlossen werden, wenn aus ihr eine die Reinhaltung des deutschen Blutes gefährdende Nachkommenschaft zu erwarten ist.“467 – „Mischehen“ waren alle vor 1935 geschlossene Ehen, wenn sie z.B. zur Hälfte oder auch durch Großeltern zu einem Viertel „nicht-arisch“ waren. Seit dem „Ehegesundheitsgesetz“ aus demselben Jahr brauchten „arische“ Verlobte ein „Ehetauglichkeitszeugnis“, das ihnen ein Amtsarzt in einem Gesundheitsamt ausstellte. Bei einer negativen Entscheidung konnte ein „Eheverbot“ und auch die Anordnung einer Zwangssterilisation Folge der Begutachtung sein. „Unfruchtbarmachungen“, die auch Umsiedler nach ihrer Ankunft im Deutschen Reich betrafen, sind ein eigenes Thema,468 zu dem der Nachlass keine Hinweise gibt. Allerdings gab es im Umsiedlungsgebiet mehr Mischehen, als man es vermutet hatte und als es die Propaganda glauben machte. Schon kurz 466 Q2/Tagebuch, S. C44. 467 Abdruck des Gesetzestextes. In: Lorenz-Herzog 1941, Wenn du Mutter wirst, S. 95. 468 Vgl. Krischel 2014, Urologie und NS. – Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) stellte sich mit dieser Forschungsarbeit der eigenen Geschichte. Chirurgen, Gynäkologen und Urologen machten im Nationalsozialismus grausame Kastrationsexperimente, auch mit Röntgenstrahlen und Medikamenten, ohne Einwilligung der Betroffenen in den KZ. Dies war nach Krischel keine Indienstnahme der Mediziner durch den Nationalsozialismus, sondern die Urologen profitierten durch Karrieren und Lehrstühle. Der „Ressourcenaustausch“ zwischen Medizin und Politik war nach Krischel eine „makroökonomische Erpressung“, die zu einer gemeinsamen Autorität von Medizin und Politik führte.
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nach der Ankunft des deutschen Umsiedlungskommandos in Tarutino hatte Karl Stumpp in einem Brief an das Deutsche Auslandsinstitut seine Eindrücke am 27. September 1940 beschrieben: „Die Registrierung ist so gut wie beendet. [...] Man kann schon jetzt sagen, dass die Bessarabiendeutschen fast 100%ig aussiedeln. Nur ganz vereinzelte Fälle werden gemeldet, wo in einigen Dörfern und vor allem Städten Volksdeutsche zurückbleiben. Es handelt sich um Mischehen. Zu dieser Frage muß bemerkt werden, dass es doch mehr Mischehen gibt als wir bisher alle angenommen haben. Es sind jetzt 564 Fälle festgestellt worden.“469
„Fremdstämmige“ Rumänen, Ukrainer usw. hatten nach den deutsch-russischen Umsiedlungsverträgen eigentlich keine Umsiedlungsberechtigung und wurden auch dann abgelehnt, wenn sie eine deutsche Großmutter nachweisen konnten. Ein „Merkblatt über die Auswahl der Umsiedler“470 definierte für die Ortsbevollmächtigten, was noch als „deutschstämmig“ gelten konnte: Die Eltern durften zwar zur Hälfte einer anderen Volksgruppe angehören, allerdings musste diese „arisch“ sein. Entscheidend war zudem das persönliche Erscheinungsbild, die deutsche Haussprache und die Zugehörigkeit zu deutschen Organisationen. Dies nützte jedoch wiederum gar nichts, wenn der Stammbaum mehr als ein Viertel „nichtarische“ Abstammung aufwies.471 – Manchmal waren gefälschte Dokumente die Lösung.472 Mischehen verursachten bei der Registrierung – noch – keine Probleme. Eine Familientrennung bedeutete die Umsiedlung lediglich für die Eltern des fremdstämmigen Teils.473 Die Umsiedlung von gemischten Familien wurde als „Kann-Bestimmung“ aufgefasst, in der Regel sollten sie zwar umgesiedelt werden, jedoch ist „bereits bei der Bessarabien-Aktion darauf hingewiesen worden, dass in Zweifelsfällen möglichst negativ entschieden werden soll.“474 Der Rumäne in der Küche des Auffanglagers war wegen seiner bessarabiendeutschen Frau von der EWZ-Kommission seines Ortsbereiches zur Umsiedlung registriert worden, hatte aber vermutlich noch keine endgültige Sicherheit, so lässt es jedenfalls die Formulierung der Oberin vermuten. Bei der Bessarabien-Umsiedlung waren Mischehen in der Regel eher Einzelfälle, da die deutsche Volksgruppe dort seit Generationen hauptsächlich
469 Schreiben von Dr. Stumpp aus Tarutino an Dr. Csaki, Leiter des Deutschen Auslandsinstituts (DAI), am 27.9.1940. Bundesarchiv Berlin Lichterfelde, R57/1692. – Ich danke Dr. HansChristian Petersen für diesen Hinweis im April 2019. 470 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 72. 471 Ausführlicher ebd., S. 72 472 Ebd., S. 74, Anm. 23. Während der Bukowina-Umsiedlung war in Czernowitz (Cernăuţi, Tscherniwzi) eine „illegale Taufscheinzentrale“. 473 Ebd., S. 73 und Anm. 19. 474 Ebd., S. 98: Anordnung der EWZ.
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unter sich geheiratet hatte.475 Es gibt in den Dokumenten des Nachlasses auch keine weiteren Erwähnungen als diesen einen Satz. In den ab November 1940 direkt anschließenden Umsiedlungsaktionen aus der Dobrudscha und der Bukowina sah die Bevölkerungsvermischung wegen der anderen Geschichte und Siedlungsstruktur ganz anders aus. Entsprechend wurde das nun brisantere Thema Mischehe, wenn auch nicht oft, aber dennoch ausführlicher von den NS-Schwestern kommentiert. Mischehen in der Dobrudscha NS-Schwester Käthe beschrieb die folgenschweren Missverständnisse, die die neuen deutschen Begriffe bei den „Volksdeutschen“ in der Dobrudscha ausgelöst hatten. „Mischehe“ verstanden diese nicht bio-politisch nationalsozialistisch, sondern in ihrer konfessionellen Bedeutung: „Oberdorf war katholisch, Unterdorf evangelisch. Eine Ehe zwischen Ober- und Unterdorf war nie vorgekommen, erklärten mir die Bewohner von Oberdorf voll Stolz. Dafür hatten sie aber verhältnismäßig viele Ehen mit Rumänen, Bulgaren und Russen geschlossen. Sie wunderten sich sehr, dass wir ihr Tun, das der Pater doch immer so sehr gelobt hatte, garnicht gut nannten. Sie versicherten uns immer wieder, dass die Kinder aus den Ehen doch deutsch getauft worden sind. Unsere Meinung, dass Kinder nicht deutsch getauft, sondern deutsch geboren sein müssen, war ihnen ganz neu.“476
Vermutlich war dies die erste von vielen Lehren, durch die die Dobrudschadeutschen ihr Deutschlandbild revidieren mussten. Der von ihnen falsch verstandene Begriff „Blutauffrischung“ hatte kurz vor der Umsiedlungsaktion bei ihnen sogar noch zu hektischen Verheiratungen mit Fremdstämmigen geführt. „Gerade in der letzten Zeit hatten sich noch mehrere deutsche Burschen mit Rumäninnen verheiratet. Von irgendwo war hier das Gerücht aufgetaucht, wer eine Rumänin zur Frau hat, wird in Deutschland bevorzugt behandelt. Deutschland wünscht diese Ehen zur Blutauffrischung.“477
Nach Aufklärung der Missverständnisse durch die NS-Schwestern folgten hektische Scheidungen: „Sehr viele Ehen wurden in diesen Tagen geschieden.“478 Aber die Trennung von Ehen und Familien war in der Dobrudscha nicht nur freiwillig. Während in Bessarabien noch die Kommissionen der Einwandererzentralstelle
475 476 477 478
Ebd., S. 73. Q7/Bericht 6, S. 5f. (NS-Schwester Käthe Schm. über ihre Arbeit in der Dobrudscha). Ebd. Ebd.
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(EWZ) in einzelnen Ortsbereichen die Registrierungen vorgenommen hatten, übernahm nun die Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) die Auswahl der Umsiedler. Alle „Zweifelsfälle“ wurden von den Ortsbevollmächtigten, die gut mit der VoMi zusammenarbeiteten, persönlich entschieden. Mischehen bildeten bei diesen Zweifelsfällen ein „besonderes Kapitel, besonders für Konstanza. [...] Am Anfang wurde so entschieden, daß bei Mischehen ohne Kinder nur der deutschstämmige Teil mitgenommen wurde. Bei Ehen mit Kindern wurde die ganze Familie mitgenommen, wenn die Kinder deutsch erzogen waren. Sonst kam nur der deutschstämmige Ehegatte für die Umsiedlung in Frage. Durch eine Anordnung vom Gebietsstab wurde dann großzügiger verfahren, so daß ein großer Teil Fremdstämmiger mitgekommen ist, der zum Teil die deutsche Sprache überhaupt nicht beherrscht. Es gab auch Fälle, wo Männer ihre Frauen und Kinder nach langjähriger Ehe verlassen haben und nach Deutschland weggefahren sind, ohne daß sie sich von ihrer Familie verabschiedet haben.“479
Auch die Dobrudscha-Schwester machte unschöne Erfahrungen in der Stadt Konstanza: „Zum Schluss kam Konstanza selbst an die Reihe. Hier machte die Umsiedlung nicht sehr viel Freude. Wie überall in der Stadt, hatte sich auch hier das Deutschtum nicht rein erhalten. Sehr viele wurden gerade in Konstanza abgewiesen.“480
In Konstanza wurden auch Juden gesammelt, um in „Schiffen und Sonderzügen“ weitertransportiert zu werden.481 Die Umsiedlung riss in der Dobrudscha Ehen und Familien brutal auseinander. „Oft wurde das Rollen des Zuges von dem Abschiedsgeschrei der auf dem Bahnsteig Zurückbleibenden übertönt. Es war ein Schrei der Verzweiflung, der dem abfahrenden Zug folgte, während die Deutschen mit einem frohen Lied die Dörfer verliessen.“482
Familiendramen, die sich bei der Abfahrt der Züge in Konstanza abspielten, konfrontierten die NS-Schwester mit den problematischen Folgen der Selektionen nach den nationalsozialistischen Kriterien.
479 Abschlussbericht des Ortsbevollmächtigten von Konstanza. In: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 98. 480 Q7/Bericht 6, S. 7 (NS-Schwester Käthe Schm. über ihre Arbeit in der Dobrudscha). 481 Vgl. hier im Kapitel: Nicht umgesiedelt: Juden. 482 Bericht 6, S. 8 von NS-Schwester Käthe Schm.
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Mischehen in der Bukowina483 Auch in der Bukowina wurden in Mischehen lebende Paare wie in Bessarabien zunächst ohne Schwierigkeiten für die Umsiedlung registriert. Doch nach Ankunft der ersten Züge in Deutschland schickte die VoMi am 20. Oktober 1940 ein Telegramm: „Fremdstämmige nicht mehr aussiedeln.“484 Der Gebietsbevollmächtigte für das Buchenland, SS-Obersturmbannführer Müller, antwortete sofort: „Ehen können nicht getrennt werden [...] Sehe keine Änderungsmöglichkeit“.485 Im November, als Oberin Rakow zu ihrem Bukowina-Einsatz in Radautz angereist war, hatte sich die Situation offenbar bereits geändert. In Karlsberg (Gura Putnei) traf sie bereits beim ersten Transport eine „volksdeutsche“ Frau, die weinte. Ihre Ehe mit einem Rumänen hatte ihre Umsiedlung verhindert. „Die Schwestern der letzten Station arbeiten erstmal in Karlsberg,486 weil hier der Ort zuerst und vollständig geräumt wird. Nur eine deutsche Frau, die einen rumänischen Briefträger geheiratet hat, weint, dass sie nicht mit heim ins Reich kann.“487
Bei Dorothee Rakow ist es nur eine einzige weinende Frau, festgehalten in ihrem Tagebuch und versteckt in dem für andere unleserlichen Stenografie-Teil. Von anderen Teilnehmern der Umsiedlungsaktion wurden die Tränen der Zurückgebliebenen sogar in offiziellen Berichten viel dramatischer wiedergegeben, wie z.B. etwa zur selben Zeit aus der bessarabischen Hauptstadt Kishinew: „Tränen haben wir in dieser Zeit mehr als genug gesehen. Nicht selten mußten wir Ohnmächtige hinaustragen“.488 In den einzelnen Ortsbereichen des Gebietes Radautz blieben nur wenige „Volksdeutsche“ zurück, „meistens handelte es sich um Volksangehörige, die eine Mischehe eingegangen sind.“489
483 Inzwischen ist zu diesem Thema 2018 eine neue Arbeit erschienen. Vgl. Hausleitner 2018, Mischmasch Bukowina. 484 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 73. 485 Ebd. 486 Q3/Einzelblatt 7 (Karte vom November 1940): Karlsberg war der nordwestlichste Ortsbereich der Bukowina-Umsiedlung, Vgl. Q6/Brief 16: Bericht von NS-Schwester Cora Spr. über die NSV-Station in Karlsberg. 487 Q2/Tagebuch, S. A3 (Stenografie). 488 �������������������������������������������������������������������������������������� Abschlussbericht des Ortsbevollmächtigten von Kishinew vom 7.11.1940. Zit. nach Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 73. 489 Ebd., S. 106: „Insgesamt sind es im Gebiet Radautz 500 Personen, also nur 1,9 %“. Bericht des Gebietsbevollmächtigten von Radautz vom 30.12.1940.
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II.C.Spur 5 Wo sind sie geblieben? Pfleglinge aus bessarabischen Heimen „Biologisch ist die Bevölkerung gesund“ Im gesamten Nachlass der NS-Oberin gibt es an keiner einzigen Stelle in den Berichten, Briefen, im Tagebuch und den anderen Dokumenten einen Hinweis darauf, dass die NS-Schwestern in irgendeiner Weise mit Pfleglingen aus den bessarabiendeutschen Heimen und Pflegeanstalten in Berührung kamen. Auch wird die Organisation der Umsiedlung der „volksdeutschen“ Behinderten und Heiminsassen an keiner Stelle auch nur angedeutet. Die Behauptung „Biologisch ist die Bevölkerung gesund“490 der Propagandaleiterin der NS-Schwesternschaft klammert das Phänomen, dass z.B. die Säuglingssterblichkeit unter den „Volksdeutschen“ in Bessarabien recht hoch war und dass es auch unter ihnen durchaus „Kranke, Sieche und Schwachsinnige“ gab, auf dem Hintergrund ihrer Ideologie aus. Vermutlich schon vor der Umsiedlung wurde aber innerhalb der NS-Schwesternschaft eine historisch-politische Gesamtdarstellung über Bessarabien verfasst, die im Abschnitt „Schulverhältnisse“ kurz und unvermittelt auch bessarabiendeutsche Pflegeheime, Krankenhäuser und Ärzte aufzählt.491 Die Existenz von Pflegefällen war also bekannt und eine konkrete Aufstellung der Heime von Interesse. Pflegeheime in Bessarabien: „Es besteht eine Gustav-Adolf-Stiftung und ein Frauenverein; in Sarata besteht das Alexander Asyl, seit 1866 (Diakonissen-Haus für Kranke, Sieche und Schwachsinnige. Platz für 100 weibliche, 30 männliche Pfleglinge). Seit 1903 besteht das Asyl für alte Frauen in Elim und Sarata. 1932 das Altersheim in Tarutino. Versorgt werden die Heime von Schwestern des Diakonissenhauses.“492
Deutsche Krankenhäuser und Ärzte in Bessarabien: „Die Krankenhäuser sind staatlich. Früher bestand eine eigene Verwaltung.493 Der Kreis Cetatea Alba [Akkerman, Bilhorod-Dnistrowskyj] hat 9 Spitäler. Sarata und Tarutino haben deutsche Ärzte. B u r n a s [Lebedewka] ist ein rein deutscher Badeort. 490 Q7/Bericht 1, S. 11 (von „Dü/S.“. Vermutlich Ruth Dühe, Reichshauptamt Berlin, NS-Schwesternschaft, Abteilungsleiterin für Propaganda). Elfseitiges Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen. 491 Q7/Bericht 1. 492 Ebd., S. 9f. – Elim ist kein Ortsname, sondern das „Heim Elim“ befand sich in Sarata. 493 ��������������������������������������������������������������������������������������������� „Staatlich“ = rumänisch. „Früher eigene Verwaltung“ = früher in der Hand der deutschen Volksgruppe.
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„Schwierige Aufgaben ...“ 21 deutsche Ärzte, 4 Zahnärzte gibt es in ganz Bessarabien. Sie haben fast alle an reichsdeutschen Hochschulen studiert. Dr. Dobler ist der Leiter des Krankenhauses in Sarata. Es gibt 4 deutsche Hebammen und einen deutschen Feldscher. Ungeschulte Hebammen sind gleichzeitig Kurpfuscher.“494
Wie die Umsiedlung der Pflegeheime damals organisiert wurde, war auch den Zeitzeugen des Bessarabiendeutschen Vereins unbekannt geblieben. Die Familien der Pfleglinge wohnten nicht unbedingt an den Orten der Heime und waren mit ihrer eigenen Umsiedlung beschäftigt. Vermutlich vertrauten sie darauf, ihre behinderten oder alten Familienangehörigen in Deutschland nach der Umsiedlung irgendwo wieder aufzufinden, was nicht geschah. Leider konnte die Auswertung des Nachlasses der NS-Oberin zum Verbleib der Heiminsassen oder zum Schicksal von Behinderten keinen einzigen Hinweis liefern. Allerdings begegnete Schwester Dorothee im Lager Galatz – scheinbar eher zufällig – durchaus einem Kind, das ein schwerer Pflegefall war: „Es ist kaum zu beschreiben: im Alter von 9 Monaten, das Längenwachstum ungestört, der ganze Körper ohne Muskulatur, nur von einer zäh ledernen Haut umgeben, der Gesichtsausdruck ist der eines leidenden alternden Menschen. Und diese unruhig fragenden Augen eines Kindes kann man so leicht nicht vergessen.“495
Sie beschrieb diesen Vorfall in ihrem Bessarabien-Tagebuch in einem nachträglich in den Text eingefügten Absatz und in der Gegenwartsform, die sie sonst kaum benutzte. Wäre diese Krankheitsbeschreibung einer Muskeldystrophie496 in einem reichsdeutschen Pflegeheim zur selben Zeit nicht ein eindeutiger Fall für „Euthanasie“ gewesen? Vielleicht brachte sie dieses Kind anschließend in das „besondere Kinderkrankenhaus“ des Lager-Lazaretts, in dem die Oberwachtführerin des Roten Kreuzes, eine NS-Säuglingsschwester und die Ärzte eine „verantwortungsvolle Aufgabe“ und eine „ausgezeichnete Zusammenarbeit“ hatten?497 – Doch ist dies nur Spekulation, nur eine Spur, wo vielleicht der Lebensweg eines behinderten Kindes im Lager Galatz eventuell vorzeitig enden konnte. Unwahrscheinlich ist jedenfalls, dass die Mutter ihr Kind während der Umsiedlungsaktion weiterhin bei sich behalten konnte, nachdem die NS-Schwester dieses „meldepflichtige“ Kind zufällig in der Badeküche entdeckt hatte.498 Unbekannt bleibt auch, ob die Mutter es vor 494 Q7/Bericht 1, S. 10. 495 Q2/Tagebuch, S. C42, eingefügter Absatz, rechte Seite, Mitte. 496 Für die vermutete Diagnose danke ich Gertrud Knöttig, ehemalige Krankenschwester und 2007 Vorsitzende des Gedenkkreises Wehnen e.V. Gespräch im Juni 2007. 497 Q2/Tagebuch, S. C42. 498 Zur Bedeutung der „Säuglingskoch- und Badeküche“ bei der Selektion von Kindern vgl. Kapitel II.C.Spur 11. Dort wird dem obigen Zitat als wichtige Spur nochmals unter anderem Aspekt nachgegangen.
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der Umsiedlung bei sich zu Hause gepflegt hatte, oder ob sie es vorher aus einem bessarabischen Pflegeheim herausgenommen hatte, um es bei der Umsiedlung bei der Familie zu haben. Möglicherweise waren derartige Pflegefälle tatsächlich ein seltener Anblick im Lager, weil stärker hilfsbedürftige Umsiedler in der Regel in besonderen Transporten, z.B. mit, Sanitätskraftwagen, über die russisch-rumänische Grenze gebracht und dann in Lazarettzügen und Lazarettschiffen weitertransportiert wurden. Eine damals 13-jährige Zeitzeugin erinnerte sich, dass die Behinderten und Alten aus ihrem Heimatort Gnadenfeld aus Bessarabien „großartig mit einem Bus ins Reich“ abgeholt worden waren – und nie wieder auftauchten.499 Damit lieferte sie ein kleines aber wichtiges Detail. Denn im Nachlass von Schwester Dorothee kommen zwar Schiffe, Züge, Pferdetrecks, LKWs und Autos vor, aber an keiner Stelle ein „Bus“! Wurden die Insassen der bessarabiendeutschen Pflege- und Altersheime tatsächlich mit Bussen direkt „ins Reich“ gefahren?500 So wie es zur selben Zeit im Deutschen Reich auch Busse waren, die die Insassen von deutschen Heil- und Pflegeanstalten zu den sechs Vergasungsanstalten brachten? In der reichsdeutschen Bevölkerung trugen die berüchtigten grauen Busse der „T4“-Tarnorganisation „Gemeinnützige Krankentransport Gesellschaft“ (Gekrat) mit ihrem Anhängsel „-GmbH“ bereits den Namen „Gehste mit, biste Hin!“. Es gibt im Nachlass der Oberin eine winzige Spur – nur eine kurze stenografische Notiz auf einem Seitenblatt ihres Tagebuches –, die darauf hindeutet, dass auch die Heiminsassen aus Bessarabien im Lager Galatz ankamen. Sie schrieb die Notiz später im November 1940 in der Bukowina, wo sie sich über ein Problem Gedanken machte, von dem bei der Bessarabien-Umsiedlung offenbar Diakonissen mehr wussten als sie selbst: „Lola?:501 Umsiedler, die nach Galatz kamen und keine Umsiedlerkarte hatten, wie war da bei den Russen die Grenzkontrolle? Evtl. die Diakonissen fragen.“502
Im deutschen Umsiedlungskommando waren nur DRK- und NS-Krankenschwestern, aber keine Diakonissen. Diese waren jedoch die Betreuerinnen in den bessarabiendeutschen Pflegeheimen: „Versorgt werden die Heime von Schwestern des Dia-
499 Annette Sch. aus Hildesheim telefonisch 30.9.2007. Ihr Anruf in der Gedenkstätte „Alte Pathologie“ war eine Reaktion auf den ersten Artikel über das Forschungsprojekt im Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins (Heft 9/2007). 500 Ergänzende Anmerkung 2019: Antwort: Nein. Diese Spekulation erwies sich später als falsch. Doch auf dem Wissensstand der Forschung im Jahr 2007 war noch alles offen. 501 Unleserlich, evtl. Lola. Vgl. „Schiff Minerva mit Lola Krä.“, in: Q2/Tagebuch, S. A6. Dazu vgl. Leontine Krä. mit demselben Nachnamen und mit der (späteren?) Adresse „Leipzig-Elsässer-Str. 1–3 – Lager 153“, in: Q3/Einzelblatt Nr. 4. 502 Q2/Tagebuch, S. A5.
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konissenhauses.“503 Sie hatten ihre Pfleglinge nur bis zu einem bestimmten Punkt an der russischen Grenze begleitet und sie dort übergeben. Schwester Dorothee erwähnte eine solche Übergabe im Hafen von Kilia (Chilia, Kilija), es war der einzige Moment, an dem die NS-Schwestern kurz vom Schiff aus bessarabischen Boden betraten. Kryptische Hinweise, offene Fragen – Hatten die bessarabiendeutschen Diakonissen, die ihre Pfleglinge bis zur Übergabe an der russischen Grenze begleiteten, diese später im Lager Galatz noch einmal wiedergesehen oder sich später nach ihrem Schicksal erkundigt? – Waren diese Heiminsassen die erwähnten Umsiedler ohne Umsiedlerkarte? – Sind sie vielleicht „mit Schiff Minerva mit Lola Krä.“ erst nach dem Ende der Bessarabien-Umsiedlung am „6.11. abends aus Semlin weggefahren“504, währenddessen sich Schwester Dorothee schon in der Bukowina befand? – Wusste die leitende NS-Oberin Schwester Dorothee selbst nichts darüber? Schwieg sie sich als Geheimnisträgerin aus oder stellte sie sich auch selbst die naheliegenden Fragen? Eine merkwürdige, fast unleserlich stenografierte Notiz von ihr lautete: „[unleserlich] Kilian [unleserlich] oder ob das so gemacht worden ist – Frage am Kaßanpass.“505 Solche kryptischen Hinweise stellten zunächst nur offene Fragen in den Raum und wurden zu gefühlten ‚Spuren‘, nicht mehr – und nicht weniger. Bei der Suche nach Hinweisen auf die naheliegenden Fragen zum Schicksal sogenannten „lebensunwerten Lebens“ waren den Dokumenten der NS-Schwestern keine direkteren Aussagen zu entlocken. Doch dem 2007 noch unbekannten Schicksal der 130 Insassen des Pflegeheims „Alexander-Asyl“ in Sarata, des Heimes für Männer in Arzis, des Altersheims in Tarutino und der beiden „Asyle für alte Frauen“ in Elim und Sarata wurde inzwischen weiter nachgegangen und – mit anderen Methoden – tatsächlich auf die Spur gekommen.506
503 Vgl. oben das Zitat in: Q7/Berichte 1, S. 10. 504 Q2/Tagebuch, S. A6 (stenografiert). 505 Vgl. Q5/Fotos, Serie D und E, Kommentare. 506 ����������������������������������������������������������������������������������� Die nachfolgenden BKM-Module II („Zeitzeugenforum“ ab November 2007) und III („Verschwundene Umsiedler“ ab März 2008) waren zu diesem Zeitpunkt schon beantragt, aber noch nicht bewilligt. In den „offenen Fragen“ wird die Ergebnisoffenheit auf dem Stand von 2007 deutlich. Das BKM-Projekt wurde schließlich in vier Modulen bis Ende 2010 weitergeführt (unveröffentlicht). Wege und Ziele der Krankentransporte konnten weitgehend aufgeklärt werden, auch die Wege der Pfleglinge der Heime aus Bessarabien. Vgl. Fiebrandt 2014, Siedlerauslese.
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II.C.Spur 6 Vorkommando „Da gab es natürlich mehr zu tun“ In den Berichten von zwei NS-Schwestern finden sich ganz kurze Andeutungen, dass vor dem Eintreffen der ersten Umsiedler aus Bessarabien schon irgendetwas im Auffanglager passierte, ohne dass dies näher erklärt wird. Als am 17. September 1940 die ersten NS-Schwestern im Auffanglager Galatz ankamen, fanden sie dort bereits „vereinzelte Rückwanderer“ und „reges Leben“ vor.507 In dem folgenden Zeitraum zwischen der Ankunft der NS-Schwestern und dem Eintreffen der ersten Umsiedler aus Bessarabien hatten die NS-Schwestern etwas Besonderes „zu tun“: „Dann kamen die ersten Umsiedler aus den übrigen Teilen Rumäniens; da gab es natürlich mehr zu tun – – –.“ – Nach drei offenbar vielsagenden Gedankenstrichen drückte die Berichterstatterin noch drei distanzierende Leertasten, um dann erst nach dieser bedeutungsschwangeren Auslassung weiter fortzufahren: „– – – Und wenig später kamen dann die ersten Bessaraber.“508 Offenbar gab es eine Art Umsiedlung vor der Umsiedlung. Wann genau kamen die ersten „Bessaraber“ ins Lager Galatz? – Am 24.9.? Der erste LKW-Transport mit Umsiedlern aus Bessarabien wurde am Abend des 24. September509 vom Chef der Volksdeutschen Mittelstelle, Pg. Lorenz, auf der rumänischen Seite des Pruth begrüßt, also sieben Tage nach Ankunft der NSSchwestern. – Am 20.9.? Doch vor den gesunden Umsiedlern kamen kranke Umsiedler aus Bessarabien im Lager an: „Am 20. 9. begleitete ich die ersten 5 Kranken in das Lazarett Galatz. Es war der erste Bessarabientransport überhaupt, der über die Grenze ging.“510 Das war drei Tage nach Ankunft der NS-Schwestern. – Am 18.9.? Nachmittags nach der Ankunft im Hafen Galatz, dem 17.9., sah sich Oberin Rakow zusammen mit 14 NS-Schwestern das Lager an, damit „die hier notwendige Arbeit aufgenommen werden konnte. Schon am nächsten Tag trafen die ersten Umsiedler
507 Q7/Bericht 7, S. 1 (NS-Schwester Hildegard Uh.): „Am 17.9. legten wir in Galatz an. Das NSKK. fuhr uns durch die schmutzige, verjudete Stadt zum Lager, wo die Hakenkreuzflagge und die rumänische Nationalfahne wehte. Im Lager war schon reges Leben, obwohl erst vereinzelte Rückwanderer angekommen waren.“ 508 Q7/Bericht 8, S. 2 (NS-Schwester Freya We.). Die Lücken nach „mehr zu tun“ wie im Original. 509 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 83. 510 Gebietsarzt Ritter, „10-Tagemeldung“ nach Berlin, 27.9.1940, Privatarchiv Dr. Ritter. Vgl. Kapitel I.
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ein.“511 Ob diese aus Bessarabien eintrafen oder aus anderen rumänischen Landesteilen, war damit nicht gesagt. Die oben erwähnten „Umsiedler aus den übrigen Teilen Rumäniens“, bei denen es „mehr zu tun“ gab, müssen demnach in den sieben Tagen zwischen dem 17. und 24. September bzw. in den drei Tagen zwischen dem 17. und 20. September abgefertigt worden sein, je nachdem ob mit den ersten Ankömmlingen die gesunden oder kranken Umsiedler gemeint waren. Doch was hatte es mit der Vor-Umsiedlung aus anderen Teilen Rumäniens im Lager Galatz auf sich? Bei der anschließenden Bukowina-Umsiedlung war Oberin Rakow zu einem „Vorkommando“512 abgereist. Gab es so etwas auch bei der Bessarabien-Umsiedlung? Wilde Umsiedler Bei der Umsiedlungsaktion aus der Dobrudscha im November 1940 bezeichnete eine NS-Schwester eine Gruppe von Umsiedlern aus dem Banat als „wilde Umsiedler“.513 Eine Umsiedlung von „Volksdeutschen“ aus den westlicheren rumänischen Landesteilen Banat und Siebenbürgen (Transilvania, Ardeal) war im Umsiedlungsvertrag nicht vorgesehen. Es könnte sich um Verwandte von Bessarabiendeutschen handeln, die in anderen Landesteilen Rumäniens lebten, doch wurden diese eigentlich erst später in der „Verwandten-Nachumsiedlung“ erfasst und von Mai bis Juni 1941 umgesiedelt.514 Eine Art ‚Vorumsiedlung‘ bzw. eine Auswanderung von 300 bis 400 völlig verarmten Familien aus der Dobrudscha gab es bereits seit Anfang 1939 bis Sommer 1940, bevor die große Umsiedlungsaktion einsetzte. Gleichzeitig waren nach einer großen Missernte die ärmsten Angehörigen der deutschen Volksgruppe „für einige Jahre in das Banat“ gegangen.515 Und etwa 5.000 verarmte Personen aus Bessarabien wurden schon Anfang 1939 wegen Arbeitskräftemangel als „Rückleitung deutscher Arbeits- und Lebenskraft“ ins Deutsche Reich geholt.516 Einer der angedachten Pläne vor der Umsiedlungsaktion ins Deutsche Reich war es, die Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudschadeutschen in den Landesteil Sieben-
511 Q6/Brief 2, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 27.9. 1940). 512 Q3/Einzelblatt 1: „Vorkommando“ als Notiz unter dem Datum „3.XI.“; Q2/Tagebuch, S. A1; vgl. Kapitel II.C.Spur 16, Südbukowina Vorkommando. 513 Vgl. Kapitel II.C.Spur 15, Dobrudscha, wilde Umsiedler. 514 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 111f. 515 Ebd., S. 27. 516 Ebd., S. 28f.
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bürgen zu evakuieren, wo sie einen „Karpatenwall“ als deutsches „Bollwerk gegen die östliche Welt“ bilden sollten.517 Daraus ergeben sich verschiedene Möglichkeiten: Wurden in den ersten Tagen des Lagerbetriebes die „ärmsten“ Bessarabiendeutschen abgefertigt, die 1938 in das Banat geschickt worden waren? Waren dies die Pioniere des „Karpatenwalls“ aus Siebenbürgen, die in Galatz vorabgefertigt wurden? Waren es „volksdeutsche“ Flüchtlinge, die nach der russischen Besetzung Bessarabiens im Juni 1940 aus Angst vor Verhaftungen und Enteignungen aus Bessarabien in Richtung Westen geflohen waren?518 In den Dokumenten ist außer den wenigen Andeutungen und bedeutungsvollen Leer-Tasten nichts näher erläutert. Auch in ihrem Tagebuch schrieb NS-Oberin Dorothee Rakow nichts von einem Geschehen, das der Umsiedlung bei ihrer Ankunft im Lager vorausging, sie selbst war anfangs mit der Raumbeschaffung beschäftigt. Dennoch erscheint inmitten der ausführlichen Beschreibungen der allgemeinen praktischen Tätigkeiten der NSSchwestern im Lager Galatz dieser Satz: „Als dann noch Umsiedler aus den siebenbürgischen Flüchtlingslägern Hermannstadt u. Kronstadt kamen, wurden auch Cuprex-Kappen519 nötig.“520
Da sie keine genauere zeitliche Zuordnung gibt als „dann noch“, könnte die Betreuung der Flüchtlinge aus Siebenbürgen gemeint sein, die später mit der VerwandtenNachumsiedlung im Mai bis Juni 1941 kamen. Eine Teilnahme von Schwester Dorothee an der Verwandten-Nachumsiedlung wäre tatsächlich möglich, da ihr Lebenslauf genau in diesem Zeitraum eine Lücke aufweist.521 Allerdings wurden diese nicht im Lager Galatz abgefertigt. Ebenso könnte sie im obigen Satz dieselben Umsiedler „aus den übrigen Teilen Rumäniens“ gemeint haben, die „vor den ersten Bessarabern“ den NS-Schwestern in Galatz etwas „zu tun“ gegeben hatten. Doch wären es bessarabiendeutsche Flüchtlinge gewesen, passt dies wiederum nicht zusammen mit dem Bericht der NS-Schwester, dass erst kurze Zeit nach ihnen die „ersten“ Bessaraber ankamen. So bleiben zur Vor-Umsiedlung nur offene Fragen.
517 ���������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 51. – All die Pläne der deutschen Volksgruppenführungen einer Umsiedlung innerhalb Rumäniens wurden jedoch nicht in Absprache mit Rumänien gemacht und außerdem vom Reichsführer SS beendet, der Ansiedlungspläne im besetzten Polen hatte. In: Ebd., S. 52. 518 Ebd., S. 62f. 519 Cuprex war ein Entlausungsmittel. Vermutlich handelt es sich um die in den folgenden Sätzen genannten Läusekappen. Vgl. II.C.Spur 7: Entlausung. 520 Q2/Tagebuch, S. C39, linke Seite (Hermannstadt und Kronstadt, rumänisch Sibiu und Brașov, sind Städte im rumänischen Landesteil Siebenbürgen). 521 Vgl. II.A.2, Biografie: Lücke im Zeitraum Mai bis Juni 1941.
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II.C.Spur 7 Entlausungen „Früh 6 h alles antreten zur Kontrolle!“ Im Nachlass der NS-Oberin Dorothee Rakow befand sich ein Foto mit Wasserschaden, auf der Rückseite war notiert: „Galatz – Entlausung“.522 Als ich dem damaligen Gebietsarzt und späteren Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes, Dr. Ritter, bei unserm Gespräch dieses Foto vorlegte, war sein spontaner Ausruf: „Davon hab’ ich nichts gewußt!!“523
„Galatz – Entlausung“ Q5/Foto G3
Dieses Foto hatte Schwester Dorothee zwar als Illustration524 der Entlausungspraxis bei den Bessarabiendeutschen vorgesehen, bei denen „von Zeit zu Zeit mal hier eine Kopflaus und dort eine Kleiderlaus auf“-tauchte.525 Doch das Foto „Galatz – Entlausung“ wurde vermutlich schon während der ersten Phase im Lager aufgenommen, als die NS-Schwestern mit den Umsiedlern aus den anderen Teilen Rumäniens 522 523 524 525
Q5/Foto G3. – Vgl. ausführliche Kommentierung u. Bildbeschreibung im Quelleninventar. Gespräch mit Dr. Ritter, Bremen, 7.5.2005. Vgl. Kapitel I. Vgl. Q2/Tagebuch, S. C39: Hinzufügung von Dorothee Rakow auf der rechten Seite: „Bild!“. Q2/Tagebuch, S. C 39.
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„natürlich mehr zu tun“ hatten. Dies erschließt sich aus der Nummerierung der dazugehörigen Fotoserie.526 Diese lässt sich aufgrund der Motive mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Tag der Ankunft, den 17. September 1940, datieren: Das Foto „Entlausung“ ist nummeriert mit „53“. Davor gibt es in der Serie nur zwei Fotos, sie sind mit „29“ („Galatz am Hafen“) und „30“ („Galatz – Toreinfahrt“) beziffert. Nach dem Foto „Entlausung“ folgt eine lückenlose Reihe von „61“ bis „65“ mit Stadtbildern von Galatz, die evtl. bei der gemeinsamen Stadtbegehung der 90 NSSchwestern527 am 17.9. entstanden oder auch bei einer späteren Stadtbegehung der Oberin selbst. Sie selbst könnte die Fotoserie am 17.9. begonnen haben, als sie mit 14 NS-Schwestern ins Lager kam, „damit hier die notwendige Arbeit aufgenommen werden konnte.“528 Will man dieser detektivischen Konstruktion folgen, so müssten „Entlausungen“ bei den „ersten Umsiedlern aus den übrigen Teilen Rumäniens“ bzw. aus den „siebenbürgischen Flüchtlingslägern“ eine zentralere Rolle gespielt haben als später bei den Bessarabiendeutschen.529 Cuprex Für jene wurden im Lager Galatz „auch Cuprex-Kappen nötig“,530 was vermutlich Läusekappen531 waren. Cuprex war zu der Zeit ein als „kriegswichtig“532 eingestuftes Entlausungsmittel der pharmazeutischen Firma Merck, das wegen seiner Feuergefährlichkeit später für die Behandlung nicht mehr empfohlen wurde.533 Das „harte“, hautreizende Mittel wurde seinerzeit auch in den Gemeindestationen von NSSchwestern eingesetzt.534 526 Q5/Fotos/Serie G. Von den mindestens 65 Aufnahmen dieser Serie sind offenbar nur acht Bilder erhalten geblieben. 527 90 NS-Schwestern blieben bis zum 19.9.1940 auf dem Schiff, um ihre zukünftige Verteilung abzuwarten. Am Nachmittag des 17.9. durften sie in drei Gruppen von je 30 Schwestern die Stadt besichtigen (Q6/Brief 2, S. 2). Hiervon berichteten sie ihrer Oberin in Briefen. 528 Q6/Brief 2, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 27.9.1940). 529 Q2/Tagebuch, S. C39, linke Seite. Vgl. Kapitel II.C.Spur 6, Vorkommando. 530 Ebd. 531 Läusekappen findet man heute als eng sitzende Gummimützen für Kinder mit schlauchartiger Öffnung nach oben, durch die ein flüssiges Antiläusemittel eingegossen wird, vgl: Amazon. URL: www.amazon.de/Läusekappe-grösse-12-jahre-Wiederverwendbar/dp/B07JZYK9TX (Abruf 20.1.2020). 532 Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Merck_KGaA (Abruf 26.3.2021). 533 Vgl. Brusis/Unshelm 1977, Pedikulosen, in: Deutsches Ärzteblatt 5 (1977), S. 297, in URL: cdn. aerzteblatt.de/pdf/74/5/a293.pdf (Abruf 26.3.2021). Zu Cuprex: ebd. S. 297. 534 Eine Zeitzeugin aus Brake berichtete mir von ihrer Behandlung mit Cuprex: Als Kind hatte sie während des Krieges oft die russischen Zwangsarbeiter am Zaun der Holzbaracken besucht, weil sie von ihnen Geschenke bekam. Als sie sich dort mit Kopfläusen ansteckte, brachte ihre Mutter sie zur Gemeindeschwester des Ortes, die ihnen das Mittel Cuprex zur Behandlung mit nach Hause gab. Unter einer Badekappe wirkte es ein, „hart“ in Anwendung und Wirkung, es brannte
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Entlausung der Bessarabiendeutschen Auch bei den Bessarabiendeutschen blieb die Anwendung von „Lausekappen“ nicht aus: „Vorkommen diese Tierchen aber nur bei Fabrikarbeiter- oder Landarbeiterfamilien. Andere Umsiedler hatten noch die Möglichkeit sich sauber zu halten.“535 Sobald „von Zeit zu Zeit mal hier eine Kopflaus und dort eine Kleiderlaus“ entdeckt wurde, folgten konsequente Maßnahmen, die sie im Tagebuch festhielt: „Sofort wurde der betroffene Hangar gesperrt. Früh 6 h alles antreten zur Kontrolle!“ – An dieser Stelle ihrer Aufzeichnungen plante die Oberin die Illustration durch ein Foto der frühmorgendlichen Läusekontrolle, das leider nicht mehr vorhanden ist. Es zeigte wohl folgende Szenen: „Die Männer wurden von SDG’s nachgesehen, Frauen und Kinder von den Schwestern. Erfolg waren einige Läusekappen u. einige Kleider- u. Wäschedesinfektionen.“ Als nächstes war vermutlich das oben abgebildete Foto (Q5/G3) vorgesehen. Für die dann folgende beschriebene Maßnahme fehlt wiederum das an dieser Stelle eingeplante Bild: „Das Strohlager der betreffenden wurde zwecks Verbrennung entfernt, die Wolldecken ebenfalls desinfiziert.“536 Für manche Umsiedler bedeutete die Entlausung eine längere Isolierung: „Eine Familie, Dauergäste im Lager, musste wiederholt gesäubert werden. Die Lagerschwester war untröstlich darüber. Es war eben nicht zu schaffen.“537 Das Stichwort „Entlausungen“ notierte sich die Oberin auf einem chronologischen Notizblatt zweimal in ähnlichen Kontexten. Erstens für den Zeitraum nach dem 21. September 1940 im Lager Galatz bei der Bessarabien-Umsiedlung: „Aufbau der Küchen – Entlausungen – Bekleidungen.“ Zweitens für den Zeitraum zwischen dem 3. und 9. November im Bukowina-Einsatz, zu dem sie am 3. November als „Vorkommando“ reiste: „Ausspeisungen Nähstuben Entlausungen.“538 Doch gehörten die Entlausungen nicht nur zu den Aufgaben der NS-Schwestern, sondern auch zu denen der SS-Sanitätsdienstgrade.539 Entlausungen von Menschen und Kleidern sind zur Abtötung der z.B. Typhus übertragenden Läuse durchaus sinnvoll. Heikel daran bleibt, dass Begriffe wie „Des-
535 536 537 538
539
auf der Kopfhaut. Die Geschichte erzählte die Zeitzeugin nur zufällig als ich das Stichwort „NSSchwester“ nannte. – Den Begriff „Braune Schwester“ kannte sie dagegen nur von ihrem Vater: Wenn er bei Spaziergängen mit dem Fuß Steine schoss, sagte er dabei oft: „Braune Schwester!“ – Ich danke Annemarie Harich-Golzwarden für beide Erinnerungen, Telefonat 22.3.2021. Q6/Brief 3, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). Q2/Tagebuch, S. C39, linke Seite. Q2/Tagebuch, S. C40, linke Seite. Q3/Einzelblatt 1: „3.XI. – Abreise n. Radauti u. Gura Humoralui 2 Gebiete – Vorkommando Bahnverhältnisse – Vorbereitg. f. Verpflegstation / Massenquartiere – Dr. Jäger / Oberschw. Weber / Harteland / Weber – Ausspeisungen Nähstuben Entlausungen – Einsatz auf Dörfer Menschen Landschaft [...]“. „Nachdem die Versorgung der Kranken und Gebrechlichen beendet war, wandten wir uns der Reinigung der verlausten Personen zu, deren es erfreulicherweise nicht viele gab.“ Bericht eines SS-Sanitätsdienstgrades. In: Koschnick 1941, Umsiedlung, S. 23.
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infektion“540 bzw. „Umsiedlung“541 auch als verschleiernde Synonyme für Vergasung oder Exekution benutzt wurden. Und „Entlausungswagen“542 nannte man auch die verschlossenen grauen Kastenwagen, in denen 1942 die jüdischen Frauen und Kinder aus einem Lager in Semlin543 während der Fahrt mit den Motorabgasen, also Kohlenmonoxyd, getötet wurden. Mit Kohlenmonoxyd-Gas wurden zur Zeit der Umsiedlungsaktion 1940 auch die Vergasungsmorde in den als Duschen getarnten Gasräumen der Heil- und Pflegeanstalten vorgenommen, erste Versuche hatten anfangs in Garagen begonnen. Darum muss diese Spur hier verfolgt werden, auch wenn im Umsiedlungslager Galatz tatsächlich nur Läuse abgetötet worden sein sollten. Das Foto „Galatz – Entlausung“ zeigt einen Kastenwagen, der sich bei genauerer Betrachtung544 als ein liegender Kessel entpuppt. An der Unterseite des Wagens wird seine Rundung sichtbar. Dort, wo sich leider ein größerer Wassertropfen zentral auf dem Foto breit macht, werden in der Vergrößerung am Rande Scharniere und handliche Flügelschrauben erkennbar. Genau in der Größe des runden Fleckes befindet sich die große, kreisförmige Verschlusstür. Ein Heizer schichtet Holzscheite zur Verbrennung auf, ein Schornstein befindet sich am Ende des Wagens, der den Rauch in das Buschwerk der Bäume hinaufleitet, so als wenn er nicht gesehen werden sollte. Das Gerät hat große Ähnlichkeit mit der Konstruktionszeichnung (Längs- und Querschnitt) in einem zeitgenössischen Werbeprospekt einer Maschinenfabrik aus Erfurt für ihren „Fahrbaren Verbrennungsofen System ‚Topf‘“:
540 Z.B.: „Desinfiziert am [...]“ in den Transportlisten von Patienten in den Tötungsanstalten. Oder: „Desinfektoren“ brachten die Leichen der Ermordeten in die Sezierräume und füllten die Asche der Ermordeten vom Aschenberg des Krematoriums in Schein-Urnen für Angehörige oder in die Donau. In: Kogon (Hg.) 1995 [1983], Massentötungen Giftgas, S. 49f., 52. Z.B. ebd., S. 25: „Auf dem Umsiedlungsgelände befinden sich 2 Gruben [...] Als Patronenaus541 ������������������������������������������������������������������������������������������� geber auf dem Umsiedlungsgelände sind zuständig [...]“ (ein Beispiel von 1943 betr. Juden aus Weißruthenien). 542 Ebd., S. 107 im Kapitel: Gaswagen in Jugoslawien: „[...] habe ich alles an Juden in hiesigem Lande greifbare erschießen lassen und sämtliche Judenfrauen und Kinder in einem Lager [in Semlin] konzentrieren lassen und zugleich mit Hilfe des SD einen Entlausungswagen angeschafft, der nun in etwa 14 Tagen bis 4 Wochen auch die Räumung des Lagers endgültig durchgeführt haben wird“ (Chef der Militärverwaltung 11.4.1942). Es war nicht herauszufinden, ob es das 1940 für die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen aufge543 ���������������������������������������������������������������������������������������������� baute große Zeltlager für 10.000 Personen in Semlin war, das fast zwei Jahre später vom deutschen Militärkommando als Konzentrationslager für die jugoslawischen Juden benutzt wurde. – Im März 1942 waren im „Lager Semlin“ 5.281 jüdische Frauen und Kinder gefangen. Ihre männlichen Angehörigen aus Belgrad und Serbien waren bereits im Winter 1941/42 unter dem Vorwand einer Vergeltungsaktion erschossen worden. Im Mai 1942 wurde auch das Lager Semlin „gesäubert“, indem alle Insassen in einem „Entlausungswagen“, der aus Berlin kam, qualvoll mit Kohlenmonoxyd-Abgasen erstickt wurden. Nach Kogon (Hg). 1995 [1983], Giftgas, S. 107f. 544 Vgl. ausführlichere Beschreibung im Kommentar zu Q5/Foto G3. Ich danke Dr. med. Steffen Osthege für die erste Begutachtung und technische Beratung zu diesem Foto 2007.
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„Fahrbarer Verbrennungsofen System Topf“ Längs- und Querschnitt-Zeichnung im Werbeprospekt der Firma „Topf & Söhne“
Quelle: Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik, München, Firmenarchiv Topf & Söhne, CD 85168
„Der nachstehend beschriebene Ofen ist fahrbar eingerichtet, wodurch er den Vorzug hat, daß er unmittelbar an das Verbrennungsobjekt herangefahren werden kann. Der Ofen ist besonders für Großgrundbesitzer und Viehzüchter in weiten Steppen unentbehrlich, da in der Hauptsache an Tränkestellen gefallenes Vieh sofort vernichtet werden kann, ohne dasselbe erst weit zu transportieren. Die Vorzüge dieses Ofens sind leichte und bequeme Beförderungsweise, leichte Bedienung, große Haltbarkeit und stabiles Fahrgestell. Der Kessel wird innen mit 1a Schamottematerialien ausgekleidet, daher geringe Ausstrahlung. Dieser Ofen kann auch mit Öl- und Gasfeuerung eingerichtet werden.“545
Offenbar handelt es sich bei dem „Fahrbaren Verbrennungsofen“ also um ein „Feldkrematorium. In dieser kleinen fahrbaren, mit Öl befeuerten Verbrennungsanlage konnten pro Tag bis zu zehn Leichen verbrannt werden.“546 Die Firma Topf & Söhne, ebenso wie die Berliner Firma Kori, war als Kooperationspartner der SS mit Installationen von Krematorien und Verbrennungsöfen in den Konzentrationslagern Auschwitz und Mauthausen beauftragt. Öfen, Kühlkammern, Gaskammern, Genickschussanlagen waren die technische Seite einer „auf Effizienz ausgelegten Tötungsmaschinerie“.547
545 Angrick 2018, Aktion 1005, Bd. 2, S. 1104: Werbetext im ebd. abgebildeten Prospekt aus dem Firmenarchiv Topf & Söhne im Deutschen Museum, München. 546 Ebd., S. 1102. 547 Ebd., S. 1105. Angrick weist mehrfach darauf hin, dass „Knochenmühle“ nicht nur ein symbolischer Begriff für den Krieg ist, sondern eine reale Maschine, die bei der „Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen“ eingesetzt wurde.
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Aber vielleicht handelt es sich auf dem Foto auch nur um eine Kleider-Sterilisierung durch Hitze und Druck. Die weißen Schutzanzüge könnten die Packerinnen der Kleidung vor überspringenden Läusen geschützt haben. – Oder handelt es sich auf dem Foto um eine Entlausung durch das „einfache, jedoch schwerfällige Bottichverfahren“ der Degussa? Dabei gaben Arbeiter – die Schutzanzüge und Sauerstoffmasken trugen – in Papier gewickelte Chemikalien in den Bottich hinein, auf dessen Grund sich verdünnte Schwefelsäure befand, was als Reaktion das Aufsteigen von Blausäure hervorrief, die jegliches Ungeziefer vernichtete.548 Blausäure in Umsiedlungslagern Nach dem Krieg wurde der Anwendung von Giftgasen in den Umsiedlerlagern nachgegangen. Dem verantwortlichen Leiter des „Entwesungsdienstes“ der „Zentralstelle für die Entwesung der Umsiedlerlager“, Friedrich N., wurde 1947 von der niederöstereichischen Ärztekammer eine „Bescheinigung zur Vorlage bei den Behörden“ ausgestellt, dass sich „niemals eine Beanstandung in irgendwelcher Form ergeben“ habe.549 Gleichzeitig wurden in dem entlastenden ‚Persilschein‘ alle in den Umsiedlungslagern zur Anwendung gelangten Mittel, „einschließlich hochgiftiger Gase [...], die er selbst und später mit Assistenz durchführte“ und für die er „persönlich verantwortlich“ war, aufgezählt: „Bei den damals vorgenommenen Entwesungen fanden je nach Art und Lage bezw. Bedarf und Vorrat nachstehende Mittel Verwendung: Blausäure, Tritox, Ventox, Schwefelkohlenstoff und verwandte Präparate, Schwefel in verschiedenen Handelsformen, sowie die versch. Tetra Verbindungen (Tetrachloräthan, Resanol, Illo-Spezial etc.).“550
Die an erster Stelle genannte Substanz Blausäure (Cyanwasserstoff) lieferte die Firma Degussa unter der Marke „Zyklon B“ ab 1942 zur Tötung von Menschen in die Konzentrationslager.551 Doch bereits ab August 1941 wurden Menschen dort in
548 Hayes 2004, Degussa, S. 285. 549 „Bescheinigung“ für Friedrich N. vom 20.10.1947 vom vormaligen (1942) Geschäftsführer der Ärztekammer Niederösterreich (Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007). Diese war für die Verrechnung der Desinfektionen und Entwesungen der Umsiedlungslager zuständig. 1942 hatte sie Friedrich N. aus Wien als „Schädlingsbekämpfer und Desinfektor“ dienstverpflichtet. Nach einem halben Jahr wurde N. Ende 1942 „interimistischer Leiter“ der Berliner Zentralstelle für die Entwesung der Umsiedlungslager und anschließend Leiter des Entwesungsdienstes für die Gebiete Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol. [Anm.: In dieser Region lagen viele Umsiedlungslager mit Bessarabiendeutschen.] N. bildete auch andere Desinfektoren aus und war bis Oktober 1944 „persönlich verantwortlich“ für die Durchführung. 550 Ebd. 551 Hayes, 2004, Degussa, S. 304–306 beschreibt, wie die Firma „zum Mitverschwörer im Mord-
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getarnten Entlausungsräumen vergast, weil Blausäure in den KZ schon in großen Mengen als Schädlingsbekämpfungsmittel vorrätig war.552 „Von 1939–1945 wurde dieses verdampfende Pestizid in erster Linie zur Begasung militärischer Unterkünfte und Vorräte, von Uniformen, Fahrzeugen, rollendem Material und Schiffen eingesetzt und kam auch im Umfeld der Zwangsarbeit und Umsiedlung von ‚Volksdeutschen‘ zur Anwendung [...] Aufgrund seiner tödlichen Wirkung [...] durften nur staatlich zugelassene Fachleute mit der Substanz umgehen.“553
Die „Zentralstelle für die Entwesung der Umsiedlungslager“554 war auch eine Dienststelle der Berliner „Auslandabteilung555 der Reichsärztekammer, UmsiedlerGesundheitsdienst“.556
II.C.Spur 8 Lager Semlin: DRK-Zelt und Lazarettzug „Der Tagesablauf [...] war ein militärischer“ Dem chronologischen Geschehen sei hier etwas vorgegriffen, um vorweg einen genaueren Blick auf die Organisation der Krankentransporte und die Aufgaben der NS-Schwesternschaft bei der Umsiedlung zu werfen. Die mit bessarabiendeutschen Umsiedlern voll besetzten Schiffe, die aus dem rumänischen Auffanglager Galatz donauaufwärts in Richtung Großdeutsches Reich fuhren, hatten zunächst das Ziel Semlin bei Belgrad in Jugoslawien. Mit Hilfe eines Arbeitsdienstes der dort lebenden „Volksdeutschen“ war hier ein großes Zeltlager für ca. 5.000 Umsiedler errichtet worden. Hier sollten die Umsiedler eine kurze Zeit bleiben, um anschließend mit Eisenbahnzügen weiter transportiert zu werden. Ein Lazarettzug erwartete in Semlin die kranken Umsiedler: 552 553 554 555
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komplott mit Zyklon B“ wurde, obwohl den Beteiligten bekannt war, dass das Vergasen von Menschen offiziell rechtlich nicht legitimiert war. Kogon (Hg.) 1995 [1983], Massentötungen Giftgas, S. 204. Hayes 2004, Degussa, S. 283 und 286. Leiter der „Zentralstelle für Entwesung der Umsiedlerlager“ war von 1940 bis 1945 Fritz Böttcher, Bescheinigung von Dr. M. vom 26.6.81, Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007. Leiter der Auslandabteilung der Reichsärztekammer war: „Leiter: Prof. Dr. Haubold, Adressen bis Dez. 1943: Berlin NW 40, Beethovenstraße 3, ab Dez. 1943: Berlin Grunewald, Königsallee 62.“ In: „Bescheinigung zur Vorlage bei den Behörden“ für Friedrich N. in Wien von Prof. Dr. M., Hannover 26.6.1981 (Privatarchiv Ritter, Kopie 2007). Ärztlicher Leiter des Referats 5 „Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager“ im „Umsiedler-Gesundheitsdienst“ der Auslandabteilung der Reichsärztekammer war von Januar 1940 bis Dezember 1944 Dr. Martin Maneke. Manekes Nachfolger in Berlin wurde von Januar bis Mai 1945 Dr. Helmut Ritter, der bei der Bessarabien-Umsiedlung als Gebietsarzt in Albota eingesetzt war. Vgl. Kapitel I.
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„Nun hieß es noch die letzten Vorbereitungen für die Ankunft der Bessarabiendeutschen zu treffen. Ein motorisierter Lazarettzug mit vollständiger Klinik für alle medizinischen Abteilungen und 400 Betten waren für die Aufnahme der Kranken bereitgestellt.“557
Täglich kamen im Hafen von Semlin ein bis zwei Schiffe aus dem ersten Auffanglager Galatz an, angekündigt durch „Sirenengeheul“.558 Außerdem erklang bei der Ankunft „ein schneidiger Marsch des Arbeitsdienstes, [...] erwartungsvolle Gesichter, die an uns vorübergingen, stumm hoben sie die Hand und grüßten,“559 so beschrieb eine der NS-Schwestern die in Semlin ankommenden „Volksdeutschen“ aus Bessarabien. Diese waren inzwischen in der NSV-Kleiderkammer des Lagers Galatz äußerlich den westeuropäischen Kleidernormen angeglichen worden, und nun passten sie, „stumm“ ohne Widerspruch, auch ihr körperliches Auftreten beim Präsentieren des Hitlergrußes den deutschen Anforderungen an. Überhaupt ging es im Lager Semlin zackig zu, ein Propagandabuch prahlte: „Der Tagesablauf in den Lagern war ein militärischer. [...] Von früh morgens bis spät in die Nacht widerhallten die Straßen der Zeltstadt vom Marschtritt der Arbeiterkolonnen.“560 Auch eine NS-Schwester beschrieb diese „volksdeutschen“ jungen Männer aus Jugoslawien, sie arbeiteten „als sogenannter Arbeitsdienst freiwillig und erhalten dafür eine Armbinde mit Spaten [...] sie werden morgens und abends ein wenig militärisch geschult, d.h. sie marschieren im Gleichschritt an den Unterführern vorbei und erhalten soldatische Anweisungen.“561
Ein zeitgenössischer Fotoband zeigt, wie auch die NS-Schwestern im Zwischenlager Semlin ihre eigene Marsch-Kolonne bildeten: vorne weg die „Braunen Schwestern“, dahinter die Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz.562 SS-Obergruppenführer Lorenz schritt die stramme Aufstellung von „Braunen Schwestern“ ab.563 Im Lager Semlin waren „insgesamt 105 Schwestern, in einem großen Zelt untergebracht.“564
557 Pampuch, Im Lager Semlin. In: Ders. 1941, Heimkehr, S. 216. 558 Q7/Bericht 13: Schwesterndienst bei der Heimkehr der Volksdeutschen (Zeitungsbericht, 12.2. 1941). 559 Q7/Bericht 3a, S. 1. 560 Reister 1941, Aufgebot (Propaganda-Bildband über das Lager Semlin). 561 Q7/Bericht 2. 562 Reister 1941, Aufgebot, Abb. S. 7. – Der Propaganda-Band zeigt noch weitere Fotos von NSSchwestern bei ihrer Arbeit in Semlin. Vgl. S. 40, 45 (alte Frau untergehakt), 48 (Schiff), 61–64, 67, 90. 563 Ebd., Abb. S. 90. 564 Q7/Bericht 3a.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Sie waren am 14. September 1940 mit der „Passau“ aus Wien in Begleitung der NS-Oberin Schnee angekommen, die tags darauf zum zweiten Donaulager Prahovo weiterfuhr, um dort die Leitung der NS-Schwestern zu übernehmen565. Aber auch im Lager Semlin hatte sie die Leitung der NS-Schwesternschaft und saß dort zusammen mit der Führerin der NS-Frauenschaft in einem Büro über Akten.566 Ansonsten achtete NS-Schwester Wally Ur. streng darauf, dass sich die NS-Schwestern nicht mit den Männern der Schiffsbesatzung einließen und auch sonst kein Fehlverhalten zeigten: „Einige Schwestern haben sich bei den Bahntransporten nicht ganz korrekt benommen.“ Solche „Unbedachtsamtkeiten“ hatten zu Schwierigkeiten geführt. Das Umfeld war „politisch ziemlich unruhig […] es ist allerhand im Gange“, ein Umsiedlerzug wurde beschossen. Die Schwestern bewegten sich nur „sehr vorsichtig“ in der Stadt.567 „Die Jugoslawier hielten uns oft für Fallschirmjäger oder Polen. Teilweise meinten sie, wir wären geflüchtet.“568 Die NS-Schwestern arbeiteten in Semlin abwechselnd im Lagerdienst bzw. jeweils zu dritt als Transportbegleitung in einem der Züge nach Deutschland: „Zu jedem Sonderzug kommt ein Transportführer, 3 Schwestern und vier Frauen von der Frauenschaft. Nach der Ablieferung unserer Leute müssen wir auf schnellstem Wege wieder zurück und werden nach 1 oder 2 Tagen wieder eingesetzt.“569
NS-Schwestern kümmerten sich im Lager Semlin jedoch nicht um die Krankenpflege: „Mit den R.K.-Schwestern und Helferinnen haben wir nichts eigentliches zu tun.“570 Der Konflikt bei der Aufgabenverteilung mit den Rotkreuz-Schwestern war inzwischen geklärt.571 Die NS-Schwesternschaft betreute hier aber ein „Kinderzelt“ und eine Milchküche für die Säuglinge. Auf einem 1941 veröffentlichten Foto ist eine Gruppe Schwestern mit Säuglingen auf dem Arm zu sehen , sie tragen weiße Kittel, keine Hauben und Armbinden mit einer Lebensrune.572 Wenn Schiffe aus Galatz den Hafen von Semlin erreichten, kamen aus dem Lager „die Sanitätsautos gefahren für die Kranken.“573 Die Schiffsschwestern, die die kranken Umsiedler vom Lager Galatz bzw. von einem Quarantäneschiff aus dem russischen Hafen Kilia bis hierhin begleitet hatten, trennten sich in Semlin von ihnen, 565 Q7/Bericht 2. 566 Q6/Brief 6 (NS-Oberin Schnee, Semlin, an NS-Oberin Rakow, Galatz, 15.10.1940). 567 Q6/Brief 8, S. 1f. (NS-Schwester Wally [Ur.], Semlin, an NS-Oberin Rakow, Galatz, 27.10.1940). 568 Q7/Bericht 3a. 569 Q7/Bericht 3a. 570 Q6/Brief 6 (NS-Oberin Schnee, Semlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 15.10.1940). 571 Ausführlicher zu den Konkurrenzen mit den DRK-Schwestern vgl. Kapitel II.C.Spur 10. 572 ������������������������������������������������������������������������������������������ Baeskow/Schrader, Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 210–213, Abb. S. 213 (vermutlich aus dem Lager Semlin, ebd. ohne Bildkommentar). 573 Q7/Bericht 3a.
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ein „Stab von Ärzten und NS-Schwestern“ übernahm.574 „Ärzte, Rotes Kreuz, NSV.Schwestern warteten auf die Betreuung und Verpflegung der Ankömmlinge.“575 Für diese kranken Neuankömmlinge war im großen Zeltlager ein besonderes Zelt bestimmt: „Für Kranke war ein ganzes Lazarett vom DRK. aufgebaut worden.“576 Sie wurden vom „NSKK. [...] in Omnibussen der DAF.577 vom Lager zum Bahnhof“ gebracht, wo der Lazarettzug mit Klinik und 400 Betten auf sie wartete.578 Im Nachlass von Schwester Dorothee gibt es keine Fotos aus dem Lager Semlin, da sie selbst hier nicht eingesetzt war. Die Informationen aus den Briefen, die ihr Oberin Schnee und Schwester Wally nach Galatz schrieben, geben zwar einen Einblick. Doch sie lassen aus, was im Lager Semlin – wie im Lager Galatz – wohl eine der wesentlichen Aufgaben der NS-Schwestern war: das Aufspüren von Kranken unter den Gesunden. Eine solche Geschichte berichtete mir jedenfalls eine Zeitzeugin unter den Umsiedlern: Selektion und Isolierung: „Eine Schwester fing mich ab!“ Annette Sch. aus Gnadenfeld/Bessarabien war als 13-jähriges Mädchen im Lager Semlin ganz plötzlich durch eine Krankenschwester von ihrer Mutter getrennt worden. Danach wurde sie für vier Wochen in Semlin „in einem Krankenzimmer“ isoliert, obwohl sie nach ihrer eigenen Meinung nur einen Sonnenbrand hatte. Nach der dramatischen Trennung von der Mutter, die ohne sie weiterfahren musste, verlor sie für längere Zeit jeden Kontakt mit ihrer Familie: „Im Lager Semlin schliefen wir zunächst zusammen in großen Zelten auf dem Fußboden, der mit Stroh ausgelegt war. Ich lag neben einem ganz fremden Mann. Und aus dem Stroh holte ich mir Läuse. Überall hingen Schilder: ‚Kein Wasser trinken!‘ Aber ich war ja neugierig. Es kann sein, dass ich beim Zähneputzen wohl einen Schluck trank. Vielleicht bekam ich davon tatsächlich Fieber, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls fand eine Krankenschwester, dass ich krank aussah. Sie suchte mich heraus, sie hat mich abgefangen. Das kam so: Wir hatten den ganzen Tag in der Sonne gesessen (vielleicht hatte ich auch nur davon ein rotes Gesicht bekommen?). Nun hieß es: Es geht weiter! Meine Mutter und ich gingen ins Zelt, ich nahm meinen kleinen Koffer und wir wollten gerade losgehen zum Zug. Da hat mich die Schwester rausgezogen: ‚Komm’ Se mal her!‘ Diese Krankenschwester hat mich an die Hand genommen und weggebracht. Meine Mutter wollte unbedingt noch bei mir bleiben, aber man hat sie gezwungen, al574 Baeskow/Schrader (Schiffsschwestern Kilian-Semlin), Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 210–213, hier S. 213. 575 Pampuch, Im Lager Semlin. In: Ders. 1941, Heimkehr, S. 216. 576 NSV-Schwestern C. Baeskow/Schrader. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 213. 577 DAF.: Deutsche Arbeitsfront. 578 Pampuch, Im Lager Semlin. In: Ders. 1941, Heimkehr, S. 216.
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„Schwierige Aufgaben ...“ leine mit dem Zug nach Deutschland abzufahren. Meinen kleinen Koffer hatte ich auch stehen gelassen. Ich hatte nichts mehr bei mir und war allein. In einem Krankenzimmer wurde ich nun von den anderen Umsiedlern isoliert. Ich weiß nicht mehr, ob es ein Zelt war. Das Fieber war schon am nächsten Tag vorbei, aber das nützte nichts: ich musste trotzdem vier Wochen dort bleiben. Dann wurden auch wir aus dem Krankenzimmer mit dem Zug nach Deutschland gefahren. Aus Gnadenfeld waren wenigstens zehn junge Mädchen dabei, wir fanden uns im Zug und blieben beieinander. Wir kamen schließlich in einem Hotel in Neudeck an. Ich wusste immer noch nicht, wo meine Eltern gelandet waren. Wir waren in dem Gebäude eingesperrt. Es waren Wochen oder Monate. [...] Ich hatte in Neudeck vor allem damit zu tun, die Läuse loszuwerden. Jeden Tag wusch ich meine Sachen. Aber ich hatte ja nur das, was ich auf dem Leibe trug: ein Kleid, ein Unterrock, ein Hemd, ein Schlüpfer und meine schwarze Turnhose, die ganz grau aussah von den Nissen der Läuse. So konnte ich nie alle Kleidungsstücke zusammen waschen und die Läuse sprangen immer wieder über. Es war erlaubt zu bügeln, so konnte ich die Nissen auch durch die Hitze totmachen und bügelte jede Falte ganz gründlich aus. Doch am nächsten Tag waren wieder neue Läuse da.“579
Merkwürdig ist im Zusammenhang mit dem Thema „Entlausungen“, die im Lager Galatz noch eine größere Rolle spielten,580 dass Kontrollen und Maßnahmen gegen Läuse bei isolierten Umsiedler-Gruppen offenbar nicht mehr stattfanden.
II.C.Spur 9 Lager Prahovo: ein weißer Fleck Drei Auffanglager der Volksdeutschen Mittelstelle nahmen die insgesamt über 90.000 Bessarabiendeutschen während der Umsiedlungsaktion als Zwischenstationen an der Donau auf: Zunächst das erste Lager Galatz auf rumänischem Boden, in großen Flugzeughangars konnten hier 20.000 Umsiedler unterkommen. Von hier aus wurden sie mit Donauschiffen flussaufwärts zu den jugoslawischen Lagern Prahovo und Semlin bei Belgrad gebracht, von wo aus sie in Eisenbahnzüge umstiegen. Semlin war als Zeltstadt für 10.000 Umsiedler erbaut worden, Prahovo war für 5.000 Personen konzipiert.581 579 Autorisiertes Protokoll der Erzählung von Annette Sch. aus Hildesheim nach einem Telefonat am 30.9.2007. Sie hatte sich nach meinem Aufruf im Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins in der Gedenkstätte Wehnen gemeldet. Der Anruf von Frau Sch. war einer der ersten wichtigen Hinweise auf die Bedeutung der Selektionstätigkeit der NS-Schwestern. 580 Vgl. Kapitel II.C.Spur 7: Entlausungen. 581 Karte „Der Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73. Vgl. Anmerkungen zu dieser Karte in der Einleitung.
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Prahovo und Semlin: die beiden jugoslawischen Zwischenlager an der Donau 1940
(Ausschnitt aus der Karte „Der Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73)
NS-Oberin Schnee, „der die Leitung für die nach Prahovo fahrenden Schwestern übertragen ist“582, kam am 14. September 1940 mit dem Schiff „Passau“ aus Wien zunächst im Lager Semlin an. Einen Tag später gingen die Prahovo-Schwestern „am 15. früh an Bord“,583 vermutlich um nach Prahovo weiterzufahren. Hier verliert sich ihre Spur. Die „Leitende NS-Oberin Schnee im Lager Semlin“ berichtete zwar über ihre Tätigkeiten in Semlin,584 jedoch nichts über die Arbeit ihrer NS-Schwestern in Prahovo. Vielleicht ist ihr Bericht einfach nicht mehr vorhanden, vielleicht war hier jemand anderes zuständig. In den Berichten und Briefen der anderen NS-Schwestern wurde das Lager Prahovo nie erwähnt und auch in der Literatur nur selten.585 Auslassungen könnten Spuren sein. Allerdings ist überliefert, dass das Schiff „Passau“ die Umsiedler aus Alexanderfeld, deren Umsiedlung zuvor aus seuchenhygienischen Gründen abgesagt worden war, vom Hafen Reni direkt nach Prahovo brachte.586 In ihrem Ort waren zunächst Fälle von Keuchhusten und Masern aufgetreten, weshalb Helmut Ritter als Gebietsarzt von Albota – nach dem Abtransport der Kranken – die Umsiedlung des gesamten Ortes verboten hatte.587 Der „Hygieniker des Hauptstabes“ lenkte hier ein, wies den jungen Gebietsarzt zurecht und empfahl dem Umsiedlungsstab einen kleinen Dampfer für einen isolierten Transport: „Es ist aber zu erfragen, wohin der Transport gelenkt wird. Falls eine Einlagerung im Lager Galatz beabsichtigt ist, muss der Transport unter allen Umständen unterblei582 Q7/Bericht 2, S. 1. 583 Ebd., S. 1. 584 Q6/Brief 6 (Leitende NS-Oberin Schnee, Semlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 15.10.1940). 585 Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 83: Prahovo ist hier kurz erwähnt als Umladehafen. 586 Kersting 2008, Alexandrowka, S. 309. 587 Vgl. Kap. I: Der in den Archivakten ungenannte Gebietsarzt war Helmut Ritter.
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„Schwierige Aufgaben ...“ ben, da wir das Risiko nicht übernehmen können, schon mit den ersten Transporten eine solche Gefährdung in das Lager einzuschleppen.“588
So ging dieser „seuchenverdächtige Transport“ nicht nach Galatz, sondern nach Prahovo. „Es handelt sich um den an Bord des Dampfers ‚Stadt Passau‘ eingeschifften Transport, der dann, wie ich gesprächsweise erfuhr, prompt eine Panne erlitten hat.“589
Die „Panne“ bestand wohl darin, dass die „seuchenverdächtigen“ Umsiedler im Lager Prahovo schon am folgenden Morgen nach ihrer Ankunft zusammen mit Umsiedlern aus anderen Orten mit der Bahn weitertransportiert wurden, nur weil eine Anweisung von Professor Fischer nicht mehr rechtzeitig den Hafen Reni erreicht hatte. Möglicherweise wären sie sonst im Lager Prahovo unter Quarantäne gestellt worden?
II.C.Spur 10 Lager Galatz I: Konkurrenzen „Daß wir mehr zentral liegen müssten“ Am 17. September 1940 waren die 103 NS-Schwestern mit dem Schiff „Wien“ im Galatzer Hafen angekommen. Das NSKK fuhr die NS-Oberin mit einer Delegation von 14 NS-Schwestern im LKW in das große Auffanglager hinter der bessarabischen Grenze, das bis zu 20.000 Umsiedler aufnehmen sollte und wo der Standort der Führerin der NS-Schwesternschaft sein sollte. Doch schon der erste Anblick des Lagers in Galatz war für die NS-Oberin ein Stich in eine noch offene Wunde, die sie an ihren verlorenen Kampf in Semlin erinnerte: „Gleich am Eingang des Lagers finden wir linker Hand die beiden großen Lazarettgebäude, das eine für gemischte Krankheiten, das andere für Infektionen.“590 Lazarette gehörten nämlich in die Zuständigkeit der Wehrmacht, und die ihr zugehörigen Krankenschwestern waren Rotkreuz-Schwestern. Deren visuelle Dominanz „gleich am Eingang“ verursachte die erste ernüchternde Erkenntnis: „Ein Ruck! Der Wagen hielt. Jede von uns musste einen guten Sprung zur Erde tun. [...] Am Gebäude linker Hand das rote Kreuz auf weißem Felde, also Lazarettbetrieb.“591 588 Professor G.[erhard] Rose, Hauptstab Tarutino, 27.9.1940, Bericht, Dienstreise nach Albota und Reni. In: BA R59/377, S. 2. Für die Kopie danke ich Renate Kersting 2010. 589 Leitender Arzt, Hauptstab Tarutino 10.10.1940, Bericht Nr. 7, S. 7. Für die Kopie danke ich Renate Kersting 2010. – Vgl. Kersting 2008, Alexandrowka, S. 308f. 590 Q6/Brief 3, S. 4 unten. 591 Q2/Tagebuch, S. C 31.
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„Galatz – Toreinfahrt“ Q5/Foto G2
Nach den schweren Konflikten und Kompetenzstreitigkeiten mit der DRKSchwesternschaft um die von SS-Oberführer Lorenz in Wien „klargestellte“ Aufgabenverteilung, die zwischenzeitlich von der DRK-Feldführerin seit der Durchfahrt in Semlin wieder in ihrem Sinne verändert werden konnte,592 war erst vor kurzem ein alter Konflikt zwischen DRK- und NS-Schwestern neu aufgebrochen. Dieser hatte seine Ursache in der „Politik der Nadelstiche“593 der 1930er Jahre, als die NSSchwestern nach und nach die Stellen im Gesundheits- und Wohlfahrtswesen im NS-Staat übernahmen. Bei den „terrorartigen Attacken“ der NS-Frauen gegen die verdienstvollen adligen Damen des DRK ging es um die „Reduzierung der Aufgaben des DRK – insbesondere in der Krankenpflege“ und um die Übernahme der Wohlfahrtsaufgaben durch die NSV.594 Die Gleichschaltung von NS-Frauenschaft und DRK-Frauenschaft sorgte 1935 für Austrittswellen und machte aus dem DRK durch Personalumbau schließlich einen militärischen „Sanitätsbereitschaftsdienst“ für die Deutsche Wehrmacht. Führerinnen der Rotkreuz-Schwestern trugen nun militärische Uniformen mit Filzhüten, und ihr Einsatz bei den Umsiedlungen galt als Kriegseinsatz.595 Darin waren sie für die NS-Schwesternschaft eine Konkur592 Vgl. II.C.Spur 2: Wien, Pg. Lorenz. 593 Merkenich/Morgenbrod 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 65. Vgl. ebd. Teil I, Kapitel III.1: Konflikte mit der NS-Frauenschaft, S. 65–77 (Zitate: „Terrorartig“ S. 69, „Nadelstiche“ S. 65). 594 Ebd., Teil I, Kapitel III.2: Das DRK und die NSV, S. 78–87. 595 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., Teil III, Kapitel III.4: DRK-Einsatz bei der Flüchtlingsbetreuung und den Umsiedlungsaktionen, S. 322–325, Abb. S. 342: Bereitschaftslazarett im Lager Semlin. – Allerdings konnten die
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renz, die in ihrem Kriegseinsatz sich ebenso als „Soldatinnen des Führers“ beweisen wollten. Am exponierten Eingang des Lagers Galatz stand gleich gegenüber des DRKLazaretts ein Verwaltungsgebäude. Hier erhielt die NS-Oberin ihren zweiten ‚Nadelstich‘,596 als ihr ein „volksdeutscher Professor (ein Sportlehrer)“ stolz den Lageplan des sich über mehrere Kilometer erstreckenden Lagers erläuterte: „Ein Flugplatz, der vor wenigen Jahren vom Engländer erbaut, und wegen der jetzt 3 km nahen russischen Grenze seinen eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen sollte. Die Hangars, große Hallen, waren bereits für die Unterkünfte der Umsiedler hergerichtet. Durchgehende Holzpritschen mit Strohschütten u. Decken versehen. Zur Orientierung waren die Hangars bezeichnet mit Namen, die in diesem Krieg bereits den Hieb u. Sieg unserer Massen kündeten: Narvik, Drontheim, Flandern, Dünkirchen; München u. Nürnberg dagegen als Zeugen unserer nationalsozialistischen Bewegung, u. Stuttgart die Stadt der Auslanddeutschen.“597
Die vorgesehene Lage ihrer Arbeitsräume in diesem Lagersystem war für die NSOberin nicht akzeptabel. Die Station der NS-Schwesternschaft sollte auf dem weitläufigen Gelände ganz hinten in einem „Wirtschaftsgebäude“ sein. Doch mit dem dominanten Einfluss des „neuen Lagerkommandanten“ an ihrer Seite, erreichte NS-Oberin Rakow schon am nächsten Tag eine „zentralere“ und bessere Unterbringung. Den Lagerkommandanten, vermutlich SS-Obersturmbannführer Perthen,598 der als Kommandomitglied mit ihnen auf dem Schiff aus Wien angekommen war, konnte sie am Tag darauf, dem 18. September, „zu unserer allgemeinen Freude“ im Lager begrüßen. Er befahl sogleich die Verlegung, denn er hatte „Verständnis dafür, daß wir mehr zentral liegen müssten. Wir gingen gemeinsam auf die Suche und fanden, daß bereits alle Räume, die in Betracht kamen, von den schon länger anwesenden Mannschaften SS u. NSKK ‚organisiert‘ waren. Wenn auch für diese Art Organisation Verständnis vorlag, half nichts anderes als ‚Kommando‘.“599 Autorinnen die genauen Aufgaben der DRK-Schwestern bei den Umsiedlungen auch nur fragmentarisch ergründen. Neben dem Bereitschaftsdienst in den Lagern arbeitete das DRK auf dem Lazarettschiff von Prahovo nach Semlin, als Bahnbegleitkommando im Lazarettzug und stellte in Litzmannstadt Desinfektoren, Dentisten und Drogisten (S. 324). Außerdem bekam das DRK 1941 das Monopol für die gesamte Nachrichtenübermittlung und die Vermisstenermittlung in den besetzten Ostgebieten, und ab Mai 1942 übertrug die VoMi „die Rückführung von volksdeutschen Kindern“ dem DRK, womit „eine weitere Brücke zur SS geschlagen“ war (S. 325). 596 „Nadelstiche“ sind im Gegesatz zu z.B. „Nackenschlägen“ ein Synonym für eine subtilere Kampftechnik aus den Traditionslinien der weiblichen Kulturgeschichte. Vgl. „Politik der Nadelstiche“, in: Merkenich/Morgenbrod 2008, DRK unter NS, S. 65. 597 Q2/Tagebuch, S. C31f. 598 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Q4/Lagerbefehle: Unterzeichner der Lagerbefehle war Lagerkommandant SS-Obersturmbannführer Perthen. 599 Q2/Tagebuch, S. C32f.
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Die Männer von SS und NSKK mussten aus ihrem Quartier weichen. Auf diese Weise hatte NS-Oberin Rakow für ihre NS-Schwestern den Hangar „Dünkirchen“ erobert, den sie sich bereits am 19. September voller Stolz über den unverhofften ‚Luxus‘ herrichteten: „Am dritten Tag unserer Anwesenheit konnten wir, dank der Unterstützung unseres Lagerkommandanten, die Vorbereitungen zu unserem Einzug im Hangar Dünkirchen treffen. Drei Schlafräume, ein Duschraum und der übliche Nebenraum sollten wir unser nennen. [...] Sie waren von einem Eingang zur großen Halle geteilt. Rechts ein großer Raum, 2 Fenster, 7 roh gezimmerte Bettgestelle, 2 Kachelöfen, daneben ein kleines einfenstriges Zimmer mit 3 Gestellen u. 1 Ofen, zur Linken das Zimmer hatte 5 Gestelle. Jedes Gestell einmal aufgestockt mit prall gestopften Strohsäcken versehen. Die vier Duschen waren unser ganzer Stolz. Denn sie hatten wir nach allen Schilderungen nicht erwartet, ebenso wenig, es muß gesagt werden, die beiden WC, die durchaus nicht rumänisch waren. Unsere Nachbarn waren die Feuerwache. Nachdem die Scheuerteufel ihr Fest beendet hatten, kamen die ‚Anstreicher‘ an die Reihe. Sämtliche Fenster wurden in Blickhöhe geweißt als Ersatz für Gardinen. Der Einzug konnte stattfinden.“600
Merkwürdigerweise war diese Begeisterung zwölf Tage später nicht mehr zu spüren, als sie am 30. September ihrer Kollegin in Berlin ihre Unterkunft beschrieb, diesmal übrigens unter dem Namen „Hangar Drontheim“. Im Gegenteil, nun bemängelte sie die „feenhafte Beleuchtung“, Vertiefungen und Stolperfallen im Fußboden, hölzerne Tische und Hocker als einzige Möbelstücke. Und die Toilette mussten sich die NS-Schwestern mit den Männern der Feuerwache teilen, die nebenan untergebracht waren.601 Nach ihren späteren Lebenserinnerungen wurden den NS-Schwestern zwei Räume im „Verwaltungsgebäude des stillgelegten Flughafens“602 zugewiesen; sie litten unter der spartanischen Unterbringung: „In den Hangars auf dem Flugplatz hatten wir unsere Schlafräume, 2-stöckige roh gezimmerte Schlafgestelle mit Strohsäcken. Das war unser Lager. [...] Wir schliefen in Trainingsanzügen und viele der Schwestern wurden von Flöhen geplagt.“603
Ob die NS-Schwestern im Hangar „Dünkirchen“ oder „Drontheim“ untergebracht waren, oder ob sie die Unterkunft vielleicht wechselten, ist nicht genau auszumachen. Offenbar wusste Dorothee Rakow den Namen des Hangars nicht mehr. Ähn600 Q2/Tagebuch, S. C34f. 601 Q6/Brief 3, S. 3 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). 602 Q1/Lebensbericht 1989, Bl. 32. 603 Ebd., Bl. 30.
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Die Hangars „Drontheim“ oder „Dünkirchen“: Unterkunft der NS-Schwesternschaft? Q5/Foto H4
liche Verwirrung findet man auf einem der Fotos: Während das abgebildete Schild am Hangar „Haus Drontheim“ angebracht war, war das Foto auf der Rückseite beschriftet mit: „Galatz Dünkirchen – gestapeltes Umsiedlergut vor dem Aufladen.“ Ähnlich widersprüchlich sind die Darstellungen der Verpflegung im Lager. Im Rückblick ihrer Lebenserinnerungen von 1989 muss uns diese spartanisch erscheinen: „Morgens standen wir an u. bekamen einen ziemlich ramponierten Emaillebecher mit Milchkaffee oder Tee, dazu Brötchen. Also Verpflegung insgesamt aus der Gemeinschaftsküche.“604
Im Tagebuch hatte sie die Verpflegung durch die Gemeinschaftsküche dagegen als „ungeheure Leistung“ der NSV dargestellt. Immerhin gab es im Lager täglich „4 Mahlzeiten. Zum Morgenfrühstück gab es schwarzen gesüßten Tee, reichlich Butter, Brot u. Pflaumenmus, mittags ein kräftiges Eintopfgericht, nachmittags wieder Tee, Brot u. Mus und abends wieder ein warmes Gericht. Zum Mittag- und Abendessen wurde Brot gereicht, da die Umsiedler davon große Mengen verzehrten. Wir Schwestern, die wir zum Lagerkommando gehörten, erhielten zusätzlich Butter und Wurst für ein 2. Frühstück.“605 604 Ebd. 605 Q2/Tagebuch, S. C50.
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Als Mitglieder des Lagerkommandos bekamen die NS-Schwestern demnach noch eine zusätzliche Verpflegung. Zu bestimmten Zeiten fanden sie sich mit einzelnen Kommandogruppen „in einem großen Raum“ ein.606 Über den Verteiler der Lagerkommandantur erhielten sie auch in schriftlicher Form „Lagerbefehle“ zu unterschiedlichen, aktuellen Anliegen.607 Nicht nur der Lagerkommandant war den NS-Schwestern wohl gesonnen. Die direkten Vorgesetzten der Führerin der NSSchwesternschaft im Lager Galatz waren zwei NSV-Männer, die sie „schwer in Ordnung“ fand.608 Es gibt unterschiedliche Angaben zur Zahl der im Lager Galatz eingesetzten NSSchwestern. Sie wird je nach Zeitpunkt variiert haben. Am 17. September kamen 103 NS-Schwestern auf der „Wien“ in Galatz an. Nach ihrem Tagebuch fuhr die Führerin der NS-Schwesternschaft am Tag der Ankunft nur mit 13 NS-Schwestern vom Hafen ins 7 km entfernte Lager, 90 blieben zunächst auf dem Schiff zurück.609 Laut ihren spätereren Lebenserinnerungen war sie in Galatz mit „30 Schwestern im Lager“, während die größere Zahl für die Schiffstransporte eingeteilt worden war.610 Ihrer Generaloberin hatte sie am 27. September 1940 ins Reichshauptamt berichtet, dass am 19. September die 90 auf dem Schiff im Hafen Galatz wartenden NSSchwestern auf 24 Umsiedlerschiffe verteilt wurden, „die Übriggebliebenen zogen am 21.9. mit ins Lager. [...] Zur Zeit sind wir im Lager noch 24 Schwestern, davon werden aber für die noch einzusetzenden Schiffe 2 Gruppen abgegeben.“611 Am 30. September waren immer noch 24 NS-Schwestern im Lager eingesetzt, sie kamen aus „Brandenburg, Pommern, Schlesien, Mainfranken, München-Oberbayern, Halle-Merseburg, Magdeburg-Anhalt und Ostpreußen.“612 Gleich in den ersten Tagen meldeten sich bei den deutschen NS-Schwestern „zwei beßarabische Schwestern zur Hilfe“613. Bei der Prüfung ihrer Papiere stellte die NSOberin Dorothee Rakow mit Erstaunen fest, dass die eine dem Reichsbund der 606 607 608 609 610
Q2/Tagebuch, S. C50. Q4/Lagerbefehle: Konvolut von Einzelblättern. Q6/Brief 3, S. 6. Die Namen der NSV-Männer waren Schwarz und Kaiser. Q2/Tagebuch, S. A6, C20, C29. Q1/Lebensbericht, Bl. 30. – Dora P. schrieb hier in ihrem Rückblick, dass die übrigen NSSchwestern für die Betreuung der Umsiedler in den abgelegenen Dörfern eingeteilt wurden. Das kann sich jedoch nur auf die anschließende Bukowina- und Dobrudscha-Umsiedlung beziehen, da die Schwestern bessarabischen Boden nicht betraten. 611 Q6/Brief 2, S. 2f. (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 27.9.1940). 612 Q6/Brief 3, S. 4. 613 Q2/Tagebuch, S. C38. – Möglicherweise handelte es sich um „Viktoria M.“ und „Anne Lu[...]“, zwei Namen, die Dorothee Rakow sich auf einem Blatt notierte (Q3/Einzelblatt Nr.1). – Auch Zeitzeugen berichteten von bessarabiendeutschen Krankenschwestern, die während der Umsiedlung „abgeworben“ und „Braune Schwestern“ wurden. Eine von ihnen war Erna St. aus Alexanderfeld, Telefonat Renate Kersting, 20.3.2021.
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freien Schwestern u. Pflegerinnen und die andere dem Hermannstädter Verband angehörte.614 Letztere wurde nach der Umsiedlung „in einer unserer vielen Schulen“ für die NS-Gemeindepflegearbeit vorbereitet, während die Reichsbundschwester nach der Umsiedlung „in der Fürsorge bei ihren Landsleuten weiterarbeiten“ wollte.615 Diese beiden Krankenschwestern aus Bessarabien wurden im Lager Galatz „selbstverständlich auch in unsere engste Gemeinschaft einbezogen.“616 Beinhaltete diese „engste Gemeinschaft“ mit den NS-Schwestern für die bessarabiendeutschen Schwestern auch ein Wissen über die deutschen „Euthanasie“-Maßnahmen? Waren solche Entwicklungen in Deutschland dem Hermannstädter Verband in Rumänien bereits bekannt? Von einer dritten bessarabiendeutschen Krankenschwester ist in Briefen nach Berlin die Rede. Sie war eine „junge 24 jährige Waise“, die Rotkreuz-Schwester werden wollte und in der Milchküche des Lagers Galatz in den Kreis der NS-Schwestern als „Vorschülerin“ eingewöhnt wurde, solange bis sie „einberufen“ werden würde.617 Besuch aus Berlin ‚Hohe Tiere‘ aus dem Deutschen Reich reisten nach Rumänien und besichtigten das große Auffanglager der „Heim ins Reich“-Aktion. Auf der Rückseite eines Fotos sagt dies allein das knappe Wort: „Besuch“. Rückblickend für Anfang Oktober 1940 notierte sich die Oberin auf einen Zettel: „Besuche Lorenz – Hardeland – SSLorenz – Hilg. Scholz“618 „Scholz“ war die Reichsfrauenführerin Gertrud ScholtzKlink, man erkennt die prominente Frau auf dem Foto, respektvoll umringt von den Herren. Rechts neben ihr in Zivil, „Hilg.“, war Erich Hilgenfeldt, Leiter der NSV im Berliner Reichshauptamt und dort auch der Vorgesetzte der Generaloberin der NS-Schwesternschaft. „Hardeland“ – auf dem Foto vielleicht die große Frau mit Baskenmütze – war an anderer Stelle eine „RFF“ (Reichsfeldführerin des DRK oder aus dem Stab der Reichsfrauenführung?). „SS-Lorenz“ war SS-Obergruppenführer Werner Lorenz, Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, der als Parteigenosse ‚Pg. Lorenz‘ das Umsiedlungkommando in Wien eingeschworen hatte. Alle vier hatten organisatorisch etwas mit der NS-Schwesternschaft zu tun. Allerdings war das Ereignis sowohl im Tagebuch als auch in den Berichten und Briefen der NS-Schwestern nicht der Rede wert. Lag es an der Rolle, die Scholtz-Klink und Hilgenfeldt 1934 als Initiatoren der „systematisch angelegten Angriffsaktion“ gegen die DRK-Frauen gespielt hatten oder daran, dass diese junge Frau in Personalunion Reichsfrauenführerin sowohl der NS-Frauenschaft als auch der DRK-Frauen wurde? Dieser Schachzug hatte zwar das traditionelle Schwesternwesen im Sinne der 614 615 616 617 618
Q2/Tagebuch, S. C38. Q6/Brief 3, S. 4. Q2/Tagebuch, S. C38. Q6/Brief 3, S. 4. Vgl. auch Q7/Bericht 3b. Q3/Einzelblatt Nr. 1.
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„Besuch“
Q5/Foto H7
NS-Politik umgestaltet, aber viele der Frauen fühlten sich seit damals durch das „Klima der ‚Spitzelei, Denunziation und Ehrenkränkungen aller Art‘“ verletzt.619 Sicherlich sind auf dem Foto Kommandoführer des Lagers Galatz als Empfangskomitee abgebildet: Männer, die die NS-Schwestern „schwer in Ordnung“ fanden, z.B. die beiden NSV-Männer Schwarz und Kaiser oder der Lagerkommandant SS-Obersturmbannführer Perthen. Zentral am Eingang Doch welchen Sinn hatte die zentralere Lage für die Arbeit der NS-Schwestern? Im „Haus der Lagerverwaltung“ hatten sie am zweiten Tag ihrer Ankunft – mit Hilfe des Lagerkommandanten – vermutlich ihre „Säuglingskoch- und Badeküche“ eingerichtet, wie das nächste Kapitel zeigen wird. Lag diese in jenem oben erwähnten Gebäude der Lagerverwaltung, das gegenüber dem großen DRK-Lazarettzelt und gleich am Eingang des Geländes lag? Es liegt nahe, dass die NS-Schwestern hier insbesondere die Kinder der ankommenden Umsiedler empfangen bzw. abfangen wollten. Die folgende Spur geht dieser Möglichkeit ausführlicher nach. 619 Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, im Abschnitt „Die Konflikte mit der NS-Frauenschaft“. Zitate im vorangegangenen Absatz in der Reihenfolge S. 65, 71, 66.
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II.C.Spur 11 Lager Galatz II: Selektion der Kinder Die „Säuglingskoch- und Badeküche“ der NS-Schwestern im Haus der Lagerverwaltung Nach der Aufgabenstellung des VoMi-Leiters sollten die NS-Schwestern bei der Umsiedlungsaktion vor allem für die Kinder von null bis vier Jahren zuständig sein. Im Nachlass der NS-Oberin war jedoch kein einziges Fotos von Kindern oder Säuglingen oder von „Braunen Schwestern“ bei der Arbeit mit Kindern. In zeitgenössischen Fotobänden der Umsiedlung sieht man häufiger Krankenschwestern mit Kleinkindern von Umsiedlern auf dem Arm.620 Ihre Verbandszugehörigkeit ist allerdings nicht immer ganz eindeutig zu erkennen. Es waren nicht nur NS-Schwestern mit den Umsiedlerkindern beschäftigt, sondern auch NSV-Schwestern und DRK-Schwestern: „Volksdeutsche Kinder aus Bessarabien werden im Auffanglager in Galatz von Schwestern-Helferinnen des DRK in Empfang genommen.“621 Das mütterliche Bild junger deutscher Krankenschwestern, die sich freundlich und liebevoll der Umsiedlerkinder annehmen, war eine medienwirksame Darstellung der Umsiedlung, die ein Bild von Fürsorge und Verantwortung präsentierte. Mütter und Schwestern Auf diesen Fotos in den Propaganda-Bildbänden sitzt oder steht manchmal – passiv abseits und ernst neben der blonden Schwestern-Fröhlichkeit – eine bessarabiendeutsche Frau, die eine der Mütter sein könnte. Noch ganz unwestlich sind diese Umsiedlerinnen – mit einer Art Burka, einem wärmenden Schulterkopftuch, verhüllt. Nur auf folkloristischen Zeichnungen oder Gemälden622 werden bessarabiendeutsche Mütter noch gezeigt, wie sie – so wie es in Bessarabien üblich war – ihre Säuglinge in der Placht (Schultertuch) bei sich am Körper trugen. Dies war ein Anblick, der im modernen Deutschland nicht üblich und offenbar auch nicht erwünscht war. 620 Z.B zwei Fotos von Krankenschwestern mit Kindern von Umsiedlern. In: Baeskow/Schrader, Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 210–213. – Weitere Fotos in: Meyer 1986, Weg aus der Steppe, S. 129, 131. Hier sieht man sogar die Töchter von SS-Obergruppenführer Lorenz, die in einer Schwesterntracht – ohne Schwesternbrosche – Umsiedlerbabys auf dem Arm tragen. 621 Bildunterschrift in einem zeitgenössischen Foto-Band über den Kriegseinsatz der DRK-Schwestern. In: Das Deutsche Rote Kreuz (Hg.), Jahrweiser 1941. Berlin 1941. Zit. nach der Inhaltsbeschreibung in: URL www.zvab.com/erstausgabe/Deutsche-Rote-Kreuz-Jahrweiser-1941-Deutsches/30064008198/bd (Abruf 25.1.2020). 622 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. die Zeichnungen, die Hertha Karasek-Strzygowski als Begleiterin des deutschen Umsiedlungskommandos anfertigte. In: Dies. 1990, Bessarabisches Tagebuch; vgl. die Gemälde von ihr im Heimatmuseum der Bessarabiendeutschen in Stuttgart. Zur Biografie der Künstlerin und Entstehung dieser Bilder: vgl. die Biografie der Tochter Dietlind, in: Karasek 2014, vergrabene Briefe.
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Schwester Dorothee ging als leitende NS-Oberin im Lager Galatz gegen die für sie ungewohnten Gebräuche an und war bestrebt, ihre Vorstellungen über Kindererziehung auch gegen den Willen der Umsiedlerinnen durchzusetzen. Die über 40-jährige NS-Oberin war zu dieser Zeit noch nicht selbst Mutter und stand nun im Lager gleichaltrigen und jüngeren Frauen gegenüber, die im Schnitt bereits zwischen sechs und zwölf Kinder auf die Welt gebracht hatten. Diese Mütter konfrontierte sie nun mit ihren „Vorstellungen in dieser Beziehung“. Ihre neuen Regeln lauteten z.B.: – Kein Tragen von Babys in Tüchern! Die deutsche NS-Oberin sah erstaunt, dass sogar die Väter und die Geschwister der Umsiedler sich für die Babys „verantwortlich“ fühlten und sie in Tüchern am Körper trugen. „Die Bessaraber-Mütter werden sich nur schwer von der Sitte trennen, die Kleinen in ihrer Placht, einem großen Umschlagtuch herumzutragen.“623
– Kein gemeinsames Essen mit Kindern! „In der ersten Zeit war es schwierig, die Mütter von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die Kinder zu den Mahlzeiten der Grossen nicht mitgenommen werden dürfen. Die Kleinen waren ja gewohnt, alles mitzuessen. Nun hieß es, schon hier mit der Erziehung zu beginnen.“624
Die Mütter sollten ab nun ohne ihre Säuglinge und Kleinkinder zu Tisch gehen. Schwester Dorothee schaffte es, die Kinder von der Familie zu trennen und von „Kindergärtnerinnen“ der NSV betreuen zu lassen, die sie mit einer „Diät“ fütterten, die die NS-Schwestern selbst herstellten. Einige Konflikte mit den Müttern werden hier angedeutet, doch das Bemühen der NS-Schwestern, sie und ihre Kinder voneinander zu trennen, gelang offenbar.625 Gut kam dagegen das Baden der Säuglinge an, bei dem die Mütter selbst helfen durften.626 623 Q6/Brief 9 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 1.11. 1940). 624 Q6/Brief 9 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 1.11. 1940). 625 Elizabeth Harvey thematisierte diese Deutung 2012 anhand eines Fotos, auf dem fröhliche Krankenschwestern im Vordergrund sich mit Umsiedlerbabies beschäftigen, während die Mütter passiv im Schatten des Hintergrundes stehen. Eine Differenz zwischen öffentlichen und privaten Sichtweisen wird hier bei der Darstellung von Müttern und Kindern bzw. NS-Schwestern mit Kindern deutlich. – Ich danke Liz Harvey für die Zusendung ihres Bildervortrags, in dem weitere Fotos aus dem Bundesarchiv die Zurücksetzung der Mütter veranschaulichen. Vgl. Harvey 2012, Documenting displacement, Vortrag in Edinburgh. 626 Q2/Tagebuch, S. C39: „Bei stillem sonnigen Wetter wurde auch noch draußen ein Badeplatz für die größeren Kinder hergerichtet. Schnell wurden unsere großen Strohmatten herbeigeschafft, ein paar Waschbütten dazu, Bretter auf gehäufte Ziegelsteine gelegt, die ein paar Bänke hergaben. So konnten die Mütter noch helfend eingreifen.“
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Auch die kostenlose Babykleidung aus der „Bekleidungskammer“627 der NSV wurde gerne angenommen. Die Großzügigkeit von „Adolf Hitler“ habe den Umsiedlern „ein ganz großes Vertrauen“ gebracht.628 Der Kindergarten der NSV im Hangar Flandern Im Hangar Flandern, wo am Ende der Umsiedlungsaktion der Kameradschaftsabend gefeiert wurde, betreuten „volksdeutsche“ weibliche Helferinnen die Kinder der Umsiedler. NS-Schwestern suchten kleine Kinder, um sie dem NSV-Kindergarten629 zuzuführen. „Der 3 jährige Knabe war das einzige Kind hier im Zelt. Ohne Scheu kam er mit in den Kindergarten nach dem Hangar Flandern, wo er mit Staunen und ungelenken Bewegungen sich an den Spielen der anderen Kinder beteiligte. Volksdeutsche Kindergärtnerinnen führten die Gruppe der Kleinen. Ein 4 jähriges Mädchen – Olga – mit Pausbäckchen und kurz geschorenen Haaren hatte das Näschen zwischen dem Polster ihrer runden Ärmchen auf die Tischplatte gedrückt u. schlief unbekümmert. In einer Pause machten wir ihr sanfte Vorwürfe, sie würde ja nichts lernen, aber mit fast überlegenem Lächeln wiederholte sie das zuletzt gesungene Lied von den fleißigen Handwerkern.“630
Mit Hilfe des Kindergartens konnten die NS-Schwestern das getrennte Essen von Kindern und Erwachsenen durchsetzen. Die Kindergärtnerinnen „wachten“ für sie darüber: „Anfangs wollten die Mütter nicht begreifen, daß man mit den Kindern sich soviel Mühe machte. Sie waren gewohnt mit den Erwachsenen zu essen u. hatten wir Not631
627 Q2/Tagebuch, S. C53: „Eine Bekleidungskammer gab die nötigen Säuglingsausstattungen u. Schuhe u. Bekleidung für Kinder u. Erwachsene her.“ 628 Brief 9, S. 1, NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 1.11. 1940. 629 ���������������������������������������������������������������������������������������� Die früheren Kinderbewahranstalten wurden im 19. Jahrhundert durch die Fröbelschen „Kindergärten“ weiterentwickelt, die reine Betreuung wurde ersetzt durch die bildende Einwirkung auf kleine Kinder, was immer wieder neu zu politischen und konfessionellen Konkurrenzen um die Konzeptionen führte. Seit 1935/36 versuchte die NSV im Rahmen der Gleichschaltung, alle konfessionellen Kindergärten in ihre Trägerschaft zu übernehmen, was wegen kirchlicher und elterlicher Widerstände bis Kriegsende nicht gelang. Daher richtete die NSV verstärkt neue eigene Kindergärten ein. Die Pädagogik der NSV-Kindergärten zielte auf „Rassenhygiene“ und getrennte Geschlechterrollen, um aus den Jungen „deutsche Soldaten“ und aus den Mädchen „deutsche Mütter“ zu machen. In: Erning 2000, Geschichte des Kindergartens, in: Kindergartenmuseum Nordrhein-Westfalen. URL: www.kindergarten-museum.de/geschichte (Abruf 7.1. 2021). 630 Q2/Tagebuch, S. C47f. 631 Das Wort „Not“ ersetzte Dorothee Rakow an dieser Stelle für das durchstrichene „Mühe“.
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sie davon abzubringen. Und bei der großen Zahl war das erst mit Hilfe der Kindergärtnerinnen, die darüber wachten, möglich.“632
Die NSV-Kindergärtnerinnen „halfen auch unseren Schwestern bei der Durchführung der Kinderverpflegung. Einige Schwestern waren in der Sgl. Badeküche am Werk.“633 Die Kindergärtnerinnen fütterten die Kinder mit dem, was die NS-Schwestern aus Pulver herstellten: „Milchpräparate, für die ganz Kleinen ‚Alete‘ und die andern Kinder Edelweißmilch, kamen aus Deutschland. Denn die Gesundheit sollte schon vom Ausgangspunkt an sicher gestellt werden.“634 „Um die Kleinsten vor den so sehr gefährlichen Darmerkrankungen zu hüten, wurden sie, sobald die russische Grenze überschritten war, bis zum 1. Lebensjahr mit Aletemilch genährt, während die Kinder mindestens bis zum 4. Lebensjahr Edelweißmilch erhielten. Vitamine wurden in Form von Cebion verabreicht. Die NSV hatte auch da vorgesorgt u. Lager, Transport, Schiffe u. Eisenbahnzüge damit versorgt.“635
Doch die Vorsorge-Diät für die Kleinkinder bestand nicht nur aus Milchpulver und Vitaminpräparaten: „Alle Lebensmittel erhielten wir durch die vorhandene NSV Dienststelle. Als nach einigen Wochen das Gemüse seltener wurde, konnten wir es direkt vom Markt für unsere Pfleglinge beschaffen.“636
Die Kleinküche für 500 Kinder in der NSV-Großküche Vorsorglich hatte Oberin Rakow zwei Kleinküchen637 in der Großküche der NSV, die die NS-Frauenschaft im Wirtschaftsgebäude mit 16 400-Liter-Kesseln betrieb, für die Nahrung der Kinder bis zu vier Jahren einrichten lassen. „Hier waren auch für uns 2 weitere Räume zum Kochen und Baden da.“ NS-Säuglingsschwestern kochten hier für die Säuglinge und Kleinkinder auf einem extra für sie konstruierten „Herd für 4–500 Portionen“ auf Herdplatten mit einem Durchmesser von über einem Meter.638 632 633 634 635 636 637 638
Q2/Tagebuch, S. C37. Q2/Tagebuch, S. C37f. (Slg. = Säugling). Q2/Tagebuch, S. C33. Q2/Tagebuch, S. C53. Q2/Tagebuch, S. C37. Q1/Lebensbericht, Bl 33. Q2/Tagebuch, S. C43. – Ebd.: „Die Entstehung dieser unserer Küche muß erzählt werden. Die Erfordernisse, Herd für 4–500 Portionen, wurden dem Bauingenieur bekannt gegeben. Als ich mich eines Morgens von der fortschreitenden Arbeit überzeugen will, entdeckte ich einen fertigen Herd mit kl. Backofen, Wasserspeicher mit Abflussrohr und – Herdplatte mit 3 Kochlöchern von etwa 25–30 cm Durchmesser. Ich traue meinen Augen nicht, die Arbeiter verstehen mich nicht, holen ihren Meister, mit dem man sich wenigstens in französischer Sprache verständi-
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Die Säuglingsküche stand sehr bald im Mittelpunkt des Interesses. Säule derselben, im wahrsten Sinne des Wortes war Schwester Hertha. ‚Unsere Gauoberin hat mich geschickt, damit die Leute da unten sehen, bei uns in Deutschland haben wir noch genug zu essen‘, sagte sie mir mit einem lustigen Schalk in ihren klaren braunen Augen. Allen Unberufenen, die sich ihrem Wirkungsfeld näherten, war sie unnahbar. Mit stoischer Ruhe war sie unermüdlich den ganzen Tag bei der Arbeit. Da waren in der ersten Morgenfrühe die Flaschen für die Kleinsten zu richten, später wurden die weiteren Jahrgänge versorgt. Rechtzeitig musste das Gemüse bereitet sein und bis zum Abendbrei u. den letzten Sgl.Flaschen639 waren noch verschiedene Mahlzeiten zu richten. Wer konnte wohl diese Arbeit besser verstehen als eine Schwester, die das Staatsexamen sowohl in der Krankenpflege als auch in der Säuglingspflege absolviert hatte u. seit langem schon in der verantwortungsvollen Gemeindepflegearbeit tätig war. Ihr zur Seite standen eine Gemeindeschwester und unsere volksdeutschen Mädchen, bei einer Verpflegungsziffer, die zeitweise über 500 Kinder ausmachte.640
Die „Säuglingskoch- und Badeküche“ im Haus der Lagerverwaltung 300 bis 400 m von der Großküche entfernt lag die „Säuglingskoch- und Badeküche“,641 die die NS-Schwestern selbst betrieben. Im „Haus der Lagerverwaltung“ hatten sie eine Küche mit großem Herd und Wasserboiler vorgefunden, die sie ab dem zweiten Tag ihrer Ankunft als eigene Säuglingsküche aufbauten.642 – Vielleicht war hier die „zentralere“ Position, die ihnen der Lagerkommandant verschafft hatte?643 Die kleinsten Säuglinge bis zu drei Monaten schliefen offenbar nicht bei ihren Müttern in den Hangars auf Strohlagern, sondern – hier bei den NS-Schwestern? – in Körbchen, obwohl die Nächte „oft bitter kalt“ waren und die Beschaffung der Körbe „etwas schwierig“ war. Auch die passende Bettwäsche fehlte noch: „Die volksdtsche. Gruppe in Galatz nähte uns noch schnell Kissenbezüge für die Wolldecken zum Zudecken.“644 Und „einige Ballen Frotteestoff verarbeiteten die in den ersten Tagen überzähligen Schwestern zu Bade- und Seifentüchern.“645 Die Betreuung von
639 640 641 642 643 644 645
gen kann. Also: Backofen u. Wasserspeicher in Ordnung, Herdplatte mindestens 5 mal größer, Kochlöcher überflüssig! Herd wird abgerissen u. am nächsten Tage bereits steht einer, der mit unseren Verhältnissen konkurrieren kann.“ Sgl. = Säugling. Q2/Tagebuch, S. C36f. S. C35 in dieser Schreibweise. Vgl. dazu ebd. S. C38f, C42, C44 („Badeschwestern“). Q6/Brief 3, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). Vgl. II.C.Spur 10: Galatz, Organisation. Q2/Tagebuch, S. C 39, rechte Seite. Q2/Tagebuch, S. C39.
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„Nähstuben“ lagen in einer Tradition, die NS-Frauenschaft und NSV in den 1930er Jahren von den DRK-Frauen übernommen hatten.646 Die Sachbearbeiterin der „Hilfsstelle Mutter und Kind“, einer Abteilung der NSV, kaufte schließlich in Begleitung eines Dolmetschers den „voraussichtlichen Bedarf an Wäsche, Gebrauchs- und Küchengegenständen“ ein.647 NS-Oberin Rakow bedauerte, dass sie und Fräulein von Witzleben, die Gaureferentin für „Mutter und Kind“ des Gaues Berlin, nicht schon als „Vorkommando [...] mit dem nötigen Kleingeld ausgerüstet“ im Lager Galatz ihre Vorbereitungen haben treffen können.648 Mit der Betreuung der Säuglinge und Kleinkinder hatten die NS-Schwestern nun eine eigene Aufgabe bekommen, die „Badeschwestern“ im Akkord erledigten: „In der Badeküche waren 2–4 Schwestern von früh 7 h bis zum späten Nachmittag beschäftigt, ein Kind nach dem andern zu baden.“649
Die Ausstattung war provisorisch. Für die Säuglings-Badeküche „hatte uns das Verwaltungskommando seinen Waschraum zur Verfügung gestellt. Er war neben der mit einem Boiler versehenen Kochküche gelegen. Dieser Wasserkessel konnte allerdings den großen Verbrauch an frischem Wasser nicht ganz befriedigen. Die große Küche der Frauenschaft stand uns daher helfend zur Seite. Junge volksdeutsche Burschen trugen aus der 3–400 m entfernten Küche das frische Wasser herbei, um in der Arbeit keinerlei Stockungen auftreten zu lassen.“650
Nur „3 Säuglingsbadewannen und ein paar Waschbütten zum Abseifen für größere Kinder“ waren in einem Waschraum der Verwaltung aufgestellt. Als Wickeltisch benutzten die NS-Schwestern einen Schreibtisch. „Sie können sich denken, daß hier tagsüber reger Betrieb herrscht. Auch Lausekappen blieben nicht aus.“651 Das Baden der nackten Umsiedlerkinder ermöglichte die Begutachtung ihrer Körper: „Neben prächtigen, gesunden Kindern sah man viel elende, unterernährte und rachitische.“652 (NS-Schwester Hildegard).
646 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 85 und Abb. S. 124: gemeinsame Nähstube DRK und NS-Frauenschaft 1939, mit Kriegsbeginn ganz in Händen der NSFrauenschaft. 647 Q2/Tagebuch, S. C39. 648 Q6/Briefe 3, S. 2f. (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9. 1940). 649 Q2/Tagebuch, S. C38. Vgl. Q2/C42: Badeschwestern fragen nach heißem Wasser. 650 Q2/Tagebuch, S. C36. 651 Q6/Briefe 3, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9. 1940). 652 Q7/Bericht 7, S. 2 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh.).
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Näharbeiten für die Säuglingswäsche, „Galatz – vor unserem Heim“ Q5/Foto H6
„Infektionskrankheiten trafen wir seltener. Dagegen zum Teil schwer rachitische Kinder.“653 (NS-Oberin Schwester Dorothee).
In dieser Badeküche war es jedenfalls, wo die NS-Oberin Rakow ein schwer beeinträchtigtes Kind entdeckte, das beim Transport in das Auffanglager offenbar noch nicht für die Krankentransporte selektiert worden war. Vermutlich hatte die Mutter es in der Placht eingewickelt mitgebracht. Von der Situation ergriffen, verfällt sie in diesem Abschnitt das einzige Mal plötzlich ins Präsens: „Von den neu eingetroffenen Umsiedlern kommt eine Mutter mit ihren 4 Kindern zur Säuberung derselben in die Badeküche. Drei von ihnen im Alter von bis zu 8 Jahren sind wohl genährt, aber das Jüngste! Es ist kaum zu beschreiben: im Alter von 9 Monaten, das Längenwachstum ungestört, der ganze Körper ohne Muskulatur, nur von einer zäh ledernen Haut umgeben, der Gesichtsausdruck ist der eines leidenden alternden Menschen. Und diese unruhig fragenden Augen eines Kindes kann man so leicht nicht vergessen.“654 653 Q2/Tagebuch, S. C40, C42. 654 Q2/Tagebuch, S. C42, eingefügter Absatz, rechte Seite. Das Zitat wurde bereits in Kapitel II.C. Spur 5 zum Kontext von Schicksal von Heimpfleglingen gezeigt. Wegen seiner hohen Evidenz
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Wie wurde mit einem solchen Kind nun verfahren? Darüber vertraute sie ihrem Tagebuch leider kein Wort, keine Andeutung an. Das Schweigen genau an dieser wesentlichen Stelle ist im Umfeld ihrer sonst genaueren Organisationsbeschreibungen bemerkenswert. Die Situation ist emotional und filmreif bildhaft aufgeladen. Ein Fall für die „Euthanasie“? Dieser schwer behinderte Säugling gehörte zu den „neu eingetroffenen Umsiedlern“. War der eigentliche Zweck der Badeküche im Haus der Lagerverwaltung die Selektion der ankommenden Kinder durch NSSchwestern? Lag demnach gleich rechts vom Haupteingang die „Säuglingskochund Badeküche“ der NS-Schwestern im „Haus der Lagerverwaltung“ rechts vom Eingang? Wenn ja, wäre es auf dem Foto des Lagereingangs sichtbar.655 Wurde das in der Säuglings-Badeküche der NS-Schwestern entdeckte Kind dann gleich nach gegenüber in das Lazarett gebracht? Oder in ein Nebenzimmer?
Wohin? Vier Krankenschwestern in weißen Kitteln und mit weißen Hauben und eine Oberin in dunklem Kleid sind unterwegs auf dem Gelände des Lagers Galatz. Q5/Foto J1
für die Fragestellung wird es hier auch als Spur zur Selektionsfunktion der „Säuglingskoch- und Badeküche“ herangezogen. 655 Q5/Foto G2.
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II.C.Spur 12 Lager Galatz III: Isolierte Kinder Die „Kinderklinik“, ein „besonderes Kinderkrankenhaus“ im Lazarett Suche nach kranken Kindern „Kinder mit Husten, Durchfällen oder sonstigen krankhaften Anzeichen wurden dem Arzt vorgestellt“,656 war die Formulierung der NS-Oberin. NS-Schwester Hildegard aus Leuna war eine der NS-Schwestern, die die Aufgabe hatten, kranke Kinder in den einzelnen Hangars aufzuspüren, um sie der „Kinderklinik“ zuzuführen: „Besonders mußten wir unser Augenmerk auf Krankheiten richten, damit die kranken Kinder in die eigens dafür eingerichtete Kinderklinik gebracht werden konnten.“657 Später in der Dobrudscha übernahm diesen sogenannten „Lagerdienst“ NSSchwester Julchen.658 Die Mütter wollten ihre Kinder und Säuglinge aber offenbar nicht so einfach hergeben: „Die Hauptschwierigkeit für uns bestand darin, die kranken Kinder in den einzelnen Hallen aufzufinden, denn einmal begriffen die Mütter sehr schwer, zum anderen hatten sie verständlicherweise Angst, sich von ihren Kindern trennen zu müssen.“659
Dass die Mütter „verständlicherweise Angst“ hatten, weist darauf hin, dass die Trennung von erkrankten Kindern absoluter war als die Trennung der Kleinkinder vom Essen mit den Erwachsenen. Außerdem wird die Ausübung eines Zwanges gegen die Mütter formuliert, sich „von ihren Kindern trennen zu müssen“. Wenn die Kinder im Kindergarten des Hangars Flandern nicht mehr unter der Obhut der Eltern standen, war von hier aus eine Absonderung in die Kinderklinik sicherlich wesentlich unkomplizierter und unauffälliger. Seuchenhygiene und Absonderung „Viele Malariaanfälle trafen wir natürlich an und Trachome.“660 Erscheinungen wie Fieber bzw. „Hitz“ standen grundsätzlich unter Malaria-Verdacht, Augenentzündungen unter Trachom-Verdacht und Durchfall unter Ruhr-Verdacht. Die NS-Schwestern drückten bei ihren Meldepflichten kein Auge zu: „Wir hatten strenge ärztliche Anweisung, jeden Durchfall als ruhrverdächtig anzusehen und zu melden.“661 Das 656 Q2/Tagebuch, S. C40f. 657 Q7/Bericht 7, S. 2 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh.). 658 Q6/Brief 19 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 21.3.1941); Julchen = NS-Schwester Juliane Rü. 659 Q7/Bericht 7, S. 3 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh.). 660 Ebd., S. 3. 661 Ebd., S. 2.
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besondere Problem der richtigen Einschätzung von Durchfall-Erkrankungen – die vom Umsiedlungskommando schon „die Bessarabische Krankheit“ genannt wurde, weil sie sich selbst auch ansteckten – wurde schon vom Gebietsarzt beschrieben. In den Dörfern hatte er auf seiner „Jagd nach Kranken“ niemals alle davon gerade Befallenen erfassen können. Die Immunität gegen Ruhr wurde in Bessarabien zwar als günstig gesehen, doch betrachtete er seine Vorerfassung der Umsiedler „seuchenhygienisch als halbe Maßnahme“. Dazu kam die Gleichgültigkeit der Umsiedler gegenüber der Notwendigkeit von „Absonderungen“. Wegen der „Indolenz662 der Dorfbewohner [...] besteht die Gefahr, daß sich doch ein oder mehrere Ruhrkranke unter den gemeinsam Ausgesiedelten befinden. Es werden von den nachfolgenden Ärzten (Schiff, Lager) also alle Fälle herausgesondert werden müssen, die von den Gebietsärzten unmöglich sämtlich erfasst werden können.“663
Die strengen Anweisungen der Ärzte an die NS-Schwestern im Lagerdienst beruhten offenbar darauf, dass die Verantwortung für den Ausbruch einer Ruhr-Epidemie bei ihnen lag. „Besondere Schwierigkeit bereitet die Diff.-Diagnose bei den Kleinkindern, bei denen man in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von langdauernder Durchfallstörung die klinische Diagnose Ruhr stellen müsste. In die Sanitätspässe schrieb ich u.a. jeweils etwa 20 bis 30 Durchfallstörungen bei Kleinkindern von 3/4 bis zu 2 Jahren.“664
Professor Fischer, bei dem in der „Abteilung III“ des Hauptstabes in Tarutino die Meldungen ankamen und der sich auch auf seinen „Orientierungsreisen“ unterwegs selbst ein Bild machte, konnte dies in seiner Positon als Hauptbevollmächtigter wesentlich gelassener sehen: „Irgendwelche Epidemien bestehen nirgendwo“.665 In seinem Überblick „über die gesamte Seuchenlage“ in Bessarabien wertete er die vorgefundenen Infektionskrankheiten als Einzelerscheinungen, viele der gemeldeten Verdachtsfälle hätten sich später nicht bestätigt. Durchfallerkrankungen seien bei Erwachsenen, Kindern und Säuglingen in Bessarabien zwar häufig, doch „vielmehr durch die fettreiche Kost und den Genuss von Obst, vor allem Trauben“ hervorgerufen.666
662 indolent (lat.) = gleichgültig, teilnahmslos. 663 „10-Tagemeldung“ von „Ritter, 2. Gebietsarzt Albota“ an Prof. Dr. Haubold, „Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer, Abteilung Presse- und Propaganda – Berlin – Reichsärztekammer“, vom 27.9.1940, Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007. 664 Ebd. 665 Prof. Fischer, 30.9.1940, Bericht: Infektionskrankheiten Bessarabien, BA R59/377, S. 1. Ich danke Renate Kersting für diese Quelle 2010. 666 Ebd., S. 2.
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Die Milchküche der Kinderklinik Da jeder Durchfall eines Säuglings oder Kindes, auch wenn er vielleicht nur stressbedingt war, schon als Ruhr-verdächtig gelten sollte, wurde in der Kinderklinik „eine strenge Diät geführt, so dass es möglich war, die Sterblichkeit auf ein Mindestmaß zu beschränken.“667 Allerdings waren bei dieser strengen Auswahl wahrscheinlich die wenigsten Kinder überhaupt totkrank gewesen. Festzuhalten bleibt die hier inkludierte Aussage von NS-Schwester Hildegard, dass mindestens einige von ihnen in der Kinderklinik verstarben. Die „strenge Diät“ wurde offenbar von einer NS-Schwester in der Milchküche der Kinderklinik überwacht, denn: „Außerdem erwies sich als nötig, daß die Milchküche der Kinderklinik auch mit einer NS.-Schwester besetzt wurde.“668 Warum? Der Grund dafür sowie auch der Sinn einer strengen Diät wurde leider nicht erläutert, aber nach dem später aufgedeckten „Luminal-Schema“ in der Kinder-„Euthanasie“ geschah das langsame schmerzlose Töten beim Füttern der dazu bestimmten Kleinkinder durch sukzessive Gaben von Medikamenten wie Luminal, Veronal oder Morphium in die Milchflaschen.669 Es brachten „Eisenbahnwaggons eine ganze Apotheke mit Vorräten [...], selbst Milchpräparate [...] ‚Alete‘ und [...] Edelweißmilch kamen aus Deutschland.“670 Die Aufschriften auf den Blechkanistern in der Milchküche sind schwer lesbar: „S.M [...]“:671 „Ein besonderes Kinderkrankenhaus“ im DRK-Lazarett NS-Schwester Hildegard verwendete in ihrem Bericht die Bezeichnung „Kinderklinik“. Ihre NS-Oberin Schwester Dorothee erwähnte im Rückblick ihrer späteren Lebenserinnerungen einmal ein „Säuglingskrankenhaus“ des Roten Kreuzes und einmal ein „festes Haus vom Roten Kreuz“. In ihrem damaligen Tagebuch beschrieb sie es wiederum als „ein besonderes Kinderkrankenhaus“ des Lazaretts. Es ist zwar nicht sicher aber wahrscheinlich, dass es sich bei allen vier Bezeichnungen um ein und dieselbe Institution des Lagers handelte. „Das Rote Kreuz hatte ein Säuglings-Krankenhaus eingerichtet, wohin ich noch eine Schwester auslieh.672 […] Die kranken Säuglinge u. Kleinkinder kamen in ein festes
667 Q7/Bericht 7, S. 2 (Bericht von NS-Schwester Hildegard Uh.). 668 Ebd., S. 1. 669 In der „Wiener Städtischen Nervenklinik für Kinder“ wurde nach diesem Schema vorgegangen, wie die Nachkriegsprozesse aufdeckten. Vgl. Fürstler/Malina 2004, Krankenpflege Österreich NS-Zeit, S. 300–321, im Kapitel: „Ich war daher bereit mitzuarbeiten“. 670 Q2/Tagebuch, S. C33. 671 Vgl. Q5/Foto I1, Kommentar ebd. („S.M.“ könnte für Säuglings-Milchpulver stehen). 672 Q1/Lebensbericht, Bl. 33.
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„Milchküche in Galatz“
Notiz auf der Rückseite von Schwester Dorothee. Q5/Foto I1.
Haus vom Roten Kreuz, eine Säuglingsschwester konnte ich dorthin ausleihen. Die ganze Arbeit konnte nur mit strenger Disziplin gut klappen“673
Demnach war die „Kinderklinik“ in einem gemauerten, „festen Haus vom Roten Kreuz“ untergebracht, wo Rotkreuz-Schwestern des Lazaretts die praktische Pflege übernahmen und wohin zusätzlich noch eine NS-Säuglingsschwester abgeordnet war. Vielleicht war es die von NS-Schwester Hildegard genannte, die dort in der Milchküche die „strenge Diät“ überwachte und mit „strenger Disziplin“ dafür sorgte, dass die Arbeit gut klappte. Doch die verantwortliche Leitung des „besonderen Kinderkrankenhauses“ des Lazarettes hatte immer noch die Oberwachtführerin des Roten Kreuzes (RK): „Das Lazarett richtete ein besonderes Kinderkrankenhaus ein, dessen Betreuung sich die Oberwachtführerin vom RK besonders angelegen sein ließ. Da sehr schnell jedes Bettchen und Körbchen belegt und die Anforderungen an die Ernährung der Kleinen immer höher wurden, übernahm eine unserer Säuglings-
673 Ebd., Bl. 30.
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„Schwierige Aufgaben ...“ schwestern eines Tages diese verantwortungsvolle Aufgabe. Wir hatten mit dem RK u. den Ärzten eine ausgezeichnete Zusammenarbeit.“674
War „diese verantwortungsvolle Aufgabe“ der NS-Säuglingsschwester nur das Kochen der „Diät“-Nahrung in einer überbelegten Kinderklinik? Auf welches Ziel war die „ausgezeichnete Zusammenarbeit“ zwischen NS-Schwesternschaft, RotkreuzSchwestern und Ärzten ausgerichtet? Wenn es eine kooperative Übereinkunft zu „Euthanasie“-Maßnahmen, z.B. bei schwerstbehinderten Kindern, gegeben haben sollte, ging es möglicherweise der NS-Oberin in diesem Abschnitt ihrer TagebuchAufzeichnungen weniger um Tätigkeitsbeschreibungen als um die Aufschlüsselung von Verantwortung. Nicht die (aufspürenden und ausführenden?) NS-Schwestern trugen dann alleine die Verantwortung für mögliche Morde, sondern die als Leiterin des Hauses persönlich verantwortliche DRK-Oberwachtführerin und ebenso Ärzte, die den Krankenschwestern „strenge ärztliche Anweisungen“ gaben. In diesem Fall erscheint die offizielle Hierarchie zwischen Ärzten und NS-Schwestern allerdings als eine Kooperation ebenbürtiger Partner. Einer der DRK-Ärzte im Lager Galatz war Dr. Maneke, den NS-Oberin Rakow nach Abschluss der Bessarabien-Umsiedlung Anfang November 1940 im „Vorkommando“ der Bukowina-Umsiedlung wiedertraf.675 Er (oder ein Namensvetter) war der „Ärztliche Leiter des Referats 5 Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager im Umsiedler-Gesundheitsdienst der Auslandabteilung der Reichsärztekammer Berlin“.676 Bei der anschließenden Dobrudscha-Umsiedlung wurde NS-Schwester Walburga, die in Cernavoda (Cernavodă) für das Säuglingsbaden zuständig war, außerdem noch abberufen zur „Pflege der Neugeborenen im Lazarett, auf Wunsch von Dr. Sut[...].“677 Schwestern wurden von Ärzten abberufen und erfüllten ihre Wünsche. Welche Kinder wurden in der Kinderklinik abgesondert? Kinder mit folgenden Erscheinungen für ansteckende Infektionskrankheiten wurden aus seuchenhygienischen Gründen isoliert, wenn sie auf dem Transport oder im Lager entdeckt wurden: Scharlach und Keuchhusten, Durchfall mit Verdacht auf Ruhr, Fieber mit Verdacht auf Malaria, Augenkrankheiten mit Verdacht auf Trachom.
674 Q2/Tagebuch, S. 42. 675 Vgl. Q2/Tagebuch A1; Q3/Einzelblätter Nr. 11; Q1/Lebensbericht, Bl. 34. 676 Genaue Bezeichnung nach eigenen Angaben von Medizinalrat Prof. Dr. Martin Maneke, der von Januar 1940 bis Dezember 1944 diese Position inne hatte. Aus einer Bescheinigung von 1981 aus dem Privatarchiv von Dr. Ritter, der ab Januar 1945 sein Nachfolger wurde und bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen als Gebietsarzt im Umsiedlungsgebiet Albota eingesetzt war. 677 Q6/Brief 19, S. 3 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 21.3. 1941, mit Bericht über die Arbeit in Cerna Voda/Dobrudscha, betr. Walburga Pf.).
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Aber die Absonderung betraf auch Krankheiten, die im Vergleich zu den anderen nicht ansteckend waren, wie z.B. „schwer rachitische Kinder“,678 die aufgrund von Mangelerscheinungen starke Knochendeformationen aufwiesen. Unmittelbar nach der Erwähnung „schwer rachitischer Kinder“ folgte im Tagebuch die Beschreibung des „besonderen Kinderkrankenhauses“. Vielleicht endete auch der Weg des neun Monate alten schwer behinderten Kindes, das in der Säuglings-Badeküche unter neu eingetroffenen Umsiedlern entdeckt worden war, dort. Da eine Behinderung keinen Grund für eine seuchenhygienische Absonderung darstellt, wäre ein anderer Absonderungsort für dieses Kind ebenso möglich. In dem emotionalen Satz: „Diese unruhig fragenden Augen eines Kindes kann man so leicht nicht vergessen“,679 fehlte eine Antwort auf die Frage, die vielleicht in den Augen des Kindes zu lesen war: Und was geschieht jetzt mit mir? Schwester Dorothee gab in ihrem Tagebuch darauf keine Antwort. Kranke Kinder waren schon mit besonderen Krankentransporten im Lager angekommen. Der Gebietsarzt für den Bezirk Albota, der die Kranken aus seinen Dörfern mit Sanitätskraftwagen ins Lazarett des Lagers Galatz brachte, erwähnt fünf Kinder, die in Galatz „isoliert“ wurden: „In Al 9 trat in Alexanderfeld 1 Scharlach, 3 Ruhrfälle auf, im Nachbardorf herrscht z.Zt. Keuchhusten. 5 Kinder wurden in Galatz isoliert. 3 weitere haben das Stadium convulsivum680 überschritten.“681
Um „Seuchenkontakte“ zu vermeiden, wurde wegen der an Scharlach, Ruhr und Keuchhusten erkrankten Kinder die Umsiedlung aller anderen Bewohner aus diesen Dörfern „abgesagt“. Sie wurden nicht in das Auffanglager Galatz gebracht, sondern in einem Quarantäne-Schiff im Hafen Reni umgesiedelt.682 Der betroffene Ortsbezirk Albota 9 (Alexanderfeld) hatte 1.020 Einwohner.683 Die erwähnten „3 Ruhrfälle“ könnten, sobald die Diagnose der Durchfälle eindeutig war, potentielle „Euthanasie“-Fälle gewesen sein.684 Während Ruhr eine
678 Q2/Tagebuch, S. C42, linke Seite. 679 Q2/Tagebuch, S. C42, eingefügter Absatz, rechte Seite, Mitte. Vgl. Kapitel II.C.Spur 11: Galatz, Selektion der Kinder. 680 ���������������������������������������������������������������������������������������� Stadium convulsivum = Krampfstadium. Sie befanden sich vermutlich auf dem Weg der Besserung. 681 „10-Tagemeldung“ von „Ritter, 2. Gebietsarzt Albota“ an Prof. Dr. Haubold, „Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer, Abteilung Presse- und Propaganda – Berlin – Reichsärztekammer“, am 27.9.1940, Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007. 682 Ebd. 683 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 167. 684 Vermutung der ehem. Krankenschwester Gertrud Knöttig, Oldenburg. Gedenkstätte Wehnen, Gespräch 2007.
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Seuche ist, die eine ganze Bevölkerung dahinraffen kann, können Scharlach und Keuchhusten durch Infektionen höchstens Epidemien verursachen. Keuchhusten Die Oberin selbst hatte sich infiziert. „Ich hatte mich wahrscheinlich beim Ausschütten der Strohsäcke in Galatz, mit Keuchhusten infiziert.“685 Offensichtlich hat sie also selbst in der Isolationsabteilung bzw. in der Kinderklinik des Lazaretts praktisch gearbeitet. Keuchhusten in Verbindung mit Lungenentzündung und Lebensmittelvergiftung war eine häufige Todesursache bei Säuglingen in den Heimen des Lebensborn, wo zu 99 Prozent „Braune Schwestern“ arbeiteten.686 Tote Kinder Ein gewisser Verdacht tat sich bereits auf wegen der „strengen Diät“, für die eine in der Kinderklinik abbestellte NS-Schwester zuständig war. Angeblich wurde damit die Sterblichkeit der Umsiedlerkinder minimiert, aber „ein Mindestmaß“687 an Sterblichkeit in der Kinderklinik wurde von NS-Schwester Hildegard angedeutet. Es gibt im Nachlass keine Hinweise darüber, wo die Leichname der im Lager Galatz verstorbenen Kinder verblieben. Dass die Anzahl der verstorbenen Kinder aber festgehalten wurde, entnehmen wir einem kurzen Hinweis in einem durchgestrichenen Absatz im Tagebuch der NS-Oberin. Sie selbst gab den NS-Schwestern, die auf den Schiffen eingesetzt waren und sie vom Hafen aus im Lager besuchten, offenbar regelmäßig die Zahl der „Abgänge“ mit, vermutlich zur Weitergabe an den Schiffsarzt: „Der Säuglingsküche musste täglich die Zahl der Kinder altersmäßig angegeben werden, extra die Flaschenkinder. Desgleichen wurden bei Abgängen den Schiffsschwestern diese Zahlen mitgegeben. Auf die Schiffsarbeit komme ich noch später zu sprechen.“688
685 Q1/Lebensbericht, Bl. 35: Dies war der angeführte Grund, weshalb die leitende NS-Oberin mitten im anschließenden Bukowina-Einsatz abreiste. Ein DRK-Arzt, den sie schon aus Galatz kannte [vermutl. Dr. Maneke], steckte sie am 16.11.1940 in ein abgeschlossenes Abteil eines Umsiedlerzuges Richtung Deutsches Reich, wo sie gesund ankam. 686 Schmitz-Köster 1997, Alltag im Lebensborn, S. 79, 87. – Dorothee Schmitz-Köster ging einem solchen Fall längere Zeit (vergeblich) nach, weil sie „glaubte, darüber eine grausame Seite der Lebensborn-Politik aufdecken zu können, für die es nur ganz wenige Belege gibt.“ Ebd., S. 165f. 687 Q7/Bericht 7, S. 2 (NS-Schwester Hildegard Uh.): „strenge Diät geführt, so daß es möglich war, die Sterblichkeit auf ein Mindestmaß zu beschränken.“ 688 Q2/Tagebuch S. C40 (aus einem durchgestrichenen Absatz).
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II.C.Spur 13 Lager Galatz IV: Meldepflichten in der „Erwachsenenbetreuung“ „Die Bessaraber wollten nicht krank sein“ Zu den vorab in Wien festgelegten Aufgaben der NS-Schwestern gehörte auch die praktische Pflege: „NS-Schwestern machen den Sanitätsdienst in den Revierstuben der Läger u. beim Schiffs- und Bahntransport.“689 Sanitätsdienst Tatsächlich arbeiteten mehrere NS-Schwestern im Lager Galatz in einem „Notlazarett“, einem Zelt mit 30 Betten: „Es gab auch Kranke, wir hatten ein Notlazarett, für das einige erfahrene Schwestern abgestellt waren.“690 „Ich mußte für Kranke in einem Zelt eine etwa 30-Betten-Station einrichten, ein Arzt vom Roten Kreuz betreute sie. [...] Es gab eine Lager-Apotheke und sonstige Wünsche musste ich mit den Herren der NS-Volkswohlfahrt besprechen, die dort ein Büro hatten. Die Arbeit war anstrengend aber sehr befriedigend.“691
Nachdem die Männer aus Bessarabien mit ihren Pferde-Trecks angekommen waren, machten sich vier NS-Schwestern auf den Weg zu den 28 Zelten, um Verletzungen zu versorgen, die sie sich unterwegs zugezogen hatten. Bei dieser Gelegenheit unterhielt sich die NS-Oberin mit diesen „prächtigen“ Kerlen, und zwar, „um Einblick in den Gesundheitszustand zu kriegen“.692 Erwachsenenbetreuung Die eigentliche Aufgabe der sogenannten „Lagerschwestern“ war jedoch weder das Verbinden von Wunden noch das Führen von Interviews. „Erwachsenenbetreuung“ im Lager war für sie eine Tätigkeit, die sie an weniger befriedigende Aufgaben aus ihrem Alltag als NS-Gemeindeschwestern im nationalsozialistischen Deutschland erinnerte: „Ein Teil unserer Schwestern besorgt die Erwachsenenbetreuung in den Lägern, d.h. sie achten auf Krankheiten, die sie dem Arzt melden müssen.“693 689 Q6/Brief 1, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Wien, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 11.9.1940). 690 Q1/Lebensbericht, Bl. 33. 691 Q1/Lebensbericht, Bl. 30/1. Version. 692 Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 1.11. 1940). 693 Q6/Brief 3, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9. 1940).
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Konsequenzen von solchen Meldepflichten der Gemeindeschwestern und Hebammen an Amtsärzte waren für die Betroffenen daheim im Deutschen Reich z.B. Vorladungen zum „Erbgesundheitsgericht“, Zwangssterilisationen, Eheverbote, Einweisungen usw. Möglicherweise hatten die NS-Schwestern im Auslands-Sondereinsatz gehofft, dass nun ihre praktischen Fertigkeiten gefragt sein würden. Oberin Rakow jedenfalls drückte eine gewisse Empörung aus, als sie ihrer Kollegin in Berlin aus dem Lager Galatz berichtete, „dass wir restlos in d e r Arbeit stecken, die a u c h die Gemeindeschwester nicht aus ihrem Plan hinwegdenken kann. Es war anfänglich ja wohl anders gedacht.“694
Zwei „Feldführerinnen“695 und eine „Oberwachtführerin“ des Roten Kreuzes hatten der NS-Oberin bereits vor der Ankunft in Galatz in Belgrad eröffnet, dass in den Lagern „alles pflegerische“ nur von Rotkreuz-Schwestern übernommen werde, und die NS-Schwestern „lediglich die Betreuung“ der Umsiedler machen sollten. Als Schwester Dorothee bei der Ankunft im Lager entdeckte, dass es tatsächlich nur zwei Rotkreuz-Lazarette mit angeschlossenen Ambulanzen „im Gelände“ gab, aber keine „Revierstuben“696 für NS-Schwestern, wie es Pg. Lorenz bei der Vorbereitung in Wien angekündigt hatte, sah sie sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Die Ambulanzen Das „Zuführen“ von kranken Umsiedlern, die für eine Lazarettaufnahme in Frage kamen, war die eigentliche Aufgabe der braunen „Lagerschwestern“. Die Station vor der Einweisung in das Lazarett war die Ambulanz. „An drei verschiedenen Orten des sich über mehrere Kilometer erstreckenden Lagers war eine Ambulanz eingerichtet, die ein Arzt führte. Eine Schwesternhelferin vom RK u. SDG’s unterstützten ihn, unsere Lagerschwestern führten dieser Ambulanz alle Kranken zu, die für Lazarettaufnahme in Frage kamen, oder sonst vom Arzt angesehen werden mussten.“697
Das oben erwähnte „Notlazarett“, die „30-Betten-Station“, die die NS-Schwestern betreuten, befand sich in einem „Zelt“, davon fand sich kein Foto im Nachlass. Möglicherweise zeigt das folgende Foto eine der drei „Ambulanzen“ auf dem Lagergelände. Man sieht grob zusammengezimmerte Holzgestelle, auf denen Wolldecken liegen. Erwachsene, Männer und Frauen, breiten sich im Hintergrund darauf aus. Vorne am Eingang warten zwei Mädchen bei einer Krankenschwester, die die Arme kreuzt. 694 Ebd., S. 5. 695 Ebd., S. 6. – Namentlich genannt werden „Frau Bader, RFF“ und „Frau Hardeland, RFF“. 696 Ebd. 697 ���������������������������������������������������������������������������������������� Q2/Tagebuch, S. C42f., rechts. (RK = Rotkreuz; SDG = Sanitätsdienstgrad, männliche Sanitäter).
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Die Ambulanz? Q5/Foto H2
Fieber, Hitz, Malaria Mit besonderer Aufmerksamkeit bewegten sich die NS-Schwestern durch das Lager. „Auf die Erwachsenen musste sehr geachtet werden. Da gab es manches erst zu lernen. Der eine sagt: ‚Ich hab die Hitz‘, der andere: ‚ich habe ‘s Fieber‘. Wir meinen vielleicht, es ist das Gleiche. Oh nein! Der erste hat eine fieberhafte Halsentzündung, dagegen der andere ist mit Malaria belastet“.698
Letzteres war ein Grund für eine Einweisung ins Lazarett. „Kamen die Leute aus Malariagegenden, mußten sie wache Augen haben, um die Malariakranken dem Lazarett einweisen zu können. Denn nur selten gaben sie zu, dass sie’s Fieber haben. Immer wieder musste die Schwester durch das Lager gehen, um die bettlägerig Kranken festzustellen. Die Bessaraber wollten nicht krank sein.“699
Vor allem wollten die kranken Bessaraber während der Umsiedlung nicht von ihren Familien getrennt werden, deshalb versteckten sie sich vor den NS-Schwestern: 698 Q2/Tagebuch, S. C41. 699 Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 1.11. 1940).
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Sehr bald hatte sich herumgesprochen, daß die fieberhaft Erkrankten oder sonstige bedeutsame Störungen im Lazarett unter Absonderung von den Angehörigen behandelt würden. Und von der Sippe getrennt werden, wollte man unter allen Umständen vermeiden. Die Schwester musste daher ein sehr waches Auge haben, besonders wenn Transporte aus Malariagebieten kamen. Die vom Fieber Befallenen verkrochen sich irgendwo, um nur nicht gesehen zu werden. Nach dem Fieberanfall betrachteten sie sich als gesund.“700
Die praktische Probleme solcher Aufgaben wurden an keiner Stelle beschrieben. Wie und wo entdeckten ihre „sehr wachen Augen“ die Verstecke der Kranken? Wie traten sie als „Lagerschwestern“ gegenüber den Umsiedlern auf, wenn sie die Hangars nach Kranken durchsuchten? Schmeichelten sie sich ein? Waren sie aggressiv? Wie setzten sie sich gegen die Erwachsenen durch, wenn diese sich nicht krank fühlten und bei ihrer Familie bleiben wollten? Trugen die „Lagerschwestern“ die Schaftstiefel der SS, um ihre Autorität zu erhöhen? NS-Schwester Julchen, die später bei der Dobrudscha-Umsiedlung „sofort den Lagerdienst“ übernommen hatte, wurde von ihrer „Kameradin“ Herta später wegen ihrer Stiefel auf den Arm genommen: „Schw. Julchen ist etwas schweigsam, ich glaube sie muß sich immer noch mit ihren Stiefeln zum Schlafen niederlegen.“701 „Hitler, der wird Euch schon kurieren!“ Es kam auch vor, dass Umsiedler sich hoffnungsvoll an die NS-Schwestern wandten. Von der deutschen Medizin erwarteten sie eine besondere Hilfe. NS-Schwester Käthe berichtete nicht ohne Stolz von einem Umsiedler-Transport mit „sehr vielen Schwerkranken“, von denen fast alle im Lazarett des Lagers geheilt worden seien. Dass so viele Umsiedler mit Fieber im Auffanglager ankamen, lag nach ihrem Eindruck an den „Judenärzten“, die den „Volksdeutschen“ angeblich die Behandlung in Bessarabien verweigert hätten. „Viele Umsiedler litten an ‚Fieber‘, wie sie Malaria nannten. Soweit es möglich war, wurden sie von dieser Krankheit gleich im Lager geheilt. Sehr viele kamen schwerkrank im Lager an. Oft denke ich noch an eine Mutter, die mir, als sie aus dem Auto stieg, ihr krankes Kind hinhielt und mich bat, ihm doch zu helfen. Ich brachte sie und den Buben gleich zum Arzt, der den Kleinen im Lazarett behielt, wo er trotz aller Fürsorge nach zwei Tagen starb. Zwei Aerzte hatte die verzweifelte Mutter in Bessarabien schon aufgesucht und beide hatten ihr geantwortet: ‚Geht zu Hitler, der wird Euch schon kurieren!‘ Soviel ich den Reden der Mutter entnehmen konnte, handelte es sich in beiden Fällen um Judenärzte. 700 Q2/Tagebuch, S. C41f. 701 Q6/Brief 19, S. 1 u. 3 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 21.3.1941).
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Gerade bei diesem Transport waren sehr viel Schwerkranke, denen die Aerzte einfach jede Hilfe versagt hatten. Im Lager wurden sie gleich alle dem Arzt vorgestellt, der sie dann ins Lazarett schickte, von wo aus alle bis auf den vorhin erwähnten Knaben und einer ganz alten Frau, gesund oder gebessert, die Reise nach Deutschland antreten konnten“702
Festzuhalten bleibt: Das lange Zeit unbehandelte kranke Kind, das die Mutter der NS-Schwester hilfesuchend übergeben hatte, starb nach zwei Tagen im Lazarett der Deutschen. Ablösung von dieser „Art Arbeit“ Das Aufspüren und Melden von Kranken im Lager war offenbar eine Art der „Erwachsenenbetreuung“, die die NS-Gemeindeschwestern aus ihrer Tätigkeit im Reich gewohnt waren. Aber sich hier bei den Umsiedlern als „Lagerschwestern“, vor deren wachsamen Augen sich alle versteckten, unbeliebt zu machen, widerstrebte dem Ziel der NS-Schwesternschaft, die sich als Repräsentantinnen des NS-Staates beliebt machen wollten, um die Umsiedler zu beeinflussen. Durch „Rücksprache mit Pg. Lorenz hier im Lager“ hatte die Oberin der NS-Schwesternschaft schließlich mit Hilfe des SS-Obergruppenführers erreicht, dass sich die Aufgabenbereiche nach drei Wochen veränderten. Ab dem 5. Oktober übernahm eine Gruppe von extra angeforderten DRK-Helferinnen diese „Art Arbeit“. Die NS-Oberin berichtete ihrer Kollegin nach Berlin vom Erfolg: „Von dieser Art Arbeit werden wir uns aber trennen, wenn alle Hangars belegt sind. Zum 5.10. wird eine grosse Belegzahl erwartet und sind daher 30 DRK-Helferinnen angefordert, die die Erwachsenenbetreuung versehen (Rücksprache mit Pg. Lorenz hier im Lager). Für uns bleibt dann die Versorgung der Kleinkinder bis zum 4. Lebensjahr einschließlich Ernährung.“703
Damit war der anfängliche Konflikt zwischen der NS-Oberin und den DRK-Führerinnen schließlich doch in ihrem Sinne entschieden. Die Rotkreuz-Schwestern als traditionelle Frontschwestern704 wurden insbesondere unter der nationalsozialistischer Diktatur reduziert auf eine militärische Einsatztruppe.705 Das Bild der nationalsozialistischen Schwester, die Säuglinge versorgte und nährte und gegenüber den Bessarabiendeutschen die Großzügigkeit der NS-Volkswohlfahrt gegenüber „Ariern“ und „Volksdeutschen“ repräsentieren wollte, wurde nicht mehr durch Angst einflößendes Auftreten entlarvt. 702 Q7/Bericht 6, S. 2 (NS-Schwester Käthe Schm.). 703 Q6/Brief 3, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). 704 Vgl. Panke-Kochinkel/Schaidhammer-Placke 2002, Frontschwestern Friedensengel. 705 Vgl. Morgenbrodt/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur.
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„Schwierige Aufgaben ...“
II.C.Spur 14 Häfen Kilia und Reni: Schiffe mit Krankenstuben und Lazarettschiffe „Kinder mit ihren Müttern und ganz alte Leutchen“ Mehrere Donauhäfen in mehreren Ländern spielten bei der Umsiedlungsaktion aus Bessarabien eine Rolle. Das Donaudelta am Schwarzen Meer war seit der Besetzung Bessarabiens im Sommer 1940 wieder russisch, hier lagen die Häfen Kilia und Reni. Stromaufwärts ging es auf der Donau durch Rumänien und durch Jugoslawien Richtung Westen. Weil die Reise von Bessarabien bis Wien zu lange gedauert hätte, dienten die jugoslawischen Donauhäfen in Prahovo und Semlin als Zwischenlager für jeweils 10.000 und 5.000 Umsiedler und als Umladehäfen.706 Hier stiegen sie in Eisenbahnzüge um, die sie schneller über die Grenze des „Großdeutschen Reichs“ in den „Gau Ostmark“ brachten.707 So durchliefen nicht alle Umsiedler das erste und größte Auffanglager in Galatz für 20.000 Umsiedler, ihr Weg donauaufwärts führte sie nur am Hafen Galatz vorbei. „Ein Teil der Umsiedler berührte das Auffanglager Galatz nicht. Sie wurden in dem russischen Hafen Kilia oder Reni verschifft und erst in Prahovo oder Belgrad ausgeladen, wo sie nach einer Ruhepause mittels Eisenbahn ins Reich befördert wurden.“708 Die Häfen Kilia und Reni im Donaudelta am Schwarzen Meer wurden 1940 russisch. Oben: Bessarabien. Unten: Dobrudscha. Westlich des Grenzflusses Pruth auf rumänischem Boden: das Lager Galatz.
Kartenausschnitt: „Der Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“. In: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 73.
706 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 83. 707 Entlang der Donau lag zwischen Galatz und Prahovo noch eine „Transportwache“ in Russe und zwischen den Lagern Prahovo und Semlin zwei „Transportwachen“ bei Turn-Severin und Gradiste. Lage und Umsiedlerzahlen der Donaulager. Vgl. Karte „Der Heimkehrweg der Bessarabiendeutschen“. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73. 708 Q2/Tagebuch, S. C53f.
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Die Donauhäfen Kilia und Reni lagen östlich des neuen Grenzflusses Pruth. Der deutsch-russische Umsiedlungsvertrag erlaubte, dass deutsche Umsiedlungsschiffe diese beiden Häfen anfahren durften. Gleichzeitig waren sie Grenzkontrollpunkte, an denen der russische Zoll stichprobenartig die Habe der Umsiedler kontrollierte.709 Schiffsschwestern Von den 103 am 17. September aus Wien im Hafen Galatz angekommenen NSSchwestern setzte die NS-Oberin nur 30 im Auffanglager ein. Eine viel größere Zahl arbeitete auf den Schiffen.710 Im Laufe der Zeit wurden von den Lagerschwestern weitere an die Schiffe abgegeben. Am 19. September verteilte NS-Oberin Rakow 90 NS-Schwestern auf 24 Umsiedlerschiffe.711 Jedes Schiff wurde „begleitet von zwei Leuten der NS-Volkswohlfahrt und zwei unserer Schwestern. Aus einer gewissen Vorsicht setzte ich immer eine jüngere und eine ältere Schwester auf dem Schiff ein. Dadurch gab es kaum Schwierigkeiten.“712
Kilia – Galatz – Semlin Schon wenige Tage nach der Ankunft der NS-Schwestern in Galatz wurde der erste Schiffstransport mit Umsiedlern aus dem russischen Hafen Kilia geholt. Es waren fast 1.000 Kinder, Frauen und Alte, die in der Nähe dieser Häfen lebten. Sie waren von den Männern mit Fuhrwerken zum Hafen gebracht worden, bevor diese sich selber mit den Pferdetrecks auf den Landweg nach Galatz machten.713 NS-Schwester Berti war als eine von vier NS-Schiffsschwestern beim ersten Transport aus Kilia auf der Helios dabei: „Nach einigen Tagen hieß es ‚Montag Abfahrt, erster Transport von Kilian‘, alles wurde vorbereitet und wir fieberten vor Erwartung. Als wir in Kilian ankamen, dämmerte es schon und bis alle Formalitäten erledigt waren, war es inzwischen Dunkel geworden. Es kamen nun 450 Kinder mit ihren Müttern und ganz alte Leutchen an, wir hatten 987 Personen eingeschifft. […]
709 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 212, 214. 710 Q1/Lebensbericht, Bl. 30. – Dora P. gab 1989 an, dass die übrigen NS-Schwestern für die Betreuung der Umsiedler in den abgelegenen Dörfern eingeteilt wurden, dies kann sich nur auf die anschließende Bukowina- und Dobrudscha-Umsiedlung beziehen. 711 Q6/Brief 2, S. 2f. (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 27.9. 1940). 712 Q1/Lebensbericht, Bl 33. Die „Schwierigkeiten“ könnten sich evtl. auf Verhältnisse der jüngeren NS-Schwestern mit Männern der Schiffsbesatzung beziehen. Vgl. Q6/Brief 8 (NS-Schwester Wally, Semlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 27.10.1040). 713 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 83.
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„Schwierige Aufgaben ...“ Als die ersten alten Leutchen mit ihren Bündeln, worin sie ihre nötigsten Sachen hatten, ankamen, überkam einem doch ein eigenartiges Gefühl und man gedachte der eigenen alten Eltern.“714
Die Säuglingsschwestern kümmerten sich um die Säuglinge und Kleinkinder. Außerdem arbeitete eine NS-Schwester im Arztzimmer: „Dort ging es zu wie in einem Taubenschlag. Sogar in der Nacht kamen sie mit ihren Nöten und Wünschen an. Manchem hatte das Schicksal eine schwere Bürde aufgetragen und nun waren sie froh, der Nachtschwester in kurzen und stockenden Sätzen ihr Herz ausschütten zu können.“715
Auch das kleinere Schiff Misic holte seinen ersten Transport mit 450 Frauen, Kindern und Alten vom Hafen Kilia ab. „Die Kranken, Mütter mit Säuglingen und Alte brachten wir in Kabinen mit je zwei oder drei Betten unter. Die Mütter mit Kleinkindern bekamen den geräumigen und hellen Speisesaal zugewiesen, während das junge Volk mit den weniger günstigen Plätzen Vorlieb nehmen musste.“716
Holzgestelle mit Strohsäcken standen im Schiff bereit. Als erstes folgte eine „Generalreinigung“, Säuglingsschwestern badeten Säuglinge und Kleinkinder. Am nächsten Morgen eröffneten die NS-Schiffschwestern ihre „Krankenstube und hielten regelrecht Sprechstunde ab. Bald hatten die Leute Vertrauen zu uns gefasst und kamen mit ihren großen und kleinen Nöten zu uns.“ NS-Schwester Carola badete täglich im Säuglingszimmer des Schiffes die Kleinsten. Als während der Fahrt von Kilia nach Galatz ein „vorschriftsmäßiger prächtiger Bub“ geboren wurde, sei NS-Schwester Carola stolzer gewesen als die Mutter selbst.717 Die „Sachbearbeiterin Mutter und Kind“718 hatte das Säuglingszimmer mit Wickeltisch, Badewanne, Körbchen, Kleidung sowie Geschirr und Kocher für eine eigene Milchküche ausgestattet. Auch die Krankenstube war gut ausgestattet: „Alles war vorhanden: Instrumente, Medikamente, Verbandsmaterial, ja wir konnten sogar Entbindungen und selbst kleinere Operationen auf dem Schiff ausführen.“719 Auf der Durchfahrt im Hafen Galatz kamen die NS-Schiffsschwestern – wenn sie „Zeit zu einem Sprung herauf ins Lager“ fanden – in das vier Kilometer vom Hafen entfernte Auffanglager. Dabei meldeten sie ihrer NS-Oberin die Zahl der kranken Kinder auf den Schiffen: Beim ersten Transport aus Kilia waren „1.000 Menschen 714 715 716 717 718 719
Q7/Bericht 4, S. 1 (NS-Schwester Berti Schleu.). Ebd., S. 1. Baeskow/Schrader, NSV-Schwestern bei der Umsiedlung. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 212. Ebd. An anderer Stelle genannt: Fräulein von Witzleben. Baeskow/Schrader, NSV-Schwestern bei der Umsiedlung. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 210.
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an Bord, davon die Hälfte Kinder bis zu 14 Jahren, eingeschlossen 80 Säuglinge, einige Lungenentzündungen, eine Nierenbeckenentzündung, sonst nicht besondere Erkrankungen.“720 Es ist leider nicht überliefert, ob diese Säuglinge mit Lungenund Nierenbeckenentzündung in die Kinderklinik des Lazaretts in Galatz gebracht wurden oder ob sie auf dem Schiff verblieben. Die NS-Schiffsschwestern, die die Frauen, Kinder und Alten vom Hafen Kilia zum Lager Semlin begleiteten, kümmerten sich bei dieser Gelegenheit um deren Vorbereitung auf das künftige Leben im NS-Deutschland. „Alles hatten sie zurückgelassen, Haus und Hof, ja manchen lieben Toten,“721 hieß es empathisch in einem Aufsatz der „NSV-Schwestern bei der Umsiedlung“. NS-Schwester Hanna erkannte ihre politische Verantwortung: „Ein Schiff mit 400 Menschen und 400 Schicksalen [...]. Sie werden viel lernen müssen im Deutschen Reich. [...] Die Deutschen aus Bessarabien [...], die alles im Stich liessen in dem unerschütterlichen und fanatischen Glauben an den Führer, der sie heimgerufen hat.“722
Abends saßen die NSV-Schwestern mit den Umsiedlern zusammen an Deck „und um uns versank alles,“723 denn „deutsche Lieder klangen auf. Nicht nur bekannte Volkslieder, auch neue und neueste Soldatenlieder vom jüngsten Geschehen.“724 NS-Schwester Hanna fühlte sich während der mehrtägigen Schiffspassagen zwischen Kilia und Semlin besonders berufen: „Hier galt es, als Vertreter Großdeutschlands dazustehen. [...] Wir sorgten als Schwestern für die Kranken, die Mütter und die Kinder. Aber wichtiger war es, ihnen als NS.-Schwester eine Weltanschauung nahezubringen. [...] Wir hatten versucht, ihnen das Deutschland der Jetztzeit zu zeigen, soweit dies in der kurzen Zeit möglich war. Wir haben keine Reden gehalten. Wir haben uns mit ihnen unterhalten [...] und uns immer bemüht vor ihnen zu stehen als Vertreter der nationalsozialistischen Weltanschauung und als Abgesandte des Führers.“725
Hafen Reni: Kranke auf den Schiffen Kranke und Gebrechliche wurden entweder mit Sankras direkt zum Auffanglager Galatz gefahren oder mit Krankentransportzügen zu den Verschiffungshäfen Kilia und Reni.726 720 Q6/Brief 3, S. 3 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). – Vgl. auch Q7/Bericht 3b. 721 Baeskow/Schrader, NSV-Schwestern bei der Umsiedlung. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 212. 722 Q7/Bericht 5, S. 5 (NS-Schwester Hanna Kl.). 723 Baeskow/Schrader, NSV-Schwestern bei der Umsiedlung. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 212. 724 Q7/Bericht 5, S. 4 (NS-Schwester Hanna Kl.). 725 Ebd., S. 4f. 726 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 83. – Zu den Sankra-Transporten vgl. Kapitel I.
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Einer der Häfen bei der Umsiedlung 1940: Kilia, Reni. Galatz, Prahovo oder Semlin. Q5/Foto L1
Als eines Tages ein solcher Eisenbahntransport im Hafen Reni ankam, waren NSSchwestern dabei beteiligt, die Kranken aus den zwei Waggons von den Gleisen auf das Schiff zu führen. Für sie war dies eine aufregende Situation, weil sie damit den rumänischen Boden des Lagers Galatz und den sicheren ‚deutschen‘ Boden des Schiffes verließen und ihre Füße auf den seit kurzem russischen Boden des besetzten Bessarabiens setzten. Vermutlich am 14. Oktober 1940 fuhr die NS-Oberin Rakow vom Lager Galatz aus auf der „Passau“ zum Hafen Reni mit.727 An der Seite der eher zupackenden Männer, Sanitätsdienstgrade und „Männer der Ordnungspolizei“728, zeigten sich die NS-Schwestern gegenüber den Patienten „gütig“: „In das Frühstück des nächsten Morgens platzt die Nachricht: Züge eingelaufen! Und da ist auch der Arzt vom Dienst729 u. bittet uns 2 Wagen der Kranken zu entladen. Das bedeutet, wir dürfen das Schiff verlassen.
727 Q3/Einzelblatt Nr. 1. Notiz der NS-Oberin: „14. X Fahrt a. Passau n. Reni“ [= 14.10.1940: Fahrt auf dem Schiff „Passau“ nach Reni]. 728 ����������������������������������������������������������������������������������������� „Männer der Ordnungspolizei“ werden jedenfalls in einem Bericht erwähnt: „Das Pol. Transportbegleitkommando hat tadellos, und vor allem mit großer Umsicht gearbeitet. [...] Im übrigen kamen die genauesten Meldungen über unterwegs ausgeladene Kranke vom Pol. Transportführer.“ In: Bericht gesundheitliche Betreuung auf dem Transport, Transportführung, S. 25, BA R59/376, Bl. 76. 729 Der „Arzt vom Dienst“ hat keinen Namen. War Helmut Ritter ein A.v.D. oder ein PK? Vgl. Kapitel I.
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Von musternden Blicken verfolgt, durchqueren wir den Zollschuppen, hinter dem auf einem Gleis 2 Eisenbahnwagen stehen. SDG’s u. PK Männer730 greifen tüchtig zu u. haben wir nur gütig zur Eile zu mahnen u. das Geleit zum Schiff zu geben.“731
Als nach den kranken anschließend die gesunden Umsiedler aus demselben Eisenbahntransport durch die russische Zollkontrolle auf das Schiff geleitet werden, beteiligten sich die NS-Schwestern, indem sie die Kinder der Umsiedler in Empfang nahmen: „Dann erst dürfen die Gesunden durch die Kontrolle. Jede Karte der Umsiedler wird mit der vorhandenen Liste der russischen Kontrollkommission verglichen. Name u. Nummer müssen beide Male übereinstimmen. Ein Umsiedler wird zurückgehalten. Der PK Mann klärt auf, daß mit dem Treck statt des Vaters der Sohn gefahren sei u. nach langem Hin und Her darf der Senior passieren. Ab und zu wird Gepäck zurückgehalten und im Nebenraum durchsucht. Da hinein dürfen wir nicht, denn es war schon ein großes Entgegenkommen, daß wir den Müttern die Kleinen abnehmen konnten. [...] Verhältnismäßig schnell waren Menschen u. Gepäck untergebracht. Die Kranken u. werdenden Mütter in den unteren Kabinen, die anderen in den oberen großen Räumen u. jeder Winkel mußte schon ausgenutzt werden.“732
Die Umsiedlerschiffe aus Kilia und Reni nahmen also gleichzeitig gesunde und kranke Umsiedler auf. Krankenstuben und Säuglingszimmer lagen in den Kabinen des unteren Decks, und jedes Umsiedlerschiff war besetzt mit: „1 Arzt, 2 Mitarbeiter, 3 bezw. 5 NSV-Schwestern, 1 Hilfsdienstfrau“.733 Darüber hinaus bestand im Hafen Reni eine Möglichkeit abgesonderter Schiffstransporte, um „Seuchenkontakte mit anderen Umsiedlern zu vermeiden.“734 Dem leitenden Hygieniker Prof. Rose erschien eine Absonderung auf einem Schiff besser als die unkontrollierbare „Berührung mit fremdstämmigen Seuchenträgern“ beim 730 ����������������������������������������������������������������������������������������� PK = Polizeikommando oder Polizeikontrolle oder Passkontrolle? – Vgl. PK = Propagandakompanie, in: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_militärischer_Abkürzungen (Abruf 26.1.2020). – Es wird sich hier jedoch um „Männer der Ordnungspolizei“, also PK als „Pol. Transportbegleitkommando“, gehandelt haben, wie in der Anmerkung oben erwähnt, vgl. BA R59/367, Bl. 76. – Vgl. Kap. I.A., im Abschnitt über die Einberufung des Arztes zu den SSTotenkopfverbänden. 731 Q2/Tagebuch, S. C56. 732 Q2/Tagebuch, S. C56–C58. 733 ��������������������������������������������������������������������������������������������� „Der Transportführer trägt die Verantwortung dafür, dass Frauen, Kinder und alte Personen unter Deck untergebracht sind, dass Kranke möglichst in Kabinen liegen und eine ihrem Zustand entsprechende Betreuung erhalten.“ In: Leitstelle Galatz, Dienstanweisung Transportbetreuung an Bord, S. 1, BA R59/372, Bl. 7. 734 „10-Tagemeldung“ von „Ritter, 2. Gebietsarzt Albota“ vom 27.9.1940 an Prof. Dr. Haubold, „Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer, Abteilung Presse und Propaganda – Berlin – Reichsärztekammer“, Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007. Vgl. Kap. I.
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Verbleiben vor Ort.735 In einem Fall fuhr eine „seuchenverdächtige“ Gruppe allerdings nicht wie geplant in Quarantäne mit dem „kleinen Dampfer“, sondern zusammen mit gesunden Umsiedlern auf dem großen Schiff „Passau“ vom Hafen Reni zum Lager Prahovo.736 Galatz – Prahovo: Das Lazarettschiff und der Schiffsarzt Im Hafen Galatz lag ein „Lazarettschiff“ mit 100 Betten, bereit zum Transport der Kranken. Auf diesem Schiff hatte Dr. Zuehlke aus Bromberg (Westpreußen) die Leitung. Ziel dieses Lazarettschiffes war das jugoslawische Prahovo. So wie in Semlin sollten die Umsiedler laut Umsiedlungsplan nach einem gewissen Aufenthalt hier in die Eisenbahnzüge bzw. die Kranken in einen Lazarettzug umsteigen, „um sie ins Reich zu befördern“.737 Doch nur widerwillig überließ die NS-Oberin dem Schiffsarzt dieses Lazarettschiffes eine ihrer NS-Schwestern aus dem Lager Galatz. Sie informierte ihre Kollegin in Berlin von diesem „Kampf“ um eine Operationsschwester: „Im Hafen [von Galatz] lag bis vor wenigen Tagen das Lazarettschiff (100 Betten), auf dem Dr. Zuehlke aus Bromberg verantwortlich arbeitet. Da er an NS-Schwestern gewöhnt ist, hat er sich von mir eine Operationsschwester ausgeliehen, angeblich, weil er nicht daran glaubt, dass die ihm vom RK später in Prahovo bereitgestellte eine fertig ausgebildete Schwester sei.“
Zunächst konnte die NS-Oberin den Verlust ihrer Lagerschwester noch abwehren, doch „zu allem Unglück ist dann aber die gesamte Besatzung aus Pr. [Prahovo?] kurz vor dem Auslaufen des Schiffes eingetroffen und nach einem Kampf blieb dann Schwester Anna mit dieser neuen Besatzung an Bord. Diese Lösung ist für unsere Schwester vielleicht die einfachste, da sie zu der Lagerarbeit nicht die rechte Einstellung findet. – Sie müssen aber mit der Absicht rechnen, daß Dr. Z. Schwester Anna mit nach Bromberg nehmen will.“738
Fortan war NS-Schwester Anna also Operationsschwester auf dem Lazarettschiff mit Ziel Prahovo. Vielleicht war es sogar ihr eigener Wunsch gewesen, da Konflikte mit der Arbeit im Lager angedeutet wurden. Leider gibt es im Nachlass keinen Bericht aus dem Lager Prahovo.739 735 Rose, Dienstreise Albota und Reni, Bericht 27.9.1940, S. 2f., in: BA R59/377, Bl. 22f. 736 Kersting 2008, Alexanderfeld, S. 309. 737 „Der Transport im Lazarettschiff ging bis Semlin, wo ein Lazarettzug die Kranken aufnahm.“ Bericht eines SS-Sanitätsdienstgrades, in: Koschnick 1941, Umsiedlung, S. 23. 738 Q6/Brief 3, S. 5 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an NS-Oberin Edith Blawert, Berlin, 30.9.1940). 739 Der einzige Hinweis auf Prahovo: NS-Oberin Schnee hatte die für Prahovo bestimmten NS-
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Der von Schwester Dorothee so skeptisch angesehene Schiffsarzt „Dr. Zuehlke [auf dem] Lazarettschiff“740 hatte offenbar eine gewisse Befehlsgewalt und eine zentralere Bedeutung. Ein „Dr. Zielke“ hatte als Leitender Arzt schon im vorangegangenen Umsiedlungskommando Wolhynien/Galizien – neben dem Hygieniker Prof. Rose – die Ärzte und Sanitäter mit Instruktionen für den Umsiedlungseinsatz geschult.741 War er auch der „Schiffsarzt“, für den der Gebietsarzt Ritter die möglichst vollständigen Listen der Kranken in den Trecks, die durch sein Gebiet kurz vor Galatz durchfuhren, erfasst hatte?742 Der Schiffsarzt auf dem Lazarettschiff war wahrscheinlich auch der Empfänger der Totenlisten, denn aus dem Lager Galatz „wurden bei Abgängen den Schiffsschwestern diese Zahlen mitgegeben.“743 Abgänge Wenn mit „Abgängen“ Tote gemeint sein sollten, was geschah mit Umsiedlern, die im Lazarett des Lagers Galatz verstarben? Wurden ihre Leichname auf dem Gelände des Auffanglagers begraben oder auf dem Friedhof der Stadt Galatz? „Wären die großen Kessel der Donaudampfschiffe nicht auch ideale Krematorien gewesen?“ Sogar so weit waren meine Spekulationen im Sommer 2007 gegangen, denn zum Verbleib der „Abgänge“ schwiegen die Aufzeichnungen der NS-Schwestern. Inzwischen ist bereits aufgeklärt: „Umsiedler, die im Lager starben, wurden auf dem Friedhof in Galatz beigesetzt.“744 Außerdem wurde offensichtlich ein Feldkrematorium745 mitgeführt, auch wenn „Schwester Dorothee“ davon nichts erwähnte. Doch im Zeitzeugenforum 2008 wurde mir auch berichtet, dass behinderte Kinder auf den Schiffen „verschwanden“, nachdem „Schwestern“ sie den Müttern zum Baden und Einkleiden abgenommen hatten. Das Schicksal dieser behinderten Kinder, ob sie schon auf dem Schiff den „Gnadentod“ bekamen oder ob sie mit einem anderen Transport in ein Heim verlegt wurden, war den eigenen Familien nicht bekannt. Eine Schwester habe einer Mutter auf Nachfrage nur geantwortet: „Ich habe es tun müssen.“746
Schwestern auf der „Passau“ von Wien aus direkt nach Prahovo gebracht. Vgl. II.C.Spur 9: Lager Prahovo: ein weißer Fleck. 740 Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 1, S. 1.: Notiz: „Dr. Zuehlke Lazarettschiff“. 741 Fiebrandt 2014, Siedlerauslese, S. 252, Anm. 136; S. 248, Anm. 115. 742 Zum Gebietsarzt vgl. Kapitel I. 743 Q2/Tagebuch, S. C40 (aus einem durchgestrichenen Absatz). 744 Renate Kersting fand dazu drei Quellen, in: Kersting 2008, Alexanderfeld, S. 307. 745 Vgl. Kapitel II.C.Spur 7; Q5/Foto G3. 746 ������������������������������������������������������������������������������������������ Zwei Zeitzeugenüberlieferungen beschrieben das Verschwinden behinderter Kinder auf den Umsiedlungsschiffen. Krankenschwestern hatten den Müttern die Kinder zur Entlastung abgenommen, danach wurden sie nicht mehr gesehen. In: Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler (unveröffentlicht). Kapitel A: Kinder der Umsiedler, Geschichte A.1.: „Ich hab es tun müssen“; Geschichte A.3.: „Das verschwundene Mädchen“.
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II.C.Spur 15 Dobrudscha November 1940: NS-Schwestern „z.b.V.“ „Gesundheitsbogen“ und „wilde Umsiedler“ Am 31. Oktober 1940 feierte das Umsiedlungskommando das Ende der Bessarabienumsiedlung mit einem „Kameradschaftsabend“. Ein paar Tage vorher, vermutlich am 25. Oktober, war der Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle schon im Lager Galatz erschienen, um die anschließende Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus der Dobrudscha und der Bukowina zu organisieren.747 „Pg. Lorenz [...] warf einfach unsere bisherige Einteilung über den Haufen. Statt der zehn Schwestern fahren nun fünfzehn in die Dobrudscha. Und wir drei übriggebliebenen wären für das Buchenland bestimmt [...]. Mit Aufräumungsarbeiten und Packen waren wir bis zur letzten Minute beschäftigt, sodass wir von einer eigentümlichen Abschiedsstimmung in Galatz gar nicht reden konnten. Es ging auch alles viel zu schnell.“748
Offenbar waren die 18 NS-Schwestern vorher anders eingeplant: acht für die Bukowina und zehn für die Dobrudscha. Nach der angeordneten Umverteilung durch den SS-Führer Werner Lorenz blieb der NS-Oberin nur noch, die 15 NS-Schwestern in einer Liste namentlich aufzustellen, die am 2. November 1940 zum Einsatz in die Dobrudscha abzureisen hatten.749 Zwölf NS-Schwestern fuhren aus Galatz mit der Eisenbahn nach Constanza (Constanta), drei mit einem Dampfer nach Cernavoda.750 Leiterin der NS-Schwestern im Dobrudscha-Einsatz war vermutlich Franziska To.751 Ihre Einsatzorte waren Constanza, Tulcea (Tultscha), Babadag (Babadağ), Caraomer (Cara Omer, Karaömer, Negru Vodă) und Cernavoda. Aus dem Dobrudscha-Einsatz liegen fünf Berichte vor, und zwar aus Cernavoda von Schwester Herta, aus Babadag von Schwester Freya und aus Konstanza von den drei Schwestern Franziska, Käthe, und Hildegard. Letztere trug das Kürzel „z.b.V.“, das Fragen aufwirft. „z.b.V.“ Vier der fünfzehn NS-Schwestern waren in der Aufstellung mit dem Kürzel „z.b.V.“ versehen und zum Hauptstab nach Konstanza geschickt worden. Diese vier können 747 Q3/Einzelblatt Nr. 1, „25.X. Lorenz Dobrudscha Einsatz – Bukowina“. 748 Q2/Tagebuch, S. A1, Eintrag in Stenografie vom 6.11.1940 in Radautz/Bukowina. 749 Q3/Einzelblatt Nr. 5, Aufstellung der 15 NS-Schwestern für den Dobrudscha-Einsatz zur „Abreise 2. November 1940.“ 750 Q3/Einzelblatt Nr. 1, „2.XI. 12 Schw. Constanza mit Zug / 3 Schw. Cernavoda mit Dampfer.“ 751 Vgl. Einzelblatt 5a, „Die Franziska ist der Drache / Von dem NS-Schwesternheim / Sie kassierte für Schlamp und Schluder / Manchen Lei für Kaffee ein. // Sie gewöhnet uns an Ordnung / Wenn die Bude auch mal kracht / Doch sie sorgt auch für die Kinder / Wie ne Mutter, die sich plagt.“ – Die Identifizierung mit einer anderen „Schwester Franziska“ ist möglich (Franziska Wan.).
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vielleicht die vom SS-Führer kurzfristig für die Dobrudscha zusätzlich bestimmten fünf Schwestern erklären, die die NS-Oberin eigentlich für die Bukowina eingeplant hatte. Standen sie „zur besonderen Verfügung“?752 Waren sie „zur besonderen Verwendung“ gedacht?753 Das Kürzel scheint unter den NS-Oberinnen geläufig gewesen zu sein, so berichtete Schwester Dorothee ihrer Generaloberin einen Tag vor der Abreise ohne weitere Erläuterung, dass „vier in Constanza z.b.V. sein werden.“754 Doch welche besonderen Aufgaben in der Dobrudscha hatten die vier NSSchwestern „z.b.V.“, Aenne,755 Ella,756 Erika,757 und Hildegard? 758 Letztere berichtete später ihrer Oberin, dass sie aus Konstanza von einzelnen Ortsstäben des Umsiedlungskommandos „angefordert“ wurden.759 Hier in der Dobrudscha waren die NS-Schwestern – im Gegensatz zur Umsiedlungsaktion in Bessarabien – nun auch selbst in den Dörfern der „Volksdeutschen“ unterwegs. Dabei entwickelten sie eine „wunderbare Kameradschaft“ zu den SS-Männern des Umsiedlungsstabes.760 Malaria in Cogealia In Cogealia (Kodschalie, Lumina), ein „blitzsauberes Dorf [...] eine reindeutsche Gemeinde“, wurde die „Schwester z.b.V.“ Hildegard zunächst einmal von einer Mädelführerin mit Blumenstrauß begrüßt und ihr Weg durch das Schulhaus, wo die Registrierung der Umsiedler vorgenommen wurde, „unter den Klängen des Horst-Wessel-Liedes“ von Mädchen mit Blumen bestreut. Zusammen mit „volksdeutschen“ Mädchen machte sie sich dann auf die Suche nach kranken Kleinkindern in der Umgebung. „Nun ging es von Dorf zu Dorf und es entwickelte sich eine rege Gemeindeschwesternarbeit, wo die Aufgabe ‚Mutter und Kind‘ im Vordergrund stand.“761 752 Vgl. Houlihan 2009, Kriegsprache, ebd. im alphabetischen Glossar unter N: „Nachschubstab z.b.V.: a special supply staff“ und „Nachsch.Kol.Abt. z.b.V.: Nachschub Kolonnen Abteilung z.b.V.“ 753 2007 musste ich noch raten. Fund 2020: „z.b.V.“ = zur besonderen Verwendung, gebräuchlich in der DDR und im Deutschen Reich. In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ militärischer_Abkürzungen (Abruf 26.1.2020). 754 Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 1.11.1940). 755 Q3/Einzelblatt Nr. 4, Adressliste: Aenne Tai., Kösternitz, Krs. Schlawe, Pommern (Kościernica/ Polen). 756 Ebd. in der Adressliste ist Ella We. nicht verzeichnet. Es ist auch unwahrscheinlich, dass es sich um die gleichnamige „Oberschwester We[...]“ handelte, denn diese war nach einer anderen Quelle ab 3.11. im Einsatz in der Südbukowina: „Vorkommando [...] / Vorbereitg. f. Verpflegstation / Massenquartiere / Dr. Jäger / Oberschw. We[..] / Harteland/We[...].“ In: Q3/Einzelblatt Nr. 1. 757 Ebd. in der Adressliste als Erika Vo.: Breitenstein, Krs. Arnswalde/Pommern (Bobrówko/Polen). 758 Ebd. in der Adressliste als Hildegard Uh.: Leuna, Halle-Merseburg. 759 Q7/Bericht 7, S. 3 (NS-Schwester Hildegard Uh., 15.12.1940: „Bericht über die Aktion in der Umsiedlungsaktion Bessarabien 2. September – 7. Dezember 1940“): „Dann wurden wir von den einzelnen Ortstäben angefordert, die bereits aus Bessarabien in die Dobrudscha zur Umsiedlungsarbeit gefahren waren.“ 760 Ebd., S. 5. 761 Ebd., S. 3.
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Aus einer „fliegenden Milchküche“ verteilten sie warme Milch für die Säuglinge in den abfahrenden Umsiedlerzügen und den NSKK-LKWs. Daneben warteten in der Dobrudscha, die eine Sumpflandschaft im Donaudelta war, besondere Herausforderungen. Allein in Cogealia waren fast alle Kinder an Malaria erkrankt: „Bald machte ich mich mit der Mädelführerin auf den Weg, um Säuglinge und Kleinkinder aufzusuchen. [...] Hier herrschte die Malaria ganz unheimlich. Von 85 Kindern waren 4 ohne die in Abständen auftretenden Fieberanfälle. Die Krankheit gehört zu dem Land.“762
In den umliegenden Dörfern war „Schwester z.b.V.“ Hildegard auch für die Registrierung von Pflegefällen unter den Erwachsenen zuständig, die vor der eigentlichen Umsiedlung mit NSKK-Wagen und Krankenwagen einzeln aus den Dörfern abgeholt wurden: „Viel Fußkranke entdeckte ich, die zu pflegen waren und für die eine Beförderung durch Krankenwagen sich als nötig erwies.“763 Der erste Transport, zusammengestellt aus fünf Dörfern, fuhr „auf einer Bahnstation nachts“ ab.764 Das Bild, das sie dabei von den „Volksdeutschen“ in der Dobrudscha gewann, fasste die NS-Schwester zusammen als „primitiv“ und „verwahrlost“. Vor dem Hintergrund der NS-Ideologie zum Thema „Volksgesundheit“ wusste sie dies nur durch den „schlechten Einfluss“ von „volksfremden Elementen“ zu erklären: „Die Leute, zutraulich und dankbar, sind doch in dieser Einöde unter den volksfremden Elementen recht primitiv geworden. Wie Kindern, musste man ihnen mit Mühe und Geduld vieles klar machen. Außerdem waren sie schon teilweise romanisiert [...]. Ein Fischerdorf [Palazul Mare] machte in dieser Beziehung den traurigsten Eindruck auf mich. Die Deutschen, vorwiegend Katholiken, waren recht verwahrlost, was aber nicht zu verwundern war, Rumänen, Mazedonier, Türken, Armenier und nicht zuletzt die unglaublichen Zigeuner durchsetzten das Dorf mit ihren schlechten Einflüssen.“765
Prof. Fischer, „Volksgesundheitliche Leitung“ Bei der Verteilung der „z.b.V.“-Schwestern auf die einzelnen Ortsbezirke der Dobrudscha hatte ein Leiter für „Volksgesundheit“ etwas zu sagen, der auch zum „Russlandkommando“766 gehörte: „Im Einvernehmen mit Prof. Fischer, der die volksge762 763 764 765 766
Ebd., S. 4. Ebd. Ebd. Ebd. Die SS hatte für die Umsiedlung ein „Rußlandkommando“ organisiert, das SS-Standartenführer Hoffmeyer in Berlin zusammengestellt hatte: „Der leitende Arzt war Dr. Bestvater, ihm zur Seite standen Prof. Dr. Rose und Prof. Dr. Fischer, ferner Militärärzte und volksdeutsche Ärzte aus Bessarabien. Die Sanitätsdienstgrade waren von der Wehrmacht zugeteilt. Es waren besonders ausgesuchte, bewährte Kräfte.“ Bericht eines SS-Sanitätsdienstgrades, in: Koschnick 1941, Umsiedlung, S. 23.
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sundheitliche Leitung hatte, wurden wir verteilt.“767 Ein Name wie „Professor Fischer“ lässt eine eindeutige Identifizierung nicht zu, wenn auch dieser Name mehrfach in der NS-Forschung bekannt ist.768 Es könnte sich z.B. unter anderem um Eugen Fischer, den Professor für Anthropologie handeln, bis 1942 Direktor des Berliner „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“. Eines seiner Projekte war die „Erbbiologische Centralsammlung“, die später mit „erbpathologischen Kostbarkeiten“ aus dem KZ Auschwitz beliefert wurde: „Skelette verwachsener Menschen, abgeschnittene Kinderköpfe, abgetriebene Föten, kistenweise Augen.“769 War dieser Fischer auch in der Dobrudscha auf der Suche nach solchem „volkskundlichem“ Material? Möchte man dieser Spur weiter folgen, welche Aufgabe wäre dann den NS-Schwestern dabei wohl zugekommen? Es könnte sich aber, und das ist sogar wahrscheinlicher, auch um Professor Otto Fischer handeln,770 der zu der Zeit „Leiter der tropenmedizinischen Anstalt der Universität Tübingen“ war. Mit diesem Professor, dessen Wohnort Wien war, stand Helmut Ritter „während der Umsiedlung der Volksdeutschen aus der Dobrudscha in enger Verbindung“.771 Im Anschluss an seinen Einsatz bei der Bessarabien-Umsiedlung als Gebietsarzt, bekam Ritter in der Dobrudscha weitere Aufgaben als Kommandoarzt „unter dem leitenden Arzt Prof. Dr. Fischer (Facharzt für Tropenheilkunde)“.772 Als Tropenmediziner aus Tübingen773 beschäftigte Otto Fischer sich sicherlich auch mit der Erforschung der Tropenkrankheit Malaria, die im Sumpfgebiet der Dobrudscha weit verbreitet war, wie NS-Schwester Hildegard in Cogealia selbst vor Ort festgestellt hatte. Wenn es sich um diesen handelte, hatte er gleichzeitig den Posten der „volksgesundheitlichen Leitung“ im Umsiedlungskommando inne, wenn der Begriff „Volksgesundheit“ sich gleichermaßen erbbiologisch wie seuchenhygienisch deuten lässt. Jedenfalls hatte der Tropenmediziner Otto Fischer schon im Oktober 1939 als „Professor am Hygienischen Institut in Wien“ ein Gutachten „über die Lebensverhältnisse der Deutschen in Bessarabien im Hinblick auf eine zukünfti767 Q7/Bericht 7, S. 3. 768 Vgl. Klee 1997, Auschwitz NS-Medizin, S. 453. Neben Eugen Fischer sind bei Klee mehrere NS-Akteure mit dem Namen „Fischer“ verzeichnet, u.a. KZ-Ärzte. 769 Ebd., S. 456. 770 Bei Klee ist ein Fischer mit dem Vornamen Otto nicht verzeichnet, vgl. ebd. 771 Dr. Helmut Ritter an Prof. Dr. R., Brief 22.1.1956, S. 2, Privatarchiv Dr. Ritter, Kopie 2007. Als Wohnort von Prof. Otto Fischer nannte er Wien. 772 Prof. Dr. med. Hellmuth Haubold, München: Bescheinigung [für Helmut Ritter über seine Tätigkeiten bei den Umsiedlungen], 15.4.1949, Privatarchiv Ritter, Kopie 2007. 773 „1938: Versuch des Tropenmediziners Otto Fischer und des Rektorats, das Fach im Rahmen der ‚Auslandswissenschaften‘ mit einer wissenschaftlichen Ausrichtung als Forschungsinstitut in Tübingen zu etablieren, scheitert.“ Erst 1956 gründete ein Ludolf Fischer das Tübinger Tropeninstitut. Aus: 100 Jahre Tropenmedizin an der Universität Tübingen. Prospekt 2017. URL: www. medizin.uni-tuebingen.de/files/view/OYk4va08BZ2bqmZg2yxVdeNn/100tropenmed_Programm.pdf (Abruf 25.1.2020).
