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German Pages 204 Year 2011
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel
Rolf-Peter Mikolayczyk
Veränderungen des US-Bankensystems als Wurzel der Bankenkrise von 2008
Verlag Wissenschaft & Praxis
Veränderungen des US-Bankensystems als Wurzel der Bankenkrise von 2008
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Hummel
Band 16
Rolf-Peter Mikolayczyk
Veränderungen des US-Bankensystems als Wurzel der Bankenkrise von 2008
Verlag Wissenschaft & Praxis
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Geleitwort Empirische Untersuchungen mit historischen Vergleichen zur jüngsten, globalen Finanzkrise haben wegen der komplexen Auswirkungen eine besondere Bedeutung für die wirtschaftswissenschaftliche, finanzmarkttheoretische sowie bankbetriebliche Forschung. Es geht einerseits um regulatorische Konsequenzen, andererseits um die Verbesserung der Finanzmarktinstrumente, des Risikomanagements, vor allem aber um die Überprüfung der Geschäftsmodelle international tätiger Banken. Systemrelevante Banken tragen maßgeblich die Finanz- und Wirtschaftsstrukturen ganzer Volkswirtschaften. Inwiefern sind Bankensysteme aber gestaltbar und was folgt aus der These „too big to fail“? Welche Anreize und Verhaltensweisen des Investmentbankings sind notwendig, aber auch zulässig, um die Einlagen der Banken dauerhaft zu schützen? Diese Fragen ranken sich um Kernthesen des Autors der vorliegenden Dissertation, der als ehemaliger Investmentbanker eines deutschen Kreditinstitutes seine Erfahrungen in den USA einbringt. Die amerikanischen Banken dominierten einerseits den internationalen Wettbewerb und waren richtungsweisend für die Entwicklungen der internationalen Finanzwelt. Andererseits entwickelten sich die beiden größten Finanzkrisen der Geschichte im amerikanischen Markt und weiteten sich zu internationalen Wirtschaftskrisen aus. Der Autor der vorliegenden Dissertation vertritt einen interessanten Grundansatz in seinen kritischen sowie aktuellen Analysen: Veränderungen in den USA, vor allem Deregulierungen im US-amerikanischen Banken- und Finanzsystem, sind die Hauptursache für die globale Finanz- und Bankenkrise. Die Folgen in fast allen hochentwickelten Industrieländern, vor allem aber in vielen Entwicklungsländern, sind weitreichend. Ein streitbarer Ansatz, weil gerade das universelle Bankensystem in Deutschland sowie in Kontinentaleuropa als das institutionelle Stabilitätsfundament angesehen wird. Die vorliegende Arbeit wählt einen institutionen-ökonomischen Ansatz für die Analyse. Eine eigene Modellvorstellung zu einem krisenrobusten Bankensystem wird aus historisch-evolutionären Überlegungen heraus entwickelt. Mikolayczyk fokussiert die Auseinandersetzungen um die globale Finanzkrise auf das amerikanische Bankensystem und das dort immanente Geschäftsmodell des Investment Bankings, welches im globalen Wettbewerb weltweit unkritisch kopiert wurde.
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GELEITWORT
Der Herausgeber wünscht dem geneigten Leser viele Anregungen und ist für Hinweise und weiterführende Vorschläge zur Diskussion dankbar. Potsdam im Mai 2011
Prof. Dr. Detlev Hummel
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Vorwort An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen bedanken, die mich bei der Erstellung meiner Doktorarbeit unterstützt haben. Meinen besonderen Dank möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Detlev Hummel, für seine Bereitschaft aussprechen, mich als externen Doktoranden zu betreuen. Unsere Gespräche über die Finanzwelt schlechthin, das deutsche und amerikanische Bankensystem sowie die Veränderungen der Bankenwelt aufgrund der Krise von 2008 werden für mich in lebhafter Erinnerung bleiben. Herrn Prof. Dr. Dieter Wagner danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und die Teilnahme an meiner Disputation. Des Weiteren bedanke ich mich bei den Mitdoktoranden am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Hummel und Frau Leisse für die Hilfe, die sie mir auf diese weite räumliche Entfernung gewährten. Ferner waren die Gespräche mit Herrn Prof. Walter Dolde von der University of Connecticut für mich eine Bereicherung bei der Erstellung der Arbeit. Schließlich danke ich meiner Familie für den gewährten Zuspruch zu meinem Wunsche, diese Doktorarbeit zu schreiben. Ich widme die Dissertation meiner Ehefrau Berlind und meinem Sohn Simon.
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 12 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 14 Einführung ................................................................................................................ 17 These ..................................................................................................................... 17 Relevanz der Thematik und Problemstellung........................................................ 18 Zielsetzung ............................................................................................................ 20 Struktur der Arbeit und Vorgehensweise .............................................................. 21 Forschungsergebnisse ........................................................................................... 24 1. Idiosynkratische Elemente der gegenwärtigen Bankenkrise und die Dominanz der US-Banken über die global agierenden Banken ............................ 25 1.1 Idiosynkratische Elemente der gegenwärtigen Bankenkrise ......................... 25 1.2 Statistiken zur Dominanz der US-Banken über die global agierenden Banken ........................................................................................ 35 1.2.1 Ranglistenbewertung......................................................................... 36 1.2.2 Marktkapitalisierung ......................................................................... 37 1.2.3 Buchwert des Eigenkapitals .............................................................. 38 1.2.4 Performance ...................................................................................... 40 1.2.5 Effizienz ............................................................................................ 46 1.2.6 Zusammenfassung............................................................................. 49 2. Bankhistorische Untersuchung der US-Bankenindustrie ...................................... 51 2.1 Rechtfertigung der Untersuchungsmethodik ................................................. 51 2.2 Zeitperiode des US-Money Trust .................................................................. 58 2.3 Zeitperiode des US-Trennbankensystem....................................................... 60 2.4 Zeitperiode nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs .................................... 65 2.5 Zeitperiode: „Decade of Regulatory Disintegration“ .................................... 66 2.6 Veränderungen zu Beginn der 1980er Jahre ................................................. 70 2.7 US-Bankwesen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ........................... 73
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INHALTSVERZEICHNIS
2.8 1999 – Ein folgenschweres Jahr für die Bankenwelt .................................... 77 2.9 Zusammenfassung......................................................................................... 79 2.10 Untersuchung der veränderten Konkurrenzsituation im globalen Bankenmarkt nach Aufhebung des Trennbankensystems in den USA ......... 80 2.11 Auswirkungen der Veränderungen in den USA auf den internationalen Bankenmarkt ........................................................................ 83 2.12 Verstärkte Inter-Connectivity der Banken als Konsequenz ........................... 90 3. Bankgeschichtliche Lektionen für die Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA ................................................................... 95 3.1 Die Investment-Banking-Kultur im Universalbankensystem ........................ 95 3.1.1 Die Funktion des Investment-Bankers nach Brandeis ....................... 95 3.1.2 Die Motivation des Investment-Bankers ........................................... 97 3.2 Trennbankensystem vs. Universalbankensystem ........................................ 104 3.2.1 Pro Trennbankensystem .................................................................. 104 3.2.2 Plädoyer für das Universalbankensystem/ Con Trennbankensystem ................................................................ 105 3.2.3 Exkurs: Die deutsche Bankenaufsicht ............................................. 110 3.3 Parallelen zwischen der Money-Trust- und Post-GSA-Periode ................... 116 3.3.1 Interbankenmarkt ............................................................................ 117 3.3.2 Kontrolle über die Wertpapieremittenten ........................................ 120 3.3.3 Die Kontrolle über die Wertpapierkäufer ........................................ 129 3.3.4 Kontrolle über das „Geld anderer Leute“ ........................................ 134 3.4 Vergütungsfragen ........................................................................................ 139 4. GLBA – eine unausgegorene gesetzliche Maßnahme der USA mit schwerwiegenden Folgen für die Weltwirtschaft ................................................ 153 4.1 Unterlassungen bei der Wiedereinführung des Universalbankensystems ... 153 4.2 Das unterschiedliche Regelwerk zur Leverage-Begrenzung der US-Banken .................................................................................................. 157 4.2.1 Reglementierung der US-Commercial-Banken; einschließlich der Reglementierungen nach Basel II ............................................. 158 4.2.2 Reglementierung der Investment-Banken ....................................... 165 4.3 Zusammenfassung....................................................................................... 170
INHALTSVERZEICHNIS
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4.4 Gründe für die Suche nach einem neuen Modellansatz für das Bankwesen .................................................................................................. 172 4.5 Modellvorstellung eines veränderten Bankensystems ................................. 175 4.5.1 Güterwirtschaft ............................................................................... 175 4.5.2 Finanzwirtschaft .............................................................................. 179 4.5.3 Justifikation des Modellansatzes ..................................................... 180 5. Schlussteil ........................................................................................................... 185 Fazit ......................................................................................................................... 191 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 193
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Spektakuläres Wachstum der Kreditrisikotransferinstrumente .......... 27 Abbildung 2: Spektakuläres Wachstum der Collateral Debt Obligations (CDOs) ... 29 Abbildung 3: Kreditsyndizierung; Secondary Trade Volumes; Source: Loan Syndications & Trading Association (LSTA) .................................... 30 Abbildung 4: US-Commercial Paper Markets (CP and ABCP) ............................... 32 Abbildung 5: Rangliste der größten Banken der Welt (nach Marktkapitalisierung)......................................................................... 36 Abbildung 6: Buchkapital der untersuchten Banken ................................................ 39 Abbildung 7: Marktkapitalisierung der vier Börsen (NASDAQ, NYSE, Deutsche Börse, London Stock Exchange) ........................................ 41 Abbildung 8: ROA-Vergleiche (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft)............................................................ 43 Abbildung 9: ROE-Vergleiche (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft)........................................................... 44 Abbildung 10: ROE-Vergleiche (Jahresvergleiche; Bankengruppen bei Herkunft) .. 46 Abbildung 11: Profitmargen (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft) ...................................................................................... 47 Abbildung 12: Asset-Nutzungseffizienz (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft)............................................................ 47 Abbildung 13: Verschuldungsgrad (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft)............................................................ 48 Abbildung 14: Frühe Historie des US-Commercial Banking..................................... 54 Abbildung 15: Market and Book Equity Ratios for US Banks: 1893-2000 ............... 55 Abbildung 16: Market and Book Equity Ratios for U.S. Banks: 2002-2009 ............. 57 Abbildung 17: Gegenüberstellung von Commercial- und Investment-Banking ....... 61 Abbildung 18: Citigroup; Bilanzzahlen 2007 ............................................................ 68 Abbildung 19: US-Banken; Equity Capital as a Percent of Total Assets at Year-End (1935-2000) ....................................................................... 71 Abbildung 20: Wall-Street-Firmen; Entwicklung durch M&A und Pleiten .............. 78 Abbildung 21: Untersuchte Bankengruppe; Marktkapitalisierung Ende 2002........... 81
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
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Abbildung 22: Untersuchte Bankengruppe; Equity as % of Assets Ende 2002 ......... 82 Abbildung 23: Ausgewählte Banken; Trade-Assets-Bestände 2002-2007 ................ 87 Abbildung 24: Mapping of Business Lines; Source: BIS .......................................... 89 Abbildung 25: Entwicklung des Credit-Default-Swap-Marktes 2005-2006 .............. 91 Abbildung 26: US-Corporate-Anleihemarkt 1996-2009 .......................................... 122 Abbildung 27: US-High-Yield-Anleihemarkt 1996-2009 ....................................... 124 Abbildung 28: United States; Asset-Backed Securities ........................................... 127 Abbildung 29: Leveraged Lending; Growth of Nonbanks in the Primary Markets, 1994-2004 ......................................................................... 132 Abbildung 30: Ausgewählte US-Banken; Einlagenwachstum 2002-2007............... 135 Abbildung 31: Wall-Street-Bonuszahlungen 1985-2009 ......................................... 142 Abbildung 32: Goldman Sachs; Business Segment Revenues ................................. 146 Abbildung 33: Goldman Sachs; Operating Expenses per Business Segments ......... 146 Abbildung 34: US-amerikanische Bankenaufsicht; Quelle: Hartmann-Wendels etc. ....................................................... 156 Abbildung 35: 2005-Vergleich; Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio ..... 160 Abbildung 36: US-Banken; Vergleich Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio ............... 162 Abbildung 37: Kontinentaleuropäische Banken; Vergleich Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio ............... 163 Abbildung 38: US-Commercial- und Investment-Banken; Leverage-Anstieg 2002–2007 .......................................................... 166 Abbildung 39: US-Commercial- und Investment-Banken; Leverage-Anstieg; Fokus 2004 ........................................................ 167 Abbildung 40: ROE-Vergleich; Wells Fargo vs. Goldman Sachs, 2002-2007 ........ 168 Abbildung 41: Diverse Vergleiche; Wells Fargo vs. Goldman Sachs, 2002-2007 .. 169 Abbildung 42: Entwicklung des Repo-Marktes, 2002-2008 .................................... 171 Abbildung 43: Veränderungen im Bankwesen ........................................................ 180
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Abkürzungsverzeichnis ABCP ABS AIG B&H BAC BARC Bd. BIS BNP BWL bzw. C CD CDO CDS CEO CFTC CLO cp CPP CS d. h. DB et al. etc. FDIC Fed ff. FHC FNMA GAAP GLBA GNMA GS
Asset Backed Commercial Paper Asset Backed Securities American International Group, Inc. Buy and Hold Bank of America Barclays Bank Band Bank for International Settlements Banque Nationale de Paris Betriebswirtschaftslehre beziehungsweise Citigroup Certificate of Deposit Collateral Debt Obligation Credit Default Swaps Chief Executive Officer Commodity Futures Trading Commission Collateral Loan Obligation commercial paper Capital Purchase Program Credit Suisse das heißt Deutsche Bank AG und anderswo et cetera (und so weiter) Federal Deposit Insurance Corporation Federal Reserve Bank fortfolgende Financial Holding Company Federal National Mortgage Association Generally Accepted Accounting Principles Gramm-Leach-Bliley Act Government National Mortgage Association Goldman Sachs
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
GSA GuV HSBC i. d. R. i. e. IFF IFRS ISDA JPM KWG LiqV LSE M&A MMMF Mrd. MS NASDAQ NYSE O&D OCC OECD OTC p/e ratio RAROC RBS Repo ROA ROE RWA S&L SEC SIFMA SocGen SolvV SPV SRO
Glass-Steagall Act Gewinn und Verlust-Rechnung Hong Kong Shanghai Banking Corporation in der Regel id est (das ist) The Institute of International Finance. Inc. International Financial Reporting Standards International Swaps and Derivatives Association J. P. Morgan Kreditwesengesetz Liquiditätsverordnung London Stock Exchange Mergers and Acquisitions (Fusionen und Akquisitionen) Money Market Mutual Funds Milliarden Morgan Stanley National Association of Securities Dealers Automated Quotations New York Stock Exchange originate and distribute Office of the Controller of the Currency Organisation for Economic Co-operation and Development Over The Counter United States (of America price-earnings ratio (Kurs-Gewinn-Verhältnis) Risk Adjusted Return On Capital Royal Bank of Scotland Repurchase Agreement Return On Assets Return on Equity Risk Weighted Assets Savings and Loan Associations Securities Exchange Commission Securities Industry and Financial Markets Association Société Generale Solvabilitätsverordnung Special Purpose Vehicle Self Regulatory Organizations
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u. a. UBS US USA usw. VWL WFC WWII z. B.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
unter anderem UBS AG United States (of America) United States of America und so weiter Volkswirtschaftslehre Wells Fargo World War II zum Beispiel
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Einführung These Die idiosynkratischen Elemente der gegenwärtig noch andauernden Bankenkrise fanden starke Beachtung in Wissenschaft und Praxis in ihrer frühen Phase. Sie schildern die Symptome der Krise und leiten den Weg zur Ursachenfindung für die eingetretenen Verwerfungen in der internationalen Großbankenindustrie. Die Ursachen der Krise entstammen der US-amerikanischen Finanzindustrie aufgrund der Aufhebung des Glass-Steagall Acts im Jahre 1999. Die besondere Würdigung der Umstände, die die Verantwortlichen in den USA nach den Bankenkrisen der Jahre 1930, 1931 und dem Krisenhöhepunkt im Jahre 19331 bewegten, vom bis dahin praktizierten Universalbankensystem auf ein Trennbankensystem zu wechseln, fand offenkundig nicht statt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die InvestmentBankkultur die Funktion und Motivation einer Universalbank bestimmt zulasten der Güterwirtschaftsklientel. Eine weitere Unterlassung war, dass die US-Bankenaufsicht nach der Verabschiedung des Gramm-Leach-Bliley Acts in Form und Substanz weitgehend unverändert blieb, obwohl Investment- und Commercial-Banken von nun an im Wettbewerb miteinander standen. Die US-Banken haben seitdem die internationale Großbankenlandschaft dominiert. Ihr O&D-Geschäftsmodell mit den Komponenten eines „dualen Steuerungsmodells“ wurde nach der Aufhebung des Glass-Steagall Acts vorurteilslos von den nichtamerikanischen Instituten übernommen, um im Wettbewerb nicht zurückzufallen. Infolgedessen zielten die Aktivitäten aller international konkurrierenden Großbanken mehr oder weniger auf die gleichen Kundenpotenziale und Transaktionen ab. Dabei wuchs das Geschäftsvolumen mit einer sich stark ausweitenden Finanzwirtschaft bei richtungsgleicher Risikobetrachtung aller beteiligten Institute. Die resultierende enge Inter-Connectivity der Institute verschärfte die systemischen Risiken im Bankwesen.