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ge Aussiedlung“ verfasst,774 das auf Untersuchungen basierte, die er selbst bereits 1937 in Bessarabien vorgenommen hatte.775 Nach der Bessarabien-Studienreise, an der auch einige spätere „T4“-Tötungsärzte als Studenten teilgenommen hatten und mit der diese interdisziplinär zusammengesetzte Gruppe einen „Reichsberufswettkampf“ gewann, wurde Otto Fischer 1939 Leiter des tropenmedizinischen Instituts der Uni Wien und „mit der Erforschung ‚volksbiologischer‘ und hygienischer Fragen der deutschen Volksgruppen im Osten beauftragt“.776 Bei der Umsiedlung aus der Dobrudscha war Otto Fischer als Gebietsarzt eingesetzt und machte außerdem „hygienische Beobachtungen bei der Umsiedlung der Deutschen aus Bessarabien und dem Nordbuchenland“.777 Schon bei der Bessarabienumsiedlung hatte ein „Prof. Fischer“, der der Abteilung III des „deutschen Hauptbevollmächtigten“ in Tarutino zugeordnet war, einen „Überblick über die gesamte Seuchenlage“ Bessarabiens gegeben. Diese erfasste er „aufgrund von Meldungen der Gebietsärzte“ und eigener „Orientierungsreisen“,778 auf denen er manchmal meldepflichtige Kranke vorfand, die bisher nicht erfasst waren.779 Auch interessierte er sich für den Ungezieferbefall, gegen den schon vor der Abreise in den einzelnen Orten konsequente Maßnahmen durch Entlausungen oder Behandlungen gegen Krätze sowie Kleider- und Wohnungswechsel umgesetzt werden mussten. Somit machte dieser Prof. Fischer schon bei der Bessarabien-Umsiedlung die Bestandsaufnahmen eines Hygienikers, wenngleich „der Hygieniker des Hauptstabes“ in Tarutino Prof. G. Rose war, der sich auf die „Reiseberichte von Prof. Fischer“ bezog.780 Ob derselbe Fischer in Besserabien und in der Dobrudscha war, oder ob es sich um Namensvettern handelte, ist damit noch nicht bewiesen. Ein Professor Fischer – welcher auch immer – fand auch in der Dobrudscha ein wissenschaftliches Feld im Kontext der Umsiedlung, und die vier zusätzlichen NSSchwestern könnten als sein Nachschubstab aus Wien hier „z.b.V.“ mitgearbeitet haben. Eine schlüssigere Differenzierung der vier „z.b.V.“-Schwestern gegenüber 774 �������������������������������������������������������������������������������������� Hindemith 2005, Gesundheitszustand der Bessarabiendeutschen, S. 129. – Hindemith rekapituliert die Inhalte des besagten Gutachtens aus der Quelle im Bundesarchiv Berlin R 59/324 (VoMi). Demnach waren die Krankheiten Tuberkulose, Typhus, Ruhr, Milzbrand, Malaria, Trachom für diesen Seuchenhygieniker von Interesse, ebd., S. 130. 775 Ebd., S. 129. 776 �������������������������������������������������������������������������������������������� Fiebrandt 2014, Auslese, S. 105, Anm. 326. – Otto Fischer (geb. 1893) war einer der 14 Teilnehmer der interdisziplinären Bessarabien-Studienreise unter Leitung des späteren „T4“-Arztes Aquillin Ullrich, ebd., S. 104f. 777 Ebd. – Fiebrand fand seinen Abschlussbericht vom Januar 1941 im Bundesarchiv. – Im weiteren Verlauf des Krieges forschte Otto Fischer noch weiterhin im Osten: „1943 visitierte Fischer im Auftrag des Hygiene-Instituts der Waffen-SS deutsche Siedlungen in der Ukraine“ (ebd.). 778 Prof. Fischer, Infektionskrankheiten im Aussiedlungsgebiet Bessarabien, Bericht, Tarutino 30.9. 1940, S. 1, in: BA R59/377, Bl. 50. – Die Kopie verdanke ich Renate Kersting 2010. 779 Im Dorf Kurudschika stellte er zwei nicht erfasste Fälle von Keuchhusten fest, ebd., S. 3. 780 Rose, Dienstreise nach Albota und Reni, Bericht 27.9.1940, S. 1, 3, in: BA/R59/377, Bl. 21, 23.
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den anderen elf NS-Schwestern wurde aus dem Bericht der NS-Schwester Hildegard nicht erkennbar. NSV-Verpflegungsstellen In der Dobrudscha bewegten sich alle NS-Schwestern, nicht nur die „z.b.V.“, in den umliegenden Dörfern, während die „NSV-Verpflegungsstellen“ in den zugewiesenen Ortsbezirken ihre festen Stationen waren. Hier richteten sie Milchküchen für Säuglingsernährung ein, denn so wie zuvor in Bessarabien waren sie „hauptsächlich wieder verantwortlich für die Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder. Wir, 2 Frauenschaftsmitglieder und ein NSV-Leiter bildeten eine Arbeitsgemeinschaft. Ein großer Hof war für unsere NSV-Verpflegungsstelle ausgesucht worden.“781
Die NS-Schwestern Freya und Franziska Wan. hatten in Cogealac (Kodschalak, Domnești, Kocalak) die Aufgabe, sämtliche Eisenbahnzüge aufzuhalten und die Babys mit heißer Milch zu versorgen. Außerdem teilten sie am Ort die von der NSV zur Verfügung gestellte Säuglingswäsche aus. „Immer kamen diese Menschen sehr vertrauend zu uns [...] Misstrauen begegneten wir nie.“782 In Cernavoda, wo täglich 2.000 bis 3.000 Umsiedler zur Verschiffung ankamen, gingen die NS-Schwestern von Abteil zu Abteil und bewirteten Kleinkinder, Alte und Schwangere mit Broten und Milch. Ihre Milchküche hatten sie in einer Ecke in einem Zelt zusammengebastelt, „nicht ganz so vorteilhaft wie im Lager Galatz“.783 Gesundheitsbögen Von ihrem Einsatzort Konstanza aus reiste NS-Schwester Franziska To., genannt Fanny, in den ersten Tagen in die umliegenden Ortschaften, offenbar zu statistischen und Melde-Zwecken: „Wir besuchten dort sämtliche deutsche Familien die umgesiedelt werden sollten, um die Anzahl der Kranken und Kinder festzustellen und um eine Liste über Säuglingssterblichkeit aufzunehmen“784
Ihre Kollegin in Konstanza, NS-Schwester Käthe, beschreibt etwas genauer diese Hausbesuche mit dem Zweck, „Gesundheitsbogen“ auszufüllen und Krankenlisten aufzustellen, die sie anschließend an die Ärzte weitergab. Diese wiederum entschieden über Einweisungen in den Lazarettzug: 781 Q7/Bericht 8, S. 3 (NS-Schwester Freya Weng. über ihren Einsatz in Cogealac/Dobrudscha). 782 Ebd., S. 3. 783 Q7/Brief 19 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin, 21.3.1941). 784 Q6/Brief 14 (NS-Schwester Fanny To., Aubing, an NS-Oberin Rakow, 7.1.1941).
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„Schwierige Aufgaben ...“ „Mit Soldaten der SS fuhr ich nach Mangalia 45 km südlich von Konstanza. [...] Mangalia war eine kleine Stadt mit 2000 Einwohnern, in der das ganze Völkergemisch des Balkans vertreten war. Es wohnten dort 200 Deutsche. [...] Ich selbst ging mit dem SDG von Haus zu Haus, um Gesundheitsbogen auszufüllen. [...] In allen Wohnungen war es peinlich sauber [...] Alle Gebrechlichen, Kranken, Schwangeren und Mütter mit ganz kleinen Kindern schrieben wir extra auf und gaben von jedem Dorf dem zuständigen Arzt die Aufstellung. Der Arzt machte dann bei diesen ihm gemeldeten Familien Hausbesuche und stellte fest, wer mit dem Lazarettzug die Reise ins Reich antreten musste.“785
Fast komplett im Lazarettzug dürften theoretisch nach einer solchen Visitation die Einwohner eines kleinen Dorfes an der Schwarz-Meer-Küste umgesiedelt worden sein, denn dort grassierte die Tuberkulose. Obwohl diese Krankheit im „Dritten Reich“ als durch „minderwertiges“ Erbgut belastet diskutiert wurde, lag die Hoffnung der Einwohner im nationalsozialistischen Deutschland: „Ungefähr 300 Deutsche lebten hier ein recht elendes Leben [...] die Not hatte in vielen Hütten Einzug gehalten. Erschreckend viele Menschen litten hier an Tuberkulose [...] Schon im Frühjahr waren viele Burschen ins Reich gezogen, um in der deutschen Wehrmacht Dienst zu tun.“786
NS-Schwestern hatten in den Ortsstäben auch mit der Verwaltung der Umsiedlerakten zu tun, angeblich wegen der „Vermögenswerte“.787 NS-Schwester Franziska arbeitete nach den kurzen Dorf-Visiten beim „Kommando“ in Konstanza und „im Gesundheitsdienst [...] (Entlausung u. Kleiderbeschaffung für die ganz Armen)“ und „bei der Registrierung.“788 Aber auch die erwähnten „Gesundheitsbogen“, die NS-Schwestern bei den Besuchen selber ausfüllten, gehörten zu den bürokratischen Erfassungen, die die Umsiedlung bestimmten. „Wilde Umsiedler“ in Cernavoda NS-Schwester Herta, die mit zwei weiteren NS-Schwestern in Cernavoda eingesetzt war, erwähnte kurz eine besondere Gruppe von Umsiedlern: „Auch hatten wir wilde Umsiedler, Beß-Arabier aus dem Banat, zu betreuen.“789 Offenbar gab es für diese Gruppe von Bessarabiendeutschen aus einem westlicheren Landesteil von Rumänien ein kleines Lager in Cernavoda.
785 Q7/Bericht 6, S. 4f., „Umsiedlung!“ (NS-Schwester Käthe Schm., Bericht aus der Dobrudscha). 786 Ebd., S. 6. 787 Q7/Bericht 7, S. 5 (NS-Schwester Hildegard Uh.); Q7/Bericht 8, S. 3 (NS-Schwester Freya Weng.). 788 Q6/Brief 14 (NS-Schwester Fanny To., Aubing, an NS-Oberin Rakow, 7.1.1941), mit Bericht über ihren Dobrudscha-Einsatz 1940. 789 ���������������������������������������������������������������������������������������� Q6/Brief 19, S. 3 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin, 21.3.1940), mit Bericht über ihren Einsatz in Cernavoda.
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„Im Rathaus wurden zwei Räume für unsere Volksdeutschen eingerichtet. Schwester Julchen übernahm sofort den Lagerdienst, Schwester Walburga das Säuglingsbaden und die Pflege der Neugeborenen im Lazarett, auf Wunsch von Dr. Sut.“790
Die Arbeitsaufteilung – Säuglingsbaden, daneben Lagerdienst und Säuglingspflege im Lazarett – war also genauso wie bei der vorhergehenden Bessarabien-Umsiedlung im großen Auffanglager Galatz, wo der SS-Lagerleiter ihnen eine zentrale Position im Verwaltungsbau gegenüber dem Lazarett verschafft hatte.791 NS-Schwester Herta berichtete ihrer Oberin daher nicht ohne Genugtuung, „daß wir unsere Arbeit genau wie im Lager Galatz eingeteilt hatten und haben dadurch mit allen anderen Gliederungen gut zusammengearbeitet.“792 Mit diesen Parteigliederungen waren vermutlich neben NS-Frauenschaft und NSKK auch die SS und die Ärzteschaft gemeint. Völkergemisch Die „Volksdeutschen“ in der Dobrudscha waren froh über die Geschenke der NSV, denn „es herrschte große Not und Armut unter der Landbevölkerung. Unsere Volksdeutschen wohnten hier unter einem wahren Völkergemisch von Rumänen, Bulgaren, Türken, Griechen, Armeniern, Juden und Zigeunern.“793 Zurück blieben die vielen Umsiedlungswilligen der Dobrudscha, die nicht registriert wurden, weil sie „Mischehen“ mit Fremdstämmigen eingegangen waren.794 Durch die Umsiedlung wurden Familien auseinandergerissen: „Schwer fiel dem Völkergemisch der Abschied von den Deutschen. Oft wurde das Rollen des Zuges von dem Abschiedsgeschrei der auf dem Bahnsteig Zurückbleibenden übertönt. Es war ein Schrei der Verzweiflung, der dem abfahrenden Zug folgte, während die Deutschen mit einem frohen Lied die Dörfer verließen. Die Menschen waren dort immer in Sorge, [...] daß sie durch den Fortzug der Deutschen den letzten Schutz verlieren würden.“795
Schon bevor die NS-Schwestern am 2. November 1940 in die Dobrudscha kamen, waren Schiffe mit deutschen Juden von den Schwarz-Meer-Häfen der Dobrudscha aus nach Palästina aufgebrochen.796 Aber auch während der Umsiedlungsaktion der „Volksdeutschen“ sammelten sich jüdische Flüchtlinge hier in Konstanza, „von wo aus sie mit dem Schiff und einem Sonderzug in die Heimat gebracht werden sollten.“797 Was NS-Schwester Käthe in dieser Beschreibung unter „Heimat“ der 790 Ebd. 791 Vgl. Kapitel II.C.Spur 10: Lager Galatz, Organisation. 792 Q6/Brief 19 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin, 21.3.1941). 793 Q6/Brief 14 (Franziska To., Aubing, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin, 7.1.1941). 794 Ausführlicher vgl. Kapitel II.C.Spur 4: Mischehen. 795 Q7/Bericht 6, S. 8 (NS-Schwester Käthe Schm.: „Umsiedlung!“). 796 Ausführlicher vgl. Kapitel II.C.Spur 3: Nicht umgesiedelt: Juden. 797 Q7/Bericht 6, S. 4 (NS-Schwester Käthe Schm.: „Umsiedlung!“).
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deutschen Juden verstand, war sicherlich nicht Deutschland, wo Vernichtungslager auf sie warteten, sondern ihr Fluchtziel Palästina. So bekamen die NS-Schwestern in der Dobrudscha nicht nur die „prächtigen Gestalten“ der „Volksdeutschen“ zu sehen, die sie zuvor im Lager Galatz bewundert hatten, sondern auch, was außerhalb von abgeschlossenen und bewachten Lagergrenzen geschah. Hier in Konstanza konnten sie nicht den Blick abwenden von den Schattenseiten ihrer glorifizierten „Heim ins Reich“-Aktion. „Wir sagten nur noch: ‚Wir wollen heim ins Reich, uns reichts!‘ Und es reichte auch wirklich. Wir haben gesehen, wie es in einem anderen Land zugeht.“798 „Die DobrudschaSchwestern sind auf der Heimreise“ An Oberschwester Dorothee Rakow, Reichsleitung der NSSchwesternschaft Berlin, 5.11.1940 Q6/Brief Nr. 10
Ende November 1940 traten die NS-Schwestern mit dem NSV- und dem SS-Stab des Umsiedlungskommandos die Heimreise Richtung Wien an, die beiden Schiffe trugen die Hakenkreuz- und die SS-Flagge.799 Sechs NS-Schwestern schrieben aus Ungarn eine Ansichtskarte von Budapest an ihre Oberin Schwester Dorothee in der Reichsleitung der NS-Schwesternschaft im Berliner NSV-Hauptamt: „Die Dobrudscha Schwestern sind auf der Heimreise“. Ihre Post wurde im Dezember 1940 in Budapest abgestempelt und vom Oberkommando der Wehrmacht zensiert, versehen mit großen roten Stempeln und dem Vermerk „geprüft“.800 Denn all diese Reisebewegungen quer durch Europa, die Umsiedlungen, Deportationen und Fluchten waren in Wirklichkeit Kriegsereignisse. 798 Ebd., S. 8. 799 Q7/Bericht 7, S. 5 (NS-Schwester Hildegard Uh., 15.12.1940). 800 Q6/Brief 10 (Postkarte an Oberschwester Dorothee Rakow, Reichsleitung der NS-Schwesternschaft Berlin W 35, Maybachufer, datiert 5.11.1940 [evtl. Schreibfehler für 5.12.], gestempelt in Budapest 14.12.1940). Unterschrieben von den NS-Schwestern Friedel Leo. (Tulcea), Herta Kra., Walburga Pf., Juliane Rü. (alle drei Cernavoda) und zwei der „z.b.V.“-Schwestern Hildegard Uh. und Anne Tai.
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II.C.Spur 16 Südbukowina November 1940: Vorkommando „Neue, schwierige Aufgaben ...“ und blasse Umsiedler Dorothee Rakow fuhr am 3. November 1940 nach Abschluss der Bessarabien-Umsiedlung aus dem Lager Galatz mit der Eisenbahn Richtung Norden zum nächsten Einsatz in die Bukowina. Sie war in Begleitung von nur zwei weiteren NS-Schwestern, weil Pg. Lorenz „einfach unsere bisherige Einteilung über den Haufen geworfen“ und 15 NS-Schwestern für den Dobrudscha-Einsatz abgezogen hatte. „Und wir drei übriggebliebenen wären für das Buchenland bestimmt. Ich sollte in Radautz arbeiten, während die beiden anderen Schwestern die Säuglingswäsche nach der Gura Humora bringen müssten. [...] Es ging auch alles viel zu schnell.“801
In Radautz war der nördlichere und in Gura Humora (Gura Humoralui, heute Guro Humora) der südlichere Gebietsstab des Umsiedlungskommandos in der Südbukowina. „Gura Humora hat für uns den klangvollen Namen gegen Sodom und Gomorrha eingetauscht. Und als der Ort nach Humorului genannt wurde, sagten wir kurzweg Hummelby.“802 Hier in Radautz begann Oberin Rakow am 6. November, zwei Tage nach der Ankunft, ein Tagebuch mit Aufzeichnungen in Stenografie. Vorkommando Die drei NS-Schwestern kamen als „Vorkommando“803 der NSV an. Nach der Ankunft in Radautz wurden sie „zum deutschen Haus dirigiert. Von dem NSV-Stab war zwar noch nichts zu sehen und bewegten wir uns ganz groß als Vorkommando. Großes Hallo, als wir Dr. Maneke wiedertrafen.“804 Dieser war ihnen schon aus dem Lager Galatz als DRK-Arzt bekannt.805 Nach der Erfahrung eines großen, organisierten Lagers wie in Galatz stand die NS-Oberin bei der Ankunft in der Bukowina anfangs recht hilflos am Bahnhof ihres Zielortes Radautz. Ihre erste Schwierigkeit war hier, für sich und die noch zu erwartenden NS-Schwestern Unterkünfte zu organisieren. Bevor sie in den leeren
801 Q2/Tagebuch, S. A1 (stenografiert). 802 Q2/Tagebuch, S. A1. Gura Humora auch Gura Humorului. 803 Q3/Einzelblatt 1, „Vorkommando“ als Notiz unter dem Datum „3.XI.“; Q2/Tagebuch, S. A1; vgl. Kapitel II.C.Spur 6, Vorumsiedlungen im Lager Galatz. 804 Q2/Tagebuch, S. A1. 805 Q1/Lebensbericht, Bl. 34: „Ich ging zum DRK und traf dort erfreulicherweise den gleichen Arzt von Galatz an.“ Zu Dr. Maneke vgl. Q4/Lagerbefehl 11. – Zur selben Zeit war ein Dr. Martin Maneke ärztlicher „Leiter des Referats 5 ‚Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager‘ im Umsiedler-Gesundheitsdienst der Auslandabteilung der Reichsärztekammer“.
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Klassenräumen einer Schule fündig wurde, hatte sie sich an den ihr noch aus Galatz vertrauten Arzt Dr. Maneke in der DRK-Station gewandt. Danach lernte die NS-Oberin Dr. Jäger,806 den „Gauamtsleiter aus Nürnberg kennen, der hier das Sagen hatte“807 und drei Tage nach der Oberin in Radautz ankam: „6.11. Heute traf Gauamtsleiter Dr. Jäger ein. Unsere Begrüßung auf der Straße währte höchstens zwei Minuten, die aber zeigte, dass er sehr viel für unsere Schwesternarbeit übrig hat.“808 Soviel, dass er ihr tags darauf sogar sein Zimmer überließ: „7.11. Gauamtsleiter Dr. Jäger tritt sehr für uns ein. Es darf vor allen Dingen nicht heißen, die NS-Schwester habe eine politische Aufgabe. Er tritt mir sein Zimmer ab, damit ich ordentlich wohne. Da es sehr groß und geräumig ist, nahm ich noch Schwester Anni zu mir. [...]. Wir dürfen hier sogar jeden Abend baden.“809
Eine mehrstöckige moderne Villa hatte der Gebietsstab in Radautz für sich in Beschlag genommen, daneben war die Lagerhalle der NSV.810 Von hier aus fuhr der Gauamtsleiter die NS-Schwestern später zu ihren Einsatzorten.811 NS-Schwester Anni812 und die leitende NS-Oberin Schwester Dorothee waren offenbar die einzigen Frauen, die in den Betten der geräumigen Villa mit Bad schliefen, statt im „Massenquartier“: Die am 6. und 7. November insgesamt 48 nach und nach eintreffenden Mitarbeiterinnen wurden in einer Schule auf Strohlagern mit drei Waschschüsseln für alle untergebracht, es waren „13 NS-Schwestern, [...] oberbayrische Schwestern, [...] fünf Schwestern“ sowie „30 Frauen“ (der NS-Frauenschaft?). Nur die Männer (der NSV?) „haben Einzelquartiere vorgezogen“.813 Nach Ankunft des NSV-Stabes erfolgte eine wichtige Arbeitsbesprechung. Vielleicht fand sie ab dem 9. November statt, als SS-Führer Lorenz mit 17 Personen
806 807 808 809 810 811 812
Gauamtsleiter (der NSV?) aus Nürnberg, später in der Reichsleitung Berlin. Q1/Lebensbericht, Bl. 34. Q2/Tagebuch, S. A2. Q2/Tagebuch, S. A3. Vgl. Abschnitt unten: NSV-Verpflegungsstelle; sowie Q5/Foto O1, P1. Q6/Brief oder Q7/Bericht einer NS-Schwester. Vgl. Q6/Brief 12 (NS-Schwester Anni Ho. aus Radautz, 19.11.1940); Q6/Brief 18 (NS-Schwester Anni Ho. aus Landsberg/Warthe [Gorzow Wielkopolski], 17.3.1941). Q2/Tagebuch, S. A2f.: „6.11. […] Mittags trafen 13 NS-Schwestern ein, die in einem Mas813 ��������������������������������������������������������������������������������������� senquartier in der rumänischen Knabenschule untergebracht wurden. Sie haben lediglich ein Strohlager und drei Waschschüsseln zur Verfügung [...]. Am Abend sah der Gauamtsleiter [Dr. Jäger aus Nürnberg] seine oberbayrischen Schwestern. Na, das war eine frohe Begrüßung. [...] 7.11. [...] Die heute noch eingetroffenen fünf Schwestern bleiben im Massenquartier in der Schule. Auch die angekommenen dreißig Frauen fühlen sich da wohl. Die Männer haben Einzelquartiere vorgezogen. Die Unterkünfte sind Glückssache. Wir dürfen hier sogar jeden Abend baden.“
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in der Bukowina eintraf,814 oder schon vorher mit „Dr. Jäger / Oberschw. Weber / Harteland Weber“.815 „Im übrigen hatten wir eine gemeinsame Arbeitsbesprechung, die so manches erklärte. Leider nahm der Arzt816 nicht daran teil.“817
Neue, schwierige Aufgaben „Unsere kleine, eng verschworene Arbeitsgemeinschaft in Galatz wurde nun in alle Winde zerstreut [...] wir wurden weitergeschickt in die verschiedenen Durchgangsstationen der Dobrudscha und in die Südbukowina. Hier konnten wir uns mit vollen Segeln an neue, schwierige Aufgaben machen.“818
Kurz vor der Abfahrt in die Bukowina hatte sich die NS-Oberin brieflich bei ihrer Generaloberin in Berlin dafür bedankt, dass sie noch länger in der „Frontarbeit“ bleiben darf, und zwar für den folgenden Einsatz bei der Bukowina-Umsiedlung, „die vielleicht noch schwierigere Umstände bringt.“819 Das Neue an den Aufgaben der NS-Schwestern war im Gegensatz zu ihrem Einsatz im Lager Galatz, dass sie in der Südbukowina nicht mehr auf die Arbeit im Auffanglager beschränkt waren, sondern nun auch in die Herkunftsorte der Umsiedler reisten, „um die Aermsten zu betreuen“.820 Dieses Mal arbeiteten die NS-Schwestern mit NSKK und den Sanitätskraftwagen zusammen, die kranke Umsiedler zu den Eisenbahntransporten brachten. Ihre „enge“ Kooperation mit den Ärzten beruhte auf der Routine der NSGemeindeschwestern nach dem „Erbgesundheitsgesetz“ zu arbeiten, denn soziale Leistungen für die Ärmsten verteilte die NSV nach nationalsozialistischen Kriterien nur an „erbgesunde“ Familien. „Eine enge Zusammenarbeit mit den Ärzten war selbstverständlich; alles ging reibungslos – hatten wir doch erfahrene Gemeindeschwestern in der Arbeit. Ein besonderer Faktor war die Sauberkeit, doch gab es keinerlei Schwierigkeiten.“821 814 Q3/Einzelblatt Nr. 1, „9.XI. Eintreffen Lorenz 17 Personen.“ – Der SS-Obergruppenführer und Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, „Pg. Lorenz“, hatte die NS-Schwestern am 25.10.1940 auch in Galatz auf ihren Einsatz in der Dobrudscha und der Bukowina vorbereitet und eingeteilt (vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 1: „25. X. Lorenz Dobrudscha Einsatz–Bukowina“), so wie vor dem Bessarabien-Einsatz in Wien (vgl. Q2/Tagebuch). 815 Q3/Einzelblatt 1, Notiz für den Zeitraum zwischen 3.11. und 9.11.1940. – Eine Oberschwester Weber ist nicht bekannt; mit RK-Feldführerin Harteland hatte die NS-Oberin schon in Semlin und Galatz einen Konflikt wegen der Aufgabenverteilung an DRK- und NS-Schwestern, den nur SS-Führer ‚Pg. Lorenz‘ klären konnte. 816 Gemeint ist vermutlich Dr. Maneke. 817 Q2/Tagebuch, S. A3. 818 Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Bericht einer NS-Schwester, o.A.). 819 Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 1.11.1940). 820 Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Bericht einer NS-Schwester, o.A.). 821 Ebd.
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„Schwierige Aufgaben ...“
Da „keinerlei Schwierigkeiten“ auftauchten und alles „reibungslos“ verlief, was waren dann die angedeuteten „neuen, schwierigen Aufgaben“? „Schwierig“ sei in der Bukowina – im Gegensatz zur Bessarabien-Umsiedlung, die zumindest offiziell von einer Freiwilligkeit geprägt war – jedenfalls ein aufkommender Widerstand der „volksdeutschen“ Bevölkerung gegen den „neuen Ton der Ära Schmidt“822 gewesen. Der vom SS-Führer Lorenz in Rumänien eingesetzte neue deutsche „Volksgruppenführer“ Andreas Schmidt gab nun die „schärfste“ Aufforderung zur Umsiedlung.823 In Gura Humora konnte man sich dafür registrieren lassen,824 doch die Auswahl entschied der „Ortsbevollmächtigte“ nach bestimmten Kriterien. Wegen der Unsicherheit über die weitere politische Entwicklung spielten sich hier „überaus dramatische Szenen“ ab. Gründe waren vor allem die Furcht vor einem weiteren Vordringen der Russen, die Rumänien schon teilweise besetzt hatten, aber auch aus Unsicherheit über die deutschen Akteure. Aus „schwankendem Interesse am Deutschtum“ oder weil sie „Mischehen“ mit Rumänen eingegangen waren, ließen sich größere Menschengruppen gleich wieder aus den Listen austragen.825 Auch eine „Gegenpropaganda“ von katholischen Geistlichen, die es in Bessarabien kaum gegeben hatte, bewirkte, dass viele Umsiedler ihre schon erhaltenen Kennkarten wieder zurückgaben. Derselbe seltsame Widerspruch, den wir bei den NS-Schwestern zwischen „schwierigen Aufgaben“ und „reibungslosem Ablauf“ finden, beschrieb auch ein Umsiedler in seinem Tagebuch: „Es geht alles so widerstandslos vor sich, daß die Gegner der Umsiedlung gar nicht zu Worte kommen. Einer, der es dennoch wagt, dagegen zu sprechen, wird von der ganzen Kommission aufgesucht und bearbeitet.“826
Dr. Maneke in der DRK-Station in Radautz hatte angeblich nur Sarkasmus für die Umsiedlungs-Unwilligen übrig: „Da bleibt nichts anderes übrig als nachts gegen die Wand stellen.“827 Dies könnte ein schlechter Witz gewesen sein, aber auch ein deutlicher Hinweis auf Erschießungen. Die immer wieder nur angedeuteten „schwierigen Aufgaben“ könnten als Synonym für Ermordungen gedeutet werden. Eine NS-Schwester hatte in Zusammen-
822 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 103: Kurz vor Beginn der Umsiedlung in der Südbukowina und der Dobrudscha, ernannte Lorenz als Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle ab 28.9. 1940 den jungen Andreas Schmidt zum „Volksgruppenführer“ der deutschen Bevölkerung in Rumänien. Das Führerprinzip hatte zu einer „Lähmung der freien Auseinandersetzung innerhalb der Volksgruppe“ geführt. Bis dahin waren verschiedene Strömungen im demokratischen „Volksrat“ möglich gewesen. 823 Ebd., S. 97. 824 Ebd., S. 98. 825 Ebd., S. 106. 826 Ebd., S. 102. Zitat aus dem Tagebuch eines Dobrudschadeutschen. 827 Q1/Lebensbericht, Bl. 34. – Vermutlich Dr. Maneke.
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hang mit Behinderten und Juden, die ihr im Stadtbild von Galatz auffielen, schon einmal den Begriff „schwere Aufgabe“ verwendet: „In Deutschland hat der Nationalsozialismus Schluss mit diesen Ausbeutern gemacht. In Rumänien versucht die Eiserne Garde ihr verseuchtes Land wieder freizumachen. Es ist eine schwere Aufgabe.“828
Vielsagend notierte sich die Oberin nun „neue Anforderungen“ im „Gebiet G.H.“ (Gura Humora) auf einer Datumsliste nach dem 15. November 1940.829 Unmittelbar vor dieser Notiz ist unter demselben Datum ein Festakt zur Abfahrt des ersten Umsiedlerzuges mit dem Leiter der Umsiedlung in der Südbukowina, SS-Oberführer Siekmeyer („Siegmeyer“), notiert. Und unmittelbar danach, am 16. oder 17. November, reiste die NS-Oberin aus der Bukowina ab – so dass die „neuen Anforderungen“ sie nicht mehr betrafen. Ihre Notizen zu diesem Zeitraum geben genug Rätsel auf:
Ausschnitt aus: Q3/Einzelblatt Nr. 1, S.2.
Transkription: „15. XI. 1. Umsiedlerzug830 Auf hebt unsere Fahnen Siegmeyer Wünsche Zugfolge 2 – 3 – 2 – 3 – 2 20 Gruppen [eingefügt in Stenografie: Krankenversorgung f[...?...] geblieben. Nachts LKW-Tankstellen] Vorsorgen Gebiet G.H.831 neue Anforderungen Dorna Watra832 Hotel Gebirgslandschaft Paß 2000 m 17. XI. Dornestre833 ab Bhf dunkel Gepäckwagen versiegelt Grenzkontrolle“ 828 Q7/Bericht 5, S. 3 (NS-Schwester Hanna Kl.). 829 �������������������������������������������������������������������������������������������� Q3/Einzelblatt 1. Notiz von Dorothee Rakow: „15. XI. [...] Vorsorgen Gebiet G.H. neue Anforderungen“. 830 Vgl. Q5/Foto P8. 831 G.H.: Gura Humoralui oder Gurahumora. Ort in der Bukowina, Sitz eines Umsiedlungsgebietsstabes. 832 ���������������������������������������������������������������������������������������� Dorna-Watra (Vatra Dornei): Ort südwestlich von Gura Humoralui, der westlichste „Ortsbereich“ der Bukowina-Umsiedlung an der Eisenbahnlinie vor der ungarischen Grenze. Vgl. Q3/ Einzelblatt Nr. 7 „Karte der Bukowina.“ 833 Dornestre: Die Transkription aus Rakows Schrift ist an dieser Stelle nicht eindeutig. Es könnte sich um den Ort „Dornesti“ (Hadikfalva) in der Südbukowina handeln. Vgl. Ortsverzeichnis in: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 269.
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Die angetretenen „20 Gruppen“ könnten die neu in Radautz eingetroffenen 150 NS-Schwestern gewesen sein, die am 16. November ihre Arbeit in den Dörfern der Bukowina aufnahmen. In ihre Notiz fügte die NS-Oberin einige Worte in Stenografie nachträglich ein: „Nachts LKW-Tankstellen“. Nächtliche LKW-Fahrten sind in anderen Dokumenten nicht erwähnt. Verwunderlich ist auch die Notiz über „Dorna Watra Hotel Gebirgslandschaft Paß 2000m“, direkt nach „neue Anforderungen“ und direkt vor ihrer Abfahrt in „Dornestre ab Bhf dunkel Gepäckwagen versiegelt“ am 17. November 1940. Die „Grenzkontrolle“ weist auf die Fahrt durch Ungarn hin, auch wenn Strecke und Zielorte niemals explizit erwähnt wurden.
Karte aus dem Nachlass der NS-Oberin Q3/Einzelblatt 7
Spurensuche im Bessarabien-Nachlass
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Diese Kartenskizze zu „Buchenland – Gebietsstäbe – Ortsbereiche – Eisenbahnen – Landesgrenze“ wurde 1940 den Mitgliedern des Umsiedlungskommandos zur Verfügung gestellt. Sie skizziert die damalige neue Grenzsituation bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung im November 1940. Die beiden Gebietsstäbe des Umsiedlungskommandos für die Südbukowina lagen in Radautz und Gurahumora in Rumänien. Hervorgehoben ist auf dieser Kartenskizze die Eisenbahnlinie, auf der die Umsiedler bei Dorna-Watra über die ungarische Grenze Richtung Deutsches Reich gebracht wurden.834 Fahrten im Mercedes Während der knapp zwei Wochen ihres Einsatzes im „Vorkommando“ in der Südbukowina war die NS-Oberin auch außerhalb von Radautz unterwegs. In ihren späteren Lebenserinnerungen berichtete sie von Autofahrten mit Dr. Jäger, einem Gauamtsleiter, der vermutlich aus der zuständigen NSV-Stelle Nürnberg herkam: „Mehrmals fuhr ich mit dem hier das Wort führenden Gauamtsleiter in diese Siedlungen und sah, wie diese Menschen sehr bescheiden lebten.“835 Der Mercedes, in dem ein Fahrer mit Hakenkreuzbinde sie dienstlich kutschierte, trug das Berliner Autokennzeichen „IA“.836 Leider beschrieb sie nie den Zweck dieser Fahrten, und sie verwechselte November mit Oktober, da sie erst Anfang November in der Bukowina ankam: „Eines Tages hatte ich Gelegenheit ins Hochgebirge nach Dorna vatra (Vatra dornei), in den Ostkarpathen gelegen, zu fahren. In frühester Morgenstunde fuhren wir mit dem Merzedes los. [...] es war Anfang Oktober, und wir fuhren durch eine Serpentinenstraße, die von beiden Seiten von über Meterhohen Schneewänden begrenzt war. Der Fahrer und ich sprachen kaum ein Wort. [...] Ein Ausweichen war unmöglich. Weit nach Mitternacht kamen wir erschöpft in unsere Quartiere.“837
Nur im Stenografie-Teil ihres Tagebuchs von 1940 kommen einzelne Begegnungen mit Menschen zur Sprache, die sich in dieser Zeit abgespielt haben müssen. Es waren Menschen, denen die Umsiedlung starke persönliche Probleme bescherte. So traf die NS-Oberin eine weinende Frau aus Karlsberg838 an, dem nördlichsten Ortsbereich in der Bukowina, der „zuerst und vollständig geräumt wird. Nur eine deutsche Frau, die 834 1940 wurde die Nordbukowina für kurze Zeit sowjetisch (auf der Karte markiert als „U.d.S.S.R.“), die „Volksdeutschen“ von dort wurden über Galizien umgesiedelt. Die „Volksdeutschen“ aus der rumänisch gebliebenen Südbukowina wurden dagegen über Ungarn in den Westen gebracht. Seit dem Ersten Weltkrieg hatte auch dieses Gebiet zu Großrumänien gehört. Vgl. Bauer 2017, Deutsche aus der Bukowina, S. 124, 129. 835 Q1/Lebensbericht, Bl. 32. Dort im falschen Zusammenhang mit Galatz dargestellt. Doch es kann sich aus mehreren Gründen nur um spätere Fahrten in der Bukowina handeln. 836 Ausführlicher in: Q5/Foto P5, Kommentar. 837 Q1/Lebensbericht, Bl. 35. 838 Karlsberg/Putna: Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte); sowie Q6/Brief 16 (Bericht von NS-Schwester Cora Spr. über die NSV-Verpflegungsstation in Putna bzw. Karlsberg).
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Mit Mercedes und Chauffeur unterwegs in der Bukowina: NS-Oberin Schwester Dorothee, in Begleitung von Gauamtsleiter Dr. Jäger oder mit dem DRK-Arzt Dr. Maneke? Q5/FotoP5
einen rumänischen Briefträger geheiratet hat, weint, dass sie nicht mit heim ins Reich kann.“839 Solch ein Fall einer „Mischehe“ war ein häufiges Thema bei der BukowinaUmsiedlung,840 das die NS-Oberin hier noch marginalisieren konnte. Einen zweiten kritischen Problemkomplex notierte Schwester Dorothee in Stenografie in ihr Tagebuch: Ganz anders als ihre früheren antisemitischen Beschreibungen der Stadt Galatz wirkte nun die Notiz über eine junge Jüdin in der Bukowina.841 Bei dieser Begegnung war die NS-Oberin abermals im Auto unterwegs, diesmal als Begleiterin des DRK-Arztes Dr. Maneke, den SS-Oberführer Siekmeyer842 auf 839 Q2/Tagebuch S. A3. 840 Vgl. ausführlicher das Kapitel II.C.Spur 4: Mischehen. – Zum Thema „Mischehen“ in der Bukowina: Die Umsiedlung von „Fremdstämmigen“ war bei der vorhergegangenen Umsiedlung aus Bessarabien noch kein Problem. „Mischehen“ wurden hier zunächst ohne Schwierigkeiten registriert. Erst nach Ankunft der ersten Züge in Deutschland schickte die VoMi am 20.10.1940 das Telegramm „Fremdstämmige nicht mehr aussiedeln“. Diese Anweisung sorgte für große Konflikte, da Ehen nicht einfach getrennt werden konnten. So wurden „Mischehen“ in der Bukowina ein schwieriges Thema. Nach: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 73f. 841 Vgl. Kapitel II.C.Spur 3: Nicht umgesiedelt: Juden. 842 SS-Oberführer Siekmeyer war Leiter des deutschen Umsiedlungskommandos für das Südbuchenland und die Dobrudscha, vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 95.
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die Suche nach einem angeblich an Pocken erkrankten Kind geschickt hatte. Sie entdeckten dabei in Alt-Fratautz (Fratautii Vechi)843 zwei elternlose, deutsch sprechende Kinder, offenbar in einem Versteck. „Am nächsten Tag besichtigten wir die noch einzurichtende Verpflegungsstation in Karlsberg844 mit Dr. Maneke. Auf dem Weg dorthin trafen wir Oberführer Siekmeyer, der Herrn Dr. Maneke bat, nach einem pockenkranken Kind in Alt-Fratautz zu sehen. Nach mehrmaligen Fragen kamen alle in das richtige Haus. Wir traten in eine Wohnung und fanden leere, abgezogene Betten, also die andere Tür. Ein sehr freundliches Mädchen zeigte uns mit bedauernden Worten das kranke Kind. Auf die ärztlichen Fragen konnte die nur mit Bedauern antworten, nicht Bescheid zu wissen, da sie selbst ja aus einem Dorf flüchten mussten. Erstauntes Fragen unsererseits wurde dahin aufgeklärt: Gnädigster Herr, ich darf leider nicht umsiedeln. Ich bin doch eine Jüdin. – Im übrigen handelte es sich bei den Pocken lediglich um Windpocken.“845
Diese Begegnung mit einer – vermutlich vor der „Eisernen Garde“846 – geflüchteten Jüdin, „ein sehr freundliches Mädchen“, hatte „Erstaunen“ bei ihnen ausgelöst. Offenbar öffnete diese Situation dem Arzt sowie der NS-Oberin die Augen über bisher angeblich unbekannte Hintergründe. Diese Aufklärung über die wahren Verhältnisse korrespondiert mit der eigentümlichen Bemerkung zu der ersten Arbeitsbesprechung nach Ankunft in der Bukowina, „die so manches erklärte“ – sie hatte dem noch bedeutungsvoll hinzugefügt: „Leider nahm der Arzt nicht daran teil.“847 Man kann diese Andeutungen nicht wirklich verstehen, doch scheint hier in der Bukowina eine persönliche Distanzierung zum Gesamtgeschehen der Umsiedlung geschehen zu sein, die in den früheren Aufzeichnungen niemals zum Ausdruck kam. Die neue Führung unter SS-Oberführer Siekmeyer scheint dabei eine Rolle gespielt zu haben. Vielleicht war der Besuch in Alt-Fratautz ein Wendepunkt, der Schwester Dorothee als verantwortliche „Führerin der NS-Schwesternschaft“ kurz darauf zum vorzeitigen Abbruch ihres Einsatzes bewegte, was der Arzt ihr möglicherweise mit einem Attest ermöglichte.848 843 Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte): Alt-Fratautz lag nördlich von Radautz, fast an der damals russischen Grenze. 844 Vgl. Q6/Brief 16 (Bericht von NS-Schwester Cora Spr. über die NSV-Verpflegungsstation in Putna bzw. Karlsberg und Radautz, 5.3.1941): Die Karlsberger NSV-Station wurde von der NSV-Verplegungsstelle Radautz beliefert. 845 Q2/Tagebuch, S. A2 (stenografiert). 846 Juden in Rumänien wurden von der rumänischen „Eisernen Garde“ verfolgt. Von der Umsiedlung nach Deutschland waren sie ausgeschlossen. Umsiedlungswillige Juden wurden nicht registriert, wenn sie mehr als ein Viertel nicht-arischer Abstammung waren. „Daß ihnen die Ablehnung wahrscheinlich das Leben rettete, ahnten sie nicht“. Nach: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 72. 847 Q2/Tagebuch, S. A3. 848 Vgl. Kapitel II.C.Spur 16, im Abschnitt „17. November 1940, Vorzeitige Abreise“.
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„Schwierige Aufgaben ...“
NS-Schwestern in der Bukowina „Nach einigen Tagen Orientierungs- und Vorbereitungsarbeiten als Vorkommando trafen bereits eine große Anzahl NS-Schwestern aus dem Reich ein.“849 Dies stellte Schwester Dorothee als leitende NS-Oberin im ihrem Gebietsstab Radautz vor Probleme: „Die unangenehmste Überraschung war ein Telegramm ‚Eintreffen 350 Schwestern‘. Was sollte ich hier mit so vielen Schwestern anfangen [...] es kamen nur 150 Schwestern, das reichte!“850
Die übrigen 200 NS-Schwestern fuhren unter NS-Oberin Irene Pantenius zum zweiten Gebietsstandort Gura Humora. Sie hatte vordem zusammen mit NSSchwester Ursula Rie. die Bukowina-Umsiedlung vorbereitet.851 „Als ich mich mit 200 NS.-Schwestern aus allen Gauen Anfang November im Kommandozug über Wien nach Budapest der rumänischen Grenze näherte [...] Der SS-Umsiedlungsstab hatte seinen Sitz bereits in Gura-Humora genommen, einem kleinen Nest mitten in den Karpathen, von wo aus das feinverzweigte und glänzend durchorganisierte Netz des Umsiedlungskommandos jede kleine Ortschaft erfasste, in der Deutsche lebten.“852
Im Umsiedlungsstab Gura Humora befand sich auch der Leiter des Umsiedlungskommandos SS-Oberführer Siekmeyer. Als „Beauftragter des Führers für Umsiedlungsfragen“ gehörte auch er zu den Neuhinzugekommenen. „Er traf am 1. November in Gura Humora ein. Von Anfang an gab es Reibungen zwischen den Kommandoangehörigen [...] und SIEKMEYER, da [...] SS-Oberführer SIEKMEYER und seine Leute als Anfänger in Umsiedlungsfragen betrachtet wurden.“853
Unter ihren 150 NS-Schwestern in Radautz traf Dorothee Rakow in NS-Schwester Cora Spr. zufällig eine frühere Kollegin wieder, als sie die „Arbeitsgebiete“ einteilte.854 Auch bevor sie am 17. November 1940 vorzeitig aus Radautz abreiste, organisierte sie noch den weiteren Einsatz der NS-Schwestern und setzte als ihre Leitungsvertre-
849 Q3/Einzelblatt 8. 850 Q1/Lebensbericht, Bl. 34. 851 Q6/Brief 7 (Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 20.10.1040). 852 Q7/Bericht 10, S. 1, erste Spalte (Abgedruckter Bericht von NS-Oberin Irene Pantenius, o.J.). 853 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 96. 854 Q1/Lebensbericht, Bl. 34: „Bei Einteilung der einzelnen Arbeitsgebiete hatte ich noch eine Überraschung. Ich traf hier Schwester Cora wieder, die während meiner Lernzeit in Burg Stationsschwester einer Männer-Station war. Es war ein kurzes freudiges Wiedersehen.“
Spurensuche im Bessarabien-Nachlass
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tung die NS-Schwester Charlotte ein.855 Bei der Verteilung der NS-Schwestern war vorrangig, dass zuerst „die Orte, die für feste Verpflegungsstation vorgesehen waren, Schwestern erhalten. Das ist in Radautz, Itzkany856 und Puttna.857 Die Schwestern der letzten Station arbeiten erstmal in Karlsberg858, weil hier der Ort zuerst und vollständig geräumt wird. [...] Weiter arbeiten ständig zwei Schwestern in dem deutschen Dorf Fürstental.859[...]. Außerdem arbeiten 2 Schwestern im Ortsbezirk K[unleserlich] und kümmern sich um die in den umliegenden Dörfern wohnenden Deutschen, die umgesiedelt werden. Für 24 Transportzüge des Gebiets Radautz wurden je 3 Schwestern eingeteilt, die aber bereits am 16. und 17. ihre Arbeit in den Dörfern aufgenommen haben, deren Umsiedler sie im Zug begleiten werden.“860
Die NS-Schwestern nahmen ihre Arbeit demnach erst am 16. November auf, als die Arbeiten des „Vorkommandos“, zu dem die Oberin und nur wenige andere Schwestern schon am 3. November angekommen waren, abgeschlossen waren. Die Gebietsstäbe der Umsiedlungskommandos in Radautz und Gura Humora waren – soweit es Schwester Dorothees Dokumenten zu entnehmen war – folgendermaßen besetzt: Umsiedlungs-Gebietsstab Radautz: Vorkommando: DRK-Arzt Dr. Maneke. Ab 4.11.: NS-Oberin Dorothee Rakow, NS-Schwester Anni Ho.861 Ab 6.11.: [NSV?-] Gauamtsleiter Dr. Jäger aus Nürnberg mit 13 NS-Schwestern aus Nürnberg. Ab 7.11.: 5 NS-Schwestern, 30 Frauen, Männer, der „NSV-Stab“ u.a. 855 Charlotte Con. verzichtete später auf eine Beförderung ins Reichshauptamt, die ihr nach der Leitungsvertretung in der Bukowina angeboten wurde. Sie wand sich geschickt heraus. Vgl. Q6/ Brief 15 (NS-Schwester Lotte Con., Weinhübel, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 26.1.1941). 856 Itzkany: südöstlich von Radautz an der Bahnlinie (Q3/Einzelblatt Nr. 7, Kartenskizze). 857 �������������������������������������������������������������������������������������������� Puttna: Putna lag südlich von Karlsberg, vgl. Karte „Die deutschen Siedlungen in der Bukowina“. In: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 12. 858 Karlsberg/Putna: Entlang der Bahnlinie war Karlsberg der nordwestlichste Ort der Umsiedlung. (Q3/Einzelblatt 7, Karte). Nach der Räumung von Karlsberg führte die Bahnlinie über Radautz, Itzkany über Gura-Humora Richtung Dorna Watra über die Grenze nach Ungarn (Q6/Brief 16 = Bericht von NS-Schwester Cora Sp. über die NSV-Station in Putna bzw. Karlsberg, 5.3.1941). 859 Fürstental bzw. Fürstenthal (Voievodeasa): Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Fragment eines Berichts). 860 Q2/Tagebuch, S. A3f. 861 NS-Schwester Anni Ho. arbeitete nach der Umsiedlung in Landsberg/Warthe, möglicherweise in der dortigen psychiatrischen Landesanstalt. Q6/Brief 18 (NS-Schwester Anni Ho., Landsberg/ Warthe, an NS-Oberin Dorothee Rakow, 17.3.1941); Q6/Brief 12 (NS-Schwester Anni Ho. und vier weitere NS-Schwestern, Radautz, an NS-Oberin Rakow., 19.11.1940).
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150 NS-Schwestern. Leitung: NS-Schwester Lotte Con. (als Vertretung für die am 17.11. abreisende NS-Oberin Dorothee Rakow). NS-Schwestern Cora Spr. und Hilde.862
Umsiedlungs-Gebietsstab Gura Humora: Ab 1.11.: SS-Oberführer Siekmeyer. Ab 16.11.?: 200 NS-Schwestern. Leitung: NS-Oberin Irene Pantenius. Kimpolung (Câmpulung Moldovenesc): NS-Schwestern Cora Spr., Hilde und Lissi.863 Dorna Watra: NS-Schwester Else Pa.? NSV-Verpflegungsstelle Die NSV-Verpflegungsstelle in Radautz nahm ihren Sitz in einer modernen Villa im Bauhaus-Stil in der Strada Voluntarilor [Straße der Freiwilligen], heute umbenannt nach einem Priester Strada Iraclie Porumbescu 6/8.864 Zuvor trug die Straße auch einmal den deutschen Namen „Zieselgasse“, benannt nach dem jüdischen Notar und Gemeinderat Moritz Ziesel.865 Die mehrstöckige Villa wurde im November 1940 mit Hakenkreuz-Fahnen beflaggt, und zwei große, feierlich mit Tannengrün umkränzte Schilder hingen über dem Eingang, darauf in groß gemalten FrakturBuchstaben: „Umsiedlung Süd Buchenland NSV Verpflegungsstelle“ und „Heim ins Reich“. Hier befanden sich wahrscheinlich die schon erwähnten Büro- und Unterkunftsräume der höheren Mitglieder des deutschen Umsiedlungsstabes. „Das Gebäude auf dem Foto beherbergte auch die SS-Mission, die das gesamte Archiv der katholischen und evangelischen Kirchen übernahm“.866 Auch NS-Oberin Dorothee Rakow und NS-Schwester Anni kamen in dieser Villa unter.
862 Q6/Brief 16 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk, an NS-Oberin Rakow, 5.3.1941). 863 Q6/Brief 13 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk, an NS-Oberin Rakow, 16.12.1940). 864 Die Adresse konnte 2020 anhand des Fotos Q5/O1 dank der rumänischen Facebook-Gruppe „Rădăuți, amintiri oameni, locuri“ [Radautz, Erinnerungen, Menschen, Orte] ermittelt werden. Ich danke dafür Constantin Tudurache, E-Mail 15.6.2020. Vgl. ausführlicher in: Q5/O1 und P1, Kommentar. 865 „uliţa se numea Zieselgasse, de la impiegatul notarial, dar şi consilier comunal, evreul Moritz Ziesel“. In: Băncescu, Dragoș, öffentlicher Facebook-Eintrag in: Rădăuți, amintiri oameni, locuri [Radautz, Erinnerungen, Menschen, Orte]. URL: https://www.facebook.com/groups/ 280878775632633/permalink/860673800986458/?comment_id=860745004312671# (Eintrag 12.7.2019). Ich danke Constantin Tudurache für die Übermittlung, E-Mail 15.6.2020. 866 Ebd., Kommentar von Dragos Băncescu zum Foto Q5/O1, das Constantin Tudurache in dem Forum hochlud. Über die deutsche Umsiedlung aus Radautz wusste Băncescu: „Die Bevölkerung aus den deutschen Dörfern um Rădăuţi lagerte auf dem Hof. Linien marschierten zum Deutschen Haus, machten dann vor der katholischen Kirche Halt, wo ein Gottesdienst abge-
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Die NSV-Verpflegungsstelle in Radautz/Bukowina, November 1940. Q5/Foto O1
An dem gleich daneben stehenden Ladengeschäft mit leeren Schaufenstern wurde auch ein kleines Schild angebracht mit der Aufschrift „NSV“. Die zwischen beiden Häusern liegende Straße führt zu einem rückwärtigen Hallenanbau einer früheren Kutschenfabrik Kohlrus, die im Ersten Weltkrieg – als Radautz von Österreich erobert wurde – eine Montagewerkstatt für kutschenähnliche Kriegsgeräte gewesen war.867 In der späteren sozialistischen Zeit Rumäniens war es ein Lagerhaus der
halten und aufgereiht wurde, sangen Lieder auf Deutsch (‚Guter Kamerad‘) und zogen auf den Friedhof, um sich von ihren Vorfahren zu verabschieden. Am Bahnhof stiegen sie in Sonderzüge. Fast 6.200 Menschen sind gegangen. Nur 230 Deutsche blieben in der Stadt und weigerten sich, sich zurückzuziehen. [umzusiedeln / S.S.].“ (Google-Übersetzung der englischen Übersetzung aus dem Rumänischen). – Ich danke Constantin Tudurache für die Übermittlung, E-Mail 15.6.2020. 867 Ebd., Kommentar von Dragos Băncescu zu einem Foto von 1917, das Kriegsgeräte und zwei Soldaten vor der Kutschenwerkstatt in der Zieselgasse zeigt. „Scena-i surprinsă în decor rădăuţean, mai precis în curtea fabricii de trăsuri Kohlrus de pe strada Voluntarilor la nr. 8–10 (acum Iraclie Porumbescu) dar când a fost realizată poza, uliţa se numea Zieselgasse, de la impiegatul notarial, dar şi consilier comunal, evreul Moritz Ziesel.Fotografia este datată 15 septembrie 1917, deci imediat după a doua recucerire a oraşului de către austrieci. În perimetrul fabricii probabil s-a improvizat un
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Genossenschaft,868 so wie in ähnlicher Weise 1940 diese Halle wahrscheinlich die NSV-Kleiderkammer war bzw. die eigentliche Verpflegungsstelle, in der Kleidung und Lebensmittel zur Umverteilung an die Umsiedler gelagert wurden, über deren Herkunft man spekulieren darf. Auf dem Foto ist die Halle der NSV leider nicht sichtbar.869 NS-Schwester Cora, die die Oberin noch aus ihrer Lehrzeit kannte, kam ab dem 16. November aus dem Donaulager Semlin zur „Sammelstelle der NS-Schwesternschaft“ in Radautz und verteilte dann ab dem 28. November im Ortsbereich Karlsberg großzügig Kleidung und Lebensmittel der „NSV-Verpflegungsstelle“ Radautz.870 Die NS-Schwestern gewannen vor allem das Vertrauen der „Volksdeutschen“, indem sie für ihr „leibliches und seelisches Wohl“ sorgten. „Aufgabe der NSV war, wie überall, die Betreuungsarbeit: Speisung der notleidenden Bevölkerung und Einkleidung vor dem Abtransport, gesundheitliche und seelische Betreuung in den Dörfern, Errichtung von Säuglingsküchen, Begleitung der Umsiedler mit den Zügen ins Reich.“871
„Krankensammelstellen“ für den Lazarettzug Aber die NS-Schwestern unterstanden nicht nur der NSV, sondern auch den Ärzten. Nebenbei versorgten sie in Karlsberg noch „ein kleines Spital“, eine improvisierte Krankenstation, für die sie Bettgestelle aus Latten zusammennageln ließen und als Matratzen Säcke mit Stroh gestopft hatten. Hier warteten zwanzig Personen, „ältere, kränkliche Leute und einige werdende Mütter [...] sie sollten mit dem Lazarettzug nach Deutschland kommen.“872 In einem veröffentlichten Bericht wird die Vorarbeit der NS-Schwestern nicht explizit erwähnt:
atelier de remont pentru atelajele necesare frontului“ [„Die Szene wurde in der Radauti-Umgebung aufgenommen, genauer gesagt im Hof der Kohlrus-Kutschenfabrik in der Voluntarilor-Straße Nr. 8–10 (jetzt Iraclie Porumbescu), aber als das Bild aufgenommen wurde, hieß die Straße Zieselgasse, vom Notar, aber auch vom Gemeinderat, dem Juden Moritz Ziesel. Das Foto ist vom 15. September 1917, also unmittelbar nach der zweiten Rückeroberung der Stadt durch die Österreicher. Wahrscheinlich wurde im Umkreis der Fabrik eine Montagewerkstatt für die für die Front erforderlichen Werkzeuge improvisiert.“). Ich danke Constantin Tudurache für die Übersetzung, E-Mail 15.6.2020. 868 ����������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., Ein unbekannter Kommentator im selben Forum schrieb zum Foto Q5/O1: „Es ist das Gebäude am Eingang zum Hof der Genossenschaft Rădăuți (zu sozialistischen Zeiten Rumäniens). Es gab Büros, ein Lagerhaus für chemisches Metall, Schuhe und Strickwaren“ (Google-Übersetzung der englischen Übersetzung aus dem Rumänischen). – Ich danke Constantin Tudurache für die Übermittlung, E-Mail 15.6.2020. 869 Man kann sich heute in Google-Street-View virtuell an der Kreuzung zwischen den beiden Häusern selbst umschauen und entdeckt dann die Halle hinter der Fassade des rechten Gebäudes. 870 Q6/Brief 16 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk, an NS-Oberin Rakow, 5.3.1941). 871 Q7/Bericht 10, S. 1, 1. Spalte (Gedruckter Bericht von NS-Oberin Irene Pantenius, o.J.). 872 Q6/Brief 16, S. 3f. (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk, an NS-Oberin Rakow, 5.3.1941).
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„Kranke, Sieche und Schwangere werden den Krankensammelstellen zugeführt und hier von den deutschen Ärzten, Rote-Kreuz-Schwestern und Helferinnen in Betreuung genommen, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Lazarettzug sie ins Reich bringt.“873
Manche Kranke wurden später wieder aus dem Lazarettzug entfernt, bevor er Deutschland erreichte: „In Klausenburg mußten wir ein Kind mit einer Pneumonie ausladen.“874 Kranke im Lazarettzug hofften, Deutschland noch lebend zu erreichen: „das alte asthmatische Mütterchen, das am Fenster stehend in heiliger Freude keuchte: ‚Deutschland! Sterben – nur in Deutschland.‘“875 Blasse Umsiedler Eine Hochschwangere wollte jedoch nicht mit dem Lazarettzug fahren: „Kurz vor Überschreiten der Reichsgrenze kam dann noch eine Überraschung: ein kleines Mädchen wurde geboren! Die Frau hatte ihren Zustand verheimlicht, da sie sonst mit dem Lazarettzug hätte fahren müssen und von ihrer Familie getrennt worden wäre. [...] Die Wöchnerin, Mutter von fünf blassen Kindern, war 35 Jahre alt; sie sah aus wie 50.“876
Auch andere Umsiedler, die nicht im Lazarettzug, sondern im normalen Umsiedlungszug fuhren, sahen in den Augen der NS-Oberin Irene Pantenius, die seit dem 16. November die NS-Schwestern im Gebietsstab Gura Humora anführte, nicht gesund aus: „der Tag, an dem der erste Umsiedlungszug das Buchenland verläßt. 500 Menschen, jung und alt [...] Die blassen, unterernährten, früh gealterten Menschen stimmen ein frohes Kampflied an, wenig rhythmisch und wenig melodisch, aber den Text kennen sie alle.“877
Ihre 200 NS-Schwestern bekamen in den Ortschaften der Bukowina überhaupt viel Elend unter den „Volksdeutschen“ zu sehen: „Allergrößte Not zeigte sich für uns in Luisenthal. [...] Die Leute sterben hier, ohne daß sich ein Arzt um sie bemüht hätte [...] Kinderreiche Familien bewohnen meist nur einen Raum [...] Manche Lagerstatt besteht nur aus zusammengenagelten Brettern mit Heu drauf. Bei schlechtem Wetter müssen sich hier alle aufhalten, da sie weder Mäntel noch Schuhe haben [...] Brot ist Luxus. [...] Eine tiefe Bitterkeit prägt
873 874 875 876 877
Q7/Bericht 10, S. 1, 1. Spalte (Gedruckter Bericht von NS-Oberin Irene Pantenius, o.J). Ebd. Ebd., S. 1, 2. Spalte. Ebd. Ebd.
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„Schwierige Aufgaben ...“ hier schon die jüngsten Gesichter. Das Deutsch der Leute ist schwerfällig, hart, ausdrucksarm. Hauptsächlich klagen sie über Hunger. Die Kinder sind rachitisch, blaß, mit verkrümmten Zähnen, ungepflegt.“878
Die „Volksdeutschen“ aus Bessarabien seien in einem besseren Zustand gewesen, vielleicht vertrugen sie darum auch das deutsche Essen besser: „Im allgemeinen erscheinen die Bukowina-Deutschen weniger widerstandsfähig als die Bessarabier, kein Wunder, wenn die Hauptnahrung aus Mamaliga besteht (Maisbrei mit Wasser gekocht) [...] Kein Wunder, daß das gute Essen, das die NS.-Frauenschaft in den Verpflegungsstellen in Ungarn gekocht hatte, nicht jeder verträgt.“879
Der Begriff „schwierige Aufgaben“ taucht wieder auf, angesprochen war damit eine „umfassendere Betreuungsarbeit vor der Umsiedlung“, womit vermutlich härtere Selektionen und sogar Ablehnungen der Umsiedlung gemeint waren: „Das SS-Umsiedlungskommando für die Volksdeutschen aus der Süd-Bukowina sah sich vor eine besonders schwierige Aufgabe gestellt, da die soziale Struktur des Deutschtums der Bukowina eine umfassendere Betreuungsarbeit vor der Umsiedlung nötig machte, als es bisher bei anderen Volksgruppen erforderlich war.“880
Von der „an 50.000 Menschen zählende Volksgruppe“ aus der Bukowina hatte das „Kommando Siekmeyer“ 1.000 „Volksdeutsche“ in der Bukowina zurückgelassen. Man rechtfertigte es später damit, dass es „Menschenmaterial, das [...] entweder blutsmäßig oder haltungsmäßig nicht mehr zum Deutschtum zu rechnen“ war, gewesen war.881 Für NS-Schwester Cora war dies eine Frage von „Schuld“, womit sie – wie man es nur vermuten kann – die „Rassenschande“ als Übertretung der damaligen deutschen „Blutschutzgesetze“ meinte. Die traurig in der Bukowina Zurückbleibenden nennt sie nur noch „Rumänen“: „Die Umsiedler in bester Hoffnung und froher Erwartung auf Deutschland – und auf dem Bahnsteig dicht gedrängte Menschen – fast alle Rumänen, die mit nassen Augen Abschied nahmen. Sie sahen die Größe ihrer Schuld zu spät ein.“882
878 879 880 881
Ebd., S. 2. Ebd., S. 1, 2. Spalte. Ebd., S. 1, 1. Spalte oben. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 113: Bei der späteren „Verwandten-Nachumsiedlung“ aus den anderen rumänischen Landesteilen, die im Mai 1941 einsetzte, hatte man deshalb extra noch einmal den Ortsbereich „Südbuchenland“ eingeplant. Die 1.000 zurückgelassenen Umsiedler erfuhren dann in Kronstadt eine „Nachlese“. 882 Q6/Brief 13 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk, an NS-Oberin Dorothee Rakow, 16.12.1940).
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Einer der Zurückgebliebenen? Q5/Foto P7
Unter den Umsiedlern auf dem Bahnsteig scheint der alte Mann im Vordergrund der einzige zu sein, der noch nicht westlich eingekleidet ist. Mit der traditionellen Lederjacke, wertvoller Caracul-Fellmütze und langem Bart passt er schon nicht mehr ins neue Umfeld. Die fotografierte Szene erregt die Aufmerksamkeit der anderen Umsiedler, alle blicken zu ihm hin, seine Hände scheinen zu flehen.883 Aber es verzichteten auch einige freiwillig auf die Umsiedlung. In den Ortsbezirken der Bukowina blieben oft „alte Leute und Pensionäre“ zurück. Über die Zahl der zurückgebliebenen „Volksdeutschen“ und ihre Gründe hatten die Ortsbevollmächtigten Fragebögen auszufüllen. Nur selten wurden politische Gründe angegeben, nicht mit ins Deutsche Reich kommen zu wollen. Hauptmotiv seien verwandtschaftliche Beziehungen oder „Mischehen“ mit Rumänen gewesen. Geblieben seien vor allem: „Personen, die mit Rumänen versippt sind und folglich sich sehr gebunden fühlen“.884 Nach der Umsiedlung war ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung aus der Bukowina verschwunden. Den Zurückgebliebenen
883 Ausführlicher in Q5/P7, Kommentar. Möglicherweise erscheint derselbe Mann auf einem anderen Foto glatt rasiert und neu eingekleidet mit westlichem Anzug und Hut, vgl. Foto Q5/P6 und Kommentar ebd. 884 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 106, Zitat aus einer zeitgenössischen Quelle.
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mit deutschen Vorfahren nahm dies nicht nur ihren vertrauten Kreis von Bekannten und Verwandten, sondern auch den letzten Rückhalt für die Bewahrung ihrer ethnischen Identität als „Volksdeutsche“.885 Aufstellung mit NS-Schwestern
Aufstellung mit NS-Schwestern vor einem Umsiedlerzug. Zentral in dunklem Mantel die NS-Oberin Dorothee Rakow, links daneben vermutlich SS-Oberführer Siekmeyer Q5/Foto P8
Es ist unklar, bei welchem Ereignis dieses Foto aufgenommen wurde. Möglich wären folgende Daten und Ereignisse: – 15.11.1940: „1. Umsiedlerzug / Auf hebt unsere Fahnen / Siegmeyer / Wünsche / Zugfolge 2–3–2–3–2 / 20 Gruppen.“ – 16.11.1940: Ankunft von 150 Schwestern im Gebietsstab Radautz. – 17.11.1940: Abfahrt und Verabschiedung der Führerin der NS-Schwesternschaft Dorothee Rakow.
885 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 106.
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17. November 1940: Vorzeitige Abreise Am 1. November, kurz vor der Reise zur Umsiedlung der Bukowinadeutschen hatte sich Schwester Dorothee bei der Generaloberin noch für die weitere „Frontarbeit“ bedankt und sich mit ihrem beruflichen Ehrgeiz angedient: „Pg. Lorenz sagte mir heute, dass Sie, liebe Generaloberin, mit meinem weitern Verbleiben hier noch einverstanden [sind]. Ich bin so froh, daß ich mal für längere Zeit in der Frontarbeit stehen darf. Ich hoffe, für die weitere Arbeit dabei sehr viel zu profitieren.“886
Doch schon nach knapp zwei Wochen in der Bukowina, am 16.887 oder am 17.888 November 1940, reiste die NS-Oberin vorzeitig ab. Immerhin war sie die Führerin der NS-Schwesternschaft für alle drei Umsiedlungsgebiete gewesen. Der Grund war angeblich eine Krankheit, was sie – in ihren späteren Lebenserinnerungen – als „Erlösung“ beschrieb: „Ich hatte mich wahrscheinlich beim Ausschütten der Strohsäcke in Galatz mit Keuchhusten infiziert, und es war eine Erlösung für mich, daß ich nach Berlin zurückgerufen wurde.“889 In ihrem damaligen Tagebuch hatte sie allerdings keine Krankheit erwähnt, sondern eher Bedauern wegen der Abreise ausgedrückt: „18.11. Auf der Fahrt durch Ungarn. Gestern Abend habe ich nun mein Arbeitsfeld in Radautz verlassen. Schade! Es waren sehr bewegte arbeitsreiche und unruhige Tage. Aber die Hauptorganisation ist erledigt.“890
„Wie ich hörte, waren Sie bei Ihrer Abreise gar nicht auf der Höhe!“, schrieb ihr zwar eine der NS-Schwestern nach dem Ende der Aktion.891 Dennoch könnte die Krankheit vorgeschoben worden sein, um sich dem Bukowina-Einsatz zu entziehen. Der DRK-Arzt Dr. Maneke, den sie schon aus Galatz kannte und mit dem sie ein aufschlussreiches Erlebnis in der Bukowina verband, das beiden die Augen öffnete,892 könnte mit einem Attest behilflich gewesen sein, falls sie nicht tatsächlich doch erkrankt und vielleicht froh war über diese Gelegenheit, wieder nach Hause zu dürfen: „Ich musste mit einem Umsiedlerzug fahren. Der DRK-Arzt hatte mich für die Fahrt gut mit Medikamenten versorgt, niemand durfte mein Abteil betreten, und ich durfte auch nicht zu den anderen Leuten gehen. Fünf Tage waren wir unterwegs 886 Q6/Brief 9, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, an Generaloberin Böttger, Berlin, 1.11. 1940). 887 Q6/Brief 12 (NS-Schwestern Anni Ho., Susanne Wisch., Margarethe Ba., Charlotte Con., Radautz/Bukowina, an NS-Oberin Rakow, 19.11.1940), Datierung der Abreise: 16.11.1940. 888 Q3/Einzelblatt Nr. 1 (Notizblatt von Dorothee Rakow), Datierung der Abreise: 17.11.1940. 889 Q1/Lebensbericht, Bl. 35. 890 Q2/Tagebuch, S. A3. 891 Q/Brief 13 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk/Schlesien, an NS-Oberin Rakow, 16.12.1940). 892 Vgl. Kapitel II.C.Spur 16, im Abschnitt „Die NS-Oberin und der Doktor im Mercedes“.
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„Schwierige Aufgaben ...“ bis München [...] und das Kuriose – bis ich nach Berlin kam, war mein Keuchhusten abgeklungen, ich war natürlich sehr froh darüber.“893
Vermutlich saß die NS-Oberin in einem versiegelten Gepäckwagen: „17.XI. Dornestre ab Bahnhof dunkel Gepäckwagen versiegelt / Grenzkontrolle“.894 Ansteckende Krankheiten beugten allzu genauen Grenzkontrollen vor; dies war bereits von der Bessarabien-Umsiedlung bekannt. Dort hatte der Gebietsarzt „hohe volksdeutsche Führer“ mit der Falschdiagnose „Typhus“ in Sankras über die Grenze gefahren.895 Trotz der „kuriosen“ spontanen Gesundung der Oberin wurde ihre private Post, die im April 1941 an ihre Dienststelle in Berlin, Maybachufer, gerichtet war, in das Sanatorium Peterswaldau in Schlesien nachgeschickt.896 Wenige Monate später erwähnte sie gegenüber ihrem zukünftigen Mann eine „Infektion in Rumänien und die Folgeerscheinungen“897 , ohne genauer über die offensichtlich monatelange Krankheit zu informieren. Auch ein längerer, für sechs Monate zugesagter und bezahlter Urlaub im Schwesterngenesungsheim Herrsching am Ammersee folgte noch ab Herbst 1941. Anfang 1942 endete der Erholungsurlaub in Herrsching, und kurz darauf schied Dorothee Rakow wegen ihrer Heirat aus dem Dienst aus. In ihren Lebenserinnerungen erklärte sie später, dass sie vor dem Rückzug durch Heirat,898 zu der sie sich im August 1941 entschloss, andere Wege ausprobiert hatte, dem Dienst zu entkommen, die jedoch nicht von Dauer gewesen seien. Vermutlich waren es die Krankschreibungen mit den folgenden Kuren. Ihr Wunsch, möglichst schnell den Dienst zu beenden, könnte durch Erlebnisse bei der „Frontarbeit“ in der Bukowina hervorgerufen worden sein, denn seitdem begann ihr Rückzug. In ihrem späteren Lebensbericht schrieb Dora P. über die „volksdeutschen“ Umsiedler aus Bessarabien, die zu Beginn der Umsiedlungsaktion „mit sehr viel Zuversicht“ auf das „alte angestammte Deutschland“ sahen: „Und wie viele von ihnen mögen später enttäuscht und auch umgekommen sein. Aber all das konnten wir ja noch nicht ahnen.“899 Dies ist eine wirklich vielsagende Stelle in ihrem Rückblick, ist es doch ein unverhohlener Hinweis auf „umgekommene“ Umsiedler! Auffällig ist auch die Ähnlichkeit in der Formulierung, dass sie bei der Oberinnen-Ausbildung in Tutzing „von Vergasungen noch keine Ahnung“ hatte. Doch mit der Nachwelt teilte sie leider nicht: Ab welchem Zeitpunkt und an welchem Ort genau setzten ihre „Ahnungen“, ihr Wissen oder ihr Mitleid ein? War es im „Vorkommando“ in der Bukowina? 893 894 895 896 897 898 899
Q1/Lebensbericht, Bl. 35. Q3/Einzelblatt Nr. 1 (Notizblatt). Vgl. Kapitel I: Interview mit Dr. Ritter, der 1940 Gebietsarzt im Bezirk Albota war. Vgl. Kapitel II.A.2: Biografie (Zeitliste: April 1941). Brief an Otto P., 30.11.1941. In: Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 189. Vgl. Kapitel II.B.Spur 6: Ausstieg. Q1/Lebensbericht, Bl. 32.
Spurensuche im Bessarabien-Nachlass
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II.C.Spur 17 Berlin: das Reichshauptamt der NSV nach der Umsiedlungsaktion „Ärger“ und „gespannte Verhältnisse“ Nach dem Bessarabieneinsatz konnte NS-Oberin Schwester Dorothee sich nicht so leicht „wieder in der Reichsdienststelle zurechtfinden“. In Berlin gab es inzwischen wegen den Umsiedlungsaktionen „Ärger“ und „gespannte Verhältnisse“: „Wie ich erfuhr, gab es an anderen Auslandsdienststellen manchen Ärger. Und ich war froh, daß die Generaloberin darauf hinweisen konnte, daß bei mir alles relativ glatt verlaufen war.“900
Auch sie selbst hatte als Führerin im Bessarabieneinsatz einige NS-Schwestern streng gemaßregelt: „Gewiß, ich hatte zwei Schwestern kurzerhand nach Deutschland zurückgeschickt, weil sie sich nicht der strengen Dienstordnung gefügt hatten u. heimlich abends mit SS-Leuten in die Stadt gegangen waren. Den meisten Ärger hatte eine jüngere Oberin, aus dem Baltikum stammend. Sie war mir schon aufgefallen, weil sie andauernd Heil-Hitler-Grüßen auf der Straße von den Schwestern verlangte u. bei uns nicht feststellte. Ach du liebes Bischen [sic!], bei uns kam zuerst die Arbeit.“901
Auch ihre Kollegin aus dem Lager Semlin hatte NS-Schwestern während der Umsiedlungsaktion wegen zu intimer Kontakte zu männlichen Kommandomitgliedern verhört und nach Hause geschickt.902 Doch es hatte auch „Unbedachtsamkeiten“ anderer Art bei NS-Schwestern in Semlin gegeben. „Einige Schwestern haben sich bei den Bahntransporten nicht ganz korrekt benommen, die behalte ich hier an der Strippe und lasse sie dann bald heimfahren“,903 hatte Schwester Wally schon Ende Oktober 1940 aus dem Lager Semlin ihrer Oberin in das Lager Galatz schriftlich gemeldet. Es war gegen Ende der Bessarabien-Aktion, und die Schwestern mussten „sehr vorsichtig“ sein, wenn sie in die Stadt gingen, denn es war „politisch ziemlich unruhig“ in Belgrad, „es ist allerhand im Gange“. Ein Umsiedlerzug war beschossen worden.904 Während der Bessarabienumsiedlung gab es in Berlin Unruhen, von denen die NS-Schwestern im Auslandseinsatz im Radio hörten. Eine NS-Schwester aus dem Lager Semlin fragte ihre Oberin Schwester Dorothee im Lager Galatz am 27. Okto900 901 902 903 904
Q1/Lebensbericht, Bl. 35. Ebd. Q6/Brief 8 (Schwester Wally [U.], Semlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 27.10.1940). Ebd., S. 2. Ebd.
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ber 1940: „Hören Sie manchmal Nachrichten? [...] Der Reichstag soll nächstens zusammentreten.“905 Gerade eine Woche zuvor, am 20. Oktober, hatte Generaloberin Käthe Böttger ihrer vertrauten Mitarbeiterin und zweiten Stellvertreterin in einem geheimnisvollen Schreiben nach Rumänien von den besonderen Vorgängen im Berliner Reichshauptamt berichtet. Es sei möglich, dass sie selbst und ihre erste Stellvertreterin Edith Blawert „in Urlaub gehen müssen, wenn Sie zurück sind.“ Dies kann als Warnung gelesen werden, was auch sie in Berlin zu erwarten habe. Die brisanteste Stelle, in der auch die Generaloberin nur andeutete, was sich in ihrer Berliner Dienststelle in der Kurfürstenstraße im Oktober 1940 gerade entwickelte, lautet: „An unsere Nerven werden jedenfalls allerhand Anforderungen gestellt, da allmählich die längst fälligen Dinge in Angriff genommen werden. Es hat aber den Anschein, als ob die übergeordnete Stelle jetzt eingreift und die große Standesorganisation erstellt, womit sich zwangsläufig viele Dinge regeln müssen. Wir wünschen uns sehr oft mal leihweise das Hirn unsers Führers!“906
Diese Fülle von Andeutungen war für ihre vertraute Mitarbeiterin Dorothee Rakow im Gegensatz zu uns sicherlich eindeutig zu verstehen. Für uns jedoch stellen sich mehrere Fragen: Waren „die längst fälligen Dinge“ die juristischen Maßnahmen zur Legalisierung der „Euthanasie“, auf die viele Beteiligte an den Krankenmorden hofften? – Diese sollten übrigens bis Kriegsende niemals juristisch abgesichert werden, da Hitler alle Gesetzesentwürfe, die ihm zum Thema „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ vorgelegt wurden, niemals unterschrieb.907 War „die übergeordnete Stelle“ z.B. die „T4“-Organisation in der Kanzlei des Führers, die vielleicht in die bisherigen Organisationsstrukturen der NS-Schwesternschaft eingreifen sollte, womit sich „zwangsläufig viele Dinge regeln müssen“? War „die große Standesorganisation“ vielleicht eine erhoffte oder befürchtete totale Gleichschaltung im Schwesternwesen, die sich allerdings erst später im „NS-Reichsbund deutscher Schwestern und Pflegerinnen e.V.“ (NSRDS) 1942 verwirklichte? Diese Neuordnung führte dann tatsächlich zur Kündigung der Generaloberin.908 Was auch immer im Oktober 1940 während der Umsiedlungsaktion im Berliner Reichshauptamt vor sich ging, muss nicht unbedingt mit den Spannungen nach Ende der Umsiedlungsaktionen im November oder später zusammenhängen. Leider benennt die NS-Oberin niemals den eigentlichen Konflikt, in dem sie persönlich nach der Umsiedlungsaktion in Berlin steckte, auch nicht später in ihren Lebenser905 Ebd., S. 2. 906 Q6/Brief 7, S. 1 (Generaloberin Böttger, Berlin, an NS-Oberin Dorothee Rakow, Galatz, 20.10. 1940). 907 Ausführlicher vgl. Kapitel II.B.Spur 7: Kinofilm Ich klage an. 908 Breiding 1998, Braune Schwestern.
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innerungen. Möglicherweise ging es um „Verantwortung“, die sie nicht mehr mittragen wollte: „Ich muß sagen, mir machte die ganze Arbeit in Berlin keine Freude mehr. Auch die ganze politische Entwicklung gab zu denken. Doch ich musste weiter machen [...] Wie schon vor meiner Reise hatte ich die Verantwortung für die ganze Organisation. Eine Mitschwester, für die gesundheitliche Betreuung verantwortlich, sprach mit mir über die gespannten Verhältnisse, aber man musste vorsichtig sein.“909
Mittels Kontaktanzeigen im „Völkischen Beobachter“ schafften es Oberin Rakow und eine weitere Kollegin der NS-Schwesternschaft, sich ab August 1941 aus der Dienststelle im Reichshauptamt durch Heirat unauffällig zu entfernen und sich weiterer „Verantwortung für die ganze Organisation“ zu entziehen.910 Genau zur selben Zeit nahm die Durchführung der „Euthanasie“ in den deutschen Heil- und Pflegeanstalten andere Formen an: Statt der bisherigen Verlegungen in Gasmordanstalten, gesteuert durch die Berliner „T4“-Zentrale, begannen nach dem offiziellen „Stopp“ ab August 1941 die Anstalten selbst, dezentral und eigenständig, mit anderen Methoden das Programm fortzuführen. Man könnte hier einen direkten Zusammenhang sehen zwischen dem offiziellen Stopp der „Euthanasie“-Morde und dem Stopp der weiteren Karriere von Schwester Dorothee als NS-Oberin im Reichshauptamt. Doch der Ausstieg der NS-Oberin bedeutete nicht, dass sie zu einer Gegnerin der mörderischen NS-Gesundheitspolitik wurde. Schon in den ersten Briefen beschrieb Schwester Dorothee ihrem zukünftigen Mann ausführlich ihren Lieblingsfilm, der Anfang September 1941 in den Berliner Kinos anlief: Ich klage an, ein Spielfilm, der Propaganda für die „Erlösung“ unheilbar Kranker durch einen „Labetrunk“ machte. Sie vertraute diesem Mann sogar hoffnungsvoll an, dass sie „in Kürze“ die Legalisierung der „Euthanasie“ erwarte.911 War Schwester Dorothee vielleicht selbst an solchen juristischen Vorbereitungen beteiligt bzw. wusste sie davon? Ihre Kollegin aus ihrer Ausbildungszeit in Burg, die sie in der Bukowina zufällig wiedergetroffen und der sie sich vielleicht anvertraut hatte, fragte ihre Oberin am 29. Mai 1941 unverblümt in einem Brief: „Haben Sie sich schon an die große ‚Arbeit‘ gemacht?“912 Einen Monat zuvor, am 23. und 24. April 1941, hatte in Berlin tatsächlich eine Tagung stattgefunden, bei der die höchsten deutschen Justizbeamten erstmals von den schon lange stattfindenden „Euthanasie“-Aktionen unterrichtet wurden. Zweck der Offenbarung war deren Mitwirkung an der Legalisierung. Die Juristen sollten aufhören, die Mordanzeigen gegen Anstalten zu verfolgen oder gar aufzuklären. Erst nach dieser Tagung im April 909 910 911 912
Lebensbericht 1989, Bl. 36. Vgl. Kapitel II.B.Spur 6: Ausstieg als Ehrenmitglied. Vgl. Kapitel II.B.Spur 7: Spielfilm Ich klage an. Q6/Brief 21 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk/Schlesien, an NS-Oberin Dorothee Rakow, 29.5.1941).
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wurden Briefe und Strafanzeigen „betrifft: Vernichtung lebensunwertes Lebens“ als Geheimsachen geführt und alle Verfahren eingestellt.913 Ein weiterer strategischer Baustein der geheimen Mordaktion war im April 1941 in Berlin installiert worden: Zwei Verwaltungsfachmänner der „T4“-Zentrale gründeten unter wechselnden Berliner Adressen die „Zentralverrechnungsstelle Heilund Pflegeanstalten“. Ab April 1941 kassierten sie alle Pflegegelder von Anstaltsinsassen des ganzen Reiches und zogen hohe finanzielle Gewinne aus verspäteten Todesdaten und der Sammlung von Zahngold der Ermordeten.914 Trotz aller zeitlichen Zusammenhänge erschließt sich nicht wirklich, was oder ob die Umsiedlungsaktion mit diesen Vorgängen in Berlin zu tun hatte. Festgehalten werden kann, dass schon während der Bessarabienaktion im Berliner Reichshauptamt Menschen an komplizierten Strategien für die Umsetzung „der längst fälligen Dinge“ bastelten, zwar ohne „Hirn des Führers“, aber wohl in seinem Sinne. Am Ende ihres Auslandseinsatzes bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen hatte sich für die zweite Stellvertreterin der Generaloberin jedenfalls etwas Entscheidendes in Berlin und auch in ihrer eigenen Einstellung verändert. Ob es an ihren Erfahrungen bei der „Frontarbeit“ in der Bukowina lag oder an der veränderten Situation in Berlin oder an beidem, ist ebenso wenig aufzuklären wie der wirkliche Grund für den „Ärger“ an den Berliner „Auslandsdienststellen“ nach der Umsiedlungsaktion. Irgendetwas war bei der Umsiedlung jedenfalls nicht glatt verlaufen.
II.C.Spur 18 Lücken im Lebenslauf 1941: Schwesternerholung Berlin, Karlsbrunn, Peterswaldau, Herrsching oder anderswo Schon der „Sondereinsatz“ in Rumänien war geheim gewesen. Bei der Abfahrt nach Wien hatte selbst die NS-Oberin als Führerin nicht gewusst, wohin die Reise die NS-Schwestern führen sollte. Und während ihrer Abwesenheit war es offenbar auch nicht möglich zu erfahren, wo sie war. Freunde aus Neuruppin hatten sie in ihrer Berliner Wohnung vergeblich gesucht: „Kannst du dir unsere dummen Gesichter denken, als wir Ende August vor deiner Tür standen und hörten, du seist ausgezogen? Wohin war nicht zu ermitteln und es regnete so heftig. Nun bist du ja wieder da und hast viel erlebt.“915 913 Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 326–333; vgl. Vorwort von Willi Dreßen, Staatsanwalt in der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. In: Klee 1987 [1986], Was sie taten, S. 11. 914 Klee 1989 [1985], „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 329. 915 Postkarte von Christel und Fritz P., Neuruppin, an Dorothee Rakow, Berlin, 28.11.1940, Privatarchiv Renate J.
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Die Freunde wählten für ihre Nachricht eine Ansichtskarte des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ – mit einer Spende von 20 Pfennig für die „VDA-Schulsammlung 1940“916 und dem Bild einer „Förstersfrau aus dem Buchenland“ von 1939. Erst nach ihrer Rückkehr aus Rumänien hatte Dorothee Rakow ihren Aufenthalt aufgeklärt. Ähnliche ‚volkskundliche‘ Rötelzeichnungen von Bessarabiendeutschen zeichnete während der Umsiedlungsaktion eine mitreisende Künstlerin, die nach der Umsiedlung den SSFührer und Volkskundler Karasek heiratete.917 Solche Bilder von Frauen aus Bessarabien und der Bukowina sind nur scheinbar naturalistische Porträts. Die NS-Kunst inszenierte die „Förstersfrau aus dem Buchenland“, Wirklichkeit durch eine idealisierende Brille, Postkarte des VDA die das „Entartete“ ausblendete. So wurden die (sign. mit einer Rune und dem „prächtigen Gestalten“ im Profil gezeichnet, als Zeichen „W 1939“) seien sie Statuen, aber die „blassen Umsiedler“, Nachlass Dorothee Rakow, Privatarchiv Renate J. die doch angeblich das Bild in der Bukowina prägten, niemals. Eine Lücke in der Biografie der NS-Oberin besteht für die Zeit nach ihrer Rückkehr aus Rumänien Ende November 1940 bis zum Interimszeugnis der Generaloberin im August 1941. Es ist zwar zu vermuten, dass sie nach dem Rumänieneinsatz wieder in ihrer Dienststelle der NS-Schwesternschaft im Berliner Reichshauptamt arbeitete; jedenfalls war die NSV immer noch ihr offizieller Arbeitgeber.918 NSV-Hauptamt Berlin, Maybachufer – mit Reichsadoptionsstelle Eine Adressangabe an „Oberschwester Dorothee Rakow, Reichsleitung der NSSchwesternschaft, Berlin W 35 – Maybachufer“ gibt noch Rätsel auf.919 Die Berliner 916 VDA = Verein für das Deutschtum im Ausland. 917 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Karasek-Strzygowski 1990, Bessarabisches Tagebuch. Zur Biografie: Karasek 2014, vergrabene Briefe. 918 „1.11.36–31.3.42: Hauptamt für Volkswohlfahrt Berlin, hier zwischenzeitlich Einsatz in Rumänien“. Angabe von Dora P. an die Bundesanstalt für Angestellte, Rentenunterlagen 19.6.1961. 919 ���������������������������������������������������������������������������������������� Q6/Brief 10 (Postkarte an Oberschwester Dorothee Rakow, Reichsleitung der NS-Schwesternschaft, Berlin W 35, Maybachufer, datiert 5.11.1940 [evtl. Schreibfehler für: 5.12.], gestempelt in Budapest 14.12.1940). Unterschrieben von fünf NS-Schwestern auf der Rückfahrt von ihrem Einsatz in der Dobrudscha. – Der Bezirk W 35 wurde offenbar falsch angegeben. Berlin W stand bis 1962 für den Postbezirk „Berlin West“, und 35 war die Nummer des Zustellpostamtes Potsdamer Straße im Ortsteil Tiergarten.
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Adresse der NS-Schwesternschaft, wo die Generaloberin und ihre Mitarbeiterinnen arbeiteten, lag in der Kurfürstenstraße und das NS-Schwesternwohnheim in der Hölderlinstraße. „Maybachufer 48–51 (Berlin SO36)“ war dagegen die Adresse des Hauptamtes der Volkswohlfahrt in der NSDAP-Reichsleitung, in der ‚die Männer‘ der NSV arbeiteten. Von hier aus wurde im Mai 1941 auch die Verfügung des Oberkommandos des Heeres weitergeleitet, die Entlassungen von weiblichen Einsatzkräften wegen Heirat untersagte.920 In vier Hauptabteilungen waren etwa „1.000 Angestellte“921 beschäftigt, doch nicht nur männliche. Auch weibliche „Sachbearbeiterinnen und Mitarbeiterinnen für verschiedene Aufgabengebiete“ der NSV gehörten dazu, und eine höhere Position auf Reichsebene hatte die „Leiterin der Reichsadoptionsstelle“,922 deren Name ungenannt bleibt. Im Hauptamt der NSV am Maybachufer 48–51 war der Sitz der „Reichsadoptionsstelle“.923 Dorothee Rakow, die 1938 den „Internationalen Kinderschutzkongress“924 geleitet hatte, könnte – rein spekulativ – in eine solche Position aufgestiegen sein.925 Die Adoptionsvermittlung unehelicher Kinder aus dem SS-Verein „Lebensborn“ oder ‚germanisierter‘ Raubkinder aus den besetzten Ostgebieten stand unter strengster Geheimhaltung, deren Verletzung Himmler sogar unter Todesstrafe stellte.926 Dies könnte eine Erklärung für die besondere Geheimhaltung dieser Zeitphase gewesen sein. Doch es bleibt spekulativ. Im Laufe der Zeit trafen die Tätigkeitsberichte der NS-Schwestern über ihre Umsiedlungsarbeit bei der NS-Oberin ein. Dieser Korrespondenz lässt sich indirekt entnehmen dass sich Schwester Dorothee nach dem Auslandseinsatz nicht nur in Berlin, sondern – wenigstens zeitweise – in Schlesien aufhielt. Nach ihrer späteren Darstellung im Lebensrückblick waren die Krankheiten und Erholungsurlaube, die
920 ����������������������������������������������������������������������������������������� NSDAP Reichsleitung, Amt für Volkswohlfahrt, Stelle Schwesternwesen, Berlin SO 36, Maybachufer 48–51, an die Gauamtsleiter, betr. „Entlassung von mobbeorderten Kräften zwecks Heirat“, 12.5.1941. Kopie in: Renate J., Wenn Hitler, Familienbiografie, S. 290, Privatarchiv Renate J. 921 Der aus Deutschland emigrierte Fritz Heine schlüsselte 1944 in England in einem 35-seitigen Bericht die umfangreiche Gliederung der NSV auf. Es wurden von ihm aber nur männliche Mitarbeiter und Postionen benannt. In: Heine 1944, Die NSV. In: Arbeiterwohlfahrt (Hg.) 1988, Die NSV, Onlineabdruck, S. 5–6. 922 „Die in den pflegerischen Aufgabengebieten [...] Mitarbeiterinnen“, Organigramm weiblicher NSV-Stellen. Kopieausschnitt, ohne Quelle. In: Renate J., Wenn Hitler, Familienbiografie, S. 291. 923 Verzeichnis vom Juni 1942. In: Marjorie-Wiki, URL: marjorie-wiki.de/wiki/Dienststellen_der_ Reichsadoptionsstelle_Berlin_im_NS-Regime (Abruf 15.1.2021). 924 Vgl. Kapitel II.C.Spur 3, Kinderschutzkongress und Kinder-„Euthanasie“. 925 Heine beschrieb 1944 die „Reichs-Adoptionsstelle“ unter dem Abschnitt „NSV-Jugendhilfe“, was mit dem Kinderschutzkongress von 1938 und seinen Aufgaben korreliert. In: Heine 1944, Die NSV, S. 27. Vgl. die Gesamtdarstellung der Gliederungen für die Kinder- und Jugendarbeit in der NSV, ebd., S. 11–30. 926 Schmitz-Köster 1997, Deutsche Mutter, S. 138. Vgl. Dies. 2018, Raubkind.
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man in ihren damaligen Briefen als Begründung findet, in Wirklichkeit nur Versuche, ihrem Dienst zu entkommen: „Ich war nicht begeistert davon, obwohl Auswege, die ich gesucht hatte, daran scheiterten, daß man mich wohl zur Erholung schicken wollte, mich aber keinesfalls aus dem Dienstverhältnis entlassen würde.“927
Sanatorien in Schlesien: Karlsbrunn und Peterswaldau Ob sie tatsächlich zur Erholung nach Schlesien geschickt wurde, oder ob dort auch dienstliche Aufgaben warteten, über die nicht gesprochen werden konnte, wissen wir nicht. Egal aus welcher Sicht man es sehen möchte, verweisen die wenigen Hinweise im Frühjahr 1941 auf eine Anwesenheit in mindestens zwei Sanatorien in Schlesien: Im März 1941 befand sich NS-Oberin Schwester Dorothee im sudeten-schlesischen „Altvatergebirge“.928 NS-Schwester Cora Spr., die nach dem BukowinaEinsatz inzwischen selbst auch in Schlesien als NS-Gemeindeschwester in Grenzuk (Grenzeck, Tscherbeney, Czermna, Německá Čermná) im Kreis Glatz (Powiat Kłodzki) war, schrieb ihrer Oberin nach Berlin, mit einer Bemerkung zum „selten idyllischen“ Karlsbrunn, wo diese zuvor mehrere Wochen gewesen war: „In Karlsbrunn haben Sie ja auch all diese Schönheiten, wenn es auch winterlicher Art war, genossen. Ich hörte hier, daß es dort selten idyllisch sein soll, in all den Wochen haben Sie sich sicher recht erholt.“929
Und NS-Schwester Herta – aus dem Dobrudscha-Einsatz inzwischen zurück in Mainfranken – hielt es für möglich, dass ihre Oberin dort auch dienstlich zu tun hatte: „Wie ich ersehen habe, befanden sie sich in Bad-Karlsbrunn. Hoffentlich dienstlich und nicht aus gesundheitlichen Gründen.“930
Nach dem besagten mehrwöchigen Aufenthalt in Bad Karlsbrunn suchte die NSOberin noch ein weiteres schlesisches Sanatorium auf. Ende April 1941 wurde ihre private Post vom Berliner Schwesternheim in der Hölderlinstraße nach „Ulbrichshöhe, Sanatorium Peterswaldau Eulengebirge“ weitergesendet.931 Die Ulbrichshöhe 927 Lebensbericht 1989, Bl. 36, Privatarchiv Renate J. 928 Der Aufenthaltsort „Karlsbrunn“ (heute Karlova Studánka in Tschechien) wird erwähnt in: Q6/ Brief 16 (NS-Schwester Cora Spr., 5.3.1941); Q6/Brief 21, S. 1 (Dies., 29.5.1961); Q6/Brief 19 (Herta Kr., 21.3.1941). 929 Q6/Brief 21 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk/Schlesien, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 29.5. 1941). 930 Q6/Brief 19 (NS-Schwester Herta Kra., Schippach, an NS-Oberin Rakow, Berlin, 21.3.1941.) 931 Q6/Brief 20: Postkarte von Rosa und Josef Wag., 28.4.1941. Vgl. II.A.2: Biografie: Anm. zu April 1941.
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war ein großes Schloss auf einem bewaldeten Berg. Es gehörte zu Peterswaldau932 und auch zu Steinseifersdorf (Rościszów).933 Vielleicht wurde das Gebäude erst im Laufe der Zeit umfunktioniert, denn 1943 war ein Schloss in Peterswaldau der Dienstsitz des Lagerführers des Lagerkomplexes Peterswaldau-Langenbielau als eines der vielen Außenlager des KZ Groß-Rosen. Im Schloss waren 1944–45 über 1.000 jüdische Frauen untergebracht, die für einen Rüstungsbetrieb arbeiteten.934 Sie dichteten dem Ort ein Lied: „Peterswaldau [...] wenn ich auf der Landkarte suche, find ich dich nicht überall.“935 Nach ihrem Einsatz bei der Umsiedlungsaktion hatten auch andere NS-Schwestern 1941 ihre Adressen in Schlesien, z.B. in Ullersdorf (Ołdrzychowice Kłodzkie), Grenzuk und Landeshut (Kamienna Góra), zwei von ihnen arbeiteten nur 30 km westlich von Peterswaldau, in Gottesberg (Boguszów) und Schweidnitz (Świdnica). Diese Orte lagen teilweise nahe des späteren KZ-Außenlagers Waldenburg (Wałbrzych) in Niederschlesien.936 Aber ob es überhaupt Berührungspunkte mit der Umsiedlungsaktion oder mit NS-Schwestern zum KZ-System in Schlesien gab, ist nicht bekannt und zum Zeitpunkt 1941 unwahrscheinlich. Doch Schlesien war im Krieg nicht nur ein Erholungsgebiet. Peterswaldau und Karlsbrunn als Aufenthaltsorte von Schwester Dorothee blieben bis heute lediglich Spuren, die nach Schlesien führten, lediglich Indizien, die Denkmöglichkeiten eröffneten. Bei der Spurensuche 2007 tauchte durch diese vagen Anhaltspunkte aber erstmals der Verdacht auf, dass sich nach der Umsiedlungsaktion vielleicht etwas in Schlesien mit den Umsiedlern abgespielt haben könnte, allerdings dermaßen spekulativ, dass ich Bedenken hatte, dies als Mutmaßung im Fazit überhaupt zu formulieren. 2007 lag die Topografie der Krankentransporte noch völlig im Dunkeln. Weder der Nachlass von Schwester Dorothee noch das Interview mit Dr. Ritter ließen durchscheinen, dass Schlesien 1940 überhaupt irgendeine Rolle 932 Vgl. das Kapitel: Aufstiege und Abstiege. Lebenswege aus dem schlesischen Peterswaldau. In: Hirsch 2007, Entwurzelt, S. 235–267. Ein Sanatorium wird in den drei Lebensberichten nicht erwähnt. 933 Vgl. Angebot antiquarischer Ansichtskarten im Internet. Dasselbe Sanatorium Ulbrichshöhe ist sowohl unter dem Ortsnamen Peterswaldau als auch unter Steinseifersdorf zu finden. 934 Ab 1944 gab es 45 Außenlager des KZ Groß-Rosen (heute: Rogoznica/Polen) in der Region Niederschlesien und Sudeten, in der Zwangsarbeiter für SS und deutsche Firmen arbeiteten. In Peterswaldau war es der Rüstungskonzern Diehl. – Vgl. Rudorff 2014, Frauen in KZ Groß-Rosen; Liste der Frauenlager des KZ Groß-Rosen, S. 424–426; topografische Kartenübersicht, S. 427. 935 Ebd., S. 262. 936 Vgl. Rudorff 2014, Frauen-KZ Groß-Rosen: In Rudorffs Beschreibung des Bewachungspersonals und des Krankenreviers des KZ-Außenlagers Peterswaldau ist kein Hinweis auf NS-Schwestern oder Rotkreuz-Schwestern zu finden (S. 204–236). Auch im Namens- und Ortsverzeichnis sind keine Überschneidungen festzustellen – außer zu den Orten Striegau und zu Peterswaldau (Striegau zeigte sich in den späteren Forschungsmodulen als Ziel des Lazarettzuges mit kranken und alten Umsiedlern aus Bessarabien, in: Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler).
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bei der Umsiedlungsaktion spielte. Helmut Ritter erwähnte allerdings, dass er als späterer Leiter der Auslandabteilung der Reichsärztekammer bei Kriegsende für Evakuierungen von kranken Umsiedlern verantwortlich war und dafür auch nach Schlesien reisen musste: „Es gab ja Anfang 1945 noch Umsiedlungskrankenhäuser in Schlesien. Ich habe von dort ein volksdeutsches Tuberkulose-Krankenhaus nach Triangel bei Gifhorn überwiesen.“937 An den genaueren Standort in Schlesien erinnerte er sich leider nicht mehr. Und auch wenn das Buch „Heimkehr“, das die Arbeit des Umsiedlungskommandos zeitnah dokumentierte, 1941 im „SchlesienVerlag“938 veröffentlicht wurde – dies nur ein weiteres kleines Indiz – war dennoch irgendein topografischer Zusammenhang mit der Umsiedlungsaktion weder sichtbar noch denkbar. Ein Erholungsurlaub von Schwester Dorothee in Karlsbrunn und Peterswaldau im Jahr 1941 erschien fast glaubwürdig. Die Überraschung zeigte sich kurz darauf als Forschungsergebnis in den späteren Modulen des Projekts „Verschwundene Umsiedler“: Die Krankentransporte mit Alten und Hilfsbedürftigen aus Bessarabien führten tatsächlich nach Schlesien. Das verschwiegene, unbekannte Ziel des großen Lazarettzuges aus Galatz waren sogenannte „Reservelazarette“ in verschiedenen schlesischen Orten, u.a. in Striegau (heute: Strzegom/Polen). Viele kranke und alte Umsiedler verstarben hier 1941 unversorgt, wie es standesamtliche Todesmeldungen und sogar ein Tagebuch eines kranken Umsiedlers aus Bessarabien ab 2008 dokumentieren und beweisen konnten.939 Bis heute sind historische Zusammenhänge mit den Reservelazaretten für bessarabiendeutsche Umsiedler in Schlesien nicht weiter aufgeklärt, Akten dazu konnten nicht gefunden werden. Überhaupt wurden die Topografien der „Heim ins Reich“Umsiedlungen lange Zeit weder mit der „T4“-Topografie noch mit der KZ-Topografie verknüpft. Dabei gäbe es sowohl in Striegau940 als auch in Peterswaldau941 zumindest lokale Anknüpfungspunkte. Auch das „Rückwandererlager“942 in Gleiwitz (Gliwice) lag vielleicht nicht zufällig ebenso in Schlesien an der östlichsten Grenze zu Ostoberschlesien und nicht mehr allzu weit bis nach Auschwitz. 937 „Wir hatten als Mitarbeiter der Volksdeutschen Mittelstelle ein TBC-Krankenhaus aus Schlesien nach Gifhorn gebracht“. Ritter telefonisch am 23.5.2007. Vgl. Kap. I.C., autorisierte Fassung des Interviews. 938 Vgl. Pampuch 1941, Heimkehr. 939 Vgl. BKM-Module II–IV (2008–2010). Vgl. Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler. 940 Striegau ist heute die Bahnstation, wenn man die KZ-Gedenkstätte Groß-Rosen besuchen möchte. Die Rüstungsbetriebe mit Zwangsarbeiterinnen überwiesen ihre Zahlungen für die SS an die Reichsbank-Nebenstelle Striegau (Rudorff 2014, S. 62), insofern war Striegau, das eine zentrale Rolle bei den Krankentransporten 1940/41 spielte, topografisch auch eine denkbare Schnittstelle zum späteren KZ-System. 941 Zu Peterswaldau als Außenlager des KZ Groß-Rosen, vgl: Rudorff 2014, Frauen in KZ GroßRosen. 942 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 145f. Es handelte sich bei der „R-Fall-Aktion“ um Personen aus der Bessarabien-, Dobrudscha und Bukowina-Umsiedlung, die zurück nach Rumänien ge-
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„Schwierige Aufgaben ...“
Nahaufnahme: Topografische Bezüge in Schlesien
Oberschlesien, Ost-Oberschlesien und Ostsudetenland Oben links: Peterswaldau im Eulengebirge, in Niederschlesien. Mitte unten: Bad Karlsbrunn im Altvatergebirge, neben dem Berg „Altvater“, in Sudetenschlesien. Rechts: Gleiwitz, Rückführungs-Lager für „R-Fälle“ aus der Umsiedlungsaktion, an der östlichen Grenze von Oberschlesien zu Ostoberschlesien. Unten rechts: Auschwitz, kurz hinter der östlichen Grenze von Ostoberschlesien. Abb.: Meyers Lexikon Bd. 12 (Atlasband), Leipzig 1936, Karte 7 (Schlesien, dargestellt in der vormaligen deutschen Reichsgrenze 1936)
So erwuchs ein Verdacht allein aus topografischen Bezügen, dass die NS-Oberin Schwester Dorothee nicht zum Erholungsurlaub nach Peterswaldau und Karlsbrunn reiste, sondern sich dort in Schlesien weiter mit den Umsiedlern aus den Krankentransporten befasst haben könnte. Vielleicht ist diese Spur ein Irrweg. Doch sollte die erkrankte Schwester Dorothee 1941 mitten im Krieg tatsächlich nur zur Kur im schönen Bad Karlsbrunn gewesen sein, das übrigens noch heute im Internet als ein sehr idyllischer Kurort beschrieben wird, so wirft der Hinweis ihrer Kollegin, „dass es dort selten idyllisch sein soll“,943 offene Fragen auf.
bracht werden sollten. – Nach desillusionierendem Aufenthalt in den VoMi-Umsiedlungslagern lehnten einige „stur und verbittert“ (S. 143) die Einbürgerung ab und wollten freiwillig nach Rumänien zurück, sie wurden in Schutzhaft genommen und in KZ eingewiesen (S. 144). – Im Lager Gleiwitz waren Umsiedler, die freiwillig einen Antrag auf Rückführung gestellt hatten oder Umgesiedelte, die bei der EWZ-Schleusung als fremdländisch eingestuft wurden – oder durch eine „Mischehe“ es auch waren – und keine Einbürgerungsurkunde, sondern einen „Verweisungsbescheid“ erhielten. Sie waren „kein wertvoller Bevölkerungszuwachs für das Reich“ (S. 145). 60% wurden von Rumänien abgelehnt. (S. 149). 943 Q6/Brief 21 (NS-Gemeindeschwester Cora Spr., Grenzuk/Schlesien, an NS-Oberin Rakow, 29.5.1941).
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Nicht in Berlin-Wannsee In der Zwischenzeit war die NS-Oberin offensichtlich in Schlesien genesen. Ende Mai kam die schon erwähnte Frage: „Haben Sie sich schon an die große ‚Arbeit‘ gemacht?“944 In Berlin war etwas im Gange, und bald darauf war Schwester Dorothee schon wieder verschwunden, entweder immer noch krankgeschrieben oder unterwegs mit einem neuen Auftrag für diese „große Arbeit“? Sie konnte deshalb nicht an einer „Schulungstagung“ am 23. Juni 1941 in Berlin-Wannsee teilnehmen, wo ihre Kolleginnen sie vermissten. Die Generaloberin und 40 NS-Oberinnen grüßten sie auf dem privaten Briefpapier von Käthe Böttger mit einer Unterschriftenliste aus Berlin-Wannsee: „Wir gedenken Ihrer von unserer schönen Schulungstagung u. freuen uns, daß Sie bald wieder unter uns arbeiten! Heil Hitler! Ihre Schwester Käthe“
und 40 NS-Oberinnen.945 Bei einer Tagung in „Wannsee“ denkt man unweigerlich an die „Wannsee-Konferenz“, bei der ein halbes Jahr später am 20. Januar 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ mit etlichen willigen Kooperationspartnern beschlossen wurde.946 Erst danach setzte eine reibungslose Routine von verschiedenen Fachleuten für einzelne Aufgaben das „Endziel“ in Europa zielstrebig um. Gewissenskonflikte zeigten die Mörder – „SS-Intelligenz mit besonderer Berücksichtigung promovierter Akademiker“ –, die einer „in zweitausend Jahren nur einmal vorkommenden Aufgabe dienten“, nicht, aber durchaus Mitleid mit sich selbst wegen der persönlichen Last dieser historischen „Aufgabe“.947 Ob Schwester Dorothees „große Arbeit“ im Juni 1941 mit jener in irgendeinem Zusammenhang steht, ob auch ihre Kooperation bei
944 Ebd. 945 Klapp-Briefkarte mit braunem Aufdruck der Privat-Adresse der Generaloberin: „Käthe Böttger Generaloberin der N.S. Schwesternschaft – Berlin Hirschgarten – Hilgenburger Str. 21 – Fernsprecher: 646642“. – Unter den 40 Unterschriften finden sich u.a. die bekannten Namen aus dem Reichshauptamt: NS-Oberin Edith Blawert (1. Stellvertreterin der Generaloberin), NSOberin Ruth Dühe (Leiterin der Propagandaabteilung der NS-Schwesternschaft) sowie aus der Umsiedlungsaktion NS-Oberin Kluge (Wien, schickte Nachschub für ausgefallene NS-Schwestern), NS-Oberin Schnee (Lager Semlin), NS-Oberin Irene Pantenius (Vorbereitung des Bukowina-Einsatzes mit 200 NS-Schwestern), Nachlass Dorothee Rakow. 946 Die Kooperation bezog sich auf Behörden, Banken, Eisenbahnen usw. Adolf Eichmann, der die Transportlogistik der Deportationszüge übernahm, war Protokollführer der Wannseekonferenz. Vgl. Ahrendt 1986 [1964], Eichmann in Jerusalem, S. 147f. Selbst die jüdische Verwaltung kooperierte, ebd., S. 153. 947 „Und darauf kam es an, denn diese Mörder waren keine gemeinen Verbrecher, sie waren auch nicht geborene Sadisten oder sonst pervertiert. Im Gegenteil“. In: Ahrendt 1986 [1964], Eichmann in Jerusalem, S. 139f.
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der Erfüllung unaussprechlicher „Aufgaben“ ihr Gewissen ähnlich belastete wie das jener, wissen wir nicht, nur dass sie bereits versuchte, dem zu entkommen. Der Ort der Schulungstagung für ihre 40 Kolleginnen war sicherlich die vormalige Villa Salinger, Am Großen Wannsee 47–51. Dieses massive Gebäude mit 25 Zimmern, das ein jüdischer Papiergroßhändler erbaut hatte, gehörte der NSV nach einer Zwangsversteigerung seit 1938 und diente ab 1941 als NSV-Gauschule der Schulung und Erholung von NSV-Mitgliedern.948 Möglich wäre als Tagungsort auch die in der Nachbarschaft liegende „Schulungsburg Wannsee der NSDAP“ in der vormaligen Villa Springer, Hausnummer 39/41.949 Näher an der NSV-Gauschule stand wiederum das „Wannsee-Institut“, Hausnummer 43–45, in der beschlagnahmten Villa Franz Oppenheim. Hier betrieb der SD unter dem Tarnnamen „Institut für Altertumsforschung“ geheime „Ostforschungen“, zu denen auch Mitarbeiter aus „Heim ins Reich“-Umsiedlungen herangezogen wurden.950 Weitere ‚arisierte‘ Großvillen am Wannsee beherbergten noch mehr interessante NS-Dienststellen, wie z.B. Goebbels größte Abhöranlage Deutschlands im „Auswärtigen Amt“. Doch die berühmte „Wannsee-Konferenz“ tagte in der Villa mit der Hausnummer 58, die das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) 1940 einem der reichsten Männer abkaufte.951 Von 1941 bis 1945 diente dieses „Kameradschaftsheim“ der SS als Gäste- und Tagungshaus.952 Frauen waren bei der Wannseekonferenz übrigens nicht zugegen.953 Die obersten politischen Stellen der Reichshauptstadt, die in den 1930er Jahren nach und nach in die schönen alten Villen am Großen Wannsee einzogen, waren selbstverständlich miteinander vernetzt, um die „große Aufgabe“ anzugehen und das nötige ausführende Personal rechtzeitig als Komplizen zu schulen. Die Schulungstagung für die Oberinnen der NS-Schwesternschaft war in diesem Zeitraum der Vorbereitungen sicherlich nicht die einzige rund um den Wannsee gewesen. 948 ������������������������������������������������������������������������������������������ Haupt 2012, Villenkolonie Alsen, Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, Berlin 2017–2020, Ausstellungstafel: „Villa Salinger, Am Großen Wannsee“. In: URL: https://www.ghwk.de/de/ausstellung/gartenausstelung/villencolonie-alsen-am-grossenwannsee (Abruf 16.1.2021). – Nach 1945 Krankenhaus, heute abgerissen für Wohnblocks. Foto des Gebäudes ebd. 949 Ebd., Ausstellungstafel „Der Wissenschaftsverlag Springer“. 950 Jasch/Kreutzmüller 2015, Die Villen am Wannsee. Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, Berlin, seit 2017, Ausstellungstafel: „Das Wannsee-Institut“, In: URL: https://www.ghwk.de/de/ausstellung/gartenausstelung/grossbuergerliche-lebensweltenund-ns-dienststellen (Abruf 16.1.2021). 951 Ebd., Ausstellungstafel: „Villa Marlier/Minoux“. Die Industriellenvilla wurde 1940 durch die SS-Stiftung Nordhav gekauft. 952 Prospekt der Gedenk- u. Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 2006. Die Adresse der Gedenkstätte ist Am Großen Wannsee 56–58. 953 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl Besprechungsprotokoll, 20.1.1042. In: Haus der Wannseekonferenz, Protokoll und Dokumente, In: URL: www.ghwk.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Konferenz/protokoll-januar1942_ barrierefrei.pdf. – Aus „Rumänien einschließlich Bessarabien“ waren „342.000“ zur Vernichtung vorgesehen, ebd. S. 6 im Protokoll.
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Schwesternerholungsheim Herrsching Im August 1941 bekam Schwester Dorothee ein Dienstzeugnis „für alle Fälle“ und einen sechsmonatigen bezahlten Sonderurlaub im Schwesternerholungsheim Herrsching in Bayern. Direkt danach verließ sie die NS-Schwesternschaft für immer und heiratete im Februar 1942. Immerhin war es trotz ständiger Sanatoriumsaufenthalte offenbar kein Problem, die im Nationalsozialismus nötigen Papiere wie ein „Ehetauglichkeitszeugnis“, also die Heiratserlaubnis des Amtsarztes, zu erhalten. Ihrem zukünftigen Mann deutete sie als Grund für ihre lange Krankschreibung eine „Infektion in Rumänien“ und die „Folgeerscheinungen“ an.954 Verständlich ist, dass sie ihm gegenüber in diskreten Worten nur zaghaft ihre „Folgeerscheinungen“ andeutete. Aber dafür, dass sie als NS-Oberin über so viele Monate fast über das gesamte Jahr 1941 immer wieder neu zu Erholungen geschickt wurde, würde man in ihren Lebenserinnerungen mehr konkrete Hinweise erwarten, z.B. auf die Art ihrer Krankheiten, auf Erlebnisse während der Aufenthalte in den Sanatorien oder wenigstens auf Schwierigkeiten bei der Vortäuschung von Krankheiten. Es bleibt denkbar, dass Schwester Dorothee in dienstlichen Aufträgen unterwegs gewesen war und erst danach zur Erholung von diesen Einsätzen in das Schwesternerholungsheim kam. Nahaufnahme: Topografische Bezüge in Bayern Das NS-Schwesternerholungsheim in Herrsching am Ammersee, in dem Schwester Dorothee nun sechs Monate weilte, und auch die NS-Oberinnenschule in Tutzing am Starnberger See, in der sie 1939 zur Oberin gemacht wurde, lagen recht nah beieinander, südwestlich von München, der „Hautpstadt der Bewegung“, in der die NSDAP einst gegründet wurde und aus der viele NS-Beamte in die Berliner Dienststellen aufstiegen. Hier war am 30. April 1938 ihr NSDAP-Ausweis abgestempelt
„Hilfswerk Bayrische Ostmark“ Eine NS-Schwester zeigt auf die südöstliche Ecke des Gaues „Bayrische Ostmark“, dort wo die Donau über Passau nach Österreich fließt. Nach der „Anschlüssen“ an das Deutsche Reich wurden 1938 im März aus dem südlich angrenzenden Österreich der „Gau Ostmark“ und im September aus dem östlichen Nachbarland der „Sudetengau“. Entlang der östlichen Grenze zur Tschechoslowakei wurden dunkle Punkte auf der Karte markiert. Foto: Nachlass Dorothee Rakow.
954 Dorothee Rakow an Otto P., Brief, 30.11.1941. In: Renate J., Familienbiografie 2005, S. 189.
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worden. Auch Dr. Jäger, den Nürnberger Gauamtsleiter der NSV, kannte Rakow sehr gut aus der Berliner Reichsleitung und aus dem Umsiedlungseinsatz in der Bukowina. Er war zusammen mit 200 bayrischen NS-Schwestern dort eingetroffen und hatte ihr in Radautz sein luxuriöses Zimmer in der Villa der NSV überlassen.955 In Nürnberg hatte sie mindestens einen NSDAP-Reichsparteitag besucht. Bayern war der Norddeutschen also nicht ganz fremd. In Bayern hatte die Volksdeutsche Mittelstelle mehrere Umsiedlungslager eingerichtet, in denen die „Volksdeutschen“ aus Bessarabien Ende 1940 angekommen waren und einige Monate auf die Untersuchungen für ihre Einbürgerungsurkunden warteten. Die meisten waren inzwischen „im Osten“ angesiedelt. Im August 1941, als Schwester Dorothee nach Herrsching kam, waren nur noch die kranken Umsiedler in den Lagern verblieben, oder solche, die nicht die Wertungsstufe bekommen hatten, die sie auch zu einem „O-Fall“ gemacht hätten. Was geschah mit ihnen als „A-Fälle“, die im Altreich blieben? Es ist bekannt, dass in Hagenbüchach bei Nürnberg bis Dezember 1941 eine Art Sammellager für nicht angesiedelte „Familien von Kranken und Mischlingen“ war.956 Hier wäre im Sinne einer „Nachlese“ ein Betätigungsfeld denkbar, mit dem die vormalige leitende NS-Oberin ihre Arbeit mit den Umsiedlern hätte fortsetzen bzw. zu Ende führen können. Immerhin bekam sie für die sechs Monate Gehalt und hatte auch keine Lücke im Rentenbezug. Im NSDAP-Gau „Bayrische Ostmark“ lag weiter nördlich das KZ Flossenbürg, in das Umsiedler eingewiesen wurden, die nach der Umsiedlung die Ansiedlung verweigerten, so erging es den Männern eines ganzen Dorfes aus der Dobrudscha.957 Näher an Herrsching, im südwestlicheren Gau „München-Oberbayern“, lag das KZ Dachau, das auch Bezüge zur Umsiedlungsaktion in der Dobrudscha haben könnte. Nah bei München war hier schon 1933 das erste KZ eingerichtet worden. Wegen der Malaria-Mücken im Dachauer Moor wurde in diesem KZ eine MalariaVersuchsstation eingerichtet, die Experimente mit Menschen ermöglichte. Für die Forscher der Tropeninstitute, die 1941 an einem Impfstoff für „deutsche Siedler“ arbeiteten, war Bulgarien (Dobrudscha) eine wissenschaftlich interessante Gegend, in der die Malaria in besonders schwerer Form vorkam.958 Die Menschenversuche im KZ Dachau begannen zwar erst Anfang 1942, aber in den Vorplanungen gab es bereits Überlegungen, diese in Rumänien und Südrussland (Dobrudscha, Bessarabien) umzusetzen:
955 Vgl. Kapitel II.C.Spur 16, Vorkommando Bukowina. 956 Vgl. Schlechter 2010, Verschwundene Umsiedler, Kapitel C: Nicht Angesiedelte, Geschichte C.1. 957 Ebd., Geschichte C.6, Gespräche mit Zeitzeugen aus dem Ort Malkotsch/Dobrudscha. Die Frauen desselben Ortes, die die Ansiedlung verweigern wollten, kamen ins Frauen-KZ Ravensbrück. 958 Vgl. Klee 1997, Auschwitz, NS-Medizin, Kapitel IV: Malaria-Versuche.
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„Wäre es möglich, Häftlinge mit langandauernden Freiheitsstrafen hier vorzubehandeln, sie dann in notorisch schwer verseuchte Malariagebiete z.B. Südrussland oder Rumänien zu versetzen und sie dort unter Beobachtung zu halten? Ehe man die Impfung deutschen Siedlern u.ä. empfehlen kann.“959
Die NS-Schwestern hatten schon bei der Vorbereitung der Umsiedlung in Wien vorsorglich einen Chinin-Belastungstest machen müssen, und im Lager Galatz hatten sie jedes kleinste Fieber grundsätzlich unter Malaria-Verdacht gestellt. Aber besonders in der Dobrudscha bekamen die NS-Schwestern wirklich mit Malaria zu tun, und vermutlich hatten vier zusätzliche „Schwestern z.b.V“ dabei eine besondere Verwendung.960 Trotzdem wurde nie erwähnt, wie mit den an Malaria erkrankten Umsiedlern aus der Dobrudscha und aus dem Lager Galatz verfahren wurde. Wurden sie behandelt und geheilt oder begegnete die Oberin ihnen nun hier in Bayern wieder? Jedenfalls gehörte zum SS-Lazarett in Dachau schon lange ein eigenes NS-Schwesternheim.961
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Bayrische Topografie im NSDAP-Gau München-Oberbayern: NS-Schwesternerholungsheim in Herrsching am Ammersee (Gewässer links, Ostufer). NS-Oberinnenschule in Tutzing am Starnberger See (Gewässer rechts, Westufer). KZ Dachau im Dachauer Moor, nordwestlich von München. München, „Hauptstadt der Bewegung“, Gründung der NSDAP, „Braunes Haus“ Abb.: Meyers Lexikon Bd. 12 (Atlasband), Leipzig 1936, Karte 8 (Ausschnitt).
Doch theoretische Verbindungen der NS-Schwestern-Häuser in Tutzing und in Herrsching mit dem bayrischen KZ Dachau sind – genauso wie die Verknüpfung der Erholungsorte in Schlesien mit den dortigen Reservelazaretten für die kranken Umsiedler aus den Lazarettzügen ober gar mit den dortigen Konzentrationslagern – zunächst rein topografisch konstruierte Spuren, nicht mehr und nicht weniger. Konstruktionen beinhalten das Risiko, dass sie am Ende bedeutungslos waren. Doch immerhin war das ganze Deutsche Reich ein Mosaik aus dicht beieinander liegenden Stätten des Terrors und Stätten des Kultes sowie des alltäglichen Lebens. Erholung und Terror fanden durchaus in direkter Nachbarschaft statt, einiges offen, einiges verborgen. 959 In: Ost, Malaria Dachau. In: Benz/Distel 1993 [1988], Medizin NS-Staat, S. 174–189, Zitat S. 179. 960 Vgl. Kapitel II.C.Spur 15, Dobrudscha, in den Abschnitten: „z.b.V.“; „Malaria in Cogealia“. 961 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 281; Betzien 2008, Krankenschwestern in KZ, S. 358.
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Nachlese in Rumänien? Flüchtlingslager in Siebenbürgen, Mai 1941 Eine weitere Spekulation: Während dieses langen Zeitraumes seit November 1940 wäre Schwester Dorothees Einberufung zu weiteren Sondereinsätzen denkbar, die sie vielleicht nur konsequent verschwieg. Von Mitte Mai bis Ende Juni 1941 fand z.B. eine „Verwandten-Nachumsiedlung“ in Rumänien statt, ein verspäteter Nebenschauplatz der vorangegangenen Umsiedlungsaktion aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina. Im deutsch-rumänischen Umsiedlungsvertrag vom 22. Oktober 1940 war auch an die „Volksdeutschen“ gedacht worden, die nach der russischen Besetzung in westlichere Gebiete Rumäniens geflohen waren. Dort im Banat oder in Siebenbürgen hatten sie weder Wohnsitz noch Verwandte, und während ihre Familien Ende 1940 umgesiedelt wurden, blieben sie in rumänischen Flüchtlingslagern zurück.962 Die „Verwandten-Nachumsiedlung“ hätte man schon 1940 durchführen sollen, doch nachdem die NS-Oberin die Bukowina am 17. November 1940 vorzeitig verlassen hatte, war dort unter der Leitung des neuen Umsiedlungs-„Kommando Siekmeyer“ etwas schiefgelaufen. Die „Nachlese“ der etwa 1.000 zurückgelassenen früheren Bewohner des „Ortsbereichs Südbuchenland“ musste ein deutsches Umsiedlungskommando nachholen, das ein halbes Jahr später im Mai 1941 in Kronstadt/Siebenbürgen (Brașov) eintraf.963 Da sich Schwester Dorothee im Juni 1941 nicht in Berlin bei ihren Kolleginnen befand, könnte sie theoretisch abermals in Rumänien unterwegs gewesen sein, als die 40 NS-Oberinnen sie von der Wannsee-Schulungstagung grüßten. Im letzten Teil ihres Tagebuchs erwähnte sie jedenfalls auch die „Umsiedler aus den siebenbürgischen Flüchtlingslägern Hermannstadt (Sibiu) u. Kronstadt“, die „dann noch“ entlaust werden mussten.964 962 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 112. 963 Ebd., S. 113: „Menschenmaterial das [...] entweder blutsmäßig oder haltungsmäßig nicht mehr zum Deutschtum zu rechnen“ war, war die Begründung für das Zurücklassen von etwa 1.000 Umsiedlern. 964 Q2/Tagebuch, S. C39, linke Seite: „Als dann noch Umsiedler aus den siebenbürgischen Flüchtlingslägern Hermannstadt u. Kronstadt kamen, wurden auch Cuprex-Kappen nötig.“ – Allerdings kann dieser Satz für einen etwaigen weiteren Einsatz im Mai/Juni 1941 nur relevant sein, falls die Oberin diesen Teil des Tagebuchs erst später verfasst haben sollte. Dies wiederum ist durchaus möglich, denn die erste Seite beginnt im Stenografie-Teil, datiert in Radautz am 6. November 1940, also erst nach Abschluss der Bessarabien-Aktion, vielleicht schrieb sie alles später. Andererseits könnte die Oberin auch die Vor-Umsiedlung im Lager Galatz (vgl. Kapitel II.C. Spur 6, Vorkommando) gemeint haben: „Dann kamen die ersten Umsiedler aus den übrigen Teilen Rumäniens; da gab es natürlich mehr zu tun. Und wenig später kamen dann die ersten Bessaraber“ (Q7/Berichte 8, S. 2, NS-Schwester Freya Weng.). Dorothee Rakow verwendete oben jedoch den Ausdruck: „Als dann noch [...] kamen“, als seien diese Entlausungen doch oder auch zu einem späteren Zeitpunkt nachträglich geschehen. Festzuhalten bleibt: Es gab offenbar Vor-Umsiedlungen und Nach-Umsiedlungen, über die es keine klaren Berichte, sondern nur Andeutungen gab.
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Rekonstruktionen und Konstruktionen Allein anhand der Dokumente aus dem Nachlass war es nicht möglich, Schwester Dorothees letztes Jahr in der NS-Schwesternschaft ausreichend zu rekonstruieren. Der Zeitraum zwischen der Umsiedlungsaktion und dem Ausstieg wirft Fragen auf. Möchte man ihr die Erkrankung glauben, oder will man verschwiegene Sondereinsätze in Schlesien oder Rumänien konstruieren? In beiden Fällen stößt man auf bemerkenswerte Lücken. Von Bedeutung aber erscheint, dass die NS-Oberin im Laufe des Jahres 1941 genug Gründe fand, konsequent an ihrem beruflichen Ausstieg zu basteln. Dass sie die Hintergründe damals nicht offen legen konnte, ist verständlich. Nach Hannah Arendt war der Rückzug aus dem öffentlichen Leben die einzige Möglichkeit, nicht mehr an den Verbrechen teilzunehmen, nachdem das NS-Regime sich mit Kriegsbeginn „unverhüllt verbrecherisch“ zeigte und eine „Aura der systematischen Verlogenheit“ die allgemeine akzeptierte Atmosphäre bestimmte.965 Doch die Schweigsamkeit blieb auch noch Jahrzehnte später in ihren Memoiren und gegenüber ihrer Tochter bestehen. Als seien diese Hintergründe unaussprechlich – oder als könnten diese sie noch belasten. Aber die damaligen Schweigegelübde wurden auch von ihren Zeitgenossen nur selten gebrochen.966
II.C.Spur 19 Wien: Sterbehilfe für NS-Schwestern? „Seelisch die besten Voraussetzungen dazu“ Was passierte eigentlich, wenn NS-Schwestern selbst unheilbar erkrankten und zu kostenaufwendigen Pflegefällen wurden? Standen sie als fanatische Befürworterinnen der „Euthanasie“ dann nicht unter einem moralischen Druck, sich selbst auch freiwillig dem „Gnadentod“ hinzugeben? Jedenfalls erließ Adolf Hitler am 23. Dezember 1942 eine „streng vertrauliche Anordnung“, mit der er Ärzte, Heilpraktiker und Zahnärzte verpflichtete, „sofort nach feststehender Diagnose einer ernsten oder folgeschweren Krankheit einer führenden oder an verantwortungsvoller Stelle stehenden Persönlichkeit des Staates, der Partei, der Wehrmacht, Wirtschaft usw.“967 965 Ahrendt 1986 [1964], Eichmann in Jerusalem, S. 82 (Verlogenheit), 99 (unverhüllt verbrecherisch). 966 Vgl. Angrick 2018, Aktion 1005 Spurenbeseitigung. 967 Schreiben der NSDAP-Kreisleitung Kiel, Amt für Volksgesundheit, an Dr. med. Albert F., Kiel, 16.6.1943. Zitiert aus Abb. des Dokuments. In: Petersen/Zankel, Kinderarzt Catel Vergangenheitspolitik. In: Prahl/Petersen/Zankel (Hg.) 2007, Uni Kiel und NS, S. 133–178, Abb. S. 141. – Ich danke Hans-Christian Petersen 2019.
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eine Mitteilung an die Reichskanzlei, und zwar an seinen Leibarzt und obersten „Euthanasie“-Beauftragten „Prof. Dr. Karl Brandt persönlich“, zu senden. Ein prominentes Opfer dieser Form der „Euthanasie“ wurde 1942 – wohl nicht freiwillig – der erkrankte Oldenburger Gauleiter Carl Röver,968 der 1935 die neu gegründete NS-Schwesternschaft öffentlich vereidigt hatte.969 Die „Wohltat der Euthanasie [sollte] nur Deutschen zugute kommen“,970 als ab 1942 in den Lazaretten verwundete Soldaten den Gnadentod bekamen. Diese streng geheime „Sonderaktion Brandt“ wurde später von Historikern als „dritte Phase“ der heimlichen NS-„Euthanasie“-Krankenmorde erkannt.971 Schließlich versprach im Sommer 1944 eine „SS-Führerin“ für den Fall der Niederlage sogar dem ganzen deutschen Volk ganz offen einen „sanften Tod durch Vergasung“.972 Hannah Arendt hielt es für sehr wohl denkbar, „dass sich im Verlauf des Krieges die allgemeine Einstellung gegenüber einem ‚schmerzlosen Tod durch Vergasung‘ geändert hat. Diese Dinge lassen sich schwer beweisen; wegen der Geheimhaltung des ganzen Unternehmens existieren keine Dokumente, mit denen man sie belegen könnte, und keiner der Kriegsverbrecher hat je darüber gesprochen, nicht einmal die Angeklagten im Nürnberger Ärzteprozeß, die mit Zitaten aus der internationalen Literatur zum Thema Euthanasie um sich warfen [...], sie hielten sich – irrigerweise – mit ihrer ‚objektiven und wissenschaftlichen‘ Einstellung für unendlich fortgeschrittener als normale Menschen.“973
Im Folgenden möchte ich daher möglichst unvoreingenommen auch dieser Spur in den Dokumenten ernsthaft nachgehen. In den Briefen der NS-Schwestern stieß ich auf einige Formulierungen, die mich beim Lesen stutzen ließen. Ihre unklaren Andeutungen betrafen unheilbar erkrankte NS-Schwestern und meine intuitiven Deutungen führten zu eben solchen oben ausgeführten Interpretationen, die ich bei aller Vorsicht vor Überinterpretation hier nicht auslassen möchte. Wien – Anfang und Endpunkt Wien war die anfängliche Sammelstelle der Akteure der Umsiedlungsaktion im Südosten. Hier war das deutsche Umsiedlungskommando im „Haus der Urania“ von ‚Pg.‘ Lorenz eingeschworen worden. Für die mit den Transportzügen ankommenden Umsiedler war Wien dagegen nur Durchgangsstation, wenn sie die Reise bis hierher 968 Vgl. Harms 1999, Der plötzliche Tod des Gauleiters Carl Röver. 969 In: Feierliche Vereidigung der NS-Schwestern. Die Kundgebungen der Gaufrauenschaft. In: Oldenburgische Staatszeitung, 25.2.1935, 2. Beilage, Privatarchiv Renate J. – Vgl. Kapitel II.A.2, Biografie. 970 Ahrendt 1986 [1964], Eichmann in Jerusalem, S. 144. 971 Vgl. Harms 1996, Aktion Brandt. 972 Ahrendt 1986 [1964], Eichmann in Jerusalem, S. 145, zitiert aus dem Tagebuch eines Zeitzeugen. 973 Ebd., S. 144f.
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gesund überstanden hatten. Auf dem Wiener Bahnhof kamen „täglich 600 – 800 Deutsche aus Bessarabien“ an. In den Zügen wurden sie von NSDAP, NSV und NS-Frauenschaft versorgt, während gleichzeitig nach Kranken gesucht wurde. Diese wurden von Ärzten in Hilfsstellen auf dem Bahnhof untersucht und wenn nötig ins Spital gebracht, denn „auf dem langen Wege über Galatz und Semlin kommen natürlich Krankheitsfälle und Verletzungen vor“.974 Nach Abschluss der Umsiedlungen wurden auch die Kommandomitglieder aus Bessarabien und der Dobrudscha über die Donau wieder zurückgebracht nach Wien, jedenfalls die gesunden. Während der Umsiedlung waren einige Kommandomitglieder jedoch schwer erkrankt. Die leitende Oberin Schwester Dorothee selbst hatte sich mit Keuchhusten angesteckt und fuhr vorzeitig zurück. NS-Schwester Käthe war in der Dobrudscha an Gelbsucht erkrankt, möglicherweise als Folge einer Malaria-Infektion. Sie selbst hatte ihre Erkrankung in ihrem eigenen sehr langen Bericht975 mit keinem einzigen Wort erwähnt, doch ihre Mit-Schwester Franziska schrieb über die Gelbsucht ihrer Kollegin an die NS-Oberin: „was ich sehr bedauert habe, denn wir haben uns in unsrer Arbeit sehr gut verstanden. Trotzdem war ich dann noch sehr froh, dass sich ihr Gesundheitszustand soweit besserte, dass sie mit uns Schwestern gemeinsam am 29. Nov. auf dem Schiff ‚Erzebet Kiralyne‘976 die Heimreise antreten konnte. Am 7. Dez. kamen wir erst in Wien an.“977
Offenbar konnten schwer erkrankte Kommandomitglieder nicht zusammen mit ihren Kameraden zurückfahren, außer wenn sie sich wider Erwarten doch noch erholten. Es wird nicht klar, ob NS-Schwester Käthe mit einem Extra-Krankentransport später noch aus Rumänien zurück geholt worden wäre oder ob sie nach Abzug des Umsiedlungskommandos in der Dobrudscha hätte bleiben müssen. Wäre sie dort an ihrer schweren Infektion verstorben, war es vielleicht ein Trost, zuhause einen Nachruf wie diesen zu bekommen: „Wie sie sich während der Kampfzeit als Braune Schwester für die Bewegung einsetzte, stellte sie sich auch Anfang des Krieges der Waffen-SS zur Verfügung. In treuester,
974 „Der große Treck hat begonnen. Der Bessarabiendeutschen glückliche Heimkehr.“ Zeitungsausschnitt o.O., 18.10.1940, verfasst von „Kriegsberichterstatter Dr. Thoss – r.d. (P.K.)“, Privatarchiv Dr. Ritter, 5.7.2007. 975 ��������������������������������������������������������������������������������������� Q7/Bericht 6, „Umsiedlung!“ (NS-Schwester Käthe Schm.): Bericht über Galatz und die Dobrudscha. 976 �������������������������������������������������������������������������������������������� Erzebet Kiralyne (dt.: Königin Elisabeth). Nándor Andrásovits, der Kapitän dieses Donaudampfers, filmte seine Passagiere: 1939 die jüdischen Flüchtlinge und 1940 die Umsiedler. Die Collage seiner Amateurfilme bildete später das künstlerische Projekt „Donau Exodus“. Vgl. Forgács, The Danube Exodus, Film 1998 [Jüd. Museum Ausstellungskatalog 2007]; Feigelson 2019, Donau Exodus, metaphorischer Weg. 977 Q6/Brief 14 (NS-Schwester Fanny To. an NS-Oberin Dorothee Rakow, 7.1.1941).
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„Schwierige Aufgaben ...“ unermüdlicher Pflichterfüllung und hingebender Fürsorge für verwundete SS-Kameraden gab sie ihr höchstes Opfer für Deutschlands Sieg und Größe. Sie wurde auf einem Heldenfriedhof beigesetzt.“978
Vor der Abreise aus Wien hatte SS-Oberführer Lorenz gegenüber den NS-Schwestern etwas „ohne jede Beschönigung“ klargestellt. Möglicherweise betraf das Unaussprechliche nicht die Umsiedler, sondern die Mitglieder des Umsiedlungskommandos selbst. Vom Inhalt ist uns leider nichts überliefert, nicht einmal eine Andeutung, vielleicht weil es einem Geheimnisverrat gleichgekommen wäre. Auch bei der Einschwörung des Personals für die heimliche „Aktion T4“ war die Teilnahme zwar freiwillig, aber über einen Eid wurde man Mitglied einer eingeschworenen Gemeinschaft, die eisern schwieg. NS-Schwester Pauline K., geboren 1900 bei Odessa als „Volksdeutsche“, die Anfang 1940 zusammen mit rund 20 anderen Schwestern im Berliner Columbushaus für das geheime „Euthanasie“-Mordprogramm vereidigt worden war, berichtete später: „Wir wurden auf Schweigepflicht und Gehorsam vereidigt und Blankenburg machte uns darauf aufmerksam, daß jede Eidverletzung mit dem Tode bestraft würde.“979
Was immer es war, das den Mitgliedern des Umsiedlungskommandos „ohne jede Beschönigung“ vor der Abreise klargemacht wurde, vielleicht erklärt es, warum NS-Schwester Käthe in ihrem sonst ausführlichen Bericht ihre Krankheit lieber verschwieg. Auch die Andeutungen über eine offenbar schwer erkrankte NS-Schwester Hanna Z. geben Rätsel auf. Man hoffte, dass sie sich wenigstens noch so weit erholen würde, dass sie nach Wien gebracht werden könnte. NS-Schwester Charlotte, die nach der Abfahrt der NS-Oberin die Leitung der NS-Schwestern in der Bukowina übernommen hatte, also in einem gewissen Vertrauensverhältnis mit Schwester Dorothee stand, informierte diese am 26. Januar 1941 darüber; es war schon einige Wochen nach Ende der Umsiedlungsaktion: „Sollte sich Hanna Zi[...] doch noch erholen können, da sie nach Wien transportiert werden kann. Ich würde mich sehr freuen. Dadurch, daß sie eine Mitschwester um sich haben darf, hat sie ja auch seelisch die besten Voraussetzungen dazu.“980
978 In: Todesanzeige für NS-Schwester Magda D., geb. 1885 bei Oldenburg, 1944 eingesetzt als med.-technische Assistentin in einem SS-Lazarett und Ehefrau eines SS-Oberführers und SSSturmbannführers der Waffen-SS. In: Das Schwarze Korps. 30.11.1944, S. 5. In: Lower 2014, Hitlers Helferinnen, Abb. S. 35. 979 Lower 2014, Hitlers Helferinnen, S. 73 (zu den Taten dieser NS-Schwester in der „T4“-Anstalt Grafeneck und 1942 bei der „Aktion Brandt“ in Minsk, ebd. S. 160, 300). 980 Q6/Brief 15, S. 5 (NS-Schwester Lotte Con., Weinhübel, an NS-Oberin Dorothee Rakow, 26.1. 1941).
Spurensuche im Bessarabien-Nachlass
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Die besten Voraussetzungen wozu? Es bleibt offen, in welcher Angelegenheit besondere „seelische“ Voraussetzungen nötig waren, bei der eine Mitschwester die schwer kranke Kollegin begleitete. Sicher, seelischer Beistand ist bei Kranken auch angebracht, wenn sie nicht in den sicheren Tod gehen. Doch hier waren „seelische“ Voraussetzungen für einen Transport nach Wien angesprochen? Wohin genau? Zur Sterbehilfe? Konnten sich unheilbar erkrankte NS-Schwestern zu diesem Zweck in Wien einfinden? Mit dem seelischen Beistand einer anderen NS-Schwester, die sie dabei „um sich haben darf“? Hitler jedenfalls hätte es so von einer NS-Schwester nicht anders erwartet, so wie von seinen „SS-Divisionen, die vollständig kirchenlos sind und doch mit der größten Seelenruhe sterben“,981 oder wie auch von den zahlreichen Zivilpersonen, die am Ende des Krieges mit einem schnellen Biss auf die längst bereit gehaltene Zyankalikapsel einen Massensuizid mit Blausäure vollführten, was 2015 als „eines der letzten verdrängten Kapitel der deutschen Geschichte“982 erkannt wurde. Eine weitere rätselhafte Andeutung über „dieses Lebensende“ einer Kollegin tauchte in der Korrespondenz der NS-Schwestern im Mai 1941 auf. NS-Oberin Schwester Dorothee hatte über „dieses Schicksal“ offenbar zuvor von Bad Karlsbrunn aus ausführlicher an NS-Schwester Cora berichtet, während sich beide in Schlesien aufhielten. Die beiden waren sich als alte Bekannte vor einem halben Jahr im Bukowina-Einsatz wiederbegegnet. Was sie miteinander verband, war die Erinnerung an die Schwesternausbildung im Kreiskrankenhaus Burg bei Magdeburg, wo Schwester Dorothee 1926 gleich nach der Lehrzeit gekündigt hatte wegen „Chikanen“ der „neuen Oberin des Hauses“983 Vielleicht ging es nun auch um diese damalige Oberin, jedenfalls um eine damalige Kollegin aus Burg mit „sonderbarem Wesen“: „Auf Helene [unleserlich: Pugenius?] kann ich mich noch gut erinnern und ich muß sagen, daß ich eigentlich nicht so sehr erstaunt über dieses Schicksal bin. War sie nicht verheiratet u. schon wieder geschieden? Sie zeigte in Burg schon immer ein bisschen sonderbares Wesen. Sehr geltungsbedürftig! Trotzdem tut mir dieses Lebensende leid.“984 981 Adolf Hitler, hier zit. nach Ach/Pentrop 2001 [1977], Hitlers Religion, S. 133 (ohne Quelle). 982 „Gegen Ende des Krieges gab es in Zeitungen, Rundfunk und öffentlichen Verlautbarungen eine regelrechte Werbung für den Selbstmord. Es wäre zweifellos am besten, sagte ein Sprecher des Propagandaministeriums, wenn die vorrückenden Feinde nur noch tote Deutsche vorfänden. Beim letzten Konzert der Berliner Philharmoniker am 12. April, es endete mit Wagners ‚Götterdämmerung‘, sollen uniformierte Hitlerjungen mit Körben voller Zyankali am Ausgang gestanden haben. Man glaubt es kaum, doch es passt zur Logik des Regimes.“ In: Schnitzler, Der größte Selbstmord, Deutschlandfunk 9.4.2015. URL: deutschlandfunk.de/koerbe-vollerzyankali-der-groesste-selbstmord-der.700.de.html?dram:article_id=316610 (Abruf 3.6.2021). 983 Q1/Lebensbericht, Bl. 25. 984 Q6/Brief 21 (NS-Schwester Cora Spr., Grenzuk/Schlesien, an NS-Oberin Dorothee Rakow, 29.5.1941).
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„Schwierige Aufgaben ...“
Das bedauernswerte „Schicksal“ zum Lebensende scheint also auf irgendeine Art vorhersehbar gewesen zu sein, da es NS-Schwester Cora „eigentlich nicht so sehr erstaunte“. Es gehört schon etwas Phantasie dazu, sich auszumalen, was diese Andeutungen über eine gescheiterte Ehe, Geltungsbedürftigkeit und „sonderbares Wesen“ mit einem Lebensende, das wohl selbst einer so ungeliebten früheren Kollegin mit „sonderbarem Wesen“ nicht so zu wünschen war, zu tun haben könnten. Eine tödliche Erkrankung erschließt sich daraus jedenfalls nicht. Lassen wir es offen, ob zwischen den Zeilen die Einweisung in eine Psychiatrie mit den bekannten Konsequenzen gemeint gewesen sein könnte. Es gäbe sicherlich noch weitere Möglichkeiten. Unter den Kolleginnen kursierten 1941 auch verborgene Ängste wie: „Die stellen uns alle an die Wand“.985 Und die während des Bukowina-Einsatzes erkrankte Oberin Rakow selbst? Sie war im November 1940 von Radautz im versiegelten Gepäckwagen eines Umsiedlerzuges zum Zielbahnhof München gefahren – nicht nach Wien. Und während sie im Juni 1941 – nach monatelangen Erholungsurlauben in Sanatorien – wieder an einem uns unbekannten Ort weilte, jedenfalls nicht bei ihren Kolleginnen auf der Schulungstagung in Berlin-Wannsee, wählte die Generaloberin von dort auf ihrer gemeinsamen Grußkarte an Schwester Dorothee schon die ironische Formulierung: „Wir gedenken Ihrer.“986 ***
985 Satz von Dora P., in: Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 177. 986 ���������������������������������������������������������������������������������� Generaloberin Käthe Böttger und 40 NS-Oberinnen, Berlin-Wannsee an NS-Oberin Dorothee Rakow, Briefkarte, 23.6.1941, Nachlass Dorothee Rakow. – Angesichts der fehlenden NSSchwesternkartei in den Archiven ist die Namensliste auf der Grußkarte heute von einer gewissen Bedeutung. Vermutlich sind es NS-Oberinnen, nur einige von ihnen, die auch im Umsiedlungseinsatz waren, sind bereits im Namensverzeichnis dieser Arbeit genannt.
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III. FAZIT UND FOLGEN
Das Fazit der Spurensuche und die Folgen
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Das Fazit der Spurensuche und die Folgen Nichts sei so schwer zu ertränken wie ein Verdacht, weil nichts so leicht immer wieder auftauche, sagte einmal ein Kommissar in einem Roman. Der Verdacht sei die erste Tugend eines Kriminalisten.1 Die erste Spurensuche nach „Euthanasie“-Maßnahmen bei der Umsiedlung im Jahr 2007 war ein wissenschaftlicher Krimi ... Spuren suchen, Indizien finden, Fährten verfolgen, das Kombinieren von verschiedenen Aussagen …, um schließlich hinter das zu kommen, was an keiner Stelle der Dokumente direkt ausgesprochen wurde, weder von Dorothee Rakow noch von einer der NS-Schwestern. Und doch blieb ein Verdacht, genährt von Andeutungen, vieldeutigen, unverständlichen Brocken, die damals in der Kommunikation untereinander offensichtlich ganz eindeutig waren, aber für die Nachwelt alles offen bzw. verschlossen ließen. Kryptische Sätze oder Satzteile wie „Haben Sie sich schon an die große Arbeit gemacht?“, „nachts LKW“, „die längst fälligen Aufgaben in Angriff nehmen [...]“ geben uns heute genug Rätsel auf. Auch das weitgehende Vermeiden von Namensnennungen, z.B. im Tagebuch, schien mit Absicht geschehen zu sein. Mit detektivischem Spürsinn konnten Personen wie z.B. „der Gauamtsleiter, der hier das Sagen hatte“ oder der „Arzt, den wir schon aus Galatz kannten“ identifiziert werden. Hilfreich war dabei u.a. die Dechiffrierung der stenografierten Aufzeichnungen im Tagebuch, die auch für Zeitgenossen nur schwer lesbar gewesen sind. Insofern war die Geheimhaltung wahrscheinlich nicht ein Komplott gegenüber der Nachwelt, sondern ging vermutlich auf ein Einschwören der Teilnehmer beim „Sondereinsatz“ zurück. Tatsächlich ist inzwischen insbesondere durch eine sehr akribische neue Forschung zur konkreten „Spurenbeseitigung“ deutlich geworden, dass Begriffe wie „Aufgaben“ oder „Abgänge“ schon damals der Verschleierung gegenüber nicht eingeweihten Zeitgenossen dienen sollten und dass selbstgewisse Schweigekomplotte und absurde Geheimhaltungsschwüre noch lange nach Kriegsende die Gerichte und auch die Nachwelt über die konkreten Verbrechen im Unklaren lassen sollten.2 ‚Der Fall‘ konnte nicht wirklich aufgeklärt werden. Und dennoch geben uns die Dokumente der NS-Oberin zum ersten Mal einen recht genauen Einblick in die Organisationstrukturen, in denen NS-Schwestern bei der Umsiedlung arbeiteten bzw. in die sie selbst verstrickt waren. Aufschlussreich war eine Erkenntnis, die sich nur durch das Kombinieren verschiedener Einzelaussagen über die Topografie des Auffanglagers Galatz ergab: Die Säuglingskoch- und Badeküche der NS-Schwestern lag 1 Dürrenmatt 1979 [1961], Verdacht, S. 19. – Es geht in dem Roman um einen Kommissar, der sich in die Klinik eines Arztes begibt, um dessen Vergangenheit als KZ-Arzt aufzudecken. 2 Angrick 2018, Aktion 1005 Spurenbeseitigung, Bd. 2, ebd., S. 1101, z.B. zum Begriff „Abgänge“ für Verstorbene oder Ermordete.
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Fazit und Folgen
direkt am Eingang des Lagers, so wie auch das DRK-Lazarett. Diese Position – zudem in einem Verwaltungsgebäude – setzte die Oberin mit Hilfe eines Machtworts des deutschen Lagerkommandanten durch, denn die gewünschte „zentralere Lage“ war für ihre Arbeit wichtig. Sie selbst erklärte uns nicht warum und wofür, doch es scheint nahe liegend, dass die NS-Schwestern vor allem Selektionen im Lager durchführen sollten. So konnten – mutmaßlich – kranke oder behinderte Kinder der eintreffenden Umsiedler sofort entdeckt, abgefangen und gegenüber ins Lazarett, in das „besondere Kinderkrankenhaus“, abgegeben werden, in das auch eine NS-Schwester abgeordnet war. Vordringlich sollten und wollten die NS-Schwestern für die Kinder von null bis vier Jahren zuständig sein. Ihre Pulvermilch und die Badeküchen mögen für die Mütter und Kinder im Lager auch eine Unterstützung gewesen sein, und zusammen mit der Kleiderkammer der NSV wollten und konnten die NS-Schwestern mit ihren Gaben das Vertrauen der „Volksdeutschen“ gewinnen. Oder? Merkwürdigerweise sind neben Mystifizierungen („prächtige Gestalten“) normale persönliche Kontakte zu „Volksdeutschen“ kaum beschrieben, dafür aber Konflikte angedeutet: Mütter, die ihre Kinder nicht zum „Kindergarten“ mitgeben wollen, oder kranke Umsiedler, die sich irgendwo in den Hangars vor den NS-Schwestern versteckten, um nicht von ihnen abgesondert zu werden. Mit der sogenannten „Erwachsenenbetreuung“ mussten sich die NS-Schwestern bei den Umsiedlern unbeliebt machen, denn sie bedeutete vor allem das Aufspüren meldepflichtiger Krankheiten. Das waren die NS-Gemeindeschwestern zwar schon von ihrer Arbeit im Reich gewohnt, führte aber auch zu Enttäuschungen über den Auslandseinsatz, der mit anderen Erwartungen verbunden war. Zumindest die leitende NS-Oberin hatte sich wohl „an der Front“ praktische medizinische Arbeit in Krankenrevieren vorgestellt und war dann spürbar entsetzt, dass die gesundheitliche Betreuung im Lager den DRK-Schwestern vorbehalten war. Möglicherweise erkannte sie hier die Funktionalisierung ihrer NS-Schwesternschaft für die Politik der „Ausmerze“. Zwar schaffte sie es, die unbeliebte Aufgabe nach drei Wochen im Lager Galatz auf neu angeforderte DRK-Schwesternhelferinnen abzuwälzen und die NS-Schwestern dieser „Art Arbeit“ zu entziehen, doch änderte es nichts am System: Für die Umsiedler blieb die Angst vor Familientrennung bestehen. Im folgenden Einsatz in der Bukowina machte sich Dorothee Rakow wieder Gedanken, um ihre NS-Schwestern vor ähnlichen Funktionalisierungen zu schützen: „Es darf vor allem nicht heißen, die Schwester habe eine politische Aufgabe.“3 Sie selbst entkam dem Bukowina-Einsatz nach zwei Wochen im Vorkommando wegen einer Krankheit und reiste ab. Der Gauamtsleiter aus Nürnberg und der DRK-Arzt unterstützten sie möglicherweise. Anders verhielt es sich gegenüber dem SS-Oberführer, der sie zu einem angeblich pockenkranken Kind geschickt hatte. Bei dieser 3 Q2/Tagebuch, S. A3. Vgl. Kap. II.C.Spur 16.
Fazit
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Geschichte – notiert in Stenografie – war die Abneigung gegen eine Funktionalisierung zu spüren (die „Pocken“ entpuppten sich als Windpocken), und zum ersten Mal wurde ein menschlicher Kontakt zu einem „sehr freundlichen“, jüdischen Mädchen beschrieben, eine Schlüsselsituation, bei der der Arzt und die NS-Oberin von geflüchteten Kindern über etwas aufgeklärt wurden, das ihnen offensichtlich vordem nicht bewusst war bzw. das Schwester Dorothee bei der Ankunft in Galatz noch ausgeblendet hatte, als sie nach einem Besuch in der Stadt eindeutig judenfeindliche Bemerkungen in ihr Tagebuch geschrieben hatte. Möglicherweise konfrontierte erst der weitere Umsiedlungseinsatz in der Bukowina sie mit den verbrecherischen Auswirkungen ihrer menschenfeindlichen nationalsozialistischen Ideologie und bewirkte einen gewissen Wandel in ihrer Einstellung. Auch wenn der Rumänien-Einsatz später von ihr selbst als Höhepunkt ihres Berufslebens in der NS-Schwesternschaft dargestellt wurde, war er doch gleichzeitig der Anlass für die NS-Oberin und stellvertretende Generaloberin, ihre Karriere zu beenden. Hierin liegt ein Widerspruch, den auch ihre Tochter trotz aller Fragen, Konfrontationen und Recherchen nie auflösen konnte. Auch ihr blieb nur ein Verdacht, der immer wieder auftauchte und der sich in Mystifizierungen über die großartige Leistung der Umsiedlung aus Bessarabien nicht ausräumen ließ. Trotz ihres Ausstiegs hatte sich Schwester Dorothee nie wirklich distanziert. Sie war zu Beginn der Umsiedlungsaktion – wie mehr oder weniger auch die anderen NS-Schwestern – gedanklich und auch in Taten ein affirmativer Teil des Systems. Ihre Judenfeindlichkeit trat bei der Ankunft in der Stadt Galatz deutlich hervor. Vielleicht brachte sie die spätere Begegnung mit dem geflüchteten jüdischen Mädchen in der Bukowina tatsächlich erstmals zum Nachdenken – doch ihre Einstellung zur „Euthanasie“ war auch nach dem Umsiedlungseinsatz noch ungebrochen positiv. Die großen Augen des behinderten Kindes, das sie in der Säuglingskoch- und Badeküche des Lagers Galatz entdeckt hatte, mögen ihr Gefühl gerührt haben, so sehr, dass keine weitere Erklärung nötig war, wie mit diesem Kind weiter verfahren werden solle? Später, im August 1941, als die geheimen „Euthanasie“-Maßnahmen der „T4“-Zentrale wegen der Gerüchte offiziell gestoppt wurden, verließ Schwester Dorothee mit Hilfe ihrer eilig arrangierten Heirat das Reichshauptamt. Zur selben Zeit hoffte sie immer noch „in Kürze“ auf die Legalisierung der „Euthanasie“, wie sie es ihrem zukünftigen Mann in einem Brief anvertraute. Der damals neu in die Kinos gekommene „Euthanasie“-Propagandafilm Ich klage an sprach ihr aus dem Herzen, und bis Kriegsende glaubte sie noch ungebrochen an den „Führer“ und den Sieg Deutschlands, wie ihre Briefe an andere NS-Schwestern vom Februar 1945 beweisen oder glauben lassen sollten. Ihre Loyalität hatte sie damals zur Genüge gezeigt. Später hätte sie sich erklären können. Doch sie schwieg. Mit dieser Entscheidung stand sie unter ihren Zeitgenossinnen nicht allein. Liest man zum Vergleich die kürzlich veröffentlichten Lebenserinnerungen der Sekretärin von Goebbels, die im Alter von 103 Jahren in einem Dokumentarfilm interviewt wurde, wundert man
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Fazit und Folgen
sich, dass sie das Bild einer völlig unpolitischen Mitläuferin bot und keinerlei Themen, die sie im Propagandaministerium stenografiert hatte, ansprach. Immerhin vertraute sie im Alter von 106 Jahren nachträglich einem anderen Biografen an, dass sie 1936 von einem „Halbjuden“ schwanger war und abtrieb, was im ersten Interview noch als mehrmonatiger „Erholungsurlaub“ getarnt war.4 Beides, sowohl die damals sogenannte „Rassenschande“ als auch die Abtreibung, waren in jener Zeit illegal und von solcher politischen Brisanz, dass es einer genaueren Erzählung für eine verständnisvolle Nachwelt wert gewesen wäre. Auch wenn Goebbels Stenografin andeutete: „Ich habe ja doch auch von all den schrecklichen, hässlichen Dingen ein bißchen mehr mitgekriegt als der gewöhnliche Mensch“,5 verzichtete sie auf konkretere Aussagen. Trotz dieser Auslassungen müssen wir Brunhilde Pomsel für ihre Erzählung heute ebenso dankbar sein wie der NS-Oberin Dorothee Rakow für ihren schriftlichen Lebensbericht und die von ihr versteckt aufbewahrten Dokumente der NS-Schwesternschaft. Doch unsere eigentlichen Fragen an diese Frauen, die so eng in den Berliner Machtapparat verstrickt waren, enden im Rätselraten. Da Morde juristisch nicht verjähren, ist es verständlich, dass die Täter und Täterinnen oder auch die irgendwie Beteiligten und in Loyalitäten Verstrickten die Geheimnisse ihrer „verschworenen Arbeitsgemeinschaft“ verschwiegen. Auch das Gespräch mit dem ehemaligen Gebietsarzt, Dr. Ritter, hat gezeigt, dass die „Jagd nach Kranken“ für ihn selbst vor allem Teil seines forschen jugendlichen Ehrgeizes war und seine mögliche Verstrickung in „Euthanasie“-Maßnahmen bei der Umsiedlung durch das Anfertigen von möglichst vollständigen Krankenlisten ihm selbst offenbar bis zu seinem Lebensende nicht bewusst wurde. Fragwürdiger erscheint die Darstellung, mit der sich der spätere „Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes“ über die Ziele der Kranken- oder Behindertentransporte aus Bessarabien mir gegenüber als völlig unwissend zeigte. In den Dokumenten ergaben sich für mich 26 Spuren aus Andeutungen oder vermuteten Lücken. Beim Nachspüren tauchten in den Spuren-Kapiteln wiederum neue Fragen auf, die auch in der Überarbeitung bis 2021 noch spannend blieben: Gab es eine Vor-Umsiedlung im Lager Galatz vor Eintreffen der Bessarabiendeutschen? Was passierte im „Vorkommando“ in der Bukowina, das die NS-Oberin offensichtlich zur inneren Umkehr und zum Ausstieg bewegte? Was bedeutete konkret die „gute Zusammenarbeit“ mit den Ärzten? Wozu war es „nötig“, einzelne NS-Schwestern abzuordnen, etwa in das Kinderkrankenhaus des Lazaretts? Warum gab es Konflikte, als eine NS-Schwester vom Arzt des Lazarettschiffs ange4 Hansen 2017, Brunhilde Pomsel. Deutsches Leben, S. 133f. und 46. 5 Ebd., S. 141. Hansen deutete sowohl diese Auslassungen als auch die brisante Liebesgeschichte nur als einen individuellen Aspekt von Verdrängung als Überlebensstrategie einer „unpolitischen Mitläuferin“. Sein Anliegen war allerdings nicht die Aufklärung, sondern ein begründeter Appell gegen unsere heutige Apathie gegenüber bedrohlichen politischen Parallelentwicklungen in der Gegenwart, S. 147–193.
Folgen
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fordert wurde? Und so fort ... Jede der Spuren enthält ihre eigenen Indizien, die immer von meiner Frage nach möglichen „Euthanasie“-Maßnahmen bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung bestimmt waren. Die eigentliche Antwort blieb aus, doch konnte gerade diese damals gewagte Frage etliche bis dahin unbekannte Seiten der Umsiedlung erhellen – wenn auch nicht lückenlos aufklären. Trotz oder wegen der offen bleibenden Fragen zu den Krankentransporten zog ich 2007 am Ende das gewagte Fazit, der ‚Verdacht‘, dass sich hinter den Wissenslücken etwas Substanzielles verbarg, habe sich erhärtet. Es war bereits spürbar, dass andere Methoden und andere Quellen andere Ergebnisse hervorbringen könnten. Wie es weiterging Auch wenn das ganze Unternehmen zu diesem Zeitpunkt immer noch ergebnisoffen war, öffneten sich mit den anschließenden Folgeprojekten nach und nach weitere Ausblicke auf nötige Schritte. „Verschwundene Umsiedler“ wurde schließlich der Arbeitstitel für das insgesamt vierjährige Forschungsprojekt, das mit der Spurensuche von 2007 erst seinen Auftakt genommen hatte. Drei weitere Module, die derselben Fragestellung mit anderen Methoden nachgingen, folgten, bevor 2010 im vierten Modul eine komplexe Gesamtauswertung vorgenommen werden konnte. Während dieser schrittweisen Arbeitsphasen war nicht abzusehen, ob das jeweils nächste Projekt gefördert werden würde. Trotz der Zumutungen, die befristete Werkverträge mit sich bringen, sollte sich gerade dies als besondere Stärke für den inhaltlichen Verlauf erweisen. Von Modul zu Modul konnten neue Fragestellungen und Methoden auf die Erkenntnisse und Lücken des vorangegangenen Projekts reagieren und das weitere Vorgehen sinnvoll modifizieren. Entwicklung, Methoden und Ergebnisse der einzelnen Module des Forschungsprojekts „Verschwundene Umsiedler“ möchte ich hier unter den damaligen Arbeitstiteln kurz skizzieren:6 BKM-MODUL I (Mai–Oktober 2007): „Die Behandlung sogenannten ‚lebensunwerten Lebens‘ bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1940. Spurensuche im Nachlass einer NS-Schwester“ Projektträger: Gedenkkreis Wehnen e.V. Ort: Gedenkstätte „Alte Pathologie“, Wehnen
Sechs Monate lang widmete ich mich zwei historischen Quellen, die sich mir geboten hatten: Neben dem privaten Nachlass der Führerin der NS-Schwesternschaft bei der Bessarabienumsiedlung ergab sich ein Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes der Reichsärztekammer. Beide Gewährsleute aus hochrangigen Berliner NS-Reichsbehörden konnten zur Fragestellung nach der „Behandlung sog. unwerten Lebens bei der Umsiedlung“ erstaunli6 Das Kürzel „BKM-Modul“ steht jeweils für: „gefördert vom Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages“.
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Fazit und Folgen
cherweise nichts direkt beitragen, ebenso ergab sich aus beiden Quellen keinerlei Hinweis auf die Wege und Ziele der Krankentransporte. Gerade aufgrund der Lücken hatte sich der Verdacht, dass die Fragestellung von höherer Relevanz ist, erhärtet, was zu diesem Zeitpunkt jedoch rein spekulativ war. Dafür ergab die akribische Auswertung nach „Spuren“ in beiden Quellen erstmals ein anschauliches Bild der medizinischen Organisation der Umsiedlung. BKM-MODUL II (November 2007 – Februar 2008): „Zeitzeugenforum zum Schicksal sogenannten ‚lebensunwerten Lebens‘ bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1940“ Projektträger: Gedenkkreis Wehnen e.V. Ort: Gedenkstätte „Alte Pathologie“, Wehnen
In diesen vier Monaten suchte ich über Aufrufe in der Mitgliederzeitschrift des Bessarabiendeutschen Vereins Zeitzeugen unter den Umsiedlern, denen 1940 bei der Umsiedlung etwas Verdächtiges in Erinnerung geblieben war.7 Unverhofft meldeten sich über 80 Hinweisgeber mit bessarabischen Wurzeln aus ganz Deutschland in der Gedenkstätte. Aus ihren Kurzmeldungen in Briefen, E-Mails oder Telefonaten waren unterschiedliche Kategorien von Opfergruppen zu erkennen, die von mir in Tabellen sortiert wurden. Erste Skizzen der bis dahin unbekannten Wege und Ziele der Krankentransporte entstanden aus den einzelnen Todesdaten und -orten, die manche Angehörige im Familiengedächtnis bewahrt hatten oder die in Genealogien oder Ortschroniken aufzuspüren waren. So kamen ab Dezember 2007 überraschende Neuigkeiten auf der Landkarte der Umsiedlungsaktion zu Tage, die in Modul I noch nicht einmal zu ahnen gewesen waren: Schlesien und der Warthegau lagen als Ziele von Krankentransporten jenseits der bis dahin überlieferten Umsiedlungstopografie. BKM-MODUL III (März 2008 – Oktober 2008), zusammen mit Dietmar Schulze: „Verschwundene Umsiedler – 45 Spurensuchen mit Angehörigen und den letzten Zeitzeugen der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1940 – Einzelfälle und Archivrecherchen.“ Projektträger: Bessarabiendeutscher Verein e.V., Bundesvorsitzender Ingo Isert Arbeitsorte: Susanne Schlechter: Gedenkstätte Wehnen, Heimbüro Oldenburg; Dietmar Schulze: Geschichtskontor Leipzig, Archive in Deutschland und Polen.
7 Schlechter, Eine Frage an die Zeitzeugen, MB 4.10.2007, S. 2 (mit einem Foto aus dem Nachlass der NS-Schwester); sowie Dies.: Verschwundene Umsiedler. Sind sie wirklich in unserem Gedächtnis verschwunden?, MB 6.12.2007, S. 2f. – Die Urfassung des redaktionell veränderten Titels lautete: „Sind sie wirklich aus Eurem Gedächtnis verschwunden?“ Der Abschnitt über die Erschießung der Patienten der Anstalt Konradstein/Westpreußen am Massengrab im Wald von Spengawsken wurde eigenmächtig redaktionell geändert in „wurden beigesetzt“. Die Zeit war offenbar noch nicht reif für bestimmte Fragen. Es zeigte sich aber bald, dass die Hinweisgeber, die sich auf den Aufruf meldeten, solche Rücksichtnahme keinesfalls brauchten.
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Aufgrund der überraschenden Resonanz übernahm der Bessarabiendeutsche Verein e.V. die Trägerschaft und stattete das Projekt auch finanziell großzügiger aus, so dass nunmehr zwei Mitarbeiter acht Monate lang die Spuren konkret weiter verfolgen konnten.8 Wir kooperierten in separaten Arbeitsbereichen: Zeitzeugenarbeit und Archivrecherchen. Ich selbst vertiefte die Erinnerungsberichte mit den Hinweisgebern nach einem chronologisch-topografischen Muster. Mit Fotos aus Familienarchiven gaben schließlich 45 „Geschichten“ den aus dem Gedächtnis ‚Verschwundenen‘ ein Gesicht. Zu den Schätzen, die sich in den Privatarchiven auftaten, zählte auch das Tagebuch eines kranken Umsiedlers, in dem er Fahrt und Zielort des Lazarettzugs dokumentierte. Parallele Aufgabe des Historikers war es, konkreten Hinweisen auf Namen und Orte in Archiven nachzugehen und die „Geschichten“ mit einem „Kommentar des Historikers“ zu ergänzen. Er fand Aufnahmelisten und Krankenakten von Umsiedlern aus Bessarabien in polnischen Archiven, konnte einzelnen Todesfällen und Weiterverlegungen durch „Meldebogen“, also die Einbeziehung von Umsiedlern in die „T4-Aktion“, nachgehen. Unsere Forschungsergebnisse waren Fragmente: eine umfangreiche Personendatenbank und 45 illustrierte Fallgeschichten, sie warteten nun auf eine kontextualisierte Gesamtdarstellung. Doch zunächst folgte eine sechsmonatige Phase der Unsicherheit über die Fortführung bzw. die Konsolidierung. In dieser Zeit gründete der Bessarabiendeutsche Verein ein kontroverses Leserforum9 zur eigenen NS-Geschichte und im Januar 2009 eine „Historische Kommission“, die begann, eigene Forschungsprojekte zur NS-Vergangenheit zu initiieren.10 BKM-MODUL IV (Mai 2009 – Oktober 2010): „Verschwundene Umsiedler. ‚Heim ins Reich‘ im Schatten nationalsozialistischer Biopolitik 1940–1945“ (Gesamtauswertung der Module I–IV) Projektträger: Bessarabiendeutscher Verein e.V. Arbeitsort: Oldenburg, Heimbüro.
Schließlich entschied sich der Bessarabiendeutsche Verein für die weitere Unterstützung des BKM-Projekts „Verschwundene Umsiedler“. Das BKM hatte die Publikation wegen der zeitgeschichtlichen Bedeutung mit Nachdruck empfohlen.11 Für 18 Zum Auftakt rief Heinz Fieß die Leser des MB zur Unterstützung unseres Projekts auf. Vgl. Fieß, Mitmenschen im Alexander-Asyl – in Bessarabien umsorgt, während der Umsiedlung vergessen? MB März 2008, S. 9f. „Auch dieses dunkle Kapitel gehört zur Aufarbeitung der Geschichte der Bessarabiendeutschen“, ebd., S. 10. 19 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Fieß, Initiator des Leserforums 2008: Wie verhielten sich die Bessarabiendeutschen zum Nationalsozialismus? Mehrere Folgen, zunächst im Mitteilungsblatt, später auf der Homepage des Vereins. �� Vgl. Bd. 1 der Reihe der Historischen Kommission im Bessarabiendeutschen Verein e.V. (Hg.), Wolter 2013, NS-Einfluss, Pressedokumentation (BKM-Projekt 2011). 11 „Das Projektergebnis erfüllt den Zweck auf exemplarische Weise. Die Publikation dieses Typoskripts wird mit Nachdruck empfohlen und wird gewiss nicht nur in den Kreisen der betroffenen
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diese stand eine kontextualisierte Gesamtdarstellung noch aus. Im vierten und längsten Modul führte ich über einen Zeitraum von 18 Monaten die Erkenntnisse aller drei Module zusammen. Dafür zog ich mich aus der Gedenkstättenarbeit in Wehnen endgültig zurück. Die Ausarbeitung folgte sechs unterschiedlichen Kategorien von „Verschwundenen Umsiedlern“, die sich inzwischen herauskristallisiert hatten. Es zeigte sich nämlich, dass nicht nur die „T4“-Kategorie des sog. „lebensunswerten Lebens“ von Bedeutung war, sondern z.B. auch die Gruppe der NichtAngesiedelten, der Kinder in Quarantäne oder der Einweisungen nach der Ansiedlung. Jedem Kapitel zu einer dieser Kategorien wurde ein Anhang mit jeweils ca. zehn der inzwischen 58 „Geschichten“ angefügt, teilweise mit Kommentar des Historikers aus Archivrecherchen zu den Einzelfällen. Zusätzlich bekam das Gesamtwerk 69 Topografien. Das Aufspüren von Orten in ihren damaligen und heutigen Bezeichnungen wurde zum zentralen Instrument der Spurensuche, um Strukturen zu erkennen. Eine neue Landkarte der Umsiedlung wurde gezeichnet. Nach Abschluss des Projekts „Verschwundene Umsiedler“ Ende 2010 bekamen zunächst die Mitglieder des Bessarabiendeutschen Vereins eine Zusammenfassung der Ergebnisse im Mitteilungsblatt des Vereins.12 Symbolische Gedenktafeln für die „Verschwundenen Umsiedler“ wurden auf Initiative des Vereins gestaltet und 2016 und 2018 feierlich eingeweiht. 2020 folgte der Auftakt für einen jährlichen Gedenktag an die „Verschwunden Umsiedler“.13 Diese Entwicklung bezeugt die gesellschaftliche Bedeutung, die die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses lange verschwiegenen Kapitels im kulturellen Gedächtnis bekam. Das Wagnis ihrer Aufdeckung, zunächst als Risiko in der Fragestellung und zudem unter recht prekären Verhältnissen begonnen, entwickelte sich zunehmend zu mehr Klarheit und Substanz. In der Einleitung habe ich bereits über die Hintergründe aus der heutigen Perspektive reflektiert. Inzwischen ist durch weitere Forschungen zusammen mit Dietmar Schulze sowie durch die Arbeit von Maria Fiebrandt Licht ins Dunkel der Krankentransporte gebracht worden. Wir wissen nun längst, wie, wann und wo die Umsiedler in die Strukturen der „Aktion T4“ gerieten.14 Diese und viele weitere neue Erkenntnisse Bessarabiendeutschen, sondern in der Zeitgeschichtsforschung überhaupt ein breites, positives Echo finden.“ Aus dem Gutachten des BKM an Ingo Isert, Bundesvorsitzender des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., Ende 2008. 12 Schlechter, Verschwundene Umsiedler – Das Ergebnis einer mehrjährigen Spurensuche liegt jetzt vor! MB 12/2010, S. 20 (Ankündigung); sowie MB 1/2011, S. 18–20. 13 ��������������������������������������������������������������������������������������� Bornemann, Feierstunde „80 Jahre Umsiedlung“ an der Gedenkstätte der Verschwundenen Umsiedler, MB 11/2020, S. 3–9. Mit den ungekürzten Redebeiträgen der Bundesvorsitzenden des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., Brigitte Bornemann, des Bürgermeisters der Stadt Stuttgart, Fritz Kuhn, der Kulturreferentin der BKM für Siebenbürgen, Dr. Heinke Fabritius, des Vorsitzenden der Historischen Kommission des Bessarabiendeutschen Vereins, Dr. Hans Rudolf Wahl, sowie dem Grußwort der Autorin. 14 Vgl. Fiebrandt 2014.
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anderer Autoren habe ich bei der Überarbeitung in den letzten Jahren nachträglich ergänzt und auf einen aktuellen Stand gebracht. Doch 2007, als ich obiges Fazit zog, waren ihre Wege und Ziele nicht bekannt. Es musste sogar noch offen bleiben, ob ‚der Verdacht‘, der sich durch die gesamte Spurensuche zog, nicht vielleicht ganz und gar unbegründet war, zumal die eigentliche Frage nach „Euthanasie“-Morden am Ende nicht konkret beantwortet werden konnte. Doch erschien dies im Kontext der damaligen NS-Politik einfach nicht wahrscheinlich. Könnten nicht auch jenseits der bekannten „T4-Aktionen“ andere, uns noch unbekannte Strukturen ein Rolle gespielt haben? Die genaue Betrachtung eines Fotos mit ‚verdächtigen‘ Gerätschaften durch die Lupe mag müßig erscheinen, wenn es doch keinen Beweis für Tötungen liefern kann, aber die Erkenntnis, dass „Feldkrematorien“ als fahrbare Verbrennungsöfen für Leichen die Umsiedlungsaktion begleiteten, eröffnet einen neuen Gedankenspielraum, auch wenn die NS-Oberin nur „Entlausung“ auf die Rückseite schrieb und der Gebietsarzt zum selben Bild nur spontan ausrief: „Davon hab’ ich nichts gewußt!“.15 Gerade die merkwürdigen Auslassungen und Andeutungen hielten den Verdacht stets lebendig. In dieser Offenheit ist die Spurensuche zu sehen, und in diesem Sinne konnte sie bisher unbekannte Seiten der „Heim ins Reich“-Umsiedlungen überhaupt aufdecken und zum Weiterforschen anregen. Mit der vorliegen Publikation werden die komplexen Zusammenhänge der Aufdeckung aus dem ersten Modul nun der Öffentlichkeit präsentiert. Dafür wurde die Rohversion von 2007 durch eine umfassende Einleitung mit dem aktuellen Forschungsstand ergänzt und ihre Einbettung in der kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung und Erinnerungstheorie reflektiert. Dies geschah zunächst 2016 im Rahmen meiner Disputation an der Universität Oldenburg, und seit 2018 in enger Kooperation mit Dr. Hans-Christian Petersen im BKGE, dem ich zahlreiche Hinweise zu neueren Forschungsansätzen verdanke und letztlich auch die Initiative zur Veröffentlichung. Die Arbeit war und ist ein wichtiger Baustein zur Aufarbeitung eines viel zu lange im Dunkeln liegenden Kapitels der bessarabiendeutschen, der deutschen und letztendlich der europäischen Geschichte und ihren bis heute spürbaren Folgewirkungen. ***
15 Angrick 2018, S. 1102, 1104. Vgl. Kap. II.C.Spur 7.
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Q DAS QUELLEN-INVENTAR
Die Dokumente aus dem Nachlass der Führerin der NS-Schwesternschaft bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina 1940. Kommentierte Edititon
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Q1/LEBENSBERICHT Der Bessarabieneinsatz in den Lebenserinnerungen von Dora P. alias Schwester Dorothee. Ausschnitt aus dem Typoskript: „Das war mein Leben!“ (1986–1989). In den Erzählungen von Dora P. gegenüber ihrer Tochter war der Bessarabieneinsatz das Highlight ihrer Zeit als NS-Schwester.1 Im 40-seitigen Manuskript ihres Lebensberichtes, den Dora P. nach der Konfrontation mit ihrer Vergangenheit von 1986 kurz vor ihrem Tode 1989 mit einer Schreibmaschine für ihre Tochter unter der Überschrift „Das war mein Leben!“ aufschrieb, nimmt die Beschreibung des Auslandeinsatzes in Bessarabien sechs Seiten ein. Nur dieser Teil wurde hier als Quelle transkribiert. Diesen offenbar wichtigen Abschnitt über die erlebte Umsiedlungsaktion entwarf sie in mehreren, unterschiedlichen Versionen: zunächst auf Blatt 30 in einer Kurzform, anschließend eine ausführlichere, zweite Version auf fünf Seiten von Blatt 31 bis 35. Auf einem weiteren „Blatt 30“ behandelte sie die Tochter-Fragen nach Parteimitgliedschaft, Wissen über Vergasungen, NS-Schwestern in Konzentrationslagern.2 Wichtige Abschnitte daraus wurden im Hauptteil ausgewertet.3 Im Quelleninventar sind diese Teile nicht zu finden, da sich die Transkription hier auf die Umsiedlungsthematik beschränken soll. Interessant ist die Einbindung der Bessarabien-Erzählung in den umliegenden Text der Memoiren: Beiden Versionen über die Umsiedlungsaktion ist nämlich gemeinsam, dass sie – unmittelbar bevor der Bericht über den Umsiedlungs-Einsatz einsetzt – jeweils eine kurze Erzählung über die Behandlung von Juden4 enthalten, von der sie sich jetzt in den 1980er Jahren jeweils distanzierte. In der ersten Version (Bl. 30) betrifft es ihre Wahrnehmung der „Reichskristallnacht“ in Berlin im November 1938: „Ja, ich habe gesehen, was man den Juden angetan hat [...] Ich konnte und durfte nichts sagen [...] Man musste vorsichtiger werden. – In den östlichen Ländern wurden die Volksdeutschen zur Umsiedlung nach Deutschland aufgefordert“.
In der zweiten Version (Bl. 31–35) ist es dagegen ihr Besuch von jüdischen Ghettos im Osten: „es war furchtbar, und ich war froh als ich die Rückreise antreten konnte. Dann wurde die Umsiedlung der Volksdeutschen aus dem Balkan vorgenommen.“
Hier nutzte sie ein Stilmittel, das den Kontrast zwischen negativen und positiven Erfahrungen im NS verstärken sollte. 1 Vgl. Kapitel II.A.1 Geschichte des Nachlasses. 2 Vgl. Kap. II.B.Spur 4 Abberufung von NS-Schwestern. Die Quelle wurde auch Petra Betzien zur Verfügung gestellt. Vgl. Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ, S. 183f. 3 Vgl. Kap. II.A.2 Biografie; sowie Kap. II.B. Spurensuche in der Biografie. 4 Vgl. Kap. II.C.Spur 3 Juden.
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Quellen-Inventar
Die Erinnerung an Erdbeben, die sie sowohl in Galatz/Bessarabien als auch in Radautz/ Bukowina erlebt habe, nimmt in beiden Versionen des Umsiedlungsberichts einen größeren Raum ein.5 Im Gegensatz dazu erwähnte sie 1940 in ihrem Tagebuch (Q2) gar kein Erdbeben, lediglich auf einem Einzelblatt (Q3) fand sich eine kurze Notiz über ein Erdbeben in Leipzig/Bessarabien. Drei verschiedene Orte mit Erdbeben könnten auf trügerische Erinnerungen hinweisen, die über 40 Jahre nach den Ereignissen verständlich sind. Am Ende ihrer Bessarabienerzählung leitet Dora P. ihren ab Herbst 1941 vollzogenen Austritt aus ihrer beruflichen Position ein. Denn nach dem Bessarabieneinsatz konnte sie sich nicht so einfach „wieder in der Reichsdienststelle zurechtfinden“. Dort gab es „Ärger“ und „gespannte Verhältnisse“: „Wie ich erfuhr, gab es an anderen Auslandsdienststellen manchen Ärger. Und ich war froh, daß die Generaloberin darauf hinweisen konnte, daß bei mir alles relativ glatt verlaufen war. [...] Ich muß sagen, mir machte die ganze Arbeit in Berlin keine Freude mehr. Auch die ganze politische Entwicklung gab zu denken. Doch ich musste weiter machen [...]. Wie schon vor meiner Reise hatte ich die Verantwortung für die ganze Organisation. Eine Mitschwester, für die gesundheitliche Betreuung verantwortlich, sprach mit mir über die gespannten Verhältnisse, aber man musste vorsichtig sein.“6
In der Beschreibung ihrer ersten Begegnung mit den „Volksdeutschen“ aus Bessarabien liegt ein Wissen über einen Vertrauensbruch und – leider nicht weiter erläuterte – negative Seiten der Umsiedlung: „Auf das alte angestammte Deutschland sahen sie mit sehr viel Zuversicht. Und wie viele von ihnen mögen später enttäuscht und auch umgekommen sein. Aber all das konnten wir ja noch nicht ahnen.“7
Transkription: Aus dem 40-seitigen Lebensbericht wurden im Folgenden nur die Blätter zur Umsiedlungsaktion transkribiert: Q1/Version 1/Blatt 30 des Lebensberichts (Typoskript 1 Seite) Q1/Version 2/Blatt 31.bis Blatt 35 des Lebensberichts (Typoskript 5 Seiten).
5 Q1/Version 1/Bl. 30, Version 2/Bl. 33 (zum Erdbeben in Galatz); Q1/Version 1/Bl. 30, Version 2/ Bl. 35 (zum Erdbeben in Radautz). 6 Q1/Lebensbericht, Bl. 35f. 7 Q1/Bl. 32.
Q1/Lebensbericht
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Q1/Version 1/Blatt 30 des Lebensberichts „Das war mein Leben!“ (Typoskript 1 Seite)
„... Ja, ich habe gesehen, was man den Juden angetan hat [...] Ich konnte und durfte nichts sagen [...] [Blatt 30:] Man musste vorsichtiger werden. – In den östlichen Ländern wurden die Volksdeutschen zur Umsiedlung nach Deutschland aufgefordert. Es war Krieg. Zur besseren Versorgung und Abwicklung der Transporte sollten in Jugoslavien und Rumänien Schwestern von uns eingesetzt werden. Mir wurde die Arbeit in Rumänien übertragen, mußte mich diversen Impfungen unterziehen und reiste ab nach Wien. Hier war Sammelplatz für etwa 150 Schwestern, die auf den Schiffstransporten mit den Umsiedlern oder auf deren Dörfern in den zu verlassenden und gottverlassenen Gebieten arbeiten mußten. Es ging per Schiff nach Galatz, wo das große Auffanglager für Rumänen war. Eine Großküche, eingerichtet auf dem Flugplatz, versorgte etwa 1000 Menschen. Ich blieb mit 30 Schwestern im Lager, die andern wurden für die Transporte und für die Umsiedler in den abgelegenen Dörfern eingeteilt. In den Bergen lag zum Teil Schnee und die Kinder liefen barfuß herum. Die Wohnungen waren schlicht und einfach aber sehr sauber. Man sah viel selbst Gewebtes. In den Hangars auf dem Flugplatz hatten wir unsere Schlafräume, 2-stöckige roh gezimmerte Schlafgestelle mit Strohsäcken. Das war unser Lager. eine Decke hatte jede Schwester in ihrem Gepäck. Wir schliefen im Trainingsanzug und viele der Schwestern wurden von Flöhen geplagt. Mein Blut mochten diese Viecher nicht. Ich mußte für Kranke in einem Zelt eine etwa 30-Betten-Station einrichten, ein Arzt vom Roten Kreuz betreute sie, die kranken Säuglinge u. Kleinkinder kamen in ein festes Haus vom Roten Kreuz, eine Säuglingsschwester konnte ich dorthin ausleihen. Die ganze Arbeit konnte nur mit strenger Disziplin gut klappen. Auch konnte das Lager nur mit Erlaubniskarten verlassen oder betreten werden. Es gab eine Lager-Apotheke und sonstige Wünsche mußte ich mit den Herren der NS’Volkswohlfahrt besprechen, die dort ein Büro hatten. Die Arbeit war anstrengend aber sehr befriedigend [Einfügung: X–X] Eines Morgens stand ich im Büro und begann zu schwanken, sah, wie die dicken Wände sich verbogen. Ich dachte an einen schizophrenen Schub, aber da rief einer der telefonierenden Herrn: ,Erdbeben!! schnell raus!‘ Ich rannte zur Treppe, um die oben sich aufhaltenden Menschen zu warnen, und dann waren wir draußen. Ich glaube, wir alle zitterten, denn die Erde grollte. Meine größte Sorge war, daß die Zelte einstürzen könnten mit den vielen Menschen darin, aber sie hielten. [Einfügung: XX–XX] Einige Wochen später, das Lager [Einfügung: i. Galatz] war inzwischen aufgelöst und ich in der Bukowina, hat ein zweites Beben sehr viel Schaden angerichtet. Auch im Gebirge waren wir davon betroffen. Ich wurde nachts von einem dauernden Rollen wach. Glaubte an schwere Transportlaster, doch als ich zur Straße schaute, war nichts zu sehen. Da Plötzlich ein Ruf ,Erdbeben!‘ Ich griff meine Kleider und eilte im Schlafanzug nach draußen. Es gab keinen Schaden.“
Q1/Version 2 / Bl. 31 bis 35 des Lebensberichts „Das war mein Leben!“
(Typoskript 5 Seiten, mit handschriftlichen Notizen und Unterstreichungen, teilweise später von der Tochter. Die Bessarabien-Erzählung beginnt erst am Ende der ersten Seite. Transkription ab dem 2. Absatz) [Handschriftlich über der Seite: andere Niederschrift] „[Blatt 31:] Inzwischen hatte die Schwesternschaft ein Haus in der Kurfürstenstr. im Zentrum Berlins gekauft, in dem unsere Büroräume
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Quellen-Inventar
und die der freien Schwesternschaft übersiedeln konnten. Wenige Häuser weiter war auch meine kleine Wohnung. Nun sollte noch ein Schwesternheim für die Schwestern der Reichsleitung eingerichtet werden. Ein Haus in der Hölderlinstraße wurde gekauft. Zwei Etagen waren frei für die Schwestern. Ganz oben wohnte damals die noch sehr junge Gisela Schlüter8, von der wir aber nichts sahen und hörten. Die Einrichtung der Zimmer wurde einem Innenarchitekten aus Dresden übertragen, der sich vorher sehr für meine kleine Einrichtung interessiert hatte. Und so durfte ich mit meinen eigenen Möbeln9 dort einziehen. Mit der U-Bahn hatten wir gute Hin- und Herverbindung. Da Wäsche für die Einrichtung gebraucht wurde, und bei uns für Bezugsscheine nur Dürftiges zu kaufen war, wurde ich ins polnisch besetzte Gebiet geschickt, dort Wäsche in den Webereien, die von [eingefügt: Volks-] Deutschen betrieben wurden, einzukaufen. In einem Hotel in [folgendes Wort handschriftlich unterstrichen:] Warschau war für mich ein Zimmer reserviert, und in einem Auto der Partei wurde ich umhergefahren, meine Einkäufe zu tätigen. Ich bekam alles, was ich an Handtüchern, Tischwäsche u. Bettwäsche brauchte. Im Hotel traf ich mit einem älteren Herrn aus dem westfäl. Industriegebiet zusammen. Er fragte mich, ob ich schon im Judengettho gewesen sei. Da ich verneinte, arrangierte er mit mir eine Fahrt. Ich war bestürzt, was ich da zu sehen bekam. Im Berliner Judenviertel sah man ja auch viel Armut, aber hier lebten die Menschen in einer Primitivität und trieben Handel untereinander, wie man es sich nicht vorstellen konnte. Auch wenn ich im [handschriftl. korrigiert: in diesem] Lande unterwegs war, gab es in einigen Ortschaften geballt Juden mit ihrem Davidstern, die jeden Nichtjuden grüßen mußten, da sie sonst mit Aggressionen rechnen konnten. Es war furchtbar, und ich war froh als ich die Rückreise antreten konnte. Dann wurde die Umsiedlung der Volksdeutschen auf dem Balkan in Angriff genommen. Unter anderen wurde auch ich ausersehen, eine Gruppe Schwestern dorthin zu begleiten und in ihre Arbeit einzusetzen. Zur Vorsorge mußten wir uns verschiedener Impfungen unterziehen, die ich unter Strapazen überstanden habe. Mein Paß war für Rumänien ausgestellt. [Handschriftlich von der Tochter später zugefügt: „*Anmerkung von mir später – Lodz. Ich hatte mich gewundert warum Mutti damals schon von Erschießungen sprach, dieses gehört hatte. Siehe Artikel“]. [Blatt 32:] Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Mit der Gauvertrauensschwester von Berlin fuhr ich zusammen über München nach Wien. Beide waren wir froh, den inzwischen in Berlin immer stärker werdenden Bombennächten auf diese Weise für eine Zeit zu entkommen. Wien war Sammelpunkt für etwa 150 Schwestern, die in Jugoslavien und Rumänien eingesetzt werden sollten. Fünf Tage blieben uns, Wien unfreiwillig zu genießen. Wir hatten zwar wenig Geld, konnten aber doch vieles Schöne kennen lernen. Um 22h war für alle Zapfenstreich. Wir wohnten in einer Jugendherberge. Und dann kam endlich die Nachricht, die beiden Dampfer W i e n und P a s s a u nehmen uns an Bord, um uns nach Belgrad/Jugoslavien bezw. Galatz/Rumänien zu bringen. Zu meinem Leidwesen stellte ich fest, daß auch ein großer Trupp
8 Prominente, schnellsprechende Schauspielerin, noch in den 1960ern aus Spielfilmen der 1930er Jahre bekannt als sog. „Quasselstrippe“. 9 Zwei der Schränke waren 2019 noch in der Oldenburger Wohnung ihrer Tochter, incl. der Rechnung des Soldiner Tischlers, der die Möbel für Dorothee Rakow angefertigt hatte. Es waren schnörkellose Schränke aus hellem Furnierholz mit abgerundeten Kanten, im modernen Stil der Neuen Sachlichkeit, nach deren Modell offenbar das ganze neue Schwesternheim ausgestattet wurde. Vgl. Kap. II.A.3.