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Tatsächlich schüttelten drei aufeinanderfolgende Bankenkrisen die USA in den frühen 1930er Jahren. Trotzdem spreche ich in der Folge von der „Bankenkrise von 1933“, wenn ich den Vergleich zur Bankenkrise von 2008 anstelle, weil diese mit der Ausrufung eines „Bankenfeiertages“ seitens der US-Regierung begegnet wurde, was zweifelsohne einen dramatischen Eingriff darstellte. Im Jahre 2008 schritt die US-Regierung abermals mit Maßnahmen ein, die in ihrer Dramatik denen von 1933 nicht nachstanden; und zwar mit der Erhöhung der Einlagengarantie für Bankdepositen sowie der Bereitstellung von Stützungsgeldern („TARP Money“) für in Schwierigkeiten geratene Banken und Versicherungen (und anderen Unternehmen).
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EINFÜHRUNG
Damit war der Grundstein gelegt, dass das US-Bankensystem wieder in eine katastrophale Situation geraten konnte.
Relevanz der Thematik und Problemstellung Die Banken spielen eine bedeutende Rolle in unserer Marktwirtschaft. Genannt sei insbesondere die Funktion des Finanzintermediärs unter Ausübung der Transformationsfunktionen. Wie wichtig diese Funktionszuweisung an die Banken für die gesamte Volkswirtschaft ist, hat gerade die gegenwärtige globale Finanzkrise wieder einmal aufgezeigt. Die Bankenkrise, die sich bereits im Jahre 2007 in ihren Anfängen zeigte und letztendlich im darauffolgenden Jahr mit dem Konkurs der Investment-Bank, Lehman Brothers voll zum Ausbruch kam, war der Auslöser der Misere. Vorher wurden bereits international bekannte Firmen wie Bear Stearns und Merrill Lynch von JPMorgan und Bank of America respektive auf „Anraten“ der US-Finanzbehörden (Fed und Treasury) übernommen. AIG, als eines der größten US-Versicherungsunternehmen, wurde seitens der Politik (teil)verstaatlicht, um Schadensbegrenzung für das internationale Finanzsystem zu betreiben. So wurden auch in anderen OECD-Staaten, insbesondere in Europa, staatliche Eingriffe in die Bankenindustrie nötig, sei es in Deutschland mit Blick auf die Commerzbank, Dresdner Bank sowie HRE und den Landesbankenkomplex, sei es in Großbritannien mit der (Teil-)Verstaatlichung der Royal Bank of Scotland und den notwendig gewordenen Kapitalzuschüssen für Barclays und Lloyds TSB, um einige Beispiele aus dem Großbankensektor zu nennen. Was für verheerende Konsequenzen die Finanzkrise des Jahres 2008 in den USA mit sich führte, dafür sei Nobelpreisträger Paul Krugman2 mit seiner Feststellung zitiert: “We’ve been through the second-worst financial crisis in the history of the world, and we’ve barely begun to recover …”
Als Indikation für die bisherigen Ausmaße der Krise sind die folgenden Fakten aus dem amerikanischen Bankwesen zu nennen: Nur zwei der fünf größten US-Investment-Banken überlebten die Krise.
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Siehe Paul Krugman, The New York Times, Financial Reform Endgame, 1. März 2010.
EINFÜHRUNG
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Die beiden „Überlebenden“ wurden später als Commercial-Banken lizenziert, um weiteren Schaden am System einzugrenzen. Eine große Anzahl von Banken wurde geschlossen/von anderen Instituten übernommen (im Jahre 2009 allein mehr als 100 Banken in den USA). Die größten US-Commercial-Banken hatten Staatshilfen zu akzeptieren mit dem Verkauf von Preferred Stock an das US-Treasury, um zu überleben. All dies beschwor schließlich die globale Wirtschaftskrise herauf, die zum Großteil auf den nachfolgenden, durch die Kreditinstitute verursachten Credit Crunch zurückzuführen ist. Die Banken saßen auf hohen Kreditverlusten und schränkten ihre Kreditvergaben an die Güterwirtschaft radikal ein, weil das Kapital fehlte bzw. Risikoscheue eintrat. Zitate von Wissenschaftlern, Politikern und anderen am Wirtschaftsleben Beteiligten sind allerorten zu lesen und zu hören: „Der Kredit ist das Blut der Wirtschaft …“3.
Die Folge der Nichtgewährung von Krediten war, dass in den USA nunmehr mehr als 29 Millionen Arbeitnehmer ohne Beschäftigung sind bzw. keine neue Berufstätigkeit finden, und ähnliche Zustände sind in anderen westlichen Staaten ebenfalls zu beobachten. Ferner ist für die Aufarbeitung der Krisengeschehnisse die Feststellung von Bedeutung, dass die Bankenkrise ihren Ursprung in den USA hatte. Auf der Bankproduktseite hatte der völlig überhitzte Subprime-Mortgage-Markt4 einen Immobilienboom unbekannten Ausmaßes in Amerika ausgelöst, dem die Bankinstitute als Risikonehmer und -durchleiter letztendlich ihren Tribut zahlen mussten mit immens ansteigenden Kreditverlusten. Dort traten somit die ersten Verwerfungen im Bankensektor auf, die auf die internationale Großbankenlandschaft der entwickelten Staaten in Europa postum überschwappten aufgrund deren geschäftlicher Beteiligung am US-Hypothekenmarkt. Als weiteren Datenpunkt muss in die Diskussion eingebracht werden, dass die USA keine zehn Jahre bevor die gegenwärtig noch anhaltende Krise ausbrach, eine tiefgreifende gesetzliche Veränderung ihres Bankensystems vornahmen durch die Abschaffung des Glass-Steagall Acts (GSA). Es war das Gesetz, das als Konsequenz aus der bis dato größten Bankenkrise, die die Welt durchstehen musste und die ebenfalls 3 4
Siehe Upton Sinclair, Pulitzer Price Winner, Zitat von books.google.com. Siehe zeb/rolfes.schierenbeck.associates, www.zeb.de, Finanzmarktkrise-Ursachen
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EINFÜHRUNG
ihren Ursprung in den USA hatte, erlassen wurde und dessen Ziel es war, derartige Desaster in der Zukunft zu vermeiden. Bezeichnenderweise hob der GSA das damals in Amerika praktizierte Universalbankensystem auf, weil es als „Wurzel allen Übels“, sprich der Grund für die Bankenkrise von 1933 angesehen wurde. Nur so kann eine derart einschneidende Veränderung, und zwar die Einführung eines Specialized Banking System, wie von Roosevelt vorgenommen, begründet werden. Das seit mehr als 50 Jahren bestehende Trennbankensystem wurde im Jahre 1999 nun wieder aufgegeben und ersetzt mit dem Universalbankensystem, das in den meisten (kontinental)europäischen Staaten schon immer etabliert gewesen ist. Selbst das Vereinigte Königreich, das als artverwandt bezüglich Kommerz und Bankwesen mit den USA anzusehen ist, übernahm bereits mit dem sogenannten Big Bang im Jahre 1986 dieses Bankensystem. Die beiden größten Finanzkrisen der Neuzeit entwickelten sich im amerikanischen Markt und weiteten sich zu internationalen Wirtschaftskrisen aus, die Riesensummen an Vermögen vernichteten und hohe Arbeitslosigkeit als Folge von Unternehmensschließungen zur Folge hatten. Beide Male operierte das Bankwesen unter einem Universalbankensystem. Wie nach 1933 beschäftigen sich nunmehr wieder Politik und Wissenschaft gleichermaßen mit dieser Thematik, mit dem Ziel, derartige Desaster in der Zukunft zu vermeiden.
Zielsetzung Wenn zurzeit in wissenschaftlichen und politischen Kreisen rege Diskussionen über angedachte und vorformulierte Reformen des Bankwesens geführt werden, um derartige Krisen in der Zukunft zu vermeiden, so besteht zunächst einmal Forschungsbedarf an der internationalen Großbankenlandschaft mit dem Ziel, nachzuweisen, dass die Krise tatsächlich von den US-Banken induziert war. Damit einhergehend sollte Erklärungsbedarf gedeckt werden, wie es zu der Krise kam, also die Gründe des Desasters. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollten einfließen als Hilfestellung für die Erarbeitung der Grundzüge einer veränderten stabilen internationalen Großbankenregulierung der Zukunft. Erst danach können befriedende Lösungsvorschläge in die notwendige CorporateGovernance-Diskussion eingebracht werden, womit die wohl bedeutendsten Prob-
EINFÜHRUNG
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lemstellungen von praktizierten Bankensystemen adressiert werden müssen, und zwar: der Schutz der Einlagen von Bankkunden, die Vermeidung bzw. größtmögliche Eingrenzung des dem Bankwesen innewohnenden systemischen Risikos, die von den Banken zu übernehmenden Transformationsfunktionen, die von der Gesamtwirtschaft zwangsläufig benötigt werden. Vereinfacht ausgedrückt gilt nach wie vor für die Bankenaufsichtsbehörden, Kundeneinlagen bei Banken sicher zu machen, ohne dass der Staat – und somit der Steuerzahler – als Garant für das Überleben eben dieser Banken angesehen wird, und den Zugriff auf Kredite für Private und Unternehmen zu gewährleisten. Der „Vater der freien Marktwirtschaft“, Adam Smith5, argumentierte bereits für diese Ziele, „dass die Bankenregulierung so notwendig ist wie Feuerschutzmaßnahmen für städtische Gebäude“6.
Die Untersuchung soll die Fakten herausarbeiten, dass a) die amerikanischen Banken aufgrund ihrer Dominanz im internationalen Großbankenwettbewerb für alle konkurrierenden Banken richtungsweisend waren, b) die amerikanische politische Führung im gewissen Maße verantwortungslos, zumindest aber nicht sorgfältig genug mit den Lektionen ihrer eigenen Geschichte des Bankwesens umging und diese nicht in den Gramm-Leach-Bliley Act hat einfließen lassen.
Struktur der Arbeit und Vorgehensweise Die Arbeit ist strukturiert in vier Hauptkapitel sowie einen Abschnitt, der den Versuch eines Modellansatzes für ein verändertes Bankensystem vorstellt, das die Erfahrungen und Fehlentwicklungen der Vergangenheit adressiert. Kapitel 1 diskutiert die idiosynkratischen Elemente, Innovationen im Angebot von Bankprodukten und die Übernahme des Originate & Distribute(O&D)-Geschäftsmo5 6
Zitat, benutzt von Paul Krugman, The New York Times, Financial Reform Endgame, 1. März 2010. Eigene Übersetzung.
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EINFÜHRUNG
dells, der gegenwärtigen Bankenkrise und führt den Beweis, dass sie als Symptome und nicht als die „wahre Ursache“ der Geschehnisse anzusehen sind. Aufgrund der Tatsache, dass die besagten Symptome zuallererst in den USA auftraten, ist es konsequent, das amerikanische Bankwesen einer detaillierten Analyse zu unterziehen. Im folgenden Abschnitt wird zunächst statistisch die Marktführerschaft der US-Banken unter den international konkurrierenden Großbanken, die ihren Heimatstandort in den entwickelten Staaten der westlichen Welt unterhalten, belegt. Statistiken und Daten von Veröffentlichungen der Institute und anderen Quellen wurden zu diesem Zweck aufbereitet und bewertet. So wurden die Effizienzvergleiche zwischen den untersuchten Banken unter Verwendung der „DuPont-Identity“7 erstellt. Besondere Beachtung wurde dem Zeitraum von 2002 bis 2007 gewidmet, weil an dieser Periode bestens die Folgen der Abschaffung des GSA abgelesen werden können. Nach einer Übergangsperiode, verursacht durch die Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA im Jahre 1999, in der sich alle im Wettbewerb stehenden Banken der neuen Situation anzupassen hatten, und der welterschütternden Krise als Folge der Ereignisse vom 11. September 2001 begann das US-Bankwesen voll die neuen gesetzlichen Gegebenheiten auszuschöpfen. Zugleich wird aufgezeigt, wie und in welchem Ausmaß sich insbesondere die europäischen Kreditinstitute dem neuen American Style of Banking, im Hinblick auf das Kundengeschäft, das Produktangebot, das Geschäftsmodell und das Managementverhalten anpassten mit der Überbetonung der Return-on-Equity-Kennzahl. Kapitel 2 untersucht die Gründe für die Dominanz der US-Institute im internationalen Bankenwettbewerb. Dabei wird, der wissenschaftlichen Praxis folgend, die Geschichte des amerikanischen Finanzwesens einer kritischen Betrachtung unterzogen und dabei zurückgegangen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die National Bank Charter das nationale US-Bankensystem und zugleich die nationale Währung, den US-Dollar, ins Leben rief. Herausgestellt werden die einzelnen geschichtlichen Phasen des US-Bankwesens, und zwar die Money-Trust-Periode, wie das Universalbankensystem damals von vielen genannt wurde, der Zeitraum des Trennbankensystems erwirkt durch den Glass-Steagall Act, der für die US-Banken außerordentlich erfolgreich war, sowie der Zeitabschnitt nach der Rückkehr zum Universalbankensystem aufgrund des Gramm7
Auch häufig als „DuPont ROE breakdown analysis“ bezeichnet.
EINFÜHRUNG
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Leach-Bliley Acts. Aus dem umfangreichen Literaturstudium stachen die Expertenmeinungen von Louis D. Brandeis8 über den Money Trust und von Donald D. Hester9 mit seiner Darstellung der Specialized-Banking-Periode heraus und gewannen daher starke Berücksichtigung in der Arbeit. Im Kapitel 3 werden bankgeschichtliche Lektionen herausgearbeitet, die für die Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA hätten Verwendung finden müssen. Zu diesem Zweck wird die Money-Trust-Periode einer kritischen Untersuchung unterzogen, um offenzulegen, dass eine Investment-Banking-Kultur, verkörpert in der Funktion und der Motivation der Banker, das Geschäftsgebaren der Institute bestimmte und deshalb dieses Universalbankensystem verantwortlich gemacht wurde für die Bankenkrise von 1933 und letztendlich abgeschafft und ersetzt wurde durch das Specialized-Banking-System gemäß dem Glass-Steagall Act. Dem wird die bereits in den frühen 1990er Jahren aufgekommene und immer stärker vertretene Meinung von Wissenschaftlern in den USA gegenübergestellt, dass das Universalbankensystem das „bessere“ System für das Bankwesen in Amerika ist. Diese Meinung fand natürlich starke Unterstützung gerade von Wissenschaftlern in Deutschland als die Nation, die für dieses Bankensystem als Musterbeispiel steht. Die wissenschaftlichen Ausarbeitungen von Geoge J. Bentson10 und Hans E. Büschgen11 finden zu diesem Thema in der Arbeit starke Beachtung. Der anschließende Abschnitt, der die Parallelen der beiden Existenzperioden des Universalbankensystems in den USA aufzeigt, bestätigt, dass sich Lektionen aus der Money-Trust-Periode wiederholt haben. Kapitel 4 befasst sich mit der Thematik der Wiedereinführung des Universalbankensystem in den USA durch den Gramm-Leach-Bliley Act und den Folgen dieser neuen Rechtslage. Es wird das Postulat aufgestellt, dass der Gesetzeserlass eine unausgegorene Maßnahme der amerikanischen Legislative darstellt; denn nicht einmal zehn Jahre nach Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA war die Welt wiederum mit einer tiefgreifenden Bankenkrise konfrontiert, die allerorten mit der Krise des Jahres 1933 verglichen wird. Beide Desaster entstammten dem amerikanischen Finanzgebaren. Der Nachweis wird erbracht, dass nunmehr aufgedeckte Lehren aus der Money-Trust-Vergangenheit nicht angedacht worden sind und deshalb 8 9 10 11
Siehe The Encyclopedia of World Biography; Justice Louis D. Brandeis; www.brandeis.edu/legacyfund/bio.htmk. Siehe Donald D. Hester, Professor of Economics, Emeritus, University of Wisconsin-Madison. George J. Bentson , Professor of Finance, Accounting, and Economics, Emory University, Atlanta, Georgia. Prof. Dr. Hans E. Büschgen, Universität zu Köln, Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliche Fakultät.
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EINFÜHRUNG
keinen Eintritt in die GLBA-Gesetzgebung fanden. Ferner wurden schwerwiegende Unterlassungen mit Blick auf die Bankenaufsicht, das Regelwerk für das internationale Bankgeschäft und die verstärkte Produktinnovation des Finanzsektors begangen. Danach wird der Modellansatz eines Bankensystems für die international operierenden Kreditinstitute vorgestellt, der einen Beitrag zur Diskussion um die Veränderungsnotwendigkeit des bestehenden Universalbankensystems liefern soll, um die grundsätzliche Zielsetzung12 eines sicheren und effektiven Bankensystems zu erreichen. Das Modell adressiert vorrangig die aufgedeckten Lehren und Versäumnisse von Gesetzgebungen und Bankenaufsicht der Vergangenheit, dargelegt abschließend in einer Rechtfertigung des Ansatzes. Kapitel 5 ist als Schlussteil konzipiert unter Zusammenfassung der erarbeiteten Erkenntnisse zur Thematik, dass die Veränderungen des US-amerikanischen Bankensystems die Wurzel der globalen Bankenkrise von 2008. Ein Modellansatz für die Reform des Großbankenbereiches schließt sich an.
Forschungsergebnisse Verquickung von Investment- und Commercial-Banking in einem Universalbankensystem führt zu Bankenkrisen. Vergütungssystem der Banker ist aus deren Funktion herzuleiten. Notwendige Veränderungen der Struktur und Organisation der US-Bankenaufsicht nach der GSA-Aufhebung wurden unterlassen. Unterschiedliche internationale wie auch inneramerikanische Regeln zum Leverage führten zur Überschuldung der Finanzinstitute in der Krise von 2008. Deutsche Großkreditinstitute betrieben im existierenden Universalbankensystem bis in die späten 1980er Jahre de facto nur ein Commercial-BankingGeschäft. Das existierende Universalbankensystem bedarf einer Neuausrichtung, hinsichtlich der Geschäftsbeziehungen der Banken zur Güterwirtschaft und zur Finanzwirtschaft und Vorstellung eines Modells als Lösungsansatz.
12
Siehe oben Kapitel „Zielsetzung“, S. 29 f.
25
1. Idiosynkratische Elemente der gegenwärtigen Bankenkrise und die Dominanz der US-Banken über die global agierenden Banken 1.1 Idiosynkratische Elemente der gegenwärtigen Bankenkrise In der ersten Jahreshälfte von 2008 veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen sowie Fachartikel13 in Journalen etc. zum Thema Bankenkrise, die mit ihren ersten Anzeichen bereits im davorliegenden Jahr erkennbar wurde, bevor sie schließlich mit dem Konkurs von Lehman Brothers voll zum Ausbruch kam, sahen die Geschehnisse dieser Zeitperiode als ein „Durcheinander“ in der Bankenindustrie der entwickelten westlichen Staaten an, ausgehend von den USA. Das Wort „Krise“ wurde zu der Zeit noch nicht verwendet. Als statistische Begründung dafür wurde angeführt, dass die Top-20-Banken des Jahres 2007, von denen 17 in OECD-Ländern domizilierten, mehr als 40 % ihrer Marktkapitalisierung (ungefähr USD 1.000 Milliarden) verloren hatten, so dass im folgenden Jahr sieben anstatt drei Banken aus Entwicklungsländern (China, Brasilien) die Top-20-Liste vervollständigten aufgrund ihrer leicht gestiegenen Marktwerte. Einhellig wurden substanzielle Gründe für das relativ bessere Überstehen der bis dahin aufgetretenen Finanzmarktprobleme durch die Nicht-OECD-Banken vorgebracht: In vielen Fällen ist der Staat Eigentümer der Banken und übt starken Einfluss auf die Geschäfte und Beaufsichtigung der Institute aus, wobei Profitmaximierung nicht unbedingt Geschäftsmaxime ist. Strenge Regularien und Überwachung des Bankwesens ist kennzeichnend für diese Länder. Etliche Jurisdiktionen hatten den Banken Investments in Finanzinnovationsprodukte explizit untersagt. Vorrangige Aufgabe der Kreditinstitute ist die Versorgung ihrer lokalen Volkswirtschaften mit den wesentlichen Bankprodukten und -dienstleistungen. Nationale Kapitalmärkte sind zumeist stark unterentwickelt gewesen. Demgegenüber haben die Banken der reichen westlichen Staaten eine starke Orientierung zu den internationalen Kapitalmärkten eingeschlagen. Dies kam u. a. darin zum 13
Siehe The Economist; Special Report on international banking; Paradise lost; 17. Mai 2008.
26
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Ausdruck, dass Banken aus Deutschland, der Schweiz und Großbritannien große Beträge US-amerikanischer Subprime- und Derivativprodukte kauften bzw. damit handelten. Sie stützten sich wesentlich stärker auf den Wholesale-Funding-Markt verglichen mit den Banken der Entwicklungsländer, die über ein hohes Retail-DepositAufkommen verfügten. Kurzfristige Gewinnmaximierung, ausgedrückt durch einen propagierten ROE-Fokus, definierte die Geschäftsaktivitäten, um den Aktienpreis zur Vermeidung von Übernahmeangeboten kompetitiv zu halten. Ferner war die Bezahlung der Führungskräfte daran geknüpft. In ihren Arbeiten konzentrierten sich die Gedanken und analytischen Ansätze der Verfasser zur Bankenmalaise auf Eigenheiten, die von den Finanzmärkten in den letzten Jahren hervorgebracht wurden, mit anderen Worten ausgedrückt, Neuerungen in Geschäftsansätzen und Produktangeboten. Die Erwartungen waren, daraus Lösungsformeln für die zu besagter Zeit ausgemachten Verwerfungen und für deren zukünftige Vermeidung herleiten zu können. Die Symptome wurden also durchleuchtet, ohne dass Anstrengungen unternommen wurden, mögliche tiefere Ursachen zu identifizieren und dadurch Kernprobleme der Bankenindustrie aufzudecken. Die idiosynkratischen Elemente14 der Bankenkrise in den frühen Untersuchungen können demnach in die zwei nachstehenden Kategorien eingegliedert werden. 1. Ein rasanter Anstieg von Innovationen im Angebot von Bankprodukten war erkennbar: a) Hiermit sind die neu entwickelten Kreditrisikotransferinstrumente gemeint, die das Hedging von Kreditrisiken und deren Handel als neue Asset Class erlauben. Vorrangig sind die sogenannten Credit Default Swaps (CDS) zu nennen, deren Benutzung einen geradezu atemberaubenden Aufschwung erfuhr (siehe Abbildung 1). Aus eigener Erfahrung kann festgehalten werden, dass die Absicherung einzelner Schuldner durch den Kauf von CDS bestimmend war bei der Entscheidung über eine Kreditgewährung sowie der Preis, der dafür zu zahlen war. Der Risikotransfer vollzog sich, indem das Schuldnerrisiko mit dem Verkäuferrisiko, i. d. R. gemäß Rating-Agenturen erstklassige Counterparties wie Banken und Versicherungen, substituiert wurde, wodurch die Tier1-Kapitalanforderungen gesenkt wurden.
14
Siehe Claudio Borio; BIS Working Papers No 251; The financial turmoil of 2007-?: a preliminary assessment and some policy considerations, März 2008.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
27
Sources: JPMorgan Chase; BIS.
Abbildung 1: Spektakuläres Wachstum der Kreditrisikotransferinstrumente Bei der Betrachtung der Abbildung ist vorweg festzuhalten, dass BIS erst im Jahre 2004 begann, das Marktvolumen von CDS zu publizieren. Es bedeutet, dass dieses neue Produkt erst dann vom Markt akzeptiert und somit genutzt wurde. Die Abbildung stellt das fulminante Wachstum des CDS-Marktes im Zeitraum von 2004 bis 2007 dar, wobei die y-Achse die Volumenszahlen in USD Billionen anzeigt. Hatten in den ersten Jahren Single-Name-CDS-Transaktionen überwogen, die in ihrer Benutzung in einem rasanten Tempo über die Jahre wuchsen, so gewannen später Multi-Name-CDS-Geschäfte (i. d. R. Indices) immer größere Verwendung. Zum Jahresende 2007 war das Verhältnis zwischen beiden CDS-Arten 55 % zu 45 % .
28
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
b) Die Entwicklung von strukturierten Kreditprodukten15 wurde stark forciert, und zwar hauptsächlich in der Form von Securitizations verschiedenster Forderungen und Collateral Debt and Loan Obligations, das sind neu kreierte Schuldtitel, die mit Wertpapieren, Kreditforderungen, Derivaten etc. unterlegt sind. Die Produkte wurden den Preis- und Risikobedürfnissen von Investoren durch sogenanntes Tranching mundgerecht geliefert. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass Investoren sich nicht bewusst waren, dass derartige Produkte einen hohen Embedded Leverage mit ihren nichtlinear verlaufenden Amortisationen aufgrund ihrer Abhängigkeit von volkswirtschaftlichen Zyklen und ein Tail Risk beinhalten, die ein anderes Risikoprofil darstellen als traditionelle Anleihen aufgrund einer höheren Unexpected-Loss-Probabilität. Des Weiteren beruhten Schuldendienstprognosen auf Modellberechnungen der Sponsoren und der Rating-Agenturen, die den Tranchen der Papiere ihr Rating gaben und immer mehr an Bedeutung gewannen, die zukünftige Default-Raten und Risikoprofile schätzten, ohne dass sie über länger in die Vergangenheit reichende statistische Daten verfügten. Die Produkte waren neu, der Markt verfügte über keinerlei Erfahrung darüber, wie sich u. a. in einem Downmarkt die Liquidität der Papiere entwickelt, ob dann die Preisfindung funktioniert und wie sich dann zu errechnende Modellpreise (mark-to-model) zur Realität verhalten. Als der Markt kippte und sich Ungewissheit in handfeste finanzielle Probleme für die Investoren verwandelte, schwenkte die vorherige Bereitschaft von Investoren, derartige Papiere zu kaufen, temporär in völlige Ablehnung um, und die Banken verloren eine wesentliche Einnahmequelle zusätzlich zu hohem Abschreibungsbedarf für gehaltene Inventare derartiger Produkte. Borio16 formulierte die Entwicklung im Securitization-Markt treffend: “From being a vehicle for risk distribution, securitization now distributed fear”.