Q1/Lebensbericht
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SS-Leute an Bord waren. Das erforderte besondere Aufmerksamkeit für die jungen Schwestern. Vorweg gesagt, es ging alles gut. Unterwegs gab es ja auch sehr viel Schönes zu sehen. dann haben wir Singestunden und Ähnliches veranstaltet, sodaß an keinem Tag Langeweile aufkam. Ich glaube, wir waren fünf Tage unterwegs bis wir in Galatz ankamen. Der Hafen hier war alles andere als einladend, doch glaubten wir schnell von Bord in unser Lager zu kommen. Es gab aber für uns unbekannte Schwierigkeiten, wir lagen 3 Tage im Hafen fest. Dann endlich kam der erlösende Marschbefehl. Ein paar große Laster standen bereit und brachten uns zum Auffanglager. Eine neue alte Welt. Im Verwaltungsgebäude des still gelegten Flughafens wurden uns zwei Räume zugewiesen. Hier standen Stellagen mit Strohschütten zum Schlafen. Wir hatten auch eine kleine Küche, mit der wir zuerst nichts anfangen konnten, denn morgens standen wir an u. bekamen einen ziemlich ramponierten Emaillebecher mit Milchkaffee oder Tee, dazu Brötchen. Also Verpflegung insgesamt aus der Gemeinschaftsküche. Noch waren wir in Erwartung der Aussiedler, die in den großen Hangars untergebracht wurden. Sie kamen aus den Deutschen Siedlungen in Rumänien, die im weiteren Umkreis zu erreichen waren. Mehrmals fuhr ich mit dem hier das Wort führenden Gauamtsleiter in diese Siedlungen und sah, wie diese Menschen sehr sehr bescheiden lebten. Auf das alte angestammte Deutschland sahen sie mit sehr viel Zuversicht. Und wie viele von ihnen mögen später enttäuscht und auch umgekommen sein. Aber all das konnten wir ja noch nicht ahnen. Der große Flughafen mit den verschiedenen Verwaltungsgebäuden und den großen Hangars war wie geschaffen für unsere Arbeit. Die NS-Volkswohlfahrt war vertreten, eine Gruppe SSLeute, wir hatten eine umfangreiche Apotheke. Für das leibliche Wohl sorgte eine Küche mit fünf großen Kochkesseln. Und schon traf ein großer Treck nach dem anderen ein. Die Pferde konnten auf einer großen eingezäunten Weide versorgt werden. [Blatt 33:] Die Umsiedler machten es sich in den Hangars mit ihren Familien so bequem es möglich war. Nun begann unsere Arbeit. Alle [eingefügt. Umsiedler] wurden neu eingekleidet. Viele Kinder hatten noch nie Schuhe an den Füßen gehabt. Ich selbst sah, daß Kinder barfuß durch den Schnee gingen, das war einige Wochen später in der Bukowina. Es gab auch Kranke, wir hatten ein Notlazarett, für das einige erfahrene Schwestern abgestellt waren. Das Rote Kreuz hatte ein Säuglings-Krankenhaus eingerichtet, wohin ich noch eine Schwester auslieh. Und da wir den Kleinkindern die Nahrung der großen Küche nicht zumuten konnten, hatte ich in dieser Voraussicht schon zwei Kleinküchen einrichten lassen, in denen Säuglingsschwestern für die Kinder bis zu vier Jahren das Essen kochten. Die Kochherde hatte ich von einem rumänischen Töpfermeister aufstellen lassen, dem ich eine Zeichnung machte, und mit dem ich mich in französischer Sprache einigermaßen verständigen konnte. Und da wir nun eigene Küchen hatten, konnten auch wir Schwestern uns selbst versorgen. Und das begann schon morgens mit einem guten Kaffee. Das Lager befand sich außerhalb der Stadt Galatz, der Bäcker, jede Woche ein anderer, lieferte frische Backwaren u. auch Brötchen. Erstaunlich war, daß sämtliche Handwerksbetriebe von Juden geführt wurden.10 Auch in ihren Lebensmittelgeschäften kaufte man noch sehr gut. Mangelwaren, die es bei uns gar nicht mehr gab oder sehr verknappt waren z.B. Butter, Kaffee und Tee. Sahne hatten wir allen verboten zu nehmen. Ja, und alle diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt. Nach Einkleidung und Registrierung wurden nun diese Menschen [handschriftl. eingefügt: aus dem Lager] per Schiff auf der Donau 10 Demnach wurde das Umsiedlungskommando also von jüdischen Bäckern beliefert.
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Quellen-Inventar
nach Deutschland verfrachtet. Begleitet von zwei Leuten der NS-Volkswohlfahrt und zwei unserer Schwestern. Aus einer gewissen Vorsicht setzte ich immer eine junge und einer ältere Schwester auf dem Schiff ein. Dadurch gab es kaum Schwierigkeiten. Im Lager war ich mit Arbeit voll ausgelastet. Eines Morgens, ich stand im Büro der NSV-Leute, wurde mir schwindlig und ich sah die Wände sich biegen. Mein erster fragender Gedanke, ob vielleicht durch Überanstrengung ein schizophrener Schub? Die Antwort kam schnell. Ein telefonierender Herr schrie förmlich durch den Raum ,schnell alles raus!! Erdbeben!!‘ In der oberen Etage waren Schwestern mit Einkleiden von Siedlern beschäftigt, schnell schnell runter mit ihnen. Draußen standen wir dann mit weich gewordenen Gliedern, und ich hatte Angst u. Sorge um die vielen Leute in den Hangars. Aber diese Gebäude waren standhaft, da ist nichts passiert. Während die anderen mit ihren dicken Mauern wohl rissig und mitgenommen aber sonst nicht eingestürzt waren. In der Stadt hat es einige Verwüstungen gegeben. Dies alles spielte sich gegen 9 Uhr ab. [Blatt 34:] Unvergesslich wird mir die Übersiedlung in die Bukowina bleiben. Das Lager Galatz wurde aufgelöst, die Schwestern – bis auf zwei – fuhren mit den Schiffen ,heim ins Reich‘. Wir drei reinigten unsere bisherige Zufluchtstätte einschließlich der Strohsäcke, die wir leerten. Dann packten wir unsere sieben Sachen und ab ging’s zum Bahnhof Galatz. Die ersten Schwierigkeiten ergaben sich beim Lösen der Fahrkarten nach Radautz in der Bukowina. Zwei rumänische Offiziere, die hinter uns standen, waren uns dann behilflich. Auch im Zug sorgten sie dafür, daß unser ganzes Gepäck in einem besonderen Raum eingeschlossen wurde. Da wir in Ploest umsteigen mußten, gaben sie uns den Rat, unser Gepäck keinem Gepäckträger zu überlassen während der [überschrieben: vier]mehrstündigen Wartezeit, sondern es unter eigener Aufsicht zu behalten. Alles war draußen aufgestapelt, und so lösten wir uns von Zeit zu Zeit ab, während zwei im Wartesaal die Nachtstunden dahindösten. Bis es dann weiter ging. Als wir gegen Mittag nach der anstrengenden Nachtfahrt ankamen, standen wir zuerst hilflos auf dem Bahnsteig. Dann ließen wir uns mitsamt dem Gepäck zur NSV-Dienststelle mit einer offenen Droschke fahren. Diese Leute waren äußerst freundlich und sorgten erstmal für eine Unterkunft. Es störte mich nicht einmal, daß ich zu meinem Zimmer durch das Elternschlafzimmer gehen mußte. Am nächsten Morgen lernte ich dann den Gauamtsleiter aus Nürnberg kennen, der hier das Sagen hatte. Die unangenehmste Überraschung war ein Telegramm ,Eintreffen 350 Schwestern‘. Was sollte ich hier mit so vielen Schwestern anfangen. Zuerst mal mußte ja eine Unterkunft beschaffen. Das war das Schwierigste. Man schlug mir eine leere Kaserne vor. Hier zerbrochene Fenster, Dreck und nochmals Dreck! Nein unmöglich. Ich ging zum DRK und traf dort erfreulicherweise den gleichen Arzt von Galatz an. Er meinte sarkastisch ,da bleibt nichts anderes als nachts gegen die Wand stellen‘. So kam ich nicht weiter. Welch Glück, es waren Schulferien. In dem bestehenden Ferienheim konnten die kleinsten der Schwestern untergebracht werden. Dann bekam ich zwei leere Klassenräume der Schule zur Verfügung. Also Stroh beschaffen und das wurde möglich. Geschäftsleute stellten ein paar Waschbecken mit Krug zur Verfügung, im Hof war ein Brunnen und auch die Klo-Räume. So, das war geschafft. Und dann lief der Zug ein. Das Telegramm war verstümmelt, es kamen nur 150 Schwestern, das reichte! Da jede mit Trainingsanzug und Decke kommen mußte, ging alles sehr gut. Bei Einteilung der einzelnen Arbeitsgebiete hatte ich noch eine Überraschung. Ich traf hier Schwester Cora wieder, die während meiner Lernzeit in Burg Stationsschwester einer Männer-Station war. Es war ein kurzes Wiedersehen. Ein Teil der Schwestern wurde auf die Bergstationen geschickt, um hier die Versorgung der Umsiedler mit Kleidern, Wäsche und Schuhen sicherzustellen.
Q1/Lebensbericht
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[Blatt 35:] Einige mußten in Radautz bleiben, hier war die Zusammenstellung der Transporte mit der Eisenbahn nach Deutschland, die auch mit zwei Schwestern stets begleitet wurden. Eines Nachts wurde ich wach und hörte schwere Transporter durch die Straße rumpeln. Ich glaubte an Militär, da zwischen Russland u. Rumänien ein ziemlich gespanntes Verhältnis war. Doch es hörte und hörte nicht auf, darum stand ich auf, um durch’s Fenster zu sehen – Nichts – aber ein starker Ruf ,Raus! Erdbeben!‘ Ich war im Schlafanzug, griff schnell mein Zeug u. weckte meine Gastgeber. So fanden wir uns alle draußen wieder u. zogen uns an. Die Schäden waren hier in nur kleinen Grenzen, aber in Galatz waren sogar Kirchen zum Teil eingestürzt und sonst viel kaputt. Dies war das letzte Erdbeben, das ich erlebte. Eines Tages hatte ich Gelegenheit ins Hochgebirge nach Dorna Vatra (Vatra dornei), in den Ostkarpaten gelegen, zu fahren. In frühester Morgenstunde fuhren wir mit dem Merzedes los. Es ging alles gut. Aber ehe wir zurückfahren konnten, brach ein Schneesturm von solcher Heftigkeit über die Landschaft, daß wir erst zu später Stunde den Rückweg antreten konnten. Dort oben lag tiefer Schnee, es war anfang Oktober, und wir fuhren durch eine Serpentinenstraße, die von beiden Seiten von über Meterhohen Schneewänden begrenzt war. Der Fahrer und ich sprachen kaum ein Wort. Ich glaube, wir beide waren beseelt von dem Gedanken, uns möge doch kein Fahrzeug begegnen. Ein Ausweichen war unmöglich. Weit nach Mitternacht kamen wir erschöpft in unsere Quartiere. Die Arbeit lief inzwischen wie von selbst. Aber ich hatte mich, wahrscheinlich beim Ausschütten der Strohsäcke in Galatz, mit Keuchhusten infiziert, und es war eine Erlösung für mich, daß ich nach Berlin zurückberufen wurde. Ich mußte mit einem Umsiedlerzug fahren. Der DRK-Arzt hatte mich für die Fahrt gut mit Medikamenten versorgt, niemand durfte mein Abteil betreten, und ich durfte auch nicht zu den andern Leuten gehen. Fünf Tage waren wir unterwegs bis München. Verpflegung wurde auf den verschiedenen Bahnhöfen ausgegeben. Langweilig war die Fahrt nicht. Und das Kuriose – bis ich nach Berlin kam, war mein Keuchhusten abgeklungen, ich war natürlich sehr froh darüber. Nun hieß es, sich wieder in der Reichsdienststelle zurechtzufinden. Wie ich erfuhr, gab es an anderen Auslandsdienststellen manchen Ärger. Und ich war froh, daß die Generaloberin darauf hinweisen konnte, daß bei mir alles relativ glatt verlaufen war. Gewiß, ich hatte zwei Schwestern kurzerhand nach Deutschland zurückgeschickt, weil sie sich nicht der strengen Dienstordnung gefügt hatten u. heimlich abends mit SS-Leuten in die Stadt gegangen waren. Den meisten Ärger hatte eine jüngere Oberin, aus dem Baltikum stammend. Sie war mir schon aufgefallen, weil sie das andauernde Heil Hitler-Grüßen auf der Straße von den Schwestern verlangte. [handschriftlich zugefügt: und bei uns nicht feststellte]. Ach du liebes Bischen, bei uns kam zuerst die Arbeit.“ ***
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Q2/TAGEBUCH Das Tagebuch der Führerin der NS-Schwesternschaft im Umsiedlungseinsatz „Bessarabien – D. Rakow. Sept./Nov. 1940“ Beschreibung: Maße: 16,5 x 20 x 1 cm. Einband: Pappe, schwarzer Steg und schwarzer Einband mit lederartiger Maserung, Aufkleber 10,2 x 7,1 cm mit blau-roter Bordüre. Kratzer und Abschürfungen. Titel-Aufschrift (Deutsche Schreibschrift, in Bleistift): „Bessarabien D. Rakow. Sept./Nov. 1940“. Heftung: in mehreren Lagen mit Metallklammern, Leinengewebe-Bindung, einfaches Vorsatzpapier, Aufhängung z.T. gerissen. Papier: gelblich, hellblau liniert, ca. 250 Seiten. Rote Einfärbung des Buchblocks an allen drei Außenkanten, Beschriftung: von Dorothee Rakow: 70 Seiten mit Bleistift, in Deutscher Schrift (ca. 60 Seiten) und in Stenografie (11 Seiten Vorspann, außerdem ein stenographierter Absatz innerhalb des Textteils in Deutscher Schrift), ca. 180 Leerseiten. Außerdem an einzelnen Stellen mit Bleistift Fragezeichen und Unterstreichungen, mit denen später ihre Tochter schwer lesbare Worte markierte (hier nicht berücksichtigt). Seiten-Nummerierung: von D. Rakow abschnittsweise ohne Nummerierung (Steno-Teil) bzw. mit Nummerierung von Einzelseiten (1–5) oder Doppelseiten (6–110). Tagebuch oder Manuskript? Mit der Bezeichnung „Tagebuch“ wurde das vorliegende Manuskript Dorothee Rakows von der Tochter übergeben. Die handschriftliche Aufschrift des Titels „D. Rakow Sept./Nov. 1940“ lässt auf den ersten Blick vermuten, dass die Schrift noch innerhalb dieses Zeitraumes entstand, zumal der vordere Teil A mit dem 6.11.1940 datiert wurde. Um ein Tagebuch im herkömmlichen Sinne scheint es sich dennoch nur in diesem ersten Teil A handeln zu können, da sich innerhalb dieses stenographierten Textes einzelne Datumseinträge erkennen lassen wie 18.11. oder 23.10. Ebenso könnte es sich um eine Kladde mit Notizen handeln, die im Blick auf einen größeren Bericht festgehalten wurden. Auch in Teilen B und C finden sich trotz deutlicher literarischer Ambitionen („Wir schreiben das Kriegsjahr 1940 ...“) auch Hinweise darauf, dass der Text nicht nachträglich sondern gleichzeitig mit der Bessarabienaktion geschrieben wurde (z.B. „und stärken uns nun in einem kleinen Cafe, der Kuchen mundet uns ausgezeichnet“ (S. C17, in Wien) oder „Da hören wir eben, daß auch Zelte belegt worden sind.“ (S. C45, in Galatz). Die Überschriften von Teil B und C sowie die frei gelassenen Seiten und der Gliederungsentwurf lassen vermuten, dass der Text als Manuskript im Hinblick auf ein unvollendetes
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Buchprojekt der Generaloberin über den Einsatz der NS-Schwestern geschrieben wurde, mit dem Arbeitstitel „NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten.“ Bei der Bewertung des Büchleins – ob Manuskript oder Tagebuch – sollte bedacht werden, dass das Führen eines offenen Tagebuchs während des Krieges nicht ohne Gefahren für die Schreiberin gewesen wäre. Ein Manuskript, das schon gleich zu Anfang die üblichen zeitgenössischen Floskeln wiedergibt („Großdeutschland, mein Vaterland!“), wäre eine unverfänglichere Möglichkeit, Ereignisse zu notieren. „Tagebücher [...] gelten gemeinhin als besonders authentisch, und tatsächlich sind sie, da in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen entstanden, von großer Bedeutung. Dennoch ist auch hier zu berücksichtigen, dass sie, genau wie jede andere schriftliche oder mündliche Äußerung, spezifischen Bedingungen unterworfen sind [...] dass [...] auch Tagebücher unter den erschwerten Bedingungen des Krieges nicht ohne Weiteres geheim gehalten werden konnten. Manche Schwestern machten sich, z.T. verschlüsselt, Notizen, die sei entweder nach Hause schickten, oder in den Urlauben zu Hause deponierten und daraus nach dem Krieg einen fortlaufenden Text anfertigten. Wenn die vorhandenen Texte nicht mit den Vorlagen verglichen werden können, ist das Maß der Bearbeitung nicht mehr festzustellen.“1
Nur auf diesem Hintergrund werde ich bei der Bezeichnung „Tagebuch“ bleiben. Gliederung des Tagebuchs: – 2 leere Seiten – Teil A „Radautz/Rumänien 6. XI. 40“. In Stenografie (außer Orts- und Datumsangabe und einzelne Begriffe in Deutscher Schrift). Textumfang: 11 Seiten, ohne Seiten-Nummerierung, 1 herausgerissene Seite. – Teil B „III. Donaufahrt u. Bedeutung der Donau“. Eine Überschrift in Deutscher Schrift, ohne weiteren folgenden Text. – 20 leere Seiten ohne Nummerierung. – Teil C „NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten“. Textumfang: insgesamt 60 Seiten in Deutscher Schrift. Erste Seite (nicht nummeriert): Gliederungsentwurf mit sieben bzw. neun KapitelÜberschriften, es folgen 110 nummerierte Seiten (S. 1–5: Einzelblätter; 6–110: Doppelblätter). Beschriftung nur bis Doppelseite „58“. Der Text befindet sich jeweils auf der linken Seite, die rechten Seiten wurden vereinzelt für Korrekturen oder Zusätze genutzt. – Es folgen nach Seite „58“ 37 nummerierte, leere Seiten. Stenografie als Geheimschrift. Anmerkungen zur Entschlüsselung (Teil A): Teil A des Tagebuchs liegt in Stenografie vor. D. Rakow hatte lange vor ihrer Krankenschwesterlaufbahn, als junges Mädchen während des Ersten Weltkrieges 1916 ein Zeugnis
1 Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke 2002, Frontschwestern, S. 221. Im Abschnitt Briefe von Schwestern 1914–1918.
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für das Stenografie-System „Stolze-Schrey“ bekommen.2 Da dieses System heute nicht mehr gebräuchlich ist, gestaltete sich die Suche nach einem Decodierer der elf Seiten, die Dorothee Rakow in Stenografie schrieb, als schwierig.3 Die letzte „Bundestagung“4 der „StolzeSchreyaner“ fand 1958 statt, doch schon damals waren die Teilnehmer betagte Spezialisten eines älteren Kurzschrift-Systems, die heute, wiederum 50 Jahre später, kaum noch unter uns leben. Mit Hilfe der Oldenburger Stenografen-Vereinigung, die zufällig im Juni 2007 ihr 150-jähriges Jubiläum feierte,5 konnte ich während des laufenden Forschungsprojektes Kontakt zu einzelnen in Fachkreisen bekannten Spezialisten aufnehmen. Dr. M., der 1937 in den Wettschreiben der „Stenografenschaft“6 zum „Gaumeister“ von Westfalen gekürt worden war und in den 1930er Jahren Stenografielehrer „für die vielen jungen Mädchen war, die im Dritten Reich als Stenografinnen gebraucht wurden“, lebte im Alter von 95 Jahren in Wilhelmshaven.7 Er konnte nach mehreren vergeblich befragten Fachleuten als erster die Schrift Dorothee Rakows als ‚ältere‘ Version des Systems „Stolze-Schrey“ identifizieren. Jün2 Zeugnis der Remington-Fachschule für Maschinenschreiben und Stenographie, Berlin 30.5.1916. Privatarchiv J. 3 Ein Zeitungsaufruf zur Übersetzungshilfe blieb ergebnislos. NWZ, 20.7. und 24.7.2007. 4 Nach dem Krieg bildeten Stenographen ab 1947 wieder Stolze-Schrey-Vereine mit „Bekenntnis zum Idealismus und zur Gerechtigkeit“. Aus: „Festschrift zum Niedersachsen-Bundestag StolzeSchrey in Lübeck 5.–7.Juli 1958“, S. 4. Der Verbandsvorsitzende betonte 1958: Nun „setzen wir unseren gerechten zähen Kampf für dieses System, den Kampf um Gleichberechtigung neben der vom Staate immer noch auf gewissen Gebieten monopolisierten Einheitskurzschrift fort“ (ebd., S. 6). Die „Bundesjugendleitung“ versuchte Nachwuchs für das Stolze-Schrey-System durch „echte Kameradschaft“ mit Wanderungen und Laienspielen zu gewinnen (ebd., S. 22). – Den Einblick in diese Broschüre – ebenso wie den Kontakt zu ihrem Lehrer Dr. Mönnighoff – verdanke ich Thea Helmers, ehem. Landtags-Stenografin, Gespräch in Oldenburg, 21.6.2007. 5 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Hunte-Report, 17.6.2007. Hannelore Schindelasch, die Präsidentin des Deutschen Stenografenverbandes verdanke ich den Kontakt zu dem „Stolze-Schrey“-Kenner aus Winsen Horst Grimm, der sich als einziger die Übersetzung von Dorothee Rakows Stenografie zutraute. 6 Es handelte sich nach Dr. Mönnighoff nicht um die „Reichsberufswettkämpfe“, sondern um traditionelle Vereins-Wettschreiben. Die „Deutsche Arbeitsfront“ hatte den früheren „StenografenBund“ umbenannt in die „Stenografenschaft“, die ab 1933 nach dem Führerprinzip aufgebaut wurde. Die einzelnen Ortgruppenleiter hießen „-walter“, der „höchste Apostel“ der Stenografen saß in Bayreuth. Information von Bernhard Mönnighoff, Wilhelmshaven, Telefonat 3.7.2007. 7 Dr. Bernhard Mönnighoff (G 1912), ehem. Direktor eines Gymnasiums, Latein- und Geschichtslehrer. Er erlernte mit acht Jahren 1920 die Kurzschrift nach „Stolze-Schrey“ in der Schule. 1924 stellte er sich auf die neue „Einheitskurzschrift“ um. Seinen beruflichen Traum, nach dem Abitur 1931 „Verhandlungs-Stenograf“ in der Politik zu werden, konnte er ab 1934 „vergessen“, nachdem Hitler die Landtage abgeschafft hatte. Um sein Lehrerstudium zu finanzieren, gab er in den 1930er Jahren Stenografie-Unterricht für die vielen jungen Mädchen, die im Dritten Reich als Stenografinnen gebraucht wurden. 1937 wurde er in Stenografie-Wettkämpfen zuerst Stadtmeister in Münster und dann „Westfalenmeister“. Die „Deutsche Kurzschrift“, die 1936 pflichtmäßig eingeführt wurde, hat die Stenografie nach seiner Meinung negativ verändert. Seitdem ein Braunschweiger Meister ihn in den 1920er Jahren in die „Gabelsberger Schrift“ eingeweiht hatte, blieb er Liebhaber dieses Systems. Sie orientiere sich optisch an der Langschrift und habe nicht künstlich gesetzte Kürzel, sie sei mit einer Komposition von Bach zu vergleichen. – Das System „Stolze-Schrey“ war Dr. Mönnighoff nur noch aus seiner Kindheit zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr bekannt. 82 Jahre waren 2007 seitdem vergangen.
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geren Kollegen, z.B. einer im Jahr 2007 73-jährigen ehemaligen Landtags-Stenografin und vormaligen Schülerin von Dr. M., war dies nicht so eindeutig möglich gewesen.8 Übersetzen konnte Dr. M. die Schrift leider nicht, da er dieses Schriftsystem seit 82 Jahren nicht mehr selbst geschrieben hatte. Doch stiftete er zwei Stolze-Schrey-Lehrbücher aus den Jahren 1916 bis 1920, in denen er – und vermutlich auch Dorothee Rakow – diese Schrift lernten.9 „Fräulein Rakow beherrscht das StenographieSystem Stolze-Schrey vollkommen.“, steht in ihrem Zeugnis von 1916. Dorothee Rakows Zeugnis der Remington- Fachschule für Maschinenschreiben und Stenographie, Berlin, 31. Mai 1916 Nachlass Dorothee Rakow
Seit 1924 hatte sich Dr. M. wie viele andere Stenografen bereits auf ein neueres System umgestellt. Dorothee Rakow beendete dagegen ihre 1916 begonnene Sekretärinnenlaufbahn 1925 und nahm anschließend als Krankenschwester an der geschichtlichen Veränderung der Kurzschrift offenbar nicht mehr teil. Wäre sie allerdings Sekretärin geblieben, hätte sie dies tun müssen. Denn 1924 wurden die verschiedenen im 19. Jahrhundert entwickelten konkurrierenden Kurzschrift-Systeme nach jahrelangen Vereinheitlichungsbestrebungen zur Mischform einer „Einheitskurzschrift“ entwickelt, um die es ein penibles Tauziehen in politischen Gremien gegeben hatte.10 Schließlich wurden diese „Systemkämpfe“ durch 18 In ihrer Kindheit während der 1930er Jahre war Stenografie noch ein Schulfach in der 6. Klasse. Später wurde die Stenografie durch die Einführung von Diktiergeräten ersetzt und wird auch in Berufsschulen heute kaum noch gelehrt. Allerdings müssten die politischen Verhandlungen in Landtagssitzungen noch immer in Stenografie festgehalten werden. Diese Aufzeichnungen gelten als Dokumente. Sie seien Tonbandaufnahmen überlegen, weil Stenografen auch Zwischenrufe aufzeichnen, die technische Geräte nicht erfassen können. Gespräch mit Thea Helmers, ehem. Landtags-Stenografin, Oldenburg, 21.6.2007. 19 ����������������������������������������������������������������������������������������� Coprian 1916, Grundlehrgang Stolze-Schrey; Puff/Stark (Hg.) 1920 [1887]: Lehrbuch vereinfachte Stolze-Schrey; Stenographenverband Stolze-Schrey (Hg.): Systemkunde Einigungssystem Stolze-Schrey. Faltblatt, Berlin 1906. – Ich danke Herrn Mönnighoff für diese historischen Lehrbücher und meiner Tochter Pia, die versuchte, damit das Tagebuch zu entschlüsseln. 10 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Zur Geschichte der Stenografie vgl.: Strassner 1949, Kurzschriftlehre. – Strassner sieht Zusammenhänge zwischen historischen europäischen Formen der Stenografie und politischen Verhältnisse: „Deutschland hat im Anfang der Neuzeit keine Kurzschrift entwickelt, weil es in eine Anzahl absolutistischer Staaten zerfiel, in denen es keine Worte von Bedeutung aufzunehmen gab“ (ebd., S. 56). Der Nationalsozialismus brachte nach Strassner keine nennenswerte Änderung des Schriftbildes gegenüber der Einheitsschrift von 1924: „Das äußere Bild hatte sich nicht viel geändert, aber der Geist“ (ebd., S. 85).
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die Nationalsozialisten beendet: Seit 1936 war im beruflichen Schriftverkehr nur noch der Gebrauch der „Deutschen Kurzschrift“ erlaubt.11 Wenn NS-Oberin Dorothee Rakow also 1940 ihren Text im System „Stolze-Schrey“ aufzeichnete, war er also nicht nur heutzutage, sondern bereits zu ihrer eigenen Lebzeit für jüngere Stenografen nicht dechiffrierbar. Insofern könnte eine Anwendung der Stenografie als ‚Geheimschrift‘ nahe liegen. Der oben erwähnte Stenograf und Zeitzeuge Dr. Bernhard M. (G 1912) hält die Anwendung der Stenografie als „Geheimschrift“ in der NS-Diktatur sogar für selbstverständlich. Er selbst habe damals als Schriftexperte verschlüsselte Nachrichten sowohl im Auftrag des NS-Staates wie auch für den Widerstand gegen ihn produziert und erzählte seine interessante Geschichte, die auch das Thema „Euthanasie“ berührt: Als Sieger im „Reichsberufswettkampf“ der Stenografen wurde er während des Krieges in einer von zwölf Funkstellen eingesetzt, die verschlüsselte Nachrichten von der Front weitergaben. Nur die besten Leute seien dort als Morse-Schreiber eingesetzt gewesen und wurden zudem laufend kontrolliert: Wer nicht schnell genug die Schrift umsetzte, kam zurück an die Front. Während dieses Einsatzes gebrauchte der Unteroffizier M. allerdings seine besonderen Fähigkeiten zur Verschlüsselung von Schriften auf zwei verschiedene Arten auch gegen seine Dienstherren: 1.) Den geheim zu haltenden Einsatzort Stettin, zu dem er nur über eine Feldpostnummer zu erreichen war, teilte er seinen Eltern in den zensierten Briefen heimlich mit, indem er den Ort durch die Anfangsbuchstaben der Wörter eines Satzes bildete. Er wusste, dass er dafür vor das Kriegsgericht hätte gebracht werden können. 2.) Während des Nachtdienstes in der Funkstelle, wenn sein Feldwebel schlief, vervielfältigte der ehemalige katholische Student aus Münster heimlich die verschlüsselten Informationen über die Predigt des Münsteraner Bischof von Galen, der im August 1941 von der Kanzel offiziell Strafanzeige gegen den Staat wegen der Ermordung von geistig Behinderten gestellt hatte. Damit war Herr M. ein aktiver Teil des Widerstands gegen die NS-„Euthanasie“ gewesen.12 Unsere Begegnung und diese Geschichte13 war ein zufälliger Gewinn bei der Suche nach einem Übersetzer der stenografierten Teile im Bessarabien-Tagebuch, die verdeutlicht: Die Stenografie hat ihre eigene Geschichte und Bedeutung, auch im NS. Die Übertragung des unleserlichen Teil A des Tagebuches verdanken wir schließlich nach längerer Suche im Jahr 2007 dem vielleicht letzten Experten für die historische StolzeSchrey-Schrift: Horst Grimm aus Winsen.
11 So die einheitliche Darstellung der 2007 befragten Stenografie-Experten Frau Helmers (G 1934) und Herr Mönnighoff (G 1912). 12 Die Verbreitung der Informationen im englischen BBC-Sender und über jene Predigt vom 3.8. 1941 in der deutschen Bevölkerung führte schließlich zum offiziellen „Stopp“ der „Euthanasie“ durch Gasmord ab 24. August 1941, auch wenn die Patientenmorde danach mit anderen Methoden fortgesetzt wurden. Vgl. Klee 1989, Euthansie NS-Staat, S. 333f., Kap. Der sogenannte Stopp. 13 Da Aufklärung zu den Aufgaben der Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen gehöre, wollte Herr M. im hohen Alter von 95 Jahren nach unserem Kontakt die damaligen Ereignisse in seiner Funkstelle als Zeitzeuge und Schriftexperte „in deutlicher Schrift“ selbst noch aufschreiben. Telefonat mit Bernhard Mönnighoff, 2.7.2007. – Mir ist leider nicht bekannt, ob dieses Manuskript noch verfasst wurde.
Q2/Tagebuch
Q2/Teil A, S. A1: Die erste beschriebene Seite im Bessarabien-Tagebuch von Dorothee Rakow, datiert 6.11.1940 in Radautz/Bukowina, verfasst in Stenografie.
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Q2/Tagebuch/Teil A:
[Stenografie, 11 Seiten A1–A11] Transkription14 [Kursiv = Einzelne Worte in Deutscher Schrift] [S. A1:] Radautz/Rumänien 6. XI. 40 Das zweite Mal rüste ich nun in Radautz zur Nachtruhe. Am Freitag, dem 6.15 war Pg Lorenz in Galatz und warf einfach unsere bisherige Einteilung über den Haufen. Statt der zehn Schwestern fahren nun fünfzehn in die Dobrudscha.16 Und wir drei übriggebliebenen wären für das Buchenland bestimmt. Ich sollte in Radautz arbeiten, während die beiden anderen Schwestern die Säuglingswäsche nach der Gura Humora bringen müssten. Gura Humora hat für uns den klangvollen Namen gegen Sodom und Gomorrha eingetauscht. Und als der Ort nach Humorului genannt wurde, sagten wir kurzweg Hummelby.17 Mit Aufräumungsarbeiten und Packen waren wir bis zur letzten Minute beschäftigt, sodass wir von einer eigentümlichen Abschiedsstimmung in Galatz gar nicht reden konnten. Es ging auch alles viel zu schnell. Froh waren wir alle beim Lösen der Fahrkarten. Ein rumänischer Offizier in deutscher Ruhe sagte, er komme mit uns. Er sorgte dann auch sehr nett dafür, dass unser nicht geringes Gepäck immer richtig verfrachtet wurde, denn das war hier im Ausland wirklich etwas schwierig.18 Verschiedentlich musste noch umgestiegen werden.19 Nach etwa zwölfstündiger Fahrt landeten wir endlich hier und stiegen mitten in der Stadt aus.20 Das Gepäck wurde auf einen Fiaker21 geladen, und wir zogen beinahe zum Pastor,22 wurden aber dann im letzten Augenblick doch noch zum deutschen Haus dirigiert. Von dem NSV-Stab war zwar noch
14 Übersetzung aus dem älteren Stenografie-System Stolze-Schrey: Horst Grimm, Winsen an der Luhe, Sept. 2007. Um die stenografierten Teile von den anderen zu unterscheiden, wurde hier von der Regel abgewichen, die komplette Transkription kursiv zu setzen, so wie in den nachfolgenden Abschnitten. 15 ������������������������������������������������������������������������������������������������ „dem 6.“ sei in der Transkription aus der Stenografie eindeutig. Dafür ist die Zuordnung des Datums unklar. Nach NS-Oberin Dorothees Notizen war SS-Oberführer Pg. Lorenz zweimal im Auffanglager Galatz, und zwar zwischen 21.9. u. 7.10. („Besuche Lorenz – Hardeland – SS Lorenz“) sowie am 25. 10. 1940 („25. X. Lorenz Dobrudscha Einsatz – Bukowina“). Vgl. Q3/Einzelblätter Nr. 1, S. 1 und 2. 16 Zur „Abreise am 2.11.1940“ in den Dobrudscha-Einsatz waren 15 NS-Schwestern aus dem Lager Galatz aufgestellt, davon vier „z.b.V.“ (Q3/Einzelblatt Nr. 5). 17 Gura Humora bzw. Gura Humorului war Sitz einer der beiden Gebietstäbe der SüdbukowinaUmsiedlung. 18 Vgl. Q1/Lebensbericht, Bl. 34. 19 Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 6 a–c (Skizze der Reiseroute, Fahrtzeiten, Stationen, Preise in rumänischen Lei). 20 ������������������������������������������������������������������������������������������� Ankunftsort: Radautz und Gura Humora waren die beiden Sitze des Gebietsstabs bei der Südbukowina-Umsiedlung. 21 Fiaker = Lohnkutsche, als Begriff gebräuchlich in Österreich u. Ungarn. Deutsche Bezeichnung dafür wäre Droschke. 22 Pastor: der Kutscher hielt die NS-Schwestern wegen ihrer Tracht vermutlich für Nonnen.
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nichts zu sehen und bewegten wir uns ganz groß als Vorkommando.23 Großes Hallo, als wir Dr. Mancke wiedertrafen.24 Ich hatte mir vorgenommen, gleich erstmal auszuschlafen, aber daraus wurde nichts. Während ich mich in dem mir angewiesenen Zimmer bei räumenden25 Volksdeutschen frisch machte, kam schon eine Volksdeutsche, die hier bereits vieles in die Hand genommen hatte, sagte mir in großen Umrissen [– eine fehlende Seite] [S. A2:] davon und um 3 Uhr waren wir zur weiteren Besprechung im Deutschen Haus. Anschließend gingen wir nach Friedrichstal,26 auch auf Umwegen, da der volksdeutsche Junge, der uns den Weg zeigen wollte, überhaupt nicht Bescheid wusste. Abends endlich kam ich zu einer kleinen Mahlzeit und dann tot ins Bett. Am nächsten Tag besichtigten wir die noch einzurichtende Verpflegungsstation in Karlsberg27 mit Dr. Mancke.28 Auf dem Weg dorthin trafen wir Oberführer Siekmeyer,29 der Herrn Dr. Mancke bat, nach einem pockenkranken Kind in Alt Fratautz30 zu sehen. Nach mehrmaligen Fragen kamen alle in das richtige Haus. Wir traten in eine Wohnung und fanden leere, abgezogene Betten, also die andere Tür. Ein sehr freundliches Mädchen zeigte uns mit bedauernden Worten das kranke Kind. Auf die ärztlichen Fragen konnte die nur mit Bedauern antworten, nicht Bescheid zu wissen, da sie selbst ja aus einem Dorf flüchten mussten. Erstauntes Fragen unsererseits wurde dahin aufgeklärt: Gnädigster Herr, ich darf leider nicht umsiedeln. Ich bin doch eine Jüdin.31 – Im übrigen handelte es sich bei den Pocken lediglich um Windpocken.
23 Vorkommando: Der Begriff fällt auch in einer Notiz von NS-Oberin Rakow zum 3.11.1940 (Q3/ Einzelblatt Nr. 1). 24 Dr. Mancke: vgl. Q4/Lagerbefehl Nr. 11, evtl. auch Q1/Lebensbericht Bl. 34. – Später stellte sich die wahrscheinlich richtige Schreibweise heraus: Maneke. Die Übersetzung aus der Stenographie ließ 2007 beide Schreibweisen zu. Vgl. Kap. IV.A Anhang/Namensverzeichnis. 25 Vermutlich Zimmer in Privatwohnung. 26 Friedrichstal: die Übersetzung aus der Stenografie sei eindeutig. Doch Friedrichstal kommt als Ortsbezeichnung in der Bukowina nicht vor. Evtl. verwechselte Rakow den Ort mit Fürstental (vgl. Ortsverzeichnis, in: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 269). Weitere Möglichkeiten: Friedensfeld, Friedenstal, Friedrichsdorf, Friedrichsfeld (vgl. Ernst 1996, Verzeichnis deutsche Siedlungen Bessarabien, S. 64). 27 Vgl. Q6/Brief Nr. 16 (NS-Schwester Cora Sp., 5.3.1941, Bericht über Umsiedlung in Karlsberg und NSV-Verpflegungsstelle Radautz). 28 Dr. Mancke oder Maneke: vgl. oben: DRK-Arzt im Lager Galatz, den die NS-Oberin im Vorkommando in der Bukowina wiedertraf. 29 Transkription auch möglich als Siegmeier. – SS-Oberführer Siekmeyer war Leiter des deutschen Umsiedlungskommandos für das Südbuchenland und die Dobrudscha. Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 95. 30 Alt-Fratautz: lag nördlich von Radautz, fast an der russischen Grenze. Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte). 31 Juden wurden auch von der rumänischen „Eisernen Garde“ verfolgt. Sie waren von der Umsiedlung nach Deutschland jedoch von vornherein ausgeschlossen. Umsiedlungswillige wurden nicht registriert, wenn sie mehr als ein Viertel nicht-arischer Abstammung waren. „Daß ihnen die Ablehnung wahrscheinlich das Leben rettete, ahnten sie nicht“, Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 72.
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6.11. Heute traf Gauamtsleiter Dr. Jäger32 ein. Unsere Begrüßung auf der Straße währte höchstens zwei Minuten, die aber zeigte, dass er sehr viel für unsere Schwesternarbeit übrig hat. Mittags trafen 13 NS-Schwestern ein, die in einem Massenquartier in der rumänischen Knabenschule untergebracht wurden. Sie haben lediglich ein Strohlager und drei Waschschüsseln zur Verfügung. Das Wasser wird auf dem Hof aus einem tiefen Ziehbrunnen gefasst.33 Stroh sahen wir uns erst bei der rumänischen Feuerwehr an, nahmen es dann jedoch von einem deutschen Bauern, der uns bei dieser Gelegenheit gleich seinen Viehstall zeigte. [S. A3:] Dabei fiel mir ein, dass es sicher mit der Verpflegung hapern wird, wenn die deutschen Bauern ausgesiedelt wurden. Es muss hier Vorsorge getan werden. Am Abend sah der Gauamtsleiter seine oberbayrischen Schwestern. Na, das war eine frohe Begrüßung. 7.11. Gauamtsleiter Dr. Jäger tritt sehr für uns ein. Es darf vor allen Dingen nicht heißen, die NS-Schwester habe eine politische Aufgabe. Er tritt mir sein Zimmer ab, damit ich ordentlich wohne. Da es sehr groß und geräumig ist, nahm ich noch Schwester Anni34 zu mir. Die heute noch eingetroffenen fünf Schwestern bleiben im Massenquartier in der Schule. Auch die angekommenen dreißig Frauen fühlen sich da wohl. Die Männer haben Einzelquartiere vorgezogen. Die Unterkünfte sind Glückssache. Wir dürfen hier sogar jeden Abend baden. Im übrigen hatten wir eine gemeinsame Arbeitsbesprechung, die so manches erklärte. Leider nahm der Arzt nicht daran teil. 18.11. Auf der Fahrt durch Ungarn.35 Gestern Abend habe ich nun mein Arbeitsfeld in Radautz verlassen. Schade!36 Es waren sehr bewegte arbeitsreiche und unruhige Tage. Aber die Hauptorganisation ist erledigt. Zuerst haben die Orte, die für feste Verpflegungsstation vorgesehen waren, Schwestern erhalten. Das ist in Radautz, Itzkany37 und Puttna.38 Die Schwestern der letzten Station arbeiten erstmal in Karlsberg39, weil hier der Ort zuerst und vollständig geräumt wird. Nur eine deutsche Frau, die einen rumänischen Briefträger geheiratet hat, weint, dass sie nicht mit heim ins Reich kann.40 Weiter arbeiten ständig zwei 32 Dr. Jäger, Gauamtsleiter (der NSV?) aus Nürnberg, später in der Reichsleitung Berlin. Verweise vgl. IV.A Anhang, Namenverzeichnis. 33 Vgl. Q5/Foto N3. 34 Vgl. Q6/Brief Nr. 12 (NS-Schwester Anni Ho., aus Radautz, 19.11.1940); sowie Q6/Brief Nr. 18 (NS-Schwester Anni Ho., aus Landsberg/Warthe, 17.3.1941). 35 Fahrt durch Ungarn in einem abgeschlossenen Raum eines Umsiedlerzuges. Oberin Rakow brach den Bukowina-Einsatz vorzeitig ab und wurde in Radautz von NS-Schwester Cora Spr. vertreten. 36 Schade? – Hier besteht ein Widerspruch mit den späteren Lebenserinnerungen. Als Grund gab sie später eine Infektion mit Keuchhusten beim Aufschütteln der Strohsäcke in Galatz an: „und es war eine Erlösung für mich, daß ich nach Berlin zurückgerufen wurde.“ (Q1/Bl. 35). 37 Itzkany: südöstlich von Radautz an der Bahnlinie. Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte). 38 Puttna = Putna, südlich von Karlsberg. Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 12 (Karte: Die deutschen Siedlungen in der Bukowina). 39 Karlsberg/Putna: Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte): Auf der eingezeichneten Bahnlinie war Karlsberg der nordwestlichste Ort der Umsiedlung. Nach der Räumung von Karlsberg führte die Bahnlinie über Radautz, Itzkany und Gura-Humora Richtung Dorna Watra über die Grenze nach Ungarn. Vgl. Q6/Brief Nr. 16 (Cora Sp., mit Bericht über die NSV-„Station“ in Putna bzw. Karlsberg). 40 „Mischehen“ in der Bukowina: Die Umsiedlung von „Fremdstämmigen“ war in Bessarabien kaum ein Problem gewesen. Auch in der Bukowina wurden Mischehen zunächst ohne Schwierigkeiten
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Schwestern in dem deutschen Dorf Fürstental41, ein Ort, in dem zumeist Holzfäller wohnen, die einstmals aus Böhmen ausgewandert sind. Die Glasbläser, die darunter waren, mussten ihren Beruf aus [S. A4] Mangel an Arbeit aufgeben. Außerdem arbeiten 2 Schwestern im Ortsbezirk K[...]r[...]st[...]42 und kümmern sich um die in den umliegenden Dörfern wohnenden Deutschen, die umgesiedelt werden. Für 24 Transportzüge des Gebiets Radautz wurden je 3 Schwestern eingeteilt, die aber bereits am 16. und 17. ihre Arbeit in den Dörfern aufgenommen haben, deren Umsiedler sie im Zug begleiten werden. [Folgende Seite nach S. Q2/A4 ist leer] [S. A5:] Lola [?]43: Umsiedler, die nach Galatz kamen und keine Umsiedlerkarte hatten44 wie war da bei den Russen die Grenzkontrolle? Evtl. die Diakonissen45 fragen. [S. A6:] Doch kehren wir noch einmal zum Hafen zurück.46 Voller Zweifel, das Land betreten zu dürfen, traf ich meine 90 Zurückgebliebenen an,47 und drei geschlossene Gruppen
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registriert. Erst nach Ankunft der ersten Züge in Deutschland schickte die VoMi am 20. Oktober 1940 ein Telegramm: „Fremdstämmige nicht mehr aussiedeln“. – Diese Anweisung sorgte für Konflikte, da Ehen nicht getrennt werden können. Nach Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 73f. Fürstental, deutsches Dorf: Fürstental hatte eine rein deutsche Bevölkerung nach der Karte „Die deutschen Siedlungen in der Bukowina“, die den Anteil deutschstämmiger Bevölkerung für jeden Ort anzeigt. In: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 12. – Zu Fürstental vgl. auch: Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Berichtfragment einer NS-Schwester). Transkription nicht möglich. Aus dem Ortsverzeichnis bei Jachomowski wären folgende Orte in der Bukowina möglich: Komanestie, Koronista oder auch Tereblestie (nur wenn das ...bl... abgekürzt wurde ). T... und K... sind in der Stolze-Schrey-Stenografie fast identisch. Auskunft des Übersetzers Horst Grimm, 2007. Unleserlich, evtl. Lola. Vgl. Q2/Tagebuch, S. A6: „Lola Krä[...]“ mit Schiff Minerva. keine Umsiedlerkarte: spielt möglicherweise auf die Problematik der nicht registrierten Umsiedler an. Die zahlreichen in sog. „Mischehen“ mit Fremdstämmigen lebenden Deutschstämmigen wurden in der Bukowina nicht mehr zur Umsiedlung registriert. Dies war bei der Bessarabienumsiedlung wegen der Seltenheit von „Mischehen“ noch nicht mit strikten Anweisungen verbunden wie in der Bukowina. Vgl. Jachomowski, 1984, Umsiedlung, S. 72f. – Eine weitere Deutung ist möglich in Zusammenhang mit der folgenden Erwähnung der Diakonissen (siehe folgende Anmerkung). Diakonissen gehörten nicht zum deutschen Umsiedlungskommando. Sie waren Betreuerinnen der bessarabiendeutschen Pflegeheime, z.B. Alexanderasyl, und begleiteten die Pfleglinge bis zum Schiff. Insofern könnte die Frage sich ggf. auf den Verbleib der Heiminsassen aus Bessarabien beziehen, die vielleicht „nach Galatz kamen und keine Umsiedlerkarte hatten“? Hafen: gemeint ist hier der rumänische Hafen Galatz bei der Ankunft des Umsiedlungskommandos im September 1940. 90 Zurückgebliebene waren die NS-Schwestern auf dem Schiff „Wien“, die nach der Ankunft am 17.9.1940 im Hafen Galatz zunächst auf den Schiffen warteten, während NS-Oberin Rakow mit einigen wenigen NS-Schwestern mit NSKK zum Auffanglager Galatz gefahren wurde. Vgl. Q2/ Tagebuch, Q5/Fotos, Q6/Briefe.
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sahen sich am nächsten Morgen die Stadt an48. [Folgender Satz durchgestrichen: Die Volksdeutschen des Ortes waren erfreut.49] Staunende Gesichter auf beiden Seiten. Armut und Nachlässigkeit war der erste Eindruck. Unsere Tracht, zu der braune „richtige“ Lederschuhe getragen werden, wurde als Gala-Uniform angesehen, die nur für die Reise ins Ausland geliefert waren, denn die Hetzpropaganda hatte verbreitet, dass wir nur Holzschuhe und Papierkleidung trügen. 50 Einige Frauen brachten den Schwestern Blumen. Mit Schiff Minerva mit Lola Krä.51 Bessarabische Nachtigall Frau Zikele, die öfter in Kischineff im Rundfunk gesungen [Zwischenraum, ... danach drei Worte unleserlich] Abend [durchstrichen: Guten Abend Gute Nacht] einige deutsche Volkslieder. König Drosselbart in 5 Akten. Belgrad mit Musik empfangen, Verpflegung, warm gewaschen, 6.11.52 abends aus Semlin weggefahren [...unleserlich...] Kilia [...unleserlich...] oder ob das so gemacht worden ist – 53 Frage am Kaßanpass.54 [S. A7:] Aus Tarutino.55 Eine Frau bekommt Wehen, als sie mit dem Zug wegfahren wollte.56 23.10. Die letzten Leipziger das Dorf verlassen. In Leipzig57 Erdbeben: Die Glocken läuteten, worüber die Russen ganz aufgeregt werden. Rumänische Lehrer sich unter die Bank gelegt und aufgepasst, ob die Schüler mit einem deutschen Gruß hereinkommen – und dann geschlagen. 48 Zum Besuch der NS-Schwestern in der Stadt Galatz vgl. Q6/Briefe, Q5/Fotos, Q2/Tagebuch, S. C29f. 49 Vgl. Deutsche in Galatz: „Erstaunlich war, daß sämtliche Handwerksbetriebe von Juden geführt wurden. [...] Ja, und diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt.“ (Q1/ Lebensbericht, Bl. 33). 50 Papierkleidung: Umsiedler glaubten, Deutschland habe im Krieg Einschränkungen wegen Markenzuteilungen und wunderten sich über die freigiebige NSV in den Umsiedlerlagern (Q7/Berichte). Umgekehrt boten jüdische Lebensmittelgeschäfte in Galatz „Mangelwaren, die es bei uns gar nicht mehr gab oder sehr verknappt waren, z.B. Butter, Kaffee und Tee.“ (Q1/Lebensbericht, Bl. 33). 51 Vgl. Leontione Krä., Adresse „Lager 153, Leipzig, Elsässer Str.“ (Q3/Einzelblatt Nr. 4); sowie „Lola“ (Q2/A5). 52 Am 6.11.1940 befand sich NS-Oberin Rakow in Radautz (s.o.) 53 Ob das so gemacht worden ist: könnte sich auf die Frage beziehen, die sie den Diakonissen oder „Lola“ (Leontine Kr.) stellen wollte: „Umsiedler, die nach Galatz kamen und keine Umsiedlerkarte hatten, wie war da bei den Russen die Grenzkontrolle?“ (Q2/A5). 54 Kaßanpass: Engstelle in der Donau beim Eisernen Tor auf der Hinfahrt nach Galatz (vgl. Q5/Fotos, Serie D und E, Kommentar). 55 Tarutino: Sitz eines der Gebietsstäbe der Umsiedlung in Bessarabien. – Tarutino war mit Knabengymnasium, Mädchenlyzeum und Marktplatz ein kulturelles Zentrum der „Volksdeutschen“ in Bessarabien. Vgl. Bisle/Bisle-Fandrich 1996, Tarutino 1918–1940; Mayer 1986, Weg aus der Steppe, S. 58. – Im ehem. Knabengymnasium in Tarutyne/Ukraine ist heute eine Ausstellung des Bessarabiendeutschen Vereins e.V. eingerichtet. 56 Dies ist tatsächlich bemerkenswert, denn die Schwangeren wurden eigentlich extra transportiert. Die schwangere Frau aus Tarutino hatte vermutlich versucht, ihre Schwangerschaft zu verbergen, um von ihrer Familie nicht getrennt zu werden. 57 Leipzig (heute: Serpnowoje/Ukraine, 20 km nördlich von Tarutino) war eine der 1815 gegründeten 20 „Mutterkolonien“ deutscher Auswanderer in Bessarabien, das im 19. Jahrhundert zu Russland gehörte. Vgl. Lächelt (Hg.) 1982, Heimatbuch Leipzig.
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Schwaben, Kaschuben, Platter = Preußen58 Kirchen.59 Langes Kirchenschiff 1908 erbaut mit großer Orgel. Vorraum. Rechts gingen die Buben nach oben und reizten die Mädchen. Mitte Orgel. [ein Wort unleserlich] Rechts die Männer und links die Frauen. Der Altar erhöht, dahinter ein R[?]60 von der Auferstehung. Zwei Leuchter tragen während des Gottesdienstes brennende Kerzen. Linker Hand die Kanzel und rechter Hand die Kanzel für den Küster, der oft Gottesdienst halten musste. Die Fenster hinter dem Altar mit verschiedenfarbigem Glas. [eine Seite herausgerissen] [S. A8:] Dobrudscha. Feldzug 1877–78 der Reußen.61 Deckung durch Rumänen gegen die Türken. Durch Berliner Kongress 1878 fiel Dobrudscha an Rumänien zur Belohnung. [Folgender Absatz quer durchgestrichen: Trockenheit 34/35/36. Getreide vollkommen vertrocknet. Die Wurzeln von Weizen, Gerste oder Mais mit den Händen herausgeholt, um damit zu heizen und zu kochen. Das Stroh wurde dem Vieh zum Fressen gegeben, die Menschen haben von dem teuer gewordenen Mais gelebt. Kinder wurden nach Siebenbürgen geschickt, viele waren aber zu stolz.] Chorleiter aus Bessarabien Albota62 hatte die Werner Schule63 Sarata besucht. Art der Tätigkeit? / Tomaten – Paradeisäpfel / Paprika / Einwohnerzahl in Galatz 20000.64 [S. A9:] [Ein durchgestrichener Satz: Am 17. mittags trafen wir in Galatz ein.] Paprika wird Pfeffer genannt, grüner und roter Pfeffer.65 Oder kleine spitze rote Früchte, aber auch rund wie Kirschen, in der Größe wie Pflaumen und Kirschen = Türkischer Pfeffer. Die grünen Früchte, die ausgereift rot oder gelb werden, haben wir inzwischen bei unserem großstädtischen Gemüsehändler schon viel in der Auslage gesehen. Sie sind sehr vitaminreich. Sie sind meist süß, werden in Bessarabien gebrüht, einmal geschlitzt und dann mit gehobeltem rohen Kraut und Möhren, welches vorher in Sonnenblumenöl mit gedünsteten 58 Notizen zu Herkunft und Sprache der Bessarabiendeutschen. Vorfahren wanderten im 19. Jahrhundert vor allem aus Baden-Württemberg (Schwaben) und aus Nordostdeutschland (Preußen) aus. Letztere sprachen Plattdeutsch (Platter) und wurden in Bessarabien Kaschuben genannt nach der Region bei Danzig. Vgl. Bisle 1996, Tarutino. 59 ������������������������������������������������������������������������������������������� Die ev. Kirche in Leipzig/Bessarabien wurde 1908 neu erbaut und 1933 von Berliner Kunststudenten renoviert. Das frühere Bethaus der Separatistengemeinde von 1826 war 1893 durch Blitz zerstört worden. Vgl. Lächelt (Hg.) 1982, Heimatbuch Leipzig, S. 82–92. 60 Bedeutung unklar, denn die Zeichen für R, r, der sind stenografisch identisch. Auskunft des Übersetzers Horst Grimm 2007. 61 Reußen = Russen. 62 Albota: Sitz eines der vier Gebietstäbe der Bessarabien-Umsiedlung. Gebietsarzt im Umsiedlungsbezirk Albota war H. Ritter (vgl. Kap. I). 63 Werner Schule: Lehrer-Ausbildungsanstalt in Sarata/Bessarabien. 64 20.000: Das Auffanglager in Galatz war für diese Zahl von Umsiedlern errichtet worden. Vgl. Karte in: Pampuch 1941, Heimkehr. 65 „Das Leben in der Fremde, mit den verschiedenen Völkern um uns, brachte es außerdem mit sich, daß wir diesen Nachbarn rechts und links kräftig in die Töpfe guckten.“ Krüger-Häcker 1982, Dampfnudeln und Pfeffersoß, S. 5.
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Zwiebeln vermischt wurde, gefüllt, mit dem grünen gebrühten Selleriekraut fest gewickelt und im großen Steintopf eingelegt. In mit Gewürzen angereichtem Salzwasser waren diese Früchte lange haltbar. Wenn sie sauer geworden, wurden sie auf den Tisch gebracht und waren im Winter eine willkommene Zukost. Dann gibt es noch Paprika, der in der Form wie die uns bekannten Tomaten aussieht, der erst vollkommen ausreifen muss. Sie wurden nach dem russischen Pomidoren-Pfeffer oder nach dem russischen Patlenana-Pfeffer benannt und wurden meist roh gegessen oder gemahlen roh oder getrocknet in Flaschen gefüllt für den Winter als Gewürze aufbewahrt. Das Letztere geschah auch mit dem türkischen Pfeffer und ersetzte den bei uns eingeführten schwarzen Pfeffer. [S. A10:] Dobrudscha den Rumänen zugestanden für die den Russen vor Plewna geleistete Hilfe aufgrund des Berliner Kongresses 1878. 66 Donau. Einzige Brücke bei Belgrad jetzt gesprengt. Früher noch Tschernowoda Budapest Alte Römerbrückenreste bei Turnu Severin, Seite 15 [ein Wort in Normalschrift: Regale? Regeln?] [S. A11:] Hinter Pressburg am linken Ufer freundliche Siedlungen, teils deutsch, teils slowakisch. Brandherd der Politik. Das Ufer umsäumt von Obst- und Weingärten. Bald die ungarische Tiefebene. Fischreichtum. Gegenden zwischen Budapest und Semlin – Pussta-Gebiet, auch Vogelreichtum Seite 6467 [Ende von Teil A in Stenografie]
Q2/ Tagebuch / Teil B
„III. Donaufahrt u. Bedeutung der Donau“ [S3] [Ohne Inhalt. Der Überschrift in Deutscher Schrift folgen 20 leeren Seiten.]
Q2/ Tagebuch / Teil C
„NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten.“ [Auf der ersten – unnummerierten – Seite: Notiz einer geplanten Textgliederung:] Transkription: 1. Geschichtliche Entwicklung in [durchstrichen: s über] Bessarabien 1 – 14 2. Aufruf zur Umsiedlungsaktion 15 – 20 Sammelplatz Wien 3. Donaufahrt [durchstrichen: 4, in grün zusammengefasst mit dem vorigen Abschnitt:] [durchstrichen: Staaten. Eingefügt: Völker] a. d. Donau u. ihr Schicksal 66 Wiederholung eines Inhalts von Q2/A8. 67 Seite 64: Vermutlich ist eine Seitenangabe in einem Buch gemeint, denn der folgende Teil des Tagebuchs ist nur bis S. 56 beschrieben.
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[durchstrichen: 5, in grün korrigiert:] 4. Arbeit in Galatz68 [durchstrichen: 6, in grün korrigiert:] 5. die Dobrudscha [Zusatz in grün:] Geschichte u. unsere Arbeit [durchstrichen: 7, in grün korrigiert:] 6. Geschichtliches über d. Bukowina [durchstrichen: 8, zusammengefasst mit dem vorigen Abschnitt:] Arbeit in Radautz69 u. Gurahumoralui70 [durchstrichen: 9, in grün korrigiert:] 7. Schluß. 4 Seiten = 1 Druckseite 2 Seiten = 1 Schreibmaschinenseite
68 Galatz: Auffanglager in Rumänien für die Umsiedler aus Bessarabien, Sitz des Umsiedlungskommandos und der NS-Schwesternschaft. 69 „Radautz/Rumänien 6.XI.40“ ist die erste Orts- und Datumsangabe im Tagebuch von D. Rakow (Q2/A1). 70 ����������������������������������������������������������������������������������������� „Die Standorte der Gebietsbevollmächtigten sollten in der Südbukowina Radautz und Gurahumora sein, in der Dobrudscha Konstanza.“ Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 95, Anm. 37.
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Anmerkungen zur Gliederung Teil C: Insbesondere die letzte Notiz unter der Gliederung zu „Druckseite“ und „Schreibmaschinenseiten“ weist auf das Ziel eines Buchprojektes hin, wenn auch der Text des Tagebuches diesen Plan nicht einhielt.71 Zur Orientierung: In Reinschrift sähe die von der NS-Oberin vorgesehene Gliederung von Teil C so aus (Q2/C1): Titel „NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten.“ 1. Geschichtliche Entwicklung in Bessarabien S. 1–14 2. Aufruf zur Umsiedlungsaktion Sammelplatz Wien S. 15–20 3. Donaufahrt – Völker an der Donau u. ihr Schicksal [Vgl. S. 24–28] 4. Arbeit in Galatz [Vgl. S. 29–58] 5. die Dobrudscha: Geschichte und unsere Arbeit [leer] 6. Geschichtliches über d. Bukowina: Arbeit in Radautz u. Gurahumoralui [leer] 7. Schluß [leer] Die Abschnitte 1 bis 4 ihres Gliederungsplanes bezogen sich auf die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen, Abschnitt 5 und 6 auf die nachfolgenden Umsiedlungen aus der Dobrudscha und aus der Bukowina. Die NS-Schwestern waren unter Dorothee Rakows Führung im Herbst 1940 demnach in allen drei Aktionen eingesetzt. Die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus der Süd-Bukowina (Buchenland) und der Dobrudscha nach dem Bukarester Umsiedlungsvertrag vom 22. Oktober 194072 erfolgte im unmittelbaren Anschluss an die Bessarabien-Umsiedlung, die bereits mit dem Moskauer Umsiedlungsvertrag vom 5. September 1940 geregelt worden war. Diese Ausweitung erfolgte jedoch nicht wie in Bessarabien und der Nordbukowina – aus der Perspektive der Umsiedler – als Reaktion auf eine plötzliche russische Besetzung ihres Landes, sondern dort hatten schon im Herbst 1939 „volksdeutsche“ Vertreter aus der Bukowina und aus der Dobrudscha ihren Umsiedlungswunsch selbst in Berlin vorgetragen. „Die Wirkung solcher Anregungen aus den Volksgruppen sollte man nicht unterschätzen – auch deshalb, weil das Reich aus propagandistischen Gründen daran interessiert war, daß eine eventuelle Opposition gegen die Umsiedlung möglichst nicht aufkam. Das Umsiedlungsgeschehen vom Sommer und Herbst 1940 im Südosten hatte sich somit schon im Herbst 1939 abgezeichnet.“73
Die NS-Oberin wollte offensichtlich nicht nur über die Erfahrungen der „NS-Schwestern [...] bei der Umsiedlungsaktion im Südosten“ berichten, sondern ein Werk hinterlassen, das über die jeweilige Geschichte der Deutschen aus diesen drei rumänischen Landesteilen informiert. Dies löste sie allerdings nur im bessarabischen Teil ein und ließ das Ansinnen für die Bukowina und die Dobrudscha dann fallen. Der informative Teil zur Geschichte 71 Zum Vergleich: Nach obiger Gliederung lautet die Überschrift für Teil I (S. 1–14) „Geschichtliche Entwicklung in Bessarabien“. Die erste Textseite von den 58 nummerierten Seiten dieses Abschnitts schrieb Oberin Rakow jedoch unter der Überschrift „NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten.“ Die römische Ziffer „I“ wurde später mit einem grünen Stift zugefügt. 72 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 88–89. 73 Ebd., S. 90.
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Bessarabiens ist von zeitgenössischer Literatur oder Vorträgen über die Geschichte der „Volksdeutschen“ angeregt. Ihre historische Darstellung zeigt Oberschwester Dorothees stark vom NS-Zeitgeist geprägte Deutung der Umsiedlungsaktion. Ich habe dies teilweise in den Anmerkungen kommentiert. Interessanter für die Fragestellung nach möglicher Einbindung der NS-Schwesternschaft in „Euthanasie“-Maßnahmen sind die im Text enthaltenen Berichte aus der praktischen Arbeit der Schwerstern während der Umsiedlungsaktion und ihrer Vorbereitung in der Sammelstelle Wien. Sie eröffnen ein bisher unbekanntes Feld.
Q2/Tagebuch / Teil C Transkription Q2/C1–C58:
[S. C1] [Ziffer „I“ in grün später zugefügt:]
I. NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten.
Wir schreiben das Kriegsjahr 1940. Polen ist niedergezwungen. Holland, Belgien u. Frankreich mussten kapitulieren. Dänemark und Norwegen wurden besetzt. England hat diesen Krieg diktiert und Staaten, die gegen Deutschland für England stehen, müssen zu einer besseren Erkenntnis gezwungen werden. Großdeutschland – mein Vaterland! Auf den Bergen, in den Wäldern auf dem Lande dehnt sich die Brust, atmet mit Wohlbehagen den herben würzigen Duft der deutschen Erde. Deutsche aus Wolhynien sind zurück- [S. C2:] gekehrt ins Reich. Nicht die bitterste Kälte74 konnte sie davon abhalten. Auch die Baltendeutschen haben ihr Wohlleben75 gelassen, um dem Reich ihre Kräfte nutzbar zu machen. Und nun wollen die Deutschen in Bessarabien folgen. Menschen, deren Geschlechter fast 1 1/2 Jahrhunderte dem Lande [durchstrichen: zwisch] am Schwarzen Meer zwischen [durchstrichen: Donau] Pruth und Djnestr dem Boden mit deutscher Zähigkeit und deutschem Fleiß die Frucht abgezwungen76 haben. Sehen wir uns dieses Land einmal näher an. Die Anfänge der deutschen Kolonisation haben bereits unter Katharina II. begonnen. Aber Alexander I. führte sie in großem Maße fort. Anfang des 19. Jahrhunderts bot er den bereits 74 Kälte: Die Wolhynien-Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus Ost-Polen fand im Winter 1939/40 statt, nachdem Polen in einen russischen und deutschen Teil aufgeteilt worden war. Der 1940 in Bessarabien eingesetzte Gebietsarzt Helmut Ritter berichtete als „alter Hase“ aus der WolhynienUmsiedlung von offenen Eisenbahnwaggons, mit denen Umsiedler bei bitterer Kälte transportiert wurden. Vgl. Kap. I. 75 Wohlleben: Dieses schwer lesbare Wort ist mit einem Fragezeichen versehen, vermutlich von der Tochter. Weitere Fragezeichen kommen vereinzelt bei ähnlich schwierigen Wörtern vor. Im Folgenden werden sie hier nicht mehr erwähnt, da sie nicht von D. Rakow stammen. 76 Niedergezwunden, gezwungen, abgezwungen: Bereits in den ersten zwei Absätzen wird dreimal ein Zwang formuliert; ein Beispiel die Vermischung geschichtlicher Deutungen und zeitgenössischer Mentalitäten. Eine seelische Verbundenheit der „Volksdeutschen“ (als Bezwinger der Früchte der Natur) und der „Groß-Deutschen“ (als Bezwinger von Polen und allen Staaten, die für England ein-„stehen“) wird nahe gelegt, die in Wahrheit nichts miteinander zu tun hat.
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„NS-Schwestern helfen bei der Umsiedlungsaktion im Südosten“ Abschnitt C, S. 1 (Q2/C1)
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[S. C3:] im Herzogtum Warschau befindlichen bewährten deutschen Kolonisten das Land am Schwarzen Meer zur Besiedlung an. Der Ruf77 erging aber auch an andere Deutsche. In seinem Erlaß vom 20. II. 1804 hieß es [Einfügung: u.a.]: „Eine beschränkte Zahl solcher Einwanderer, welche in ländlichen Beschäftigungen und Handwerken als Beispiel dienen können ... Gute Landwirte, Leute die im Weinbau, in der Anpflanzung von Maulbeerbäumen und anderen nützlichen Gewächsen hinreichend geübt oder in der Viehzucht, besonders aber in der Behandlung und Zucht der besten Schafrassen erfahren sind, die überhaupt alle nötigen Kenntnisse zu [S. C4:] einer rationellen Landwirtschaft haben.“ Außer diesem geistigen Gut mussten die Zuziehenden noch 300 Gulden Bargeld mindestens mitbringen. Zweihundert solcher Wirte sollten im Jahre zugelassen werden. Praktisch wurde diese Grenzzahl nie eingehalten. Es kommen vor allen Dingen die Württemberger. Sie verkaufen ihre schönen Mühlen und Höfe und wandern ab. Begründet ist diese [durchstrichen: große] Abwanderung zum großen Teil in religiösen Zersplitterungen, die einen guten Nährboden fanden für die Lehren und Betstunden der in diesen Jahren [S. C5:] durch das Land ziehenden Juliane von Krüdener78, Tochter eines [unleserlich ...-]ländischen Edelmannes u. Witwe eines russischen Diplomaten. Die in Württemberg allgemein wachsende Erweckungsbewegung glaubte an den von Johann Albrecht Bengel ausgerufenen Anbruch des Tausendjährigen Reiches im Jahre 1836. Und hieran knüpft die Krüdener [durchstrichen: und] Sie verkündet Alexander sei der neue König David. [durchstrichen: Also] So wird die Auswanderung nach dem Osten zur Pflicht.79 77 Ruf: Die Deutung, dass Deutsche im 18. und 19. Jahrhundert nach Russland auswanderten, weil die ehemals deutsche russische Zarin Katharina und später Zar Alexander sie zur Urbarmachung der Steppe „riefen“ wird bis heute manchmal in der Heimatliteratur reproduziert. Persönliche Motive der Auswanderer nach Russland am Anfang des 19. Jahrhunderts könnten vielmehr Wünsche nach einem selbstbestimmteren Leben angesichts der Erfahrungen nach den napoleonischen Kriegen gewesen sein. Ein wesentliches Versprechen an die Kolonisten war Religionsfreiheit, Grundeigentum und Befreiung vom Kriegsdienst für alle folgenden Generationen. Die Auslegung, dass die damaligen Auswanderer in den Zeiten nach der französischen Revolution nicht von den neuen Hoffnungen auf Menschenrechte wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ beseelt waren, sondern nur gehorsam einem „Ruf“ folgten, ist die Interpretation einer „Führer befiehl, wir folgen“-Mentalität aus der NS-Perspektive der 1930/40er Jahre. 78 Juliane von Krüdener: eine „seltsame, aber einflussreiche Frau“ stand in persönlicher Verbindung mit Zar Alexander I., der ein „tiefgläubiger Christ“ war. Der 1812 besiegte Napoleon hatte insbesondere Männer aus Württemberg für den großen Feldzug gegen Russland rekrutiert. Krüdener sah Russland nun als „Bergungsort der Gläubigen der letzten Tage“ vor den „Schrecknissen der Endzeit“. Auch männliche Separatisten, Pietisten, Chiliasten usw. unterstützten bei vielen Auswanderern einen Widerstand gegen Staat und Kirche und eine religiöse „Sehnsucht nach dem Osten“ (Ignaz Lindl, Jung-Stillung u.a.). Vgl. Karl Stumpp: Auswanderungsgründe. In: Meyer, Weg aus der Steppe 1986, S. 7f.; sowie Brandes 1993, Von den Zaren adoptiert. 79 Pflicht: Ebenso wie der „Ruf“ erscheint auch dieser angebliche Auswanderungsgrund eher wie eine Geschichtsinterpretation auf dem Hintergrund nationalsozialistischer Mentalitäten. Im „Orden“ der NS-Schwesternschaft, der sich in gewisser Gegnerschaft zu den konfessionellen Orden verstand (vgl. Breiding 1997, Braune Schwestern), war ihr „Glaube“ auf den „Führer“ bezogen, der „Pflichten“ von ihnen einforderte, was man nicht mit religiösen Erlösungshoffnungen vergleichen kann, die Auswanderer bewegen, „nach Osten“ zu ziehen.
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Nicht nur die Württemberger folgen dem Ruf Alexanders, zu ihnen gesellten sich Mecklenburger, Pommern und Westpreußen, [durchstrichen: die] welch letztere sich noch heute Kaschuben nennen. So entsteht hier unten am Schwarzen Meer [S. C6:] eine große deutsche Kolonie und wird Hauptträgerin der russischen Weizenausfuhr. Außerdem werden Mais u. später Zuckerrüben angebaut. Und – wie es in der Entwicklungsgeschichte heißt: aus der Steppe wurde in wenigen Jahrzehnten der Wein und Obstgarten des Zarenreichs, die Hauptproduktion liegt hier allerdings in Transkaukasien. [Notiz auf der rechten freien Seite: geogr. Karte!] Bessarabien war bis 1812 unter türkischer Herrschaft u. gelangte nun an Russland. Viehzucht treibende Tartaren im Steppengebiet, dem Budjak, verschwanden mit der türkischen Herrschaft aus dem Lande u. wurde dieses Siedlungsgebiet den Deutschen angeboten. Aber auch Bulgaren, Rumänen, Russen und Juden bildeten die Völkerschaft Bessarabiens. Im Budjak, am Steppenflüsschen Kogolnik wurde ein Landstrich von [S. C7] 148000 ha lediglich für deutsche Kolonisten reserviert. In den Jahren 1814 – 1842 ließ die russische Regierung in diesem Raum 24 deutsche Kolonien anlegen. Jeder Kolonist erhielt 60 Desjatinen, ein ausreichendes Stück Land, das unverkäuflich, jedoch erblich war. Wenn kein männlicher80 Erbe vorhanden, fiel es an die Kolonie als Obereigentümerin zurück. Ein Verkauf kann nur an Mitglieder der Gemeinde unter Zustimmung derselben erfolgen. Es kann also kein Fremder in die Kolonie eindringen, sie [durchstrichen: behält] – wahrt deutschen Charakter. Dieses besondere Eigentumsrecht ist im Kolonistengesetz81 ausdrücklich festgelegt und ist die Grundlage [durchstrichen: der Erfolge im Dasein der Kolonisten] [zugefügt rechte Seite:] zum Erfolg [durchstrichen: der] [eingefügt: für eine geschlossene] deutsche [gestrichen: -n] Kolonisation.82 Die betreffenden Paragraphen des Gesetzes lauten: 1. alle den Kolonisten [S. C8:] zur Ansiedlung zugewiesenen Ländereien sind denselben zugeeignet als unbestreitbar eigenes und erbliches Besitztum; jedoch nicht als Eigentum irgendeiner Person, sondern als Eigentum der ganzen Gemeinde. 2. Auf Grund dieses können die Kolonisten auch nicht den kleinsten Teil ihres Landes, unter welcher Fron es auch sein möge, ohne Einwilligung ihrer ganzen Gemeinde und ihrer vorgesetzten Behörden verkaufen, abtreten oder verpfänden, damit diese Ländereien nie in fremde Hände gelangen. Der Kolonist war für unsere Begriffe Erbhofbauer.83 Gebäude und Inventar sind unbeschränkter Besitz des Inhabers. 80 männliches Erbe: Zur Benachteiligung von Frauen in Bessarabien vgl. Bisle 1996, Tarutino, und 2007 [2002], Sonnrosen und Piker. 81 Im Manifest von 1813 versprach Zar Alexander I den Kolonisten in Bessarabien Religionsfreiheit, Befreiung vom Kriegsdienst, Steuerfreiheit, Zuteilung vererbbaren Landbesitzes. Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 6; Brandes 1993, Von den Zaren adoptiert. 82 Deutsch: Dass „kein Fremder in die Kolonie eindringen“ konnte, eine „geschlossene“ deutsche Kolonisation, entspricht nicht der historischen Realität. In Bessarabien lebten verschiedene ethnische Gruppen. Eine Karte des Volkstumsforschers Karl Stumpp von 1940 zeigt die Anteile der deutschen bzw. nicht-deutschen Bevölkerung aller einzelnen Orte Bessarabiens. 83 Erbhofbauer: Das „Reichserbhofgesetz“ vom 29.9.1933 sollte „unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes“ erhalten und beinhaltete auch ein Verkaufsverbot. Anerkannte „Erbhofbauern“ – im Gegensatz zu „Landwirten“ – mussten bis 1800 Vorfahren ohne „jüdisches Blut“ nachweisen, durften ihren Besitz nicht verkaufen und nur ungeteilt an einen Sohn weitergeben. Über den „Erbhof und seine Sippe“ entschieden „Bauerngerichte“. Nach Kammer/Bartsch 1992, NS-Begriffe, S. 59f.
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Erbbiologisch84 waren die Kolonisten sehr stark. Schon in der dritten Generation war das Neunkindersystem85 üblich. [S. C9:] Jeder deutsche Ansiedler hatte daher den Ehrgeiz, jedem seiner Söhne ausreichend Land zu hinterlassen. Dies führte zu Ankäufen in den Ansiedlungsgouvernements [mit Kreuzchen markierte Einfügung auf der rechten Seite: später über diese Grenzen hinaus], wo zahlreiche junge deutsche Ansiedlungen entstanden. Der Gemeinschaftsgedanke86 aber war ausschlaggebend. Die Kolonie pachtete von dem russischen Großgrundbesitz Ackerland, legte eine Tochterkolonie an, die durch die Erfolge der Arbeit käuflich erworben werden konnte. Auch sie wurde dem Kolonistengesetz unterstellt. So wurden immer weitere Kolonien gegründet. Erst nach der russischen Revolution von 1905 kauften private Unternehmer ein Gut, das geschlossen deutsch parzelliert wurde. Diese Kolonien [unterstrichen:] unterstanden dem Kolonistengesetz nicht.87 So waren bis zum Kriegsausbruch 1914 die [S. C10:] die ursprünglichen 24 Mutterkolonien um 114 deutsche Gemeinden vermehrt. Kischineff ist seit 1818 die Hauptstadt u. nach südrussischem Muster erbaut. Die Kolonien hatten deutsche Volksschulen (Kirchenschulen), die dem Ministerium der Reichsdomänen unterstanden, diesem wurden sie 1881 entzogen u. dem Kultusministerium unterstellt; bereits 10 Jahre später setzte die Russifizierung der Schulen ein, Einführung der russischen Unterrichtssprache. Organisatorisch waren die Deutschen Bessarabiens nicht zusammengefasst. Die evangelische Kirche füllte diese Lücke bis zu einem gewissen Grade. Sie gehörte zum Petersburger Konsistorialbezirk der Ev. Kirche Russlands. Nur 4 Kolonien waren katholisch. Dann kam der Krieg, der den Deutschen [S. C11:] Rußlands viele Nöte brachte. Nur die Deutschen Bessarabiens konnten sich der Bolschewistenherrschaft entziehen.88 Da es zum größten Teil 84 Erbbiologisch: Das sog. „Erbgesundheitsgesetz“ („Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“) vom 14.7.1933 ermöglichte Zwangssterilisationen und Eheverbote. Die Urteile fällten „Erbgesundheitsgerichte“. Seit 1934 gab es „Gesundheitsämter“, in denen Amtsärzte die Bevölkerung prüften. Zu den Aufgaben der Gemeindeschwestern – ab 1935 nur noch mit NS-Schwestern besetzt – gehörten Meldungen an die Amtsärzte (vgl. Breiding 1998, Braune Schwerstern). NS-Oberin Rakow war 1935 selbst NS-Gemeindeschwester gewesen (vgl. Kap. II.A.2, Biografie: Mai 1935). 85 Neunkindersystem: Tatsächlich hatten viele „volksdeutsche“ Familien in Bessarabien (nicht erst nach der 3. Generation, sondern auch die Auswandererfamilien) eine hohe Kinderzahl (10–14), von denen allerdings etwa die Hälfte oft schon im Säuglings- oder Kleinkindalter verstarb. Die Nationalsozialisten mögen solchen Kinderreichtum bei „biologisch wertvollen“ Familien erwünscht haben. Ergänzende Anm. 2020: Auch in Rumänien wurde der Kinderreichtum der „volksdeutschen“ Minderheit durch Beihilfen des VDA gefördert (vgl. Georgescu, 2011, Transylvanian Saxons Eugenics). 86 Gemeinschaftsgedanke: Die NS-„Volksgemeinschaft“ legte derzeit „Individualismus“ als feindliche Eigenschaft im NS-Staat aus. 87 Tochterkolonien: Mit dem unterstrichenen Satzteil betont die NS-Oberin, dass sich in den Tochterkolonien auch „Fremdstämmige“ ansiedeln konnten. Das davor unterstrichene Wort privat wird hier als kontrovers zum „Gemeinschaftsgedanken“ (s.o.) der angeblich rein deutschen Kolonien gestellt. 88 Bolschewistenherrschaft: Gemeint sind die Änderungen der Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg, durch die das bis dahin russische Bessarabien zu „Groß-Rumänien“ kam. Bei der Umsiedlung 1940 waren die früheren nach Russland ausgewanderten deutschen Kolonisten daher „Rumäniendeutsche“. Die „Volksdeutschen“ jenseits des östlichen Grenzflusses Djnestr bei Odessa, wurden in
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von Rumänien, den Moldowanern, bewohnt war, bildeten diese eine selbständige Moldauische Republik und unterwarfen sich – damit auch die Deutschen des Landes – am 9. April 1918 der Rumänischen Regierung. Diese Zeit der Unruhen hatte ein nationales Erwachen89 zur Folge. Man schuf den deutschen Volksrat für Bessarabien [durchstrichen: und] [Satzteile umgestellt nach Nummern:] (3) die deutschen Volksgruppen (1) In Rumänien (2) waren (4) in ihrer Entwicklung schon weiter fortgeschritten. Man ging [durchstrichen: sofort] daran, den Schulen [durchstrichen: auf ] eine [gestrichen: -n] rein deutsche [-n] Grundlage zu geben. – . Die deutsche Muttersprache als Unterrichtssprache wurde von der rumänischen Regierung genehmigt. Nach einigen Jahren schon, ließ sie dieses [S. C12:] Entgegenkommen fallen. Seit dem Jahre 1925 wurden die deutschen Schulen unter dem Kultusminister Anghelescu nach und nach rumänisiert.90 Nur drei höhere Schulen, da sie [eingefügt: rein] konfessionelle Anstalten waren, konnten ihren rein deutschen Charakter wahren, das Knaben – Gymnasium und die Lehrerinnen-Bildungsanstalt in Tarutino.91 Aber auch sonst war es mit der [eingefügt: fortschreitenden] Entwicklung der deutschen Kolonisation zu Ende. Nach neuen rumänischen Bestimmungen wurde jeglicher Privatbesitz über 100 ha enteignet. Viele deutsche Kolonisten wurden davon betroffen. Andererseits erhielten von diesem enteigeneten Land deutsche Neu-Siedler je 6 ha, worauf sie nur ihr Leben fristen konnten. Das musste dazu führen, daß [S. C13:] die deutschen Söhne in andere Berufe abwanderten. Sie gingen mehr denn je in Handel, Industrie und Handwerk. Bis zu 80 % der [eingefügt: deutschen] Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Die aus den höheren Schulen hervorgehenden Akademiker machen ihre Kräfte dem Lande (Bessarabien) nutzbar.92
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den 1930er Jahren Opfer der stalinistischen Verfolgung des NKWD und litten unter Enteignungen, Verhaftungen und Erschießungen. Dieser Aspekt ist mit „Bolschewistenherrschaft“ gemeint. Erwachen: Die volksdeutsche Minderheit (unter 2 %) hatte im „Volksrat“ eine Vertretung im rumänischen Parlament. Zur „Rumänisierung“ nach dem Ersten Weltkrieg gehörten Verkleinerungen von Großgrundbesitz und Verbot der deutschen Sprache. Die „Nationalsozialistische Erneuerungsbewegung der Deutschen Rumäniens“ (NEDR) arbeitete an einem „Erwachen“ nationalen Selbstbewusstseins der „volksdeutschen“ Minderheit. Fritz Fabritius als Führer stand schon Anfang der 1920er Jahre in Kontakt mit Hitler. Die NEDR verfolgte das Ziel, ein deutsches „Volksprogramm“ in Rumänien zu installieren, mit Hitler als „Volkskanzler“ aller Deutschen im Ausland (Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 22). Der „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) entwickelte in den 1920er Jahren durch Kulturarbeit und finanzielle Unterstützung Beziehungen. Deutsche Hochschulen stellten Freiplätze für Studenten aus Bessarabien bereit, so dass sich Verflechtungen insbesondere in der „Führungsschicht“ entwickelten (ebd., S. 26). In den1930er Jahren wirkte der Nationalsozialismus mit Jugendaustauschprogrammen und über die aus Berlin finanzierte Zeitung „Deutsches Volksblatt“ (DV) auf die „Bessarabiendeutschen“ aktiv ein, auch wenn dies von rumänischer Seite zensiert wurde. Nach Bisle 1996, Tarutino, S. 51–54. Rumänisierung: Unterricht und Prüfungen mussten nun in der verbindlichen Amtssprache Rumänisch bewältigt werden. Bessarabiendeutsche dieser Jahrgänge lernten kaum die deutsche Rechtschreibung. Ebd., S. 79–80. Höhere Schulen: Die AbsolventInnen studierten in Bukarest und kamen als Lehrer nach Tarutino zurück. Ebd., S. 81–107. Akademiker studierten mit VDA-Förderung auch in Deutschland. Sie importierten nach Rückkehr den NS-Geist der 1930er Jahre.
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1926 erfolgt der Zusammenschluß der evangelischen Gemeinden mit der ev. Landeskirche in Rumänien. Dadurch wird die Fühlungnahme mit den andern deutschen Siedlungsgebieten in Rumänien gesteigert. Das [überschrieben: wirkte] sollte sich besonders während [überschrieben: einer] der Hungersnöteder Jahre 1934/36 [durchstrichen: aus] zeigen, als Siebenbürger und Banater Deutsche helfend eingreifen konnten. [Kreuzchen – Zufügung eines Absatzes auf der rechten Seite:] Aber der [eingefügt: stolze] deutsche Bessarabier macht nicht viel Aufhebens von dieser Zeit.93 [überschrieben: Sie waren] Er war Entbehrungen gewohnt, der inzwischen teuer gewordene Mais war mehr denn je das tägliche Brot. Die Maiswurzeln gaben getrocknet das Herdfeuer und die übrigen Bestandteile dieser Pflanze erhielt das Vieh. Diesen trockenen Jahren folgen wieder gute Ernten u. man erholt sich schnell von der dürren Zeit.94 [freie Zeile] Doch schon im Jahre 1940 folgt ein neuer Schlag. Russland macht seine alten Grenzansprüche95 geltend und so wird dieses Land zwischen Donau96 und Pruth von der Sowjet-Union einverleibt. [Fortsetzung linke Seite C13:] [durchstrichen: Im Jahre 1940 fällt Bessarabien an Russland zurück] Die Nachricht, daß die wolhynischen Volks- [S. C14:]genossen aus Russland in die Urheimat zurückgesetzt sind, hat auch unsere Deutschen in Bessarabien durch die Aetherwellen erreicht.97
93 Aufhebens: Kein Wunder, denn zur Hungersnot von 1934 hatte die NS-Oberin etwas falsch verstanden. Siehe folgende Anmerkung: 94 Hungersnöte: Angesprochen ist die schwere Hungersnot 1934 in der Ukraine. Diese betraf aber nicht Bessarabien, sondern die Menschen östlich des Grenzflusses Djnestr und hatte politische Gründe: „In Südrussland jenseits des Djnestr herrschte jahrelang Hungersnot, weil man den Bauernstand vernichtet hatte.“ (Bisle 2007, Sonnrosen und Piker, S. 48). Hungernde Ukrainer versuchten, über den Djnestr in die angrenzende „Kornkammer“ Bessarabien zu fliehen. Das östlich an Bessarabien grenzende „Podolien stöhnte unter den Kriegsverwüstungen und besaß nichts mehr. Bessarabien hingegen erfreute sich einer etablierten Ordnung und war wohlhabend. Hunger und Elend waren nur durch ein Gewässer vom Überfluß getrennt.“ Gagarin 1991 [1989], Blond war der Weizen, S. 225. 95 Alte Grenzansprüche: Bessarabien gehörte bis zum Ersten Weltkrieg zu Russland. Da auch die Nationalsozialisten nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen des „Deutschen Reiches“ nicht akzeptierten, drückt diese Sichtweise eine Art brüderlicher Akzeptanz der russischen Besetzung Bessarabiens im Sommer 1940 aus. Dahinter stand das geheime Zusatzprotokoll, das Hitler und Stalin im Rahmen ihres „Nichtangriffspaktes“ schon im August 1939 vereinbart hatten, um nach Kriegsbeginn die Grenzen Europas neu aufzuteilen. Für die Bessarabiendeutschen kam die russische Besetzung ihres Landes an einem Tag im Juni 1940 überraschend. Dem Deutschen Reich warf man das heimliche Protokoll vor: „Außenminister Ribbentrop beging die Ungenauigkeit, vieldeutig auslegbar in Absatz 3 zu formulieren: ‚von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteresse an diesen Gebieten (Südeuropa) erklärt.‘ Dieses Protokoll legte er Hitler am 24.6.1940 [...] vor.“ W. Mayer, Umsiedlung der Deutschen aus Rumänien 1940–1944. In: Mayer (Hg.) 1986, Weg aus der Steppe, S. 108. 96 Donau: Geografischer Fehler: Bessarabien ist der Landstrich zwischen Djnestr und Pruth. 97 Wolhynische Volksgenossen aus Russland: Die Umsiedlung der Wolhyniendeutschen aus dem besetzten Ostpolen fand bereits im vergangenen Kriegswinter 1939/40 statt, als Deutschland und Russland das Land Polen von zwei Seiten besetzten und unter sich aufteilten.
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Es hält sie nicht mehr. Sie haben zwar nur kurze Zeit unter dem Terror des Bolschewistentums gestanden.98 Sie sahen, daß [eingefügt: kurz] vor der Besetzung durch Russland die reichen Juden das Hasenpanier99 ergriffen [durchstrichen: haben]. Sie wissen, daß sie unter der SS [unleserlich: 2 weitere Großbuchstaben]100 [hinzugefügt durch X auf der rechten Seite:] und [durchstrichen: ihren] deren Bestimmungen ihr Deutschtum schwerlich halten können. Und immer wieder muß der mahnende Ruf durch den Rundfunk101 erklingen: Wartet ab! Haltet aus, bis Euch der Führer heimholt! Ueberall wo Deutsche außerhalb der Reichsgrenzen wohnen ist die große Sehnsucht102 erwacht: „Heim ins Reich!“ 198 Terror des Bolschewistentums: Gemeint ist hier das Pogrom gegen die „Volksdeutschen“ Bessarabiens am Ende des ersten Weltkrieges. Ihre Deportation nach Sibirien wurde nur durch starken Schneefall verhindert, der die Eisenbahnwege zufällig bis zum Ende des Krieges abschnitt. „Niemand konnte die Feindschaft begreifen, die uns entgegengeschleudert wurde, niemand verstand die Schikanen, denen wir ausgesetzt waren.“ Erinnerung eines Zeitzeugen aus Tarutino. In: Bisle 1996, Tarutino, S. 55. 199 Hasenpanier ergreifen: altertümlicher Begriff für „das Weite suchen“, fliehen. Hier mit abwertenden Unterton. Über die Verfolgung der Juden in Bessarabien und Bukowina durch die rumänische Eiserne Garde und Cuzisten in den 1930er Jahren vgl. Last 1960, Die letzten Juden. 100 SS[...]: (unleserlich). Mögliche Transkriptionen: SSTA, SSDA, SSDU, SSTU, SSPU, SSPA? Die unbekannte Abkürzung könnte die Sowjetunion oder den NKWD meinen, insofern in dem Satz mit „sie“ hier nicht die Juden, sondern die „Volksdeutschen“ in Bessarabien gemeint sind. – Nur wenige Jahre vor der Umsiedlungsaktion waren jenseits des Grenzflusses Djnestr u.a. „Volksdeutsche“ Opfer der stalinistischen „Säuberungen“ geworden, von denen man im benachbarten Bessarabien gehört hatte. Im Zeitraum zwischen August 1937 und November 1938 wurden allein im Bereich Odessa, das direkt hinter dem östlichen Grenzfluß zu Bessarabien lag, mindestens 1.727 Menschen durch den NKWD verhaftet und exekutiert. Fast ein Drittel der Ermordeten waren „Volksdeutsche“. Die Exekutionen konnten erst nach der „Perestroika“ durch die Öffnung der russischen Archive aufgearbeitet werden. Eine deutschsprachige russische Zeitung veröffentlichte die Namen der Opfer in langen, unvollständigen Listen. In: Neues Leben. Beilage der Prawda [Wahrheit] Nr. 25. Moskau (17.6.1992), S. 7–9. 101 Rundfunk: Das Radio spielt auch in der Zeitzeugenerinnerung eine wichtige Rolle: „Bei den wenigen Bewohnern, die ein Radio besaßen, trafen die Nachbarn sich jeden Tag. Endlich, nach sieben Wochen, am 5. September 1940, brachte der Rundfunk den Aufruf zur Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. Dann ist alles ganz schnell gegangen.“ Bisle 1996, Tarutino, S. 49. 102 Sehnsucht: Heimweh nach der langersehnten „Urheimat“ ist Propaganda. Die Bessarabiendeutschen befanden sich nach der russischen Besetzung 1940 in Entscheidungsnot, ihre reale Heimat aufzugeben. In der Erinnerungsliteratur sind unterschiedliche Haltungen dazu überliefert. Von kollektiven Glücksgefühlen berichtete der junge Konstantin Mayer aus Seimeny, der in den 1930er Jahren in Deutschland studiert hatte: „Ein Freudenschrei ging durch die gesamte deutsche Bevölkerung in Bessarabien als wir hörten, daß wir von der Volksdeutschen Mittelstelle heim ins Reich geholt werden“ (Mayer 1986, Weg aus der Steppe, S. 107). Andere Zeitzeugen erinnern dagegen ihre Not mit der Entscheidung für oder gegen die „freiwillige“ Umsiedlung: Ihre „Sorge war: ‚was wird jetzt aus uns, unter den Russen‘? [...] Albert und ich haben uns gefragt, ob wir nicht doch in Bessarabien bleiben können. Wir waren gerade erst auf einen grünen Zweig gekommen [...] Aber dann waren wir doch beide der Meinung: Wir können nicht darauf warten, dass die Russen uns verschleppen und wir irgendwo in Sibirien umkommen. Hier wird uns sowieso nichts mehr gehören, wenn die Russen die Macht übernommen haben. Wir wussten, wie
Q2/Tagebuch [S. C15:]
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II
[Anm.: Der Abschnitt hat keine Überschrift. Laut Gliederung (Q2/C1) ist die Überschrift für Teil II, S. 15–20: „Aufruf zur Umsiedlungsaktion Sammelplatz Wien“] August 1940. Viele unsere Kameradinnen arbeiten bereits in Belgien und Nordfrankreich, um dort zur Linderung der ersten Not beizutragen und die NSV-Arbeit an Mutter und Kind mit aufzubauen. Da heißt es: Die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen wird in Angriff genommen, 250 NS-Schwestern werden zur Mitarbeit abkommandiert! Unsere Herzen schlagen höher. Teilnehmen dürfen an einem ganz großen Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung stärksten Ausmaßes. Fieberhaft wird der Abruf erwartet. Doch die Zeit muß noch mit den vielen Vorbereitungen gefüllt werden. Aus-, Durch- und Einreisegenehmigungen müssen eingeholt werden. Dafür auszufertigen sind [S. C16:] Formulare und Unterschriften auch [eingefügt: eine Dutzendzahl von] Passbilder gehören dazu. [durchstrichen: Alles in vielfacher Ausfertigung] [darüber eingefügt: Das bedeutet, daß unsere Länder an dieser Aufgabe beteiligt sind.] Die gesundheitliche Eignung der „Auserwählten“ muß überprüft werden. [durchstrichen: Dazu gehören] [eingefügt: Einer] Chininbelastungsprobe103 und Typhusimpfungen [eingefügt: muß sich jede unterziehen.] Aber niemand empfindet diese Strapazen als Belastung, trotz [eingefügt: hohen] Fieberanstiegs wird gearbeitet, denn jeder will unbedingt geeignet sein. Dann wird die Sonderausrüstung104 in Empfang genommen. Der Tag der Abreise kommt heran. Am 3. September 1940 reisen aus den verschiedensten Gauen die Schwestern in Wien an, am [durchstrichen: 5.] nächsten Tage sollte die Einschiffung erfolgen. Doch sie wird verschoben. [Einfügung eines Kreuzes, das zu zwei Absätzen auf der rechten Buchseite verweist. Das erste Kreuz verweist auf einen Teil in Stenografie, der durchstrichen ist: Dieser verschlüsselte Abschnitt enthält jedoch nichts Interessantes. Der Übersetzer der Stenografie fand heraus: „die durchstrichenen stenografischen Aufzeichnungen entsprechen den langschriftlichen Ausführungen auf derselben Seite“.105] es den Deutschen auf der anderen Seite vom Djnestr gegangen ist. Nichts, was die Menschen an Eigentum besaßen, durften sie behalten. Nachts hat man die Männer geholt, und viele waren dann verschwunden auf Nimmerwiedersehen.“ (Bisle 2007, Sonnrosen Piker, 2007, S. 48). – Die Andeutung der Ängste vor den Russen bezieht sich auf die Enteignungen der „Kulaken“ (Großgrundbesitzer) und auf die Verhaftungen und Erschießungen von „Volksdeutschen“ durch den NKWD in den Jahren 1937/38 östlich des Grenzflusses zur Ukraine. Nach Bisle waren vor allem junge Leute von der Umsiedlung in die „Urheimat“ begeistert, während sich die Älteren durchaus besonnener verhielten (ebd.). Es blieb der „deutschen“ Bevölkerung Bessarabiens zu diesem Zeitpunkt die „freiwillige“ Wahl zwischen Hitler und Stalin. 103 Chinin: vorsorglich gegen Malaria. Die Krankheit wurde im Donaudelta der Dobrudscha „das Fieber“ genannt (vgl. Q6/Briefe). 104 Sonderausrüstung: Vgl. Q2/Tagebuch, S. C17, C18. 105 Horst Grimm, Brief vom 19.9.2007.
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Q2/Teil C Seite 16 rechte Seite oben: Ein Blick ins Tagebuch, der die Herausforderungen der Transkription verdeutlicht: verschiedene historische Schriftarten, Verweise, Streichungen, Korrekturen ... [2. Kreuz, rechte Seite] In Bukarest wird revoltiert.106 Die Eiserne Garde107 [durchstrichen: 106 Revolte in Bukarest: Der Grund für Verschiebung der am 3.9. eingetroffenen NS-Schwestern: Am Abend des 3.9.1940 besetzten „Legionäre“ öffentliche Einrichtungen und kämpften gegen königstreue Polizeieinheiten. Am 4.9. trat die Regierung zurück. Hintergrund des Aufstands war die erzwungene Abtretung Nordsiebenbürgens an Ungarn am 30.8.1940. Dem vorausgegangen war bereits im Juni 1940 die unerwartete russische Besetzung Bessarabiens und der Bukowina. Wikipedia: Eiserne Garde. URL: wikipedia.org/wiki/Eiserne_Garde (Abruf 20.2.2020). Großrumänien befand sich durch die Gebietsabtretungen „in einer über Nacht geschaffenen trost- und aussichtslosen politischen Situation“ bis „ein Revolverschuss vor dem Königspalast das Signal zum revolutionären Auftauchen des Generals Antonescu“ gab. Last 1960, Die letzten Juden, S. 250f., 264, 266. 107 Eiserne Garde: König Carol hatte 1938 eine „Königsdiktatur“ eingesetzt, um eine faschistische Regierung mit Ministern der „Eisernen Garde“ zu verhindern. Wikipedia: König Karl II (Rumänien). URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_II._(Rumänien) (Abruf 15.2.2020). – Schon in den 1930er Jahren überfielen und mordeten die antisemitischen „Gardisten“ oder „Legionäre“ Juden und Kommunisten in Rumänien. Dazu gehörten regelmäßig Hinauswürfe aus fahrenden Eisenbahnzügen. „Studenten, Pfarrer und Lehrer waren die Pfeiler der Bewegung“ dieses radikalen Antisemitismus. Nach der Revolte der Legionäre in Bukarest am 3.9.1940 begannen offene Pogrome. Die „Legionäre“ wurden so bedrohlich für die öffentliche Ordnung, dass selbst PutschGeneral Antonescu die „irregeleitete Jugend“ mit Militär und Maschinengewehren bekämpfen musste. Aus: Last 1960, Die letzten Juden, zit. S. 148, 66, 280. – Schon 1923 gründete ihr Führer, der Jurist Codreanu, zusammen mit Professor Cuza eine national-christliche Partei mit mystischen Elementen und einem Hakenkreuz-Emblem. Auch der „römische Gruß“ mit ausgestrecktem Arm gehörte zu den Ähnlichkeiten der „Grünhemden“ mit den deutschen „Braunhemden“ Ähnlich wie Hitler war Codreanu 1923 in Haft, schrieb seine Memoiren, errichtete 1934 Ar-
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muß eingreifen] greift ein! König Karol108 mit seiner Lupesku109 muß fliehen. Nun hat der Engländer [eingefügt: in Rumänien] ausgespielt! Ministerpräsident General Antonescu führt – es weht ein anderer Wind!110 In diesem Aufruf an das Land heißt es (VB 5.9.)111 „Es ist keine neue Regierung, es ist ein neues Regime. Nicht Worte, sondern Arbeit, nicht Zögern, sondern Taten. Eine ernste und schmerzliche Angelegenheit ist abgeschlossen. Ueber sie werde ich nicht den Schleier des Vergessens sondern der Gerechtigkeit breiten. Aber heute müssen wir den Staat und die Nation retten. Mit dem ganzen Einsatz müssen wir unsere Kräfte sammeln, unsre Ehre wieder aufrichten und unsere Zukunft sichern. Die wehren Völker formen aus den Niederlagen die großen Schicksale. Die Verfolgungen haben aufgehört. Jetzt muß die Jugend, die Hoffnung des Volkes, ihre Pflicht erfüllen, [durchstrichen: Unsere Nation] [Fortsetzung auf der rechten Seite C17, unter der Überschrift: Fortsetzung des Aufrufes] Unsere Nation soll ihre Gegenwart in der Geschichte beweisen. Die Beamten des Staates sollen verstehen, daß sich alles auf sie stützt. Sie sollen sich ihrer Verantwortung wert erweisen. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Arbeit sollen die Tätigkeit aller Beamten leiten. Ich werde die Regierung auf neue Grundlagen stellen. Das Programm werde ich euch vorlegen, damit Ihr alle es beurteilt.
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beitslager mit militärischer Ausbildung und wurde von seinen Anhängern faschistisch verehrt. Vgl. Wikipedia: Eiserne Garde. URL: wikipedia.org/wiki/Eiserne_Garde (Abruf 20.2.2020). König Karol: Carol II. bzw. Karl II. von Hohenzollern-Sigmaringen, 1930–1940 König in Rumänien. Nach der Besetzung Bessarabiens durch Russland auf dem Hintergrund des „Hitler-Stalin-Pakts“ hatte er sich im Juli 1940 an Hitler gewandt. Die deutsche NS-Regierung riet Rumänien zu einer „friedlichen Bereinigung der Bessarabischen Frage im russischen Sinne“. Dahinter stand das vom deutschen Außenminister Ribbentrop in einem Geheimabkommen mit Molotow bekundete Desinteresse an Bessarabien bei der Neuordnung Europas. „Rumänien befand sich in einem Zustand völliger diplomatischer und militärischer Isolierung.“ Jachomowski 1984, zit. S. 57, 55, 57. Der König wurde nach der Revolte in Bukarest von General Ion Antonescu zur Abdankung am 6.9.1940 gezwungen. Bei seiner Flucht am Folgetag wurde sein Zug von der „Eisernen Garde“ beschossen. Lupesku: Magda Lupescu (1896–1977), jüdischer Abstammung, hatte mit dem geschiedenen König Carol II. im Exil in Paris gelebt, weshalb er 1926 von der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Mit dem Versprechen, sich von ihr zu trennen, kehrte er 1930 nach Rumänien zurück und wurde König bis 1940. Am 6.9.1940 ging er mit Lupescu, die er 1947 heiratete, erneut ins Exil. Nach: Wikipedia: König Karl II. (Rumänien). URL: wikipedia.org/wiki/Karl_II._(Rumänien); Wikipedia: Magda Lupesku. URL: wikipedia.org/wiki/Magda_Lupescu (Abruf 15.2.2020). – Die antisemitischen Codreanisten hetzten gegen die Geliebte des Königs, sie würde die Regierung in jüdischem Sinne beeinflussen, als der König ab 1938 die „Legionäre“ verfolgte: „Es folgen zehn Minuten lange Pfui-Rufe auf Frau Lupescu – vermengt mit ‚Nieder mit den Juden‘. Von Deutschland kommt unsere Rettung – die Befreiung vom jüdischen Joche.“ Last 1960, Die letzten Juden, S. 68. General Antonescu:, anderer Wind: „Der Erlass des rumänischen Diktators Ion Antonescu ‚Curatirea Terenului‘ (Säuberung des Landes) hatte die Verfolgung und Ermordung vieler Juden zur Folge. Jene, die die Säuberungsaktionen überlebt hatten, wurden in Ghettos abgeschoben oder in primitive Lager verbannt, wo sie in Grashütten wohnten.“ Hogan 2002 [USA 2000], HolocaustChronik, S. 264. Schaubild zur Judenverfolgung in Bessarabien ebd. S. 264f. VB 5.9.: vermutlich Völkischer Beobachter 5.9.1940. Folgender Abschnitt zitiert einen Zeitungsartikel zwei Tage nach dem Putsch.
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Es wird ganz und gar dem einheitlichen nationalen Glauben entspringen. Allmählich werden wir die Erneuerung des Staates durchführen. Mit dem Glauben an Gott, an das heilige und unvergängliche Recht des Volkes vorwärts an die Pflicht!“ [Ende der zitierten Aufrufs.] [Fortsetzung des unterbrochenen Textes auf der linken Seite C16:] Wir [durchstrichen: wohnen] [eingefügt: harren der Abreise] in der Jugendherberge Augartenstr.112 [S. C17:] und benutzen die Zeit um Ortskenntnisse zu sammeln. Wien birgt ja so viel Schönes. Da ist die Oper, das Burgtheater, zur Zeit eine handwerkliche Ausstellung, man fährt nach Schönbrunn oder, wer Heurigen trinken will, nach Kahlenberg. [eingefügt: oder geht in den Prater]. Im Mittelpunkt des Interesses steht auch der Stefansdom113 [mit Kreuz eingefügter Absatz auf der rechten Seite unten:] Neu ist uns Norddeutschen der Wiener Caféhausbetrieb. Mit einer kleinen Gruppe haben wir trotz Regenwetter Schönbrunn besucht und stärken uns nun in einem kleinen Café. Der Kuchen mundet uns ausgezeichnet, trotzdem er nicht auf Tellern, sondern auf einer Papierserviette gereicht wird. Die Bedienung ist sehr aufmerksam, etwa alle 10 Minuten erhält jede von uns ein frisches Glas Wasser, obwohl wir dieses köstliche Muß im Augenblick garnicht entbehren. Und so reiht sich Glas an Glas, während wir sitzen und Karten- [Einfügung von D.R.:] Seite 18a [Fortsetzung folgende rechte Seite C18 unten: Fortsetzung von 17a] und Kartengrüße, aus der freudigen Stimmung der bevorstehenden Arbeit geboren, in die Weite senden. Ueberall begegnet man dieser, ich möchte sagen Wiener Zuvorkommenheit. Hält man irgendwo auf der Straße Ausschau, ist schon jemand bereit, „bitte schön, wohin wollens denn“. Dagegen sind wir in der Straßenbahn nicht zu weit gefahren, weil wir die [eingefügt: dialektischen] Ausrufe der [durchstrichen: Haltestellen] [eingefügt: Schaffner nicht verstanden]. [Fortsetzung des unterbrochenen Absatzes auf S. C17:] Und dann haben wir [durchstrichen: ja] im Wilhelminenspital und im Lainzer Spital Kameradinnen in der Arbeit am Krankenbett stehen.114Als wir [durchstrichen: in das] im Jungschwesternheim in der Jagdschloßgasse sind, haben die Schülerinnen des 2. Lehrganges gerade Unterricht.115 Er wird unterbrochen und wir müssen von unserer bevorstehenden Aufgabe und von unserer Sonderausrüstung erzählen.116 [seitliche Einfügung mit einem Kreiszeichen: Wie leuchten da die Augen unserer Zuhörerinnen. Die Weite des Landes wird ihnen aufgetan. Es wird uns allen von neuem bewusst, daß es für unseren Führer keine Schwierigkeiten gibt. Wo sind da die Grenzpfähle der Nation? Unbegrenzt sind Aufgaben u. Werke. Selbst der Krieg ist kein Hemmnis. [durchstrichen: Sie] Die Schülerinnen werden dann zu [S. C18:] einem gemeinsamen Singen zu uns in die Jugendherberge eingeladen, was die Jungen mit großer Begeisterung annehmen. So hatten sie doch noch Gelegenheit, den Inhalt des Rucksackes,117 den jede Schwester außer dem mit Wäsche und Dienstkleidung
112 Jugendherberge: Unterbringung der NS-Schwestern in Wien vor der Umsiedlungsaktion. Vgl. Q5/Foto A1. 113 Stephansdom: Q5/Foto A5. 114 Wilhelminenspital: Vgl. Q5/Foto A2 „Wien, Wilhelminenspital, Baracken der Jungschwestern“. Kommentar. 115 Lehrgang: Vgl. ebd. zum „ersten Lehrgang“ im Wiener NS-Jungschwesternheim. 116 Sonderausrüstung: Vgl. Q5/Fotos C1, C3. 117 Rucksack: Der Inhalt der Rucksäcke mit der „Sonderausrüstung“ für die NS-Schwestern wird an keiner Stelle genauer beschrieben.
Q2/Tagebuch
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gefüllten Koffer [durchstrichen: besaß] mitführte, richtig zu „beschnüffeln“. Es war ein froher Abend gemeinsamen Singens, dem noch einige Stehgreifspiele „der begabten“ beigegeben waren. Aber auch an die [eingefügt: geistige] Vorbereitung [gestrichen: zu] unserer Arbeit [durchstrichen: wurde gedacht] [eingefügt rechte Seite:] konnte in größerem Rahmen gedacht werden. Wir hörten Vorträge über die Besonderheiten der [eingefügt: deutschen] Menschen [eingefügt: im Südosten] und wurden aufmerksam, daß von dem [durchstrichen: K.] „Deutschländer“, das [überschrieben: waren wir] heißt von uns, eine besondere Haltung erwartet würde. Zum Schluß sprach zu uns der NSV Beauftragte [S. C19:] Pg. Lorenz.118 Seine bewährte Führung hatte auch die vorangegangenen Umsiedlungen gesteuert, u. traf er [gestrichen: nun] bereits seine Vorbereitungen [durchstrichen: in][eingefügt: i. Jugoslawien u.] Rumänien.119 Mit aller Offenheit ohne jede Beschönigung erzählte er von den bevorstehenden Strapazen [durchstrichen: u. dergleichen], [durchstrichen: sprach] gab noch einmal einen Gesamtriß von der Arbeit und forderte von jedem unbedingte Pflichterfüllung. oder Verzicht an der Aufgabe. Am 12. 9. 40 kam es zu der ersehnten Verschiffung. [durchstrichen: Noch einmal] Zum Hafen kam die Jungschwesternführerin [eingefügt: aus der Jagdschloßgasse120] mit einem Lehrgang und sang uns zum Abschied einige Volkslieder. [durchgestrichenes Kreiszeichen] Sie waren durch ein Nebentor gegen jede Vorschrift eingedrungen und ließen sich auch nicht zurückweisen. Der Kapitän [durchstrichen: ließ sich noch erweichen] hatte ein Herz für die Jugend, sie durften das Innere des Dampfers u. die Kabinen ansehen [S. 20:] bis das Zeichen zur ersten Schiffsmahlzeit [durchstrichen: mahnte] [zugefügt: und] gleichzeitig zum [durchstrichen: Aufbruch] Abschied mahnte. [Kreiszeichen mit dem Vermerk: „Siehe Seite 19 a“ – [Fortsetzung beim Kreiszeichen rechte Seite C19, Mitte:] Für Augenblicke fielen Schleier vor meine Augen u. alles ringsum versank, als mit weichen hellen Stimmen jene [durchstrichen: -s] [überschrieben: Lied] Worte [eingefügt: von Uhland?] erklangen, die ich seit der Schulzeit nicht mehr gehört „Feldeinwärts flog ein Vögelein und sang im munteren Sonnenschein mit süßem wunderbaren Ton: ade ich fliege nun davon. Weit weit reiß ich noch heut.“ [Markierung Doppelkreuz unten rechts – Fortsetzung am Doppel-Kreuz auf der rechten Seite C19, oben:] So sind wir alle nicht aus dem Schutz des Elternhauses in die Welt gegangen u. das Leben hat uns geformt, jeden nach seiner Art u. nach seinem Wollen. Und jetzt standen wir vor der Erfüllung einer Aufgabe, der als Auftakt das Erleben einer großen Kameradschaft gegeben war. Sie sollte uns hinführen zu den [eingefügt: deutschen] Menschen, denen das Schicksal [gestrichen: in] die Heimat ihrer Urväter zurückschenkte. Eine Heimat, die sie nicht kannten, die aber in ihren Herzen [eingefügt: von Geschlecht zu Geschlecht] unüberwindlich fortlebte. [Fortsetzung der Unterbrechung, S. C20:] Für uns ging es [durchstrichen: dann] nun ans Einrichten. Die kleine Zahl der uns [eingefügt: im Achterschiff] zur Verfügung stehenden Kabinenplätze wurde an die „älteren Semester“ ausgegeben. [(Folgender Absatz schräg durchstri-
118 Pg. Lorenz: SS-Obergruppenführer Werner Lorenz war demnach nicht nur Parteigenosse (Pg.) und Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, sonder zudem auch „NSV-Beauftragter“. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt war vorgesetzte Dienststelle der NS-Schwesternschaft. 119 Vorbereitungen in Jugoslawien u. Rumänien: Die Auffanglager für die Umsiedlung aus Bessarabien lagen in Galatz/Rumänien und Semlin/Jugoslawien. 120 Jagdschloßgasse: Vgl. oben in Q2/Tagebuch C17 Jungschwesternheim an der Jagdschloßgasse.
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chen: Alle anderen, etwa 80 Schwestern, hatten ihr gemeinsames Lager auf dem Fußboden des Speisesaals,121 der allabendlich um 22 h (durchstrichen: geräumt) (eingefügt: zum Schlafsaal umgewandelt) wurde. Eine Viertelstunde war (eingefügt: dann) alles still. Nur die Führerbesprechungen fanden (eingefügt: am 1. Abend) erst zu später Nachtzeit ein Ende.)] Wir auf der „Wien“ waren 103 NS-Schwestern [zugefügt rechte Seite: mit dem Ziel Galatz/Rumänien], während [durchstrichen: mit der] mit dem Schwesterschiff „Passau“ [durchstrichen: nur] 60 NS-Schwestern [zugefügt rechte Seite: Ziel Belgrad und Prahovo] fuhren. [Durchgestrichener Satz: Ein größerer Teil (eingefügt: Kameradinnen) wurde später für die Zugbegleitung eingesetzt.] Gegen 6 h des nächsten Morgens weckte das Geräusch der Dieselmotoren und langsam löste sich der Dampfer vom Kai zur Fahrt stromabwärts in für uns unbekanntes Land. [S. C21:]
III
[Der gesamte folgende Teil „III“ von S. C21 bis C 23 ist mit großen Kreuzen durchgestrichen!] [Die Überschrift für Teil III, S. C 21 bis C28 laut der Gliederung von Dorothee Rakow auf Seite C1 lautete: „Donaufahrt – Völker an der Donau u. ihr Schicksal“] Gegen 6 h morgens am 13. 9. 40 setzten sich die Dieselmotoren [eingefügt: des Schiffes Wien und Passau] in Bewegung. [durchstrichen: und] Wir [durchstrichen und dafür eingefügt:] fuhren stromabwärts. Die „Wien“ [durchstrichen: war] ist eines der modernen [zugefügt rechte Seite: 1938 erbauten] Dampfer der DDSG122 und fasst [durchstrichen: -e] 450 Bruttoregistertonnen. [durchstrichen: das hintere mit Bänken] versehene Oberdeck war überplant, das mittlere [durchstrichen: u. vordere Deck] [durchstrichen: war] geschlossen und diente tags als Aufenthaltsraum. Das weiter ausladende Mitteldeck hatte vorn u. hinten je einen Speiseraum, in dem etwa 80 Schwestern bequem essen konnten. Zu beiden Seiten des Ganges befanden sich die [eingefügt: wenigen Luxuskabinen und steuerbord noch die Küchen- und Anrichteräume. Für die Laderampe bezw. [eingefügt: den] Ein- u. Ausstieg war steuer- wie backbord Platz vorgesehen, außerdem backbord Waschräume u. Friseur. Letzterer war [S. C22:] während unserer Reise nicht notwendig. Beim ganzen Kommando hieß es: „Selbst ist der Mann“! Wir [eingefügt: Schwestern] waren nicht Alleinherrscher [eingefügt: -innen] des Schiffsraumes. Mit uns fuhren [durchstrichen: die] [eingefügt: etwa 100 Männer] des Umsiedlungskommandos, [eingefügt mit Kreuzchen-Ver-
121 Speisesaal: Ein opulenter „Speisesaal auf den Expressschiffen“ der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft (DDSG) ist abgebildet in: DDSG 1939 (Hg.), Handbuch Donaureisen, S. 14. 122 DDSG: Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Das von der „ersten“ DDSG in Wien herausgegebene „Handbuch für Donaureisen 1939“ im Nachlass von Dora P. ist an allen drei Außenseiten gestempelt als „Widmungsexemplar“. Privatarchiv J.
Q2/Tagebuch
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weis auf rechte Seite:] etwa [durchstrichen: 150] 60 Männer der NSV, 60 DRK Helferinnen und 80 Frauen vom Hilfsdienst, weiter einige Hebammen, SDG’s123 u. Ärzte.124 Der Schiffsraum musste also bis zum äußersten ausgenutzt werden. In den Luxuskabinen je zu dritt waren die Führer bezw. Führerinnen vom Dienst untergebracht. Die unteren Kabinen im Vorderschiff waren für Männer, die im hinteren für Frauen eingeteilt. Außerdem schliefen Frauen in beiden Speisesälen, während die Männer sich im Oberdeck breit machen konnten. Liegestühle standen überall zur Verfügung, wurden aber kaum benutzt. Doch halt! Das geschlossene Vorderdeck diente zur Unterstellung der Koffer und Rucksäcke. Die Mahlzeiten waren für die einzelnen [S. C23:] Kommandos genau eingeteilt und mussten [durchstrichen: genau] eingehalten werden. Unsere Schwestern machten täglich und sehr gern Küchendienst, d.h. Kartoffelschälen, Gemüse putzen usw. [zugefügt mit Kreuzchen-Verweis auf rechte Seite: Ungewohnt und neu war die Zubereitung von Paprika]. Die Gruppen wechselten sich jeweils ab, ebenso beim Tischdienst. Schon am Nachmittag des zweiten Tages lockten angenehme wohlbekannte Düfte zum Kaffeetrinken. Und dann gab es Schokolade zu kaufen. 10 Rmk125 Bargeld [durchstrichen: mitzunehmen, war erlaubt] [eingefügt: durften wir über die Grenze mitnehmen]. Und ein Kassensturz erlaubte auch noch diesen Luxus. Ein prüfender Blick stellte sofort fest, daß die Packungen deutsche Firmennamen trugen. Und die sollten wir selbst in Südrumänien noch oft finden. [Notiz rechte Seite C23, oben, durchstrichen: 10 Rmk Bargeld!?] [Es folgen fünf leere Doppelseiten S. C24 bis C28. ]126 [S. C29:]
IV [Anm.: Überschrift für Teil IV, S. C 29 bis C 58 laut Gliederung von Dorothee Rakow auf S. C1: „Arbeit in Galatz“] [Durchstrichen: Nach 5-tägiger Fahrt] So trafen wir am 17. Sept. mittags in Galatz ein. Der Kommandant hatte vorher alle Pässe der Kommandos eingesammelt, und die entsprechenden Formalitäten nun zu erfüllen. [durchstrichen: So konnten wir am] Und die [(zugefügt rechte Seite:) wir (durchstrichen: für das) dem Lagerkommando (eingefügt: Galatz) zugeteilt waren, 123 SDG: „Sanitätsdienstgrad“, männlicher SS-Sanitäter. Auch in den KZ waren SDG Hilfspersonal für die Lagerärzte. „Diese Sanitätsdienstgrade hatten oft keine oder nur kurze Krankenpflegehelferlehrgänge absolviert und verfügten daher nur bedingt über medizinische Kenntnisse.“ Wikipedia: Sanitätswesen (KZ). URL: wikipedia.org/wiki/Sanitätswesen_(KZ) (Abruf 21.2.2020). 124 Ärzte: Helmut Ritter, der als Medizinstudent als Gebietsarzt des Umsiedlungskommandos eingezogen war, erinnerte sich nicht daran, dass auf seinem Donauschiff ab Wien auch Krankenschwestern gewesen waren. Gespräch in Bremen, Mai 2007. 125 Rmk: Reichsmark. 126 Anmerkung zu den freien Seiten: Dem Teil „III“ hatte Dorothee Rakow in ihrer Gliederung zwar die Überschrift „Donaufahrt – Völker an der Donau und ihr Schicksal“ gegeben (S. C1). Bis hier beschrieb die NS-Oberin die Situation auf dem Donauschiff. Möglicherweise sollte auf den freigelassenen Seiten noch Allgemeines zum genannten Thema folgen. Andererseits könne die Lücke aber auch die Vermutung stützen, dass das Tagebuch als Buchmanuskript getarnt war.
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betraten)] am späten Nachmittag rumänischen Boden [durchstrichen: betreten], ohne durch die Zoll- und Passkontrolle behindert zu werden. Deutsche Lastkraftwagen standen bereit und deutsche Männer des NSKK127 waren uns behilflich. Wie angenehm war das alles, denn die Art der rumänischen Hilfe [durchstrichen: sol] lernten wir noch später auf einer Eisenbahnfahrt128 kennen. Hier aber überließen wir unser Gepäck [eingefügt: zuversichtlich] den deutschen Kameraden. Das deutsche Lager war etwa 7 km vom Hafen entfernt. Unser Weg führte durch die Stadt. Wir Mitteleuropäer stellen an eine Hafenstadt mit [durchstrichen: vielen / 2. durchstrichen: mehreren] 120 Tausend Einwohnern gewisse Ansprüche. Auf dieser ersten [S. C30:] Fahrt [eingefügt: bereits] sind sie vollends gesunken: Der Hafenplatz nur zum Teil gepflastert, die Straßen eng, ungepflegt, [durchstrichen: die Menschen] [eingefügt: über den meisten] Geschäften prangten jüdische Namen,129 Zigeunerkinder bettelten, auf den Stufen eines Ladeneinganges [durchstrichen: lag ein] in Lumpen gehülltes schlafendes Etwas. [durchstrichen: und] Viele ungepflegte Hunde bildeten oft ein Verkehrshindernis in dem ohnehin schon von Willkür beseelten Fuhrwesen. [im Ganzen durchstrichener Satz: Am meisten wurde als Zugtier (eingefügt: der Ochse) (durchstrichen: ein unserem Ochsen) (eingefügt: dem Büffel) ähnliches Hornvieh (eingefügt: der Ochse) benützt.] [zugefügt auf der rechten Seite: Als Zugtier war der Ochse vorherrschend. Bild!130] Man sah aber auch Pferde [eingefügt: erstes Wort unleserlich, dann: russischer Herkunft], kleine abgedroschene abgemagerte Tiere, auf die die Kutscher roh dreinschlugen. Eine Straßenbahn gab es auch in dem sich weithin ziehenden Ort. Jetzt bogen wir in die Straße zum Flugplatz131 ein. Der vor uns liegende LKW mit unserm Gepäck verursachte eine derartige Staubwolke, daß jede Sicht genommen war. Mit unserm Wagen war das nicht anders. [zugefügt rechte Seite: Die(durchstrichen: -se) Straße war ungepflastert]. [S. C31:] Und später wussten wir, daß dieser feine rötliche Staub eben zu der Landschaft gehörte. Doch da grüßten uns die deutschen und die rumänischen Landesfarben am Eingang des Lagers. Zur Begrüßung der Beßaraber Deutschen war ein großes Transparent aufgestellt. [zugefügt rechte Seite: Bild132] Ein Ruck! Der Wagen hielt. Jede von uns musste einen guten Sprung zur Erde tun. Für die turnerisch weniger Geübten waren wieder die starken Arme der Männer da. So, nun den richtigen Mann finden, der weiter hilft! Am Gebäude linker Hand das rote Kreuz auf weißem Felde, also Lazarettbetrieb.133 Gegenüber das Verwaltungsgebäude. Ein volksdeutscher Professor134 (ein Sportlehrer) empfing mich und klärte mich über den Lageplan des [durchstrichen: sich] 127 NSKK: Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps. 128 Eisenbahnfahrt: Gemeint ist die Eisenbahnfahrt Anfang November 1940 in die Bukowina im Anschluss an die Umsiedlungsaktion aus Bessarabien. Vgl. Q2/Tagebuch, weiter unten. 129 Jüdische Geschäfte: Als direkte Reaktion auf den Boykott jüdischer Geschäfte im NS-Deutschland wurden in Rumänien deutsche Geschäfte boykottiert. Vgl. Glass 1996, Zerbrochene Nachbarschaft, S. 389ff. 130 Bild, Ochse als Zugtier: Vgl. Q5/Foto-Serie G (Stadtbilder von Galatz). 131 Flugplatz: Das große Auffanglager auf rumänischem Boden, in dem die NS-Schwestern arbeiten sollten, wurde auf dem Gelände eines stillgelegten Flugplatzes bei der Stadt Galatz eingerichtet. Die Umsiedler wurden in den Flugzeughangars untergebracht. 132 Bild, großes Transparent: Vgl. Q5/Foto G2 (Lagereingang Auffanglager Galatz). 133 Lazarettbetrieb: Hier arbeiteten die der Wehrmacht zugeordneten Rot-Kreuz-Schwestern. 134 Volksdeutscher Professor, Sportlehrer: Vgl. Notiz zum 17.9. „Lazarett–Verwaltung–Volksdsch. Prof.“, in: Q3/Einzelblatt Nr. 1.
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kilometerweit [eingefügt: sich] erstreckenden Lagers auf. Ein Flugplatz, der vor wenigen Jahren vom [S. C32:] Engländer erbaut, und wegen der [eingefügt: jetzt] 3 km nahen russischen Grenze seinen eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen sollte. Die Hangars, große Hallen, waren bereits für die Unterkünfte der Umsiedler hergerichtet. Durchgehende Holzpritschen [durchstrichen: warteten auf die] [eingefügt: mit] Strohschütten u. Decken versehen. Zur Orientierung waren [durchstrichen: sie] [eingefügt: die Hangars] bezeichnet mit Namen, die in [durchstrichen: der den letztem] [eingefügt: diesem] Krieg bereits den Hieb u. Sieg unserer Massen kündeten: Narvik, Drontheim, Flandern, Dünkirchen,135 München u. Nürnberg dagegen als Zeugen unserer nationalsozialistischen Bewegung, u. Stuttgart die Stadt der Auslanddeutschen.136 Wir wurden einstweilen in einem Wirtschaftsgebäude untergebracht. Der mit uns gereiste [eingefügt: neue] Lagerkommandant137 [durchstrichen: hatte] den ich andern Tags [durchstrichen: aufsuchte] [eingefügt: zu unserer allgemeinen Freude begrüßen konnte], hatte aber Verständnis dafür, daß wir mehr zentral liegen müssten. Wir gingen gemeinsam [S. C33:] auf die Suche und fanden, daß bereits alle Räume, die in Betracht kamen, [zugefügt rechte Seite: von der schon länger anwesenden Mannschaften SS u. NSKK] „organisiert“ waren. [Durchstrichen: Da] [Satzumstellung: 1.) Wenn auch für diese Art Organisation Verständnis vorlag] [2.)] half nichts anderes als „Kommando“. Was musste die NSKK-Mannschaft nicht alles tun. Deutsche Frachter brachten Gebrauchsgeschirre für [zugefügt rechte Seite: das Lager] Eisenbahnwaggons eine ganze Apotheke mit Vorräten für die [durchstrichen: gamze] Umsiedlungsaktion, selbst Milchpräparate, für die ganz Kleinen „Alete“ und die andern Kinder Edelweißmilch, kamen aus Deutschland. Denn die Gesundheit [durchstrichen: musste] sollte schon vom Ausgangspunkt an sicher gestellt werden. Da sah man am Hafen und am Bahnhof immer „unsere“ Wagen, die vielen anderen Lebensmittel mussten aus der mehr oder minder weit entfernten Gegend geholt werden. Und waren die Männer jedes Mal 3 Tage auf der Achse, wenn Zucker [durchstrichen: geholt] [eingefügt: herangeschafft] werden musste. [S. C34:] Deutsche Zeitverhältnisse mussten eben ganz ausgeschaltet werden. [Verweis mit Doppelkreuz auf zugefügten Absatz rechte Seite: Eine große Reparaturwerkstatt für die LKWs u. PKWs hatte laufend zu tun, um die strapazierten Wagen, die zum Teil Beutegut aus den Niederlanden waren, in Ordnung zu halten.] Jedoch am dritten Tag unserer Anwesenheit konnten wir, dank der Unterstützung unseres Lagerkommandanten, die Vorbereitungen zu unserem Einzug im Hangar Dünkirchen treffen. Drei Schlafräume, ein [zugefügt: -en] Duschraum und der übliche Nebenraum [Verweis mit Kreuz auf einen zugefügten Absatz auf der rechten Seite: sollten wir unser nennen, ein Luxus den wir nie erträumt hätten. Die 4 Duschen waren unser (durchstrichen: ganzer) (eingefügt: aller) Stolz. Denn sie hatten wir nach allen bisherigen Schilderungen nicht erwartet, ebenso wenig – es muß schon gesagt werden – die beiden WC’s, die durchaus nicht rumänisch waren.] [vorher durchstrichener Absatz nach dem Satz, s.o.: „Drei Schlafräume, ein Duschraum und 135 Flandern, Dünkirchen: In diesen beiden Hangars betreuten NS-Schwestern Mütter und Kinder. Vgl. Q4/Lagerbefehle: Verteiler-Angaben. 136 Stuttgart, Stadt der Auslanddeutschen: Heute Sitz des Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und des Bessarabiendeutschen Vereins e.V. 137 Lagerkommandant: Vermutlich Perthen. Vgl. Q4/Lagerbefehle (Unterschrift auf mehreren Befehlen).
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der übliche Nebenraum“] [1 Wort eingefügt: Sie] waren [durchstrichen: durch] von einem Eingang zur großen Halle [durchstrichen: auf-] geteilt. Rechts ein großer Raum, 2 Fenster, 7 roh gezimmerte Bettgestelle, [eingefügt: 2 Kachelöfen], daneben ein kleines einfenstriges Zimmer mit 3 Gestellen [eingefügt: u. 1 Ofen], zur Linken das Zimmer hatte 5 Gestelle. Jedes Gestell einmal aufgestockt mit prall gestopften Strohsäcken versehen. Die vier Duschen waren unser [durchstrichen: -e Luxuskabine] [eingefügt: ganzer Stolz]. Denn sie hatten wir nach allen Schilderungen nicht erwartet, ebenso wenig [mit Kreuz-Verweis auf rechte Seite, durchstrichen: es muß gesagt werden,] die beiden WC, die durchaus nicht rumänisch waren. [Folgender Satz extra durchstrichen: Unsere Nachbarn waren die Feuerwache.] Nachdem die Scheuerteufel [S. C35:] ihr Fest beendet hatten, kamen die „Anstreicher“ an die Reihe. Sämtliche Fenster wurden in Blickhöhe geweißt als Ersatz für Gardinen. Der Einzug konnte stattfinden. Im Nu war alles [durchstrichen: belegt und] belebt. Die Jugend belegte den größten Raum. Außer der so sehr begrüßten Duschanlage war als weiterer Luxus je Person ein Hocker vorhanden, und von unseren Nachbarn [eingefügt: der Feuerwehr] wurden wir belehrt, daß es noch manches zu „organisieren“ gäbe. Wir hatten aber eine sehr verständnisvolle Verwaltung. Für die Mäntel u. Kleider wurden nach unserem Wunsche Stangen zum Aufhängen angebracht und in jedem Zimmer ein Regal zur Aufbewahrung der täglichen Gebrauchsgegenstände. So konnten Rucksäcke u. Koffer fein säuberlich aufgeschichtet [durchstrichen: in einer Ecke stehen][eingefügt: verstaut werden.] Einige Tische kamen später hinzu. Sehr bald waren wir so ganz „zuhause“. Inzwischen waren auch die erste Säuglingskoch- und Badeküche eingerichtet. Für die letztere hatte [S. C36:] uns das Verwaltungskommando seinen Waschraum zur Verfügung gestellt. Er war neben der [durchstrichen: Kochküche gelegen, in welcher sich ein Boiler fand, der allerdings] [Verweis mit Kreuzchen auf Zufügung, rechte Seite: mit einem Boiler versehenen Kochküche gelegen. Dieser Wasserkessel konnte allerdings] den großen Verbrauch an frischem Wasser nicht ganz befriedigen [durchstrichen: konnte]. [Zufügung eines Absatzes, rechte Seite: Die große Küche der Frauenschaft stand uns daher helfend zur Seite. Junge volksdeutsche Burschen trugen aus der 3 – 400 m entfernten Küche das frische Wasser herbei, um in der Arbeit keinerlei Stockungen auftreten zu lassen.] Die[durchstrichen: -se] Säuglingsküche stand sehr bald im Mittelpunkt des Interesses. Säule derselben, im wahrsten Sinne des Wortes war Schwester Hertha. „Unsere Gauoberin hat mich geschickt, damit die Leute da unten sehen, bei uns in Deutschland haben wir noch genug zu essen“ sagte sie mir mit einem lustigen Schalk in ihren klaren braunen Augen. Allen Unberufenen, die sich ihrem Wirkungsfeld näherten, war sie unnahbar. Mit stoischer Ruhe war sie unermüdlich den ganzen Tag bei der Arbeit. Da waren in der ersten Morgenfrühe die Flaschen für die Kleinsten zu richten, später wurden die weiteren Jahrgänge versorgt. Rechtzeitig musste das Gemüse bereitet sein und bis zum Abendbrei u. den letzten Sgl.Flaschen138 [S. C37:] waren noch verschiedene Mahlzeiten zu richten. Wer konnte wohl diese Arbeit besser verstehen als eine Schwester, die das Staatsexamen sowohl in der Krankenpflege als auch in der Säuglingspflege absolviert hatte u. seit langem schon in der verantwortungsvollen Gemeindepflegearbeit [durchstrichen: stand] [eingefügt: tätig war]. Ihr zur Seite standen eine Gemeindeschwester und unsere volksdeutschen Mädchen, bei einer Verpflegungsziffer die [eingefügt: zeitweise] über 500 Kinder [durchstrichen: stieg] [eingefügt: ausmachte]. Alle Lebensmittel erhielten wir durch die vorhandene NSV 138 Sgl.: Säugling.
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Dienststelle. Als nach einigen Wochen das Gemüse seltener wurde, konnten wir es direkt vom Markt für unsere Pfleglinge beschaffen. [Zufügung rechte Seite: Bild?] Anfangs wollten die Mütter nicht begreifen, daß man mit den Kindern sich soviel Mühe machte. Sie waren gewohnt mit den Erwachsenen zu essen u. hatten wir [durchstrichen: Mühe] [zugefügt: Not] sie davon abzubringen. [Verweis mit Kreuz auf Zufügung rechte Seite: Und bei der großen Zahl war das] erst mit Hilfe der Kindergärtnerinnen, die darüber wachten, [durchstrichen: war das] möglich. Sie halfen auch unseren Schwestern bei der Durchfüh- [S. C38:]rung der Kinderverpflegung. Einige Schwestern waren in der Sgl.Badeküche am Werk. Und gleich in den ersten Tagen meldeten sich zwei beßarabische Schwestern139 zur Hilfe, die wir dankbar annahmen, denn es gab viel zu schaffen. Bei Durchsicht ihrer Papiere stellte ich sogar fest, daß eine von ihnen bereits dem Reichsbund der freien Schwestern u. Pflegerinnen140 ange[durchstrichen: -hörte] [eingefügt: schlossen war], während die jüngere dem Hermannstädter Verein angehörte, in welchem sie in der Sgl.Pfl.141 ausgebildet war. [Kreuz mit Verweis auf Zufügung, rechte Seite, durchstrichen: Heute bereitet sie sich in einer unserer vielen Schulen für die Gemeindepflegearbeit vor.] [durchstrichen: Nach einigen Tagen wurde auch in unserm Schwesternlager Platz, sodaß sie] Beide [eingefügt: Schwestern wurden selbstverständlich auch] in unsere engste Gemeinschaft142 einbezogen [durchstrichen: werden konnten.] In der Badeküche waren 2–4 Schwestern von früh 7 h bis [durchstrichen: morgen] zum späten Nachmittag beschäftigt, ein Kind nach dem andern zu baden.143 Um keine Pause eintreten zu lassen holten junge volksdeutsche Burschen noch aus der [durchstrichen: großen Küche] [eingefügt: 3–400 m entfernten Wirtschaftsküche] unentwegt frisches [S. C39:] Wasser heran. Und Bei stillem sonnigen Wetter wurde auch noch draußen ein Badeplatz für die größeren Kinder hergerichtet. Schnell wurden unsere großen Strohmatten herbeigeschafft, ein paar Waschbütten dazu, Bretter auf gehäufte Ziegelsteine gelegt, die ein paar Bänke hergaben. So konnten die Mütter noch helfend eingreifen. [Verweis mit Kreis-Zeichen auf „Siehe Seite 40“. Zugefügter Absatz „zu Seite 39“, S. C40, rechte Seite: Strohmatten gab es in reicher Auswahl. Die Wagen der Trecks waren fast ohne Ausnahme mit ihnen verdeckt. Sie hielten warm und alle Witterungseinflüsse fern. So haben diese Matten im Laufe der (durchstrichen: Zeit) Lagerzeit recht vielseitige Anwendung gefunden.] 139 Zwei bessarabische Schwestern: Vgl. Q3/Einzelblätter Nr. 1: Vielleicht handelt es sich um „Viktoria M.“ und „Anne Lu.“? Von „volksdeutschen“ Krankenschwestern aus Bessarabien, die bei der Umsiedlung „abgeworben“ wurden und „Braune Schwestern“ wurden, berichteten mir Zeitzeugen 2007. Namen sind nicht überliefert. 140 Reichsbund der freien Schwestern u. Pflegerinnen: sog. „Blaue Schwestern“. Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 310. 141 Slg.Pfl.: Säuglingspflege. 142 Engste Gemeinschaft: Beinhaltete diese auch das Wissen über die „Euthanasie“-Politik im NSDeutschland? 143 Baden: Bei den genannten „zeitweise über 500 Kindern“ und einer angenommenen Zeit von 10 Stunden täglich (7 Uhr morgens bis 17 Uhr am „späten Nachmittag“) ergäbe das rechnerisch ca. 50 Säuglinge pro Stunde, die von ca. 3 Schwestern (Mittel von „2-4“) gebadet wurden. Das wiederum ergibt für jede Schwester ca. 27 Säuglinge pro Stunde und für jeden Säugling etwa 2–3 Minuten pro Bad, incl. An- und Ausziehen. – Für eine richtige Berechnung wäre Voraussetzung, die Anzahl der Säuglinge unter den 500 Kindern zu kennen und bis zu welchem Alter sie überhaupt täglich gebadet wurden und ob die Mütter der Säuglinge auch daran beteiligt wurden.
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[Fortsetzung S. C39 mit durch Kreuz-Verweis zugefügtem Absatz auf der rechten Seite: (durchstrichen: Jetzt sahen wir, wie notwendig) (eingefügt: Wie schön, daß wir gleich in den ersten Tagen für) das zusätzliche Vorhandensein von Badetüchern, Seifentüchern, Windeln, Hemdchen u. Jäckchen gesorgt hatten. (Verweis mit drei kleinen Kreuzchen auf „siehe unten“ auf einen Satz rechte Seite unten:) Einige Ballen Frotteestoff verarbeiteten die (durchstrichen: Schwestern, welche in den ersten Tagen nicht gleich zum Einsatz kamen, zu Bade- und Seifentüchern.) in den ersten Tagen überzähligen Schwestern zu Bade- und Seifentüchern.] [Verweis mit kleinem Kreuzchen zurück nach S. C39, rechte Seite, oben: Gleich nach unserer Ankunft hatten wir der Hilfsstelle MuKi144 unsern voraussichtlichen Bedarf an Wäsche, Gebrauchs- und Küchengegenständen angegeben, sofort war die Sachbearbeiterin mit Dolmetscher zum Einkauf unterwegs. Etwas schwierig wurde die Beschaffung von Sgl.Körben u. der Kochtöpfe über 30 Ltr. Inhalt. Es (durchstrichen: wurde) (eingefügt: war) aber doch möglich, die Kleinsten bis zu 1/4 Jahr in Körbchen zu legen, die volksdtsche. Gruppe (eingefügt: in Galatz) nähte145 uns noch schnell Kissenbezüge für die Wolldecken zum Zudecken, denn die Nächte waren oft bitter kalt]. [Fortsetzung S. C39, linke Seite:] Als dann noch Umsiedler aus den siebenbürgischen Flüchtlingslägern Hermannstadt u. Kronstadt kamen146, wurden auch [unleserlicher Wortteil, evtl.:] Cuprex–kappen147 nötig. Überhaupt tauchte von Zeit zu Zeit mal hier eine Kopflaus und dort eine Kleiderlaus auf. Sofort wurde der betroffene Hangar gesperrt. Früh 6 h alles antreten zur Kontrolle! [Zufügung rechte Seite: Bild!] Die Männer wurden von SDG’s nachgesehen, Frauen und Kinder von den Schwestern. Erfolg waren einige Läusekappen u. einige Kleider- u. Wäschedesinfektionen. Bild!148 [S. C40:] Das Strohlager der betreffenden [durchstrichen: und die] wurde [eingefügt: zwecks Verbrennung] entfernt, die Wolldecken ebenfalls desinfiziert. [Zufügung rechte Seite: Bild!149] Eine Familie, Dauergäste im Lager, musste wiederholt gesäubert werden. Die Lagerschwester war untröstlich darüber. Es war eben nicht zu schaffen. Doch da sind wir schon bei der Arbeit der Lagerschwestern. Sie waren für die gesundheitliche Betreuung aller [durchstrichen: Lag] Umsiedler verantwortlich. Eine große und schwierige Aufgabe. In den Hangars Dünkirchen u. Flandern waren [eingefügt: ja weit] über 1000 Menschen [durchstrichen: zeitweise] untergebracht. [Es folgt ein durchstrichener Absatz: Der Säuglingsküche musste täglich die Zahl der Kinder altersmäßig angegeben werden, extra die Flaschenkinder. Desgleichen wurden bei 144 MuKi: Hilfsstelle Mutter und Kind, Abteilung der NSV. 145 Vgl. Q5/Foto H6 (Nähende Schwestern). 146 Siebenbürgische Flüchtlingslager: Dieser Satz „Als dann noch ...“, sofern er später geschrieben ist, könnte eine Spur legen zur Aufklärung der Lücke in Dorothee Rakows Biografie zwischen Mai und Juli 1941. Denn ein „Nebenschauplatz“ der Umsiedlungsaktion war die „VerwandtenNachumsiedlung“ aus Rumänien (Banat und Siebenbürgen), die im Anschluss an die Umsiedlungen aus Bessarabien/Dobrudscha/Bukowina Mitte Mai bis Ende Juni 1941 stattfand. Vgl. Jachomowski 1984, S. 111f. – Andererseits könnten Aktivitäten der NS-Schwestern im Lager Galatz vor dem Eintreffen der ersten Bessarabiendeutschen gemeint sein (Kap. II.C.Spur 6 Vorumsiedlungen im Lager Galatz). 147 Cuprex: Vermutlich handelt es sich um die in den folgenden Sätzen genannten Läusekappen. Vgl. Kap. II.C.Spur 7 Entlausungen. 148 Bild!: Gemeint ist: Q5/Foto G3. Handschriftliche Notiz auf der Rückseite: „Galatz Entlausung“. 149 Bild!: Leider sind die Fotos im Nachlass nicht vollständig.
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Abgängen den Schiffsschwestern diese Zahlen mitgegeben. Auf die Schiffsarbeit komme ich noch später zu sprechen.] Kinder mit Husten, Durchfällen oder [S. C41:] sonstigen krankhaften [überschriebenes Wort: Zeichen] Anzeichen wurden dem Arzt vorgestellt. Aber auch auf die Erwachsenen musste sehr geachtet werden. Da gab es manches erst zu lernen. Der eine sagt: „Ich hab die Hitz“, der andere: „ich habe ‘s Fieber“. Wir meinen vielleicht, es ist das Gleiche . Oh nein! Der erste hat eine fieberhafte Halsentzündung, dagegen der andere ist mit Malaria belastet. Sehr bald hatte sich herumgesprochen, daß die fieberhaft Erkrankten oder sonstige bedeutsame Störungen im Lazarett unter Absonderung von den Angehörigen behandelt würden. Und von der Sippe getrennt [durchstrichen: zu] werden, wollte man unter allen Umständen vermeiden. Die Schwester musste daher ein sehr waches Auge haben, besonders wenn Transporte aus Malariagebie-[S. C42:]ten kamen. [Verweis mit Kreuz auf Zufügung rechte Seite, oben: Die vom Fieber Befallenen verkrochen sich irgendwo, um nur nicht gesehen zu werden. Nach dem Fieberanfall betrachteten sie sich als gesund.] Infektionskrankheiten trafen wir seltener. Dagegen zum Teil schwer rachitische Kinder. [Verweis mit 2 Kreuzen auf einen zugefügten Absatz, rechte Seite, mitte: Von den neu eingetroffenen Umsiedlern kommt eine Mutter mit ihren 4 Kindern zur Säuberung derselben in die Badeküche. Drei von ihnen im Alter von bis zu 8 Jahren sind wohl genährt, aber das Jüngste! Es ist kaum zu beschreiben: im Alter von 9 Monaten, das Längenwachstum ungestört, der ganze Körper ohne Muskulatur, nur von einer zäh ledernen Haut umgeben, der Gesichtsausdruck ist der eines leidenden alternden Menschen. Und diese unruhig fragenden Augen eines Kindes kann man so leicht nicht vergessen.] Das Lazarett richtete ein besonderes Kinderkrankenhaus ein, dessen Betreuung sich die Oberwachtführerinvom RK besonders angelegen sein ließ.150 Da sehr schnell jedes Bettchen und Körbchen belegt und die Anforderungen an die Ernährung der Kleinen immer höher wurden, übernahm eine unserer Säuglingsschwestern [zugefügt: eines Tages] diese verantwortungsvolle Aufgabe. Wir hatten mit dem RK u. den Ärzten eine ausgezeichnete Zusammenarbeit. [Verweis mit 3 Kreuzchen und „siehe 42/43“ auf einen Absatz rechte Seite, unten: An drei verschiedenen Orten des sich über mehrere Kilometer erstreckenden Lagers war eine Ambulanz eingerichtet, die (durchstrichen: von einem) (überschrieben: ein) Arzt führte. Eine Schwesternhelferin vom RK u. SDG’s unterstützten ihn, (Fortsetzung mit „bitte wenden!“ auf S. C43, rechte Seite, oben:) unsere Lagerschwestern führten dieser Ambulanz alle Kranken zu, die (durchstrichen: dem) (eingefügt: für) Lazarettaufnahme in Frage kamen, oder sonst vom Arzt angesehen werden mussten.] [Fortsetzung S. C42:] Inzwischen wurde [durchstrichen: auch unser] [überschrieben: der] Lagerbetrieb immer größer. Die NSV hatte [durchstrichen: inzwischen] 16 weitere große 400 Lit. Kesssel aufgestellt und einen umfangreichen Küchenbetrieb auf die Beine gestellt. Und hier waren auch für uns 2 weitere Räume zum Kochen und Baden da. Die Entstehung dieser [eingefügt: unserer] Küche muß erzählt [S. C43:] werden. Die Erfordernisse, Herd für 4–500 Portionen, [durchstrichen: hatte ich] [eingefügt: wurden] dem 150 Oberwachtführerin vom RK: Weibliche Führerin des Roten Kreuzes. Vgl. Q5/Foto P8: Hier könnte eine Oberwachtführerin in Rotkreuz-Tracht neben der NS-Oberin abgebildet sein.
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Bauingenieur bekannt gegeben. Als ich mich eines Morgens von der fortschreitenden Arbeit überzeugen will, entdeckte ich einen fertigen Herd mit kl. Backofen, Wasserspeicher mit Abflussrohr und – Herdplatte mit 3 Kochlöchern von etwa 25–30 cm Durchmesser. Ich traue meinen Augen nicht, die Arbeiter verstehen mich nicht, holen ihren Meister, mit dem man sich wenigstens in französischer Sprache verständigen kann.151 Also: Backofen u. Wasserspeicher in Ordnung, Herdplatte mindestens 5 mal größer, Kochlöcher überflüssig! Herd wird abgerissen u. am nächsten Tage bereits steht einer, der mit unseren Verhältnissen konkurrieren kann. [im Original ohne Absatz weiter:] Wieder hält eine Säuglingsschwester Einzug. Doch ihr kann [durchstrichen: ich k] eine erfahrene Hilfe [eingefügt: nicht] mehr [S. C44:] [überschrieben: geben] beigegeben [eingefügt: werden]. Jede Schwester hat ihr fest umrissenes großes Arbeitsgebiet. Aber wer [Zufügung rechte Seite: Staatsexamen u. langjährige Erfahrungen in Kranken- u. Sgl.pflege] und jahrelang in der Gemeindearbeit gestanden hat, lässt sich durch nichts mehr erschüttern. Der Lärm u. unruhige Verkehr der großen Küche berührt sie nicht. Auch in ihrem kleinen Reich ist ein Kommen und Gehen. Am Tisch gleich neben dem Herd streicht ein Mädchen Brote, ein anderes passiert Gemüse. Am Abwaschtisch werden einige hundert Becher der letzten Mahlzeit gespült. Ein Rumäne, der mit einer Volksdeutschen verheiratet ist kein Wort deutsch spricht, aber umgesiedelt werden möchte,152 schichtet gerade Holz zum Feuern auf. Am Fenster wartet eine Frau auf Aplone,153 die Schwester aus Zelt 13 hat sie [eingefügt: mit einem Zettel] geschickt. Die Badeschwester von nebenan erkundigt sich nach dem Heißwasservorrat. So geht es den [S. C45:] ganzen Tag. [durchstrichen: Doch] Da hören wir eben, daß [2 unleserliche Worte überschrieben, eingefügt: auch] Zelte [durchstrichen: angelangt vorhanden] belegt worden sind. Bei unserer Ankunft waren es [überschrieben: noch] nur die Gerüste. Die Aufschriften nannten eine Augsburger Firma als Herstellerin. In einigen Zelten waren nur Männer anzutreffen. Prächtige kernige deutsche Gestalten.154 Unterhielt man sich mit ihnen, sammelte sich langsam ein Kreis und nur einer war ihr Sprecher, wenn man nicht direkt an den einen oder anderen das Wort richtete. Sie waren mit den Trecks gekommen. Ihre Familien [durchstrichen: zogen voraus] [eingefügt: reisten voran] und befanden sich voraussichtlich schon im Reich. Welche Zuversicht lag in den Gesichtern! Nur sparsam berichteten sie von dem was hinter ihnen geblieben war, von der [durchstrichen: unleserlich] [eingefügt: Steppe], die ihnen Heimat und deutscher Boden war.155 Boden, den deutscher 151 Französisch: Die Arbeiter waren vermutlich Rumänen. Die rumänische Sprache ist mit der französischen verwandt und zwischen Rumänien und Frankreich gibt es historisch enge interkulturelle Beziehungen. 152 ���������������������������������������������������������������������������������������� Zum Thema Mischehen vgl Kap. II.C.Spur 4: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 96; Hausleitner 2018, Mischmasch. 153 Aplone: Das Medikament „Aplona“ brachte der Gebietsarzt „in Massen“ aus dem Lager Galatz mit in sein Gebiet Albota zur Behandlung der „bessarabischen Krankheit“ (Durchfall). Vgl. Ritter: Meine Arbeit als Gebietsarzt. In: Pampuch 1941, Heimkehr, S. 128–135. 154 Deutsche Gestalten: Möglicherweise die „SS-Bewerber“ in: Q4/Lagerbefehle, Kürzelliste der Verteilers. 155 Deutscher Boden: Bis 1812 war die bessarabische Steppe türkisch, dann über mehrere Generationen russisch, seit dem Ersten Weltkrieg rumänisch, und kurz vor der Umsiedlung 1940 wiederum russisch besetzt. Die deutsche Volksgruppe in Bessarabien war 1940 in Rumänien eine Minderheit von unter 2 % Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Vorfahren der Umsiedler waren im 19. Jahrhundert nach Russland ausgewandert. Von „deutschem Boden“ kann also keine Rede sein.
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Fleiß nutzbar machte. Dörfer, die z.T. bis heute deutsche Namen führten. Einige der Männer haben im Weltkrieg unter deutschen Fahnen gestanden.156 [S. C46:] Unter dem alten Russland ging es ihnen gut. Sie hatten die Möglichkeit einer Ausweitung ihrer Kolonien. Da ist das Dorf Leipzig.157 Zu beiden Seiten einer ungepflasterten etwa 10 – 12 m breiten Landstraße sind die Häuser der Siedler errichtet. Jeder Wirtschaftshof umfaßte etwa 1 ha Land. Das Wohnhaus wurde mit dem Giebel zur Straße gebaut. Man unterschied 2 und 3 wandige Häuser, das waren [durchstrichen: sicher] 2 oder 3 tragende Mauern. Für die Grundmauern wurde nicht wie bei uns der Boden ausgeschachtet, sondern 60–70 cm hoch aufgeschüttet, woraus sich ergab das zum Eingang immer [eingefügt: Holz-]stufen führten. Das Äußere der Häuser weiß [eingefügt: oder mattgrün] gekalkt, [durchstrichen: einfache] [eingefügt: Doppel-] Fenster meist gelb [eingefügt: oder dunkel] gestrichen [durchstrichen: mit Holzböden davor].158 Fortsetzung Blatt 48. [S. C47:] In einem anderen Zelt finde ich eine Anzahl Frauen, die mit den Trecks gezogen kamen. Eine von ihnen hat den r. Arm in einer Mitelle. [durchstrichen: Unterwegs] [eingefügt: Auf der Fahrt] [überschrieben: hatte] wurde sie [eingefügt: von] ein[eingefügt:-em] entgegenkommenden [eingefügt: motorisierten] [überschrieben: Kraftwagen] Bolschewistenwagen angefahren. Der leichtere Treckwagen wurde umgeworfen, [Satzumstellung, 1.)] ein Armbruch war die Folge. [2.):] [überschrieben 1 Wort unleserlich] [eingefügt: Ihr 3 jähr. Bub blieb unversehrt] [durchstrichen: während der Mann mit dem Schreck davon kam, erlitt seine Frau]. Einige kräftige Flüche wurden dem enteilenden Wagen von den Männern nachgeschickt. Ja, warum führten [durchstrichen: die] Frauen den Treck? Bevor das Gebiet den Russen übereignet wurde, u. noch unter rumänischer Herrschaft stand, waren ein Teil der Siedler zum rumänischen Heer einberufen. Eine Rückkehr war nicht möglich und so übernahm jeweils die Frau ganz selbstverständlich neben ihrer eigenen Aufgabe auch die Mannesarbeit. Der 3 jährige Knabe war das einzige Kind hier im Zelt. Ohne Scheu kam er mit in den Kindergarten, [Zufügung rechte Seite: nach dem Hangar Flandern], wo er mit Staunen und ungelenken Bewegun-[S. C48:]gen sich an den Spielen der anderen Kinder beteiligte. Volksdeutsche Kindergärtnerinnen [durchstrichen: aus Jugoslawien] führten die Gruppe der Kleinen. Ein 4 jähriges Mädchen [eingefügt: Olga] mit [überschrieben: roten Paus]bäckchen und kurz geschorenen Haaren hatte das [überschrieben: Köpfchen auf ] Näschen zwischen dem Polster ihrer runden Ärmchen auf die Tischplatte gedrückt u. schlief unbekümmert. In einer Pause machten wir ihr sanfte Vorwürfe, sie würde ja nichts lernen, aber mit fast überlegenem Lächeln wiederholte sie das zuletzt gesungene Lied von den fleißigen Handwerkern. Eine Freude für uns waren auch drei etwas abseits liegende „Bleiben“.159 Hier wurden [durchstrichen: die] Frauen mit ihren Kindern untergebracht, deren Männer mit den Trecks 156 Deutsche Fahne: Im Ersten Weltkrieges kämpften bessarabiendeutsche Männer aber auch im russischen Militär gegen Deutschland und kamen anschließend in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zeitzeugenbericht, in: Hirsch 2007, Entwurzelt. 157 Leipzig: eine der 20 „Mutterkolonien“, die 1815 von deutschen Kolonisten im russischen Bessarabien angelegt wurde, benannt nach der Völkerschlacht bei Leipzig von 1813, der entscheidenden Schlacht in den Befeiungskriegen gegen die Napoleonische Herrschaft. Heute: Serpnewoje/ Ukraine. Vgl. Lächelt 1982, Heimatbuch Leipzig. 158 ����������������������������������������������������������������������������������������� Zum Hausbau in Bessarabien vgl. Handskizzen und Notizen der NS-Oberin, in: Q3/Einzelblätter Nr. 10. 159 Bleiben: Vgl. denselben Ausdruck, in: Q4/Lagerbefehle, Kommentar, Liste der Verteiler-Kürzel.
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nachkamen. Unter ihnen sah man viele große blonde Gestalten, prachtvolle Kinder von gepflegtem Aussehen. Oft kamen die Transporte spät abends [eingefügt: oder nachts]. Heißer Tee für die Erwachsenen und eine Breimahlzeit für die [S. C49:] Kleinen war schnell zubereitet. Die [eingefügt: größeren] Kinder nahmen erst nach gütigem Zureden. Mit großen Personenkraftwagen waren sie von unseren NSKK Männern von der [eingefügt: russischen] Grenze geholt, und nun waren sie [durchstrichen: doch] auf rumänischem Boden. Aber deutsche Frauen standen hier zur Hilfe bereit, das veranlasste einen etwa 10jährigen Jungen zu der Frage: „Ist das Adolf Hitlers Haus“ und wie dankbar war er für die Antwort „ja das hat der Führer Adolf Hitler alles für Euch bereit gestellt!“ 15 – 20 000 Menschen waren zeitweilig im Lager zu verpflegen. Das war für die NSV in einem Lande, das Massenverpflegung in dieser Größe u. Güte nicht kannte, eine ungeheure Leistung. Die rumänische Stadtverwaltung in Galatz hatte Sorge, daß dabei die Lebensmittelversorgung der rumänischen Bevölkerung [durchstrichen: nicht] in Frage gestellt wurde. Der Lebensstandard dieses Volkes ist ja [S. C50:] weit niedriger als der unsere. Nur die wenigen begüterten Menschen stellen höhere Ansprüche. Die allgemeine Lagerverpflegung bestand [durchstrichen: aus dem Morgenfrühstück, dem Mittagseintopfgericht, dem Nachmittagstee u. dem] aus 4 Mahlzeiten. Zum Morgenfrühstück gab es schwarzen gesüßten Tee, reichlich Butter, [durchstrichen: Tomate, Paprika] Brot u. Pflaumenmus, mittags ein kräftiges Eintopfgericht, nachmittags wieder Tee Brot u. Mus u. abends wieder ein warmes Gericht. Zum Mittag- und Abendessen wurde Brot gereicht, da die Umsiedler davon große Mengen verzehrten. Wir Schwestern, die wir zum Lagerkommando gehörten, erhielten zusätzlich Butter u. Wurst für ein 2. Frühstück. Die Umsiedler wurden unter freiem Himmel [Zufügung rechte Seite: Bild] beköstigt, nur an den wenigen Regentagen wurde die Verpflegung in die Zelte oder die Hangars gebracht. Das Lagerkommando hatte einen [durchstrichen: bestimmt] [eingefügt: großen] Raum zur Verfügung, wo sich die einzelnen Kommandogruppen zu bestimmten [S. C51:] Zeiten einfanden. Deutsche Frauen aus dem Hilfsdienst der NS-Frauenschaft ließen in der Heimat den eigenen Herd, um hier tatkräftig zum großen Gelingen beizutragen, volksdeutsche Mädchen u. Frauen aus Südslawien standen ihnen zur Seite. [durchstrichen: J] Die Arbeitsführerin [eingefügt: -nen] konnten zusätzlich die jeweils notwendige Zahl an Arbeitskräften zum Gemüseputzen, Geschirr spülen usw. aus der Zahl der Umsiedler erhalten. Auch wir haben Helferinnen gehabt, die glücklicherweise meist längere Zeit im Lager blieben und dadurch ihr tägliches Amt kannten. Sie waren gern bei uns u. [durchstrichen: unt..] öfters fragten [durchstrichen: die ] junge Mädchen ob sie zur Hilfe kommen dürften. [durchstrichen: Noch] [eingefügt: Bald nach Schluß der Arbeit], mitte Oktober setzte plötzlich ein starker Regen ein, der das ganze Gelände unwegsam machte und die Arbeit ungeheuer erschwerte. Zu den Hangars führte wohl eine feste Straße, die eben nur überschwemmt war; aber zu den Zelten zu gelangen war doch recht schwierig. Der Boden war völlig aufgeweicht [S. C52:] und unsere guten Halbschuhe blieben einfach im Schlamm stecken. Die Schwestern aus den Landgemeinden waren mit Stiefeln versehen, wir anderen mussten eben so auskommen. Am schlimmsten waren die Schwestern dran, die weit draußen auf dem Gelände in den Zelten zu tun hatten, in dem verschlammten Boden [durchstrichen: blieben die Schuhe einfach stecken] [eingefügt: kamen sie kaum vorwärts]. Verbunden mit diesem unliebsamen Zwischenfall war ein ungeheurer Temperatursturz, bei dem unsere Sonderausrüstung angenehm in Erscheinung trat, die wunderbaren Mäntel, die weder Wind noch Regen durchließen, unsere warmen Loden-
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röcke und die so oft zur Debatte stehenden Hüte. [durchstrichen: Alles war] [Zufügung rechte Seite: Wenn auch bei den letzteren die Frage der Schönheit ungeklärt blieb, so waren sie doch] unerlässlich und angenehm. Unsere ganze Sorge musste bei diesen kalten Nächten den Kindern gelten, um Erkältungskrankheiten zu verhüten. Schnell wurden Strohmatten als Windschutz angebracht oder als Wärmespender noch auf das Lager gedeckt. [S. C53:] Für die Kleinsten gab es Gummiwärmflaschen ins Körbchen, und die Nachtschwester hielt [überschrieben: heißen] immer heißen Tee bereit. Wir mußten [überschrieben: immer] stets daran denken, daß die Umsiedler [eingefügt: die Strapaze] einer 12 – 14 tägigen Reise [eingefügt: noch] vor sich hatten und alles getan werden mußte, sie widerstandskräftig zu erhalten. Um die Kleinsten vor den so sehr gefährlichen Darmerkrankungen zu hüten, wurden sie, sobald die russische Grenze überschritten war, bis zum 1. Lebensjahr mit Aletemilch genährt, während die [durchstrichen: gro] Kinder [eingefügt: mindestens] bis zum 4. Lebensjahr Edelweißmilch erhielten. [Kreuz-Verweis auf Zufügung rechte Seite: Vitamine wurden in Form von Cebion verabreicht.] Die NSV hatte [eingefügt: auch da] vorgesorgt u. Lager, [eingefügt: Transport], Schiffe u. Eisenbahnzüge damit versorgt. Eine Bekleidungskammer gab die nötigen Säuglingsausstattungen u. Schuhe u. Bekleidung für Kinder u. Erwachsene her. Ein Teil der Umsiedler berührte das Auffanglager Galatz nicht. Sie wurden in dem russischen Hafen Kilia oder Reni verschifft und erst in Prahovo [S. C54:] oder Belgrad ausgeladen, wo sie nach einer Ruhepause mittels Eisenbahn ins Reich befördert wurden.160 [2 Worte unterstrichen:] Hafen Reni: Eins der Umsiedlungsschiffe ist am Vormittag eines Oktobertages eingelaufen, um 1000 Umsiedler an Bord zu nehmen. Schon vor einer halben Stunde wurden Pässe und Fotoapparate abgenommen, die [eingefügt: mit dem an Bord befindlichen Rundfunkapparat] versiegelt die Zeit bis zur Abreise überdauern mußten. Am Mastbaum flattern friedlich nebeneinander Hakenkreuz u. Hammer und Sichel. [Zufügung rechte Seite: Immer wieder wird der Blick von diesen beiden Flaggen angezogen.161 Wir alle können nicht an diesen Frieden glauben, der hier äußerlich dokumentiert wird. Ja, wird er das überhaupt? Die beiden Wimpel flattern in Wind und Sonne. Was raunen sie sich zu?! Der Russe im Hafen erscheint nach Möglichkeit sachlich, man spürt die feindliche Haltung dahinter.] [durchstrichen: Wie in jedem Hafen wurde stromaufwärts vor Anker gegangen.] Niemand darf das Schiff verlassen, worüber Hafenpolizei, russische Soldaten mit aufgepflanzten Bajonett u. Argusaugen, strengt wachen. Fast 24 Stunden müssen wir warten bis die Umsiedlerzüge eintreffen. Ein ungewollter Ruhetag! Es ist wunderbares Sommerwetter, das weite Donauwasser fließt ruhig dahin, im Hafen ist es, als ob Sonntagsruhe herrsche. Nur landeinwärts fliegen die LKW’s oder PKW’s der deutschen Russland – [S. C55:] kommandos, ungeheure Staubwolken hinter sich wälzend. Und dieses Leben u. Treiben unserer deutschen Männer wirkt beruhigend in der sonst erdrückenden Stille. Eine leichte Erhöhung nimmt uns die Sicht [durchstrichen: landeinwärts] [eingefügt: in das 160 Prahovo und Belgrad, Letzteres in Semlin, waren die jugoslawischen Auffanglager an der Donau. Zur Umsiedlungsroute mit Schiff und Einsenbahnen vgl. die anschauliche Kartenskizze, in: Pampuch 1941, Heimkehr, Karte S. 73. 161 Die russische und deutsche Flagge am Grenzübergang wehten friedlich nebeneinander am 14.10. 1940. Vgl. Q3/Einzelblatt 1 (Chronologie 12.9.–17.11.1940), Notiz zum 14.10: „Fahrt a. Passau nach Reni russ. Hafenbild Flaggen“.
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Land] und das weite jenseitige Ufer bietet dem Blick eine endlose Auenlandschaft. Wir gehen zum Oberdeck. Liegestühle u. Decken stehen bereit um die Reise zu genießen, u. [überschrieben: ist] sind [eingefügt: wir] doch unruhig, weil die angesagten Züge noch nicht einge-[überschrieben: troffen] trafen [durchstrichen: sind]. Zu unserer Freude ist Hans Baumann an Bord.162 Wir singen mit ihm Lieder [Zufügung rechte Seite: des Kampfes, der Bewegung u. Soldatenlieder.] [durchstrichen: und] Ein paar Männer des Russlandkommandosgesellen sich dazu. Sein erst vor 3 Tagen entstandenes „Alte Heimat hinterm Pruth“ [Zufügung rechte Seite (Notiz): ganzen Text anführen]163 höre ich erstmalig und erfreut, dem Lager diese Bereicherung bringen zu können. So vergeht ein Tag, der durch dieses Leid seine Weihe erhalten hat. Abends kommen die vom Rußlandkommando [S. C56:] anwesenden Männer an Bord, um hier „auf deutschem Boden“ eine Mahlzeit einzunehmen. Mit ihnen findet sich die ganze Schiffsbesatzung in fröhlicher Kameradschaft zusammen. Noch im Halbschlaf höre ich über mir die [eingefügt: benagelten] Stiefel der Männer.164 In das Frühstück des nächsten Morgens platzt die Nachricht: Züge eingelaufen! Und da ist auch der Arzt vom Dienst165 u. bittet uns 2 Wagen der Kranken zu entladen. Das bedeutet, wir dürfen das Schiff verlassen. Von musternden Blicken verfolgt, durchqueren wir den Zollschuppen, hinter dem auf einem Gleis 2 Eisenbahnwagen stehen. SDG’s166 u. PK Männer167 greifen tüchtig zu u. haben wir nur gütig zur Eile zu mahnen u. das Geleit zum Schiff zu geben.168 Dann
162 Hans Baumann war auch schon einen Monat zuvor mit auf dem Schiff bei der Abfahrt aus Wien am 13.9. Vgl. Q3/Einzelblatt 1 (Chronologie 12.9.–17.11.1940), Notiz der NS-Oberin: „13.9.[...] 2. Schiff Passau m. Hans Baumann Taufe“. 163 Lied von Hans Baumann gedichtet „vor drei Tagen“, also am 11.10.1940: „Heimkehrlied der Bessarabiendeutschen von Hans Baumann – Alte Heimat hinterm Pruth, Sonnenland am Meere, reich unsern Fleiß und Mut, heilig durch der Väter Blut. Deutschland ruft die Söhne heim, Abschied wird genommen, Donau rauscht ihr altes Lied: Vaterland wir kommen! – Freudig leisten wir Verzicht, lassen Hof und Erde. Auf dem Strome funkelt Licht und im Aug’ brennt Zuversicht. Deutschland führt die Söhne heim, Abschied wird genommen, Donau rauscht ihr altes Lied: Vaterland wir kommen!“ Abdruck in Frakturschrift, Kopie ohne Quelle, Privatarchiv J. 164 Männer des Russlandkommandos meint die männlichen Mitglieder des Umsiedlungskommandos, die im derzeit russisch besetzten Bessarabien dafür sorgten, dass die Umsiedler erfasst und über die russsisch-rumänische Grenze gebracht wurden. Die NS-Schwestern hatten bisher bessarabischen Boden noch nicht betreten, sondern waren nur im Lager Galatz auf rumänischem Boden eingesetzt. Hier auf dem Schiff im russischen Hafen Reni fühlten sie sich sicher „auf deutschem Boden“, aber ganz nahe an der „Front“, an der die deutschen Männer offenbar „benagelte Stiefel“ trugen. Dies waren vermutlich metallene ‚Stollen‘ an den Sohlen, die auf matschigem Untergrund Halt bieten. 165 Arzt vom Dienst: Name unbekannt. Der Umsiedlungsbezirk Albota lag bei Reni. Der Gebietsarzt Helmut Ritter überprüfte Eisenbahnzüge und Trecks Richtung Reni und Galatz. Ggf. könnte er der A.v.D. gewesen sein, der um Entladung der Waggons bat. Vgl. Kap. I. 166 SDG: Sanitätsdienstgrad. 167 PK: Passkontrolle? Polizeikontrolle? 168 Diese Szene beschreibt also die Aufnahme eines Krankentransportes in zwei Eisenbahnwaggons, deren Insassen im Hafen Reni auf ein Schiff nach Galatz – in die unteren Kabinen (siehe unten) – verladen wurden, und zwar von SDG-Männern, PK-Männern und NS-Schwestern.
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erst dürfen die Gesunden durch die Kontrolle.169 Jede [S. C57:] Karte der Umsiedler wird mit der vorhandenen Liste der russischen Kontrollkommission verglichen. Name u. Nummer müssen beide Male übereinstimmen. Ein Umsiedler wird zurückgehalten. Der PK Mann klärt auf, daß mit dem Treck statt des Vaters der Sohn gefahren sei u. nach [durchstrichen: eine] langem Hin und Her darf der Senior passieren. Ab und zu wird Gepäck zurückgehalten und im Nebenraum durchsucht. Da hinein dürfen wir nicht, denn es war schon ein großes Entgegenkommen, daß wir den Müttern die Kleinen abnehmen konnten. Wie groß war bei vielen [eingefügt: Umsiedlern, die aus der Steppe kamen], das Erstaunen über das weite Wasser [durchstrichen: und einige wollten erst noch „an die Seite gehen“, weil sie den Einrichtungen auf dem Schiff nicht (S. C58:) ganz trauten.] Verhältnismäßig schnell waren Menschen u. Gepäck untergebracht. Die Kranken u. werdenden Mütter in den unteren Kabinen, die anderen in den oberen großen Räumen u. jeder Winkel mußte schon ausgenutzt werden. Schon gab die Schiffsirene das Zeichen zur Abfahrt. Das deutsche Kommando grüßte stumm mit erhobenen Arm zu uns herüber, u. wir sangen Hans Baumanns „Alte Heimat hinterm Pruth.“ [Es folgen S. C59 – S. C110, die weiterhin nummeriert wurden, aber unbeschrieben blieben.] ***
169 Die Reihenfolge Kranke-Gesunde war im deutsch-russischen Umsiedlungsvertrag geregelt. Vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung.
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Q3/EINZELBLÄTTER Einzelne Blätter, Notizblätter, Karten, Skizzen im Bessarabien-Nachlass von NS-Oberin „Schwester Dorothee“ Zwölf einzelne Blätter aus dem Bessarabien-Einsatz 1940 fanden sich im Nachlass von Dora P., der früheren NS-Oberin Rakow. Als Notizen sind sie authentische Dokumente des Umsiedlungsgeschehens, da sie nicht für die Nachwelt komponiert sind.
Übersicht: Einzelblätter Q1/1 – Q1/12 NR.
TITEL
INHALT UND BESCHREIBUNG ART UND UMFANG
1.
Chronologie von Ereignissen zwischen dem 12.9. und 17.11.1940
2.
Donaureise 13.–15.9.1940
Notizblatt von D.R. mit Datumsund Namensangaben in drei Schriftarten: deutsche Schrift, Normal- u. Stenographie 2 Seiten feine Bleistiftschrift, Ausriss aus einem Tagebuch
3.
Inventarliste der SäuglingsMilchküche im Lager Namen und Adressen
4.
5.a
NS-Schwestern in der obrudscha Einsatzliste ab D 2.11.1940 5.b Spottgedicht von NS-Schwestern (vermutlich Dobrudscha Nov. 1940) 6. a. Reiseplan (Abfahrtszeiten) a/b/c b. Reisekosten in Lei c. Reiseroute (Skizze) 7. „Karte der Südbukowina“ (1940)
Liste vor und nach Übernahme des Lagers – Maschinenschrift Handschriftliche Liste (Tinte u. Bleistift – Namen u. Adressen von 25 vermutl. NS-Schwestern und 2 Männern Maschinenschrift-Tabelle – Namen von 15 NS-Schwestern an 5 Einsatzorten Maschinenschrift (Blaupause) Spaßgedicht von NS-Schwestern Notizzettel für die Eisenbahn-Fahrt von Galatz nach Radautz/Bukowina Nov. 1940 2 Umsiedlungs-Gebietsstäbe, 18 Ortsbereiche, Landesgrenzen, Eisenbahnlinien in der Bukowina (Buchenland) 1940
1 Blatt DIN A4 Vorder- u. Rückseite
1 Blatt DIN A6, kariert Vorder- u. Rückseite 1 Seite 1 Blatt, Vorder- u. Rückseite
1 DIN A5-Blatt
1 Blatt
3 DIN A6-Zettel
Ausriss aus einem Buch o.ä., S. 9, mit zugefügten Markierungen
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Q3/Einzelblätter 18.
Bericht aus der BukowinaUmsiedlung (Fragment)
19.
„Gesamtkarte von Rumänien“ (1940)
10.
a. Hofskizze I, b. Hofskizze II
11.
„Das bessarabische Heimatlied ...“ a. Das „Heimkehrerlied der Bessarabiendeutschen“: „Alte Heimat hinterm Pruth“
Handschriftlicher Text des Liedes von A. Mauch (1922) a. Text und Noten des Liedes von Hans Baumann (1940): handschriftliche Noten und Text.
b. „Lied der deutschen Heimkehrer“. Abdruck im „Rundbrief der NS-Schwesternschaft“, I. Quartal 1941.
b. mit Foto einer NS-Schwester (Rakow?) mit Umsiedlerkind.
12.
„Neue Anforderungen“ – Berichte einer NS-Schwester am Einsatzort Fürstental/ Bukowina Eisenbahnwege bei der Umsiedlung der Dobrudscha- und Bukowinadeutschen Nov. 1940 Lageplan und Beschreibung eines Bauernhofes, vermutlich Bessarabien
3/4 Seite Maschinenschift Seiten-Ausriss, mit handschriftlichen Markierungen 1 DIN A4-Blatt, beidseitig bezeichnet, Schrift teilw. in Stenografie 1 Blatt, deutsche Schrift a. 1 Blatt beidseitig
b.1 Zeitschriftenseite
Q3/Einzelblatt Nr. 1: Chronologie von Ereignissen zwischen dem 12. September und 17. November 1940
Handschriftliche Notizen von Dorothee Rakow in Bleistift, Vorder- und Rückseite, Schriftmischung aus deutscher Schrift, Normalschrift, zwei Textstellen in Stenografie. Anmerkungen: Es handelt sich vermutlich um ein Notizblatt, das D.R. für ihre Aufzeichnungen im Tagebuch anlegte. Ausführlichere Geschichten zu einzelnen hier genannten Stichworten wie „Flaggen“, „roter Staub“ oder „Hüte“ kommen im Tagebuch vor, allerdings dort in einer Abfolge, die sich nicht an der Chronologie dieses Notizblattes orientierte. Viele der hier aufgelisteten Stichworte findet man im Tagebuch nicht erwähnt (z.B. „Mäuse“, „Dr. Zuhlke“, „Ruhr“), auch werden im Tagebuch keinerlei Namen genannt, während auf diesem Notizblatt einige wenige auftauchen. Transkription: [Vorderseite:] 12.9.40 13.9.
Verschiffung 103 NS-Schw. früh 6h Abfahrt Wien1 1938 erbaut 450 t Dampfer
1 Wien: Name des Donauschiffes und Abfahrtsort. Ein weiteres Schiff mit NS-Schwestern hieß „Passau“.
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17.9. 21.9. X
Quellen-Inventar
Umsdl.komm.-NSV Männer – Hilfsd.Frauen – RK-Helf.2 2. Schiff Passau m. Hans Baumann3 Taufe. Donauufer Karpathen gesprengte Wasserstraße4 Lotse gr. u. kl. Kazan – Eis. Tor mittags Galatz Freihafen X – nachm. 15 Schw. Lager Einfahrt LKW Lazarett – Verwaltung – Volksdsch. Prof.5 Frauenbleibe6 Schiffsaufteilung – f. Lager weitere 14 Stadtbild – / Lagerbild – Bewegung milit. Bild – Hangars Lazarette Ambulanzen
2 Rot-Kreuz-Helferinnen. 3 Vgl. Q2/Tagebuch S. C55: Hans Baumann komponierte während der Umsiedlung das „Heimkehrlied der Bessarabiendeutschen“ mit dem Titel „Alte Heimat hinterm Pruth“. Mit ihm sangen die NS-Schwestern auf einem Schiff im Hafen Reni bei der Grenzübergabe der Umsiedler „Lieder des Kampfes, der Bewegung u. Soldatenlieder“. 4 Vgl. Q5/Foto D7 und Q5/Foto E3: Eisernes Tor, Kommentar zur Sprengung. 5 Vgl. Q2/Tagebuch S. C31: Der „volksdeutsche Professor (ein Sportlehrer)“ empfing die NS-Oberin im Lager Galatz. 6 Vgl. Q2/Tagebuch sowie Q4/Lagerbefehle (Verteilerlisten): Bezeichnung „Bleibe“.
Q3/Einzelblätter
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Dr. Zuhlke Lazarettschiff7 Kochk. Badeküchen8 Lazarettküche Arbeitsbild – Ernährung d. kl. Kder9 Betreuung d. Erwachsenen Aufbau der Küchen Entlausungen Bekleidungen Kindergärtnerinnen Volksdtsch. Hilfen Frauen und Mädchen Ruhr Flöhe Mäuse Insektenstiche Viktoria [?] M. [?] Anne Lu[...? (unleserlich)] Lagerbefehle – Urlaub – Besuche Lorenz10 – Hardeland – SS Lorenz11 – Hilg.12 Scholz13 Angehörige Schiff Wien 7. X. Erntedankfest Gäste 14. X. Fahrt a. Passau nach Reni russ. Hafenbild Flaggen14 Züge Zollstelle [Fortsetzung Rückseite:] russ. Beamte Militär Kontrolle [unleserlich: ...-]enschmuggel15 Rußlandkommando KBK Baumann [?] Treckführer Abschiedslied – Pruthbrücke (Pontons nachts rum. Seite Bessaraber Eindruck [stenografiert: Und so singe ich denn mit frohem Mut] 16. X. Wetter Wind roter Staub Vegetation
17 Vgl. Kap. I: Interview mit dem Gebietsarzt Helmut Ritter: Der „Schiffsarzt“ bekam von ihm die Listen mit kranken Umsiedlern. 18 Vgl. Q2/Tagebuch S. C35: Säuglingsbadeküchen. 19 „Arbeitsbild – Ernährung der kleinen Kinder“ bezieht sich auf einen Teil in Q2/Tagebuch. 10 Lorenz: Unklar, ob „Lorenz“ und „SS Lorenz“ dieselbe Person sind. Die Tochter von „SS-Lorenz“ ist in zeitgenössischen Bildbänden als blonde Krankenschwester ohne Schwesternbrosche zu sehen. Vgl. Mayer 1986, Weg aus der Steppe. 11 SS-Lorenz: Werner Lorenz, SS-Obergruppenführer u. Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle. Im Tagebuch von D.R. „Pg. Lorenz“ genannt. – Im September 1940 erschien VoMi-Chef Lorenz in Rumänien, setzte den bisherigen Volksgruppenführer Bruckner ab und gab auf einer Amtswaltertagung in Kronstadt die Neubesetzung durch Andreas Schmidt bekannt, dem Schwiegersohn des SS-Hauptamtchefs Berger. Damit war die Gleichschaltung der Volksgruppe vollzogen, denn ohne Schmidt konnten keine wichtigen Entscheidungen mehr getroffen werden. Nach: Jachomowski 1984, Umsieldung, S. 34. 12 Hilg.: Erich Hilgenfeld, Leiter des NSV. 13 Scholz: Gertrud Scholz-Klink, Reichsfrauenführerin. Vgl. Q5/Fotos H7, H8. 14 Flaggen: Gemeint ist eine Situation am russischen Grenzübergang im Hafen Reni bei der Übergabe der Umsiedler: „Am Mastbaum flattern friedlich nebeneinander Hakenkreuz u. Hammer und Sichel“. Q2/Tagebuch S. C54. 15 ����������������������������������������������������������������������������������������� Mögliche Lesarten des unleserlichen „...schmuggel“: Wagenschmuggel, Burgenschmuggel, Burschenschmuggel, Leichenschmuggel.
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Quellen-Inventar
1 ‘gr. Regen Stegbau Ausrüstung Hüte16 22. X. 8.30 Erbeben17 27. X. Wunschkonzertspende 31. X. Kameradschaftsabend bis Garde – rum. Offiz. kommt 1200 Personen Vorbereitungen Chor: KBK 25. X. Lorenz Dobrudscha Einsatz – Bukowina 2. XI. 12 Schw. Constanza mit Zug 3 " Cernovoda " Dampfer 3. XI. Abreise n. Radauti u. Gura Humoralui 2 Gebiete Vorkommando Bahnverhältnisse Vorbereitg. f. Verpflegstation / Massenquartiere Dr. Jäger / Oberschw. Weber / ...Harteland/Weber Ausspeisungen Nähstuben Entlausungen Einsatz a. Dörfer Menschen Landschaft Verpfleg.Sorgen Zug Kommando Einsatz 16 u.17 9. XI. Eintreffen Lorenz 17 Pers. Verpfleg. Abendfeier Sieg Heil a König Erdbeben Chorgesang 15. XI. 1. Umsiedlerzug18 Auf hebt unsere Fahnen Siegmeyer19 Wünsche Zugfolge 2 – 3 – 2 – 3 – 2 20 Gruppen [eingefügt in Stenografie: Krankenversorgung f(...?...) geblieben. Nachts LKW-Tankstellen] Vorsorgen Gebiet G.H.20 neue Anforderungen21 16 Vgl. Q2/Tagebuch. 17 Erdbeben: Das Ereignis erwähnte Rakow nicht im Tagebuch, ausführlich dagegen in ihren Erinnerungen. Vgl. Q1/Lebensbericht 1989. 18 Vgl. Q5/Foto P8: Abfahrt in der Bukowina mit Aufstellung von singenden NS-Schwestern. 19 Siegmeyer (sic!): SS-Oberführer Siekmeyer ist evtl. abgebildet in Q5/P8. Er trug den Titel: „Beauftragter des Führers für Umsiedlungsfragen [...]. Das deutsche Umsiedlungskommando für die Südbukowina und die Dobrudscha bestand zu einem erheblichen Teil aus denselben Leuten wie bei der Umsiedlung in Bessarabien und der Nordbukowina. Diese reisten direkt von einem Umsiedlungsgebiet in das andere; die übrigen [...] kamen aus dem Reich hinzu. Zu den Neuhinzugekommenen gehörte auch der Leiter des Umsiedlungskommandos, Oberführer SIEKMEYER. Er traf am 1. November in Gura Humora ein. Von Anfang an gab es Reibungen [...] , da [...] SS-Oberführer SIEKMEYER und seine Leute als Anfänger in Umsiedlungsfragen betrachtet wurden.“ Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 95f. 20 G.H.: Gura Humoralui in der Südbukowina. Vgl Q3/Einzelblätter Nr. 6, 7. 21 Neue Anforderungen: „Unsere kleine, eng verschworene Arbeitsgemeinschaft in Galatz wurde nun in alle Winde zerstreut [...] in die verschiedenen Durchgangsstationen der Dobrudscha und in die Südbukowina. Hier konnten wir uns mit vollen Segeln an neue, schwierige Aufgaben machen.“ Im Gegensatz zu ihrem Einsatz in Galatz wurden die NS-Schwestern nun auch in den Orten eingesetzt, „um die Aermsten zu betreuen“, und arbeiteten mit NSKK, Sanitätskraftwagen und den Ärzten „eng“ zusammen. Zit. aus: Q3/Einzelblatt 8.