15 16
Siehe unten Abbildung 2, CDO issuance, Seite 29. Siehe Claudio Borio, S. 11.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
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In USD Trillion
Abbildung 2: Spektakuläres Wachstum der Collateral Debt Obligations (CDOs) 2. Zum anderen wurde argumentiert, dass die Übernahme des Originate & Distribute (O&D)-Geschäftsmodells durch mehr oder weniger alle international tätigen Großbanken der westlichen Welt als eine weitere bedeutende Eigenheit der Bankenkrise von 2008 zu nennen ist. Es ist das Modell der US-Investment-Banken, herrührend aus dem amerikanischen Hypothekengeschäft, also nichts Neues in der Finanzwelt. Jedoch ist in Bezug auf das traditionelle Kreditgeschäft dadurch die Bedeutung des Syndizierungsmarktes stark gestiegen, weil durch die angestrebte kurzfristige (wenn überhaupt) Verweildauer von Krediten auf den Bilanzen der Banken diese liquider werden und deren Risikokapital somit ökonomischer eingesetzt werden kann. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Institute eine höhere Abhängigkeit von kurzfristigen Funding-Quellen eingehen, also ihr Refinanzierungsrisiko erhöhen bzw. höhere Funding-Kosten akzeptieren müssen für den Fall, dass sie Langfristmittel aufnehmen, um besagtes Kurzfristgeschäft zu finanzieren.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Abbildung 3: Kreditsyndizierung; Secondary Trade Volumes; Source: Loan Syndications & Trading Association (LSTA) Die Abbildung 3 soll exemplarisch die immer größer werdende Bedeutung des Kreditsyndizierungsmarktes in der Zeitperiode von 2005 bis 2007 (drittes Quartal) wiedergeben. Sie stellt die Handelsvolumen von in Europa im Sekundärmarkt gehandelten Krediten dar, wobei die y-Achse in USD Milliarden gegliedert ist. Die Säulen sind in USD- und Euro-Kredite aufgeteilt. Das Sekundärmarkthandelsvolumen verdreifachte sich demnach vom ersten Quartal 2005 zum dritten Quartal 2007, als ein Rekordvolumen von USD 146 Milliarden gehandelt wurde. Der Anstieg vom vierten Quartal 2006 zum dritten Quartal 2007 läuft fast auf eine Volumensverdoppelung heraus (plus 192 %). Im Nachhinein muss jedoch festgehalten werden, dass der O&D-Ansatz auch Fehlentwicklungen im Bankwesen wenn nicht ausgelöst, so doch gefördert hat und die
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
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durch Beeinflussung der Banker geänderten Rechnungslegungsrichtlinien zugunsten der Banken ein Übriges taten. Gemeint sind die von Banken ins Leben gerufenen und dann von ihnen unterhaltenen Special Purpose Vehicles (SPV). Es sind Firmen, die von den Banken beherrscht werden, jedoch per decretum nicht als konsolidierungspflichtige Rechtseinheiten in der Rechnungslegung angesehen wurden. Banken platzierten Risikopapiere, und zwar sehr häufig die (wert)niedrigsten Tranchen von strukturierten Krediten und CLOs, die von ihnen an den Markt gebracht wurden, in den SPVs unter Umgehung der Aufnahme in die eigene Bilanz. Die Refinanzierung der Bestände wurde i. d. R. durch Asset-backed-cp-Ausgaben im Namen der SPVs vorgenommen. Von denselben Banken gewährte cp-backstop-Fazilitäten entfielen ebenso der Bilanzierung aufgrund ihrer Kurzfristigkeit von generell 364 Tagen Laufzeit. Gerade die oben genannten Fazilitäten führten nach vollem Ausbruch der Krise zu dem von den Banken unerwünschten Umstand, dass Asset-backed cp nicht mehr verkauft werden konnte, weil Investoren aufgrund des Wertverfalles der Underlying Assets die Anlage als zu riskant erachteten, so dass die Banken unter den von ihnen gewährten cp-backstop-Fazilitäten Ziehungen akzeptieren mussten. Die Periode der sogenannten Disintermediation, die den Banken durch das O&D-Modell Gewinne einbrachten, ohne mehr Eigenkapital aufzuwenden ceteris paribus, wurde abgelöst von einer Re-Intermediation-Welle, die die Kreditgeber unfreiwillig in die Lage drängte, Kredite auf ihre Bücher zu nehmen, die vorher absichtlich „außerhalb ihres Konsolidierungskreises“ gehalten wurden. Die Folgen waren einerseits die Verschlechterung des Verschuldungsgrades, denn Aktienemissionen waren in den Umständen außer Frage. Zum anderen – und dies stellte das wahre Problem dar – verursachte der Ausfall der Asset-backed-cp-Funding-Quelle Verwerfungen im Interbankenmarkt, denn es ergaben sich selbst für die Banken mit erstklassiger Kreditwürdigkeit Schwierigkeiten, ihr Funding sicherzustellen, sei es durch den Verkauf von cp im eigenen Namen, sei es durch den Erwerb von Wholesale Deposits.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Abbildung 4: US-Commercial Paper Markets (CP and ABCP) Das linke Schaubild oben zeigt auf die US-Asset-backed- und Non-Asset-BackedCP-Außenstände für den Zeitraum von Juni 2007 bis Februar 2008, wobei die yAchse die Volumen in USD-Billionen anzeigt. Die Außenstände von unbesichertem cp oszillierte während dieser Periode um die USD-1-Billionen-Marke, wohingegen die Asset-backed-CP- Platzierungen nach dem 9. August 2007 abnahmen, als eine Welle von Meldungen die Investoren von ABCP verschreckte, dass der überwältigende Teil der Besicherung dieser Papiere aus Hypotheken bestand, die von Schuldnern nicht (mehr) bedient wurden. Vom Höchststand im August 2007 im Betrag von USD 1,2 Billionen fielen die Außenstände dramatisch bis auf USD 800 Milliarden zu Beginn des Jahres 2008. Das rechte Schaubild zeichnet die Spread-Entwicklung von 30und 90-Tage-ABCP mit dem besten vergebenen Kurzfristrating von A1+ nach für die gleiche Zeitperiode. Vor August 2007 begnügten sich Investoren mit einer Rendite
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
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von sub-LIBOR. Zum Jahresende 2007 hatten die Schuldner annähernd 125 Basispunkte mehr zu zahlen. Das signifikant reduzierte Platzierungsvolumen zu Beginn des Jahres 2008 sah dann verminderte Aufschläge über LIBOR bei gleichzeitig wesentlich höheren Quotierungen für 30- und 90-Tage-Ausleihungen in LIBOR. Zwei bereits bekannte Trends zeichneten sich wiederum ab, und zwar die sich gegenseitig forcierende Verbindung zwischen dem Marktgeschehen und der im Markt zur Verfügung stehenden Funding-Liquidität. Wie oben aufgezeigt: Wenn der (cp-)Markt verebbt, dann steigen die Ziehungen unter Banklinien, bzw. wenn Kreditlinien gekürzt werden, dann verschwindet gleichzeitig die Liquidität im Markt. Ferner bestehen komplementäre Verhältnisse zwischen den Banken als Intermediäre und dem Markt, denn einerseits braucht ein ordentlich funktionierender (cp-)Markt die Banken als Back-stop-Kreditbeschaffer sowie als Intermediär bei der Platzierung von Papieren im Markt. Andererseits beschafft der Markt den Banken Einkommensquellen, im obigen Fall durch Gebühreneinkommen aus den cp-backstop-Fazilitäten und Produkten zur Ausübung ihres Risikomanagements. Richtigerweise merkt Borio17 an, dass die idiosynkratischen Elemente dazu verleiteten, eingegangene Risiken mit einem zu niedrigen Preis versehen zu haben, den Rating-Agenturen zu großes Vertrauen in ihren Risikobeurteilungen entgegengebracht zu haben unter Nichtbeachtung ihres inhärenten Interessenkonfliktes, dem O&D-Ansatz zu unkritisch gegenüberzustehen, obwohl er ebenfalls mit Interessenkonflikten behaftet ist, die Verantwortung für Kreditrisiken verschleiert und potenziell die angemessene Entlohnung für übernommene Risiken zwischen dem „O“ und dem „D“ konterkariert, dass die Originators mit ansteigender Platzierung von Krediten bereit sind, immer mehr Risiken qualitativ als auch quantitativ zu akzeptieren. So ist es unzweifelhaft, dass die idiosynkratischen Elemente den Turmoil in der Bankenwelt jener Tage, wie es Borio nannte, verschärfte und deshalb dem (Produkt-)Innovationsrisiko besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist, jegliche Geschäftsmodellveränderungen mit regulatorischen Anpassungen begleitet werden sollten, insbesondere wenn sie von (wirtschafts)politischen Gründen herrühren, 17
Siehe Claudio Borio, S. 11.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
einmal mehr deutlich wurde, wie schwer die Messung von Risikoentwicklungen über bestimmte zukünftige Zeitperioden ist, sich also der Finanzsektor als Ganzes (weiter)entwickelt. Sicherlich waren auch die vorgenommenen Rechnungslegungsveränderungen zu sehr auf den dann existierenden Bull Market ausgerichtet, ohne dass damit einhergehend verbesserte Veröffentlichungspflichten von den Banken verlangt wurden. Ferner muss die Arbeit der Rating-Agenturen mit kritischen Augen betrachtet werden, weil sie instrumental waren, die strukturierten Kreditprodukte für Anleger als „sicher“ erscheinen zu lassen aufgrund der erteilten Ratings, die sich als falsch herausstellten, als der Wirtschaftszyklus schwenkte. Die Interessenkonflikte der Agenturen – und zwar wurden sie von den Emittenten bezahlt nicht nur für ihr Rating, sondern auch für Beratungsdienste bei der Zusammenstellung der Transaktionsstrukturen, die sie dann wiederum bewerteten – blieben unbeachtet. Schließlich ist nunmehr zu erkennen, dass ihre angewendeten Modellrechnungen antiquiert und daher unzureichend für diese Produkte waren. Bei aller Würdigung der Einflüsse der idiosynkratischen Elemente auf die Bankenproblematik kann jedoch nicht die Schlussfolgerung daraus gezogen werden, dass sie die Wurzel der gegenwärtigen Krise sind. Selbst Borio18 gesteht mit seinem abschließenden Kommentar ein, dass andere, tiefere Gründe vorhanden sein müssen, die die zweitschlimmste Bankenkrise in der modernen Menschheitsgeschichte erklären und die Idiosynkrasien als Symptome eben dieser identifizieren: “… these idiosyncratic elements, prominent as they are, should not blind us to the more fundamental nature of the turmoil and the factors behind it.”
Demzufolge sind mehr Untersuchungen notwendig, um die wahren Faktoren des Debakels herauszuarbeiten, das als Bankenkrise der westlichen Welt begann, sich jedoch bald zu einer Weltwirtschaftskrise ausweitete. Ansatzpunkt muss die „Ursache allen Übels“ sein, und zwar die Dominanz der US-amerikanischen Großbanken über ihre internationalen Mitwettbewerber, um aufzudecken, welches die Wurzeln der Krise gewesen sind, die den idiosynkratischen Elementen vorgelagert waren.
18
Siehe Claudio Borio, S. 21.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
35
1.2 Statistiken zur Dominanz der US-Banken über die global agierenden Banken Die Marktführerschaft der US-Banken belegen die nachfolgenden Statistiken. Die Dominanz der US-Banken über die global operierenden Kreditinstitute im letzten Jahrzehnt wird deutlich bei der Betrachtung der nachfolgenden Bankranglisten, die die Marktkapitalisierung als Messgröße benutzen, als auch verschiedener anderer Statistiken, hergeleitet aus dem veröffentlichten Zahlenwerk der hier untersuchten dreißig Banken im Zeitraum von 2002 bis 2007. Dieser Zeitraum wurde gewählt, weil er zum einen den wirtschaftlichen Aufschwung beinhaltet, der den politischen und wirtschaftlichen Krisen um die Jahrhundertwende folgte, wie dem Platzen der Tech Bubble, den Asien- und Russland-Finanzkrisen und den wirtschaftlichen Folgen des 9/11-Terroranschlags auf die Finanzhauptstadt der Welt, New York. Zum anderen war es die Periode, die die Bankenwelt aufgrund der Richtungsweisung durch die amerikanischen Großbanken nach der Aufhebung des Glass-Steagall Acts (GSA) grundlegend veränderte.
36
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
1.2.1 Ranglistenbewertung
Abbildung 5: Rangliste der größten Banken der Welt (nach Marktkapitalisierung)
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
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Von den zehn höchsten Rängen besagter Ranglisten beanspruchten die US-Banken fünf/vier in den Jahren 2002/2007, wobei jeweils die Spitzenpositionen von der Citigroup und der Bank of America eingenommen wurden und JPMorgan auf Rang fünf rangierte. Zusätzlich ist Wells Fargo zu nennen, die die Ränge vier und zehn respektive einnahm. 1.2.2 Marktkapitalisierung19 Wie gesagt, wurde die staatliche Bankenaufsicht zusätzlich zur allgegenwärtigen Regulierung durch den Markt etabliert, wobei in einer freien Wirtschaft Marktteilnehmer wie z. B. Bank-Counterparties, die nicht unter die Einlagensicherung fallen, den Preis ihrer Forderungen gegenüber den Banken auf der Basis der Marktkapitalisierung der entsprechenden Banken20 festsetzen. Damit wird der Marktkapitalisierung eine herausragende Stellung zuteil u. a. im Preiswettbewerb um Refinanzierungsmittel, die sogenannten Wholesale Deposits. Es ist bezeichnend, dass die globalen Kapitalmärkte vier US-Banken unter den größten zehn Banken der Welt eingruppierten. Im Jahre 2002 betrug die Market Cap der zehn größten Banken USD 904 Mrd., von denen die US-Banken 63 % auf sich vereinigten. Sie stieg auf USD 1.615 Mrd. in 2007 und teilte sich unter den Top 10 auf mit 57 % vereint auf die amerikanischen Banken und 43 % für die Nicht-US-Banken. Auf dem Höhepunkt des nun zu Ende gegangenen Banking Booms im Jahre 2007 verfügte die Citigroup über einen Marktwert von USD 274 Mrd., gefolgt von der Bank of America mit USD 240 Mrd. und JPMorgan auf Rang fünf mit USD 168 Mrd.. Wells Fargo befand sich ebenfalls noch unter den Top-10-Banken mit einem Marktwert von USD 120 Mrd. Die Rangliste der zehn größten Banken wurde zu diesem Zeitpunkt komplettiert mit zwei UK-Banken (HSBC, RBS) und einer japanischen Bank (UFJ). Drei chinesische Banken (ICBC, CCB und Bank of China) vervollständigten die Liste. UBS als größte kontinentaleuropäische Bank hielt Platz 11 inne. Im Vergleich sei erwähnt, dass zu diesem Zeitpunkt die größte deutsche Bank auf Platz 24 rangierte, und zwar die Deutsche Bank, die mit einem Marktwert von USD 67 Mrd. zu Buche stand. 19 20
Marktkapitalisierung = Aktienpreis * Anzahl ausstehender Aktien. Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan, Market Forces in the Banking Industry: Evidence from the Capital Buildup of the 1990s, S. 6; sowie R. C. Merton, „An analytic derivation of the cost of deposits insurance loan guarantees“, Journal of Banking and Finance, Bd. 2, Nr. 1, 1977, S. 3-11.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
1.2.3 Buchwert des Eigenkapitals Das Bankengewerbe ist eine der am stärksten regulierten Industrien in der Welt aufgrund ihrer Sonderstellung für die Gesamtökonomie. Aus gutem Grund wird dieses Gewerbe nicht ausschließlich der „Regulierung durch den Markt“ überlassen, so wie es für viele andere Wirtschaftsteilnehmer üblich ist. Die staatliche Einflussnahme ist als zusätzliche Überwachungsdimension etabliert worden. Die jeweilige Bankenaufsicht der einzelnen Nationen ist das dafür geschaffene Organ. Insbesondere der Schutz von Kleinanlegern ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben zusätzlich zur Sicherstellung, dass die Banken die ihnen obliegenden Transformationsfunktionen wahrnehmen, die Geldmarktsteuerung der Zentralbanken, die sich dafür der Banken bedienen, vollzogen werden kann und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs der Gesellschaft reibungslos läuft. All dies macht eine strikte Regulierung ihrer Geschäftstätigkeiten notwendig zum Guten des Gesamten. Dabei spielt die bilanzielle Eigenkapitalausstattung eine vorrangige Rolle in der Bankenüberwachung, weil sie als „Sicherheitspolster“ gegen Kreditausfälle und andere verlustbringende Aktivitäten fungiert. Bestimmte Mindesteigenkapitalanforderungen21 per se sowie Verschuldungsgradslimite werden hierdurch jedem Institut vorgegeben. Wegen der Wichtigkeit des Eigenkapitals im Bankengewerbe ist daher der Vergleich der Buchkapitalzahlen22 der untersuchten Banken ein Kriterium zur Beurteilung der Stärke von konkurrierenden Instituten. Hierbei zeigt sich eine weitere Stärke der USBanken. Bei Betrachtung der Bilanzen der vier ursprünglich reinen US-Geschäftsbanken sowie der größten europäischen (kommerziellen) Banken23 ist festzuhalten, dass vom Buchkapital, das diese Institute durchschnittlich in der Untersuchungsperiode auswiesen im Betrag von USD 553 Mrd., 62 % oder USD 340 Mrd. auf die amerikanischen Banken entfielen. Die US-Banken weisen durchschnittlich bis zu dem Dreifachen an Buchkapital aus, verglichen mit allen europäischen Banken24. Wie bereits erwähnt, ist für die Bankenaufsicht die Eigenkapitalausstattung das entscheidende Kriterium, um festzustellen, ob die Kreditinstitute für das von ihnen gewählte Geschäftsmodell über ausreichendes Eigenkapital verfügen. So ist im Hinblick auf regulatorische Richtlinien das Buchkapital eines Instituts von entscheiden21 22 23 24
Siehe beispielsweise KWG Grundsätze, FDIC Rules and Regulations for US-Commercial Banks. Siehe Abbildung 6, Seite 39, „Book Equity“. Citigroup, BfA, JPM, Wells Fargo, RBS, Santander, Barclays und Deutsche Bank. Für statistische Zwecke wurde HSBC als Sonderfall angesehen wegen der erst kürzlich erfolgten Übersiedlung nach UK von Hongkong.
39
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
der Bedeutung und die bestimmende Größe für das Kredit- und anderes Risikogeschäft, weil es zugleich die Bezugsgröße für den erlaubten Verschuldungsgrad ist.
Book Equity
U S D M illio n
200,000 180,000 160,000 140,000 120,000 100,000 80,000 60,000 40,000 20,000 1 Average 2002 - 2007 BAC RBS
JPM BARC
C UBS
GS CS
MS BNP
WFC SocGen
DB UniCredit
Abbildung 6: Buchkapital der untersuchten Banken
HSBC Santander
40
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
1.2.4 Performance25 Eingedenk der Tatsache, dass die Kapitalmärkte für die Großbanken eine immer größer werdende Bedeutung erlangen und damit das Return-Risiko-Denken von Investoren Einzug gehalten hat, werden die traditionellen Performancemaße verwendet, die der Kapitalmarkttheorie26 sowie der Shareholder-Value-Analyse zum Maximierungsgedanken des Unternehmenswertes entstammen, um Leistungsvergleiche zwischen den untersuchten Instituten vorzunehmen. Bei den Performance-Vergleichen erscheint es angebracht zu sein, zwischen den Herkunftsgebieten der verschiedenen Institute zu unterscheiden aufgrund des aus der Geschichte dieser Kulturbereiche stammenden unterschiedlichen Geschäftsansatzes der Banken in ihren Heimatmärkten. Angesprochen wird hier die Unterscheidung zwischen angelsächsischen Banken - US-Commercial-Banken - US-Investment-Banken - UK-Banken und kontinentaleuropäischen (Universal-)Banken. Die kontinentaleuropäischen Institute haben historisch betrachtet vorrangig die Funktionen des Kreditgebers und des Verwalters von Kundeneinlagen innegehabt, was u. a. damit zu begründen ist, dass ein bedeutendes Kapitalmarktinteresse erst spät auf das Geschäftsgebaren sowohl der Banken als auch auf eine sich langsam bildende Investorengruppe Einfluss nahm. Infolgedessen war der Kapitalmarkt gerade in Deutschland für lange Zeit unbedeutend – ein Urteil, das regelmäßig von Kritikern des deutschen Finanzwesens vorgebracht wurde.
25 26
Bei den nachfolgenden Berechnungen wurden Jahresendzahlen aus der Rechnungslegung der Banken benutzt. Siehe Detlev Hummel, Bankcontrolling WS 08/09, Folie 287.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
41
Market Capitalization of Stock Exchanges 18,000,000 16,000,000
USD Million
14,000,000 12,000,000 10,000,000 8,000,000 6,000,000 4,000,000 2,000,000
NYSE
20 08
20 06
Deutsche Boerse
E nd
20 04
E nd
20 02
E nd
20 00
E nd
19 98
E nd
19 96
NASDAQ
E nd
19 94
E nd
19 92
E nd
E nd
E nd
19 90
0
LSE
Abbildung 7: Marktkapitalisierung der vier Börsen (NASDAQ, NYSE, Deutsche Börse, London Stock Exchange) Die Abbildung 727 vergleicht die Marktkapitalisierungen verschiedener Börsen, und zwar von NYSE, NASDAQ, LSE und Deutscher Börse, definiert als die Summe der Marktwerte aller an diesen Börsen notierten Aktienwerten per respektiven Jahresenden. Die Dominanz der NYSE ist augenfällig mit einem notierten Höchststand von fast USD 16 Billionen. Der Unterschied zwischen der Deutschen Börse und der NYSE, aber auch zu den anderen angelsächsischen Marktplätzen für derartige Papiere spricht eine deutliche Sprache; Deutschland hinkt (fast verhängnisvoll) hinter den anderen her. Der Grund dafür ist sicherlich geschichtlich begründet, nicht zuletzt deswegen, weil die Institution „Investment-Bank“28 in Deutschland eine absolut untergeordnete Rolle spielte bzw. gänzlich im Wettbewerb über viele Jahre hinweg fehlte. Das angelsächsische Bankwesen bediente sich bereits sehr früh eines renditebewussten Investorenmarktes für Aktien- und Anleihetransaktionen zur Aufnahme von 27 28
Datenquelle: World Federation of Exchanges, WFE Database, 2008. Siehe S. 112 ff., Gespräch mit Dr. Rolf-E. Breuer.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Eigen- und Fremdkapital. Profitabilität war von höchster Priorität, um im Wettbewerb für Kapital zu bestehen, was zwangsläufig dem Bankmanagement ein „Performance-Bewusstsein“ in der Steuerung ihres Geschäfts abverlangte. Im Zuge der Internationalisierung des Bankenwettbewerbs waren alle Großkreditinstitute mehr oder weniger gezwungen, sich der Kapitalmarktkultur der angelsächsischen Konkurrenz anzupassen, und sie mussten somit ihren Fokus auf die ROE/ROA-Kennzahlen richten. A. Return-on-Asset-Kennzahl ROA= Reingewinn / Gesamtwert der Aktiva Die Return-on-Asset(ROA)-Kennzahl wird als Profitabilitätsmessung für die Institute verwendet, die mehr oder weniger ein reines Kreditgeschäft unter Buy-and-holdAspekten betreiben. Es ist die Messung des Gewinns pro Währungseinheit an Assets. Zieht man die ROA-Zahlen im Vergleich heran, verdeutlicht sich das Bild der Überlegenheit der amerikanischen Commercial-Banken gegenüber den kontinentaleuropäischen Instituten. Die verbuchten Assets dieser Banken erbringen einen Gewinn, der um die Hälfte niedriger ist als der der US-Banken, was zweifelsfrei einen Wettbewerbsnachteil darstellt an den internationalen Kapitalmärkten.
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1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
ROA Comparison 1.4000%
ROA
1.2000% 1.0000% 0.8000% 0.6000% 0.4000% 0.2000% 0.0000%
Average 2002 - 2007
US-Banks
0.9334%
US-C-Banks
1.1618%
US-I-Banks
0.7049%
Cont.Euro Banks
0.4414%
UK Banks
0.7805% US-Banks
US-C-Banks
US-I-Banks
Cont.Euro Banks
UK Banks
Abbildung 8: ROA-Vergleiche (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft) B. Return-on-Equity-Kennzahl ROE = Reingewinn / Investiertes Eigenkapital Die Messung und der Vergleich der Performance der Kreditinstitute wird vorrangig mit dem Return on Equity (ROE) vorgenommen, wobei der Gewinn in Bezug zum aufgewendeten Eigenkapital gesetzt wird. Daraus ergibt sich, dass der ROE die bestimmende Größe der Marktkapitalisierung der Banken ist, wobei der Kapitalmarkt den in der Zukunft zu erwartenden ROE in Rechnung stellt. Der ROE bildet also den Erfolg ab, den die Aktionäre mit ihrer Anlage erzielen. Dazu wird der erzielte ROA (siehe oben) erweitert mit dem von der Bank eingegangenen Leverage. Dies bedeutet, dass ein positiver Effekt durch die Erhöhung des Verschuldungsgrades nur dann erreicht wird, wenn der ROA höher ausfällt als der Zins, der für die aufgenommenen Schulden zu zahlen ist. Dieser Hintergrund ist von Bedeutung bei der Beurteilung der Vergleichsdaten, die aufzeigen, dass die ROE-Zahlen der kontinentaleuropäischen Banken um rund 30 % niedriger sind als die der angelsächsischen Konkurrenz. Ferner bestätigen die beinahe identischen Zahlen der US- und UK-Banken (15,3 % / 15,7 %) den angelsächsischen
44
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Hintergrund ihrer Bankenindustrie, der dem US-System als Vorbild diente. Hierauf wird in der Untersuchung nicht weiter eingegangen. ROE Comparison 20.00%
ROE
15.00% 10.00% 5.00% 0.00%
Average 2002 - 2007
US-Banks
16.2755%
US-C-Banks
14.8538%
US-I-Banks
17.6971%
Cont.Euro Banks
12.9453%
UK-Banks
15.2929%
US-Banks
US-C-Banks
US-I-Banks
Cont.Euro Banks
UK-Banks
Abbildung 9: ROE-Vergleiche (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft) Bei der Betrachtung der individuellen Institute wird sichtbar, dass die Citigroup über die fünf Jahre von 2002 bis 2007 einen durchschnittlichen ROE von 15,7 %, die Bank of America 16,2 %, JPMorgan29 9,3 % und Wells Fargo 18,3 % auswies. RBS und Barclays zeigten 14,7 % sowie 16,8 %. Spitzenreiter der europäischen Banken war UBS mit einem ROE von 15,5 %, der jedoch mehr mit den Durchschnittsrenditen von Goldman Sachs (19,5 %) und Morgan Stanley (15,5 %) zu vergleichen ist aufgrund (fast) identischer Geschäftsmodelle mit den US-Investment-Banken, wobei das kommerzielle Bankfach bei den Schweizern von untergeordneter Bedeutung ist. Die US-Investment-Banken weisen den höchsten Durchschnitts-ROE für die Jahre 2002 bis 2007 aus, begründet mit dem kurzfristigen (Eigen-)Handelsgeschäft dieser 29
Beachte: JPMorgan Merger-Aktivitäten in den Jahren 2003 und folgenden.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
45
Institutionen unter geringstem Eigenmitteleinsatz sowie dem Fokus auf Provisionserträge, deren Erwirtschaftung (fast) keinen Kapitaleinsatz notwendig macht. Wiederum errechnete sich im Vergleich für die Deutsche Bank30 ein ROE von durchschnittlich 10,6 % über die genannte Periode, der etwa 10 % niedriger war als der ROE der anderen großen europäischen Banken.31 Bemerkenswert ist auch, dass die jährlichen ROE-Steigerungen der US-InvestmentBanken deutlich höher waren als die der anderen Institute (siehe Abbildung 10 unten). Dies ist in dem Kontext zu sehen, dass nach der Aufhebung des GlassSteagall Acts im Jahre 1999 die Wettbewerbsumstände zwischen den global agierenden Banken eine wesentliche Änderung mit dem Eintritt von u. a. Goldman Sachs und Morgan Stanley erfuhren mit der Folge, dass die im Wettbewerb stehenden Institute nachziehen mussten, um nicht in den Augen der am Kapitalmarkt tätigen Investoren ins Hintertreffen zu geraten. Der ROE bestimmte daher das Denken und Handeln des Bankmanagements, und die gesamte Geschäftspolitik wurde darauf ausgerichtet, sich stets verbessernde ROEZahlen der Öffentlichkeit zeigen zu können. Die Konsequenz war, dass ein gewisses Kurzfristdenken das Geschäftsgebaren der Banken zu bestimmen begann, nicht zuletzt deswegen, weil die Kompensation der Führungsriege der Institute stark an die Entwicklung des Aktienkurses gekoppelt wurde.
30 31
Jedoch ansteigend über die Jahre, ROE in 2002/2006: 1,3 % / 18,2 %. CS, BNP, SocGen, UniCredit, Santander.
46
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
ROE-Comparison 30% 25%
ROE
20% 15% 10% 5% 0% 2007
2006
2005
US- C- Banks Cont.Euro- Banks
2004
2003
2002
US- I- Banks UK Banks
Abbildung 10: ROE-Vergleiche (Jahresvergleiche; Bankengruppen bei Herkunft) 1.2.5 Effizienz Des Weiteren macht eine Effizienzanalyse die Überlegenheit der US-Banken über ihre internationale Konkurrenz deutlich. Die „DuPont Identity“32, die hierfür Anwendung findet, arbeitet dabei die Determinanten heraus, die den ROE der Banken beeinflussen, und zwar: Operationale Effizienz, gemessen an der Gewinnmarge = Net Income / Revenues Asset-Nutzungs-Effizienz, gemessen an der Revenueerzeugung des Vermögens = Revenues / Assets Verschuldungsgrad, als Eigenkapitalmultiplikator = Assets / Equity.