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Q3/Einzelblätter 17. XI.
Dorna Watra22 Hotel Gebirgslandschaft Paß 2000 m Drnestre23 ab Bhf dunkel Gepäckwagen versiegelt
Grenzkontrolle
Q3/Einzelblatt Nr. 2 Aufzeichnungen über die Donaureise 13. – 15. Sept. 1940 1 Blatt DIN A6, Vorder- und Rückseite eng beschrieben mit Bleistift
Anmerkungen: Diese Aufzeichnungen über die Donaureise eines Teils des Umsiedlungskommandos nach Bessarabien mit dem Schiff „Wien“ beschreiben einen Ausschnitt von drei Tagen seit der Abfahrt ab Wien am 13.9.1940 bis zur Station Orsova, die am 15. September erreicht wurde. Der Verbleib der fehlenden Seiten ist unbekannt. Die sehr genauen Stunden- und Minutenangaben lassen vermuten, dass diese Aufzeichnungen noch auf dem Schiff entstanden. An anderer Stelle notierte NS-Oberin Rakow, dass das hier als „Dieselmotorschiff“ beschriebene Schiff „Wien“ , das bisher nur in deutschen Gebieten gefahren sei, erst 1938 gebaut wurde.24 Die Besatzung bestand aus dem „Umsiedlungskommando – NSV-Männer – Hilfsd.-Frauen – RK-Helf.“25 Wir erfahren in dieser Quelle, dass das Begleitschiff „Passau“ nur bis zum Lager Semlin bei Belgrad fuhr. Transkription: [Vorderseite:] Am Freitag, den 13. September, morgens 6.30 h fuhren wir von Wien ab mit den Dampfern „Wien und Passau“. Unsere Strecke führt durch 6 Staaten. Um 8.30 waren wir in Pressburg (Slowakei)26 u. hatten dort 2 Stunden Aufenthalt. Es ist die Hafenstadt der Slowakei, beherrscht von der Ruine des einstigen Königsschlosses. Die Berge sind bei Wien zurückgeblieben u. vor uns breitet sich das weite Festland aus, nur hie und da durch Hügel u. freie Berge unterbrochen. 22 Dorna-Watra: Ort in der Nähe der ungarischen Grenze südwestlich von Gura Humoralui, der westlichste „Ortsbereich“ der Bukowina-Umsiedlung an der Eisenbahnlinie vor der ungarischen Grenze. Vgl. Q3/Einzelblatt 7 (Karte der Bukowina). 23 Drnestre: Die Transkription der Schrift ist hier nicht eindeutig. Möglichkeiten: Djnestr, östlicher Grenzfluß von Bessarabien oder Dornesti (Hadikfalva), Ort in der Südbukowina. Vgl. Ortsverzeichnis, in: Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 269. 24 Q3/Einzelblatt Nr. 1. (Notiz zum 13.9.1940). 25 Ebd. 26 Vgl. Q5/Fotos E1, E2.
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14 Uhr hatten wir das Ungarische Städtchen Gonoü errreicht, hier wurde 3/4 Std. gelandet und Proviant auf unsere Schiffe gebracht. 1/2 4 Uhr sahen wir dann eine ungarische Festung, eine Komor. Ferner die Basilika v. Esztergom27 und Vác mit den Ruinen einer alten türkischen Festung. In Budapest sind wir dann erst abds. 1/2 9 Uhr im Glanz der Lichter eingefahren. Die monumentalen Bauten prangten sogar in „Scheinwerferbeleuchtung“. Hier ging es weiter durch Auenlandschaft u. Weideland bis wir am 14. 9. morgens 9.45 in Mohács28 [eingefügt: Ungarn] ankamen. 2 1/2 Stunden hatten wir hier Aufenthalt – Obst und Gemüse wurde an Bord gebracht; währenddessen verbrachten wir uns die Zeit mit Singen von Volks- und Soldatenliedern. X. Mittags hielten wir bei einer [durchstrichen: bereits schon] Jugoslawischen Ortschaft „Berzdas“[?], fuhren dann „Vugora“ vorbei und sahen d. Ilater Illos. [Rückseite:] Abends 23 Uhr trafen wir in Zemun bei Belgrad ein. Diese Strecke hier zwischen Mohácz und Zemun war ebenfalls Weide- und wilde Waldlandschaft. Unser 2. Schiff Pass. hatte nun sein Ziel erreicht.29 – Die „Wien“ fuhr gegen Morgen weiter. Nach 7 Uhr früh sichteten wir d. 22türmige Türkenfestung „Semondria“. Vor 1200 Jahren seien hier noch die Türken gewesen. Die nächste Jugosl. Ortschaft die wir anfuhren [eingefügt: am 15. 9.], war V. Gradiste. [Einfügung links senkrecht: Links schon Rumänien! Kurz vor Gradiste!] Nun ist es für längere Zeit vorbei mit dem Flachland, immer näher rücken die Hügel u. Berge heran. 11 Uhr – 14.30 fuhren wir mitten zwischen hohen Felsbergen auf dem Strom dahin, der sich an der engsten Stelle bis auf 165 m verschmälert hat.30 Die Tiefe ist hier 150 m. Ein rumänischer Lotse der um 12.15 h in Orencoa zustieg, steuerte unsere „Wien“ (Elektr. Dieselmotorschiff) durch alle Fährnisse hindurch. Dasselbe passierte zum 1. Mal diese Enge, da das Schiff bisher in Deutschem Gebiet gefahren war. Hier wollten die Engländer doch unlängst einen Felsen am Ufer sprengen (Bestechung der Lotsen), um die Durchfahrt der Schiffe unmöglich zu machen31 – Weiter ging es an zauberhaft felsigen Ufern vorüber – landeten in Orsova32 –
Q3/Einzelblatt Nr. 3 „Inventar der Säuglings-Milchküche vor Übernahme des Lagers“
Maschinenschrift-Durchschlag auf Pergamentpapier. Handschriftliche Markierung mit „I“ oben Anmerkungen: Bei der „Säuglingsküche vor Übernahme des Lagers“ könnte es sich gleichermaßen um das Auffanglager Galatz wie um das Lager in der Bukowina handeln, für die diese Ausstattungslisten angefertigt wurden. Die NS-Schwestern waren hier für die Säuglings-Badeküche zuständig. 27 Vgl. Q5/Fotos D4, D5: „Estergom von Budapest“. 28 Vgl. Q5/Foto C10. 29 Ziel: Die NS-Schwestern, die in Wien mit dem Donauschiff „Passau“ verschifft wurden, waren für das Lager Semlin bei Belgrad vorgesehen. Dort und in Prahovo sollten die Umsiedler aus Bessarabien mit den Donauschiffen aus Galatz ankommen und nach einem Aufenthalt in Eisenbahnzüge umsteigen, die sie dann über die deutsche Grenze in die Umsiedlerlager fuhren. 30 Vgl. Q5/Foto D7, E3. 31 Vgl. Q5/Foto D7, Kommentar. 32 Vgl. Q5/Foto C10.
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An anderer Stelle beschrieb NS-Oberin Rakow, dass sie zum Glück nur die Listen aufzustellen hatte. Mit der wochenlangen Beschaffung für das Lager Galatz war Fräulein von Witzleben beauftragt worden. Rakow hätte es lieber gesehen, wenn diese Vorbereitungen in gemeinsamer Absprache schon früher vor Ort erledigt worden wären.33 Sie fotografierten die Räumlichkeiten der Milchküchen.34
33 Vgl. Q6/Briefe. 34 Q5/Foto I1 und Q5/Foto P4.
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Q3/Einzelblatt Nr. 4 Liste von Namen und Adressen (NS-Schwestern)
Handschriftliche Liste in Tintenschrift mit Namen und Adressen, teilweise unvollständig, teilweise mit Bleistift aufgefüllt, teilweise mit Häkchen oder Kreuzchen in Tinte oder Bleistift markiert. Transkription: Ortsbezeichnungen, die nur durch Anführungsstriche untereinander dargestellt sind, wurden bei der Transkription zur Klarheit ausgeschrieben. Vor manchen Namen befinden sich an der linken Seite AbhakHäkchen [= /], oder Kreuzchen [= x], deren Bedeutung unklar bleibt. Conrad Wag[...] Dragus Woda 1 Galatz/Rum. Holger Bol[...] / Anni Ho[...] Landsberg/Warthe, Kladowstr. 2 Hermine Hey[...] Leipzig Seeburgstr. 100 Leontine Krä[...] Leipzig Elsässerstr. 1–3 / Elfriede Rö[...] Badenau/ Leobschütz (Schlesien) Susanne Wisch[...] Schweidnitz/ Schles. / Marg. Ba[...] Gottesberg Schles. Landeshüterstr. 1 / Gertrud Mac[...] Michalken Krs. Hoyerswerda /Schlesien x Cora Spr[...] Tscherbeney Krs. Glatz / Schlesien x/ Else Pa[...] x Irma Gä[...] Mansfelde Krs. Friedeberg x Frieda Rod[...] Friedeberg Krs. Friedeberg x Elsbeth Wen[...] Mansfelde Krs. Friedeberg x Grete Hüb[...] Altkarbe Krs. Friedeberg x Anna Fah[...] Driesen Krs. Friedeberg x Else Pa[...]35 x Erika Vo[...] Breitenstein Krs. Arnswalde /Pomm. x Ilse Wei[...] Modderwiese Krs. Arnswalde /Pomm. Käthe Schm[...] Grunau Krs. Flatow Lydia Her[...] Bömisch-Leipa Anny u. Waldemar Pragl[...] Stetten/Remstal Wü. Hoh. x Aenne Tai[...] Kösternitz Krs. Schlawe (Pommern) x Walburga Pf[...] Mainberg Krs. Schweinfurt x Juliane Rü[...] Gerolshofen Krs. Schweinshaupten Hildegard Uhl[...] Leuna Halle - Merseburg [Fortsetzung auf der Rückseite, oben:] / Herta Kra[...] Schippach Krs. Miltenberg Friedel Leo[...] Ullersdorf Krs. Glatz / Schlesien
Lager 159 Lager 153
Ums.L d. Bessar. U.Lag. 24
Anmerkungen: Die Liste enthält Namen und vermutlich dienstliche Adressen von 25 Frauen und zwei Männern nach Ende der Umsiedlungsaktion. 35 Else Pa. in Zeile 11 und 17 ist doppelt aufgeführt, an beiden Stellen ohne Adresse und mit Kreuzchen.
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Zu vier Adressen werden nummerierte Lager Nr. 159, 153, „U.Lag.24“ und „Ums.L.d.Bess.“ genannt. In diesen Umsiedlungslagern der Volksdeutschen Mittelstelle warteten die Umgesiedelten auf ihre Einbürgerungsverfahren. Mehrere Namen dieser Liste tauchen in den Berichten und Briefen der NS-Schwestern auf. Wahrscheinlich notierte die NS-Oberin hier Namen und Einsatz-Orte von NS-Schwestern im Anschluss an die Umsiedlungsaktion. Einige eingesetzte NS-Gemeindeschwestern wurden möglicherweise an ihren ursprünglichen Heimatort, z.B. als NS-Gemeindeschwester, zurückversetzt. Acht Namen gehörten NSSchwestern, aus dem Dobrudscha-Einsatz.36 Neun Adressen befanden sich im damaligen Westpommern,37 der Heimatregion der NS-Oberin, die aus Soldin stammte. Mindestens zwei Orten waren auch Sitz einer Heil- und Pflegeanstalt: Landsberg an der Warthe und Stetten in Württemberg, letztere wurde für ein Umsiedlungslager aufgelöst. Unklar ist die Rolle der beiden männlichen Namen in den oberen Zeilen, die offenbar im Lager Galatz eine Rolle spielten. Zumindest die weiblichen Namen gehörten vermutlich zur „kleinen eng verschworenen Arbeitsgemeinschaft in Galatz“, die danach für weitere Einsätze „in alle Winde zerstreut“ wurde.38
Q3/Einzelblatt Nr. 5.a Liste der NS-Schwestern im Dobrudscha-Einsatz, November 1940 Maschinenschrift-Durchschlag auf Pergamentpapier, DIN A5
Transkription: Für die D o b r u d s c h a kommen nachstehende NS - S c h w e s t e r n zum Einsatz: Abreise 2. November 1940 Constanza Schwester Franziska To[...] " Käthe Schm[...] Tulcea " Friedel Leo[...] " Sigrid Pri[...] Babadag " Freya Weng[...] " Franziska Wan[...] Caraomer " Ilse Thi[...] " Wally Ur[...] Cernavoda " Hertha Kra[...] " Walburga Pf[...] " Juliane Rü[...] Constanza
" " " "
Aenne Tai[...] ) Ella Web[...] ) Erika Vo[...] ) Hildegard Uh[...] )
z.b.V.
36 Q3/Einzelblatt Nr. 5. 37 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zu Westpommern gehörten von 1938–1945 u.a. die Kreise Friedeburg, Arnswalde, Flatow, Landsberg/Warthe, Soldin. Die Orte haben heute polnische Namen, z.B. Grunau Stare Gronowo. Konkordanzen im Einzelnen vgl. Ortsverzeichnis. 38 Q3/Einzelblatt Nr. 9.
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Anmerkungen: Topografie: Die Dobrudscha ist eine Region Rumäniens südlich des Donaudeltas, die bis Bulgarien reicht. 1940 war auch dieser Landesteil von Russland besetzt. Unmittelbar nach Abschluss der Umsiedlung aus Bessarabien wurde ab November 1940 die Leitstelle von Galatz nach Cernavoda verlegt, das an einer Bahnlinie an der westlichen Grenze lag und außerdem an der Donau, die von Galatz aus Richtung Süden aufwärts floss. Andere Einsatzorte lagen östlich am Schwarzen Meer, die Hafenstädte Tulcea, Babadag, Constanza und Cara Omer. NS-Oberin Rakow teilte nach Abschluss der Bessarabienumsiedlung von Galatz aus 15 NS-Schwestern für die sich anschließende Dobrudscha-Umsiedlung ein. Sie notierte an anderer Stelle am 2. November, dass zwölf NS-Schwestern nach Constanza mit dem Zug fuhren und drei Schwestern nach Cernavoda mit dem Dampfer.39 Acht Namen der insgesamt 15 NS-Schwestern finden sich in einer weiteren Adressliste wieder.40 Der Zusatz „z.b.V.“ bei vier NS-Schwestern könnte möglicherweise bedeuten: „zur besonderen Verwendung“ oder „zur besonderen Verfügung“. – NS-Oberin Rakow verwendete dieselbe Abkürzung am 1.1. 1940 in einem Schreiben aus Galatz an die Generaloberin in Berlin: „während vier in Constanza z.b.V. sein werden.“41 Der Aufenthalt in der Dobrudscha war für einige der 15 NS-Schwestern nur kurz. Schon nach drei Tagen, am 5.11.1940 schrieben sechs der eingeteilten NS-Schwestern – Änne, Walburga, Juliane, Hildegard, Herta, Friedel – eine Budapester Ansichtskarte an die dienstliche Berliner Adresse der NS-Oberin Rakow: „Die Dobrudschaschwestern sind auf der Heimreise!“42 NS-Schwester Hildegard, war eine der vier „z.b.V.“-Schwestern. Die NSSchwestern Fanny To. und die an Gelbsucht erkrankte Käthe sowie weitere NS-Schwestern traten dagegen erst am 29. November 1940 – zwei Tage nach dem letzten Umsiedlerschiff – die Heimreise über die Donau nach Wien an.43 Das letzte Umsiedlerschiff von Cernavoda hatte schon am 27. November abgelegt.44 Die an oberster Stelle angeführte NS-Schwester Franziska To. – vielleicht war sie „Franziska, der Drache von dem NS-Schwesternheim“45 – beschrieb in ihrem verspäteten Bericht am 7. Januar 1941 ihre Arbeit in der Dobrudscha. Dazu gehörten demnach Besuche der NS-Schwestern bei den „Volksdeutschen“ in den einzelnen Dörfern zur Feststellung der Kranken und Kinder und die anschließende Arbeit im Kommando in Konstanza, Über die Bevölkerung in der Dobrudscha schrieb sie: „Es herrschte große Not und Armut unter der Landbevölkerung. Unsere Volksdeutschen wohnten hier unter einem wahren Völkergemisch von Rumänen, Bulgaren, Türken, Griechen, Armeniern, Juden und Zigeunern.“46 Bis heute ist die Region multiethnisch geblieben, allerdings nur selten mit Juden und Deutschen.
39 40 41 42 43 44 45 46
Q3/Einzelblatt Nr. 1. Q3/Einzelblatt Nr. 4. Q6/Brief Nr. 9. Q6/Nr. 10, Brief vom 5.11.40. Der Vorname von „Hertha Kra.“ in Liste Q3/5a lautet demnach richtig „Herta“. Q6/Brief Nr. 14. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 107. Q3/Einzelblatt 5a. Q6/Brief Nr. 14.
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Q3/Einzelblatt Nr. 5.b Spottgedicht
Blauer Maschinenschrift-Durchschlag auf Papier mit Wasserzeichen, o.A., o.O., o.J.. Transkription: „Unser blau kariertes Zimmer / hat n leichten Beigeschmack von ner bloeden alten Jungfer / darum mancher es nicht mag. Mancher packt sein Bett mit Grausen / sieht wo er was andres find er will hier nicht laenger hausen / packt sein Packerl ein geschwind. Doch es ist nicht zu vermeiden, / er muss oefter noch daher und besonders in den Zeiten, / wo der Darm ihm macht Bescher. Wenn wir alle wollen schlagen / geht die Rennerei schon an uns sie kommen angelaufen / mit Gepolter Mann fuer Mann. Ab 11h man kann passieren / unser Zimmer nur mit Schein darum herrschet oft Empoerung / denn das ist direkt gemein. Gibts was neues zu erkunden / hoerns die andern Zimmer gleich doch wir alten muessen warten / bis es spaet uns erst erreicht. Die Franziska ist der Drache / von dem NS-Schwesternheim sie kassiert für Schlamp und Schluder / manchen Lei zum Kaffee ein. Sie gewoehnet uns an Ordnung / wenn die Bude auch mal kracht doch sie sorgt auch fuer die Kinder / wie ne Mutter, die sich plagt. Sitz man dann am Kaffeetische / frischt man alte Liebe auf und beim Apfelkuchen soehnen / sich die Geister wieder aus.“ Anmerkungen: Ein Spaß- oder Spottgedicht, vermutlich von NS-Schwestern aus einem NS-Schwesternheim. Zwei Strophen beziehen sich trotz der humorvollen Ambition kritisch und etwas respektlos auf eine leitende NS-Schwester: „Die Franziska ist der Drache von dem NS-Schwesternheim / sie kassiert für Schlamp und Schluder / manchen Lei zum Kaffee ein. Sie gewöhnet uns an Ordnung / wenn die Bude auch mal kracht“. Franziska versuchte offenbar mit Geldstrafen, für Ordnung im Schwesternheim zu sorgen. Welche Franziska ist gemeint? Dazu gibt es mindestens zwei Optionen: – Franziska Wan. als NS-Schwester, die in der Dobrudscha für Babadag eingeteilt war.47 – Franziska To. als leitende NS-Schwester im Dobrudscha-Einsatz.48
47 Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 5a. 48 Vgl. ebd.; sowie Q6/Briefe Nr. 14 (Bericht über den Dobrudscha-Einsatz im Brief vom 5.1.1941).
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Es ist nicht einmal sicher, ob sich dieses Spottgedicht überhaupt auf die DobrudschaSchwestern bezieht. Nur wegen der Namensbezüge wurde es als Einzelblatt Q3/5b hier direkt der Liste der Dobrudscha-Schwestern Q3/5a zugeordnet. Alternativ wären als Autoren Männer des Kommandos denkbar („Gepolter Mann für Mann“), die sich in der Unterkunft im Lager Galatz die Toilette mit dem NS-Schwestern teilen mussten: „wo der Darm ihm macht Bescher“ (die Lage der Toilette bei den NS-Schwestern oder Medikamente gegen Durchfallkrankheiten von den NS-Schwestern).
Q3/Einzelblatt Nr. 6 a./b./c. Reise vom Lager Galatz in die Bukowina im November 1940: Zeitplan, Kosten, Route 3 Notizblätter von einem Abrissblock über Abfahrtszeiten, Umsteigestationen, Kosten, Route.
Transkriptionen: Q3/6 a: Fahrplan Galatz Marasesti " Dármánesti Dornésti " Radautz
ab 0.23 an 3.43 X ab 4.09 an 9.47 an 10.21 X ab 10.40 an 11.04
Dármánesti an 9.47 X " ab 11.40 Gura Humoralui an 12.10
Q3/6 b: Reisekosten
Q3/6.c: Reiseroute (Bahnstationen)
II Re. Galatz – Radautz Lei 965,II Re. Galatz – Gura Humoralui Lei 972,-
Radautz
X Dornesti
X Dármánesti
Gura Humoralui
X Marasesti
Galatz
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Anmerkungen: Nach dem Bessarabien-Einsatz wurden die NS-Schwestern in der Dobrudscha und auch in der Bukowina eingesetzt. Die NS-Oberin bzw. die hier eingeteilten NS-Schwestern reisten vom Lager Galatz direkt weiter in die Bukowina Richtung Norden. Hier beginnt offenbar das Tagebuch. Dorothee Rakow schrieb am 6.11.1940 auf die erste Seite des Stenografieteils: „Radautz/Rumänien den 6.XI.40“. Den drei Notizblättern entnehmen wir die Zugroute, Kosten der Fahrkarte und die Abfahrts- und Ankunftszeiten der Eisenbahnlinie. Q3/6.c. ist eine Handskizze der Reiseroute von Galatz nach Radautz bzw. nach Gura Humoralui, die von unten nach oben, also von Süden nach Norden zu lesen ist. Alle eingezeichneten Orte kommen auch auf dem An- und Abfahrtsplan (Q3/6a) vor. Die Reisekosten auf Blatt 6b sind in der rumänischen Währung Lei angegeben. Nach Blatt 6a dauerte die nächtliche Zugreise vom Lager Galatz incl. mehrmaligem Umsteigen insgesamt etwa elf Stunden. Die Umsteigestationen sind in Blatt 6a und 6c jeweils mit einem „X“ markiert. Der erste Umsteige-Bahnhof Marasesti (Mărășești) lag nach 3,5 Stunden bereits in der Bukowina bei der ehemaligen moldauischen Hauptstadt Suceava. Die nächste Teilstrecke bis Dármánesti (Dărmăneşti) beträgt nur etwa 10 km, die notierte Fahrtzeit von fast 6 Stunden erscheint hier sehr unwahrscheinlich, ein längerer Aufenthalt in Dármánesti ist daher denkbar. Hier teilte sich die Strecke nach Radautz und nach Gura Humora. Diese beiden Städte waren die Ziele als Sitze von Gebietsstäben der Bukowina-Umsiedlung. Gura Humora lag südwestlich an der Bahnlinie Richtung ungarische Grenze, Radautz über Dornesti lag nördlicher.49
Q3/Einzelblatt Nr. 7 „Karte der Südbukowina“ mit den Gebietsstäben der Umsiedlung und dem Eisenbahnnetz in den Grenzen von 1940 (Gedruckte Landkarte „Buchenland 1 : 1.000.000“, Rückseite leer. Gelbliches Papier, ca. DIN A5, Ausriss aus einem Buch oder Heft. Weiter unten auf dem Blatt befindet sich der Aufdruck: „S. 9“ (hier nicht sichtbar).
Vgl. größere Abbildung in: II.C.Spur 16
Anmerkungen: Die Legende rechts unten auf der Karte erklärt die Markierungspunkte als „Gebietsstäbe“, „Ortsbereiche“, „Eisenbahnen“ und „Grenzen“ bei Umsiedlung in der Südbukowina („Buchenland“). Vermutlich stammt die Karte von „S. 9“ aus einem Buch oder einem Heft, das explizit für die Umsiedlung gedruckt wurde und zeigt demnach den Grenzverlauf von 1940.
49 Zur Topografie vgl. Q3/Einzelblatt 7 (Karte der Südbukowina).
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Zwischen den beiden Weltkriegen lag Czernowitz noch innerhalb der Grenzen Groß-Rumäniens.50 Nach der obigen Karte gehörte es bereits zur U.d.S.S.R., die Bessarabien und die Bukowina als Landesteile Groß-Rumäniens im Sommer 1940 besetzte. Auch die östliche Grenze zu Ungarn bestand so nur von 1940 bis 1944, nach dem Ersten Weltkrieg war diese Region von Siebenbürgen – und ist heute wieder – rumänisch.51 Aus der Karte erschließt sich: – Die 2 Gebietsstäbe der Bukowina-Umsiedlung waren Radautz und Gura Humora. – Die 18 Ortsbereiche der Bukowina-Umsiedlung waren: Karlsberg, Alt-Fratautz, Sereth, Dt. Satumare, Neu-Itzkany, Sutschawa, Fürstental, Solca, Illischestie, Paltinossa, Wama, Kimpolung, Stulpicani, Pojoritta, Jakobeni (Iacobeni), Kiriberba, Dorna Watra.52 Handschriftlich mit blauer Tinte unterstrichen sind die Orte Radautz und Karlsberg, vermutlich als persönliche Einsatzorte der NS-Oberin Rakow.
Q3/Einzelblatt Nr. 8 Bericht aus der Bukowina-Umsiedlung Fragment
Auschnitt eines Typokripts, o.A., o.J., oberes Drittel des Blattes abgeschnitten.
Transkription: Unsere kleine, eng verschworene Arbeitsgemeinschaft in Galatz wurde nun in alle Winde zerstreut. Wir waren gekommen aus Ostpreussen – Pommern – Brandenburg – Magdeburg-An50 Meyers Lexikon 1936, Atlasband. 51 Vgl. Q5/M1: Der Eisenbahnknotenpunkt Bethlen (rumänisch Beclean) lag östlich der Grenze von 1940 in Ungarn. 52 Dorna Watra: Vgl. Q3/ Einzelblatt Nr. 1 (Notiz zum 15.11.1940).
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halt – Halle – Merseburg – Schlesien – München-Oberbayern und dem Schwabenland und wir wurden weitergeschickt in die verschiedenen Durchgangsstationen der Dobrudscha und in die Süd-Bukowina. Hier konnten wir uns mit vollen Segeln an neue, schwierige Aufgaben machen. Nach einigen Tagen Orientierungs- und Vorbereitungsarbeiten als Vorkommando trafen bereits eine grosse Anzahl NS-Schwestern aus dem Reich ein. Jede wollte zuerst in die Arbeit eingesetzt werden. Sofort gingen Gruppen zu zweit und dritt in die grossen deutschen Dörfer, um die Aermsten zu betreuen. NSKK stand bereit, Sanitätskraftwagen konnten zur Verfügung gestellt werden und, wo einmal der Weg vom Regenwetter gar so schlecht war, diente ein kleiner deutscher Bauernwagen als Beförderungsmittel. Schnell war das Gepäck, der vorgeschriebene Rucksack und ein handlicher Koffer, verstaut und die Schwestern konnten sich einen bequemen Sitz aussuchen. Eine lustige Fahrt durch die neue, sonnenbeschienene Landschaft. Die deutsche Volksgruppe hatte bereits Ausspeisungen eingerichtet, die jedem deutschen Volksgenossen eine warme Mittagsmahlzeit sicherte. Die Abfahrt der Züge hatte sich um einige Tage verschoben und waren daher Lebensmittelrationen, Verpflegung bis zum Abfahrtstag, auszuteilen. Notwendige Kleidungsstücke und Schuhe wurden herbeigeschafft. Auf die Säuglinge und werdenden Mütter musste besonderes Augenmerk gelegt werden, und auch die Kranken mussten gut und sachgemäss versorgt werden. Eine enge Zusammenarbeit mit den Aerzten war selbstverständlich; alles ging reibungslos – hatten wir doch erfahrene Gemeindeschwestern in der Arbeit, doch gab es keinerlei Schwierigkeiten. Wie ist man erstaunt, wenn man zum ersten Mal dort unten ein deutsches Dorf betritt. Fürstental war unser Ziel, am Fusse der Bukowina gelegen. Die Vorfahren, die sich dort ansiedelten waren: Holzfäller und Glasbläsre aus Schlesien und Böhmen. Man denkt: arme Menschen und doch sind sie reich ! Anmerkungen: Vermutlich handelt es sich bei diesem Einzelblatt um den Ausschnitt aus einem Bericht einer NS-Schwester aus der „kleinen, eng verschworenen Arbeitsgemeinschaft“ im Lager Galatz, die anschließend auch zum „Vorkommando“ in der Bukowina gehörte und hier im Umsiedlungs-Ortsbereich Fürstental, südwestlich vom Gebietsstab Radautz, eingesetzt war.53 Interessant sind die Andeutungen: Dieses Mal waren die NS-Schwestern nicht nur in einem geschlossenen Lager tätig, sondern gingen selbst in die Dörfer. „Hier konnten wir uns mit vollen Segeln an neue, schwierige Aufgaben machen.“ Auch die NS-Oberin Dorothee Rakow hatte zum Bukowina-Einsatz „neue Anforderungen“ erwähnt.54 Die Andeutung: „alles ging reibungslos – hatten wir doch erfahrene Gemeindeschwestern in der Arbeit, doch gab es keinerlei Schwierigkeiten“ bezieht sich auf die Melde-Pflichten der NS-Schwestern, die sie gegenüber den Ärzten zu leisten hatten. Bei der Selektion der Umsiedler gab es angeblich „keinerlei Schwierigkeiten“, doch offenbar waren diese zu erwarten gewesen.
53 Vgl. Karte Q3/Einzelblatt Nr. 7. 54 Q3/Einzelblatt Nr. 1, zum 15.11.
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Q3/Einzelblatt Nr. 9 „Gesamtkarte von Rumänien“. Eisenbahnwege bei der Umsiedlung der Dobrudscha- und BukowinaDeutschen im Nov. 1940
Gedruckte Landkarte „Gesamtkarte von Rumänien“, Rückseite leer. Gelbliches Papier, ca. DIN A5. Ausriss aus einem Buch oder Heft. Papier und Format sind identisch mit Q3/ Einzelblatt Nr. 7.
Anmerkungen: Die Karte unter dem Titel „Gesamtkarte von Rumänien“ zeigt Eisenbahnverbindungen als Wegstrecken aus den schraffiert hervorgehobenen Umsiedlungsgebieten der Dobrudscha (Konstanza) und der Bukowina (Gurahumora). Über Bessarabien, das zwischen den Flüssen Djnestr und Pruth lag, liegt bereits der Schriftzug „U.d.S.S.R.“. Der Grenzverlauf zwischen U.d.S.S.R und Rumänien scheint sich inzwischen sogar noch weiter nach Westen bewegt zu haben. „Galati“ war der vorherige Sitz des Gebietsstabes der Bessarabien-Umsiedlung in „Galatz“ (deutsche Bezeichnung) gewesen. Die Eisenbahnlinie aus der Bukowina führte im Norden über Gurahumora, Debrezin, Budapest durch Ungarn bis Wien. Zu Ungarn gehörte dieser siebenbürgische Teil Rumäniens nur von 1940 bis 1944.55 Bekannter als die Eisenbahnlinien sind bisher die Schiffsverbindungen bei der Umsiedlung. Die Dobrudscha-Deutschen wurden – wie zuvor die Bessarabiendeutschen – auf der Donau Richtung Westen verschifft.56 Das letzte Umsiedlerschiff von Cernavoda ging am 55 Vgl. Q5/Foto M1; Q3/Einzelblatt 7. 56 Vgl. Q6/Berichte und Q7/Briefe der NS-Schwestern aus der Dobrudscha.
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27.11.1940 ab.57 Bei der vorangegangenen Bessarabienumsiedlung wurden die Umsiedler über die Donau bis zum Zwischenlager Semlin bei Belgrad (Jugoslawien) gebracht, von dort aus stiegen sie um in Eisenbahnzüge Richtung Westen. Nach obigem Plan führte eine Eisenbahnlinie aus der Dobrudscha von Ost nach West südlich der Donau durch Bulgarien über Sofia und Belgrad (Jugoslawien) zu den Grenzübergängen Graz und Villach (siehe Teilung der Strecke links) ins „Großdeutsche Reich“. Mit den Grenzübertritten bei Wien, Graz und Villach waren die „volksdeutschen“ Umsiedler im „Deutschen Reich“ angekommen, denn Österreich war inzwischen zum „Gau Ostmark“ geworden.
Q3/Einzelblatt Nr. 10.a/b Hofskizze [Tarutino oder Leipzig]
1 Blatt DIN A4 mit Grundriss-Skizzen und handschriftlichen Notizen in drei Schriftarten (Normalschrift, Deutscher Schrift und Stenografie). Die schriftlichen Notizen sind auf Vorder- und Rückseite nach oben, unten und seitlich ausgerichtet. 10.a: Hofskizze I (Vorderseite) Transkription der Fragmente in drei Schriftarten58 [Teile in Normalschrift:] Häuser gedeckt mit / i. jed. Dorf 1 – mehrere Ölmühlen / Gemüse / Zwiebel Knoblauch / Rettich Rote Rüben Möhren / Petersilie Tomaten Paprika [Teile in Stenografie:] Brennmaterial = Stroh, Maisstängel, Weinreben, Schafund Kuhmist, Holz, das von Rumänien oder dem Norden Bessarabiens kam, Kohlen in unserem Sinne kannte man nicht. Nur Holzkohle zum [unleserlich] mit den entfernten Maiskolben. [Worte in den Grundrissen, in Normalschrift:] Kanzlei / Sekretär / Gemeindesaal / Schlafraum / Küche / Wohnzimmer / Glasveranda / Hof ... / ... / ... Speiseraum / Küche / Geräteschuppen / Hühnerstall / Brennmaterial / ... / Pferdestall / Küche / Schweine
57 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 107. 58 Für die Übersetzung der Teile in Stenografie danke ich Horst Grimm, 19.9.2007.
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Quellen-Inventar 10.b: Hofskizze II (Rückseite) Transkription: [Teil in Stenografie:] Hof: meist kleine [...] pumpe / zum Teil Ziehbrunnen mit Schwengel. Das Wasser war trinkbar. Grundwasser stand ziemlich hoch. Vor dem Haus meist ein paar Akazien, eine Laube wildem Wein. Meist bis vorm Haus den Keller ausgeschachtet und übermauert. Einige hatten einen Gemüseplatz angelegt für Vorräte. Die Bauern nicht, aber einen Blumengarten, der eingezäunt war. Neben dem Keller meist die Sommerküche, wo sich im Sommer die ganze [...?...] abspielte.59 [Fragmente, in Deutscher Schrift, Normalschrift: und Stenografie durcheinander:] Durchfahrt / Stallungen / Durchfahrt Dreschplatz Garten / Ziehbrunnen / Tarutino Hof / Geflügel / Das regenreiche Weinland in Schabo [Stenografie:] Erbsen Bohnen Linsen / Wassermelonen u. Zuckermel. Gurken / Sonnenblumen Raps Senf Kürbisse / Weizen Roggen Gerste Hafer Hirse, Mais, / (Perinka) / Sojabohne / Futterrüben / Erdbeeren / Walnüsse / Pflaumenkirschen (Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Aprikosen).
Anmerkungen: Möglicherweise entstanden diese Skizzen und Notizen, bei denen drei Schriftarten durcheinander verwendet wurden, als NS-Oberin Rakow im Lager Galatz bessarabiendeutsche Männer über ihre Lebensweise befragte: „In einigen Zelten waren nur Männer anzutreffen. Prächtige kernige deutsche Gestalten. [...] Nur sparsam berichteten sie von dem was hinter ihnen geblieben war. Unter dem alten Russland ging es ihnen gut. Sie hatten die Möglichkeit einer Ausweitung ihrer Kolonien. Da ist das Dorf Leipzig. Zu beiden Seiten einer ungepflasterten etwa 10–12m breiten Landstraße sind die Häuser der Siedler errichtet. Jeder Wirtschaftshof umfaßte etwa 1 ha Land. Das Wohnhaus wurde mit dem Giebel zur Straße gebaut. Man unterschied 2 und 3wandige Häuser, das waren 2 oder 3 tragende Mauern. Für die Grundmauern wurde nicht wie bei uns der Boden ausgeschachtet, sondern 60–70 cm hoch aufgeschüttet, woraus sich ergab das zum Eingang immer Holzstufen führten. Das Äußere der Häuser weiß oder mattgrün gekalkt, Doppel-Fenster meist gelb oder dunkel gestrichen.“60 59 Weitere stenografierte Einfügungen an dieser Stelle sind nur schwer lesbar und ergeben keinen Sinn. Anm. von Horst Grimm 19.9.2007. 60 Q2/Tagebuch S. C 45f.
Q3/Einzelblätter
451
Demnach könnte es sich bei der Hofskizze um diese im Tagebuch beschriebene Hofanlage im Dorf Leipzig/Bessarabien handeln.61 Eine weitere Möglichkeit ist, dass es sich um die Skizze eines Hofes im 20 km südlich davon liegenden Tarutino handelte, denn die NS-Oberin notierte auf Blatt 10b das Stichwort: „Tarutino Hof“.62
Q3/Einzelblatt Nr. 11 „Das bessarabische Heimatlied“, Albert Mauch 1922 Graue Tinte auf quadratischem Papierausschnitt (21 x 23 cm)
Transkription: Das bessarabische Heimatlied. v. Dir. Alb. Mauch 1. Gott segne dich mein Heimatland, ich grüß dich tausendmal dich Land wo meine Wiege stand, durch meiner Eltern Wahl. . / . Du Land an allem Gut so reich in’s Herz schloß ich Dich ein Du bleibst mir in der Liebe gleich im Tode bin ich dein. 2. So schirme Gott in Freud und Leid du unser Heimatland Bewach der Felder Fruchtbarkeit bis hin zum Schwarzmeerstrand. . / . Erhalte du uns deutsch und rein, send uns ein freundlich Los, Bis wir bei unsern Vätern ruhn, im heimatlichen Schoß. . / . Anmerkungen: Der Liedtext ist in der Heimatliteratur bereits bekannt und wurde mehrfach abgedruckt mit der Angabe „Text und Melodie 22.2.1922: Albert Mauch.“63 Das Lied von 1922, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, als Bessarabien zu Rumänien gehörte, dokumentiert die Positionierung als „volksdeutsche“ Minderheit („erhalte Du uns deutsch und rein“) im Ausland („durch meiner Eltern Wahl“), das als Heimat „am Schwarzmeerstrand“ empfundenen wurde und dort auf „ein freundlich Los“ hoffte. Dieses Bild der „Väter“ wurde später im „Lied der deutschen Heimkehrer“ 1941 weitergeführt und mit „Vaterland wir kommen“ auf das nationalsozialistische Deutschland umgedeutet.64 61 Vgl. Lächelt (Hg.) 1982, Heimatbuch Leipzig. 62 Q3/Einzelblatt 10b. Vgl. Bisle 1996, Tarutino. 63 Identischer Text mit Notation abgedruckt in: Bisle 2007, Sonnrosen und Piker, S. 292; sowie mit handschriftlicher Notation in: Mayer 1986, Weg aus der Steppe. 64 Q3/Einzelblatt 12.
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Quellen-Inventar
Q3/Einzelblatt Nr. 12.a Das „Heimkehrerlied der Bessarabiendeutschen“: „Alte Heimat hinterm Pruth“, Hans Baumann 1940
Lied mit handschriftlichem Text und Notation, DIN A5-Blatt, beidseitig beschrieben. Im Nachlass nur als Kopie. Das Originalblatt übergab Renate J. schon früher an Elvire Fandrich-Bisle. Anmerkungen: Die erste Seite notiert die 1. Strophe mit Refrain, die Rückseite die 2. und 3. Strophe ohne Refrain. Im Tagebuch beschrieb NS-Oberin Rakow, wie sie dieses Lied auf einem Schiff im Hafen Reni sangen. Hans Baumann habe es erst drei Tage davor geschrieben. Baumann war zusammen mit dem Umsiedlungskommando aus Wien mit dem Schiff „Passau“ mitgereist.65 NS-Schwester Hildegard schloss ihren Umsiedlungsbericht „mit dem Heimkehrerlied der Bessarabien-Deutschen, das Hans Baumann ihnen gedichtet und vertont hat bei einem Schiffstransport ins Reich auf der ‚Passau‘.“66 Derselbe Hans Baumann schrieb später auch das Lied „Ein junges Volk steht auf“, das „ein Chor der Umsiedler-Jugend“ bei der feierlichen Übergabe der Einbürgerungsurkunden später im März 1941 in einem deutschen Umsiedlungslager sang.67
12.a. Notizblatt (2 Seiten) Transkription: siehe Blatt 12.b. 65 Q2/Tagebuch. 66 Q7/Bericht Nr. 7, S. 6. (NS-Schwester Hildegard Uh. 15.12 1940). 67 ������������������������������������������������������������������������������������������������ „Bessarabiendeutsche erhielten das Bürgerrecht. Eine feierliche Stunde im Umsiedlungslager Pfafferode“. In: Mühlhäuser Anzeiger. 12.3.1941. Die Kopie des Zeitungsausschnittes verdanke ich Hans-Joachim Blankenburg, E-Mail 6.9.2019.
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Q3/Einzelblätter
Q3/Einzelblatt Nr. 12.b. „Lied der deutschen Heimkehrer“. Abdruck im Rundbrief der NS-Schwesternschaft 194168 Transkription: Lied der deutschen Heimkehrer Worte: Hans Baumann Alte Heimat hinterm Pruth, Sonnenland am Meere, reich durch unsern Fleiß und Mut, heilig durch der Väter Blut; Deutschland ruft die Söhne heim, Abschied wird genommen. Donau rauscht ihr altes Lied, Vaterland wir kommen! 2. Freudig leisten wir Verzicht, lassen Hof und Erde, auf dem Strome funkelt Licht, und im Aug’ brennt Zuversicht; Deutschland ruft die Söhne heim, Abschied wird genommen. Donau rauscht ihr altes Lied, Vaterland wir kommen! 3. Glaube macht die Herzen stark, Führer lass uns bauen – daß aus Feldern arm und karg wächst des Reiches neue Mark; Deutschland ruft die Söhne heim, Abschied wird genommen. Donau rauscht ihr altes Lied, Vaterland wir kommen!
Bildunterschrift: Volksdeutsches Kind aus Bessarabien
Anmerkungen: Als „Lied der deutschen Heimkehrer“ wurde das Lied von Hans Baumann (Q3/12.a) Anfang 1941, also kurz nach der Umsiedlungsaktion, im „Rundbrief der NS-Schwesternschaft“ (Q3/12.b) mit Text und Noten veröffentlicht.69 Der Autor des Liedtextes („Worte: Hans Baumann“) wird genannt, jedoch nicht der Komponist. Notation und Text auf dem Notizzettel Q5/12.a. entsprechen dem veröffentlichten Abdruck Q5/12.b. Ein sehr ähnliches Foto wurde an anderer Stelle publiziert.70 Zur Abbildung: Direkt unter dem Liedabdruck in der NS-Schwestern-Zeitschrift zeigt eine Abbildung ein „Volksdeutsches Kind aus Bessarabien“ auf dem Arm einer NS-Schwester. Als Quelle ist 68 Hauptamt für Volkswohlfahrt, NS.-Schwesternschaft, in Zusammenarbeit mit dem Reichsschulungsbeauftragten, Redaktion: NS.-Oberschwester Ruth Dühe (Hg.): Rundbrief der NS.-Schwesternschaft. Heft I/1941 (vierteljährlich), S. 13. 69 Ebd. (Heft im Nachlass von Dora P., al. NS-Oberin Dorothee Rakow. Privatarchiv J.). 70 Q7/Bericht 11.b.
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Quellen-Inventar
angegeben: „Aus einem Umsiedlungslager in Württemberg“. Der Junge trägt – passend zum Liedtext „Deutschland ruft die Söhne heim“ – bereits einen traditionellen westlich-„volksdeutschen“ Seppelhut aus Filz und nicht mehr die hohe schwarze Schaffellmütze, wie sie auf den Umsiedlungsfotos noch auf den Köpfen von bessarabiendeutschen Männern und Jungen zu sehen sind. Das angegebene Lager in Württemberg wurde vermutlich gewählt, weil die deutschen Auswanderer im 19. Jahrhundert vor allem aus Württemberg nach Bessarabien ausgewandert waren. Die Ähnlichkeit der abgebildeten NS-Schwester mit Dorothee Rakow ist auffällig. Möglicherweise stand hier die Führerin der NS-Schwesternschaft bei der Umsiedlung aus Bessarabien, der Dobrudscha und der Bukowina für ein inszeniertes Abschlussfoto Modell. Als Foto der NS-Propaganda-Presse zeigt es die Arbeit der NS-Schwesternschaft als fürsorgliche (warme Decke) Übernehmerin und Pflegerin der neuen Generation aus einer männlichen Linie von „Vätern“ und „Söhnen“, Repräsentanten „volksdeutscher“ Gene für das „Vaterland“. Doch die im Text ausgesparte mütterliche Rolle wird durch die unifomierte Weiblichkeit der Schwesterntracht nur kühl ersetzt, was der scheu-befremdliche Blick des neu ‚behüteten‘ Kindes ausdrücken mag. ***
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Q4/LAGERBEFEHLE Lagerbefehle im Lager der Volksdeutschen Mittelstelle Galatz vom 21. September bis 1. November 1940 Im Nachlass von Dora P. befanden sich noch 15 einzelne Blätter aus der Kommandantur des Lagers Galatz. Zwischen dem 21. September und dem 1. November 1940 wurden sie über Verteilerschlüssel an einzelne Gruppen des Umsiedlungskommandos adressiert. Gesammelt wurden nur Befehle, die auch die NS-Schwesternschaft im Lager einschlossen. Insgesamt müssen mindestens 57 nummerierte Befehle herausgegeben worden sein. Aus diesen Dokumenten lassen sich Namen von Hauptverantwortlichen im Lager Galatz als Unterzeichner der Befehle entnehmen. Außerdem zeigt der jeweilige Verteilerschlüssel Einblicke in die Struktur des Lagerkommandos, in dem die NS-Schwesternschaft nur einen geringen Teil ausmachte. „Kommandanturbefehle“ und „Standortbefehle“ richteten sich an das Umsiedlungskommando, „Lagerbefehle“ auch an die Umsiedler. Jede Befehlsreihe wurde separat nummeriert. Hier werden sie in chronologischer Reihenfolge nach Datum dargestellt. Die Unterzeichner der Anordnungen und Befehle: Abb. 1 und 2: – Lagerbefehle und Kommandanturbefehle der Volksdeutschen Mittelstelle sind gezeichnet von SS-Obersturmbannführer Perthen, Lagerkommandant.1 Für die Richtigkeit „f.d.R.“ oder im Auftrag „i.A.“ unterschrieb ein SS-Untersturmführer mit unleserlicher Unterschrift. Abb. 3: – Standortbefehle sind gezeichnet vom „Standortältesten in Galatz“: SS-Obersturmbannführer mit unleserlicher Unterschrift. Standortbefehl „Nr. 1“ erschien erst am 21. Oktober 1940. Abb. 4: – Die Anordnungen der Ärztlichen Verwaltung im Lager Galatz zeichnete Dr. Mathias, laut Stempelaufdruck „Leitender Arzt“ der Volksdeutschen Mittelstelle.2 Als weitere Doktoren erscheinen als seine Adressaten u.a. Dr. Reich und Dr. Mancke oder Maneke. 1 Der „mit uns gereiste neue Lagerkommandant“, den NS-Oberin Rakow am zweiten Tag „zu unserer allgemeinen Freude“ begrüßte, verhalf ihr durch sein autoritäres „Kommando“ zu einer zentral gelegenen Unterkunft für die NS-Schwestern im Hangar Dünkirchen. Am Ankunftstag zuvor hatte ein „volksdeutscher Professor“ den NS-Schwestern ein Wirtschaftsgebäude auf dem hinteren Lagergelände zugeteilt, womit die Führerin der NS-Schwesternschaft nicht zufrieden gewesen war (Q2/ Tagebuch, S. C 32). 2 Q4/Lagerbefehle, Nr. 11 vom 25.10.1940.
456
Quellen-Inventar
Die NS-Schwesternschaft als Teil des Lagerkommandos: Die NS-Schwestern gehörten zum Lagerkommando. „Das Lagerkommando hatte einen großen Raum zur Verfügung, wo sich die einzelnen Kommandogruppen zu bestimmten Zeiten einfanden.“3 – „Die allgemeine Lagerverpflegung bestand aus 4 Mahlzeiten. [...] Wir Schwestern, die wir zum Lagerkommando gehörten, erhielten zusätzlich Butter u. Wurst für ein 2. Frühstück“,4
jedenfalls solange die NSV-Küche der „Volkswohlfahrt“ die Lager-Verpflegung übernahm. Nach Ende der Aktion übernahm die „Kommandoküche“ die Verpflegung und verlangte ab dem 2.11.1940 von allen Kommandomitgliedern Essensmarken für 2 Reichsmark.5 Die NS-Schwesternschaft wurde in den 15 hier vorliegenden Befehlsblättern nur ein einziges Mal im Besonderen angesprochen: In einer „Aufstellung über die Spartätigkeit der Kommandoangehörigen“ stehen sie an einsamer Spitze mit 70,8 Prozent Beteiligung am Sparen. Von den SS-Leuten sparten nur 45 Prozent und am wenigsten mochten die Ärzte von ihrem Gehalt etwas zurücklegen (8 Prozent).6 Von der Sparkasse im Lager Galatz und dem fatalen Verlust der „Kommandogelder“ der NS-Schwestern aus dem Lager Semlin ist an anderer Stelle die Rede, denn ihre gesparten Gelder wurden offensichtlich veruntreut.7 Die NS-Schwesternschaft gehörte regelmäßig zu den Empfängern der Befehlsblätter der Lagerkommandantur. Zum Beispiel mussten auch sie sämtliche Foto-Negative abliefern (Q4/11), erhielten Reitverbot im Lager (Q4/10), hatten pünktlich zu Dienstbesprechungen zu erscheinen (Q4/12, Q4/13), und sie wurden zu Lagerappellen befohlen, wenn NSProminenz das Lager besuchte (Q4/5). Der Verteilerschlüssel für die Befehle im Lager Galatz: Das Lager Galatz wurde nach dem Führerprinzip geleitet, indem die einzelnen Kommandostellen schriftliche Anordnungen von oben erhielten. Die Adressaten der einzelnen Kommandantur-Befehle waren jeweils unterschiedlich und wurden in Kürzeln unter dem jeweiligen Befehl angegeben. Hier die verwendeten Kürzel in alphabetischer Ordnung: – Bleibe – DRK – Einsatz-Kdo.
(nummeriert: I, II, III, abseits liegende Unterbringung für Frauen mit Kindern)8 (Deutsches Rotes Kreuz) Einsatzkommando (Polizei?)
3 Q2/Tagebuch, S. C50. 4 Q2/Tagebuch, S. C49. 5 Q4/Lagerbefehl 15. 6 Q4/Lagerbefehle 3 (Kommandanturbefehl Nr. 23 vom 6.10.1940). 7 Vgl. Q6/Briefe. 8 Bleiben: „Eine Freude für uns waren auch drei etwas abseits liegende ‚Bleiben‘. Hier wurden Frauen mit ihren Kindern untergebracht, deren Männer mit den Trecks nachkamen. Unter ihnen sah man viele große blonde Gestalten, prachtvolle Kinder von gepflegtem Aussehen.“ (Q2/Tagebuch, C48).
Q4/Lagerbefehle – Erg. St. – EWZ – Feuerkommando – Fu.St. – F.v.D. – KBK – Lazarette – Leitstelle – NSF – NSKK – NS-Schwestern – NSV – Prop-Abteil. – San. Dep. – SS – SS-Bewerber – Unterkunftshäuser (10) – Versch. Kommandos – Verw.F. – Zelte
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(Ergängzungsstab?) (Einwandererzentralstelle) (Funkstelle?) (Fahrer vom Dienst? Führer vom Dienst?) (Krankenbaracken-Kommando?) (DRK?) (Nationalsozialistische Frauenschaft)9 (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps)10 (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt)11 (Propaganda-Abteilung) (Sanitäts-Depot? Apotheke?) (aus den Reihen der „volksdeutschen“ Umsiedler) (Die Flugzeughangars wurden bezeichnet mit: Haus Drontheim, Haus Dünkirchen, Haus Flandern, Haus München, Haus Narvik, Haus Nürnberg, Haus Stuttgart)12 (Verwaltung Finanzen? Verwaltungsführer?) (nummeriert: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7)13
19 NSF: „Deutsche Frauen aus dem Hilfsdienst der NS-Frauenschaft“ waren „Arbeitsführerinnen“, die als Helferinnen „volksdeutsche Mädchen u. Frauen aus Südslawien“ und aus den Umsiedlern die nötige Zahl an Küchenhelfern zum Gemüseputzen und Abwaschen bestimmten. Auch die NSSchwestern arbeiteten mit solchen Helferinnen (Q2/Tagebuch, C51). 10 NSKK: „Eine große Reparaturwerkstatt für die LKWs u. PKWs hatte laufend zu tun, um die strapazierten Wagen, die zum Teil Beutegut aus den Niederlanden waren, in Ordnung zu halten“ (Q2/Tagebuch, C34); – Betr. Frauen und Kinder: „Mit großen Personenkraftwagen waren sie von unseren NSKK Männern von der russischen Grenze geholt“ worden (Q/Tagebuch C49). 11 NSV: Die NS-Schwestern unterstanden nicht nur den Ärzten, sondern auch der NSV: „15–20 000 Menschen waren zeitweilig im Lager zu verpflegen. Das war für die NSV in einem Lande, das Massenverpflegung in dieser Größe u. Güte nicht kannte, eine ungeheure Leistung. Die rumänische Stadtverwaltung in Galatz hatte Sorge, daß dabei die Lebensmittelversorgung der rumänischen Bevölkerung in Frage gestellt wurde. Der Lebensstandard dieses Volkes ist ja weit niedriger als der unsere. Nur die wenigen begüterten Menschen stellen höhere Ansprüche. Die allgemeine Lagerverpflegung bestand aus 4 Mahlzeiten. Zum Morgenfrühstück gab es schwarzen gesüßten Tee, reichlich Butter, Brot u. Pflaumenmus, mittags ein kräftiges Eintopfgericht, nachmittags wieder Tee, Brot u. Mus u. abends wieder ein warmes Gericht. Zum Mittag- und Abendessen wurde Brot gereicht, da die Umsiedler davon große Mengen verzehrten. [...] Die Umsiedler wurden unter freiem Himmel beköstigt, nur an den wenigen Regentagen wurde die Verpflegung in die Zelte oder die Hangars gebracht.“ (Q2/Tagebuch, C49f ). 12 Drontheim usw.: Über den politischen Hintersinn dieser Bezeichnungen vgl. Q2/Tagebuch, C32. 13 Zelte: „Da hören wir eben, daß auch Zelte belegt worden sind. Bei unserer Ankunft waren es nur die Gerüste. Die Aufschriften nannten eine Augsburger Firma als Herstellerin. In einigen Zelten waren nur Männer anzutreffen. Prächtige kernige deutsche Gestalten.“ (Q2/Tagebuch, C45).
458
Quellen-Inventar
Q4/Lagerbefehle: Übersicht
(chronologische Ordnung nach Datum): Nr. Titel / Bezeichnung
Datum
Betr. / Inhalte
1
Lagerbefehl Nr. 7 / Eilt!
21.9. 1940
2
Lagerbefehl Nr. 18
6.10. 1940
3
Kommandanturbefehl Nr. 23
6.10. 1940
4
Lagerbefehl Nr. 20 Kommandanturbefehl Nr. 34 Lagerbefehl Nr. 24 Standortbefehl Nr. 1 (2 Seiten)
– Rumänische Wachposten zur Sicherung des Lagers Galatz mit Schusswaffen. Kein Durchlass außerhalb des Haupttores, das auch von SS bewacht wurde. X 4 Anordnungen an die Umsiedler: – Anordnung zum Abhören der Rede des HJ-Obergebietsführers Usadel über Lautsprecher beim Erntedankfest 7.10. – Personalveränderung (Vertreter für Arbeitsdienste) – Abgabe von Lebensmitteln, die Umsiedler mitbrachten, an die NSV – Latrinen-Sauberkeit X 3 Anordnungen an Kommandoangehörige: – Telefongespräche (Beschränkung) – Paketkontrolle (Stichproben bei Einkäufen in Galatz) – Lagersparkasse (Kontrolle der Einzahlenden, die NSSchwestern sparten am meisten) – Zapfenstreich im Lager 23h wegen Erntedankfest
7.10. 1940 10.10. Appell aller Kommandos zur Rede von SS-Obergrup1940 penführer Lorenz am 11.10., 7.30h
5
6 7
8
9
Kommandanturbefehl Nr. 47 An alle Dienststellenleiter im Lager Galatz
NSSchwestern im Verteiler?
X
11.10. 1940 21.10. 1940
– Trinkwasserverbot wg. Krankheitsfällen, Ersatz: X NSV-Tee 6 Anordnungen nach Beschwerden: X – Verhalten gegenüber rumänischen Frauen (Verbot von sexuellen Belästigungen durch Kommandomitglieder) – Verbotene Lokale (Liste der erlaubten) – Grußpflicht (an dt. Kommando sowie an Offiziere des rum. Heeres und Polizei) – Standortstreifen (zur Kontrolle der Kommandoangeh. in der Stadt Galatz) – Hamsterei (Kontrolle der Einkäufe) – Jüdische Schneidereien (Liste erlaubter rumänischer Schneidereien für Kommandoangehörige) 22.10. – Einforderung einer namentlichen Aufstellung der X 1940 Kommandoangehörigen 22.10. – Kameradschaftsabend-Planung zum Abschluss (mit 1940 Rundfunkübertragung)
X
459
Q4/Lagerbefehle 10
12
Kommandanturbefehl Nr. 51 Ärztliche Verwaltung, Lager Galatz, Leitender Arzt der Volksdt. Mittelstelle, Dr. Mathias Einladung
13
Einladung
14
Kommandanturbefehl Nr. 57 An alle Kommando-Angehörigen des Lagers Galatz
11
15
25.10. – Reitverbote, mit Ausnahmen 1940 25.10. Bitte um Weiterleitung aller Foto-Negative von Auf1940 nahmen im Rahmen der Umsiedlungsaktion an die Volksdeutsche Mittelstelle bei der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest.
28.10. – Probe für den Kameradschaftsabend 1940 29.10. – Dienstbesprechung pünktlich um 9 Uhr 1940 30.10. – Generalprobe zum Kameradschaftsabend am 31.10. 1940 1.11. 1940
– Regelung der Verpflegung nach Ende der NSVKüche durch Kauf von Essensmarken.
X X
X X X
X
Transkriptionen Q4/1 bis Q4/15:
Q4/Lagerbefehl 1 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant Lagerbefehl 7 [handschriftlich in rot: ] Eilt!
Galatz, 21.9.40
Betr.: Rumän. Wachposten. Ab 21.9.40 18 Uhr übernehmen rumän. Wachposten die Sicherung des Lagers im Aussenbereich. Ich bitte die Dienststellenleiter und Leiterinnen diese Anordnung unverzüglich bekanntzugeben. Dabei ist besonders darauf hinzuweisen, dass die Posten strenge Weisung haben, keinen uniformierten oder nicht uniformierten Angehörigen des Lagers ausserhalb des von uns mitbesetzten Eingangstores durchzulassen. Eine Nichtbefolgung dieser Anordnung berechtigt die rumän. Wachposten von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Für die Richtigkeit: / [Autograph unleserlich] / SS-Untersturmbannführer / Der Lagerkommandant gez. Perthen SS-Obersturmbannführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / F.v.D. / FuSt. / Prop.Abteil. / Feuerkomm. / Lazarett / Einsatzkomm. / 10 Unterkunftshäuser
460
Quellen-Inventar
Q4/Lagerbefehl 2
Maschinenschrift-Durchschlag auf Pergamentpapier Galatz, den 6.10.40 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant Lagerbefehl Nr. 18. Betr.: Erntedankfest Lager Galatz. Am Montag den 7.10.40 20 Uhr 30 spricht Ministerialrat Obergebietsführer der HJ Usathel14 im Speiseraum des Lagers zu allen Kommandoangehörigen und Umsiedlern. Ich bitte alle Dienststellenleiter und -Leiterinnen, dass alle Kommandoangehörige, soweit es im Rahmen der dienstlichen Belange möglich ist, bis 20 Uhr 30 die Plätze im Speiseraum eingenommen haben. Ausserdem bitte ich für diesen Tag den Urlaub auf das Mindestmass zu beschränken. Soweit es das Wetter zulässt, haben die Hallenältesten dafür zu sorgen, dass alle Umsiedler auf dem Platz vor dem Speiseraum der NSV bis 20 Uhr 30 zum Abhören der Rede, die durch Lautsprecher übertragen wird, versammelt sind. Betr.: Personalveränderung. Alle Volksdeutschen die in der Lagerführung beschäftigt sind und einen Posten bekleiden, haben sich vor der Umsiedlung zwecks Stellen eines Vertreters bei der Lagerführung unbedingt abzumelden. Betr.: Abgabe von Lebensmitteln. Es wurde festgestellt, dass Umsiedler die in den letzten Tagen im Lager Galatz aufgenommen wurden, Lebensmittel an die Bevölkerung verteilt haben. Mit der NSV ist vereinbart worden, dass sämtliche Lebensmittel, die von den Umsiedlern mitgebracht werden, sei es Obst, Mehl, Wurst, Oel, Fleisch usw. von der NSV käuflich übernommen werden. Ich bitte daher sämtliche Umsiedler diese Anordnung zu befolgen. Betr.: Latrinen. Ich habe bereits vor einiger Zeit im Lagerbefehl Nr. 14, Ziff. 2 um die Sauberhaltung der Latrinen gebeten. Leider mußte ich jedoch feststellen, dass dieser Anordnung nicht genügende Folge geleistet wird. Ich bitte daher nochmals alle deutschen Volksgenossen um grösste Sauberhaltung der Latrinen und Aborte. Der Lagerkommandant / i.A. [Autograph unleserlich] / [Roter Stempel:] SSUntersturmführer. Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / Versch. Kdo. / DRK / FuSt. / Feuerko. / KBK / San.Dep. / Verw.F. / Lazarette / Erg.St. / NS-Schwestern / Haus Drontheim / Haus Dünkirchen / Haus Flandern / Haus München / Haus Narvik / Haus Nürnberg / Haus Stuttgart 14 Usathel: Vermutlich Ministerialrat Dr. Georg Usadel (1900–1941), Leiter der Reichsführerschule der HJ in Potsdam. Seine Rede wird „Vom Dienen“ und von „Zucht und Ordnung“ gehandelt haben, dies waren Themen früherer Aufsätze. Vgl. Namensregister im Anhang, Anmerkung ebd.; vgl. auch Q7/Bericht 7.
Q4/Lagerbefehle
461
Q4/Lagerbefehl 3 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant
Galatz, den 6.10.40
Kommandanturbefehl Nr. 23.
Betr.: Telefongespräche Um einen reibungslosen Verlauf betreffs Telefongesprächen mit der Lagerführung zu gewährleisten, bitte ich alle Dienststellenleiter, die zu führenden Telefongespräche auf ein Mindestmass herabzusetzen. Gespräche der Lagerführung sind vordringlich und ich bitte darum, dass Gespräche, die nicht unbedingt von grösster Wichtigkeit sind, zurückgestellt werden. Betr.: Paketkontrolle. Immer wieder läuft bei mir Beschwerde ein vom Deutschen Konsulat in Bukarest, dass Kommandoangehörige des Lagers Galatz, sowie Schiffsbesatzung unerhörte Einkäufe in der Stadt tätigen. Dieser Umstand ist unerträglich, da dadurch eine Preissteigerung unausbleiblich ist. Ich sehe mich aus diesem Grunde veranslasst, durch die Wache Stichproben über die Einkäufe machen zu lassen. Die Dienststellenleiter bitte ich, mich auch in dieser Anordnung weitgehendst zu unterstützen. Betr.: Lagersparkasse. Durch den Sachbearbeiter der Lagersparkasse Kamerad Broszio wurde mir eine Aufstellung über die Spartätigkeit der Kommandoangehörigen überreicht. Hieraus ersehe ich, dass die Spartätigkeit nicht in dem Umfange aufgenommen wurde, wie ich es erwartete. Eine prozentuale Beteiligung der Sparer ist folgende: NS-Schwestern 70,8 % SS-Kdo. 45,4 % NSKK 27,4 % Versch. Kdo. 25,0 % DRK 12,0 % Aerzte 18,3 % Die Lagersparkasse ist jeden Tag geöffnet, und ich erwarte von jedem Kommandoangehörigen, dass er diese Einrichtung weitgehendst in Anspruch nimmt. Der Lagerkommandant / i.A. / [Autograph unleserlich] / [Roter Stempel:] SS-Untersturmführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / Versch.Kdo. / FuSt. / F.v.D. / KBK / San.Dep. / Verw.F. / EWZ / Erg. St. / [rot unterstrichen:] NS-Schwestern
462
Quellen-Inventar
Q4/Lagerbefehl 4 Pergamentpapier
Volksdeutsche Mittelstelle G, den 7.10.40 Lager Galatz Der Lagerkommandant Lagerbefehl Nr. 20 Betr.: Zapfenstreich für den 7.10.40 Der heutige Zapfenstreich wird aus Anlass des Erntedankfestes auf 23 Uhr festgesetzt. F.d.R. / [Autograph unleserlich] / SS-Untersturmführer / Der Lagerkommandant / gez. Perthen / SS-Obersturmbannführer
Q4/Lagerbefehl 5 Durchschlag
Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz Galatz, den 10. Okt. 1940 Der Lagerkommandant Kommandanturbefehl Nr. 34. Am Freitag den 11. Oktober 1940, spricht SS-Obergruppenführer L o r e n z , zu sämtlichen Kommandoangehörigen des Lagers. Die Dienststellenleiter haben dafür Sorge zu tragen, dass alle Kommandoangehörigen, soweit wie entbehrlich an diesem Appell teilnehmen. Aufstellung wie bei der Besichtigung durch SS-Obergruppenführer Heissmeyer und Reichsfrauenführerin ScholzKlink. 7.30 Uhr stehen alle Kommandos. Der Lagerkommandant / i.A.: [Autograph unleserlich] SS-Untersturmführer. Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / Fu.St. / Feuer-Kdo. / KBK / San-Dep. / NS-Schwestern. / F.v.D.
Q4/Lagerbefehl 6 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz Galatz, den 11. 10. 40 Der Lagerkommandant Lagerbefehl Nr. 24. Betr.: Trinkwasserverbot. Durch mehrere Krankheitsfälle, die durch Trinken von Wasser hervorgerufen wurden, sehe ich mich veranlasst das Trinken von Wasser aus sämtlichen Entnahmestellen zu verbieten. Die Grossküche der NSV hat zu jeder Zeit Tee zur Verfügung, der daselbst eingenommen werden kann. Alle Kommandoangehörige und Umsiedler mache ich wegen der grossen Gefahr der Erkrankung darauf aufmerksam und bitte das Trinken von Wasser zu unterlassen. F.d.R. [Autograph unleserlich] SS-Untersturmführer Der Lagerkommandant / gez. Perthen / SS-Obersturmbannführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / FuSt. / Feuer-Kdo. / KBK / San.Dep. / Verw.F. / Lazarette / EWZ / Erg.St. / NS-Schwestern / Haus Drontheim / Haus Dünkirchen / Haus Flandern / Haus München / Haus Narvik / Haus Nürnberg / Haus Stuttgart / Bleibe I, II, III / Zelte 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.
Q4/Lagerbefehle
463
Q4/Lagerbefehl 7
Wasserzeichen: „ORIGINAL WRITING PAPER“, Überbreite, Durchschlag: 2 Seiten. [Seite 1:] Volksdeutsche Mittelstelle Der Standortälteste in Galatz
Galatz, den 11. 10. 40
Standortbefehl Nr. 1. Betr.: Verhalten gegenüber rumänischen Frauen Es wurde bei mir in der letzten Zeit darüber Klage geführt, dass rumänische Frauen von Kommandoangehörigen in unliebsamer Weise belästigt wurden. Dies Verhalten entspricht nicht der Würde, die ein Kommandoangehöriger in der Heimat, und noch viel weniger im Auslande an den Tag legt. Aus diesem Grunde verbiete ich ab sofort jedem Kommandoangehörigen sich gegenüber rumänischen Frauen Formen zu nähern, die unserer sonstigen Art nicht entsprechen. Betr.: Verbotene Lokale. Verschiedene Vorfälle geben mir Veranlassung nochmals darauf hinzuweisen, dass lediglich die von mir gestatteten Lokale zum Besuch frei gegeben sind. Die von mir verausgabten Vordrucke, soweit sie noch nicht an die Kommandoangehörigen ausgegeben sind, sind sofort auszugeben, damit sich kein Kommandoangehöriger wegen Unkenntnis entschuldigen kann. Betr.: Grusspflicht. Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Grusspflicht gegenüber den einzelnen Dienststellen und Kommandoangehörigen stark nachgelassen hat. Offizieren des rumänischen Heeres und der Polizei ist ebenfalls die Ehrenbezeigung durch den Deutschen Gruss zu erweisen. Betr.: Standortstreife. Der von mir eingesetzten Standortstreife im Stadtbereich Galatz ist unverzüglich auf ihre Anordnung hin Folge zu leisten. Die Standortstreife hat nicht nur das Recht Uniformierte zu kontrollieren, sondern hat ebenfalls das Recht für alle Kommandoangehörigen, die sich in Zivil befinden. Betr.: Hamsterei. Immer wieder laufen Beschwerden ein, dass Kommandoangehörige des Lagers Galatz und der Schiffsbesatzungen unerhörte Einkäufe in der Stadt tätigen. Dieser Umstand ist unerträglich, da dadurch eine Preissteigerung unausbleiblich ist. Ich sehe mich aus diesem Grunde veranlasst, durch die Wache Stichproben über die Einkäufe machen zu lassen. Die Dienststellenleiter bitte ich, mich auch in dieser Anordnung weitgehendst zu unterstützen. [Seite 2:] Betr.: Jüdische Schneidereien. Es ist die Feststellung gemacht worden, dass viele Kommandoangehörige ihre Anzüge und Kleider bei jüdischen Schneidern anfertigen lassen. Die rumänische Schneiderzunft hat nunmehr dem Deutschen Konsulat eine Liste der ihr angeschlossenen Schneiderwerkstätten eingereicht, die ich hiermit bekanntgebe.
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Quellen-Inventar
11. Dimitru Croituru Herrenschneider Strada Brailei 7 12. Ion Bezman " " " 28 13. Gh. Botez " " " 60 14. Mihail Gala " " Caldarari 21 15. Stefan Serban " " Brailei 24 16. Vladimir Ghorghe " " Codreanu 20 17. Gheorghe Istrate " " Brailei 55 18. Dumitru Stanescu " " Tecuci 52 19. Vasile Ciubucciu " " Domneasca 24 10. Franz Sigarto Damenschneider " Lahovari 7 11. Ionel Balog " " Cuza Voda 17 12. Costica Constantinescu " " Dogariei 14 13. Gheorghe Constantinescu " " Mare 34 14. Sofia Theorghiade Damenschneiderin " Gen. Berthelo / Ecke Str. Foti Ich bitte alle Dienststellenleiter diese ihren unterstellten Dienststellen und Kommandoangehörigen zur Kenntnis zu bringen. Der Standortälteste [Autograph unleserlich] / [lila Stempel:] SS-Obersturmbannführer [runder Stempel mit Reichsadler und Hakenkreuz, lila:] Volksdeutsche Mittelstelle Umsiedlung Lager Galatz Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / Fu.St. / KBK / Verw.F. / Lazarette / EWZ / Erg.St. / NSSchwestern / Versch.Kdo. / San-Dep. / F.v.D.
Q4/Lagerbefehl 8 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz Galatz, den 22.10.40 Der Lagerkommandant Kommandanturbefehl Nr. 47. Betr.: Namentliche Aufstellung der Kommandoangehörigen. Ich bitte um sofortige Einreichung einer namentlichen Aufstellung der Kommandoangehörigen Ihres Kommandos: / Name / Dienstgrad / Dienststellung / von... bis... / Termin: 25.10.40. F.d.R. [Autograph unleserlich] SS-Untersturmführer Der Lagerkommandant / gez. Perthen / SS-Obersturmbannführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / FuSt. / Feuer-Kdo. / KBK / San.Dep. / Verw.F. / Lazarette / EWZ / Erg.St. / Versch. Kdo. / NS-Schwestern
Q4/Lagerbefehl 9
Wasserzeichen: „ORIGINAL WRITING PAPER“, Überbreite Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz Galatz, den 22 Okt. 1940 Der Lagerkommandant. An alle Dienststellenleiter des Lagers Galatz. Betr.: Kameradschaftsabend. Zum Abschluss unserer Tätigkeit hier im Lager Galatz ist ein Kameradschaftsabend geplant, der durch den Rundfunk übertragen werden soll. Um dieser Uebertragung einen würdigen Rahmen
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Q4/Lagerbefehle
zu geben, bitte ich alle Kameraden und Kameradinnen am Gelingen des Abends nach besten Kräften beizutragen. Meldungen der Kameraden und Kameradinnen die sich tatkräftig an diesem Abend beteiligen wollen, bitte ich bis Donnerstag bei der Lagerführung abzugeben. Der Lagerkommandant i.A. [Autograph unleserlich] SS-Untersturmführer. Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / Fu-St. / Feuer-Kdo. / KBK / San.Dep / Verw.F. / Lazarette / EWZ / Erg.St. / Ns-Schwestern / Versch. Kdo. / F.v.D.
Q4/Lagerbefehl 10 Galatz, den 25.10.1940 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant Kommandanturbefehl Nr. 51. Betr.: Reitverbot. Ich verbiete ab sofort allen Kommandoangehörigen, sowie der Mannschaft Brenndorf, Hermannstadt und den SS-Bewerbern, dass das Reiten zu unterbleiben hat. Lediglich die Kommandoangehörigen und Wachmannschaften haben die Berechtigung zum Reiten, soweit Untersturmführer Drescher die Genehmigung zum Reiten erteilt hat. Außerdem ist das Reiten nur ausserhalb der Lagerumzäunung gestattet. F.d.R. [Autograph unleserlich] SS-Untersturmführer. Der Lagerkommandant / gez. Perthen / SS-Obersturmbannführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / Feuer-Kdo. / KBK / San.Dep / Lazarette / Einsatz-Kdo. / Erg.St. / NS-Schwestern / Hermannstädter / Brenndorfer / SS-Bewerber
Q4/Lagerbefehl 11
Wasserzeichen: „MANILA SCHREIBMASCHINEN“, Durchschlag Ärztliche Verwaltung Lager G a l a t z
Galatz, den 25. X. 1940
Anbei übersende ich Ihnen eine Abschrift eines Briefes der uns von der „Volksdeutschen Mittelstelle, bei der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest“ zuging und bitte sie die Negative in der ärztlichen Verwaltung zur Weiterleitung abzugeben. „Wir bitten Sie, uns alle Aufnahmen, die im Rahmen der Umsiedlungsaktion gemacht worden sind, per Nachnahme zuzuschicken. Es handelt sich lediglich nur um Negative, die, wenn verlangt, wieder zurückgeschickt werden. Da wir die Aufnahmen dringend benötigen, bitten wir Sie, uns die vorhandenen Negative schnellstens zuschicken zu wollen. gez. Dr. Mathias [mit Autograph] [Darüber ein runder Stempel mit Reichsadler und Hakenkreuz in lila:] Volksdeutsche Mittelstelle – [unleserlich: Ostmannschaft?] – Leitender Arzt verteilt an: Dr. Maneke / Oberwachtführerin / Uff.Volk / Feldwebel Herrmann / NS-Schwestern / Dr. Reich
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Quellen-Inventar
Q4/Lagerbefehl 12 Durchschlag
Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant
Galatz, den 28.10.40
Betr.: Probe für den Kameradschaftsabend. Heute abend, Montag den 28. 10. 1940, findet in der Flandernhalle um 20 Uhr die Probe zum Kameradschaftsabend, der am Mittwoch den 30. durchgeführt werden soll, statt. Ich bitte dafür zu sorgen, dass alle Kommandoangehörige, die an diesem Abend aktiv beteiligt sind um diese Zeit pünktlich zur Verfügung stehen. Pünktliches Erscheinen ist unbedingt erforderlich, da heute die Zeitfolge entgültig zusammengestellt wird. Der Lagerkommandant i.A. [Autograph unleserlich] / [Stempel in lila:] SS-Untersturmführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / NS-Schwestern / FuSt. / KBK / San-Dep. / Lazarette / SS-Bewerber
Q4/Lagerbefehl 13 Blauer Durchschlag
Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant
Galatz, den 29.10.40
Betr.: Dienstbesprechung. Heute vormittag den 29. 10. 40 um 9 Uhr findet in der Lagerführung eine Dienstbesprechung aller Dienststellenleiter statt. Ich bitte um pünktliches Erscheinen. Der Lagerkommandant i.A. [Autograph unleserlich] / [Stempel in lila:] SS-Untersturmführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / [durchgestrichen: FuSt. / Feuer-Kdo.] / KBK / SanDep. / NS-Schwestern
Q4/Lagerbefehl 14 Galatz, den 30.10.40 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant Kommandanturbefehl Nr. 57. Betr.: Kameradschaftsabend und Probe. Die für heute angesetzte Probe fällt aus, dafür findet am 31.10. 14 Uhr mit allen die aktiv an den Aufführungen zum Kameradschaftsabend beteiligt sind in der Flandernhalle die Generalprobe statt. Am Donnerstag vormittag 9 Uhr bitte ich alle Veranstaltungsleiter und Leiterinnnen zu einer Besprechung anwesend zu sein, ebenfalls in der Flandernhalle. Der Kameradschaftsabend findet nunmehr endgültig am 31.10. 20 Uhr in der Halle Flandern statt.
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Q4/Lagerbefehle
Der Lagerkommandant i.A. [Autograph unleserlich] / [Stempel in lila:] SS-Untersturmführer Vert.: SS / NSKK / NSV / NSF / DRK / FuSt. / Feuer-Kdo. / KBK / San-Dep. / Verw.F. / Lazarette / NS-Schwestern / Leitstelle / Versch. Kdo.
Q4/Lagerbefehl 15 Volksdeutsche Mittelstelle / Lager Galatz / Der Lagerkommandant An alle Kommandoangehörigen des Lagers Galatz.
Galatz, den 1.11.40
Betr.: Regelung der Verpflegungs- und Markenausgabe. An Stelle der bisherigen Verpflegung durch die NSV-Küche tritt ab 2.11.40 die Kommandoküche. Alle Kommandoangehörigen, die am 2.11.40 verpflegt werden, haben bei der Lagerführung, Schreibstube II bei Kamerad B r o s z i o die Essensmarken in Höhe von täglich RM 2.-- zu kaufen. Essen ohne Marken wird nicht verabreicht. Der Lagerkommandant i.A. [Autograph unleserlich] / [Stempel in lila:] SS-Untersturmführer Vert.: SS / NSKK / DRK / FuSt. / KBK / San-Dep. / Verw.F. / Lazarette / NS-Schwestern / F.v.D. ***
Aus dem Kommandanturbefehl vom 6.10.1940 (Q4/3, Ausschnitt)
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Q5/FOTOS Fotos der Umsiedlung aus Sicht der NS-Schwestern im Zeitraum vom 3. September bis 16. November 1940
Methodische Anmerkungen: Zur Sortierung und Serienbildung: Die 91 Fotos aus dem Nachlass von Dora P. alias NS-Oberin Dorothee Rakow wurden in einem kleinen, braunen Briefumschlag mit der handschriftlichen Aufschrift: „Donaufahrt und Rumänien“ bewahrt Bei der Übergabe durch die Tochter Renate J. lagen sie ungeordnet in dem Umschlag. Auf den ersten Blick erschienen einzelne Fotos gleich interessanter, andere waren nichts sagende Landschaftsbilder. Für die Spurensuche nach Krankentransporten war es dennoch wichtig, alle Fotos einer näheren Untersuchung zu unterziehen und zu verstehen, wie auch die interessanteren chronologisch und topografisch einzuordnen sind. Schließlich konnten aber auch unwichtig erscheinende durch nähere Betrachtung an Bedeutung gewinnen und uns bisher unbekannte Einblicke in das Umsiedlungsgeschehen aus Sicht der NSSchwesternschaft geben. Am 3. Mai 2007 sortierte ich das Konvolut in 16 Serien von A bis P, die seitdem unverändert beibehalten wurden und jedem einzelnen Bild eine Signatur von A1 bis P8 gaben, die Querverweise ermöglichten. Nach einer groben Ordnung nach vermuteten Orten auf den Bildseiten (Wien, Donau, Galatz, Bukowina ...) und Informationen auf den Rückseiten (handschriftliche Bildtitel, Fotografenstempel, Nummern) folgte eine weitere Ordnung nach formalen Indizien wie exakte Bildmaße, Form des Randschnittes, Papierfarbe, um Serien zu erkennen. Eine grobe chronologische Anordnung von A bis P mit jeweiliger Themenbildung und Datierung konnte aufgrund des allgemeinen Vorwissens über die Umsiedlung konstruiert werden (siehe Übersichtstabelle). Danach erfolgte der Versuch, die Fotos innerhalb der Serien in eine chronologische Reihenfolge ihrer Entstehung zu bringen. Nach dieser Vorarbeit war es möglich, alle Fotos nach und nach einzeln zu erschließen. Zur Kommentierung der Fotos Q5/A1 bis Q5/P8: Um die Fotos zum Sprechen zu bringen, kamen verschiedene Methoden und Sekundärquellen zum Einsatz:
Q5/Fotos
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– Passend erscheinende Textstellen aus den anderen Primärquellen, Lebensbericht (Q1), Tagebuch (Q2), Einzelblättern (Q3), Befehlsblättern (Q4), Briefen (Q6) und Berichten (Q7), wurden nach und nach im Zeitraum ihrer Erschließung einzelnen Fotos als Zitate zugeordnet. Gegenseitige Querverweise erschlossen im Laufe der Zeit sowohl Fotos wie Texte der NS-Schwestern zu einem komplexen, illustrierten, verstehbaren Netz. – Dorothee Rakow hat einige Fotos auf der Rückseite selbst in Deutscher Schrift beschriftet. Wenn vorhanden, sind diese zu jedem Foto vorweg angegeben. Zusätzlich fand sich auf einzelnen Fotos ein handschriftlicher Vermerk in Normalschrift: „Innenseite Album“. Diese Auswahl von repräsentativeren Fotos eigneten sich für Propagandabilder zur Umsiedlung. Der krasseste Gegensatz zwischen Bildern für „Innenseite Album“ und Schnappschüssen der Realität zeigt sich z.B. bei den Fotos Q5/P6 und Q5/P7. – Zitate aus der zeitgenössischen Literatur boten vor allem das Propaganda-Werk „Heimkehr der Bessarabiendeutschen“ von Andreas Pampuch (1941), der auch selbst ein Mitglied des Umsiedlungskommandos war und Fotos und Aufsätze anderer Teilnehmer veröffentlichte, die diese als Berichte 1940 nach Berlin schickten. Sehr hilfreich für die Ortung der Landschaftsbilder entlang der Donau war das „Handbuch für Donaureisen 1939“ der DDSG, das als „Widmungsexemplar“ im Nachlass von Dorothee Rakow vorhanden war. – Aus der wissenschaftlichen Literatur wurden 2007 vor allem die maßgeblichen Werke von Birgit Breiding (Braune Schwestern, 1998) und Dirk Jachomowski (Umsiedlung, 1984) herangezogen. Bei der Überarbeitung 2019/20 wurden Verweise auf neue Arbeiten, z.B. von Petra Betzien (NS-Schwestern, 2018), ergänzt. – 2007 legte ich einzelnen Personen die Fotos zur Kommentierung vor. Die Gesprächsnotizen werden in manchen Kommentaren verwendet. Folgende Personen trugen aus verschiedenen Perspektiven zur Kommentierung bei: – Renate J. (G 1942), Tochter von D. Rakow, in ihrer Wohnung am 7. Mai 2007. Auf drei Fotos konnte sie ihre Mutter eindeutig identifizieren (Q5/F1, P5, P8), was weitere Identifizierungen erleichterte. – Dr. med. Helmut Ritter (G 1919), nach seiner realistischen Einschätzung der letzte noch lebende Zeitzeuge aus dem damaligen Umsiedlungskommando, bei einem Besuch in Bremen am 9. Mai 2007. – Arnulf Baumann (G 1933), Zeitzeuge als Umsiedler aus Bessarabien und 2007 im Vorstand des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., nach einer Vorstandssitzung in Bad Sachsa am 17. Juni 2007. – Dr. med. Steffen Osthege (G 1957), als praktischer Mediziner, zu einzelnen Fotos, die für mich besondere Fragen aufwarfen (u.a. G3, I1, J1), in Westerstede im Herbst 2007. – Constantin Tudurache, Timișoara (Rumänien) löste 2020 mit der exakten Ortsbestimmung einiger Fotos (Q5/M1, N4, N5, O1) in rumänischen Expertenforen zu historischen Orten und alten Eisenbahnlinien noch einige Rätsel, die 2007 noch offen geblieben waren. – Jedem Kommentar geht eine sachliche Kurzbeschreibung voraus. In einigen Fällen konnte ich Fotos durch Bildanalysen besser erschließen. Neben den Vergrößerungsmöglichkeiten am PC war eine beleuchtbare Lupe ein detektivisches Arbeitsinstrument auf der Suche nach bedeutsamen Details.
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Quellen-Inventar
Übersicht: Q5/Serie A bis Q5/Serie P SERIE
Q5/A
Q5/B Q5/C
Q5/D
Q5/E Q5/F
ANZAHL
DATIERUNG
INHALT, BEMERKUNGEN
Q5/A–F: Sammelplatz Wien, Verschiffung und Donaufahrt Gesamtzahl: 91 Fotos – Datierung gesamt: 3.September – 16. Nov. 1940 6 Sammelplatz Wien 3.–10. Sept. 1940 Fotos während der Wartezeit der NS-Schwestern in der Wiener Jugendherberge. Besichtigungen der Stadt Wien 1 Wien 10.(?) Sept. 1940 Frauen vorm Parlament (s. A6) 10 Abreise aus Wien u. 12.–15. Sept. 1940 12.9.: Jugendherberge, Donaufahrt I Bus und Verschiffung der Schwestern Donaufahrt bis Orsova 16 Abreise aus Wien 12.–15. Sept. 1940 Jugendherberge, Verschiffung u. Donaufahrt II der Schwestern, Schifffahrt: Eisernes Tor u.a. 4 Donaufahrt ab 13. Sept. 1940 Pressburg, Eisernes Tor, Singestd. 2 Donauschiff mit Sept. 1940 Dorothee Rakow mit jungen ‚Dirndln‘ (12.9.?) Frauen in Folklorekleidung
Q5/G
8
Q5/H
8
Q5/I
2
Q5/J Q5/K
1 8
Q5/L
1
Q5/M
TITEL
5
Q5/G–L: Bessarabien-Umsiedlung Auffanglager der Volksdeutschen Mittelstelle in Galatz (Rumänien) Auffanglager und Ort 17.(?) Sept. 1940 Hafen und „Stadtbild“ Galatz, Galatz/Rumänien Lager-Tor, Entlausung Lager Galatz I Sept./Okt. 1940 Hangars, Schwesternheim, Zelte, Besuch der Reichsfrauenführerin Lager Galatz II Sept./Okt. 1940 Milchküche, Rumän., Oberinnen Lager Galatz III Sept./Okt. 1940 ? Geländebild Grenzübergang am Sept. 1940 Dorfstraße mit Schlagbaum, Pruth SS-Kfz, Matrosen, Treckwagen, eingestürzte Brücke, Pontonbrücke Donau-Hafen Herbst 1940 Wasseransicht mit Schiffen Q5/M–P: Bukowina-Umsiedlung Lager in der November 1940 Bukowina
Bahnstation „...thlen“, Lager-Essensausgabe
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Q5/Fotos Q5/N
10
BukowinaUmsiedlung
November 1940
Q5/O Q5/P
1 8
Radautz/Bukowina BukowinaUmsiedlung (Radautz u.a.)
November 1940 2.–16. Nov. 1940
Trachten, Holzhäuser, Denkmäler, Abfahrt der Umsiedler mit Eisenbahn NSV-Verpflegungsstelle (entwickelt in Landsberg/ Warthe von Anni Ho.): NSVVerpflegungsstelle Radautz, Wäscherei, Materiallager, Dorothee Rakow im Mercedes, Eisenbahnwaggons mit Umsiedlern, NSSchwestern
Einzelkommentierungen der Fotos Q5/A1 bis Q5/P8
Q5/Serie A 6 Fotos1
Thema: Sammelplatz Wien Datierung: 3.–10. September 1940
Q5/A 1 Rückseite: „Wien / im Hof der Jugendherberge / Untere Augartenstr. 3 / Innenseite des Albums / 4“ Beschreibung: Eine Gruppe von Schwestern in Tracht. Außerdem seitlich stehend ein Mann mit Schaftstiefeln und weißem Jackett (= SS-Arzt?). Kommentar: Die NS-Oberin notierte: „Wir harren der Abreise in der Jugendherberge Augartenstr.“2 Im August 1940 erreichte die NS-Schwestern der „Aufruf zur Umsiedlungsaktion Sammelplatz Wien [...] Da heißt es: Die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen wird in Angriff genommen, 250 NS-Schwestern werden zur Mitarbeit abkommandiert! Unsere Herzen schlagen höher. Teilnehmen dürfen an einem ganz großen Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung stärksten Ausmaßes. Fieberhaft wird der Abruf erwartet. Doch die Zeit muß noch mit den vielen Vorbereitungen gefüllt werden.[...] Am 3. September 1940 reisen aus den verschiedensten Gauen die Schwestern in Wien an, am nächsten Tage sollte die Einschiffung erfolgen.“3
Die Einschiffung verzögerte sich jedoch um 10 Tage wegen der Machtübernahme des rumänischen Diktators Antonescu.4 Erst am 12.9. wurden die Schwestern verschifft, und am 1 Gemeinsame Merkmale: Gerader Rand, Maße: 87 x 60 mm, Rückseite gestempelt mit „302“. Handschriftliche Kommentierungen auf der Rückseite. 2 Q2/Tagebuch, S. C 16. 3 Q2/Tagebuch, S. C15, C16. 4 Q2/Tagebuch, S. C16, rechte Seite.
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Quellen-Inventar
13.9. war die Abfahrt.5 Die Schwestern verbrachten daher eine Woche in Wien mit Besichtigungen. Dabei entstanden die folgenden Fotos. Q5/A 2 Rückseite: „Wien, Wilhelminenspital / Baracken d. Jungschwestern / 5.9.40“. Beschreibung: Zwei unverputzte Steinbaracken, Holzzaun mit Stacheldraht, Stromleitung über den Dächern, eine Frau mit Schürze und Kopftuch, ein spielendes Mädchen bei der Mülltonne. Kommentar: Der Begriff „NS-Jungschwesternheim“ lässt bei Lesern zunächst Vorstellungen von einem „Heim“ aufkommen, die sich nicht mit dem Foto decken. Die Anordnung der unverputzten Stein-Baracken (Neubauten?) und der Stacheldraht (links im Bild) machen den Eindruck einer Kasernierung der NS-Jungschwestern. Vor der Arbeit im Krankenhaus wurden die jungen Frauen mit Gymnastik geweckt. Nach dem täglichen Dienst erhielten die NS-Jungschwestern im „Jungschwesternheim“ noch „weltanschaulichen Unterricht“. Am Ende ihrer Ausbildung wurden sie darin geprüft. „Die NS.-Schwesternschülerinnen mussten an einem von der Außenwelt abgeschlossenen Ort weltanschaulich geschult werden, sollten sie sich als nationalsozialistische Ordensgemeinschaft empfinden können.“6
Nach der Besetzung Österreichs im März 1938 wurden in der „Deutschen Ostmark 5 Krankenpflegeschulen mit 142 Schülerinnen besetzt.“ In Wien wurde die erste Krankenpflegeschule eröffnet, und zwar als eine Einrichtung am Wilhelminenspital. „40 NS.-Lernschwestern sollten hier ausgebildet werden, die meisten kamen aus Wien und der ‚Ostmark‘, fünf aus dem ‚Altreich‘.“7
Zur Vereidigung der NS-Lernschwestern am 12.12.1938 war die Generaloberin der NSSchwesternschaft, Käthe Böttger, und der Leiter der NSV, Erich Hilgenfeldt, aus Berlin nach Wien gereist. Dabei besuchten sie auch die „Wiener Mädel“ im „NS.-Jungschwesternheim“. Für die jungen Frauen war dies offenbar eine magische Begegnung, denn sie waren „begeistert, und alles Steife fiel und blieb fort. Es war ein Tag, der die Wiener Mädels so recht fühlen ließ, daß es nichts Altes mehr gab, geben konnte! Man muß sich dem Neuen voll und ganz verschreiben, nicht weil man musste, sondern weil einen Unerklärliches dazu trieb, so daß man nicht anders konnte, als seine Hand hinzustrecken und sagen: Da habt ihr mich ganz! Nehmt mich, wie ich bin! Ich bin bereit, alles, alles zu tun!“8
5 Q2/Einzelblätter Nr. 1 und Nr. 3. Zur Abreise aus der Jugendherberge vgl. Q5/Fotos C1, D1. 6 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 213f. 7 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 260. Zit. Aus: NS-Jungschwester Hela Schneider-Winkel: Eröffnung der ersten Krankenpflegeschule. In: Deutsche Schwester Nr. 7. Heft 1 (15.1.1939), S. 17. 8 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 260.
Q5/Fotos
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Die Besetzung der Krankenhäuser mit NS-Schwestern in den „neuen“ Gebieten des Deutschen Reichs war Teil der Funktion der „weiblichen Soldaten des Führers“,9 die die Seele der Menschen für den Nationalsozialismus missionarisch erobern sollten. Mit dieser Mission gingen sie quasi „an die Front“.10 Schwester Dorothee hat sich auf dem Weg nach Bessarabien zu ihrem Kriegs-Sondereinsatz offenbar diese Wiener Einrichtung angesehen, die zum „5.9.40“ – so die Aufschrift auf der Rückseite des Fotos – nicht älter als zwei Jahre war. Das Foto wirkt wie ein schneller Schnappschuss im Hinterhof, der zufällig – oder absichtlich – die Mülltonne und den Bretterzaun mit Stacheldraht erwischte. Auch die Frau mit gepunkteter Schürze und das Mädchen sind aus dem Fokus des Bildes herausgerückt. Schwester Dorothees Bezeichnung „Baracken d. Jungschwestern“ mag Empörung über deren provisorische Unterbringung ausdrücken, die sie möglicherweise mit diesem Schnappschuss dokumentieren wollte. Diese Spekulation bestätigt Dorothee Rakow in einem Satz, den sie am 11. 9. aus der Jugendherberge in Wien an die Generaloberin Käthe Böttger schreibt: „Zum Schluss will ich auch noch sagen, dass ich die viel umstrittenen Baracken im Wilhelminenspital gesehen habe. Kommentar überflüssig“.11
Q5/A 3, Q5/A 4 Rückseite: „Wien, / Blick vom Hochhaus / 8.9.40.“ Beschreibung: Stadtbild Wien 1940 Kommentar: Vor der Reise nach Bessarabien sammelten sich die Mitglieder des Umsiedlungskommandos in Wien. Ein Mitarbeiter eines Umsiedlungskommandos beschrieb die besondere Bedeutung der Stadt Wien für die Umsiedlungsaktion als „Kraft“-Zentrum mit „besonderen Aufgaben“ bei der Neuordnung Europas: „Als Mittelpunkt der Ostmark war Wien das Macht- und Kulturzentrum und hat seine Stärke und Kraft jahrhundertelang in den Osten und Südosten ausgestrahlt. Im Zuge der Neuordnung auf dem Balkan hat es als Kultur- und Handelsmittelpunkt des Südostens besondere Aufgaben. – In Wien empfängt der Gauleiter das Umsiedlungskommando und verabschiedet es im Namen der Partei für die Fahrt nach dem Südosten. Für unsere große Aufgabe in Bessarabien wünscht er uns viel Erfolg.“12
19 Vgl. ebd., S. 257: Bezeichnung der NS-Schwestern von ihrem Vorgesetzten Erich Hilgenfeldt. 10 Vgl. ebd., S. 262. Breiding zitiert eine „Gauvertrauensschwester“ aus Thüringen, die im April 1940 an die Generaloberin die „Mobilmachung“ von 40 NS-Gemeindeschwestern ihres Gaus für das neue „Protektorat“ Böhmen und Mähren meldete mit: „in Marsch setzen. [...] Helle Begeisterung bei allen Kameradinnen[...] es geht an die Front.“ 11 Q6/Briefe Nr. 1 vom 11.9.1940. 12 Pampuch 1941, Heimkehr, S. 79, im Aufsatz „Donaufahrt“.
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Quellen-Inventar
Die Stadt Wien war Hitler verhasst.13 Hier hatte er seine Jugend als verarmter Künstler verbracht. In Wien war auch die Dienststelle von Adolf Eichmann, der hier die Judendeportationen mit der Reichsbahn organisierte. – Die NS-Oberin hatte in den ersten Tagen „nur schlechte Eindrücke [...] verkommene Häuser [...] schlampige, ungepflegte Leute [...]“14 Q5/A 5 Rückseite: „Wien, Blick vom Hochhaus mit Stephansdom und Karlsdom / 8.9.40 / 2“ Beschreibung: Stadtbild Wien 1940 Kommentar: Während die norddeutschen NS-Schwesten in der Wiener Jugendherberge auf die Abfahrt nach Bessarabien warteten, nutzten sie die Zeit, „um Ortskenntnisse zu sammeln. Wien birgt ja so viel Schönes. Das ist die Oper, das Burgtheater, zur Zeit eine handwerkliche Ausstellung, man fährt nach Schönbrunn oder, wer Heurigen trinken will, nach Kahlenberg oder geht in den Prater. Im Mittelpunkt des Interesses steht auch der Stefansdom. Neu ist uns Norddeutschen der Wiener Caféhausbetrieb. Mit einer kleinen Gruppe haben wir trotz Regenwetter Schönbrunn besucht und stärken uns nun in einem kleinen Café. Der Kuchen mundet uns ausgezeichnet, trotzdem er nicht auf Tellern, sondern auf einer Papierserviette gereicht wird. Die Bedienung ist sehr aufmerksam, etwa alle 10 Minuten erhält jede von uns ein frisches Glas Wasser, obwohl wir dieses köstliche Muß im Augenblick garnicht entbehren. Und so reiht sich Glas an Glas, während wir sitzen und Karten-[...] und Kartengrüße, aus der freudigen Stimmung der bevorstehenden Arbeit geboren, in die Weite senden. Ueberall begegnet man dieser, ich möchte sagen Wiener Zuvorkommenheit. Hält man irgendwo auf der Straße Ausschau, ist schon jemand bereit, ‚bitte schön, wohin wollens denn‘. Dagegen sind wir in der Straßenbahn nicht zu weit gefahren, weil wir die dialektischen Ausrufe der Schaffner nicht verstanden.“15
Die schnell übergangene Zwischenbemerkung „Im Mittelpunkt des Interesses steht auch der Stefansdom“, der auch im Fokus des Fotos steht, hat offenbar eine größere Bewandtnis, die nicht so leicht auszumachen ist. Der katholische Dom gilt als österreichisches Nationalheiligtum, der Namensgeber war der erste christliche Märtyrer, auf dessen Tod die Christenverfolgung folgte. Doch die NS-Schwesternschaft war gar nicht christlich orientiert, ihre ,Religion‘ erwuchs eher aus den neugermanischen Gruppierungen, wie z.B. der Armanenschaft. Ihr Begründer Guido von List (1848–1919),16 für den seine Geburtsstadt Wien ein „uraltes arisches Venus-Heiligtum“ war, soll als 14-jähriger in den Katakomben dieses Stephansdoms ein Gelübde abgelegt haben, dass er später einen Tempel für den germanischen Wotan bauen würde. Die 1905 nach ihm benannte Forschungsgesellschaft befasste sich mit germanischer Mythologie, Runenkunde und „Ariosophie“, aus der die Überlegenheit und „Reinheit der arischen Rasse“ postuliert wurde. 1911 gründete der „Wiederentdecker uralter arischer Weis13 14 15 16
Ausführlich über die prägende Wiener Zeit: vgl. Maser 1993 [1971], Hitler. Vgl. Q6/Brief Nr. 1 vom 11.9.1940. Q2/Tagebuch, C17. Wikipedian, URL: de.wikipedia.org/wiki/Guido_von_List (Abruf 3.6.2021).
Q5/Fotos
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heit“ den Armanen-Orden. Seine Epigonen führten sein Werk „rassenmetaphysisch“ fort, in Wien sollte „die kommende Arier-Kirche des Heils-Geistes entstehen.“17 Ein gewisser Hinweis auf Sympathien der NS-Schwesternschaft mit der Ariosophie könnte sein, dass die Generaloberin und ihre erste Stellvertreterin nach dem Krieg ein anthroposophisches Altersheim leiteten.18 Q5/A 6 Rückseite: „Wien, Parlament / 10.9.40 / 1“ Beschreibung: Säulen-Gebäude in Wien 1940 Kommentar: Schwester Dorothee notierte auf die Rückseite dieses Foto das Datum des 10. September 1940. Zwei Tage später war die Verschiffung der Schwestern und am 13. September die Abfahrt nach Rumänien.19 Ein anderes Foto zeigt eine Szene vor diesen Säulen in Nahaufnahme (Q5/B1).
Q5/Serie B 1 Foto20
Thema: Wien
Datierung: wahrscheinlich 10. September 1940 Q5/B 1 Rückseite: „X“ Beschreibung: Szene vor den Stufen des Wiener Parlamentsgebäudes (vgl. Foto Q5/A6): drei ältere Damen in Kostümen und Kleidern mit Hütern und eine NS-Schwester mit Abzeichen; hinter ihnen ein Auto Kommentar: Eine andere Fernaufnahme des abgebildeten Wiener Parlamentsgebäudes (Q5/A6) ist datiert auf den 10. Sept. 1940, zwei Tage vor der Verschiffung der NSSchwestern. Das Auto im Hintergrund ist bis vor die Stufen des Parlamentsgebäudes hochgefahren. Dies lässt auf die hohe Stellung der Frauen schließen, die offensichtlich hierher chauffiert wurden. Auch ihre Kleidung lässt auf einen festlichen Anlass schließen. Eine von ihnen trägt ein weißes Kostüm, die beiden anderen fast identische gemusterte Kleider. Nach der Mode der Zeit tragen sie als Accessoires dekorative Hüte, Handtaschen, Armbanduhr, weiße Handschuhe, die Dame rechts trägt ihre Haare aufgesteckt zur sog. „Olympia-Rolle“, die seit 1936 aufkam. 17 18 19 20
Ach/Pentrup 2001 [1977], Hitlers Religion, S. 23f., 27 (Venus). Kap. II.A. Biografie, 1957. Q3/Einzelblätter 1 und 3. Merkmale: gerader Rand, Maße: 62 x 64 mm, Aufdruck auf der Rückseite „Agfa Lupex“ und handschriftliche Markierung: X.
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Quellen-Inventar
Den Kontrast bildet unter ihnen eine NS-Oberin(?) in strenger dunkler Tracht und nonnenartiger dunkler Haube, die auch körperlich die anderen Frauen in Größe und Breite deutlich überragt und auf sie niederschaut. An der Brust trägt sie besondere Abzeichen.
Q5/Serie C 10 Fotos21
Thema: Abreise aus Wien und Donaufahrt Datierung: 12.–15. September 1940
Q5/C 1 Rückseite: „7“ Beschreibung: NS-Schwestern, angetreten in Schwesterntracht mit Rucksäcken bei einer Ansprache. Kommentar: Vgl Q5/A1 und Q5/D1. Die Aufstellung von NS-Schwestern fand vermutlich im Innenhof der Wiener Jugendherberge statt, wo sie bereits am 3.9. 1940 angekommen waren (vgl. Q5/A1). Nun sind sie hier vermutlich zur Abfahrt – kurz vor der Verschiffung am 12.9.1940 – angetreten mit Rucksäcken auf den Rücken. Eine Frau in ihrer Mitte hält eine Ansprache, vermutlich in Oberinnenkleidung die NS-Oberin Dorothee Rakow als Führerin des Einsatzes. Die „Sonderausrüstung“ in den Rucksäcken erhielten die NS-Schwestern schon bei den Vorbereitungen auf den Bessarabien-Einsatz im August 1940, bevor sie sich in der Jugendherberge in Wien sammelten. 250 NS-Schwestern waren abkommandiert worden, deren gesundheitliche Eignung allerdings vorher geprüft wurde: „Einer Chininbelastungsprobe und Typhusimpfungen muß sich jede unterziehen. Aber niemand empfindet diese Strapazen als Belastung, trotz hohen Fieberanstiegs wird gearbeitet, denn jeder will unbedingt geeignet sein. Dann wird die Sonderausrüstung22 in Empfang genommen. Der Tag der Abreise kommt heran.“23
Auch die Beschaffung der Papiere war bereits vor der Sammlung in Wien erledigt: „Aus-, Durch- und Einreisegenehmigungen müssen eingeholt werden. Dafür auszufertigen sind Formulare und Unterschriften auch Passbilder gehören dazu.“24
Q5/C 2 Rückseite: „9“ Beschreibung: NS-Schwestern steigen aus einem Bus aus; Aufschrift: „AUSTROBUS WIEN“. Die vordere Schwester trägt einen Mantel und drei verschiedene Umhängetaschen. 21 Gemeinsame Merkmale: gerader Rand, Maße: 76 x 50 mm, Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“ und als handschriftliche Markierung: je ein unleserlicher Schnörkel mit Schrägstrich, teilweise handschriftliche Kommentierungen oder Nummerierungen. 22 Sonderausrüstung: vgl. Q2/Tagebuch S. C17, C18. 23 Ebd., S. C 16. 24 Ebd., S. C 15, C16.
Q5/Fotos
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Kommentar: Vermutlich brachte dieser Bus die NSSchwestern von der Jugendherberge Augartenstraße zum Donauhafen. Auch die Besichtigung von Wien dürfte mit einem solchen Bus durchgeführt worden sein. Im Nachlass der NS-Oberin befand sich ein „Widmungsexemplar“ eines „Handbuch für Donaureisen 1939“, das die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft Wien (DDSG) herausgegeben hatte.25 Darin war ein Inserat von „Austrobus“ zu „Stadtrundfahrten in Wien“ erschienen. Q5/C 3 Rückseite: „10“ Beschreibung: Schwestern in Mänteln und mit Rucksäcken in einem Innenraum, Wände mit Bildern und Zeitungen – skeptische Gesichter. Kommentar: Vermutlich sieht man hier einige der 103 NS-Schwestern (vgl Q5/C5) mit der „Sonderausrüstung“ (vgl.Q5/C1), Rucksäcken mit zusammengerollten Decken, kurz vor ihrer „Verschiffung“ am 12. September 1940. Die Wände des dunklen Innenraumes (eines Hafengebäudes?) sind mit Bildern und Zeitungen behängt (Ausstellung?, Werbung?). Die Gestalt rechts, in dunklerer Kleidung, die an der Seite Fahrpläne studiert oder einen Aushang liest, könnte die NS-Oberin Rakow sein. Die skeptischen Gesichter der jungen NS-Schwestern passen nicht mehr zu der zumindest von der Oberin im Tagebuch beschriebenen Euphorie bei der Abkommandierung zum Bessarabieneinsatz im August 1940: „Unsere Herzen schlagen höher. Teilnehmen dürfen an einem ganz großen Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung stärksten Ausmaßes. Fieberhaft wird der Abruf erwartet ...“26
Sie blicken skeptisch und ängstlich. Q5/C 4 Beschreibung: Eine kleine Kapelle mit Posaunen, Trompete, Pauke, Oboe, Flöte, Akkordeon spielt unter einem grob gezimmerten Holzdach im Freien. Die Musikanten sind 12 junge Männer und Jungen in kurzen Hosen und weißen Kniestrümpfen. Vorne geht quer ein Mann im Trenchcoat. Dahinter und darüber verlaufen Stromkabel an Masten (für Lautsprecher?). Kommentar: Vermutlich wird hier ein Abschiedslied für die Abreise nach Bessarabien gespielt. Oder es handelt sich um die Feier einer „Taufe“ oder Schiffstaufe, die Schwester Dorothee für den Tag der Abfahrt am 13.9.1940 notierte: „2. Schiff Passau m. Hans Baumann Taufe.“27 25 DDSG 1939, Donaureisen. 26 Q2/Tagebuch, S. C15. 27 Q3/Einzelblatt 1 (Chronologie von Ereignissen 12.9.–17.11.1940).
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Möglicherweise sehen wir auf diesem Foto im Vordergrund Hans Baumann, der die Umsiedlung als Musiker begleitete.28 Vielleicht begleitete die Kapelle auch die Volkslieder der NS-Schwestern aus dem Jungschwesternheim des Wilhelminenspitals.29 Sie drangen am 12. September 1940 „durch ein Nebentor gegen jede Vorschrift“ in den Hafen ein „und ließen sich auch nicht zurückweisen“, um den NS-Schwestern zum Abschied einige Volkslieder zu singen. NS-Oberin Dorothee beschrieb ihre Emotionen bei diesem Abschiedsgesang pathetisch: „Für Augenblicke fielen Schleier vor meine Augen u. alles ringsum versank, als mit weichen hellen Stimmen jene Worte von Uhland? erklangen, die ich seit der Schulzeit nicht mehr gehört ‚Feldeinwärts flog ein Vögelein und sang im munteren Sonnenschein mit süßem wunderbaren Ton: ade ich fliege nun davon. Weit weit reiß ich noch heut.‘ So sind wir alle nicht aus dem Schutz des Elternhauses in die Welt gegangen u. das Leben hat uns geformt, jeden nach seiner Art u. nach seinem Wollen. Und jetzt standen wir vor der Erfüllung einer Aufgabe, der als Auftakt das Erleben einer großen Kameradschaft gegeben war. Sie sollte uns hinführen zu den deutschen Menschen, denen das Schicksal die Heimat ihrer Urväter zurückschenkte. Eine Heimat, die sie nicht kannten, die aber in ihren Herzen von Geschlecht zu Geschlecht unüberwindlich fortlebte.“30
Die Emotionalität wurde durch zeitgenössische Kinofilme befördert, die den Titel „Heimkehr“ trugen und in Wirklichkeit Kriegspropaganda waren.31 Q5/C 5 Beschreibung: Krankenschwestern in verschiedenen Trachten auf einem Schiff der „DDSG“ mit einer Tafel „1940“. Vgl. ähnliche Fotos Q5/C6, Q5/D3. Kommentar: Die Lettern DDSG auf dem Schornstein stehen für: „Donaudampfschiffahrtsgesellschaft“. Man sieht hier Rotkreuz-Schwestern und Braune Schwestern bei der Verschiffung am 12. September 1940 auf dem Schiff „Wien“ (nach Galatz) oder auf der „Passau“ (nach Semlin), nebst einigen Männern in Reithosen und Schaftstiefeln der SS;im Vordergrund auch ein Herr in Mantel und Hut.
28 Baumann: Mit Hans Baumann sangen die NS-Schwestern auf dem Schiff „Lieder des Kampfes, der Bewegung u. Soldatenlieder.“ (Q2/Tagebuch, C55). Während der Umsiedlung dichtete Hans Baumann das „Heimkehrlied der Bessarabiendeutschen“ (Q3/Einzelblatt 12.a). 29 Wilhelminenspital: Vgl. Q5/ Foto A2. 30 Q2/Tagebuch, S. C18, C19. – Vgl. Kommentar zu Foto Q5/F1. 31 Vgl. Gustav Ucicky (Regie): „Heimkehr“. Spielfilm-Drama, Deutschland 1941. In: Wikipedia: Heimkehr (1941). URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Heimkehr_(1941) (Abruf 21.4.2022).
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Eine NS-Schwester berichtete: „Zwei Schiffe, die ,Wien‘ und ,Passau‘, brachten uns donauabwärts.“32 NS-Oberin Dorothee Rakow fuhr als Führerin der NS-Schwesternschaft auf dem Schiff „Wien“. Sie notierte: „12.9.40 Verschiffung 103 NS-Schw. 13.9. früh 6h Abfahrt / Wien 1938 erbaut 450 t Dampfer Umsdl.komm. – NSV Männer – Hilfsd.Frauen – RK-Helf.33 2. Schiff Passau m. Hans Baumann34 Taufe.“35
Q5/C 6 Beschreibung: Ähnlich Q5/C5. – Im Vordergrund eine NS-Schwester und eine Rot-KreuzSchwester mit Brillen, die offenbar den/die Fotografen/in ansprechen. Kommentar: Vgl. auch Kommentare zu Fotos C5, D3. Auf diesem Foto sind die beiden Männer in Schaftstiefeln deutlicher zu erkennen. Vermutlich waren Helmut Ritter, der als Medizinstudent als Gebietsarzt im Umsiedlungskommando eingezogen war, und die NS-Oberin Dorothee Rakow nicht auf demselben Schiff gewesen, auch wenn Rakow Ärzte und zahlreiches weiteres medizinisches Umsiedlungspersonal auf ihrem Schiff aufzählte: „Wir Schwestern waren nicht Alleinherrscherinnen des Schiffsraumes. Mit uns fuhren etwa 100 Männer des Umsiedlungskommandos, etwa 60 Männer der NSV, 60 DRK Helferinnen und 80 Frauen vom Hilfsdienst, weiter einige Hebammen, SDG’s36 u. Ärzte. Der Schiffsraum musste also bis zum äußersten ausgenutzt werden. In den Luxuskabinen je zu dritt waren die Führer bezw. Führerinnen vom Dienst untergebracht. Die unteren Kabinen im Vorderschiff waren für Männer, die im hinteren für Frauen eingeteilt. Außerdem schliefen Frauen in beiden Speisesälen, während die Männer sich im Oberdeck breit machen konnten. Liegestühle standen überall zur Verfügung, wurden aber kaum benutzt.“37
Ritter erinnerte sich 2007 dagegen nicht daran, dass auf seinem Schiff Krankenschwestern gewesen waren: „Wir sind auch von Wien aus mit unserem Umsiedlungskommando auf das Schiff gegangen. Wir waren aber nicht zusammen mit den Schwestern auf einem Schiff. Auf der Hinfahrt hatte ich noch keinen Fotoapparat. Nur auf der Rückfahrt habe ich auch fotografiert.“38
Die Gesten der beiden bebrillten Schwestern im Vordergrund scheinen sich direkt an die Kamera zu richten, vielleicht: „Dürfen Sie hier fotografieren?“ 32 33 34 35 36 37 38
Q7/Bericht 8, S. 1 (NS-Schwester Freya Weng.). RK.: Rot-Kreuz-Helferinnen. Baumann: Vgl. Kommentar zu Q5/C4. Q3/Einzelblätter Nr. 1 (Notizblatt: Chronologie von Ereignissen 12.9.–17.11.1940). SDG: männlicher „Sanitätsdienstgrad“. Q2/Tagebuch, C22. Helmut Ritter: Kommentar zum Foto Q5/C6. Gespräch in Bremen, 9.5. 2007.
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Quellen-Inventar Q5/C 7 Beschreibung: Blick vom Deck des Schiff auf eine Felsenwand. Kommentar: Erster Perspektivwechsel an Bord des Schiffes: Blick auf die Landschaft; mit Segeltuch überdachte Holzbänke auf dem Oberdeck. Auf solchen überdachten Bänken saß die NS-Oberin mit anderes Frauen (Q5/F1). Q5/C 8 Rückseite: „Schiffsmühlen a. d. Donau“. Beschreibung: Wassermühle am Ufer eines Flusses. Kommentar: Ein Mitglied des Umsiedlungskommandos zu den Schiffsmühlen: „In diesem Gebiet beginnen die für die Donau charakteristischen Schiffsmühlen, die auch Donau-Mühlen genannt werden. Sie sind in dem schnell fließenden Strom verankert und bewegen langsam die breiten Schaufelräder. Aus den Dachluken sehen die mehlbestaubten Müller heraus und staunen über unsere stolzen Schiffe. Wie eine Pfahlbautensiedlung wirken diese Mühlen.“39
Die NS-Oberin meinte, dass diese Attraktion ein Werk von „volksdeutschen“ Donauschwaben sei: „Wir trafen jetzt häufig auf Wassermühlen, in der Donau frei schwimmende Holzhäuser, die nur durch Anker am Bestimmungsort gehalten werden und die von Schwaben bewohnt sind.“40
Q5/C 9 Rückseite: „Mohács“ Beschreibung: drei Frauen in Folklore-Tracht vor einer Schrifttafel, auf der u.a. das Wort „MOHACS“ vorkommt. Kommentar: Von Wien kamen die Donaudampfschiffe auf dem Weg nach Bessarabien zunächst durch die Slowakei und Ungarn. Mohács lag in Ungarn kurz vor der Grenze zu Jugoslawien am rechten Donau-Ufer.41 In der Stadt lebten Ungarndeutsche, Juden, Roma, Kroaten, Serben.42 NS-Schwester Freya unterschied „Volksdeutsche“ und „Fremde“ in Ungarn: „Weiter geht die Fahrt durch die weite Ungarische Tiefebene. Häufig trifft man nun an den Ufern deutsche Siedlungen. Sie sind leicht zu erkennen an ihren hellen, sauberen Bauten. [...] Immer wieder beim Anlegen müssen wir den Volksdeutschen, auch den Fremden deutsche Lieder vorsingen.“43 39 40 41 42 43
Pampuch: Donaufahrt, in: ders.1941, Heimkehr, S. 82. Q/Brief Nr. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz/Rumänien, an Käthe Böttger, Berlin, 27.9.1940). DSSG 1939, Donaureisen. Hintere Klappkarte. Wikipedia: Mohács. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Moh%C3%A1cs (Abruf 1.5.2020). Q7/Bericht Nr. 8, S. 1.
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Die NS-Oberin notierte zum zweiten Tag der Donaufahrt, was sie ihnen vorsangen: „bis wir am 14. 9. morgens 9.45 in Mohács, Ungarn, ankamen. 2 1/2 Stunden hatten wir hier Aufenthalt – Obst und Gemüse wurde an Bord gebracht; währenddessen verbrachten wir uns die Zeit mit Singen von Volks- und Soldatenliedern.“44
Q5/C 10 Rückseite: „Orsova“ Beschreibung: Berg, Häuser und Schiff am Ufer, Anlegestelle. Kommentar: Die Schiffe passierten von Wien aus zuerst Ungarn, dann Jugoslawien und erreichten schließlich Rumänien. Nach der Passage des „Eisernen Tores“ notierte die NS-Oberin zum dritten Tag der Donaureise, dem 15. September 1940: „Weiter ging es an zauberhaft felsigen Ufern vorüber – landeten in Orsova“.45 Orsova lag von Belgrad aus flussabwärts im westlichen Teil Rumäniens am linken Donau-Ufer.46 „In Orșova gehören traditionell große Teile der Bevölkerung ethnischen Minderheiten an, darunter Deutsche (Banater Berglanddeutsche), Magyaren, Juden, Serben und Banater Tschechen.“47 Menschen in Folklorekleidung (vgl. Q5/C9) fotografierte auch ein Polizeihauptmann des Umsiedlungskommandos, auch den Landgang in Orsova beschrieb er ausführlich.48 In Orsova hatten am 12. Juni 1940 1.000 junge rumäniendeutsche Männer ein Schiff in Richtung Deutsches Reich bestiegen, die bei der „1.000-Mann-Aktion“ in die SS eingezogen wurden.49
Q5/ Serie D 16 Fotos50
Thema: Abreise und Donaufahrt Datierung: 12.–15. September 1940
Q5/D 1 Rückseite: „3 / Abreise aus Wien / Jugendherberge“ Beschreibung: Versammlung von NS-Schwestern im Innenhof der Wiener Jugendherberge.51 Sie tragen Mäntel, dunkle Hauben und jeweils eine weiße Karte am rechten Mantelkragen (vgl. Q5/C1). 44 45 46 47 48
Q3/Einzelblätter Nr. 2, Vorderseite. Q3/Einzelblätter Nr. 2, Rückseite. DSSG 1939, Donaureisen. Hintere Klappkarte. Wikipedia: Orsova. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Or%C8%99ova (Abruf 1.5.2020). Richter 1941; Heimkehrer. – Der Bildband enthält auch wenige Fotos und Erzählungen über die NS-Schwestern. 49 Schüller 2009 [2006], Glaube Führer Volk, S. 266. 50 Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: 93 x 64 mm. Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“ und Stempel: „E 215“, handschriftliche Nummerierung rechts unten (mit Lücken), teilw. handschriftliche Kommentierung. 51 Jugendherberge: Vgl. Fotos Q5/C1, Q5/A1.
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Quellen-Inventar Die Aufschrift über der Tür: „Jugendherberge“ ist spiegelverkehrt. Kommentar: Am 12. September 1940 wurden insgesamt 163 NS-Schwestern verschifft.52 Zum Abreisetag aus der Wiener „Jugendherberge, Augartenstraße“ und zur Verschiffung vgl. die Kommentare zu Q5/C1 und A1. Q5/D 2 Rückseite: „4“ Beschreibung: Ein voll besetztes Donaudampfschiff. Kommentar: Die Abfahrt von Wien war am Freitag, den 13. September 1940 um 6 Uhr morgens, mit den Schiffen „Passau“ nach Semlin (Jugoslawien) und „Wien“ nach Galatz (Rumänien). Vgl. Die Fotos Q5/ D3, C5, C6, C7. NS-Oberin notierte in ihr Tagebuch: „Gegen 6 h morgens am 13. 9. 40 setzten sich die Dieselmotoren des Schiffes Wien und Passau in Bewegung. Wir fuhren stromabwärts. Die ‚Wien‘ ist eines der modernen 1938 erbauten Dampfer der DDSG53 und fasst 450 Bruttoregistertonnen. Das hintere mit Bänken versehene Oberdeck war überplant, das mittlere geschlossen und diente tags als Aufenthaltsraum. Das weiter ausladende Mitteldeck hatte vorn u. hinten je einen Speiseraum, in dem etwa 80 Schwestern bequem essen konnten. Zu beiden Seiten des Ganges befanden sich die wenigen Luxuskabinen und steuerbord noch die Küchen- und Anrichteräume. Für die Laderampe bezw. den Ein- u. Ausstieg war steuer- wie backbord Platz vorgesehen, außerdem backbord Wachräume u. Friseur. Letzterer war während unserer Reise nicht notwendig.“54
Q5/D 3 Rückseite: „6“ Beschreibung: Ein voll besetztes Schiff der „DDSG“, mit Schwestern. Nicht mit an Bord: im Vordergrund einige Männer mit Fotoapparat. Kommentar: Vgl. Q5/C5 und C6. Das Donaudampfschiff könnte die „Wien“ oder die „Passau“ sein. Die NS-Oberin notierte die Abfahrtszeiten: „12.9.40 13.9.
Verschiffung 103 NS-Schw. früh 6h Abfahrt / Wien55 1938 erbaut 450 t Dampfer.“56
52 Q2/Tagebuch, C20. 53 DDSG: Donaudampfschiffahrtsgesellschaft. im Nachlass von Dorothee Rakow befand sich noch das von der „ersten“ DDSG in Wien herausgegebene „Handbuch für Donaureisen 1939“. An drei Außenseiten rot gestempelt als: „Widmungsexemplar“. Privatarchiv J. 54 Q2/Tagebuch, C21, C22. 55 Wien: gleichermaßen Name des Donauschiffes wie des Abfahrtsortes. 1940 war dieses Schiff zwei Jahre alt. 56 Q3/Einzelblätter Nr. 1 (Notizblatt: Chronologie von Ereignissen 12.9.–17.11.1940).
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Aus dem Tagebuch erfahren wir Anzahl und Verteilung der NS-Schwestern auf den beiden Schiffen: „Wir auf der ,Wien‘ waren 103 NS-Schwestern mit dem Ziel Galatz/Rumänien, während mit dem Schwesterschiff ,Passau‘ 60 NS-Schwestern Ziel Belgrad und Prahovo fuhren. Ein größerer Teil Kameradinnen wurde später für die Zugbegleitung eingesetzt.“57
Q5/D 4 Rückseite: „9 / Estergom a von Budapest“ Beschreibung: Stadtansicht vom Wasser aus fotografiert. Kommentar: Die NS-Oberin Dorothee notierte zum ersten Tag der Donaufahrt, den 13.9. 1940: „14 Uhr hatten wir das ungarische Städtchen Gonoü errreicht, hier wurde 3/4 Std. gelandet und Proviant auf unsere Schiffe gebracht. 1/2 4 Uhr sahen wir dann eine ungarische Festung, eine Komor. Ferner die Basilika v. Esztergom und Vác mit den Ruinen einer alten türkischen Festung. In Budapest sind wir dann erst abds. 1/2 9 Uhr im Glanz der Lichter eingefahren. Die monumentalen Bauten prangten sogar in ‚Scheinwerferbeleuchtung‘.“58
– Vgl. Q5/D5: Estergom „b“. Q5/D 5 Rückseite: „10 / Estergom b“ Beschreibung: Stadtansicht mit Brücke, von der Donau fotografiert. Kommentar: Vgl. Q5/D4: „Estergom a“. Q5/D 6 Rückseite: „11 / Karpathen“ Beschreibung: Berglandschaft an der Donau. Q5/D 7 Rückseite: „12 / Eing. z. Kazan / Vorges. Spreng d. Engl. / Rechts vorspring. Ufer“. Beschreibung: An der Reling steht eine NS-Schwester mit einem Mann an der Spitze des Schiffes. Vorne haben sie den Ausblick auf eine enge Felsenbucht im Fluss, das sog. „Eiserne Tor“. Kommentar: Dieses unscheinbare Bild einer Station der Donaufahrt am sog. „Eisernen Tor“ ist von Bedeutung, da die „vorgesehene Sprengung der Engländer“ in der Aktualität des Kriegsgeschehens 57 Q2/Tagebuch, C20. 58 Q3/Einzelblätter Nr. 2/Vorderseite.
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von mehreren Schwestern kommentiert wurde. Die rätselhaften Kürzel „Vorges. Spreng. d. Engl.“, die NS-Oberin Rakow auf der Rückseite des Fotos notierte, werden uns von einem anderen Mitglied des Umsiedlungskommandos erläutert. Er schreibt zum „Eisernen Tor (Kasanpass)“: „Zwischen den hohen Wänden verengt sich die Donau von nahezu 2 km Breite auf 150 m. Brausend brechen sich die gestauten Wasser durch das Engtor Bahn. [...] Dort, das linke Ufer mit dem vorspringenden Gestein, das ist die Stelle, die die Engländer im Sommer 1940 sprengen wollten, um so den Wasserweg nach dem Südosten für lange Zeit zu sperren. Doch wir waren eher da und fluchtartig mussten sie das Gelände verlassen.“59
Die NS-Oberin Dorothee hatte zum dritten Tag der Donaufahrt, den 15. September 1940, notiert: „Links schon Rumänien! Kurz vor Gradiste! [...] Hier wollten die Engländer doch unlängst einen Felsen am Ufer sprengen (Bestechung der Lotsen), um die Durchfahrt der Schiffe unmöglich zu machen.“60
NS-Schwester Hanna Kl. berichtete im Rückblick nach der Umsiedlungsaktion: „Doch als wir durch die engste Stelle der Donau, durchs Eiserne Tor fuhren, sprach die Gegenwart uns an. In den Felsen sah man die Spuren des verbrecherischen Anschlags des englischen Geheimdienstes. Hier sollten die Felsen mit Dynamit gesprengt werden, um die Schiffahrt auf der Donau, dieser wichtigen Wirtschaftsader des Deutschen Reiches, stillzulegen für lange Zeit. Da spürten wir wieder, dass wir im Kriege waren und dass der Feind überall seinen Hass gegen uns zum Ausdruck brachte. Aber wir wußten auch, dass dieser Hass uns nicht sehr lange verfolgen würde, denn der deutsche Sieg wird es mit sich bringen, dass der Hass seine Macht für immer verliert. Ein dankbarer Gruss ging an den Mann, der mitten in Krieg und Hass seine Deutschen heimholte, zu denen wir auf dem Wege waren.“61
NS-Schwester Hildegard Uh. schreibt in ihrem Bericht: „eintöniges Ufer bis wir durch den Kasan-Paß fuhren, die engste Stelle der Donau, an der die Felsen der Karpathen schroff zur Donau abfallen. [...] Hier wurden wird auf die deutlich sichtbaren Feldenhöhlen [Felsenhöhlen] aufmerksam gemacht, die die Angländer [Engländer] mit 25000 kg. Sprengstoff gefüllt hatten, um die Donau durch Sprengung der Felsen für dauernd unbefahrbar zu machen. Der Anschlaf [Anschlag], der am 5. April 1940 ausgeführt werden solle, wurde ja bekanntlich glücklicherweise vereitelt. Anschließend passierten wir das Eiserne Tor. Es ist durch die dort erschwerte Schiffahrt bekannt, und erfahrene Lotsen brachten uns über diese Strecke hinweg.“62
Zum „Eisernen Tor“ vgl. Kommentar zu Q5/E3. 59 60 61 62
Pampuch: Donaufahrt, in: ders. (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 87. Q3/Einzelblätter Nr. 2/Vorderseite. Q7/Bericht Nr. 5, S. 2. Q7/Bericht Nr. 7, S. 1.
Q5/Fotos Q5/D 8 Rückseite: „13“ Beschreibung: Mann in Uniform, Blick vom Wasser auf einen Felsenberg. Kommentar: Ein Mann mit Schiffchen-Mütze (Umsiedlungskommando/NSKK?) blickt vom Schiff aus auf einen Felsen, vgl. Q5/D7. Q5/D 9 Rückseite: „17 / Schwabensdlg. / Schiffsmühlen a.d.Donau“. Beschreibung: Kleines Schiff vor einem Anleger. Kommentar: NS-Schwester Freya Weng. erläuterte hierzu ihre Entdeckung „volksdeutscher“ Spuren im Ausland: „In diesem Abschnitt der Donau sieht man auch, die für die Donau charakteristischen Schiffsmühlen; oft, sehr oft sogar findet man an ihnen deutsche Namen.“63 – Zu den Schiffsmühlen vgl. Kommentar zu Foto Q5/C8. Q5/D 10 Rückseite: „20“ Beschreibung: Ufer mit Häusern. Q5/D 11 Rückseite: „21“ Beschreibung: Felsenufer mit Häusern. Q5/D 12 Rückseite: „22“ Beschreibung: Anleger, Boote, Häuser; Menschen auf einem Anleger, an dem ein kleines Dampfschiff wartet, von dem hier nur der hohe Schornstein zu sehen ist. Kommentar: Anlegestellen auf der Hinfahrt mit Landgängen waren z.B. in Mohács/Ungarn (Q5/9) oder Orsova/Rumänien (Q5/10), vgl. Q5/D13: abfahrendes Schiff. Q5/D 13 Rückseite: „24“ Beschreibung: Abfahrendes Dampfschiff. Rechts ein Anleger. Kommentar: Vgl. Foto Q5/D12.
63 Q7/Bericht Nr. 8, S. 1.
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Q5/D 14 Rückseite: „25“ Beschreibung: Ort am Ufer. Q5/D 15 Rückseite: „28“ Beschreibung: Mittelalterliche Burg. Q5/D 16 Rückseite: „29“ Beschreibung: Ort und Boote am Ufer.
Q5/Serie E 4 Fotos64
Thema: Donaufahrt
Datierung: ab 13. September 1940 Q5/E 1 Rückseite: „1. / Preßburg“.
Beschreibung: Stadtansicht mit Burg und Kirche, vom Schiff aus fotografiert. Kommentar: Auf der Kartenbeilage im „Handbuch für Donaureisen 1939“, das die Führerin der NS-Schwesternschaft Dorothee Rakow als „Widmungsexemplar“ bekam,65 schrieb sie neben den Ort BRATISLAWA handschriftlich „Pressburg“. Nach zwei Stunden Fahrt machte das Umsiedlungskommando in Bratislawa bzw. Pressburg (Slowakei) einen Halt von zwei Stunden:
„Am Freitag, den 13. September, morgens 6.30 h fuhren wir von Wien ab mit den Dampfern ,Wien und Passau‘. Unsere Strecke führt durch 6 Staaten. Um 8.30 waren wir in Pressburg (Slowakei) u. hatten dort 2 Stunden Aufenthalt. Es ist die Hafenstadt der Slowakei, beherrscht von der Ruine des einstigen Königsschlosses. Die Berge sind bei Wien zurückgeblieben u. vor uns breitet sich das weite Festland aus, nur hie und da durch Hügel u. freie Berge unterbrochen.“66
Dieser Halt in Bratislawa war möglicherweise mit einer Begegnung mit der dortigen deutschen Volksgruppenführung verbunden:
64 Gemeinsame Merkmale: gerader Rand, Maße: 65 x 90 mm, Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“ und handschriftliche Kommentierungen. 65 DDSG 1939 (Hg.), Donaureisen. 66 Q3/Einzelblätter Nr. 2/Vorderseite.
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„Pressburg [...] ist seit 1938 die Hauptstadt der Slowakei. Die Deutschen bilden einen beträchtlichen Anteil der bodenständigen Bevölkerung dieser Stadt. Pressburg ist der Sitz der deutschen Volksgruppenführung in der Slowakei.“67
Vgl. auch Foto Q5/E2. Q5/E 2 Rückseite: „Pressburg Königsschloß“. Beschreibung: Burg vom Schiff aus fotografiert. Kommentar: Nahaufnahme von Foto Q5/E1. Q5/E 3 Rückseite: „Eisernes Tor“. Beschreibung: Ein Berg, vom Wasser aus fotografiert; im Vordergrund am Ufer eine Mauer und Stromschnellen. Kommentar: Das sog. „Eisernen Tor“ war eine gefährliche Engstelle in der Donau: „Zwischen den hohen Wänden verengt sich die Donau von nahezu 2 km Breite auf 150 m. Brausend brechen sich die gestauten Wasser durch das Engtor Bahn.“68
Aus dem Bericht von NS-Schwester Freya: „Strudel und Untiefen werden der Schiffahrt äußerst gefährlich. Diese Stellen, bis übers ‚Eiserne Tor‘ hinaus, können nur mit einem Lotsen an Bord befahren werden. Das ‚Eiserne Tor‘ übrigens enttäuschte allgemein. Dieser Engpaß zwischen Orsova und Turnu-Severin ist eine schmale Fahrrinne, ein in die Donau gebauter Kanal, in der schon wieder etwas breiter fließenden Donau. Ausserhalb des Kanals ist die Donau aber unbefahrbar. Rechtsseitig führt eine alte Römerstraße, ein ganz schmaler in die Felsen gehauener Steg.“69
Aus Schwester Dorothees Notizen über die Donaufahrt/3. Tag, 15. 9. 1940: „Links schon Rumänien! Kurz vor Gradiste! Nun ist es für längere Zeit vorbei mit dem Flachland, immer näher rücken die Hügel u. Berge heran. 11 Uhr–14.30 fuhren wir mitten zwischen hohen Felsbergen auf dem Strom dahin, der sich an der engsten Stelle bis auf 165 m verschmälert hat. Die Tiefe ist hier 150 m. Ein rumänischer Lotse der um 12.15 h in Orencoa zustieg, steuerte unsere ‚Wien‘ (Elektr. Dieselmotorschiff) durch alle Fährnisse hindurch. Dasselbe passierte zum 1. Mal diese Enge, da das Schiff bisher in Deutschem Gebiet gefahren war. Hier wollten die Engländer doch unlängst einen Felsen am Ufer sprengen (Bestechung der Lotsen), um die Durchfahrt der Schiffe unmöglich zu machen.“70
Zur Sprengung der Engstelle vgl. Q5/D7, Kommentar. 67 68 69 70
Pampuch: Donaufahrt. In ders. (Hg.), 1941, Heimkehr S. 80f. Pampuch, Donaufahrt. In ders. (Hg.) 1941, S. 87. Q7/Bericht Nr. 8, S1. Q3/Einzelblätter Nr. 2/Vorderseite.
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Q5/E 4 Rückseite: „Singestunde auf dem Schiff“. Beschreibung: ca. 25 Schwestern mit braunen Hauben an der Bordkante des Schiffes (ohne Reling!) bei der Betrachtung einer Spiel-Szene. Kommentar: Die Szene, auf die sich die Augen richten, spielt sich mit drei Personen ab: Ein Mann mit hellen Hosenträgern steht mit seinem Hut in den Händen neben einer sitzenden NS-Schwester, die in einem Klapp-Lehnstuhl sitzt. Vor ihr kniend und ihr mit Blick und Armen – wie flehend – zugewandt eine NS-Schwester mit Sonnenbrille in theatralischer Pose. Die Haube ist weit nach hinten verschoben. Vor den Füßen der Sitzenden liegen dunkle, längliche Gegenstände. Der Titel: „Singestunde auf dem Schiff“ scheint nicht ganz zum Geschehen zu passen, auch wenn an anderer Stelle erwähnt wird, dass die NS-Schwestern auf den Schiffen Volkslieder, Lieder der „Bewegung“ und Soldatenlieder sangen.
Die Situation auf dem Bild erinnert eher an eine Theateraufführung, da alle Stühle auf diese Szene hin ausgerichtet sind. Denkbar wäre aufgrund der Pose eine szenische Einübung von Verhalten gegenüber Umsiedlern. Vergrößerte Ausschnitte: In der Vergrößerung könnte man die leitende NS-Oberin Dorothee Rakow als Sitzende erkennen. Sie deckt ihr Gesicht Richtung Fotograf/in ab. Eine andere NS-Schwester hat die Kamera im Hintergrund entdeckt und blickt als einzige mit einem aufgewühlten Gesichtsausdruck hin, so als wolle sie sagen: „Fotografieren verboten!“.
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Q5/Serie F 2 Fotos71
Thema: Donau-Schiff mit „Dirndln“ Datierung: September 1940
Q5/F 1 Rückseite: „62 / X“. Beschreibung: Auf den teilweise mit Holzplanken überdachten Bänken eines Schiffes (vgl. Q5/C7) sitzt inmitten von jungen Frauen in einheitlichen Dirndlkleidern vorne zentral und dennoch wie angeschnitten die NS-Oberin Dorothee Rakow. Sie trägt eine braune Oberinnentracht mit einer großen Schwesternbrosche unter dem Kragen.72 Im Hintergrund flattert eine Hakenkreuzfahne an Heck oder Bug des Schiffes. Kommentar: Unter den jungen Frauen sind einige auch auf dem folgenden Foto Q5/F2 wieder zu erkennen, so die direkt neben NS-Oberin Rakow sitzende junge Frau oder das Mädchen mit Brille und geflochtenen Zöpfen im Hintergrund. Es könnte sich um eine Gruppe junger Frauen handeln, die aus Österreich bei der Abfahrt oder aus Jugoslawien während der Fahrt zugestiegen sind. Oder sind dies die Schülerinnen aus dem Jungschwesternheim aus Wien, die am 12. September 1940 – hier ohne ihre NS-Schwesterntracht – einfach „gegen jede Vorschrift“ an Bord kamen und auf dem Foto gerade den NS-Schwestern Abschiedslieder vorsingen? Aus dem Tagebuch: „Der Kapitän hatte ein Herz für die Jugend, sie durften das Innere des Dampfers u. die Kabinen ansehen bis das Zeichen zur ersten Schiffsmahlzeit und gleichzeitig zum Abschied mahnte. Für Augenblicke fielen Schleier vor meine Augen u. alles ringsum versank, als mit weichen hellen Stimmen jene Worte von Uhland? erklangen, die ich seit der Schulzeit nicht mehr gehört ‚Feldeinwärts flog ein Vögelein‘.“73
Vgl. Kommentar zu Foto Q5/C4. Ebenso könnten es „volksddeutsche“ Mädchen aus dem rumänischen Landesteil Siebenbürgen zu einem späteren Zeitpunkt bei der Ankunft im Hafen Galatz sein (vgl. Kommentar zum folgenden Foto Q5/F2). Q5/F 2 Rückseite: „64 / X“. Beschreibung: Auf einem Steg am Ufer stehen neun junge Frauen in einheitlichen Volkstrachten (Dirndl-Kleider) mit weißen Schürzen und weißen Socken. Nur eine von ihnen vorne in der Mitte trägt ein Blümchenkleid. Hinter ihnen sind fünf Fahnen mit verschiedenen 71 Gemeinsame Merkmale: Gerader Rand. Unterschiedliche Maße. Rückseite mit Aufdruck „Agfa Lupex“ und handschriftliche Nummerierungen rechts oben. 72 Identifikation eindeutig durch ihre Tochter Renate J., 7.5.2007. 73 Q2/Tagebuch C19, C20.
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Symbolen aufgestellt. Nur eine weht: ihr Motiv ist ein großes Kreuz auf hellem Grund. Die Bedeutung des Zeichens konnte nicht ermittelt werden. Kommentar: Einige der jungen Frauen waren kurz zuvor (erkennbar an der Nummerierung „62“–„64“) auf dem Schiffsdeck bei NS-Oberin Dorothee gewesen (vgl. Q5/F1). Es könnten die „volksdeutschen Mädels“ aus dem rumänischen Landesteil Siebenbürgen sein, von denen NS-Schwester Freya bei der Beschreibung ihrer Ankunft im Lager Galatz/Rumänien schwärmte: „Am Tage vorher waren Volksdeutsche Mädels aus Siebenbürgen, die im Lager helfen wollten, angekommen. Wir waren zuerst zusammen in einem großen Raum untergebracht; der Kontakt war im Augenblick hergestellt. Sehr nette Mädels waren darunter, denen wir nicht genug vom Großdeutschen Reich erzählen konnten; immer wieder hatten sie neue Fragen. Aber auch uns mußten sie viel von ihrer Heimat, ihrem Leben und ihren Kämpfen erzählen. auch sie wünschten nichts so sehr, als mit zum Reich zu gehören.“74
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Thema: Auffanglager und Ort Galatz Datierung: (17.?) September 1940
Q5/G 1 Rückseite: „Galatz / am Hafen / 29“. Beschreibung: Rinder und ein Holzstapel liegen zwischen LKW und KFZ. Im Hintergrund erkennt man Schiffe. Kommentar: Auch das Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps (NSKK) war in die Umsiedlung einbezogen. Zu den Kraftfahrzeugen vgl. Kommentar zum Foto Q5/K3. „Die NSKK-Kameraden, 300 Mann stark, mit ihren Fahrzeugen sind mit der Eisenbahn, von Berlin kommend, eingetroffen und warten auf den Einsatz in Bessarabien.“76
NS-Oberin Dorothee Rakow beschrieb die Aufgaben der deutschen Fahrzeuge und ihrer Besatzungen beim Aufbau des Lagers Galatz: 74 Q7/Bericht Nr. 8, S.2. 75 Gemeinsame Merkmale: Geriffelter Rand, Maße: ca. 82 x 60 mm, Pappe, Unterkante höher. Stockflecken auf Vorder- u. Rückseite. Rückseite: teilweise Streifenaufdruck wie auf Postkarten. Handschriftliche Kommentierung und Nummerierung. 76 Pampuch, Donaufahrt. In ders. (Hg.) 1941, S. 95.
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„Was musste die NSKK-Mannschaft nicht alles tun. Deutsche Frachter brachten Gebrauchsgeschirre für das Lager, Eisenbahnwaggons eine ganze Apotheke mit Vorräten für die Umsiedlungsaktion, selbst Milchpräparate, für die ganz Kleinen ‚Alete‘ und die andern Kinder Edelweißmilch, kamen aus Deutschland [...]. Da sah man am Hafen und am Bahnhof immer ‚unsere‘ Wagen, die vielen anderen Lebensmittel mussten aus der mehr oder minder weit entfernten Gegend geholt werden. Und waren die Männer jedes Mal 3 Tage auf der Achse, wenn Zucker herangeschafft werden musste. Deutsche Zeitverhältnisse mussten eben ganz ausgeschaltet werden. Eine große Reparaturwerkstatt für die LKWs u. PKWs hatte laufend zu tun, um die strapazierten Wagen, die zum Teil Beutegut aus den Niederlanden waren, in Ordnung zu halten.“77
Die LKW brachten auch die NS-Schwestern einen Tag nach ihrer Ankunft im Hafen Galatz zum Lager. Zwei Schwestern beschrieben diese Fahrt: „Am nächsten Tag brachte uns ein Lastkraftwagen in das Lager und wir waren froh, dass wir, auf der schlechten Strasse, ohne Becken- und Schädelbrüche dort ankamen.“78 – „NSKK holte uns mit Lastwagen ab, denn das Lager liegt einige km vom Hafen, etwas außerhalb der Stadt.“79
Q5/G 2 Rückseite: „Galatz / Toreinfahrt/ 30 / Innenseite des Albums“. Beschreibung: Drei Wachtposten unter einer Toreinfahrt, hinter der eine lange Straße, Bäume und Häuser sichtbar werden. Die Aufschrift über der Toreinfahrt lautet: „Volksdeutsche Mittelstelle / Auffanglager – Galatz“. An den Seitenpfosten wehen Hakenkreuzfahnen. Im Hintergrund quer über die Straße gespannt, steht auf einem weißen Band zwischen zwei Hakenkreuzen: „Deutschland grüßt seine heimkehrenden Brüder u. Schwestern Bessarabiens“. Kommentar: „In Galatz ist auf dem Flughafen ein Auffanglager für die Umsiedler aus Bessarabien hergerichtet worden. Überall wird noch gebaut, Wasserleitungen gelegt, Hallen errichtet usw.“80
Das erste große Auffanglager Galatz lag auf einem ehemaligen Flughafengelände außerhalb der neuen russischen Grenze zu Bessarabien auf rumänischem Boden, kurz hinter dem Grenzfluß Pruth, über den die Umsiedler vom deutschen Umsiedlungskommando unter russischer Aufsicht über die Grenze nach Westen gebracht wurden. Bis zur russischen Besetzung im Sommer 1940 war Bessarabien ein Landesteil von Rumänien gewesen. Am 17. September nachmittags war Oberin Rakow „mit 14 Schwestern“ von den 102 angereisten ins Lager Galatz gefahren, nachdem das Schiff „Wien“ mittags im Hafen angekommen war, 77 78 79 80
Q2/Tagebuch, S. C33, C34. Q7/Bericht Nr. 6, S. 1. (NS-Schwester Käthe Schm.). Q7/Bericht Nr. 8, S. 1. (NS-Schwester Freye Weng.). Pampuch, Donaufahrt. In ders. (Hg.) 1941, S. 95.
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„damit die hier notwendige Arbeit aufgenommen werden konnte. Schon am nächsten Tag trafen die ersten Umsiedler ein.“81 Am 19.9. kamen noch etwa 40 Schwestern dazu. Die anderen waren auf 24 Umsiedlerschiffe verteilt worden. NS-Oberin Dorothee beschreibt die Ankunft der NS-Schwestern im Lager Galatz: „Doch da grüßten uns die deutschen und die rumänischen Landesfarben am Eingang des Lagers. Zur Begrüßung der Beßaraber Deutschen war ein großes Transparent aufgestellt. [...] Am Gebäude linker Hand das rote Kreuz auf weißem Felde, also Lazarettbetrieb. Gegenüber das Verwaltungsgebäude. Ein volksdeutscher Professor [...] klärte mich über den Lageplan des kilometerweit sich erstreckenden Lagers auf. Ein Flugplatz, der vor wenigen Jahren vom Engländer erbaut, und wegen der jetzt 3 km nahen russischen Grenze seinen eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen sollte. Die Hangars, große Hallen, waren bereits für die Unterkünfte der Umsiedler hergerichtet. Durchgehende Holzpritschen mit Strohschütten u. Decken versehen. Zur Orientierung waren die Hangars bezeichnet mit Namen, die in diesem Krieg bereits den Hieb u. Sieg unserer Massen kündeten: Narvik, Drontheim, Flandern, Dünkirchen, München u. Nürnberg dagegen als Zeugen unserer nationalsozialistischen Bewegung, u. Stuttgart die Stadt der Auslanddeutschen. Wir wurden einstweilen in einem Wirtschaftsgebäude untergebracht. Der mit uns gereiste neue Lagerkommandant82 den ich andern Tags zu unserer allgemeinen Freude begrüßen konnte, hatte aber Verständnis dafür, daß wir mehr zentral liegen müssten.“83
NS-Schwester Hildegard erinnert sich an die Ankunft in der Stadt und im Lager Galatz: „Am 17.9. legten wir in Galatz an. Das NSKK. fuhr uns durch die schmutzige, verjudete Stadt zum Lager, wo die Hakenkreuzflagge und die rumänische Nationalfahne wehte. Im Lager war schon reges Leben, obwohl erste vereinzelte Rückwanderer angekommen waren. Es wurde noch viel gezimmert und eingerichtet, da die großen Flugzeughallen, genannt Hangars, nicht ausreichten, wenn 15000 Menschen auf einmal beherbergt werden sollten.“84
Q5/ G 3 Rückseite: „Galatz / Entlausung / 53“. Beschreibung: Mehrere Menschen in weißen Schutzanzügen neben einem Kastenwagen mit hohem Schornstein unter Bäumen. Kommentar: Als ich Dr. Ritter, damals Gebietsarzt, dieses Foto am 9.5.2007 vorlegte, damit er es mir erkläre, sagte er unvermittelt: „Davon haben wir nichts gewusst!!!“ Auf der Rückseite notierte die NS-Oberin: „Entlausung“.85 Links auf der Bank und auch rechts oben auf dem Kastenwagen sieht man vier oder fünf Menschen (Frauen?) in weißen Schutzanzügen. Es könnten Menschen in Arbeits-Schutzanzü81 82 83 84 85
Q6/Brief Nr. 2, S. 2 (NS-Oberin Dorothee Rakow an die Generaloberin Käthe Böttger). Vermutlich Perthen, vgl. Q4/Lagerbefehle. Q2/Tagebuch S. C31, C32. Q7/Bericht Nr. 7, S. 1 (NS-Schwester Hildegard). Vgl. Kap. II.C.Spur 7 Entlausung.
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ge gegen das Überspringen von Läusen sein oder auch Personen, die unter dieser abgeschlossenen Verpackung chemisch entlaust wurden. Man sieht einen dunklen Kasten-Aufsatz auf einem Rädergestell. Im Kasten ist ein liegender Zylinder eingebaut, sichtbar an der Unterseite des Wagens. Die große runde Tür des Zylinders befindet sich genau hinter den Umrissen des runden Wasserschadens. In der Vergrößerung sind deutlich rechts die Scharniere und im Kreis verteilt handliche große Flügelschrauben zu erkennen. Evtl. handelt es sich um ein Sterilisierungsverfahren mit Hitze und Überdruck. Auf dem Boden liegt ein Stapel Holzscheite, zu dem sich gerade ein dunkel bekleideter Mann bückt. Neben ihm steht ein Kind. Hinter dem Kasten verläuft ein Ofenrohr nach oben durch das Blattwerk der Bäume hindurch. Im Laub des linken Baumes, einer Birke, hängen zwei Schilder-Pappen oder Koffer-ähnliche Gegenstände. – So rätselhaft wie dieses Foto bleibt die Andeutung einer NS-Schwester über Vorgänge vor Ankunft der Umsiedler: „So vergingen diese ersten Tage mit Vorarbeiten. Dann kamen die ersten Umsiedler aus den übrigen Teilen Rumäniens; das gab es natürlich mehr zu tun. Und wenig später kamen dann die ersten Bessaraber.“86
Q5/G 4 Rückseite: „Galatz / Stadtbild / 61“. Beschreibung: Rinderkarren auf einer Straße vor einem Laden, dazwischen ein Kind mit Fellmütze. Kommentar: Nach ihrer Ankunft mit den Schiffen besichtigte das Umsiedlungkommando die Stadt Galatz. NS-Schwester Hanna Kl. blickte hinter die „europäische Tünche“: „Das gab ein Aufsehen in der Stadt. Ueber 100 NS.-Schwestern, verliessen wir in dreifacher Kolonne das Schiff. Wir wollten nicht wie die Soldaten mit gleichem Schritt und Tritt marschieren. Aber wir zeigten, dass wir eine Gemeinschaft waren, die Disziplin halten konnte. Unsere äussere Geschlossenheit sollte dies kund tun. Wir gingen durch Galatz mit grossen, staunenden Augen. Hier war der Balkan. Galatz, früher eine ganz türkische Stadt, hatte europäische Tünche aufgelegt. Aber die Tünche hielt nicht stand und hinter allem kam das Orientalische, aber gleichzeitig furchtbar Schmutzige mit der bittersten Armut verbunden, zum Vorschein. Bilder, die wir überhaupt nicht mehr kannten, tauchten hier vor uns auf. Verkrüppelte und Verstümmelte hockten an den Strassenecken, in Lumpen gehüllte und bettelten. Ueberall sassen die öffentlichen Schuhputzer und schrillten die Stimmen der Jungen, die mit ihren Zeitungen durch die Strassen rannten.“87
Auch die NS-Oberin Schwester Dorothee beschrieb ihren schlechten Eindruck von der Stadt: „Wir Mitteleuropäer stellen an eine Hafenstadt mit 120 Tausend Einwohnern gewisse Ansprüche. Auf dieser ersten Fahrt bereits sind sie vollends gesunken: Der Hafenplatz nur zum Teil gepflastert, die Straßen eng, ungepflegt, über den meisten Geschäften prangten jüdische Namen, Zigeunerkinder bettelten, auf den Stufen eines Ladeneinganges lag ein in Lumpen ge86 Q7/Bericht Nr. 8, S. 2 (NS-Schwester Freya Weng.). 87 Q7/5, S. 3 (NS-Schwester Hanna Kl.).
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Quellen-Inventar hülltes schlafendes Etwas. Viele ungepflegte Hunde bildeten oft ein Verkehrshindernis in dem ohnehin schon von Willkür beseelten Fuhrwesen.“88
Eine geradezu gegenteilige Wahrnehmung von Galatz hatte ein Stabsleiter des Umsiedlungskommandos, als er nach Abschluss der Umsiedlung mit dem Restkommando aus Bessarabien in Galatz eintraf. Dort hatte er die „russischen Verhältnisse“ kennengelernt, die nach der Besetzung Bessarabiens eintraten: Lebensmittel-Knappheit, Ungeziefer beim Schlafen, Ekel vor dem Essen, verspätete Züge, Angst vor der politischen Polizei. Er schreibt: Von dort zurück zurückkommend, „durch die sowjetische Grenzsperre nach Galatz. Eine Zentnerlast fällt uns vom Herzen, endlich sind wir aus dem Sowjetparadies heraus. Man muß es erlebt haben, um sich von den dortigen Zuständen ein wahres Bild zu machen. In Galatz begegnet uns eine andere Welt, Läden, anständig gekleidete Menschen, Ruhe und Ordnung. Wir entfalten einen mächtigen Hunger und sind voller Freude darüber, daß wir uns so frei bewegen können und nicht dauernd bespitzelt werden.“89
Q5/G 5 Rückseite: „Galatz / Stadtbild / 62“. Beschreibung: Das „Stadtbild“ zeigt ironisch ein frei laufendes Schwein mit zwei kleinen Ferkeln in einem Abfallhaufen, durch den ein Kutscher mit zwei Pferden mitten hindurchfährt. Der Kutscher und dahinter ein Junge tragen Fellmützen; im Hintergrund einstöckige Stadthäuser. Im Vordergund rechts eine Holzwand mit Aushängen; auf dem oberen Plakat mit der Überschrift „Porunca“ (dt.: Befehl) steht in rumänischer Schrift „RAZBOIUL SE INTINDE“, übersetzt: „DER KRIEG BREITET SICH AUS“. Q5/G 6 Rückseite: „Galatz / Geflügelhändler / 63“. Beschreibung: Sieben Enten, Gänse, Hühner sitzen – vermutlich gefesselt – auf dem Boden in einer Reihe aufgereiht neben dem „Geflügelhändler“, der auf einer Türkante am Trottoir mit übereinander geschlagenen Beinen auf Käufer wartet, hinter ihm eine vertäfelte Holzwand mit einem Schaufenster, hinter dem Konservendosen ausgestellt sind. Darunter hängt ein Reklameschild mit dem Firmennamen „Schmoll-Pasta“, einer bekannten Wiener Lederpflege-Fabrikation.
88 Q2/Tagebuch, S. C29, C30. 89 Pampuch: „Es regnet!“, in: ders. 1941, Heimkehr, S. 223.
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Q5/ G 7 Rückseite: „Galatz / Markt / 64 / Innenseite des Albums“. Beschreibung: Gemüsemarkt, auf dem Obst und Gemüse in Körben angeboten werden. Kommentar: Das Einkaufen in der Stadt war von der Lagerleitung nicht erwünscht: „Betr. Hamsterei Immer wieder laufen Beschwerden ein, dass Kommandoangehörige des Lagers Galatz und der Schiffsbesatzungen unerhörte Einkäufe in der Stadt tätigen. Dieser Umstand ist unerträglich, da dadurch eine Preissteigerung unausbleiblich ist. Ich sehe mich aus diesem Grund veranlasst, durch die Wache Stichproben über die Einkäufe machen zu lassen.“90
Q5/G 8 Rückseite: „Galatz / der Jude / 65“. Beschreibung: Textil-Geschäft mit außen aufgehängten Tüchern und Kleidungsstücken. Auf dem Schild darüber steht „Ghisela Eizic“. Im Eingang steht ein Mann mit Hut, davor ein Kind mit Kappe. Kommentar: Mit „der Jude“ bezeichnete die NS-Oberin auf der Rückseite des Fotos den Eigentümer des Ladens bzw. den Mann mit dunklem Anzug und Hut in der Tür. In ihren späteren Lebenserinnerungen schrieb sie über die Juden, die sie 1940 in Galatz gesehen hatte: „Erstaunlich war, daß sämtliche Handwerksbetriebe von Juden geführt wurden. Auch in ihren Lebensmittelgeschäften kaufte man noch sehr gut. Mangelwaren, die es bei uns gar nicht mehr gab oder sehr verknappt waren, z.B. Butter, Kaffee und Tee. [...] Ja, und diese Leute waren deutschsprachig, wurden aber nicht umgesiedelt.“91
Die jüdischen Schneider von Galatz nähten für die Kommandoangehörigen, was den rumänischen Schneidern missfiel: „Betr. Jüdische Schneidereien: Es ist die Feststellung gemacht worden, daß viele Kommandoangehörige ihre Anzüge und Kleider bei jüdischen Schneidereien anfertigen lassen. Die rumänische Schneiderzunft hat nunmehr dem Deutschen Konsulat eine Liste der ihr angeschlossenen Schneidereiwerkstätten eingereicht, die ich hiermit bekannt gebe.“92
90 Q4/ Lagerbefehle 7, S. 1 (Standortbefehl Nr. 1, Lager Galatz, 21.10. 1940). 91 Q1/Lebensbericht 1989, Bl. 33. 92 Q4/ Lagerbefehle 7, S. 2 (Standortbefehl Nr. 1, Lager Galatz 21. Oktober 1940).
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NS-Schwester Hanna hetzte im NS-Jargon gegen die Juden als „Ausbeuter“ und als „Seuche“: „In den Hauptstrassen war eine lebendige Geschäftigkeit. Es war ein buntes Bild. Hier konnten man nicht von einer Rasse sprechen, die sich in den Menschen verkörperte. Es war ein Völkergemisch, wenn auch der dunkel Typ vorherrschend war. Aber hervorstechend unter allen diesen Menschen waren die Juden, die das Geschäftsleben beherrschten. Auch hier versuchten sie ein Land auszubeuten und ihren Zielen gefügig zu machen. In Deutschland hat der Nationalsozialismus Schuss mit diesen Ausbeutern gemacht. In Rumänien versucht die Eiserne Garde ihr verseuchtes Land wieder freizumachen. Es ist eine schwere Aufgabe.“93
NS-Schwester Freya waren die jüdischen Geschäfte in Galatz unheimlich, die sie in diesem Teil Europas wieder entdeckte, nachdem sie aus dem deutschen Straßenbild vor nicht allzu langer Zeit verschwunden waren. „Die Stadt lernten wir erst später, nachdem wir uns schon eingelebt hatten, bei unseren Einkäufen, kennen. Da wird es einem doch bewußt, daß man nun am Rand Europas und der Kultur, lebt. Ganz kraß tritt hier ein grenzenloses Elend mit unvorstellbarem Schmutz hervor. Anblicke, die man sich bei uns überhaupt nicht mehr denken kann. Sehr auffallend waren auch die unheimlich vielen Juden mit ihren typischen Namen, wie man sie früher auch bei uns an den Geschäften sah. – – – “94
„Früher“ meint hier nicht das Mittelalter. Seit der „Arisierung“ jüdischer Geschäfte in NSDeutschland waren erst wenige Jahre vergangen.95
Q5/Serie H 8 Fotos96
Thema: Lager Galatz
Datierung: September/Oktober 1940 Q5/H 1 Rückseite: „Geflügelvorräte / 34“. Beschreibung: Fotografiert vom anderen Ufer: Hinter einer großen flachen Wasserlache laufen schwarze und weiße Hühner, Enten, Gänse frei auf einer Wiese. Zwischen diesen lebenden „Geflügelvorräten“ scheint ein Gegenstand im Wasser zu liegen, es handelt sich aber nur um die Spiegelung der dahinter liegenden Baracke oder des Stallgebäudes oder Schlachthauses. Vor dem weißen Gebäude mit hellem Dach im Hintergrund liegen größere längliche Gegenstände grob aufgestapelt (große Koffertruhen?). Vor dem 93 94 95 96
Q7/Bericht Nr. 5, S. 3 (NS-Schwester Hanna Kl.). Q7/Bericht Nr. 8, S. 1 (NS-Schwester Freya Weng.). Vgl. Kapitel II.C.Spur 3 „Nicht umgesiedelt: Juden“. Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: ca. 87 x 59 mm, Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“ und handschriftliche Kommentierung und Nummerierung, Stockflecken auf Vorder- und Rückseite.
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Haus ist eine Gruppe von Männern in einer Reihe oder Gruppenaufstellung hintereinander von links aus angetreten (die Träger der Truhen?). Kommentar: Das Geflügel ist nur vordergründig das Hauptthema des Bildes. Das Geschehen im Hintergrund wird mit der Bezeichnungen „Geflügelvorräte“ nicht verständlich. Ein vergrößerter Ausschnitt macht neugierig. Q5/H 2 Beschreibung: Blick in einen offenen Hangar in moderner, stabiler Beton- oder Holzbauweise mit Fensterlöchern (vgl. Q5/H3 und H4). Die Flugzeughalle wurde eingerichtet mit grob gezimmerten Holzbetten ohne Matratzen, auf denen Wolldecken liegen. Auf und unter den Gestellen sind Weiden-Koffer verstaut. Männer mit Mützen und Frauen mit Kopftüchern sitzen oder liegen entspannt im Hintergrund. Vorne links sitzt eine Frau mit weißer Schürze (Helferin oder eine Schwester), neben ihr zwei Kinder. Das ältere Mädchen trägt eine Brille. Kommentar: Eventuell handelt es sich um die 30-Bettenstation, die Schwester Dorothee in Galatz – allerdings „in einem Zelt“ – einrichtete: „Ich mußte für Kranke in einem Zelt eine etwa 30-Betten-Station einrichten, ein Arzt vom Roten Kreuz betreute sie.“97 Q5/H 3 Rückseite: „Galatz / Halle Narvik vor der Abreise / 46“. Beschreibung: Männer, Frauen, Kinder in und vor einem Hangar, der „Halle Narvik“; kurz „vor der Abreise“ aus dem Auffanglager Galatz wird hier in der Kleidung der Umsiedler ein Mode- und Kulturwechsel sichtbar: Der alte Mann links außen trägt noch die bessarabische Fellmütze, die Männer weiter rechts schon westliche zivile Anzüge und Hüte.
97 Q1/Lebensbericht 1989, Bl. 30.
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Kommentar: Den Kleidungstausch verdankten die Umsiedler der NSV, für die auch die NSOberin arbeitete. Rein organisatorisch beschreibt sie diese Aufgabe: „Eine Bekleidungskammer gab die nötigen Säuglingsausstattungen u. Schuhe u. Bekleidung für Kinder u. Erwachsene her.“98 Woher kam diese Kleidung, die die NSV großzügig kostenlos verteilte? War die Bekleidung ebenso wie die NSKK-Autos sog. „Beutegut“ aus anderen Kriegsaktionen? Q5/H 4 Rückseite: „Galatz / Dünkirchen / gestapeltes Umsiedlergut vor dem Aufladen / 47“. Beschreibung: Auf dem Schild zwischen den beiden Flugzeughallen steht die Aufschrift „Haus Drontheim“. Das entspricht nicht der Notiz – Haus „Dünkirchen“ – auf der Rückseite des Fotos. Man sieht männliche Umsiedler(?) oder Helfer mit Mützen gelassen herumstehen. Zwischen den beiden Hangars liegen große Gepäckhaufen. Vorne läuft ein geschäftiger Mann in hellem Anzug quer durchs Bild. Q5/H 5 Rückseite: „Aufbruch zur Versorgung der Zelte / 54“. Beschreibung: Zwei Frauen in geknöpften dunklen Jacken über weißen Röcken tragen zielstrebig Taschen und Körbe und vermutlich Thermoskannen. Im Hintergrund quer dazu sind ein Mann auf einem Pferd und ein Junge zu sehen. Kommentar: Hier reitet jemand im Lager. Erst am 25. Oktober 1940 befahl der Lagerkommandant, „daß das Reiten sofort zu unterbleiben hat.“99 Der Befehl richtete sich an alle Kommandoangehörigen innerhalb der Lagerumzäunung und auch an die „SS-Bewerber“. In diesen männlichen Umsiedlern sahen die NS-Schwestern „prächtige kernige deutsche Gestalten“,100 „groß, blond und helläugig“.101 Der Bildkommentar „Aufbruch zur Versorgung der Zelte“ lässt offen, auf welche Zelte die beiden Frauen so zielstrebig und gutgelaunt zusteuerten. „Da hören wir eben, daß auch Zelte belegt worden sind. Bei unserer Ankunft waren es nur die Gerüste. [...] In einigen Zelten waren nur Männer anzutreffen. Prächtige kernige deutsche Gestalten. Unterhielt man sich mit ihnen, sammelte sich langsam ein Kreis und nur einer war ihr Sprecher, wenn man nicht direkt an den einen oder anderen das Wort richtete. Sie waren mit den Trecks gekommen. Ihre Familien reisten voran und befanden sich voraussichtlich schon im Reich.“102 198 199 100 101 102
Q2/Tagebuch, C53. Q4/Lagerbefehle Nr. 10. SS-Bewerber, Verteiler. Q2/Tagebuch, C45. Q7/Bericht Nr. 8, S. 2 (NS-Schwester Freya Weng.). Q2/Tagebuch, C45.
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Beide Frauen tragen Körbe und Thermoskannen. Vielleicht sind sie auf dem Weg zu einer Kinderstation mit warmer Milch? Beide Frauen tragen eine Brosche am Kragen. Die rechte trägt eine dunkle Haube, die linke eine weiße. Zwei NS-Schwestern waren für die Milchküche eingeteilt.103 Ein befragter Zeitzeuge unter den Umsiedlern hielt diese Deutung für unwahrscheinlich: „Das sind keine braunen Schwestern. An die Braunen Schwestern im Lager kann ich mich erinnern. Ihre Kleidung und ihre Hauben waren kaffeebraun. Ich sehe die Fotos in Farbe.“104
Q5/H 6 Rückseite: „Galatz vor unserem Heim / 55“. Beschreibung: Krankenschwestern nähen gemeinsam draußen vor einem Haus Kissenbezüge. Die Gläser von Fenstern und Türen sind mit weißer Farbe blickdicht bemalt. Kommentar: – „Vor unserem Heim“: Der Arbeitsort der NS-Schwesternschaft im Lager Galatz war der Hangar „Dünkirchen“, der direkt neben der Feuerwache lag. Ihr „Heim“, die Unterkunft war das abgebildete Haus, nachdem es für sie blickdicht vorbereitet wurde: „Nachdem die Scheuerteufel ihr Fest beendet hatten, kamen die ‚Anstreicher‘ an die Reihe. Sämtliche Fenster wurden in Blickhöhe geweißt als Ersatz für Gardinen. Der Einzug konnte stattfinden.“105
Nur eine der abgebildeten Schwestern trägt eine braune Haube. Die anderen Helferinnen sind junge rumänische Frauen aus Siebenbürgen, die schon vor Ankunft der NS-Schwestern im Lager Galatz waren: „Am Tage vorher waren Volksdeutsche Mädels aus Siebenbürgen, die im Lager helfen wollten, angekommen. Wir waren zuerst zusammen in einem großen Raum untergebracht; der Kontakt war im Augenblick hergestellt.“106
Während die NS-Schwestern ihre Säuglingsstation einrichteten wurden die „volksdeutschen Mädels“ mit Näharbeiten für die Ausstattung beschäftigt: „In diesen ersten Tagen gab es noch viel vorzubereiten. Zunächst mußten eine Milchküche und Badestube eingerichtet werden, da ja die Betreuung der Säuglinge und Kleinkinder unser wichtigstes Aufgabengebiet war. Auch Wäsche, Waschlappen und Badetücher mußten noch genäht werden; so vergingen diese ersten Tage mit Vorarbeiten.“107
Die gestapelten Kissenbezüge für die Säuglingskörbe sind auf dem Foto erkennbar: „Etwas schwierig wurde die Beschaffung von Sgl. Körben u. der Kochtöpfe über 30 Ltr. Inhalt. Es war aber doch möglich, die Kleinsten bis zu 1/4 Jahr in Körbchen zu legen, die volksdtsche. 103 104 105 106 107
Q7/Bericht Nr. 8, S. 2 (NS-Schwester Freya Weng.). Arnulf Baumann, Umsiedler aus Bessarabien, Kommentar zum Foto Q5/H5, 17.6.2007. Q2/Tagebuch, C35. Q7/Bericht Nr. 8, S. 1f. (NS-Schwester Freya Weng.). Ebd., S. 2 (NS-Schwester Freya Weng.).
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Quellen-Inventar Gruppe in Galatz nähte uns noch schnell Kissenbezüge für die Wolldecken zum Zudecken, denn die Nächte waren oft bitter kalt“.108
Q5/H 7 Rückseite: „Galatz / Besuch /59 / Innenseite des Albums“. Beschreibung: Eine Gruppe von ca. 18 Personen in Uniformen und Schaftstiefeln, davon vier in Zivilanzügen. Ein beleibter Uniformierter rechts außen trägt eine Hakenkreuzbinde am Arm. Unter all den Männern befinden sich zwei Frauen. Eine der beiden (6. von rechts) steht zentral und genießt ihre Zuwendung. Sie hat hochgesteckte Haare und trägt ein AnzugKostüm mit Schlips. Eine zweite Frau mit Baskenmütze steht im Hintergrund, mit ihrer Körpergröße überragt sie die meisten Männer. Kommentar: Hoher Besuch aus Berlin im Lager Galatz: Es handelt sich um eine hochrangige politische Delegation, die ein Zeitzeuge so identifizierte: „Der zweite von rechts mit dem Schiffchen auf dem Kopf ist einer vom NSKK. Sonst stehen hier Politische Leiter. Der dritte von rechts ist eindeutig von der SS. Man kann es aber nur an seiner strammen Haltung und an dem schwarzen Band an der Mütze (mit Totenkopf ) erkennen. Bei der Umsiedlung in Bessarabien liefen die SS-Männer in feldgrauen Pseudo-Uniformen herum, erst bei der Ansiedlung sahen wir sie in Schwarz.“109
Die Frau im Kostüm ist bekannt. Es handelte sich um die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink. Seit 1936 war sie zudem ständige Vertreterin von Erich Hilgenfeldt im Fachausschuss für Schwesternwesen in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschland.110 Neben ihr im Zivilanzug steht offenbar SS-Führer Erich Hilgenfeldt, seit 1933 Leiter der NSV und seit 1934 Leiter der NS-Frauenschaft und direkter Vorgesetzter der Reichsfrauenführerin.111 Im Berliner Reichshauptamt der NSV unterstand ihm auch die Generaloberin der NS-Schwesternschaft. Er war seit 1934 für die Vereinheitlichung des Schwesternwesens und Verdrängung der christlichen Schwesternverbände eingesetzt. NS-Oberin Schwester Dorothee notierte mehrere „Besuche“ in einer Zeitleiste zwischen dem 21. September und 7. Oktober 1940, darunter diesen mit: „– Hilg. Scholz“.112 Im Tagebuch erwähnte sie das Ereignis gar nicht. In der Männergruppe steht eine weitere Frau, die die meisten Männer mit ihrer Körpergröße überragt, eine Baskenmütze trägt und auf dem folgenden Foto besser zu sehen ist.
108 Q2/Tagebuch, C 39, rechte Seite. 109 Arnulf Baumann, Zeitzeuge aus Bessarabien, Kommentar zum Foto Q5/H7, Juni 2007. 110 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 155. 111 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Foto in: Weber, DHM, Hilgenfeldt, in: LeMO. URL: www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-erich-hilgenfeldt (Abruf 21.3.2020). 112 Q3/Einzelblätter Nr. 1. – Der gesamte Eintrag lautet: „Besuche Lorenz – Hardeland – SS Lorenz– Hilg. Scholz“.
Q5/Fotos
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Q5/H 8 Rückseite: „Galatz / Besuch /60“. Beschreibung: Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink inmitten von Männern in Zivil und Uniform (vgl. Q5/H7). Kommentar: Diesmal ist die groß gewachsene Frau mit Baskenmütze im Hintergrund besser zu erkennen als auf Foto Q5/H7. Sie konnte nicht identifiziert werden.113 Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink mit ihrer hochgesteckten Flechtfrisur ist von zahlreichen Pressefotos als Leiterin des NS-Frauenwerks bekannt. Wie auf Foto Q5/H7 ist sie auch hier zentral inmitten der Delegation, die sich in ihre Richtung ausrichtet. Die Herren identifizierte ein Zeitzeuge so: „An der Körperhaltung und an ihrem Bauch erkennt man schon die gut genährten Parteibonzen in ihrem abscheulichem Kackbraun als Uniformfarbe. Rechts der Mann steht dagegen in der strammen Körperhaltung der SS. In Bessarabien traten die SS-Leute ohne Rangabzeichen auf. Man konnte nur diesen Pleitegeier [Reichsadler] auf ihrem Oberarm sehen, wie hier bei dem Mann rechts außen.“114
Q5/Serie I 2 Fotos115
Thema: Lager Galatz
Datierung: September/Oktober 1940 Q5/I 1 Rückseite: „Milchküche in Galatz“. Beschreibung: In einem Eckregal aus Holzlatten, beleuchtet von einem Fenster, lagern Konservendosen und Blechkanister, darunter ein Waschbecken aus Emailleblech. Den Hintergrund bilden Holzwände. Die Aufschrift auf den ovalen Kanistern im unteren Fach lautet „SMS“(?). Kommentar: Eine der Milchküchen der NS-Schwestern war in einem Nebenraum der großen zentralen Küche in einer Holzbaracke auf dem Rollfeld des ehem. Flughafens Galatz: „Draussen auf dem Rollfeld entsteht die große Zeltstadt [...] im Zentrum des Ganzen ist eine Küche aufgestellt, die dann die Gesamtverpflegung übernehmen wird. Es ist die eine Holzbaracke mit den großen Kochkesseln, Geschirrraum, Putzraum, Abwaschraum, Büro, Holzvorrat und eine unserer Milchküchen sind weiter darin untergebracht.“116
113 Evtl. handelt es sich um die „RKK Hardeland“; siehe Namensverzeichnis im Anhang. 114 Arnulf Baumann, Zeitzeuge unter den Umsiedlern aus Bessarabien: Kommentar zum Foto Q5/ H8, Juni 2007. 115 Gemeinsame Merkmale: gerader Rand, Maße: 90 x 65mm, Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“ und handschriftliche Kommentierung, Stockflecken auf Vorder- und Rückseite. 116 Q6/Brief Nr. 3, S. 5 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an NS-Oberin Blawert, Berlin, 30.9.1940).
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Quellen-Inventar
Doch diese reicht nicht aus: „Bald mußten eine weitere Milchküche und Badestube eingerichtet werden, hatten wir doch zeitweise Tausende im Lager.“117 Bei der anschließenden Umsiedlung aus der Dobrudscha war die Milchküche der NS-Schwestern bei der NSV-Verpflegungsstelle in Cogealac: „Wir, 2 Frauenschaftsmitglieder und ein NSV-Leiter bildeten eine Arbeitsgemeinschaft. Ein großer Hof war für unsere NSV-Verpflegungsstelle ausgesucht worden. Hier wurden 2 große Kesselöfen aufgestellt und ein Lebensmittellager eingerichtet. Wir Schwestern richteten uns einen Nebenraum für die Milchzubereitung ein.“118
Helmut Ritter machte als Gebietsarzt in seinem Umsiedlungsgebiet Albota/Bessarabien mit den bessarabiendeutschen Müttern vor der Umsiedlung „Mütterschulungen“. Daher wusste er über die Vorräte auf dem Foto zu berichten: „Es war Alete-Pulver.“119 Die Mütter hatten in seinen Kursen über diese Pulvermilch aus Deutschland gestaunt. Auch NS-Oberin Rakow notierte Trockenmilchprodukte aus Deutschland: „Deutsche Frachter brachten Gebrauchsgeschirre für das Lager, Eisenbahnwaggons eine ganze Apotheke mit Vorräten für die Umsiedlungsaktion, selbst Milchpräparate, für die ganz Kleinen ‚Alete‘ und die andern Kinder Edelweißmilch, kamen aus Deutschland. Denn die Gesundheit sollte schon vom Ausgangspunkt an sicher gestellt werden.“120
Vor und nach Übernahme der „Säuglings-Milchküche“ wurde eine Inventarliste aufgestellt.121 Q5/I 2 Rückseite: „Rote-Kreuz-Oberinnen in Rumänien“. Beschreibung: Im Fokus stehen drei alte Frauen in weißer Nonnenkleidung mit Schärpen. Im Hintergrund sind Männer mit Baskenmützen und Schiffchen-Mützen, junge Frauen mit schwarz-weißen Schiffchen-Mützen, ältere Frauen mit dunklen Hüten zu sehen. Rechts außen steht ein uniformierter Mann neben den drei Nonnen oder Oberinnen. Die Szene ist vor einer Halle mit hohen Eingängen aufgestellt, möglicherweise bei den Hangars des Flughafens von Galatz auf dem Lagergelände. Kommentar: Die drei rumänischen Rot-Kreuz-Oberinnen sind mit Orden dekoriert und tragen über ihrer weißen Tracht eine Schärpe in den rumänischen Landesfarben. Das erkannte ein Zeitzeuge: „Ich kann die Vergangenheit noch in Farbe sehen: Die Schärpen der drei Oberinnen haben die rumänischen Farben blau-gelb-rot. Der Mann in Uniform rechts neben ihnen trägt keine Abzeichen, aber er ist ein SS-Mann.“122 117 118 119 120 121 122
Q7/Bericht Nr. 8, S. 2 ( NS-Schwester Freya Weng.). Ebd., S. 3 (NS-Schwester Freya Weng., Bericht aus dem Einsatz in der Dobrudscha.). Helmut Ritter, Kommentar zum Foto Q5/I1, Gespräch in Bremen, 9.5. 2007. Q2/Tagebuch, C33. Q3/Einzelblatt Nr. 3. Arnulf Baumann, Zeitzeuge als Umsiedler aus Bessarabien, Kommentar zu Foto Q5/I2, 17.6.2007.
Q5/Fotos
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Q5/Serie J 1 Foto123
Thema: Lager Galatz
Datierung: September/Oktober 1940 ? Q5/J 1 Rückseite: „E 34“. Beschreibung: Vier Krankenschwestern in weißen Kitteln und eine Oberin in braunem Kleid, alle unter weißen Hauben, bewegen sich über ein Lagergelände. Man sieht eng gesetzte Hallengebäude verschiedener Bauart aus einer größeren Ferne von einer Anhöhe aus aufgenommen, vermutlich im Auffanglager Galatz, das ein Flughafengelände mit Flugzeug-Hangars war. Der mittlere Hallenbau trägt an der Stirnwand die Aufschrift „Haus Stuttgart“, davor stehen Regale oder dreistöckige Bettgestelle? Zwischen den Hallen im Hintergrund bewegen sich einzelne Menschen. Auf der betonierten Fläche vor den Hallen fahren oder stehen mehrere LKW. Vorne auf dem unbefestigten Gelände befindet sich eine große, eckig ausgehobene Grube, an deren Seiten Bretter, große flache und offene Holzkästen und ein großes Fass liegen. Möglicherweise sind es Mischkästen und Wasserbehälter für Betonarbeiten (z.B. zum Bau einer Latrine mit Betonboden und Grube). Dahinter im Schatten ist ein größerer Bretterstapel zu erkennen, über dem quer ein langer Baumstamm liegt. Kommentar: Ein Einzelfoto ohne Serie; es war kein weiteres Foto vorhanden, das im Format mit diesem vergleichbar ist. Im vorderen Mittelgrund bewegen sich vier Krankenschwestern und eine Oberin (dunkle Tracht) als Gruppe durch das Gelände. Sie gehen auf den Standpunkt des/der Fotografierenden zu, der/die sich auf einer Anhöhe oder im höheren Stockwerk eines Gebäudes befindet. Die Schwestern tragen weiße Hauben. Es könnten sog. „Blaue“ NSV-Schwestern oder RotKreuz-Schwestern sein. Das Rot-Kreuz-Lazarett befand sich am Eingang des Lagers, und auf dem Gelände waren drei Ambulanzen verteilt.124 In einem Brief an die Generaloberin erwähnte Rakow eine vergleichbare Konstellation: Nachdem die männlichen Umsiedler aus Bessarabien mit ihren Pferde-Trecks angekommen waren, ging die NS-Oberin mit vier NS-Schwestern zu den 28 Zelten, um dort deren Verletzungen von unterwegs zu verbinden.125
123 Merkmale: gerader Rand, Maße: 85 x 59 mm, Rückseite: Aufdruck „Agfa Lupex“, Stockflecken auf Vorder- und Rückseite. 124 Vgl. Q2/Tagebuch, C31. 125 Vgl. Q6/Brief Nr. 9, S. 2 (NS-Oberin Rakow, Galatz, an Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, 1.11.1940).
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Q5/ Serie K 8 Fotos126
Thema: Grenzübergang am Pruth Datierung: September 1940
Q5/K 1 Beschreibung: Landschaft, fotografiert von einen höheren Standpunkt aus. Kommentar: Dieses Landschaftsfoto ist das einzige in Serie K ohne den Aufdruck „Agfa-Brovira“ auf der Rückseite, andere Merkmale sind exakt übereinstimmend mit den anderen Fotos der Serie. Aufgrund der Zugehörigkeit zu Serie K zeigt dieses Landschaftsfoto wahrscheinlich den Pruth, der seit der russischen Besetzung Bessarabiens im Sommer 1940 zum Grenzfluss zwischen Rumänien und Bessarabien wurde. Die Männer des deutschen Umsiedlungskommandos brachten die volksdeutschen Umsiedler über die Pruth-Brücke „über die Grenze“. Westlich des Pruths, auf rumänischem Boden nahm zunächst das „Auffanglager“ der „Volksdeutschen Mittelstelle“ in ehemaligen Flugzeughallen in Galatz die Umsiedler aus Bessarabien auf. Andere Mitglieder des Umsiedlungskommandos wie die NS-Schwestern arbeiteten nur in dem Lager auf rumänischem Boden und betraten nicht das Kriegsgebiet Bessarabien. Einige Kilometer vom Lager Galatz entfernt befand sich der Hafen Galatz, von dem aus die Umsiedler per Schiff die Donau aufwärts nach Deutschland gebracht wurden. Insofern könnte es sich bei dem Gewässer im Hintergrund auch um die Donau handeln, in die der Pruth kurz hinter Galatz beim Hafen Reni mündet. Auch beginnen hier die gewässerreichen Ausläufer des Donau-Deltas, das ca. 100 km weiter östlich in das Schwarze Meer mündet. Q5/K 2 Beschreibung: Zwei Treckwagen werden von Pferden gezogen und von bessarabiendeutschen Umsiedlern gelenkt. Als Umsiedler sind sie erkennbar an der hellen Kennkarte, die bei beiden an einem Band vor der Brust hängt. Kommentar: Fotos wie dieses zeigen in den zahlreichen Dokumenten der Erinnerungsliteratur die bäuerlichen Treck-Wagen, die von bessarabiendeutschen Männern zum Auffanglager Galatz gefahren wurden, während ihre Frauen und Kinder bereits mit LKWs über die Grenze nach Rumänien gebracht bzw. im Hafen Reni Richtung Galatz eingeschifft worden waren. NS-Schwester Freya erinnerte sich an ihre Ankunft im Lager:
126 Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: ca. 87 x 59 mm, Rückseite: Aufdruck „AgfaBrovira“, Stockflecken auf Vorder- und Rückseite.
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„Ein besonderes Ereignis für alle war die Ankunft der ersten Trecks. Auf Panjewagen mit zum Teil prachtvollen Pferden, kamen die Bauern und großen Söhne mit ihre Habe. Die Frauen und Kinder waren schon im Lager oder auch schon weiter auf der Reise.“127
Vom Lager Galatz aus wurden die Pferde und Wagen allerdings nicht mit umgesiedelt, sondern gesammelt und verkauft. Ab hier wurde die Reise ins Deutsche Reich mit Dampfschiffen und dann mit der Eisenbahn fortgesetzt, die Gefährte wurden immer moderner. Der altertümliche nostalgische Eindruck des Treck-Bildes bezog sich auf die Auswanderungen im 19. Jahrhundert mit Pferdewagen. Die 1940 sogenannte „Rückwanderung“ wird allerdings variiert, bekannt sind auch Fotos von Treckkolonnen in militärischer Aufstellung. Bei ihrer Abfahrt aus Bessarabien wurden sie fotografiert, wie ein Zug aufgereiht, ihre Fahrer in seitlicher Aufstellung neben ihren Wagen militärisch stramm stehend, angeführt vom vorderen Wagen mit einer Hakenkreuzfahne.128 Denn: „Der ‚führungslosen Auswanderung‘ von Deutschen nach dem Osten in früheren Zeiten wurde die ‚planvolle Umsiedlung in das Großdeutsche Volksreich Adolf Hitlers‘ gegenübergestellt.“129
Q5/K 3 Beschreibung: Autos überholen einen Pferdewagen, der ein Weinfass transportiert. Der Überholvorgang findet unter einer offenen Schranke statt (Eisenbahn oder Grenzort?), auf einer Dorfstraße mit Strommasten und Richtungsschildern, vermutlich aus einem Auto oder LKW heraus fotografiert. Vorneweg fahren noch zwei weitere Autos in der Kolonne. Das Autokennzeichen des nächsten Wagens ist lesbar: „SS 55 5922“. Kommentar: Die Wagen des Umsiedlungskommandos wurden vom Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) gefahren. Sie kamen nicht mit dem Schiff am Hafen an, sondern: „Die NSKK-Kameraden, 300 Mann stark, mit ihren Fahrzeugen sind mit der Eisenbahn, von Berlin kommend, eingetroffen.“130 Die Autos waren NS-„Beutegut“ aus anderen Kriegsaktionen: „Was musste die NSKK-Mannschaft nicht alles tun. [...] Eine große Reparaturwerkstatt für die LKWs u. PKWs hatte laufend zu tun, um die strapazierten Wagen, die zum Teil Beutegut aus den Niederlanden waren, in Ordnung zu halten.“131
Zu den Autos des NSKK vgl. Kommentare zu Foto Q5/G1. Vielleicht kam mit diesen Autos auch eine Delegation mit einem Brückenbau-Ingenieur an (vgl. Q5/K5ff.).