32
Ross, Westerfield, Jordan; Fundamentals of Corporate Finance, 2003, S. 74 ff.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Profit Margin Net Income/Revenues
30.0% 25.0% 20.0% 15.0% 10.0% 5.0% 0.0%
Average 2002-2007
US-Banks
21.8%
US-C-Banks
23.5%
US-I-Banks
18.5%
Cont. Euro-Banks
13.6%
UK-Banks
24.6%
Abbildung 11: Profitmargen (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft) Asset T/O 0.060
Revenues/Assets
0.050 0.040 0.030 0.020 0.010 0.000
Average 2002-2007
US-Banks
0.048
US-C-Banks
0.055
US-I-Banks
0.035
Continental Euro Banks
0.029
UK Banks
0.037
Abbildung 12: Asset-Nutzungseffizienz (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft)
47
48
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
Leverage 35 Debt/Equity (x)
30 25 20 15 10 5 0
Average 2002-2007
US Banks
17.4898
US C-Banks
11.4146
US I-Banks
23.5651
Cont.Euro Banks
31.3655
UK-Banks
22.8250
Abbildung 13: Verschuldungsgrad (Durchschnittszahlen 2002-2007; Bankengruppen bei Herkunft) Die herausragende Stellung der US-Banken wird ersichtlich durch den Ausweis der höchsten Gewinnmarge, der höchsten Umsatz per Asset-Rate und dem bei weitem niedrigsten Verschuldungsgrad. Besonders bemerkenswert ist, dass der Verschuldungsgrad33 der kontinentaleuropäischen Banken fast dreimal höher ist im Vergleich zu den US-Banken, diese also signifikant mehr Fremdkapital für ihre Aktivitäten einsetzen und trotzdem, wie oben ausgewiesen, deren ROE wesentlich niedriger ist. Selbst bei höherer Verschuldung erreichen sie nicht das ROE-Niveau der US-Banken und weisen zugleich eine risikoreichere Kapitalstruktur aus. Die Effizienz der amerikanischen Banken ist somit richtungsweisend für die Mitwettbewerber. Der Philosophie Brandeis’34 folgend, der den Effizienzbegriff in eine weitere, soziale Definition einordnet, in der wirtschaftliche Tätigkeiten nicht in einem Vakuum abgehandelt werden, sondern Teil eines Gesamtorganismus sind und nur dann effizient sind, wenn die Gesamtheit keinen Schaden davon erleidet, dann steht die zuvorstehende Aussage über die Effizienz der US-Institute lediglich dafür, dass 33 34
Siehe S. 157 ff. betreffend Thema Regelwerk zur Leverage-Begrenzung. Siehe Norman Hapgood, Foreword to „Other People’s Money …“, Seite xv und xxvii.
1. IDIOSYNKRATISCHE ELEMENTE DER GEGENWÄRTIGEN BANKENKRISE
49
die US-Banken die Fähigkeit besitzen, Profite zu machen und darin besser sind als ihre Konkurrenz. Ein Urteil ist nicht gefällt, ob die Banken damit auch dem „Gesamten etwas Gutes tun“. 1.2.6 Zusammenfassung Die statistischen Analysen belegen, dass die US-Banken das globale Banking dominiert haben: Die Kapitalmärkte listen im Jahre 2007 vier US-Banken unter den Top-10-Instituten der Welt nach Marktkapitalisierung auf. Citigroup und Bank of America führen die Rangliste an. JPMorgen folgt auf Rang fünf, Wells Fargo nimmt Rang zehn ein, weil sie die profitabelsten Banken sind, wobei der ausgewiesene ROE die Bestimmungsgröße der Marktkapitalisierung darstellt, das höchste Buchkapital der untersuchten Banken ausweisen, und zwar mit deutlichem Abstand insbesondere zu den europäischen Banken (von HSBC einmal abgesehen), mit höchster Effizienz im Vergleich zu ihren internationalen Mitwettbewerbern ihre Bankgeschäfte tätigen. Besondere Beachtung ist dabei dem wesentlich niedrigeren Verschuldungsgrad der amerikanischen Banken zu schenken. Anders ausgedrückt, sie erfreuen sich einer weniger risikobehafteten Kapitalstruktur.
51
2. Bankhistorische Untersuchung der US-Bankenindustrie 2.1 Rechtfertigung der Untersuchungsmethodik Die Rechtfertigung für Geschichtsstudien im Allgemeinen und für diese Arbeit im Speziellen, die das Ziel hat, Parallelen zwischen der gegenwärtigen Bankenkrise und der von 1933 offenzulegen, die beide vom US-Bankwesen ausgelöst wurden, gab der Historiker Niall Ferguson35, der an der Harvard Universität lehrt, aus gegebenem Anlass mit seiner Antwort auf die Frage, ob Banken anstelle von Mathematikern mehr Historiker für ihr Geschäft einstellen sollten: „Das wäre bestimmt kein Fehler. Zumindest sollte Finanzgeschichte ein bedeutender Teil der Ausbildung an jeder Business-Schule sein. Das Wissen darüber ist zu wichtig, um es Spezialisten wie mir zu überlassen. Aber leider sind die typischen Leser finanzhistorischer Literatur pensionierte Banker. Es wäre besser gewesen, sie hätten diese Bücher früher gelesen.“
Fergusons’ Ratschlag hier anwendend, die Vergangenheit des US-Bankwesens zu untersuchen, brachte einige bemerkenswerte Stellungsnahmen und Meinungen von amerikanischen Autoritätspersonen aus der Zeit vor 1933 ans Tageslicht, die engen Bezug zur Gegenwart haben. So gab im Jahre 1931 Melvin A. Traylor, Präsident der First National Bank of Chicago, die folgende Stellungnahme zu dem dann existierenden Universalbankensystem und dem Börsenkrach von 1929 ab: “Ambition, cupidity and greed have dictated policies and trouble has been the result.”36
Noch schärfer formulierte Norman Hapgood im Jahre 1932 in seinem Vorwort zu Justice Brandeis’ unten genanntem Buch die Anklage gegen die damalige Bankenindustrie: “As a matter of fact bankers of late have been out not only to make large sums of money but to make it on the principle of ‚heads I win, tails you lose’.”37
Auch heute sind Kommentare und Meinungen wie die beiden obigen in Artikeln und Papieren von Journalisten und Gelehrten über die Krise von 2008 zu lesen sowie in 35 36 37
Niall Ferguson, Interview mit Spiegel Online, „Wir brauchen neue Banken“, 28. Juli 2009. Norman Hapgood, Foreword to „Other People’s Money …“, S. xxxv. Norman Hapgood, Foreword to „Other People’s Money …“, S. xxxvii.
52
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Reden und Präsentationen von Politikern und anderen Kritikern des existierenden Bankensystems. Die öffentliche Diskussion klagt hauptsächlich die Gier des Bankenberufsstandes an und das Erscheinungsbild, dass die Gewinne aus ihrer Geschäftstätigkeit von den Bankern vereinnahmt wurden, wohingegen die Verluste an den Steuerzahler weitergereicht worden sind, was den Kommentar von Hapgood in anderen Worten widerspiegelt. Bezüglich der daraus entstandenen Aufforderungen seitens der Bevölkerung an die Politik, die Bezahlung der Investment-Banker zu regulieren, wird an anderer Stelle diskutiert.38 Bereits diese aufgezeigten Parallelen anhand der beiden Kommentare von Traylor und Hapgood rechtfertigen die weitere geschichtliche Untersuchung mit der Erwartung, dass weitere Ähnlichkeiten aufgedeckt werden, um schließlich die Schlussfolgerung zu ziehen, dass grundsätzliche Fehler dem Universalbankensystem anhaften, die für beide finanziellen wie auch ökonomischen Desaster verantwortlich zeichnen. Das Ergebnis dieser bankhistorischen Untersuchung soll also einerseits aufzeigen, wie und warum die US-Banken die größten und somit führenden Kreditinstitute unter den international tätigen Großbanken geworden sind. Andererseits sollen die Gründe analysiert werden, warum das Universalbankensystem, das in der Money-Trust39Periode der amerikanischen Bankenhistorie bestand, ersetzt wurde durch die Einführung eines Trennbankensystems im Jahre 1933. Der Hintergrund dieses Untersuchungsansatzes ist, dass im Jahre 1999 die Gesetzgeber der USA genau dieses Trennbankensystem de jure wieder zugunsten des von allen westlichen Industrienationen betriebenen Universalbankensystem aufhoben, was die Welt wiederum in eine Bankenkrise stieß, die nach Meinung von vielen Fachleuten in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mit der Krise der frühen 1930er Jahre vergleichbar ist. Vereinfacht gesagt, das Ziel ist es, Parallelen herauszuarbeiten und Vergleiche beider Zeitperioden zu ziehen, in denen das Universalbankensystem praktiziert wurde, die Rückschlüsse auf die Ursachen dieser beiden derart tiefen Bankenkrisen erlauben. Ferner stellt die Herausarbeitung von Interdependenzen zwischen den beiden vorher genannten Untersuchungsobjekten, nämlich dem Trennbankensystem und dem Aufstieg der US-Banken, ein weiteres Ergebnis der Arbeit dar. Beweggrund dafür ist, 38 39
Siehe unten Paragraph: Vergütung, Kapitel 3.4. Norman Hapgood, Foreword to „Other People’s Money …“, S. xxix: „So-called money-trust (or) great pool of money controlled by a few houses“.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
53
dass das US-Bankensystem gravierenden Veränderungen durch politische Eingriffe unterworfen wurde, die, wie bereits vorher erwähnt, am stärksten zum Ausdruck gebracht wurden durch die politisch motivierten legislativen Maßnahmen, ein Universalbankensystem in ein Trennbankensystem zu verwandeln und Jahre später die Wiedereinführung des Ersteren gesetzlich zu verordnen. Von besonderer Bedeutung sollte die Untersuchung der Gründe sein, warum diese Schritte in beide Richtungen als notwendig erachtet wurden; welchen Angriffen das ursprüngliche (Universal-)Bankensystem letztendlich nicht mehr standhielt und ob Lehren aus der Geschichte hätten gezogen werden können, als der US-Gesetzgeber entschied, den Glass-Steagall Act (GSA) im Jahre 1999 aufzuheben. Den Einstieg in die historische Analyse des US-Bankwesen erleichterte das von Donald D. Hester, Professor of Economics, Emeritus der Universität von WisconsinMadison am 1. August 2002 veröffentlichte Papier mit dem Titel „U.S. BANKING IN THE LAST FIFTY YEARS: GROWTH AND ADAPTATION“40, das die Entwicklung eben dieses Trennbankensystems in großem Detail wiedergibt. Es zeigt in beeindruckender Weise den Werdegang der großen US-Commercial-Banken während besagter Zeitperiode auf und warum gerade diese Institute die Spitze der globalen Bankenwelt repräsentieren. Hesters Ausführungen fanden starke Berücksichtigung in den nachfolgenden Ausführungen. Ein Rückblick auf das US-Bankensystem, das der von Hester analysierten Zeitperiode voranging, wird zuerst einmal vorgenommen aufgrund der Besonderheiten dieses Zeitabschnittes, der letztendlich mit der Bankenkrise von 1933 endete und somit Erwartungen weckt, dass damals krisenverursachende Gründe vorlagen, die für die jetzige Bankenkrise ebenfalls gültig sein können. Um die geschichtliche Betrachtung zu vervollständigen, sei hier erwähnt, dass im Jahre 1782 die Bank of North America in Philadelphia gegründet wurde und mit ihr die moderne Commercial Banking Industry in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Abbildung 1441 unten zeigt die wichtigen Stationen des US-Bankwesens vor WWII auf. Mishkin42 weist darauf hin, dass in dieser Zeitperiode die politische Auseinandersetzung zwischen Proponenten einer zentralen staatlichen Aufsicht und denen, die den US-Staaten solche Rechte vorbehalten wollten, die Diskussion prägte. Als Folge waren zweimal, und zwar in den Jahren 1811 und 1832, die Einrichtungen 40 41
42
Siehe Hester, mit gleichem Titel. Frederic S. Mishkin, The Economics of Money, Banking, and Financial Markets, Figure 1, Time Line of the Early History of Commercial Banking in the United States, S. 230. Frederic S. Mishkin, S. 229 ff.
54
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
von quasi Zentralbanken (Bank of the United States sowie Second Bank of the United States) duch den politischen Einspruch der Gegner, die durch Wahlerfolge die Macht übernommen hatten, zum Scheitern verurteilt. Erst im Jahre 1863 wurde letztendlich die Gesetzeslage geschaffen für die Einrichtung von national banks, die danach neben den sogenannten state banks in einem dual banking system bis heute existieren. Die Einrichtung einer Zentralbank ließ jedoch noch weitere fünfzig Jahre auf sich warten.
Abbildung 14: Frühe Historie des US-Commercial Banking
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
55
Einen ersten Gesamtüberblick der Entwicklung der US-Banken über den Zeitraum von 1893 bis 2000 gewährt der folgende Chart, der das Buchkapital und die Marktkapitalisierung im Verhältnis zum Vermögen der US-Banken plottet:
Abbildung 15: Market and Book Equity Ratios for US Banks: 1893-2000 Source: Flannery/ Kasturi; Market Forces at Work in the Banking Industry
56
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Die y-Achse gibt das prozentuale Verhältnis an zwischen Buch-, bzw. Marktkapital und Vermögen der amerikanischen Banken über den Zeitraum von 1893 bis 2000 (xAchse). Das Buch- sowohl als auch das Marktkapital verzeichnete einen signifikanten Anstieg in den 1920er Jahren auf ein Niveau, das zum Ende des 19. Jahrhunderts vorzufinden war, bevor der „Black Friday“ 1929 und die nachfolgenden Bankenkrisen der frühen 1930er Jahren ein starkes Absinken der ratios hervorriefen. Nach Einführung des GSA im Jahre 1933 und der strikten Bankenaufsicht, die von dem Zeitpunkt ab hauptsächlich dem FDIC mit seinen stringenten Regeln oblag, sank die Buchkapitalquote der US-Commercial Banken drastisch aufgrund von Kreditportefeuillebereinigungen. Eine Verbesserung, obwohl weit entfernt von früheren Quoten, erreichten die US-Banken nach WWII, bevor ein Einpendeln zwischen 6% und 7% auf Jahre hin zu beobachten ist. Erst in den 1990er Jahren verzeichneten sie eine graduelle Verbesserung mit einem Ansteigen auf bis zu 9%. Bei der Betrachtung der Market Equity Ratio sticht ins Auge, dass der Anstieg im Zeitraum von 1918 bis 1933 dem von 1990 bis 1998 bemerkenswert ähnlich ist mit beinahe gleicher Amplitüde von 16% (gemessen vom niedrigsten Ausgangspunkt bis zum Spitzenbetrag). Der Rückfall der Ratio in den Jahren 1933 bis 1943 auf knapp 6% (minus 22% absolut vom Höchststand) ähnelt dem des Jahres 2009, als die errechnete Quote auf etwa 4% fiel vom Höchstbetrag des Jahres 1998 von 21%. (Siehe dazu auch die Abbildung 16 unten, die den Zeitraum von 2002 bis 2009 exemplarisch aufzeigt.)
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Market and Book Equity Ratio US-Banks 18.0% 16.0% 14.0% 12.0% 10.0% 8.0% 6.0% 4.0% 2.0% 0.0% End 2002
End 2005 %Book Eq of Assets
End 2009
%Market Cap of Assets
Abbildung 16: Market and Book Equity Ratios for U.S. Banks: 2002-2009 Die errechneten Werte berücksichtigen lediglich BAC, JPM, C und WFC und sind Durchschnittswerte pro Jahr der vier Institute. Die Konstellation, dass die Market Equity Ratio unter der Book Equity Ratio liegt, so geschehen nach der Bankenkrise von 2008, ist vergleichbar mit der Situation nach der Bankenkrise von 1933, wobei der Unterschied zwischen beiden von 4,5% in der Vergangenheit nicht derart ausgeprägt war wie zum Ende des Jahres 2009.