127 Q7/Bericht Nr. 8, S. 2. 128 Vgl. die zeitgenössischen Farbfotos, in: Mayer 1986, Weg aus der Steppe, S. 115. 129 Werner Mayer: Die Umsiedlung der Deutschen aus Rumänien 1940–1944. Dokumentarbericht, in: K. Mayer, ebd. S. 111. 130 Pampuch: Donaufahrt, in: ders. (Hg.) 1941, S. 95. 131 Q2/Tagebuch, S. C33, C34.
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Q5/K 4 Beschreibung: Zwei junge Männer in Matrosenanzügen stehen auf einer Sandstraße und blicken in den Fotoapparat. An beiden Seiten des Wegs sind freie Wiesen zu erkennen, links stehen angebundene Pferde. Im Hintergrund sieht man mehrstöckige Häuser und Männer in Reiter- bzw. SS-Stiefeln oder in Arbeitskleidung. Kommentar: Ein Mitglied des deutschen Umsiedlungskommandos war sich sicher: „Von unserem Umsiedlungskommando sind das keine! Sie könnten höchstens von der Schiffsbesatzung sein.“132 Q5/K 5 Beschreibung: Vor einem einstöckigen Gebäude geht zielstrebig eine Gruppe von vier Männern, einer trägt Knickerbocker und Hut (vgl. Foto Q5/K7), zwei Uniformierte SS-Stiefel und ein Uniformierter eine rundliche Kappe (Fahrer?). Kommentar: (Das Foto gehört vermutlich in eine Serie mit den Fotos Q5/K6 bis K8. Wegen fehlender Nummerierung ist die zeitliche Abfolge nicht eindeutig. Dieses Foto könnte chronologisch ebensogut erst nach Foto Q5/K8 folgen.) Helmut Ritter fiel in dieser Gruppe besonders ein Mann auf: „Der Mann mit den Knickerbockern kann nur irgendein Zivilist sein.“133 Dieser Mann in Knickerbockern taucht auf den folgenden Fotos wieder auf. Q5/K 6 Beschreibung: Eingestürzte Brücke über einem Fluss. Kommentar: Der Pruth war seit der russischen Besetzung Bessarabiens im Sommer 1940 zum Grenzfluß zwischen Russland und Rumänien geworden, er bildetete die westliche Grenze Bessarabiens, über die die Umsiedler-Trecks und die Sanitätskraftwagen nach Rumänien ins Lager Galatz fuhren. Es wird nicht klar, wer die Brücke gesprengt hat. Helmut Ritter, der auf seinen Sankra-Fahrten zum Lager Galatz den Pruth überqueren musste, erinnert sich: „Das ist die zerstörte Brücke über dem Pruth. Die Rumänen hatten schreckliche Angst, die Russen würden weiter vordringen. Ein paar vom Umsiedlungskommando kamen und stellten ein paar Leute ab, die den Übergang bewachten. Darüber waren die Rumänen sehr froh.“134
Ein Buch von 1941 zeigt ein ähnliches Foto der zerstörten Brücke mit der Bildunterschrift: „Die zerstörte 132 Helmut Ritter, Kommentar zu Foto Q5/K4, Gespräch in Bremen, 9.5.2007. 133 Ritter, ebd., Kommentar zu Foto Q5/K5. 134 Ritter, ebd., Kommentar zu Foto Q5/K6.
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Verbindungsbrücke zwischen Bessarabien und Rumänien“.135 Dort ist auch die oben von Dr. Ritter erwähnte Wache des deutschen Umsiedlungskommandos abgebildet, mit der Bildunterschrift „Drei-Länder-Wache am Pruth“ (vgl. Kommentar zu Foto Q5/K8). Q5/K 7 Beschreibung: In der oberen rechten Bildecke sieht man im Hintergrund einen Teil der eingestürzten Brücke (vgl. Q5/K6). Männer in Zivil und in Uniform schreiten entlang einer Eisen- oder Holz-Konstruktion, die im Wasser liegt. Unter ihnen ist ein Mann in Knickerbockern mit Melone (vgl. Q5/K5). Kommentar: Ersatz für die gesprengte Verbindungsbrücke über den Pruth wurde eine schwimmende Pontonbrücke, die auf diesem und den folgenden Fotos zu sehen ist. Männer in unterschiedlichen Funktionen, erkennbar an ihrer unterschiedlichen Kleidung, kamen hier vermutlich zu einer technischen Besichtigung oder Beratung zusammen. Denkbar ist, dass der Mann in Knickerbockern und Melone ein Brückenbau-Ingenieur war. Der Winkel des Untergrundes zum Flußufer im Hintergrund, auf dem sie gehen, lässt darauf schließen, dass sie nicht an einem Ufer entlang gehen, sondern quer zum Ufer und parallel zur eingestürzten Brücke. Vermutlich gehen sie die Pontonbrücke entlang, auf die, wie man hier sieht, Stroh ausgestreut war. Vielleicht wurde hier eine Probe-Begehung der Pontonbrücke fotografiert, bevor anschließend die Umsiedlertrecks darüber fuhren (Foto Q5/K8). Ein anderes zeitgenössisches Farbfoto136 mit Treckwagen und Wachtposten zeigt die Situation genauer: Die zerstörte Pruthbrücke und die Pontonbrücke lagen parallel nebeneinander. Zwischen den Metallschienen und der mit Stroh belegten Fahrbahn befand sich ein Eisenzaun, der zum Zeitpunkt des obigen Fotos noch nicht angebracht worden war. Die Ponton-Brücke wurde zum Grenzübergang, über den auch Helmut Ritter kranke Umsiedler in Sanitätskraftwagen fuhr: „Die NSKK-Fahrer und die Umsiedler mussten hier jeweils bis 18 Uhr angekommen sein, bevor die Brücke über Nacht zur rumänischen Seite hin eingezogen wurde.“137 Q5/K 8 Beschreibung: Ein von Pferden gezogener Treckwagen hat gerade die Pontonbrücke passiert. Seitlich am Wagen ist ein großes Schild mit der Nummer „1“ angebracht. Der Kutscher trägt Vollbart und ein Abzeichen auf der Jacke. Vorne im Bild steht ein freilaufendes Fohlen, das, wie in Bessarabien üblich, als sog. „Hutsch“ neben dem Pferdewagen frei hinter der Mutterstute herlief.
135 Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 203. 136 Mayer, Weg aus der Steppe, 1986, S. 116. 137 Helmut Ritter, Kommentar zu Foto Q5/K7, Gespräch in Bremen, 9.5.2007
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Am Ufer vor dem Brückenaufgang beobachten Uniformierte mit Hakenkreuzbinden die Überfahrt in nachdenklicher Pose. Unter ihnen ist auch der Mann in Knickerbockern und Hut (vgl. Q5/K5 und K7). Kommentar: Thematisch bilden die Fotos Q5/K5 bis K8 eine Serie zum Thema Brückenbau. Das oben vorangestellte Foto Q5/K2 (Treckwagen) könnte sich chronologisch auch hier anschließen. Vermutlich sehen wir hier die erste Fahrt eines Treckwagens (Nr. „1“) über die gerade errichtete Ponton-Brücke über den Grenzfluss Pruth vom russisch besetzten Bessarabien nach Rumänien zum Zwischenlager Galatz. Ab nun folgten tägliche Grenzübertritte über die Pontonbrücke: „Doch nun wird die Pontonbrücke von den Rumänen eingeschwommen [...] die Überfahrt kann bald losgehen [...] neben dem Beamten der sowjetischen Polizei steht ein Mann des Umsiedlungskommandos und führt die Gegenkontrolle durch [...]. Rechts neben der Straße stehen immer einige Pferde und Wagen von Umsiedlern, deren Papiere nicht in Ordnung sind und die deshalb ohne Fuhre und Pferde hinübermüssen. Schon ist der letzte Sowjetposten vorbei, die deutsche Brückenwache grüßt mit erhobenem Arm und nun poltern die Pferde über die bohlenbelegte Brücke. Vor dem Haus der deutschen Pruthwache, das die Aufschrift ‚Dreiländerecke‘ trägt, stehen Kameraden vom Umsiedlungskommando, oft noch mit Gästen aus dem Reich, und begrüßen die nunmehr aufatmenden und froh dankbaren Umsiedler. Ist es doch hier so, als ob sie bereits schon jetzt ins Reich gekommen wären.“138
Q5/Serie L 1 Foto139
Thema: Donau-Hafen Datierung: Herbst 1940
Q5/L 1 Beschreibung: Vom Wasser aus fotografiert: eine Anlegestelle mit mehreren weißen Schiffen und kleineren Dampfern, Ufer, Häuser. Kommentar: Ein Einzelbild ohne Zugehörigkeit zu einer Serie im selben Format. Die Zeitzeugen, denen dieses Foto vorlegt wurde, erkannten diese Ansicht nicht. Hafen Galatz? Hafen Reni? Hafen Wien? Hafen Semlin? Hafen Prahovo? Ein Hafen in der Dobrudscha? Weitere Anlegestellen entlang der Donau, die die NS-Oberin während der Donaureise vom 13.–15.9.1940 notiert hatte, wären möglich.140 Die Frauen, Alten und Kinder aus Bessarabien wurden außerdem mit LKW zu den russischen Häfen Reni und Kilia gebracht, von wo aus sie mit Schiffen in den Hafen Galatz gebracht wurden. 138 G. Streit: Im Auffanglager Galatz, in: Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 204f. 139 Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: ca. 84 x 60 mm, Rückseite: Aufdruck „AgfaLupex“. 140 Q3/Einzelblätter Nr. 2.
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Q5/Serie M 5 Fotos141
Thema: Lager in der Bukowina Datierung: November 1940 ?
Q5/M 1 Beschreibung: Wartende Menschen an einem Bahnhof, die teilweise auf den Gleisen stehen. Die Männer und Frauen tragen Anzüge, Mäntel und Hüte, nur wenige die traditionellen Fellmützen oder Kopftücher. Ihre gemeinsame Blickrichtung geht nach rechts. Die Bäume haben bereits ihre Blätter verloren. Abseits der Menschen steht im Vordergrund des Bildes links ein Uniformierter in Mantel mit Koppel und Schiffchen-Mütze. Auf dem Stationsschild ist nur die Endung des Ortsnamens lesbar: „...THLEN“. Dahinter ist neben der Tür ein Bild oder Schild in der Form eines Wappens zu erkennen. Vor dem Gebäude stehen drei Fahnenstangen mit herabhängenden Fahnen. Die Schienen sind ebenerdig in die Straße eingelassen, daher könnte es sich auch um eine Straßenbahn handeln. Kommentar: Die Bahnhofszene spielte sich wahrscheinlich nicht in Bessarabien ab, sondern während einer der beiden folgenden Umsiedlungsaktionen. Ein Zeitzeuge aus Bessarabien vermutete 2007: „‚...THLEN‘: diese Endung klingt etwas ungarisch. Es könnte in der Bukowina sein. Auch die Häuser sehen nicht bessarabisch aus.“142 – Die Umsiedler wurden aus der Bukowina mit Zügen weiter in Richtung „Altreich“ gebracht, neu eingekleidet von der NSV. Eine solche Situation könnte, wegen der westlichen Kleidung, das Foto darstellen. Auf einer Karte der Eisenbahnlinien bei der Umsiedlung in der Südbukowina 1940 ist dieser Ort mit der Endung „...thlen“ nicht verzeichnet.143 Ebenso wie NS-Oberin Ursula die Nennung von Ortsnamen – durch Gebrauch von Synonymen wie „Bestimmungsort“ oder „Endziel“ – in ihrem Bericht aus der Bukowina vermied, präsentiert auch das Foto nur den halbierten Namen der Bahnstation. Ein Ortsname mit Endung „...thlen“ konnte erst spät identifiziert werden. Es handelt sich um die Bahnstation im vormalig rumänischen Beclean (heute Beclean pe somes), das als Bethlen von 1940 bis 1944 zu Ungarn gehörte.144 Die Züge fuhren 1940 aus der Bukowina durch das vormals rumänische, nunmehr ungarische Siebenbürgen ins „Deutsche Reich“
141 Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße ca. 89 x 59 mm, Rückseite mit Aufdruck „AgfaLupex“, nicht vergilbt. 142 Arnulf Baumann, Zeitzeuge aus Bessarabien: Kommentar zum Foto Q5/M1, Juni 2007. 143 Q3/Einzelblatt 7 (Bukowina-Karte mit Eisenbahnlinien und Grenzen 1940). 144 Für die schwierige Recherche dieses Ortes in historischen Eisenbahnlinien danke ich Constantin Tudurache in Rumänien. Er fand im März 2020 die Bahnstation Bethlen im Verzeichnis Elveszett állomások [Verlorene Stationen], in: Magyarország vasútállomásai és vasúti megállóhelyei [Bahnhöfe und Haltestellen in Ungarn]. URL: www.vasutallomasok.hu. (Abruf März 2020). Das Foto Q5/M1 wurde von den Rechteinhabern der Seite zur Verfügung gestellt. Dafür Danke an Domonkos Szente-Varga, Budapest, April 2020.
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nach Wien.145 Grenzen innerhalb Europas verschoben sich. Das Stationsschild BETHLEN war damals also noch recht neu angebracht worden. Q5/M 2 Beschreibung: Die Fotos Q5/M2 bis M5zeigen eine Essensausgabe im Freien. Im Hintergrund sieht man ein großes Steinhaus, auf dessen Dachfirst ein großes Schild steht. Es könnte sich um eine Halle handeln, in der Fässer oder Rohre gelagert wurden, die man hinten links an der offenen Seite des Baues erkennt. Weitere hohe Schilder und Strommasten, teilweise mit Lampen, befinden sich auf dem Gelände. Rechts im Hintergrund erkennt man eine im Bau befindliche Holzbaracke, die aus frischen, hellen Brettern gezimmert wird. Im Vordergrund wurden auf einem freien Gelände Tischflächen aufgebockt, auf denen große Töpfe und Schüsseln stehen. Daneben sind Frauen in Schürzen und Kopftüchern erkennbar, die das Essen austeilen. Männer in dunkler Kleidung und mit Hüten, teilweise auch in Uniform, stehen Schlange. An der Hauswand im Mittelgrund sitzen auf einem Brett(?) fünf Männer nebeneinander, vermutlich essend. Kommentar: Bei der Umsiedlung aus der Nord-Bukowina überquerten täglich Züge mit Umsiedlern auf einer Eisenbahnbrücke den Grenzfluss San und kamen gleich dahinter in Sanok an. Dies war für sie „der erste deutsche Bahnhof“, da das 1939 besetzte Polen schon deutsches Reichsgebiet war. Hier wurden sie mit Marschmusik empfangen und von der NSV versorgt: „Auf der Verpflegungsstation wird zu dieser Zeit alles hergerichtet. Nach Einbruch der Dunkelheit kommt endlich die Meldung, der Zug hat die Grenze überfahren und dann nach einiger Zeit läuft er in den ersten deutschen Bahnhof ein. ––– Jubel, Freude, Fähnchenschwingen – so rollt nun seit dieser Zeit Tag für Tag so ein Zug über die Grenze und wird von uns mit dem gleichen Jubel, mit der gleichen Begeisterung begrüßt, übertönt von den Märschen der Militärmusik, die unsere Soldaten den Volksgenossen als Empfang in der neuen Heimat entgegenbringen.“146
NS-Oberin Ursula empfing in der „großen, schönen Verpflegungshalle“ der NSV die täglich eintreffenden Umsiedlerzüge mit einer feierlichen Mahlzeit: „Es ist mir, solange ich denken kann, nicht mehr so gegangen, daß ich mich nur an den Tisch setzen durfte, den Löffel nehmen und eine so gute und kräftige Suppe essen, sagte mir schluchzend eine Frau. Daß die große, schöne Verpflegungshalle extra für sie gebaut ist ––––. Mit einer gewissen Feierlichkeit und mit entblößtem Kopf betreten sie diesen mit Fahnen und Tannengrün und dem Hoheitszeichen geschmückten Raum, Man sieht diesen Gesichtern, vor allem den Augen an, welchen Eindruck das alles auf sie macht.“147 145 Q3/Einzelblatt 9 (Eisenbahnlinie 1940). – Das rumänische Beclean (deutsch und ungarisch Bethlen) liegt auf der Bahnstrecke von Gura Humora, Kimpolung, Dorna Vatra 100 km in westlicher Richtung hinter der damaligen Grenze nach Ungarn, die von 1940 bis 1944 bestand (Q3/7). Noch heute ist hier ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Vgl.: Wikipedia: Beclean. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Beclean (Abruf 13.4.2020). 146 Q7/Bericht Nr. 9, S. 1 (NS-Oberin Ursula Rie.). 147 Q7/Bericht Nr. 9, S. 2 (NS-Oberin Ursula Rie.).
Q5/Fotos
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Vergrößerter Ausschnitt
Q5/M 3 Beschreibung: Vgl. FotoQ5/M2. Hier sieht man zudem eine Schwester mit Schwesternkittel und weißer Haube bei der Essensausgabe im Freien. Im Vordergrund links sind zwei uniformierte Männer zu erkennen. Unter den Umsiedlern sind Frauen mit Kopftüchern und Männer mit Fellmützen. Kommentar: Verpflegung war Sache der NSV. Es könnte sich daher um eine NSV-Helferin handeln. Doch auch die junge NS-Schwester mit brauner Haube auf Q5/M5 trägt unter ihrer Jacke eine weiße Schürze. Q5/M 4 Beschreibung: Vgl. Fotos M2 und M3. Inzwischen sind noch mehr Umsiedler zum Essen eingetroffen. In der Mitte zeigt einer eine große Schüssel in Richtung Kamera. Q5/M 5 Beschreibung: Der Hintergrund entspricht den Fotos Q5/M2 bis M4. Diesmal spielt sich zudem eine interessante Szene im Vordergrund ab, bei der eine junge NS-Schwester mit brauner Haube involviert ist. Über ihrem Schwesternkittel trägt sie eine kurze dunkle Jacke. Um sie herum stehen verschiedene Männer. Kommentar: Ein Mann in Zivil – ohne Hut – zeigt oder übergibt der NS-Schwester einen Zettel. Acht Männer mit unterschiedlichsten Kopfbedeckungen (Fellmütze, Schirmmütze, Uniformmütze, Schiffchen, Melone) oder ohne umringen diese Szene und verfolgen die Angelegenheit. Die angesprochene junge NS-Schwester macht mit gesenktem Kopf und zögerlicher Handbewegung einen verhaltenen, ratlosen Eindruck. Vielleicht wird sie nur nach dem Weg gefragt, aber die Antwort scheint alle Umstehenden auch zu interessieren. Rechts im Hintergrund werden weitere Gebäude sichtbar, und zwar eine zweite Baracke im Rohbau aus hellem Holz und vorne rechts die Ecke eines Backsteinhauses. Diese weißen Hallenbauten könnten ggf. die „Verpflegstation“ oder die „Massenquartiere“ in der Bukowina sein, die NSOberin Dorothee Rakow sich zwischen den Daten 3. und 15. November 1940 notierte: „Abreise n. Radauti u. Gura Humoralui 2 Gebiete / Vorkommando Bahnverhältnisse / Vorbereitg. für Verpflegstation / Massenquartiere“.148 148 Q3/Einzelblatt Nr. 1, Rückseite der Chronologie.
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Q5/Serie N 10 Fotos149
Thema: Bukowina-Umsiedlung Datierung: November 1940
Q5/N 1 Rückseite: „Rumänische Tracht“.
Beschreibung: Auf einem Treppenaufgang stehen oben an der Haustüre zwei freundlich lächelnde Frauen in Folklore-Kleidung, die auf der Rückseite als „rumänische Tracht“ beschrieben ist. An ihnen vorbei tritt ein Mann in KnickerbockerHosen über die Außentreppe ins Hochparterre eines repräsentativen Stadthauses ein. Auffällig sind seine Strümpfe in einem Netzmuster aus sechseckigen Waben. Das Gebäude trägt die Hausnummer 14 Kommentar: Auch wenn die Fotos Q5/N1 und N2 ganz offensichtlich zusammengehören und dasselbe Haus zeigen, sind die beiden Männer in Knickerbockern nicht dieselben, denn die Jacke des Mannes auf Q5/N1 hat hinten eine lange Schoßfalte, die dem anderen eindeutig fehlt. Offensichtlich gingen in diesem Haus Menschen ein und aus, es könnte also ein öffentliches Amtsgebäude, eine Schule oder Kulturhaus sein. Q5/N 2 Rückseite: „Rumänische Trachten“. Beschreibung: Rechts unten neben dem Treppenaufgang des repräsentativen Gebäudes mit der Hausnummer 14 (Vgl. Q5/N2) stehen zwei Männer in Folkloretrachten vor einem an die Mauer gelehnten Fahrrad, das auch auf dem Foto Q5/N1 rechts unten zu sehen ist. Bei ihnen steht ein anderer Mann in Knickerbockern, Baskenmütze und Jackett mit einem karierten Webmuster. Kommentar: Es ist nur ein einziges Fahrrad. Es könnte zum Knickerbocker-Mann gehören, auch wenn der Mann in Folkloretracht sich um das Fahrrad kümmert. Ein Zeitzeuge aus Bessarabien identifizierte die Kleidung der Männer, die offensichtlich zu den beiden Frauen auf Foto Q5/N1 gehörten: „Das ist eine moldowaner Tracht.“150 Moldawien, heute Republik Moldau, war 1940 ein Gebiet im nördlichen Teil Bessarabiens.
149 Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: ca. 88 x 59 mm, Rückseite: Aufdruck „AgfaLupex“ und handschriftliche Kommentierungen. 150 Arnulf Baumann, Zeitzeuge aus Bessarabien: Kommentar zu Foto Q5/N2, Juni 2007.
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Q5/N 3 Rückseite: „Brunnen“. Beschreibung: Hoher Ziehbrunnen an einem hohen Baumstamm mit hochgezogenem Holzeimer. Davor blickt ein Kind in die Kamera. Im Hintergrund sind Gänse, Steinhaufen, Schuppen und ein Haus mit Strohdach zu erkennen. Kommentar: Auch dieses Foto wurde vermutlich in der Bukowina aufgenommen, denn: „Das ist kein bessarabischer Brunnen! In der bessarabischen Steppe gab es keine solchen Bäume. Für die Häuser hatten wir kein Bau-Holz und zum Brennen wurde Mist verwendet. Das bessarabiendeutche Wappen zeigt zwar auch ein solchen Ziehbrunnen, der wurde aber bei uns aus exportiertem Holz gebaut. Holz wurde damals aus Odessa exportiert.“151 Abb.: Wappen des Bessarabiendeutschen Vereins e.V.152 mit Ziehbrunnen, Pferd, Ähren, Kreuz und den blau-gelben Farben aus der ukrainischen Fahne.
Q5/N 4 Rückseite: „Bauernhaus in Botojani (Bukowina)“. Beschreibung: Ländliches Holzhaus zwischen zwei Bäumen ohne Laub. Auf der Veranda stehen ein Mann und ein Junge mit schwarzen Fellmützen, davor ein einspänniger sog. „Harbi“-Wagen mit angespanntem Pferd. Über dem Eingang hängt ein Schild mit Druckbuchstaben (unleserlich): „... PETREA ALE ...“. Kommentar: Ein Zeitzeuge aus Bessarabien verortete auch dieses Haus nicht in Bessarabien: „Wir hatten in Bessarabien keine Holzhäuser. Denn in der bessarabischen Steppe gab es keine Bäume.“153 Der deutsche Name für die Bukowina lautet „Buchenland“. Die Nordbukowina bestand aus ebenen Gebieten, während aus der Südbukowina „Gebirgs- und Waldbewohner“ umgesiedelt wurden.154 Demnach lag das abgebildete Haus vermutlich in der Südbukowina. Laut Bildnotiz ist es ein „Bauernhaus in Botojani“, wo die NS-Schwestern auch ein Kriegerdenkmal besuchten (Q5/N5).
151 Arnulf Baumann, Zeitzeuge aus Bessarabien, Juni 2007. 152 Abb. aus einem Prospekt des Bessarabiendeutschen Vereins e.V., 2007. 153 �������������������������������������������������������������������������������������� Arnulf Baumann, Zeitzeuge aus Bessarabien, Kommentar zu Q5/N4, Juni 2007. Vgl. Kommentar zu Q5/N3. 154 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 168.
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Bei dem auf der Rückseite notierten Ort „Botojani“ (Botoșani) könnte es sich dem Klang nach gleichermaßen um Botoschana oder um Burdujeni handeln. Die deutschstämmigen Bewohner dieser beiden Orte wurden in den Listen der aus der Bukowina umgesiedelten Ortsbezirke „Sbu 8“ bzw. „Sbu 6“155 erst am 22. Juni 1941 für die Ansiedlung im Warthegau. vorgesehen156 Bis dahin war in der zuvor im Februar 1941 erstellten Liste ihr „Ansiedlungsgebiet offen“ gewesen, denn der Warthegau war zu diesem Zeitpunkt bereits überfüllt mit Bessarabiendeutschen.157 „PETREA“ ist als rumänischer Vorname ein Äquivalent zu „Peter“. Vermutlich handelt es sich um Botosana, es liegt genau zwischen Radautz und Gura Homora in bewaldeten Gebieten.158 Q5/N 5 Rückseite: „rumänisches Kriegerdenkmal in Botojani (Bukowina)“. Beschreibung: Ein geschmücktes Doppelkreuz, umfriedet von einem Holzzaun auf einer leeren Wiese. Im Hintergrund ein umzäuntes Anwesen, davor ein überdachtes Wagenrad. Die Girlande, die das Kreuz umranken soll, fällt oder weht gerade herab. Kommentar: In Botoșana (vermutlich nicht Botojani), wo auch heute ein großes Kriegsdenkmal steht,159 besuchten die NSSchwestern ein „Bauernhaus“ (Q5/N4) und dieses „rumänische Kriegerdenkmal“, außerdem das „Theresiendenkmal“ bei Gura Humora (Q5/N6) und deutsche Soldatengräber des Ersten Weltkrieg bei Dorna Watra: „Oben auf den Passhöhen liegen nun tief verschneit die alten deutschen Stellungen aus dem Weltkrieg. Mehr als 500.000 Russen fanden hier den Tod. Die 300 namenlosen deutschen Soldatengräber am Fuße des Bayernberges schmücken wir alle in einer stillen Feierstunde mit Kränzen aus herrlicher Edeltanne.“160
Diese stillen Feierstunden begingen die NS-Schwestern gemeinsam mit Männern der deutschen Reservepolizei und der rumänischen Legionäre. Der Heldenfriedhof am Bayernberg lag bei Dorna Vatra, wo die NS-Schwestern und die Frauenschaft zusammen mit dem männlichen deutschen Kommando im Hotel Trajan wohnten.161 Ein „Hauptmann der Schutzpolizei der Reserve“ erwähnte die kranzbindenden Frauen:
155 156 157 158
Ebd., in der Liste S. 172. Ebd., in der Liste S. 175. Ebd., S. 169. Vgl. ausführlicher im Ortsverzeichnis. Für diese Recherche danke ich Constantin Tudurache 2020. 159 Vgl. Google Maps: Botoșana. URL: https://goo.gl/maps/3gLLovsBkGKYHksY9. Ich danke Constantin Tudurache 2020. 160 Q7/Berichte Nr. 10, S. 2 (Veröffentlichter Bericht einer NS-Schwester vom Ende des BukowinaEinsatzes im Dezember 1940). 161 Richter 1941, Heimkehrer, S. 23.
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„Dorna-Vatra ist ein kleiner Badeort [...] in den Karpaten [...] Der Ort selber ist bereits ausgesiedelt, aber es gibt noch genug zu sehen, so den Heldenfriedhof, für den die Schwestern und Frauen jeden Tag Kränze binden, und die Stellungen aus dem Weltkriege auf dem Bayernberge. Wir ersteigen ihn, finden oben ein zerstörtes Denkmal und haben eine wunderschöne Aussicht. Sogar die alten Stellungen können wir noch sehen, in denen einmal eine bayrische Division gelegen hat. [...]. Abends sitzen wir mit den Legionären, den Männern im grünen Hemd, mit denen wir gute Kameradschaft halten, zusammen.“162
Auf mehreren Fotos spielt Dekoration mit Tannengrün eine Rolle: Eine der Aufgaben der NS-Schwesternschaft war die Feiergestaltung und damit auch die Dekoration. Die Grabgestaltung auf Q5/N5 und N6 – mit langen Bändern aus geflochtenem Tannengrün – ähnelt den langen Girlanden, die die großen Schilder der NSV-Verpflegungstelle Radautz/Bukowina umrankten (Q5/O1). Auch in Sanok wurden Umsiedler aus der Nord-Bukowina in einer mit Tannengrün geschmückten Halle empfangen: „Mit einer gewissen Feierlichkeit und mit entblößtem Kopf betreten sie diesen mit Fahnen und Tannengrün und dem Hoheitszeichen geschmückten Raum“163 Q5/N 6 Rückseite: „Theresiendenkmal / b / Gura-Humorului“. Beschreibung: Auf einem Felsen steht auf einem hellen Sockel eine große Kopf-Büste, zu der rechts und links Treppen hinauf führen. Das Denkmal ist bekränzt mit einem Blumenkranz, auch über dem Geländer hängt ein langer Laubkranz, der weit über den Felsen herunter hängt.164 Oben am Geländer stehen sechs Männer in Zivilkleidung. Unten in der Bildmitte lehnt ein Uniformierter am Felsen, vielleicht der NSKK-Fahrer dieser Gruppe. Kommentar: Die Bukowina gehörte seit ihrer militärischen Besetzung 1774 zu Österreich, bis sie nach dem Ersten Weltkrieg 1918 zum Königreich Großrumänien kam. Die „Rumänisierung“ wurde für die verschiedenen Minderheiten, die in der Bukowina lebten, ein „spürbarer Kontrast zur früheren ethnischen Liberalität des k.u.k.-Systems.“165 Das „Theresiendenkmal“ erinnerte an die österreichische Kaiserin Maria Theresia (1717–1780).166 Ihr Denkmal befand sich in Gura-Humora, wo 1940 der Sitz des Gebietsstabes der SüdbukowinaUmsiedlung war167 sowie eine EWZ-Dienststelle, die SS-Standartenführer Herwig leitete.168
162 163 164 165 166
Richter 1941, Heimkehrer, S. 24. Q7/Bericht Nr. 9, S. 2 (NS-Oberin Ursula Rie.). Zu dieser Dekoration vgl. Kommentar zu Foto Q5/N5. Bauer 2017, Deutsche in der Bukowina, S. 127. Wanza/Fedorowytsch: Bukowinafreunde. URL: www.bukowinafreunde.de/oesterreichische-zeitbukowina-buchenland-habsburger/ (Abruf 27.9.2019). 167 Q3/Einzelblatt Nr. 7. 168 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 99 (EWZ = Einwandererzentralstelle).
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Q5/N 7 Rückseite: „Abfahrt in der Bukowina“. Beschreibung: Man sieht eine Menschenmenge mit Handgepäck, im Hintergrund über ihren Köpfen sind die Dächer der Eisenbahnwaggons des stehenden Zuges nur als dunkle Linie zu erkennen. Links liegt ein Holzstapel vor einem Bahnschuppen, im Hintergrund ein großer Felsenberg; formal zugehörig zu Q5/N8 und N9. Kommentar: Die Bild-Hinterschrift lässt offen, ob die Szene in der Süd- oder Nord-Bukowina fotografiert wurde. Die Felsenkulisse hinter der Szene ist geografisch vergleichbar mit Foto Q5/N6 aus Gura Humora, was für eine Abfahrtstation in der Südbukowina spricht. Die Bahnstrecke bei der Umsiedlung aus der Südbukowina bis zur ungarischen Grenze im November 1940 ist nachzuvollziehen auf zwei Landkarten im Nachlass der NS-Oberin.169 „Die Umsiedlung der Volksdeutschen aus der Südbukowina sollte ausschließlich mit der Bahn erfolgen, und zwar auf der Strecke Karlsberg–Radautz–Gurahumora–Dorna Watra–Klausenburg–Budapest–Wien. Güterzüge waren für die Nachführung der beweglichen Habe vorgesehen.“170
Von den aufgezählten Stationen war Dorna-Watra 1940 die westlichste Eisenbahnstation vor der ungarischen Grenze. Klausenburg im rumänischen Landesteil Siebenbürgen lag derzeit hinter der ungarischen Grenze.171 Budapest war die Hauptstadt von Ungarn. Wien als vorläufiges Ziel der Umsiedlung gehörte zum „Gau Ostmark“ des „Großdeutschen Reichs“. Als zweite Möglichkeit sehen wir einen Bahn-Einstieg bei der Umsiedlung aus der Nordbukowina. Nach dem Grenzübertritt über den Grenzfluss San reisten die Umsiedler in Sanok (auf von Deutschland besetztem Reichsgebiet im vormaligen Polen) weiter ins „Altreich“ (d.h. auf das Gebiet innerhalb der alten, bis 1. September 1939 geltenden deutschen Grenzen). „Beim Weiterfahren ins Altreich gibt es ein Händeschütteln, ein Danksagen und ein Fähnchenschwingen bis der Zug in der Ferne verschwunden ist. Wir NS.-Schwestern, die wir den Sanitätsdienst auf der Reise versehen, erleben weiterhin das unüberwindliche Vertrauen dieser Menschen zum deutschen Mutterland.“172
Dieser Zug transportierte Umsiedler zu einem Arbeitseinsatz. Dabei waren auch kranke Umsiedler, die von NS-Schwestern an einem ungenannten deutschen „Bestimmungsort“ übergeben wurden.173 Die NS-Schwestern, die verantwortlich für den Sanitätsdienst in den Zügen waren, überlieferten der Nachwelt keine konkreten Orte, an denen wir die Wege der Krankentransporte weiterverfolgen könnten. 169 Q3/Einzelblätter Nr. 7 und Nr. 9. 170 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 107. Beilage: die Landesgrenzen der Bukowina bis 1940, Karte nach Schieder. 171 Q3/Einzelblatt Nr. 9. 172 Q7/Bericht Nr. 9. 173 Ebd.
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Q5/N 8 Rückseite: „Abfahrt in der Bukowina“. Beschreibung: Szene zwischen zwei Geleisen ohne Bahnsteig: Umsiedler mit Gepäck (aus Weide und Stroh geflochtene Koffer und Taschen) steigen in einen Personenzug ein. Hinter ihnen stehen ein oder zwei Uniformierte. Kommentar: Vgl. Kommentare zu Q5/N7 und N9. Q5/N 9 Beschreibung: Durch ein offenes Fenster eines Personenzuges werden von außen Brote durch ein Fenster hineingereicht. Zwischen den Geleisen (ohne Bahnsteig), mit Broten beladen, stehen: zwei uniformierte Männer, ein Mann mit Schnauzbart und hoher Karakul-Fellmütze, zwei Mädchen sowie eine ältere NS-Schwester in Mantel und mit brauner Haube, die sich etwas im Hintergrund hält. Kommentar: Die NSV (NS-Volkswohlfahrt) war für die Versorgung der Umsiedler zuständig und auch die vorgesetzte Stelle der NS-Schwesternschaft. Der „neue Schwestern-Typ“174 kümmerte sich weniger um die Pflege der Kranken bei der Umsiedlung, sondern nach dem NS-Prinzip: „Vorsorge statt Fürsorge“ waren die NS-Schwestern im Sinne der Propaganda für die Versorgung der Gesunden da.175 Hier geben sie Brote in Umsiedlerzüge. Doch nur ein Fenster ist geöffnet. Auch im Dobrudscha-Einsatz versorgten NS-Schwestern Umsiedler am Zug: „Wir hatten sämtliche von Tulcia und Babadag kommenden Züge aufzuhalten und mit heißen Getränken zu versorgen.“176 Q5/N 10 Rückseite: „durchsägte Brücke zwischen Rumänien und Ungarn“. Beschreibung: Ein Flussufer vor einer Wald- und Wiesenlandschaft. Im Wasser der Stumpf einer Brücke aus Holzbohlen. Kommentar: Die Eisenbahntransporte mit Umsiedlern aus der Bukowina gingen über Ungarn bzw. über das von Ungarn besetzte rumänische Gebiet. Während des Krieges veränderten sich die Grenzverläufe in Großrumänien,177 vgl. Kommentar zu Foto Q5/N7. 174 175 176 177
Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ, S. 97ff. Vgl. Breiding 1995, Braune Schwestern. Q7/Bericht Nr. 8, S. 3 (NS-Schwester Freya Weng.). Vgl. Q3/Einzelblätter 7 und 9: Landkarten für das Umsiedlungskommando 1940.
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Q5/Serie O 1 Foto178
Thema: Bukowina-Umsiedlung Datierung: November 1940
Q5/O1 Beschreibung: Eine städtische Gebäudezeile an einer gepflasterten Straße mit erhöhtem Bürgersteig. An dem zweistöckigen Haus im modernen Bauhaus-Stil (vgl. Foto Q5/P1) wurden zwei Hakenkreuzfahnen an Stangen über der Straße angebracht, außerdem an der Hausecke zur Hofeinfahrt zwei große Schilder in Frakturschrift: „Umsiedlung Süd Buchenland / NSV Verpflegungsstelle“ und „Heim ins Reich“. Beide Schilder sind feierlich umkränzt mit Girlanden aus Tannenzweigen. Rechts daneben im Vordergrund trägt ein Geschäftshaus mit leeren Schaufenstern ein Wandschild: „NSV [...]“. Im Hintergrund links stehen einige Personen in wartenden Positionen. Kommentar: Die liebevolle Umkränzung der Schilder bestand vermutlich aus derselben „herrlichen Edeltanne“, mit denen die NSSchwestern in stillen Feierstunden deutsche Soldatengräber schmückten.179 Die Schilder „Umsiedlung Süd Buchenland“ und „NSVVerpflegungsstelle“ verorten dieses Foto in einem der beiden in der Südbukowina installierten Gebietsstäbe in Radautz oder in Gurahumora. Die Recherche ergab erst 2020 unzweifelhaft die heutige Adresse in Radautz: Strada Iraclie Porumbescu, Hausnummer 8, die früher Zieselgasse hieß.180 Das NSV-Nebengebäude rechts daneben besitzt hinter der Fassade einen hallenartigen Hinterbau einer früheren Stellmacherei, der 1940 als NSV-Lagerhalle für Kleidung usw. genutzt worden sein mag, während die NS-Oberin ihr Büro wohl in der repräsentativen Bauhaus-Villa einnahm. Zur Vorgeschichte des Hauses ist nichts bekannt, denkbar wäre eine Beschlagnahmung jüdischen Besitzes, da Radautz vor den Deportationen (1941) ein historisches Zentrum des Judentums in der Bukowina war. NS-Oberin Rakow fuhr Anfang November 1940 vom Lager Galatz aus zum Gebietsstab für die Bukowina-Umsiedlung in Radautz.181 Dort bereitete sie zwischen dem 3. und 15.No-
178 Merkmale: gerader Rand, Maße ca. 97 x 66 mm, Rückseite mit Stockflecken. 179 Vgl. Kommentar zu Q5/N5. 180 Google Maps ermöglicht eine Straßenansicht in einer Aufnahme vom Oktober 2012, die genau in der damaligen Perspektive einen Blick auf das heute noch stehende Haus erlaubt, inzwischen wurde es olivgrün gestrichen, in: Google Maps Street view: URL: https://goo.gl/maps/uwQG BT6uXt576Hn27 (Abruf 1.6.2020). Ich danke Constantin Tudurache und der rumänischen Facebook-Gruppe: Radauti, amintiri oameni, locuri [Radautz, Erinnerungen, Menschen, Orte] für die Recherchen im Mai 2020. Vgl. ausführlich in Kap. II.C.Spur 16. 181 Q3/ Einzelblatt Nr. 7 (Karte).
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vember 1940 eine „Verpflegstation“ vor: „Abreise n. Radauti u. Gura Humoralui 2 Gebiete [...] Vorbereitg. für Verpflegstation / Massenquartiere“.182 Die NSV war im Umsiedlungsstab für die Verpflegung der Umsiedler zuständig (Q5/M5), und zwar für Nahrung und Kleidung. NS-Schwester Cora, die ab dem 16. November mit der Arbeit in der der Bukowina begann, verteilte in den umliegenden Ortsbereichen von Radautz großzügig Lebensmittel und Kleidung an die „Volksdeutschen“. Aus Karlsberg, 30 km nordwestlich von Radautz entfernt, berichtete sie: „Mit einem Auto holten wir uns Kleidungsstücke und Schuhwerk von der N.S.V.-Dienststelle Radautz heran. In acht Tagen fuhren wir dreimal. Ein Lastauto brachte uns reichlich Lebensmittel zur Verteilung, und der Gauamtsleiter bewilligte die Ausgabe von Frischfleisch. Drei Schweine wurden geschlachtet. [...] So brauchten die Umsiedler wenigstens in den letzten Tagen keine weiten Wege zu machen. In Karlsberg gab es nichts mehr einzukaufen. In der Kleiderkammer herrschte reger Betrieb. Da wurden Frauen- und Mädchenkleider, Säuglingswäsche, Strümpfe, Männerjoppen und Knabenjacken sowie Schuhe in allen Größen ausgegeben. Es war immer schon Nacht, wenn wir die Kleiderkammer schlossen.“183
Vorher war NS-Schwester Cora bei der Bessarabien-Umsiedlung im Lager Semlin eingesetzt gewesen. Auch dort war in einem der Zelte eine NSV-Kleiderkammer. Es ist bekannt,184 dass es sich um „Beutegut“ aus jüdischem Besitz handelte, das hier großzügig umverteilt wurde. Über die Provenienz der NSV-Gaben überlieferten die NS-Schwestern uns nichts.
Q5/Serie P
8 Fotos,185 vermutlich fotografiert von NS-Schwester Anni H.186
Thema: Bukowina
Datierung: 2.–16. November 1940 Q5/P 1 Beschreibung: Das Motiv entspricht Foto Q5/O1. Vor dem Nebengebäude stehen hier jedoch rechts zwei Kinder(?) oder sehr kleine Menschen mit traditionellen hohen Wollmützen, einer trägt einen Rucksack. Am Tor des moder182 Q3/Einzelblätter Nr. 1. 183 Q6/Brief Nr. 16, S. 2f. (NS-Schwester Cora Spr.). 184 Freund/Perz/Stuhlpfarrer 1993, Ghetto Lodz, S. 204f, Anm. 15, sowie. S. 217f. [Online 2013]. – URL: www.univie.ac.at/zeitgeschichte/cms/uploads/Endbericht-Lodz_ro.pdf (Abruf 26.4. 2020); Vgl. Namensverzeichnis: Perthen, Anm. 185 ���������������������������������������������������������������������������������������� Gemeinsame Merkmale: geriffelter Rand, Maße: ca. 98 x 70 mm, Rückseite mit braunem Stempel „Foto-Büttner C 647 Landsberg / W“. Neben dem Stempel je ein Bleistiftzeichen „m“ (?). 186 Die Fotografin dieser Serie P war vermutlich NS-Schwester Anni Ho., die auch in der Bukowina eingesetzt war. Am 17. März 1943 schrieb sie aus Landsberg an der Warthe, dass sie Schwester Klara in Eberswalde die Bilder zur freien Auswahl für die NS-Oberin nach Berlin mitgegeben hatte (Q6/Briefe Nr. 18).
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nen Gebäudes steht eine Frau in elegantem Wintermantel und hohen Schuhen. Alle Personen scheinen zu warten. Kommentar: Im Vergleich zu Q5/O1 zeigt diese Ansicht nicht, dass die Fahnen an den Stangen Hakenkreuze tragen und dass am Nebengebäude rechts ein „NSV“-Schild hängt. Zur genauen Verortung und Funktion vgl. Kommentar Q5/O1. Q5/P 2 Beschreibung: Eine Art Fabrikhalle mit vier großen Waschkesseln (vgl. Foto P3). Im Hintergrund stehen drei schmächtige Männer eher tatenlos herum, während drei Frauen aktiv beschäftigt sind. Eine in dunklem Kleid oder Kittel greift, auf Stufen stehend in einen Kessel hinein, neben ihr eine elegant gekleidete Dame und eine kräftige Wäscherin in weiß. Kommentar: Möglicherweise ist dies eine zur „NSV Verpflegungsstelle“ (Q5/P1 und O1) gehörende Halle, wenn auch die Fenster mit der Straßenfront dieses Gebäudes nicht identisch sind. Q5/P 3
Beschreibung: Zwei kräftige Wäscherinnen in weißen Kitteln und Hauben bedienen vier große Waschkessel, indem sie an Armaturen hantieren. Der Wasserdampf wird durch Schornsteine nach außen geleitet. Kommentar: Ein Indiz, dass es sich bei den Kesseln (auf Q5/P2,P3) nicht um große Kochtöpfe handelt, ist die quer über einem Kessel liegende sog. „Wäschehexe“, ein Stab mit einem lufterzeugendem Stampfer, zum Aufschäumen der Lauge.
Q5/P 4 Beschreibung: In einer Halle ist eine Art Versorgungslager aufgebaut. In sehr einfachen Holzregalen und auf dem Fußboden lagern verschiedene Behälter und Materialien: Holzfässer, Kisten, Konservendosen, Schuhe, Textilien. Seitlich am Tisch sitzt eine schreibende Frau im weißen Kittel, offensichtlich die Verwalterin dieses kleinen Materiallagers. Kommentar: Es handelt sich vermutlich um das Materiallager der „NSV-Verpflegungsstelle“ im Bukowina-Einsatz in der Innenansicht. Das Äußere des Gebäudes könnten die Fotos Q5/ O1 und Q5/P1 oder auch die landwirtschaftliche Scheune mit Butzenferstern auf Foto Q5/ P5 zeigen. Im Hintergrund links stehen noch große Maschinen mit Transmissionsriemen, die aus der früheren Funktion der vermutlich für die NSV beschlagnahmten Halle oder Werkstatt stammen könnten. Allzu viele der vielen Tausend Umsiedler können eigentlich nicht von diesem Lager profitiert haben. Der gesamte Inhalt dürfte in einem kleineren LKW Platz finden. Ähnlich spär-
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lich und provisorisch wirkte auch die „Milchküche in Galatz“, die einige Milchpulver-Konservendosen in Holzregalen in Nahaufnahme zeigt (Q5/ I1). Die „Inventarliste der Säuglings-Milchküche im Lager“187 könnte sowohl zum Lager Galatz wie auch zu dieser Verpflegstelle in der Bukowina gehören. Q5/P 5 Beschreibung: Ein Mercedes parkt im gepflasterten, eingezäunten Innenhof vor einem ländlichen Holzhaus (vgl. Kommentar zu Q5/N4) mit großen Butzenfenstern (vgl. ähnliche Butzenfenster auf den Fotos Q5/P2, P3, P4). Auf der rechten Seite des Autos an der Fahrertür steht der NSKK-Fahrer mit Schiffchen-Mütze und Hakenkreuz-Armbinde. Das Kennzeichen des Autos lautet „IA 47294“.188 Die NS-Oberin Dorothee Rakow189 ist gerade dabei, in den Wagen ein- oder auszusteigen und klappt dafür die Sitzlehne um. Ihr Begleiter dicht neben ihr, ein beleibter Herr in Zivil mit Mantel, Melone, Schaftstiefeln, lächelt in die Kamera. Kommentar: Nach Abschluss der Umsiedlungsaktion in Bessarabien hatten die NS-Schwestern in der Bukowina „neue Anforderungen“190 und „neue, schwierige Aufgaben“.191 Im Gegensatz zu ihrem Einsatz bei der Bessarabien-Umsiedlung, bei der sie nur zentral im Auffanglager Galatz gearbeitet hatten, reisten die NS-Schwestern in der Bukowina nun in die Wohnorte der Umsiedler, „um die Aermsten zu betreuen“192 und arbeiteten mit NSKK, Sanitätskraftwagen und den Ärzten „eng“ zusammen. Insofern könnte der Begleiter ein Arzt sein. Zeitzeugen aus Bessarabien erkannten die gut genährten „Parteibonzen“ unter den Mitgliedern des Umsiedlungskommandos an deren Körperfülle. Daher könnte es sich bei dem beleibten Herrn ebenso um den (NSV?-)„Gauamtsleiter aus Nürnberg“ handeln. Er hatte in der Bukowina „das Sagen gehabt“:193
187 Q3/ Einzelblatt Nr. 3. 188 Vgl. Q5/K3: ein Auto des Umsiedlungskommandos mit SS-Kennzeichen. 189 Eindeutige Identifikation durch ihre Tochter Renate J. Auch die Narbe an der rechten Gesichtshälfte sei auf dem Foto zu erkennen. 190 Q3/Einzelblatt Nr. 1 (Notitz der NS-Oberin Rakow). 191 Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Bericht einer NS-Schwester, Fragment o.A.). 192 Ebd. 193 Q1/Lebensbericht 1989, Bl. 34.
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Quellen-Inventar „Mehrmals fuhr ich mit dem hier das Wort führenden Gauamtsleiter in diese Siedlungen und sah, wie diese Menschen sehr bescheiden lebten.“194
Das Autokennzeichen „IA“ des Mercedes war bis 1945 das Berliner Autokennzeichen.195 Mit diesem Kennzeichen waren auch NSV-Mitarbeiter 1939 im besetzten Polen unterwegs, und ein „NSV.-Sonderbeauftragte“ fuhr als „zweifelhaftes Vergnügen“ auf schlechten Straßen regelmäßig in abgelegene Ortschaften, um auch dort „Volksdeutsche“ zu versorgen.196 Vielleicht war der Nürnberger Gauamtsleiter der ungenannte Begleiter der NS-Oberin bei einer Fahrt mit einem „Merzedes“ nach Dorna Vatra,197 an die sie sich wegen der besonderen Strapazen noch in den 1980er Jahren erinnerte: „Eines Tages hatte ich Gelegenheit ins Hochgebirge nach Dorna vatra (Vatra dornei), in den Ostkarpathen gelegen, zu fahren. In frühester Morgenstunde fuhren wir mit dem Merzedes los. [...] es war Anfang Oktober, und wir fuhren durch eine Serpentinenstraße, die von beiden Seiten von über Meterhohen Schneewänden begrenzt war. Der Fahrer und ich sprachen kaum ein Wort. [...] Ein Ausweichen war unmöglich. Weit nach Mitternacht kamen wir erschöpft in unsere Quartiere.“198
Eine Fahrt nach Dorna Vatra notierte sich Schwester Dorothee 1940 in einer chronologischen Aufstellung – und zwar direkt im Anschluss an die Notiz „neue Anforderungen“: „Vorsorgen Gebiet G.H.199 neue Anforderungen / Dorna Watra Hotel / Gebirgslandschaft Paß 2000 m“200 Das Holzhaus auf dem Foto war vermutlich nicht das erwähnte Hotel.201 Vielleicht war es ein Haus von Umsiedlern, das bei der Fahrt in die Siedlungen der Bukowina aufgesucht wurde. Oder es war das Versorgungslager, das im Innenraum (Q5/P4) ganz ähnliche, in zwei und fünf Reihen geteilte Butzenfenster aufwies, wie hier von außen am rechten Rand des Fotos. 194 Ebd., Bl. 32. 195 Von 1882 bis August 1945 stand im „IA“-Kennzeichen die römische Zahl „I“ für Preußen und „A“ für Berlin, in: Verein für die Geschichte Berlins e.V., Forumsbeitrag von Martin Mende in: Die Geschichte Berlins. URL: www.diegeschichteberlins.de/forum/1227796656-autonummernim-nachkriegsberlin.html (Abruf 7.6.2020). – Sechs Autos der Reichsärztekammer wurden „bei den Rückführungsaktionen der Deutschen aus Rumänien“ vom DRK mit RK-Nummern getarnt. Morgenbrodt/Merkenich 2014, S. 408. 196 Hebenbrock 1940, NSV nach Polen, S. 19: „Wir haben das IA an unseren Nummernschildern mit Isolierband verdeckt und die Stander entfernt“, bevor die NSV-Mitarbeiter am 22.9.1939 „von Breslau aus [...] nach Polen“ ins Kriegsgebiet einfuhren. – Zum NSV-Sonderbeauftragten, ebd., S. 70. 197 Dorna-Watra, südwestlich des Gebietsstab-Sitzes Gura Humora, war der westlichste „Ortsbereich“ der Bukowina-Umsiedlung an der Eisenbahnlinie vor der ungarischen Grenze. Vgl. Q3/ Einzelblatt Nr. 7 (Karte der Bukowina). 198 Lebensbericht Q1/Bl. 35. 199 G.H.: Gura Humoralui in der Südbukowina, Sitz eines Umsiedlungs-Gebietsstabes. Vgl. Q3/ Einzelblätter Nr. 6, 7. 200 Q3/Einzelblatt Nr. 1. 201 NS-Schwestern, NS-Frauenschaft und Reservepolizei bewohnten im Badeort Dorna Watra das „Hotel Trajan“, in: Richter 1941, Heimkehrer, S. 23 (ergänzende Anmerkung 2020).
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Q5/P 6 Rückseite: „Innenseite des Albums“. Beschreibung: Aus einem Personenwaggon lehnen sich Umsiedlerfamilien, Männer, Frauen, Kinder, aus den offenen Fenstern. Draußen geht am Zug ein älterer Mann in Anzug und hellem Hut mit einem kurz geschnittenem Bart entlang. Kommentar: Dieses Foto korrespondiert in seltsamer Weise mit Q5/P7, in dem auch ein alter Mann vor dem Hintergrund des Umsiedlerzuges kurz vor der Abfahrt draußen am Bahnsteig aufgenommen wurde. Im Kontrast dazu trägt jener allerdings Fellmütze, und sein Bart ist ungeschnitten. Aufgrund der Ähnlichkeit der Gesichter ist denkbar, dass der Mann vom Foto P7 hier frisiert und umgekleidet wurde. (In diesem Fall müsste die Reihenfolge der Fotos als ‚Vorher/Nachher‘-Bilder chronologisch getauscht werden.) Beide Fotos vermitteln trotz ihrer Ähnlichkeit im Sujet eine vollkommen andere Atmosphäre. Da das obige Foto für die „Innenseite des Albums“ ausersehen wurde, zeigt es, was für die Propaganda präsentiert werden sollte: zivile deutsche Umsiedler in westlicher Kleidung. Es zeigt nicht die Zurückgebliebenen, die nicht eingekleidet wurden oder werden wollten, wie auf Q5/P7. Q5/P 7 Beschreibung: Im Vergleich zu Q5/P 6 zeigt dieses Foto einen größeren und interessanteren Ausschnitt der Abfahrt-Szene. Im Hintergrund lehnen sich nicht nur Umsiedler aus den Fenstern des voll besetzten Zuges, man sieht auch Menschen auf dem Bahnsteig, die selber warten oder vielleicht die Umsiedler verabschieden. Mehr als in Q5/P6 wird hier offenbar, dass die Umsiedler noch Bezüge zu ihrer Heimat haben, die sie gerade verlassen. Kommentar: Unter den Menschen auf dem Bahnsteig scheint der alte Mann im Vordergrund der einzige zu sein, der noch nicht westlich eingekleidet wurde. Er passt nicht mehr ins Umfeld, obschon seine Lederjacke und seine hohe schwarze Fellmütze aus dem „Karakul“202 202 „In Bessarabien war die typische Kopfbedeckung der bessarabiendeutschen Männer eine meist schwarze Lammfellmütze. Die Felle stammten von Jungtieren eines persianerähnlichen Schafes, das aus der Kreuzung mit Karakulschafen hervorgegangen war. Diese Lammfelle sind die feinsten der persianerähnlichen Pelzarten, meist sind sie bereits von Natur aus schwarz. Diese Halbblutpersianerfelle werden wegen dieser Ähnlichkeit und nach den deutschen RAL-Bestimmungen als Bessaraber oder rumänische Halbpersianer gehandelt (nicht als Karakul oder Persianer)“. In: Wikipedia: Karakulmütze. URL: www.wikipedia.org/wiki/Karakulmütze (Abruf 22.3.2020), mit Quellenverweis auf Christian Franke/Johanna Kroll: Jury Fränkel’s Rauchwaren-Handbuch, Murrhardt.10. Aufl. 1988/89, S. 297.
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genannten Fell neugeborener Lämmer, auch als „Bessaraber“ oder „rumänischer Halbpersianer“ bezeichnet, sehr wertvolle Kleidungsstücke in der regionalen Tradition waren. Diese Kleidung und den lange gewachsenen, gepflegten Vollbart trug er sicher mit Stolz, aber die „Volksdeutschen“ sollten bei ihrer Ankunft nicht „fremdländisch“ aussehen, sondern so, als hätten sie im Ausland eine deutsche Kultur bewahrt. Die auffallende persönliche Geste des alten Mannes macht die Abschiedssituation der Umsiedler bewusst. Seine Hände scheinen zu flehen, sein Gesicht wirkt seelisch leidend. Die Umstehenden blicken interessiert zu der dramatischen Szene, die sich zwischen ihm und dem Fotografen abspielt und ihre Aufmerksamkeit erregt. Entweder wurde er noch in der NSV-Station ausstaffiert und umgestaltet zu dem frisierten Herrn auf Q5/P6 – oder er blieb zurück. In den Ortsbezirken der Bukowina blieben oft „alte Leute und Pensionäre“ zurück.203 Über die Anzahl der Zurückgebliebenen und die Gründe für das Zurückbleiben füllten die Ortsbevollmächtigten nach der Umsiedlungsaktion Fragebögen aus. Zu den genannten Gründen gehörten nur selten politische, sondern hauptsächlich verwandtschaftliche Beziehungen zu Rumänen. Es waren „Personen, die mit Rumänen versippt sind und folglich sich sehr gebunden fühlen“ sowie „Mischehen“.204 Nach der Umsiedlung war ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung aus dem Land verschwunden, was den dort Verbliebenen nicht bloß den vertrauten Kreis von Bekannten und Verwandten nahm, sondern auch noch den letzten Rückhalt für die Bewahrung der Identität als frühere „Volksdeutsche“.205 Eine NS-Schwester erinnert ihren letzten Transport aus der Bukowina: „Der Abschied von Kimpolung war ganz groß – der Zug aufs Schönste mit Tannen u. Fahnen geschmückt. Die Umsiedler in bester Hoffnung und froher Erwartung auf Deutschland – und auf dem Bahnsteig dicht gedrängte Menschen – fast alle Rumänen, die mit nassen Augen Abschied nahmen. Sie sahen die Größe ihrer Schuld zu spät ein.“206
Q5/P 8 Beschreibung: Die „Führerin“ der NS-Schwestern bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen steht an der Seite einer militärischen Aufstellung von Krankenschwestern vor einem abfahrbereiten Umsiedlerzug. Aus den offenen Fenstern und Türen lehnen sich Umsiedler, um sich die Inszenierung anzusehen. Als einzige hält Dorothee Rakow207 ihren Mund verschlossen, während die in Reih und Glied stehenden Krankenschwestern singen. Wie ihre Oberin tragen die NS-Schwestern uniformierte Mäntel und braune oder weiße Hauben. Neben der Führerin der NS-Schwestern steht mit weißer Schürze vermutlich die Führerin der NSV208oder die Oberwachtführerin der DRK-Schwestern, die selbst mitsingt. Links neben ihnen
203 Jachomowski 1984, S. 106. 204 Jachomowski 1984, S. 106. Zu „Mischehen“ in der Bukowina vgl. auch: Hausleitner 2018, Mischmasch. 205 Jachomowski 1984, S. 106. 206 Q6/Brief Nr. 13 (NS-Schwester Cora Spr.). 207 Eindeutige Identifikation durch ihre Tochter Renate J. 208 Die sog. „Blauen Schwestern“, die aus der Freien Schwesternschaft gebildet wurden, trugen weiße Hauben.
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hört ein großgewachsener Mann in Uniform mit verschiedenen Abzeichen und in Schaftstiefeln und Reiterhosen zu, die ihn als SS-Führer ausweisen. Eine weitere Gruppe, die im rechten Winkel zu den Krankenschwestern aufgestellt ist, ist links im Bild angeschnitten: Frauen mit Kopftüchern mit karierten Webmustern. Es könnten volksdeutsche oder rumänische Helferinnen sein. Wertvoll gewebte Tücher aus feiner Wolle waren die übliche weibliche Kopfbedeckung. Kommentar: NS-Oberin Rakow notierte sich zum 15. November 1940: „15. XI. / 1. Umsiedlerzug / Auf hebt unsere Fahnen / Siegmeyer / Wünsche / Zugfolge 2 – 3 – 2 – 3 – 2 / 20 Gruppen“.209 Bringt man diese Notiz mit dem Foto in Verbindung, zeigt es eine Aufstellung von „20 Gruppen“ anlässlich des „1. Umsiedlerzuges“, der am 15. November 1940 aus der Bukowina abfuhr. Die Schwestern sangen das Lied: „Auf hebt unsere Fahnen“, bevor „Siegmeyer“ seine „Wünsche“ mit auf den Weg gab oder bekam. SS-Oberführer Siekmeyer, den die NS-Oberin in ihren Notizen irrtümlich „Siegmeyer“ nannte, war „Beauftragter des Führers für Umsiedlungsfragen“ und am 1. November als Neuling im Umsiedlungskommando in Gura Humora eingetroffen. „Von Anfang an gab es Reibungen zwischen den Kommandoangehörigen [...] und SIEKMEYER, da [...] SSOberführer SIEKMEYER und seine Leute als Anfänger in Umsiedlungsfragen betrachtet wurden.“210 Von einem Konflikt mit der NS-Oberin ist in den Aufzeichnungen nichts zu lesen. Doch im Anschluss an die feierliche Inszenierung des ersten Umsiedlerzuges begannen – nach den Datums-Notizen – „neue Anforderungen“211 und „neue, schwierige Aufgaben“.212 Möglicherweise floh die Oberin schon zwei Tage später davor, indem sie ihren Bukowina-Einsatz vorzeitig abbrach. Als Grund gab sie in ihrem Lebensrückblick später an, sie habe sich mit Keuchhusten angesteckt und sei in einem versiegelten Abteil eines
209 Q3/Einzelblätter Nr. 1. 210 ������������������������������������������������������������������������������������ Jachomowski 1984, Umsiedlung S. 96: „Das deutsche Umsiedlungskommando für die Südbukowina und die Dobrudscha bestand zu einem erheblichen Teil aus denselben Leuten wie bei der Umsiedlung in Bessarabien und der Nordbukowina. Diese reisten direkt von einem Umsiedlungsgebiet in das andere; die übrigen [...] kamen aus dem Reich hinzu. Zu den Neuhinzugekommenen gehörte auch der Leiter des Umsiedlungskommandos, Oberführer SIEKMEYER. Er traf am 1. November in Gura Humora ein. Von Anfang an gab es Reibungen zwischen den Kommandoangehörigen [...], da [...] SS-Oberführer SIEKMEYER und seine Leute als Anfänger in Umsiedlungsfragen betrachtet wurden.“ SS-Oberführer Siekmeyer trug den Titel: „Beauftragter des Führers für Umsiedlungsfragen“ (ebd. S. 95). 211 Q3/Einzelblatt Nr. 1. 212 Q3/Einzelblatt Nr. 8 (Bericht einer NS-Schwester) – Im Gegensatz zu ihrem Einsatz als „kleine, eng verschworene Arbeitsgemeinschaft in Galatz“ waren die NS-Schwestern bei der Umsiedlung in der Bukowina und der Dobrudscha auch in den Orten unterwegs, „um die Aermsten zu betreuen“ und arbeiteten dabei „eng“ mit NSKK, Sanitätskraftwagen und den Ärzten zusammen.
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Umsiedler-Eisenbahnzugs in Quarantäne über München nach Berlin zurückgekehrt.213 Ihre in sich gekehrte Haltung auf dem Foto illustriert schon ihre „Krankheit“ oder ihren Rückzug. 1940 notierte sie zur plötzlichen Rückfahrt am 17. November 1940 nichts bzw. gab nur diesen einzigen – möglichen – Hinweis: „17. XI. / Drnestre ab Bhf / dunkel Gepäckwagen versiegelt / Grenzkontrolle.“214 ***
213 Q1/Lebensbericht, Bl. 35: „Ich hatte mich wahrscheinlich beim Ausschütten der Strohsäcke in Galatz, mit Keuchhusten infiziert, und es war eine Erlösung für mich, daß ich nach Berlin zurückgerufen wurde. Ich musste mit einem Umsiedlerzug fahren. Der DRK-Arzt hatte mich für die Fahrt gut mit Medikamenten versorgt, niemand durfte mein Abteil betreten, und ich durfte auch nicht zu den anderen Leuten gehen. Fünf Tage waren wir unterwegs bis München [...] und das Kuriose – bis ich nach Berlin kam, war mein Keuchhusten abgeklungen, ich war natürlich sehr froh darüber.“ 214 Q3/Einzelblatt Nr. 1, letzter Satz.
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Q6/BRIEFE Briefe von NS-Schwestern aus dem Umsiedlungseinsatz (September 1940 bis September 1941) Im Nachlass wurden 22 Briefe und Postkarten von NS-Schwestern aus dem Umsiedlungseinsatz aufbewahrt. 19 davon schrieben die NS-Schwestern aus ihren jeweiligen Einsatzorten während und nach der Umsiedlung an ihre NS-Oberin Dorothee Rakow, die als Führerin der NS-Schwestern im Lager Galatz (Rumänien) stationiert war. Auf drei Durchschlägen von Briefen lesen wir, was die NS-Oberin selbst von dort an ihre „liebe Generaloberin“ bzw. deren Stellvertreterin im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt in Berlin über ihren Einsatz schrieb. Zur Tradition der Schwesternbriefe: Briefe von Krankenschwestern an ihre Oberinnen stehen in einer langen Tradition. Der vertrauliche Ton von eingesetzten „Kriegsschwestern“ an die „liebe Oberin“ war schon im Ersten Weltkrieg üblich, wenn die Schwestern von der Front an ihre „Mutterhäuser“ schrieben und der Oberin ihres Ordens ihre Sorgen anvertrauten.1 Schon 1866 hatten die Rot-KreuzSchwestern in ihren Statuten neben Friedens- auch Kriegsaufgaben definiert: das „Ausrücken ins Feld“ gehörte zu ihrem Berufsbild.2 Oberinnen im Mutterhaus entschieden schon im Ersten Weltkrieg, welche Schwestern ihres Ordens oder Verbandes sie für den Kriegseinsatz freigaben. Die Oberin hatte die Gesundheit ihrer Schwestern zu schützen und stattete ggf. den Lazaretten, in denen sie „möglichst mutterhausweise“ eingesetzt waren, Besuche ab. Im Zweiten Weltkrieg bekamen die Rot-Kreuz-Schwestern das ‚Monopol‘ für die Krankenpflege in den Kriegslazaretten. Als „Wehrmachtsschwestern“ wurden sie in „Marsch gesetzt“, leitende Schwestern hatten Offiziersstatus. In Briefen an die DRK-Mutterhäuser erzählten die Frontschwestern ihren Oberinnen von dem überfordernden Dienst bei katastrophalen hygienischen Verhältnissen und von schwer verwundeten, schreienden Soldaten.3 Um dem schweren Dienst im Osten zu entkommen, heiratete manche einen der verwundeten Soldaten. Konfessionelle Krankenschwestern waren im Zweiten Weltkrieg dagegen nur noch für den Einsatz in Heimatlazaretten und grenznahen Reservelazaretten zugelassen. Die NS-Schwestern wurden – zusammen mit Reichsbund- und DRK-Schwestern – in den Lazaretten der SS eingesetzt.4 Wie uns der Nachlass von NS-Oberin Rakow nun zeigt, begleiteten NS-Schwestern das SS-Umsiedlungskommando auch zur Betreuung der Volksdeutschen mit eigenständigen Aufgaben. Im selben Jahr 1940, als die NS-Schwestern im Bessarabieneinsatz ihre Briefe an ihre NS-Oberin formulierten, war auch das Buch „Schwesternbriefe von allen Fronten“ erschie-
1 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke 2002, Frontschwestern, S. 128f. (Briefe von Krankenschwestern 1914–1918). 2 Ebd., S. 14 und Abb. S. 15. 3 Ebd., S. 252–272 (Briefe von DRK-Schwestern an ihre Oberin). 4 Ebd., S. 19f.
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nen.5 Das in diesem Bändchen veröffentlichte Bild einer Rot-Kreuz-Schwester, „die, ohne viel Aufhebens von sich zu machen, frohgemut, ernsthaft und tüchtig im Einsatz ist und sich auf allen Kriegsschauplätzen bewährt“,6 prägte offenbar auch den Briefstil der NSSchwestern. Ein vertraulich wirkender Ton gegenüber der vorgesetzten Oberin sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Briefe keinen vertraulich privaten, sondern immer einen professionellen Hintergrund haben. Die Adressatinnen waren Vorgesetzte, die Briefe der NS-Schwestern aus ihrem Kriegseinsatz setzten eine Traditionslinie im Berufsfeld der Krankenschwestern fort, und sie entstanden im Zeitgeist der NS-Diktatur, die keinen freien Gedankenaustausch zuließ. Briefzensur im NS Bei der Spurensuche nach Hinweisen auf heimliche „Euthanasie“-Maßnahmen bei der Umsiedlung ist vorab zu bedenken, dass Briefe einer politischen Zensur der NS-Diktatur unterlagen und die Schreiberinnen – ebenso wie bei jeder anderen mündlichen oder schriftlichen Äußerung – nicht ohne Gefahren frei berichten konnten. Tatsächlich tragen zwei Postkarten rote Zensurstempel.7 Für archivierte Briefe aus der NS-Zeit gilt generell: „Briefe können Botschaften enthalten, deren Code nur dem Empfänger bekannt war, deren Sinn für Außenstehende gar nicht erkennbar ist.“8 Ein damaliger Gaumeister in Stenografie, der im Kriegsdienst zum Morsen eingesetzt wurde, verschickte aus seiner Funkstelle nicht nur nachts heimlich die vervielfältigte Predigt Kardinal von Galens gegen die NS-„Euthanasie“. Er erläuterte mir auch, wie er damals in seinen Briefen nach Hause anhand von Anfangsbuchstaben in bestimmten Sätzen den Eltern seinen geheimen Aufenthaltsort in Schwerin verschlüsselt übermittelte, obwohl im klar war, dass er dafür „vor das Kriegsgericht“ hätte kommen können.9 Ob beabsichtigte Verschlüsselungen für die Augen der vorgesetzten Generaloberin in den Schwesternbriefen enthalten sind, blieb mir bei der Analyse der Briefe stets im Hinterkopf, konnte aber nicht von mir entdeckt werden. Dennoch vermitteln manche Textstellen gerade durch Auslassungen den Eindruck, dass hier auch ein Lesen „zwischen den Zeilen“ gefordert ist. Namen werden selten genannt. Die Briefumschläge, denen Adressen, Absender und volle Namen zu entnehmen gewesen wären, sind leider nicht erhalten geblieben. Informationen über die schreibenden NS-Schwestern und weiteren in ihren Briefen erwähnten Personen wurden im Personenindex im Anhang des Hauptteils zusammengeführt. Die Briefe wurden als Quellenedition ohne Kürzungen transkribiert und anschließend mit Verweisen einzeln kommentiert. 5 Verlag des Deutschen Roten Kreuzes G.m.b.H. (Hg.): Schwesternbriefe von allen Fronten. Berlin [1940]. Nach: Panke-Kochinke, S. 25. 6 Ebd., S. 26. 7 Q6/10, Q6/22. 8 ������������������������������������������������������������������������������������������ Panke-Kochinke empfahl bei der Analyse von Feldpostbriefen der Rotkreuzschwestern das Aufspüren von „Brüchen“ zu zeitgenössischen Sprachmustern, die den Alltagswortschatz durchdrangen, und zu den verbreiteten handlungsrelevanten Denkmustern. Ebd., S. 221. 9 Dr. Bernhard Mönninghoff, Wilhelmshaven (G 1912), Telefonat, Juni 2007. Ausführlicher in: Vorbemerkungen zu Q2/Tagebuch, Quelleninventar.
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Q6/Briefe
Übersicht Q6/Briefe:
22 Briefe von NS-Schwestern zur „Heim ins Reich“-Umsiedlungsaktion (11.9.1940–4.9. 1941) NR. DATUM VON AUS AN A. Aus dem Auffanglager Galatz ins Reichshauptamt Berlin, im September 1940: 1. 11.09. NS-Oberin Dorothee „Sammelplatz“ Generaloberin der 40 Rakow, Führerin der Wien, Untere Augar- NS-Schwesternschaft NS-Schwesternschaft tenstr. 3, Dtsch. Käthe Böttger, Berlin, im Umsiedlungseinsatz Jugendherb. Reichshauptamt für u. 2. Stellv. der GeneVolkswohlfahrt raloberin Generaloberin Käthe 2. 27.09. NS-Oberin Dorothee Galatz (erstes Böttger, Berlin 40 Rakow Auffanglager in Rumänien) 3. 30.09. NS-Oberin Dorothee Galatz (erstes NS-Oberin 40 Rakow Auffanglager in Edith Blawert, Rumänien) 1. Stellvertreterin der Generaloberin, Berlin B. NS-Schwestern von/an Oberin Rakow im Lager Galatz, im Oktober 1940: 4. 5.10. gez. Ihre E. St. Auf Fahrt NS-Oberin Dorothee 1940 Rakow, Lager Galatz 5. 6.10. Hildegard Win., Von einem Schiff NS-Oberin Dorothee 1940 u. Lotte ... Rakow, Lager Galatz 6.
15.10. 1940
7.
20.10. 1940
Ihre S. Schn. (Leitende NS-Oberin Schnee im Lager Semlin)
Umsiedlungslager Semun (Durchgangslager Semlin/ Jugoslawien) Reichshauptamt für Volkswohlfahrt Berlin
NS-Oberin Dorothee Rakow, Lager Galatz
Seiten 2
3
6
2 Karte
2
Generaloberin Käthe NS-Oberin Dorothee 2 Böttger, mit Zusatz von Rakow, Lager Galatz der 1. Stellvertreterin Oberin Edith Blawert 8. 27.10. Ihre Schwester Wally Umsiedlungslager NS-Oberin Dorothee 2 1940 (Wally Ur.) Semlin bei Belgrad Rakow, Lager Galatz 9. 01.11. NS-Oberin Dorothee Galatz, Dtsch. Um- Generaloberin Käthe 2 40 Rakow siedllungslager Böttger, Berlin C. NS-Schwestern aus der Dobrudscha und der Bukowina an Oberin Rakow, im Nov. 1940: NS-Oberin Dorothee Karte 10. 5.11.1940 „Die Dobrudschaschwes- Vom Schiff Rakow, Reichsleitung „BudaZensurtern“: Anna Tai., Schw. Wald. NS-Schwesternschaft, pest“ stempel burga, Juliane Rü., HilBerlin W 35. Maydegard Uh., Herta Kra., bachufer Friedel Leo. (zur Zeit Radautz/Bukowina)
530 11.
Quellen-Inventar 17.11. 1940
Ihre Klara Re. Dorna Watra/ NS-Oberin Dorothee 2 (betr.: Verlust der Kom- Bukowina Rakow (ab 16.11.: vorzeitige Abfahrt nach mandogelder der NSSchwestern) Deutschland) 12. 19.11. a.) Anni Ho., Susanne Radautz/Bukowina NS-Oberin Dorothee 2 1940 Wisch., Margarethe Ba. Rakow (befand sich b.) Rückseite: Charlotte auf der Rückfahrt nach Con., Vertr. von Oberin Deutschland) Rakow in der Bukowina 4. NS-Schwestern nach ihrem Umsiedlungseinsatz an Oberin Rakow, Dez. 1940–Sept. 1941 13. 16.12. Cora Sp. Grenzuk, Kr. Glatz NS-Oberin Dorothee 2 1940 (mit Bericht vom letzten (Schlesien) NS-Ge- Rakow Bukowina-Transport) meindeschwester 14. 7.1. Fanny To. Aubing (bei NS-Oberin Dorothee 1 1941 (mit Bericht aus der München) NS-Ge- Rakow Dobrudscha) meindeschwester 15. 26.1. Lotte Con. (Ablehnung Weinhübel (bei NS-Oberin Dorothee 6 Rakow 1941 ihrer Berförderung nach Görlitz?) NS-GeBerlin aufgrund ihrer meindeschwester Bukwina-Position) Cora Spr., mit Beilage: Grenzuk, Kr. Glatz NS-Oberin Dorothee 2 16. 5.3. Bericht „Umsiedlungsar- (Schlesien) Rakow 1941 5 beit in Karlsberg, SüdNS-Gemeindeburgenland“ (NSV-Ver- schwester pflegungsstelle Radautz) 17. 17.3. Margarethe Ba. (Bewer- Gottesberg (Schle- NS-Oberin Dorothee 2 1941 bung um Einsatz in den sien) NS-Gemein- Rakow, Berlin Kolonien oder in Ober- deschwester schlesien) 18. 17.3. Anni Ho. (Kritik aus der Landsberg/Warthe NS-Oberin Dorothee 2 1941 Landesheilanstalt Ebers- (Landesheilanstalt?) Rakow, Berlin walde) 19. 21.3. Herta Kra. (mit Bericht Schippach NS-Oberin Dorothee 4 1941 über die Arbeit in Cerna (Gau Mainfranken) Rakow, Berlin Voda/Dobrudscha) Volksdeutsche Mit- „Dorothea Racker, Karte 20. 28.4. Rosa und Josef Wag., Oberschwester der 1941 Rosalia Wag. (Umsiedler telstelle, aus dem Lager Galatz) Kreis Karlsruhe, N.S.Schwesternschaft“, KARTE aus: Bibelheim Lager Langenstein- [durchstrichen:] Berlin Charlottenburg, Bethanien, Langenstein- bach bach (Umsiedlerlager) Hölderlinstraße 11. [NEU:] Ulbrichshöhe, Sanatorium Peterswaldau Eulengebirge
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Q6/Briefe 21.
29.05. 41
Cora Spr.
22.
4.9.1941 Zensurstempel
Schwester Christel Boe. und Schwester Friedel B. (geb. Leo.) KARTE aus: Ullersdorf a.d. Biele
Grenzuk, Kr. Glatz (Schlesien) NS-Gemeindeschwester Ullersdorf
NS-Oberin Dorothee Rakow, Berlin
2
NS Oberschwester Dorothea Rakow, Berlin Maybachufer, Reichsleitung d. N.S.V., Abtlg. N.S. Schwesternschaft
Karte
Einzelkommentierungen der Briefe Q6/1 bis Q6/22:
Q6/Brief Nr. 1
2 Seiten Typoskript auf 1 Blatt (Vorder- u. Rückseite)
Datum: 11. September 1940 Von: NS-Oberschwester Dorothee Rakow Aus: z. Zt. Wien, Untere Augartenstr. 3, Dtsch. Jugendherberge An: Liebe Generaloberin! (Käthe Böttger, Berlin Reichshauptamt der NSV)
532 Transkription:
Quellen-Inventar z.Zt. Wien, den 11. September 1940 Untere Augartenstr. 3, Dtsch. Jugendherberge.
Liebe Generalboberin! Eine Woche Wien liegt hinter mir, und mit schlechtem Gewissen denke ich an die Arbeit dort. Am liebsten wäre ich bei der Hiobsbotschaft am letzten Sonnabend, wir können nicht abreisen, sofort nach Berlin abgedampft. Aber man soll sich nicht immer für unentbehrlich halten. Mein Auftrag liegt jetzt in einer ganz anderen Welt. Ich muss immer von neuem sagen, dass ich in Wien bin. In den ersten Tagen habe ich nur schlechte Eindrücke gehabt. Verkommene Häuser, in den Straßen schlampige ungepflegte Leute, auf den Bänken am Donaukanal alte Männer. Auch die Gauamtsleitung ist ungepflegt, ich meine allerdings die Räume, an den Fenstern sind keine Gardinen, die Scheiben sind zur Hälfte normalsichtig, zur anderen Hälfte lila. Im Zentrum sind dann allerdings die wunderschönen grossen Bauten, die ich jetzt nacheinander kennen lernte. Und da man sehr oft falsch fährt, weil man die Wiener nicht versteht, lernt man halt sehr viel kennen. Am Tage der Ankunft fuhr ich mit einer Gruppe Schwestern nach Schönbrunn raus. Sehr bald leider überraschte uns ein grosser Platzregen, und suchten wir ein Café auf. Hier konnten wir uns so häuslich niederlassen, wie es in Berlin niemals möglich wäre. Denn nach dem Abräumen des Kaffeegeschirrs wurde alle Viertelstunde ein frisches Glas Wasser gebracht, trotzdem das alte nicht angerührt war. Und dies mit einer Liebenswürdigkeit, mir der niemals in Norddeutschland jemand konkurrieren könnte. Aber mit dieem Lächeln wird auch der Kuchen nicht etwa auf einem Teller sondern auf ein Stück weisses Papier gelegt. Doch genug davon. Unsere Unterbringung in der Jugendherberge ist ähnlich wie in Nürnberg. Für Verpflegung ist gesorgt. Nur Obst gibt es in Wien nicht. Schw. Wally und ich sind gestern 4 Stunden von einem Amt zum anderen gelaufen und haben erreicht, dass wir mit 75 kg Obst beliefert wurden. Aber teuer ist Wien, wie man es eigentlich nicht für möglich hält. Ich glaube, dass den Wienern mindestens das Verpflegungsgeld, das der Warthegau erhält, auch zusteht. [S. 2:] Für unser geistiges Wohl sorgte die NS-Frauenschaft. Am Mittwoch voriger Woche kamen sämtliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Bessarabien-Aktion ini einem Saal der Urania zusammen und wurden von der Gaufrauenschaftsleiterin! begrüßt. Frl. Jahn redete ebenfalls und dann sprach Pg. Lorenz über die Oganisation u. Aufgaben unserer Aktion. Auch über die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten liess er uns nicht im Unklaren. Für die Arbeit ist klargestellt: NS-Schwestern machen den Sanitätsdienst in den Revierstuben der Läger u. beim Schiffs- und Bahntransport, versorgen die Milchküchen und haben die Säuglingsbetreuung. die frauen haben die wirtschaftlichen Angelegenheiten einschließlich Kochen, und die Männer sind Transportleiter und haben für die notwendige Versorgung alles heranzuschafffen. Ohne Ausnahme wohnen alle in den Zeltlägern. An zwei Tagen hatten wir dann doch sehr interessante Vorträge über die geschichtliche und politische Entwicklung im Südostraum von einem Herrn im VDA und Dr. vom geographischen Institut der Universität gab über die Landschaft im Donauraum Erläuterungen. auch diese Vorträge waren von der NS-Frauenschaft! veranlasst. Bis jetzt ist nun die Abreise für morgen nicht abgeblasen. Ich hoffe sehr stark, dass es endgültig losgeht. Ich war beim Gauamtsleiter und bat ihn, uns einige Worte mit auf den Weg zu geben. Er muss morgen zum Gauleiter, will aber kommen, wenn es seine Zeit erlaubt. Sonst beauftragt er Herrn Grahle.
Q6/Briefe
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Wahrscheinlich kommt auch Schw. Else Sprecher (S. 2) mit ihren Schülerinnnen, um unsere Abfahrt musikalisch zu umrahmen. Auf meine Bitte war sie an einem Abend mit einem Kurs in der Jugendherberge und hat mit uns allen gesungen. Es war sehr fein. Die Schülerinnnen haben sich noch mit Begeisterung den Rucksack unserer Sonderausrüstung mit all dem Inhalt betrachtet. Als Schw. Wally und ich draußen waren, haben wir natürlich mit Begeisterung von der neuen Aktion erzählt. Und da hierfür nur Gemeindeschwestern in Frage kommen, wollen sie im Augenblick auch alle in die Gemeinde und haben nur Angst, daß es zu spät wird und alle Aktionen vorbei sind. Zum Schluss will ich auch noch sagen, dass ich die viel umstrittenen Baracken im Wilhelminenspital gesehen habe. Kommentar überflüssig. Alle 150 Schwestern sind dankbar und freuen sich auf die bevorstehende Aufgabe. Wir alle grüssen Sie, liebe Generaloberin, Heil Hitler! Zusammenfassung und Anmerkungen: NS-Oberschwester Dorothee Rakow schreibt ihrer Vorgesetzten Generaloberin Käthe Böttger nach Berlin in das Reichshauptamt der NSV über ihre erste Woche in Wien, wo der „Sammelplatz“ für die Angehörigen des Kommandos der bevorstehenden Umsiedlungsaktion war. Sie war die Führerin von „150 Schwestern“ (S. 2), die in Bessarabien eingesetzt werden sollten. Wir erfahren: „Nur Gemeindeschwestern“ kamen für den Bessarabien-Einsatz in Frage (S. 2). Österreich war seit der Annexion 1938 zum deutschen „Gau Ostmark“ geworden. Die NS-Schwestern wurden in der „Deutschen Jugendherberge“ in Wien untergebracht.10 Die Unterbringung sei „ähnlich wie in Nürnberg“ gewesen. Dies bezieht sich wahrscheinlich auf die Teilnahme der NS-Schwestern am Reichsparteitag.11 Für das „geistige Wohl“ der NSSchwestern sorgte in Wien die NS-Frauenschaft (S. 2), sie wurden begrüßt von „Frl. Jahn“, der „Gaufrauenschaftsleiterin“. Diese ist evtl. auf dem Foto Q5/B1 zu sehen . Die „Hiobsbotschaft“ (S. 1) war: Die für den 3.9.1940 vorgesehene Abfahrt nach Bessarabien hatte sich wegen eines Putsches in Rumänien plötzlich verzögert.12 Die NS-Oberin schrieb diesen Brief am 11.9.1940, einen Tag vor der verspäteten Verschiffung der NSSchwestern, die am 12.9.1940 erfolgte.13 In der Zwischenzeit besichtigten die NS-Schwestern die Stadt Wien, wobei einige Fotos entstanden.14 Ganz im Gegensatz zur positiven Darstellung in ihrem Tagebuch15 berichtet die NS-Oberin ihrer Generaloberin im Brief abfällig ihre schlechten Eindrücke von Wien, zumindest in den ersten Tagen: „Verkommene Häuser, in den Straßen schlampige ungepflegte Leute, auf den Bänken am Donaukanal alte Männer. Auch die Gauamtsleitung ist ungepflegt“ (S. 1). Da in Wien alles so teuer sei, fand die Oberin, „dass den Wienern mindestens das Verpflegungsgeld, das der Warthegau erhält, auch zusteht“ (S. 1). Dieser Satz bezieht sich nicht auf Verpflegungsgelder für die Bevölkerung, sondern auf Gelder für NS-Schwestern, die im
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Deutsche Jugendherberge Wien: Vgl. Q5/A1 sowie Q2/Tagebuch, C 15, 16, 17. Reichsparteitag: Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern. Putsch: Vgl. Q2/Tagebuch. Die Abreise der Dampfschiffe auf der Donau war am 13.9.1940, vgl. Q2/Tagebuch. Q5/Serien A u. B. Q2/Tagebuch, S. C15, C16.
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Wiener Jungschwesternheim16 bzw. in den Krankenhäusern usw. im Reichsgau „Wartheland“ im besetzten Polen arbeiteten. Demnach bekamen NS-Schwestern „im Osten“ ein höheres Verpflegungsgeld von der NSV als die NS-Schwestern im „Gau Ostmark“. Mit den „viel umstrittenen Baracken im Wilhelminenspital“ meint die NS-Oberin die Unterkünfte für die NS-Schwesternschülerinnen in Wien. Sie hatte sie am 5.9. besichtigt und einen Schnappschuss bei den Mülltonnen gemacht.17 Wir erfahren den Namen der „Jungschwesternführerin“ des Wiener „Jungschwesternheims“, Else Sprecher (S. 2). Zusammen mit „Schwester Wally“ (S. 1), setzte NS-Oberin Rakow bei den Wiener Ämtern eine 75-kg-Extra-Obstverpflegung für die NS-Schwestern durch. Jene könnte eine weitere Leitungsposition in der Bessarabien-Umsiedlung inne gehabt haben, und zwar für die im Donau-Lager Semlin (Jugoslawien) eingesetzten NS-Schwestern. Von dort schrieb Schwester Wally später einen Brief an ihre Oberin nach Galatz (Rumänien).18 SS-Obergruppenführer „Pg. Lorenz“, Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, hatte im „Urania-Saal“ die Aufgaben der NS-Schwestern vor der Umsiedlungsaktion genau „klargestellt“. Darüber informierte die NS-Oberin ihre Generaloberin in Berlin mit diesem Brief noch kurz vor Abfahrt: „NS-Schwestern machen den Sanitätsdienst in den Revierstuben der Läger u. beim Schiffs- und Bahntransport, versorgen die Milchküchen und haben die Säuglingsbetreuung“ (S. 2). Doch der NSV-Beauftragte,19 Pg. Lorenz, stellte gegenüber den NS-Schwestern in Wien noch mehr „klar“: „Auch über die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten liess er uns nicht im Unklaren“ (S. 2). Und dies tat der Pg. „mit aller Offenheit und ohne jede Beschönigung.“20 Leider erfahren wir weder im Tagebuch noch in diesem Brief mehr darüber.
Q6/Brief Nr. 2 3 Seiten Typoskript
Datum: 27. September 1940 Von: NS-Oberschwester Dorothee Rakow Aus: Galatz An: Sehr geehrte Generaloberin (Käthe Böttger, Berlin, im Reichshauptamt für Volkswohlfahrt Transkription:
Galatz, 27. September 1940 Sehr geehrte Generaloberin! Wie froh waren wir alle, dass wir nach einer unfreiwilligen Wartezeit am 12.9.40 in Wien zur Verschiffung kamen. Mit 102 NS-Schwesetern bestieg ich das Schiff „Stadt Wien“, waehrend die 16 Vgl. Kommentar zu Q5/A2. 17 Q5/A2. 18 Q6/Brief Nr. 8 (27.10.1940). Vgl. Namensregister, es gibt für Schwester Wally zwei Möglichkeiten: Wally U. und Walburga P. 19 Q2/Tagebuch, C18. 20 Q2/Tagebuch, C19.
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kleinere Gruppe Schwestern mit Oberin Schn[...] auf die „Passau“ kam. Sie hatte den kuerzeren Weg bis Belgrad und Prahovo. Wir bedauerten diese Trennung sehr, doch war es andererseits fuer die weitere Organisation erleichternd. Schwester Else Sprecher gab uns mit einer Singegruppe noch einige schoene Lieder mit auf den Weg, und der Jubel war gross, als der Kapitaen sie einlud, das Schiff zu besichtigen. – Ein Teil unserer Schwestern erhielt Kabinen. Es war diesmal der Vorzug des Alters, waehrend die Juengeren allabendlich im Speisesaal ihr Lager bereiteten. Eine allgemeine freudige Erregung machte der inzwischen aufgekommenen Ungeduld ur Abreisefrage Platz, und die erste gemeinsame Schiffsmahlzeit zwang zum Abschiednehmen von unseren Besuchern. Bis zum spaeten Abend gab es dann noch Fuehrerbesprechungen auf beiden Schiffen und in der Fruehe des anderen Morgens weckten die Dieselmotoren, ein Zeichen der Abfahrt. – Mit uns reisten auf der „Wien“ Aerzte und Sanitaetsdienstgrade, die von der NSV bereitgestellten Transportleiter, Hilfsdienstfrauen der NSF und Schwesternhelferinnen vom DRK. Wir hatten eine ruhige Fahrt und herrliches Sonnenwetter. Zu beiden Seiten der Donau breitete sich weites Tiefland aus, vereinzelt wurde die Auenlandschaft durch Huegel und ferne Berge unterbrochen. Belebt wurde sonst die Fahrt durch Umschlagplaetze, kleine, sauber angelegte Siedlungen, denen man deutsche Kultur ansah und vor Budapest eine alte Tuerkenfestung. Durch die ungarische Hauptstadt fuhren wir beim Glanz der Abendlichter, und die Burg, die Fischerbastei und das Bischofsdenkmal waren durch Scheinwerfer angestrahlt. An der beruehmten Margareten-Insel fuhren wir ebenfalls vorbei, und am anderen Morgen setzte die Fahrt durch breites Weiden- und Auenland, die ungarische Tiefebene, fort. Bis Belgrad, das wir am Abend erreichten, ist nichts Besonderes zu berichten. Wir warteten hier auf die Post [letztes Wort handschriftlich durchgestrichen und unleserlich überschrieben], welche die an Bord befindlichen Schwesternhelferinnen des DRK uebernahmen. Am fruehen Morgen ging es weiter, wir sahen die alte 22 tuermige Tuerkenfeste und weiter ging es die Donau abwaerts. Wir trafen jetzt haeufig auf Wassermuehlen, in der Donau frei schwimmende Holzhaeuser, die nur durch Anker am Bestimmungsort gehalten werden und die von Schwaben bewohnt sind. Allmaehlich rueckten die fernen Huegel und Berge immer naeher und zum strahlenden Himmel hatten wir noch das wunderbare Erlebnis der Fahrt durch die Auslaeufer der Karpathen. – [S. 2:] Den Hoehepunkt bildete aber die Fahrt durch den kleinen und großen Kazan, was soviel wie Kessel bedeutet. Am linken Ufer waren die Berge fast kahl und erinnerten haeufig an einen Duenenlandschaft, hervorgerufen durch fruehere totale Abholzungen. Am rechten Ufer waren die Haenge voller Buschwerk, unterbrochen durch korallenfarbige Bluetenpflanzen. Das rote Gestein war streckenweise bis etwa zur Haelfte geschichtet, waehrend eine sandsteinaehnliche Masse darauf lagerte. Da wir diese Strecke in der heissen Mittagsglut durchfuhren, sahen wir nichts von der reichen Tierwelt. Aber eine unserer Kameradinnen wurde hier von einem Insekt gestochen, was eine Zellgewebsentzuendung mit Schuettelfrost und hohem Fieber nach sich zog. Dank der sachgemaessen Pflege konnte sie 8 Tage spaeter wieder an die Arbeit gehen. – Der Grund der Donau war hier wegen des vorhandenen Felsvorkommens sehr gefaehrlich. Eine Wasserstrasse musste fuer die groesseren Schiffe ausgesprengt werden, und wir nahmen in Orsova einen Lotsen an Bord, der das Schiff sicher durch die Faehrnisse fuehrte. Endlich kam das mit Spannung erwartete „Eiserne Tor“, eine in der Niederung kuenstlich gehaltene Fahrstrasse mit flachen Ufern, an der einen Seite auf Schienenwegen Dampftrecker, welche die Lastkaehne durchziehen. Eine breite Enttaeuschung machte Platz, da jeder vom „Eisernen Tor“ etwas ganz Besonderes erwartet hatte. –
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Am spaeten Nachmittag streiften wir die Tuerkeninsel, von welcher uns ein „Heil Hitler“ zugerufen wurde. Bewohnt ist die Insel nur von Tuerken, die vom Handel, der sich in Kellergaengen abspielt, mit den vorbeifahrenden Schiffen leben. Leider sah man nur europaeisierte Gestalten. – Der naechste Tag brachte uns wieder die weite Auenlandschaft, Gebiete, die mit Erlen und Weiden bestanden waren. Am 17. September mittags trafen wir endlich in Galatz ein. Nachmittags fuhr ich mit 14 Schwestern ins Lager, damit die hier notwendige Arbeit aufgenommen werden konnte. Schon am naechsten Tag trafen die ersten Umsiedler ein. – Die auf den Schiffen verbliebenen Schwestern durften an diesem Tag in Gruppen zu 30 einen Stadtrundgang unternehmen und hatten die verschiedensten Erlebnisse. Ein Teil wurde mit Blumen beschenkt, ein anderer Teil wurde bestaunt, dass wir wirklich Lederschuhe tragen und zum anderen fragte man uns, ob in Deutschland alle Frauen so gekleidet gingen. Fuer die auf der „Wien“ verbliebenen Schwestern wurde am 19.9. die Verteilung auf 24 Schiffe vorgenommen und die uebrig gebliebenen zogen am 21.9. mit ins Lager. – Hier ist vorlaeufig eine Milchkueche fuer Saeuglinge und Kleinkinder in Betrieb. Angeschlossen ist eine Badekueche, in der auch die groesseren [S. 3:] Kinder erfasst werden. Wir haben inzwischen die Notwendigkeit von 4 solchen Kuechen gesehen und treffen dazu die Vorbereitungen. Die Arbeit macht uns sehr viel Freude. Galatz ist Durchgangslager und die Umsiedler halten sich nur 1–3 Tage hier auf, um neuen Nachschueben Platz zu machen. Vorlaeufig haten wir eine Hoechstbelegungszahl von 3200. Das wird in Kuerze wahrscheinlich sehr viel anders werden. Wir alle sind dankbar, dass wir an dieser Aktion teilnehmen duerfen und jeder ist bestrebt, sein Bestes dafuer herzugeben. Zurzeit sind wir im Lager noch 24 Schwestern, davon werden aber fuer die noch einzusetzenden Schiffe 2 Gruppen abgegeben. – Wir alle wuerden uns sehr freuen, wenn Sie mittels Flugzeug Gelegenheit nehmen wuerden, unsere Arbeit hier kennenzulernen, und wir gruessen Sie und Ihren gesamten Stab herzlich Heil Hitler! Ueber die technischen Dinge geht mit naechster Post ein Bericht an Frau Oberin Bla[...] ab. – Zusammenfassung und Anmerkungen: Etwa zehn Tage nach der Ankunft im Auffanglager Galatz berichtete Oberin Rakow der Generaloberin nach Berlin über die Verschiffung in Wien, die Donaureise nach Rumänien und die Ankunft in Galatz am 17. September 1940 sowie über die erste Verteilung der NSSchwestern auf Schiffe und Lager – und lädt die Generaloberin ein, mit dem Flugzeug von Berlin herzukommen. Über die Verschiffung am 12. September 1940 in Wien (S. 1) (Vgl. Q5/Fotos C5, C6): Die 150 NS-Schwestern, die die NS-Oberin in Q6/Brief Nr.1 nannte, wurden auf zwei Donauschiffe aufgeteilt. Die größere Zahl, „102 NS-Schwestern“, fuhr mit ihrer Oberin Rakow auf dem Schiff „Stadt Wien“ bis fast an die bessarabische Grenze in das Auffanglager Galatz in Rumänien, die anderen 48 NS-Schwestern mit Oberin Schnee mit dem Schiff „Passau“ nur bis „Belgrad und Prahovo“ in Jugoslawien. Auf beiden Schiffen gab es vor der Abfahrt noch „Führerbesprechungen“. Weitere Mitglieder des Umsiedlungskommandos befanden sich auf dem Schiff: Ärzte und Sanitätsdienstgrade (SDGs), Transportleiter der NSV (NSKK?), Hilfsdienstfrauen der NSF (NS-Frauenschaft) und Schwesternhelferinnen vom DRK.
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Schwester Else Sprecher, Leiterin(?) des Jungschwesternheims am Wilhelminenspital, hatte sich mit ihren Schülerinnen nur zum Singen von Abschiedsliedern auf das Schiff geschlichen, diese Jungschwestern kamen nur vorübergehend an Bord.21 Über die Donaureise vom 13.–17.September 1940 (S. 1f.): Die Reisebeschreibung auf der Donau ist in diesem Brief interessanter und anschaulicher als im Tagebuch. Zudem erwähnt sie Einzelheiten und Zwischenfälle: die „Mittagsglut“, die gefährlichen Folgen eines Insektenstiches bei einer Kameradin, gefährliche Felsen am Donaugrund, die Enttäuschung über das „Eiserne Tor“22 und Türken, die ihnen von einer Insel „Heil Hitler“ zuriefen. Anschaulicher erklärt sind ebenso der „Kazan“ und die „Wassermühlen“, die sie auch fotografierte.23 Über das Auffanglager Galatz ab 17. September 1940 (S. 2f.): Die Ankunft im Lager mit NSKK-Wagen hatte NS-Oberin Rakow im Tagebuch genauer beschrieben.24 Die dort ausgeführten Konflikte zu ihrer Lage im Lager, die sie über einen Befehl des Lagerkommandanten regelte, erwähnte sie im Brief an die Generaloberin gar nicht. Aber sie berichtete über die Verteilung der NS-Schwestern: Von den 102 NS-Schwestern des Schiffes „Wien“ kamen „14 Schwestern“ am 17.9. mit ihr in das Lager Galatz die übrigen wurden am 19.9. auf „24 Schiffe“ verteilt. Im Tagebuch notierte sie, dass sie jeweils eine ältere und eine jüngere NS-Schwester pro Schiff einsetzte, also 2 x 24 = 48 NS-Schwestern auf 24 Umsiedlerschiffen. Die restlichen vermutlich 40 ? NS-Schwestern „zogen mit ins Lager“. Das würde bedeuten, dass im Lager Galatz (14 + 40 =) 54 NS-Schwestern arbeiteten. Am 27.9. waren im Lager „noch 24 Schwestern“, von denen wiederum noch „2 Gruppen“ an die „noch einzusetzenden Schiffe“ abgegeben werden sollten. Falls eine Gruppe aus 2 Schwestern bestand, müssten dann noch 20 NS-Schwestern im Lager Galatz verblieben sein. Erste Umsiedler trafen am 18.9. ein. Bis zum 27.9. berichtete die NS-Oberin von einer „Höchstbelegungszahl von 3.200 Personen“, die sich jeweils für 1–3 Tage im Lager aufhielten. In Kürze sollte die Zahl ansteigen, das Lager war jedenfalls für 10.000 Menschen konzipiert.25 Vorher, am Nachmittag des 17.9. besichtigten drei Gruppen à 30 NS-Schwestern die Stadt Galatz.26 Im Tagebuch27 hatte Dorothee Rakow den sehr schlechten Eindruck der Stadt gezeichnet, während wir im Brief nettere Anekdoten lesen: das Staunen der Rumänen in Galatz über die Lederschuhe der deutschen Frauen, die von ihnen mit Blumen beschenkt wurden. Sie fragten, „ob in Deutschland alle Frauen so gekleidet gingen“ (S. 2). So entsteht das Bild, dass es den Menschen in Deutschland besser gehe als in Rumänien. Andererseits staunte Rakow in ihrem späteren Lebensbericht, weil man in Galatz in den jüdischen Ge21 22 23 24 25 26 27
Vgl. Q2/Tagebuch und Q5/Foto F1, F2(?). Eisernes Tor: Vgl. Kommentare zu Q5/Foto E3 u. D7. Kazan: Vgl Foto Q5/D7; Wassermühlen: vgl Foto Q5/C8 und D9. Q2/Tagebuch, C31, 32. Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr (Schaubild). Vgl.Q5/Fotos G4, G5, G6, G7, G8. Q2/Tagebuch, C29, C30.
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schäften noch Milch, Butter usw. kaufen konnte, während solche Lebensmittel in Deutschland schon durch die Kriegsbedingungen längst rationiert waren. Das Reichshauptamt der NSV, die Dienststelle der Generaloberin, war auch für die Verpflegung der deutschen Bevölkerung zuständig. Ein solcher Hinweis wäre kritisch gewesen. Die Anrede „Sehr geehrte Generaloberin!“ wirkt distanzierter als „Liebe Generaloberin!“ aus Q6/Brief 1 vom 11. September. Es scheint sich hier um eine dienstlich geforderte Berichterstattung nach Berlin zu handeln.
Q6/Brief Nr. 3 6 Seiten Typoskript
Datum: 30. September 1940 Von: NS-Oberschwester Dorothee Rakow Aus: Galatz An: Liebe Oberin! (Edith Blawert, 1. Stellvertr. der Generaloberin im Reichs-Hauptamt d. NSV, Berlin) Transkription:
Galatz, 30. September 1940. Liebe Oberin! Vier Wochen sind nun schon seit unserer Abreise ins Land gegangen. Solange man hier im Lager in der Arbeit steht, hat man gar nicht das Gefuehl, daß man sich im Ausland befindet. Sobald man aber den Fuss nach draussen setzt und die Strassen, den Staub und Schmutz, die verkommen Haeuser und die schlampigen, dreckigen Gestalten sieht, dazu die fremden Laute hoert, graust es einen. Das ist nun eine Hafenstadt von über 100 000 Einwohnern. Vergleiche mit unseren kleinsten Hafenumschlagplätzen kann man unmöglich anstellen. Einerseits sieht man schon am frühen Morgen geschminkte, nach aussen gut angezogene Frauen – das letzte Wort wollte eigentlich nicht dafür auf die Lippen. – Andererseits sieht man wieder dreckige Gestalten vor den Tueren hocken oder auf den Stufen schlafen, herum springen zerlumpte Kinder und verwahrloste Hunde. Letztere gibt es hier unbeschreiblich viel und die Nacht ist laut von ihrem Geklaeff. – In ungeheuren Mengen werden Melonen feilgeboten, auch Weintrauben. Man muss aber, was Verkaeufer anbetrifft, unempfindlich sein. Beherrscht wird die Stadt von Juden. Man dreht daher am besten den Geschaeften, in denen man gleich mit deutschen Worten empfangen wird, wieder den Ruecken. Jetzt haben wir ein Verzeichnis von nichtjuedischen rumaenischen Geschaeften erhalten, wo wir die noetigen Dinge einkaufen koennen., Auch hier kommen wir mit unserem Deutsch aus. – Verpflegt werden wir im Lager und wird von den Tagesspesen in Hoehe von RM 15.2—fuer Wohnen und Verpflegung der Betrag von RM 3.75 abgezogen. Die Massenverpflegung ist als gut anzusprechen, wenn man die hiesigen aeusserst schwierigen Verhaeltnisse beruecksichtigt. So sind z.B. Lastwagen zum Heranholen von verschiedenen Lebensmitteln etwa 3 Tage unterwegs. Die Strassen sind sehr schlecht, bei Regenwetter nicht mehr befahrbar. Es muessen daher saemtliche Lebensmittel, die fuer die Regenperiode und den Winter gebraucht werden, schon jetzt eingedeckt werden. Ein wirklich schwieriges Problem für ein Massenlager. Es liegt hier eine große Lastkraftwagenkolonne aus dem Reich, die mit der Heranschaffung von Nahrungsmitteln, auch das Trans-
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portieren der Umsiedler von den russischen Zuegen bis zur russischen Schiffsstation Reni oder Kilian oder auch bis zum Lager bewaeltigen muss. Die Schiffe holen die Leute zum Teil schon von diesen beiden Orten ab und laufen Galatz nur an, wenn sie noch dazu laden koennen. Vorlaeufig ist der ganze Betrieb noch als ruhig anzusprechen, aber wir koennen recht froh darueber [S. 2:] sein, denn man hat noch genug mit Einrichten zu tun. Da war erste zu ueberlegen, was wird in der Saeuglingskueche gebraucht, denn mit dem Primitivsten musste angefangen werden. Wir haben aber eine richtige Kueche im Haus der Lagerverwaltung, ein grosser Herd darin, mit Wasserboiler und Abwaschtisch. Nach dem ueblichen Scheuerfest wurde sie am 2. Tag in Betrieb genommen. Daneben liegt ein Raum, morgens und abends dient er den im Hause Wohnenden als Waschraum, hier haben wir 3 Saeuglingsbadewannnen und ein paar Waschbuetten zum Abseifen für groessere Kinder aufgestellt. Ein Schreibtisch wurde Wickeltisch. Sie koennen sich denken, dass hier tagsueber. reger Betrieb herrscht. Lausekappen bleiben nicht aus. Vor kommen diese Tierchen aber nur bei Fabrikarbeiter- oder Landarbeiterfamilien. Andere Umsiedler hatten noch die Möglichkeit sich sauber zu halten. Und alle freuen sich auf die neue Heimat, die sie im großen deutschen Reich finden werden. – Trotz der Schwere und Erdgebundenheit sind die Bessarabier ein froher Menschenschlag. Da wird bald mal ein Taenzchen improvisiert und in diesem Falle laesst selbst die Mutter, die sonst ihren Saeugling in einem grossen fest umgeschlagenen Tuch mit sich herumtraegt, diesen beiseite. Abends klingt die Handharmonika auf und in den Schlaf hinein hoert man alte deutsche Volkslieder oder auch nur den Bessarabiern bekannte Weisen. – Ein Teil unserer Schwestern besorgt die Erwachsenenbetreuung in den Laegern, d.h., sie achten auf Krankheiten, die sie dem Arzt melden muessen. Die Betroffenen bleiben entweder im Lazarett oder werden von der dem Lager zugeteilten Schwester weiter versorgt. Von dieser Art Arbeit werden wir uns aber trennen, wenn alle Hangars belegt sind. Zum 5.10. wird eine grosse Belegzahl erwartet und sind daher 30 DRK-Helferinnen angefordert, die die Erwachsenenbetreuung versehen (Ruecksprache mit Pg. Lorenz hier im Lager). Fuer uns bleibt dann die Versorgung der Kleinkinder bis zum 4. Lebensjahr einschließlich Ernaehrung. – Heute haben wir einen ganz kleinen Teil Saeuglingswaesche erhalten. In erster Linie mussten ja die Schiffe versorgt werden. Es ist dies Waesche, die wir durch die NSF von den Volksdeutschen aus Kronstadt und Hermannstadt bekamen. Die Gaureferentin für „Mutter und Kind“ des Gaues Berlin, Frl. von Witzleben, ist mit hergekommen und hat alle notwendigen Dinge einschließlich Geschirr für Lager und Schiff einkaufen muessen, d.h., nur fuer die Saeuglingskueche, das andere ist von der Organisation wahrscheinlich beschafft worden und erzaehle ich darueber spaeter. Ich bin sehr froh, dass ich lediglich die Aufstellung ueber die anzuschaffenden Dinge abgeben musste, denn [S. 3:] Frl. v. W. wird wochenlang mit dem Heranholen der Dinge beschaeftigt sein. Als Vorkommando haetten wir beide hier sein muessen, mit dem noetigen Kleingeld ausgeruestet, damit die Schiffe gleich bei der ersten Fahrt gut ausgestattet waren. – Gestern besuchten mich auf der Durchfahrt die 4 Schwestern des Schiffes „Helios“. Sie hatten ihren ersten Transport hinter sich und fuhren nun erneut nach Kilian, um wieder Umsiedler zu holen. Auf dieser ersten Fahrt waren etwa 1000 Menschen an Bord, davon die Haelfte Kinder bis zu 14 Jahren, eingeschlossen 80 Saeuglinge. Einige Lungenentzuendungen, eine Nierenbeckenentzuendung, sonst nicht besondere Erkrankungen. Es sei alles sehr gut gegangen. – Wer von den Schiffsschwestern Zeit zu einem Sprung herauf ins Lager findet, nuetzt dies auch aus; denn Lager Galatz ist ihnen jetzt die kleine Heimat, in der sie Erlebnisse, Freuden und Noete schnell abladen koennen. –
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Wir liegen etwa 4 km vom Hafen entfernt auf dem ehemaligen Flugplatz von Galatz. Die Hangars sind zur Orientierung bezeichnet wie „Drontheim“, „Narvik“, „Flandern“, „Muenchen“, „Nuernberg“, „Stuttgart“ usw. Darin sind die grossen Lager fuer die Umsiedler, sie nehmen etwa 500–2000 Menschen auf. Wir wohnen im Hangar „Drontheim“. – Wir treten zunaechst in einen Hausflur, der als Fruehstuecks- und Aufenthaltsraum gestempelt wurde. Ein grosser mit Wachsleinwand gedeckter Tisch ist das einzige Moebelstueck. Rechts durch die Tuer treten wir in ein grosses dreifenstriges Zimmer, aber bitte vorsichtig, nicht in das grosse Loch, sonst verstauche sie sich den Fuss! Sieben aufgestockte Betten lassen 14 Schwestern abends ihre wohlverdiente Ruhe finden. Dies Zimmer hat eine feenhafte Beleuchtung, 3 Lampen, immerhin als Luxus anzusprechen, sogar verschiedene Steckkontakte. Wir gehen weiter durch die naechste Tuer, ein kleiner Salon. In der einen Ecke ein grosser schoener brauner Kachelofen und die Beleuchtung, o Wunder, eine Kugellampe und hier nur 3 Betten, das eine Obergeschoss unbelegt. Ein kleiner abgehobelter Tisch ist das Schmuckstück. Wir stellen ihn zweckmaessig auf 2 erhebliche Vertiefungen am Fenster, damit niemand niemand Schaden leidet. Noch erwaehnen muss ich, dass fuer jede Schwester ein hell gebeizter Hocker bereit steht. Nun treten wir herueber in die andere Zimmerflucht. Hier wohnen 10 Schwestern und wenn wir weiter hindurchtreten, kommen wir in den Duschraum mit 4 Duschanlagen. Immerhin ein Luxus, den wir uns nicht ertraemt hatten. Und nun folgt noch ein sehr viel umstrittener Raum, hinter dem wieder der Duschraum der Feuerwache liegt. Vorlaeufig ist die Tuer zu diesem verschlossen. Es wird jedoch ein Kampf und das Oeffnen gefuehrt, da die Maenner einen weiten Weg zum entsprechenden Oertchen haben. – [S. 4:] Noch sind wir 24 NS-Schwestern. Es sind aber noch 2 Schiffe auf Abruf zu besetzen. – Aus der Gruppe der Umsiedler haben wir 2 volksdeutsche Schwestern in die Arbeit mit eingespannt und eine junge 24jaehrige Waise, die bei einem Arzt als Hilfe war und RK-Schwester werden wollte. Alle 3 wohnen mit uns im Lager. Die Kleine hat sich so in unseren Kreis hineingewoehnt, dass sie bei ihrer Arbeit in der Milchkueche gluecklich ist und waere es gut, wenn man schon hier ihre Papiere anfertigen koennte, damit wir das Maedel nach Beendigung der Aktion mitbringen. Sie ist ein praechiter, bescheidener Mensch und kann als Vorschuelerin arbeiten, bis sie einberufen wird. Von den beiden volksdeutschen Schwestern gehoert die Krankenschwester dem Reichsbund an, sie moechte in der Fuersorge bei ihren Landsleuten weiterarbeiten, die Saeuglingspflegerin muss noch eine weitere Ausbildung erfahren. Sie kommt aus dem Hermannstaedter Verband. Alle 3 fuegen sich gut in die Gemeinschaft ein und haben hier eine herrliche Kameradschaft. Zusammengewuerfelt sind Brandenburg, Pommern, Schlesien, Mainfranken, Muenchen-Oberbayern, Halle-Merseburg, Magdeburg-Anhalt und Ostpreussen. Es geht alles grossartig. Jeder tut an seinem Platz seine Pflicht. Vorlaeufig haben wir sogar noch einen Hausdienst, der uns prima versorgt. Allerdings laesst er sich von der Ordnungsliebe der Schwestern nicht ganz ueberzeugen, es verspricht aber jede, dass es anders wird, wenn die zur Verschoenerung noch angeforderten Regale stehen. – Vor 8 Tagen hatten wir auf dem Schiff „Stadt Wien“ ein kleines Treffen. Auf ein Schiff gelangt man meist nur ueber einen Lastkahn, der gerade Holz laedt. Ein Ochsengespann folgt dem anderen, um die Holzlast los zu werden. Am Zugang zum Kahn steht jedes Mal eine Saege, die das Holz zerschneidet. Mit kleinen Karrren wird es dann abgefahren. Man hat sich so daran gewoehnt, dass man die anfaengliche versteckte Furcht vor den Zugtieren schnell ueberwunden hat und sie beim Voruebergehen wie die zahmsten unserer Haustiere wertet. Doch ich berichte sachlich. Zwanzig unserer Lagerschwestern wurden mittels LKW hinunterbefoerdert, um mit den Saeuglingsschwestern
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der Schiffe den aerztlichen Vortrag28 über die Saeuglingsernaehrung zu hoeren. Erwaehnenswert ist, dass vom Ausgangspunkt bis zum Endziel Alete und Edelweißmilch verwendet wird. Da es hier Molkereien ueberhaupt nicht gibt, ist dies Verfahren sehr zu begruessen. – Auch von der Grosskueche wird die Milch gemieden. Trotzdem lebt ein Teil von uns zurzeit von geriebenen Aepfeln und Reisschleimsuppen bei Bettruhe. So geht es, bis alle mit der ueblichen Lagerkrankheit durch sind.29 – Gleich am Eingang des Lagers finden wir linker Hand die beiden grossen Lazarettgebaeude, das eine fuer gemischte Krankheiten, das andere [S. 5:] fuer Infektionen. Im Hafen lag noch bis vor wenigen Tagen das Lazarettschiff (100 Betten), auf dem Dr. Zuehlke30 aus Bromberg verantwortlich arbeitet. Da er an NS-Schwestern gewoehnt ist, hat er sich von mir eine Operationsschwester ausgeliehen, angeblich, weil er nicht daran glaubt, dass die ihm vom RK spaeter in Prahovo bereitgestellte eine fertig ausgebildete Schwester sei. Zu allem Unglueck ist dann aber die gesamte Besatzung aus Pr.31 kurz vor Auslaufen des Schiffes eingetroffen und nach einem Kampf blieb dann Schwester Anna an Bord. Diese Loesung ist fuer unsere Schwester vielleicht die einfachste, da sie zu der Lagerarbeit nicht die rechte Einstellung findet. – Sie muessen aber mit der Absicht rechnen, dass Dr. Z. Schwester Anna mit nach Bromberg nehmen will. – Eine unserer Schwestern, Käthe Schu[...] aus Pommern, wird morgen in der Stadt geroentgt. Sollte sie wider Erwarten zurueck geschickt werden, geht sie auf ein Schiff bis Prahovo oder Zemun32 und von dort mit einem Bahntransport weiter. Ich gebe dann sofort Bescheid. Bei dieser Gelegenheit teile ich Ihnen mit, dass Oberin Kluge in Wien eine ihrer Bueroschwestern fuer den Sondereinsatz hat vorbereiten lassen. Mir ist es sehr recht, wenn Sie diese Schwester gegebenenfalls als Ersatz schicken wuerden. Ich hoffe jedoch immer noch, dass Schw. Käthe ohne Befund ist. Die Pommer’schen Schwestern, die sonst unter dem feuchten Seeklima zu leiden haben, fuehlen sich hier sehr wohl. Galatz hat ein leichtes, wenn auch nicht als staubfrei anzusprechendes Klima. – Draussen auf dem Rollfeld ersteht die grosse Zeltstadt fuer die zu erwartenden Transporte und im Zentrum des Ganzen ist eine Kueche aufgestellt, die dann die Gesamtverpflegung uebernehmen wird. Es ist die eine Holzbaracke mit den grossen Kochkesseln, Geschirraum, Putzraum, Abwaschraum, Buero, Holzvorrat und eine unserer Milchkuechen sind weiter darin untergebracht. Die nicht in den Plan aufgenommene Badekueche wird nebenbei aufgestellt. Aus allem diesem ersehen Sie, dass wir restlos in d e r Arbeit stecke, die a u c h die Gemeindeschwester nicht aus ihrem Plan hinwegdenken kann. Es war anfaenglich ja wohl anders gedacht. – [S. 6:] In Wien stellten wir in einer Aussprache mit Pg. Lorenz klar fest, dass wir die Revierstuben uebernehmen. Da das grosse Lazarett mit angeschlossenen Ambulanzen im Gelaende liegt, sind die Stuben hinfaellig. – In Belgrad sagte mir Frau Hardeland RFF 33 bei ihrer Ankunft nachts um 2 Uhr, dass alles pflegerische das RK und wir lediglich die Betreuung uebernehmen sollten. Pg. Lorenz liess uns bitten, 28 Ärztlicher Vortrag: Der Medizinstudent Helmut Ritter, Gebietsarzt im Umsiedlungsgebiet Albota, gab Mutter-Kind-Kurse und stellte die Alete-Pulvermilch vor. Gespräch im Mai 2007 in Bremen. 29 Übliche Lagerkrankheit: Durchfall. Helmut Ritter nannte dies „die bessarabische Krankheit“. Ebd. 30 Dr. Zuehlke: Vgl. Personenverzeichnis zur Spurensuche im Anhang. 31 Pr.: Prahovo. Zwischenlager an der Donau in Jugoslawien. 32 Zemun: Semlin bei Belgrad, Zwischenlager an der Donau in Jugoslawien. 33 RFF: Reichsfeldführerin oder Rot-Kreuz-Feldführerin. Vgl. Namensverzeichnis im Anhang.
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mit dem RK in guter Kameradschaft zu arbeiten. Kurz darauf erschien die Oberwachtfuehrerin mit ihrem Auftrag, den sie soeben von ihrer Feldfuehrerin erhalten, der besagte etwa das Gleiche und wollte man mir Gelegenheit zu einer Ruecksprache mit der Feldfuehrerin geben. Ich lehnte ab, da ich mich von allem erst an Ort und Stelle ueberzeugen wollte. In dieser Nacht erging ein kurzes Schreiben von mir an die Generaloberin. – Frau Hardeland gab mir ausserdem eine kleine Aufstellung mit der Bitte, diese Dinge fuer die Saeuglingskuechen auf dem Schiff beschaffen zu lassen. Ich legte sie zu den Akten, da sie mir als unzureichend erschien. Frau H. sagte mir weiter, wer in Galatz fuer mich zustaendig sei. Ich muss dabei bemerken, dass unsere beiden Maenner der NSV (Schwarz und Kaiser) sehr schwer in Ordnung sind. – In Galatz erfuhr ich dann, dass Frau Bader RFF ihren Frauen schriftliche Anweisung fuer Saeuglingsernaehrung ausgegeben hatte. Eins von diesen Exemplaren hat dann eine von unseren Schwestern auf Umwegen erhalten. Gelegentlich des vorerwaehnten aerztlichen Vortrages sind dann unseren Schwestern gedruckte Anweisungen ausgehaendigt worden. – Bei dieser Gelegenheit muss ich gleich noch sagen, dass ich Frau Bader auf ihr Anerbeten 4 meiner Filme mitgegeben habe, die sie inzwischen entwickeln lassen wollte und einer unserer Schwestern mittags mitgeben. Bitte seien Sie doch so freundlich und erkundigen Sie sich einmal nach dem Verbleib. – Und wie geht es Ihnen Allen? Sind Sie gesund und waren in Graz? 34 Was macht die Generaloberin? Und wie geht es ihrer Mutter? Wie sieht Ihr Stab von Schwestern jetzt aus? Mir ist die Arbeit so weit entrueckt, dass ich mich zurzeit gar nicht hineindenken kann. Trotzdem wuerde ich gerne manche Frage stellen. – Ich gruesse Sie alle sehr herzlich Heil Hitler! Zusammenfassung und Anmerkungen: Dies ist der „Bericht an Frau Oberin Blawert“ über „die technischen Dinge“, wie es die NSOberin Rakow am 27. September der Generaloberin im letzten Satz ihres Briefes ankündigte.35 Über ihre erste Stellvertreterin erreichte dieser Bericht an Edith Blawert sicherlich auch die Generaloberin Käthe Böttger. Offensichtlich übernahm während des Bessarabieneinsatzes der 2. Stellvertreterin, Dorothee Rakow, Blawert auch deren Aufgaben im Hauptamt in Berlin, indem sie nun für Anforderungen von NS-Schwestern zuständig war. Daher rührt der Vorschlag: „Mir ist es sehr recht, wenn Sie diese Schwester gegebenenfalls als Ersatz schicken würden.“ (S. 5). Zunächst ging es Dorothee Rakow aber nicht um „Technisches“, sondern um Emotionales: „es graust einen […] schlampige, dreckige Gestalten“, sie war abgestoßen von geschminkten Frauen am Hafen, zerlumpten Kindern, kläffenden Hunden, der fremden Sprache und deutsch sprechenden Juden: „Beherrscht wird die Stadt von Juden. Man dreht daher am besten den Geschäften, in denen man gleich mit deutschen Worten begrüßt wird, den Rücken“ (S. 1). Schwester Dorothee begrüßte das „Verzeichnis von nichtjüdischen rumänischen Geschäften“, das sie Ende September erhielten. Ein späterer „Standortbefehl“ vom 34 Graz: Graz und Villach waren die beiden Grenzübergänge im ehemaligen Österreich, über die die Bessarabiendeutschen mit Eisenbahnzügen im neuen „Gau Ostmark“ des „Großdeutschen Reich“ ankamen. 35 Q6/Brief Nr. 2, S. 3.
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21. Oktober 1940 betraf „Jüdische Schneidereien“, da offensichtlich weiterhin „viele Kommandoangehörige ihre Anzüge und Kleider bei jüdischen Schneidern anfertigen“ ließen.36 Offenbar verließen nicht alle Mitglieder des Umsiedlungskommandos – so wie Schwester Dorothee es tat – sofort das Geschäft, sobald sie darin von einem deutsch sprechenden Juden begrüßt wurden. Im Folgenden die Themen „technischer“ Art: – Verpflegungsfragen: Tagesspesen für die NS-Schwestern, Massenverpflegung (S. 1). – Verpflegungsprobleme für das Massenlager wegen der Regenperiode (S. 1). – Einrichtung der Säuglingsküche im Haus der Lagerverwaltung (S. 2). – Die „Erwachsenenbetreuung“ (Meldepflicht) bis 5.10. (S. 2). – Säuglingswäsche der NSF (NS-Frauenschaft) aus Kronstadt und Hermannstadt37 (S. 2). – Beschaffung aller notwendigen Dinge für die Säuglingsküche für Lager und Schiff (incl. Geschirr) durch die Gaureferentin für „Mutter und Kind“ des Gaues Berlin, Frl. von Witzleben (S. 2). – Vier Schiffsschwestern der „Helios“ aus dem Hafen Kilia, erster Transport (S. 3). – Hangar „Drontheim“, Beschreibung der Unterkunft für 24 NS-Schwestern u. drei volksdeutsche Schwestern (S. 3). – 22.9.: ärztlicher Vortrag über Säuglingsernährung (Alete und Edelweißmilch) auf der „Wien“ für die Schiffs-Säuglingsschwestern und 20 Lagerschwestern (S. 4). – Die Kommandomitglieder bekamen eine Lagerkrankheit (Durchfall?) (S. 4). – Zwei Lazarettgebäude und Lazarettschiff, Dr. Zuehlke, NS-Schwester Anna (S. 4f.). – Evtl. Rückreise der NS-Schwester Käthe Schu. wegen TB-Verdacht. – Ersatz aus Wien: NSOberin Kluge hatte schon eine Büroschwester für den „Sondereinsatz“ vorbereitet (S. 5). – In Zelten auf dem Rollfeld: Küche für die Gesamtverpflegung in einer Holzbaracke, mit einer Milchküche für die NS-Schwestern (S. 5).38 Am Ende des Briefes wurden organisatorische Konflikte angedeutet: – „Es war anfänglich ja wohl anders gedacht“ (S. 5): Es ging offenbar um die Arbeitseinteilung der NS-Schwestern im Lager Galatz: Statt dass sie, wie geplant, die „Revierstuben“ übernahmen, wie es Pg. Lorenz in Wien in einer „Aussprache [...] klar fest“ gestellt hatte, sollten die NS-Schwestern nun „lediglich die Betreuung“ und die Rot-Kreuz-Schwestern „alles pflegerische“ übernehmen. Es gab auch nur die beiden Rot-Kreuz-Lazarette mit angeschlossenen Ambulanzen „im Gelände“, aber gar keine „Revierstuben“. Die Rivalitäten und Kompetenzstreitigkeiten wegen der Säuglingsernährung begannen bei einer Begegnung – vor NS-Oberin Rakows Ankunft in Galatz – „in Belgrad“ (Lager Semlin) von einer „Oberwachtführerin“ und zwei „Feldführerinnen“: Frau Bader, RFF, und Frau Hardeland, RFF. „Pg. Lorenz liesse uns bitten, mit dem RK [Deutsches Rotes Kreuz] in guter Kameradschaft zu arbeiten“. Die Kooperation war offenbar ein Problem. Die NSOberin verweigerte eine Rücksprache mit der RFF und legte Anweisungen beiseite. Sie fühlte sich offenbar bevormundet und wollte sich selbst ein Bild machen (S. 6). 36 Q4/Lagerbefehle Nr. 7. 37 Städte in Siebenbürgen, Landesteil von Rumänien. 38 Vgl. Q5/Foto I1 („Milchküche in Galatz“).
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– Schwarz und Kaiser, die beiden NSV-Männer im Lager Galatz, die laut Frau H. (Hardeland) für die NS-Oberin zuständig waren, fand sie „schwer in Ordnung“ (S. 6). Die Fronten waren klar. – NS-Oberin Rakow bereute auch, dass sie in Belgrad „vier meiner Filme“, die sie auf der Donaufahrt oder in Wien fotografiert hatte,39 ihrer Konkurrentin RFF Frau Bader zum Entwickeln mitgegeben hatte. – Die Säuglingsausstattung fehlte wochenlang, zuständig war „Frl. v. W.“ (Fräulein von Witzleben) (S. 3). Von irgendwelchen Konflikten ist jedoch im „Bericht über den Sondereinsatz Bessarabien“, der die stark gekürzte Fassung dieses Briefes ist, später nicht mehr die Rede.40
Q6/Brief Nr. 4
(2 Seiten Typoskript auf 1 Blatt Pergamentpapier, Blaupapier-Durchschlag, beidseitig) Datum: 5. Oktober 1940 Von: Ihre E. St[...] Aus: „Auf Fahrt“ An: Liebe Frau Oberin! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow im Lager Galatz) Transkription:
A b s c h r i f t!
Auf Fahrt, den 5.10.40 Liebe Frau Oberin! Zuerst grüße ich Sie recht herzlich. Sicher haben Sie meinen Brief über die schöne Fahrt von Wien bis Galatz und einige Ansichtskarten bekommen. Schwester Hilder Hor[...], Elisabeth Kü[...], Irma Ko[...], und ich sind auf das Schiff Helios gekommen. Das Schiff faßt 1400 Personen und ist eines der größten die fahren. Wir fahren von Reni nach Prahovo. Zwei Fahrten haben wir hinter uns und sind auf der Fahrt den dritten Transport zu holen, wahrscheinlich von Kilian. Die ersten Volksdeutschen haben wir in der Nacht zum 24.9. an Bord genommen. Ich habe die ersten, zwei kleinen Kinder, über den Steg zum Schiff getragen. Uns allen vieren war es sehr eigentümlich zu Mute, wir mußten mit den Tränen kämpfen. Die Leute sind sehr dankbar und unendlich glücklich, heim ins Reich kehren zu dürfen. Sie haben es ja in der letzten Zeit unendlich schwer gehabt. Fragt man kleine Kinder und wenn sie kaum sprechen könne, wo willst du denn hin, dann bekommt man stets die Antwort, nach Deutschland zum Führer. Ein älterer Mann sagte mir, er sei ja so glücklich, gern hätte er alles zurückgelassen, wenn er nur in Deutschland sterben könne. Für alle ist es ein großes Erlebnis, die meisten haben noch kein Schiff gesehen und auch die Donau 39 Vgl. Q5/Fotos Serien A–F. 40 Vgl. Q7/Bericht 3.b. („Aus einem Brief über den Sondereinsatz Bessarabien“).
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nicht. als sie alle auf dem Schiff waren und es sich in Bewegung setzte, fingen sie alle an, ihre schönen Lieder zu singen, ganz rührend, selbst der älteste Mann und Frau sangen mit. Gegen Abend dann habe ich immer mit ihnen unsere schönen nationalsozialistischen Lieder gesungen und bin erstaunt, wie viele sie doch von unserem schönen Liedgut kennen. Überhaupt, man kann ihnen garnicht genug von Deutschland erzählen. Immer wieder hört man, nun brauchen wir keine Angst mehr zu haben, das Schiff ist ja schon deutscher Boden, da können sie uns nichts mehr anhaben. Über 1000 Personen, davon beim ersten Transport 396 Kinder, beim Zweiten, 432 Kinder, das heißt schon etwas, so viele Menschen auf einer so kleinen Fläche. Da muß man gut auf den Beinen sein. Aber was ist das schon, die Hauptsache ist, daß alles so durchgeführt wird, wie es der Führer wünscht und wir helfen können. Beide Fahrten sind gut verlaufen, hoffentlich geht es weiter si [= so]. wir sind ja auch auf der Helios „Sonnengott“, da muß es klappen. Der Transportführer und sein Vertreter sind aus Westfalen, ebenfalls [S. 2:] Die Frau der NS.Frauenschaft, der Arzt aus dem Sudetenland. Außerdem haben wir noch vier Volksdeutsche Mädchen aus Jugoslavien, die uns mit helfen. Wir könnten Ihnen ja soviel erzählen. Trotz vieler Arbeit habe ich es bis jetzt doch möglich gemacht, mein Tagebuch zu schreiben. Soeben zieht stolz die Linz, auf der drei Thüringer Schwestern sind, an uns vorüber, das ist ein Winken und Grüßen und weit in der Ferne kommt noch eins, nun sehen wir durchs Fernglas, welches es wohl sein könnte. Heil Hitler! gez. Ihre E. St[...] F.d.R.: 41 Zusammenfassung und Anmerkungen: Eine der vier Schiffsschwestern der „Helios“42 schreibt an die Oberin Dorothee Rakow nach Galatz über ihre dritte Fahrt aus den Häfen Reni bzw. Kilia in das Durchgangslager Prahovo (Jugoslawien). Die „Helios“ war eines der größten Schiffe und holte die ersten Umsiedler in der Nacht zum 24. September in Reni oder Kilia an Bord. Weitere Besatzungsmitglieder der „Helios“ werden genannt: Ein Transportführer und sein Vertreter, die Frau der NS-Frauenschaft, ein Arzt, vier volksdeutsche Mädchen aus Jugoslawien als Helferinnen und die vier NS-Schwestern Hilder Hor., Elisabeth Kü., Irma Ko. und E. St. Als Schiffsschwestern waren sie zuständig für über 1.000 Personen an Bord, davon waren fast die Hälfte Kinder, und zwar im ersten Transport 396, im zweiten Transport 432 (S. 1). Auf dem kleineren Schiff „Linz“ waren drei NS-Schwestern aus Thüringen. Weitere Schiffe werden genannt. Es entsteht ein Bild vom lebendigen Treiben auf der Donau. Die Schiffe überholen sich, man winkt sich zu, man erkennt sich in Ferngläsern. Wir erfahren etwas über die Arbeit der NS-Schwestern, die auf den Schiffen eingesetzt waren. Zu ihren wichtigsten, vielleicht symbolischen, Aufgaben gehörte offenbar, dass sie kleine Kinder auf ihrem Arm auf das Schiff trugen. Die Schreiberin E. St. war sogar diejenige, die als erste Schwester zwei Umsiedlerkinder auf ihrem Arm auf den „deutschen Boden“ des Schiffes brachte, was sicherlich auf Fotos oder Film festgehalten wurde. Eine weitere Aufgabe war die geistige Aufnahme der erwachsenen Umsiedler, NS-Schwestern führten Gespräche mit allen Altersgruppen und bereiteten die Umsiedler auf das neue Deutschland vor. NS-Schwester E. sang wie „immer mit ihnen unsere schönen nationalsozialistischen Lieder“, hörte sich aber auch die Lieder der Bessarabiendeutschen an. 41 F.d.R.: Für die Richtigkeit, d.h. jemand hatte diese Abschrift abzuzeichnen. 42 Helios: Vgl. Q6/Brief Nr. 3, S. 3.
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Q6/Brief Nr. 5
Ansichtskarte: „Rosenernte in Bulgarien“ „Copyright by Gr. Pakoff-Sofia (Bulgaria). 1938“ Datum: 6. Oktober 1940 Von: Hildegard Win[...] u. Lotte [...] Aus: ? An: NS-Oberschwester Dorothee Rakow Transkription:
den 6.10.40 Sehr verehrte, liebe Schwester Dorothee! Da ich nicht weiß, ob uns in Galatz Gelegenheit gegeben sein wird, Sie zu sprechen, möchte ich Ihnen hiermit einen herzlichen Gruß von unserer „Hebe“ 43 senden. Es geht uns noch recht gut bis auf die kleinen [unleserlich: ...-]hindernisse, welche wir hatten. Vor allem aber hatten wir sehr viel Freude mit unseren Volksdeutschen u. ich bin so glücklich, daß ich dies alles mit machen darf! Ihre Liebe Schwester Dorothea nochmals herzl. Grüße Heil Hitler! Ihre Hildegard Win[...] [anderer Stift, andere Schrift:] u. Lotte [unleserlicher Nachname] Zusammenfassung und Anmerkungen: Die Karte stammt wahrscheinlich aus der Dobrudscha-Umsiedlung im südlichen Donaudelta, also auf dem Gebiet Bulgariens. Die Aufdrucke auf der Postkarte sind zweisprachig, in Deutsch sowie in kyrillischen Buchstaben. Rosenöl ist noch heute ein Folklore-Mitbringsel aus Bulgarien. Zwei NS-Schwestern hatten auf dem Schiff „sehr viel Freude mit unseren Volksdeutschen“. Die „kleinen [...]hindernisse“, die dieses Glück trübten, sind leider nicht zu entziffern.
Q6/Brief Nr. 6
2 Seiten Typoskript auf einem Blatt (Vorder-/Rückseite) Datum: 15. Oktober 1940 Von: S. Schnee (NS-Oberin Schnee) Aus: Umsiedlungslager Semun (Lager Semlin bei Belgrad/Jugoslawien) An: Liebe Schwester Dorothee! (NS-Oberin Dorothee Rakow, im Lager Galatz/Rumänien) Transkription:
Umsiedlungslager Semun, den I5.I0.40 Liebe Schwester Dorothe! Danke Ihnen recht herzliche für Ihren Brief und sein Sie mir bitte nicht böse, dass ich mich erste jetzt melde. Wir haben so sehr alle Hände voll zu tun, dass alles was nicht dringend erledigt wer43 Hebe: Schiffsname?
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den muss eben immer und immer wieder aufgeschoben wird. Uns geht es allen recht gut. Der Gesundheitszustand der Schwester ist bis auf einige nicht sehr schwere Darmstörungen, ein guter. Ich selbst habe auch einige Tage darunter zu leiden gehabt, bin aber jetzt vollkommen in Ordnung und frisch. Unsere Arbeit geht gut voran. Täglich gehen mehrere Züge ab und kommen viele Schiffe an. Wenn die Schwestern von den Eisenbahntransporten zurückkommen, dann haben sie einen Ausruhetag und dann wenn sie nicht gleich wieder eingesetzt werden, betätigen sie sich im Lager. Ich habe einen Dienstplan ausgearbeitet, die Arbeit läuft nun automatisch. Wir gehen alle zu den ankommenden Schiffen und holen die Umsiedler ab. Das ist immer ein Erlebnis für uns alle. Was haben unsere deutschen Menschen dort alles durchgemacht. Sie sind alle so dankbar für alles was an ihnen getan wird. Erst schlafen sie einmal ale aus, die Säuglinge werden im Kinderzelt gebadet und mit Wäsche versehen. Wir haben hier ein grosses Bekleidungslager, alles notwendige wird ausgegeben. An der Anlegestelle steht eine Musikkapelle, die Leute gehen mit Heilrufen von Bord und werden mit Heilrufen von ihren Kameraden hier begrüsst. In grossen K.D.F.-Autobussen fahren die Umsiedler zur Bahn mit jedem Buss fährt eine Schwester mit und hilft den vielen Alten Frauen und Kindern aus- und einsteigen. Die meisten Leute sind noch nie Eisenbahn gefahren und staunen über unsere schönen, sauberen Wagen und über die Zugeinrichtung. Unsere Schwestern haben reichlich in den Zügen zu tun, Leichtkranke fahren auch immer mit. die Milchküchenschwester ich [= ist] auch tüchtig am Werk. Heilnahrungen aller Art und alles notwendige Material geben wir in den nötigen Mengen mit. Ein gut organisierter Bahnhofsdienst sorgt dafür, dass alles rechtzeitig da ist und klappt. In den Nächten haben die Schwestern auch sehr viel zu tun die vielen kleinen Menschlein wollen dauernd versorgt sein. Die Stimmung der Umsiedler und der Begleiter ist ausgezeichnet. Mit frohem Ständchen werden die Siedler auf dem Bahnhof verabschiedet. Alles winkt und ruft heil, der ganze Bahnhof braust. Die zurückkommenden Schwestern erzählen viel von ihren Erlebnissen mit den Leuten während der Fahrt. Mit Erstaunen betrachten sie die hohen Berge, sind zu Tode erschreckt, wenn es durch einen Tunnel geht und freuen sich über unsere hübschen, sauberen Dörfer. Unsere grösseren Städte sind ihnen noch unfassbare Begriffe. Was werden sie nur alles im Reich erleben, hoffentlich werden sie überall gut in Obhut genommen, damit sie keine Enttäuschung erleben, denn die ersten Eindrücke haften für das ganze spätere Leben. Ihr Vertrauen und ihre Liebe zu Führer und Reich ist sehr gross. Neulich kam ein Mädel mit einer Fahne von Bord und eine Frau mit einem Hitlerbild. Weiss der Himmel, wo sie diese Dinge immer verborgen gehalten haben. Mit ihrem Gepäck sind sie alle sehr ängstlich, sie wollen auf Grund ihrer Erfahrungen nichts aus der Hand geben. [S. 2:] In unserem Lager fühlen sich alle gleich wie zu Hause. Die Verständigung der Leute, besonders mit den schwäbischen Schwestern ist besonders gut, man kommt sich vor wie in einem grossen schwäbischen Dorf.44 Unser Lager ist als Musterlager anzusprechen, dien Einrichtungen sind vorbildlich. Wir haben 2 warme und eine kalte Küche, sehr gut eingerichtet, ausserdem eine feine Milchküche mit falbelhaftem Eiskasten. 3 von unseren Schwestern sind in der Milchküche tätig, sie haben eine genügende Anzahl volksdeutsche Mädchen zur Hilfe, darunter eine Säuglingsschwester. Von der Milchküche abgetrennt in einem Nebenraum habe ich den Schwestern eine nette Ecke zum schlafen und wohnen zurechtmachen lassen, sogar mit fliessendem Wasser, die Schwestern fühlen sich da sehr wohl, sind vergnügt und machen ihre Arbeit 44 ����������������������������������������������������������������������������������������� Ab 1815 waren die meisten Vorfahren der Umsiedler von Baden-Württemberg aus nach Bessarabien ausgewandert. Die schwäbische Sprache war gegenüber den plattdeutschen Dialekten norddeutscher Auswanderer offenbar noch vorherrschend.
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gut, sie Artze [= die Ärzte] sind sehr zufrieden. und zeigen unsere Milchküche allen Besuchern voller Stolz. In der Milchküche werden auch die Diäten für die R.K.Revierkranken mitgekocht. Das R.K.-Lazarett hatte bisher in Ermangelung einer eigenen Küche auch für seine Kranken bei uns mitkochen lassen, hat sich aber seit heute selbständig gemacht, der Koch, der sehr nett ist, will unseren Schwestern aus Dankbarkeit einen Kuchen backen, sie haben aber auch sehr viel zu tun gehabt. Unsere Toilettenverhältnisse sind auch tadellos, vor den Klos stehen Waschbecken mit Desinfektionslösung, daneben ständig eine Aufsicht, die darauf achtet, dass sich jeder die Hände desinfiziert, das hat mancherlei Spass gegeben. Ich habe auch eine Aufnahme davon gemacht, Sie werden lachen. Bisher waren die Schwestern alle noch im niedrigen Zelt untergebracht. Ich habe es erreicht, dass ein hohes, in[n]en mit Brettern verschaltes Zelt gebaut worden ist. Doppelholzbetten habe ich auch erhalten, heute nun ziehen wir ein. Das Zelt steht an einer Stelle wo es etwas ruhiger ist, damit die Schwestern, die von den Transporten kommen einen wirklichen Ruhetag haben. Am Sonntag vormittag gehe ich mit ihnen in die Stadt, dann sehen wir uns die Burg an und essen zusammen zu Mittag. Ich selbst komme wenig aus dem Lager. Sie wissen ja man muss ständig vorne und hinten sein und sich überall durchsetzen, damit alles klappt. Unsere Arbeit ist hier überall anerkannt worden. Bei den Artzen [sic!] finden wir für alles ein gutes Verständnis, mit den R.K.Schwestern und Helferinnen haben wir nichts eigentliches zu tun. Die Feldführerin ist etwas komisch, wir nehmen sie nicht ernst, die R.K.-Arzte nehmen sie auch auf den Arm, wie man so zu sagen pflegt. – – Mit der Führerin der Frauen, Frau Witte arbeite ich sehr gur [gut], sie ist eine sehr patente Frau. Wir haben zusammen ein Büro, jeder mit einem eigenen Schreibtisch und einer Maschine. –––– und Akten –––– ja der Amtsschimmel verträgt auch dieses Klima – leider. Wir nehmen die kleinen Pannen, die täglich unvermeidlich sind mit Humor und so kommen wir in allem voran. Ich habe seit gestern auch einen kleinen Schlafraum für mich allein erhalten. Der Lagerkommandant ist in Ordnung und tut, was er kann, man muss natürlich immer etwas dahinter haken, aber das sind wir ja gewohnt. ––– So nun haben Sie einen kleinen Ausschnitt aus unserem Leben. Nehmen sie die herzlichsten Grüsse und ein frohes Heil Hitler! [handschriftlich:] „von Ihrer S. Schnee“ [handschriftlich an der Seite:] „Alle Schwestern lassen herzlich grüßen.“ Zusammenfassung und Anmerkungen: Die Verfasserin NS-Oberin S. Schnee war als Führerin der NS-Schwestern auf dem Schiff „Passau“ gewesen, das von Wien in das Auffanglager Semlin bei Belgrad (Jugoslawien) fuhr.45 In diesem Zwischenlager der Umsiedlung war sie die Einsatzleiterin, fertigte Dienstpläne (S. 1) für die NS-Schwestern, die die aus dem ersten Auffanglager Galatz (Rumänien) ankommenden Umsiedler von den Schiffen abholten und sie später auf den Eisenbahntransporten begleiteten, die von Semlin aus ins Deutsche Reich weiterfuhren. Im Zug begleiteten NS-Schwestern die Umsiedler – „Leichtkranke fahren immer mit“ (S. 1) – und kehrten dann wieder nach Semlin zurück, um im Wechsel auch dort im Lager für einen Tag zu arbeiten. Zu den Eisenbahnen wurden die Umsiedler mit „grossen K.D.F46-Bussen“ gefahren, in denen jeweils eine NS-Schwester mitfuhr, die den Alten beim Einsteigen half (S. 1). 45 Q6/Brief Nr. 2. 46 K.d.F.: „Kraft durch Freude“, eine staatliche Urlaubsorganisation für Arbeiter, nach Zerschlagung der Gewerkschaften.
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Der Erfolgsbericht über die Arbeit im Lager Semlin für die vorgesetzte Führerin der NS-Schwesternschaft im Lager Galatz schwärmt von dankbaren und Hitler-freundlichen Umsiedlern. Was uns Fotos der Umsiedlung verschweigen, wird hier als Geräuschkulisse ergänzt: Heilrufe und Musikkapellen bei den Schiffen, Ständchen zur Verabschiedung auf dem Bahnhof: „Alles winkt und ruft heil, der ganze Bahnhof braust“ (S. 1). Aus der Arbeit der NS-Schwestern im Lager Semlin, das eine Zeltstadt war, erfahren wir: In einem „Kinderzelt“ badeten sie Säuglinge, gaben ihnen Kleidung, und fütterten sie. „In den Nächten haben die Schwestern auch sehr viel zu tun. Die vielen kleinen Menschlein wollen dauernd versorgt sein“ (S. 1). So wie im Lager Galatz betrieben sie eine Milchküche für die Säuglinge. Auch für die Kranken in den „R.K.-Revieren“ kochten sie mit, denn dem Rot-Kreuz-Lazarett fehlte eine eigene Küche. Erst ab dem 15. Oktober bekamen die Kranken im Lazarett einen eigenen Koch, der ihnen aus Dankbarkeit für die bisherige Fürsorge einen Kuchen backte. Offenbar gab es im Lager Semlin weniger Konflikte als im Lager Galatz. Die leitende NSOberin Schnee verkündete stolz: „Unsere Arbeit ist hier überall anerkannt worden“ (S. 2), auch von den Ärzten. Zusammen mit ihnen grenzten sich die NS-Schwestern vom Roten Kreuz ab. Ein Kompetenzgerangel zwischen Rot-Kreuz- und NS-Schwestern in Semlin, an dem NS-Oberin Rakow selbst beteiligt war, war immer noch spürbar:47 „Mit den R.K.Schwestern und Helferinnen haben wir nichts eigentliches zu tun. Die Feldführerin ist etwas komisch, wir nehmen sie nicht ernst, die R.K.Ärzte nehmen sie auch auf den Arm“ (S. 2). Die leitende NS-Oberin Schnee saß in einem gemeinsamen Büro mit der Führerin der NS-Frauenschaft, Frau Witte. Beide bearbeiteten sie an ihren Schreibtischen im Lager Semlin vor allem „––––Akten––––“ (S. 2).
Q6/Brief Nr. 7
2 Seiten Typoskript mit handschriftlicher Ergänzung auf S. 2 Datum: 20. Oktober 1940 Von: a.) Typoskript: Ihre Schwester Käthe (= Generaloberin Käthe Böttger) b.) Handschrift: Ihre S. Edith (= Schwester Edith, 1. Stellvertreterin Edith Blawert) Aus: Berlin, Reichshauptamt für Volkswohlfahrt, NS-Schwesternschaft An: Liebe Schwester Dorothee! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow in Galatz und zweite Stellvertreterin der Generaloberin) Transkription: [a.) Typoskript:]
Berlin, den 20.10.1940 Liebe Schwester Dorothee! Für Ihre verschiedenen Berichte, die uns immer mächtig interessieren, danke ich Ihnen herzlich. Wir wollten Ihnen schon längst schreiben, da es sooo viel zu ratschen gäbe! Oft bedauern wir, daß 47 Q/6Brief Nr. 3 (über den Konflikt zwischen NS-Oberin Rakow mit der DRK-Feldführerin, Frau Hardeland oder Frau Bader).
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Sie nicht hier sind, dann wieder sind wir froh, daß Sie soviel Neues sehen und dadurch immerlich aufgefrischt werden, denn es ist immerhin möglich, daß wir beide, Schwester Edith und ich, in Urlaub gehen müssen, wenn Sie zurück sind. An unsere Nerven werden jedenfalls allerhand Anforderungen gestellt, da allmählich die längst fälligen Dinge in Angriff genommen werden. Es hat aber den Anschein, als ob die übergeordnete Stelle jetzt eingreift und die große Standesorganisation erstellt, womit sich zwangsläufig viele Dinge regeln müssen. Wir wünschen uns sehr oft mal leihweise das Hirn des Führers! – – K. ist aus Frankreich zurück mit viel Aktivität und Schnelligkeit, damit mit oft unausgereiften Plänen und unüberlegten Handlungen. Im Schwesternkreis ist es nett. Ruth ist sehr fleißig und schafft viel produktive Arbeit. Die ersten 50 Schülerinnen sind auch in Berlin eingerückt und zwar je zur Hälfte im Virchow 48 und in Neukölln. Schade, daß Wally im Augenblick nicht die Früchte ihrer Arbeit ernten kann. Für Mutter Schnee, die wieder zuhause ist, haben wir eine junge Gemeindeschwester abgestellt, sodaß Wally ohne Sorge sein kann. In Sanok (für die Buchenland- und Bukowinaaktion) sind Ursula Rie[...] und Irene Pan[...] tätig. Letztere wartet noch, samt den Schwestern auf Abruf. Wir haben in den nächsten Tagen eine Besprechung zwischen verschiedenen Gauvertr.Schw.[= Gauvertrauensschwestern] und den zuständigen Mukileuten (Oldenburg, Hannover, Bayreuth) über die Gemeindearbeit. Ausserdem im I.M. Verhandlungen wegen des nicht unterzubringenden Jungvolks. 200! Schw. E. hatte genug schlaflose Nächte. Ob wir wohl nach dem Kriege zu den 4 Semestern zurückkehren? Wir bohren fleißig in der Richtung. – Tutzing macht am 17.12. Examen. Leider hat sich wieder eine verlobt! – In der Hölderlinstr. geht es nur langsam voran. Leider sind in der Dresdner Möbelfabrik unsere sämtlichen fertigen Möbel einem Brand zum Opfer gefallen. Nun müssen die Schwestern weiter warten, bis neue hergestellt sind, bezw. müssen sich weiter mit den geliehenen Möbeln begnügen. [S. 2:] Die Schwestern fühlen sich aber trotzdem sehr wohl dort. Schw. Kl. macht das wohl sehr nett. Ich glaube, um die nächsten Zimmer gibt es schon einen Kampf. Sch. E. und ich haben uns auch entschlossen mit hin zu ziehen und unsere Wohnung als Tauschobjekt daranzugeben. Die Schwestern freuen sich anscheinend darüber. Wir müssen uns, bei der sehr vielen Arbeit, von dem Haushaltskram entlasten. Ausserdem spüren wir sehr, daß wir nunmehr seit 14 Monaten täglich 2 ½ Std. Anmarschweg haben. Es kostet schon Nerven. Die Engländer haben uns die letzten Nächte schlafen lassen, worüber wir sehr dankbar sind. Sonsten geht’s uns gut. Wann kommen Sie wieder? Grüßen Sie alle Schwestern von uns. Ich käme gerne mal, es ist aber aus den anfangs angedeuteten Gründen nicht möglich. Ich hätte auch keine Ruhe. Ende nächster Woche bin ich mal 2 Tage in Schlesien, Bad Salzbrunn, zur Tagung der schles. Wohlfahrtspflege. Partei und Staat zusammen. Die Vorträge interessieren mich sehr. Schw. E. ist zu gleicher Zeit in München zur Haupttagung des VDA. Ist der Oberbefehlsleiter auch bei Ihnen gewesen? Wally schickte nette Bilder von seinem Besuch. Wie in der Zeitung stand ist jetzt Dr. Conti bei Belgrad. Ob er wohl unsere Schwestern irgendwo sieht und spricht? Liebe Schwester Dorothee, dieses war ein Sonntagsschwatz, zuhause auf meiner Maschine geschrieben. Wir haben einen schönen Spaziergang in einem herrlich herbstlich gefärbten Wald hinter uns und freuen uns der schönen Oktobertage, die noch etwas Ersatz für den verregneten Sommer bringen. Wir wünschen Ihnen weiter alles Gute! Mit einem herzlichen Heil Hitler! grüßt Sie Ihre [Unterschrift:] Schwester Käthe 48 Virchow: Krankenhaus in Berlin.
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[b.) handschriftliche Ergänzung von NS-Oberin Edith Blawert:] „Liebe S. Dorothee, es ist das Wichtigste geschrieben. Vielen Dank für Ihren schönen langen Bericht. – Sie können sich denken, was bei uns los ist. 200 !!! Grauenhaft. Aber es gibt auch Freude: Kollmar im Elsass wird am 1.11. von uns mit 15 Schw. besetzt. Es ist der Anfang schön nicht? Aber Ihnen liegt das alles ja so fern und man soll Sie wohl damit verschonen. Wir haben jetzt nette Schwestern für uns bekommen, aber noch keinen Überschuss, nur ausreichend, ich bin aber sehr froh. Sogar jetzt 1 Schw. für alle Extrasachen: Sonderdienst, Kleidung f. Sonderdienst, Schi [= Ski], Motorrad, Strümpfe, Hölderlinstr. usw., für all die Sachen, wozu immer keine Zeit + Ruhe ist. Hanna Schm[...] + Hanna Bo[...] sind noch krank, alle Unruhgeister fort, es ist schön jetzt bei uns. Lassen Sie es sich gut gehen und kommen Sie recht froh wieder. Herzl. Grüsse + Heil Hitler. Ihre S. Edith.“ Zusammenfassung und Anmerkungen: Dieser interessante Brief von engsten Kolleginnen aus dem Reichshauptamt zum Einsatzort Rumänien spricht in Rätseln. Die Empfängerin, Schwester Dorothee, die ansonsten in Berlin Leiterin der Abteilung Organisation in der NS-Schwesternschaft war, wird die Andeutungen verstanden haben, die die Generaloberin in Berlin festhielt: „Ich käme gern mal, es ist aber aus den anfangs angedeuteten Gründen nicht möglich“ (S. 2). Sie formulierte wegen der Zensur vorsichtig und drehte die Bombenangriffe in der Reichshauptstadt ins Gegenteil um: „Die Engländer haben uns die letzten Nächte schlafen lassen“ (S. 2), aber ihr täglicher Weg zur Dienststelle dauere schon seit 14 Monaten „2 1/2 Stunden“; wegen täglicher Fliegeralarme oder weil ihr kein Fahrer zur Verfügung stand, bleibt offen. Die brisanteste Textpassage aber bezieht sich auf aktuelle Vorgänge im Berliner Reichshauptamt der NSV: „An unsere Nerven werden jedenfalls allerhand Anforderungen gestellt, da allmählich die längst fälligen Dinge in Angriff genommen werden. Es hat aber den Anschein, als ob die übergeordnete Stelle jetzt eingreift und die große Standesorganisation erstellt, womit sich zwangsläufig viele Dinge regeln müssen. Wir wünschen uns sehr oft mal leihweise das Hirn unsers Führers!“ (S. 1).
Als mögliche Entschlüsselung drängt sich auf: „Die längst fälligen Dinge“ könnte die Legalisierung der „Euthanasie“ betreffen.49 „Die übergeordnete Stelle“ wäre dann die Kanzlei des Führers und die „T4“-Organisation. „Die große Standesorganisation“ war eine angestrebte totale Gleichschaltung im Schwesternwesen, die sich erst 1942 im „NS-Reichsbund deutscher Schwestern und Pflegerinnen e.V.“ (NSRDS) verwirklichte. Dies führte zu Ausstieg und Kündigung des bisherigen Führungspersonals der NS-Schwesternschaft.50
49 Vgl. II.B.Spur 7. 50 Vgl. Kap. II.A.2, Biografie; sowie Breiding 1998, Braune Schwestern.
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Entschlüsselung der im Brief vorkommenden Namen und Orte: Dr. Conti = Reichsärzteführer Dr. Leonardo Conti „ist jetzt bei Belgrad“ (im Lager Semlin?). Der Oberbefehlsleiter = Edgar Hilgenfeldt, Leiter der NSV im Reichshauptamt Berlin (Wally schickte Bilder = er besuchte das Lager Semlin). Schw. E. = NS-Schwester Edith, NS-Oberin Edith Blawert, 1. Stellvertreterin der Generaloberin. Ruth = NS-Schwester Ruth Dühe, Abteilungsleiterin für Propaganda bei der NS-Schwesternschaft im Reichshauptamt K. = ? (vermutlich eine NS-Oberin im Frankreich-Einsatz?). Mukileute = Mutter-Kind-Abteilungen der NSV. I.M. = Innenministerium. Tutzing = Oberinnenschule für NS-Schwestern. Schw. Kl. = Schwester Kl., vermutl. Heimleiterin im NS-Schwesternheim in Berlin. Hölderlinstrasse = das NS-Schwesternheim in Berlin, in dem auch Oberin Dorothee Rakow im dritten Stock wohnte. Dresdner Möbelfabrik = In Dresden war das „Mutterhaus“ der NS-Schwesternschaft – von dort kam der Innenarchitekt, der auch die Möbel für das Berliner NS-Schwesternheim entwarf, die nun alle durch einen Bombenangriff zerstört worden waren. Wally = NS-Oberin Wally Ur., Führerin der NS-Schwestern im Lager Semlin. Mutter Schnee = NS-Oberin Schnee, Organisationsleiterin der NS-Schwesternschaft im Lager Semlin. Die „Besprechung zwischen verschiedenen Gauvertr.Schw. [= Gauvertrauensschwestern] und den zuständigen Mukileuten (Oldenburg, Hannover, Bayreuth) über die Gemeindearbeit“ könnte insbesondere die Kinder-„Euthanasie“ betroffen haben. Die NS-Gemeindeschwestern hatten Meldepflichten bzgl. behinderter Kinder. Diese wurden an Kinderabteilungen der „Reichsarbeitsgemeinschaft zur Erfassung und Erforschung erb- und anlagebedingter Leiden“ überwiesen, wo sie ermordet wurden. Die Arbeit im Berliner Büro der NS-Schwesternschaft war derzeit außerdem bestimmt vom praktischen Problem des „nicht unter zu bringenden Jungvolks“ (S. 1.) Über ihre Zahl stöhnten unisono die Generaloberin Böttger „200!“ (S. 1) und ihre 1. Stellvertreterin Blawert „200!!! Grauenhaft!“ (S. 2). In zwei Berliner Krankenhäusern wurden „50 Schülerinnen“ angestellt, während die Unterbringung der restlichen 150 wohl nicht so einfach war. Zum Zeitpunkt dieses Briefes, um den 20. Oktober, musste auch die Bukowina-Umsiedlung umorganisiert werden: „Es waren die Tage, als deutsche Lehrtruppen in Rumänien einrückten“.51 Vielleicht gehörten Ursula Rie[...] und Irene Pan[...] dazu. Sie hatten die 51 Die Umsiedlung aus der Nord-Bukowina hatte bereits am 26.9.1940 begonnen, war aber zum Zeitpunkt des Briefes, am 20.10., über mehrere Tage (16.–21.10.) unterbrochen worden, weil die sowjetischen Besatzer die Bahnschienen auf Breitspur umstellten. Bis zum 16.10. waren die Umsiedlerzüge über Sanok ins Reich geleitet worden, ab 21.10. wurde eine Ausweichstrecke über den
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Umsiedlung der Deutschen aus der Bukowina „in Sanok“ vorbereitet, die ab 21. Oktober über Przemysl umgeleitet wurde.52 NS-Oberin Rakow reiste erst Anfang November zur Umsiedlung in die Bukowina und brach Mitte November ihren Einsatz ab.53 Handschriftlich ergänzte „Schw. E.“, Edith Blawert, 1. Stellvertreterin der Generaloberin, den Brief der Generaloberin noch um eine weitere Nachricht für die 2. Stellvertreterin. Sie berichtete ihr über 15 eingesetzte NS-Schwestern im Elsass und über eine neue NSSchwester für Sonderdienste, „für alle Extrasachen: Sonderdienst, Kleidung f. Sonderdienst, Schi [?], Motorrad, Strümpfe, Hölderlinstr. usw.“ Zwei Mitarbeiterinnen Hanna Schm[...] und Hanna Bo[...] meldeten sich krank. „Alle Unruhgeister fort, es ist schön jetzt bei uns.“ Dies könnte sich auf diese beiden oder auch auf vorgesetzte Männer der Berliner NSVDienststelle beziehen.
Q6/Brief Nr. 8 2 Seiten Typoskript
Datum: 27. Oktober 1940 Von: Ihre Schwester Wally (Wally Ur.) Aus: Umsiedlungslager Semlin bei Belgrad An: Liebe Schwester Dorothe! (NS-Oberin Dorothee Rakow in Galatz) Transkription:
Umsiedlungslager Semlin bei Belgrad d. 27.I0.40 Liebe Schwester Dorothe! Danke Ihnen für Ihren Brief. Die Schwester Lü[...] ist gestern hier angekommen, heute früh wurde der Finger verbunden und heute Mittag ist die Schwester heimgefahren. Das Befinden ist gut. Gestern ist das Schiff Grein abends hier angekommen. Leider hat sich eine unangenehme Sache auf dem Schiff abgespielt. Zu der Transportbegleitung gehörten die beiden Schwestern Ha[...] und Fie[...] aus Ostpreußen. Es wurde mir gemeldet, dass sich die eine Schwester mit dem Steuermann eingelassen hätte und ich wurde gebeten die Sache zu untersuchen. Ich habe mit den beiden Schwestern gesprochen und die Schwester Ha[...] hat zugegeben, dass sie abends bei dem Steuermann in der Kabine gewesen sei. Der Steuermann selbst auch in meiner Gegenwart verhört hat erklärt, dass er wohl die Schwester geküsst hätte, aber sonst sei weiter nichts vorgefallen. Jedenfalls hat sich die Schwester durch ihr Verhalten in ein ausserordentlich schlechtes Licht gesetzt. Beide Schwestern haben auch viel mit den Männern zusammen gesessen, sodass viel Rederei auf dem Schiff entstanden ist. Ich habe den Schwestern gehörig die Meinung gesagt und sie vom Schiff heruntergenommen. Der Steuermann, der nebenbei bemerkt eine üble Erscheinung ist, wurde von der Leitstelle auch von Bord genommen. Es ist unbegreiflich wie sich die Mädels so gehen lassen können. Ich selbst kenne die Schwestern viel zu wenig um mir ein festes Urteil über beide bilden
Genzübergang bei Przemysl an der ehem. südöstlichen polnischen Grenze benutzt. Nach Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 84f. 52 Ebd. 53 Vgl. II.C.Spur 16.
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zu können, jedenfalls lassen sie aber beide viel zu wünschen übrig. Als Ersatz für die beiden Schwestern habe ich die älteren Schwestern Bi[...] und Fi[...], deren Schiff hier abgemustert worden ist, an Bord gegeben und hoffe, dass die Sache nun in Ordnung gehen wird. An den Gau selbst habe ich noch nicht geschrieben, ich muss erste die schriftliche Stellungnahme des Transportleiters Mo[...] abwarten, es ist ein NSV-Kreisamtsleiter aus Pommern. Dann gebe ich die Sache weiter an Schwester Auguste und sie kann dann weiter entscheiden. Es kommen jetzt fast täglich Schiffe aus Galatz an, die heir abgemustert werden. Leider ist es den Transportbegleitern vorher nicht in Galatz gesagt worden, das sie die letzte Fahrt machen. Die meisten bringen nun ihre ganzen Lei, die sie während der Fahrt nicht ausgeben konnten mit und müssen nun wenn sie sie hier in Dinar eintauschen 60 % daran verlieren. Die Mädels sind deshalb sehr traurig. Eine der Schiffsschwestern erzählte, dass sie versucht hätten dort eine Sparkasse einzurichten, mit dem Ziele, dass die Lei ihnen später ohne Verlust in Reichsmark umgetauscht werden. Das wäre ja eine schöne Lösung. Liebe Schwester Dorothe eine der Schwester die auf ihrem Schiff noch einmal nach Galatz zurückkommen wird, wird nun von den anderen hier die Lei mitbringen. Geht es nun, dass Sie das Geld der Mädel dort einzahlen. Das wäre eine Freude, wenn es klappen würde. [S. 2:] Ich möchte ihnen ja so gerne helfen, aber hier geht es ja nicht. Schließlich haben sie die ganze Zeit gearbeitet und sind ordentlich gewesen und nicht von Bord gekommen und nun sollen sie die Hälfte der Kommandogelder verlieren. Das wäre hart. Vielleicht können sie es in Ordnung bringen. Unsere Arbeit geht so nach und nach dem Ende entgegen. Seit einigen Tagen haben wir Regenwetter. Für Männertransporte ist es ja nicht so schlimm. Was sie nun alles fü Gepäck mitgebracht haben, wir staunen darüber. Viele sind ganz wohlhabend. Bei der Einkleidung in der Kleiderkammer wollen sie ohne Bezahlung nichts annehmen. Es ist erfreulich zu sehen, wie bescheiden die Menschen sind und wie sie gewohnt sind sich selbst zu helfen. Hoffentlich erhalten sie sich im Reich ihre Art.––– Gerne wäre ich einmal nach Galatz gekomen, ich hätte so gerne Ihr Arbeitsfeld gesehen, ob wir uns erst in Berlin wiedersehen werden? Von meiner Mutter habe ich nun bessere Nachricht, sie ist wieder zu Hause, aber scheinbar recht hinfällig, was nach einer so langen schmerzhaften Krankheit nicht Wunder nimmt.––– Gerade während ich Ihnen schreibe geht ein einfach ungeheuerliches Gewitter nieder, es tobt nur so, die ganze Baracke wackelt, unser Öfchen zischt, weil der Regen von aussen hereinstömt. Am Dienstag kommt Pg. Lorenz von seiner Rundreise zurück und dann gibt er seine letzten Anweisungen wie wir abrüsten. Die Schwestern, die nicht mehr benötigt werden, werden wohl dann gleich mit den nächsten Transportzügen mit ins Reich fahren. Hören Sie manchmal Nachrichten. Hier ist der Empfang sehr gestört. Der Reichstag soll nächstens zusammentreten. Hier ist es politisch ziemlich unruhig. Einer unserer Umsiedlerzüge ist drei Stunden vor Belgrad beschossen worden. Glücklicherweise ist keine verletzt worden. Es hat natürlich ein diplomatisches Nachspiel geben. ES ist so allerhand im Gange. Wir sind sehr vorsichtig, wenn wir in die Stadt gehen, ich bewache meine Schwestern wie ein Glucke, aber es ist auch sehr nötig, manche würde aus Unbedachtsamkeit etwas tun, was zu Schwierigkeiten Veranlassung geben könnte. Einige Schwestern haben sich bei den Bahntransporten nicht ganz korrekt benommen, die behalte ich hier an der Strippe und lasse sie dann bald heimfahren. Wie gut ist es, dass man dabei ist und alles in der Hand hat. ––– Es grüßt Sie herzlich mit Heil Hitler Ihre [handschriftlich:] Schwester Wally
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Zusammenfassung und Anmerkungen: Der Brief aus dem Lager Semlin zum Abschluss der Aktion war voller Ernüchterung: NS-Schwester Wally, vermutlich Oberin in leitender Position im Lager Semlin, schrieb am Ende der Bessarabien-Umsiedlungsaktion an ihre Vorgesetzte NS-Oberin Rakow nach Galatz. Schwester Wally scheint in der Hierarchie im Auffanglager Semlin über „Mutter Schnee“. zu stehen. Diese könnte ggf. die erwähnte „Schwester Auguste“ sein, an die Schwester Wally eine Beschwerde weiterleitete (S. 1). Im Gegensatz zum Semlin-Bericht von NS-Oberin Schnee (vgl. Q6/Brief Nr. 6) geht es hier nicht um einen Anerkennung heischenden Erfolgsbericht, sondern um eine Aufzählung von Problemen im Kommando Semlin. Am Ende der Umsiedlung waren dies demnach folgende: – Eine NS-Schwester wurde nach Hause geschickt wegen eines verletzten Fingers (S. 1). – Zwei junge NS-Schwestern wurden nach einem Verhör von Schwester Wally heimgeschickt, weil sie sich mit Männern der Schiffsbesatzung eingelassen hatten. Auch der beteiligte Steuermann sollte gehen, so die Stellungnahme des Transportleiter des Schiffes „Grein“, NSV-Kreisamtsleiter Molzahn aus Pommern (S. 1). – Die NS-Schwestern büßten teilweise ihre Gehälter ein. Die rumänische Währung Lei, die sie als „Kommandogeld“ in Galatz (Rumänien) bekamen, konnten sie im jugoslawischen Semlin nur mit 60 Prozent Verlust umtauschen. Im Lager Galatz waren die NS-Schwestern die fleißigsten Sparerinnen des Umsiedlungskommandos gewesen, und eine „Sparkasse“ zahlte die gesparten Lei in Reichsmark aus.54 Von Semlin aus wurde nun eine Schwester mit den Geldern der NS-Schwestern wieder zurückgeschickt zur NS-Oberin Rakow, die sich in Galatz darum kümmern sollte (S. 1f.). Allerdings war diese schon fast auf dem Weg in die Bukowina. Später stellte sich heraus, dass die Gelder gar nicht ankamen und der Verlust offenbar 100 Prozent war.55 Die Bessarabien-Umsiedlung war gerade beendet. Die letzten 2.000 Personen wurden am 27. und 28.9. aus Galatz abtransportiert.56 – Regenwetter: „für Männertransporte [...] ja nicht so schlimm“ und „ungeheuerliches Gewitter [...] die ganze Baracke wackelt“ (S. 2). – „Hier ist es politisch ziemlich unruhig“, „es ist allerhand im Gange“. Ein Umsiedlerzug wurde beschossen. „Wir sind sehr vorsichtig“ beim Stadtgang. Anlass für solche Schwierigkeiten gab nämlich „Unbedachtsamkeit“ der NS-Schwestern: „Einige Schwestern haben sich bei den Bahntransporten nicht ganz korrekt benommen, die behalte ich hier an der Strippe und lasse sie dann bald heimfahren“ (S. 2). Es werde nur noch „Pg. Lorenz“ – SS-Oberführer Werner Lorenz – im Lager Semlin bei Belgrad für die letzten „Anweisungen, wie wir abrüsten“, erwartet (S. 2).
54 Q4/Befehle Nr. 3 und Nr. 15: Sachbearbeiter der Lagersparkasse in Galatz/Lagerführung, Schreibstube II, war Herr Broszio. Er fertigte eine Statistik an. Die NS-Schwestern waren im Vergleich zu anderen Kommandomitgliedern die fleißigsten Sparerinnen. 55 Q6/Brief Nr. 11. 56 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 84.
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Q6/Brief Nr. 9
2 Seiten Typoskript auf einem Blatt Datum: 1. November 1940 Von: (NS-Oberschwester Dorothee Rakow) Aus: Galatz, Dtsch. Umsiedlungslager An: Sehr geehrte liebe Generaloberin! (Käthe Böttger, Reichshauptamt Berlin) Transkription:
Galatz, den 1. November 1940. Dtsch.Umsiedlungslager.
Sehr geehrte liebe Generaloberin! Einen ganzen Monat habe ich nichts von mir hören lassen. Wir haben alle Tage Hochbetrieb gehabt. Und wie wir hörten, allerdings nie lesen, soll die Presse auch viel vom Lager Galatz geschrieben haben. Ich hatte leider nur zweimal Gelegenheit mit Pressevertretern des Auslandes zu sprechen, denen man leider nur eine ganz gedrängte Uebersicht geben konnte, da sie mehr als zwei Minuten Zeit kaum gaben. In der Hauptsache interessiert immer die Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder. Obwohl wir hier mit primitivsten Mitteln arbeiten mussten, hat alles ganz vorzüglich geklappt. In zwei Küchen haben wir bis etwa 1000 Kinder versorgt. Da hiess es, für die Kleinsten unter einem Jahr die notwendigen Flaschen mit Aletemilch fertig zu machen, die grösseren erhielten die teure aber sehr bewährte Edelweissmilch. So hatten wir so gut wie gar keine Ernährungsstörungen zu verzeichnen. Mittags wurde eine Gemüsemahlzeit verabreicht, und abends eine Halbmilchbrei. In der ersten Zeit war es schwierig, die Mütter von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die Kinder zu den Mahlzeiten der Grossen nicht mitgenommen werden dürfen. Die Kleinen waren ja gewohnt, alles mitzuessen. Nun hiess es, schon hier mit der Erziehung zu beginnen. Bei unserer Schwesternzahl in dem grossen Lager fast eine Unmöglichkeit. Meine Vorstellungen in dieser Beziehung wurden anfänglich wohl angehört und dann eines Tages auch angenommen. So wurden uns dann stundenweise die Kindergärtnerinnen zur Verfügung gestellt. und die Mütter konnen getrost ohne die Kleinen zu Tisch gehen. die Bessaraber Mütter werden sich nur schwer von der Sitte trennen, die Kleinen in ihrer Placht, einem grossen Umschlagtuch, herumzutragen. Aber nicht nur die Mütter warten so die Kinder, auch die Väter und die Buben oder Mädchen vom achten Lebensjahre an fühlen sich dafür verantwortlich. Eine weitere Aufgabe hier war das Baden der Kinder bis zum vierten Lebensjahr und nach Möglichkeit weiter hinauf. Zwei Badeküchen, die neben der Kochküche lagen, waren dafür eingerichtet. Und jeweils 2 – 3 Schwestern waren darin tätig. Das war ein buntes Treiben darin. Denn diese Wohltat liessen die Mütter sich nicht nehmen. Und wie haben sie gestaunt, was alles zur Pflege ihrer Kinder getan wird. eine solche Versorgung haben sie nie erwartet und immer wieder hörte man die bange Frage, ob das wohl auf der weiteren Reise auch alles möglich ist. Vor allen Dingen von der Schiffsfahrt konnten sich die meisten keine Vorstellung machen, hatten doch viele von ihnen ein so grosses Wasser wie die Donau noch nicht gesehen. Aber wie leuchteten die Augen, als eines Tages grosse Mengen Windel, Hemdchen und Jäckchen und Hemdchen gestapelt waren und sie diese ohne Bezahlung in Empfang nehmen konnten. Immer wieder hörte man von Männern oder Frauen die bittende Frage, ob und wie sie das alles abarbeiten könnten. Eines Nachts, ein Transport von etwa 500 Menschen waren mit Lastkraftwagen angekommen. Im Nu waren Milchflaschen und Eimer mit Milch und Brote zur Stelle. Es waren prächtige Menschen, die da heim ins Reich wollten. Mütter mit 6, 8 und 10 Kindern. Trotz der späten
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Stunde hatten sie alle so helle klare Augen, aus denen ein ganz grosses Vertrauen sprach. Ein etwa 7 jähriger Junge fragte: ist das Adolf Hitlers Haus? Er strahlte, als ihm die Gewissheit wurde, dass dies alles der Führer bereit gestellt! [S. 2:] Die Erwachsenenbetreung durfte natürlich auch nicht zu kurz kommen. Untergebracht waren die Männer, die die Trecks führten, hinten in den Zelten, weil gleich dahinter das grosse Feld mit dem Wagenpark war. Um hier Einblick in den Gesundheitszustand zu kriegen, musste man sich erst mal mit ihnen unterhalten. Wir sprachen von Bessarabien, von dem fruchtbaren Boden, von dem was sie angebaut haben. Es sind die gleichen Früchte des Feldes, wie wir sie haben. Aber hinzu kommt Mais die Sojabohne und auch Zuckerrohr und Weinbau. Dann erzählten sie von dem Abschied, den ihnen der Russe so leicht gemacht hat. Die Männer sind in der Hauptsache mit Verbänden versehen, weil sie unterwegs viel Verletzungen davongetragen haben. Sie machen nicht viel Aufhebens davon, freuen sich aber doch, wenn sie versorgt werden. So haben vier Schwestern, die in 25 Zelten arbeiteten, an einigen Tagen 2 – 300 Verbände gemacht. Es war manchmal nicht einfach. Am 16. Oktober setzte ein starker Regen ein, der den Boden völlig aufweichte. Die Schwestern packten sich daher reichlich Verbandszeug und grosse Flaschen voll Hustentropen ein und kamen nur mittags ins Lager zurück. Kamen die Leute aus Malariagegenden, mussten sie wache Augen haben, um die Malariakranken dem Lazaraett einweisen zu können. Denn nur selten gaben sie zu, dass sie s’Fieber haben. Immer wieder musste die Schwester durch das Lager gehen, um die bettlägerig Kranken festzustellen. Die Bessaraber wollten nicht krank sein, um nur nicht das Schiff zu versäumen, das sie ins Reich bringen wollte. Wie in den Zelten, so war auch die Arbeit in den grossen Hangars. Hier nur etwas schwieriger, weil das Lager grösser und nicht so übersichtlich. Gestern Abend wurde ein grosser Kameradschaftsabend in der Halle Flandern veranstaltet, an dem das ganze Kommando, etwa 1000 Menschen und geladene Gäste (die deutsche Volksgruppe, der deutsche Konsul und die Eiserne Garde) teilnahmen. Da die Darbietungen unter strenger Zensur standen, war es ein sehr gelungener Abend. Unsere Schwestern wurden sehr beklatscht. Wir haben aber auch bei aller Arbeit geübt und geübt, dass wir ganz heiser geworden sind. Nun sind wir in der Auflösung dieser Arbeit begriffen, um eine Arbeit zu übernehmen, die vielleicht noch schwierigere Umstände bringt. Am zweiten November früh reisen drei Schwestern zu Schiff nach Cernavoda, dem Durchgangshafen für die Umsiedlung der Dobrudscha, und zwölf Schwestern mit der Bahn nach Constanza, von denen je 2 für Constanza, Tulcea, Babadag, Caraomet bestimmt sind, während vier in Constanza z.B.V. sein werden. Zwei gehen mit mir in den nächsten Tagen in die Südbukowina. Pg. Lorenz sagte mir heute, dass Sie, liebe Generaloberin, mit meinem weiteren Verbleiben hier noch einverstanden. Ich danke Ihnen recht sehr dafür. Ich bin so froh, dass ich mal für längere Zeit in der Frontarbeit stehen darf. Ich hoffe, für die weitere Arbeit dabei sehr viel zu profitieren. Ich grüße Sie und alle Schwestern auch im Auftrage meiner Kameradinnen hier herzlichst Heil Hitler! Zusammenfassung und Anmerkungen: Kurz nach dem Ende der Umsiedlungsaktion aus Bessarabien schrieb NS-Oberin Rakow aus dem leeren (?) Lager Galatz an die Generaloberin nach Berlin. Sie dankte, dass sie nach deren Rücksprache mit Pg. Lorenz in der „Frontarbeit“ (S. 2) bleiben dürfe, und zwar für den folgenden Einsatz bei der Bukowina-Umsiedlung, „die vielleicht noch schwierigere Umstände bringt“ (S. 2).
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Außerdem gab sie der Generaloberin einen Erfolgsbericht über die Erwachsenen- und Kinderbetreuung. Die NS-Schwestern hatten demnach in ihren zwei „Küchen“ insgesamt 1.000 Kinder aus Bessarabien betreut. Die Konflikte mit Umsiedlern bzw. den bessarabiendeutschen Müttern wurden heruntergespielt. Die NS-Oberin, Schwester Dorothee, ging gegen die für sie ungewohnten „Sitten“ der bessarabiendeutschen Kinderpflege an und setzte ihre „Vorstellungen“ durch. Die über 40jährige Oberin war zu der Zeit noch nicht selbst Mutter und stand nun Frauen gegenüber, die im Durchschnitt zwischen sechs und zwölf Kinder geboren und großgezogen hatten. Schwester Dorothees „Vorstellungen in dieser Beziehung“ waren bestimmt von einer Trennung von Mutter und Kind: a.) kein Tragen von Babys in Tüchern. Sie war erstaunt, dass auch die Väter und die Geschwister sich für die Babys „verantwortlich“ fühlten und sie in Tüchern trugen. „Die Bessaraber-Mütter werden sich nur schwer von der Sitte trennen, die Kleinen in ihrer Placht, einem großen Umschlagtuch herumzutragen.“
b.) Kindergärten: Schwester Dorothee schaffte es, die Kleinkinder von der Familie zu trennen und von „Kindergärtnerinnen“ stundenweise betreuen zu lassen. c.) kein gemeinsames Essen mit Kindern. Die Mütter sollten im Lager ohne ihre Säuglinge zu Tisch gehen. „In der ersten Zeit war es schwierig, die Mütter von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die Kinder zu den Mahlzeiten der Grossen nicht mitgenommen werden dürfen. Die Kleinen waren ja gewohnt, alles mitzuessen. Nun hieß es, schon hier mit der Erziehung zu beginnen.“
c.) Gut kam dagegen das Baden der Säuglinge an, bei dem die Mütter selbst halfen, sowie die kostenlose Ausstattung mit Babykleidung. Diese Großzügigkeit von „Adolf Hitler“ habe den Umsiedlern „ein ganz großes Vertrauen“ (S. 1) gebracht. Auch die „Erwachsenenbetreung“57 war umstritten. Schwester Dorothee unterhielt sich vor allem mit bessarabiendeutschen Männern, „um Einblick in den Gesundheitszustand zu kriegen“ (S. 2). In 28 Zelten des Lagers verbanden vier NS-Schwestern deren Verletzungen von unterwegs. Doch sie hatten noch eine weitere Funktion: NS-Schwestern durchsuchten alle Zelten und Hangars des Lagers Galatz nach kranken Umsiedlern. „Kamen die Leute aus Malariagegenden, mußten sie wache Augen haben, um die Malariakranken dem Lazarett einweisen zu können. Denn nur selten gaben sie zu, dass sie’s Fieber haben. Immer wieder musste die Schwester durch das Lager gehen, um die bettlägerig Kranken festzustellen. Die Bessaraber wollten nicht krank sein.“ (S. 2).
Der letzte „Kameradschaftsabend“ am 31. Oktober 1940 fand „unter strenger Zensur“ statt (S. 2). Mit den „Pressevertretern des Auslands“, die sich für die Behandlung der Säuglinge interessierten, konnte die NS-Schwester nur zwei Minuten reden (S. 1).
57 Erwachsenenbetreuung: Q6/Brief Nr. 3, S. 2.
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Q6/Briefe
Q6/Brief Nr. 10
Ansichtskarte: „Budapest“ mit roten Zensurstempeln. Bildmotiv: „Fischerbastei und die Krönungskirche beleuchtet“. Briefmarke: MAGYARKIR POSTA Briefmarkenmotiv: „CORONA“, Krone.
Vgl. vergrößerte Abb. in: II.C.Spur 15
Datum: 5. November 1940 Von: Die Dobrudschaschwestern [...]. Anna Tai[...], Schw. Walburga, Juliane Rü[...], Hildegard Uh[...], Herta Kra[...], Friedel Leo[...] Aus: ? (Budapest/Ungarn?) An: Deutschland – Oberschwester Dorothee Rakow, Reichsleitung d. NS-Schwesternschaft, Berlin W 35. Maybachufer Rote Stempel: [Eckig:] N.S.D.A.P. Reichshauptamt ... Eingeg. … DEZ 1940. [Rund:] Oberkommando der Wehrmacht – Geprüft Transkription:
„5.11.40 Die Dobrudscha Schwestern sind auf der Heimreise! Herzliche Grüße sendet Schw. Anne Tai[...]. Ebenso herzliche Grüße Schw. Walburga, Juliane Rü[...], Hildegard Uh[...], Herta Kra[...], Friedel Leo[...]“ Zusammenfassung und Anmerkungen: Diese Postkarte an die dienstliche Adresse von Oberin Rakow wurde mit zwei roten ZensurStempeln („Oberkommando der Wehrmacht – Geprüft“), einem grünen Nummernstempel („6375“) sowie mit handschriftlichen Nummerierungen versehen: in Bleistift um die grüne Nummer herum „2 SS 3/V 6375 / 35“ und mit rotem Buntstift in einem Feld des eckigen
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Eingangsstempels: „I/3“. Obwohl die sechs NS-Schwestern die Karte schon am „5.11.40“ schrieben, trägt der Poststempel das Datum “4. DEC“ oder „24. DEC“. Die „Dobrudschaschwestern“, die auf der Karte grüßten, waren dort an verschiedenen Orten eingesetzt:58 NS-Schwester Friedel war in Tulcea; Herta, Juliane und Walburga waren in Cernavoda; Hildegard und Aenne waren in Constanza als „z.b.V.“-Schwestern gewesen.59 Erst drei Tage bevor sich diese sechs NS-Schwestern bereits „auf der Heimreise“ befanden, waren sie vom Lager Galatz aus unter insgesamt 15 Schwestern für den Einsatz und die „Abreise am 2. November 1940“ in die Dobrudscha aufgestellt worden.60 Ihre Ansichtskarte zeigt ein vor schwarzem Himmel beleuchtetes gotisches Kirchen-Gebäude in Budapest, der Hauptstadt von Ungarn. Budapest liegt an der Donau, schon fast bei Wien, jedenfalls weit hinter dem Auffanglager für Bessarabiendeutsche in Semlin bei Belgrad. Es ist nicht eindeutig, ob sie sich auf einem Schiff zusammen mit Umsiedlern befanden. Denn diese NS-Schwestern waren auf dem Schiff nach Wien „auf der Heimreise“, während die Umsiedlungsaktion aus der Dobrudscha aber noch lange nicht beendet war. Andere Dobrudscha-NS-Schwestern61 gingen erst nach dem letzten Umsiedlerschiff, das am 27. November abfuhr, zwei Tage später am 29. November auf die Heimreise nach Wien. Sie waren dort noch mehrere Wochen beim Kommando beschäftigt.62 Als die sechs Dobrudscha-Schwestern ihrer Oberin die Ansichtskarte schrieben, war diese schon von Galatz aus zu ihrem nächsten Einsatz in die Bukowina abgereist.63 Da sie die Adresse in Radautz nicht kannten oder weil sie sie schon zurück in Berlin vermuteten, wählten die Schwestern die offizielle dienstliche Berliner Adresse. Das Bildmotiv zeigt die neugotische Matthiaskirche in Budapest, in der u.a. die österreichische Kaiserin Elisabeth („Sisi“) 1867 zur Königin von Ungarn gekrönt wurde. Seit 1987 zählt die mittelalterliche Krönungskirche zum Weltkulturerbe, allerdings musste sie dafür erst wieder aufgebaut werden, da sie im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war.
Q6/Brief Nr. 11
2 Seiten Handschrift auf einem linierten Blatt Datum: 17. November 1940 Von: Klara Re[...] Aus: Dorna Vatra (Bukowina) An: Sehr geehrte liebe Frau Oberin (NS-Oberschwester Dorothee Rakow, auf Heimreise aus der Bukowina)
58 Q3/Einzelblatt Nr. 5. 59 Q6/Brief Nr. 9: „[...] während vier in Constanza z.b.V. sein werden“. Z.b.V. heißt wahrscheinlich: zur besonderen Verwendung. 60 Q3/Einzelblatt Nr. 5 (namentliche Dienstaufstellung vom 2.11.1940) und Q6/Brief Nr. 9, S. 2. 61 Q3/Einzelblatt Nr. 5 (vgl. NS-Schwestern To[...], Schm[...], u.a.). 62 Q6/Brief Nr. 14 (mit Bericht). 63 Q2/Tagebuch.
Q6/Briefe
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Transkription:
Dorna Watra, 17. XI. 40 Sehr geehrte liebe Frau Oberin! Hoffentlich geht es Ihnen schon wieder besser, wie ich hörte, sind Sie nun doch ernstlich krank geworden. Ich wünsche Ihnen eine recht gute Heimreise.64 –. Und nun noch eine Bitte. Ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie sich um das Geld der Schwestern aus dem Gau Franken kümmern würden. Ein dicker Brief an Sie ist bis jetzt nicht hier angekommen, und es wäre doch furchtbar, wenn die Schwestern das Geld verlieren würden. Von Schw. Betty Bir[...] sollen es ca. 30.000 Lei sein. Frau Oberin Schnee habe das Geld an sich genommen, den Schwestern aber keine Quittung darüber gegeben und ihnen auch nicht den Namen der Frau gesagt, der sie den Brief mit [– Rückseite:] diesem Geld, an Sie adressiert nach Galatz, mitgegeben habe. Bitte seien Sie doch so gut und forschen Sie mal nach, es ist doch kein geringer Betrag, der in dem Brief war. – Wenn Sie noch können, dann geben Sie bitte dem jungen Mann das BDM-Liederbuch mit.65 Ich danke Ihnen herzlich dafür und ganz besonders werde ich es Ihnen danken, daß Sie mich an diesem Platze eingesetzt haben.66 – Recht gute Fahrt wünscht Ihnen mit herzlichen Grüßen Ihre Klara Re[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Dieser Brief aus dem Einsatzort Dorna-Vatra in der Bukowina bezieht sich auf das Problem des Gehalts-Verlustes der NS-Schwestern am Ende der Bessarabien-Umsiedlung, das NSSchwester Wally aus dem Lager Semlin schon im Oktober in einem Brief an die NS-Oberin ausführlich beschrieb.67 Inzwischen dramatisierte sich das Problem von einem 60-prozentigen Verlust zu einem Total-Verlust ihres „Kommandogeldes“. Offenbar hatte NS-Oberin Schnee im Lager Semlin das Geld, das ihr die NS-Schwestern dort ohne Nachweis anvertraut hatten, einer namenlosen Frau mitgegeben, die es der NS-Oberin Rakow zum Umtausch in der Sparkasse des Lagers Galatz bringen sollte. Das Problem verschärfte sich auch dadurch, dass zum Ende der Umsiedlungsaktion inzwischen kaum noch jemand erreichbar war. Die NS-Oberin selbst war vorzeitig aus der Bukowina abgereist, dieser Brief wurde ihr unmittelbar hinterhergeschrieben.
64 Heimreise: NS-Oberin Rakow hatte sich angeblich mit Keuchhusten angesteckt und ließ sich in einem Quarantänewagen in einem Umsiedlerzug vorzeitig nach Hause fahren, vgl. Kommentar zu Q5/P8. 65 BDM: Bund deutscher Mädel. Junger Mann: vermutlich Hans Baumann, der mit den NS-Schwestern sang. 66 Eingesetzt: ein Hinweis auf die Aufgabe der NS-Oberin Rakow, NS-Schwestern für Aufgaben auszuwählen und zuzuteilen. 67 Q6/Brief Nr. 8 vom 27.10.1940.
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Q6/Brief Nr. 12
2 handschriftliche Briefe auf einem Blatt (Vorder- und Rückseite) Datum: 19. November 1940 Von: a.) Vorderseite: Anni Ho[...], Susanne Wisch[...], Margarethe Ba[...] b.) Rückseite: Schw. Charlotte Con[...] Aus: Radautz (Bukowina) An: a.) Liebe Frau Oberin / b.) Sehr geehrte Frau Oberin! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow, auf Heimreise, über Berlin) a.) Transkription Vorderseite: Radautz, den 19.11.40 Liebe Frau Oberin, 3 Tage sind Sie nun schon aus unserer Mitte. Hoffentlich sind Sie gut im Reich gelandet. Was macht der Husten? Waren Sie schon beim Arzt? Die Heimreise führt Sie über Berlin, dann gibt es hoffentlich eine kleine Plauderstunde, wo man gemeinsamerlebtes nochmals auffrischen kann, dazu all das Neue was noch kommen kann. Schw. Charlotte 68 schreibt ja einen ausführlichen Bericht über den Gang der Dinge. Sonst geht es uns allen gut, die 1. Päckchen in die Heimat werden gepackt. Auf ein gesundes frohes Wiedersehen freut sich Ihre Anni Ho[...] [Zusatz 1:] und Susanne Wisch[...] [Zusatz 2:] Margarethe Ba[...] b.) Transkription Rückseite: Sehr geehrte Frau Oberin! Den ausführlichen Bericht, von dem Schw. Anni 69 schon schreibt, habe ich in Tagebuchform wohl angefangen. Heute will ich ihnen nur einen Gruß senden und von unserer Arbeit im Allgemeinen berichten, daß wir sie in Ihrem Sinne und nach Ihrem Plan weiterführen, bis auf die Änderungen, die plötzlich kommen, z.B. von der Bahn aus. Der Zug von Burdujani 70, der heute fahren sollte, fährt erst am nächsten Sonnabend, der Zug ab Dornesti 71 soll von einer ganz kleinen Station folgen, die mit dem Auto nicht zu erreichen ist, das leistet sich die rum. Reichsbahn, aber wir finden uns doch durch. 68 Charlotte: Charlotte Co[...], vgl. Bericht auf der Rückseite dieses Blattes, die Nachfolge der abgereisten Oberin. 69 Anni: Vgl. Anni Ho[...], Vorderseite dieses Briefes. 70 Burdujani: Vgl. Q5/Fotos N4, N5 („Botojani“ als Bildnotiz für einen Ort in der Bukowina mit Kriegerdenkmal und Holzhäusern. 71 Dornesti: Bahnstation östlich von Radautz, die die Oberin auf ihrer Zugreise in die Bukowina durchfahren hatte (Q3/Einzelblatt 6a, 6c).
Q6/Briefe
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Frl. v. W. 72 hat den Ton mir gegenüber nicht geändert, worüber ich mich freue, sodaß unsere Verhandlungen auf der alten [seitlich weiter:] Basis weiter stattfinden. Ich wünsche Ihnen baldige Erholung von den Strapazen der Reise und grüße Sie mit Heil Hitler Schw. Charlotte Con[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Drei NS-Schwestern Anni, Susanne und Margarethe73 schreiben am 19. November 1940 aus ihrem Einsatzort Radautz/Bukowina an ihre vor drei Tagen abgereiste Oberin. Diese war also schon am 16. November 1940 vorzeitig aus der Bukowina zurück nach Deutschland abgefahren.74 Ein Arzt hatte die NS-Oberin für die gesamte Rückreise in einem Abteil eines Umsiedlerzuges in Quarantäne eingeschlossen.75 Offiziell hatte ihre Abreise mit einer Keuchhusten-Ansteckung zu tun.76 Darauf beziehen sich die Fragen der NS-Schwestern auf der Vorderseite des Briefes: „Was macht der Husten? Waren Sie schon beim Arzt?“. In Radautz war der Sitz des Gebietsstabs der Bukowina-Umsiedlung,77 in dem NS-Oberin Rakow mit einigen NS-Schwestern nach der Bessabien-Umsiedlung als Führerin im „Fronteinsatz“ eingesetzt war. Am 6. November begann sie in Radautz den Stenografie-Teil auf der ersten Seite ihres Tagebuches.78 Möglicherweise schrieb sie während der längeren Heimreise in Quarantäne im Zug ab dem 16. November den Rest des Manuskriptes.79 NS-Schwester Charlotte Con. wurde nun zur Vertreterin der leitenden NS-Oberin Rakow. Sie schrieb ihr auf der Rückseite einen eigenen Brief und kündigte ihren Bericht auch in „Tagebuchform“ an. Sie versicherte der Oberin, sie werde die Arbeit „in Ihrem Sinne und nach Ihrem Plan weiterführen, bis auf die Änderungen, die plötzlich kommen, z.B. von der Bahn aus.“ Offenbar bestimmte die Rumänische Reichsbahn die Abfahrtbahnhöfe, die die NS-Schwestern „mit dem Auto“ nicht immer erreichen konnten. Mit Fräulein von Witzleben, Gaureferentin für „Mutter und Kind“ des Gaues Berlin, die vorher im Lager Galatz und auf den Schiffen die Ausstattung der Säuglingsküchen besorgt hatte,80 führte die neue Führerin Charlotte Con. auch in der Bukowina „Verhandlungen auf der alten Basis“.
72 73 74 75 76
77 78 79 80
Frl.v.W.: Fräulein von Witzleben, Gaureferentin für Mutter und Kind des Gaues Berlin. Vgl. Q3/Einzelblatt 4 (Adressnotizen zu Anni Ho., Susanne Wisch, Margarethe Ba.). Vgl. Q6/Brief Nr. 11. Arzt: Die NS-Oberin wurde im Zug von einem DRK-Arzt betreut (Q1/Lebensbericht Bl. 35). Husten: NS-Oberin Rakow hatte sich nach eigenen Angaben in Bessarabien beim Aufschütteln der Strohsäcke mit Keuchhusten angesteckt. Als sie nach einigen Tagen im Quarantänewagen in Deutschland ankam, war der Keuchhusten plötzlich verschwunden. (Q1/Lebensbericht 1989, Bl. 35). – Spekulativ könnte die Krankheit vorgeschoben worden sein, um sich dem weiteren Bukowina-Einsatz zu entziehen. Dabei könnte der Arzt mit einer Diagnose behilflich gewesen sein. Vgl. Kap. II.C.Spur 16. Q3/Einzelblatt 7. Q2/Tagebuch/Teil A, S. A1 (Datierung und Ort auf der ersten Seite). Q2Tagebuch/Teil C. Q6/Brief 3.
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Q6/Brief Nr. 13
2 Seiten Handschrift auf einem linierten Blatt (Vorder- und Rückseite) Datum: 16. Dezember 1940 Von: Schwester Cora Spr[...] Aus: Grenzuk Kr. Glatz (Schlesien) An: Liebe Schwester Dorothea (NS-Oberschwester Dorothee Rakow) Transkription:
Grenzuk Kr. Glatz16. 12.40 Liebe Schwester Dorothea: – Am Sonnabend, den 14. 12. bin ich von der Buchenlandaktion in meinem Heimatdorf gelandet. Ich bin so voller Erlebnisse und wurde soviel gefragt, daß ich mich vorderhand gar nicht sammeln kann. Mein letzter Transport mit Schw. Hilde 81 u. Lissi begann in Kimpolung 82 u. endete in Saulgau–Württemberg. Der Abschied von Kimpolung war ganz groß – der Zug aufs Schönste mit Tannen u. Fahnen geschmückt. Die Umsiedler in bester Hoffnung und froher Erwartung auf Deutschland – und auf dem Bahnsteig dicht gedrängte Menschen – fast alle Rumänen, die mit nassen Augen Abschied nahmen. Sie sahen die Größe ihrer Schuld zu spät ein. Reichlich müde – aber trutz gesund – bin ich in die Heimat gekommen und habe anschließend erst Erholungstage bewilligt bekommen, die ich mit meiner Schwester zusammen in meiner Heimatstadt verleben will. In Dorna Watra 83 traf ich mit Else Pa[...]84 zusammen wir waren 1 1/2 Tag fast immer beieinander u. haben auch von Ihnen gesprochen. Sie verriet mir, daß Sie am 20. d. Mts. Geburtstag haben. Nehmen Sie zu diesem Tag meiner allerherzl. Glückwünsche entgegen u. verleben Sie ihn in allerbester Ge-[S. 2:]sundheit. Wie ich hörte, waren Sie bei Ihrer Abreise gar nicht auf der Höhe! Hoffentlich konnten Sie sich inzwischen etwas erholen trotz der vielen Arbeit, die Sie voraussichtlich erwartete. Und dann wünsche ich Ihnen anschließend ein frohes Weihnachtsfest und ein gesundes, frohes „Neue Jahr“ Mit vielen Grüßen bin ich Ihre Schwester Cora Spr[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Nach Abschluss der Umsiedlungsaktion ist dies ein kurzer Bericht vom letzten Umsiedlerzug aus der Bukowina, den die NS-Schwestern Cora, Hilde und Lissi begleiteten. Der feierlich 81 Hilde: andere mögliche Lesart wäre auch Gilda. 82 Kimpolung: „Ortsbereich“ der Bukowina-Umsiedlung an der Bahnlinie zwischen dem Gebietsstab Gurahumora und dem kurz vor der westlichen ungarischen Grenze liegenden Dorna Watra (vgl. Q3/Einzelblatt 7). – Wie nach der Umsiedlung aus Kimpolung (Campulung/Moldau) die leeren Häuser der „Volksdeutschen“ vergeben wurden vgl. Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 84. 83 Dorna Watra: westlichster Ortsbereich und Bahnhaltepunkt in der Südbukowina vor der ungarischen Grenze. 84 Else Pa. (vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 4). Vermutlich begleitete Else Pa. einen anderen Eisenbahntransport aus der Bukowina, oder sie war im Umsiedlungs-Ortsbereich Dorna Watra selbst eingesetzt. Es ist nicht klar, ob sie eine NS-Schwester war. Da ihr der Geburtstag der NS-Oberin Rakow bekannt war, wird sie ihr persönlich oder in der Hierarchie näher gestanden haben als NS-Schwester Cora Spr.
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geschmückte Umsiedlerzug fuhr aus Kimpolung (Gebietsstab Gurahumora) über Dorna Watra bis zur Endstation in Saulgau in Württemberg. Vermutlich war in Saulgau oder in der Nähe ein Umsiedlungslager der Volksdeutschen Mittelstelle, in dem die Umsiedler aus der Bukowina auf ihre weitere Ansiedlung warteten. Die Umsiedler der Gemeinde Kimpolung waren bestimmt zur Ansiedlung in Oberschlesien.85 Vielleicht war NS-Schwester Cora, die diesen Brief am 16. Dezember aus „Grenzuk, Kr. Glatz“ in Schlesien schrieb, dort in ihrer Heimat oder in „Tscherburg, Kr. Glatz“ als NS-Gemeindeschwester oder bei der weiteren Umsiedlerbetreuung in Schlesien eingesetzt.86 NS-Schwester Cora berichtete, dass Rumänen beim Abschiednehmen „mit nassen Augen“ auf dem Bahnsteig von Kimpolung standen, sie „sahen die Größe ihrer Schuld zu spät ein“. Es ist schwer auszumachen, von welcher Art Schuld hier die Rede ist. Möglicherweise bezog sie sich auf die sog. „Rumänisierung“ der deutschen Minderheit seit den 1920er Jahren. Oder es ging um „volksdeutsche“ Umsiedler, die in dieser Zeit Rumänen geheiratet hatten und deshalb nun von der Umsiedlung ausgeschlossen waren.87 Denn in den Ortsbezirken der Bukowina blieben oft „alte Leute und Pensionäre“ zurück, und etliche Registrierte traten von den Umsiedlungslisten zurück: „Personen, die mit Rumänen versippt sind und folglich sich sehr gebunden fühlen“ sowie „Mischehen“.88 – Vielleicht illustriert Q5/Foto P7 diese Situation der Zurückbleibenden auf dem Bahnsteig von Kimpolung.
Q6/Brief Nr. 14 1 Seite Typoskript
Datum: 7. Januar 1941 Von: Ihre NS-Schw. Fanny To[...] (NS-Schwester Franziska To.) Aus: Aubing An: Sehr geehrte, liebe Frau Oberin! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow) Transkription:
Aubing, den 7.Jan.41 Sehr geehrte, liebe Frau Oberin! Habe soeben ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich Ihnen immer noch nicht über unsere Arbeit in der Dobrudscha berichtet habe. Wie uns Frau Oberin ja einteilte, war ich mit Schw. Käthe Schm[...] in der Do.6 tätig. Am 2. Nov. gegen Abend kamen wir in Konstanza an. In den darauf folgenden Tagen hatten wir in den Dörfern Mangalia, Mangeapunar und Techirighol in einem Umkreis von 45 km südlich von Konstantza am schwarzen Meer zu tun. Wir besuchten dort sämtliche deutsche Familien die umgesiedelt werden sollten, um die Anzahl der Kranken und Kinder festzustellen und um 85 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 173. 86 Kreis Glatz: Glatz lag in Schlesien. NS-Oberin Rakow notierte als Adresse von Cora Spr. „Tscherburg, Kr. Glatz“ (Q3/Einzelblatt 4). 87 Q2/Tagebuch, Teil A (stenografierter Teil). 88 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 106.
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eine Liste über Säuglingssterblichkeit aufzunehmen. Es herrschte grosse Not und Armut unter der Landbevölkerung. Unsere Volksdeutschen wohnten hier unter einem wahren Völkergemisch von Rumänen, Bulgaren, Türken, Griechen, Armeniern, Juden und Zigeunern. Das Landschaftsbild hatte einen für uns sehr ungewohnten Charakter. Man sah nur vereinzelt Akazienbäume und sonst sah die Gegend in dieser Jahreszeit ziemlich öde aus. Das einzige schöne in der Natur, war der Blick auf das schwarze Meer, welches wunderbar blau erschien bei dem herrlichen Wetter das wir meist hatten. Die letzten Wochen führten uns dann wieder nach Konstantza und wir haben beim Kommando bei der Registrierung mitgeholfen. Auch im Gesundheitsdienst wie (Entlausung u. Kleiderbeschaffung für die ganz Armen) gab es noch manches zu tun. Ferner waren wir dann auch noch für den Verpflegungsdienst an Säuglingen= u. Kleinkindern am Bahnhof zuständig, da fortlaufend Transporte nach Scerna-Voda zum Schiff durchgingen. Wie Ihnen wohl schon bekannt wurde, ist Schwester Käthe Schm[...] leider während unseres Einsatzes an Gelbsucht erkrankt, was ich sehr bedauert habe, denn wir haben uns in unserer Arbeit sehr gut verstanden. Trotzdem war ich dann noch sehr froh, dass sich hier Gesundheitszustand soweit verbesserte, dass sie mit uns Schwestern gemeinsam am 29. Nov. auf dem „Schiff Erzsebet Kiralyne“ (Ungarisch) die Heimreise Antreten konnte. Am 7. Dez. kamen wir erst in Wien an. Nun stecke ich wieder voll und ganz schon längst in meiner Gemeindearbeit die sich sehr angehäuft hat und bitte daher Frau Oberin das lange ausbleiben meines Berichtes entschuldigen zu wollen. Mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches neues Jahr, grüsst Sie herzlich mit Heil Hitler [Handschriftlich:] Ihre N.S.Schw. ‚Fanny‘ To[...] Zusammenfassung und Anmerkungen: NS-Schwester Franziska To., eine NS-Gemeindeschwester in Aubing, dem westlichsten Stadtteil Münchens, war eine der „Dobrudscha-Schwestern“ gewesen.89 „Mit ganz schlechtem Gewissen“ schickte sie erst Wochen später im Januar einen kurzen Bericht an ihre NSOberin. Diese hatte sie nach der Bessarabien-Umsiedlung ab dem 2. November 1940 für die Dobrudscha eingeteilt. An oberster Stelle und besonders hervorgehoben von 15 ausgewählten NS-Schwestern für das Umsiedlungskommando in Konstanza standen NSSchwester Franziska To. und die im Brief mit Gelbsucht erwähnte NS-Schwester Käthe Schm. auf der Liste.90 Offenbar waren beide in leitenden Positionen bei der Dobrudscha-Umsiedlung.91 Dem etwas lieblosen und unterwürfigen Bericht von NS-Schwester „Fanny“ verdanken wir einige Daten zum Dobrudscha-Einsatz: Der Einsatz in der Dobrudscha begann für die 15 NS-Schwestern am 2. November.92 In den ersten Tagen reisten die NS-Schwestern aus ihren fünf verschiedenen Einsatzorten93 in 89 Q6/Brief Nr. 11. 90 Q3/Einzelblatt 5. 91 Vgl. Q3/Einzelblatt 5a: „Die Franziska ist der Drache von dem NS-Schwesternheim“ – Es ist allerdings auch die Zuordnung einer anderen „Schwester Franziska“ möglich, vgl. Namensindex. 92 Q3/Einzelblatt 5.a. 93 Q3/Einzelblatt 5.a.
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die umliegenden Dörfer – offenbar zu statistischen Zwecken bzw. um Listen von kranken Umsiedlern aufzustellen: „Wir besuchten dort sämtliche deutsche Familien die umgesiedelt werden sollten, um die Anzahl der Kranken und Kinder festzustellen und um eine Liste über Säuglingssterblichkeit aufzunehmen.“
Schon nach wenigen Tagen fuhren einige Dobrudscha-Schwestern mit den Umsiedlerschiffen auf „Heimreise“.94 NS-Schwester Franziska und weitere blieben dagegen noch mehrere Wochen im „Kommando“ in Konstanza „bei der Registrierung“ und „im Gesundheitsdienst [...] (Entlausung u. Kleiderbeschaffung für die ganz Armen)“. Dabei steckte sich ihre Kollegin NS-Schwester Käthe mit Gelbsucht an. Für Konstanza waren vier Schwestern „z.b.V.“ eingeteilt worden95 Dieses Kürzel könnte stehen für: „zur besonderen Verwendung“. Erst am 29. November fuhren Franziska To. und Käthe Schm. zusammen mit anderen Schwestern auf dem ungarischen Schiff „Erzsebet Kyralyne“ auf der Donau Richtung Wien, von wo das gesamte Umsiedlungskommando gestartet war. Erst nach zehn Tagen Reise kamen sie am 7. Dezember 1940 in Wien an. NS-Schwester Franziska konnte weder der „öden“ Landschaft noch dem „Völkergemisch“ in der Dobrudscha etwas abgewinnen: „Es herrschte große Not und Armut unter der Landbevölkerung. Unsere Volksdeutschen wohnten hier unter einem wahren Völkergemisch von Rumänen, Bulgaren, Türken, Griechen, Armeniern, Juden und Zigeunern.“
Q6/Brief Nr. 15 6 Seiten Handschrift
Datum: 26. Januar 1941 [mit handschriftlichem Datum am Ende des Briefes:] 5.3.43 Von: Ihre Lotte Con[...] (NS-Gemeindeschwester Charlotte Con[...]) Aus: Weinhübel An: Sehr geehrte Oberschwester Dorothee (NS-Oberin Dorothee Rakow) Transkription:
Weinhübel, den 26. I. 41 Sehr geehrte Oberschwester Dorothee! Heute erst beantworte ich Ihren Brief vom 3.I., da ich mir umgehend überlegen wollte, was ich Ihnen zu Ihrem Vorschlag, mich nach Berlin zu versetzen, antworte. Zum anderen hat mich meine Gemeinde mit viel Freude und Arbeit empfangen, daß ich mir erst heute den 1. ruhigen Nachmittag sichern konnte.
94 Vgl. Q6/Brief 11 (Postkarte der „Dobrudschaschwestern“ vom 5.11.1940). 95 Q6/Brief Nr. 9, S. 2.
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Abgesehen von dem Entscheid von Frau Generaloberin,96 der immer noch anders ausfallen kann oder nicht, möchte ich Sie doch bitten, mich vorläufig noch in der Gemeindearbeit zu lassen. Ich bin im Juni v.J. erst nach Görlitz gekommen, im September dann zur Umsiedlung, sodaß ich hier eigentlich ja erst angefangen habe zu arbeiten. Es ist hier so viel aufzubauen, und ich stoße immer wieder [S. 2:] auf Schwierigkeiten bei der Kreisamtsleitung, die zum Teil ja durch die Kriegseinschränkungen bedingt sind, aber mich doch so packen, daß ich sie doch noch überwinden möchte. Ich möchte auch hier den Aufbau nach dem Krieg mit erleben und mit dran schaffen können, der auch mir von allen Seiten versprochen wird. Wir haben hier noch nicht eine von den 16 Gemeindepflegestationen, die räumlich so ist, wie ich sie mir denke. Und der Kreisamtsleiter kennt noch nicht die Stationen, das halten Sie sicher noch nicht für möglich. Trotz hauptamtlicher Tätigkeit und trotz Dienstauto mit Fahrer hat er in den wohl 3 Jahren, die er schon Kreisamtsleiter ist, noch keine „Zeit“ gehabt, die Stationen sich wenigstens anzusehen. Sie sind z.T. unwürdig, eine in einer eklig dreckigen Wirtschaft, eine in einem halb verwahrlosten Haus untergebracht. Andere sind wieder so unbequem ge[S. 3:]legen, wie meine im 2. Stock des Schulhauses, sodaß kaum Leute zu uns finden. Nun habe ich den Kreisamtsleiter schon so weit gebracht, daß er scheinbar Interesse für unsere Arbeit und auch schon ein bißchen für unsere Person aufbringt, dadurch daß ich ihm viel erzähle von uns und ihn auch noch um Rat frage, wenn ich es auch nicht nötig hätte, sodaß ich nun mitten in einer Arbeit stehe, deren Ziel ich doch annähernd erreichen möchte. Und die Gemeindarbeit selbst, die ich mir so gewünscht habe, ich kann sie eigentlich noch nicht aufgeben. Ich habe es jetzt nach meinem Wiederkommen wieder so recht gemerkt, wie schön es ist, so am Menschen arbeiten zu können. Das sind die Gründe, die mich bewegen, Sie zu bitten, mich in der Arbeit zu lassen, zumal ich nach Ihrem Brief annehme, daß ich auch meine [S. 4:] Meinung dazu äußern darf. Gestern hatte ich einen Brief von Schw. Cora,97 die auch ihre Sonderausrüstung 98 mit vollem Namen abgegeben hat, in der Hoffnung, sie wieder mal anziehen zu dürfen. Sie schreibt, wie gerne gingen wir wieder raus auch mit weniger Tagegeld. Es wäre auch manchmal ganz gut für viele gewesen, trotzdem mir der Sondereinsatz zu manchem verholfen hat, woran ich viel Freude habe und was ich mir nie hätte leisten können. Heute bekam ich eine Einladung der Frauenschaft zu einer Arbeitsgemeinschaft über Rassenpolitik für mich oder eine Vertretung. Ich habe schon einmal eine sehr feine Vortragsreise in Hamburg gehört und würde sie gern an eine andere Schwester abgeben, nur sind die Verbindungen nach hier schlecht, und ich weiß auch noch nicht, ob es klug ist, nicht lieber selbst zu gehen, weil man besser in Verbindung mit [S. 5:] der Kreisfrauenschaftsleitung kommt. Sollte sich Hanna Zi[...] doch noch erholen können, da sie nach Wien transportiert werden kann. Ich würde mich sehr freuen. Dadurch, daß sie eine Mitschwester um sich haben darf, hat sie ja auch seelisch die besten Voraussetzungen dazu. Nun will ich Ihnen schreiben, was ich für das Päckchen ausgelegt habe. Ich freue mich, daß es gut angekommen ist.
96 Käthe Böttger, Generaloberin der NS-Schwesternschaft, Vorgesetzte von Dorothee Rakow im Reichshauptamt der NSV. 97 Cora Spr: NS-Schwester aus Schlesien, Einsatz in der Bukowina. 98 Sonderausrüstung: wurde in Wien verteilt. Q2/Tagebuch; Q5/Fotos Serie C.
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Tee Lei 300,gek. Zimt 10,Zimtrinde 40,Pfeffer 75,Konfekt 450,- [in Bleistift daneben:] 875,So, das ist alles, der Tee war das Beste und schmeckte und schmeckte uns so gut, daher legte ich ihn zu, auch ohne Bestellung. Zum 30 Jan. bekam ich Schulungsmaterial vom Gau. Darin ist auch das Beßarabienlied von Hans Baumann [S. 6:] Wie gern würde ich es allen mitteilen, aber es ist hier nicht leicht. Die Frauenschaftsleitung in meinen Ortsgruppen ist noch zu eitel, um mich auch mal anzuhören, und die Schwestern kann ich nicht zusammenholen. Sie haben alle jetzt reichlich zu tun, und ich denke, am 30. Jan.99 gehört die Schwester in die Feier ihrer Gemeinde. Ich grüße Sie herzlich und danke nochmals für Ihren Brief. Wir alle gehen ja nun mit jedem Tag mehr Sieg und Frieden entgegen. Wie möchte man doch mit voller Kraft dazu helfen. Heil Hitler Ihre Lotte Con[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: NS-Schwester Lotte, inzwischen wieder NS-Gemeindeschwester in Weinhübel oder Görlitz, war ab dem 16. November 1940 in Radautz die Führerin der NS-Schwesternschaft bei der Bukowina-Umsiedlung geworden, nachdem Oberin Dorothee Rakow vorzeitig heimgefahren war.100 Nun sollte die NS-Schwester für die Vertretung belohnt werden: Rakow schlug ihr am 3. Januar1941 in einem Brief vor, sie nach Berlin ins Reichshauptamt der NSV zu holen. Doch Lotte Co. lehnte diese Karriere ab; sie wollte lieber Gemeindeschwester bleiben. In diesem sechsseitigen Brief dreht und windet sie sich, um der Beförderung zu entkommen und hofft, dass sie auch ihre „Meinung dazu äußern darf“ (S. 4). Normalerweise waren Anforderungen aus Berlin wohl wie zwingende Einberufungen, sie scheint die Entscheidung der Generaloberin zu fürchten (S. 1). – NS-Oberin Rakow war auch als Gemeindeschwester gegen ihren Wunsch von Generaloberin Käthe Böttger nach Berlin berufen worden.101 Lotte Co. Versuchte, ihre NS-Oberin davon zu überzeugen, dass sie an politischer Arbeit weiter genug zu tun habe, es packe sie der Ehrgeiz, damit die NS-Schwesternschaft vor Ort ernst genommen werde. Hier gäbe es Probleme mit der örtlichen „eitlen“ Frauenschaftsleitung und mit einem Kreisamtsleiter zu lösen. Allein wegen der strategischen Kontaktpflege zur NS-Frauenschaft würde sie es auf sich nehmen, der Einladung der örtlichen NS-Frauenschaft zu einer „Arbeitsgemeinschaft über Rassenpolitik“ (S. 4) zu folgen, auch wenn sie deren „feine Vortragsreihe“ zu diesem Thema, die sie in Hamburg anhörte, abfällig beurteilte. Als NS-Gemeindeschwester, die auch für Feiergestaltung zuständig ist, bekam Lotte Co. „Schulungsmaterial vom Gau“ zur Feiergestaltung des „30. Januar“, an dem vermutlich die achtjährige Machtübernahme der NSDAP gefeiert werden sollte. Das Material habe
199 30. Jan.: Am 30. Januar 1941 wurde vermutlich das achtjährige Jahresjubiläum zur Machtübernahme der NSDAP seit 1933 gefeiert. 100 Q6/Brief Nr. 12. 101 Vgl. Kap. II.A.3, Karriereweg einer NS-Schwester.
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auch das „Beßarabienlied von Hans Baumann“102 enthalten (S. 6). NS-Schwester Lotte war sich sicher, dass die Frauenschaftsleiterin in ihrer Gemeinde das Lied nicht von ihr hören wolle, und die anderen NS-Schwestern hätten zu viel zu tun, als dass sie sie zum Singen des Bessarabienliedes zusammenholen könnte. So zeigte sie sich hier als nicht besonders politisch engagiert. Andererseits: Das „Tagegeld“, das NS-Schwester Lotte in ihrem „Sondereinsatz“ bei der Umsiedlung bekommen hatte – zumal als Vertreterin der Führerin der NSSchwestern –, war so hoch, dass sie sich nun kaufen konnte, was sie sich sonst „nie hätte leisten können.“ (S. 4). Aber auch darin bringt sie einen Klassenunterschied zum Ausdruck, der sie von einer höheren Position in Berlin distanzierte. Die Erwähnung der Geschichte einer erkrankten NS-Schwester Hanna gibt der Interpretation Rätsel auf (S. 5): „Sollte sich Hanna Zik[...] doch noch erholen können, da sie nach Wien transportiert werden kann. Ich würde mich sehr freuen. Dadurch, daß sie eine Mitschwester um sich haben darf, hat sie ja auch seelisch die besten Voraussetzungen dazu.“ – Wozu?
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7 handschriftliche Seiten: 2 Seiten Brief mit Beilage, 5 Seiten Bericht Datum: 5. März 1941 Von: Ihre Schwester Cora Spr[...]. Aus: Grenzeck (Grenzeck, Kreis Glatz, Niederschlesien) An: Liebe Schwester Dorothee (NS-Oberschwester Dorothee Rakow) Beilage: Bericht: Umsiedlungsarbeit in Karlsberg, Südbuchenland Transkriptionen: a. Brief
Grenzeck, 5.3.41 Liebe Schwester Dorothee: – Mit ihren Feriengrüßen aus dem Altvatergebirge habe ich mich sehr gefreut – herzlichen Dank – und Ihnen gewünscht, daß Sie dort recht geruhsame und frohe Ferientage erleben können. Nach all den Wochen der Unbeständigkeit, und Sie fühlten sich auch noch krank – muß man schon solche Ruhetage haben. Inzwischen haben Sie sicher Ihre Arbeit in Berlin wieder aufgenommen. Ich bin nun Ihrem Wunsch nachgekommen und habe rückschauend einen kurzen Bericht über die Tätigkeit in Karlsberg gegeben, einige Erlebnisse und die Landschaft mit eingeschlossen. Schwester Hilde und ich sind sehr gern dort gewesen und waren Ihnen dankbar, daß Sie uns gerade nach Karlsberg steckten. Ich nehme an, daß die Niederschrift zu einiger Zufriedenheit ausfallen wird. Es sind noch nie von mir dergleichen Berichte verlangt worden. Ich schrieb es aber gern – das starke Erleben ist noch einmal da. Weiter stand mir keine Schreibmaschine zur Verfügung, und ob die 102 Beßarabienlied von Hans Baumann: Vgl. Q3/Einzelblatt 12. Baumann, Mitglied des deutschen Umsiedlungskommandos in Bessarabien, hatte das Lied gegen Ende der Umsiedlungsaktion gedichtet.
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Daten so ganz genau stimmen will ich nicht behaupten. Das Wichtigste vergißt man zu notieren. Wir sehen hier in der Gegend recht viel [S. 2:] Buchenländer aus der Nordbukowina, mit einigen sprach ich, die sehr genau Karlsberg mit ihren Einwohnern kennen. Sie sind in unserm Glatzer Land auch sehr gern.103 Vielleicht führt Sie eine Dienstreise auch mal nach Schlesien – dann vergessen Sie mich nicht. Unsere früheres Tscherbeney 104 ist übrigens in „Grenzeck“ umbenannt.105 Meine Gemeindearbeit bringt mir nichts neues und erschütterndes; alles Kleinkram des Lebens. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir das Urteil des Berichtes schreiben würden. Bis auf ein briefliches Wiedersehen grüße sie herzlichst mit Heil Hitler Ihre Schwester Cora Spr[...]. b. Brief-Beilage: Bericht Umsiedlungsarbeit in Karlsberg, Südbuchenland. Von Semlin gelangten wir am 16. Nov.106 über Bukarest nach Radautz zum Sammelplatz unserer Schwesternschaft und wurden von hier aus zur Arbeit eingesetzt, um auf den einzelnen Dörfern für das leibliche und seelische Wohl der Umsiedler zu sorgen. Zu zweit kamen wir nach Karlsberg, 30 km von Radautz entfernt. Der Gauamtsleiter brachte uns in den Abendstunden [später mit anderer Tinte einfgefügt: des 28. Nov.] mit dem Auto dorthin und lud uns mit unserem Gepäck vor dem „deutschen Haus“ ab. Wir mußten nun auf eigenen Füßen stehen. Mit Hilfe eines Ortsangehörigen, der zum Stabe des Umsiedlungsorganisation gehörte fanden wir Quartier bei jungen Lehrersleuten, die aber bereits nach einigen Tagen die Reise ins Reich antraten. Unser Gepäck wurde sicher verstaut, denn in Rumänien ist nicht alles diebessicher, und lichtscheues Gesindel trieb sich trotz Gendarmeriebewachung viel umher. Nach einer etwas schlecht auf dem Strohsack verbrachten Nacht, gingen wir gleich in den frühesten Morgenstunden an die Arbeit. Das Dorf machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Es war eine rein deutsche Siedlung mit 1800 Einwohnern. Die Häuser, meist Holz- oder Fachwerkbauten, waren sauber gehalten. Die Vorgärten gepflegt; es blühten noch die Winterastern. [S. 2:] Die Zäune, wenn auch manchmal recht morsch, hatte man gut ausgebessert. Was uns besonders anheimelte, waren die vielen Hakenkreuzfahnen, nicht ein einziges Haus hatte sie vergessen. Weit ab von Deutschland kamen wir in ein Land und hörten unsere deutsche Sprache, sahen deutsche Sitten und Gebräuche, die sich die Menschen trotz schwerster Unterdrückung nicht hatten nehmen lassen. Drei Tage sind wir dorfauf dorfrunter, bergauf bergab gegangen, sprachen zu den Umsiedlern von unserer Arbeit , wie wir ihnen helfen wollten und fanden überall offene Türen und ein geneigtes Ohr. Die Leute wussten schon etwas von einer immer hilfsbereiten N.S.V.107 – aber von einer N.S. Schwester in der Gemeindearbeit wussten sie gar nichts. Wie schnell hatten wir das Vertrauen der Leute erworben! Nach diesen drei Tagen gehörten wir zum Dorf. Viel Not und Elend gab es durch 103 Nach der Umsiedlung in den Umsiedlungslagern der Volksdeutschen Mittelstelle. 104 Tscherbeney: Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 4 (Adressliste). 105 Grenzeck: Der niederschlesische Ort Tscherbeney, 1525–1937 auch Deutsch Tscherbeney, wurde von 1937–1945 umbenannt in Grenzeck/Czermna, tschechisch: Německá Čermná. In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Czermna (Abruf 3.4.2020). Die „Germanisierung“ des tschechischen Ortsnamens erfolgte 1937 vermutlich schon im Rahmen der Besetzung des „Sudetengaues“. 106 16.11.: dieses Datum ist ggf. fraglich, vgl. Zusammenfassung und Anmerkungen. 107 NSV: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt.
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Arbeitslosigkeit, besonders in den kinderreichen Familien. In einer fünfköpfigen Familie war der Vater an Lungentuberkulose gestorben, und das Jüngste kränkelte dauernd. Keine Behörde unterstützte diese Familie. Mühsam erarbeitete die Mutter den Familienunterhalt. Nur das W.H.W. des „deutschen Kulturbundes“ sorgte in solchen Fällen für irgendwelche Zuwendungen. Mit einem Auto holten wir uns [S. 3:] Kleidungsstücke und Schuhwerk von der N.S.V.-Dienststelle Radautz heran. In acht Tagen fuhren wir dreimal. Ein Lastauto brachte uns reichlich Lebensmittel zur Verteilung, und der Gauamtsleiter bewilligte die Ausgabe von Frischfleisch. Drei Schweine wurden geschlachtet; die Umsiedler bekamen dadurch auch gleich etwas Geld in die Hände. Mit Hilfe eines dortigen Fleischergesellen zerlegten und verteilten wir die Borstentiere. Beim letzten Schwein mußten wir diese Arbeit schon selbst verrichten, da unser Fleischer bereits ausgesiedelt war. So brauchten die Umsiedler wenigstens in den letzten Tagen keine weiten Wege zu machen. In Karlsberg gab es nichts mehr einzukaufen. In der Kleiderkammer herrschte reger Betrieb. Da wurden Frauen- und Mädchenkleider, Säuglingswäsche, Strümpfe, Männerjoppen und Kabenjacken sowie Schuhe in allen Größen ausgegeben. Es war immer schon Nacht, wenn wir die Kleiderkammer schlossen. Wir mußten fast immer bei Kerzenschein arbeiten, da Petroleum nirgends aufzutreiben war. Daneben hatten wir noch ein kleines Spital zu versorgen; ältere, kränkliche Leute und einige werdende Mütter. Es waren 20 Personen; sie sollten mit dem Lazarettzug nach Deutschland kommen. Aus Latten ließen [S. 4:] wir Bettstellen zusammenschlagen, stopften Strohsäcke, besorgten Decken, Koch- und Essgeschirr von der N.S.V.-Dienststelle und machten so gut es eben ging, ihnen die wenigen Tage so angenehm wie möglich. Die jungen Mütter unterstützten uns beim „Strohsackaufschütteln“, Reinemachen und Kochen. Fünf Transporte aus Karlsberg gingen vom Bahnhof Putna ab. Wir begleiteten alle Umsiedler zum Zuge und freuten uns, wenn sie so nett und sauber gekleidet daherkamen. Wir versuchten ihnen die Abreise leicht zu machen, denn sie nahmen ja für immer Abschied von ihrer Geburtsstätte. Und landschaftlich schön war diese Heimat! Die Gebirgmauern der Karpathen im Hintergrund vom brausendem Gebirgswasser durchflossen lieblich ins Tal gebettet, so steht Karlsberg vor meinen Augen. Die deutschen Bewohner hatten schöne Weidekoppeln geschaffen, jeden Koppel umzäunt. Auf halber Höhe fingen dunkle Tannen- und uralte Buchenwälder an. Und trotzdem ginge diese Menschen gern in froher und gläubiger Erwartung, in Deutschland bessere Lebensbedingungen zu finden. Mit Hakenkreuzfahnen, Tannengrün und Sinnsprüchen war jeder Zug reich geschmückt. Als wir nach zehn Tagen selbst mitfuhren, standen inmitten von Tannengrün mit [S. 5:] großen Buchstaben an den Eisenbahnwagen die Worte: „Karlsberg kehrt heim!“ N.S. Schwester Cora Spr[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Cora Spr. war eine der NS-Schwestern, die bei der vorangegangenen Bessarabien-Umsiedlung im Zwischenlager Semlin (Jugoslawien) eingesetzt waren. Von dort aus traf sie angeblich am „16. Nov.“ (b. Bericht, S. 1) am „Sammelplatz der NS-Schwesternschaft“ in Radautz ein, räumte allerdings ihre unsichere Erinnerung an die Daten ein. Tatsächlich beschrieb NSOberin Rakow das Eintreffen von 150 NS-Schwestern in der Bukowina zu einem früheren Zeitpunkt.108 Der 16. November war der Tag, an dem NS-Oberin Rakow die Bukowina verlassen hatte. Bis zum 28. November arbeitete Cora Spr. vermutlich zunächst in Radautz und 108 Vgl. Q2/Tagebuch.
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anschließend „zu zweit“, und zwar mit NS-Schwester Hilde,109 30 km weiter in Karlsberg.110 Der von ihrer Oberin gewünschte Tätigkeitsbericht über die Arbeit in Karlsberg betrifft eine zeitliche Phase der Umsiedlung, in der die NS-Oberin selbst nicht mehr in der Bukowina anwesend war. Nach ihrer Abreise verblieb der im Bericht noch erwähnte Gauamtsleiter (S. 1 u. 3) aus Nürnberg und sein Auto111 offenbar weiterhin dort. NS-Schwester Cora hatte zuvor „noch nie dergleichen Berichte“ geschrieben und versuchte vor allem, die „Zufriedenheit“ der Oberin in Berlin zu erreichen, auch erhoffte sie, ihr „Urteil des Berichts“ zu erfahren (a., S. 1). Tatsächlich könnte man ihren Bericht über Karlsberg für Propagandazwecke gebrauchen, da sie alle „Schwierigkeiten“ auslässt: „Das Wichtigste vergißt man zu notieren“ (S. 1). Im Gegensatz dazu hatten andere NS-Schwestern insbesondere zur Bukowina-Umsiedlung neue „schwierige Aufgaben“ angedeutet. NS-Schwester Coras Karlsberg-Bericht zeichnet ein Bild von einer idyllischen „Heimat“-Landschaft (S. 4), dekoriert von „anheimelnden“ Hakenkreuzfahnen an jedem Haus (S. 2, S. 4), es war eine „rein deutsche Siedlung“ (S. 1), die mit dem Spruchband „Karlsberg kehrt heim!“ am Zug ohne jede Probleme ihre Heimat verlassen hätte. Andere Quellen bezeugen das Gegenteil über den Umsiedlungsort Karlsberg, der eben nicht „rein deutsch“ zusammengesetzt war. „Da heißt es aus dem Ortsbereich Karlsberg in der Südbukowina: Zurückgeblieben seien solche Personen, ‚die mit Rumänen versippt sind und folglich sich sehr gebunden fühlen‘. Immer wieder werden verwandtschaftliche Beziehungen zu Rumänen als Hauptmotiv der Zurückbleibenden genannt.“112 Nach dem einseitigen Erfolgsbericht von Cora Spr. hatten die NS-Schwestern hervorragend ihre Aufgabe erfüllt, das Vertrauen der Umsiedler zu gewinnen, indem sie für ihr leibliches und seelisches Wohl sorgten. Jede Menge Nahrung und Kleidung verteilten die NSSchwestern großzügig an die Umsiedler. Die NSV-Dienststelle Radautz belieferte dabei auch Karlsberg mit Ausstattungen, deren Herkunft nicht genannt wird. Zwei Fotos im Nachlass zeigen eine geschmückte und beflaggte „NSV-Verpflegungsstelle“, vermutlich in Radautz.113 Die NS-Schwestern kümmerten sich auch um verarmte, kinderreiche volksdeutsche Familien, die bis dahin vom „W.H.W.114 des deutschen Kulturbundes“115 (S. 2) in Rumänien unterstützt worden waren, während „keine Behörde“ (S. 2) in Rumänien diese Familien unterstützt habe. Zur selben Zeit unterstützten die NSV-Behörden und Gesundheitsämter im Deutschen Reich allerdings auch nicht alle Hilfsbedürftigen mit Kinderbeihilfen, sondern nach den NS-Rassegesetzen exklusiv nur noch „arische“ und „erbgesunde“ Familien. Im 109 Vgl. oben Q6/Brief Nr. 16, a., S. 1. 110 Radautz und Karlsberg: Vgl. Q3/Einzelblatt Nr. 7 (Karte). 111 Nürnberg: Q1/Lebensbericht, Bl. 32; Auto: Q5/Foto P5. 112 ���������������������������������������������������������������������������������������� Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 106. Vgl. zu „Mischehen“ in der Bukowina auch Hausleitner 2018, Mischmasch. 113 Vgl. Fotos Q5/O1 und Q5/P1. 114 W.H.W.: Winterhilfswerk, Unterabteilung der NSV in NS-Deutschland. 115 Deutscher Kulturbund: Ein „Schwäbisch-Deutscher Kulturbund“, als Verein zur Repräsentation der deutschen Minderheit im Königreich Jugoslawien, bestand dort von 1920 bis 1941. Da NS-Schwester Cora direkt zuvor in Semlin (Jugoslawien) eingesetzt war, verwendete sie diesen Begriff auch in der Bukowina. Vgl.: Wikipedia: Schwäbisch-Deutscher Kulturbund. URL: wikipedia.org/wiki/Schwäbisch-Deutscher_Kulturbund (Abruf 3.4.2020).
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Interesse des VDA lag insbesondere der Kinderreichtum der „Deutschen im Ausland“, um Zahl und Einfluss der deutschen Minderheiten zu erhöhen, jedoch spielten vor den im Bericht erwähnten „Zuwendungen“ an kinderreiche „volksdeutsche“ Familien wiederum Rassemusterungen eine Rolle.116 Sätze im Bericht wie „In Karlsberg gab es nichts mehr einzukaufen“ (S. 3) und über fehlendes Licht, da Petroleum „nicht aufzutreiben“ war, verschweigen die kriegsbedingten Hintergründe, die erst seit Juni 1940 eingetreten waren.117 Schließlich gibt der Bericht noch einen Hinweis auf die Umsiedlung kranker Umsiedler: Nebenbei versorgten die NS-Schwestern in Karlsberg noch „ein kleines Spital“ für 20 Personen in provisorischen Betten aus Latten und Strohsäcken. Es waren „ältere, kränkliche Leute und einige werdende Mütter, [...] sie sollten mit dem Lazarettzug nach Deutschland kommen.“ (S. 3f.).
Q6/Brief Nr. 17
2 handschriftliche Seiten auf einem Blatt Datum: 17. März 1941 Von: Ihre Schw. Marg. Ba[...] Aus: Gottesberg i Schlesien, Landeshüterstr. 1 An: Liebe Schw. Dorothee! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow, Berlin) Transkription:
Gottesberg, den 17.3.41 Liebe Schw. Dorothee! Haben Sie recht herzl. Dank für Ihren lieben Brief, es hat mich sehr erfreut, von Ihnen zu hören. Richtig ist nun, daß Sie doch endlich mal in Urlaub gingen, Sie werden es dringend nötig gehabt haben. Anschließend an die Bessarabien-Aktion nahm ich auch noch meinen Urlaub für [19]40, den ich in Tirol verbrachte, da ich ja die Berge über alles liebe. Meine Kochtöpfe in Rumänien kommen mir auch manch liebes mal in den Sinn, es hat mir viel Spaß gemacht, zumal ich ja richtig gern koche, es war schade, daß Sie nicht länger damals blieben, ich hätte Sie schon noch bischen aufgepäppelt, damit Sie nicht so elend abfahren mußten. Für Ihr Schwesternheim haben Sie mich also schon gewünscht, na ja, Heimweh wäre ja das wenigste, ich war doch auch öfter schon in Berlin tätig, nur bin ich natürlich sehr gern in meiner Gemeinde. Augenblicklich habe ich ja so ein [S. 2:] bissel Reisefieber, die Kolonien spuken mir im Kopf herum, wissen Sie ob für uns118 da Aussichten bestehen, u. ob man sich bewerben kann? Im 116 Vgl. Georgescu, Vortrag in Oxford 2011, Transylvanian Saxons Eugenics. 117 nichts mehr einzukaufen: Diese Phase in den Monaten nach der russischen Besetzung Bessarabiens 1940 beschreibt ein historischer Roman. Vgl. Mitrofanow 1994, Zeuge, S. 14: „Alle, die ein Geschäft hatten, waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt“. Die Inhaber flohen über die rumänische Grenze oder versteckten sich, da sie Enteignung durch die sowjetischen Besatzer befürchteten. 118 Uns: mehrdeutig: NS-Schwestern, NS-Gemeindeschwestern, NS-Schwestern mit Erfahrungen aus dem Umsiedlungseinsatz.
Q6/Briefe
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andern Fall ginge ich auch sehr gern nach Oberschlesien. Nur wenn ich das halt über Kreisamtsleitung und Gau gebe, werde ich schlecht loskommen. Vielleicht habe ich Glück u. werde mal direkt von Berlin abberufen, an Gottesberg habe ich nichts auszusetzen, nur von mir aus habe ich halt den Drang, nach einiger Zeit etwas Neues wieder aufzunehmen, können Sie das verstehen? Ich bin glücklich darüber, daß ich bisher bei fast allen Sonderaktionen dabei sein durfte. Was macht Dr. Jäger119, sehen Sie sich, da er doch wohl auch bei der Reichsleitung ist, grüßen sie ihn bitte von mir. Ihnen, liebe Schw. Dorothee wünsche ich weiter alles Gute u. vor allem bleiben Sie gesund. Es wird mich sehr freuen, von Ihnen wieder mal zu hören. Recht herzl. Grüße Heil Hitler! Ihre Schw. Marg. Ba[...] Gottesberg i Schlesien Landeshüterstr. 1 [Notiz in der Handschrift von D. Rakow, blauer Buntstift:] Gottesberg / Schl. Landeshüterstr. 1. Zusammenfassung und Anmerkungen: In diesem Brief geht es um Karrierewege nach der Umsiedlung. NS-Oberin Rakow wollte NS-Schwester Margarethe, die im Bessarabien-Einsatz an den Kochtöpfen (vermutlich in der Säuglingsküche) gearbeitet hatte – wohl eher im Spaß – zum Kochen nach Berlin in das NS-Schwesternheim an der Hölderlinstraße holen. In Berlin war NS-Gemeindeschwester Margarethe schon „öfter tätig“ gewesen. Zuletzt war sie bei der Umsiedlung in der Bukowina eingesetzt und hatte dort die Abfahrt der „elend“ erkrankten Oberin miterlebt.120 Sie kannte daher auch den Gauamtsleiter,121 der dort das Sagen gehabt hatte. Diesen „Dr. Jäger“ vermutete sie nun bei der NS-Oberin in der Reichsleitung der NSV und ließ ihn persönlich grüßen. Bisher war NS-Schwester Margarethe „bei fast allen Sonderaktionen“ dabei gewesen und erhoffte eine erneute Abberufung zum Kriegseinsatz. Ihr war offensichtlich klar, dass die Adressatin dafür an der richtigen zentralen Stelle saß: Seit 1935 bearbeitete Rakow im Reichshauptamt die Einsätze von NS-Schwestern aus dem gesamten Reich.122 Im Vergleich zu anderen NS-Gemeindeschwestern, die sich drehten und wendeten, um nicht gegen ihren Willen aus ihrer Gemeinde versetzt zu werden,123 bot sich NS-Schwester Margarethe direkt an: „Vielleicht habe ich Glück u. werde mal direkt von Berlin abberufen“ (S. 2). Ihr Ehrgeiz richtete sich nicht auf die Reichshauptstadt Berlin, sondern ihr „Reisefieber“ zielte auf „die Kolonien“. Damit brachte sie ihren Wunsch nach einem Einsatz in den seit 1939 besetzten „neuen Ost-Gebieten“ zum Ausdruck. Ein „Osteinsatz“ im vormaligen Polen war für viele Berufe eine Stufe nach oben auf der Karriereleiter. Daher fragte NS-Schwester Margarethe, „ob man sich bewerben kann?“ (S. 2). Alternativ interessierte sie „Oberschlesien“. Ungesagt bleibt, dass dort ein Konzentrationslager wie in Auschwitz Arbeitsmöglichkeiten, gerade für NS-Schwestern, bot.124 119 Vgl. Q2/Tagebuch/Teil A: Stenografie. 120 Q6/Brief Nr. 12. – NS-Oberin Rakow fuhr am 16. November 1940 wegen Krankheit aus der Bukowina ab. 121 Q2/Tagebuch, Teil A (stenografiert); Q5/Foto P5. 122 Vgl. Kap. II.A.2, Biografie, zu 1936. 123 Q6/Brief 15 (NS-Schwester Charlotte). 124 Vgl. Betzien 2018, Krankenschwestern in KZ.
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Q6/Brief Nr. 18
2 handschriftliche Seiten Datum: 17. März 1941 Von: Ihre Anni Ho[...] Aus: Landsberg W. [Landsberg an der Warthe, Heil- u. Pflegeanstalt?] An: Liebe Oberschwester Dorothee! (NS-Oberschwester Dorothee Rakow, Berlin) Transkription:
Landsberg W. den 17. 3. 41 Liebe Oberschwester Dorothee! Von Schw. Klara erhielt ich vor einigen Tagen Ihre Adresse, ich hatte sie natürlich längst vergessen. Die Zeit war zu kurz bemessen, und so schreibe ich gleich nach Berlin. Der Urlaub ist auch bald um. Hoffentlich haben Sie sich in den Bergen125 auch wirklich gut erholt? Und die nötigste Schwungkraft für die daheim wartende Arbeit erworben? Ich hatte Ihnen, als ich in Berlin war, versprochen, die Bilder126 zu schicken, und die Adresse von Dr. Pau[...]. Inzwischen bin ich in Eberswalde bei meiner Schwester gewesen und Klara kam auch dazu. Sehr nette Stunden haben wir gemeinsam verlebt. Nur eine Sorge habe ich mehr. Meine Schwester hält die Arbeit körperlich nicht aus, und sieht auch sehr schlecht aus. Ich habe es kommen sehen. Sie soll nach Aussagen des Arztes nur noch Büroarbeiten verrichten. – Schw. Klara habe ich die Bilder ge[S. 2:]geben. Bitte suchen Sie sich die heraus, die Sie behalten wollen. Die Adr. von Dr. A. Pau[...]127 – Schmölln, Kreis Bautzen i/Schlesien Umsiedlungslager 49. Sonst läuft alles so seinen alten Gang, man regt sich mal auf und beruhigt sich auch wieder. – Gespannt sieht man den politischen Ereignissen entgegen mit einer Vorfreude im Herzen an den Sieg, der uns dann ein noch schöneres Deutschland schaffen wird. Ich wünsche Ihnen einen guten Anfang für die Arbeit und viel Freude. Herzlichst grüßt Sie Ihre Anni Ho[...] Zusammenfassung und Anmerkungen: NS-Schwester Anni, die im November 1940 bei der Umsiedlungsaktion in der Bukowina gewesen war,128 war möglicherweise keine NS-Gemeindeschwester, sondern arbeitete in der NS-Psychiatrie. Dies legen jedenfalls zwei genannte Ortsnamen in diesem Brief nahe. Anni Ho. schreibt nach der Umsiedlungsaktion im März 1941 aus Landsberg an der Warthe. Zudem besuchte sie ihre Schwester, die in Eberswalde eingesetzt war. Sowohl Landsberg an der Warthe als auch Eberswalde waren Standorte von zwei größeren brandenburgischen
125 Berge: NS-Oberin Rakow machte Ferien im „Altvatergebirge“. Q6/Brief Nr. 16, S. 1. 126 Q5/Foto-Serie P: Rückseite Stempel „Foto Büttner C647 Landsberg/W“. 127 Schreibweise des Namens nicht eindeutig. Schmölln liegt im Landkreis Bautzen im Land Thüringen. 128 Vgl. Q6/Brief Nr. 12.
Q6/Briefe
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„Heil- und Pflegeanstalten“ nordöstlich von Berlin.129 In Eberswalde war die Arbeit nicht einfach:130 „Meine Schwester hält die Arbeit körperlich nicht aus, und sieht auch sehr schlecht aus. Ich habe es kommen sehen. Sie soll nach Aussagen des Arztes nur noch Büroarbeiten verrichten“ (S. 1).
Dort in Eberswalde traf Schwester Anni auch auf NS-Schwester Klara aus Berlin. Diese war vermutlich Leiterin des NS-Schwesternheimes in Berlin, Hölderlinstraße, wo auch NS-Oberin Rakow wohnte.131 Anni Ho. vertraute Klara die wahrscheinlich von NS-Oberin Rakow in Berlin erwarteten „Bilder“ an, Fotografien aus dem Bukowina-Einsatz, zu deren Auswahl. Acht dieser interessanten Fotos sind im Nachlass erhalten, auf der Rückseite tragen sie Stempel eines Fotografen aus „Landsberg/W.“, der sie entwickelte bzw. reproduzierte.132 Ansonsten ist der Brief eher distanziert. Konflikte, wie sie NS-Schwestern andernorts in Krankenhäusern und Anstalten hatten,133 wurden nur angedeutet, und NS-Schwester oder -Oberin Anni zeigte sich weniger empfindlich als „ihre Schwester“ in Eberswalde: „Sonst läuft alles so seinen alten Gang, man regt sich mal auf und beruhigt sich auch wieder“ (S. 1). NS-Oberin Rakow hatte NS-Schwester Anni um die Adresse von „Dr. A. Pau[...]“ gebeten, der inzwischen im sächsischen „Umsiedlungslager 49“ arbeitete.
Q6/Brief Nr. 19
4 handschriftliche Seiten Datum: 21. März 1941 Von: Ihre Schw. Herta Kra[...] Aus: Schippach (Kreis Miltenberg, Gau Mainfranken) An: Liebe Oberschwester Dorothee! (NS-Oberin Dorothee Rakow) Transkription:
Schippach, den 21.3.41 Liebe Oberschwester Dorothee! Mit großer Freude habe ich Ihren Brief erhalten. Wie ich ersehen habe, befanden Sie sich in BadKarlsbrunn. Hoffentlich dienstlich und nicht aus gesundheitlichen Gründen. Uns drei Mainfranken ist die Aktion134 sehr gut bekommen. Warten mit Ungeduld schon wieder auf die nächste Aktion. Schw. Julchen ist etwas schweigsam, ich glaube sie muß sich immer noch mit ihren Stiefeln zum Schlafen niederlegen. In Cernavoda war das der Fall. Schw. Walburga
129 130 131 132 133 134
Hübener 2002, Brandenburgische Heil- und Pflegeanstalten, S. 26. Klee 1985, Euthanasie im NS-Staat, S. 241. Q6/Brief Nr. 7. Q5/Foto Serie P 1–8. Vgl. Kap. II.A.2 Biografie. Aktion: Einberufung zur Umsiedlungsaktion in Bessarabien und in der Dobrudscha.
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erfuhr den Tod ihres Bruders durch Frau Oberin.135 Und zwar ist er von einem Spirn136 durch einen Kopfschuß getötet worden, als er auf Streife war. Ihre freundliche Grüße habe ich an meine [S. 2:] Kameradinnen weiter gegeben, sie werden sich sicher selbst bei Ihnen dafür bedanken. Nun möchte ich Ihnen einen kleinen Einblick in die Arbeit von Cerna-Voda geben. Hier waren die Einrichtungen nicht ganz so vorteilhaft als im Auffanglager Galatz. In einem Zellt hatten wir uns in einer Ecke mit all den Habseligkeiten einer Küche niedergelassen. Ein passendes Gestell war schnell in einem Schlepper gefunden. Gut sauber gemacht und niemand erkannte es als ein Inventarstück der Leitstelle wieder. Einen Tisch wurde auch zusammen genagelt und unsere Küchenecke wurde der Stolz von Pg. Krüger. Fast täglich gelangten 2–3000 Umsiedler zur Verschiffung. Sobald der Zug mit Volksdeutschen ankam, gingen wir von Abteil zu Abteil und bewirteten die Klein[S. 3:]kinder, alte Leutchen, Schwangere und stillende Mütter mit Butterbrote und Edel weißmilch. Die Säuglinge erhielten ein Fläschchen mit Alete-Milch. Immer und immer wieder wurden wir gefragt: „Schwester wo bekommen Sie nur die viele Milch her?“ Als wir erzählten, daß die Milch in Form von Trockenmilch aus dem Reich kommt, wollten sie alle mal kosten. Hatten wir alle Wünsche erfüllt, halfen wir den kinderreichen Müttern und alten Leuten beim Verladen auf die Schiffe. Auch hatten wir wilde Umsiedler, Beß-Arabier aus dem Banat, zu betreuen. Im Rathaus wurden zwei Räume für unsere Volksdeutschen hergerichtet. Schwester Julchen übernahm sofort den Lagerdienst, Schwester Walburga das Säuglingsbaden und die Pflege der Neugeborenen im Lazarett, auf Wunsch von Dr. Sut[...]. [S. 4:] Sie ersehen, daß wir unsere Arbeit genau wie im Lager Galatz eingeteilt hatten und haben dadurch mit allen anderen Gliederungen gut zusammen gearbeitet. Hoffentlich, sind sie mit dieser Meinen Ausführung zufrieden. Denn ein Held, bin ich nicht in schriftlichen Sachen. Seien Sie herzlichst gegrüßt mit Heil Hitler! Ihre Schw. Herta Kra[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Die „drei Mainfranken“ (S. 1), die NS-Schwestern Herta, Walburga Pf. und Juliane,137 waren bei der Bessarabien-Umsiedlung zunächst im Lager Galatz eingesetzt, anschließend ab dem 2. November 1940 zusammen bei der Dobrudscha-Umsiedlung im Ortsbereich Cernavoda.138 Die NS-Oberin hatte ihren Tätigkeitsbericht brieflich angefordert, während sie in „Karlsbrunn“ weilte. Der Brief von NS-Schwester Herta vom 21. März 1941 ist somit ein verspäteter Bericht über die Arbeit dieser drei „Dobrudscha-Schwestern“, die in Cernavoda ihre Arbeit „genau wie im Lager Galatz“ (S. 4) unter sich aufgeteilt hatten. NS-Schwester Juliane hatte auch in Cernavoda „sofort den Lagerdienst“ (S. 3) übernommen. Dabei handelte es sich vermutlich um das Aufspüren von Umsiedlern mit meldepflich-
135 Oberin: Die Todesnachricht könnte von NS-Oberin Rakow, NS-Oberin Blawert oder der Generaloberin weitergeleitet worden sein. 136 Spirn: Schreibweise eindeutig, Bedeutung unbekannt, mögliche Lesart: Sporn. 137 Q3/Einzelblatt Nr. 4 (Adressliste). Die drei NS-Schwestern waren NS-Gemeindeschwestern aus dem Gau Mainfranken. 138 Q3/Einzelblatt Nr. 5 (Namensliste: Zuteilung für die Dobrudscha durch die NS-Oberin).
Q6/Briefe
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tigen Krankheiten. Die NS-Schwestern hatten sich von dieser zwielichtigen Arbeit eigentlich schon getrennt, da es ihnen bei den Umsiedlern einen Vertrauensverlust einbrachte, und hatten den „Lagerdienst“ in Galatz den Rot-Kreuz-Schwestern überlassen.139 Nun begann dieser Dienst für die „Lagerschwester“ Juliane in der Dobrudscha offenbar erneut, was ihre „Kameradin“ Herta im Bericht aber nur andeutet: „Schw. Julchen ist etwas schweigsam, ich glaube sie muß sich immer noch mit ihren Stiefeln zum Schlafen niederlegen. In Cernavoda war das der Fall“ (S. 1).
Die Stiefel deuten auf eine SS-Funktion von Juliane Rü. hin oder auf ein Außen-Kommando, bei dem Stiefel wegen der Wetterverhältnisse nötig waren. Dass „Schw. Julchen“ nun im März 1941 „etwas schweigsam“ war, drückt aus, dass sie mit dieser Aufgabe nicht zufrieden war oder dass sie darüber nichts berichten wollte. NS-Schwester Walburga übernahm auch in Cernavoda „das Säuglingsbaden“ und zusätzlich noch die „Pflege der Neugeborenen im Lazarett auf Wunsch von Dr. Sut.“ (S. 3), der vermutlich der Lazarettarzt war. Sie improvisierten eine Küche in einer Zeltecke, wo sie vermutlich aus Trockenmilch Flaschennahrung herstellten und verpflegten die Säuglinge, Kinder und Alten in den ankommenden Zügen und halfen den Umsiedlern beim Einsteigen auf die Schiffe. Vermutlich war NS-Schwester Herta in Cernavoda für die Säuglingsküche zuständig, die mit reichlich Alete-Trockenmilch ausgestattet war. Eine „Schwester Herta“ hatte auch zuvor im Lager Galatz den Küchendienst übernommen.140 Pg. Krüger,141 ein männliches NSDAP-Mitglied des Kommandos in Cernavoda, war auf ihre Küchenecke stolz, die die NS-Schwester unbemerkt aus Möbeln der „Leitstelle“ zusammengebaut hatte. Die NS-Schwestern haben wieder „mit allen anderen Gliederungen gut zusammen gearbeitet“ (S. 4). In Cernavoda wurden „zwei Räume […] im Rathaus“ für „unsere Volksdeutschen“ hergerichtet. Dabei wird die Funktion dieser beiden Zimmer nicht klar: Dienten sie zur Unterkunft für „unsere“ volksdeutschen Helferinnen der NS-Schwestern oder als Säuglings-Koch und Badeküche oder als Krankenstube oder zur Registrierung der „täglich 2–3000 Umsiedler“? Unmittelbar davor fällt scheinbar zusammenhanglos der Satz: „Auch hatten wir wilde Umsiedler, Beß-Arabier aus dem Banat,142 zu betreuen“ (S. 3).
Die Bedeutung sog. „wilder Umsiedler“ wird nicht klar.
139 140 141 142
Lagerdienst: Vgl. Q6/Brief Nr. 2, 3. Q2/Tagebuch. Q3/Einzelblätter, Namensliste in den Anmerkungen. Banat: Anderer Landesteil Rumäniens.
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Q6/Brief Nr. 20
Ansichtskarte: „Bibelheim Bethanien, Langensteinbach“ Datum: 28. April 1941 Von: Rosa und Josef Wag[...] aus Galatz, Rosalia Wa[...] Aus: Volksdeutsche Mittelstelle, Kreis Karlsruhe, Lager Langensteinbach Adressiert an: Dorothea Racker, Oberschwester der N.S.-Schwesternschaft [durchstrichen: Berlin Charlottenburg, Hölderlinstr. No. 11] [Ersetzt mit: Ulbrichshöhe, Sanatorium Peterswaldau Eulengebirge] An: Geehrte Frau Racker (= Dorothee Rakow)
Transkription: 28.4.941 Geehrte Frau Racker. Die Herzlichsten Grüsse senden ihnen aus Langensteinbach Rosa u Josef Wag[...] aus Galatz. Heil Hitler. Rosalia Wag[...] Volksdeutsche Mittelstelle. Kreis. Karlsruhe. Lager Langensteinbach. Zusammenfassung und Anmerkungen: Die Volksdeutsche Mittelstelle verwendete Hunderte von größeren Immobilienkomplexen wie u.a. kirchliche Klöster oder auch Heil- und Pflegeanstalten, zur Unterbringung für die vielen Umsiedler der „Heim ins Reich“-Aktionen. Das abgebildete „Bibelheim Bethanien, Langensteinbach“, dessen Pfarrer den Hitlergruß ablehnten, wurde schon 1935 von der NSDAP beschlagnahmt und Reichsarbeitsdienstlager und im September 1939 Kriegslazarett. Im Herbst 1940 übernahm es die Volksdeutsche Mittelstelle, die es zum Umsiedlungslager „Lager Langensteinbach“ umfunktionierte. 1942 verlegte die VoMi des Gaues Baden ihre gesamte Verwaltung in die Räume des Bibelheims Bethanien, als die meisten Umsiedler bereits zur Ansiedlung gebracht waren.143 143 „Es waren die 15 Monate der Dauer dieser Belegung [der VoMi-Verwaltung] für uns die schwerste Zeit, weil der Geist, der jetzt einzog und sich entfaltete, uns das Herz sehr beschwerte.“
Q6/Briefe
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1941 warteten die Umsiedlerfamilien noch auf ihre Einbürgerungsverfahren. Ein halbes Jahr nach der Umsiedlungsaktion schrieben „Rosa und Josef Wag.“ aus dem Umsiedlungslager Langensteinbach eine Karte an die „Oberschwester der N.S.-Schwesternschaft“ nach Berlin, die sie vor einem halben Jahr im Lager Galatz kennengelernt hatten. Ihren Namen hatten sie nur noch in Erinnerung als „Frau Racker“. NS-Oberin Rakow hatte sich in einer Adressliste mit Teilnehmern des Umsiedlungskommandos an oberster Stelle die Adresse eines Mannes mit demselben deutschen Nachnamen Wag. notiert: „Conrad Wag[...] Dragus Woda 1, Galatz/Rum.“144 Denkbar wäre, dass Rosa und Josef Wag. Familienmitglieder von Conrad Wag. waren, der vielleicht im Umsiedlungskommando des Auffanglagers mitarbeitete und in der Innenstadt von Galatz wohnte bzw. dort einen Dienstsitz hatte.145 Es könnte ebenso eine Umsiedlerfamilie sein wie etwa Verwaltungsmitarbeiter der VoMi. Das Paar adressierte seinen Gruß nicht an die dienstliche Berliner Adresse der NS-Oberin, sondern sie besaßen die Adresse ihrer Wohnanschrift im Schwesternheim in der Hölderlinstraße 11. Es ist nur ein kurzer Gruß, der aber ein spannendes Detail bei der Spurensuche nach Tätigkeiten der NS-Oberin enthält. Aufschlussreich ist die in anderer Schrift vorgenommene Korrektur ihrer Anschrift. Demnach befand sich Dorothee Rakow Ende April 1941 nicht mehr in Berlin sondern in „Ulbrichshöhe, Sanatorium Peterswaldau Eulengebirge“. Peterswaldau, heute: Pieszyce (Polen), lag in Schlesien.146 Vielleicht kurierte die Oberin hier in einem Sanatorium die „Infektion in Rumänien u. [...] Folgeerscheinungen“ aus.147 So erklärte sie es selbst ein halbes Jahr später ihrem zukünftigen Ehemann.148 Es kommt der Verdacht auf, dass sie auch dienstlich in Schlesien unterwegs gewesen sein könnte.149
144 145 146 147 148 149
Erinnerungen des Pfarrers. In: Bibelheim Bethanien, Ev. Gemeinschaftsverband AB e.V.: Das Bibelheim während des 3. Reichs URL: https://bibelheim.ab-verband.org/ueber-uns/geschichte (Abruf 4.4.2020). Q3/Einzelblatt Nr. 4. Die Strada Dragoș Vodă 1 in 800552 Galați/Rumänien liegt mitten in der Stadt in der Nähe eines Parks. In: Google Maps. URL: www.google.de/maps/place/Strada+Dragoș+Vodă+1,+Galați (Abruf 4.4.2020). Peterswaldau: In einer Spurensuche mit drei Lebensberichten aus Peterswaldau wird ein Sanatorium nicht erwähnt. Vgl. Helga Hirsch: „Aufstiege und Abstiege. Lebenswege aus dem schlesischen Peterswaldau“, in: dies. 2007, Entwurzelt, S. 235–267. Brief von Dorothee Rakow an Otto P. 30.11.1941, in. Renate J. 2005, Familienbiografie, S. 189. Privatarchiv J. Vgl. Kap. II.A.2 Biografie, zu 1941. Anmerkung 2019: Dieser interessante Verdacht war zum Zeitpunkt 2007 noch sehr spekulativ. Erst in den folgenden Forschungsmodulen stellte sich tatsächlich heraus, dass die Lazarettzüge aus Bessarabien die alten, körperlich kranken und hilfsbedürftigen Umsiedler in Reservelazarette nach Schlesien brachten. Schlesien war 2007 auf der Topografie der Kranken-Umsiedlung jedoch noch völlig unbekannt.
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Q6/Brief Nr. 21
2 handschriftliche Seiten auf einem Blatt Datum: 29. Mai 1941 Von: Cora Spr[...] Aus: Grenzuk An: Liebe Schwester Dorothee! (NS-Oberin Dorothee Rakow) Berlin Transkription:
Grenzuk, 29.5.41 Liebe Schwester Dorothee: – Zum Pfingstfest sende ich Ihnen viel freundliche Grüße u. wünsche Ihnen und den ganzen Berlinern, daß die Tommys150 Sie nicht zu sehr belästigen151. Ich bin immer ganz erschüttert, wenn ich von diesen Angriffen im Radio höre und muß dann immer auch an Sie denken. – – In unseren friedlichen Bergen ist nun auch endlich der Frühling eingezogen, bei meinen dienstlichen Gebirgswanderungen erschließt sich mir die Natur in jedem Jahr aufs Neue. Meine Wohnung duftet nach Rosmarin und Sträuße von Vergißmeinicht habe ich in allen Vasen. Friedliche Einsamkeit! In Karlsbrunn haben Sie ja auch all diese Schönheiten, wenn es auch winterlicher Art war, genossen. Ich hörte hier, daß es dort selten idyllisch sein soll, in all den Wochen haben Sie sich sicher recht erholt. Vielmals danke ich Ihnen für den Brief von dort. Haben Sie sich schon an die große „Arbeit“ gemacht? Auf Helene [P?]ugenius152 kann ich mich noch gut erinnern und ich muß sagen, daß ich [Rückseite:] eigentlich nicht so sehr erstaunt über dieses Schicksal bin. War sie nicht verheiratet u. schon wieder geschieden? Sie zeigte in Burg schon immer ein bisschen sonderbares Wesen. Sehr geltungsbedürftig! Trotzdem tut mir dieses Lebensende leid. Ich höre sicher wieder mal von Ihnen! Alles Gute weiter! Nochmals herzliche Grüße! Heil Hitler! Ihre Cora Spr[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: NS-Schwester Cora, die im Bessarabieneinsatz im Lager Semlin und ab 16. November 1940 in der Bukowina gewesen war, ging danach als NS-Gemeindeschwester zurück nach Grenzuk im Kreis Glatz in Schlesien.153 Aus ihrer Idylle in „friedlicher Einsamkeit“ mit „dienstlichen Gebirgswanderungen“ (S. 1) schrieb sie der NS-Oberin Pfingstgrüße in die Hauptstadt, wo diese mitten im Bombenkrieg mit den „Tommies“ saß. Offensichtlich hatten NS-Schwester Cora Spr. und NS-Oberin Rakow sowie auch die erwähnte Helene [P?]ugenius eine gemeinsame Vergangenheit im Kreiskrankenhaus „Burg“ 150 151 152 153
Tommys: die Engländer als Kriegsgegner. belästigen: Bombenabwürfe über Berlin. Vgl. Q7/Berichte Nr. 10 (veröffentlichter Bericht, Verfasserin „Oberin Irene Pantenius“). Vgl. Brief Nr. 16.
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(S. 2) bei Magdeburg. Von 1926 bis 1929 hatte Dorothee Rakow dort als junge Frau ihre dreijährige Ausbildung zur Krankenpflege abgelegt.154 Wegen „Chikanen“ der „neuen Oberin des Hauses“ hatte sie damals dort gekündigt.155 Vielleicht war es dieselbe Oberin, von der jetzt im Brief als Dritte die Rede ist, denn NS-Schwester Cora erlaubte sich, nun anzumerken: „Sie zeigte in Burg schon immer ein bisschen sonderbares Wesen. Sehr geltungsbedürftig!“ (S. 2). Unter dem sehr ähnlichen und seltenen Namen, evtl. einem Pseudonym, „NS-Oberin Irene Pantenius“ wurde ein Bericht über den Umsiedlungseinsatz in der Südbukowina veröffentlicht.156 Inzwischen hatte ihre gemeinsame Bekannte ein überraschendes „Lebensende“ getroffen, das aber vorhersehbar erschien: „ich muß sagen, daß ich eigentlich nicht so sehr erstaunt über dieses Schicksal bin. War sie nicht verheiratet u. schon wieder geschieden? Trotzdem tut mir dieses Lebensende leid“ (S. 2).
Wahrscheinlich hatte die NS-Oberin NS-Schwester Cora über dieses Schicksal der Mitschwester selbst informiert. Sie hatte ihr einen Brief aus Bad Karlsbrunn157 geschrieben, nun kommentierte NS-Schwester Cora den mehrwöchigen Aufenthalt ihrer NS-Oberin in Karlsbrunn, das auch in Schlesien lag:158 „Ich hörte hier, daß es dort selten idyllisch sein soll“ (S. 1). Die Andeutung in diesem Satz wird die NS-Oberin ohne weitere Erläuterungen verstanden haben. Uns gibt sie Rätsel auf. Ebenso wie die vielsagende Frage an die Oberin nach Berlin: „Haben Sie sich schon an die große ‚Arbeit‘ gemacht?“ (S. 1).
Q6/ Brief Nr. 22
Ansichtskarte: „Ullersdorf a. d. Biele“ Datum: 4. September 1941 Von: Schwester Christel Boe[...] u. Friedel Leo[...] Aus: Ansichtskarte: „Ullersdorf an der Biele“ Adressiert an: N.S. Oberschwester Dorothea Rakow, Berlin – Maybachufer, Reichsleitung d. N.S.V., Abtlg.. N.S. Schwesternschaft An: Sehr geehrte Frau Oberin! (= Dorothee Rakow) Poststempel: GLATZ, 5.9.41 Roter Stempel: N.S.D.A.P. Reichsleitung Amt für Volkswohlfahrt, [Eintrag mit Buntstift:] I/3 6. SEP. 1941 ... [weiterer Stempel unleserlich] Gesehen – Weitergel. – ...[weiteres Feld unleserlich] 154 Vgl. Kap. II.A.2, Biografie; vgl. Fotos der Belegschaft im Kreiskrankenhaus Burg, in: Nachlass Dora P., Privatarchiv J.. 155 Q1/Lebensbericht, Bl. 25. 156 Q7/Berichte Nr. 10. 157 Vgl. Q6/Brief Nr. 19 (Bad Karlsbrunn); Q6/Brief Nr.16 (Altvatergebirge). 158 Karlsbrunn (Bad) liegt direkt am Altvater (Berg) in Schlesien, vgl. Meyers Lexikon, Atlasband 1936.
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Transkription: 4.9.41 Sehr geehrte Frau Oberin! Ganz lebhaft tritt heute der Bessarabieneinsatz vor unser Auge. Es werden Bilder besehen, Erinnerungen aufgefrischt und auch Ihrer soll gedacht werden. Schwester Friedel ist inzwischen junge Frau, aber dem Beruf noch treu. Die Umsiedlung ist bei ihr Schicksal geworden. Meine Wenigkeit hat Urlaub und genießt Sonne und Ruhe. Ein kräftiges Heil Hitler und ergebene Grüße, Schwester Christel Boe[...] u. Friedel B[...]. Zusammenfassung und Anmerkungen: Zwei NS-Schwestern, Christel und Friedel, aus dem vorjährigen Bessarabieneinsatz schickten Anfang September 1941 ihrer Oberin diese Postkarte mit einem Landschaftsfoto von „Ullersdorf an der Biele“. Die Adresse ist an anderer Stelle genauer: „Friedel Leo[...], Ullersdorf – Krs. Glatz (Schlesien)“.159 Bei der dienstlichen Adresse der NS-Oberin im Reichsamt für Volkswohlfahrt am Maybachufer durchlief die Postkarte deutlich sichtbar die Zensur. Der rote Eingangsstempel der NSDAP enthält ein Fach „Gesehen“. Die NSV-Mitarbeiter wurden offenbar überprüft. Es wurde inzwischen eine „Warnkartei“ geführt.160 Zu diesem Zeitpunkt, Anfang September 1941, spielten einige NS-Schwestern in höheren Positionen mit dem Gedanken eines Austritts aus der NS-Schwesternschaft. Eine schnelle Heirat schien dafür als eleganteste, wenn nicht sogar einzige Möglichkeit. NS-Oberin Rakow hatte Ende August aufgrund bevorstehender Veränderungen bereits ihr Dienstzeugnis „für alle Fälle“ erhalten.161 Sie und eine weitere NS-Oberin im Hauptamt suchten inzwischen einen Ausweg in Kontaktanzeigen. Anfang September hatte sie bereits ersten Briefkontakt mit ihrem zukünftigen Ehemann. Dabei war ihr mit dem fremden Herrn ein Austausch über den aktuellen Kinofilm „Ich klage an“ sehr wichtig, der sich mit dem Thema „Euthanasie“ als Gnadentod befasste.162 Mit dieser strategisch arrangierten Heirat entkam sie der weiteren Kriegs-Karriere in der NS-Schwesternschaft, die ab 1942 aufgelöst und in den NSRDS über-
159 Q3/Einzelblatt Nr. 4 (Adressnotizen). 160 Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern; Steppe (Hg.) 2001 [1996], Krankenpflege im NS; sowie Kap. II.A.2 Biografie. 161 Vgl. Kap. II.A.2 Biografie. 162 Vgl. Kap. II.B.Spur 7.
Q6/Briefe
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führt wurde. Nach erfolgter Heirat und dem Austritt als Ehrenmitglied der NS-Schwesternschaft trug die ehemalige NS-Oberin ab 1942 den neuen Titel „Deutsche Frau“.163 Zwischen den Zeilen erfährt die NS-Oberin mit dieser Postkarte, dass auch NS-Schwester Friedel Leo., die bereits mit dem Nachnamen ihres Ehemannes unterzeichnete und sich damit gewissermaßen selbst anonymisierte, inzwischen geheiratet hatte: „Die Umsiedlung ist bei ihr Schicksal geworden“ heißt, dass sie ihren Ehemann in Bessarabien entweder unter den Volksdeutschen oder unter den Kommandomitgliedern oder Ärzten gefunden hatte. Schwester Friedel war damit „junge Frau“ geworden, d.h. sie war frisch verheiratet. Allerdings arbeitete sie zur Zeit noch „treu“ weiter als NS-Schwester oder als Krankenschwester, wahrscheinlich bis sie „deutsche Mutter“ wurde, ebenso wie auch bald die NS-Oberin selbst. ***
163 Vgl. Kap. II.A.2 Biografie.
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Q7/BERICHTE Berichte der NS-Schwestern über den Umsiedlungseinsatz 1940 Die NS-Schwestern waren es schon gewohnt, Berichte über ihre Arbeit zu verfassen. Auch als NS-Gemeindeschwestern hatten sie „über ihre Tätigkeit ein Tagebuch zu führen“, das zum Jahresende bei der Kreisamtsleitung der NSV einzureichen war, ebenso wie ihre monatlichen „Tätigkeitsberichte“. Die Berichte gelangten über die Kreisamtsleitung zur Gauamtsleitung und dann zusammengefasst bis zur Reichsamtsleitung in Berlin und standen auf Anforderung den Amtsärzten zur Verfügung. So hatten diese in den NS-Gemeindeschwestern „dauernde Beobachtungsposten“ vor Ort.1 Der Sinn dieses umfassenden Berichtssystems lag vermutlich in der Informationsbeschaffung der Amtsärzte für die sog. „Erbbestandsaufnahme“ für die „Sippentafeln“ der „Erbgesundheitskartei“ und ggf. einzuleitende Zwangssterilisationsverfahren durch die Gesundheitsämter. Darüber hinaus waren die Berichte auch eine Kontrollmöglichkeit der NSGemeindeschwestern, die gegenüber dem zuständigen Amtsarzt eine „Meldepflicht“ bzgl. möglicher „Erbleiden“ in ihrem Umfeld hatten. Auch während der Umsiedlungsaktion war zeitweise eine der Aufgaben der NS-Schwestern in den Durchgangslagern die Meldung bestimmter Krankheiten. Als Durchschläge auf dünnem, gelblichem Papier, mit Büroklammern zusammengefasst, meist ohne Datumsangabe lagen noch 13 mit Schreibmaschinen getippte Berichte von NSSchwestern, darunter vier in publizierter Form, im Nachlass von Dora P. alias NS-Oberin Dorothee Rakow vor. Weitere einzelne Berichte finden sich auch als Anlagen bei den Briefen in Q6. Die Berichte enthalten teilweise konkrete Tätigkeitsbeschreibungen der NS-Schwestern bei der Umsiedlung, teilweise scheinen sie schon mit propagandistischen Ambitionen einer Öffentlichkeitswirksamkeit für mögliche Publikationen verfasst worden zu sein. Selbstredend trugen die NS-Schwestern die nationalsozialistische Perspektive des Zeitgeistes, den sie aus Vorträgen übernahmen, auch in ihren Berichten an ihre Vorgesetzten weiter, denn gegenüber den Umsiedlern hatten sie „vor ihnen zu stehen als Vertreter der nationalsozialistischen Weltanschauung und Abgesandte des Führers“.2 Aus Briefen und Berichten, die die NS-Schwestern über die Umsiedlung verfassten, wurden im Reichshauptamt anschließend namenlose Auszüge zusammengestellt, die vertraulicheren Stellen wurden aus den Texten entfernten.3 Für uns ist es daher besonders interessant, hier die authentischeren Urschriften lesen zu können. Über einigen Berichten steht allerdings auch „Abschrift!“ Daneben gibt es auch publizierte Umsiedlungsberichte von NS-Schwestern. Vier Ausschnitte solcher Berichte lagen im Nachlass vor, die im folgenden auch dargestellt sind. Ein weiterer Bericht wurde 1941 mit zwei Fotografien publiziert in dem zeitgenössischen Do1 Zum Berichtsystem: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 227. 2 Q7/Bericht 5, S. 5. 3 Vgl. Q7/Bericht 2.
Q7/Berichte
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kumentationsband des Kommandomitglieds Pampuch.4 Als Autorinnen des Aufsatzes, „als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen“, sind die NS-Schwestern C. Baeskow und H. Schrader, Schiffsschwestern zwischen Kilia und Semlin, angegeben. Doch weder die Namen dieser NS-Schwestern noch ihr Bericht fanden sich als Entwurf im vorliegenden Konvolut. Es fallen höchstens Namensähnlichkeiten zwischen NS-Schwestern und Autorinnen von veröffentlichten Berichten auf.5 In der Geschichte schreibender Frauen haben Pseudonyme eine lange Tradition. Auch Ärzte schrieben Berichte über ihren Einsatz bei Umsiedlungen. Der damalige Gebietsarzt Helmut Ritter gab mir nach unserem Gespräch im Mai 2007 eine Kopie der „Urschrift“ seines Berichts. Als er diesen Aufsatz nach Berlin schickte, habe er damals nicht geahnt, dass sein Bericht 1941 im erwähnten Buch von Pampuch veröffentlicht werde und sei auch nicht über die vorgenommenen Änderungen informiert worden. Nur in seiner Urschrift finden wir den von ihm damals verwendeten Begriff „Jagd nach Kranken“.6 Ebenso verhält es sich mit dem wiederkehrenden Begriff „schwierige Aufgaben“, der nur in originalen Briefen und Berichten der NS-Schwestern mehrfach auftaucht, aber niemals in den veröffentlichten Berichten.
Q7/Bericht Nr. 1 von NS-Oberin Ruth Dühe (11 Seiten) 4 Pampuch (Hg.) 1941, Heimkehr, S. 210–213. 5 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Namensähnlichkeiten sind z.B. NS-Schwester Christel Boe. (Q6/Brief Nr. 22) mit Autorin C. Baeskow (in: Pampuch 1941); oder an anderer Stelle: Helene Pugenius (Q6/Brief 21) mit NS-Oberin Irene Pantenius (Q7/Bericht Nr. 10, publiziert). 6 Ausführlicher zur Urfassung des Berichts von Helmut Ritter: Kap. I.B., Jagd nach Kranken.
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Quellen-Inventar
Die Berliner Behörden hinterließen umgekehrt weniger Dokumente. Nicht einmal die Einberufungen zum „Sondereinsatz Bessarabien“ erfolgten schriftlich. Der Gebietsarzt berichtete mir von einem überraschenden Telefonanruf im Krankenhaus, bei dem er als Medizinstudent gefragt worden sei, ob er Lust auf eine „Expedition“ habe, und er hatte deshalb Afrika als Ziel vermutet. Auch die NS-Schwestern wurden einzeln am Telefon bzw. durch ein Telegramm einberufen oder eingeladen, ebenso ohne Bekanntgabe des Ziels.7
Q7/Übersicht: 13 Berichte von NS-Schwestern aus dem Umsiedlungseinsatz 1940
Umfang: 9 Typoskripte und 4 publizierte Umsiedlungsberichte aus dem Nachlass der NSOberin Rakow A. Berichte der NS-Schwestern (Maschinenschriften, Durchschläge) NR. TITEL/ ÜBERSCHRIFT 1. Bessarabien (11 Seiten)
2.
3.
4.
5.
Abschrift! Zur Rückführung der Bessarabien-Deutschen (Fortsetzung) (2 Seiten)
AUTORIN
INHALT
Dü/S. Kürzel für NS-Oberin Ruth Dühe?, (Leiterin der Propaganda-Abt. der NSSchwesternschaft, Berlin) 28.1.41 F.d.R. [Für die Richtigkeit, ohne Unterzeichnerin]
Informationen über Bessarabien, (historisch / wirtschaftlich / politisch) u.a. über Krankenhäuser und Pflegeheime
NS-Schwester Hanna Kl.
Weltanschauliche Schulung der Umsiedler auf dem Schiff vom Hafen Chilia ins Lager Semlin (4 Transporte à 400 Personen)
Vorbereitungen im Zeltlager Semlin (o. Prahovo?) (Oberin Schnee, volksdt. Arbeitsdienst aus dem Banat, Kundgebung Dr. Jankow, Führer der Volksdt. in Jugoslawien) a.) Ankunft der Schiffe aus Galatz a.) Eine der 105 3a.) Auszüge aus in Semlin oder Prahovo den Berichten Transportschwestern für Eisenbahnzüge b.) Beginn der Arbeit im vom Sondereinsatz b.) gekürzter Brief Nr. 3 von Auffanglager Galatz Bessarabien. 3b.) Aus einem Brief Oberin Rakow nach Berlin drei volksdt. Schwestern bei den NSSchwestern, Säuglingsküche, ... ) u.a. über den Sondereinsatz vom 30.9.40 Ankunft des ersten Schiffes aus Kilia Bessarabien! (ca. 1.000) (2 Seiten) Bericht von der Bessara- NS-Schwester Erstes Schiff aus dem Hafen Kilia bien-Aktion Berti Schleu. ins Lager Galatz (2 Seiten) (987 Kinder, Mütter und Alte) Meine Eindrücke über die Umsiedlungsaktion in Bessarabien (5 Seiten)
7 Einberufungen per Telefon: Q7/Bericht Nr. 5; per Telegramm: Q7/Bericht Nr. 6.
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Q7/Berichte 16.
Umsiedlung! (8 Seiten)
NS-Schwester Käthe Schm.
17.
Abschrift! Bericht über die Arbeit in der Umsiedlungsaktion Bessarabien 2. September–7. Dezember 1940 (6 Seiten) Bericht der NS-Gemeindeschwester Freya We[...] über ihren Einsatz bei der Umsiedlung im Südosten. (4 Seiten) Abschrift! Oktober 1940 (2 Seiten)
NS-Schwester Hildegard Uh., Leuna, Kr. Merseburg. – 15.12.1940
18.
19.
– Lager Galatz (Lazarett, Kleiderkammer) – Dobrudscha-Umsiedlung (Hausbesuche, Juden, Mischehen in Mangalia, Konstanza, Oberdorf u.a.) – Lager Galatz (Kinderklinik, Ruhr, Malaria) – Dobrudscha-Umsiedlung (Fliegende Milchküche in Cogealia, Palazul Mare)
NS-Schwester Freya Weng.
Lager Galatz (Rumänen!- u. BessarabienUmsiedlg.) Dobrudscha-Umsiedlung (Konstanza, Cogealac, Tari Verdi)
NS-Oberin Ursula Rie.
Nord-Bukowina-Umsiedlung: NSV-Verpflegungsstation am Grenzort Sanok, Militärmusik, Waffen-SS, Czernowitz, Transportschwestern, „Krankau“, Arbeitseinsatz am „Bestimmungsort“/ „Endziel“.
B. Publizierte Umsiedlungs-Berichte von NS-Schwestern 10.
11.
12.
13.
3. NS.-Schwestern bei der Umsiedlung in der Süd-Bukowina Aus: „Mitteilungen über den Einsatz von NSV-Schwestern“ (Doppelblatt mit 4 Beiträgen, o.O., o.J (2 Seiten) Wir waren dabei ... Gedicht Gauschule Rehnitz Lager für Bessarabiendeutsche. Die NSV betreut den großen Treck aus dem Südosten Europas (Zeitungsausschnitt o. O., o. J.) Schwesterndienst bei der Heimkehr der Volksdeutschen Berlin, 12.2. [1941] (1 Seite)
NS-Oberin Irene Pantenius
Süd-Bukowina-Umsiedlung Blasse Umsiedler, Krankensammelstellen, Lazarettzug, Transportbegleitung
NS-Schwester Lore Reichmann ehi [Kürzel, evtl. für NSVLeiter Edgar Hilgenfeldt] ab [Kürzel]
Gedichte und Fotos. Rückblick auf die Arbeit der NS-Schwestern bei der Bessarabien-Umsiedlung Geplantes Umsiedlerlager für Bessarabiendeutsche, Schloß Rehnitz, Kreis Soldin.
„Medaille für Deutsche Volkspflege“: Verleihung an die DRKSchwestern im Lager Semlin.
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Quellen-Inventar
Q7/Bericht Nr. 1
11 Seiten Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen Titel: B e s s a r a b i e n Verfasserin: Dü/S. (Kürzel: Dü vermutlich für: Ruth Dühe, Leiterin der Propaganda-Abteilung, der NS-Schwesternschaft im Reichshauptamt der NSV; Kürzel S.: für Sekratariat?) Datum: – (ohne) Anmerkungen: Der Hintergrund dieses Textes war die inhaltliche Vorbereitung auf die Umsiedlungsaktion. Das undatierte elfseitige Typoskript enthält allgemeine historische, wirtschaftliche und politische Informationen über Bessarabien, die wahrscheinlich von Ruth Dühe, der Leiterin der Propaganda-Abteilung der NS-Schwesternschaft aus der Literatur zusammengestellt wurden. Indiz ist hier das Kürzel „Dü“. Der Text ist gegliedert in einzelne Themenabschnitte und teilweise nur stichpunktartig verfasst, also nicht für eine Veröffentlichung formuliert, sondern eher als Skript für einen Vortrag oder ein Referat für die interne Mitarbeiter-Information. Redaktionelle Korrekturen sind in Deutscher Schrift eingefügt, es könnte die Handschrift von Dorothee Rakow sein. Mehrere „f“ (falsch) markieren an der Seite offensichtliche Verständnisfehler. Denkbar wäre eine von einer Sekretärin („Dü/S.“?) abgetippte Vortragsmitschrift, die anschließend korrigiert wurde. Auszüge: Inhaltlich sind für unsere Fragen nur einzelne Aspekte interessant. Im Abschnitt „Schulverhältnisse“ finden sich Angaben über Gesundheitsthemen. Daraus folgende Auszüge: – zu Pflegeheimen in Bessarabien (im Teil über die Schulen): „in Sarata besteht das Alexander Asyl, seit 1866 Diakonissen-Haus für Kranke, Sieche und Schwachsinnige. Platz für 100 weibliche, 30 männliche Pfleglinge. Seit 1903 besteht das Asyl für alte Frauen in Elim und Sarata. 1932 das Altersheim in Tarutino. Versorgt werden die Heime von Schwestern des Diakonissenhauses“ (S. 9f.).
– zu deutschen Krankenhäusern und Ärzten in Bessarabien: „Die Krankenhäuser sind staatlich. Früher bestand eine eigene Verwaltung.8 Der Kreis Cetatea Alba hat 9 Spitäler. Sarata und Tarutino haben deutsche Ärzte. B u r n a s ist ein rein deutscher Badeort.9 21 deutsche Ärzte, 4 Zahnärzte gibt es in ganz Bessarabien. Sie haben fast alle an reichsdeutschen Hochschulen studiert. Dr. Dobler ist der Leiter des Krankenhauses in Sarata. Es gibt 4 deutsche Hebammen und einen deutschen Feldscher. Ungeschulte Hebammen sind gleichzeitig Kurpfuscher“ (S. 10).
8 Staatlich: rumänisch, früher eigene Verwaltung: vor dem Ersten Weltkrieg in der Hand der deutschen Volksgruppe. 9 Burnas: Bessarabiendeutsche Zeitzeugen berichteten mir von Kuren für Kranke in Bad Burnas am Schwarzen Meer.
Q7/Berichte
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– „Biologisch ist die Bevölkerung gesund“ (S. 11). Transkription Q7/1: Vorbemerkung: Nicht transkribiert wurden umfangreiche Abschnitte zu Geographie, Klima, Geschichte und Vorgeschichte der Region, Bodenschätze, Siedlungsgeschichte, Bevölkerungszahlen, Auswanderungsgründe, spätere Abwanderungen und Binnenwanderungen, Schulen, Kirchen. All dies war der allgemeinen Literatur und Statistiken oder einem Vortrag entnommen, die auch heute noch zu finden sind und für das Forschungsthema nicht relevant erscheinen. Lediglich zeitgenössisch geprägte interessante Darstellungen wurden ausgewählt und teilweise in den Fußnoten kommentiert. Dü/S. Bessarabien [...] Bessarabiens Geschichte ist Grenzlandschicksal. Für Rumänien bedeutet Bessarabien Abwehr nach dem Osten und Zugang zum Schwarzen Meer. Für Russland ist der Besitz der Donaumündung von grosser Wichtigkeit. [...] Da der Süden meist von den Deutschen besiedelt wurde, haben auch die Russen, Bulgaren, Gagausen und Moldowaner sich der [S. 2:] deutschen Siedlungsform angepasst. Die Dörfer sind folglich einheitlich. Ausser den Juden selten fremde Splitter. [...] Ismael am Donau Delta hat die Zukunft auf wirtschaftlichem Gebiet. [...] Die Juden drücken den meisten Städten ihren Stempel auf. In Kitschineff [korrigiert: Kischineff] sprechen fast 30 % „daitsch“ (Jargon). Verkehr: Die Eisenbahnen haben mitteleuropäische Spurweite mit Anschluss nach Rumänien [...]. Brücken über den Dnjestr (nach Russland) wurden zerstört. In der Deutschen Siedlung hat die Bahn Anschluss an die Bukarester Cschernowitzer Linie. Das Strassennetz ist sehr schlecht. [...]. Bis zur Wiederaufnahme der rumänisch-russischen diplomatischen Beziehungen 1934 lag die Schiffahrt darnieder [...]. 1918 fällt Bessarabien an Rumänien, 1940 zurück an Russland. [...]. Volksgruppen: Die Mehrheit besteht aus Rumänen, 2. aus Ukrainer, 3. Bul-[S. 3:]garen [handschriftlich von oben eingefügt: Deutschen],10 Polen, Griechen. Vor allen Dingen in den Städten Armenier Schweizer, [...] Juden und Zigeuner. [...] Seit 1918 unter russischer Herrschaft entwickelt sich in der deutschen Bevölkerung infolge Geburtenüberschuss eine [durchstrichen: Kaufmannschicht – eingefügt:] Umschichtung. [...] Die Hausindustrie entwickelt sich [...] Die Deutschen fassen Fuß in Handel und Gewerbe. Die rumänische Agrarreform beschnitt den Bauer in seiner Entwicklung, so dass eine Abwanderung in die Städte einsetzte und somit die soziale Struktur in einer Umwandlung begriffen ist [...] Ausserdem setzte eine starke Binnenwanderung der Deutschen in Rumänien ein von 1928 – 32 und zwar der Deutschen des Banats, Siebenbürgens, der Dobrudscha und der Bukowina [handschriftlich eingefügt: untereinander]. [S. 4:] [Folgendes Wort handschriftlich unterstrichen:] Rassisch ist die Bevölkerung nicht zu definieren. [...] Die Bessaraber kämpfen zusammen mit den Rumänen gegen den Bolschewismus. 1918
10 Deutsche: Die deutsche Minderheit in Rumänien gehörte nicht zur „Mehrheit“. Ihr Anteil betrug unter 2%. Dennoch hatte sie im rumänischen Parlament eine Vertretung im „deutsch-bessarabischen Volksrat“. Vorsitzende waren ab 1920 Kalmbach, ab 1926 Oberpastor Daniel Haase aus Tarutino, ab 1934 Dr. Otto Broneske. Nach Bisle-Fandrich 1996, Tarutino, S. 57.
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erfolgt die Unabhängigkeitserklärung und der Anschluss an Rumänien. Bis 1934 ständige Spannung zwischen Rumänien und Russlang. Italien und Japan hatten den Anschluss Bessarabiens an Rumänien bis 1934 nicht anerkannt. [… S. 5: ...] Von 1814 – 42 entstanden 24 deutsche Kolonien. Die deutschen Namen der Dörfer [...] bestehen nichtamtlich in der Mundart noch heute fort, z.B. Molojarosolawtz, (Württemberg, jetzt nichtamtlich Wittenberg).11 [...] Der russische Statt kümmert sich nicht um die Tochtersiedlungen. [...] 1919–25 entstehen im Verlauf der [handschriftlich durchstrichen: russischen, eingefügt: rumänischen] Agrarreform (jeder Grundbesitz darf [S. 6:] nicht mehr als 100 Hektar betragen) kleine Höfe, oft nur bis zu 6 Hektar. [...] Der Großgrundbesitz wird enteignet. Damit ist eine weitere Entwicklung des bessarabischen deutschen Bauerntums unmöglich gemacht. [… S. 7: ...] 1881 wurde die russsische Sprache Pflichtfach. 1892 vollzog sich die Russifizierung des Gesamtunterrichtes. Langsames Absinken des Zusammengehörigkeitsgefühls durch räumliche Entfernung zwischen den Mutter- und Tochtersiedlungen, Zerreissen der Bande zum Mutterlande nach dem Tode der ersten Siedler. [...] Das Schwanken des Klimas zwischen kalt, heiss, dürr und nass bestärkte das Glaubensleben. Die Menschen sind gottergeben, fromm, unbeirrbar und unnachgiebig, arbeitsam und pflichttreu, bedächtig, wortkarg und nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Die Gastfreundschaft ist gross, obwohl der Bauer argwöhnisch und sparsam ist. [...] Schenkung einer Einwohnerstelle an Unbemittelte ist nicht selten. Es gibt kaum [S. 8:] Mischehen, es herrscht ein starkes Sippengefühl. Die Russen waren gegen jeden Einigungsversuch. Seit dem Anschluss an Rumänien entstehen neue Jugendbewegungen. Viele Deutsche, die in russischen höheren Schulen erzogen wurden, gingen dem Deutschtum verloren. Während des [ersten] Weltkriegs nahmen die Bedrohungen zu. Sprache und Predigt werden verboten, deutsche Schulen geschlossen, die Lehrer abgesetzt. 1917 sollen alle Deutschen nach Sibirien verschickt werden. Durch die Revolution 1917 wird das verhindert. Nach 1917 gehen Abordnungen nach Moskau, es wird der Verband russischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit gegründet. Nach dem Anschluss an Rumänien löst sich dieser Verband auf. Es erfolgt der Zusammenschluss mit den Deutschen in [den rumänischen Landesteilen:] Banat, Siebenbürgen, Bukowina und Dobrudscha. 1920 Zusammenschluss aller Deutschen Bessarabiens, es wird ein Volksprogramm aufgestellt. Der deutsche Volksrat gilt als höchste Vertretungskörperschaft [im rumänischen Parlament]. [...] Es wird die große Einheit herangebildet, die wir heute als deutsche Volksgruppen in Bessarabien sehen, mit ihrer bewussten Arbeit an der Erhaltung und Pflege des Volkstums. Baustil der Dörfer: Meist Einstrassen-Dörfer und zum Teil auch Weilerartig angelegt. Einstrassige Kolonie in breiten Tälern. An die deutsche Bauweise erinnert nur der Brauch, das Haus mit dem Giebel zur Strasse zu bauen, sonst eigener Stil. Im Norden ärmliche Häuser. Volkstracht, Volkskunst, Feiergestaltung ausgestorben durch strenge kirchliche Form. Volksbrauch und Sippe [= Sitte?] verdrängt.12 Wenige Darstellungen des Volksgutes in Liedern und Märchen. Tanzen
11 Molojarosolawtz meint Malojaroslawetz I (russisch), deutscher Name Wittenberg, amtliche Namen 1940 rumänisch Malu Mare, 1995 ukrainisch Perwyj Malojaroslawetz. Vgl. Ernst, Verzeichnis deutsche Siedlungen Bessarabien. In: Museum und Archiv (1996), S. 70. 12 Volksbrauch verdrängt: Dagegen stehen Dokumentationen der Zeitzeugen, die Feiern nach traditionellen Gebräuchen erinnern und mit Fotos belegen. Vgl. Bisle-Fandrich 1996, Tarutino, im Kap. „Sitten und Gebräuche“, S. 186–207.
Q7/Berichte
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war zeitweise ganz verboten. Seit 1918 hier langsames Erwachen. [… S. 9: ...] In manchen Gegenden schwäbisch niederdeutsches Gemisch. Starke Bestrebungen, das Mischsprachige wieder zu trennen. Seit 1934 besteht die nationale [handschriftlich eingefügt: Erneuerungs-] Bewegung der Deutschen in Rumänien. (U.E.D.R.)13 (Dr. [durchstrichen: Brunecke – eingefügt:] Broneske)14. Das Volksprogramm der Deutschen in Bessarabien bildet einen Teil der deutschen Volksgemeinschaft in Rumänen und eine Gaugruppe des Verbandes der Deutschen in Rumänien. Zur Gaugruppe gehören alle in Bessarabien wohnenden Deutschen, soweit sie sich zum Deutschtum bekennen. [...] Es besteht eine Gustav-Adolf-Stiftung und ein Frauenverein; in Sarata besteht das Alexander Asyl, seit 1866 (Diakonissen-Haus für Kranke, Sieche und Schwachsinnige. Platz für 100 weibliche, 30 männliche Pfleglinge. Seit 1903 besteht das Asyl für alte Frauen in Elim und Sarata. 1932 das Altersheim in Tarutino. Versorgt werden die Heime von Schwestern des [S. 10:] Diakonissenhauses. [...] Kindergarten nur rumänische. Kindergärtnerinnen durften nicht deutsch sein. [...] seit 1931 ein Lehrerseminar. 1932 entstehen die Jugendbewegungen, 1933 Erneuerungsbewegungen, 1933 Jugendtreffen in Tarutino. Der deutsche Volkskalender in Bessarabien ist kulturell wichtig. In Tarutino ist ein Heimatmuseum [...]. Die Krankenhäuser sind staatlich. Früher bestand eine eigene Verwaltung. Der Kreis Cetatea Alba hat 9 Spitäler. Sarata und Tarutino haben deutsche Ärzte. B u r n a s ist ein rein deutscher Badeort. 21 deutsche Ärzte, 4 Zahnärzte gibt es in ganz Bessarabien. Sie haben fast alle an reichsdeutschen Hochschulen studiert. Dr. Dobler ist der Leiter des Krankenhauses in Sarata. Es gibt 4 deutsche Hebammen und einen deutschen Feldscher. Ungeschulte Hebammen sind gleichzeitig Kurpfuscher. Es gibt 34 Kulturvereine, die gleichzeitig Armenunterstützung betreiben und 31 Frauenvereine. die deutsche Turnerjugend [S. 11:] ist die neue Jugendbewegung. Frauen sind im Volksdienst zusammengefasst und organisieren Arbeitslager innerhalb der Erneuerungsbewegung.15
13 UEDR meint NEDR („Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien“). Es gibt auch die Schreibweise „NSEDR“ für diese dem NS in Deutschland nahe stehende Bewegung im Bessarabien der 1930er Jahre. Die Partei bekam am 23.3.1934 die Mehrheit im „Volksrat“. Schon am 21.7.1934 wurde die NEDR in Rumänien allerdings verboten. Nach Bisle-Fandrich 1996, Tarutino, Zeitleiste S. 22. 14 Broneske: Dr. Otto Broneske (1899–1989), geb. in Bessarabien, studierte in Freiburg und war seit 1936 und auch zur Zeit der Umsiedlung Vorsitzender des „Volksrates“ im rumänischen Parlament. Nach der Umsiedlung spielte die bessarabiendeutsche Führung bis Kriegsende keine Rolle mehr. Nach Kriegsende und Flucht wurde Broneske 1953 Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen in der Bundesrepublik Deutschland und 1956 Leiter der Heimatauskunftsstelle der Deutschen aus Rußland, Bessarabien und der Dobrudscha im Innenministerium. Er baute auch das Heimathaus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart mit auf. Nach Bisle-Fandrich 1996, Tarutino, S. 57. 15 Erneuerungsbewegung: Die „Erneuerungsbewegung“ (NSEDR) und das „Deutsche Volksblatt“ (DV) in Bessarabien wurden in den 1930er Jahren vom Deutschen Reich gefördert und beeinflussten die „Auslandsdeutschen“ politisch Nur so wird verständlich, dass in Bessarabien Frauen im „Volksdienst“ sog. „Arbeitslager“ organisiert haben sollen, wie es oben notiert ist. Auf Fotos der 1930er Jahre bilden die Aufstellungen bei Turnveranstaltungen für die Jugend in Bessarabien ein uniformiertes Einheitsbild ähnlich dem Vorbild der deutschen NS-Jugendorganisationen. Vgl.
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Quellen-Inventar
[...] Biologisch ist die Bevölkerung gesund. [...] Austausch von Kindern zur Erholung in den anderen Volksgruppen. [...] 1929 ca. 80 000 Volksdeutsche. 1938 schenkt der rumänische Staat der deutschen Kirche 57 Schullokalitäten, die bei staatsfeindlichen Handlungen wieder eingezogen werden. [Seitenende]
Q7/Bericht Nr. 2
2 Seiten Typoskript auf einer Seite (Durchschlag auf Pergamentpapier) Titel: Abschrift! Zur Rückführung der Bessarabien-Deutschen (Fortsetzung) Verfasserin: F.d.R. [= Für die Richtigkeit] Datum: 28.1.41 Anmerkungen und Auszüge: Es geht um Ankunft und Vorbereitungen im Durchgangslager Semlin (oder Prahovo) in Jugoslawien. Auf dem Schiff „Passau“ fuhren die NS-Schwestern, die für die Lager „Zemun und Prahovo“ bestimmt waren. Semlin und Prahovo waren die zwei Lager in Jugoslawien, in die die Umsiedler aus Bessarabien von Galatz aus mit Donauschiffen gebracht wurden. Von hier brachten sie später Eisenbahnzüge weiter ins Deutsche Reich. „Oberin Schnee, der die Leitung für die nach Prahovo fahrenden Schwestern übertragen ist“ (S. 1) wird zitiert: „Am 14. abends kamen wir in Belgrad an und gingen am 15. früh an Bord.“ Dies meint: Ankunft mit den Schiffen am 14.9.1940 im Lager Semlin bei Belgrad, tags darauf am 15.9.1940 Weiterfahrt nach Prahovo. Die NS-Schwestern beschäftigten sich in diesen Tagen vor der Ankunft der Umsiedler „in der Schreibstube, in der Küche und in der NSV mit nähen usw.“ (S. 2). Vielleicht waren Näharbeiten Ausbesserungen von Textilien aus der NSV-Kleiderkammer, mit denen die Umsiedler in den Durchgangslagern dem westeuropäischen Kleidungsstil angepasst wurden und mit denen ihre Säuglinge mit Babykleidung ausgestattet wurden. Über das Zeltlager, vermutlich das in Semlin: Der Aufbau mit volksdeutschen Helfern aus Jugoslawien geschah in militärischen Strukturen: „Durchschnittlich arbeiten die volksdeutschen jungen Männer hier als sogenannter Arbeitsdienst freiwillig und erhalten dafür eine Armbinde mit Spaten. [...] sie werden morgens und abends ein wenig militärisch geschult d.h. sie marschieren im Gleichschritt an den Unterführern vorbei und erhalten soldatische Anweisungen.“ (S. 1).
In einem der Zelt wurde ein „Appell der Volksdeutschen Kreisleiter und Obmänner“ vom „Führer der Volksdeutschen für ganz Jugoslawien, Dr. Jankow,“ veranstaltet (S. 2). Das Rednerpult war geschmückt mit Spaten, Wolfsangel, Lebensrune als „Symbole der Volksdeutschen“ (S. 2).
Bisle-Fandrich 1996, Tarutino, S. 215 (Foto der Jugendtreffen 1932, 1933) sowie S. 49–54 (Presseeinfluss).
Q7/Berichte Transkription Q7/2:
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Abschrift! Zur Rückführung der Bessarabien-Deuschen (Fortsetzung) -.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-. Wie aus der Tagespresse ersichtlich ist, hat sich das Umsiedlungskommando nach Jugoslawien und Bessarabien begeben und die Umsiedlung der Volksdeutschen ist bereits im Gange. Unsere NS.-Schwestern wurden nach einem längeren Aufenthalt in Wien mit dem Umsiedlungskomando eingeschifft. Diejenigen, die für Galatz bestimmt waren fuhren auf der „Wien“, die Anderen für Zemon [=Semlin] und Prahovo auf der „Passau“ Donau abwärts. Neben den Kabinenplätzen für die Älteren war noch ein Speisesaal mit Liegestühlen als Schlafraum eingerichtet und in ausgezeichneter Stimmung wurden diese „Stellungen“ bezogen. Die Fahrt bis Budapest erfüllte alle mit großer Freude und ich lasse die Oberin S c h n e e , der die Leitung für die nach Prahovo fahrenden Schwestern übertragen ist, sprechen: „... [...] Verschiedene kleine Ortschaften passieren wir. Viele Städte, von deutschen Menschen erbaut, tragen noch den Stempel der Kultur der unsere Vorfahren zuerst hierher gebracht hat. Am späten Abend fuhren wir in Budapest ein. [...] Wir bleiben nachts am Kai liegen, als wir am Morgen aufwachten, hatten wir flache, grüne Ufer um uns. Gegen Mittag kamen wir nach Mohatsch. 1 ½ Stunden später passierten wir die Grenze. Am 14. abends kamen wir in Belgrad an und gingen am 15. früh an Bord [weiter nach Prahovo].“ „... Die Zelte, die die Umsiedler aufnehmen sollen, sind teilweise schon errichtet. Wir schlafen auch in einem solchen Zelte auf Strohsäcken. Am Tage ist es in den Zelten ungeheuer heiß, nachts sehr kühl, wir mußten uns alle sehr umstellen. Die Zelte wurden in freiwilligen Arbeitsstunden von den aus den umliegenden Dörfern kommenden deutschen Bauern und Arbeitern erbaut. Durchschnittlich arbeiten die volksdeutschen jungen Männer 14 Tage hier als sogenannter Arbeitsdienst freiwillige und erhalten dafür eine Armbinde mit Spaten. Sie alle haben den Wunsch, auch einmal etwas für Deutschland tunzu können. Am Morgen bringen Lastwagen die frewilligen Arbeitskräfte aus den Dörfern herbei, sie werden morgens und abends ein wenig mililtärisch geschult d.h. sie marschieren im Gleichschritt an den Unterführern vorbei und erhalten soldatische Anweisungen. Abends werden sie öfter zu kleinen Schulungen vereinigt, es werden Vorträge gehalten und Kameradschaftsabende ge-[S. 2:]staltet. Die Bauern haben einen großen Getreidebetrag zur Verpflegung der deutschen Brüder aus Bessarabien gegeben. –––– Der Führer der Volksdeutschen für ganz Jogoslawien, Dr. Jankow, hat die Gelegenheit benutzt um hier einen Apell der Volksdeutschen Kreisleiter und Obmänner abzuhalten. Es waren außerdem die Arbeitsmänner und Burschen anwesend. In dem Zelt, in welchem die Kundgebung abgehalten wurde, waren als Symbol der Volksdeutschen am Rednerpult der Spaten, rechts und links daneben Wolfsangel und Lebensrune angebracht. Die beiden Seiten des Zeltes waren mit Sprüchen geschmückt. Unser Lager sind die Fahnen, sind die neue Zeit, der wir eine Größe bahnen in die Ewigkeit. Der Redner betonte die feste Verwurzelung der deutschen Menschen hier mit dem Boden und legte ein warmes Bekenntnis zur Heimatscholle ab. Er gab der Zuversicht Ausdruck, daß mit dem Siege Deutschlands auch die Lager der Volksdeutschen eine endgültige Klärung erfahren wird. Ich habe nach der Kundgebung den Ortsgruppenleiter eines Dorfes gesprochen, er hat einen unerschütterlichen Glauben an die Zukunft der deutschen Menschen in all den Dörfern in Banat. Für uns alle ist dieser Glaube an den Führer und an das Reich wieder ein großes Erlebnis.“ [...]
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Quellen-Inventar
„Die Arbeit wird erst in einigen Tagen richtig anlaufen, vorerst beschäftigen sich die Schwestern wo es gerade nötig ist. In der Schreibstube, in der Küche und in der NSV. mit nähen unsw.“ [...] Viel Freude und Dankbarkeit empfinden unsere Schwestern, daß sie ihre Hilfe dieser großen Aufgabe zur Verfügung stellen können. All die Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten der Umstellung nehmen sie genr in Kauf. Es geht ja hier um deutsche Menschen, deren tiefes Bekenntnis zum Deutschtum zum Ausdruck kommt in dem Lied, was nach der Kundgebung gesunden wurde. F.d.R. 28.1.41
Q7/Bericht Nr. 3.a./b.
2 Seiten Typoskript (Durchschläge auf Pergamentpapier) = 2 Einzel-Berichte, zusammengeklammert (Lochspuren) Titel: a.) Auszüge aus den Berichten vom Sondereinsatz Bessarabien b.) Aus einem Brief über den Sondereinsatz Bessarabien ! Verfasserin: – Datum: – Anmerkungen: Hier wurden einige offensichtlich verschiedene Auszüge aus Briefen oder Berichten der NSSchwestern zusammengestellt. Insbesondere auf Seite 3.b. wird dabei die Tilgung der für uns heute interessantesten Teile deutlich. Die Auszüge dienten vermutlich öffentlichen Darstellungen. Autorinnen der Abschnitte werden nicht genannt. Anmerkungen zu 3.a.): Unter dem Titel „Auszüge aus den Berichten vom Sondereinsatz Bessarabien“ werden hier Bericht(e) einer oder mehrerer NS-Schwestern aus den Durchgangslagern Semlin oder Prahovo über die Ankunft der Umsiedler mit Dampfern aus Galatz und ihre anschließende Begleitung in Eisenbahnzügen Richtung Deutschland zu lesen gegeben. Es werden keine Anführungsstriche benutzt, daher ist die Zahl der Auszüge nicht klar. Auszüge: Wir erfahren über die Organisation der Umsiedlung der Kranken: – „Wir sind alle, insgesamt 105 Schwestern, in einem großen Zelt untergebracht. Alle Tage kommen 1–2 Schiffe mit den Bessarabiern aus Galatz.“ – „Zu jedem Sonderzug kommt ein Transportführer, 3 Schwestern und vier Frauen von der Frauenschaft. Nach der Ablieferung unserer Leute müssen wir auf schnellstem Wege wieder zurück und werden nach 1 oder 2 Tagen wieder eingesetzt.“ – „Die Jugoslawier hielten uns oft für Fallschirmjäger oder Polen. Teilweise meinten sie, wir wären geflüchtet.“ – Bei der Ankunft der Schiffe aus Galatz erklang „ein schneidiger Marsch des Arbeitsdienstes [...] erwartungsvolle Gesichter, die an uns vorübergingen, stumm hoben sie die Hand und grüßten“ – Bei der Ankunft der Schiffe kamen „die Sanitätsautos gefahren für die Kranken.“
Q7/Berichte
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Transkription Q7/ 3.a.): Auszüge aus den Berichten vom Sondereinsatz Bessarabien Wir sind alle, insgesamt 105 Schwestern, in einem großen Zelt untergekommen. Alle Tage kommen 1–2 Schiffe mit den Bessarabiern aus Galatz. Und von hier nach einigen Tagen Rast geht es weiter nach Deutschland mit der Eisenbahn. Es ist alles ein großer, großer Betrieb. Ein Teil von Schwestern ist schon zu den Transporten eingesetzt worden. Wir freuen uns schon sehr und rechnen für die nächste Woche mit dem Einsatz. Wir sind schon in Gruppen eingeteilt worden, und zu jedem Sonderzug kommt ein Transportführer, 3 Schwestern und vier Frauen von der Frauenschaft. Nach der Ablieferung unserer Leute müssen wir auf schnellstem Wege wieder zurück und werden nach 1 oder 2 Tagen wieder eingesetzt. Die Jugoslawier halten uns oft für Fallschirmjäger oder Polen. Teilweise sagen sie, wir wären geflüchtet. ––– Ich will Ihnen noch schreiben, wie wird die Ankunft der Bessarabiendeutschen erleben. ¼ Stunde vor 22 Uhr kam das Schiff an, um 22 Uhr konnte mit dem Ausladen begonnen werden. Alles was im Lager irgendwie abkommen konnte stand zum Empfang bereit. Ein schneidiger Marsch des Arbeitsdienstes, des Schwäbisch deutschen Heimatbundes erklang. Da standen auch schon die ersten auf der Brücke. Es waren lauter frohe erwartungsvolle Gesichter die an uns vorübergingen. Stumm hoben sie die Hand und grüßten. Es ging uns allen nahe. Doch wir NS.-Schwestern hatten gar nicht lange Zeit uns unseren Gefühlen hinzugeben. Bald gab es, obwohl wir als Transportschwestern nicht zum Dienst eingeteilt waren alle Hände voll zu tun. Hier einer Frau den Säugling abnehmen, dort ein altes Mütterchen zu geleiten oder einige Kleinkinder, die in all zu großer Zahl an Mutters Rockschoß hingen, zu führen. So begleiteten wir sie den kurzen Weg vom Dampfer zu ihren Zelten. Mittlerweile kam auch das zweite Schiff an. Wieder kamen die Sanitätsautos gefahren für die Kranken, die Lastautos für das Gepäck. Lange konnten wir nicht nachher in unseren Zelten einschlafen, denn diese Menschen zu betreuen und an Ort und Stelle zu bringen wird ja unsere Aufgabe für die nächsten Monate sein. Heute nacht waren wir bis 4 Uhr am Landeplatz, um die Menschen, die mit den Dampfern kamen, in Empfang zu nehmen. Sie kommen mit einem unendlich gläubigen Herzen zu Deutschland und zum Führer und zum ganzen deutschen Volk. Viele, viele kleine Kinder. Beim letzten Transport sagt ein kleiner Junge zu einer NS.-Schwester, die ihn auf dem Arm hatte: Schwester, gelt, du trägst mich nach Deutschland?16 ––– Anmerkungen zu 3.b.): Unter dem Titel „Aus einem Brief über den Sondereinsatz Bessarabien“ liest man hier den gekürzten und redigierten Bericht über den Beginn der Arbeit im Auffanglager Galatz, den NS-Oberin Dorothee Rakow am 30. September 1940 aus dem Lager Galatz an ihre Kollegin im Berliner Reichshauptamt, NS-Oberin Edith Blawert, geschrieben hatte.17 Die Originalfassung ist sechs Seiten lang und enthält interessante vertrauliche Passagen, die nicht übernommen wurden. Gleich der zweite Satz wurde entfernt, er lautete: „Sobald man aber den Fuss nach draussen setzt und die Strassen, den Staub und Schmutz, die verkommen Haeuser und die schlampigen, dreckigen Gestalten sieht, dazu die fremden Laute hoert, graust es einen.“ 16 Dieser letzte Satz wird in einem Artikel zu einem Foto zitiert. In: Q7/11.b. 17 Originalfassung: Q6/Brief Nr. 3.
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Quellen-Inventar
Zum Vergleich von vertraulicher Originalversion und gekürzter öffentlichkeitstauglicher Version ziehe man die Originalversion heran. Ansonsten finden sich in der Transkription Doppelungen zum genannten Brief. Auszüge: – Über die Ankunft des ersten Schiffes „Helios“ aus dem Hafen Kilia: „1000 Menschen [...] die Hälfte Kinder bis zu 14 Jahren, eingeschlossen 80 Säuglinge, einige Lungenentzündungen, eine Nierenbeckenentzündung, sonst nicht besondere Erkrankungen.“ – „Aus der Gruppe der Volksdeutschen haben wir 2 volksdeutsche Schwestern in die Arbeit eingespannt.“
Transkription Q7/3.b.): Aus einem Brief über den Sondereinsatz Bessarabien Vier Wochen sind nun schon seit unserer Abreise ins Land gegangen. Solange man hier im Lager in der Arbeit steht, hat man gar nicht das Gefühl, daß man sich im Ausland befindet. Vorläufig ist der ganze Betrieb noch als ruhig anzusprechen aber wir können recht froh darüber sein, denn man hat noch eine Menge mit Einrichten zu tun. Da war erst zu überlegen, was wird in der Säuglingsküche gebraucht denn mit dem Primitivsten mußte angefangen werden. Wir haben aber eine richtige Küche im Haus der Lagerverwaltung mit Wasserboiler und Abwaschtisch. Nach dem üblichen Scheuerfest wurde sie am 2. Tag in Betrieb genommen. Daneben liegt ein Raum, morgens und abends dient er den im Hause wohnenden als Waschraum. Hier haben wir 3 Säuglingsbadewannen und ein paar Waschbütten zum Abseifen für größere Kinder aufgestellt. Ein Schreibtisch wurde Wickeltisch. Sie können sich denken, daß hier tagsüber reger Betrieb herrscht. Alle freuen sich auf die neue Heimat, die sich im großen deutschen Reich finden werden. Trotz der Schwere und Erdgebundenheit sind die Bessarabier ein froher Menschenschlag. Da wird bald einmal ein Tänzchen improvisiert und diesem Falle läßt die Mutter, die sonst ihren Säugling in einem großen festgeschlagenen Umschlagtuch mit sich herumträgt, diesen beiseite. Abends klingt die Handharmonika auf und in den Schlaf hinein hört man alte deutsche Volkslieder, oder auch nur den Bessarabiern bekannte Weisen. Ein Teil unserer Schwestern besorgt die ErwachsenenBetreuung in den Lagern, d.h. sie achten auf Krankheiten, die sie dem Arzt melden müssen. Die Kranken werden dann im Lazarett oder im lager von den Schwesern versorgt. Wenn aber die großen Transporte kommen, werden wir nur noch die Versorgung der Kinder bis zum 4. Lebensjahr übernehmen einschließlich der Ernährung. Gestern besuchten mich auf der Durchfahrt die 4 Schwestern des Schiffes „Helios“. Sie hatten ihren ersten Transport hinter sich und fuhren erneut nach Kilian, um wieder Umsiedler zu holen. Auf dieser ersten Fahrt waren etwa 1000 Menschen an Bord, davon die Hälfte Kinder bis zu 14 Jahren, eingeschlossen 80 Säuglinge; einige Lungenentzündungen, eine Nierenbeckenentzündung, sonst nicht besondere Erkrankungen. Es sei alles gut gegangen –––– Wer von den Schiffschwestern Zeit zu einem Sprung herauf in’s Lager findet, nutzt dieses aus; denn das Lager Galatz ist ihnen jetzt die kleine Heimat, in der sie alle Erlebnisse, Nöte und Freuden schnell abladen können. Aus der Gruppe der Umsiedler haben wir 2 Volksdeutsche Schwestern in die Arbeit mit eingespannt und eine junge 24 jährige Waise, die bei einem Arzt als Hilfe war. Alle drei wohnen mit im Lager. Die Kleine hat sich so in unseren Kreis hineingewöhnt, daß sie in der Arbeit in der Milchküche glücklich ist.
Q7/Berichte
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Q7/Bericht Nr. 4
2 Seiten Typoskript (Durchschläge auf Pergamentpapier) Titel: Bericht von der Bessarabien-Aktion Verfasserin: NS-Schwester Berti Schleu[...] Datum: – [1941] Anmerkungen: Bericht über den ersten Schiffs-Transport mit 987 Alten, Müttern u. Kindern vom russischen Hafen Kilia zum Auffanglager Galatz.18
Auszüge: Schiffstransport mit Hilfsbedürftigen aus dem Hafen Kilia: – „Nach 5-tägiger Dampferfahrt kamen wir in Galatz an. [...] Nach einigen Tagen hieß es ‚Montag Abfahrt, erster Transport von Kilian‘, alles wurde vorbereitet [...] Als wir in Kilian ankamen, dämmerte es schon und bis alle Formalitäten erledigt waren, war es inzwischen Dunkel geworden. Es kamen nun 450 Kinder mit ihren Müttern und ganz alte Leutchen an, wir hatten 987 Personen eingeschifft“ (S. 1). – „Auch die Schwester im Arztzimmer [...] dort ging es zu wie in einem Taubenschlag.“
Auf das Schicksal behinderter Kinder und diesbezügliche Aufgaben der NS-Schwestern könnten sich ggf. folgende Zitate beziehen: 18 Vgl. zum gleichen Thema: Q7/Bericht Nr. 3b.
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Quellen-Inventar – „Manchem hatte das Schicksal eine schwere Bürde aufgetragen und nun waren sie froh, der Nachtschwester in kurzen und stockenden Sätzen ihr Herz ausschütten zu können, man braucht nicht viel zu sagen, nur hinhören, mancher schwere Schicksalsweg wurde aufgerollt, erleichtert und dankend fuhren sie dann der neuen Heimat entgegen“ (S. 1). – „wenn wir einmal verzagen und missmutig an unsere Arbeit gehen, dann werden wir uns aufrichten können an den Worten dieser einfachen Menschen: ‚Der Führer hat gerufen, wir haben zu folgen!‘“ (S. 2).
Transkription Q7/4:
Bericht von der Bessarabien-Aktion. Im vorigen Jahre wurde uns an einem Tage im August die Mitteilung gemacht „bereit halten zum Sondereinsatz“, wie haben wir uns alle gefreut und es wurde hin und her geraten, wohin es gehen würde; dass es nach Bessarabien gehen sollte, erriet niemand. Mit fieberhaftem Eifer wurde alles fertiggemacht und jeden Tag fragte man sich, geht es denn noch immer nicht los. Da endlich rückte der Tag heran, am 2. September sollten wir abfahren. Wir trafen uns abends auf dem Bahnhof in Begleitung von Angehörigen und Bekannten, ein letzter Händedruck, alles Gute, glückliche Heimkehr ! und der Zug rollte mit uns ab in die unbekannte Ferne. Zuerst ging es bis Wien. In der Jungendherberge trafen so nach und nach alle ein, die für diese Aktion bestimmt waren. Es war eine muntere Gesellschaft, aus allen Gauen des Reiches, die sich zusammenfand. die Tage in Wien waren angefüllt vom frühen Morgen bis zum Abend, man musste doch die Zeit ausnutzen und die Stadt und Umgebung kennenlernen. Endlich wurden wir am 13. September eingeschifft. Mit zwei Schiffen fuhren wir nun unserem Ziel entgegen. Es war ein herrliche Fahrt, unsere Augen konnten sich nicht satt sehen an den Schönheiten der Natur, manches hielten wir fest in unseren Aufnahmen. Die Abende und die Tage, an denen uns das Wetter nicht recht hold war, wurden mit allerlei Kurzweil ausgefüllt. Nach 5-tägiger Dampferfahrt kamen wir in Galatz an. Wir waren auf die balkanischen Zustände gefasst, konnten sie uns aber nicht vorstellen. Immer wieder mussten wir uns sagen „es gibt doch nur ein Deutschland“. Wir waren ja nicht zu unserem Vergnügen gefahren, so sahen wir über alles hinweg und hatten uns bald daran gewöhnt. Nach einigen Tagen hiess es „Montag Abfahrt“, erster Transport von Kilin, alles wurde vorbereitet und wir fieberten vor Erwartung. Als wir in Kilian ankamen, dämmerte es schon und bis alle Formalitäten erledigt waren, war es inzwischen dunkel geworden. Es kamen nun 450 Kinder mit ihren Müttern und ganz alten Leutchen an, wir hatten 987 Personen eingeschifft. Jetzt waren alle voll beschäftigt, denn die Leute mussten doch alle untergebracht werden. Die Säuglingsschwestern hatten ihre Arbeit mit den Säuglingen und Kleinkindern, da gab es zu tun vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Wie schön war es, wenn die Kinder mit Obst und Gebäck beschenkt wurden, die strahlenden Augen der Kindert war Belohnung für die schwere Arbeeit. Auch die Schwester im Arztzimmer durfte sich nicht über zu wenig Arbeit beklagen, dort ging es wie in einem Taubenschlag, sogar in der Nacht kamen sie mit ihren Wünschen und Nöten an. Manchem hatte das Schicksal eine schwere Bürde aufgetragen und nun waren sie froh, der Nachtschwester in kurzen und stockenden Sätzen ihr Herz ausschütten zu können, man brauchte nicht viel zu sagen, nur hinhören, mancher schwere Schicksalsweg wurde aufgerollt, erleichtert und dankend fuhren sie dann der neuen Heimat entgegen. Bei jedem Transport sah man den grossen Glauben dieser Leutchen. als die ersten alten Leutchen mit ihren Bündeln, worin sie ihre nötigsten Sachen hatten, ankamen, überkam einen doch ein eigenartiges Gefühl und man gedachte der eigenen alten Eltern, als dann aber ein altes Mütterchen laut sagte:
Q7/Berichte
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„Jetzt sind wir endlich zu Hause“, da freute man sich mit ihnen. Immer wieder sah man bei jung und alt die Freude über die Heimkehr und immer wieder hörte man die Worte: „Wie glücklich sind wir, dass wir so eine Heimat haben“. In stillen Stunden musste man sich gestehen, von diesen Menschen ist zu lernen. Wenn man sie nun nach dem fragte, was sie verlassen hatten, dann bekam man die Antwort: „Wenn wir es auch nicht besser [S. 2:] bekommen, als wir es gehabt haben, die Hauptsache ist, wir sind zu Hause,“ „der Führer hat gerufen, wir haben zu folgen !“ Die alten Leute konnten in der ersten Nacht auf dem Schiff nicht schlafen, so sassen sie zusammen und unterhielten sich darüber, wie es wohl im Reich aussehen würde, vorstellen konnten sie es sich nicht. Glücklich waren alle, wenn man ihnen etwas von dem Reich erzählte, dann strahlten ihre Augen und sie fragten: „Wie lange dauert es noch, bis wir dort sind ?“ So verging die Zeit im Fluge. Jeder neue Tag war angefüllt mit Arbeit und neuen Eindrücken. Es wird usn eine unvergessliche Zeit bleiben und wenn wir einmal verzagen und missmutig an unsere Arbeit gehen, dann werden wir uns aufrichten können an den Worten dieser einfachen Menschen: „Der Führer hat gerufen, wir haben zu folgen !“ NS-Schwester Berti S c h l e u [...]
Q7/Bericht Nr. 5
5 Seiten Typoskript (Durchschlag auf Pergamentpapier) Titel: Meine Eindrücke über die Umsiedlungsaktion in Bessarabien Verfasserin: gez. Hanna Kl[...] (NS-Schwester) Datum: – Anmerkungen: Bericht einer NS-Schiffsschwester, die viermal insgesamt 400 Umsiedler begleitete, u.a. über Einberufung und Ankunft. Auszüge: Begegnung mit Behinderten und Juden in der Stadt Galatz: – „Bilder, die wir überhaupt nicht mehr kennen, tauchten hier vor uns auf. Verkrüppelte und Verstümmelte hockten an den Strassenecken“ (S. 3). – „Hervorstechend unter allen diesen Menschen waren die Juden, die das Geschäftsleben beherrschten. Auch hier versuchten sie ein Land auszubeuten und ihren Zielen gefügig zu machen. In Deutschland hat der Nationalsozialismus Schluss mit diesen Ausbeutern gemacht. In Rumänien versucht die Eiserne Garde ihr verseuchtes Land wieder freizumachen. Es ist eine schwere Aufgabe. –“ (S. 3).
Weltanschauliche Aufgaben der NS-Schwestern auf dem Umsiedlerschiff von Kilia ins Lager Semlin: – „Hier galt es, als Vertreter Großdeutschlands dazustehen [...]. Wir sorgten als Schwestern für die Kranken, die Mütter und die Kinder. Aber wichtiger war es, ihnen als NS.-Schwester eine Weltanschauung nahezubringen“ (S. 4).
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Quellen-Inventar – „Deutsche Lieder klangen auf. Nicht nur bekannte Volkslieder, auch neue und neueste Soldatenlieder vom jüngsten Geschehen“ (S. 4). – „Ein Schiff mit 400 Menschen und 400 Schicksalen [...]. Sie werden viel lernen müssen im Deutschen Reich“ (S. 5). – „Hatten wir Belgrad erreicht, so mussten wir sie ausladen, da sie dort alle im Lager Semlin gesammelt wurden. [...] Wir hatten versucht, ihnen das Deutschland der Jetztzeit zu zeigen, soweit dies in der kurzen Zeit möglich war. Wir haben keine Reden gehalten. Wir haben uns mit ihnen unterhalten (...) und uns immer bemüht vor ihnen zu stehen als Vertreter der nationalsozialistischen Weltanschauung und als Abgesandte des Führers“ (S. 5). – „die Deutschen aus Bessarabien [...], die alles im Stich liessen in dem unerschütterlichen und fanatischen Glauben an den Führer, der sie heimgerufen hat“ (S. 5).
Transkription Q7/5: Meine Eindrücke über die Umsiedlungsaktion in Bessarabien Der Auftakt unserer Teilnahme an einem der größten Ereignisse unserer Tage der Völkerwanderung des 20. Jahrhunderts begann mit einem Telefonanruf: „Für die Umsiedlung in Bessarabien werden NS.-Schwestern eingesetzt“. Erst sahen wir uns ungläubig an. Dann aber brach der Jubel los, denn wir durften mit dabei sein. Eine fieberhafte Geschäftigkeit begann. In kurzer Zeit sollte alles bereitstehen. Wir hatten keine Sorge, dass wir dies nicht schaffen würden und es klappte auch. Seit Anfang August war wohl keine unter uns, die sich nicht eine Karte vom Balkan besorgt hatte. Fremde Lande, unbekannte Welten taten sich vor uns auf. Was wussten wir schon vom Balkan? Dass der Balkan oft zum Brandherd der Politik wurde, dass es dort wichtige Oelquellen gibt und dass in vielen Siedlungen Deutsche wohnen und wohl, daß dort unten ein buntes Völkergemisch ist, das war eigentlich alles. Und jetzt sollten wir dies mit eigenen Augen sehen dürfen. Manchmal war es noch unfassbar. Und immer hieß es warten und warten. Doch dann auf einmal war der Tag da. Wir standen auf dem Bahnhof. Wir waren ein wenig verlegen über das allgemeine Aufsehen, das wir in unserer neuen Ausrüstung erregten, aber im Innern doch recht stolz auf unsere weite Reise. Wie die Soldaten kamen wir uns vor. Schwer bepackt waren wir mit Rucksack und Koffer. Bis ins Kleinste hinein war alles gleich. Bei uns standen die Mütter, Schwestern und Verwandte, um uns noch einmal zuzuwinken. Sogar Blumen bekamen wir ins Abteil gereicht. dann hies es „Zurücktreten vom Zuge“. Dieser ruckte an und wir fuhren, fuhren mit strahlenden Gesichtern und aufgeschlossenen Herzen in ein fremdes und geheimnisvolles Land. Das heisst, am nächsten Morgen landeten wir erst einmal in Wien, der südöstlichsten Großstadt Deutschlands.19 Für uns war es die letzte Station in der Heimat, das Tor zum rätselhaften Balkan. Nach Tagen der Unruhe und des ungeduldigen Wartens öffnete sich dieses Tor.20 Wir wurden auf ein Schiff verladen. Wir waren NS.-Schwestern, Aerzte, Transportleiter, Frauenscbaft, SS, Rotes Kreuz, ein buntes Gemisch aus den verschiedensten Gauen Deutschlands, aber alle in froher Erwartung und voll Stolz über diesen Einsatz. Nun fuhren wir die Donau entlang. Aber sie, die Vielumsungene, zeigte sich nur grau in grau. Eintönig rauschte der Regen herab und ein wenig von diesem Grau wollte sich in unsere Herzen einschleichen. [S. 2:] Aber wozu waren wir jung, gesund und vol19 Südöstlichste Großstadt Deutschlands: Seit dem „Anschluss Österreichs“ gehörte der neue „Gau Ostmark“ zum „Großdeutschen Reich“. Daher war Wien seit 1938 eine „deutsche Großstadt“. 20 Tor zum Balkan: Die erste Station Wien war für das Umsiedlungskommando ein „Tor“, das sich nicht für jeden öffnete. In den Vorbereitungstagen fielen Entscheidungen. Manche der Einberufenen kehrten aus Wien wieder heim. Vgl. Q2/Tagebuch.
Q7/Berichte
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ler Erwartung ! Am Freitag waren wir abgefahren. Nun kam schon der Sonntag. Ein Sonntag, der unbeschreiblich schön war. Der strahlende Himmel lachte uns schon am Morgen an und die Sonne schien alles Gold der Welt in sich aufgenommen zu haben, um uns verschwenderisch damit zu überschütten. Das ganze Schiff und all’ die Menschen schienen in diesen Glanz getaucht zu sein. Alles Laute und Lärmende der vorhergehenden Tage war verschwunden. Eine feiertägliche Stille hatte sich ausgebreitet. Und wir schauten und schauten. Wir sahen die Ufer mit ihren weiten Ebenen, die zeitweilig so unbewohnt schienen. Die Landschaft wurde hügelig und felsig. In den Felsen sieht man noch heute die Römerstrasse, die sogenannte Trojanstrasse. Sie gab uns ein Bild von der ungeheuren Macht des einstigen Römerreiches. Doch als wir durch die engste Stelle der Donau, durchs Eiserne Tor fuhren, sprach die Gegenwart uns an. In den Felsen sah man die Spuren des verbrecherischen Anschlags des englischen Geheimdienstes. Hier sollten die Felsen mit Dynamit gesprengt werden, um die Schiffahrt auf der Donau, dieser wichtigen Wirtschaftsader des Deutschen Reiches, stillzulegen für lange Zeit. Da spürten wir wieder, dass wir im Kriege waren und dass der Feind überall seinen Hass gegen uns zum Ausdruck brachte.21 Aber wir wußten auch, dass dieser Hass uns nicht sehr lange verfolgen würde, denn der deutsche Sieg wird es mit sich bringen, dass der Hass seine Macht für immer verliert. Ein dankbarer Gruss ging an den Mann, der mitten in Krieg und Hass seine Deutschen heimholte, zu denen wir auf dem Wege waren. Es waren keine Befehle an sie ergangen, doch der Ruf hatte sie erreicht und nun gab ihr deutsches Blut keine Ruhe mehr. Seit Monaten raunte und rauschte es in ihnen von ihrer Heimat, vom Grossdeutschen Reich. Und der Ruf des Führers beschwor die größte planmäßige Völkerwanderung der Geschichte herauf. Bei aller landschaftlichen Schnheit und allem Neuen vergassen wir niemals unser Ziel. Wir waren immer wieder im Stillen dankbar, dass wir bei dieser Aktion dabeisein durften. Unser schönes, stolzes Schiff fuhr unbeirrt Tag und Nacht. Immer weiter ging es von der Heimat fort in die lockende Ferne. Und dann war es auf einmal soweit. Wir waren am Ziel und hatten Galatz, eine bekannt, rumänische Hafenstadt erreicht. Aber vorerst durften wir das Schiff nicht verlassen. Mit Herzen voll brennender Ungeduld warteten wir. Vor uns lockte das Fremde, der Balkan mit [S. 3:] seinem ganzen orientalischen Zauber. Endlich durften wir gehen. Das gab ein Aufsehen in der Stadt. Ueber 100 NS.-Schwestern, verliessen wir in dreifacher Kolonne das Schiff. Wir wollten nicht wie die Soldaten mit gleichem Schritt und Tritt marschieren. Aber wir zeigten, dass wir eine Gemeinschaft waren, die Disziplin halten konnte. Unsere äussere Geschlossenheit sollte dies kund tun. Wir gingen durch Galatz mit grossen, staunenden Augen. Hier war der Balkan. Galatz, früher eine ganz türkische Stadt, hatte europäische Tünche aufgelegt. Aber die Tünche hielt nicht stand und hinter allem kam das Orientalische, aber gleichzeitig furchtbar Schmutzige mit der bittersten Armut verbunden, zum Vorschein. Bilder, die wir überhaupt nicht mehr kannten, tauchten hier vor uns auf. Verkrüppelte und Verstümmelte hockten an den Strassenecken, in Lumpen gehüllte und bettelten. Ueberall sassen die öffentlichen Schuhputzer und schrillten die Stimmen der Jungen, die mit ihren Zeitungen durch die Strassen rannten. In den Hauptstrassen war eine lebendige Geschäftigkeit. Es war ein buntes Bild. Hier konnten man nicht von einer Rasse sprechen, die sich in den Menschen verkörperte. Es war ein Völkergemisch, wenn auch der dunkel Typ vorherrschend war. Aber hervorstechend unter allen diesen Menschen waren die Juden, die das Geschäftsleben beherrschten. Auch hier versuchten sie ein Land auszubeuten und ihren Zielen gefügig zu machen. In Deutschland hat der National21 Sprengung am Eisernen Tor: Vgl. Q5/Fotos E3 und D7.
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Quellen-Inventar
sozialismus Schuss mit diesen Ausbeutern gemacht. In Rumänien versucht die Eiserne Garde ihr verseuchtes Land wieder freizumachen. Es ist eine schwere Aufgabe.– Eine ganze Zeit lagen wir in Galatz und hatten Gelegenheit, diese von allen Seiten kennenzulernen. Wir wurden hie rauf die einzelnen Schiffe verteilt, die die deutschen Rückwanderer holen sollten und konnten nun mit Stolz von „unserm“ Schiff sprechen. Für Wochen sollte uns dies eine Heimat werden und ist es geworden. Wir alle, die wir eine verschiedene Arbeit, aber ein gemeinsames Ziel hatten, wurden eine verschworene Gemeinschaft, deren Kameradschaft unerschütterlich war. Eine große Aufgabe stand vor uns. Wir fuhren nach Chilia, einer Hafenstadt im Donaudelta. Sie war jetzt russisch und wir durften nicht einen Schritt von Bord gehen. So warteten wir auf unsere Leute, die wir dort einladen sollten. Sie kamen [...] auf Lastkraftwagen von der NSKK aus ihren Dörfern geholt, kamen sie [S. 4:] staubig und verschmutzt im Hafen an. Aber unter all’ dem Schmutz und Staub strahlten ihre Augen voll freudiger Erwartung. 400 Menschen konnten wir auf unserem Schiff unterbringen, Männer, Frauen und Kinder. Letztere waren in weitaus grösserer Anzahl. Ein großer Teil der Männer fuhr mit dem Treck bis Galatz und wurde dann von dort verladen. Jetzt, mit dem ersten Transport begann auch für uns die Arbeit, die uns schon lange am Herzen lag. Es war eine unvergessliche Zeit und eine unvergessliche Arbeit. Hier galt es als Vertreter Großdeutschlands dazustehen. Wir sorgten als Schwestern für die Kranken, die Mütter und die Kinder. Aber wichtiger war es, ihnen als NS.-Schwester eine Weltanschauung nahezubringen, die sie im Innersten ansprach und die sie auch verstanden. War sie doch aus dem gleichen deutschen Blute geboren, das uns und sie verbindet. Und stand doch vor allem über dieser Weltanschauung ein Mann, dessen Name mit soviel Liebe und Inbrunst genannt wurde, dass man dahinter den unerschütterlichen Glauben und die tiefe Sehnsucht spürte. Sie hatte ihre deutschen Seelen so aufgerüttelt, dass sie alles im Stiche liessen, um den [sic!] Ruf ihren Blutes zu folgen. Vor Jahrzehnten, Jahrhunderten waren ihre Ahnen ausgewandert, hatten sich ansässig gemacht und waren reich geworden. Bauern, die auf ihrer Scholle sassen und mit zufriedenem Blick auf ihr Besitztum schauten. Erst standen sie unter rumänischer Herrschaft und die letzte Zeit unter russischer. Es waren schwere Monate gewesen. Aber nie hatten sie ihr Deutschtum aufgegeben und je mehr sie darum kämpfen mussten, desto härter und einsatzbereiter wurden sie. Wir sassen bei ihnen, wenn sie das erzählten und mussten diese einfachen Menschen bewundern wegen ihres unversiegbaren Glaubens. Was hatten sie alles vom neuen Deutschland gehört und was wollten sie noch alles wissen. Immer und immer wieder mussten wir erzählen. Wie die Kinder konnten sie zuhören und staunen. An stillen, warmen Abenden sass ich manchmal mit den jungen Mädels an Deck und habe mit ihnen gesungen. Dann waren wir auf einmal in Deutschland, ob auch rechts und links der Donau sich fremde Länder erstrecken mochten, ob auch der Boden, auf dem wir standen, ein jugoslawisches Schiff war, wir waren in der Heimat. Deutsche Lieder klangen auf. Nicht nur bekannte Volkslieder, auch neue und neueste Soldatenlieder vom jüngsten Geschehen. Alles, alles kannten diese Mädel und sie sangen mit einer Begeisterung, wie es nur Menschen fertigbringen, denen die deutschen [S. 5:] Lieder im Blute liegen. Sie waren so unbeschwert diese jungen Menschen. Fuhren sie doch in eine neue Zukunft und in ein neues Land, das aber, seltsamer Widerspruch, ihre alte Heimat war. Aber nicht nur die Jugend war begeistert, nein auch die Aelteren und gant Alten. Sie machten es nur stiller ab und brachten zuviel auf dem Herzen mit, um unbeschwert zu sein. Oft hatten sie viel lassen müssen. Die eigenen Felder, den Acker, den sie bestellt und das Haus, das sie mit vielem Fleiss aufgebaut hatten. Aber der Glaube an den Führer half über alles hinweg.
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So fuhren wir Tag und Nacht. Ein Schiff mit 400 Menschen und 400 Schicksalten, denen sich eine neue Zukunft auftat. Sie werden viel lernen müssen im Deutschen Reich. Und das wissen sie auch. Aber sie kommen mit einer ungeheuren Bereitwilligekeit und bringen deutschen Fleiss und deutsche Arbeitskraft mit. Hatten wir in Belgrad erreicht, so mussten wir sie ausladen, da sie dort alles im Lager Semlin gesammelt wurden. 400 Menschen gingen wieder von uns.Wir hatten versucht, ihnen das Deutschland der Jetztzeit zu zeigen, soweit dies in der kurzen Zeit möglich war. Wir haben keine Reden gehalten. Wir haben uns mit ihnen unterhalten, ihnen auf die unzähligen Fragen geantwortet und uns immer bemüht vor ihnen zu stehen als Vertreter der nationalsozialistischen Weltanschauung und Abgesandte des Führers. Sie haben uns am Ende der Fahrten nicht mit großartigen Worten gedankt aber ein fester Händedruck und ein leuchtender Blick waren uns Dank genug. –– Viermal durften wir mit unserem Schiff deutsche Menschen heimholen und jedesmal war es ein neues Erlebnis. wir sind undendlich dankbar und stolz, dass wir als NS.-Schwestern diesen Menschen die ersten Eindrücke des nationalsozialistischen Deutschlands übermitteln durften. Der Einsatz hat uns für unsere Arbeit in der Heimat neue Kraft gegeben. Und wenn einer schwach wird, dann mag er and die Deutschen aus Bessarabien denken, die alles im Stich liessen in dem unerschütterlichen Glauben an den Führer, der sie heimgerufen hat und er für sie die Verkörperung des deutschen Reiches ist, in dem auch sie jetzt leben dürfen. gez. Hanna Kl[...]. -----------------
Q7/Berichte Nr. 6
8 Seiten Typoskript (Durchschläge auf Pergamentpapier) Titel: U m s i e d l u n g ! Verfasserin: NS-Schwester Käte Schm[...] Datum: – Anmerkungen: Der achtseitige Bericht betrifft das Auffanglager Galatz, die Bessarabien-Umsiedlung und die anschließende Dobrudscha-Umsiedlung (Konstanza, Mangalia u.a.). Die Verfasserin Käte Schm., deren Vorname hier ohne h geschrieben wird, war erst im Auffanglager Galatz und anschließend ab 2. November 1940 für die Umsiedlung in der Dobrudscha eingeteilt.22 Auszüge: Die Kleiderkammer der NSV im Lager Galatz: „Sie kamen alle gern ins Reich, trotzdem sie glaubten, in Deutschland wäre Hungersnot.“ (S. 2) – „Ob es in Deutschland noch Schuhe, Stoffe, Seife, Fleisch, Kaffee, Wein, Schnaps und Tabak gab. Auf alle Fragen konnten wir die richtigen Antworten geben [...] Viele waren sehr 22 Q3/Einzelblätter Nr. 5: Käthe Schm. war in Konstanza zusammen mit Franziska To. Vgl. Q6/Brief Nr. 14 (mit Bericht von NS-Schwester Franziska To. über den Dobrudschaeinsatz).
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Quellen-Inventar elend angezogen. [...] Die NSV hatte einen recht schönen Vorrat an Anzügen, Kleidern, Schuhen und Wäsche [...] Die Menschen wollten es oft gar nicht begreifen, dass sie die Kleidung umsonst bekamen“ (S. 3).
Das Lazarett im Lager Galatz: „Viele Umsiedler litten an ‚Fieber‘, wie sie Malaria nannten. Soweit es möglich war, wurden sie von dieser Krankheit gleich im Lager geheilt. Sehr viele kamen schwerkrank im Lager an. Oft denke ich noch an eine Mutter, die mir, als sie aus dem Auto stieg, ihr krankes Kind hinhielt und mich bat, ihm doch zu helfen. Ich brachte sie und den Buben gleich zum Arzt, der den Kleinen im Lazarett behielt, wo er trotz aller Fürsorge nach zwei Tagen starb. Zwei Aerzte hatte die verzweifelte Mutter in Bessarabien schon aufgesucht und beide hatten ihr geantwortet: ‚Geht zu Hitler, der wird Euch schon kurieren!‘ Soviel ich den Reden der Mutter entnehmen konnte, handelte es sich in beiden Fällen um Judenärzte. Gerade bei diesem Transport waren sehr viel Schwerkranke, denen die Aerzte einfach jede Hilfe versagt hatten. Im Lager wurden sie gleich alle dem Arzt vorgestellt, der sie dann ins Lazarett schickte, von wo aus allem bis auf den vorhin erwähnten Knaben und einer ganz alten Frau, gesund oder sehr gebessert, die Reise nach Deutschland antreten konnten“ (S. 2).
Schiff und Sonderzug mit Juden nach Palästina in Mangalia und Konstanza/Dobrudscha: „Montag Mittag fing für mich schon die Arbeit an. Mit Soldaten der SS fuhr ich nach Mangalia 45 km südlich von Konstanza. [...] Sonntag war schon ein Schiff mit 700 Juden über das Schwarze Meer gefahren, um sie dem gelobten Land näherzubringen. Es waren vor allem Juden, die von Deutschland nach Polen gezogen waren. Nach dem siegreichen Einmarsch der deutschen Truppen, hatten sie Rumänien mit ihrem Dasein beglückt, aber auch die Rumänen dankten für diesen Zuwachs und so zogen sie denn gen Jerusalem.23 Die anderen Juden sammelten sich jetzt in Konstanza, von wo aus sie mit dem Schiff und einem Sonderzug in die Heimat gebracht werden sollten“ (S. 4).
Weitere „Völkerwanderungen“ von vertriebenen oder emigrierenden Bulgaren und Rumänen am Schauplatz Mangalia werden beschrieben, auf die der SS-Begleiter der NS-Schwestern rücksichtslos aggressiv reagierte, wenn sie den Weg des NSKK-Autos behinderten. Hausbesuche mit SDG: Überprüfungen, Meldungen, Gesundheitsbogen, Lazarettzug in Mangalia/Dobrudscha: – „Mangalia war eine kleine Stadt mit 2000 Einwohnern, in der das ganze Völkergemisch des Balkans vertreten war. Es wohnten dort 200 Deutsche [...] Die Umsiedlung kam für viele sehr überraschend, trotzdem kamen nach und nach alle, um sich für die Umsiedlung eintragen zu lassen. Ich selbst ging mit dem SDG [Sanitätsdienstgrad] von Haus zu Haus, um Gesundheitsbogen auszufüllen. [...] In allen Wohnungen war es peinlich sauber. Die Säuglinge lagen alles in der Wiege oder im Bettchen, keine der Mütter trug ihr Kind im Tragetuch. Die Frauen hatten noch zum Teil den Webstuhl stehen, an welchem sie Stoffe für die Tragetücher webten, denn sie sagten sehr richtig, wie sollen wir die Kinder auf der grossen Reise tragen24. Alle Ge23 Hier zeigt sich die erwünschte, aber erstaunlich empathielose Haltung einer nationalsozialistischen Krankenschwester gegenüber Menschen in Notsituationen. 24 Hier scheint durch, dass die peinliche Sauberkeit der Wohnungen und die Leugnung der Benutzung von Tragtücher im Alltag ggf. auf die Überprüfung der deutschen NS-Schwester hin gestaltet wurden. NS-Oberin Schwester Dorothee hatte an anderer Stelle beschrieben, wie die NS-Schwes-
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brechlichen, Kranken, Schwangeren und Mütter mit ganz kleinen Kindern schrieben wir extra auf und gaben von jedem Dorf dem zuständigen Arzt die Aufstellung. Der Arzt machte dann bei diesen ihm gemeldeten Familien Hausbesuche und stellte fest, wer mit dem Lazarettzug die Reise ins Reich antreten musste“ (S. 5).
Tuberkulose in der Dobrudscha: „Ungefähr 300 Deutsche lebten hier ein recht elendes Leben [...] die Not hatte in vielen Hütten Einzug gehalten. Erschreckend viele Menschen litten hier an Tuberkulose [...] Schon im Frühjahr waren viele Burschen ins Reich gezogen, um in der deutschen Wehrmacht Dienst zu tun“ (S. 6).
Mischehen in der Dobrudscha: – „Oberdorf war katholisch, Unterdorf evangelisch. Eine Ehe zwischen Ober- und Unterdorf war nie vorgekommen, erklärten mir die Bewohner von Oberdorf voll Stolz. Dafür hatten sie aber verhältnismäßig viele Ehen mit Rumänen, Bulgaren und Russen geschlossen. Sie wunderten sich sehr, dass wir ihr Tun, das der Pater doch immer so sehr gelobt hatte, garnicht gut nannten. Sie versicherten uns immer wieder, dass die Kinder aus den Ehen doch deutsch getauft worden sind. Unsere Meinung, dass Kinder nicht deutsch getauft, sondern deutsch geboren sein müssen, war ihnen ganz neu“ (S. 5f.). – „Zum Schluss kam Konstanza selbst an die Reihe. Hier machte die Umsiedlung nicht sehr viel Freude. Wie überall in der Stadt, hatte sich auch hier das Deutschtum nicht rein erhalten. Gerade in der letzten Zeit hatten sich noch mehrere deutsche Burschen mit Rumäninnen verheiratet. Von irgendwo war hier das Gerücht aufgetaucht, wer eine Rumänin zur Frau hat, wird in Deutschland bevorzugt behandelt. Deutschland wünscht diese Ehen zur Blutauffrischung. [...] Sehr viele Ehen wurden in diesen Tagen geschieden. [...] Sehr viele wurden gerade in Konstanza abgewiesen, weil ihr ganzes Deutschtum eine deutsche Großmutter war“ (S. 7).
Zurückgebliebene auf dem Bahnsteig in der Dobrudscha: „Schwer fiel dem Völkergemisch der Abschied von den Deutschen. Oft wurde das Rollen des Zuges von dem Abschiedsgeschrei der auf dem Bahnsteig Zurückbleibenden übertönt. Es war ein Schrei der Verzweiflung, der dem abfahrenden Zug folgte, während die Deutschen mit einem frohen Lied die Dörfer verliessen. Die Menschen waren dort immer in Sorge, [...] daß sie durch den Fortzug der Deutschen den letzten Schutz verlieren würden“ (S. 8).
Ernüchternder Abschluss der Umsiedlung: „Wir sagten nur noch: ‚Wir wollen heim ins Reich, uns reichts!‘ Und es reichte auch wirklich. Wir haben gesehen, wie es in einem anderen Land zugeht“ (S. 8).
Transkription Q7/6:
Umsiedlung ! Ein Telegramm, in dem einen mitgeteilt wird, dass man 15 Passbilder einsenden soll, da man für einen Sondereinsatz vorgesehen ist, bekommt man ja nicht alle Tage. Wenn so ein Telegramm aber an einem Sonnabend nachmittag auf einem Dorfpostamt ankommt und die Schwester gerade ternschaft im Lager Galatz den bessarabiendeutschen Müttern das Tragen der Säuglinge in den Tüchern und auch das gemeinsame Essen mit den Kleinkindern abgewöhnen wollten.
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über Land gefahren ist, dann ist es eine Aufregung für das ganze Dorf. So war es denn amm 30. Juli 1940 der Fall. von allen Seiten wurde mir die Neuigkeit mitgeteilt, ehe endlich das Telegramm in meine Hände kam. Reisen ist für mich ein Zauberwort und da zu dieser Reise 15 Passbilder nötig waren, sagte ich mir, dass es wohl weit in die Welt gehen würde. Ich hatte mich nicht getäuscht. Anfang September war es endlich soweit. Nachdem wir Wien gründlich besichtigt hatten, wurden wir mit dem Schiff zu unserer neuen Arbeitsstelle gebracht. Acht Tage ging es die Donau abwärts, überall staunten wir und wurden bestaunt. Wo Sehenswürdigkeiten waren, bekam unser Schiff Schlagseite, weil wir mit einer wahren Unvernunft alle an eine Schiffsseite drängten. Trotzdem kamen wir heil und ganz in Galatz an. In Galatz gab es Stadturlaub. In Gruppen zu dreissig, unter der Leitung einer NS-Schwester, durften wir uns die Stadt ansehen. Der erste Eindruck war einfach niederschmetternd, nie haben wir geglaubt, dass es soviel Armut, Not und Schmutz geben kann. Am nächsten Tag brachte uns ein Lastkraftwagen in das Lager und wir waren froh, dass wir, auf der schlechten Strasse, ohne Becken- und Schädelbrüche dort ankamen. In den grossen Flugzeughallen waren die ersten Umsiedler schon untergebracht und auch wir fanden in den Zimmern, die an eine Halle angebaut waren, unser Quartier. Es sah alles furchtbar leer und kahl aus. Vierzehn Betten waren in dem Zimmer. Betten ist ja eigentlich stark übertrieben, es waren Holzkästen, immer zwei übereinander mit Strohsäcken darum. Die Strohsäcke waren erst sehr widerspenstig, es dauerte aber garnicht lange, bis wir das richtige Lager hatten. Wir hüteten uns natürlich davor, die Strohsäcke aufzuschütteln25, denn dann wäre das schöne Lager für einige Nächte wieder futsch gewesen und die Flöhe wären in ihrem Schlaf gestört worden. Sehr bald war es bei uns urgemütlich. Da wir keine Vorhänge an den Fenstern hatten, bekamen die Fensterscheiben einen weissen Anstrich. Jeder sorgte für Bettwäsche und dabei waren denn auch wirklich alle Farben vertreten. Tische, Regale und Kleiderstangen wurden organisiert. Aus der Schwesternkasse wurde [S. 2:] Wachstuch für die Tische gekauft und selten hat wohl Kaffee und Kuchen so gut geschmeckt, wie in unserm schönem Heim. Die Arbeit im Lager machte sehr viel Freude. Als Reichsdeutsche wurden wir mit sehr viel Achtung behandelt. Viel Schweres lag hinter diesen Menschen. Sie kamen alle gern ins Reich, trotzdem sei glaubten, in Deutschland wäre Hungersnot. Als sie aber sahen, dass wir alle gut genährt waren und durchaus nicht verhungert aussahen, merkten sie bald, dass es mit der Hungersnot nicht weit her sein konnte. Unsere Hauptarbeit waren die kleinen Erdenbürger. Bis zu 4 Jahren wurden die Kinder von uns verpflegt. Kinder bis zu einem Jahr bekamen Alete-Milch, die anderen Edelweiss-Milch. Dass die Milch aus Deutschland war, konnten die Umsiedler kaum verstehen. Kinder und stillende Mütter mussten aber doch zugeben, dass die Milch sehr gut war. Kinder, die einige Zeit im Lager waren, hatten sehr schön zugenommen, auch die Mütter erholten sich langsam, da Angst und Sorge von ihnen genommen war.26 Die Säuglinge wurden täglich gebadet und von der NSV bekamen wir 25 Schwester Dorothee erwähnte an anderer Stelle, dass sie sich beim Aufschütteln von Strohlagern in Galatz mit Keuchhusten infiziert hatte, um ihre verfrühte Abreise von der Bukowina-Umsiedlung zu begründen. 26 Offenbar wurden die Säuglinge im Lager Galatz abgestillt, um sie von den Müttern trennen und in den Säuglingsküchen füttern zu können, was in der Tat zu „Angst und Sorge“ führen konnte. Das Abstillen ist erfahrungsgemäß eine sehr anstrengende Phase.
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reichlich Säuglingswäsche, so, dass unsere Kleinen immer frisch und sauber aussahen. die Mütter trugen die Kleinen in einem grossen Tragetuch, das sie um die Schultern geschlungen hatten. Das Tragetuch war für die Reise recht praktisch, trotzdem die Kinder damit sehr eingeengt waren, fühlten sie sich darin wohl. Viele Umsiedler litten an „Fieber“, wie sie Malaria nannten. Soweit es möglich war, wurden sie von dieser Krankheit gleich im Lager geheilt. Sehr viele kamen schwerkrank im Lager an. Oft denke ich noch an eine Mutter, die mir, als sie aus dem Auto stieg, ihr krankes Kind hinhielt und mich bat, ihm doch zu helfen. Ich brachte sie und den Buben gleich zum Arzt, der den Kleinen im Lazarett behielt, wo er trotz aller Fürsorge nach zwei Tagen starb. Zwei Aerzte hatte die verzweifelte Mutter in Bessarabien schon aufgesucht und beide hatten ihr geantwortet: „Geht zu Hitler, der wird Euch schon kurieren!“ Soviel ich den Reden der Mutter entnehmen konnte, handelte es sich in beiden Fällen um Judenärzte. Gerade bei diesem Transport waren sehr viel Schwerkranke, denen die Aerzte einfach jede Hilfe versagt hatten. Im Lager wurden sie gleich alle dem Arzt vorgestellt, der sie dann ins Lazarett schickte, von wo aus allem bis auf den vorhin erwähnten Knaben und einer ganz alten Frau, gesund oder sehr gebessert, die Reise nach Deutschland antreten konnten. Von Deutschland konnten die Umsiedler nicht genug hören. Immer wieder wurden wir gefragt, ob wir den Führer schon gesehen hätten, oder ob [S. 3:] wir unsere Feinde schon kannten. Ob es in Deutschland noch Schuhe, Stoffe, Seife, Fleisch, Kaffee, Wein, Schnaps und Tabak gab. Auf alle Fragen konnten wir die richtigen Antworten geben. Viele waren sehr elend angezogen. Die Männer waren oft sehr lange beim Militär gewesen und die Frauen hatten sich und die Kinder schlecht und recht ernähren müssen, für die Kleidung hatte es natürlich nicht gereicht. Die Männer waren oft nur mit der Unterwäsche bekleidet vom Militär entlassen worden und hatten sich dann irgendwoher Lumpen besorgt, um überhaupt bis ins Lager zu kommen. Die NSV hatte einen recht schönen Vorrat an Anzügen, Kleidern, Schuhen und Wäsche, sodass die grössten Mängel gleich im Lager behoben werden konnten. Die Menschen wollten es oft garnicht begreifen, dass sie die Kleidung umsonst bekamen. Sehr oft fragten sie: „Schwester, zu so einem guten Anzug langt aber unser Geld nicht, es wäre mir lieber, wenn sie uns nur eine Jacke oder eine Hose geben würden.“ Andere dachten, dass sie die Sachen im Reich bezahlen müssten. Ich konnte mir den Hals heiser reden, um ihnen den Aufbau von NSV und WHW zu erklären, am Schluss wackelten sie doch mit den Ohren und dachten, komische Welt, wie kann man blos so leichtsinnig sein und die ganzen Sachen verschenken ! Ganz anders waren die Kinder. Für sie war es herrlich in neuen Kleidern und Schuhen durch das Lager zu gehen und zu erzählen, die Sachen hat uns Hitler geschenkt, die Schwestern haben sie für uns mitgebracht, wenn wir erst in Deutschland sind, bekommen wir noch mehr Sachen. An uns Schwestern hatten sich die Umsiedler sehr bald gewöhnt, sie bedauerten immer wieder, dass wir nicht mit ihnen zusammen nach Deutschland gingen. Es würde zuviel, wenn man alle Ereignisse schildern wollte. Man hätte bei der Arbeit in den Hallen doch täglich lange Berichte schreiben können. Schnell ging die Zeit zu Ende, das Lager wurde leer und leerer. Der Abschiedsabend kam und fast rechnete ich damit, dass ich selbst mit einem der nächsten Schiffe nach Richtung Heimat segeln sollte. Am 1. November kam die Nachricht, dass Fanny To[...] und ich für Konstanza eingesetzt sind. Am liebsten hätte ich einen Luftsprung gemacht. Nach Konstanza sollte ich und dazu noch mit Schwester Fanny zusammen. Das war mehr, als ich zu hofffen wagte. Leider war ich am letzten Abend so sehr müde, dass ich all die netten oder weniger netten Ueberraschungen, die uns unsere Nachbarn, die Hausfeuerwehr, zum Abschied bereiteten, einfach verschlafen habe. [S. 4:]
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Am nächsten Morgen ging es mit Bahn von Galatz nach Konstanza. In strahlendem Sonnenschein lag die Stadt am Schwarzen Meer bald vor uns. Nachdem wir unsere Sachen ins Hotel gebracht hatten, gingen wir auf Entdeckungsfahrten. Das erste Erlebnis war, echte Türkinnen im Hosenrock und Türken mit Turban zu bestaunen, dann liessen wir uns alle die Schuhe putzen und fuhren mit einer Pferdekutsche durch die Stadt. Am Sonntag waren noch Dienstbesprechungen und Geldempfang, eine sehr wichtige Angelegenheit. Nachmittags ging es weiter auf Entdeckungsfahrten. Die Moschee wurde innen und außen besehen, auch auf den Turm kletterten wir, acht Tage später durfte der Turm nicht mehr bestiegen werden, da er durch das Erdbeben baufällig geworden war. Danach gingen wir in ein Kino, aber nach 5 Minuten war uns die Sache über und wir suchten uns eine Gaststätte, wo wir in aller Ruhe Abendbrot aßen. Um 9 Uhr waren wir, wie wir es in Galatz gewohnt waren, in unserm Hotel. Montag Mittag fing für mich die Arbeit an. Mit Soldaten der SS fuhr ich nach Mangalia 45km. südlich von Konstanza. Hier erlebte ich eine richtige Völkerwanderung. Sonntag war schon ein Schiff mit 700 Juden über das Schwarze Meer gefahren, um sie dem gelobten Land näherzubringen. Es waren vor allem Juden, die von Deutschland nach Polen gezogen waren. Nach dem siegreichen Einmarsch der deutschen Truppe, hatten sie Rumänien mit ihrem Dasein beglückt, aber auch die Rumänen dankten für diesen Zuwachs und so zogen sie denn gen Jerusalem. Die anderen Juden sammelten sich jetzt in Konstanza, von wo aus sie mit dem Schiff und einem Sonderzug in die Heimat gebracht werden sollten. Auf dem Wege nach Mangalia überholten wir sehr viele Bulgaren, die ihre Habe auf Fuhrwerke geladen hatten und nach Bulgarien umsiedelten. Hirten trieben grosse Herden Schafe, Esel mit Lebensmitteln beladen, begleiteten die Herden. Damit Rumänien nun nicht menschenleer wurde, kamen auch Umsiedler von Bulgarien, es waren dies Rumänen und Mazedonier, die, die leer werdenden Höfe der Deutschen und Bulgaren besetzten. Sie machten aber einen sehr ärmlichen Eindruck und nur wenige hatten ein Pferdeoder Eselfuhrwerk, meistens kamen sie zu Fuss angewandert und trugen ihr ganzes Umzugsgut selbst auf dem Rücken. Es war so richtig das Bild einer Völkerwanderung, das wir dort am Schwarzen Meer sahen. Unser NSKK-Mann fluchte wie ein Droschkenkutscher, weil dauernd der Weg versperrt war.27 In ca. 2 Stunden hatten wir endlich die 45 km von [S. 5:] Konstanza nach Mangalia zurückgelegt. Mangalia war eine kleine Stadt mit 2000 Einwohnern, in der das ganze Völkergemisch des Balkans vertreten war. Es wohnten dort 200 Deutsche, Rumänen, Bulgaren, Serben, Ungarn, Italiener, Russen, Polen, Juden, Mazedonier, Griechen, Türken und Tataren. Nie hatte ich bisher geglaubt, dass soviel Völker einigermassen friedlich auf einem so kleinen Raum wohnen konnten. Die Deutschen wurden von allen geachtet und sie waren in der Stadt führend. Die Umsiedlung kam für viele sehr überraschend, trotzdem kamen nach und nach alle, um sich für die Umsiedlung eintragen zu lassen. Ich selbst ging mit dem SDG von Haus zu Haus, um Gesundheitsbogen auszufüllen. Es war für mich ein schönes Erleben, diese deutschen Menschen in ihrem Heim auzusuchen und zu sehen, wie sie lebten und wohnten. In allen Wohnungen war es peinlich sauber. Die Säuglinge lagen alles in der Wiege oder im Bettchen, keine der Mütter trug ihr Kind im Tragetuch. Die Frauen hatten noch zum Teil den Webstuhl stehen, an welchem sie Stoffe für die Tragetücher 27 Dieses schlechte Benehmen des NSKK-Mannes ist vor dem Hintergrund des Selbstverständnisse des deutschen Kriegsaggressors zu sehen. Die NS-Schwestern fuhren in der Begleitung von SSMännern nach Mangalia und mögen als ihre Begleiterinnen einen ähnlichen Eindruck bei den Menschen hinterlassen haben, die hier nicht auf einer romantischen „Völkerwanderung“ waren.
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webten, denn sie sagten sehr richtig, wie sollen wir die Kinder auf der grossen Reise tragen. Alle Gebrechlichen, Kranken, Schwangeren und Mütter mit ganz kleinen Kindern schrieben wir extra auf und gaben von jedem Dorf dem zuständigen Arzt die Aufstellung. Der Arzt machte dann bei diesen ihm gemeldeten Familien Hausbesuche und stellte fest, wer mit dem Lazarettzug die Reise ins Reich antreten musste. Eigentlich hatten wir ja nur bei den Deutschen Hausbesuche zu machen, aber wenn da so nette türkische Lehmhütten standen, so musste man doch gleich mal nachsehen, wie die Türken hausten. Die hatten aber im Grunde genommen garnichts. Es lagen Matten auf dem Fussboden und bunte Decken hingen an den Wänden. Dann stand noch in irgendeiner Ecke ein kleiner Kasten, in dem sie ihre guten Kleider verwahrt hatten. Auf den Matten hockten sie und schliefen darauf zur Nacht. An einem Berge hausten Zigeuner in Erdlöchern. Auch diese Wohnungen nahmen wir in Augenschein. Die Erdlöcher waren warm und trocken; an Hausrat besassen sie nicht viel mehr als die Türken. Von allen Seiten wurden wir angebettelt und nachdem wir ihnen Lei gegeben hatten, sagten sie uns aus der Hand unsere Zukunft. Zum guten Glück verstanden wir aber von der ganzen Sache kein Wort. Abends sassen wir in unserer Pension mit den 5 blonden Kindern unseres Wirtes zusammen und sangen deutsche Lieder und sprachen von Deutschland. Nach zwei Tagen ging unsere Fahrt in das nächste Dorf. Dies war ein richtiges Bauerndorf. Oberdorf war katholisch, Unterdorf evangelisch. [S. 6:] Eine Ehe zwischen Ober- und Unterdorf war nie vorgekommen, erklärten mir die Bewohner vom Oberdorf voll Stolz. Dafür hatten sie aber verhältnismässig viele Ehen mit Rumänen, Bulgaren und Russen geschlossen. Sie wunderten sich sehr, dass wir für ihr Tun, das der Pater doch immer so sehr gelobt hatte, garnicht gut nannten.28 Sie versicherten uns immer wieder, dass die Kinder aus den Ehen doch deutsch getauft worden sind. Unsere Meinung, dass Kinder nicht deutsch getauft, sondern deutsch geboren sein müssen, war ihnen ganz neu. Die Bevölkerung war sehr arm. Die Bauern hatten alle sehr viel Schulden bei der katholischen Kirche; nur die Kirche verfügte hier über ein Vermögen. In dem evangelischen Unterdorf war die wirtschaftliche Lage etwas besser. Alle, alle kamen sie hier mit.29 Der Pater, der Baptistenprediger, der rumänische Bürgermeister, der Mitglied der Eisernen Garde war, mit seinen 3 Söhnen aus erster Ehe, denn seine zweite Frau war eine Deutsche und hatte vier Söhne aus erster Ehe.30 Nach zwei Tagen war auch hier unsere Arbeit fertig. Unser Weg führte uns jetzt in eine kleine Stadt, die einige Kilometer vom Schwarzen Meer ab lag. An der Stadt war ein grosser Schwefelsee, in dem es keine Fische gab, weil das Wasser zu schwefelhaltig war. Ungefähr 300 Deutsche lebten hier ein recht elendes Leben. Vor vielen Jahren hatte hier blühender Wohlstand geherrscht, es waren grosse Steinbrüche, in welchen die Menschen Arbeit und Verdienst fanden. Diese Arbeit ging immer mehr zurück und die Not hatte in vielen 28 Der Begriff „Mischehe“ wird traditionell auch kirchlich verwendet. Wenn katholische und evangelische Partner heirateten, wurden vorprogrammierte Eheprobleme befürchtet. – „Mischehen“, verstanden als Ehen zwischen Partnern verschiedener „Rassen“, waren in der NS-Diktatur bereits seit 1935 aufgrund von „Ehegesundheitsgesetzen“ verboten. Mit dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ („Blutschutzgesetz“) standen auch sexuelle Kontakte mit jüdischen PartnerInnen seit 1935 unter Strafe. 29 Dieser Satz bedeutet auch: Aus dem katholischen Dorfteil wurden aufgrund der „Mischehen“ einige „Volksdeutsche“ nicht umgesiedelt. 30 ������������������������������������������������������������������������������������������� In diesem Falle war die „Mischehe“ mit einem hochrangigen Rumänen offenbar kein Hinderungsgrund für die Umsiedlung. Als Mitglied der „Eisernen Garde“ kooperierte er mit den Deutschen bei der Judenverfolgung.
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Hütten Einzug gehalten. Erschreckend viele Menschen litten hier an Tuberkulose. Ein Teil lebte vom Vermieten an Sommergäste. Schon im Frühjahr waren viele Burschen ins Reich gezogen, um in der deutschen Wehrmacht Dienst zu tun.31 Die Briefe, die diese jungen Menschen an Eltern und Geschwister schrieben, waren die beste Werbung für die Umsiedlung. Immer wieder hiess es in den Briefen: „Was bin ich froh, dass jetzt auch für Euch alle Not ein Ende hat. Vielleicht sehen wir uns Weihnachten schon im Reich.“ Für diese und noch andere sehr bedürftige Familien, kauften wir in Konstanza, im Auftrag der NSV, die nötige Kleidung, damit sie wenigstens vor der Kälte geschützt waren. Anschließend waren wir noch in zwei reichen Bauerndörfern. Der Empfang, der uns hier bereitet wurde, stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Die Burschen des Dorfes holten uns reitend ein, die Mädel hatten die Arme voll Blumen, das ganze Dorf bildete Spallier. Reden wurden gehalten und Lieder gesungen. Die Arbeit ging munter vorwärts, denn die Ortsbeauftragten hatten schon fleißig vorgearbeitet. Verpflegt wurden wir von den Bauern. Es gab immer Hühner, das [S. 7:] wussten wir schon im Voraus. Jeder Bauer besass hier einen selten guten Weinkeller. Leider waren die Umsiedler mit uns Reichsdeutschen, was Trinken angelangt, garnicht zufrieden. Sie hatten stark damit gerechnet, dass unsere Soldaten die Keller leer machen würden, aber zur Ehre aller Soldaten von unserem Kommando Do 6 sei es gesagt, es hat in der ganzen Zeit keiner über den Durst getrunken. gerade bei diesen wohlhabenden Bauern zeigte es sich, was ein volksdeutscher Dichter in seinem Abschiedslied sagte: „Und geht es uns auch noch so gut, dass fällt nicht ins Gewicht, es ruft der Führer, ruft das Blut, die deutsche Seele spricht !“ Zum Schluss kam Konstanza selbst an die Reihe. Hier machte die Umsiedlung nicht sehr viel Freude. Wie überall in der Stadt, hatte sich auch hier das Deutschtum nicht rein erhalten. Gerade in der letzten Zeit hatten sich noch mehrere deutsche Burschen mit Rumäninnen verheiratet. Von irgendwo war hier das Gerücht aufgetaucht, wer eine Rumänin zur Frau hat, wird in Deutschland bevorzugt behandelt. Deutschland wünscht diese Ehen zur Blutauffrischung. Nun hatte ja schliesslich nicht nur das deutsche Kommando darüber zu entscheiden, ob ein Mischling mitkommt oder nicht, sondern es sass auf jeder Dienststelle ein Rumäne, der die Ausweise befürworten musste. Rumänien trauerte schon um jeden Deutschen, der das Land verliess, ohne dass nun auch noch die Rumänen mitwollten. Sehr viele Ehen wurden in diesen Tagen geschieden. Deutschland war für die Menschen wie ein Zauberwort. Sehr viele wurden gerade in Konstanza abgewiesen, weil ihr ganzes Deutschtum eine deutsche Großmutter war. 31 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Probleme in der rumänischen Armee „erhöhten die Bereitschaft der Volksdeutschen, jede Gelegenheit zur Ableistung des Wehrdienstes in deutschen Formationen, in der ob ihrer Siege in den ersten Kriegsjahren bewunderten Deutschen Wehrmacht zu ergreifen. Schon im Frühjahr 1940 wurde in Rumänien die erste größere Freiwilligenaktion für die damaligen ,SS-Verfügungstruppen‘ abgewickelt. [...]. Durch die Volksdeutsche Jugendorganisation wurden besonders in Bessarabien und Siebenbürgen geeignete Jugendliche ausgewählt. Da die rumänischen Behörden den illegalen Grenzübergang unterbanden, wurde das Auswärtige Amt im Januar 1940 gebeten, in Rumänien die Ausreisegenehmigung für 1000 bis 1500 Freiwillige zu erwirken, die als landwirtschaftliche Arbeitskräfte getarnt werden sollten. [...] in der zweiten Aprilhälfte [...] konnten die ersten 1000 Mann im Juni 1940 mit Dampfern der DDSG nach Wien gebracht werden, wo sie offiziell begrüßt, gemustert und bei Tauglichkeit SS- und Wehrmachtseinheiten zugeteilt wurden“. Aus dem Kapitel „Die Heranziehung der Volksdeutschen zum Dienst in der Waffen-SS“. In: Schieder u.a. 1994 [1957], Schicksal der Deutschen in Rumänien, Kap. I.2, Nr. 9, S. 46–53.
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In der Zwischenzeit gingen schon die ersten Transportzüge durch Konstanza. Jeder Zug der Aufenthalt hatte wurde verpflegt. Säuglinge bekamen ihr Fläschchen, Kleinkinder und stillende Mütter Edelweissmilch. die anderen Umsiedler bekamen Tee. Diese ganze Fürsoge war den Volksdeutschen etwas Neues. Oft fragen sie, was sie für Tee und Milch zu zahlen hätten. Die Ortsbeauftragten sagten uns vorher immer, ob die Umsiedler für einen Tag Brote mit genommen hatten oder nicht. Wenn sie nichts oder nur wenig mit hatte, so wurden sie auch gleich mit belegten Broten versorgt. Gross war immer die Freude, wenn die Umsiedler aus den Dörfern kamen, in welchen wir gearbeitet hatten. Es gab dann immer eine grosse Wiedersehensfeier. Schwer fiel dem Völkergemisch der Abschied von den Deutschen. Oft wurde das Rollen des Zuges von dem Abschiedsgeschrei der auf dem [S. 8:] Bahnsteig Zurückbleibenden übertönt. Es war ein Schrei der Verzweiflung, der dem abfahrenden Zug folgte, während die Deutschen mit einem frohen Lied die Dörfer verliessen. Die Menschen waren dort immer in Sorge, dass die Deutsche Wehrmacht nur so lange in Rumänien bleiben würde, bis die Umsiedlung zu Ende war und dass sie durch den Fortzug der Deutschen den letzten Schutz verlieren würden. Wir wurden als Reichsdeutsche sehr zuvorkommend behandelt und wenn sich einmal einer vorbei benahm, so wussten wir genau, dass es ein Jude oder Grieche war. Bald war auch diese Zeit zu Ende und es ging nun endgültig nach Richtung Deutschland. So schön die Zeit gewesen war und so glücklich wir waren mit dabei sein zu dürfen, so waren wir doch alle froh, als es wieder nach Deutschland ging. Wir sagten nur noch: ‚Wir wollen heim ins Reich, uns reichts!‘ Und es reichte auch wirklich. Wir haben gesehen, wie es in einem anderen Land zugeht und zwar mit offenen Augen was hier alles fehlte. Wir haben gefühlt, wie wir von allen Seiten um unseren Führer beneidet wurden, dem es gelungen ist, ein einiges und starkes Deutschland zu schaffen und vor dessen Taten die Welt den Atem anhält. NS-Schwester Käte Schm[...]. ____________
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6 Seiten Typoskript (beidseitige Durchschläge auf 3 Seiten Pergamentpapier) Titel: Abschrift! Bericht über die Arbeit in der Umsiedlungsaktion B e s s a r a b i e n 2. September – 7. Dezember 1940 Verfasserin: NS.-Schwester Hildegard Uh[...] Ort/Datum: Leuna, 15. 12. 1940 / Leuna, Kr. Merseburg Anmerkungen: NS-Schwester Hildegard Uh. war erst im Auffanglager Galatz bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen und anschließend ab dem 2.11.1940 für die Umsiedlung in der Dobrudscha zusammen mit drei weiteren NS-Schwestern „z.b.V.“ eingeteilt.32 Sie berichtete hier über beide Aktionen, die im Folgenden einzeln betrachtet werden: 32 Q3/Einzelblätter Nr. 5 sowie Q6/Brief Nr. 10.