57
58
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
2.2 Zeitperiode des US-Money Trust Diesen Gedanken folgend ist es notwendig, insbesondere die „frühe US-Bankenindustrie“ zu untersuchen, und zwar von 1863 an mit der Gesetzgebung der National Bank Charter, die grundsätzlich nicht nur das US-nationale Bankensystem, sondern auch eine nationale Währung, den US-Dollar, ins Leben rief. In seinem vielbeachteten unten genannten Buch bezeichnete Louis D. Brandeis43 die Finanzwirtschaft dieser Zeit bezeichnenderweise als den „Money Trust“. In seiner Funktion als US-Supreme Court Justice verfügte Louis Brandeis über eine außerordentlich tiefe Einsicht in finanzwirtschaftliche Verhältnisse, die es ihm erlaubte, in seinem Buch eine bestechende Analyse des US-Bankwesens dieser Zeit zu liefern, die schon früh Missstände eben jener Industrie nicht nur aufzeigte sondern auch bereits damals schon kritisierte, so dass schließlich der US-Kongress legislativ im Jahre 1913 tätig wurde mit der Gründung der Federal Reserve Bank (Fed) als amerikanische Zentralbank. Es war ein wesentlicher Schritt, um zu diesem Zeitpunkt das Bankensystem in den USA zu festigen. Eben aus diesen Gründen finden Brandeis’ Ausführungen starke Verwendung im weiteren Verlauf dieser Arbeit. Er schildert in klaren Worten, warum und wie die US-Bankenindustrie schon Jahre vor der Bankenkrise von 1933 graduellen Veränderungen unterworfen werden musste. Als zentralen Kritikpunkt definierte Brandeis den zu dieser Zeit existierenden Money Trust, dessen Hauptakteure die Investment-Banker waren, was er wie folgt aufdrückt: “The dominant element in our financial oligarchy is the investment banker.”44
Die Begründung für diese „Anklage“ griff Jan Kregel45 mit dem Zitat von Brandeis auf, einschließlich seiner Zusätze: “The financial system in the U.S. before the creation of the Federal Reserve, according to Louis Brandeis, was one in which the four distinct functions of banks (commercial banking, trust and insurance, corporate underwriting, and brokering) each essential to business, and each exercised originally, by a distinct set of men, became united in the Investment banker”.
43 44 45
Louis D. Brandeis, „Other People’s Money: And How The Bankers Use It“, 1933. Louis D. Brandeis, S. 3. Jan Kregel, Background considerations to a Regulation of the U.S. Financial System: Third Time a Charm? Or Strike Three?, S. 4/5, März 2009.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
59
Hieraus wird eine erste wichtige Parallele zum heutigen Bankensystem bestätigt; nämlich dass das Bankwesen der USA im Ursprung ein Universalbankensystem46 war, da die vier wesentlichen Bankgeschäfte „unter dem Dache eines Institutes“ ausgeübt wurden/werden konnten. Der Begriff „Dach“ ist hier nicht wörtlich zu nehmen, da die Kontrolle über Commercial-Banken und Trust-Unternehmen in der Regel über Aktienmehrheiten sowie Board-of-Directors-Mandate, die InvestmentBanker hielten, kontrolliert wurden. Eine Trennung von Geschäftsaktivitäten à la Trennbankensystem sah die US-Bankenregulierung zu dieser Zeit also nicht vor. In der obigen Aussage ist ferner von Bedeutung, dass der Investment-Banker all die Tätigkeiten, wie oben zitiert, in seiner Funktion vereinnahmte, indem das kommerzielle Bankgeschäft lediglich als Mittel zum Zweck für seine Investment-BankingTätigkeit erachtet wurde. Mit anderen Worten ausgedrückt, das Investment-Banking war der „Heilige Gral“ allen Tuns in den Kreditinstituten mit einer untergeordneten Funktion für alle anderen Bankgeschäfte. Der Investment-Banker bestimmte die Geschäftspolitik der Bank in diesem Universalbankensystem der Vereinigten Staaten. Die Money-Trust-Periode im amerikanischen Bankwesen repräsentierte also ein Universalbankensystem (mehr noch: Allfinanzsystem durch den Einschluss des Versicherungsgewerbes), das unter der Regie der Investment-Banker stand. Diese Zeitperiode war zum einen gekennzeichnet durch immer wieder auftretende Finanz- und Wirtschaftskrisen, die an der Tagesordnung waren, wobei Sparer und Investoren viel Geld durch Firmenbankrotte und Bankenschließungen verloren. Genannt sei hier u. a. das finanzielle Debakel der Eisenbahngesellschaften der USA dieser Zeit. Zum anderen war der Reichtum der führenden Investment-Banker mittlerweile „sprichwörtlich“, wie es Brandeis ausdrückte. Es war die Zeit, als J. P. Morgan zu einem der reichsten und auch im politischen Sinne mächtigsten Männer der Welt aufstieg. Die Kritiker dieses Systems zeigten derartige Missstände, im Besonderen die Einkommensdiskrepanzen zwischen den Investment-Bankern und dem Rest der Bevölkerung auf, und sie bewirkten damit eine graduelle Systemveränderung. Einer Anzahl von Banking Acts in den Jahren von 1933 bis 1935 kommt dabei eine sehr wichtige Bedeutung zu im Hinblick auf die Entwicklung der Bankenwelt in den USA. Hier sei insbesondere der Glass-Steagall Act hervorgehoben, der letztendlich die Trennung von Geschäftsbanken (Commercial Banks) und Investment-Banken (Investment Banks) per Dekret regelte. 46
Karl Erich Born, „Geld und Banken im 19.und 20.Jahrhundert“, S. 470 ff., 1976.
60
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Eine weitere Parallele zur Gegenwart kann von Brandeis’ Aussage gezogen werden, wenn er unter Benutzung des Wortes „Oligarchy“ aufzeigt, dass einige wenige Mega-Institute den Bankenmarkt zu eigennützigen und eventuell korrupten Zwecken beherrschten. Nach einer tiefgreifenden Verschmelzungswelle im US-Bankenwesen Mitte der 1990er Jahre entstand eine kleine Gruppe von Großbanken, der nicht zu Unrecht nachgesagt wurde, dass sie oligopolitisch handelte. Es handelt sich im Wesentlichen um Citigroup, Bank of America, JPMorgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley.
2.3 Zeitperiode des US-Trennbankensystem Die USA verordneten sich mit dem GSA das sogenannte „Trennbankensystem“47, das dem deutschen „Universalbankensystem“48 sodann gegenüberstand. Mit diesem Schritt betrat das US-Bankwesen eine Periode größter Prosperität, nachdem die Krise mit dem Ende von WWII vollends überwunden war. Die gesamtwirtschaftliche Aufgabe der Commercial-Banken bestand von nun an darin, Einlagen von Kunden entgegenzunehmen und Kredite an Unternehmen und Privatpersonen auszureichen. Gleichzeitig wurde die Federal Deposit Insurance Corp. (FDIC) als Einlagenversicherung ins Leben gerufen. Jede Commercial-Bank hatte daraufhin Versicherungsprämien zu entrichten und sich der Kontrolle durch die FDIC zu unterwerfen. Die ins Leben gerufene Einlagensicherung durch die FDIC49 sowie deren starke Kontrollausübung über die Commercial-Banken half, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das US-Bankensystem wieder herzustellen. Ihnen wurde das Underwriting von Wertpapieren, jegliche Betätigungen im Aktienmarkt und im Investmentgeschäft sowie eine Anzahl weiterer Finanzgeschäfte untersagt. Der entscheidende Grund für diese Regularien war, dass derartige Geschäfte den „Black Friday“ im Jahr 1929 mitverschuldet hatten. Diese Geschäfte blieben nunmehr den Investment-Banken vorbehalten, denen jedoch andererseits untersagt blieb, Kundendepositen entgegenzunehmen. Die sogenannten Securities Acts von 1933 und 1935 regulieren seitdem die Geschäfte der InvestmentBanken mit ihrem Fokus auf den Investorenschutz. 47 48
49
Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, Bankbetriebslehre, S. 61 ff. Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, S. 25 ff. Das Universalbankensystem besteht mittlerweile in den meisten europäischen Ländern. FDIC = Federal Deposit Insurance Corp.; verfügt über weitreichende Kompetenzen in der Beaufsichtigung der Banken, mittlerweile auch Basel II.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
61
Abbildung 17: Gegenüberstellung von Commercial- und Investment-Banking 50 Wie in der Abbildung oben dargestellt, war es das Ziel von GSA, dem Bankensystem Stabilität zu verleihen und gleichzeitig die Entwicklung von Finanzinnovation (bzw. Wandel) zugunsten der Gesamtwirtschaft zu fördern. Die obige Abbildung zeigt die Trennbankenstruktur auf, die diesen beiden Parametern gerecht werden sollte. Ein nicht unwesentlicher Gegenstand dieser Banking Acts war, dass den Geschäftsbanken Einlagenzinslimitierungen auferlegt wurden; sie mussten ihr Eigenkapital aufstocken und hatten Einschränkungen bei der Eröffnung von Filialen zu akzeptieren. Andererseits genossen sie aber auch einen nicht unerheblichen Wettbewerbsschutz, u. a. durch hohe Eigenkapitalanforderungen bei der Gründung neuer Banken. Bei der Auflistung der geschichtlichen Daten wird deutlich, dass wesentliche Veränderungen des US-Bankensystems vorrangig durch die Politik veranlasst wurden als Reaktion auf schlimmste Verwerfungen, hervorgerufen durch Krisen im Wirtschafts-/Finanzsystem; der Civil War und seine Folgen (National Bank Charter); die 50
Siehe Hummel, Financial Insititutions and Markets (Bank I) WS 08/09.
62
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
amerikanische(n) Wirtschaftskrise(n) des frühen 20. Jahrhunderts, u. a. durch horrende Spekulationen der Banken (Federal Reserve Act); der Stock Market Crash von 1929 mit dem Untergang einer großen Anzahl von Banken und damit einhergehend der Verlust von Riesensummen von Bankeinlagen vieler Menschen, gefolgt von der Great Depression (Glass-Steagall Act etc.). Bankenaufsicht: Commercial-Banken Es ist also festzuhalten, dass als Folge dieser Gesetzesgebungen in den USA die Geschäftsbanken einer außerordentlich rigiden Bankenaufsicht unterworfen wurden durch die Einführung des Trennbankensystems und Zinslimitierungen auf Depositen sowie das Verbot des Interstate Branch Banking. In der Bankenaufsicht fanden also Bankindustrie-spezifische Verordnungen starke Verwendung. Dem Prinzip der Fachaufsicht51 folgend werden die Commercial-Banken durch FDIC und OCC reguliert, wobei letztere die Gründung und Beaufsichtigung von National Banks52 überwacht. Ferner sei hier nochmals auf die Stellung der FDIC hingewiesen, hervorgerufen durch ihre Aufgabenstellung, Kundeneinlagen bis zu einem bestimmten Betrag zu versichern. Eine scharfe Kontrolle der zu beaufsichtigenden Institute ging mit diesem Mandat Hand in Hand. Ihre Bankrevisoren verwendeten ursprünglich keine festgeschriebenen numerischen Standards für die Kapitalausstattung der zu prüfenden Banken.53 Vielmehr wurde, basierend auf der subjektiven Meinung der Prüfer nach Beurteilung des Bankmanagements und der Qualität des Kreditportefeuilles, dem individuellen Institut eine Eigenkapitalausstattung auferlegt. Zahlenmäßig festgelegte Capital Ratios, die von den Banken einzuhalten waren, fanden wohl keine Anwendung bei der Beurteilung einer Bank, denn sonst hätten sie veröffentlicht werden müssen, um die notwendigerweise verlangte Objektivität zu wahren. Literaturhinweise belegen jedoch, dass auch schon damals das Konzept der Capital Ratios stark diskutiert wurde. Derartige Bankinstitut-spezifische Verordnungen werden nach wie vor als Kernstück der Bankenkontrolle angesehen. Im Jahr 1981 erfuhr die Handhabung der Überwachung eine Änderung durch die erstmalige bankenaufsichtliche Einführung einer explizit bezifferten Eigenkapitalausstattung für Commercial-Banken. Die Fed und das OCC verkündeten einen einfachen 51 52
53
Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, S. 73. Sogenannte state banks unterliegen der jeweiligen bundesstaatlichen Aufsicht, was das Dual Banking System der USA ausmacht. Siehe FDIC, Basel and the Evolution of Capital Regulation: Moving Forward, Looking Back, 1/14/2003.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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Leverage Ratio Test54 zur Feststellung adäquater Kapitalunterlegung des Bankbuches. Diese Regelung wurde mit einigen Nivellierungen55 aufrechterhalten und galt ab 1990 zusätzlich zu den Regeln nach Basel I56, mit denen das System der Risikogewichtung von Forderungen eingeführt wurde.57 Bankenaufsicht: Investment-Banken Das Überwachungssystem für die Investment-Banken wurde anders gestaltet. Aufgrund ihres kapitalmarktorientierten Leistungsangebotes werden sie einerseits von der SEC kontrolliert, die die Börsen und Kapitalmärkte überwacht. Zusätzlich verfügt die CFTC über Kontrollrechte bezüglich ihrer Handelstätigkeit mit Rohstoffen58. Die Aufsicht der Investment-Banken durch die SEC59 wird als weniger streng erachtet als die Kontrolle der Commercial-Banken durch die respektiven Aufsichtsorgane. Gerade die Ereignisse zum Ende des Jahres 2008 mit den durch die US-Bankenaufsicht veranlassten Übernahmen von Bear Stearns durch JPMorgan und Merrill Lynch durch Bank of America sowie der Konkurs von Lehman Brothers können als Hinweis gewertet werden, dass die SEC ihrer Kontrollfunktion über die Investment-Banken unzureichend nachkam. Denn nur so ist es zu erklären, dass zwei der fünf großen USInvestment-Banken kurzzeitig überlebten, und zwar Goldman Sachs und Morgan Stanley, bevor ihr Antrag für eine Commercial-Bank-Lizenz genehmigt wurde, um ihnen den Zugriff auf staatliche Stützungsgelder gewähren zu können. Dies hatte zur Folge, dass die beiden Banken vom Zeitpunkt der Konvertierung zusätzlich wie Commercial-Banken in den USA beaufsichtigt werden. Aus der Historie der SEC ist zu erkennen, dass der Überwachungsansatz ein anderer ist, als der für die Commercial-Banken etablierte. So spielen Self Regulatory Organizations (SRO) in der Industrie eine gewichtige Rolle, welche von der SEC überwacht werden. Die Beaufsichtigung der Investment-Banken durch die SEC ist also eine indirekte Aufsicht, die durch die Division of Trading and Markets innerhalb der SEC ausgeführt wird. Dieser Abteilung wurde das Mandat zugeordnet, das 54
55 56 57 58 59
„Primary“capital = equity plus loan loss reserves > 5.5 % of assets, while total of primary and secondary (primarily qualifying subordinated debentures) capital > 6 % of assets. Der Begriff „well capitalized“ wurde eingeführt und der Leverage-Test auf 5 % festgelegt. Erforderliche Eigenkapitalunterlegung = Forderungssumme x Risikogewicht x 8 %. Siehe S. 158. Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, S. 73. SEC = Securities Exchange Commission, gegründet im Jahre 1934 aufgrund des Securities Exchange Act, durch den der SEC die Aufsicht über Börsen, Wertpapierbroker und -händler, Investmentberater und Mutual Fonds übertragen wurde (siehe SEC-Website).