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a.) Bessarabien-Umsiedlung (Auffanglager Galatz), b.) Dobrudscha-Umsiedlung (Cogealia, Palazul Mare): Auszüge: a.) Zur Bessarabien-Umsiedlung (Lager Galatz): – „Parteigenosse Usadel33 aus Berlin sprach eindrucksvoll zu den Volksdeutschen“ (S. 3).
Über die Juden in der Stadt Galatz/Rumänien: – „Am 17.9. legten wir in Galatz an. Das NSKK. fuhr uns durch die schmutzige, verjudete Stadt zum Lager, wo die Hakenkreuzflagge und die rumänische Nationalfahne wehte. Im Lager war schon reges Leben, obwohl erst vereinzelte Rückwanderer angekommen waren“ (S. 1). – „Die Männer waren eingezogen, bekamen einen winzigen Sold, während die Frauen mit ihren Kindern sich Arbeit suchen mußten [...] Höchstens ein Jude gab ihnen noch Arbeit, um sie dementsprechend ausnutzen zu können“ (S. 2). – „gewisse asoziale Elemente, die sich mit Schmusen an uns hingen“ (S. 3).
Über eine Kinderklinik im Lager Galatz (Ruhrverdacht, Malaria, Trachom): – „Außerdem erwies sich als nötig, daß die Milchküche der Kinderklinik auch mit einer NS.Schwester besetzt wurde“ (S. 1). – „Neben prächtigen, gesunden Kindern sah man viel elende, unterernährte und rachitische“ (S. 2). – „Besonders mußten wir unser Augenmerk auf Krankheiten richten, damit die kranken Kinder in die eigens dafür eingerichtete Kinderklinik gebracht werden konnten. Wir hatten strenge ärztliche Anweisung, jeden Durchfall als ruhrverdächtig anzusehen und zu melden. Dementsprechend wurde eine strenge Diät geführt, sodaß es möglich war, die Sterblichkeit auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Hauptschwierigkeit für uns bestand darin, die kranken Kinder in den einzelnen Hallen aufzufinden, den einmal begriffen die Mütter sehr schwer, zum anderen hatten sie verständlicherweise Angst, sich von ihren Kindern trennen zu müssen“ (S. 2f.). – „Viele Malarianfälle trafen wir natürlich auch an und Trachome“ (S. 3).
b.) Zur Dobrudscha – Umsiedlung: Über die „Volksgesundheitliche Leitung“, Professor Fischer: – „Dann wurden wir von den einzelnen Ortstäben angefordert, die bereits aus Bessarabien in die Dobrudscha zur Umsiedlungsarbeit gefahren waren. Im Einvernehmen mit Prof. Fischer, der die volksgesundheitliche Leitung hatte, wurden wir verteilt“ (S. 3).
Malaria in Cogealia: – „blitzsaubere Dorf Cogealia [...] eine reindeutsche Gemeinde [...] Registrierung der Heimkehrer [...] Horst-Wessel-Lied [...] Bald machte ich mich mit der Mädelführerin auf den Weg, um Säuglinge und Kleinkinder aufzusuchen [...] Hier herrschte die Malaria ganz unheimlich. Von 85 Kindern waren 4 ohne die in Abständen auftretenden Fieberanfälle. Die Krankheit gehört zu dem Land. [...] Wir schlucken Chinin, um alles getan zu haben“ (S. 4). 33 Usadel: Vgl. Q4/Lagerbefehle Nr. 2.
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Verwahrloste „Volksdeutsche“ in Palazul Mare: – „Nun ging es von Dorf zu Dorf [...] rege Gemeindeschwesternarbeit [...] Viel Fußkranke entdeckte ich, die zu pflegen waren und für die eine Beförderung durch Krankenwagen sich als nötig erwies. Die Leute, zutraulich und dankbar, sind doch in dieser Einöde unter den volksfremden Elementen recht primitiv geworden. Wie Kindern, musste man ihnen mit Mühe und Geduld vieles klar machen. Außerdem waren sie schon teilweise romanisiert [...] Ein Fischerdorf [...] [= Palazul Mare] machte in dieser Beziehung den traurigsten Eindruck auf mich. Die Deutschen, vorwiegend Katholiken, waren recht verwahrlost, was aber nicht zu verwundern war, Rumänen, Mazedonier, Türken, Armenier und nicht zuletzt die unglaublichen Zigeuner durchsetzten das Dorf mit ihren schlechten Einflüssen“ (S. 4).
SS-Flaggen: – „Zwei Schiffe standen für das SS-Umsiedlungskommando und für die NSV bereit, und noch des nachts begann die Fahrt unter der wehenden Hakenkreuz- und SS-Flagge“ (S. 6).
Transkription Q7/7:
Abschrift! Bericht über die Arbeit in der Umsiedlungsaktion B e s s a r a b i e n . .-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-. 2. September – 7. Dezember 1940 Es war eine große Freude für mich, als es nach allen Vorbereitungen hieß, am 2. September hätte ich mich in der Gauamtsleitung Wien zu melden. In Leipzig traf ich mit etwa 40 Schwestern zusammen, und so verlief die erste gemeinsame Fahrt sehr vergnügt. Wir waren voller Erwartung all der Eindrücke, die da kommen sollten. In Wien wurden wir erst noch 10 Tage aufgehalten, in denen die Gauleitung uns durch belehrende Vorträge über den Südosten bereicherte. Auch hatten wir Zeit, die schöne Donaustadt zu besehen, fuhren in das nahegelegene Bad Baden und tranken natürlich auch ein Glas Heutigen in Grinzing. Wie glücklich aber waren wir, als wir am 13. September auf der „Wien“ abfuhren. In den 4 Tagen sahen wir donausabwärts schöne Landschaften, Burgen oder eintöniges Ufer bis wir durch den Kasan-Paß fuhren, die engste Stelle der Donau, an der die Felsen der Karpathen schroff zur Donau abfallen. Es war ein herrlicher Anblick bei schönem Wetter. Hier wurden wird auf die deutlich sichtbaren Feldenhöhlen [Felsenhöhlen] aufmerksam gemacht, die die Angländer [Engländer] mit 25000 kg. Sprengstoff gefüllt hatten, um die Donau durch Sprengung der Felsen für dauernd unbefahrbar zu machen. Der Anschlaf [Anschlag], der am 5. April 1940 ausgeführt werden solle, wurde ja bekanntlich glücklicherweise vereitelt.34 Anschließend passierten wir das Eiserne Tor. Es ist durch die dort erschwerte Schiffahrt bekannt, und erfahrene Lotsen brachten uns über diese Strecke hinweg. Nun wurde die Landschaft schon fremdländischer. Wir bewunderten die letzte der schönen Donaubrücken in Cernavoda, die alle von deutschen Ingenieuren gebaut worden sind. Am 17.9. legten wir in Galtz [sic!] an. Das NSKK. fuhr uns durch die schmutzige, verjudete Stadt zum Lager, wo die hakenkreuzflagge und die rumänische Nationalfahne wehte. Im Lager war schon reges Leben, obwohl erste vereinzelte Rückwanderer angekommen waren. Es wurde noch viel gezimmert und eingerichtet, da die großen Flugzeughallen, genannt Hangars, nicht ausreichten, wenn 15000 Menschen
34 Vgl. Q5/Fotos D7 und E3.
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auf einmal beherbergt werden sollten. Uns NS.-Schwestern war als Hauptaufgabe die Betreuung der Kinder bis zu 4 Jahren zugeteilt. Es wurden 2 Milchküchen und w Badestuben eingerichtet. Außerdem erwies es sich als nötig, daß die Milchküche der Kinderklinik auch mit einer NS.Schwester besetzt wurde. Nach einigen Tagen war es somit möglich, daß die Kleinen mit Nahrung versorgt werden konnten. Schon als die ersten kleinen Rückwanderer von ihren Müttern gebracht wurden, sahen wir, wie notwendig es war, daß gerade den Kleinsten viel [S. 2:] Sorgfalt zugewendet wurde. Neben prächtigen, gesunden Kindern sah man viel elende, unterernährte und rachitische, und es mußte viel geschmiert und verbunden werden. Allmählich erzählten uns die Mütter, durch welche schwere, entbehrungsreiche Zeit sie gegangen waren, nachdem Bessarabien an Rußland gefallen war. Durch die Kommunalisierung hatten sie in den letzten Monaten nicht die nötigsten Lebensmittel mehr, ganz abgesehen davon, daß die Bevölkerung auch keine Geldmittel hatte, um etwas zu kaufen. Die Männer waren eingezogen, bekamen einen winzigen Sold, während die Frauen mit iheren Kindern sich Arbeit suchen mußten, um das tägliche Brot zu verdienen. Auch diese bekamen sie schwer, da sie ja in ihre Heimat umsiedeln wollten. Höchstens ein Jude gab ihnen noch Arbeit, um sie dementsprechend ausnutzen zu können. Sobald die Bessarabiendeutschen das Lager betreten hatten, atmeten sie erlöst auf und sagten: „Nun sind wir ja schon in Deutschland“. Und so war es ja auch. Vom Lager aus ging die Fahrt unter deutscher Führung donauaufwärts bis heim ins Reich. Es war nicht ganz einfach, den Kindern die Nahrung zu verabreichen, da sich das Lager weit ausdehnte und die Wege von den Milchküchen zu den Hangars teils recht weit waren. Aber auch diese Schwierigkeit wurde überwunden, indem wir die Flaschen im heißen Wasserbad wegbrachten. Unsere leitende Schwester [Dorothee Rakow] teilte unsere Arbeit so ein, daß der Einsatz der Schwester geregelt vor sich ging. So kam es, daß ich auch 8 Nächte wachte, in denen es eine Menge Arbeit gab, aber auch eine Menge Freude. Kamen nachts Transporte an, so waren die Mütter dankbar, wenn ihre kleinen Kinder noch mit warmer Milch oder Thee versorgt wurden. Ja, sie konnten es oft nicht fassen, daß wir aus dem Reich hierhergekommen waren, um ihnen die Reise zu erleichtern. Wenn das Lager für einige Stunden in nächtlicher Ruhe lag und die Sterne klar am Himmel standen, dann hörte man von weitem ein ganz bestimmtes Klappern und Klirren von Pferden und Wagen, die auf einem großen Sammelplatz einfuhren. Es waren die Trecks, die um diese Zeit meistens im Lager ankamen. Wenn wir dann am Tage bei einem Rundgang auch dahinkamen, konnten wir die herrlichen bessarabischen Pferde mit ihren Fohlen bewundern. Ein Teil der Pferde wurde verkauft, die besten kamen ins Reich. Besonders mußten wir unser Augenmerk auf Krankheiten richten, damit die kranken Kinder in die eigens dafür eingerichtete Kinderklinik gebracht werden konnten. Wir hatten strenge ärztliche Anweisung, jeden Durchfall als ruhrverdächtig anzusehen und zu melden. Dementsprechend wurde eine strenge Diät geführt, sodaß es möglich war, die Sterblichkeit auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Hauptschwierigkeit für [S. 3:] uns bestand darin, die kranken Kinder in den einzelnen Hallen aufzufinden, den einmal begriffen die Mütter sehr schwer, zum anderen hatten sie verständlicherweise Angst, sich von ihren Kindern trennen zu müssen. Viele Malarianfälle trafen wir natürlich auch an und Trachome. Später ergab es sich auch, daß wir in Zelten der Bauern, die mit den Trecks gekommen waren, viel Wunden zu verbinden hatten. Sie hatten keine ärtzliche Hilfe bisher gehabt, auch nahmen die kleine Verletzungen nicht ernst, die aber nach den langen Fahrten im Treck entzündet und bös geworden waren. Bei dieser Arbeit lernte man den
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wertvollen bessarabischen Bauern kennen, der still und tapfer alle Schwierigkeiten im Ausland ertragen hatte. Nun fuhr er mit strahlenden Augen nach Deutschland ohne viel Worte zu machen. Im Gegenteil hierzu standen gewisse asoziale Elemente, die sich mit Schmusen an uns hingen. Nach dreiwöchiger Arbeit erreicht das Lagerleben seinen Höhepunkt, als 15000 Menschen da waren. Diese zu verpflegen, war gewiß keine Kleinigkeit, und die Hilfsdienstfrauen hatten alle Hände voll zu tun. Zum Erntedankfest verlebten wir eine schöne Feierstunde, die die SS veranstaltete. Parteigenosse Usadel aus Berlin sprach eindrucksvoll zu den Volksdeutschen und hob die weltansschaulichen Motive sehr fein heraus. Außer dem Hoheitsträger von Galatz und dem deutschen Konsul waren Legionäre der Eisernen Garde vertreten, wie auch eine Abordnung der italienischen Regierung. Durch die Weitertransporte, die für die Rückwanderer immer glückliche Stunden bedeuteten, leerte sich das Lager allmählich, und nach insgesamt 6 Wochen war unsere Aufgabe da erledigt. Es gab wohl anstrengende Tage, und unseren harten Strohsack mußten wir erste einige Zeit geradeliegen, ehe es sich gut darauf schlief. Die Flöhe suchten uns auch heim bei warmen trockenem Wetter. Aber die Unanehmlichkeiten verblassten immer wieder gegenüber der schönen Aufgabe, die wir hatten, und gegenüber der Freude und Dankbarkeit, die uns aus den Gesichtern der Heimkehrer leuchtete. Nach Beendigung unserer Tätigkeit in Galatz erfuhren wir, daß wir noch mit zum weiteren Einsatz in der Dobrudscha vorgesehen waren. So fuhren wir 15 Schwestern mit der Bahn nach Constanza. Einen Tag ruhten wir uns aus im behaglichen Hotel und freuten uns am Schwarzen Meer, das im tiefen Blau bei Sonnenschein erstrahlte. Dann wurden wir von den einzelnen Ortstäben angefordert, die bereits aus Bessarabien in die Dobrudscha zur Umsiedlungsarbeit gefahren waren. Im Einvernehmen mit Prof. Fischer, der die volksgesundheitliche Leitung hatte, wurden wir verteilt. Eines Morgens wurde ich samt meiner „fliegenden Milchküche“ in einen Ortsbezirk mit 7 Dörfern verfrachtet. Bei herrlichem Wetter ging die Fahrt am Strand entlang, und bald lag landeinwärts vor mir [S. 4:] das blitzsaubere Dorf Cogealia. Am Eingang lag eine rumänische, am Ausgang eine türkische Siedlung, übrigens war das Dorf eine reindeutsche Gemeinde. Der Ortsbevollmächtigte des Umsiedlungsstabes befand sich gerade in der Dorfkirche, wohin er die Umsiedler hatte rufen lassen, um ihnen über den Abtransport Anweisungen zu geben. Die Kirchentür war festlich geschmückt, und als der Appell beendet war, überreichte mir die Mädelführerin in ihrer hübschen Tracht einen Blumenstrauß zur Begrüßung. Der Ortsbevollmächtigte gab mir zu verstehen, daß ich nun erstmal weiter mitfeiern müsse als neue Zugehörige des Stabes. Wir gingen zum Schulhaus, das für die Registrierung der Heimkehrer eröffnet werden sollte. Dort hatte die Jugend Aufstellung genommen. Am Eingang erwarteten uns die Mädels und bestreuten uns unter den Klängen des Horst-Wessel-Liedes den Weg mit Blumen. Wir waren alle sehr gerührt über die Art, in der die Volksdeutschen den Auftakt ihrer Umsiedlung feierten. Bald machte ich mich mit der Mädelführerin auf den Weg, um Säuglinge und Kleinkinder aufzusuchen. Die Mütter freuten sich, als ich ihnen sagte, daß sie sich nicht um die Kindernahrung vom Beginn der Reise an zu sorgen brauchten. Hier herrschte die Malaria ganz unheimlich. Von 85 Kindern waren 4 ohne die in Abständen auftretenden Fieberanfälle. Die Krankheit gehört zu dem Land und wir sind alle recht froh, daß uns während der noch warmen Tage keine gifttragende Mücke gestochen hat. Wir schlucken Chinin, um alles getan zu haben. Nun ging es von Dorf zu Dorf und es entwickelte sich eine rege Gemeindeschwesternarbeit, wo die Aufgabe „Mutter und Kind“ im Vordergrung stand.
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Viel Fußkranke entdeckte ich, die zu pflegen waren und für die eine Beförderung durch Krankenwagen sich als nötig erwies. Die Leute, zutraulich und dankbar, sind doch in dieser Einöde unter den volksfremden Elementen recht primitiv geworden. Wie Kindern, musste man ihnen mit Mühe und Geduld vieles klar machen. Außerdem waren sie schon teilweise romanisiert und konnten nur mit einem Gemisch von Rumänisch schreiben, was natürlich kein Mensch lesen konnte. Ein Fischerdorf, malerisch am Meer gelegen, machte [= Palazul Mare] machte in dieser Beziehung den traurigsten Eindruck auf mich. Die Deutschen, vorwiegend Katholiken, waren recht verwahrlost, was aber nicht zu verwundern war, Rumänen, Mazedonier, Türken, Armenier und nicht zuletzt die unglaublichen Zigeuner durchsetzten das Dorf mit ihren schlechten Einflüssen. Nach einigen Tagen war schon der erste Transport vorbereitet und wurde auf einer Bahnstation nachts zusammengestellt aus 5 Dörfern. Bei einer volksdeutschen Familie konnte ich in der Küche alles richten für meine Säuglingsverpflegung, wobei mir der Sanitäter und volksdeut-[S. 5:]sche Mädels eifrig halfen. Es galt, Flaschen zu spülen, Sauger zu lochen und zu kochen, Bröckchen zu schneiden und Milch anzurühren. Nachts um 1 Uhr waren wir denn auch so weit, daß wir unsere Herrlichkeiten über die Bahngeleise schleppen konnten. Die Nacht war kalt, und es tat manchem kleinen Kerl gut, wenn er schon sein Händchen an den warmen Becher legen konnte. Allmählich schmeckte dann auch die Milch. Gegen Morgen wurden auch die Säuglinge wach und verlangten schreiend nach einer Flasche. Um 6 Uhr ging der Zug nach Cernavoda ab zur Verschiffung, und ich war froh, meine Habe verteilt zu haben. Das Auto, vollgepackt mit meinem Geschirr, brachte uns müde heim nach Cogealia. Ähnlich, wenn auch in kleinerem Maße, spielte sich der Abtransport dann noch in den anderen beiden Dörfern ab. In dem schon oben erwähnten Fischerdorf Palazul Mare wurde den Rumäninnen der Abschied von den deutschen Frauen recht schwer, und sie weinten bitterlich, als sich die Lastkraftwagen in Bewegung setzten. In Cogealia, unserem Ortssitz, versammelten sich die Umsiedler morgens um 4 Uhr auf der breiten Dorfstraße. Sie waren in Gruppen eingeteilt, die mit Lastkraftwagen vom NSK. abgeholt wurden. Auch hier teilte ich warme Milch für die Kleinkinder und Aletemilch-Flaschen mit volksdeutschen Mädeln aus. Die Leute waren starr, daß es so etwas gab, und sagten: „Ja, habt Ihr denn Eure Küh net verkauft?“ Als ich ihnen daraufhin sagte, wir hätten die Milch in Schachteln aus Deutschland mitgebracht, dachten sie, ich machte schlechte Witze. All die schöne Arbeit konnte ich so gut allein schaffen, da die Männer des SS.-Umsiedlungskommandos mir dir Arbeit erleichterten, wie sie nur konnten. Sei es, daß ich viele Strecken zu meinen Besuchen gefahren werden mußte, sei es, daß ich für manche Sonderwünsche meiner Schutzbefohlenen noch Hilfe oder Fürsprache brauchte. So bildete sich eine wunderschöne Kameradschaft unter uns. Begeistert wurde es natürlich aufgenommen, wenn ich mich um unsere eigene Verpflegung kümmerte. Stöhnend wurde mir von allen erzählt, daß sie seit 8 Wochen nichts als Hühner zu essen bekommen hätten. Mit Hilfe von 2 tüchtigen volksdeutschen Mädeln, die bis zu unserem Weggang zurückblieben, kochte ich manche heimatlichen Gerichte und sorgte für regelmäßige und gemütliche Mahlzeiten. Als ich nur noch wenig mit meiner eigentlichen Arbeit zu tun hatte, half ich bei den schriftlichen Arbeiten mit. Was gab es da zu berechnen und einzutragen, bis die Vermögenslisten in Ordnung waren, und wieviel Mühe machte die Beurteilung der Besitzwerte der Bauern! Am 28.11. ging auch diese Zeit zu Ende, und in Constanza trafen wir Schwestern wieder zusammen, wo eine jede ähnliche Erlebnisse zu erzählen hatt. Am 30.11. wurden wir in Cer-[S. 6:]navoda eingeschifft. Zwei Schiffe standen für das SS.-Umsiedlungskommando und für
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die NSV. bereit, und noch des nachts begann die Fahrt unter der wehenden Hakenkreuz- und SS.Flagge. Stromaufwärts brauchten wir 7 Tage mit einer kurzen Unterbrechung in Budapest. Mittels einer Stadtrundfahrt sahen wir noch diese schöne Stadt an der Donau. Am 7.12. vormittags legten wir in Wien an und konnten des Rest unserer Heimreise antreten. Daß ich bei dieser Arbeit mithelfen durfte, macht mich glücklich und dankbar. Schließen will ich meinen Bericht mit dem Heimkehrerlied der Bessarabien-Deutschen das Hans Baumann ihnen gedichtet und vertont hat bei einem Schiffstransport ins Reich auf der „Passau„: [...]. [Es folgen hier die drei Verse des Liedes, das bereits transkribiert ist in Q3/Einzelbl.12.b.] Leuna, 15. Dezember 1940 gez. NS.-Schwester Hildegard Uh[...] Leuna, Kr. Merseburg
Q7/Berichte Nr. 8
4 Seiten Typoskript (Durchschläge auf Pergamentpapier) Titel: Bericht der NS-Gemeindeschwester Freya Weng[...] über ihren Einsatz bei der Umsiedlung im Südosten Verfasserin: NS-Schwester Freya Weng[...] Datum: – Anmerkungen: Freya Weng. war erst im Auffanglager Galatz bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen und anschließend ab dem 2. November 1940 für die Umsiedlung in der Dobrudscha eingeteilt, und zwar in Babadag, zusammen mit NS-Schwester Franziska Wan.35 Nach Beschreibung der Donaufahrt berichtet sie über beide Einsätze: a.) Bessarabien-Umsiedlung (Stadt und Lager Galatz) b.) Dobrudscha-Umsiedlung (Konstanza, NSV-Verpflegungsstelle auf einem Bauernhof in Cogealac, Besichtigungen in Histria und Tari Verdi). Auszüge: a.) Bessarabien-Umsiedlung / Lager Galatz: Begegnung mit Juden in der Stadt Galatz: – „grenzenloses Elend mit unvorstellbarem Schmutz [...] Anblicke, die man sich bei uns überhaupt nicht mehr denken kann. Sehr auffallend waren auch die unheimlich vielen Juden mit ihren typischen Namen, wie man sie früher auch bei uns an den Geschäften sah“ (S. 1).
Volksdeutsche Helferinnen aus Siebenbürgen/Rumänien: Am Tag vor den NS-Schwestern waren „Volksdeutsche Mädels aus Siebenbürgen, die im Lager helfen wollten“, angekommen. „Wir waren zuerst zusammen in einem großen Raum untergebracht“ (S. 1). „Einige Tage später [...] zogen wir um“ (S. 2).
35 Vgl. Q3/Einzelblatt 5.
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Rumänische Umsiedler im Lager Galatz vor der Bessarabien-Umsiedlung?: – „Dann kamen die ersten Umsiedler aus den übrigen Teilen Rumäniens; da gab es natürlich mehr zu tun. Und wenig später kamen dann die ersten Bessaraber“ (S. 2).
b.) Dobrudscha-Umsiedlung Zusammenarbeit der NS-Schwestern mit NS-Frauenschaft und NSV in Cogealac: – „zu zwei Schwestern eingeteilt und hauptsächlich wieder verantwortlich für die Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder. Wir, 2 Frauenschaftsmitglieder und ein NSV-Leiter bildeten eine Arbeitsgemeinschaft. Ein großer Hof war für unsere NSV-Verpflegungsstelle ausgesucht worden. [...] Hier in C. erlebten wir übrigens auch das 2. Erdbeben“ (S. 3).
Hoher Besuch in Tari Verdi: – „eine Doppelhochzeit gleich in den ersten Tagen in Tari Verdi, bei der auch SS-Obergruppenführer Lorenz anwesend war“ (S. 3).
Transkription Q7/8: Bericht der NS-Gemeindeschwester Freya Weng[...] über ihren Einsatz bei der Umsiedlung im Südosten. -----Wien war Anfang September 1940 der Sammelpunkt für die Angehörigen des Umsiedlungskommonados. Wir waren ungefährt 110 NS.Schwestern aus fast allen Gauen des Reiches und brannten darauf recht schnell an unseren Arbeitsplatz zu kommen. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen, währenddessen wir uns Wien ansehen konnten, wurden wir eingeschifft. Zwei Schiffe, die „Wien“ und „Passau“ brachten uns donauabwärts. Die Fahrt war überaus abwechslungsreich und interessant; war doch für uns alles neu. Preßburg oder Bratislava, der Grenzort zwischen Deutschland und der Slowakei war bald passiert. Weiter geht die Fahrt durch die weite Ungarische Tiefebene. Häufig trifft man nun an den Ufern deutsche Siedlungen. Sie sind leicht zu erkennen an ihren hellen, sauberen Bauten. In diesem Abschnitt der Donau sieht man auch, die für die Donau charakteristischen Schiffsmühlen; oft, sehr oft sogar findet man an ihnen deutsch Namen. Immer wieder beim Anlegen müssen wir den Volksdeutschen, auch den Fremden deutsche Lieder vorsingen. Budapest laufen wir abends bei prachtvoller Beleuchtung an. Das Parlament und Schloß, die Fischerbastei hat man angestrahlt. Für uns war es ein Erlebnis. Frühmorgens geht die Fahrt weiter, durch die Batschka und das Banat. Belgrad, als das Tor des Orients bezeichnet, liegt am Anfang einer wundervollen Landschaft. Nach Beldgrad beginnt an den Auläufern der Südkarpathen der Kazan-Paß, die gefährlichste, aber auch die schönste Stelle der Donau. Beiderseits schroffe Felsen, die bis auf 100 m nahe rücken, die engste Stelle der Donau – jene Stelle, die die Engländer damals sprengen wollten, wodurch tatsächlich der Donauverkehr stillgelegt worden wäre. Strudel und Untiefen werden der Schiffahrt äußerst gefährlich. Diese Stellen, bis übers „Eiserne Tor“ hinaus, können nur mit einem Lotsen an Bord befahren werden. Das „Eiserne Tor“ übrigens enttäuschte allgemein. Dieser Engpaß zwischen Orsova und Turnu-Severin ist eine schmale Fahrrinne, ein in die Donau gebauter Kanal, in der schon wieder etwas breiter fließenden Donau. Ausserhalb des Kanals ist die Donau aber unbefahrbar. Rechtsseitig führt eine alte Römerstraße, ein ganz schmaler in die Felsen gehauener Steg.
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Nach längerer Fahrt, nun immer durch Ebene, wird Russe, der nächste größere Hafen angelaufen und anderentags sind wir dann in Galtz [sic!]. Nun waren wir natürlich aufs höchste gespannt ! NSKK holte uns mit Lastwagen ab, denn das Lager liegt einige km vom Hafen, etwas außerhalb der Stadt. Die Stadt lernten wir erst später, nachdem wir uns schon eingelebt hatten, bei unseren Einkäufen, kennen. Da wird es einem doch bewußt, daß man nun am Rand Europas und der Kultur, lebt. Ganz kraß tritt hier ein grenzenloses Elend mit unvorstellbarem Schmutz hervor. Anblicke, die man sich bei uns überhaupt nicht mehr denken kann. Sehr auffallend waren auch die unheimlich vielen Juden mit ihren typischen Namen, wie man sie früher auch bei uns an den Geschäften sah. – – – Im Lager selbst, war noch nicht sehr viel Betrieb. Am Tage vorher waren Volksdeutsche Mädels aus Siebenbürgen, die im Lager helfen wollten, angekommen. Wir waren zuerst zusammen in einem großen Raum untergebracht; der Kontakt [S. 2:] war im Augenblick hergestellt. Sehr nette Mädels waren darunter, denen wir nicht genug vom Großdeutschen Reich erzählen konnten; immerwieder hatten sie neue Fragen. Aber auch uns mußten sie viel von ihrer Heimat, ihrem Leben und ihren Kämpfen erzählen. auch sie wünschten nichts so sehr, als mit zum Reich zu gehören. Einige Tage später, Oberschwester Dorothee Rakow hatte für uns Schwestern einige sehr schöne Räume, mit eigener Wasch- und Brausegelegenheit sichergestellt, zogen wir um. In diesen ersten Tagen gab es noch viel vorzubereiten. Zunächst mußten eine Milchküche und Badestube eingerichtet werden, da ja die Betreuung der Säuglinge und Kleinkinder unser wichtigstes Aufgabengebiet war. Auch Wäsche, Waschlappen und Badetücher mußten noch genäht werden; so vergingen diese ersten Tage mit Vorarbeiten. Dann kamen die ersten Umsiedler aus dem übrigen Teilen Rumäniens; das gab es natürlich mehr zu tun. Und wenig später kamen dann die ersten Bessaraber. Wir waren überrascht und erfreut – unsere Brüder, die solange schon da draußen in der Fremde lebten, groß, blond und helläugig vor uns zu sehen; die ihre Heimatsprache, ihr Schwäbisch so rein erhalten hatten, als wären sie nie der Heimat so entfernt gewesen. Nun hatten wir alle Hände voll zu tun, die Arbeit wurde eingeteilt, 2–3 Schwestern hatten Badedienst, zwei andere übernahmen die Milchküche, die übrigen hatten Lagerdienst. Sehr vielseitig war gerade diese Arbeit. die Verbindung zu den Umsiedlern war augenblicklich hergestellt und kamen sie auch sogleich mit allen ihren Anliegen zu den Lagerschwestern. Auch hier mußten wir immer wieder erzählen, erzählen vom Führer und vom Reich. Wie dankbar und glücklich waren doch diese Menschen, sie waren oft ganz fassungslos, daß man sich so um sie kümmere, noch nie hatten sie so etwas erlebt. Und sie erzählten uns von ihren Leiden und Sorgen die sie gehabt da draußen bei den Fremden; – was ahnten wir in der Geborgenheit des Reiches davon? Ja, dankbar und frohen Herzens kamen sie nun alle heim ! Viele nette und lustige Erlebnisse hatten die einzelnen Schwestern während dieser Arbeit. Ständig kamen neue Transporte an, dazwischen wurden andere wieder zum Hafen gefahren und eingeschifft. Ein besonderes Ereignis für alle war die Ankunft der ersten Trecks. Auf Panjewagen mit zum Teil prachtvollen Pferden, kamen die Bauern und großen Söhne mit ihre Habe. Die Frauen und Kinder waren schon im Lager oder auch schon weiter auf der Reise. Bald mußten eine weitere Milchküche und Badestube eingerichtet werden, hatten wir doch zeit-
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weise Tausende im Lager. Es war eine wunderbare Arbeit die wir verrichten durften, und darum verging uns die Zeit wie im Flug. Und als die letzten Tage naherückten, waren wir alle ein wenig traurig. Umso überraschter und begeisteter waren wir aber als es zwei Tage vor dem Abschluß in Galatz hieß: „Alle Schwestern werden noch in der Dobrutscha eingesetzt.“ Nach einer Bahnfahrt durch die zum Teil sehr eintönige Landschaft Südrumäniens kamen wir nach Konstanta. Auf einmal am Schwarzen Meer, so weit der Heimat entfernt zu sein, ließ doch ein eigenartiges Gefühl hochkommen. Stolz und dankbar waren wir, daß wir dies alles erleben durften. Wir hatten Gelegenheit uns das Sehenswerte der Stadt anzusehen, die Hafenanlagen, das Casino, Moschee und Minarett. Hier macht sich der nahe Orient noch stärker bemerkbar. Ein Völkergemisch – Türken, Zigeuner, Bulgaren und andere beleben das Stadtbild. [S. 3:] Am 5.11.1940 ging es dann nach unserem Bestimmungsort Cogealac. Die Fahrt im Lastwagen ist übrigens auch erwähnenswert. So gute Straßen wie bei uns gibts nicht im entferntesten. Man wurde durcheinandergeschüttelt, flog in die Ecken oder unter die Decke und als wir dann an Ort und Stelle ausstiegen waren wir außerdem grau in grau überzogen. Wir waren jedesmal zu zwei Schwestern eingeteilt und hauptsächlich wieder verantwortlich für die Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder. Wir, 2 Frauenschaftsmitglieder und ein NSV Leiter bildeten eine Arbeitsgemeinschaft. Ein großer Hof war für unsere NSV Verpflegungsstelle ausgesucht worden. Hier wurden 2 große Kesselöfen aufgestellt und ein Lebensmittellager eingerichtet. Wir Schwestern richteten uns einen Nebenraum für die Milchzubereitung ein. Wir hatten sämtliche von Tulcia und Babadag kommenden Züge aufzuhalten und mit heißen Getränken zu versorgen. In der Zwischenzeit teilten wir Schwestern die von der NSV zur Verfügung gestellten Säuglingswäsche aus. Wir besuchten mit der dorfkundigen Leiterin des Frauendienstes bedürftige Familien. Aber überall wo man hinkam fand man bei prachtvollstem Wetter geschlossene Fenster dabei alles in einem Raum sich abspielend. Es war natürlich das erste, die Fenster zu öffnen und die Leute aufzuklären. In dieser Hinsicht gibt es noch sehr viel zu tun bei diesen Menschen. Auch zu Kranken wurden wir oft gerufen, denn ein Arzt ist sehr schwer zu erreichen. Wir behandelten so gut es ging und sehr bald kamen diese Menschen sehr vertrauend zu uns und waren auch sehr aufgeschlossen; Mißtrauen begegneten wir nie. Sie waren ja alle so froh heim ins Reich zu kommen und keiner blieb zurück! Auch manche frohen Abende verbrachten wir zusammen. Eine Doppelhochzeit gleich in den ersten Tagen in Tari Verdi, bei der auch SS Obergruppenführer Lorenz anwesend war, war für uns ein seltenes Fest. Noch andere junge Leute folgten diesem Beispiel und so wurden wir noch zu weiteren Hochzeiten eingeladen. In der Schule arbeitete der OB., der Ortsbeauftragte, mit seinen Mitarbeitern. Hier gab es noch sehr viel Arbeit; die Umsiedler mußten eingetragen, der Vermögensstand berechnet und mehrere male aufgeschrieben werden, auch konnten wir uns betätigen. Und dann war es so weit, daß auch aus Cogealac der erste Transport abgehen konnte. Auch unser Bauer, auf dessen Hof wir uns einquartiert hatten, gehörte dazu. Am letzten Morgen sagte er noch zu uns: nicht einmal werde er sich nach seinem Hof umsehen, die Rumänen hätten es arg mit ihnen getrieben. Er freue sich nun so sehr darauf, in Deutschland noch einige Jahre seinen [sic!] Hof zu bewirtschaften und hochzubringen. Er war wie man so sagt, mit Leib und Seele Bauer. Auch unsere Dorfleute wurden mit heißem Tee und Milch versorgt, denn in den letzten Tagen dachte doch keiner mehr daran sich noch etwas Warmes zu machen.
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Alle waren in froher, zuversichtlicher Stimmung, Lieder wurden gesungen – aus den Fenstern des Zuges hielten sie Hakenkreuzfähnchen – und als er sich in Bewegung setzte, hieß es abschiedwinkend „bis auf ein Wiedersehen im Reich.!“ Hier in C [=Cogealac] erlebten wir übrigens auch das 2. Erdbeben. Nachts 3.30 Uhr weckte uns ein unheimlich starkes grollen und rüttern, erschreckt sprangen wir hoch und nur schnell hinaus ins Freie. Wir waren auch gerade draußen, als es krachte und prasselte und der Kamin hinter uns runter kam ; Schaden aber nahm keiner von uns. [S. 4:] Am letzten Sonntag in C. hatten wir noch Gelegenheit mit einem Pferdewagen nach dem 2 Stunden entfernt gelegenen Histria zu fahren. Histria ist eine griech.römische Siedlung an der Küste des Schwarzen Meere und wird jetzt ausgegraben. Äußerst interessant war diese Besichtigung ; die Gelegenheit so etwas zu sehen, werden wir so leicht nicht wieder haben. Am nächsten Tage ging der letzte Transport aus Cogealac und Tari Verdi; wir aber blieben zurück als einzige Deutsche in diesem Ort, in dem sich nun die Rumänen breit machten. Dann, nachdem die letzten schriftlichen Arbeiten erledigt waren und wir unsere Verpflegungsstelle abgebrochen hatten, war auch für uns der letzte Augenblick gekommen. Freuten wir uns doch alle sehr, nachdem alles getan war, wieder in die Heimat zu kommen. Es geht doch nichts, nichts über Deutschland, das empfanden wohl alle da draußen. Unvergeßlich wird uns dieser Einsatz bleiben ! Deutsche Brüder aus der Fremde heimführen zu dürfen, ist doch das wunderbarste Erleben !
Q7/Bericht Nr. 9
2 Seiten Typoskript (Durchschläge auf Pergamentpapier) Titel: Abschrift! Verfasserin: Oberin Ursula Rie[...] Datum/Ort: Sanok [Nord-Bukowina] Oktober 1940 Anmerkungen und Auszüge: Dieser Bericht von NS-Oberin Ursula Rie. betrifft die Nord-Bukowina-Umsiedlung. Hier wurde die Umsiedlung mit der Eisenbahn vollzogen. Vom 26. September bis 16. Oktober 1940 fuhren 44 Sonderzüge über Sanok und vom 21. Oktober bis 14. November 1940 über die Ausweichstrecke Przemysl.36 – NSV-Verpflegungsstation in Sanok: Die NS-Schwester wartete hier auf die täglich über die Grenze einfahrenden Umsiedlerzüge. Als der erste Zug am Bahnhof ankommt, ist sie bereits dort. Eine „große, schöne Verpflegungshalle“ (S. 2) wurde in Sanok erbaut. Sanok liegt nordöstlich von Czernowitz an der vormaligen rumänischen Grenze zu Polen, am Grenzfluß San.37 Sie beschreibt die Lage gemäß der Kriegssituation im besetzen Polens 36 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 84. 37 Ebd., S. 82: Sanok auf der Landkarte.
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als „deutsch-russische Grenze“ (S. 1), wobei mit russischer Seite das von Russland besetzte vormals rumänische Bessarabien/Bukowina gemeint ist. Nach Überquerung des Flusses San über die Eisenbahnbrücke erreichte der Umsiedlerzug die deutsche Seite (bzw. das von der Wehrmacht ein Jahr zuvor besetzte südöstliche Polen). – Militär und SS in Sanok: „Am Fuß des Städtchens leuchtet die große weiße Kaserne mahnend ins Land“ (S. 1). Militär und SS sind auch bei der Umsiedlung immer präsent: – „So rollt nun [...] Tag für Tag so ein Zug über die Grenze und wird von uns [...] begrüßt, übertönt von den Märschen der Militärmusik. [...] Ich steige in einen Wagen ein. [...] Den ältesten Umsiedler aus Cernowitz bringt man mir [...]. Als einige SS.-Führer durch den Zug gehen, [...] zupft er mich am Ärmel und mit bewunderndem Blick raunt er mir zu ‚schönes Militär‘. [...] Ein SA.-Sturmführer musste sich extra in den Lichtschein stellen“ (S. 1).
– Transportbegleitung zum ungenannten „Endziel“: Nach der Aufnahme der Umsiedler in Sanok war NS-Oberin Ursula Rie. mit weiteren NSSchwestern als Zugbegleitung im „Sanitätsdienst auf der Reise“ in Richtung „Altreich“, also in die alten, bis 1. September 1939 geltenden Grenzen des Deutschen Reichs. Das Ziel dieses „Weiterfahren[s] ins Altreich“ (S. 2) mit Umsiedlerzug, Lazarettzug oder Sonderzug wird nicht konkret genannt, sondern nur umschrieben mit „Bestimmungsort“ oder „Endziel“. Der Zug, der ab Sanok in Richtung Altreich abfuhr, transportierte also Kranke, die von einigen NS-Schwestern im „Sanitätsdienst“ bis zur Übergabe an ihrem „Bestimmungsort“ betreut wurden. Nach der Ankunft wurden die Kranken an einen ungenannten Ort übergeben: „Wir übergeben unsere Kranken der neuen Obhut“ (S. 2). – Andeutungen über die Arbeit der Transportschwestern im Zug: – „Beim Weiterfahren ins Altreich [...] Wir NS-Schwestern, die wir den Sanitätsdienst auf der Reise versehen [...] Greise und Mütter betonen immer, was sie noch arbeiten können und wie sie noch helfen wollen“ (S. 2).
In einer anderen Lesart könnte hier die Angst der Kranken, in NS-Deutschland als „nutzlose Esser“ zu gelten, zum Ausdruck kommen. Mit Beteuerungen ihrer Arbeitsfähigkeit und -willigkeit wollten sie, genannt sind z.B. „Greise“, sich ggf. vor „Euthanasie“-Maßnahmen schützen. Vielleicht selektierten die NS-Schwestern die Arbeitsfähigen in diesem Krankentransport. – „Man macht es uns wirklich nicht schwer, den verantwortungsvollen Dienst zu tun [...] so wird sich mit einer solchen Ruhe und Selbstverständlichkeit in unsere Maßnahmen gefügt und so gut werden unsere Anordnungen gemacht, daß wir schon nach der ersten Hälfte der Reise feststellen, daß sich alles viel leichter durchführen lässt, als wir es uns gedacht hatten“ (S. 2).
– Direkt zum Arbeitseinsatz: Die Umsiedler aus der Nord-Bukowina in diesem Zug wurden offenbar unmittelbar zu einem Arbeitseinsatzort gefahren. Von einem Umsiedlungslager oder einer Ansiedlung der Umsiedler ist gar nicht die Rede, ebenso nicht von der Art der Arbeit. Aber sie wird diesen Umsiedlern mit viel Pomp schmackhaft gemacht:
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„Und dann fahren wir in den Bestimmungsbahnhof ein. Ein Meer von Fahnen, Blumen und Fackeln, unsere Buchenländer stehen stumm und ergriffen. [...] Der Kreisleiter [...] zeigt ihnen die Zukunft der Arbeit [...] Ein unvergessliches Bild [...] durch den verdunkelten Bahnhof [...] der durch Fackeln hell erleuchteten Straße zu [...] die Zeit des Wartens bis zu ihrem Arbeitseinsatz“ (S. 2).
– Zwischenhalt in „Krankau“ mit SS und Waffen-SS: Vor der Grenze ins Altreich wurde ein Zwischenhalt in „Krankau“ gemacht. Hier wurde der Zug von SS und Waffen-SS empfangen. Inzwischen waren die Söhne der Umsiedler schon eingezogen und militärisch ausgebildet worden und sahen nun ihre Familien auf dem Bahnhof wieder (S. 2). – „Zug in Krankau. Beim Einfahren in den Bahnhof wird er [der Zug] von jungen SS-Männern begrüßt und nun merken die Umsiedler, daß es ihre Jungen sind, die den grauen Rock tragen. Vor Wochen sind sie in die Waffen-SS eingetreten“ (S. 2 ).
Der Ort „Krankau“ ist nicht identifizierbar, jedoch fällt die Ähnlichkeit mit der Stadt Krakau (Kraków) auf, die damals im Generalgouvernement lag, östlich von Auschwitz in Ostoberschlesien. Die weitere Fahrt des Zuges von Krakau „ins deutsche Land“, also nach Westen, könnte ggf. geografisch auf Schlesien als (ungenanntes) „Endziel“ der Zugfahrt hindeuten. Transkription Q7/9:
Abschrift
Oktober 1940 S a n o k ––– das Tor zur neuen Heimat für Tausende von deutschen Menschen. Wenige Tage nur ist es her, daß ich am Schlagbaum der deutsch-russischen Grenze stand. Vor mir ein Land in strahlendem Sonnenschein, grüne Flächen. bewaldete Hügel, deren herbstliches Laub einer warme Tönung in diese liebliche Landschaft bringt. Hinter mir von der Höhe grüßen die blinkenden Türme von Sanok, am Fuß des Städtchens leuchtet die große weiße Kaserne mahnend ins Land. In der Ferne sieht man die Bergkuppen der Hohen Tatra und am Horizont ahnt man mehr, als daß man sie sieht, die Höhenzüge der Karpathen. Die Eisenbahnbrücke bildet das Niemandsland zwischen den beiden Reichen und unter ihr wälzt sich träge der S a n, der hier eine natürliche Grenze bildet. Plötzlich geht drüben die Fahne hoch, das Zeichen, daß man uns eine Nachricht zu überbringen hat. „Am Nachmittag wird der erste Zug mit Umsiedlern die Grenze passieren.“. Auf der Verpflegungsstation wird zu dieser Zeit alles hergerichtet. Nach Einbruch der Dunkelheit kommt endlich die Meldung, der Zug hat die Grenze überfahren und dann nach einiger Zeit läuft er in den ersten deutschen Bahnhof ein. ––– Jubel, Freude, Fähnchenschwingen – so rollt nun seit dieser Zeit Tag für Tag so ein Zug über die Grenze und wird von uns mit dem gleichen Jubel, mit der gleichen Begeisterung begrüßt, übertönt von den Märschen der Militärmusik, die unsere Soldaten den Volksgenossen als Empfang in der neuen Heimat entgegenbringen. Ich steige in einen Wagen ein... Hände und Arme strecken sich mir entgegen, lachende Gesichter und leuchtende Augen, aber auch viele Tränen sieht man hier, die Nervenprobe der letzten Zeit ist oft ein bisschen viel gewesen. Ein Fragen und Erzählen hebt an. Schwester sind wir nun wirklich da, Schwester, wie heißt der Ort, müssen wir noch weiter fahren? – und so fort! Den ältesten Umsiedler aus Czernowitz bringt man mir. Der Opa umarmt mich und ich muß den Kuß auf jede Backe als Zeichen der überaus großen Freude hinnehmen. Wie glücklich sei der doch das noch
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mitzuerleben. Zugleich werden wir auch bestaunt und von allen Seiten besehen, unsere Armbinden werden gelesen und unsere Ärmelstreifen müssen erklärt werden. Als einige SS.-Führer durch den Zug gehen und auch ein paar Worte mit meinem Opa gewechselt haben, zupft er mich am Ärmel und mit bewunderndem Blick raunt er mir zu „schönes Militär“. Ach, und überhaupt die Soldaten! Was die Jungens es damit wichtig hatten. Sie versuchten sich die vielen Uniformen zu erklären und mit offenem Mund und gespanntem Blick hörten sie zu, wenn man ihnen auf ihre Frage antwortete. Ein SA.-Sturmführer musste sich extra in den Lichtschein stellen, damit sie ihn alle ordentlich sehen konnten. Mütter reichen uns ihre Kinder damit wir sie versorgen und glücklich sind auch wenn wir sie ihnen frisch gebadet und mit frischer Wäsche versorgt wieder zurückbringen können. Eine werdende Mutter, [S. 2:] der ich einen besonders großen Becher warme Milch bringe, sagt mir als Dank: „Schwester, wie freue ich mich, daß mein Kind in Deutschland geboren wird“! Die kleinen Knirpse sind so stolz und lassen sich von den Geschwistern neidvoll ob der neuen Schuhe bewundern. Überhaupt nimmt das Staunen kein Ende. Daß sich so viele Menschen um sie bemühen, daß an jeden Einzelnen gedacht wird, ist ihnen gar zu neu. Diese Menschen, die nur ein hartes, arbeitsreiches Leben kannen, stehen diesem Umsorgtsein etwas beschämt gegenüber und manche Träne stiehlt sich aus den Augen der Mütter. Es ist mir, solange ich denken kann, nicht mehr so gegangen, daß ich mich nur an den Tisch setzen durfte, den Löffel nehmen und eine so gute und kräftige Suppe essen, sagte mir schluchzend eine Frau. Daß die große, schöne Verpflegungshalle extra für sie gebaut ist ––––. Mit einer gewissen Feierlichkeit und mit entblößtem Kopf betreten sie diesen mit Fahnen und Tannengrün und dem Hoheitszeichen geschmückten Raum, Man sieht diesen Gesichtern, vor allem den Augen an, welchen Eindruck das alles auf sie macht. Beim Weiterfahren ins Altreich gibt es ein Händeschütteln, ein Danksagen und ein Fähnchenschwingen bis der Zug in der Ferne verschwunden ist. Wir NS.-Schwestern, die wir den Sanitätsdienst auf der Reise versehen, erleben weiterhin das unüberwindliche Vertrauen dieser Menschen zum deutschen Mutterland. Rührend ist ihr Wollen und ihr Vorsatz dem Reich zu dienen. Greise und Mütter betonen immer, was sie noch arbeiten können und wie sie noch helfen wollen, um doch auch ihr Teil am Aufbau des Reiches beizutragen. Man macht es uns wirklich nicht schwer, den verantwortungsvollen Dienst zu tun. Ist ein Kindchen krank, hat jemand Fieber oder Beschwerden, so wird sich mit einer solchen Ruhe und Selbstverständlichkeit in unsere Maßnahmen gefügt und so gut werden unsere Anordnungen gemacht, daß wir schon nach der ersten Hälfte der Reise feststellen, daß sich alles viel leichter durchführen lässt, als wir es uns gedacht hatten. Eine große Überraschung gibt es für unseren Zug in Krankau [sic!]. Beim Einfahren in den Bahnhof wird er von jungen SS.-Männern begrüßt und nun merken die Umsiedler, daß es ihre Jungen sind, die den grauen Rock tragen. Vor Wochen sind sie in die Waffen-SS. eingetreten und sehen nun ihre Eltern und Geschwister, Freunde und Bekannte wieder. Strahlend steht eine Mutter vor ihrem großen blonden Jungen. Ordentlich aufschauen muß sie zu ihm, so groß ist er. Der Vater fragt nach Dienst und Ausbildung und die Geschwister bestaunen die Uniform, der kleine Bruder mit besonderem Interesse das Seitengewehr. Ein großer Eindruck, den ich sobald nicht vergessen werde. Und so sind viele, viele, die sich hier treffen. – Weiter rollt der Zug ins deutsche Land und bringt uns dem Endziel näher ––– und dann fahren wir in den Bestimmungsbahnhof ein. Ein Meer von Fahnen, Blumen und Fackeln, unsere Buchenländer stehen stumm und ergriffen. Die Frauen und Männer, Jung und Alt, hatten so etwas noch nie gesehen, sie hatten nicht glauben können, daß es einen noch schöneren Empfang geben kann. Der Kreisleiter sagt ihnen herrliche Worte des Willkommens, zeigt ihnen die Zukunft
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der Arbeit, aber auch der Freude, spricht vom Helfenwollen, ihnen die neue Heimat, den neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Mir kargen, aber warmen Worten kommt die Antwort. Sie bringen das heiße Herz voll Glauben und Zuversicht und ihre Hände für die Aufbauarbeit. Mit Eifer stürzen sich nun die Pimpfe und die Hitlerjungen auf das Gepäck. Die BDM.-Mädel nehmen den Müttern die Kinder ab und wir übergeben unsere Kranken der neuen Obhut. Ein unvergessliches Bild... ein Pimpf, der sich herabläßt ein kleines Mädchen an die Hand zu nehmen, um es durch den verdunkelten Bahnhof zu führen wird zuerst zögernd von unten herauf angeschaut, dann aber packt es fester zu und marschiert mit ihm der durch Fackeln hell erleuchteten Straße zu. So wie dieser Pimpf das kleine Mädchen führte, wird man die Umsiedler mit ihrer großen Zuversicht und dem unerschütterlichen Glauben führen durch die Zeit des Wartens bis zu ihrem Arbeitseinsatz, so – wie diese durch Fackeln erleuchtete Straße zum Lager hinauf, auf daß ihre Jungen dann die Fackeln nehmen und weiter tragen in eine helle deutsche Zukunft hinein. Oberin Ursula Rie[...]
Q7/Bericht (publiziert) Nr. 10
2 Seiten eines gedruckten Doppelblattes. Dies ist der dritte von vier Artikeln auf einem Doppelblatt mit der Überschrift „Mitteilungen über den Einsatz von NSV-Schwestern“ 1. Erster Einsatz im Elsaß 2. Bericht über die Gemeindearbeit in Moresnet, Kreis Eupen 3. NS.-Schwestern bei der Umsiedlung in der Süd-Bukowina [= Q7/10] 4. Aus dem Einsatz bei der Rückführung von Volksdeutschen [= Q7/11] Titel: 3. NS.-Schwestern bei der Umsiedlung in der Süd-Bukowina Verfasserin: NS-Oberin Irene Pantenius (mit Zitaten aus Berichten anderer NS-Schwestern) Datum: o.O., o. J. Anmerkungen: Es geht um die Süd-Bukowina-Umsiedlung im November 1940. Die Verfasserin, NS-Oberin Pugenius, hatte 200 NS-Schwestern aus Deutschland in die Bukowina gebracht und war Leiterin der NS-Schwesternschaft im Gebietsstab Gura Humora in der Südbukowina. Sie bereitete zusammen mit NS-Oberin Ursula Rie. auch die Umsiedlung in der Nord-Bukowina in der NSV-Verpflegungsstelle Sanok vor.38 Der Name „Irene Pantenius“ hat eine auffällige Schreib- oder Hör-Ähnlichkeit mit „Helene Pugenius“. Diese traf 1941 ein Schicksalsschlag und ein schwerer Tod, so wird es jedenfalls in einer Korrespondenz zwischen NS-Oberin Rakow und NS-Schwester Cora Spr. angedeutet.39 Eine Internet-Genealogie der Familie Pantenius führt eine 1956 an Krebs 38 Vgl. Q6/Briefe Nr. 7 (Brief von Generaloberin Käthe Böttger); Q7/Bericht 9 (NS-Oberin Ursula Rie.). 39 Q6/Brief Nr. 21 (NS-Schwester Cora Spr. an NS-Oberin Rakow am 29.5.1941).
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verstorbene „Krankenschwester Irene Pantenius“ auf.40 Daher scheint eher der andere Name ggf. unrichtig zu sein. Auszüge: NS-Oberin Rakow war in der Bukowina nicht mehr die einzige Führerin der NS-Schwesternschaft. Im November 1940 brachte NS-Oberin Irene Pugenius 200 weitere NS-Schwestern mit einem „Kommandozug“ von Wien über Ungarn in die Bukowina: – „als ich mich mit 200 NS.-Schwestern aus allen Gauen Anfang November im Kommandozug über Wien nach Budapest der rumänischen Grenze näherte [...] Der SS-Umsiedlungsstab hatte seinen Sitz bereits in Gura-Humora genommen, einem kleinen Nest mitten in den Karpathen, von wo aus das feinverzweigte und glänzend durchorganisierte Netz des Umsiedlungskommandos jede kleine Ortschaft erfasste, in der Deutsche lebten“ (S. 1, 1. Spalte).
Aufgaben der NSV in der Bukowina: – „Aufgabe der NSV war, wie überall, die Betreuungsarbeit: Speisung der notleidenden Bevölkerung und Einkleidung vor dem Abtransport, gesundheitliche und seelische Betreuung in den Dörfern, Errichtung von Säuglingsküchen, Begleitung der Umsiedler mit den Zügen ins Reich“ (S. 1, 1. Spalte).
„Schwierige Aufgaben“ in der Südbukowina: – „Das SS-Umsiedlungskommando für die Volksdeutschen aus der Süd-Bukowina sah sich vor eine besonders schwierige Aufgabe gestellt, das die soziale Struktur des Deutschtums der Bukowina eine umfassendere Betreuungsarbeit vor der Umsiedlung nötig machte, als es bisher bei anderen Volksgruppen erforderlich war. Die an 50 000 Menschen zählende Volksgruppe [...]“ (S. 1, 1. Spalte oben). – „Im allgemeinen erscheinen die Bukowina-Deutschen weniger widerstandsfähig als die Bessarabier, kein Wunder, wenn die Hauptnahrung aus Mamaliga besteht (Maisbrei mit Wasser gekocht) [...] Kein Wunder, daß das gute Essen, das die NS.-Frauenschaft in den Verpflegungsstellen in Ungarn gekocht hatte, nicht jeder verträgt“ (S. 1, 2. Spalte).
Blasse, hungrige, ungepflegte, arme Umsiedler: – „Allergrößte Not zeigte sich für uns in Luisenthal. [...] Die Leute sterben hier, ohne daß sich ein Arzt um sie bemüht hätte [...] Kinderreiche Familien bewohnen meist nur einen Raum [...] Manche Lagerstatt besteht nur aus zusammengenagelten Brettern mit Heu drauf. Bei schlechtem Wetter müssen sich hier alle aufhalten, da sie weder Mäntel noch Schuhe haben [...] Brot ist Luxus. [...] Eine tiefe Bitterkeit prägt hier schon die jüngsten Gesichter. Das Deutsch der Leute ist schwerfällig, hart, ausdrucksarm. Hauptsächlich klagen sie über Hunger. Die Kinder sind rachitisch, blaß, mit verkrümmten Zähnen, ungepflegt“ (S. 2). – „... der Tag, an dem der erste Umsiedlungszug das Buchenland verläßt. 500 Menschen, jung und alt [...] Die blassen, unterernährten, früh gealterten Menschen stimmen ein frohes Kampflied an, wenig rhytmisch und wenig melodisch, aber den Text kennen sie alle“ (S. 1, 2. Spalte). 40 Die Genealogie enthält „Krankenschwester Irene Pantenius“, geb. 1907 in Charcov, Ukraine, gestorben 1956 in Hannover. In: Genealogie Panthenius. URL: http://pantaenius.com.ar/genealogia (Abruf 7.9.2019). Vgl. Namensverzeichnis im Anhang zu Pugenius/Pantenius.
Q7/Berichte Abdruck: Q7/10, S. 1
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Abdruck: Q7/10, S. 2
Krankensammelstellen und ein Lazarettzug: – „Kranke, Sieche und Schwangere werden den Krankensammelstellen zugeführt und hier von den deutschen Ärzten, Rote-Kreuz-Schwestern und Helferinnen in Betreuung genommen, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Lazarettzug sie ins Reich bringt“ (S. 1, 1. Spalte).
Kranke, Schwangere, Alte, die nicht im Lazarettzug fuhren: – „In Klausenburg mußten wir ein Kind mit einer Pneumonie ausladen.“ – „Kurz vor Überschreiten der Reichsgrenze kam dann noch eine Überraschung: ein kleines Mädchen wurde geboren! Die Frau hatte ihren Zustand verheimlicht, da sie sonst mit dem Lazarettzug hätte fahren müssen und von ihrer Familie getrennt worden wäre. [...] Die Wöchnerin, Mutter von fünf blassen Kindern, war 35 Jahre alt; sie sah aus wie 50.“ – „das alte asthmatische Mütterchen, das am Fenster stehend in heiliger Freude keuchte: ‚[...] Deutschland! Sterben – nur in Deutschland‘“ (S. 1, 2. Spalte).
NS-Schwestern als Transportbegleitung, für 2000 Menschen täglich: – „Und so rollen Tag für Tag vier Züge mit je 500 Menschen dem Reiche zu. Ein Transportleiter, zwei Rote-Kreuz-Sanitäter, drei Frauen der NS.-Frauenschaft und drei NS.-Schwestern begleiten sie bis in die Lager, in denen sie vorerst Aufnahme finden: in der Steiermark, in Thüringen, Sachsen, am Bodensee, im Sudetenland“ (S. 1, 2. Spalte). – „Am 13. Dezember soll der letzte Umsiedlerzug Rumänien verlassen“ (S. 2).
Was die Umsiedler in der Bukowina an Besitz verloren: – „Rumänen und Juden kaufen für ein Spottgeld die armselige Habe auf, die da sie für das Reich keinen Wert darstellt, zurückgelassen werden muß“ (S. 1, 1. Spalte). – „Wie ausgestorben liegen einige Dörfer. Als ob eine Seuche hier gewütet hätte. Die blauen Zettel an den toten Fenstern sagen uns, daß diese Häuser bisher von Deutschen bewohnt waren und nun von der Kommission geschätzt sind, um von dem rumänischen Staat übernommen zu werden. Einige herrenlose Hunde sind die einzigen Lebewesen in diesen Dörfern“ (S. 2).
Q7/Berichte
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Q7/Bericht (publiziert) Nr. 11
Gedicht und Fotos, halbe Seiten eines gedruckten Doppelblattes
Dies ist der vierte von vier Artikeln eines Doppelblattes mit der Überschrift „Mitteilungen über den Einsatz von NSV-Schwestern“ 1. Erster Einsatz im Elsaß 2. Bericht über die Gemeindearbeit in Moresnet, Kreis Eupen 3. NS.-Schwestern bei der Umsiedlung in der Süd-Bukowina [= Q7/10] 4. Aus dem Einsatz bei der Rückführung von Volksdeutschen [= Q7/11] Titel: 4. Aus dem Einsatz bei der Rückführung von Volksdeutschen a.) Gedicht und Foto: Wir waren dabei ... Verfasserin: NS.-Schwester Lore Reichmann b.) Zitat und Foto: NS-Schwester mit einem Umsiedlerkind Datum: o.O., o. J. a.) Anmerkungen zum Gedicht und Foto Q7/11.a. (oberer Teil): Unter der Überschrift: „Aus dem Einsatz bei der Rückführung von Volksdeutschen“ ist ein Gedicht von „NS-Schwester Lore Reichmann“41 abgedruckt. Der Bessarabien-Einsatz wird 41 Lore Reichmann: Eine gewisse Namensähnlichkeit besteht mit NS-Oberin Ursel Rie[...] (vgl. Q6/ Brief 7 und Q7/Bericht 9), die mit NS-Oberin Irene Pantenius (vgl. Q7/10) die Bukowina-Umsiedlung vorbereitete.
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im Rückblick zur „Kriegstat“. NS-Schwestern waren „wie Soldaten“ dabei, korrespondierend mit dem Selbstbild der Braunen Schwestern als „Soldatinnen des Führers“ an der Seite der SS.42 Das häufige Wort „Wir“ unterstreicht ihre eingeschworene Gemeinschaft und „Kameradschaft“ als kriegstaugliche Leistung. Die Umsiedler waren eine dem Reich zugeführte „Heeresmacht“, „ein Heerbann von Hunderttausend Mann.“ Allein aus Bessarabien wurden tatsächlich etwa 97.000 Männer, Frauen und Kinder umgesiedelt, also nicht nur Männer. Doch vermutlich wurde auch die folgende Ansiedlung der Frauen und Kinder als Kriegstat verstanden. Das Foto, das dieses Gedicht illustriert, zeigt zwei fröhliche NS-Schwestern mit der „Sonderausrüstung“, mit der sie in Wien ausgestattet wurden.43 Das Bild unterstützt die Aussage im Gedicht, dass sie stolz waren, als „Soldatinnen“ eingezogen worden zu sein. Im Hintergrund stehen Männer in Trachtenjacken. Es könnten Volksdeutsche aus Bessarabien sein, aber wahrscheinlicher ist, dass es Österreicher sind, die inzwischen auch schon Reichsdeutsche waren. Wien im „Gau Ostmark“ war vor und nach der Umsiedlungsaktion der Treffpunkt des Umsiedlungskommandos. Transkription Q7/11.a:
Wir waren dabei... Wir Schwestern marschieren im gleichen Tritt / wie Soldaten. / Wir waren dabei, wir halfen mit. / Wir haben zwar keine Schlachten geschlagen, / wir haben nie eine Waffe getragen, / und haben doch eine Heeresmacht / dem Reich und dem Führer gebracht. / Vom Schwarzen Meer her und Buchenland, / aus Beßarabien, am Donaustrand / führten dem Reich wir wieder ein /einen Heerbann / von hunderttausend Mann. / Einen Heerbann, der Deutschlands Acker soll pflügen, / der mit Sense und Spaten den Feind wird besiegen. / Den haben wir Schwestern in brauner Tracht, / dem Führer als unsere Kriegstat gebracht, / wie Soldaten. NS.-Schwester Lore Reichmann b.) Anmerkungen zum Foto und Zitat in Q7/11.b. (unterer Teil) Auf der unteren Hälfte des Blattes wird – gleich einer nötigen Kompensation – nach den soldatischen Aspekten abschließend doch noch die mütterliche Seite hervorgehoben. Das Foto zeigt eine NS-Schwester mit weißer Haube mit einem etwa vierjährigen, in eine Decke gehüllten Kind auf dem Arm vor einem Rundbogen, der an altdeutsche mittelalterliche Stadttore erinnert. Das Motiv illustriert eine ihrer Aufgaben bei der Umsiedlungsaktion: die Betreuung der Säuglinge und Kinder bis zum vierten Lebensjahr, die die NS-Schwestern den Müttern auf den Schiffen sowie in den Badestuben, Säuglingsstationen und Kindergärten in den Auffanglagern abnahmen. Das „volksdeutsche Kind“ auf diesem Foto wirkt ungepflegt, mit zerzaustem Haar, als sei es gerade aus dem Bett herausgenommen worden. Ein ganz ähnliches Foto wurde kurz nach der Umsiedlung abgedruckt in einem „Rundbrief der NS-Schwesternschaft“.44 Dieselbe dunkelhaarige NS-Schwester, die eine gewisse Ähnlichkeit 42 Soldatinnen des Führers: Vgl. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 30. – Vgl. ausführlicher auch in der Einleitung in dieser Arbeit. 43 Sonderausrüstung: Vgl. Q2/Tagebuch und Q5/Fotos, Serien A u. B. 44 Q3/Einzelblatt Nr. 12.b. (Rundbrief der NS-Schwesternschaft, I. Quartal 1941). Vgl. Kommentar ebd.
Q7/Berichte
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mit NS-Oberin Rakow hat, trägt dort vor demselben Hintergrund ein anderes Kind. So wie auch dieses ist es – in bessarabischer Tradition – noch in eine gewebte Decke („Placht“) eingewickelt, aber dort hat man ihm schon einen deutschen „Seppelhut“ aufgesetzt. Neben dem obigen Foto ist folgender Satz abgedruckt: „Ein volksdeutsches Kind sagte zu einer unserer NS.=Schwestern, die es auf dem Arm trug: ‚Schwester, gelt, du trägst mich nach Deutschland!‘“
Der Ausspruch des Kindes wurde zitiert aus dem Bericht einer NS-Schwester.45 Das schwäbische „gelt“ erklärt den Begriff der sog. „Rückführung“ in der Überschrift, da die Umsiedler immer noch die Sprache ihrer Vorfahren aus Württemberg in Russland bzw. Rumänien bewahrt hatten.
Q7/Bericht (publiziert) Nr. 12 Zeitungsausschnitt
Titel: Gauschule Rehnitz Lager für Bessarabiendeutsche. Die NSV. betreut den großen Treck aus dem Südosten Europas Verfasser/in: ehi [Kürzel] Datum: o.J., o.O. [1940?] Anmerkungen: Im Nachlass der NS-Oberin fand sich ein Zeitungsartikel über ein Umsiedlungslager in der Nähe von Soldin (polnisch Myślibórz), dem Heimatort der NS-Oberin Dorothee Rakow. Üblicherweise waren Lager für Bessarabiendeutsche im Süden des Deutschen Reiches, in Österreich, im Sudetengau, in Bayern, Sachsen und Thüringen, oft in Fabrikgebäuden, geräumten Anstalten, Klöstern und Schlössern, organisiert und betreut von der „Volksdeutschen Mittelstelle“. Möglicherweise spielte das Umsiedlungslager Rehnitz eine unbekannte Sonderrolle, da die Lage in Westpommern ungewöhnlich ist. Lagerleiter war NSV-Mitarbeiter „Pg. Silex“.46 Verfasser des Artikels mit Kürzel „ehi“ könnte Erich Hilgenfeldt sein, SS-Führer und Hauptamtsleiter der NSV. Recherchen zur Geschichte von Schloss und Lager in Soldin-Rehnitz bestätigen die Vermutung einer Sonderrolle. Das Gut Rehnitz (polnisch Renice) kaufte 1928 die Siedlungsgesellschaft „Eigene Scholle“, um eine „Siedlerschule“ aufzubauen.47 Das zugehörige Schloss wurde später über den FAD (Freiwilliger Arbeitsdienst) vom RAD (Reichsarbeits45 Q7/Bericht 3.a. (Zusammenstellung von Abschnitten aus Berichten von NS-Schwestern ohne Angabe der Verfasserinnen). 46 Parteigenosse „Pg. Silex“, ein prominenter Namensvetter des NSV-Mitarbeiters Silex, hatte örtliche Bezüge zu Stettin, doch es konnte nicht verifiziert werden, dass es sich um den in Stettin geborenen Journalisten Karl Silex (1896–1982), Mitglied im „Führerrat der Deutschen Presse“, handelte (vgl. Wikipedia: Karl Silex. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Silex. Abruf 15.9.2019). 47 Genealogienetz Genwiki: Rehnitz. URL: http://genwiki.genealogy.net/Rehnitz (Abruf 13.9.2019).
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dienst) übernommen und 1936 verkauft.48 Später entstand in dem imposanten Gebäude die „Gauschule Rehnitz“ als NS-Führerschule, benannt nach dem Reichsinnenminister des NSStaates „Wilhelm Frick-Gauschule“ (1937) oder „Gauschule Berlin des Amtes für Beamte Wilhelm Frick Schule“ (1939).49 Nachdem die „Gauschule Rehnitz Lager für Bessarabiendeutsche“ (Überschrift des Artikels) werden sollte, wurden im „Lager ‚Rehnitz‘ in der Nähe von Stettin“ Slowenen aufgenommen, ein Foto zeigt eine Gruppe auf der Außentreppe des Schlossgebäudes, das aber nicht ihre Zwangslage dokumentiert.50 Im April 1942 waren die Kärntner Slowenen als „politisch unzuverlässige Elemente“ enteignet und in einer „schlagartigen Durchführung der Umsiedlung“ mit Sonderzügen ins Lager der Volksdeutschen Mittelstelle deportiert worden.51 Für diese sog. „K-Aktion“, hatte die Volksdeutsche Mittelstelle im Monat zuvor vier Lager ausgewählt, u.a. das „Lager Rehnitz (Bahnstation Glasow in Brandenburg) für 280 Personen“.52 Der „Verband ausgesiedelter Slowenen“ erinnerte im Rückblick zum „Aussiedlungslager“ in Rehnitz nichts Gutes: „Neben den Schikanen von Lagerführern, ‚Krankenschwestern und Lagerärzten, wurden z.B. die Insassen der Lager Rastatt und Rehnitz auch noch untereinander aufgehetzt, da der Hunger und die Kälte sogar einstige Freunde zu Konkurrenten werden ließ. Zusätzlich trug auch noch die mangelnde Hygiene in den Lagern das Ihrige zu einem unbehaglichen Leben bei. Kleider wurden hauptsächlich schmutzig getragen, da Waschmöglichkeiten sehr rar waren und oft trug man auch die blutige KZ-Kleidung53 von Juden, welche nach der Vergasung dieser mit einem Davidsstern versehen an diverse Lager weiter verfrachtet wurde. Die Situation in den Lagern war daraus resultierend menschenunwürdig. [...] In den meisten Fällen wurden die
48 Neumann, Der Betheler Freiwillige Arbeitsdienst, in: Benad/Schmuhl (Hg.) 2006: Bethel- Eckardtsheim, S. 371, Anm. 18. 49 Aufschriften auf zeitgenössischen Ansichtskarten, in: ZVAB-Online Antiquariat. URL: www. zvab.com/manuskripte-papierantiquitaeten/Ansichtskarte-Soldin-Rehnitz-Blick-Wilhelm-FrickGauschule/22630860785/bd sowie in: Ansichtskartenpool: Gauschule Rehnitz. URL: www. akpool.de/ansichtskarten/26893114-ansichtskarte-postkarte-rehnitz-in-ostbrandenburg-gauschuleberlin-des-amtes-fuer-beamte-wilhelm-frick-schule (Abruf 13.9.2019). 50 Foto mit Bildunterschrift: Vertriebene im Lager „Rehnitz in der Nähe von S[t]ettin“ (Quelle ebd., Franc Resman, 2005: „Rod pod Jepo. Die Familienchronik des Franc Resman“), in: Verband ausgesiedelter Slowenen: Das (Über)leben in den Lagern. URL: http://izseljenci.slo.at/lager.html (Abruf 14.9.2019). 51 Aus dem Bericht des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums „vom 18.4.1942 über den Verlauf der K-Aktion“, einem „dem Ansiedlungsstab Altreich erteilten Sonderauftrag“, in: Ferenc 1980: Quellen Slowenien 1941–1945, Dokument 217, in: Verein Erinnern kärnöl. URL: www.karawankengrenze.at/ferenc/index.php?r=documentshow&id=217 (Abruf 14.9.2019). 52 Ebd., Anm. 7. – „Lager Glasow“ steht für die „Bahnstation Glasow in Brandenburg“ zum „Lager Rehnitz“ (Quelle ebd., BA Koblenz, StHA des RKFDV, R 49/908). – Zur Topografie: Glasow lag ca. 10 km nordöstlich von Soldin (poln. Mysliborz), Rehnitz (poln. Renice) lag zwischen Soldin und Glasow. 53 Nach der Erschießung von über 30.000 Juden in der Ukraine (Babijar und Shitomir) wurden der NSV 137 Lastwagen mit Kleidung übergeben, die 1941 an „volksdeutsche“ Umsiedler und an Lazarette verteilt wurden. Aus: Wikipadia: NSV. URL: de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Volkswohlfahrt (Abruf 15.9.2019).
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Menschen [...] auch an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen schikaniert und gepeinigt. So z.B. im Lager Rehnitz, wo die Menschen von den Bauern als ‚Zugtiere‘ verwendet wurden und ohne Wasser ganztägig Feldarbeit verrichten mussten.“54
Weitere Erinnerungsberichte von NS-Opfern unter den 1942 vertriebenen Slowenen erwähnen das Familien-„Lager Rehnitz“ in Zusammenhang mit ihren Verhaftungen wegen „volksund staatsfeindlichen“ Verhaltens.55 Denkbar wäre, dass bessarabiendeutsche Umsiedler hier ähnliche Erfahrungen machten und das Lager in der vormaligen Gauschule Rehnitz eine Art politisches Umerziehungslager wurde. Jedoch ist auch möglich, dass die beschriebenen Planungen der Unterbringung von Bessarabiendeutschen nicht wie geplant umgesetzt wurden. Auszüge: Dem Zeitungsartikel entnehmen wir: – Das „herrlich gelegene Schloß Rehnitz“ wurde als Umsiedlungslager für 300 Bessarabiendeutsche vorbereitet. Die bisherige Führerschule „Gauschule Rehnitz des Gauamtes für Beamte, Gau Berlin“ stand wegen des Kriegseinsatzes der NS-Beamten leer, weil der „Schulungsbetrieb der Partei“ seit Kriegsbeginn „ruhte“. Ursprünglich wollten die „Männer der Partei“ das Schloss mit Kriegsbeginn der Wehrmacht zur Verfügung stellen, „etwa als Genesungsheim für verwundete Soldaten.“ – Im Artikel wird der Eindruck erweckt, dass die „Heim ins Reich“-Aktionen federführend von der NSV geleitet wurde: „Mit ihrer Betreuung während der Rücksiedlung ist, wie schon bei der Rückführung der Balten-, Wolhynien- und Galiziendeutschen, die NS.-Volkswohlfahrt betraut worden.“ – Während in den anderen Umsiedlungslagern bekanntermaßen ein Sonderzug der EWZ mit ärztlichen Gutachtern für die Einbürgerungsuntersuchungen anreiste, besaß das Lager Rehnitz eine eigene Kontrollinstanz: „Das Lager untersteht der ärztlichen Kontrolle, die sowohl seitens des Amtsarztes wie auch eines Soldiner praktischen Arztes wahrgenommen wird“. – Aufgabe des Amtsarztes war die Überwachung der „Erbgesundheit“ nach den NS-Gesetzen, für deren Durchführung seit 1934 „Gesundheitsämter“ eingerichtet wurden. Die NSRassegesetze und Ehegesetze, also das, „was uns seit der Machtübernahme zur Selbstverständlichkeit geworden, uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, stürmt auf sie ein.“ Um die Umsiedler davon zu überzeugen und sie auch innerlich zu NS-Reichsdeutschen zu machen, war „unendliches Einfühlungsvermögen“ nötig, erkannte der Schreiber.
54 Verband ausgesiedelter Slowenen: Das (Über)leben in den Lagern. URL: http://www.slo.at/izseljenci/lager.html (Abruf: 14.9.2019). 55 ����������������������������������������������������������������������������������������� Entner, Opferbiografie Josef K., in: www.parlament.gv.at/ZUSD/PDF/Stenographisches_Protokoll_Gedenkveranstaltung_20180405.pdf, S. 9 (Abruf 14.9.2019); Opferbiografie Stefan P., in: Haider, 2008 [2005], NS in Villach, S. 33. In: URL: http://www.kaernoel.at/downloads/ns_in_ villach.pdf (Abruf 14.9.2019).
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Gauschule Rehnitz Lager für Bessarabiendeutsche Die NSV. betreut den großen Treck aus dem Südosten Europas Als kürzlich die Notiz von der Rücksiedlung der sogenannten Bessarabiendeutschen durch die Presse ging und der Rundfunk die Tatsache dieses Bevölkerungsaustausches ebenfalls bekanntgab, haben manche Bewohner des Altreichs zum erstenmal erfahren, daß auch in diesem östlichen Zipfel des einstigen Großrumäniens, der heute der Sowjetunion angeschlossen ist, Deutsche wohnen. Viel zu sehr hatte man in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten ihr hartes Los vergessen. Das Reich kümmerte sich nicht um seine Söhne und Töchter, die der Drang nach der Ferne außerhalb seiner Grenzen getrieben hatte und die durch die Jahrhunderte hindurch ihrem Volk die Treue gehalten hatten. Wir kennen die erschütterndsten Zeugnisse von ihrem Kampf. Schlichte Menschen aus ihrer Mitte haben in Büchern, die heute noch jeden beim Lesen ergreifen, das Schicksal dieser Volksgruppen geschildert. Nun kehren auch diese Menschen zurück, gesellen sich zu den Baltendeutschen, zu den Wolhynien= und Galiziendeutschen, die im Frühjahr die Fahrt in die Heimat antraten. Dem großen Treck aus dem Norden und Osten schließt sich der nicht minder große aus dem Südosten an. Mit offenen Armen nimmt das Großdeutsche Reich sie auf, der Führer hat sie ja gerufen. Mit ihrer Betreuung während der Rücksiedlung ist, wie schon bei der Rückführung der Balten=, Wolhynien= und Galiziendeutschen, die NS.-Volkswohlfahrt betraut worden. Damit übernimmt sie erneut eine verantwortungsvolle Aufgabe. Es gehört unendliches Einfühlungsvermögen dazu, diese inmitten fremden Volkstums aufgewachsenen deutschen Menschen ins Reich hineinzuführen. Was uns seit der Machtübernahme zur Selbstverständlichkeit geworden, uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, stürmt auf sie ein. Der Uebertritt über die Grenze, der erste Schritt ins Reich, ist für sie nichts Aeußeres. Von Auslandsdeutschen werden sie mit diesem Schritt zu Reichsdeutschen, zu Menschen, die ihrem deutschen Wesen ungehindert Ausdruck verleihen können. Es geht ihnen wie einem Baum, den man lange Tage in einem dunklen Raum abgestellt hat, der nun in den Boden gepflanzt wird und endlich die Strahlen der Sonne in sich aufnehmen darf. So und nicht anders ist den heimkehrenden Volksgenossen ums Herz. Erstmalig kann der Kreis Soldin den volksdeutschen Rücksiedlern Gastrecht gewähren. Wenige Kilometer von der Kreisstadt entfernt liegt die Gauschule Rehnitz des Gauamtes für Beamte, Gau Berlin. Diese Schule, ein Musterbeispiel für unsere heutige Baugesinnung, steht seit Beginn des Krieges leer. Der Schulungsbetrieb der Partei ruht in diesen ernsten Monaten. Damit mußte auch das herrlich gelegene Schloß Rehnitz seine Pforten schließen. Lange wußte man mit dem Haus nichts Rechtes anzufangen. Sehr zum Leidwesen der verantwortlichen Männer der Partei, die sie gern der Wehrmacht zu ihren Zwecken zur Verfügung gestellt hätten, etwa als Genesungsheim für verwundete Soldaten. Diese Pläne zerschlugen sich, bis nun jetzt die Schule für die Rücksiedlung zur Verfügung gestellt werden konnte. Für etwa 300 Rücksiedler wird sie augenblicklich hergerichtet. Das heißt, hergerichtet zu werden braucht sie gar nicht. Sie ist so in Ordnung, daß sie so wie sie steht und liegt, übernommen werden kann. Die Unterbringungsmöglichkeiten sind vorbildlich. Es sind genügend Schlafgelegenheiten vorhanden, fabelhafte Speisesäle, eine ausgezeichnete Küche, herrliche Aufenthaltsräume, vorbildliche sanitäre Einrichtungen. Kurzum, die ins Reich heimkehrenden Volksgenossen sollen sich hier wohlfühlen. Das Einleben in ihrer neuen Umgebung soll ihnen denkbar leicht gemacht werden.
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Das Leben im Lager selbst ist genau geregelt. Es ist an alles gedacht. Kreisamtsleiter Gedicke hat bereits Pg. Silex, einen vom Gauamt beauftragten NSV.=Mitarbeiter als Lagerleiter verpflichtet. Als Koch wurde der bereits während des Schulbetriebs tätig gewesene Pg. Tatzel übernommen. Weitere Hilfskräfte werden aus der Mitte der Rückwanderer verpflichtet werden. für die gesundheitliche Betreuung ist ebenfalls gesorgt. Das Lager untersteht der ärztlichen Kontrolle, die sowohl seitens des Amtsarztes wie auch eines Soldiner praktischen Arztes wahrgenommen wird. An Vorbereitungen ist getroffen worden, was möglich war. In allernächster Zeit werden die Rückwanderer ankommen, um etwa drei Monate im Lager zu verbringen, bis sie dann ihre endgültigen Wohnsitze in den neuen Ostgebieten beziehen können. Für den Tag ihrer Ankunft gilt ihnen unser herzlicher Willkommensgruß. Wir freuen uns, daß sie gerade in unseren Heimatkreis kommen. ehi
Q7/Bericht (publiziert) Nr. 13
Ausschnitt eines gedruckten Blattes ohne Quelle Titel: Schwesterndienst bei der Heimkehr der Volksdeutschen Verfasserin: ab. [Kürzel] Datum: Berlin, 12.2.[1940] Anmerkungen: Abschließend folgt kein Bericht der NS-Schwesternschaft, sondern ein Artikel, der nach einem Interview mit drei Krankenschwestern des Deutschen Roten Kreuzes entstand, die bei der BessarabienUmsiedlung im jugoslawischen Durchgangslager Semlin arbeiteten. Die DRK-Schwestern betreuten im Lager die erkrankten Umsiedler, Wöchnerinnen, Säuglinge und Kinder „von 8 Tagen bis 14 Jahren“. Dafür wurde ihnen die „Medaille für deutsche Volkspflege“ verliehen. – Gleich bei der Ankunft in Semlin gab es einen Konkurrenzkampf zwischen der RFF (Reichsfeldführerin der Rot-Kreuz-Schwestern) und der Führerin der NS-Schwesternschaft. NS-Oberin Rakow hatte hier schlucken müssen, dass die medizinische Krankenversorgung allein an die RotKreuz-Schwestern gefallen war.56 Vielleicht frustrierte sie später auch die Auszeichnung der DRKSchwestern für den „Schwesterndienst“. Im Artikel ist von NS-Schwestern keine Rede. 56 Q2/Tagebuch. Zur Konkurrenz zwischen NS-Schwestern und DRK vgl. Merkenich/Morgenbrod 2008, DRK unter NS-Diktatur.
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Auszüge: – DRK-Schwestern: 59 Rot-Kreuz-Schwestern wurden im Februar [1941] für den Einsatz bei den Umsiedlungen die „Medaille für deutsche Volkspflege“ verliehen. Aus diesem Anlass berichteten drei von ihnen, die DRK-Schwestern Ilse, Lieselotte und Ursel, aus der „Bessarabien-Aktion“ im Zwischenlager Semlin bei Belgrad. Eines der Zelte richteten die DRK-Schwestern kurz nach ihrer Ankunft als Krankenstation ein, „bereit, unsere Kranken herzlich zu empfangen. Eine von uns Schwestern wurde der Röntgenabteilung, die andere der Wochenstation, diese und jene wieder anderen Stellen zugewiesen.“
– Kinderbetreuung: Nicht nur die NS-Schwestern kümmerten sich um sich um Säuglinge und Kleinkinder bis vier Jahren. Auch die DRK-Schwester Ilse hatte „– wie schon in Litzmannstadt57 – das Glück, wieder meine Kinder zu bekommen. Jungen und Mädel von acht Tagen bis zu 14 Jahren. [...] Erfreulicherweise war der Gesundheitszustand auch unter den bessarabiendeutschen Kindern recht gut. Was die Kinder in meine Krankenabteilung führte, waren Erkältungen, Fieber, Verdauungsstörungen.“
– DRK-Schwester Lieselottes Erinnerungen zeichnen ein kriegsähnliches Szenario mit Baracken und Sirenengeheul: „Wißt Ihr noch, als der schreckliche Pußtawind durch die Gegend fegte? Als er unbarmherzig an unserer Baracke rüttelte [...] wisst Ihr noch, wenn im ersten Dämmern des Abends die Dampfer mit den Umsiedlern eintrafen [...] wenn Sirenengeheul die unmittelbare Ankunft des Schiffes anzeigte?“
Von wackelnden Baracken wegen Unwetter berichtete auch eine NS-Schwester aus dem Zelt-Lager Semlin. Zudem erwähnte sie beschossene Umsiedlerzüge und politische Unruhen.58 Solche kritischen Erfahrungen kommen in den veröffentlichten Artikeln nicht vor. Öffentlich wurde die Umsiedlung stets als Erfolgsgeschichte präsentiert. Transkription Q7/13: Schwesterndienst bei der Heimkehr der Volksdeutschen Berlin, 12.2. [1941] Neunundfünfzig märkischen DRK-Schwestern ist vor wenigen Tagen die Medaille für deutsche V o l k s p f l e g e überreicht worden. / Diese neunundfünfzig DRK-Schwestern gehören in die große Reihe jener, die bei der Heimführung, der Rückgliederung, der Umsiedlung dabei waren. „Und nun erzählen Sie uns einmal von Ihrer Arbeit, Ihrem Leben, Ihren Eindrücken bei der Bessarabien=Aktion . . .“ Eine Bitte, die allgemein aufklingt, als man mit den jungen, frischen Schwestern nach der Ordensverleihung gemütlich beieinandersitzt: Schwester Ilse, Schwester Lieselotte, Schwester Ursel.
57 Litzmannstadt: (poln. Lodz) war als Sitz der EWZ (Einwandererzentralstelle) schon in den vorangegangenen Umsiedlungsaktionen aus Galizien und Wolhynien von Bedeutung, und zwar im Rahmen anderer „Heim ins Reich“-Aktionen. 58 Q6/Brief 8 (NS-Schwester Wally an NS-Oberin Rakow im Lager Galatz, 27.10.1940).
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Und Ilse erzählt von der nicht immer leichten, aber beglückenden Zeit vom 20. September bis 4. Dezember, von der gemeinsamen Abreise an einem schönen Septembertag, von der herrlichen Fahrt über Wien und durch den Semmering hin nach Agram, der ersten jugoslawischen Stadt, wo sieben Stunden Aufenthalt gemacht wurden. „Und denken Sie sich“, das Mädchen Ilse unter der weißen Schwesternhaube wir immer lebendiger und aufgeschlossener, je mehr Erinnerungen auftauchen –, „da griff uns doch eine volksdeutsche Frau auf, als wir achtzehn Schwestern – fünf davon märkische – durch die Straßen bummelten. So groß unsere Freude war, nun unter stadtkundigerFührung alle Sehenswürdigkeiten zu schauen, so glücklich schien auch unsere ‚Fremdenführerin‘ zu sein, Landsleuten aus der deutschen Heimat einen Gefallen erweisen zu können“. Ein leuchtend blauer Himmel spannte sich über die weite, blühende Landschaft. Mit 42 Grad sengte die Septembersonne unbarmherzig vom Himmel hernieder; und die DRK=Schwestern waren froh, als sie Belgrad, das Ziel ihrer Fahrt, erreichten. Und dort, zwischen Belgrad und Semlin, am Ufer der Donau, haben sie ihre Zelte aufgeschlagen. Volksdeutsche hatten den riesengroßen Platz mit meterhohem Sand aufgeschüttet, hatten Baracken und Lager in unermüdlicher Arbeit so weit hergestellt, daß es nur noch darauf ankam, das Innere der „vier Wände“ wohnlich und behaglich einzurichten. „Ihr müßt zu allererst einmal scheuern, gründlich scheuern“, empfing uns die Oberschwester bei unserer Ankunft. Das haben wir mit wahrer Begeisterung getan, haben dann Betten aufgestellt und alles hübsch hergerichtet, bereit, unsere Kranken herzlich zu empfangen... Eine von uns Schwestern wurde der Röntgenabteilung, die andere der Wochenstation, diese und jene wieder anderen Stellen zugewiesen. „Ich selbst“, sagte Ilse, „hatte – wie schon in Litzmannstadt – das Glück, wieder meine Kinder zu bekommen. Jungen und Mädel von acht Tagen bis zu 14 Jahren. Wirklich, ich kam mir vor wie eine kinderreiche Mutter mit allen ihren Freuden und Sorgen . . . Erfreulicherweise war der Gesundheitszustand auch unter den bessarabiendeutschen Kindern recht gut. Was die Kinder in meine Krankenabteilung führte, waren Erkältungen Fieber, Verdauungsstörungen. Die Kleinsten der Kleinen hatten während der Donaureise auf dem Schiff erst das Licht der Welt erblickt, und da die junge Mutter mit einer leichten Halsentzündung vielleicht oder ähnlichen Beschwerden lag, blieben die Kinder so lange unserem Schutz anvertraut . . . Sie hätten einmal erleben müssen, wie schnell alle Hemmungen der Kleinen überwunden waren. So ein drei-, vierjähriges Kerlchen, das noch nie in der Bahn gesessen, geschweige denn einen Dampfer geschaut hatte, mußte natürlich derartig viele neue Eindrücke ‚verdauen‘, daß es erst ein wenig bekommen und benommen war. die gemeinsame deutsche Sprache aber half schnell über die erste Befangenheit hinweg. Und nach zwei, drei Stunden schon plapperten die Kleinen ihr unverfälschtes Schwäbisch so frisch und unbekümmert, als ob wir seit langem schon gute Freunde wären. Wie dankbar waren die Jungen und Mädel für jedes Wort, für jede kleine Gabe. Nie im Leben werde ich jenen Augenblick vergessen, als ein vierjähriger Knirps, den ich von unserer Baracke aus, nachdem er wieder voll auf dem Posten war, ins Lager hinüberbringen wollte, sich plötzlich vor mich stellte und, mir sein Händchen entgegenstreckend, schlicht und einfach erklärte: Tante Ilse, ich danke dir für alles.“ Morgens um 6 Uhr begann der Schwesterndienst in der Baracke, und abends um 6 Uhr endete er. Oft gab es so viel zu tun, daß sich die Arbeit ohne Schwesternhilfe nicht bewältigen ließ. Volksdeutsche Frauen und Mädchen haben sich immer wieder selbstlos in den Dienst der guten Sache gestellt; tage-, wochenlang oft. auch eine ehemalige Diakonieschwester und eine Hebammenschülerin haben lange Zeit hindurch geholfen.
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So schwer und anstrengend der Dienst, so entspannend war die Freizeit. Was haben sie gesehen und erlebt! Hin zum Eisernen Tor, hin zur Ruhestätte der serbischen Könige, drei Stunden von Belgrad, führte die Fahrt; hin in die volksdeutschen Dörfer ringsum, hin zu dem Jubel fröhlichster Kirchweihen, wie sie die Bessarabiendeutschen seit Generationen festlich begehen.59 ... „Da fällt mir eine kleines Erlebnis ein“, fährt Schwester Ilse nachdenklich fort. „Bei meiner Abreise genoß ich die Freundschaft einer volksdeutschen Familie. Es waren Leute, die sich recht und schlecht durchs Leben schlugen, die schwer zu kämpfen hatten und jeden sauer verdienten, erübrigten Groschen dazu benutzten, sich als Mitglied der Deutschen Buchgemeinschaft nach und nach eine kleine Bibliothek zu schafften. Rührend, mit welcher Liebe sie an jedem Buch hingen! Als ich vor der kleinen Bücherei stand und zufällig das Buch von der Legion Condor in die Hand bekam, entfuhr mir, daß mein Bruder ihr angehört habe. Ob man aus dem Ton die Trauer um meinen gefallenen Bruder spürte . . . ich weiß es nicht. Jedenfalls drückte man mir beim Abschied ganz verstohlen das Buch in die Hand: ‚Es hat für Sie mehr Wert als für uns!‘ Dieses Opfer – denn es war ein Opfer, sich von dem liebgewordenen Buch zu trennen – hat mich geradezu erschüttert. . . “ Immer neue Erinnerungen tauchen auf. „Wißt Ihr noch“, fällt Lieselotte ein, „als der schreckliche Pußtawind durch die Gegend fegte? Als er unbarmherzig an unsere Baracke rüttelte, erfreulicherweise ohne daß irgendetwas passierte! Wißt Ihr noch, wenn im ersten Dämmern des Abends die Dampfer mit den Umsiedlern eintrafen, wenn ihnen zu Ehren die volksdeutsche Kapelle wehmütigfroh das Lied von der Rosamunde anstimmte, wenn Sirenengeheul die unmittelbare Ankunft des Schiffes anzeigte? Wenn sie dann mit Sack und Pack vom Schiff kamen, die alten und die Jungen, hoffnungsfroh und zuversichtlich, beseelt vom Glauben an den Führer?“ „Und wißt Ihr noch“, erinnert man sich weiter, „wie unser Lager geradezu von Volksdeutschen gestürmt wurde? Jeder wollte dagewesen sein, mußte es gesehen haben.“ Für alles, was draußen die DRK=Schwestern selbstlos auf verantwortungsvollem Posten leisteten, tragen sie jetzt die Medaille für deutsche Volkspflege. ab. ***
59 volksdeutsche Dörfer: hier nicht in Bessarabien, sondern in Jugoslawien.
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IV. ANHANG A. ABKÜRZUNGEN B. NAMENSVERZEICHNIS C. WEIBLICHE HIERARCHIEN D. GEOGRAPHISCHES REGISTER MIT ORTSNAMENSKONKORDANZ E. LITERATUR UND QUELLEN 1. Archive, Privatarchive 2. Literatur, gedruckte Quellen 3. weblinks 4. Theater und Film 5. Beiträge zum Projekt „Verschwundene Umsiedler“ 6. Bildnachweise F.
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IV.A. Abkürzungen BKGE DAI DDSG DRK EWZ Gestapo IKK IKRK KZ MuKi NS NSDAP NSF NSKK NSRDS NSV Pg. Pgn. PK RÄK RFF RK RKF SA Sankra SD SDG Sgl. SS Staf T4 Uff. uk UWZ VDA VoMi VRD z.b.V.
Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa Deutsches Auslandinstitut Donaudampfschifffahrtsgesellschaft Deutsches Rotes Kreuz Einwandererzentralstelle Geheime Staatspolizei Internationaler Kinderschutz-Kongress Internationales Kommitee des Roten Kreuzes Konzentrationslager Hilfswerk Mutter und Kind, Abteilung der NSV Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei NS-Frauenschaft NS-Kraftfahrerkorps NS-Reichsbund Deutscher Schwestern Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Parteigenosse Parteigenossin Polizei-Kommando (hier beim Krankentransport), sonst: Propaganda-Kompanie Reichsärztekammer weiblicher Rang, Bedeutung unklar: Reichsfeldführerin, Rotkreuz-Feldführerin, Reichsfrauenführung? Rot-Kreuz Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums Sturmabteilung (paramilitärische Kampforganisation der NDSAP) Sanitätskraftwagen Sicherheitsdienst der SS Sanitätsdienstgrad, SS-Sanitäter, Hilfspersonal für SS-Ärzte Säugling Schutzstaffel, entwickelt aus Hitlers Leibgarde Standartenführer Tiergartenstraße 4, „Euthanasie“-Zentrale Unteroffizier? Unterfrachtführer? unabkömmlich Umwandererzentralstelle Verein für das Deutschtum im Ausland Volksdeutsche Mittelstelle Verband der Russlanddeutschen (vor 1938 VDR: Verband der Deutschen aus Russland) zur besonderen Verfügung
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IV.B. Namensverzeichnis zur Spurensuche Der namentlichen Aufstellung der NS-Schwestern kommt eine gewisse Bedeutung zu, da Akten und Namenslisten von NS-Schwestern in den Archiven nicht mehr existieren.1 Mehr Namen von NS-Schwestern befinden sich in Dokumenten des privaten Nachlasses von Dorothee Rakow, die – im Gegensatz zum Bessarabien-Konvolut – nicht vollständig ausgewertet wurden. Die Entschlüsselung der Namen von NS-Schwestern war ein wichtiges Werkzeug zum Verständnis der Dokumente. In den Briefen und Berichten trugen dieselben Personen oft verschiedene Namen: so konnte z.B. eine Schwester Elisabeth ebenso als Elisabeth Meyer, Frau Meyer, Elli oder nur als E. vorkommen. Im Hauptteil wurden die Personen zum größten Teil anonymisiert, außer denen, die höhere Ränge oder öffentliche Positionen bekleideten. Letztere sind zudem in der Übersicht weiblicher Hierarchien in IV.C. aufgeführt. Die Verweise beziehen sich auf die Kapitel I. bis IV. und auf den Quellenband: Q1/Lebensbericht 1989 Q2/Tagebuch Q3/Einzelblätter Q4/Lagerbefehle Q5/Fotos Q6/Briefe Q7/Berichte Namen NS-Position und Orte
Verweise
Bader, Frau, RFF Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 6?, IV.C. Vgl. Hardeland, RFF. Baeskow, C., Pampuch (Hg.) 1941 NSV-Schwester. Mit H. Schrader Mitautorin des Aufsatzes: Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1941. In den Dokumenten des Nachlasses kommen die Namen nicht vor. Es könnte sich um Pseudonyme handeln. Baumann, Hans Q2/C55, Q3/Nr. 1, Q3/Nr. 12.a, Q5/C4. Nationalsozialistischer Lieddichter (1914–1988), 1933 Volksschullehrer, Jungvolkführer, Referent für auslandsdeutsche Kulturarbeit in der Reichsjugendführung, er schrieb Kampflieder für die Deutsche Arbeitsfront, HJ und 1939 Soldatenlieder.2 – 1937 umrahmte sein Lied „Nun laßt die Fahnen fliegen“ die Vereidigung von NS-Schwestern mit Jungschwesternführerin Else Sprecher in 1 Breiding 1997, Braune Schwestern, S. 7. 2 Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/Hans_Baumann (Abruf 19.6.2021).
Namensverzeichnis zur Spurensuche
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Stuttgart.3 – 1940 begleitete Baumann die „Heim ins Reich“-Umsiedlung mit politischer Musik und dichtete am Ende das „Heimkehrerlied“. Ba., Margarete Q3/Nr. 4, Q6/Nr. 12, Q6/Nr. 17. NS-Schwester in Gottesberg (Schlesien), Einsatz in Radautz/Bukowina, früher Berlin. Nach der Umsiedlung Bewerbung in den „Kolonien“ oder „Oberschlesien“ (vgl. Schwester Margarete). Bernauer, Prof. Dr. Kap. I. „Der Beauftragte des Reichsgesundheitsführers beim Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle Umsiedlung, Einsatzstab Litzmannstadt, Gesundheitsabteilung. Ihr Leiter ist von Anfang an Prof. Dr. Bernauer. [...] nur die allerschwierigsten Fälle“4 wurden unter seiner Aufsicht im Siegfried-Staemmler-Krankenhauses in Litzmannstadt behandelt, das er nach der Rückkehr aus Hongkong während des Krieges leitete. 1941 war Helmut Ritter bei ihm Assistenzarzt. Doch das Siegfried-Staemmler-Krankenhaus war nicht nur ein Umsiedlerkrankenhaus, hier wurden auch die Polizisten der SS-Sonderkommandos, Lagerführer und Wachpolizisten behandelt, die sich im Ghetto Litzmannstadt oder in der Tötungsanstalt Kulmhof (Chełmno nad Nerem) mit Fleckfieber ansteckten.5 Bir., Betty Q6/Nr. 8, Q6/Nr. 11. Ältere NS-Schwester, eingesetzt im Lager Semlin. Blawert, Edith Q6/Nr. 2, Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 7, IV.C. NS-Oberin, 1. Stellvertreterin der Generaloberin der NS-Schwesternschaft, Reichshauptamt für Volkswohlfahrt (NSV), Berlin. Im Juni 1940 war „Schw. E.“ im Ostsudetenland bei einem Kindertransport eingesetzt (II.A.2). Nach der Neuorganisation der NSV 1942 gehörte sie zum NSRDS und hatte 1943 „Sonderdienste“ in der Ukraine, anschließend im Mai 1943 „besondere Aufgaben“ in den „Kriegs-Mutter-Kind-Heimen der NSV“6 in Marienbad (Mariánské Lázně) im Sudetengau. Solche Heime der NSV nahmen ledige Mütter auf, die nicht den Anforderungen der „Erbgesundheit“ entsprachen, um bei der Geburt in einem Lebenbornheim betreut zu werden.7 1954 war Blawert die Leiterin des anthroposophischen Altenheims Christofferhaus in Siegen, wo auch Käthe Böttger lebte.8 3 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 55. 4 Eigene Krankenhäuser betreuen die Umsiedler in den Lagern, in: Litzmannstädter Zeitung 101, Sonntag, 11.4.1943, S. 5. 5 Mehrere Fälle sind beschrieben in: Freund/Perz/Stuhlpfarrer 1993: Ghetto Lodz, Endbericht., S. 94, 111, 239. 6 „Oberin Blawert hat ihren Sonderdienst in der Ukraine beendet und wird durch Hilgenfeldt mit besonderen Aufgaben seitens der NSV. betraut. Z.Zt. ist sie dienstlich unterwegs in Marienbad, um dort die Kriegs-Mutter- und Kindheime der NSV. zu beaufsichtigen bezw. in Ordnung zu bringen“, in: Käthe Böttger [o.O.] an Dorothee Rakow, Peine, Brief 25.5.1943, Nachlass Dorothee Rakow. 7 In: Peters 2014, Nanna Conti, S. 182. 8 In: Festschrift Neubau Christofferhaus in Siegen, 2006, S. 54, 64. In: Yumpu. URL: www.yumpu. com/de/document/read/21182455/f-e-s-t-s-c-h-r-i-f-t-christofferhaus-siegen (Abruf 13.12.2020). Vgl. II.A.2, Biografie, 1955.
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Bo., Hanna Q6/Nr. 7. Mitarbeiterin im Reichshauptamt der NSV. Boe., Christel Q6/Nr. 22. Vgl. Schwester Christel und C. Baeskow. Bol., Holger Q3/Nr. 4. Böttger, Käthe Q6/Nr. 1, Q6/Nr. 2, Q6/Nr. 7, Q6/Nr. 19, II.A.2, IV.C. G 1895, seit März 1935 Reichsvertrauensschwester mit dem Auftrag des Aufbaues der NS-Schwesternschaft.9 Vorträge über die Organisation der NS-Schwesternschaft in der Führerschule der NS-Ärzteschaft Alt Rehse neben dem stellvertretenden Gesundheitsführer Kurt Blome.10 Ab 1. November 1936 bis1942 Generaloberin der NS-Schwesternschaft unter NSV-Amtsleiter Erich Hilgenfeldt. Dienststelle: Reichsleitung der NS-Schwesternschaft bei der NSDAP-Reichsleitung, Hauptamt für Volkswohlfahrt (NSV) am Maybachufer und Haus der Deutschen Schwestern, Berlin W 62, Kurfürstenstraße 110. Wohnung 1936: Berlin-Neukölln, Bürknerstraße 20, 3. Stock. Wohnung 1941: Berlin-Hirschgarten, Gilgenburger Str. 21.11 Nach der Neuorganisation des Schwesternwesens 1942 machte sie 1943 Dienstreisen u.a. in den Sudetengau und hatte offenbar die Oberaufsicht über den Einsatz von NS-Gemeindeschwestern in verschiedenen Gebieten.12 Ab 1955 lebte sie im Christoffer-Haus in Siegen, das ihre ehemalige erste Stellvertreterin Edith Blawert leitete. Sie wurde über 100 Jahre alt und blieb als energische Person in Erinnerung.13 Broszio Q4/Nr. 3, Q4/Nr. 15. Sachbearbeiter der Lagersparkasse in Galatz, Lagerführung, Schreibstube II. Con., Charlotte (Schwester Lotte) Q6/Nr. 12, Q6/Nr. 15. NS-Gemeindeschwester in Görlitz, Weinhübel. Einsatz im Umsiedlungsgebietsstab Radautz/Bukowina. Ab 16. November 1940 wurde sie die Vertreterin der leitenden NS-Oberin Rakow, als diese verfrüht aus der Bukowina abreiste. Ihre Beförderung nach Berlin lehnte sie ab.
19 Käthe Böttger, Mitgliedschaften: NS-Frauenschaft, DAF, NSV, Reichsluftschutzbund, Kolonialbund, seit 1.10.1932 NSDAP, Jan. 1933 Austritt, Juli 1933 Wiedereintritt. Bis April 1934 Berlin, bis 31.1.1935 Aufbau der Organisation der NS-Schwesternschaft im Gau Halle-Merseburg und Osthannover. In: Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 152ff., Abb. S. 154. 10 ������������������������������������������������������������������������������������������� Maibaum, Führerschule Alt-Rehse 2007, S. 211f. URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de//volltexte/2007/3457/pdf/Dissertation_Maibaum.pdf (Abruf 25.4.2020). 11 Generaloberin Käthe Böttger, Berlin, an Dorothee Rakow [o.O.], Grußkarte Juni 1941, Nachlass Dorothee Rakow. Mehrere Briefe und Fotos von Käthe Böttger befinden sich noch im Nachlass von Dorothee Rakow. 12 Käthe Böttger [o.O.] an Dorothee Rakow, Peine, Brief 25.5.1943, Nachlass Dorothee Rakow. 13 ������������������������������������������������������������������������������������������ Ihre Lebensdaten variieren in den verschiedenen Quellen. Vgl. Wittneben, Böttger, Lexikonbeitrag, in: Wolff (Hg.) 2004, Lexikon Pflegegeschichte, S. 56–59; sowie: Festschrift Neubau Christofferhaus in Siegen, 2006, S. 54, 64, in: Yumpu. URL: www.yumpu.com/de/document/ read/21182455/f-e-s-t-s-c-h-r-i-f-t-christofferhaus-siegen (Abruf 13.12.2020).
Namensverzeichnis zur Spurensuche
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Conti, Leonardo, Dr. Q6/Nr. 7, Kap. I.C. (1900–1945), Sohn der Reichshebammenführerin Nanna Conti, 1939–1944 Reichsärzteführer als Nachfolger von Gerhard Wagner, Chef der Reichsärztekammer, Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB), Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit. 1940 nahm er an den „Euthanasie“-Vorbereitungen teil.14 – 1940 besuchte er das Lager Semlin während der Umsiedlung. Saß mit Helmut Ritter, dem Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes der RÄK, in der Sauna. Dobler, Leopold, Dr. Q7/Nr. 1. Bessarabiendeutscher Arzt, Leiter des Krankenhauses in Sarata/Bessarabien. Nach der Umsiedlung Krankenhausarzt in Samter im Warthegau.15 Drescher Q4/Nr. 10. Untersturmführer mit Reit-Erlaubnis im Lager Galatz. Dühe, Ruth Q6/Nr. 7, Q7/Nr. 1?, II.B.Spur 6; IV.C. NS-Oberin, Abteilungsleiterin für „Propaganda und Schulung“ der NS-Schwesternschaft im Reichshauptamt der NSV Berlin. Die „Leiterin für Presse, Propaganda und Feiergestaltung ist ein junger, lebenssprühender Mensch“, sie nannte Renate J. „das Kind der NS-Schwesternschaft“. 1942 war sie im „NS-Reichsbund Deutscher Schwestern“ weiterhin im NSV-Hauptamt tätig.16 Fah., Anna Q3/Nr. 4. Driesen, Krs. Friedeburg (Drezdenko). Fie. Q6/Nr. 8. NS-Schwester aus Ostpreußen, während der Umsiedlung wegen falschen Verhaltens heimgeschickt. Fi. (Schwester) Q6/Nr. 8. Ältere NS-Schwester im Lager Semlin. Fischer siehe Schwester Fi. und Prof. Dr. Fischer. Fischer, Prof. Dr. Q7/Nr. 7, I.B. (Urschrift), II.C.Spur 15. Vermutl. Prof. Dr. Otto Fischer, Leiter der tropenmedizinischen Anstalt der Uni Tübingen, 1939 Professor am Hygienischen Institut in Wien. Bezeichnete Durchfall als „Bessarabische Krankheit“, stand in enger Verbindung mit Helmut Ritter bei der Dobrudscha-Umsiedlung, wo er die „volksgesundheitliche Leitung“ innehatte. Er teilte NS-Schwestern ein, vermutlich die „z.b.V.“-Schwestern. Gä., Irma Q3/Nr. 4. Mansfelde, Krs. Friedeburg (Lipie Góry). 14 Leonardo Conti nahm im Januar 1940 an testweisen Tötungen durch Vergasung und Giftinjektionen im Rahmen der Vorbereitung der „Aktion T4“ teil. Entzog sich im Oktober 1945 dem Nürnberger Ärzteprozess durch Selbstmord. In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/ Leonardo_Conti_(Mediziner) (Abruf 25.4.2020). Conti gab im März 1940 eine Anweisung, die Geisteskranken in polnischen Anstalten auszurotten. In: Klee, Was sie taten 1987 [1986], S. 226. 15 Vgl. Zurkan 1987, Dobler. – In dieser Arztbiografie wird seine Einbeziehung in NS-„Euthanasie“Maßnahmen angedeutet. 16 Ruth Dühe, Reichsdienststelle Reichsbund Deutscher Schwestern, Berlin, an Dorothea P., Peine, Brief 29.9.1942, Nachlass Dorothee Rakow.
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Gebhardt, Karl, Prof. Dr. II.B.Spur 3 Professor für Sportmedizin, seit 1933 Leiter des Tuberkulose-Sanatoriums Hohenlychen. Kinderschutzkongress 1938, Fotos im Nachlass von Dorothee Rakow. 1948 in den Nürnberger Ärzteprozessen zum Tode verurteilt. Grahle, Hr. Q6/Nr. 1. Vermutlich ein NSV-Mitarbeiter in Wien. Hardeland,17 Frau, RFF Q3/Nr. 1, Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 6? IV.C. Im Lager Semlin. Konflikt mit NS-Oberin Rakow. Vgl.auch Bader, RFF. Ha. Q6/Nr. 8. NS-Schwester aus Ostpreußen, heimgeschickt wegen falschen Verhaltens. Haubold, Hellmut, (Prof.) Dr. I.B. „Beauftragter für die gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Rückwanderer in der Reichsärztekammer Berlin“. Seit März 1940 war er Leiter der Auslandabteilung der Reichsärztekammer und auch in der Auslandabteilung des Hauptamtes für Volksgesundheit tätig, somit spielte er eine zentrale Rolle bei allen gesundheitspolitischen Fragen der Umsiedlung.18 1943 verlieh Hitler ihm den Professorentitel: Dienstsitz seiner „Forschungsstelle für Auslandsmedizin und Siedlungsbiologie“ war im Schloss Sachsenburg.19 Als Vorgesetzter gab er 1945 Anweisung zur Verbrennung von Akten der Auslandabteilung der Reichsärztekammer auf der Sachsenburg (II.B.Spur.2). Her., Lydia Q3/Nr. 4. Böhmisch Leipa (Česká Lípa), Umsiedlungslager für Bessarabiendeutsche. Herrmann Q4/ Nr. 11. Feldwebel. Hey., Hermine Q3/Nr. 4. Lager 159, Leipzig. Hilgenfeldt,20 Erich Q3/Nr. 1, Q5/H7, Q6/Nr.7, Q7/Nr.12 („ehi“). SS-Führer, Oberbefehlsleiter der NSV im Berliner Reichshauptamt. Als Vorgesetzter der NS-Schwesternschaft unterschrieb er im Mai 1935 den Ausweis der NS-Schwesternschaft von Dorothee Rakow. Auch ihre Ernennung zur NS-Ober17 Im umfangreichen Namensregister einer späteren Arbeit über das DRK kommt dieser Name nicht vor. Vgl. Merkenich/Morgenbrod 2008, DRK unter NS-Diktatur: Namensregister, Buchstabe H, S. 471. 18 Dr. Hellmut Haubold (1905–1968), vgl. ausführlich in: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 152–155. 19 Sachsenburg, Forschungsstelle, in: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmut_Haubold (Abruf 22.4.2020). Sowie Außenstelle des Robert-Koch-Instituts, in: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sachsenburg (Abruf 22.4.2020). Vgl. Ortsverzeichnis, Sachsenburg. 20 Erich Hilgenfeldt: G 1887, Kaufmann, 1925 Stahlhelm, 1929 NSDAP, bis 1933 Angestellter im Statistischen Reichsamt, seit Okt. 1933 Leiter des Amtes für NS-Volkswohlfahrt, Reichsbeauftragter für das Winterhilfswerk, 1934 Hauptamtsleiter der NSV und der NS-Schwesternschaft. 1937 SS, zuletzt SS-Gruppenführer. Vgl. Wikepedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_ Hilgenfeldt (Abruf 11.4.2020); sowie Breiding 1989, Braune Schwestern, S. 114.
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schwester und verschiedene Dankesschreiben im Nachlass tragen seine Unterschrift. 1940 besuchte er während der Umsiedlung die Lager Semlin und Galatz. Ho., Anni Q2/A3, Q3/Nr. 4, Q6/Nr. 12, Q6/Nr. 18. Schwester Anni [Psychiatrie-Schwester in der Landesheilanstalt?], Landsberg an der Warthe. Besuch in Eberswalde [in der dortigen Landesheilanstalt?]. In Radautz/Bukowina teilte sie mit NS-Oberin Rakow ein Zimmer. Hoffmeyer, Horst Kap I., II. SS-Standartenführer, Hauptbevollmächtigter für die Umsiedlung aus Bessarabien. 1940 stellte er ein „Rußlandkommando“21 für die Umsiedlungsaktion in Bessarabien zusammen. Später führte er auch das „Sonderkommando R“ in der Ukraine, das einen Teil der dortigen „Volksdeutschen“ aktiv in den Holocaust einband. Högel, Niels Einleitung: Suche nach der Wahrheit. Krankenpfleger, der von 1999 bis 2005 mindestens 85 Patienten tötete. Die Hintergründe versuchte der größte Krankenmordprozess nach den Nachkriegsprozessen 2018/19 in Oldenburg aufzuklären. 2020 folgte das Theaterstück „Überleben“ und 2022 der fiktive Spielfilm „Das weiße Schweigen“. Hor., Hilder Q6/Nr. 4. Eine der vier Schiffsschwestern auf der „Helios“ von Reni und Kilia nach Prahovo. Hüb., Grete Q3/Nr. 4. Altkarbe, Kreis Friedeburg (Stare Kurowo). Huppertz, Karin IV.C. Oberin. Seit August 1933 in der Reichsleitung der NS-Frauenschaft tätig. 1936 Geschäftsführerin unter Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink, seit Januar 1937 Herausgeberin der Zeitschrift „Die Schwester“ und des „Jahrbuchs der Krankenpflege“. Parteimitglied ab 1. Mai 1937.22 „Innenarchitekt aus Dresden“ II..A.2. Er gestaltete die einheitliche Möblierung der Zimmer im NS-Schwesternheim in der Hölderlinstraße 11, das 1938 oder 1939 für die NS-Oberinnen der Reichsleitung gekauft wurde. – Denkbar und plausibel ist, dass für einen solchen Auftrag die „SS-Bauzentrale, im Hauptamt Haushalt und Bauen“ zuständig war, für die der Bauhaus-Schüler und KZ-Häftling Franz Ehrlich bis 1943 Möbel entwarf.23 21 Koschnick 1941, Aus der Praxis. – Hoffmeyer ist abgebildet in: Pampuch 1941 Heimkehr, S. 73, 231. Zum Russlandkommando in der Ukraine vgl. Steinhart 2012, Creating Killers, sowie ders. 2015, Holocaust and Germanization. 22 Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 155. 23 Franz Ehrlich (1907–1984), der kürzlich wiederentdeckte Bauhaus-Architekt, arbeitete seit 1937 im Baubüro des KZ Buchenwald, zunächst als politischer Häftling, ab 1939 weiter als Zivilangestellter, bevor er 1941 in die SS-Bauzentrale Berlin aufstieg. Seine Möbelentwürfe für die „Deutschen Werkstätten“ aus Zeiten der DDR sind heute wieder gefragte Designer-Stücke und haben große Ähnlichkeit mit den beiden Schränken aus dem Nachlass von Schwester Dorothee, die heute in Oldenburg stehen. Allerdings lebte Ehrlich erst ab 1946 in Dresden. Die Bezeichnung „Innenarchitekt aus Dresden“, den Dora P. in ihren Memoiren (Bl. 31) erwähnte, könnte einer ungenauen Überlieferung gegenüber der Nachwelt geschuldet sein, um die KZ-Aufträge, von der die SS profitierte, nicht zu erwähnen. Ehrlich entwarf Möbel für KZ und für die Berliner SS, die seine vom verpönten sachlichen Bauhaus-Stil geprägten Möbel mit Gemälden ,röhrender Hirsche‘
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Jäger, Dr. Q1/Bl. 34, Q2/A2, Q2/A3, Q3/Nr. 1, Q5/P5?, Q6/Nr. 16, Q6/Nr. 17. Gauamtsleiter aus Nürnberg, ab 6.11.1940 in Radautz/Bukowina, danach in der Reichsleitung Berlin. Jahn, Frl. Q6/Nr. 1, IV.C. Gaufrauenschaftsleiterin von Wien. Ja. II.A.2 Leitende NS-Oberin in einem vormals von Diakonissen geführten Krankenhaus in Braunschweig, sie wurde 1936 von Schwester Dorothee bei der Übernahme durch die NS-Schwesternschaft unterstützt. Jankow, Dr. Q7/Nr. 2. Führer der Volksdeutschen in Jugoslawien (betr. Lager Semlin u. Prahovo, Banat). Jensen, Hermann II.A.2, Biografie, 1934, 1935. Leiter des Mutterhauses der NS-Schwesternschaft am „Rudolf-Hess-Krankenhaus“ in Dresden, das er als ärztlicher Direktor zum „Biologischen Zentralkrankenhaus“ aufbauen wollte, Beauftragter für die weltanschauliche Schulung der NS-Schwestern ab 1.7.1934. K. Q6/Nr. 7. Frankreich-Einsatz. Kaiser Q6/Nr. 3. Einer der beiden NSV-Männer im Lager Galatz. Vgl. Schwarz. Kaiser und Schwarz wurden in einem Atemzug genannt als „unsere beiden NSV-Männer“, die Schwester Dorothee beide „sehr schwer in Ordnung“ fand, nachdem man ihr anlässlich eines Konfliktes sagte, wer im Lager Galatz für sie zuständig sein sollte (Q6/3, S.6). Offenbar waren es diese beiden Männer, denen die Führerin der NS-Schwestern während der Umsiedlungsaktion unterstellt wurde. – Vielleicht sind es unbekannte NSV-Angestellte. Allerdings finden sich die Namen Schwarz und Kaiser beide auch unter den jüngeren T4/ReinhardAkteuren, die in den Vernichtungslagern ab Herbst 1941 leitende Funktionen inne hatten.24 – Ob diese beiden jungen Männer, bevor sie die unheilvolle Karrieren bei der „Aktion Reinhard“ machten, ein Jahr zuvor im September 1940 von der NSV noch zu den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen nach Galatz bestellt wurden, ist natürlich völlig unklar. Es ist nur eine Spur bei der Suche nach Zusammenhängen der Umsiedlung mit der T4-Aktion. Kluge Q6/Nr. 3, IV.C. NS-Oberin in Wien. Sorgte für Ersatz für im Lager Galatz ausgefallene NSSchwestern. kombinierten. Vgl. Borries/Fischer 2022, Totalitätsmaschine, Buchbesprechung (Interview mit den Autoren), Deutschlandfunk 25.07.2022. Sowie: Wikiwand. URL: www.wikiwand.com/de/ Franz_Ehrlich# (Abruf 8.8.2022). 24 Alexander Kaiser (1918/1919 – unbekannt) war als deutschsprachiger „Russlanddeutscher“ ein führender „Trawniki“ der ausländischen Wachmannschaften, die täglich tausende Menschen aus den Deportationszügen in die Gaskammern brachten, während der stellv. Lagerleiter Gottfried Schwarz in Belzec für die Diensteinteilung der Trawniki zuständig war. In: Cüppers u.a. 2020, Sobibor, S. 203, 207, 220–222.
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Kl., Hanna Q7/Nr. 5. Schiffsschwester, vier Fahrten von Kilia nach Semlin. Ko., Irma Q6/Nr. 4. Eine der vier Schiffsschwestern auf der „Helios“ von Reni und Kilia nach Prahovo. Kon. siehe Con. Kra., Herta Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 10, Q6/Nr. 19. NS-Schwester, Schippach, Krs. Miltenberg. Lager Galatz. Ab 2. November 1940 Cernavoda/Dobrudscha. Krä., Leontine (Lola) Q2/A5, Q2/A6, Q3/Nr. 4. Auf dem Schiff „Minerva“. Umsiedlungslager 153, Leipzig. Krüger, Pg. Q6/Nr.19. Parteigenosse der NSDAP. Auch SS-Obergruppenführer Werner Lorenz wird nur „Pg. Lorenz“ genannt, insofern ist eine ähnlich hohe Position von „Pg. Krüger“ nahe liegend. Während der Dobrudscha-Umsiedlung erfreute dieser sich in Cerna-Voda, wo täglich 2–3000 Umsiedler verschifft wurden, an der Küche in der Station der NS-Schwestern. Falls die folgende Zuordnung zutrifft, könnte er mit der Überwachung der Verschiffung befasst gewesen sein sowie mit „Sondertransporten“. – Vielleicht handelt es sich um den „SS-Obergruppenführer Krüger, der Stellvertreter Himmlers in Krakau.“25 Friedrich-Wilhelm Krüger war wie Lorenz im Rang eines SS-Obergruppenführers und seit Oktober 1939 als „HSSPF Ost (Krakau)“ für zahlreiche Kriegsverbrechen der Polizei und SS im besetzten Polen verantwortlich. 26 Kü., Elisabeth Q6/Nr. 4. Eine der vier Schiffsschwestern auf der „Helios“ von Reni und Kilia nach Prahovo. Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 10, Q6/Nr. 22. Leo., Friedel NS-Schwester, Ullerdorf, Krs. Glatz/Schlesien. Lorenz, Pg. (Werner)27 Q2/A1, Q2/C19, Q3/Nr. 1, Q4/Nr. 5, Q6/Nr. 1, Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 8, Q7/Nr. 8. In den Dokumenten stets nur „Pg, Lorenz“ genannt. Es handelt sich um SSObergruppenführer Werner Lorenz, geb. 1891, ehemaliger Offizier und Flieger, seit 1937 von Himmler eingesetzter Chef der „Volksdeutschen Mittelstelle“. Die VoMi übernahm und zentralisierte die bisherige „Volkstumsarbeit“ der zwischenstaatlichen Verbände wie VDA oder DAI. Lorenz, dessen Stellvertreter nicht zufällig ein hoher SD-Führer war und er selbst einer der „elegantesten und pfiffigsten
25 ��������������������������������������������������������������������������������������������������� Klee 1986, Was sie taten, S. 226. Als Staatssekretär für das Sicherheitswesen wollte dieser den Gebietsgesundheitsführer des Generalgouvernements zur Ausrottung der polnischen Geisteskranken bringen. 26 Friedrich-Wilhelm Krüger (1894–1945), Höherer SS- und Polizeiführer in Krakau, „mächtigster Mann im deutsch besetzten Polen [...] einer der unbeliebtesten SS-Führer, bei der SA wegen seines Doppelspiels [...] verhasst, Zuträger und Pedant, dessen Petzereien über angeblich nicht linientreue Kameraden selbst Himmler nur schwer ertragen konnte.“ (S. 280). In: Höhne o.J. [1967] SS, Zit. S. 17 u. 280. Vgl. auch S. 281f., 295, 347. 1942 führte Krüger auch Himmlers Befehl zur sogenannten „Umsiedlung“ aller Juden des Generalgouvernements in die Vernichtungslager aus. 27 Abb. von „Pg. Lorenz“ in Pampuch 1941, Heimkehr, S. 73.
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SS-Führer [...] ein unübertroffener Meister der Hinterzimmer-Intrige“,28 drängte auf eine umfassende Erfassung der Russlanddeutschen. So bereitete der Leiter der „Sippenkundlichen Forschungsstelle für das Russlanddeutschtum“, Karl Stumpp, in dieser Zeit schon die Grundlagen für den späteren Zugriff der SS auf die „Volksdeutschen“ in der Sowjetunion vor.29 Für die deutsche Minderheit in Rumänien setzte Lorenz „Volksgruppenführer“ Andreas Schmidt ein. Nach Kriegsbeginn bestimmte Hitler Lorenz zum „Leiter der Umsiedlung“.30 – 1940 bereitete Lorenz die NS-Schwestern in Wien als „NSV-Beauftragter“ (Rakow) auf ihren Umsiedlungseinsatz in Bessarabien vor und bestimmte ihre Aufgabengebiete im Lager Galatz. Während der Umsiedlungsaktion machte er Rundreisen, am Ende gab er die Anweisungen zum Abrüsten der Lager. Lü. Q6/Nr. 8. NS-Schwester, heimgeschickt wegen einer Fingerverletzung. Lu., Anne Q3/Nr. 1. Vielleicht mit Viktoria M. eine der beiden bessarabiendeutschen Krankenschwestern bei den NS-Schwestern im Lager Galatz. Vgl. auch Lü. M., Viktoria Q3/Nr. 1. Vielleicht mit Anne Lu. eine der beiden bessarabiendeutschen Krankenschwestern bei den NS-Schwestern im Lager Galatz. Mac., Gertrud Q3/Nr. 4. Michalken (Michałki), Kreis Hoyerswerda, Schlesien. Maneke 31, Dr. (bzw. unleserlich stenografiert Dr. Mancke) Q1/Bl 34?, Q2/A1, Q2/A2, Q4/Nr. 11. DRK-Arzt im Lager Galatz und Vorkommando Radautz/Bukowina. Maneke,32 Martin, Prof. Dr. u. Med.Rat Kap. I. Von Jan. 1940 bis Dez. 1944 Ärztlicher Leiter des Referats 5 „Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager“ im „Umsiedler-Gesundheitsdienst“ der Auslandsabteilung der Reichsärztekammer Berlin. Im Januar 1945 übernahm Helmut Ritter bis Kriegsende dessen Position als Leiter des Umsiedlergesundheitsdienstes. 28 Höhne [1966] SS, S. 255. 29 Petersen 2017, Making of Russlanddeutschtum, S. 186. 30 Dabei unterstand L. dem RKF, der die Um-, Aus- und Ansiedlungen mit RSHH, RuSHH, SS und SiPo umsetzte. Die Aufgabe der VoMi in Himmlers „Generalplan Ost“ war lediglich die Lieferung der Umgesiedelten nach deren Aufnahme und politischer „Schleusung“ in den VoMi-Lagern als künftige Ansiedler. Vor der Bessarabien-Umsiedlung hatte L. bereits 1939 die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus dem Baltikum geleitet, nicht ohne „organisatorische Schludereien“. Der baltendeutsche NS-Ideologe Alfred Rosenberg kritisierte, die VoMi habe aus den Baltendeutschen „eine versprengte Schar zutiefst enttäuschter, verbitterter und hoffnungsloser Menschen gemacht. [...] Die Art und Weise, mit der viele die Balten behandelten, erinnert an die Bolschewikenzeit“. In: Höhne [1966] SS, S. 286 (Zitat Rosenberg), weitere Inhalte ebd. S. 256, 268, 284f. 31 Dr. Martin Maneke (1909–1998), vorher wiss. Assistent an der Berliner Universitätskinderklinik der Charité, war auch Vertrauensarzt der VoMi. In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 167, Anm. 206. 32 Brief von Prof. Dr. Maneke an Helmut Ritter, 1950er Jahre, Privatarchiv Dr. Ritter 2007.
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Mathias, Dr. Q4/Nr. 11. Leitender Arzt der VoMi im Lager Galatz. Molzahn, Herr Q6/Nr. 8. NSV-Kreisamtsleiter aus Pommern, Transportleiter auf dem Umsiedlerschiff „Grein“. Moser, Maria Magdalena IV.C. Reichsoberin ab 1942. Nach der Neuorganisation des Schwesternwesens und Umwandlung der NS-Schwesternschaft in den NSRDS nahm sie die Position der vormaligen Generaloberin der NS-Schwesternschaft Käthe Böttger ein. Auch sie stand unter der Weisungsaufsicht des NSV-Leiters Erich Hilgenfeldt sowie des Reichsärzteführers. Dieser war seit Gerhard Wagners Tod 1939 Leonardo Conti, Sohn der Reichshebammenführerin Nanna Conti. Moser war Krankenschwester und Hebamme.33 (Moser kommt im Nachlass von Schwester Dorothee nicht vor.) Necker, Albert, Dr. I.B. Bessarabiendeutscher Arzt, Leiter des Gesundheitsamtes beim Gaurat von Bessarabien. Schon 1936 hatte er sich als Anhänger einer rassischen Medizin mit dem Ziel einer „Förderung arteigener Blutswerte“ in Bessarabien engagiert.34 Er soll Initiator für die Vorerfassungen der Umsiedler in ortsweisen „Listen von ‚Geisteskranken, Schwachsinnigen, Alten, Gebrechlichen, hilfsbedürftigen Kranken‘“ gewesen sein und war somit maßgeblich am Schicksal der Krankentransporte beteiligt.35 – 1940 war in seinem Haus in Tarutino der Umsiedlungshauptstab mit Prof. Fischer und Prof. Rose untergebracht. Er unterstützte Dr. Widmer bei der „Jagd nach Kranken“ im Bezirk Albota. Pa., Else Q3/Nr. 4, Q6/Nr. 13. Dorna Watra/Bukowina. Pampuch, Andreas, Dr. phil.36 Kap. I. Mitglied der Umsiedlungskommission, Stabsleiter. 1941 Herausgeber der Umsiedlungsdokumentation „Heimkehr der Bessarabien-Deutschen“ im Breslauer 33 Peters 2014, Nanna Conti, S. 250. 34 Necker: Ders. 1936, Bessarabische Sorgen, S. 408–413 (Zitat S. 409). Für Ärzte in Bessarabien sah er Aufgaben „auf sozialem und völkischem Gebiet“. Zur Frage der „Verdrängung des deutschen Elements durch Andersstämmige“ (S.409), die angeblich weniger Gebrauch von Verhütung und Abtreibungen machten, konstatierte er geringes Interesse seiner ärztlichen Kollegen: „Ich fürchte, wir verhalten uns zu lau, zu gleichgültig zu all den großen Aufgaben“ (S. 408). Insbesondere Juden und Bulgaren würden den „Lebensraum der deutschen Bevölkerung“ in Bessarabien einengen (S. 409). Er sah aber auch eine „Gefahr der Entartung“ durch „eugenischen Verfall“ und „minderwertige Familien“ (S. 410) innerhalb der bessarabiendeutschen Minderheit und hoffte auf kinderreiche Familien mit guten Erbanlagen. Auch TBC, Trachom und Alkoholismus der deutschen Volksgruppe gehörten zu seinen Sorgen. – Ich danke Elizabeth Harvey für diesen Aufsatz 2014. 35 Fiebrandt 2014, S. 239f. 36 Dr. Andreas Pampuch: (1903–1983), Studium an der Uni Breslau, Lehrer, Volkstumsforscher, 1937 promoviert, 1940 „Leiter der Kulturabteilung im Breslauer Landeshaus“. In: Kulturportal WestOst. URL: kulturportal-west-ost.eu/biographien/pampuch-andreas-2 (Abruf 22.4.2020). – Nach dem Krieg war er Lehrbeauftragter für Landes- und Volkskunde, Naturschutzbeauftragter und Kreisheimatpfleger in Bayern. In: wuerzburgwiki.de/wiki/Andreas_Pampuch (Abruf 25.5.2021).
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„Schlesien-Verlag“.37 In diesem Bildband wurden Berichte von Mitgliedern des Umsiedlungskommandos abgedruckt, u.a. der von Helmut Ritter. Pantenius, Irene �� Q6/Nr. 7, (Q6/Nr. 21 Helene Pugenius?), Q7/Nr. 10, IV.C. NS-Oberin. Im November 1940 brachte sie 200 NS-Schwestern aus Deutschland in die Bukowina und war dann Leiterin der NS-Schwestern im Gebietsstab Gura Humora/Südbukowina. Danach bereitete sie auch die Nord-BukowinaUmsiedlung mit NS-Oberin Ursula Rie. in Sanok vor. 1941 war sie Autorin eines Aufsatzes über die Arbeit der NS-Schwestern bei der Umsiedlung. – Vgl. Namensähnlichkeit mit Helene Pugenius. Pau., A., Dr. Q6/Nr. 18. Umsiedlungslager 49, Schmölle, Kreis Bautzen/Schlesien. Perthen Q4/alle. Lagerkommandant im Auffanglager Galatz 1940. Der SS-Obersturmbannführer unterzeichnete hier alle Lagerbefehle mit einem rotem Stempel. – Am 22.4.1942 unterzeichnete er als „Leiter des Einsatzstabes“ auch eine Kooperation mit dem Verwalter des jüdischen Ghettos in Litzmannstadt „betr. Benützung der Entlausungsanstalt der Volksdeutschen Mittelstelle in Pabianice und Zgierz“: Die Kleidung der in Kulmhof (Chełmno) ermordeten Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt wurde hier vor der Weitergabe an die NSV entlaust und desinfiziert. Die mit Blutflecken und Judensternen versehenen Kleidungsstücke wurden anschließend an die im Wartheland angesiedelten „volksdeutschen“ Umsiedler weitergegeben, was zu einer Panne beim Versuch der Geheimhaltung der Verbrechen wurde.39 Pf., Walburga Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5,Q6/Nr. 10, Q6/Nr. 19. NS-Schwester, Mainberg, Krs. Schweinfurt. 1940 eingesetzt im Lager Galatz/ Rumänien und ab 2. November 1940 in Cernavoda/Dobrudscha. Pragl., Anny u. Waldemar Q3/Nr. 4. Umsiedlerlager 24, Stetten im Remstal. Pri., Sigrid Q3/Nr. 5. NS-Schwester.
37 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Von 1930 bis 1945 etablierte der „Gauverlag NS-Schlesien“ die nationalsozialistische Propagandapresse in Schlesien. Zu seinem Presseimperium gehörte auch der Breslauer „Schlesien-Verlag“, der in den Jahren 1940–1942 die Jahrbücher des Breslauer Osteuropa-Instituts und politische Buchtitel wie „Volk an der Grenze“ herausgab. Auch wurde er zu einer Art Hausverlag der niederschlesischen Provinzverwaltung, deren Kulturabteilung Andreas Pampuch leitete, als er 1941 den Bildband „Heimkehr der Bessarabiendeutschen“ herausgab. In: Petzinna 2015, Gauverlag, S. 480f. 38 Irene Pantenius: Vgl.: Krankenschwester Irene Pantenius, geb. 1907 in Charcov, Ukraine, gestorben 1956 in Hannover. In: Genealogie Pantenius. URL: http://pantaenius.com.ar/genealogia (Abruf 7.9.2019). 39 Freund/Perz/Stuhlpfarrer 1993, Ghetto Lodz, S. 204f., Anm. 15, sowie. S. 217f. Online 2013, URL: www.univie.ac.at/zeitgeschichte/cms/uploads/Endbericht-Lodz_ro.pdf (Abruf 26.4.2020). Vgl. Struck 2001, Chelmno, S. 34.
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Pugenius, Helene (Q3/Nr. 7?) Q6/Nr. 21, (Q7/Nr. 10 I. Pantenius?). Früher Kreiskrankenhaus Burg/Magdeburg (Oberin?). Hinweis auf tragisches Lebensende 1941. Namensähnlichkeit mit Irene Pantenius. Rakow, Dorothee Q2, Q5/P8, Q5/P5, Q5/F1 u.a., Q6/Nr. 1 bis 22, Q7/Nr. 3, Q7/Nr. 8., II., IV.C. G 1899 in Soldin. Als junge Frau in Berlin als Dienstmädchen und Sekretärin mit Stenographie-Ausbildung. Nach Krankheit ab 1926 Ausbildung als Krankenschwester im Agnes-Karll-Verband, Fachausbildungen im Bereich Gynäkologie und Zusatzausbildung in Psychiatrie. Seit 1935 NS-Gemeindeschwester und Aufstieg zur Gauvertrauensschwester Kurmark in der NSV-Dienststelle Kurmark in Berlin, Burggrafenstraße 11. Zum 1. November 1936 Berufung ins NSV-Reichshauptamt für den Aufbau einer reichsweiten NS-Schwesternkartei; zweite Stellvertreterin der Generaloberin Käthe Böttger. Nach Ernennung zur NS-Oberin am 1. August 1939 folgten nach Kriegsbeginn Sondereinsätze im besetzten Polen und 1940 als Führerin der NS-Schwestern bei der „Heim ins Reich“-Umsiedlung aus Bessarabien und Dobrudscha. Mitte November 1940 Abbruch der anschließenden Bukowina-Umsiedlung wegen Erkrankung und vorzeitige Rückkehr. Nach Aufenthalten in Schlesien und an weiteren unbekannten Orten folgte im Herbst 1941 der geplante Ausstieg aus der NS-Schwesternschaft, 1942 Heirat und Entlassung als „Ehrenmitglied der NS-Schwesternschaft“. Umzug nach Peine, später nach Hessen, dort verstorben 1989. Vgl. Kap. II.A.2, Biografie. Re., Klara Q6/Nr. 11. Eingesetzt in Dorna Watra. Reich, Dr. Q4/Nr. 11. Reichmann, Lore Q7/Nr. 11. NS-Schwester, Gedicht „Wir waren dabei“. (Möglicherweise Pseudonym für Ursula Rie.) Richter, Hans Q5/C10, Q5/N5. Hauptmann der Schutzpolizei der Reserve im Umsiedlungskommando. In seinem Bildband „Heimkehrer“ zeigt er auf wenigen Fotos auch NS-Schwestern und erwähnt sie als Mitbewohnerinnen in einem Hotel in Dorna Watra/Bukowina sowie als Kranzbinderinnen bei gemeinsamen Feierstunden an deutschen Soldatengräbern in der Bukowina. Im Nachlass wird er nicht erwähnt. Rie., Ursula Q6/Nr. 7, Q7/Nr. 9. NS-Oberin am Grenzübergang Sanok bei der Nordbukowina-Umsiedlung mit Verpflegestation. Vorbereitung der Bukowina-Umsiedlung mit Irene Pantenius. (Vgl. Lore Reichmann). Ritter, Helmut, (Dr.)40 Kap. I. G 30. Januar 1917 in Bremen. Medizinstudium in Greifswald, München und Ber40 Helmut Ritter: die Vita wurde erst 2021 aus weiteren Dokumenten zusammengestellt, die Dr. Ritter mir 2007 überlassen hatte: Bestallungsurkunde 20.9.1939; VoMi-Berscheinigungen über drei Umsiedlungseinsätze 1939–1941; Prof. Dr. med. Haubold, München: Bescheinigung 15.4.1949
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Anhang lin. Als Medizinstudent41 mit Assistenzstelle am Urban-Krankenhaus in Berlin; nach Kriegsbeginn vorzeitige Bestallung zum Arzt am 20.9.1939. Danach, 1939 bis 1941, eingesetzt bei mehreren „Heim ins Reich“-Umsiedlungen: November 1939 bis Februar 1940 in Wolhynien als Lazarettarzt, zuständig für 80 Betten, und Arzt für den Grenzübergang Hrubieschow mit bahnärztlichem Dienst, danach von April bis August 1940 Lagerarzt in drei Umsiedlerlagern in Teschen, befasst mit Kinder- und Infektionskrankheiten, daneben Assistent in Labor und Prosektur; September/Oktober 1940 in Bessarabien Leitender Gebietsarzt im Umsiedlungsbezirk Albota; November 1940 in der Dobrudscha stellvertretender Kommandoarzt unter dem leitenden Arzt und „Facharzt für Tropenheilkunde“ Prof. Dr. Fischer, daneben truppenärzlicher Dienst für das Umsiedlungskommando; Dezember 1940 bis März 1941 Kommando- und Gebietsarzt in Litauen, Umsiedlungs-Hauptstab Kaunas. April 1941 bis Januar 1942 in Litzmannstadt in einem Kinderkrankenhaus der VOMI im Umsiedlerlager am Morgenweg, Säuglings-Geburtsstation, mit Müttererholungsheim und Kinderinfektionsstation (35 Betten), sowie Assistenzarzt bei Prof. Bernauer im Siegried-Staemmler-Krankenhaus, Innere Frauenabteilung. Auch seine Frau war als Ärztim Kinderkrankenhaus in Litzmannstadt und als Lagerärztin in Zgierz notdienstverpflichtet, ihre Kinder, geboren ca. 1938 und 1940, kamen mit. Januar 1942 Einzug zur Wehrmacht, zunächst im Reservelazarett in Zgierz bei Litzmannstadt als Stationsarzt der chirurgischen Abteilung. Promotion am 14.3.1942 in Berlin über „Lungenabszesse und ihre Behandlung“. Juni 1942 bis September 1944 Frontdienst an der „Ostfront“ als Battaillons-, Regiments-, schließlich Stabsarzt der Reserve, ausgestattet mit Ehrenkreuzen. 1. Oktober 1944 Rückkehr nach Berlin, auf Antrag von Prof. Haubold u.k.Stellung und Notdienstverpflichtung als Vertreter und ab Dezember Nachfolger für Prof. Dr. Maneke als Ärztlicher Leiter des Referats 5 „Gesundheitliche Betreuung der volksdeutschen Umsiedlungslager“ im „Umsiedler-Gesundheitsdienst“ der Auslandabteilung der Reichsärztekammer. Als Leiter des „Lagergesundheitsdienstes“ zuständig für die „ständigen Umsiedlerlager des Altreichs“, Vertrauensarzt für die Zivilangestellten der Umsiedlungslager. Ab Januar 1945 verantwortlich für die Einrichtung von Behelfskrankenhäusern für flüchtende
[zu den Tätigkeiten Ritters 1939–45]; Ritter, Ärztlicher Tätigkeitsbericht seit meiner Approbation, 5.10.1950; Ritter, Lebenslauf, 5.10.1950; US Army, Certificate, 12.12.1950 und 12.2.1951. Privatarchiv Ritter, Kopien im Brief 5.7.2007. 41 Helmut Ritter, Student: Ritter absolvierte nach Fiebrandts Recherchen die Militärärztliche Akademie in Berlin, strebte den Beruf des Militärarztes an und wurde 1938 „als SS-Bewerber in den Sanitätslehrsturm des SS-Hauptamtes, der der Ausbildung eines ärztlichen Führernachwuchses innerhalb der SS diente“, aufgenommen. 1938 war er in der Fachgruppe „Medizin“ des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes Leiter der erbbiologischen Arbeitsgemeinschaft und widmete sich der Erforschung von Dörfern an der polnischen Grenze. In der juristischen Sparte des Reichsberufswettkampfes der Ärzte beschäftigte er sich daneben mit „biologischen Verbrechensursachen und -bekämpfung“. In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 250–252.
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„Volksdeutsche“ sowie für die Evakuierungen „umsiedlungseigener Krankenhäuser und Heime, Tbc-Heilstätten und Säuglingskrippen“ aus den östlichen Gebieten (z.B. Soldau/Ostpreußen und Schlesien) nach Mitteldeutschland. Bis 7. Mai 1945: Leiter der Ausweichstelle der Auslandabteilung der RÄK auf der Sachsenburg, dort Verbrennung von Akten der Auslandabteilung im Auftrag von Prof. Haubold. 8. Mai 1945 bis Mai 1948 Kriegsgefangenschaft in verschiedenen Internierungslagern, dort auch als Lager- und Revierarzt in den Baracken tätig. 1949/1950 Arzt bei der US-Army in Bremerhaven und Bremen und medizinsicher Sachverständiger und Übersetzer bei Verhandlungen vor amerikanischen Kriegsgerichten. Später eigene ärztliche Niederlassung, verstorben in Bremen nach 2008. Rod., Frieda Q3/Nr. 4. Friedeberg, Krs. Friedeburg (Strzelce Krajeńskie). Roh., Prof. Dr. I.; II.B.Spur 2. Universitätsaugenklinik München. 1956 erkundigte er sich bei Dr. Helmut Ritter nach dem Verbleib der wissenschaftlichen Umsiedlerakten. Rose, Gerhard, Prof. Dr. Kap. I.B.; Kap. II.C.Spur 15 u. 18 Nach Auslandserfahrungen in Asien und Afrika wurde er 1936 Professor und Leiter der Abteilung für Tropische Medizin am Robert Koch-Institut. – 1940 Leitender Hygieniker im Umsiedlungshauptstab Tarutino; er schlug ein Seuchentransportschiff im Hafen Reni vor, nachdem der Gebietsarzt die Umsiedlung eines Ortes wegen Scharlachfällen abgesagt hatte. Für Roses Einsatz in Bessarabien und in der Dobrudscha könnte sein besonderes Forschungsinteresse für die Malaria eine Rolle gespielt haben.42 Röver, Carl II.A.2 Gauleiter des NSDAP-Gaues Weser-Ems. Öffentliche Vereidigung von NSSchwestern im Februar 1935 in Oldenburg mit Appell an ihren fanatischen Glauben an die Richtigkeit der NS-Weltanschauung. – Röver soll später selbst ein Opfer der NS-„Euthanasie“ geworden sein. Q3/Nr. 4. Rö., Elfriede Badenau/Leobschütz (Schlesien) (Głubczyce). Rü., Juliane (Schwester Julchen) Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 10, Q6/Nr. 19. NS-Schwester, Garlhofen, Krs. Schweinshaupten. Lager Galatz. Ab 2.11. Cernavoda/Dobrudscha. Schleu., Berti Q7/Nr. 4. NS-Schwester, 1. Schiff von Kilia nach Galatz. Schm., Hanna Q6/Nr. 7. Mitarbeiterin im Reichshauptamt der NSV. 42 Gerhard Rose (1896–1992): Zwischen 1941 und 1942 testete Rose für die I.G. Farbenindustrie neue Malariamittel, in der Zeit der „Aktion T4“ Malaria-Versuche an Psychiatriepatienten. 1942 war er Hygieniker beim Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe und hatte Verbindungen zu den Menschenversuchen zur Entwicklung eines Malaria-Impfstoffes im KZ Dachau. In den Nürnberger Ärzteprozessen wegen Fleckfieber-Versuchen verurteilt, 1955 entlassen. In: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Rose (Abruf 11.4.2021).
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Schm., Käthe Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 14, Q7/Nr. 6 NS-Schwester. Grunau, Kreis Flatow, Lager Galatz, Konstanza/Dobrudscha (Mangalia u.a.), erkrankte dort an Gelbsucht. Schnee, 6/Nr. 2, Q6/Nr, 6, Q6/Nr. 7, Q6/ Nr. 8, Q7/Nr. 2, IV.C. NS-Oberin, „Mutter Schnee“ (vgl. Schwester Auguste?). Leiterin der NS-Schwestern, die im September 1940 bei der Umsiedlungsaktion mit dem Schiff „Passau“ in die Durchgangslager Semlin und Prahovo fuhren. Im Lager Semlin teilte sie sich ein Büro mit der Leiterin der NS-Frauenschaft. Scholtz-Klink, Gertrud Q3/Nr. 1, Q5/H7, Q5/H8, IV.C. Die Reichsfrauenführerin, Jahrgang 1902, war schon 1934 im Alter von 32 Jahren ranghöchste Frau im Dritten Reich. Ab Mai 1934 übernahm sie in Personalunion die Reichsführung der NS-Frauenschaft und der DRK-Frauenverbände, was bei der politischen Umbildung der Schwesternschaft des Deutschen Roten Kreuzes von Bedeutung war.43 Sie war die Vertreterin von Erich Hilgenfeldt im „Fachausschuß für Schwesternwesen in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschlands“, in dem im Zuge der NS-Gleichschaltung ab Frühjahr 1936 alle großen Schwesternverbände zusammenschlossen wurden.44 – Im Herbst 1940 besuchte sie mit einer Delegation aus Berlin das Auffanglager Galatz. Kurz danach heiratete sie im Dezember 1940 den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer. Nach der NS-Zeit tauchte das prominente Paar unter falschem Namen in Westdeutschland unter, wurde 1948 entdeckt und in den 1950er Jahren mit Internierung und Arbeitslager bestraft.45 Schrader, H., NSV-Schwester Pampuch (Hg.) 1941 mit C. Baeskow Mitautorin des Aufsatzes: Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1941. In den Dokumenten des Nachlasses kommen die Namen nicht vor. Es könnte sich um Pseudonyme handeln. Schu., Käthe Q6/Nr. 3. NS-Schwester, aus Pommern. Schwarz (1) Q6/Nr. 3. Einer der beiden NSV-Männer im Lager Galatz. Vgl. Kaiser. Beide fand die 2. Stellvertreterin der Generaloberin „sehr schwer in Ordnung“ (S .6). Bekannte Namensvertreter von Schwarz aus dem Umfeld von SS und T4 wären z.B.: Franz Schwarz,46 Max Schwarz,47 oder Gottfried Schwarz.48 Letzterer 43 44 45 46
Morgenbrod/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 71. Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 155f. Schwarz 1997, Ehefrauen SS, S. 86 und Anm. 12. Franz Schwarz (1899–1960), Sohn der Reichsschatzmeisters Franz Xaver S. und SS-Mitglied. Vgl. Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Franz_Schwarz_(SS-Mitglied) (Abruf 5.8.2022). 47 Max Schwarz (1895–1963), Fachmann für „praktisches Siedeln“, arbeitete als „Landschaftsanwalt“ für die Organisation Todt und gestaltete die neuen Autobahnen, Barackenlager, militärischen Anlagen, eroberten Gebiete sowie schließlich auch die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ mit Grün bzw. Grüntarnung. In: Millies 2021, Inmitten, S. 31–36 im Abschnitt „Barkenhoff, Worpswede“ [Siedlerschule Föhrenhof ]. 48 Gottfried Schwarz (1913–1944), Bierbrauer aus Fürth, einer der im Herbst 1939 in der Kanzlei des
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war ein T4-Mitarbeiter der jüngeren Generation, 1940 wies der 26-jährige SSOberscharführer andere in das Handwerk des Tötens ein und wurde 1941 stellvertretender Leiter des Vernichtungslagers Belzec. 1943, nach dem Rückbau, leitete er ein Arbeitslager zur Sortierung der geraubten Habe der Ermordeten, was immerhin eine gewisse Verbindung nahelegt zur NSV, die diese Kleidung großzügig an „Volksdeutsche“ verteilte. – Dennoch bleibt eine eindeutige Zuordnung völlig offen. Vgl. auch Schwarz (2), Reichsschatzmeister. Schwarz (2) II.B.Spur 1. Reichsschatzmeister der NSDAP, München, unterschrieb 1938 Dorothee Rakows Parteiausweis. – Franz Xaver Schwarz (1875–1947), seit 1922 NSDAPMitgliedsnummer 6, Kassierer der „Großdeutschen Volksgemeinschaft“, war von 1925 bis 1945 der oberste Verwalter der Parteifinanzen, incl. Mitgliederbeiträge, außerdem „Feme“-Leiter eines geheimen Parteitribunals. – 1931 rief man ihn unmittelbar nach dem Selbstmord von Hitlers Nichte in dessen Münchener Wohnung.49 – 1933 SS-Obergruppenführer, der mit den Mitgliedsbeiträgen die SS mitfinanzierte, 1935 einer der 18 NSDAP-Reichsleiter im „Braunen Haus“ München. 1946 während der Internierung intensiv verhört zum Verbleib der Parteikassen, posthum enteignet.50 Schwester Aenne siehe Aenne Tai. Schwester Anna II.C.Spur 14, Q6/Nr. 3. NS-Schwester, Operationsschwester im Lazarettschiff bei Dr. Zuehlke. Schwester Anne siehe Anne Lu. Schwester Anni siehe Anni Ho. Schwester Auguste Q6/Nr. 8. Im Lager Semlin, zuständig für Entscheidung nach Beschwerden. Evtl. Schwester Schnee? Schwester Christel siehe Christel Boe. oder C. Baeskow. Schwester Cora siehe Cora Spr. Schwester Dorothee siehe Dorothee Rakow. Schwester E. siehe Schwester Erika oder Schwester Edith. Schwester Edith siehe E. St. oder Edith Blawert (NS-Oberin). Schwester Erika siehe Erika Vo. Schwester Fanny siehe Schwester Franziska. Schwester Franziska siehe Franziska To. oder Franziska Wa. Q6/Nr. 14. „Franziska, der Drache vom NS-Schwesternheim“ Schwester Herta siehe Herta Kra. Führers vereidigten T4-Reinhard-SS-Männer, die erst als Leichenbrenner in mehreren T4-Anstalten mitwirkten und später, ab Ende 1941, die Tötungsanlagen in den Vernichtungslagern aufbauten. „Zu den Aufgaben dieses Vorauskommandos gehörten nicht nur Baumaßnahmen, sondern sehr wahrscheinlich auch die Einweisung weiterer Akteure in das Handwerk des Tötens bis zur Verbrennung der Leichen.“ In: Cüppers u.a. 2020, Sobibor, S. 62, 94, 100, 358 (vita), Zitat S. 60. – Vgl. FürthWiki. URL: www.fuerthwiki.de//wiki/index.php/Gottfried_Schwarz (Abruf 6.8.2022). 49 von Schirach 1987 [1983], Hitler, S. 68 und 72. 50 Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Franz_Xaver_Schwarz_(Politiker) (Abruf 5.8.2022).
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Schwester Hertha Q2/C36. Köchin in der Säuglingsküche im Lager Galatz. Schwester Hilde Q6/Nr. 13, Q6/Nr. 16. Zusammen mit Schwester Lissi eingesetzt in Karlsberg/Bukowina als Zugbegleitung der Umsiedlerzüge aus Kimpolung/Bukowina. Vgl. Schwester Hildegard. Schwester Hildegard siehe Hildegard Uh.; Hildegard Win.; Schwester Hilde, Hilder Hor. Schwester Ilse Q7/Nr. 13. DRK-Schwester, Lager Semlin. Siehe auch Ilse Thi. Schwester Julchen siehe Juliane Rü. Schwester Käthe siehe Käthe Böttger, Käthe Schm., Käthe Schu. Schwester Klara (Schw. Kl.) Q6/Nr. 7, Q6/Nr. 18, IV.C. Vermutlich Heimleiterin des NS-Schwesternheims Hölderlinstraße, Berlin. Außerdem Eberswalde. Vgl. auch: Klara Re. Schwester Lieselotte Q7/Nr. 13. DRK-Schwester, Lager Semlin. Schwester Lissi Q6/Nr. 13, Q6/Nr. 16. Zusammen mit Schwester Hilde eingesetzt in Karlsberg/Bukowina als Zugbegleitung der Umsiedlerzüge aus Kimpolung/Bukowina. Schwester Lotte siehe Charlotte Co. Schwester Margarete II.B.Spur 6, IV.C. Abteilungsleiterin „Gesundheit“ im Stab der Generaloberin Käthe Böttger in Berlin. So wie Schwester Dorothee verließ sie das NSV-Hauptamt überraschend wegen ihrer Heirat im Dezember 1941 (vgl. Margarete Ba.). Schwester Ursel Q7/Nr. 13. DRK-Schwester, Lager Semlin. Schwester Walburga siehe Walburga Pf. oder Wally Ur. Schwester Wally siehe Wally Ur. oder Walburga Pf. Q2/A2, Q3/Nr. 1, Q5/P8? Siekmeyer, Heinrich SS-Oberführer. Im November 1940 Leiter des deutschen Umsiedlungskommandos für das Südbuchenland und die Dobrudscha, in den Augen des BessarabienKommandos galt der neue Hauptbevollmächtigte als unerfahrener Neuling.51 Skleroski, Dr. I.B. (Urschrift). Oberkreisarzt aus Cahul. Konflikt mit dem deutschen Gebietsarzt wegen Seuchenstatistiken. Sprecher, Else Q2/C, Q6/Nr. 1, Q6/Nr. 2, IV.C. Als „Jungschwesternführerin“ hatte sie 1937 eine Vereidigung von NS-Schwestern in Stuttgart mit den Worten „Angetreten bist Du, junger Orden“, gerahmt
51 Jachomowski 1984, Umsiedlung, S. 95. Vgl. ebd.: Deutsch-rumänischer „Bukarester Vertrag“ vom 22.10.1940 zur Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Dobrudscha und der Südbukowina. – Vgl. Fiebrandt 2014, Auslese, S. 246, Anm. 110.
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von Liedern von Hans Baumann, eingeleitet.52 – 1940 war sie vermutlich Leiterin oder Lehrerin im NS-Jungschwesternheim am Wilhelminenspital in Wien. Abschiedsgesang auf dem Schiff „Wien“. Spr., Cora Q3/Nr. 4, Q6/Nr. 13, Q6/Nr. 15, Q6/Nr. 16, Q6/Nr. 21. 1940 NS-Gemeinde-Schwester in Grenzuk (Tscherbeney, Czermna), Krs. Glatz, Schlesien. Bessarabieneinsatz im Lager Semlin. Ab 16. November bei der Bukowina-Umsiedlung eingesetzt in Karlsberg, Kimpolung und Dorna Watra. Sie kannte NS-Oberin Rakow aus deren Lehrzeit in Burg. St., E. Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 4. NS-Schwester, eine der vier Schiffsschwestern auf der „Helios“ von Reni und Kilia nach Prahovo. Stoltenhoff, Heinrich, Dr. II.A.2 Ärztl. Leiter der psychiatrischen Privatklinik in Dresden-Strehlen, in der Schwester Dorothee 1934–35 arbeitete, bevor sie sich entschloss, NS-Gemeindeschwester zu werden. Stumpp, Karl, Dr. Einleitung 1938 Leiter der „Sippenkundlichen Forschungsstelle für das Russlanddeutschtum“ im Verband der Russlanddeutschen (VRD), die ab 1937 mit VDA und DAI in der VoMi unter Leitung von Werner Lorenz zentralisiert wurde. Stumpps Kartenwerke erfassten die Wohnorte von in Russland (Bessarabien) lebenden Menschen mit deutschen Vorfahren. Seine „Auswanderungsdatei“ diente später der SS bei der Prüfung von Ariernachweisen. Sut., Dr. Q6/Nr. 19. Lazarettarzt, Cernavoda/Dobrudscha. Tai., Aenne (Anna, Anne) Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 10. NS-Schwester „z.b.V“ in der Dobrudscha; Kösterwitz, Krs. Schlawe/Pommern. Thi., Ilse Q3/Nr. 5: NS-Schwester. To., Franziska (Fanny) Q3/Nr. 5, 5a, Q6/Nr. 14, Q7/Nr. 6. NS-Gemeindeschwester in Aubing, Dobrudscha-Einsatz in Konstanza. Vgl. Schwester Franziska. Uh., Hildegard Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 10, Q7/Nr. 7. NS-Schwester „z.b.V.“ in der Dobrudscha. Leuna, Halle-Merseburg. Ur., Wally Q3/Nr. 5, Q6/Nr. 1, Q6/Nr. 7, Q6/Nr. 8. NS-Schwester, vermutlich auch Leiterin der NS-Schwestern im Lager Semlin? (mit NS-Oberin Schnee). Usathel, Pg. bzw. Usadel (Georg, Dr.) Q4/ Nr. 2, Q7/Nr. 7. „Ministerialrat Dr. Georg Usadel, Obergebietsführer der HJ“ (1900–1941). Als Jugendreferent im Reichministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbil52 In: Die Deutsche Schwester 5, Heft 12/1937. Zitiert nach Breiding 1998, Braune Schwestern, S. 47.
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dung, Leiter der Reichsführerschule der HJ in Potsdam, hatte dieser mehrere Schriften verfasst, z.B. 1935: Vom Dienen; 1938: Nationalsozialistische Haltung.53 – Am 7. Oktober 1940 hielt der Pg. eine Rede im Speiseraum des Lagers Galatz an alle Umsiedler und Kommandoangehörigen. Vo., Erika Q3/Nr. 4, Q3/Nr. 5. NS-Schwester „z.b.V.“ im Dobrudschaeinsatz. Breitenstein, Krs. Arnswalde/ Pommern. Volk, Uff. Q4/ Nr. 11. Unteroffizier? Unterfrachtführer? Wag., Conrad Q3/Nr. 4. Adresse in Galatz-Stadtzentrum. Wagner, Gerhard, Dr. med.54 II.B.Spur 3 Erster Reichsärzteführer bis 1939. Schulungsschriften im Nachlass von Dorothee Rakow. II.B.Spur 3 Wagner, K., Dr. Als „Vertrauensmann des Stellvertreters des Führers für alle Fragen der Volksgesundheit“ unterschrieb dieser 1935 den NS-Schwesternausweis von Dorothee Rakow. Diese Funktion hatte jedoch eigentlich Wagner, Gerhard inne. Wag., Rosa, Josef und Rosalie Q6/Nr. 20. Umsiedlerfamilie? VoMi-Lager Langensteinbach. Wan., Franziska Q3/Nr. 5 (5a?). NS-Schwester (Vgl. Schwester Franziska). Weber Q3/Nr. 1. Oberschwester Weber, Ella Q3/Nr. 5. NS-Schwester „z.b.V.“ Wei., Ilse Q3/Nr. 4 „Modderwiese“ (Grotów), Krs. Arnswalde/Pommern. Wen., Elsbeth Q3/Nr. 4 Weng., Freya Q3/Nr. 5, Q7/Nr. 8 NS-Schwester Widmer, Dr. I.B. (Urschrift) Bessarabiendeutscher Arzt, bei der „Jagd nach Kranken“ im Umsiedlungsbezirk Albota, unterstützt von Dr. Necker. 53 In: Die junge Kameradschaft. Ein Jahrbuch für die deutsche Jugend; 1942: Zucht und Ordnung. Grundlagen einer nationalsozialistischen Ethik. In: Dürkop 2013, Archiv Religionswissenschaft 1919–1939, S. 219; sowie: Kulthura. Digitales Wissensportal Thüringens. URL: www.kulthura. de/de/suche/et/Usadel (Abruf 8.10.2019). 54 Gerhard Wagner: war mitverantwortlich für Krankenmorde und Zwangssterilisationen von Juden und Behinderten. 1929 Mitbegründer und ab 1932 Leiter des NSDÄB, 1933 Reichskommissar und „Vertrauensmann für Volksgesundheit beim Stab des Stellvertreters des Führers“, 1934 Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit, 1935 Leiter der Reichsärztekammer, 1936 Reichsärzteführer, 1937 SA-Sanitätsobergruppenführer, 1939 Tod. Sein Nachfolger wurde Leonardo Conti. In: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Wagner_(Mediziner) (Abruf 5.4.2021).
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Win., Hildegard Q6/Nr. 5. NS-Schwester, zusammen mit Lotte auf dem Umsiedlerschiff „Hebe“.Vermutlich eingesetzt bei der Dobrudscha-Umsiedlung. Wisch., Susanne Q3/Nr. 4, Q6/Nr. 12. Schweidnitz/Schlesien, Radautz/Bukowina. Witte, Frau Q6/Nr. 6, IV.C. „Führerin der Frauen“ (vermutlich NS-Frauenschaft) im Lager Semlin, teilte das Büro mit der leitenden NS-Oberin Schnee. Witzleben, Frl. von Q6/Nr. 3, Q6/Nr. 12, IV.C. Gaureferentin des NSV-Hilfswerks „Mutter und Kind“55 des Gaues Berlin. Der caritative Einsatz älterer adeliger Damen entstammte der Tradition der Vaterländischen Frauenverbände, die in der Weimarer Republik noch die Tätigkeit des DRK bestimmt hatten, verpflichtet den Regeln der Genfer Konventionen des IKRK. Nach der Gleichschaltung des DRK unter der NS-Diktatur traten zahlreiche aktive Damen im Januar 1935 aus leitenden DRK-Positionen aus oder führten ihre Tätigkeiten nunmehr in NS-Frauenverbänden fort. NS-Frauenschaft und DRK-Frauenverbände wurden unter Scholtz-Klink in Personalunion geführt, doch eine Geringschätzung der NS-Frauenschaft gegenüber den DRKFrauen blieb bestehen.�� – Bei den „Heim ins Reich“-Umsiedlungen 1940 Ausstattung der Säuglingsküchen im Lager Galatz und auf den Schiffen sowie in der Bukowina. Zi., Hanna Q6/Nr. 15. fuhr mit einer Mitschwester nach Wien. Zikele, Frau Q2/A6. „Bessarabische Nachtigall“, sang im Rundfunk Kishinew und auf dem Schiff „Minerva“. Zuehlke [auch Zielke57, Zuhlke], Dr. Q3/Nr. 1, Q6/Nr. 3. Verantwortlicher Schiffsarzt auf dem Lazarettschiff mit 100 Betten. Gebietsarzt Ritter sammelte während der Umsiedlertransporte möglichst vollständige Krankenlisten für den „Schiffsarzt“. Aus Bromberg „an NS-Schwestern gewöhnt“, forderte Z. eine NS-Schwester aus dem Lager Galatz von der NS-Oberin Rakow an, die sie ihm nur ungern überließ.
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55 Hilfswerk MuK.: 1934 gegründet, um „arische“ Schwangere und deren Kinder zu fördern. Sie erhielten Unterstützung über die Gemeindepflege der NS-Schwesternschaft. Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hilfswerk_Mutter_und_Kind (Abruf 25.4.2020). 56 Morgenbrod/Merkenich 2008, DRK unter NS-Diktatur, S. 77. 57 Dr. Zielke: Leitender Arzt, der schon im Umsiedlungskommando Wolhynien/Galizien – neben dem Hygieniker Rose – die Umsiedlungsärzte und -Sanitäter mit Instruktionen für den Umsiedlungseinsatz geschult hatte. In: Fiebrandt 2014, Auslese, S. 252, Anm. 136; S. 248, Anm. 115 (ergänzende Anm. 2019).
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IV.C. Weibliche Hierarchien Folgende Frauen wurden aufgrund ihrer hochrangigen Positionen in nationalsozialistischen, öffentlichen Ämtern nicht anonymisiert. Die Entschlüsselung ihrer Positionen, Aufgaben und Namen ist ein Ergebnis der Auswertung der Briefe und Berichte aus dem Nachlass-Konvolut. Angesichts der fehlenden NS-Schwesternkartei in den Archiven, ist die Übersicht dieser weiblichen Hierarchien ein weiteres Ergebnis. Ausführlichere Informationen zu jeweiligen Namen sind dem vorangestellten Namensverzeichnis zu entnehmen.
NS-Schwesternschaft In der Dienststelle der NS-Schwesternschaft im NSV-Hauptamt Berlin, Maybachufer (1936–1942): Die Generaloberin: Käthe Böttger. – Zu ihrem Leitungsstab gehörten „5 engste Mitarbeiterinnen“: 1. Stellvertreterin der Generaloberin: Schwester Edith (Edith Blawert). 2. Stellvertreterin der Generaloberin: Abteilungsleiterin „Organisation“: Schwester Dorothee (Dorothea Rakow): Aufbau der Reichsschwesternkartei. Abteilungsleiterin „Gesundheit“: Schwester Margarete. Abteilungsleiterin „Propaganda und Schulung“ bzw. „Leiterin für Presse, Propaganda und Feiergestaltung“: Ruth Dühe. Leiterin des NS-Schwesternheims, Berlin, Hölderlinstraße 11: Schwester Klara (vermutlich war sie die fünfte im Stab der Generaloberin). Leitende NS-Schwestern während der Umsiedlungsaktionen 1940: Leitende NS-Schwestern in Wien: Else Sprecher: Leiterin oder Lehrerin im NS-Jungschwesternheim am Wilhelminenspital, auch: Jungschwesternführerin. NS-Oberin Kluge: Vorbereitung nachrückender NS-Schwestern auf den Umsiedlungseinsatz. Leiterin der NS-Schwestern im Zwischenlager Semlin/Jugoslawien bei der Bessarabien-Umsiedlung: NS-Oberin Schnee, genannt „Mutter Schnee“. Leiterin der NS-Schwestern im Lager Galatz bei der Bessarabien- und der Dobrudscha-Umsiedlung: NS-Oberin Schwester Dorothee (Dorothea Rakow). Leiterin der NS-Schwestern im Gebietsstab Radautz bei der Bukowina-Umsiedlung: NS-Oberin Schwester Dorothee (Dorothea Rakow), Vertreterin: Charlotte Co. Leiterin von 200 NS-Schwestern im Umsiedlungstab Gurahumora bei der Südbukowina-Umsiedlung: NS-Oberin Irene Pantenius.
Weibliche Hierarchien
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NS-Frauenschaft und Rot-Kreuz-Schwestern Die Reichsfrauenführerin: in Personalunion Führerin der NS-Frauenschaft und der DRK-Frauenverbände, sowie Vertreterin von NSV-Leiter Hilgenfeldt im Fachausschuss für Schwesternwesen: Gertrud Scholtz-Klink. Geschäftsführerin in der Reichsleitung der NS-Frauenschaft und Herausgeberin der Zeitschrift „Die Schwester“: Oberin Karin Huppertz. RFF: „Frau Hardeland, RFF“ im Lager Semlin und „Frau Bader, RFF“ Reichs-Feldführerin? Rotkreuz-Feldführerin?58 Oder: Reichs-Frauenführung? Die Zuordnung ist nicht eindeutig, doch der Konflikt der NS-Oberin Schwester Dorothee mit der RFF betraf die Aufgabenkonkurrenz mit den Lazarettschwestern des DRK, daher ist eher ein DRK-Rang denkbar. Die Feldführerin: Höherer weiblicher Rang im DRK. In den Dokumenten ohne Namen (Q6/ Nr. 3, Q6/Nr. 6). Vgl. RFF. Die Oberwachtführerin: Mittlerer weiblicher Rang im DRK.59 In den Dokumenten nur ohne Namen (Q4/Nr. 11). „Führerin der Frauen“, NS-Frauenschaftsleiterin im Lager Semlin: Frau Witte. Im Durchgangslager Semlin teilte sie ein Büro mit der Leiterin der NS-Schwestern. Gaufrauenschaftsleiterin in Wien: Frl. Jahn. Gaureferentin für das NSV-Hilfswerk „Mutter und Kind“ des Gaues Berlin: Fräulein von Witzleben. Reichsoberin im NS-Reichsbund Deutscher Schwestern e.V. (1942–1944): Maria Magdalena Moser.
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58 Weiblichen Ränge beim Roten Kreuz von oben absteigend sind: DRK-Generalhauptführerin, DRK-Generalführerin, DRK-Oberstführerin, DRK-Oberfeldführerin, DRK-Feldführerin, DRKHauptführerin, DRK-Oberwachtführerin, DRK-Wachtführerin, DRK-Haupthelferin, DRKOberhelferin, DRK-Vorhelferin, DRK-Helferin, DRK-Anwärterin. In: Ranks of the Deutsches Rotes Kreuz (women). URL: www.axishistory.com/books/165-germany-various-organizations/ deutsches-rotes-kreuz/4810-ranks-of-the-deutsches-rotes-kreuz-women (Abruf 25.4.2020). 59 ���������������������������������������������������������������������������������������� „A female D.R.K. rank, roughly comparable to an Oberleutnant.“ ������������������������� In: Houlihan 2009, Kriegsprache. Alphabetisches Verzeichnis: Oberwachtführerin (Oberwachtführer ist der entsprechende männliche DRK-Rang).
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IV.D. Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche mit Ortsnamenskonkordanz Europäische Geschichte ist wegen der mehrfachen Grenzverschiebungen in zwei Weltkriegen auf heutigen Landkarten nur schwer nachvollziehbar. Ortsnamen wurden je nach wechselnder Landeszugehörigkeit geändert. Bei der Identifizierung helfen Ortsnamenkonkordanzen und die Online-Recherche. Die Bezeichnungen der folgenden europäischen Schauplätze richten sich zunächst nach den zeitgenössischen Nennungen im Nachlass. Es wurde versucht, möglichst alle heutigen Bezeichnungen und nationalen Zugehörigkeiten der vorkommenden Orte zu recherchieren. Aktuelle Umbenennungen russischer Ortsnamen, die i.R. des Ukraine-Krieges seit 2022 vorgenommen werden, konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Ahrenshagen Akkerman
siehe Damgarten. Kreis in Bessarabien, rumänisch Cetatea Albă, Heute Bilhorod-Dnistrowskyj/Ukraine. – 1940 neun Spitäler (Q7/1). Albota (Übersetzt: Weißes Pferd) Ort im südwestlichsten Teil Bessarabiens, Kreis Cahul. Heute Albota des Sus/ Republik Moldau. – 1940 Sitz eines von vier Umsiedlungs-Gebietsstäben in Bessarabien mit Helmut Ritter als Gebietsarzt (Kap. I.). Alexanderasyl siehe Sarata. Alexanderfeld 1940 rumänisch Alexandru-cel-bun, heute Cîmpeni/Republik Moldau. – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota und Haltestation aller durchfahrenden Trecks in Richtung Galatz. Umsiedlung des Ortes geplant als „Seuchentransport“ (Kap. I.). Alt-Fratautz Heute Fratautii Vechi/Rumänien. 1940 Ort an der nördlichen Grenze der Nordbukowina, im Umsiedlungsgebietsstab Radautz (Q3/7). Altkarbe Kreis Friedeberg (1938–1945 im Land Neumark/Westpommern). Heute Stare Kurowo/Polen. – 1940 Adresse von Grete Hü. (Q3/4). Alt-Rehse NS-Musterdorf bei Neubrandenburg, heute Ortsteil der Stadt Penzlin/ Mecklenburg-Vorpommern, 1935–1943 Führerschule der NS-Ärzteschaft (Kap. I.). Altvatergebirge Gebirge in Sudetenschlesien (Hrubý Jeseník/Tschechien). Siehe Karlsbrunn. Amalienhof poln. Malinowo. 1942 Trachomkrankenhaus. Siehe Soldau. Arnsdorf „T4“-Zwischenanstalt östlich von Dresden in Sachsen. Ende 1939 Aufnahme von Krankentransporten mit „volksdeutschen“ Patienten aus dem Baltikum (Kap I.). Arzis Ort in Bessarabien, rumänisch Arcis, heute Arzys/Ukraine (Kap. I.). Sitz eines Heims für Männer, die 1940 im Sondertransport umgesiedelt wurden. Auschwitz Oświęcim/Polen. – 1940–1945 wurde am Westrand der polnischen Stadt im deutsch besetzten Ostoberschlesien (1922–1939 Polnisch Oberschlesien) ein Konzentrations- und Vernichtungslager aufgebaut. Der Ort lag
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an der Bahnlinie Wien-Krakau. Die Gefangenen aus ganz Europa trafen ab Mai 1940 ein. Babadag Heute Babadag/Rumänien. Türkischer Name Babadağ, benannt nach einem Derwisch. Alter Wallfahrtsort in den Lagunen am Schwarzen Meer. Seit 1878 rumänisch, 1914–1918 bulgarisch besetzt. Kriegsschauplatz, Militärflugplatz mit US-Stützpunkt. Bis heute bewohnt von verschiedenen Ethnien wie Rumänen, Türken, Roma, Russen, Lipowaner, Ukrainer. – 1940 Einsatzort der NS-Schwestern Freya und Franziska W. in der Dobrudscha. Badenau Bis 1936 Badewitz, Landkreis Leobschütz, Oberschlesien. Heute Głubczyce/Polen. – 1940 Adresse von Elfriede Rö. (Q3/4). Bad Karlsbrunn siehe Karlsbrunn. Bad Kösen Altersheim für Schauspielerinnen. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B. Spur 3). Das „Emmy Göring Stift“, ein 1937 errichteter Erweiterungsbau am 1895 gegründeten Marie-Seebach-Stift, Altersheim für Bühnenkünstler, befindet sich im 50 km entfernten Weimar auf der Strecke nach Bad Kösen, das bei Naumburg an der Saale in Sachsen-Anhalt, an der Grenze zu Thüringen liegt. In „Bad Kösen i. Thüringen“ war 1938 ein „Kinder- Kur- und Erholungsheim Ohm“60 als mögliches Ziel des IKK. Die Verhandlungen zur Übernahme des Jugendherbergswerkes durch die HJ waren auch in Bad Kösen (vgl. Mannheim, Jugendherberge). Balaban Ort in Bessarabien, östlich von Albota. Heute Balabanu/Republik Moldau. Hier entdeckte der Gebietsarzt Ritter Seuchenkrankheiten, die der Oberkreisarzt aus Kahul abstritt (Kap. I.). Banat Historische Region, die heute in Rumänien, Ungarn, Serbien liegt. Die deutschsprachige Minderheit der „Donauschwaben“ wurde nach dem Ersten Weltkrieg „Banater Schwaben“ genannt. – 1940 „wilde Umsiedler“ (Kap. II.C.Spur 6). Battenberg Großgemeinde in Hessen. Wohnort von Dora P. ab 1952 bis zum Tod 1989. Lager-, Fund- und Sortierort der Dokumente der NS-Schwesternschaft (II.A.1). Bayernberg Soldatenfriefhof in der Bukowina, siehe Dorna Vatra. Beresina Heute Berezyne/Ukraine. 1940 einer von vier Umsiedlungsbezirken in Bessarabien. Berlin Reichshauptstadt mit zentralen NS-Dienststellen, u.a. Sitz der „T4“Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Der 1933 eingerichtete umliegende NSDAP-Verwaltungsbezirk Gau Kurmark, ab 1939 umbenannt in Gau Mark Brandenburg, war der größte im „Deutschen Reich“. Gauleitung Kurmark: Kurmärkische Strasse 1. Berliner Dienststelle der „Gauvertrauensschwester“ Dorothee Rakow im „NSV Gau Kurmark“ 1935: Burggra60 Historische Postkarte von 1938. In: Postgeschichte Kemser. URL: www.postgeschichte-kemser. com/en/thueringen-bad-koesen-sw-mehrbild-ak-gelaufen-1938-marke-abgefallen?a=1895845 (Abruf 14.8.2021).
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Anhang
fenstraße 11 (II.A.2). Sitz der NS-Schwesternschaft war ab November 1936 im Reichshauptamt der NSV am Maybachufer 48/51, ab 1937 im „Haus der Deutschen Schwestern“, Kurfürstenstraße 110. Wohnung der Generaloberin Käthe Böttger 1936 Bürknerstraße 20, 3. Stock; 1941 Gilgenburger Str. 21, Berlin-Hirschgarten. Wohnung von NS-Schwester Dorothee Rakow: Ansbacher Str. 3, später im Wohnheim für die NSSchwestern der Reichsleitung: Hölderlinstraße 11. Fortbildungs- und Tagungsorte für NS-Schwestern waren 1936 die Theodor-Fritsch-Schule in Neuenhagen bei Berlin, 1937 die NSV-Reichsschule Blumberg bei Berlin, 1941 die NSV-Gauschule am Wannsee 47-51, ehem. Villa Salinger (Kap. II.). Auslandabteilung der Reichsärztekammer 1939: Beethovenstraße 3 in der vormaligen Magnus-Hirschberg-Villa, nach Bombardierung ab Dezember 1943 Königsallee 62. Arbeitsort von Helmut Ritter 1940: Städtisches Krankenhaus am Urban, Urbanstraße. Bernburg an der Saale in Sachsen-Anhalt. 1941 als „Heil- und Pflegeanstalt“ „T4“Anstalt „Be“ mit mind. 8.601 Ermordeten. 1940 wurden sechs Häuser der „Anhaltinischen Nervenklinik“ beschlagnahmt und Gaskammern und Krematoriumsöfen im Keller eingebaut. Unsere späteren Forschungen ergaben, dass diese „T4“-Anstalt das Ziel der Heimpfleglinge geworden wäre, wenn die „Aktion T4“ nicht im August 1941 gestoppt worden wäre. Heute Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg. Bessarabien russisch Бессарабия, rumänisch Basarabia (bis 1940 Nistru), heute ukrainisch Бессарабія. Historische Region am Schwarzen Meer zwischen den Flüssen Djnestr und Pruth gelegen. Hauptstadt Kischinew. Seit 1812, zur Zeit der Auswanderung deutscher Siedler, russisch. Nach dem 1. Weltkrieg rumänisch bis zur russischen Besetzung im Juni 1940, im Herbst erfolgte die „Heim ins Reich“-Umsiedlung. Nach dem 2.Weltkrieg wieder veränderte Grenzen: Die nördliche Hälfte Bessarabiens gehört heute zur Republik Moldau, die südliche zur Ukraine. (Vgl. Einleitung). Der Bessarabiendeutsche Verein e.V. betreibt ein Museum und Archiv in Stuttgart und aktiven Austausch mit den heutigen Einwohnern dieser Länder. Bethlen Heute Beclean pe somes/Rumänien. Nur von 1940 bis 1945 trug der rumänische Ort Beclean den ungarisch-deutschen Namen Bethlen, als die siebenbürgische Region Großrumäniens an Ungarn fiel. 1940 Bahnknotenpunkt der Süd-Bukowina-Umsiedlung (Q5/M1). Blumberg NSV-Reichsschule Blumberg b. Berlin, nordöstlich bei Ahrensfelde. 1937 Lehrgang für 58 leitende NS-Schwestern (II.A.2). Böhmisch Leipa im Sudetengau (1938–1945). Heute Česká Lípa/Tschechien. 1941 Wohn- oder Einsatzort von Lydia H. im Umsiedlungslager (Q3/4). Botojani Ort in der Bukowina. Botoșani/Rumänien liegt östlicher an der früheren Grenze der Bukowina in einem Steppengebiet. Vermutlich war Botoșana/ Rumänien gemeint. Dieser Ort liegt genau zwischen den beiden Umsied-
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Brandenburg
Braunschweig
Breitenstein Bremen Bremerhaven Breslau
Bretzenheim Buchenland Bukowina
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lungsgebietsstäben Radautz und Gura Humora und hat noch heute ein größeres Kriegsdenkmal. – 1940 schmückten die NS-Schwestern hier ein Kriegerdenkmal des Ersten Weltkriegs (Q5/N5) und fotografierten ein Haus (Q5/N4). an der Havel, westlich von Berlin. Heute Gedenkstätte für die Opfer der „Euthanasie“-Morde. – 1940 war ein leerstehendes Zuchthaus mit Lazarettgebäuden, Schuppen, Krematorium inmitten eines bebauten Gebietes zur „T4“-Anstalt „B“ umgebaut worden mit mind. 9.772 Ermordeten in Duschräumen im Erdgeschoss. Stellvertretender Leiter war Aquillin Ulrich (alias „T4“-Arzt „Dr. Schmitt“), der 1938 mit einer Gruppe von Medizinstudenten den Ort Teplitz in Bessarabien erforscht hatte. Ende 1940 Umzug nach Bernburg. Landeskrankenhaus, in dem Diakonissen arbeiteten. 1936 Übernahme durch die NS-Schwesternschaft mit Schwester Dorothee als Stellvertreterin der Oberin (II.A.2). Sie ist von hier „fortgezogen am 24.10.1936, von Braunschweig, Celler Straße 38 [...]“.61 1943 wurde Tochter Renate in einem Braunschweiger Krankenhaus geboren, vermutlich hier. Celler Str. 38 ist heute die Adresse des Städtischen Klinikums, eines der größten Krankenhäuser Niedersachsens. Kreis Arnswalde/Friedeberg, 1938–1945 im Land Neumark/Westpommern. Heute Bobrówko/Polen. – 1940 Wohn- oder Einsatzort von NSSchwester Erika V. (Q3/4). Herkunfts- und späterer Wohnort von Helmut Ritter (Kap. I.). Arztpraxis von Dr. Ritter nach dem Krieg (Kap. I.). Wrocław/Polen, sog. ‚Venedig Polens‘. Historische Hauptstadt von Schlesien, schlesisch Brassel, mit vorwiegend deutschsprachiger Bevölkerung seit dem 13. Jahrhundert bis zur Vertreibung 1945. – Ab 1933 Sitz des NSDAP-Gaues Schlesien, mit „führender Stellung in der volkspolitischen Arbeit“, wo Himmler im März in der „Jahrhunderthalle“ bei der Einbürgerung der Bukowinadeutschen eine Kundgebung vor 12.000 „Volksdeutschen“ hielt.62 Sitz des „Schlesien-Verlages“, der 1941 das Buch über die „Heimkehr“ der Bessarabiendeutschen druckte. an der Nahe, bei Bingen am Rhein, 1945 Kriegsgefangenenlager, sog. „Feld des Jammers“, Typhusepidemie. Vgl. Dietersheim (Kap. I.). siehe Bukowina. Deutscher Name Buchenland. Historische Landschaft im nördlichen Bessarabien. Südbukowina heute Bucovina/Rumänien, Nordbukowina heute Bukowyna/Ukraine. Als Deutsche ab ca. 1780 in die multiethnische Bukowina einwanderten, war sie ein Landesteil der österreichisch-ungarischen Habsburger
61 „[...] nach Berlin S.O., Hauptamtsleitung NSV. Maybachufer“. In: Abmeldebescheinigung 22.10. 1936, Stempel: 213. Polizeirevier Berlin Neukölln 9.11.1936, Nachlass Dorothee Rakow (Übergabe 9.4.2022). 62 Pampuch 1941, Heimkehr, S. 234f., Foto S. 235.
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Burg Burnas Caraomer
Cernavoda
Cetatea Alba Chełmno Chludowo Cocborowo Cogealac
Cogealia
Anhang Monarchie. Sie bildeten in dem „Vielvölkerstaat“63 Kolonien in eigenen Orten wie Karlsberg und Fürstenthal; ein größerer Teil zog in Städte wie Radautz, Gurahumora oder Czernowitz.64 Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Republik Österreich gebildet wurde, kam die Bukowina zu Rumänien. – 1940 besetzte Russland neben Bessarabien auch die Nordbukowina. Die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ mit Eisenbahnen begann im November 1940 (II.C.Spur 16). Die Landsmannschaft der Bukowinadeutschen ist heute angebunden an das Bukowina-Institut der Universität Augsburg.65 bei Magdeburg. Heute Kreisstadt des Landkreises Jerichower Land/Sachsen-Anhalt. – 1926–1928 Dorothee Rakows Schwesternausbildung im Kreiskrankenhaus (II.A.2). (Bad Burnas) Badeort mit Salzgewinnungsgarten in Bessarabien am Schwarzen Meer mit Lungensanatorium. Heute Lebedewka/Ukraine. – 1940 ein „rein deutscher Badeort“ (Q7/1). Stadt im südlichen Kreis Constanza, nur wenige Kilometer nördlich der bulgarischen Grenze. Früher Cara Omer, türkisch Karaömer. Seit dem russisch-osmanischen Krieg 1878 rumänisch. Heute Negru Vodă (Constanța)/Rumänien. – 1940 Einsatzort der NS-Schwestern Ilse und Wally bei der Dobrudscha-Umsiedlung. Stadt in der Dobrudscha an der Eisenbahnlinie und an der Donau, die vom Lager Galatz aus donauaufwärts hier vorbeifließt. Heute Cernavodă/ Rumänien. – 1940 Einsatzort der NS-Schwestern Hertha, Walburga, Juliane, Aenne (z.b.V) und Ella (z.b.V.) in der Dobrudscha. siehe Akkerman. Siehe Kulmhof. Siedlungsgenossenschaft, siehe Damgarten. Siehe Konradstein. Ort in der Dobrudscha zwischen Babadag und Constanza. Historische Namen Domnești, türkisch Kocalak, deutsch Kodschalak. Heute Cogealac/Rumänien. – 1.149 Umsiedler.66 Zur Gemeinde Cogealac gehörten auch Tariverde und Colelia.67 Ort in der Dobrudscha am Schwarzen Meer, deutsch Kodschalie. Heute Lumina/Rumänien. – 698 Umsiedler.��.
63 ������������������������������������������������������������������������������������������ Landesregierung Österreich, Geschichte Österreichs. URL: www.zivildienst.gv.at/115/Die_Geschichte_Oesterreichs/Der_Aufstieg_der_Nationalstaaten_und_das_Ende_der_HabsburgerMonarchie.aspx (Abruf 24.5.2021). 64 Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Bukowinadeutsche (Abruf 29.4.2020). 65 Informationen zur Geschichte auf der Homepage: URL: www.bukowinafreunde.de (Abruf 29.4. 2020). 66 Kodschalak: In: Bessarabiendeutscher Verein: Heimatgemeinden Dobrudscha: URL: www.bessarabien.de/dobrudscha-heimatgemeinden (Abruf 29.4.2020). 67 Wikipedia. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Cogealac (Abruf 29.4.2020). 68 URL: www.bessarabien.de/dobrudscha-heimatgemeinden (Abruf 29.4.2020).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Colelia Constanza
Czernowitz
Dachau Damgarten
Dármánesti Darmstadt
Dietersheim
Djnestr
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Türkisch Kuleli, deutsch Kulelie. Bis 1942 Ort mit Volksdeutschen in der Gemeinde Cogealac in der Dobrudscha. 1977 aufgelöst, heute ein Kloster. Multiethnische Hafenstadt am Schwarzen Meer mit antiker griechischrömischer Geschichte. Heute Constanța/Rumänien. – 1940 Einsatzort der NS-Schwestern Franziska T., Käthe, Erika (z.b.V.) und Hildegard (z.b.V.) in der Dobrudscha. auch Tschernowitz. Traditionelle Hauptstadt der Bukowina mit Universität. 1918–1940 Cernăuţi/Rumänien. Heute Tscherniwzi/Westukraine. – 1940 lag sie in der russisch besetzten Region der Nordbukowina (Q3/7; Q7/9). „Der Großteil der deutschen Bevölkerung, etwa 25.000, [wurde] ‚heim ins Reich‘ geholt. [Danach] Von 1941 bis 1944 gehörte Czernowitz wieder zu Rumänien, das mit dem Deutschen Reich verbündet war. In dieser Zeit kam es zur Ermordung und Deportation eines großen Teils der jüdischen Gemeinde.“69 KZ bei München mit NS-Schwesternheim im SS-Lazarett, Malaria-Forschung (II.C.Spur 18). in Vorpommern. Heute Ribnitz-Damgarten, Landkreis VorpommernRügen. – 1923 war Dorothee Rakow Buchhalterin in der Siedlungsgenossenschaft Chludowo in Ahrenshagen (heute Ahrenshagen-Daskow) und Todenhagen (heute Ortsteil von Ahrenshagen). Ort mit Bahnhof in der Bukowina. Heute Dărmăneşti/Rumänien. – Hier teilte sich die Bahnstrecke zu den beiden Gebietsstäben in Radautz und Gura Humora (Q3/6). Bei Darmstadt: „NSV.-Übungslager Rimdidim für schwächliche und körperbehinderte Knaben“. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Der Rimdidim ist ein 500 m hoher Berg im Fischbachtaler Wald bei Meßbach im Odenwald, südöstlich von Darmstadt und auch der Name des dort 1925 vom Naturfreundeverein Darmstadt errichteten Odenwaldhauses. In der NS-Zeit wurde der Verein zwangsaufgelöst, das Haus beschlagnahmt und zu einer burgähnlichen Anlage ausgebaut, die die NSV Darmstadt bis 1945 als „Knabenübungslager“ und im Krieg für die Kinderlandverschickung nutzte. Bis 1969 Kinderheim, heute Brandruine.70 bei Bingen am Rhein, nach dem Krieg amerikanisches Internierungslager mit 10.000 deutschen Kriegsgefangenen, 10 km vom noch größeren „Rheinwiesenlager“ in Bretzenheim mit 100.000 Gefangenen. – In Dietersheim war Ritter interniert (Kap. I.). deutscher Name: Dnister, rum. Nistru, ukr. Dnestr, poln. Dniestr. Östlicher Grenzfluss Bessarabiens zwischen den beiden Weltkriegen. Die Grenze nach Russland bewahrte die nun rumänischen Bessarabiendeut-
69 Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Czernowitz (Abruf 29.4.2020). 70 Schröbel, Fischbachtal. URL: https://fischbachtal-odw.de/geschichten/das-rimdidim (Abruf 14.8. 2021).
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Dobrudscha
Donau
Dorna Watra
Anhang schen in den 1930er Jahren vor dem Schicksal ihrer Verwandten auf der östlichen Seite des Flusses: schwere Hungersnot in der Ukraine 1934 und stalinistischen Verfolgungen durch den NKWD um 1938. Viele flüchteten über diesen Fluss nach Bessarabien.71 – Im Sommer 1940 wurde nach der russischen Besetzung Bessarabiens der Pruth zum Grenzfluss zu Rumänien. Region südlich von Bessarabien am Donaudelta und am Schwarzen Meer, auch „Trans-Danubien“. Vor 1878 in Bulgarien. Heute Dobrogea/Rumänien. Auswanderungen deutscher Siedler seit 1840. „Anfang des 20. Jahrhunderts gab es etwa 40 Ansiedlungen, in denen etwa 9.000 deutschstämmige Bewohner lebten. Kurz vor der Umsiedlung 1940 gab es 67 von Dobrudschadeutschen bewohnte Orte, unter denen in 28 Orten ein deutsches Gemeindeleben und in 20 Orten deutschsprachiger Schulunterricht stattfand.“72 – Die Verbände der Dobrudscha- und Bulgariendeutschen schlossen sich 2009 mit dem Bessarabiendeutschen Verein e.V. zusammen. Der 3.000 km lange Fluss durchfließt Europa von West nach Ost durch zehn Länder, bis er im Donaudelta bei Bessarabien und der Dobrudscha ins Schwarze Meer mündet. (Ungarisch Duna, bulgarisch, serbisch und kroatisch Dunav, rumänisch Dunărea, ukrainisch Dunaj, englisch Danube). – 1940 war die Donau historischer Schauplatz zweier Exodusse in entgegengesetzten Richtungen. Während die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft bei der „Heim ins Reich“-Aktion „volksdeutsche“ Umsiedler aus Bessarabien flussaufwärts Richtung Westen transportierte, brachten dieselben Donauschiffe die auswandernden oder fliehenden europäischen Juden flussabwärts in Richtung Osten über das Schwarze Meer nach Palästina. Der Film The Danube Exodus eines ungarischen Medienkünstlers collagierte 1998 Amateurfilme beider Passagiergruppen, Bessarabiendeutsche und Juden, auf demselben Dampfer,73 und zeigte damit die Donau als historischen Ort der Begegnung vermeintlich gegensätzlicher Ereignisse im Zweiten Weltkrieg, die in Wirklichkeit miteinander zusammenhingen. Heute Vatra Dornei/Rumänien. – 1940 westlichster Ortsbereich und Bahnhaltepunkt in der Südbukowina vor der ungarischen Grenze, die 1940 hier gebildet wurde. Bei der Umsiedlungsaktion wohnten NSSchwestern, NS-Frauenschaft und die deutsche Reservepolizei hier im „Hotel Trajan“ und besuchten von dort aus einen Soldatenfriedhof am Bayernberg.��
71 Vgl. Gagarin 1991, Blond Weizen Ukraine; sowie Prawda, Neues Leben, Nr. 25. 17.6.1992, S. 7–9 [Todeslisten]. 72 URL: https://www.bessarabien.de/dobrudscha/geschichte.php (Abruf 29.4.2020). 73 Forgács 1989, Danube Exodus (Film); Jüdisches Museum Berlin 2007, Donau Exodus (Ausst.Katalog); sowie Feigelson 2019, Donau Exodus. 74 Richter 1941, Heimkehrer, S. 23; vgl. Kommentar zu Q5/N5.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche
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Dornesti
Historischer Name Hadikfalva, mit vorwiegend ungarischer Bevölkerung. Heute Dornești/Rumänien. – 1940 Bahnhof auf der Strecke vom Lager Galatz in die Bukowina, die die Führerin der NS-Schwesternschaft nach der Bessarabien-Umsiedlung zu ihrem nächsten Einsatz mit der Eisenbahn nahm (Q3/6). Dornestre siehe Dornesti. Dresden im Nationalsozialismus „Stadt der Volksgesundheit“, Mutterhaus der NSSchwesternschaft. Dresden- Ortsteil von Dresden. – Privatklinik für Nerven- und Gemütsleiden von Strehlen Prof. Stoltenhoff, wo Schwester Dorothee 1934–35 arbeitete (II.A.2). Driesen Kreis Friedeberg (1938–1945 im Land Neumark/Westpommern). Heute Drezdenko/Polen. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von Anna F. (Q3/4). Eichendorf Heute Doina im Distrikt Cahul/Republik Moldau. – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.). Eigenheim Ort in Bessarabien. Heute Seleniwka, Bilhorod-Dnistrowskyj/Ukraine. Elim Heim Elim, Altenheim für alleinstehende Frauen in Sarata/Bessarabien. Elim, als Name einer Oase im Alten Testament, wird von christlichen Gemeinden verwendet. – 1940 Umsiedlung im Sondertransport mit den Pfleglingen des Alexanderasyls . Eulengebirge Polnisch Góry Sowie, tschechisch Soví hory. Im Projekt „Riese“ entstand hier im Zweiten Weltkrieg ein gigantisches unterirdisches Stollenwerk als bombensicheres Quartier für die gesamte NS-Führungsriege. – Siehe Peterswaldau. Falkenstein Müttererholungsheim der NSV. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B. am Taunus Spur 3), nördlich von Frankfurt am Main im Naturschutzgebiet bei Königstein in Hessen. Das „Mütterheim der NSV Falkenstein/Taunus“ ist nur auf historischen Ansichtskarten zu finden.75 Finsterwalde in Brandenburg, südlich Berlin. – 1933 war Schwester Dorothee hier Stationsschwester im Städt Krankenhaus (II.A.2). „Flandern, Dünkirchen, Drontheim, Narvik, Nürnberg, Stuttgart, München“. Symbolische Orte, nach denen 1940 die Hangars für die Umsiedler im Lager Galatz benannt wurden: Hier in Südosteuropa glorifizierten sie die damals brandaktuellen deutschen Kriegsschauplätze in Nordwesteuropa (Flandern in Belgien, Dünkirchen in Frankreich, Drontheim und Narvik in Norwegen), während Nürnberg, Stuttgart und München als „Orte der Bewegung“ der NSDAP in Deutschland galten. Frankfurt Handels- und Bankenzentrum, mit jüdisch geprägtem Bürgertum des 19. am Main Jahrhunderts, das eine liberale Universität stiftete, deren Institut für Sozialforschung 1933 geschlossen wurde. Zur „Frankfurter Schule“ gehörten Philosophen wie Adorno, Benjamin, Fromm. Marcuse. 1935 verschaffte sich die „Stadt der Juden und der Demokraten“ ein völlig neues Image 75 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl.Ansichtskarte unter diesem Titel in: URL: www.akpool.de/ansichtskarten/29216357-ansichtskarte-postkarte-falkenstein-koenigstein-im-taunus-muetterheim-des-nsv (Abruf 17.8.2021).
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Anhang
mit dem Titel „Stadt des Deutschen Handwerks“.76 – 1938 Internationaler Kinderschutzkongress, organisiert von der NSV Berlin (II.B.Spur 3). Hintergrund für die Auswahl dieses Tagungsortes war das „Frankfurter System“ der Jugendschutzarbeit, d.h. eine Tradition der Kooperation von behördlicher und privat gestifteter Wohlfahrtspflege, dabei spielte möglicherweise das Friedrichsheim (s.u.) eine besondere Rolle.77 Frankfurt am Main, Friedrichsheim Orthopädische Klinik. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Geschichte: Das Friedrichsheim wurde 1913 für die „Krüppelfürsorge“ gestiftet, um Behinderte erwerbsfähig zu machen. Im Ersten Weltkrieg zunächst Reservelazarett. 1930–1945 unter Leitung des „Führers der Orthopädie“ und „Landeskrüppelarzt“ Georg Hohmann, Fürsprecher der NS-Erbgesundheitsgesetze und Berater in Berlin. Heute „Orthopädische Universitätsklinik (Friedrichsheim)“, Sitz des „Deutschen orthopädischen Geschichts- und Forschungsmuseum“.78 Fratautz siehe Alt-Fratautz. Friedeberg im Kreis Friedeberg (1938–1945 im Land Neumark/Westpommern). Heute Strzelce Krajeńskie/Polen im Kreis Friedeberg-Driesen (Powiat Strzelecko-Drezdenecki). Heimatkreis von D. Rakow – 1940 Wohnort oder Einsatzort von Frieda Rod. (Q3/4). Friedenstal Ort in Bessarabien. Heute Myrnopillja, Rayon Arzys, Oblast Odessa/ Ukraine. – 1990 erbaute Edwin Kelm hier im früheren Bauernhof seiner Großeltern ein Museum, das seit 2005 vom Bessarabiendeutschen Verein Stuttgart betrieben wird. Friedrichsheim Orthopädische Klinik, siehe Frankfurt am Main. Fürstenthal Ort in der Bukowina, südwestlich von Radautz (Q3/7). Heute Voievodeasa/Rumänien. In diesem „deutschen Dorf“ waren zwei NS-Schwestern eingesetzt (Q2/A3). Galatz Galati/Rumänien. – 1940 war hier auf einem Flugzeuggelände mit Hangars das größte Auffanglager für 20.000 Umsiedler aus Bessarabien. Kranke wurden in Sankras zunächst nach Galatz gefahren (Kap. I.). Adresse der Leitstelle Galatz: Str. Colonel Boyle 25.79 Lagerleiter: SS-Obersturm76 Tagungsbericht „War da was?“ Frankfurt am Main im Nationalsozialismus, Frankfurt 2020. In: HsozKult, 11.12.2020. URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8835 (Abruf 18.8.2021) 77 Mag.rat Dr. Prestel: Der Anteil Frankfurts am Aufbau der deutschen Jugend-Fürsorge. In: Aus der Jugendschutzarbeit der Stadt Frankfurt am Main. Sonderdruck der Frankfurter Wochenschau 24 (1938), S. 1–3 (Zu Friedrichsheim S. 7f ). Nachlass Dorothee Rakow. 78 Vgl. das Kapitel „Georg Hohmann und das Friedrichsheim in Frankfurt am Main“ in: Elsner 2019, Orthopädie im NS, S. 110–164. – Über die entsprechende Geschichtslücke des Orthopädischen Museums vgl. Thieme, Mit Geschichte in die Zukunft, in: Jungle World, 9.9.1998. URL: https://jungle.world/artikel/1998/37/mit-geschichte-die-zukunft (Abruf 11.8.2021). 79 Adressangabe in: Leitstelle Galatz, Dienstanweisung Transportbetreung (ohne Datum), S. 3, in: BA R59/372, Bl. 9.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche
Galizien
Gerolshofen
Gifhorn Gleiwitz
Gnadenfeld
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bannführer Perthen (Q4). Führerin der NS-Schwesternschaft: NS-Oberin Dorothee Rakow (II.C.Spuren 6, 7, 10 bis 13). Das Lager war abgezäunt, aber Mitglieder des deutschen Umsiedlungskommandos besuchten auch die Stadt Galatz und ließen bei jüdischen Schneidern nähen (II.C.Spur3). Eine Innenstadtadresse ist erwähnt: Dragus Woda 1 (Q3/4). Vom Hafen Galatz fuhren Donauschiffe zu den nächsten Zwischenlagern in Semlin und Prahovo in Jugoslawien. historische Landschaft in Südpolen und der Westukraine, die im Osten an die Bukowina grenzt und im Westen bis Krakau reicht. Im Zweiten Weltkrieg aufgeteilt: der westliche Teil gehörte zum Generalgouvernement unter deutscher Verwaltung, der östliche zur Sowjetunion. Die „Volksdeutschen“ aus Galizien wurden 1939 umgesiedelt. Heute ist der westliche Teil polnisch (Galicja), der östliche ukrainisch (Halytschyna). im Kreis Schweinshaupten. Ein Dorf Schweinshaupten (Gemeinde Bundorf, Kreis Hassberge in Bayern) liegt 50 km von Gerolzhofen entfernt. Es wird sich wohl um die Kleinstadt Gerolzhofen (Landkreis Schweinfurt) gehandelt haben. In Schweinshaupten war das Landesrabbinat der jüdischen Gemeinde und ein Schloss in jüdischem Besitz. Beide Orte hatten eine jahrhundertelange jüdische Geschichte mit eigener Synagoge und einem Drittel jüdischer Einwohner, bis 1935 löste sich die jüdische Gemeinde auf. Der jüdische Friedhof in Gerolzhofen hat noch heute über 600 Grabsteine. Seit 2015 hat der Ort mehrere „Stolpersteine“ und seit 2019 als Denkmal einen Koffer zur Erinnerung an die Deportation der über 100 Juden aus Gerolzhofen nach Dachau und Belzec.80 Es gab ein Krankenhaus, eine historische Postkarte zeigt eine „Spitalkirche“ an der „Spitalstraße“.81 – 1940 Wohn- oder Einsatzort von NS-Schwester Juliane Rü. (Q3/4). siehe Triangel. poln. Gliwice, alte Stadt im oberschlesischen Industriegebiet bei Auschwitz. Ein Überfall von SS-Männern auf den Sender Gleiwitz am 21.8.1939 bot den Vorwand für den Angriff auf Polen am 1.9.1939. – 1941 Rückwandererlager (II.C.Spur 18). Ort in Bessarabien. Russisch Blagodatnoje, heute: Blahodatne/Ukraine. – 1937 machten Kölner Studenten unter Leitung des Studentenführers W. Schürmann und des Direktor des Kölner Museums für Volkshygiene Prof. Karl Pesch hier „bevölkerungsbiologische, hygienische und gesundheitliche Untersuchungen“, die der spätere SS-Obersturmbannführer und
80 Vgl. Alemannia Judaica, Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum. URL: www.alemannia-judaica.de/schweinshaupten_synagoge.htm (Abruf 2.5.2020); URL: www.alemannia-judaica.de/gerolzhofen_synagoge.htm (Abruf 2.5.2020); Sowie: Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Gerolzhofen (Unterfranken/Bayern), in: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/714-gerolzhofen-unterfranken-bayern (Abruf 2.5.2020). 81 Postkarte „Spitalkirche“ ebd.
676
Anhang
„Umvolkungs“-Experte Hans Joachim Beyer 1938 in der Reihe „Auslandsdeutsche Volksforschung“ herausgab.82 Ab September 1939 begleitete dieser als Mitarbeiter im SD die SS-Einsatzgruppen.83 Gotenhafen deutsche Namensgebung zwischen 1939–1945, vormals Gdingen, Hafenstadt bei Danzig. Heute Gdynia/Polen bei Danzig (poln. Gdańsk). – 1939 war der Hafen eine Station bei den Krankentransporten der Umsiedlung der Baltendeutschen (Kap. I.). Gottesberg in Schlesien, Landkreis Waldenburg. Heute Boguszów/Polen. Gottesberg, die „höchste Stadt Preußens“, produzierte 1933 das „Gottesberger Pilsner, ein deutsches Spezialprodukt, das von keinem fremdländischen Erzeugnis übertroffen wird“.84 In der Nähe in Waldenburg und Landeshut lagen später Außenlager des KZ Groß-Rosen. – 1940 Wohn- oder Einsatzort von NS-Schwester Margarethe Bai. in der Landeshüterstr. (Q3/4). Grafeneck Schloss in Gomadingen bei Münsingen in Württemberg. Vormals Samariterstift, 1940 als „Landesanstalt“ „T4“-Anstalt „A“ mit mind. 9.839 Ermordeten in einem 300 m entfernten Gebäudeensemble aus Baracke, Schuppen, Garage und Ofen hinter einem Bretterzaun. Heute Gedenkstätte Grafeneck für die Opfer der „Euthanasie“. Graz-Puntigam Puntigam, Name einer Brauerei, wurde 1938 ein Stadtbezirk von Graz in Österreich. Die Landeshauptstadt der Steiermark erhielt von Hitler nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 den Titel „Stadt der Volkserhebung“; die NS-Verfolgungen im neuen „Gau Ostmark“ begannen auch hier. Seit März 1940, also ein halbes Jahr vor der „Heim ins Reich“-Aktion, war Graz und der ganze Bezirk Steiermark bereits „judenrein“.85 Zudem war in Graz-Puntigam eine „Heil- und Pflegeanstalt“ mit „Kinderfachabteilung“ im „Feldhof“, von hier wurden von Januar 1940 bis August 1941 über 1.000 Patienten in die „T4“-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gebracht.86 – Während dieses Zeitraums, im Herbst 1940 kamen die Umsiedlerzüge über die Grenzübergänge in Graz-Puntigam und Villach über die vormals österreichische Grenze ins „Großdeutsche Reich“.
82 Pesch/Schürmann 1938, Gnadenfeld, Bericht. – Für die Kopie danke ich 2008 Anette Schill aus Hildesheim, die als junges Mädchen, G 1926 in Gnadental, die deutschen Rassenforscher kennenlernte. Das Ergebnis ihrer Gastfreundschaft hatte sie schockiert. 83 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Joachim_Beyer (Abruf 4.8.2021). 84 Werbeprospekt, Berlin 1933. In: Schlesierland: Gottesberg. URL: www.schlesierland.de/orte/ kreis-waldenburg/gottesberg/gottesberg-werbeprospekt-1933.html (Abruf 2.5.2020). 85 Geschichte von Graz. In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_von_Graz# Zeit_des_Nationalsozialismus (Abruf 2.5.2020). 86 ������������������������������������������������������������������������������������������ Thomas Oelschläger deckte die Einbeziehung des Grazer Feldhofs als Kinderfachabteilung anhand von Sondergratifikationen in den Gehaltslisten einzelner Krankenschwestern auf. Ich danke ihm für die Gespräche im Jahr 2002. Vgl. Oelschläger/Danzinger/Benzenhöfer 2015, Ermordung psychiatrischer Patienten aus der Steiermark.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Greifswald Grenzeck
„Grenzuk“ Groß-Rosen
Grunau Gura Humora Hadamar Halle Halle- Merseburg Hartheim
Heidelberg- Rohrbach
677
Studienort für Medizin von Helmut Ritter, neben München und Berlin (Kap. I.). Ort in Niederschlesien. Vor 1937 Tscherbeney bzw. Deutsch-Tscherbeney. 1937–1945 Grenzeck, Kreis Glatz (Powiat Kłodzki/Polen). Ab 1945 Czermna bzw. Německá Čermná/Tschechien. – 1940 war Cora Spr. die NS-Gemeindeschwester im Ort. Siehe Grenzeck. Heute: Rogoznica/Polen. – 1944–1945 KZ in Schlesien mit 45 Außenlagern. Siehe Waldenburg, Schweidnitz, Landeshut, Peterswaldau als Adressen von NS-Schwestern. – Ende 1940 befanden sich viele kranke Bessarabiendeutsche aus dem Lazarettzug in einem Reservelazarett in Striegau (poln. Stregom). Dort ist die Bahnstation für die heutige KZ-Gedenkstätte Groß-Rosen. Kreis Flatow (1938–1945 Grenzmark Posen-Westpreußen/Pommern). Heute Stare Gronowo/Polen. – 1940 Wohn- oder Einsatzort von NSSchwester Käthe Sch. (Q3/4). Auch Gura Humoralui. Heute Guro Humora/Rumänien. – 1940 Sitz eines Gebietsstabs bei der Südbukowina-Umsiedlung. In der Nähe besuchte das Umsiedlungskommando das „Theresiendenkmal“ (Q5/N6). in Hessen. 1941 als „Heil- und Pflegeanstalt“ „T4“-Anstalt „E“ mit mind. 10.072 Ermordeten in einer Gaskammer im Keller. Heute Gedenkstätte Hadamar, Museum Mönchberg. Gesundheitsamt (betr. Säuglingsfürsorge) und Jugendfürsorge-Einrichtungen.87 – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Gau im Deutschen Reich. – 1935 baute Käthe Böttger die NS-Schwesternschaft zunächst im Gau Halle-Merseburg und Osthannover auf, bevor sie 1936 die Generaloberin wurde. Die Adresse von NS-Schwester Hildegard U. war in Leuna im Gau Halle-Merseburg. Schloss bei Linz in Österreich (damals „Gau Ostmark“). 1940/41 als „Landesanstalt“ „T4“-Anstalt „C“ mit mind. 18.269 Ermordeten. 1944 Ausweichstelle der Berliner „T4“-Dienststelle und Beseitigung aller Spuren der Tötungsanstalt. Heute Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. Chirurgisches Tuberkulose-Sanatorium. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Geschichte: Das frühere Genesungsheim im Rohrbacher Schlösschen wurde nach dem Ersten Weltkrieg Tuberkulosekrankenhaus für Kriegsbeschädigte. Der Leiter ab 1933 entwickelte die Kollapstherapie. Heute Tuberkulose-Museum und Deutsches Tuberkulose-Archiv auf dem Gelände der Thoraxklinik des Uniklinikums Heidelberg.88
87 Säuglingsheime und Jugendfürsorgeanstalten in der NS-Zeit ausführlich in: Stadt Halle (Hg.) 2015, 100 Jahre Jugendamt Halle. URL: https://m.halle.de/VeroeffentlichungenBinaries/636/1126/100_Jahre_Jugendamt_Halle_(Saale).pdf (Abruf 14.8.2021). 88 ������������������������������������������������������������������������������������������� Thoraxklinik Heidelbrerg. URL: www.thoraxklinik-heidelberg.de/ueber-uns/geschichte-der-klinik (Abruf 14.8.2021).
678 Hermannstadt Herrsching Hoffnungstal
Hohenlychen Hongkong
Hrubieszów
Ismail
Jakobeni Kahul Karlsberg Karlsbrunn
Karpathen
Anhang rum. Sibiu. Stadt im Landesteil Siebenbürgen. Neben Kronstadt historisches Zentrum der Siebenbürger Sachsen. – Mai 1941 Nachlese von „volksdeutschen“ Umsiedlern aus Flüchtlingslagern (II.C. Spur 6 und 18). am Ammersee, Bayern. – 1941 Standort eines Erholungsheims für NSOberinnen. – Im Herbst 1941 Aufenthalt von Schwester Dorothee (II.A.2). 1940 Ort im südlichen Bessarabien, heute Ukraine. 1946 für einen sowjetischen Militärplatz eingeebnet. Russisch Nadeschdino, ukrainisch: Nadeschdyne (dt.: Hoffnung) – 1940 waren die Umsiedler aus Hoffnungstal im Umsiedlungslager Pirna-Sonnenstein, 1942 Transporte zu Trachombehandlungen im Amalienhof in Ostpreußen, 1943 verspätete Ansiedlung im Generalgouvernement. SS-Sanatorium, nördlich von Berlin (II.B.Spur 3). Metropole und Sonderverwaltungszone in China, 1843–1997 britische Kronkolonie. – 1930er/40er Jahre Einsatzort von Prof. Bernauer vor Übernahme der Leitung des Siegfried-Staemmler-Krankenhauses in Litzmannstadt (Kap. I.). Deutscher Name Grubeschow. Stadt- und größere Landgemeinde im Kreis Zamość in Galizien. Heute der östlichste Ort Polens an der Grenze zur Ukraine. – 1939 Einsatzort von Helmut Ritter bei der WolhynienUmsiedlung (Kap. I.). rumänisch/russisch Ismail, heute ukrainisch Ismajil/Ukraine. Alter Festungsort an der Donaumündung zwischen den Häfen Kilia und Reni. Universitätsstadt, ein Museum zeigt heute die Regionalgeschichte der Donau, ein Archiv bewahrt noch Umsiedlungsakten, die 1940 in Bessarabien verblieben waren. Ein Fund 2008 waren die Listen der Ortsbevollmächtigten über die Kranken, Alte, Hilfsbedürftige in den einzelnen Orten, die Dietmar Schulze 2008 auswertete. Ort in der Süd-Bukowina. Heute Iacobeni/Rumänien. – 1940 zum Umsiedlungsgebietsstab Gura Humora (s.o.) gehörig, gelegen an der Bahnlinie (Umsiedlungsweg) nach Dorna-Watra (s.o) (Q3/7). rumänisch Cahul, Hauptstadt im gleichnamigen Rajon Cahul/Republik Moldau. – 1940 im Umsiedlungsbezirk Albota in Bessarabien. Oberkreisarzt Dr. Skleroski (Kap. I.). Ort in der Bukowina, westlich der Stadt Radautz. Heute Gura Putnei/Rumänien. – 1940 zum Umsiedlungsstab Radautz gehörig, an der Bahnlinie Radautz-Putna gelegen (Q3/7). Bad Karlsbrunn, heute Karlova Studánka/Tschechien, im Altvatergebirge (Hrubý Jeseník/Tschechien), Landkreis Freiwaldau, im „Sudetenschlesien“ oder auch Ostsudetenland (tschechisch Jeseník). Seit 1785 ein alter Kurort mit Sanatorien für Atemerkrankungen. – 1941 Aufenthalt von Schwester Dorothee (II.C.Spur 18). Heute Karpaten. Hochgebirge, das sich durch Rumänien und weitere Länder in Ost-, Süd- und Mitteleuropa zieht.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Kassel Kaunas
Kiel Kilia
Kimpolung Kischinew Kocborowo Königsberg
Konradstein
Konstanza Köslin Kösternitz Kowno
679
Haus der NSV. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). 1933–45 Gauhauptstadt im Gau Kurhessen. Stadt mit mittelalterlicher Festung in Litauen, heute Republik Litauen (russisch und polnisch: Kowno). 1940–1990 stand Litauen unter sowjetischer Besatzung, unterbrochen von deutscher Besatzung 1941–45. – 1941 war Ritter Kommando- und Gebietsarzt im Hauptstab Kaunas im Umsiedlungskommando Litauen (Kap. I.). Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Kiel. – 1930–32 machte die Krankenschwester Dorothee Rakow hier ein Fachexamen in „Nervenpflege“. (von Rakow „Kilian“ genannt). Rumänisch Chilia. Heute Kilija/Ukraine. Alter Festungsort und bedeutende Handelsstadt mit multiethnischer Bevölkerung im Süden Bessarabiens, im östlichen Donaudelta nahe des Schwarzen Meeres. – 1940 russisch, lag Kilia etwa 150 km östlich vom Lager Galatz entfernt. Im Hafen Kilia (und westlicher in Reni) stiegen die Umsiedler aus Bessarabien von LKW und Eisenbahnen auf deutsche Schiffe um, die sie zum Lager Galatz brachten (II.C.Spur 14). Heute Câmpulung Moldovenesc/Rumänien. – 1940 Ortsbereich der Umsiedlung in der Bukowina. auch Kischinau, Hauptstadt der Provinz Bessarabien. Heute Chișinău, Hauptstadt der Republik Moldau. – 1940 einer von vier Umsiedlungsbezirken. Siehe Konradstein. Ostpreußen. Heute Kaliningrad/Russland. – 1935 überführte Schwester Dorothee mit Dr. Stoltenhoff eine Psychiatriepatientin von Dresden in eine „Landesanstalt“ in Königsberg (II.A.2). Es ist nicht klar, wohin genau. Eine Landes-Heil- und Pfegeanstalt befand sich 35 km östlich in Tapiau. Kocborowo, poln.: Cocborowo. Psychiatrische Klinik bei Starogard Gdanski/Polen. 1939–45 „Gau-Heil- und Pflegeanstalt“ bei Preußisch Stargard im neuen Reichssau Danzig-Westpreußen, mit „Kinderfachabteilung“ der „T4“ und separater Tuberkulose-Abteilung. 1939 wurden die polnischen Patienten im nahegelegenen Wald von Spengawsken (poln. Spengawsk) in einem Massengrab erschossen. Ab 1940 wurden auch Umsiedler aus Bessarabien nach ihrer Ansiedlung im Gau hier eingewiesen. (IV.F). Heute Kriegsgräber und Denkmäler zur Erinnerung an die Patientenmorde auf dem Anstaltsfriedhof. Im nahegelegenen Wald befindet sich eine Gedenkanlage mit ca. 30 Massengräbern aus der Zeit des Überfalls ab September 1939. siehe Constanza. in Westpommern. Heute Koszalin/Polen. – 1918 Erholungsaufenthalt (II.A.2). Kreis Schlawe, Westpommern. Heute Kościernica/Polen. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von NS-Schwester Aenne T. (Q3/4). siehe Kaunas.
680
Anhang
Krankau
(Krakau) nicht identifizierbarer Ort, evtl. ist Krakau (heute Kraków/Polen) gemeint. Erwähnt als Umsteigebahnhof eines Eisenbahntransports mit Umsiedlern aus der Bukowina. (Q7/9). Siehe Przemysl (Anmerkungen zur Bahnlinie Krakau). Krems in Österreich. – 1940 Umsiedlungslager im leergeräumten Kloster Göttweig für die Umsiedler aus Kurudschika/Bessarabien. Kronstadt Großstadt in Rumänien, rumänisch Brașov, auch Corona, zeitweise Orașul Stalin („Stalinstadt“), im Landesteil Siebenbürgen. Neben Hermannstadt historisches Zentrum der Siebenbürger Sachsen. – Mai 1941 Nachlese von „volksdeutschen“ Umsiedlern aus Flüchtlingslagern (II.C.Spur 6 und 18). Kulm rum. Culmea, russisch Podgornoje, heute Pidhirne/Ukraine an der Grenze zur Republik Moldau. – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.). Kulmhof Chełmno nad Nerem/Polen, im Landkreis Konin (Powiat Kolski), 10 km am Ner von der Kreisstadt Koło (1940–1945 deutscher Name Warthbrücken). Im Nachbarort Chełmno-Parcele ist die Gedenkstätte für die Opfer des Vernichtungslagers Kulmhof. Hier in der Mitte des damaligen Warthegaus, nordwestlich von Lodz, waren 1941–1943 in einem alten Herrenhaus des kleinen Dorfes die Eingangsstation eines Vernichtungslager und 4 km entfernt im Wald die Massengräber und Krematorien.89 Die Kleidung der hierhin deportierten Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt wurde in Entlausungsanstalten der Volksdeutschen Mittelstelle desinfiziert und von der NSV u.a. an „Volksdeutsche“ weitergegeben, die im Warthegau angesiedelt wurden. Vgl. Namensverzeichnis: Perthen. Kurudschika Ort in Bessarabien, rumänisch Curudjica (übersetzt: trocken). Heute, Suchuvate/Ukraine. 1936 Geburtsort meines Vaters, 1940 Umsiedlungslager Krems. Landeshut in Schlesien (poln. Kamienna Góra). Siehe Groß Rosen und Gottesberg. Landsberg Provinz Neumark/Westpommern. Heute Gorzow Wielkopolski/Polen. – an der Warthe Sitz einer Heil- und Pflegeanstalt. Adresse von NS-Schwester Anni Ho., Kladowstr. 2 (Q3/4). Leipzig (1) Ort in Bessarabien, 20 km nördlich von Tarutino. (Rumänisch Leipțig, russisch Serpenewoje, heute Serpnewe/Ukraine). – 1940 machte Schwester Dorothee eine Hofskizze von Leipzig und beschrieb das Erdbeben am Ende der Umsiedlungsaktion. Leipzig (2) Stadt in Sachsen. – 1941 waren hier Umsiedlungslager für Bessarabiendeutsche aus Leipzig/Bessarabien. Lager 159, Seeburgstr. 100; Lager 153, Elsässerstr. 1-3 (Q3/4). Lemberg 1918–1939 Lwòw/Polen, im September 1939 russisch besetzt, im Juni 1941 deutsch besetzt. 1945–1991 sowjetisch Lwow, seit 1991 Lviv/ Ukraine.
�� Vgl. Struck 2001, Chelmno, S. 33, Karte S. 14. Vgl. Wikipedia, URL: de.wikipedia.org/wiki/ Vernichtungslager_Kulmhof (Abruf 31.7.2021).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Leuna
Litzmannstadt
Lodsch Mainberg
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Gau Halle-Merseburg (heute Land Sachsen-Anhalt). Die benachbarten Leuna-Werke der IG-Farben produzierten im Zweiten Weltkrieg als größtes Hydrierwerk in Deutschland aus Kohle Benzin für Wehrmacht und Luftwaffe. Zur Belegschaft gehörten Tausende ausländische Zwangsarbeiter.90 – 1940 Wohnort oder Einsatzort von NS-Schwester Hildegard U. (Q3/4). Die polnische Stadt Łódź (deutsch Lodsch) wurde am 11. April 1940 von den deutschen Besatzern bis 1945 umbenannt nach dem General Karl Litzmann, der im Ersten Weltkrieges eine Schlacht bei Lodz gewonnen hatte. Die Großstadt mit Textilindustrie, das „Manchester des Ostens“ (Schlögel), galt vor dem Krieg als „das deutsche Herz Polens“, wo 60.000 „Volksdeutsche“ lebten und ein Drittel Juden.91 1939–1945 lag sie im neuen Reichsgau Wartheland, kurz „Warthegau“ und wurde zur größten Bevölkerungs-„Drehscheibe“ im „Generalplan Ost“: hier war sowohl der Sitz der Einwandererzentralstelle (EWZ) für die „volksdeutschen“ Umsiedler, als auch der Umwandererzentralstelle (UWZ) für die nach Westen zur Zwangsarbeit nach Westen deportierten Polen, sowie des Jüdischen Ghettos vor der sog. „Umsiedlung“ der Juden in die Vernichtungslager nach Osten. Alle Umsiedler aus Bessarabien, die nach „Schleusung“ und Einbürgerungsverfahren in den Lagern der VoMi als „O-Fälle“ für die Ansiedlung im „Osten“ vorgesehen waren, durchliefen zunächst die Station Litzmannstadt direkt vor ihrer Ansiedlung in den beiden neuen Reichsgauen Wartheland oder Danzig-Westpreußen. Als nunmehr „Reichsdeutsche“ wurden sie in Litzmannstadt vorübergehend in Lagern oder auch in leeren jüdischen Stadtwohnungen untergebracht. Im Sept. 1939, kurz nach Kriegsbeginn, wurde die NSV-Dienststelle in der Stankiewiczstr. 58 installiert; sie betrieb in L. zehn Ausgabestellen und Lager,92 in denen das „Beutegut“ umverteilt wurde. Als sog. „Manchester des Ostens“ hatte Lodz schon seit dem 19. Jh. eine große Textilindustrie. 1939 oder 1940 beschaffte Schwester Dorothee Textilien aus Webereien in Litzmannstadt (oder Warschau) für das Berliner NS-Schwesternheim und besichtigte das „Judengettho“ (II.A.2). 1941 arbeitete Helmut Ritter in einem Krankenhaus in Litzmannstadt (IV.B.). siehe Litzmannstadt. Kreis Schweinfurt in Bayern. Mainberg war ein Schloss am Ufer des Mains in der Gemeinde Schonungen. Schlossherr Willy Sachs, Fabrikant, SS-Sturmbannführer und „Reichsjagdrat“, unterstützte den NS-Parteiapparat und SS-Projekte mit hohen Spenden; zum engeren Kreis um SSFührer Heinrich Himmler zählend, bekam er 1940 eine Kiste Ölgemälde,
90 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Leuna (Abruf 1.5.2020). 91 Hebenbrock 1940, NSV nach Polen, S. 23. 92 Ebd., Abb. S. 48 (4. Bild), S. 25, 30. – Die NSV-Dienststellen im besetzten Polen erfasste die Bevölkerung und verteilte ausgewählt Essen, Kleidung und jüdische Wohnungen in Kooperation mit Wehrmacht und Gestapo. Vgl. Anm. zu Warschau.
682
Mannheim
Mannheim- Sandtorf
Mannsburg
Anhang vermutlich aus NS-Raubgut.93 – 1940 Wohn- oder Einsatzort von NSSchwester Walburga Pf. (Q3/4). Jugendherberge und Fröbel-Seminar. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Geschichte: 1899 gründeten Rosa und Dora Grünbaum einen Kindergarten nach den Leitlinien des Pädagogen Friedrich Fröbel (1782–1852), der Erzieher als „Gärtner“ betrachtete und damit die Idee der „Kindergärten“ schuf. Unterstützt von den Mannheimer Kinderärzten Julius Moses und Eugen Neter bauten die beiden jüdischen Schwestern eine Ausbildungsstätte für Erzieherinnen auf, das Fröbel-Seminar zog 1927 in ein modernes Schulgebäude im Bauhausstil im Schlosspark in der Innenstadt von Mannheim. 1933 wurden die beiden jüdischen Leiterinnen der renommierten Bildungseinrichtung entlassen, zur Zeit des IKK betreuten sie jüdische Kinder, 1940 wurden sie deportiert und ermordet. Heute Fröbel-Seminar, Fachschule für Sozialpädagogik, Rennershofstraße 2, angeschlossen an die Helene-Lange-Schule.94 Die Jugendherberge befindet sich neben dem Fröbel-Seminar auch im Schlosspark an der Rheinpromenade. 1933 wurde das Deutsche Jugendherbergswerk nach Verhandlungen in Bad Kösen (s.o.) von der Hitlerjugend übernommen und gleichgeschaltet. Die Mannheimer Jugendherberge wurde 1935/36 von der Stadt erbaut und 1936 der Hitlerjugend übergeben.95 Kindererholungsstätte. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Vermutlich das vormalige „Großherzogin Luisen-Kinderheim der H. Lanz Werke, Sandtorf.“96 Lanz war ein Landmaschinenhersteller in Mannheim. Aufgrund baulicher Ähnlichkeit heute vermutlich die nach einem Mannheimer Kinderarzt benannte Eugen-Neter-Schule, Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum am Alten Frankfurter Weg. Sandtorf lag hier in einem Waldgebiet nördlich von Mannheim in Baden-Württemberg an der Grenze zu Hessen. Alexejewka, heute Oleksijiwka/Ukraine. – 1940 einer von vier Umsiedlungsbezirken in Bessarabien.
93 Schweinfurtführer: Willy Sachs in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Mein Schweinfurt. URL: www.schweinfurtfuehrer.de/initiative-gegen-das-vergessen/willy-sachs/die-rolle-von-willy-sachsim-dritten-reich (Abruf 1.5.2020). 94 Helene-Lange-Schule, Geschichte, Rosa und Dora Grünbaum. In: URL: https://helene-langeschule-mannheim.de/portfolio/rosa-und-dora-gruenbaum/(Abruf 14.8.2021). 95 ����������������������������������������������������������������������������������� DJH Landesverband Baden-Württemberg, Geschichte 1930–1938. In: URL: https://www.jugendherberge-bw.de/ueber-uns/landesverband/geschichte/drittes-reich/ (Abruf 14.8.2021). 96 Postkarte 1930. In: URL: www.abebooks.com/paper-collectibles/Ansichtskarte-MannheimSandtorf-Grossherzogin-Luisen-Kinderheim-H-Lanz-Werke/30960110934/bd#&gid=1&pid=1 (Abruf 14.8.2021). – Vgl. aktuelle Gebäudefotos in. URL: https://eugenneterschule.de (Abruf 14.8.2021).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Mansfelde Marasesti Marburg
Marienbad Mathildendorf Meseritz- Obrawalde
Michalken
197 198 199 100
683
Kreis Friedeberg (1938–1945 im Land Neumark/Westpommern). Heute Lipie Góry/Polen. – 1940 Wohn- oder Einsatzort von Irma Gä. und Elsbeth We. (Q3/4). Ort in der Bukowina. Heute Mărășești bei Suceava/Rumänien. – 1940 erster Halt auf der Bahnstrecke, die die NS-Oberin von Galatz in die Bukowina nahm (Q3/6). Blindeninstitut und Körperschule, „Kriechschule“. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Die „Deutsche Blindenstudienanstalt“ wurde 1916 gegründet, um kriegsblinden jungen Männern des Ersten Weltkriegs eine Schul- und Berufsausbildung zu ermöglichen. 1934 wirkte sich die NS-Erbgesundheitspolitik aus, Schüler brauchten einen Nachweis, nicht erbkrank zu sein.97 Die „Kriechschule“ war eine spezielle „Bewegungsschule der chirurgisch-orthopädischen Universitätsklinik“. Ihr Direktor Prof. Dr. Rudolf Klapp, Urheber des „Klapp’schen Kriechverfahrens“, war 1933–1936 Dekan der Medizinischen Fakultät der Marburger Universität, Förderndes Mitglied der SS, NS-Ärztebund und NS-Lehrerbund.98 Auf dem IKK referierte er über „die Vierfüßlerhaltung als Grundlage für Rumpfübungen“, wie er sie auch schon 1936 „dem Internationalen Sportärztekongress und dem internationalen Studentenlager während der Olympischen Spiele in Berlin vorgeführt hatte.“99 Sudetengau. Heute: Mariánské Lázně/Tschechien). – Im Mai 1943 beaufsichtigte NS-Oberin Edith Blawert hier die „Kriegs-Mutter- und Kindheime der NSV“.100 Ort in Besssarabien, 1940 rumänisch Saralica-Veche, heute Zhovtneve (sprich: Schowtnewe)/Ukraine – Unbehandelte Kranke in einer LKWKolonne (Kap. I.). Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde am Fluss Obra (poln. Obrą) in Meseritz in Pommern. Heute in Międzyrzecz/Polen. – 1938 im Gau Brandenburg, zuständig für Patienten aus Berlin. 1939 „T4“-Zwischenanstalt. 1940 Zwischenstation für „volksdeutsche“ Patienten aus dem Baltikum vor Verlegung nach Tiegenhof (Kap. I.). im ehem. Landkreis Hoyerswerda, im westlichsten Landesteil von Niederschlesien. 1945 wurde dieser Kreis nicht wie der größte Teil Schlesiens polnisch, sondern gehörte später zur DDR. Seit 1993 Ortsteil der Stadt Hoyerswerda. (Polnischer Name Michałki) – 1940 Wohn- oder Einsatzort von Gertrud Ma. (Q3/4).
Die Blista in der NS-Zeit. URL: www.blista.de/content/die-blista-der-ns-zeit (Abruf 14.8.2021). Wikipedia. URL: de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Klapp (Abruf 18.8.2021). Exposé des Vortrages, Typoskript, Tagungsmappe IKK 1938, Nachlass Dorothee Rakow. Käthe Böttger [o.O.] an Dorothee Rakow, Peine, Brief 25.5.1943, Nachlass Dorothee Rakow. Vgl. Namensverzeichnis, Blawert.
684
Anhang
Modderwiese
Kreis Arnswalde/Friedeberg (1938–1945 im Land Neumark/Westpommern). Heute Grotów/Polen. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von Ilse Wei. (Q3/4). Mohács Ort an der Donau in Ungarn, an der Staatsgrenze zu Jugoslawien (heute Serbien und Kroatien). Deutscher Name Mohatsch. Aufgrund der Besiedlung mit Donauschwaben nach der Vertreibung der Türken im 17. Jahrhundert trug die Region um M. auch die Bezeichnung „Schwäbische Türkei“. – 1940 Landgang des Umsiedlungskommandos auf der Hinfahrt nach Bessarabien (Q5/C9). Moskau Москва́, Hauptstadt Russlands. 5.9.1940 deutsch-sowjetischer Umsiedlungsvertrag. München „Hauptstadt der Bewegung“, in der die NSDAP 1919 gegründet wurde, Sitz des „Braunen Hauses“. – Studienort für Medizin von Helmut Ritter, neben Greifswald und Berlin. Nach dem Krieg Anfrage eines Münchener Professors nach dem Verbleib von Umsiedlerakten (Kap. I.). – November 1941 Zielbahnhof von Schwester Dorothee bei der Rückkehr aus der Bukowina (II.C.Spur 16). Neu-Elft auch: Fere Champenoise II, heute Novoselivka, Ukraine. – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.). Neuendettelsau „Pflegeanstalt und Schule für schwachsinnige und epileptische Kinder“. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3), südwestlich bei Nürnberg in Bayern. 1854 wurde in dem Dorf N. das Mutterhaus der Diakonissen gegründet, darauf entstand eine der frühesten geschlossenen Großanstalten für Behinderte, die sich später auf Filialen im Schloss Polsingen und Bruckberg ausweitete. Nach 1933 wurden die kirchlichen Anstalten und auch die Einrichtungen der Diakonissenanstalt (Lehrerinnenseminar, Schule) von NS-Organisationen beschlagnahmt und umgenutzt. 1940/41 wurden die Pfleglinge in staatliche Anstalten verlegt, u.a. in die „T4“-Tötungsanstalt Hartheim. Nach der Räumung wurden in den Gebäuden „volksdeutsche“ Umsiedler aus Tirol untergebracht. Von den 1.700 Pfleglingen der Neuendettelsauer Anstalten wurden 1.200 im Rahmen der „Aktion T4“ ermordet.101 Heute erinnert ein Mahnmal bei einer Kirche an die „Euthanasie“-Opfer aus N. Neuenhagen 1933–1939 im Gau Kurmark, ab 1939 Gau Mark Brandenburg. Heute b. Berlin am östlichen Stadtrand von Berlin im Bundesland Brandenburg. – 1936 Arbeitstagung für NS-Schwestern des Gaues Kurmark in der TheodorFritsch-Schule (II.A.2; II.A.3).
101 Evangelisches Bildungswerk Rothemburg/Tbr, Rothemburg unterm Hakenkreuz. URL: www. rothenburg-unterm-hakenkreuz.de/euthanasie-iii-neuendettelsauer-pflegeeinrichtung-im-griffder-gnadenlosen-t4-aktion-vernichtung-lebensunwertes-lebens-rund-1-200-patienten-wurdengetoetet/ (Abruf 17.8.2021).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Neumecklen- burg Nürnberg Ofen
Oldenburg Ording
Orsova
Orzesche b/Nickolai
685
Kreis Friedeberg, östliche Mark Brandenburg, bei Soldin, Pommern. Gemeinde mit gut 1.000 Einwohnern. Heute Zwierzyn, Powiat StrzeleckoDrezdenecki, in Polen. – 1935 wurde Schwester Dorothee hier NS-Gemeindeschwester und Mitglied der NS-Frauenschaft (II.A.2). in Bayern, Ort der Nürnberger Gesetze, der Reichsparteitage und später der Nürnberger Ärzteprozesse (Kap. I., II.). Trauer- und Gedenkanlage für die Opfer der NS-„Euthanasie“ in der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt“ Wehnen auf dem evangelischen Friedhof. Konzept „Kissen“, Schlechter/Janzen 2001 für den Gedenkkreis Wehnen e.V. (Einleitung). in Niedersachsen. 1935 Vereidigung der NS-Schwestern mit dem Gauleiter Weser-Ems, mit Käthe Böttger, die danach Reichsvertrauensschwester wurde (II.A.2). Heute Standort des Nachlasses von Dorothee Rakow. an der Nordsee. Heute St. Peter-Ording, „Nordseeheil- und Schwefelbad“, Kreis Nordfriesland/Schleswig-Holstein. 1935 Bau des „Hermann Göring Koogs“ als Mustersiedlung einer nordisch-arischen Rasse. – 1936 hielt sich Schwester Dorothee drei Monate in Ording auf (II.A.2). – Nach dem Krieg leitete ein SS-Mann hier ein Kinderheim, das möglicherweise auch schon früher bestand.102 Orșova, rumänischer Ort an der Donau. Deutscher Name Orschowa, Orsowa. Traditionell gehörte der größte Teil der Einwohner ethnischen Minderheiten an, darunter waren auch die „Banater Berglanddeutschen“. – 1940 Landgang des Umsiedlungskommandos auf der Hinfahrt nach Bessarabien (Q5/C10). im Kreis Pleß. Der Landkreis Pleß (heute: Pszczyna/Polen)103 war bis 1918 und während der deutschen Besetzung Polens von 1939 bis 1945 ein neuer Landkreis im Regierungsbezirk Kattowitz in Ostoberschlesien. Nach dem Überfall wurde das polnische Dorf Orzesze mit der damals deutschen Schreibweise Orzesche bei der Kleinstadt Nikolai (poln: Mikołów) bis Kriegsende nicht mehr wie geplant in Georgenfeld O.S. umbenannt.104 – Im Juli 1940 war „Schw. E.“ dort zur NS-Gemeindestation abkommandiert (II.A.3, 1940).
102 Das Kinderheim Seeschloß in St. Peter Ording wurde 2021 bei der Spurensuche früherer „Verschickungskinder“ der 1950er–80er Jahre als ein Ort größter körperlicher und seelischer Grausamkeit entlarvt. Ihr damalige Heimleiter, vormals Generalmajor der Waffen-SS und letzter Kommandeur der SS-Panzerdivision Hitlerjugend, habe mit ihnen die „schwarze Pädagogik“ seiner Vergangenheit weitergeführt. In: Röhl, Anja: NS-Zusammenhänge von Verschickungen, Pressemitteilung 26.12.2021, in: Verschickungsheime, das vergessene Trauma. URL: verschickungsheime.de/ns-zusammenhaenge (Abruf 5.8.2022). 103 Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Familienforscher, Landkreis Pleß. URL: https://agoff.de/?p= 26146 (Abruf 13.12.2020). 104 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Landkreis_Pleß (Abruf 13.12.2020); URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Orzesze (Abruf 13.12.2020).
686 Pabianice
Paris „Passau“
Peine
Peterswaldau
Pirna- Sonnenstein
Posttal
Anhang südwestlich von Lodz, 1939–1940 deutscher Name Burgstadt. 1940 wurden die Juden der Stadt in ein Ghetto getrieben und von dort ins Ghetto Litzmannstadt verlegt bzw. in Kulmhof ermordet. – 1941 wurden in P. fast 12.000 „volksdeutsche“ Umsiedler aus Wolhynien, dem Baltikum und Bessarabien untergebracht. 1942 war hier und in Zgierz eine Entlausungsanstalt der Volksdeutschen Mittelstelle, aus der die NSV Kleidung der Ermordeten aus Kulmhof bezog, vgl. Namensverzeichnis: Perthen. Ort in Bessarabien (dt. und rum. Paris). Heute Veselyi Kut, Oblast Odessa/Ukraine. Stadt in Bayern an der Grenze zu Österreich. Durch die „Drei Flüsse Stadt“ verbindet die Donau Deutschland mit Österreich. – Auf dem politischen Hintergrund der 1938 erfolgten Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich wurde ein neues großes Donaudampfschiff der DDSG nach diesem symbolischen Ort benannt. 1940 brachte die „Passau“ NSSchwestern von Wien zum Lager Prahovo/Jugoslawien und vom russischen Hafen Reni nach Prahovo (II.C.Spur 9). in Niedersachsen. In O. bei Peine waren Werkswohnungen der Ilseder Hütten, die zu den Hermann-Göring-Werken Salzgitter gehörten. – 1942 bis 1957 Wohnort von Schwester Dorothee nach ihrer Heirat als Dora P. (II.A.2). im Eulengebirge (s.o.) in Schlesien, schlesisch Pitterschwale. Heute Pieszyce/Polen. 1944–45 war in P. ein Außenlager des KZ Groß-Rosen, in dem über 1.000 jüdische Frauen für den Rüstungsbetrieb Diehl arbeiteten.105 Sie waren einem Schloss untergebracht, in dem ab 1943 der Dienstsitz des Lagerführers des Lagerkomplexes Peterswaldau-Langenbielau war. – In einem großen Schloss auf einem bewaldeten Berghang war auch das Sanatorium Ulbrichshöhe, das auf alten Ansichtskarten ebenso unter Peterswaldau als unter Steinseifersdorf (polnisch Rościszów) zu finden ist. – 1941 war dieses Sanatorium die Postadresse von Schwester Dorothee (II.C. Spur 18). Schloss in Sachsen. 1940/41 als „Heil- und Pflegeanstalt“ „T4“-Anstalt „D“ mit 13.720 Ermordeten. Einer der Tötungsärzte unter dem Pseudonym „Dr. Bader“ war hier Klaus Endruweit, der 1938 mit anderen Medizinstudenten aus Würzburg Studien im Ort Teplitz in Bessarabien gemacht hatte. 1940–1942 war auf dem Gelände auch ein Umsiedlerlager für „Volksdeutsche“ aus Wolhynien, Galizien und Bessarabien. Heute Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. Alt-Posttal (Malojaroslawetz II, rumänisch Malu-Mic, heute Malojaroslawez Druhyi/Ukraine) bzw. Neu-Posttal (rum. Postal, heute Dolynivka/ Ukraine). – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.).
105 Ab 1944 gab es 45 Außenlager des KZ Groß-Rosen in der Region Niederschlesien und Sudeten, in der Zwangsarbeiter für SS und deutsche Firmen arbeiteten. In Peterswaldau war es der Rüstungskonzern Diehl. – Vgl. Rudorff 2014, Frauen in KZ Groß-Rosen; Liste der Frauenlager des KZ Groß-Rosen, S. 424–426; topografische Kartenübersicht, S. 427.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Prahovo
Pruth
Przemyśl
Radautz
Radewisch Reni
687
Stadt in Serbien an der Donau beim „Eisernen Tor“ im Dreiländereck zwischen Serbien, Rumänien und Bulgarien, mit eigenem Hafen, drei Bahnhöfen. Grenzübergang zu Rumänien. Als Kriegsschauplatz bereiten die Schiffe der dort 1944 in der Donau versenkten deutschen Kriegsflotte der Donausschifffahrt noch heute Probleme.106 – 1940 Zeltstadt als Zwischenlager für 5.000 Umsiedler. Hier (sowie in Semlin) stiegen sie nach einem Zwischenhalt von den Schiffen auf Eisenbahnzüge um. Von den hier eingesetzten NS-Schwestern sind keine Briefe und Berichte im Nachlass von Schwester Dorothee vorhanden (II.C.Spur 9). Nebenfluß der Donau, lateinisch Pyretus, rumänisch Prut. Westlicher Grenzfluß Bessarabiens, der ins Donaudelta am Schwarzen Meer mündet. – Im Sommer 1940 wurde die Brücke über den Pruth nach der russischen Besetzung Bessarabiens als Grenzübergang zu Rumänien gesprengt. Bei der Umsiedlung im Herbst wurde der Grenzübergang mit einer schwimmenden Pontonbrücke wiederhergestellt, die abends eingezogen wurde. Sankra-Wagen und Pferdetrecks mit Umsiedlern konnten so aus Bessarabien ins Lager Galatz nach Rumänien gelangen. Stadt an der südöstlichen Grenze Polens mit wichtigem Grenzbahnhof an der Strecke Krakau (Krakow/Polen)–Lemberg (Lwiw/Ukraine). Wegen seiner strategischen Lage war hier seit dem 19. Jh. eine der größten Festungsanlagen Europas.107 – Bei der Umsiedlung aus der Bukowina war hier vom 21.Oktober bis 14. November 1940 eine Ausweichstrecke (Q7/9, Kommentar). In den Nachlass-Dokumenten ist der Ort nicht erwähnt, er betrifft jedoch San, Sanok und „Krankau“. Heute Rădăuți/Rumänien. Radautz war einst jüdisches Zentrum der Bukowina, 1941 wurden die jüdischen Einwohner nach Transnistrien deportiert und ermordet. – Im November 1940 Sitz des Gebietsstabs der SüdBukowina-Umsiedlung. Einsatzstelle von NS-Oberin Rakow mit NSVVerpflegungsstelle in der Zieselgasse, heute Strada Iraclie Porumbescu 8, mit NSV-Kleiderkammer in der Halle einer früheren Stellmacherei in der Hausnummer 6 (vgl. Kommentar zu Q5/O1, sowie II.C.Spur 16). „in Thüringen“, vermutlich Rodewisch in Sachsen an der Grenze zu Thüringen. – Am 9.5.1945 kam Hellmut Ritter hier in amerikanische Gefangenschaft (Kap. I.). Heute Рені/Ukraine. Alter Festungsort und Handelsstadt im Süden Bessarabiens im Donaudelta, mit Hafen an der Mündung des Grenzflusses Pruth zu Rumänien. – 1940 russisch, 20 km vom Lager Galatz entfernt. Im Hafen Reni (und östlicher in Kilia) stiegen die Umsiedler aus Bessarabien von LKW und Eisenbahnen auf deutsche Schiffe um, die sie zum Lager Galatz nach Rumänien oder gleich weiter zu den Donaulagern Prahovo oder Semlin brachten (II.C.Spur 14).
106 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Prahovo (Abruf 1.5.2021). 107 ������������������������������������������������������������������������������������������� Kriegsvorbereitungen und Festungsbau. In: Via Regia. URL: http://www.erinnerungspfad-viaregia.eu/Kriegsvorbereitungen.php (Abruf 2.5.2020).
688 Reval Riga Rothenburg ob der Tauber
Sachsenburg
San
Sandtorf Sanok
Anhang deutscher Name für Tallinn, Hauptstadt von Estland. (lettisch Rīga) Hauptstadt von Lettland. 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3) auf der Strecke von Frankfurt am Main nach Neuendettelsau in Bayern. Empfang der ausländischen Gäste mit Bürgermeister. Die mittelalterliche Vorzeigestadt der Nationalsozialisten hatte Erfahrung als Gastgeber, Massenauftritte wurden nach immer demselben Programm vollführt, z.B. waren hier 1935 auch 1.400 Jugendliche von „Auslanddeutschen“ aus aller Welt in 45 Reisebussen empfangen worden.108 bei Frankenberg in Sachsen. In dem Schloss war seit 1933 eine Gauführerinnenschule der NS-Frauenschaft Sachsen, später „gegen Ende des Zweiten Weltkrieges [...] bakteriologisches Institut (Außenstelle des RobertKoch-Instituts)“.109 Prof. Hauboldt hatte hier seinen Dienstsitz als Leiter der „Forschungsstelle für Auslandsmedizin und Siedlungsbiologie“.110 1945 Ausweichstelle des „Umsiedlergesundheitsdienstes“ der Reichsärztekammer Berlin unter Leitung von Helmut Ritter, der im Auftrag von Haubold hier Akten der Auslandabteilung verbrannte (Kap. I.B.; Kap. II.B. Spur 2). Nach dem Krieg war das Schloss Wohnort für Umsiedler.111 Vgl. auch Saulgau. Deutsch Saan. Nebenfluss der Weichsel in Südostpolen im Grenzgebiet zur Ukraine. – 1939, nach der Besetzung und Aufteilung Polens, wurde der San im geteilten Bereich Galiziens vorübergehend zum Grenzfluss zwischen dem Deutschem Reich und der Sowjetunion. Im November 1940 war die Eisenbahnbrücke, die bei Sanok über den San führte der Grenzübergang, auf dem die „Volksdeutschen“ aus der Nordbukowina in das besetzte Polen bzw. in das vom „Deutsche Reich“ verwaltete „Generalgouvernement“ überführt wurden (Q7/9). Vgl. Przemysl und Sanok. siehe Mannheim. Sog. Freie Königsstadt im Südosten Polens am Grenzfluss San (s.o) gelegen. Deutsch veraltet Saanig. Heute Sanok/Polen. Die alte Garnisonstadt der k.u.k. Monarchie Österreichs, seit 1918 polnisch, 1939 deutsch besetzt, lag 1940 direkt an der „Molotow-Linie“112 Diese Verteidigungslinie mit Bunkerbauten wurde 1939 von der Sowjetunion im besetzten
108 Evangelisches Bildungswerk Rothenburg/Tbr, Rothenburg unterm Hakenkreuz. URL: www. rothenburg-unterm-hakenkreuz.de/inszenierte-empfaenge-propagandistischer-massen-besuchemit-musik-fahnen-und-sieg-heil-reden-1-400-auslandsdeutsche-jugendliche-und-800-sudetendeutsche-zwei-beispiele/ (Abruf 17.8.2021). 109 Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sachsenburg (Abruf 2.1.2021). 110 Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmut_Haubold (Abruf 2.1.2021). 111 Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sachsenburg (Abruf 2.1.2021). 112 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Molotow-Linie (Abruf 2.5.2020). Heute werden solche Schauplätze erinnerungstopografisch erschlossen wie im Projekt der Geschichtswerkstatt Europa 2011: Via Regia. Kulturstraße des Europarates. E40-Ein Erinnerungspfad in Europa. URL: www.erinnerungspfad-viaregia.eu/Projekt.php (Abruf 2.5.2020).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche
Sarata
Saulgau
Schippach
Schlesien
Schweidnitz Semlin
689
Ostpolen errichtet, sie führte entlang der im geheimen Zusatzprotokoll des Deutsch-Sowjetischen Vertrages vereinbarten Grenze zum Deutschen Reich bzw. zum „Generalgouvernement“. – Im November 1940 war hier während der Umsiedlungsaktion aus der Nordbukowina eine NSV-Verpflegungstelle (Q7/9). Ort in Bessarabien, rumänisch Sărata. Heute Сарата/Ukraine. Sitz der einzigen deutschsprachigen Lehrerbildungsanstalt im früheren Zarenreich, außerdem Sitz eines Krankenhauses, Leiter Dr. Dobler, sowie des von Diakonissen betreuten Altersheims für Frauen „Heim Elim“ und der „Barmherzigkeitsanstalt Alexander-Asyl“, deren Pfleglinge 1940 im Sondertransport umgesiedelt wurden. (Sießen) Bad Saulgau, Landreis Sigmaringen in Württemberg. Das Franziskanerinnen-Kloster Sießen in Bad Saulgau wurde 1935–1938 von den Nationalsozialisten samt Inventar und Ländereien enteignet und von 1940 bis 1945 von der Volksdeutschen Mittelstelle „zur Unterbringung von Auslandsdeutschen beschlagnahmt.“113 – Im November 1940 war der Ort Saulgau Endstation eines Umsiedlerzuges aus der Bukowina (Q7/9). Im März 1945 wurde das „Lager Sießen-Saulgau“, also das Kloster, zur Ausweichstelle der Berliner Auslandabteilung der Reichsärztekammer (Kap. I.B.). Vgl. Sachsenburg. Kreis Miltenberg. Idyllisches Kirchdorf in Unterfranken, heute Ortsteil der Stadt Miltenberg, Bayern. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von Schwester Hertha K. (Q3/4), die im Lager Galatz als Köchin in der Säuglingsküche arbeitete (Q2/C36). Region in Mitteleuropa, lateinisch Silesia. Heute zum größten Teil in Polen, polnisch Śląsk. 1938 kam das westliche Niederschlesien (Hauptstadt Breslau) und das östliche Oberschlesien (Hauptstadt Kattowitz) wieder zu Deutschland, während das noch östlichere Industriegebiet Ostoberschlesien (Polnisch Schlesien), wo auch Auschwitz (Oświęcim) lag, erst nach dem Überfall 1939 vom „Deutschen Reich“ übernommen wurde. – 1940/41 spielte Schlesien topografisch eine zentrale Rolle bei den Krankentransporten aus Bessarabien. Erst im Laufe unserer weiteren Forschungen ab 2008 stellte sich heraus, dass „Reservelazarette“ in Schlesien die ungenannten Ziele waren. Bei der Spurensuche nach verdeckten Vorgängen liegt daher rückwirkend ein besonderes Augenmerk auf Bezüge zu Schlesien. Siehe Badenau, Gottesberg, Karlsbrunn, Peterswaldau, Orzesche, Schweidnitz, Triangel. in Schlesien. Heute Świdnica/Polen. Nur wenige Kilometer südwestlich war nach 1940 in Waldenburg ein Außenlager des KZ Groß-Rosen. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von NS-Schwester Susanne Wi.(Q3/4). bei Belgrad/Jugoslawien. Heute Zemun/Serbien, seit 1945 Bezirk der Hauptstadt Belgrad. Semlin ist eine Halbinsel vor der Mündung der Save
113 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Sießen (Abruf 1.5.2021).
690
Siebenbürgen Sießen Soldau
Soldin
Spengawsk Stargard Stargard Steinatal
Anhang in die Donau, historische Grenz- und Zollstation und 1914 Schauplatz des ersten Angriffs im Ersten Weltkrieges. 1815 war ein Ortsteil Semlins von eingewanderten Donauschwaben gegründet worden. Nach der deutschen Okkupation Jugoslawiens von 1941 bis 1944 befand sich in Semlin das Konzentrationslager Sajmište (serbisch Messegelände). 1942 wurden Tausende Menschen in Gaswagen während der Fahrten durch die Stadt Belgrad ermordert.114 – Vor diesen Verbrechen war das Lager Semlin Schauplatz der „Heim ins Reich“-Umsiedlung gewesen: 1940 hatte der „Arbeitsdienst“ der jugoslawischen „Volksdeutschen“ einen riesigen Lagerkomplex mit 70 Großzelten für je 300 bis 500 Umsiedler, Lautsprecheranlagen und einen 15 m hohen Wachtturm errichtet.115 In diesem Durchgangslager für jeweils 10.000 Personen überbrückten die Umsiedler aus Bessarabien und Dobrudscha die Wartezeit bis ihre Eisenbahnzüge Richtung Westen gingen. Landesteil im Zentrum Rumäniens, auch Transsylvanien, rumänisch Ardeal oder Transilvania. Siehe Hermannstadt, Kronstadt. siehe Saulgau. in Ostpreußen. Heute Działdowo/Polen. Während des Krieges befand sich hier ein Lagerkomplex. – 1942 Trachombehandlung von Umsiedlern aus Bessarabien im Amalienhof (poln. Malinowo) bei Soldau. Ende 1944 evakuierte Dr. Ritter ein „volksdeutsches Umsiedlungslager“ aus der „Lagergruppe Soldau“ nach Westdeutschland (beides Einleitung). in der Neumark, Westpommern. 1933–1939 im Gau Kurmark, ab 1939 Gau Mark Brandenburg. Heute Myślibórz/Polen, an der nordwestlichen deutschen Grenze. – 1899–1914 Kindheit und Jugend von Dorothee Rakow. 1935 kehrte sie in die Heimat zurück als NS-Gemeindeschwester im Nachbarort Neumecklenburg (s.o.) und wurde „Gauvertrauensschwester“ des NSDAP-Gaues Kurmark (II.A.2). Siehe Konradstein. in Pommern bei Stettin. Bis 2015 Stargard Szczeciński, heute Stargard/ Polen. – 1903 erlitt Dorothee als Kind hier einen traumatischen Unfall (Kap II.A.2). (Preuß. Stargard) Starogard Gdanski/Polen. Siehe Konradstein. „Reichsseminar für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen der NSV“. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3) im Landkreis Ziegenhain, Gau Kurhessen, nordöstlich von Marburg. Ab Mitte der 1930er Jahre wurde in einem Forsthaus, das vordem eine Landwirtschaftsschule war, die Reichskindergärtnerinnenschule mit Musterkindergarten und Kinder-
114 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Sajmište; Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Zemun; Zur genauen Lage des KZ vgl.: The Open University: Semlin Judenlager in Serbian public memory. URL: www.semlin.info (Abruf 2.5.2020). Es ist nicht genau auszumachen, ob das Gelände des Durchgangslagers 1940 identisch ist mit dem KZ-Gelände ab 1941. 115 Fiebrandt 2014, Auslese, S. 312f.
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche
691
erholungsheim eingerichtet. Heute Gymnasium Melanchthon-Schule in Steinatal, Ortsteil der Gemeinde Willingshausen.116 Steinseifersdorf Rościszów/Polen. Siehe Peterswaldau. Sternberg (Ostsudetenland) Sommerfrische Obergund. Heute Šternberk/Tschechien. Obergrund (tschechisch Horní Žleb) war eine Siedlung in Sternberg. Im Ostsudetenland (tschechisch Jeseník) lag auch das Altvatergebirge (tschechisch Hrubý Jeseník). Sternberg im Reichsgau Sudetenland war Standort einer Gau-Heil- und Pflegeanstalt Sternberg, sie diente als Sammelanstalt für Verlegungen in die „T4“-Tötungsanstalten Pirna und Hartheim, bevor sie danach durch die SS umfunktioniert wurde. – Im Juni 1940 begleitete eine NS-Schwester einen Kindertransport nach Sternberg (Kap. II.A.2, 1940). Stetten im Remstal, „Wü. Hoh“ (Gau Württemberg-Hohenzollern). Im Schloss war seit 1864 eine Heil- und Pflegeanstalt, deren behinderte Kinder im Herbst 1940 u.a. Opfer der „Euthanasie“-Morde in der „T4“-Anstalt Grafeneck wurden.117 Nach der Räumung wurde das Schloss anschließend bis 1943 Umsiedlungslager für Bukowinadeutsche. Danach wurde es Ausweichkrankenhaus der Stadt Stuttgart und Unteroffiziersschule, seit 1945 wieder Pflegeheim. Stralsund in Pommern. – 1932–1933 war Schwester Dorothee hier Hilfspflegerin in der Provinzial-Heilanstalt (II.A.2). Striegau Strzegom/Polen, Bahnstation zur heutigen KZ-Gedenkstätte Groß-Rosen (Rogoznica/Polen). – 1940 Ziel des Lazarettzuges aus dem Umsiedlungslager Galatz, das 2007 noch unbekannt war. (II.C. Spur 18). Stuttgart Hauptstadt Würtembergs. 1936 von Hitler zur „Stadt der Auslandsdeutschen“ erklärt, Sitz des VDA und DAI, in Kooperation dem Verband der Deutschen aus Russland (VDR), den Karl Stumpp in Stuttgart vertrat. – Heute Sitz des Heimathauses des Bessarabiendeutschen Vereins e.V. – 1940 Wohnort von Anny und Waldemar P. im „Umsiedlungslager 24“. (Q3/4). Tallin siehe Reval. Tapiau Kreis Wehlau/Ostpreußen (Poln. Tapiewo). Seit 1945 Gwardejsk, Oblast Kaliningrad/Russland. Sitz eines Kreiskrankenhauses, einer ProvinzialBesserungs-Anstalt und einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt.118 Bis 1942 wurden die Patienten i.R. der „T4“-Aktion verlegt und die Landesanstalt ein Lazarett. – Siehe Königsberg. Tariverde 1878 gegründeter evangelischer Ort in der Dobruscha, Gemeinde Cogealac. Historischer Name Dorotea. 1940 und bis heute Tariverde/Rumänien. 116 Wikipedia. URl: https://de.wikipedia.org/wiki/Melanchthon-Schule_Steinatal#cite_note-3 (Abruf 14.8.2021). 117 Kalusche 2011, Schloss an der Grenze. URL: www.das-schloss-an-der-grenze.de/ (Abruf 1.5. 2020). 118 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Provinzial-Heil-_und_Pflegeanstalt_Tapiau (Abruf 4.8.2021).
692 Tarutino
Teplitz Teschen
Tiegenhof
Todenhagen Transnistrien
Triangel
Tscherbeney Tübingen
Anhang Heute Tarutyne/Ukraine. Ort in Bessarabien mit zentralem Marktplatz, noch heute große „Bessarabien“-Volksfeste zur Erinnerung an das traditionelle multiethnische Zusammenleben. Bis zur Umsiedlung 1940 war die frühere „Mutterkolonie“ deutscher Einwanderer ein „Zentrum der Deutschen“ mit Knabengymnasium, Mädchenlyceum, Krankenhaus und Altenheim. – 1940 Sitz des Hauptgebietsstabes bei der Umsiedlung. Ort in Bessarabien, rumänisch Toplița. Heute Teplyzja/Ukraine. 1938 volkskundliche Studien mit einer Würzburger Studentengruppe (Kap. I.). 1939–1945 Teschen in Oberschlesien. Seit 1945 Cieszyn, Teil der polnisch-tschechischen Doppelstadt Cieszyn/Polen bzw. Český Těšín/Tschechien. Geteilte Grenzstadt in Sudetenschlesien mit gemischter Bevölkerung und wechselnder Staatszugehörigkeit. Ursprünglich auf österreichisch-schlesischem Gebiet, wurde die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg geteilt zwischen Polen und Tschechien, 1938 von Polen ganz besetzt, 1939 beim Überfall auf Polen von Deutschland besetzt. – 1940 war Helmut Ritter im Anschluss an die Umsiedlung der Wolhyniendeutschen Lagerarzt in Teschen in drei Umsiedlungslagern in Schulgebäuden (Kap. I.). 1939–1945 deutsche Bezeichung für die Gau-Heilanstalt in der Siedlung Dziekanka (deutsch Dekanat) in Gnesen (Gniezno/Polen) im Warthegau. 1940/41 Sammelanstalt für „volksdeutsche“ Patienten der Sondertransporte mit Heimpfleglingen verschiedener „Heim ins Reich“-Umsiedlungen. Aus Bessarabien kamen hier die Pfleglinge des Alexanderasyls Sarata an. siehe Damgarten. östlich von Bessarabien hinter dem Fluss Dnister (Djnestr) gelegenes Gebiet, heute Teil der Republik Moldau als Pridnestrowische Moldauische Republik, kurz Pidnestrowien oder PMR (Pridnestrowskaja Moldawskaja Respublika). Ortsteil von Sassenburg bei Gifhorn in Niedersachsen. „Haus Triangel“, heute ein Heim der Diakonie, war ein großer Gutshof, der 1936 vom Reichsnährstand als Bauernschule genutzt wurde. 1940–45 wurde das Gut ein Lazarett und blieb bis 1960 Lungenheilstätte.119 – 1945 evakuierte Helmut Ritter ein „volksdeutsches“ TBC-Krankenhaus aus Schlesien nach Triangel zu Dr. Schaff. 1940 umbenannt in Grenzeck (s.o.). Heute Chermna/Tschechien. Siehe Grenzuk. Universitätsstadt in Baden-Württemberg. In den 1930er Jahren gab es einen Austausch mit Studenten aus Bessarabien bzw. Studien in Bessarabien. – 1940 war Prof. Fischer als Leiter der tropenmedizinischen Abteilung der Uni Tübingen bei der Umsiedlung beteiligt (Kap. I., II.).
119 Die Geschichte des Hauses Triangel. In: Wolfsburger Allgemeine Aller Zeitung, 14.6.2018. URL: https://themenwelten.waz-online.de/die-geschichte-des-hauses-triangel-38302 (Abruf 25.7.2021).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche Tulcea
Tutzing
Ulbrichshöhe Ullersdorf
Villach
693
Deutscher Name Tultscha. Heute Tulcea/Rumänien. Hafenstadt im Donaudelta auf der südlichen Donauseite in der Dobrudscha. Bis 1878 bulgarisch, 1940 immer noch vor allem von Bulgaren besiedelt. – 1940 Einsatzort der NS-Schwestern Friedel und Sigrid bei der DobrudschaUmsiedlung. am Starnberger See/Bayern. Ab 1933 Wohnort und später Grabort von Mathilde und Erich Ludendorff, auf die der germanisch-völkische Weltanschauungsverein zurückgeht.120 Die „Philosophin“ Mathilde Ludendorff (1877–1966) war eine der ersten Medizinstudentinnen gewesen. Hier könnte es Zusammenhänge mit der geistigen Schulung von NSOberinnen in Tutzing geben, da die NS-Schwesternschaft ein ebenso religiöser antikirchlicher und antisemitischer Eliteorden war. – 1938 Standort einer Oberinnenschule der NS-Schwesternschaft. 1944 Ausweichstelle des NS-Reichsbund Deutscher Schwestern (II.B.Spur 2). Das Gebäude mit Seegrundstück gehörte zum Komplex eines direkt dahinter liegenden Klosters der Missions-Benediktinerinnen, das während der NS-Zeit beschlagnahmt und Napola war. Heute ist im Gebäude der ehemaligen NS-Oberinnenschule eine Realschule der Erzdiozöse Augsburg. Adresse: Hauptstraße 12-14. Hinter dem imposanten Kloster befindet sich ein Krankenhaus mit Ärztehaus (Recherchen vor Ort, Juni 2022). siehe Peterswaldau. an der Biele, Kreis Glatz, Schlesien (Niederschlesien, Bezirk Breslau). Heute Ołdrzychowice Kłodzkie/Polen In Ullersdorf gab es ein Kinderheim und ein Schwesternheim.121 Im Schloss wurde 1943 ein Musikarchiv aus Berlin untergebracht. – 1940 Wohnort oder Einsatzort von NSSchwester Friedel Leo. (Q3/4, Q6/22). Stadt an der östlichen Grenze von Österreich (seit 1938 Gau Ostmark). Aufgrund ihrer Lage wurde sie ein Verkehrsknotenpunkt bei den Deportationen, die Adolf Eichmann von Wien aus regelte: „Von 1938 bis 1945 waren die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ein Teil der Deutschen Reichsbahn und eine der wichtigsten Stützen des nationalsozialistischen Staates.“122 – 1940 kamen auch die Eisenbahnzüge mit den „Volksdeutschen“ aus den jugoslawischen Zwischenlagern Semlin und Prahovo über Graz (s.o.) und Villach im Gau Ostmark des „Großdeutsche Reichs“ an.
120 ���������������������������������������������������������������������������������������� Akademie für Politische Bildung Tutzing, 1961, URL: www.apb-tutzing.de/60jahre/akademiemosaik/entschiedenes-nein-zur-ludendorffstrasse; sowie: Ludendorff, URL: https://ludendorff. info/der-bund-fuer-gotterkenntnis/geschichte/ (Abruf 1.5.2021). – Vgl. Ach/Pentrop 2001 [vor 1977], Hitlers Religion. 121 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Ansichtskarten von Ullersdorf, Kreis Glatz. In: Schlesierland: Postkarten. URL: www.schlesierland.de/grafschaft-glatz/ullersdorf/GGUllersdorfKarte/ggullersdorfkarte.html (Abruf 2.5.2020). 122 ������������������������������������������������������������������������������������� Diesem Thema widmete die ÖBB zum 175-jährigen Jubiläum der österreichischen Eisenbahnen 2012 die Ausstellung: Verdrängte Jahre. Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938– 1945, seit 2016 Dauerausstellung in St. Pölten. In. ÖBB. URL: https://konzern.oebb.at/de/ vielfaeltige-oebb/verdraengte-jahre (Abruf 5.2.2020).
694 Waldenburg Warschau
Warthegau
Wehnen
Weißenburg
Anhang Außenlager der KZ Groß Rosen. Heute Walbrzych/Polen. Siehe Schweidnitz. Warszawa/Hauptstadt von Polen. 1939 kooperierte die NSV beim Überfall auf Polen mit Wehrmacht, Propaganda-Kompanie und Gestapo. Direkt nach der Zerstörung der Stadt Warschau brachte die NSV täglich Nahrung für die Obdachlosen in ungleichen Rationen an Polen, Reichsund „Volksdeutsche“ über ein Kartensystem, von dem Juden ausgeschlossen, aber mit erfasst wurden. An sechs NSV-„Versorgungsstellen“ im zerstörten Warschau verteilte die NSV Kleidung an „Reichs- und Volksdeutsche“ und wies ihnen in Kooperation mit der Gestapo jüdische Stadtwohnungen zu. Auch die NSV hatte ihren Dienstsitz in einem jüdischen Haus eingenommen. Für die „seelische Wiederaufrichtung“ der nach der Zerstörung Warschaus obdachlos gewordenen „volksdeutschen“ Bevölkerung sorgten rund 800 NS-Schwestern und 500 Reichsbundschwestern „an vorderster Front“.123 – 1939 oder 1940 war auch Schwester Dorothee im besetzten Polen, und zwar u.a. auch in Litzmannstadt (s.o.) oder in Warschau und besichtigte u.a. das „Judenghetto“ (II.A.2). Kurzwort für „Reichsgau Wartheland“ (polnisch Okręg Warcki), 1939– 45 im besetzten Polen. Hauptstadt Posen (poln. Poznań) unter Gauleiter Arthur Greiser. Hier und ebenso im neuen „Reichsgau Danzig-Westpreußen“ wurden die umgesiedelten „Volksdeutschen“ nach bestandenen Einbürgerungsverfahren ab 1941 in polnischen Häusern „angesiedelt“. Litzmannstadt (poln. Łódź) im östlichen Warthegau spielte eine zentrale Rolle bei den Umsiedlungen. bei Oldenburg. 1933–45 „Heil- und Pfegeanstalt“, heute Karl-JaspersKlinik. Seit 2004 NS-Gedenkstätte „Alte Pathologie“ in der ehemaligen Prosektur. Trauer- und Gedenkanlage für Angehörige der Opfer auf dem benachbarten Friedhof in Ofen. Kindererholungsheim der NSV. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B. Spur 3). Kreisstadt in Bayern, sog. „Römerstadt“ mit mittelalterlicher Festung Wülzburg, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg Gefangenenlager war, nach dem Krieg Flüchtlingslager (Denkmal 1997). Ab 1929 war die Wülzburg ein Schullandheim der Reformbewegung, heute Berufsschule
123 Hebenbrock 1940, NSV nach Polen, S. 15: Vom Einsatz der Schwestern; S. 47–100: Die NSV bezieht ihre Standplätze in Warschau; S. 97: Straßennamen und Hausnummern von 10 „Gesundheits- und Fürsorgestellen“ der NSV, mit angeschlossenen Polizeikommissariaten, die die Anträge auf Lebensmittelkarten vor der Ausgabe überprüften. Jüdische Antragsteller wurden die Treppe hinuntergeworfen (S. 78). Juden wurden ausdrücklich nicht von der NSV betreut (S. 49, 63); „Wo Juden auftauchen, werden sie entfernt“ (S. 58). Als die NSV Warschau verließ, zog sie von der Stadtverwaltung noch Geld für die Versorgung der Polen ein (S. 100). Die NSV bekam noch eine zweite, luxuriös eingerichtete Dienststelle in der Warecka 11, in einer jüdischen Waffenfirma (S. 89). Heute liegen dort gegenüber mehrere Banken und das Finanzministerium (Google Maps: Warecka 11 Warszawa. URS: www. google.com/.maps Abruf 17.5.2020).
Geografisches Verzeichnis zur Spurensuche
Wien
Wiesbaden
Wilna Wischniowka Wittenberg
Wladimir
695
zur sonderpädagogischen Förderung. Über die Nutzung des Schullandheims in den 1930er Jahren ist nichts überliefert.124 Ein Kinderheim der NSV lag in einem moderneren Gebäude im südlichen Stadtteil am Naturschutzgebiet mit der Bezeichnung „N.S.V. Kinderheim ‚Nußbaum‘ Weißenburg, Bayern“.125 Hauptstadt Österreichs, seit 1938 angeschlossen an das Großdeutsche Reich als „Gau Ostmark“. Wien wurde als „Tor zum Balkan“ bezeichnet und wurde ähnlich wie Litzmannstadt (s.o.) eine „Drehscheibe“ für die Bevölkerungsverschiebungen im Zweiten Weltkrieg. In Wien organisierte Adolf Eichmann die Deportationen der Juden Europas mit Hilfe von Eisenbahnen. – 1940 war Wien Ausgangspunkt des deutschen Umsiedlungskommandos, das im „Haus der Urania“ vorbereitet und eingeschworen wurde. Während der Vorbereitungstage war die Unterkunft der NSSchwestern in der Deutschen Jugendherberge Untere Augartenstraße 3. Das NS-Schwesternheim am Wilhelminenspital wurde besichtigt (II.C. Spur 2). „Wien“ war auch der Name eines gerade neu erbauten Schiffes der DDSG, mit dem das deutsche Umsiedlungskommando aus Wien nach Bessarabien abreiste. Vgl. „Passau“. Kurhaus. – 1938 Exkursionsziel beim IKK (II.B.Spur 3). Die „Weltkurstadt“ des 19. Jahrhunderts, eine Kur-Großstadt mit Kurhaus von 1810, hatte eine jahrhundertealte jüdische Kur- und Badetradition, die mit der Deportation der Wiesbadener Juden in der NS-Zeit vernichtet wurde. Die Belebung des Kurwesens als „Volkskultur“ wurde alsbald durch den Krieg beendet.126 Heute: Vilnius/Litauen. 1940/41 Einsatzgebiet von Helmut Ritter bei der Umsiedlung von Krankentransporten aus Litauen (Kap. I.). Heute Visniovca/Republik Moldau. – 1940 Ort im Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.). auch: Malojaroslawetz I, war seit 1815 eine der 20 Mutterkolonien deutscher Auswanderer in Bessarabien. Heute Malojaroslawez Perschyj/Ukraine. – 1940 rumänisch Malu Mare, gehörte der Ort zum Umsiedlungsbezirk Albota (Kap. I.). polnisch Wlodzimierz Wolinsk. Heute Wolodymyr-Wolynskyj/Ukraine. –
��� Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wülzburg (Abruf 18.8.2021). Eine Lücke zwischen 1934–1945 auch noch in: Stadtwiki Weißenburg: URL wugwiki.de/index.php?title=Geschichte_der_Stadt_Weißenburg (Abruf 18.8.2021). 125 So die Bezeichnung auf zwei historischen Postkarten mit Innen- und Außenansichten. In: URL: www.akpool.de/ansichtskarten/28764884-ansichtskarte-postkarte-weissenburg-in-mittelfranken-bayern-n-s-v-kinderheim-nussbaum-innenansicht; sowie: www.akpool.de/ansichtskarten/ 28767888-ansichtskarte-postkarte-weissenburg-in-mittelfranken-bayern-nsv-kinderheim-nussbaum (Abrufe 17.8.2021). 126 ������������������������������������������������������������������������������������� Kulturerbe Wiesbaden. URL: www.wiesbaden.de/medien-zentral/dok/kultur/120716_Weltkulturerbe_ly.pdf (Abruf 14.8.2021), S. 20.
696 Wolhynien
Wolinsk
Würzburg Zemun Zgiesch
Zschadraß
Anhang Historische Region im Nordwesten der Ukraine. Heute im westlichen Teil polnisch, (Wołyń), im östlichen Teil ukrainisch (Wolyn). – Im Winter 1939/40 begann nach russischer Besetzung Ostpolens die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ (Kap. I.). Wolhynien wurde im Verlauf des Krieges zum Schauplatz schwerer Massaker.127 Im Winter 1939/40 lag diese Stadt im östlichen Polen, Hauptstadt von Wolhynien. Nach der russischen Besetzung Polens war H. Ritter in dieser Stadt bei den Krankentransporten von „Volksdeutschen“ aus Wolhynien eingesetzt (Kap. I.). Von Juli 1941 bis Juli 1944 war die Stadt unter deutscher Besatzung. In dieser Zeit wurden 1942 bei einer „Aktion“ 13.500 Menschen aus dem jüdischen Ghetto ermordet und 1943 Tausend Handwerker erschossen.128 Medizinstudenten aus Würzburg forschten 1938 in Bessarabien. (Kap. I.). siehe Semlin. Zgierz/Polen, 1943–45 Görnau. Mittelalterliche Stadt nördlich von Lodz. 1939 wurde die Stadt von der deutschen Luftwaffe bombardiert, sämtliche Juden wurden in das Ghetto von Litzmannstadt gebracht. 1941 entstand in Zgierz eine Untergrund-Widerstandsbewegung der Polnischen Heimatarmee mit 3.000 Mitgliedern, die u.a. heimlich 1.000 polnische Kinder unterrichtete. Während des Krieges wurden insgesamt 35.000 Menschen in den Wäldern rund um Zgierz erschossen.129 – 1941 Einsatzort von Frau Ritter als Lagerärztin und Anfang 1942 von Helmut Ritter in einem Reservelazarett (Kap. I.). 1942 wurde in einer Entlausungsanstalt der Volksdeutschen Mittelstelle in Zgierz Kleidung von in Kulmhof ermordeten Juden desinfiziert und über die NSV an „Volksdeutsche“ weiterverteilt (IV.B. Perthen). Ortsteil von Colditz in Sachsen. Die Heil- und Pflegeanstalt im Schloss Colditz wurde 1940/41 zu einer „T4“-Zwischenanstalt. 1942 Umbau zur Lungenheilstätte Hainberg mit Reservelazarett für Lungenkranke und „Tuberkulosekrankenhaus für volksdeutsche Umsiedler“ (Kap. I.).
***
127 Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_in_Wolhynien_und_Ostgalizien (Abruf 24.7.2021). 128 Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolodymyr-Wolynskyj (Abruf 24.7.2021). 129 Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Zgierz (Abruf 25.7.2021).
697
IV.E. Alphabetische Register a. Personen Auf eine Erfassung des Namens „Dorothee Rakow“ und seiner Varianten wurde hier wegen der beständigen Nennung verzichtet. Das Register umfasst nicht die Namen im Anhang. Erläuterungen zu einigen Namen finden sich ergänzend im Namensverzeichnis zur Spurensuche. A., David 53, 95 Aenne, Schwester → Tai., Aenne Alexander I., Zar von Russland 405, 407f. Aly, Götz 40 Alzheimer, Alois 161 Andraśovits, Nándor 365 Anghelescu, Kultusminister 410 Angrick, Andrej 21, 87 Anna, Schwester 316, 541, 543 Anni, Schwester → Ho., Anni Antonescu, Ion 255, 414f., 471 Appelfeld, Aharon 255 Arendt, Hannah 205, 211, 363f. Arp, Hans 161 Assmann, Aleida 11, 18, 40–42, 44, 88f. Assmann, Jan 11, 44 Auguste, Schwester 554f. B., Friedel (geb. Leo.) 531, 585 → Leo., Friedel Ba., Margarete (Margarethe, Schwester Margarete) 235, 345, 440, 530, 562f., 574f. Bach, Johann Sebastian 392 Bader, Dr. → Endruweit, Klaus Bader, Feldführerin 247, 306, 542–544 Baeskow, C. 66, 278f., 290, 312f., 587 Balog, Ionel 464 Băncescu, Dragos 338 Bauer, Markus 22 Baumann, Arnulf 37, 469, 499–502, 509, 512f. Baumann, Hans 430f., 433f., 452f., 477– 479, 561, 569f., 619 Baumann, KBK 435 Beddies, Thomas 61, 122, 124
Beer, Matthias 37 Bengel, Johann Albrecht 407 Benz, Wolfgang 144 Benzenhöfer, Udo 218 Berger, SS 435 Bernauer, Prof. Dr. 122 Berndt, Annemarie 209 Bestvater, Dr. 320 Betzien, Petra 69f., 75, 212, 222f., 383 Bezman, Ion 464 Binding, Karl 218 Bir., Betty 561 Bisle-Fandrich, Elvire 46, 76, 93, 145, 148, 413, 452 Bisle-Fandrich, Helmuth 145 Blankenburg 68, 366 Blawert, Edith 136, 172f., 175, 180, 185, 190, 194, 210, 234f., 247, 249f., 348, 357, 384, 389, 529, 536, 538, 542, 549, 551–553, 578, 597 Blome, Kurt 94, 125 Bo., Hanna 551, 553 Boe., Christel 531, 583f., 587 Böhm, Boris 54 Bol., Holger 440 Bormann, Martin 230 Bornemann, Brigitte 378 Botez, Gh. 464 Böttcher, Fritz 276 Böttger, Käthe 32, 36, 61, 71–73, 94, 135– 137, 140, 142, 148f., 151, 155, 160, 164f., 168, 170, 172–176, 182, 184– 186, 188, 190, 193f., 196, 200, 209f., 212, 220–224, 226, 229–235, 247, 250, 287, 319, 329, 347f., 350–352, 357, 368,
698
Anhang
472f., 529, 531–534, 536, 538, 542, 549–552, 556–558, 568f., 578, 627 Brandt, Karl 66, 364 Breiding, Birgit 68–72, 74, 135, 149, 166, 210–212, 221f. Broneske (Brunecke), Otto 591, 593 Broszio, 461, 467, 555 Browning, Christopher R. 80 Bruckner, Volksgruppenführer 435 Brunecke → Broneske Bührmann, Sebastian 84–86 Burke, Peter 88 Buttermann, Dr. 161, 192 Carol II., König von Rumänien 414f. Carola, Schwester 312 Ciubucciu, Vasile 464 Codreanu, Jurist 414 Con., Charlotte (Lotte) 183, 337f., 345, 366, 529f., 546, 562f., 567–570, 575 Constantinescu, Costica 464 Constantinescu, Gheorghe 464 Conti, Leonhard 124f., 550, 552 Conti, Nanna 61 Csaki, Dr. 259 Cuza, Prof. 414 Czollek, Max 45 D., Magda 366 Dobler, Leopold 264, 590, 593 Drescher, Untersturmführer 465 Dühe, Ruth 190, 234f., 263, 357, 550, 552, 587f., 590–596 E., Schwester 550 E[...], Schwester 180, 181 Edelstein, Julius 157, 192, 196 Eichmann, Adolf 243, 357, 474 Elisabeth, Kaiserin von Österreich, gen. „Sisi“ 560 Ellwanger, Karen 30 Else, Schwester 187 Endruweit, Klaus (alias Dr. Bader) 95 Ephraim, Julius 158 Erpel, Simone 70
Fabritius, Fritz 410 Fabritius, Heinke 378 Fah., Anna 440 Felder, Björn 57 Fi., Schwester 554 Fie, NS-Schwester 553 Fiebrandt, Maria 35, 49, 54–59, 96, 99, 124, 212, 256, 378 Fieß, Dietrich 46 Fieß, Heinz 37, 377 Fischer, Eugen 321 Fischer, Ludolf 321 Fischer, Prof. (Otto?) 115, 117, 253, 282, 299, 320–322, 614, 617 Foucault, Michel 79 Frank, Hans 204 Franke, Arzt 59 Franziska, Schwester → To., Franziska; Wan., Franziska Friedländer, Saul 80 Fritsch, Theodor (Sohn) 170 Fritsch, Theodor (Vater) 169, 202 Gä., Irma 440 Gaida, Ulrike 66 Gala, Mihail 464 Galen, Clemens August Graf von 67, 394, 528 Ganz, Bruno 44 Gebhardt, Karl 217f., 222 Gedicke, Kreisamtsleiter 637 Georgescu, Tudor 57 Ghorghe, Vladimir 464 Goebbels, Joseph 204, 213, 358, 373 Goldhagen, Daniel J. 80f., 256 Goldhagen, Erich 256 Goldsmith, Martin 44 Göring, Hermann 204 Gradmann, Dr. 62 Grahle, Herr 532 Grimm, Horst 392, 394 Gündisch, Konrad 57 Ha., NS-Schwester 553 Haase, Daniel 46, 591
Alphabetische Register Hahn, Dr. 103 Halbwachs, Maurice 30 Hansen, Thore D. 374 Hardeland (Harteland), Feldführerin 247, 272, 288, 306, 319, 329, 435f., 501, 541–544, 548f. Harich-Golzwarden, Annemarie 271f. Harteland → Hardeland Harvey, Elizabeth 36, 64f., 113, 291 Haubold, Hellmut 112, 212, 276 Hausleitner, Mariana 48 Hebenbroch, Walter 178 Heine, Fritz 352 Heinemann, Isabel 47, 52, 62 Heissmeyer, SS 461 Helmers, Thea 392–394 Her., Lydia 174, 440 Herrmann, Feldwebel 465 Hertha, Schwester, Köchin 294, 422 Herwig, Standartenführer 515 Heß, Rudolf 166, 204, 219 Hey., Hermine 440 Heyde, Prof. 94 Heydrich, Reinhard 73 Hilde, Schwester 338, 544f., 564, 570, 573 Hilgenfeldt, Erich 62, 72–75, 136, 167f., 172, 175, 177f., 186, 203, 205, 213, 223, 230, 233, 235, 242, 288, 435, 472f., 500, 552, 589, 633 Himmler, Heinrich 22f., 204, 220, 222, 352 Hitler, Adolf 25, 66, 73f., 94, 140, 145, 148f., 154, 170, 176, 180, 184, 188, 200, 202, 204f., 210f., 218f., 227f., 239, 242, 284, 292, 313, 348, 350, 363, 367, 373, 392, 407, 410–415, 428, 474, 505, 544f., 547, 550, 557f., 586, 595, 597, 600, 602f., 605f., 609, 612f., 621, 632, 636, 640 Ho., Anni (Schwester Anni) 328, 337f., 345, 398, 440, 471, 519, 530, 562f., 576f. Hoche, Alfred 140, 218 Hoffmeyer, Horst 67, 97f., 100f., 246, 320 Högel, Niels 83, 85f., 88 Hor., Hilder, Schwester 544f. Hüb., Grete 440
699
Isert, Ingo 376 Istrate, Gheorghe 464 J., Renate (Tochter von Dorothee Rakow) 19, 33, 70, 133–135, 137–154, 184, 187, 189–191, 207, 218, 223, 232, 234, 363, 373, 383, 385f., 390, 405, 452, 468f. Ja., Leitende Oberin 171f. Jachomowski, Dirk 46f. Jäger, Dr. 272, 319, 328f., 333f., 337, 360, 371f., 387f., 398, 436, 519, 521f., 532, 571–573, 575 Jahn, Frl., Frauenschaftsleiterin 246, 532f. Jankow, Dr. 588, 594f. Janssen, Horst 33 Jantzen, Dr. 170 Janzen, Marc 16 Jensen, Hermann 164–167 K., Pauline, NS-Schwester 68, 366 K., Schwester im Frankreich-Einsatz 550, 552 Kaiser, NSV-Mann 287, 289, 542, 544 Kalmbach, „deutsch-bessarabischer Volksrat“ 591 Karasek, Alfred 351 Karasek-Strzygowski, Hertha 290, 351 Karll, Agnes 196 Katharina II., Zarin von Russland 405, 407 Kautz, Fred 58, 80f. Kempowski, Walter 145 Kersting, Renate 72, 117, 299, 322 Kl., Hanna, Schwester 241f., 251, 254, 313, 331, 484, 492, 496, 550, 552, 588, 601–605 Klee, Ernst 61, 94, 236, 321 Klemperer, Victor 164 Kluge, NS-Oberin 246, 357, 541, 543 Knauer, Kind 218 Knöttig, Gertrud 68, 264, 303 Ko., Irma 544f. Köhler, Horst 20f. Kolle, Dr. 161 Kosellek, Reinhard 88
700
Anhang
Kra., Herta, NS-Schwester 183, 298, 302, 308, 318, 323–326, 353, 440–442, 529f., 559f., 577–579 Krä., Leontine (Lola) 265f., 399f. Krämer, Pg. 170, 202 Kri., Sigrid 441 Kritter, Sabine 69f. Krüger, Pg. 578f. Kü., Elisabeth 544f. Kuhn, Fritz 378 Kulischer, Eugene 22 Kuzner, Monica 62 Lais, Dr. 170 Lem, Stanislaw 227 Lemke, Agnes 197 Lemke, Paul 150, 197 Leo., Friedel (B., Friedel) 326, 440–442, 529, 531, 559f., 583–585 Liebenfels, Lanz von 204 Lieselotte, Schwester 638, 640 Lisa, Haushaltshilfe 187 Lisner, Wiebke 61f. Lissi, Schwester 338, 564 List, Guido von 204, 474 Lo., Ruth 190 Lore, Schwester 73 Lorenz, Tochter 435f. Lorenz, Werner 59, 64, 87, 246–249, 267, 277, 283, 288, 290, 306, 309, 318, 327– 330, 345, 364, 366, 372, 396, 417, 435f., 458, 461, 532, 534, 539, 541, 543, 554f., 557, 620, 622 Lower, Wendy 66 Lu., Anne 287, 423, 435 Lü., NS-Schwester 553 Ludendorff, Mathilde 211 Lupescu, Magda 415 Lydia, Schwester 174 M., Dr. 276 M., Viktoria 287, 423, 435 Mac., Gertrud 440 Mach, Erna 166f. Mancke → Maneke
Maneke (Mancke), Dr. Martin 59, 256, 276, 302, 304, 327, 329f., 334f., 337, 345, 372f., 388f., 397, 455, 465 Margarete, Schwester → Ba. Margarete Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 515 Marschall, Elisabeth 222 Martin, Dunja 69 Mathias, Dr. 455, 459, 465 Mauch, Albert 433, 451 Mayer, Konstantin 412 Mengele, Josef 51 Middendorf, Lotte, NS-Oberin Gau Weser Ems 167 Molotow, Wjatscheslaw Michailowitsch 415 Molzahn, Herr 555 Mönninghoff, Bernhard 73, 82, 392–394, 528 Moser, Maria Magdalena 184, 230 Müller, SS-Obersturmbannführer 262 N., Friedrich 275 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 407 Necker, Albert 113, 116 Neumärker, Uwe 57, 59 Oberwachtführerin DRK 264, 301f., 306, 425, 524, 542 Olga, Kind 292, 427 Oltmer, Jochen 21 Oppenheimer, Franz 70 Osthege, Steffen 273, 469 P., Christel 350 P., Fritz 350 P., Otto (Ehemann von Dorothee Rakow) 135, 137f., 141f., 145, 148–150, 154, 176, 185–187, 189–191, 236–238, 349, 359, 373, 581, 584 P., Ottos Bruder 190 Pa., Else 338, 440, 564 Pagel, Max 157 Pampuch, Andreas 105, 107, 112, 114, 120, 469, 587
Alphabetische Register Panke-Kochinke, Birgit 66 Pantenius, Irene (evtl. Pugenius) 254, 336, 338, 340–342, 357, 550, 552, 582f., 587, 589, 627f., 630f. Pau., A., Dr. 576f. Perthen, SS-Obersturmbannführer 284, 289, 421, 455, 459, 461, 464–467, 492 Peter, Anja 61 Petersen, Hans-Christian 29, 40, 101, 259, 363, 379 Pf., Walburga (Schwester Walburga) 302, 325f., 440–442, 559f., 577–579 Piskorski, Jan 13 Poltawska, Wanda 222 Pomsel, Brunhilde 373f. Pragl., Anny 440 Pragl., Waldemar 440 Pri., Sigrid 441 Pugenius (?), Helene (evtl. → Pantenius) 367, 582, 587, 627f. Purper, Liselotte 36, 64 R., Sankra-Fahrer 107f. Rakow, Emil 156f., 168, 196 Rakow, Emma 156 Rakow, Großmutter 157, 192 Rancke, Generaloberin 184, 230 Rauschning, Hermann 204 Re., Klara 519, 560f., 576f. Reese, Hartmut 56 Reich, Dr. 455, 465 Reichertz, Jo. 77 Reichmann, Lore 589, 631f. Ribbentrop, Joachim von 411, 415 Richter, Horst-Eberhardt 139 Rie., Ursula 336, 509f., 515, 550, 552, 589, 623–627, 631 Rinn, Dr. 170 Ritter, Ehefrau von Helmut Ritter 122f. Ritter, Helmut 31–33, 35, 48, 58–62, 87, 91, 93, 96, 98–102, 104–130, 151, 212, 240, 245, 256, 270, 276, 281, 290, 302f., 314, 317, 321, 354f., 374f., 379, 401, 405, 419, 430, 469, 479, 492, 502, 506f., 541, 587f.
701
Rö., Elfriede 440 Rod., Frieda 440 Roh., Prof. Dr. 115, 212 Rose, Gerhard, Prof. 117, 315, 317, 320, 322 Rosenberg, Alfred 140, 204 Rosenthal, Gabriele 147f. Röver, Carl 167f., 364 Rü., Juliane (Julchen) 298, 308, 325f., 440– 442, 529, 559f., 577–579 Ruppin, Dr. 170 Salomon, Erich 176 Salomon, Familie 176 Salomon, Scharfrichter 148f., 154 Saupe, Achim 79f., 82 Sch., Annette 265, 279f. Schaff, Dr. 123 Schindelasch, Hannelore 392 Schlechter, Christian 12f., 20, 120, 150, 254 Schlechter, Egon 20 Schlechter, Pia 393 Schleu., Berti, NS-Schwester 241f., 311f., 588, 599–601 Schlögel, Karl 22 Schlüter, Gisela 177, 386 Schm., Hanna 551, 553, 560 Schm., Käthe NS-Schwester 257, 260f., 308f., 318, 323–326, 365, 440–442, 491, 565–567, 589, 605–613 Schmidt, Andreas 330, 435 Schmidt, Ute 51, 56 Schmitz-Köster, Dorothee 304 Schnee, Oberin 278f., 281, 316, 357, 529, 535f., 546, 548–550, 552, 555, 561, 588, 594f. Scholtz-Klink, Gertrud 62, 74, 168, 288, 435, 461, 500f. Schrader, H., NSV-Schwester 66, 278f., 290, 312f., 587 Schu., Käthe 541, 543 Schulze, Dietmar 35, 37–39, 50, 57, 121, 148, 228, 378 Schulze, Otto E. 192 Schwarz, NSV-Mann 287, 289, 542, 544
702
Anhang
Schwarz, Reichsschatzmeister 208 Sebottendorf, Rudolf von 170 Serban, Stefan 464 Siebeck, Prof. 119 Siegmeyer → Siekmeyer Siekmeyer (Siegmeyer), Heinrich, SS-Oberführer 59, 256, 331, 334–336, 338, 342, 344, 362, 397, 436, 525 Sigarto, Franz 464 Silex, Pg. 633, 637 Singer, Arthur 53 Skleroski, Dr. 114, 116 Spr., Cora, NS-Schwester 183f., 262, 333, 335f., 338, 340, 342, 345, 349, 353, 356, 367f., 388, 398, 440, 519, 524, 530f., 564f., 568, 570–574, 582f., 627 Sprecher, Else 533–535, 537 Sprenger, Norbert 254, 256f. St., E. 529, 544f. St., Erna 287 Stalin, Josef 25, 411, 413 Stanescu, Dumitru 464 Steinhart, Eric 67, 98 Steller, Max 86, 88 Steppe, Hilde 67, 147 Sterz, Dr. 161 Stoltenhoff, Heinrich 164f. Strassner 393 Streicher, Julius 204 Strippel, Andreas 47 Stumpp, Karl 25, 29, 259 Stumpp, Käthe 254 Sut., Dr. 302, 325, 578f. Szente-Varga, Domonkos 509 T., Frau 70 Tai., Aenne/Anne/Anna (Schwester Aenne) 319, 326, 440–442, 529, 559f. Tatzel, Pg. 637 te Heesen, Anne 77f. Theorghiade, Sofia 464 Thi., Ilse 441, 638–640 To., Franziska (Fanny, Schwester Franziska) 318, 323–325, 365, 441–443, 530, 560, 565–567, 605, 609
Töpel, Stephan 60 Topp, Sascha 59 Tudurache, Constantin 339, 469, 509, 514, 518 Uh., Hildegard 249, 253, 267, 295, 298, 300f., 304, 318–321, 323f., 326, 338, 440, 442, 452, 484, 492, 529, 559f., 589, 613–619 Uhland, Ludwig 417, 478 Ullrich, Aquilin 60, 94f., 322 Ur., Wally (Schwester Wally) 278f., 311, 347, 441, 529, 532–534, 550, 552–555 Ursel, Schwester 638 Usadel → Usathel Usathel (Usadel), Georg 458, 460, 617 Vo., Erika 319, 440f. Volk, Uff. 465 Vossler, Günter 37 Wag., Conrad 440, 581 Wag., Josef 353, 530, 580f. Wag., Rosa (Rosalia) 353, 530, 580f. Wagner, Gerhard 124f., 219 Wagner, K. 168, 203, 218f. Wagner, Richard 367 Wagner, Rudolf 48 Wahl, Hans Rudolf 40, 378 Walburga, Schwester → Pf., Walburga Wally, Schwester → Ur., Wally Walser, Martin 44 Wan., Franziska (Schwester Franziska) 318, 323, 441, 443, 619 Warburg, Aby 30 Weber, Ella 319, 441 Weber, Oberschwester 272, 319, 329, 436 Wei., Ilse 440 Weindling, Paul 57, 59 Welzer, Harald 14, 18, 33 Wen., Elsbeth 440 Weng., Freya 251, 318, 323f., 362, 441, 479f., 485, 487, 490f., 493, 496, 498f., 502, 504f., 517, 589, 619–623 Westernhagen, Dörte von 147
Alphabetische Register Widmer, Dr. 113, 116 Win., Hildegard 529, 546 Wisch., Susanne 345, 440, 530, 562f. Witte Frau 548f. Witzleben, Fräulein von 295, 312, 439, 539, 543f., 563 Wünsche 344 Z., Werner 33 Zi., Hanna 366, 568
703
Zielke → Zuehlke Ziesel, Moritz 338 Zikele, Frau, 400 Zöckler, Christoph 53 Zöckler, Martha 53 Zöckler, Theodor 53 Zuehlke (Zuhlke, Zielke), Dr. 59, 316f., 433, 435, 541, 543 Zuhlke → Zuehlke
b. Orte Agram → Zagreb Ahrensfelde b. Berlin 70f. Ahrenshagen 159 Akkerman (rum. Cetatea Albă, ukr. Bilhorod-Dnistrovskîi) 263, 590, 593 Albota (mold. Albota de Sus) 93, 96, 102, 104, 106, 108, 112f., 115–118, 120f., 127, 276, 281, 302f., 401, 426, 430, 502, 541 Albota de Sus → Albota Alexanderfeld (mold. Cîmpeni, rum. Alex- andru cel Bun) 102, 104, 114, 116f., 281, 287, 303 Alexandru cel Bun → Alexanderfeld Alexejewka → Mannsburg Alt-Fratautz (Fratautz, rum. Frătăuții Vechi) 256, 335, 397, 446 Alt-Posttal → Posttal Alt-Rehse 61, 94, 96, 124 Altkarbe, Kr. Friedeberg (poln. Stare Kurowo) 440 Amalienhof (poln. Malinowo) 59f. Arciz → Arzis Arnsdorf, Sachsen 121, 164 Arnswalde 441 Arzis (auch Arzys, rum. Arciz) 29, 120, 266 Arzys → Arzis Aubing 530, 565f. Augsburg 426, 457
Auschwitz (poln. Oświęcim ) 51, 87, 120, 157, 182, 225, 274, 355f., 575, 625 Babadag 318, 441–443, 517, 557, 619, 622 Bad Burnas → Burnas Bad Harzburg 185, 194 Bad Karlsbrunn (auch Karlsbrunn, tsch. Karlova Studánka) 183, 194, 350, 353– 356, 367, 577, 583 Bad Kösen 213 Bad Sachsa 469 Bad Salzbrunn 550 Bad Zwischenahn-Ofen 16 Baden-Baden 615 Badenau (auch Badewitz, poln. Bogdanowice) 440 Badewitz → Badenau Balaban (rum. Balabanu) 113f. Balabanu → Balaban Battenberg 138, 140–143, 152f., 189–191, 194, 232 Bayernberg 514f. Bayreuth 550, 552 Beclean → Bethlen Belgrad (serb. Beograd) 193, 247, 273, 280, 306, 310, 347, 386, 402, 418, 429, 437f., 449, 481, 483, 529, 535f., 541, 543, 546, 548, 550, 552–555, 560, 594f., 602, 605, 620, 638–640
704
Anhang
Beograd → Belgrad Beresina (ukr. Berezyne) 104 Berezyne → Beresina Berlin 17, 19, 24, 49, 52, 64, 68–73, 88, 93–96, 98, 111f., 119f., 124, 131, 135f., 139, 141, 144, 146, 148, 151f., 155, 157–159, 161, 164, 168f., 171f., 174, 176–181, 183–186, 188, 190, 192–194, 196, 198, 200, 202, 208, 210, 212, 214, 218f., 221, 223, 228, 231f., 237, 239f., 242, 249, 256, 263, 273f., 276, 285, 288, 295, 302, 309, 320, 329, 345–347, 349–353, 359, 362, 367, 383–386, 389, 393, 398, 402, 404, 410, 442, 469, 472, 500, 519, 522, 526f., 529–534, 536, 538, 542f., 549–553, 556f., 559f., 562f., 569f., 573–577, 580–583, 586, 589, 614, 617, 637f. Berlin-Grunewald 96, 122, 201 Berlin-Moabit 159 Berlin-Schöneberg 160 Berlin-Spandau 161 Berlin-Templin 123 Berlin-Wannsee 357f., 368 Berlin-Wilmersdorf 160 Bernburg 39, 94 Berzdas (?) 438 Bethlen (rum. Beclean) 509f. Biala (poln. Biała) 225 Biała → Biala Bilhorod-Dnistrovskîi → Akkerman Blahodatne → Gnadenfeld Blumberg b. Berlin 70f., 174, 193 Blumenhagen b. Berlin 174 Bogdanowice → Badenau Boguszów → Gottesberg Böhmisch Leipa (tsch. Česká Lípa) 440 Bonn 20, 151 Botojani (Botoschana, Burdujani, Burdujini, rum. Botoșani) 513f., 562 Botoșani → Botojani Botoschana → Botojani Brake 271 Brandenburg an der Havel 94f., 287 Brașov → Kronstadt
Bratislawa → Pressburg Braunschweig 171f., 193, 392 Breitenstein, Kr. Arnswalde 319, 440 Bremen 93, 111, 118 Bremerhaven 96, 123, 138, 142–145, 150 Brenndorf 465 Breslau (poln. Wrocław) 22, 393, 522 Bretzenheim an der Nahe 123 Bromberg (poln. Bydgoszcz) 225, 316, 541 București → Bukarest Budapest 326, 336, 351, 402, 438, 442, 448, 483, 516, 535, 559f., 595, 619f., 628 Bukarest (rum. București) 255, 404, 410, 414f., 459, 461, 465, 571, 591 Burdujani → Botojani Burdujini → Botojani Burg b. Magdeburg 160, 192, 197, 336, 349, 367, 388, 582f. Burnas (auch Bad Burnas, rum. Lebediwka) 263, 590, 593 Bydgoszcz → Bromberg Cahul → Kahul Câmpulung Moldovenesc → Kimpolung Cara Omer → Caraomer Caraomer (Cara Omer, fälschlich Caraomet, später Negru Vodă) 318, 441f., 557 Caraomet → Caraomer Cernavodă (fälschlich Scerna-Voda oder Tschernowoda) 302, 318, 323–326, 436, 441f., 448, 530, 557, 560, 565f., 577– 579, 615, 618f. Česká Lípa → Böhmisch Leipa Český Těšín → Teschen Cetatea Albă → Akkerman Charcov (russ. Charkow, ukr. Charkiw) 628 Charkiw → Charcov Charkow → Charcov Chișinău → Kischinew Chludowo 171, 192 Christburg → Gradiste Cieszyn → Teschen Cîmpeni → Alexanderfeld Cluj-Napoca → Klausenburg
Alphabetische Register Cocborowo → Konradstein Cogealac → Kodschalak Cogealia → Kodschalie Colmar → Kolmar Constanța → Constanza Constanza (auch Konstanza, rum. Constanța) 257, 261, 318f., 323–325, 403, 436, 441f., 448, 557, 560, 566f., 589, 605–607, 609f., 612f., 617–619, 622 Culmea → Kulm Czermna → Grenzeck Czernowitz (auch Tschernowitz, ukr. Tscherniwzi) 259, 446, 589, 591, 623–625 Dachau 360f. Dalnyk 255 Damgarten 159, 192 Danzig (poln. Gdańsk) 178, 225, 401 Dármánesti (rum. Dărmănești) 444f. Dărmănești → Dármánesti Darmstadt 58, 214 Debrecen → Debrezin Debrezin (ung. Debrecen) 448 Delmenhorst 29 Deutsch Satumare 446 Dietersheim (Ortsteil von Bingen) 123 Doina → Eichendorf Dorna Watra (rum. Vatra Dornei) 331–333, 337f., 389, 398, 437, 446, 510, 514–516, 522, 530, 561, 564f. Dornesti → Dornestre Dornești → Dornestre Dornestre (auch Dornesti, rum. Dornești) 331f., 346, 437, 444f., 562 Dortmund 124 Dresden 55, 151, 164–168, 172, 177, 198f., 386, 550, 552 Dresden-Strehlen 164–166, 193 Driesen, Kr. Friedeberg 440 Drontheim (Trondheim, Norwegen) 284, 286, 421, 492 Dunkerque → Dünkirchen Dünkirchen (frz. Dunkerque) 284–286, 421, 492 Działdowo → Soldau
705
Eberswalde 519, 530, 576f. Edinburgh 65 Eichendorf (mold. Doina) 102 Eigenheim, Bessarabien (ukr. Seleniwka) 24f. Elim 266, 590 Erfurt 273 Essen 124 Esztergom → Gran Falkenstein, Taunus 213 Fère Champenoise II → Neu-Elft Finsterwalde 163, 193, 199 Flatow 441 Flossenbürg 360 Frankfurt am Main 147, 175, 193, 213 Frătăuții Vechi → Alt-Fratautz Fratautz → Alt-Fratautz Freiburg im Breisgau 149, 593 Friedeberg (poln. Strzelce Krajeńskie) 168, 193, 440 Friedeburg 441 Friedensfeld 397 Friedenstal, Bessarabien (ukr. Myrnopillja) 24f. Friedrichsdorf 397 Friedrichsfeld 397 Friedrichsheim 213 Friedrichstal 397 Fürstental → Fürstenthal Fürstenthal (auch Fürstental, rum. Voievodeasa) 337, 397, 399, 433, 446f. Galați → Galatz Galatz (rum. Galați) 104, 106–109, 114f., 117f., 121f., 124, 127–130, 134, 182, 194, 219, 244f., 248–254, 256–258, 264–273, 276–298, 300–307, 310, 312– 314, 316–318, 323, 325–327, 329–331, 333f., 345, 347, 355, 361f., 365, 371– 374, 384–390, 396, 398f., 401, 403f., 417–430, 432, 434, 436, 438, 441f., 444–448, 450, 455–468, 470, 478, 482f., 489–501, 503–506, 508, 518, 521, 525–527, 529f., 534, 536–546, 548f.,
706
Anhang
553–558, 560f., 563, 578–581, 588f., 594–601, 603–610, 613–617, 619–622 Gdańsk → Danzig Gdingen (1939–1945 Gotenhafen, poln. Gdynia) 121 Gdynia → Gdingen Gerolshofen (eigentlich Gerolzhofen) 440 Gerolzhofen → Gerolshofen Gifhorn 123 Glasow, Brandenburg 634 Glatz (poln. Kłodzko) 353, 564f., 570f., 583 Gleiwitz (poln. Gliwice) 355f. Gliwice → Gleiwitz Gnadenfeld, Bessarabien (ukr. Blahodatne) 24f., 265, 279f. Gnesen (poln. Gniezno) 35, 121 Gniezno → Gnesen Gonoü (?) 438, 483 Görlitz 530, 568f. Görnau → Zgiesch Gorzów Wielkopolski → Landsberg an der Warthe Gotenhafen → Gdingen Gottesberg, Schlesien (poln. Boguszów) 354, 440, 530, 575 Göttingen 53, 57, 190 Gradiste (auch Christburg, kroat. Gradište) 310, 438, 484, 487 Gradište → Gradiste Grafeneck 94, 366 Gran (ung. Esztergom) 438, 483 Graz 449, 542 Greifswald 119 Grenzeck (auch Grenzuk oder Tscherbeney, poln. Czermna) 353f., 440, 530f., 564f., 570f., 582 Grenzuk → Grenzeck Grinzing 615 Groß Piasnitz → Piaśnica Groß-Rosen (poln. Rogoźnica) 354f. Grotów → Modderwiese Grubeschow (poln. Hrubieszów) 110, 119, 128
Grunau, Kr. Flatow (poln. Stare Gronowo) 440 Gugging 188 Gura Humora (auch Gurahumora, rum. Gura Humorului) 272, 327, 330f., 333, 336–338, 341, 396, 398, 403f., 436f., 444–446, 448, 510f., 514–516, 518f., 522, 525, 564f., 627f. Gura Humorului → Gura Humora Gura Putnei → Karlsberg Gurahumora → Gura Humora Gwardeisk → Tapiau Hadamar 38f., 94 Hagenbüchach 360 Halle 213f. Hamburg 568f. Hannover 166f., 550, 552, 628 Hartheim 34, 56, 94, 182 Heidelberg 70 Heidelberg-Rohrbach 214 Hermannstadt (rum. Sibiu) 269, 424, 465, 539f., 543 Herrsching am Ammersee 175, 185, 194, 235–237, 346, 350, 359–361 Hildesheim 280 Histria (antike Stadt nahe dem heutigen rum. Istria) 619, 623 Hoffnungsthal, Bessarabien (ukr. Nadeschdyne) 24f., 53, 59 Hohenlychen 217f., 222 Hongkong 122 Honolulu 194 Hrubieszów → Grubeschow Iacobeni → Jakobeni Iași → Jassy Illischestie 446 Ingelheim 123 Ismael → Ismail Ismail (auch Ismajil, Ismael) 591 Ismajil → Ismail Istria → Histria Itzkany (heute Suceava Nord) 337, 398, 445 Iwano-Frankiwsk → Stanislau
Alphabetische Register Jakobeni (auch Jakobeny, rum. Iacobeni) 446 Jakobeny → Jakobeni Jassy (rum. Iași) 255 Jerusalem 606, 610 Kahlenberg 416 Kahul (mold. Cahul) 106, 114, 116 Kaliningrad → Königsberg Kamienna Góra → Landeshut Karlova Studánka → Bad Karlsbrunn Karlsberg (rum. Gura Putnei) 183, 262, 333, 335, 337, 340, 397f., 446, 516, 519, 530, 570–574, 582 Karlsbrunn → Bad Karlsbrunn Kassel 213 Katowice → Kattowitz Kattowitz (poln. Katowice) 225 Kaunas (poln. Kowno) 97, 121f. Kiel 160–162, 165, 171, 193, 198 Kilia (ukr. Kilija) 104, 241f., 266, 278, 310–315, 400, 429, 508, 539, 543–545, 587f., 598–601, 604 Kilija → Kilia Kimpolung (rum. Câmpulung Moldovenesc) 338, 446, 510, 524, 564f. Kiriberba 446 Kischinau → Kischinew Kischinew (auch Kischinau, mold. Chișinău) 104, 108, 254f., 262, 400, 409, 591 Klausenburg (rum. Cluj-Napoca) 341, 516, 630 Kłodzko → Glatz Kocborowo → Konradstein Kodschalak (rum. Cogealac) 323, 502, 589, 614, 617–620, 622f. Kodschalie (rum. Cogealia) 319, 321, 589 Kolmar (frz. Colmar) 551 Köln 148 Komanestie 399 Königsberg, Ostpreußen (russ. Kaliningrad) 165f., 193, 199 Konradstein (auch Kocborowo, poln. Cocborowo) 13, 228, 376 Konstanza → Constanza
707
Koronista 399 Kościernica → Kösternitz Köslin (poln. Koszalin) 158, 192 Kösternitz, Kr. Schlawe (poln. Kościernica) 319, 440 Koszalin → Köslin Kowno → Kaunas Krakau → Krankau Kraków → Krankau Krankau (wohl Krakau, poln. Kraków) 589, 625f. Krems 121 Kronstadt (rum. Brașov) 269, 342, 424, 435, 539, 543 Kulm (rum. Culmea, ukr. Pidhirne) 102 Kurudschika, Bessarabien (ukr. Suchuwate) 120f., 254, 256f., 322 L. bei Bremerhaven 138, 142–144, 153 Landeshut (poln. Kamienna Góra) 354 Landsberg an der Warthe (poln. Gorzów Wielkopolski) 328, 337, 398, 440f., 471, 530, 576f. Langensteinbach 530, 580f. Lebediwka → Burnas Leipzig, Bessarabien (ukr. Serpnewe) 24f., 116, 384, 400f., 427, 449–451 Leipzig, Sachsen 265, 373, 440, 615 Lemberg (poln. Lwów, ukr. Lwiw) 227 Leuna 298, 318, 440, 589, 613, 619 Lipie Góry → Mansfelde Litzmannstadt → Lodz Lodsch → Lodz Lodz (auch Lodsch, 1940–1945 Litzmann- stadt, poln. Łódź) 62, 65, 120, 122, 178f., 193, 225, 228, 284, 386, 638f. Łódź → Lodz Lubliniec → Lublinitz Lublinitz (poln. Lubliniec) 225 Luisenthal 341, 628 Lwiw → Lemberg Lwów → Lemberg Magdeburg 198 Mainberg, Kr. Schweinfurt 440
708
Anhang
Malcoci → Malkotsch Malinowo → Amalienhof Malkotsch, Dobrudscha (rum. Malcoci) 360 Malojaroslawez Druhyj → Posttal Malojaroslawez Perschyj → Wittenberg Mangalia 257, 324, 565, 589, 605f., 610f. Mangeapunar 565 Mannheim 214 Mannsburg (russ. Alexejewka, ukr. Oleksijiwka) 104 Mansfelde, Kr. Friedeberg (poln. Lipie Góry) 440 Marasesti (rum. Mărășești) 444f. Mărășești → Marasesti Marburg 213 Mariánské Lázně → Marienbad Marienbad (tsch. Mariánské Lázně) 385 Mathildendorf (ukr. Schowtnewe) 108 Mauer-Öhling 188 Mauthausen 274 Meseritz-Obrawalde in Meseritz (poln. Międzyrzecz) 121 Michalken, Kr. Hoyerswerda 440 Międzyrzecz → Meseritz Mikołów → Nikolai Minsk 366 Modderwiese, Kr. Arnswalde (poln. Grotów) 440 Mohács → Mohatsch Mohatsch (ung. Mohács) 438, 480f., 485, 595 Moresnet, Kr. Eupen 627, 631 Moskau (russ. Moskwa) 97, 404, 592 Moskwa → Moskau München 119, 170, 185, 194, 207, 284, 321, 346, 359, 361, 368, 386, 389, 421, 492, 526, 530, 550, 566 Münsingen 34 Münster 392, 394 Myrnopillja → Friedenstal Nadeschdyne → Hoffnungsthal Nartum bei Bremen 145 Narvik 284, 421, 492 Negru Vodă → Caraomer
Neu-Elft (auch Fère Champenoise II, ukr. Novoselivka) 102 Neu-Itzkany 446 Neudeck 280 Neuendettelsau 214 Neuenhagen b. Berlin 169, 174, 193, 201, 204 Neumecklenburg, Kr. Friedeberg (poln. Zwierzyn) 168, 193 Neuruppin 350 Nikolai (poln. Mikołów) 182 Northeim b. Göttingen 190 Novoselivka → Neu-Elft Nürnberg 94, 125, 146, 174, 176, 178, 193, 284, 328, 333, 337, 360, 372, 388, 398, 421, 492, 521f., 532f., 573 Ö. bei Peine 137, 152, 186–189 Odessa 25, 366, 409, 412 Ofen (Bad Zwischenahn-Ofen) 16 Oldenburg 33, 44, 84, 146f., 150, 152f., 167, 175, 366, 376f., 392, 550, 552 Ołdrzychowice Kłodzkie → Ullersdorf Oleksijiwka → Mannsburg Ording (St.-Peter-Ording) 170f., 193 Orencoa (?) 438, 487 Orschowa (rum. Orșova) 437f., 470, 481, 485, 487, 535, 620 Orșova → Orschowa Orzesche (poln. Orzesze) 180, 182, 194 Orzesze → Orzesche Oświęcim → Auschwitz Oxford 56f. Palazu Mare (fäschlich Palazul Mare) 320, 589, 614f., 618 Palazul Mare → Palazu Mare Păltinoasa → Paltinossa Paltinossa (rum. Păltinoasa) 446 Paris, Bessarabien (ukr. Weselyi Kut) 24f. Paris, Frankreich 415 Passau 359 Peine 138, 186, 189f., 194, 233, 236 Peterswaldau, Eulengebirge (poln. Pieszyce) 184, 194, 346, 350, 353–356, 530, 580f.
Alphabetische Register Piaśnica (eigentlich poln. Wielka Piaśnica, dtsch. Groß Piasnitz) 227 Pidhirne → Kulm Pieszyce → Peterswaldau Pirna 53 Pirna-Sonnenstein 34, 52, 54f., 59, 94f., 121, 182 Pleß (poln. Pszczyna) 182 Plewna 402 Ploest (?) 388 Pojorita (fälschlich Pojoritta) 446 Pojoritta → Pojorita Posen (poln. Poznań) 35, 57, 159, 225, 228 Posttal (eigentlich Alt-Posttal, ukr. Malojaroslawez Druhyj) 102 Poznań → Posen Prahovo 117, 244, 278, 280f., 284, 310, 314, 316, 418, 429, 438, 483, 508, 535f., 541, 544f., 588, 594–596 Pressburg (slowak. Bratislawa) 402, 437, 470, 486f., 620 Preußisch Stargard (poln. Starogard Gdański) 228 Przemyśl 553, 623 Pszczyna → Pleß Putna 333, 335, 337, 398, 572 Rădăuți → Radautz Radautz (rum. Rădăuți) 156, 183, 194, 262, 272, 327f., 330, 332f., 335–340, 344, 360, 368, 384, 388, 390f., 395–400, 403f., 432, 436, 444–447, 471, 511, 514–516, 518f., 529f., 560, 562f., 569, 571–573 Radeberg 123 Radebeul 123 Radewisch (vmtl. Rodewisch) 123 Rastatt 634 Ravensbrück 69f., 203, 218, 220–223 Rehnitz, Kr. Soldin 589, 633–636 Reni 29, 104, 109, 114, 117f., 124, 128, 245, 281, 303, 310f., 313–315, 429f., 434f., 452, 504, 508, 539, 544f. Reval (estn. Tallinn) 121 Riga (lett. Rīga) 121, 157
709
Rīga → Riga Rodewisch → Radewisch Rogoźnica → Groß-Rosen Rościszów → Steinseifersdorf Rothenburg ob der Tauber 215 Ruse → Russe Russe (bulg. Ruse) 310, 621 Sachsenburg 112, 212 Sandtorf 214 Sanok 510, 515, 550, 552f., 589, 623–625, 627 Sarata (rum. Sărata) 29, 37, 254, 263f., 266, 399, 401, 590, 593 Sărata → Sarata Saulgau 212, 564f. Scerna-Voda → Cernavodă Schippach, Kr. Miltenberg 440, 530, 577 Schmölln, Kr. Bautzen 576 Schowtnewe → Mathildendorf Schweidnitz (poln. Świdnica) 354, 440 Schwerin 528 Seimeny 412 Seleniwka → Eigenheim Semlin (serb. Zemun) 64, 241f., 244, 247, 266, 273, 276–284, 310f., 313f., 316, 329, 340, 347, 357, 365, 400, 402, 417, 429, 437f., 449, 456, 478, 482, 508, 519, 529, 534, 541, 543, 546, 548f., 552f., 555, 560f., 571–573, 582, 587–589, 594–596, 601f., 605, 637–639 Sereth (rum. Siret) 446 Serpnewe → Leipzig Sibiu → Hermannstadt Siegen 190, 194 Siessen 112 Siret → Sereth Słupsk → Stolp Sofia 449 Solca → Solka Soldau (poln. Działdowo) 59 Soldin 150, 154–157, 159, 163, 168f., 174, 192, 196, 386, 441, 633, 635–637 Solka (rum. Solca) 446 Spengawsk → Spengawsken
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Anhang
Spengawsken (auch Spengawsk, poln. Szpęgawsk) 227, 376 St. Petersburg 409 St.-Peter-Ording → Ording Stanislau (ukr. Iwano-Frankiwsk) 53 Stare Gronowo → Grunau Stare Kurowo → Altkarbe Stargard, Pommern 156 Starogard Gdański → Preußisch Stargard Steinatal 213 Steinseifersdorf (poln. Rościszów) 354 Sternberg 180–182, 194 Stetten, Württemberg 440f. Stettin (poln. Szczecin) 633f. Stolp (poln. Słupsk) 163, 198 Stralsund 163, 193, 199f. Striegau (poln. Strzegom) 355 Strzegom → Striegau Strzelce Krajeńskie → Friedeberg Stulpicani 446 Stuttgart 28, 37f., 107, 284, 290, 378, 421, 492, 593 Suceava Nord → Itzkany Suchuwate → Kurudschika Sutschawa 446 Świdnica → Schweidnitz Szczecin → Stettin Szpęgawsk → Spengawsken
Teplyzja → Teplitz Tereblestie 399 Terezín → Theresienstadt Teschen (poln. Cieszyn, tsch. Český Těšín) 97f., 105, 120, 127, 225 Theresienstadt (tsch. Terezín) 157 Thorn (poln. Toruń) 225 Tiegenhof 35, 49f., 58, 121 Timișoara → Temeswar Todenhagen 159 Toruń → Thorn Triangel b. Gifhorn 123, 355 Trondheim → Drontheim Tscherbeney → Grenzeck Tscherburg (?) 565 Tscherniwzi → Czernowitz Tschernowitz → Czernowitz Tschernowoda → Cernavodă Tübingen 115, 321 Tulcea → Tultscha Tulcia → Tultscha Tultscha (rum. Tulcea, Tulcia) 318, 326, 441f., 517, 557, 560, 622 Turn-Severin (rum. Turnu Severin) 310, 402, 487, 620 Turnu Severin → Turn-Severin Tutzing 175, 178, 185, 193, 209–212, 346, 359, 361, 552
Tallinn → Reval Tapiau (poln. Tapiewo, russ. Gwardeisk) 166 Tapiewo → Tapiau Tari Verdi → Tariverde Tariverde (auch Tari Verdi) 589, 619f., 622f. Tarutino (ukr. Tarutyne) 24, 26, 46, 113, 116f., 145, 259, 263, 266, 299, 322, 400, 410, 449, 451, 590f., 593 Tarutyne → Tarutino Techirghiol (fälschlich Techirighol) 565 Techirighol → Techirghiol Temeschburg → Temeswar Temeswar (auch Temeschburg, rum. Timișoara) 469 Teplitz (ukr. Teplyzja) 94
Ulbrichshöhe 530, 580f. Ullersdorf, Kr. Glatz (poln. Ołdrzychowice Kłodzkie) 354, 440, 531, 583f. Vác 438, 483 Vama → Wama Vatra Dornei → Dorna Watra Villach 449, 542 Vilnius → Wilna Vișniovca → Wischniowka Voievodeasa → Fürstenthal Vugora 438 Wałbrzych → Waldenburg Waldenburg (poln. Wałbrzych) 354 Wama (auch Vama) 446
Alphabetische Register Warschau (poln. Warszawa) 50, 141, 178f., 193, 228, 386, 407 Warszawa → Warschau Warta 35, 58 Wehnen b. Oldenburg 15f., 18–21, 50, 53, 84, 149–151, 280, 375f. Weinhübel 530, 567, 569 Weißenburg 214 Weselyi Kut → Paris, Bessarabien Westerstedte 469 Wielka Piaśnica → Piaśnica Wien 56, 87, 101, 164, 176, 182, 194, 219, 223f., 242f., 245–249, 255, 275, 278, 281, 283f., 288, 305f., 310f., 316, 321f., 326, 329, 336, 350, 357, 361, 363–368, 385f., 390, 402, 404, 413, 416–419, 430, 433, 437, 442, 448f., 452, 468, 470–479, 481f., 486, 489, 508, 516, 529, 531–534, 536, 541, 543f., 548, 560, 566–568, 570, 595, 600, 602, 608, 612, 615, 619f., 628, 632, 639
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Wiesbaden 213 Wilhelmshaven 146 Wilna (lit. Vilnius) 121 Winsen 394 Wischniowka (mold. Vișniovca) 102 Wittenberg, Bessarabien (ukr. Malojaroslawez Perschyj) 24f., 592 Wladimir Wolinsk (ukr. Wolodymyr) 119 Wolodymyr → Wladimir Wolinsk Wrocław → Breslau Würzburg 94 Zagreb (auch Agram) 639 Zemun → Semlin Zgierz → Zgiesch Zgiesch (1943–45 Görnau, poln. Zgierz) 122 Zschadraß 122f. Zwierzyn → Neumecklenburg
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IV.F. Literatur und weitere Quellen IV.F.a Archive und Privatarchive Archiv Stiftung Sächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein Lageplan (2012): Die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein bei Dresden 1940/41. Bundesarchiv Berlin (BA, BArch) R49 (Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, RKF): 3048. R57 (Deutsches Ausland-Institut, DAI): 1692. R59 (Volksdeutsche Mittelstelle, VoMi): 372, 376, 377. NSD 30 Nr. 30 (Werbebroschüre der NS-Schwesternschaft). Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik, München Firmenarchiv Topf & Söhne, CD 85168. Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin Reichsärztekartei. Landesbibliothek Oldenburg, Zeitungsarchiv. Feierliche Vereidigung der NS-Schwestern. Die Kundgebungen der Gaufrauenschaft. In: Oldenburgische Staatszeitung. Nr. 55. 2. Beilage, Montag, 25.2.1935. Nachlass von NS-Oberin Dorothee Rakow (Standort: Privatarchiv der Autorin) – Das Bessarabien-Konvolut 1940/41 Vollständig ediert im QUELLENINVENTAR, Q1–Q7. – DDSG: Handbuch für Donaureisen 1939. Wien 1939. (Widmungsexpemplar für die Teilnehmer der Umsiedlungsaktion 1940). – Lebensbericht 1989 Dora P.: Das war mein Leben! Typoskript o. J. [1986–1989]. 40 Seiten, Maschinenschrift auf Pergamentpapier. – Persönliche Dokumente Arbeitszeugnisse, Rentenunterlagen, Fotos. – Dokumente der NS-Schwesternschaft 1935–1943 Ausweise (NS-Frauenschaft, NS-Schwesternschaft, NSDAP), Briefe und Postkarten von NS-Schwestern, NS-Oberinnen, Generaloberin, Rundbriefe, Richtlinien, Schulungsbriefe, Fachzeitschriften, Broschüren. Auswahl. – Kurmärkische Volkswohlfahrt 1935, 1936 Aus der Arbeit der NS-Volkswohlfahrt in der Kurmark [o.A.], Zeitungsbeilage im Märkischen Adler: Was uns NS-Schwestern erzählen. Verantwortungsvolle Arbeit an wichtiger Stelle der NSV. 2. Beilage, S. 2. In: Der Märkische Adler 49. 6.12. 1935; Ein Frontbericht aus der NSV-Arbeit. Eine NS-Schwester erzählt von ihrer Tätitgkeit. (o.A.). 3. Beilage, S. 1. In: Der Märkische Adler 6. 7.2.1936. – Schulungsbrief 1938 Wagner, Gerhard: Nationalsozialistische Gesundheitsführung. Richtlinien des Reichsärzteführers. In: Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.): Der Schulungsbrief. Gesundheitspflege. Programmpunkt 21 der NSDAP 5 (1938), 12. erw. Folge, S. 420–427.
Literatur und weitere Quellen
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– Internationaler Kinderschutzkongreß 1938 Tagungsmappe mit Programm, Schriften, Fotos. Tagungsbericht von NS-Schwester Dorothee Rakow: Internationaler Kinderschutzkongreß. In: Die Deutsche Schwester 6 (1938) Heft 7, S. 179f. – Fotoreportage 1940 Aus der Arbeit der NS-Schwesternschaft und des Reichsbundes der freien Schwestern. Das städtische Krankenhaus in Posen wurde durch die NS.-Schwesternschaft und die Landesfrauenklinik durch den Reichsbund der freien Schwestern übernommen. Fotos: NSV-Reichsbildarchiv, o.A. In: Ewiges Deutschland. Monatsschrift für den deutschen Volksgenossen 5 (1940) Heft 1, S. 8f. (auf dem Titelblatt der Vermerk: Schw. Dorothee). – Dühe, Rundbriefe 1941, 1942 Rundbrief der NS.-Schwesternschaft. Hg. vom Hauptamt für Volkswohlfahrt, NS.-Schwesternschaft, in Zusammenarbeit mit dem Reichsschulungsbeauftragten. Sachbearbeiterin; NS.-Oberschwester Ruth Dühe (1941) Hefte I, II, III, (1942) Heft I. Fortführung unter dem Titel: Rundbrief NS-Reichsbund Deutscher Schwestern e.V. (1942) Hefte I, II, III. Manche Dokumente, Briefe, Fotos aus dem Nachlass wurden mir nach und nach überlassen, so dass die Quellenangaben zum Nachlass Dorothee Rakow bzw. Privatarchiv Renate J. variieren könnten. Preußische Staatsbibliothek Berlin MS 41/5964. Privatarchiv Renate J. – Gespräche und Briefe 2007 – Familienbiografie 2005 Renate J.: „Wenn Hitler nicht gewesen wäre ...“. Eine Familienbiografie in Briefen und Berichten 1858–1949. Otto – Enkel des Scharfrichters Salomon. Schwester Dorothee – Soldatin des Führers. Renate – Kind der NS-Schwesternschaft. Private Zusammenstellung und Ausarbeitung. Oldenburg 2005. – Briefsammlung Renate J.: „Nur mein Herz ist noch dasselbe“. Briefe von Frauen an einen Mann 1915– 1942. Kommentierte Zusammenstellung aus dem Familienarchiv. Oldenburg 2004 (unveröffentlicht). – Familienalbum 1952 „Die Gestaltung des Eigenheims der Familie Otto P.“, Kommentiertes Fotoalbum des Vaters [1952]. – Bücher aus dem Nachlass ihrer Mutter Dorothee Rakow (Hoche 1936, Rosenberg 1935, Göttstein 1924) Privatarchiv Helmut Ritter (†) – Gespräche und Briefe 2007 – Berichte zum Umsiedlungseinsatz 1940, Urfassung der gedruckten Version – Persönliche Dokumente, Zeugnisse, Urkunden, Briefwechsel Privatarchiv Susanne Schlechter Pressesammlung zum Fall Högel (2015–2022).
714
Anhang
IV.F.b Literatur und gedruckte Quellen Ach, Manfred; Pentrup, Clemens: Hitlers „Religion“. Pseudoreligiöse Elemente im nationalsozialistischen Sprachgebrauch. 6. Aufl. München 2001 [1. Aufl. 1977] (Irmin-Edition 3, Ariosophie und Völkischer Glaube). AG Krankenpflegegeschichte; Noebel, Carola: Krankenpflege im Nationalsozialismus. Versuch einer kritischen Aufarbeitung. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1985 [1. Aufl. Berlin 1984 u.d.T.: Geschichte der Krankenpflege – Versuch einer kritischen Aufarbeitung]. Ahrendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München-Zürich 1986 [1. Aufl. München 1964]. Albrecht, Henning: Horst Janssen. Ein Leben. Hamburg 2016. Aly, Götz (Hg.): Aktion T4. 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Berlin 1989. Aly, Götz: Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939–1945. Eine Gesellschaftsgeschichte. Frankfurt am Main 2013. Angrick, Andrej: Aktion 1005. Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942–1945. Eine „geheime Reichssache“ im Spannungsfeld von Kriegswende und Propaganda. Bd. 1 und 2. Göttingen 2018. Anonym [LS]: Justiz bestätigt Morde in Wehnen. Nordwest-Zeitung. 30.10.2018. Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hg.): Beiträge zur NS-„Euthanasie“-Forschung 2002. Ulm 2003 (Berichte des Arbeitskreises 3). Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hg.): NS-Euthanasie in der „Ostmark“. Fachtagung vom 17.–19. April 2009 im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Österreich. Münster 2012 (Berichte des Arbeitskreises 8). Assheuer, Thomas; Lau, Jörg: Niemand lebt im Augenblick. Ein Gespräch mit den Kulturwissenschaftlern Aleida und Jan Assmann über deutsche Geschichte, deutsches Gedenken und den Streit um Martin Walser. In: DIE ZEIT. Nr. 50. 3.12. 1998, S. 43–44. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Lizenzausgabe Bonn 2007 [Originalausgabe München 2006] (Schriften der Bundeszentrale für Politische Bildung 633). Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, 2. Aufl. München 2016 [1. Aufl. 2013]. Baeskow, C.; Schrader, H.: Als NSV-Schwestern bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. In: Andreas Pampuch: Heimkehr der Bessarabiendeutschen. Breslau 1941, S. 210– 213. Bauer, Markus: Zweimal vertrieben auf der Suche nach Heimat. Deutsche aus der Bukowina. In: Benz, Wolfgang; Weber; Matthias (Hg.): Exodus. Die Juden Europas nach dem Holocaust. Berlin-Boston 2017 (Schriften des BKGE 71), S. 123–134. Becker, Alexa: Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul an den klinischen Einrichtungen der Universität München und ihre Begegnung mit dem Nationalsozialismus. [Diss. Uni München 2008]. Online-Veröffentlichung. URL: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/9320/1/Becker_Alexa.pdf.
Literatur und weitere Quellen
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Beddies, Thomas: Jungärzte – Jugendärzte. Mediziner als „Kameraden“ der Jugend. Vortrag auf der Tagung: Die „Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse“ und die NS-Gesundheitspolitik. Frühjahrstagung des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation. Neubrandenburg/Alt-Rehse 11.– 13.5.2007 (Mitschrift). Beelte, Annedore: Den Vergessenen steinerne Kissen. TAZ-nord. 25.8.2008, S. 17. Begerow, Hans: Anerkennung für die Opfer erst sehr spät. Warum die Staatsanwaltschaft 70 Jahre nach den Taten noch einmal ermittelt hat. In: Nordwestzeitung. 8.11.2018, S. 13. Benzenhöfer, Udo: „Kinderfachabteilungen“ und „NS-Kindereuthanasie“. Wetzlar 2000 (Studien zur Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus 1). Bernhold, Ulla; Setje-Eilers, Almut (Hg.: Landkreis Wesermarsch, Gleichstellungsstelle): „Ist denn da was gewesen ...?“ Frauen in der Wesermarsch im Nationalsozialismus. Brake 1996 (Frauen in der Wesermarsch 6). Bernsmann, Lea: Der Umgang mit Holocaust-Geschichte. „Winterreise“ macht doch hier Station. Nordwest-Zeitung. 1.9.2020, S. 9. Betzien, Petra: Krankenschwestern im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Selbstverständnis, Berufsethos und Dienst an den Patienten im Häftlingsrevier und SS-Lazarett. [Diss. FernUni Hagen 2017]. Frankfurt/Main 2018 (Pflegegeschichte 1). Binding, Karl; Hoche, Alfred: Die Freigabe der Vernichtung lebensunswerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Leipzig 1920. Bisle-Fandrich, Elvire; Fandrich, Helmut (Hg.): Tarutino. Zentrum der Deutschen in Bessarabien 1918–1940. Bremerhaven 1996. Bisle-Fandrich, Elvire: Sonnrosen und Piker. Bessarabiendeutsche erzählen. 2., veränderte Aufl. Bremerhaven 2007 [1. Aufl. 2002]. Böhm, Boris; Haase, Norbert; von Wilcken, Dagmar: Nationalsozialistische „Euthanasie“Verbrechen auf dem Sonnenstein 1940–41. Prospekt o.J. [um 2004]. Hg. von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Böhm, Boris; Schilter, Thomas: Pirna-Sonnenstein. Von der Reformpsychiatrie zur Tötung psychisch Kranker und Behinderter. Dresden 2004. Hg. v. der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft (Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen. Beiträge zu ihrer Aufarbeitung in Sachsen 10). Bornemann, Brigitte: Karte der deutschen Ansiedlungen im Osten auf Google Maps. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins e.V. (2017) Heft 8, S. 19–20. Borries, Friedrich von; Fischer, Jens-Uwe: Gefangen in der Totalitätsmaschine. Der Bauhäusler Franz Ehrlich. Berlin 2022. Brandes, Detlef: Von den Zaren adoptiert. Die deutschen Kolonisten und die Balkansiedler in Neurussland und Bessarabien 1751–1914. München 1993 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte Oldenburg 2). Breiding, Birgit: Die braunen Schwestern. Ideologie – Struktur – Funktion einer nationalsozialistischen Elite [Diss. Uni Freiburg 1997]. Bamberg 1998 (Beiträge zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte 85). Brusis, Tilman; Unshelm, Werner: Klinik und Therapie der Pedikulosen. In: Deutsches Ärzteblatt 5 (1977), S. 293–297. Online-Veröffentlichung. URL: cdn. aerzteblatt.de/ pdf/74/5/a293.pdf.
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Anhang
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Literatur und weitere Quellen
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Literatur und weitere Quellen
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Anhang
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Literatur und weitere Quellen
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Anhang
IV.F.d Theater und Film (Reihenfolge chronologisch)
Liebeneier, Wolfgang: Ich klage an. NS-Propaganda-Spielfilm. Uraufführung 29. August 1941. Ucicky, Gustav: Heimkehr. NS-Propaganda-Spielfilm. Uraufführung 10. Oktober 1941. Forgács, Péter: The Danube Exodus. Exodus over de Donau. Dokumentarfilm, Niederlande 1998. Gronenborn, Esther: Ich werde nicht schweigen. TV-Spielfilm, ZDF/arte-Produktion 2017. Krogmann, Karsten; Ahlers, Christian: Der Fall Högel. (Multimedia-Analyse des Gerichtsprozesses in Oldenburg 2018 bis 2019). URL: https://nwzonline.pageflow.io/der-fallniels-högel. werkgruppe2 (Roesler, Julia; Rudolph, Insa; Merzhäuser, Silke): Überleben. Theater-Koproduktion im Rahmen des flausen+Banden!-Festivals performativen Künste 2020 mit dem Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters. Premiere in Oldenburg 29.2.2020. Gronenborn, Esther; Neuwöhner, Sönke Lars: Das weiße Schweigen. Letterbox-Filmproduktion, Hamburg, Filmpremiere Hochschule für Film und Fernsehen München, 25.6.2022.
IV.F.e Zeitschriftenbeiträge zum Projekt Verschwundene Umsiedler (Reihenfolge chronologisch)
Schwarz, Christian: Geschichte von Wehnen aus aufgedeckt. Nordwest-Zeitung (Ammerland). 20.7.2007, S. 1 und 3. Schwarz, Christian: Alter Nachlass neu erforscht. Susanne Schlechter untersucht „Bessarabiendeutsche und Euthanasie“. Nordwest-Zeitung (Oldenburg). 24.7. 2007, S. 32. Schlechter, Susanne: Eine Frage an die Zeitzeugen. [Mit einem Foto aus dem Nachlass der NS-Oberin]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 19 (2007). S. 2. Schlechter, Susanne: Verschwundene Umsiedler – Sind sie wirklich in unserem Gedächtnis verschwunden? In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 23 (2007), S. 2f. Schlechter, Susanne: Spurensuche „Verschwundene Umsiedler“. Zeitzeugenforum zum Thema NS-Euthanasie bei der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 24 (2007), S. 2. Schlechter, Susanne; Schill, Anette: „Verschwundene Umsiedler“ – eine von vielen Geschichten. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 1 (2008), S. 14–17. Schlechter, Susanne: Wo starb 1941 Katharina Früh aus Sarata? In. Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 2 (2008), S. 22. Fieß, Heinz: Mitmenschen im Alexander-Asyl – in Bessarabien umsorgt, während der Umsiedlung vergessen? [Aufruf zur Unterstützung des Forschungsprojekts]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 3 (2008), S. 9f. Schlechter, Susanne: Projekt „Verschwundene Umsiedler“ – Wie geht es weiter? In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 8 (2008), S. 18.
Literatur und weitere Quellen
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Fieß, Heinz: Forum: Die Bessarabiendeutschen und der Nationalsozialismus. Es ist Zeit, dass wir diesem Thema genauer nachgehen. [Eröffnung des kontroversen Leserforums] In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 8 (2008), S. 19. Schlechter, Susanne: „Verschwundene Umsiedler“ – Erstes Ergebnis zum Jahresende. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 12 (2008), S. 12–14. Schlechter, Susanne: „Verschwundene Umsiedler“ – Erstes Ergebnis zum Jahresende (Fortsetzung). In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 1 (2009), S. 11–13. Baumann, Arnulf: Bessarabiendeutsche Historische Kommission [Forschungsinitiative zur NS-Zeit]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 2 (2009), S. 4. Schlechter, Susanne: Projekt „Verschwundene Umsiedler“ – Es geht es weiter!!! In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 8 (2009), S. 19. Schlechter, Susanne (Red.): Egon Schlechter aus Stubben (G 1936 Kurudschika): Beitrag zum Leserforum: Wie verhielten sich die Bessarabiendeutschen zum Nationalsozialismus? In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 8 (2009), S. 20. Schelski, Olaf: Bessarabiendeutsche und Euthanasie. Kulturwissenschaftlerin erforscht Zusammenhang zwischen Eingliederung der deutschen Volksgruppe aus Bessarabien und den Euthanasiemaßnahmen der Nazis. In: Bund der Vertriebenen, Kreisverband Bonn (Hg.): Tag der Heimat in Bonn 2. und 20. September 2009. Wahrheit und Gerechtigkeit – Ein starkes Europa. Bonn 2009, S. 9. Brenner, Gerhard: Mein Vater Robert Brenner aus Alexandrowka in Bessarabien [Aufklärung eines Schicksals im Projekt „Verschwundene Umsiedler“]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 10 (2010), S. 9. Schlechter, Susanne: Vorankündigung. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 12 (2010), S. 20. Schlechter, Susanne: Verschwundene Umsiedler – Das Ergebnis einer mehrjährigen Spurensuche liegt jetzt vor! In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 1 (2011), S. 18–20. Vossler, Günther: „Verschwundene Umsiedler“. Einweihung der Erinnerungs- und Gedenktafel [Einladung zur Feierstunde am 24.11.2013]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2013), S. 3. Schlechter, Susanne: Forschen und Gedenken [Abdruck des Vortrages am 17.7.2016 zur Einweihung der Gedenktafeln für „Verschwundene Umsiedler“ im Heimathaus Stuttgart. Red.: Christa Hilpert-Kuch]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 9 (2016), S. 1, 3–6 und 14–17. Vossler, Günter: Einweihung der Gedenktafel für die Opfer der NS-„Euthanasie“ am 17.7. 2016 im Haus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart [Mit den Festbeiträgen von Arnulf Baumann, Matthias Beer und Heinz Fieß]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 10 (2016), S. 3–5. Vossler, Günter: Einweihung des um die Namen „der verschwundenen Umsiedler“ erweiterten Gedenkortes 5. Oktober 2018 im Haus der Bessarabiendeutschen [Einladung]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 9 (2018), S. 20. Vossler, Günter: Einweihung des Gedenkortes im Haus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart für die „Verschwundenen Umsiedler“ mit den uns bekannten Namen der Opfer, die durch die „NS-Euthanasie“ getötet wurden [Mit Brief des Bundespräsidenten a.D. Horst
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Anhang
Köhler und Andacht der evangelischen Kirchenrätin Andrea Aippersbach]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2018), S. 3–6. Seemann, Anne: 25. Herbsttagung in Bad Sachsa vom 2.–4.November 2018 [zur Verarbeitung von Kriegstraumata und NS-„Euthanasie“]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 12 (2018), S. 15–17. Baumann, Arnulf: Die NS-Mordaktionen an Behinderten und die Bessarabiendeutschen. In: Ders.; Schlarb, Cornelia (Hg.): Heimatkalender 2019. Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien. 70. Jg. Stuttgart 2019, S. 160–174. Aippersbach, Andrea: Verschwundene Umsiedler. Andacht anlässlich der Anbringung der Namenstafel zur Gedenktafel von 2016 im Haus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart, Freitag, 5. Oktober 2018. In: Baumann, Arnulf; Bornemann, Brigitte; Schlarb, Cornelia (Hg.): Heimatkalender 2020. Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien. 71. Jg. Stuttgart 2020, S. 118–122. Bornemann, Brigitte; Wahl, Hans Rudolf: Einladung zur Feierstunde an der Gedenkstätte der verschwundenen Umsiedler 25. September 2020. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 9 (2020), S. 1 und 3. Bornemann, Brigitte: Feierstunde „80 Jahre Umsiedlung“ an der Gedenkstätte der Verschwundenen Umsiedler. Am 25. September 2020 im Haus der Bessarabien- und Dobrudschadeutschem in Stuttgart [Mit Grußworten des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Stuttgart, Fritz Kuhn, und der Kulturreferentin der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien Berlin, Dr. Heinke Fabritius]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2020), S. 3–5. Wahl, Hans Rudolf [Vorsitzender der Historischen Kommission des Vereins]: Festansprache [Zum 25. September 2020 als ersten jährlichen „Tag des Gedenkens an die Verschwundenen Umsiedler“]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2020), S. 6f. Schlechter, Susanne: Grußwort zur Feierstunde [Kritische Betrachtung der Gedenktafeln für „Verschwundene Umsiedler“]. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2020), S. 7–9. Kroll, Andreas: Eine Gedenkstätte der ermordeten, nicht der „verschwundenen“ Umsiedler im Heimathaus Stuttgart. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 3 (2021), S. 3–4. Einladung zum Gedenktag der Verschwundenen Umsiedler. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 9 (2021), S. 5. Bornemann, Brigitte: Feierstunde zum Gedenktag der Verschwundenen Umsiedler am 25. September 2021 im Heimathaus in Stuttgart. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2021), S. 3–4. Bornemann, Brigitte: Gedenktag der Verschwundenen Umsiedler am 25.9.2022. In: Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins 11 (2022), S. 4.
Literatur und weitere Quellen
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IV.F.f Bildnachweise Alle Abbildungen aus dem Nachlass Dorothee Rakow, außer die Fotos, Dokumente und Landkarten auf folgenden Seiten: S. 139, 143, 154, 189, 191, 351: Privatarchiv Renate J., Oldenburg. S. 97, 99, 111, 115: Privatarchiv Dr. med. Helmut Ritter, Bremen. S. 30, 91, 101, 103, 105, 118, 246, 247, 281, 310, 369: Aus: „Heimkehr der Bessarabiendeutschen“, Schlesien-Verlag, Breslau 1941 (Foto: Dr. Andreas Pampuch; Karte: Jeuthe). S. 20: Nordwest-Zeitung Oldenburg, Christian Schwarz. S. 55: Archiv Stiftung Sächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. S. 100: Internet Creative Commons Free Software. S. 136: Bundesarchiv Berlin, Standort Lichterfelde, Bibliothek (BArch, NSD 30/30). S. 274: Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik, München (CD 85168). S. 356, 361: Bibliographisches Institut GmbH/Dudenverlag Berlin. S. 513: Bessarabiendeutscher Verein e.V., Stuttgart. S. 16, 24, 38, 381, 742: Privatarchiv der Autorin, Oldenburg. S. 744f. (Berlin-Topografie): Susanne Schlechter, unter Verwendung einer historischen Kartengrundlage, mit freundlicher Genehmigung des Pharus-Verlag Berlin.
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IV.G. Dank und Rückblick „Ohne Dankbarkeit kein Segen“.1 DANKE Die Auswertung des Nachlasses führte mich mit vielen Menschen zusammen, die durch ihr persönliches Interesse oder ihr hilfreiches Engagement die Spurensuche unterstützten und das Projekt inhaltlich vorantrieben. Ihnen allen möchte ich meinen herzlichen Dank sagen. Zu ihnen gehörten im Jahr 2007 zunächst die freundlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Staatsministers (Staatsministerin) für Kultur und Medien (BKM) in Bonn, sowie Dr. Michael Weber, Dr. Tobias Weger und Dr. Konrad Gündisch vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) in Oldenburg, Prof Dr. Hans-Henning Hahn von der Uni Oldenburg und dann Gertrud Knöttig und Edda Minssen vom Vorstand des Gedenkkreises Wehnen e.V. als Projektträger. Aus dem regionalen Umfeld unserer Gedenkstätte danke ich Renate Machner vom damaligen Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wehnen, Christian Schwarz von der Nordwest-Zeitung, Lilly Lemke aus Bad Zwischenahn, Dr. med. Steffen Osthege aus Westerstede und meiner Schwester Christina Schlechter für wichtige Gespräche und Hinweise in dieser Anfangszeit, als noch alle Ergebnisse offen waren. Dem Vorstand des Bessarabiendeutschen Vereins in Stuttgart stellte ich das Oldenburger Projekt auf einer Zusammenkunft in Bad Sachsa vor, wo es interessiert aufgenommen und ab 2008 in eigene Trägerschaft übernommen und mitfinanziert wurde. Dem damaligen Schriftleiter des Mitteilungsblatts des Bessarabiendeutschen Vereins, David Aippersbach aus Clausthal-Zellerfeld, danke ich für die Veröffentlichung meiner Aufrufe unter den Mitgliedern und seine beiden Besuche in Wehnen. Meiner früheren Deutschlehrerin Elvire BisleFandrich aus Bremerhaven verdankte ich gleich zu Projektbeginn die Adresse des Gebietsarztes Dr. Ritter, den ich in Bremen interviewte. Dies war eine nicht geplante glückliche Fügung, aus der am Ende ein eigenes Kapitel entstand. Für den wissenschaftlichen Austausch während der Auswertung des Interviews danke ich Dr. Maria Fiebrandt aus Dresden, Gedenkstätte Pirna Sonnenstein, und Dr. Thomas Beddies, Institut für Geschichte der Medizin der Charité Berlin. Insgesamt danke ich dem Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation und hier vor allem dem Historiker Dr. Dietmar Schulze aus Leipzig, der schon seit 2003 mein langjähriger Berater zum Thema „Umsiedlung und Euthanasie“ war. Für ihre – wenn auch vergeblichen – Bemühungen um die Übersetzung der Stenografie von 1916 danke ich Pia-Marlene Schlechter, Edda Minssen, Dr. Ingo Harms, Thea Hellmers, Hannelore Schindelasch in Oldenburg und Dr. Bernhard Mönnighoff in Wilhelmshaven, aber vor allem dem Fachmann, der die Schrift letztendlich entschlüsseln konnte: Horst Grimm aus Winsen. 1 Ich danke für Spruch und Segen Herrn Sprenger (G 1906 in Kurudschika/Bessarabien), Bessarabientreffen in Verden 2006.
Dank und Rückblick
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Dankbar bin ich dem inzwischen verstorbenen Dr. med. Helmut Ritter, der mich zu e inem Interview über seine Zeit als damaliger Gebietsarzt in Bessarabien im Altersheim trotz gesundheitlicher Einschränkungen freundlich empfing und mir auch noch Dokumente aus seinem Privatarchiv anvertraute. Auch seinem Sohn danke ich für unser langes und klärendes Telefonat. Gar nicht genug danken kann ich schließlich der Tochter von „Schwester Dorothee“, die mir schon 2005 die historisch wertvollen Dokumente zu treuen Händen übergab. Ohne Renate J., ihre gründliche Nachlassaufbewahrung, ihre unermüdliche Suche nach wissenschaftlicher Auswertung der Dokumente, letztlich ihre Weitergabe an mich als damalige Gedenkstättenleiterin, und ohne die Förderung des BKM hätte es diese Spurensuche so nicht gegeben. Fünfzehn Jahre später werden erneut Dankesworte fällig, denn im langen Zeitraum zwischen Entstehung und Veröffentlichung meiner Untersuchung, 2007 bis 2022, ist viel passiert. Einen freundschaftlichen Dank möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen sagen, die mich in dieser Zwischenzeit suchten und fanden und sich mit mir über einzelne Aspekte in interessanten Telefonaten, Briefen und E-Mails austauschten: Seit 2010 waren das Dr. Monika Kucner, Dr. Petra Betzien, Dr. Wiebke Lisner, Dr. Birgit Breiding, Dr. Sabine Kritter, Dr. Mariana Hausleitner, Dr. Christoph Zöckler, Dr. Piotr Kuhn, Uwe Neumärker, Dr. Tudor Georgescu, Prof. Dr. Paul Weindling in Oxford und ganz besonders Prof. Dr. Elizabeth Harvey in Nottingham, ich erinnere mich so gerne an ihren Besuch in Oldenburg 2012; ebenso an den spannenden Austausch mit Dr. Stephan Töpel über einen bislang unerforschten Ort, dessen Spur wir zunächst parallel fanden und dann miteinander in stundenlangen Telefonaten weiter ausleuchteten, so akribisch wie es nur echte Spurensucher machen. Dr. Dietmar Schulze bin ich weiterhin sehr verbunden, dass er im Folgeprojekt 2008 als Mitarbeiter die Archivrecherchen für mein Projekt übernahm und dafür u.a. nach Polen reiste, wo er die Patientenakten aus den Krankentransporten fand und so einige ungeklärte Schicksale aufklären konnte. Die umfangreiche Personendatenbank, die als Grundlage der späteren Gedenktafel diente, verdanken wir vor allem ihm. Dem wissenschaftlichen Netzwerk des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation verdanke ich die Einladungen zu Vorträgen im Ausland, von Dr. Irene Leitner 2008 nach Hartheim in Österreich und von Dr. Björn Felder aus Göttingen 2011 nach Oxford in England. Den Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Dr. Boris Böhm, kenne ich ebenso aus diesem Kreis; lange nach unserem ersten Gespräch über die Umsiedler 2003 trug er 2021 nachträglich mit einem Geländeplan zu dieser Arbeit bei, den es 2007 noch nicht gab. Besonders ihm, aber auch Archivarinnen, wie Carmen Lorenz im Bundesarchiv Berlin und Irene Püttner im Deutschen Museum München, möchte ich für ihre Mühe danken. Ebenso Dr. Ute Hoffmann, Leiterin der Gedenkstätte Bernburg, für das Gespräch bei meinem Besuch der ehemaligen T4-Anstalt 2022. Dem kulturwissenschaftlichen Fachbereich der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg verdanke ich 2009 die nachträglich Annahme der Urfassung von 2007 für eine externe Promotion. Für den Impuls und die weitere Begleitung danke ich von ganzem Herzen meiner langjährigen verehrten Doktormutter Prof. Dr. Karen Ellwanger, die mir schon 1997 im damals neuen Promotionsstudiengang Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien den Krimi Aufruhr in Oxford zum Lesen gab, so als hätte sie damals schon geahnt, was niemand ahnen konnte: So wie die Dekanin im Roman holte sie 2009 die abtrünnige Studentin neun
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Jahre nach ihrem Ausstieg wieder zurück an die Uni mit dem Angebot der Promotion zu diesem Thema, das sich eigentlich nur durch das Verlassen der Uni so entwickeln konnte und das schon Ende 2011 tatsächlich unverhofft nach Oxford ins Balliol College führte, in dem zufällig auch der Roman spielte. Meiner Doktormutter und auch meinem Zweitprüfer Dr. Konrad Gündisch im BKGE habe ich wunderbare Fachgutachten zu verdanken, in denen ihre volle Wertschätzung meiner Projekte, die beide stets ohne Vorbehalte unterstützten, zum Ausdruck kommen. Prof. Dr. Hans Henning Hahn danke ich im Vorfeld des Projekts für seine Überlegungen, das Thema in seinem Fach Geschichte unterzubringen, was 2006 noch nicht gelingen konnte, jedoch ermutigte er mich von Anfang an bei der Konstruktion eines anderen Geschichtsbildes. Schließlich danke ich meinen interdisziplinären Prüfern Prof. Dr. Karen Ellwanger, Prof. Dr. Konrad Gündisch (BKGE), Prof. Dr. Hans-Henning Hahn sowie Prof. Dr. Gunter Kreutz für die Disputation 2016 und für ihre Geduld bei dem weiteren langen Weg bis zur Veröffentlichung. Der Oldenburger NS-Historikerin Dr. Katharina Hoffmann bin ich auch sehr dankbar für ihre jährlich wiederholten Ermahnungen, meinen Doktortitel durch die Verschleppung der Veröffentlichung nicht verfallen zu lassen, und dem Promotionsausschuss der Oldenburger Universität für Nachsicht und Geduld bei der Bewilligung mehrerer Fristverlängerungsanträge. Zwei gemeinnützige Vereine, zunächst der Gedenkkreis Wehnen e.V. bei Oldenburg und später der Bessarabiendeutsche Verein e.V. in Stuttgart, waren von 2007 bis 2010 Träger der Einzelmodule des BKM-Forschungsprojekts. Ohne die Bereitschaft der Vereinsvorstände, diese Verantwortung zu übernehmen, hätte ich mein Konzept nicht umsetzen können. Sehr dankbar bin ich, dass mir stets die volle Freiheit und Eigenständigkeit als Autorin, Forscherin und Projektleiterin gelassen wurde. Im Gedenkkreis Wehnen e.V. danke ich dafür Edda Minssen und Gertrud Knöttig als Vorsitzende und Projektträger, und im Bessarabiendeutschen Verein war es damals insbesondere der Bundesvorsitzende Ingo R. Isert, mit dem mich unsere gute Zusammenarbeit seit 2008 bis heute verbindet. Dem ganzen Bessarabiendeutschen Verein e.V. habe ich für die großzügige finanzielle Mitförderung der Folgeprojekte bis 2010 zu danken, die uns 2008 erlaubte, mit Dietmar Schulze einen weiteren Wissenschaftler für Archivreisen einzubeziehen. Ein besonderer Dank geht an die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Vereinsarchiv, wie Hugo Knöll, Werner Schäfer (†) und Renate Kersting, die mich in dieser Zeit bereitwillig per Post und Telefon mit Auskünften und Materialien unterstützten. Mit dem Ehrenvorsitzenden Dr. h.c. Edwin Kelm (†), der mir immer wieder seine tiefe Dankbarkeit ausdrückte, dieses Thema so spät noch in den Verein gebracht zu haben, fühle ich mich sehr verbunden. Dem späteren Bundesvorsitzenden Günter Vossler (†) sowie Arnulf Baumann (†), Werner Schäfer (†), Heinz Fieß, Dr. Matthias Beer, Manfred Bolte, Dr. Hans Rudolf Wahl und Andrea Aippersbach danke ich für ihr persönliches Engagement, mit dem sie 2016 und 2018 Gedenktafeln für „Verschwundene Umsiedler“ im Haus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart gestalteten und in feierlichem Rahmen einweihten. David Aippersbach und Gitta Schellhardt danke ich, dass sie diesen längeren Prozess in der Funktion einer Angehörigen-Kommission begleiteten. Christa Hilpert-Kuch danke ich für den ungekürzten Abdruck meines Vortrags im Mitteilungsblatt des Vereins 2016 und ihre freundschaftliche Unterstützung. Und es war mir später eine große Freude, die neue Bundesvorsitzende Brigitte Bornemann freundschaftlich kennenzulernen, als sie im September 2021 den jährlichen „Tag des Gedenkens an die Verschwundenen Umsiedler“ in Stuttgart
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mit einer gelungenen Feier einführte; sie und Dr. Hans Rudolf Wahl als neuer Vorsitzender der Historischen Kommission haben das Projekt von ihren Vorgängern im Verein übernommen und werden den Gedenktag in Zukunft weitertragen. Die zahlreichen Hinweisgeber und Angehörigen aus den bessarabiendeutschen Familien, die in den Folgeprojekten mit der Fülle ihrer Erinnerungen zur Aufklärung der unbekannten Krankentransporte beitrugen, und zwar wesentlich mehr als es 2007 die Aufzeichnungen von Dorothea Rakow oder das Gespräch mit Helmut Ritter taten, kann ich an dieser Stelle nicht aufzählen. Ihnen allen möchte ich aber für die Geduld danken, mit der sie auf die Veröffentlichung ihrer Geschichten und der Ergebnisse immer noch zu warten haben. Seit unserer Zusammenarbeit verbindet mich mit einigen von ihnen ein intensiver Gedankenaustausch und inhaltliche Auseinandersetzungen; Dietrich Fieß danke ich für gute Bücher und spendierte Erholungsreisen auf meine Lieblingsinsel Spiekeroog und für die treue Begleitung des langen komplizierten Prozesses mit hilfreichen Analysen. Ohne Fred Kautz’ fachgerechte Übersetzung als native speaker und vorherige Diskussion meines Vortrags wäre ich 2011 in Oxford verloren gewesen. Fred überraschte mich per Post mit kanadischem Whisky, so wie Petra Betzien mit Schokolade, um meine Schreibtischarbeit zu unterstützen. Durchreisen wurden zu spontanen kollegialen Treffen genutzt, ob in Frankfurt, Düsseldorf oder Köthen. Auch danke ich den Benediktinerinnen von Tutzing, mit deren schneller Hilfe ich kürzlich die ehemalige NS-Oberinnen-Schule auf einer Durchreise vor Ort finden konnte. Meiner Tochter Pia, die für ihre Forschung über Selfies in NS-Gedenkstätten seit vielen Jahren durch verschiedene südosteuropäische Länder reiste, danke ich nicht nur für den Gedankenaustausch über ihr Thema, sondern auch für ihre Reiseleitung in die Republik Moldau und die Ukraine bei unserer gemeinsamen ersten Reise nach Bessarabien 2017. Ihre freundschaftlichen Kontakte zu Studenten aus dem Erasmus-Programm in Toruń/Polen 2015 führten später bei meiner Überarbeitung zur Aufklärung von Rätseln, die 2007 noch offen blieben. So danke ich Constantin Tudurache in Timișoara, dass er 2020 einige Fotos aus dem Nachlass mit Hilfe von rumänischen Expertenforen zu alten rumänischen Ortsansichten und Eisenbahnlinien exakt bestimmen konnte. Domonkos Szente-Varga in Budapest danke ich für die Veröffentlichung eines dieser Fotos in seinem Internetkatalog über verschwundene Bahnhöfe. Für seine Berichterstattung über die Krankenmord-Prozesse 2018/19 und unseren kurzen Austausch dazu bin ich dem zu Recht dafür ausgezeichneten NWZ-Redakteur Karsten Krogmann dankbar sowie auch den anderen Prozessbeobachtern, die in Verhandlungspausen ihre Gedanken über aktuelle und historische Krankenmorde mit mir teilten. Der Filmproduzentin Nadine Lewerenz von der Letterbox-Filmproduktion in Hamburg, die ich durch einen glücklichen Zufall bei der Premiere des Theaterstücks kennenlernte, danke ich für ihr Interesse an meinen persönlichen Protokollen als Prozessbeobachterin, die ich 2019 in meiner Einleitung verarbeitete und die dann unverhofft auch noch für den geplanten Film nützlich wurden. Diesem besonderen Filmprojekt, an dessen Premiere ich im Juni 2022 in München teilnehmen durfte, bei der ich auch die Regisseurin Esther Gronenborn kurz kennenlernte, wünsche ich den verdienten Erfolg als Spielfilm im Fernsehen, ein spannender fiktiver Krimi. Eine Wiederbegegnung mit der Fotografin Barbara Millies in Worpswede offenbarte 2021, dass wir, ohne es zu wissen, uns über vier Jahrzehnte mit ähnlichen Ansätzen zu topografischen Spurensuchen gewidmet hatten.
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Im Rückblick ist abermals dem damaligen Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) im „Referat für die Erforschung und Präsentation der Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“, Bernd Neumann, und dem Ausschuss für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag zu danken, die 2007 über die Förderung des ersten Antrages entschieden. Ohne diese Bundesförderung wäre die Erforschung dieser damals noch nicht etablierten, eher gewagten Thematik, zudem in einer kleinen niedersächsischen Gedenkstätte, wohl nicht durchführbar gewesen. Für ihr persönliches Interesse möchte ich mich auch bei allen beteiligten Mitarbeitern im Bonner Ministerium, mit denen ich damals telefonierte, ausdrücklich bedanken. Alfons Adam als Kurator der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung danke ich für seinen Wunsch, das Thema „Verschwundene Umsiedler“ in die Ausstellung des im Juni 2021 eröffneten Berliner Dokumentationszentrums aufzunehmen. Das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) begleitete meine Projekte von Anfang an und über viele Jahre hinweg immer mit Wohlwollen und Interesse. Persönlich danken möchte ich hier Dr. Heike Müns, die schon 1999 meine ersten privaten Forschungen in dieser Richtung lektorierte und mich zum Weitermachen ermutigte. Auch Maria Luft, Prof. Dr. Matthias Weber, Dr. Tobias Weger und Dr. Konrad Gündisch gilt mein besonderer Dank. Vor allem Konrad Gündisch danke ich auch für seine Rolle als Zweitgutachter in meinem Promotionsverfahren, zu meiner Disputation reiste er 2016 nach seiner Pensionierung noch einmal von München nach Oldenburg. Schließlich war es Dr. Hans-Christian Petersen im selben Institut, dem ich 2019 die Entscheidung für eine Veröffentlichung in der Schriftenreihe des BKGE und auch die kompetente Unterstützung bei der Überarbeitung meines Textes zu verdanken habe. Als Experte gleichermaßen für die Geschichte der Russlanddeutschen wie auch für die Täter der NSZeit, zudem als Vertreter einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern, wurde er zum Motor, der das Vorhaben der Veröffentlichung in dem Moment wieder antrieb, als ich fast aufgeben wollte. Ohne seine motivierende praktische Herangehensweise an mein Werk hätte ich selbst sicher niemals den Mut aufgebracht, die „heilige“ Originalarbeit von 2007 und das spätere kulturwissenschaftliche Ergänzungskapitel von 2018 so rigoros zu einem Gesamtwerk zusammenzuführen. Diese redaktionelle Entscheidung war aber genau richtig, und der immense Aufwand bis hin zur Aktualisierung zum aktuellen Forschungsstand war jede Anstrengung wert. Oliver Rösch aus Würzburg danke ich für seine gründliche Arbeit als Lektor in unserer dann 2021 folgenden letzten, wiederum fleißigen Überarbeitungsphase, für seine scharfen Augen, seine Geduld und Genauigkeit, auch für seine zweifelnden Fragen, die mich dazu brachten, fragwürdige Stellen nochmals deutlicher zu formulieren. Als Layouter danke ich ihm für die schöne Gestaltung des Buches. Einsame Schreibtischarbeit in digitaler Kooperation zu dritt wurde über einen langen Zeitraum zur sinnvollen und produktiven Beschäftigung, vor allem 2020 und 2021 während der Kontakteinschränkungen und Ausgangssperren in Corona-Zeiten. Ich bin nun glücklich und stolz, dass diese Arbeit dorthin zurückkehrt, wo sie einmal ihren Anfang nahm, als ich zu Beginn dieses Jahrtausends die wunderbare Bibliothek des BKGE entdeckte, in der die Spurensuche begann.
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RÜCKBLICK Gerne erinnere ich mich, wie inspiriert und leicht mir 2007 der nur sechsmonatige Schreibprozess von der Hand gegangen war. Die Überarbeitung zwölf Jahre später begann dagegen eher zäh und langwierig, gedieh dann aber zu einem immer interessanter werdenden Reflexionsprozess, den mir wohl erst der Abstand von zwölf Jahren ermöglichte. Die Einordnung in die Erinnerungskultur, die Aktualisierung des Forschungsstandes, die methodischen Reflexionen über das Spurensuchen, all das zog sich im Zeitraum 2018/19 ebenso lange hin wie der zeitlich parallel verlaufende Gerichtsprozess gegen einen Krankenhausmörder. Im Nachhinein ist die lange Verzögerung der Veröffentlichung vielleicht sogar ein Glücksfall. Sie bot mir die Chance zu einem Überblick über die Entwicklung: Wie alles begann und wohin es führte. Noch ein ganz persönlicher Rückblick: Vorliegende Arbeit kostete mich viele Jahre. Millionen Buchstaben tippte ich in die Tastaturen mehrerer PCs. Etliche Manuskripte lagern seit Jahren ungelesen. Weitere, unbezahlte, Aufgaben warten auf Erledigung an freien Tagen. Man könnte damit hadern, denn „Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven ...“2 In Wirklichkeit aber hat mich meine Forschung im Laufe der Jahre zu wunderbaren Orten und Menschen gebracht. Ich reiste für meine persönliche „Geschichte als Passion“3 u.a. nach Polen, Österreich, England und – erst ganz am Schluss – in die Republik Moldau und in die Ukraine – ins alte Bessarabien. Meine Tochter setzt dies mit den Möglichkeiten ihrer Generation fort, als Erasmus-Studentin schloss sie Freundschaften mit Studenten aus Polen, Rumänien und Ungarn und reist heute durch Südosteuropa, als sei dies eine Selbstverständlichkeit. In Stuttgart steht seit 2016 eine Gedenkstätte für die „Verschwundenen Umsiedler“ und auf dem Patientenfriedhof der Anstalt Kocborowo in Polen seit 2015 ein kleines Holzkreuz für meinen Großvater, einen 1942 in der Anstalt Konradstein wahrscheinlich ermordeten Umsiedler aus Bessarabien. Erst nach solcher Art der theoretischen und langjährigen Annäherung wagte ich 2017 zusammen mit meiner Tochter unsere erste Bessarabienreise. Anlass war ein Ortsjubiläum in Kurudschika, zu dem der Bürgermeister des heute ukrainischen Ortes die Kinder, Enkel und Urenkel der 1940 umgesiedelten Bewohner eingeladen hatte. Dies war eine Erfahrung, die meine Perspektive auf die ganze Geschichte – und auf Europa – nochmals vollkommen veränderte. Inzwischen hat der Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 solche Reisen zu den Schauplätzen der Vergangenheit allerdings unmöglich gemacht, und doch entstehen neue Verbindungen zwischen West und Ost durch Hilfstransporte und Aufnahme von Flüchtlingen. Durch die erzwungene Migration aus der Ukraine durchkreuzen sich wiederum aktuelle, echte Kriegserfahrungen mit der deutschen Kriegsgedenkkultur.4 2 Textzeile aus einem Lied von Rio Reiser: Geld, 1990. In: RioLyrics.de. URL: riolyrics.de/song/ id:74/noten:1 (Abruf 18.8.2022). 3 Buchtitel. Für dieses Buchgeschenk 2018 danke ich Dietrich Fieß. 4 Vgl. Schlechter, P., 2022: #nowar – aber welcher Krieg?
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Patientenfriedhof Kocborowo/Polen 2015 im Quadrant der zahllosen Gräber von 1942 aus der Zeit der „Heil- und Pflegeanstalt“ Konradstein im damaligen „Reichsgau Danzig-Westpreußen“. Foto: Schlechter 2015
Mein Rückzug von der Universität für die vermeintlich ‚private‘ Familienforschung im Jahr 2000 brachte mir am Ende doch die Promotion. Der außeruniversitäre Austausch mit anderen Wissenschaftlern, die ebenso leidenschaftlich an ähnlichen Themen forschen, ihr internationales Netzwerk der Aufklärung, brachten mir schließlich eine Einladung nach Oxford, was für mich die höchste Ehre war. Diese Reise zu einer internationalen Konferenz an der über 400 Jahre alten englischen Universität war eine fantastische Erfahrung, nicht nur wegen der mittelalterlichen Stadtarchitektur, in der sich unzählige altehrwürdige Universitätsgebäude verteilen, oder wegen der Mensa, in der wir wie in einer Filmkulisse bei Harry Potter auf langen Holzbänken saßen, unter den großen Gemälden mit Portraits früherer Professoren. Während ich Seminarräume unserer deutschen Universitäten meist als sachliche white cubes mit pflegeleichten Fußböden und Tischflächen kannte, machte ich in Oxford die außerordentlich angenehme Erfahrung, dass man ebenso gut in kleinen, verwinkelten dunklen Räumen mit Orientteppichen, auf Sofas und antiken Holzstühlen, neben offenen Kaminen und Kerzenlüstern an den Wänden – selbstverständlich kombiniert mit allerneuester digitaler Technik – miteinander nachdenken und diskutieren kann. In einem neueren Konferenzraum saßen wir bei unseren Powerpoint-Vorträgen um das große Oval eines eleganten Holztisches auf gepolsterten Stühlen mit geschwungenen Rückenlehnen und auf
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warmem, farbigem Teppichboden. Diese antik-luxuriöse Kulisse für unseren wissenschaftlichen Austausch empfand ich wie eine hohe Würdigung all unserer Anstrengungen, die wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen oft über Jahrzehnte und mit persönlicher Leidenschaft für unsere Themen auf uns nehmen. Das Balliol College, in dem wir 2011 aus ganz Europa zu einer speziellen Frage der german eugenics zusammenkamen, mit veröffentlichten wie unveröffentlichten Arbeiten, war auch der Schauplatz des Kriminalromans Aufruhr in Oxford der bekannten englischen Krimiautorin Dorothy Sayers, den mir meine Oldenburger Doktormutter Karen Ellwanger aus irgendwelchen „Tiefen unerforschlichen Ratschlusses“ (Donne) schon 1997 zu lesen gegeben hatte. Als ich vierzehn Jahre später an der alten Bodleian Library 5 vorbei – die ich allein aus dem Kriminalroman sehr gut von innen zu kennen glaubte – durch den Garten mit den alten Pforten und Rosenbeeten zum Seminarraum im nächsten alten Gemäuer des Balliol College spazierte, kam mir die ganze Bedeutung des Begriffs horti conclusi (geschlossene Gärten) in den Sinn. Er stammte aus einem Gedicht aus dem 16. Jahrhundert von John Donne6, das Dorothy Sayers 1935 ihrem Krimi voranstellte: „Die Universität ist ein Paradies, Ströme von Wissen fließen darin, Geistes- und Naturwissenschaften kommen von dort. Die Seminare sind horti conclusi [...], verschloßne Gärten und fontes signati, versiegelte Borne; bodenlose Tiefen unerforschlichen Ratschlusses.“7
Susanne Schlechter, Oldenburg 2007 bis 2022
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5 Vgl. Innenansicht der über 400 Jahre alten Bibliothek in: Bodleian Libraries: Explore the Bodleian Library. URL: www.youtube.com/watch?v=TRscTmxMkfs (Abruf 2019). 6 John Donne (1572–1631), englischer Schriftsteller und metaphysischer Dichter, hatte in Oxford studiert und im 16. Jahrhundert Europa bereist. 7 Zit. nach Sayers 1983 [1935], Aufruhr in Oxford, S. 5. – Ortsbestimmung der Romanschauplätze in den Oxforder Universitäten vgl. Vorbemerkung von D. Sayers, ebd. S. 7. Dorothy L. Sayers (1893–1957) war 1912 eine der ersten Studentinnen an der Universität Oxford. Ihr Roman Gaudy Night [Aufruhr in Oxford] von 1935 gilt als der erste feministische Detektivroman in einer weiblichen Historie der Kriminalliteratur, die erst in den 1960er Jahren wiederentdeckt wurde. Eine Universität als Schauplatz ist dabei kein Zufall, sind doch Forschung und Detektivarbeit miteinander verwandt, wobei darüber hinaus die feministischen Kriminalromane mit ihrer „fundamentalen Subversivität“ eine Gegentradtion zum konservativen Genre bildeten. Vgl. Reddy 1990 [1988], Detektivinnen, S. 8. Zu Sayers ebd. S. 19f., 29f.
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