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die SEC sehr weitläufig, basierend auf dem gesunden Menschenverstand, wie folgt beschreibt: “Companies publicly offering securities for investment dollars must tell the public the truth about their businesses …”60.
So wurde erstmals im Jahre 1975 deren sogenannte Net Capital Rule zur Überwachung des Leverage von Broker-Dealer-Geschäften61 erlassen. Ein Debt-to-Equity Ratio von 15 % wurde fixiert sowie Abschläge auf die Marktpreise des Wertpapierhandelsbestandes.62 Doch bezeichnend war, dass diese Anforderung dahingehend formuliert wurde, dass die Firmen „innerhalb dieses Rahmen mit einer komfortablen Marge“ bleiben müssen. Auch hier wird wiederum deutlich, dass die Aufsicht unscharf war und viel Interpretationsspielraum für die Investment-Banken und die SEC ließ. Bereits an dieser Stelle sei auf eine folgenschwere regulatorische Änderung hingewiesen, die von der SEC im Jahre 2004 verabschiedet wurde. Bezeichnend ist, dass die oben genannten fünf größten Investment-Banken die Hauptbetreiber dieser neuen Regel waren, und somit die späteren Nutznießer. Sie bewirkten damit, dass die SEC die Leverage-Restriktion und die „haircuts“ für sie abschafften. Sie konnten dafür auf freiwilliger Basis die sogenannte Alternative Net Capital Rule63 anwenden, die keine Begrenzung des Leverage mehr beinhaltete und es ihnen erlaubte, ihre mathematischen Modelle zur Berechnung der Eigenkapitalunterlegung von sowohl Marktrisiken als auch Kreditrisiken für Wertpapier- und andere Bestände, Kredite, Derivate usw. zu verwenden. Die SEC sah darin eine Anpassung ihrer Regeln an die für Commercial-Banken gültigen Regeln nach Basel II. Sie argumentierte, dass eine strengere Aufsicht der Investment-Banken als quid pro quo mit dieser Vorschrift einherging, dadurch, dass von nun an vor Ort permanent ansässigen SEC-Kontrolleuren die tagesgleiche Kontrolle des Handelsbuches jener Investment-Banken zu gewähren war. Doch es stellte sich heraus, dass diese Maßnahmen völlig unzureichend für eine strikte Risikokontrolle waren.64 Der Schritt muss als einer der gravierendsten Deregulierungsfehler der SEC der letzten Jahre bewertet werden. Er 60
61
62 63
64
Siehe SEC-Website, The Investor’s Advocate: How the SEC Protects Investors, Maintains Market Integrity, and Facilitates Capital Formation, 12/17/2008. Siehe Rule 17 C.F.R. 240.15c3-1.Sec.15(c)3 of SEC 1934 authorizes the commission to impose, by regulation, minimum financial requirements on broker-dealers. Siehe SEC, Rule 15c3-1 („Net Capital Requirements for Brokers and Dealers“). 17C.F.R.§ 240.15c3-1. Siehe SEC, Alternative Net Capital Requirements for Broker-Dealers That Are Part of Consolidated Supervised Entities, 17 CFR Parts 200 and 240. Siehe John C. Coffee, Analyzing the Credit Crisis: Was the SEC Missing in Action?, New York Law Journal, 12/5/2008, S. 3.
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zeigt wohl am deutlichsten auf, wie sehr die Laissez-faire-Philosophie der US-Politik durch ihre Aufsichtsorgane in die Wirtschaft getragen wurde. Im Jahre 2007 wurde die Alternative Net Capital Rule wieder abgeschafft und ersetzt durch eine Leverage-Begrenzung.65
2.4 Zeitperiode nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem sich anschließenden wirtschaftlichen Aufschwung erfreuten sich die USA einer immer stärker werdenden Bankenindustrie.66 Zu dieser Zeit gab es in etwa 14.000 Commercial-Banken in den USA. Zum einen war die Industrie „gereinigt“ durch den Zusammenbruch des alten Bankensystems im Jahre 1933. Mehr als 4.000 Banken blieben für immer geschlossen. Zum anderen – nicht zuletzt durch die eingeführte strenge Bankenaufsicht, der sich die Geschäftsbanken67 nun zu unterwerfen hatten – wurde erreicht, dass diese außerordentlich profitabel arbeiteten. Das Buchkapital68 dieser Banken verzeichnete daher einen starken Anstieg von USD 9 Milliarden in 1945 auf USD 21 Milliarden im Jahre 1960. Das Ziel von Franklin D. Roosevelt war erreicht, die verbliebenen Banken hatten ihre Profitabilität erhöht, ihr Eigenkapital wieder aufgebaut und dadurch das Vertrauen von Kunden (zurück)gewonnen. Die Geschäftsbanken erfreuten sich eines sicheren Geschäfts, indem die Kundeneinlagen stiegen, ohne dass wirklicher Zinswettbewerb bestand und Staatsanleihen auf der Vermögensseite der Bankbilanzen dominierten, da die private Kreditnachfrage gering war. Als Resultat gingen die Geschäftsbanken keine oder nur geringe Kreditrisiken ein, was immer zum Vorteil für die Gewinn- und Verlustrechnung von Banken ist. Bis ungefähr zum Jahr 1960 zogen die Geschäftsbanken das Profitabilitätsziel dem Ziel, größere Marktanteile zu gewinnen, vor, was zum vorher erwähnten Anstieg der Eigenkapitalmittel führte. Starke US-Banken erwuchsen in den Jahren des wachsenden US-Wohlstandes aber auch aufgrund einer rigiden Bankenaufsicht, was durch
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66 67
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Siehe SEC, Holding Company Supervision with Respect to Capital Standards and Liquidity Planning, 3/7/2007, S. 1-3 (capital to RWA of not less than 10 %). Siehe Donald D. Hester, U.S Banking in the last fifty years: Growth an Adaptation, S. 3-7. Hier sind die Finanzintermediäre gemeint: Commercial Banks, Thrift Institutions (Savings Banks, S&Ls, Credit Unions). Siehe Donald D. Hester, S. 3.
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eine geringe Zahl von Bankinsolvenzen belegt wird. Zwischen 1945 und 1960 musste demnach die FDIC für lediglich 33 Banken eintreten.69
2.5 Zeitperiode: „Decade of Regulatory Disintegration“70 Gemäß Hester folgte von 1960 an die Periode der Desintegration der Bankenaufsicht von US-Geschäftsbanken. Die Ursachen dafür sind vielfältig und entstammen der Entwicklung der wirtschaftlichen Erfordernisse, die herrühren von einer auf Konkurrenz basierenden kapitalistischen Marktwirtschaft, wofür die US-Ökonomie als Vorzeigemuster in der Welt gilt. So sind makroökonomische Gründe71 mit ihren Auswirkungen auf die Bankenindustrie anzuführen, die immer wieder Anlass gaben, gewisse Regularien zu verändern bzw. anzupassen. Aber auch wettbewerbsverändernde Gründe hatten Einfluss auf die Bankenlandschaft. Hier seien die „Scheinprivatisierung“ durch das US-Government des Hypothekenfinanzierers FNMA72 und die Gründung von GNMA73 genannt, die das Ziel hatten, die Finanzierung von Eigenheimen auszuweiten. Dadurch entging den Geschäftsbanken ein nicht unerheblicher Teil von Hypothekenfinanzierungen, die in der Regel eine hohe Profitabilität mit sich brachten, weil anhaltende Wertsteigerungen von Immobilien aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahlen in den USA die Banken vor Kreditverlusten schützten. Des Weiteren bewirkte der Wettbewerb in der Bankenindustrie, dass mehr und mehr Produktinnovationen im Bankgeschäft den Kunden angeboten wurden. Die Innovationen wurden entwickelt und in den Markt getragen durch die Geschäftsbanken, aber auch konkurrierende Nichtbanken (z. B. Finanztöchter von Industrieunternehmen wie General Motors und Ford) tauchten mit neuen Produkten und Dienstleistungen auf, was die Geschäftsbanken wiederum zwang zu reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige Beispiele der Marktveränderungen, die die US-Banken erfuhren, seien hier angeführt: Bis dato zahlten die Banken keine Zinsen auf Geldeinlagen von Firmen. Dadurch entwickelte sich der Commercial-Paper-Market (CP) in dieser Zeit. Große Wirtschaftsunternehmen mit erstklassiger Bonität begannen, sich auf CP-Basis untereinander 69 70 71 72 73
Siehe FDIC, The First Fifty Years, A History of the FDIC 1933-1983, Chapter 5 Handling Bank Failure. Siehe Hester, S. 3. Siehe Hester, S. 4 ff. (Haushaltsdefizite durch Vietnamkrieg, Verteidigung des Goldstandards etc.). Federal National Mortgage Association. Government National Mortgage Association.
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Geld zu leihen. Geschäftsbanken verloren also ihre Rolle als Finanzintermediär im Vergabeprozess von kurzfristigen Krediten für diese Kundengruppe und somit eine wichtige Einkommensquelle. Zwar fanden die US-Geschäftsbanken andere Produkte, die ihnen ertragreiches Geschäft einbrachten, wie zum Beispiel die Gewährung von CP-back-stop-Kreditlinien für CP-Emittenten; jedoch verschwand ein wesentlicher Geschäftszweig, nämlich die Kreditvergabe von Kurzfristmitteln an Großunternehmen zu befriedigenden Margen. Die Entwicklung eines Secondary Markets für den Handel mit Certificates of Deposits war ein weiteres Beispiel für Innovationen, die von Banken an den Markt gebracht wurden, um die steigenden Kundenansprüche zu erfüllen. Dies verdeutlicht, dass und in welchem Ausmaß sich die Bankgeschäfte graduell veränderten und mit ihnen das Bankwesen. So grenzten spätere bankaufsichtliche Verfügungen bezüglich Obergrenzen für Einlagenzinsen wiederum die Geschäfte der Banken ein. Weil sie nicht mit US-Staatsanleihen im Zins konkurrieren konnten, da dieser höher lag als die erlaubte Zinsobergrenze für Bankeinlagen, bevorzugten Anleger den Kauf dieser Papiere. Dieses auferlegte Handicap bewirkte, dass das Kreditgeschäft der Banken zurückging aufgrund der eingeschränkten Refinanzierungsmittel, die den Banken zur Verfügung standen. Weniger Geschäft bewirkte, dass die Profitabilität der Institute litt. Produktneuerungen allein reichten kaum aus, um einerseits den veränderten Rahmenbedingungen, oktroyiert durch die Bankenaufsicht, zu entsprechen, und andererseits mit ihnen Kunden an sich zu binden und trotzdem profitabel zu sein. Daher begannen die Geschäftsbanken nach neuen Wachstumsgebieten zu suchen. Die großen Banken begannen im Ausland zu expandieren, indem sie Filialen und Tochtergesellschaften gründeten. Diese wickelten Bankgeschäfte mit international tätigen US-Firmen in Jurisdiktionen ab, die u. a. weder Zinsobergrenzen noch Mindestreserven kannten und sie somit in die Lage versetzten, Kredite und Einlagen billiger anzubieten als im US- Heimatmarkt.74 Zugleich etablierten die US-Banken Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Unternehmen, was ihre Profitabilität erhöhte durch die so vollzogene Ausweitung ihrer Kundenkreise. Die US-Banken wurden bekannt und geschätzt in der internationalen Wirtschaftswelt. Als Beispiel für den Erfolg, den die amerikanischen Banken mit ihrer Auslandsstrategie erzielten, seien hier einige Zahlen der Citigroup genannt. Der Geschäftsbericht75 74 75
Bezüglich Wachstum der Geschäftsvolumina siehe Hester, S. 6. Siehe Citi, Annual Report 2007, S. 41, 72.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
für das Jahr 2007 des Institutes weist folgende Zahlen aus bezüglich Kreditvergaben und Kundeneinlagen im In- und Ausland. Ferner zeigt die Abbildung 18 die Aufsplittung bei den Krediten in Konsumer- und Firmenausleihungen. Bei den Einlagen wird unterschieden zwischen zinszahlenden Depositen per Region.
(in USD Millionen)
In US-Filialen
International
395.875 42.72
195.645 143.502
208.112
495.501
Kreditvergaben Konsumer Firmen Total
777.742
Zinszahlend Total
703.613
Einlagen
Abbildung 18: Citigroup; Bilanzzahlen 2007 Als Vergleich sei angeführt, dass der gesamte ausgewiesene Kreditbestand der Deutschen Bank im Jahre 2006 USD 262,6 Milliarden betrug und ihr Einlagenbestand USD 604,6 Milliarden, d. h. dass das internationale Kreditportfolio der Citigroup größer war als der Gesamtkreditbestand der Deutschen Bank. Zusätzlich zu diesen beeindruckenden Geschäftszahlen bildete die Citigroup ihr Brand Equity auf globaler Ebene. Der Citigroup-Name ist bekannt, wurde geschätzt und suggerierte sowohl den existierenden als auch den potenziellen Kunden weltweit positive Gefühle wie Sicherheit und Stabilität, die dienlich sind, um im Bankgeschäft erfolgreich zu sein. Eine Studie aus dem Jahre 2006 von Millward Brown76 quantifizierte das Brand Equity der Citigroup mit USD 45 Mrd., gefolgt von Bank of America (USD 39 Mrd.) und Wells Fargo (USD 33 Mrd.). Die Deutsche Bank belegte Rang 9 mit USD 17 Mrd. Doch auch der Trend in Produktinnovationen hielt unverändert an. Hier seien die Entstehung von Money Market Mutual Funds (MMMF) im Jahre 1972 genannt, die 76
Siehe Millward Brown, ohne Titel, 2006.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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von Investment-Banken entwickelt wurden und daher nicht von der Einlagensicherung gedeckt waren. Die Folge war, dass die Kunden Sichteinlagen von Banken abzogen, weil die MMMF höhere Zinsen zahlten als Bankdepositen und zugleich die Kunden tägliche Verfügung über Teilbeträge dieser Produkte hatten. Bank-Certificates of Deposits (CDs) wurden dagegen i. d. R. mit fester Laufzeit angeboten. Ferner wurde im Jahre 1973 die Chicago Option Exchange gegründet. Sie ist landläufig als Geburtsstätte der Finanzderivate in die Geschichte eingegangen. Angetrieben vom riesigen US-Hypothekenmarkt wuchs diese Optionsbörse, weil den Hypothekenbanken damit Instrumente angeboten wurden, mit denen das dem Hypothekengeschäft inhärente Zinsänderungsrisiko abgesichert (Hedging) werden kann. Damit konnten Mortgage-backed-Security-Transaktionen, der Urtyp einer Securitization, mit weniger Risiko eingegangen werden, wodurch das Emissionsvolumen erheblich anstieg. Es ist notwendig, an dieser Stelle nochmals zu erwähnen, dass das US-Mortgage-Geschäft, in der Form von individuellen wie auch kommerziellen Hypotheken, ein riesiges Kreditvolumen77 für die amerikanischen Geschäftsbanken und deren Konkurrenz, die Thrift Institutions ausmacht. Nur am Rande sei noch erwähnt, dass bald darauf Future Contracts auf US-Staatsund Eurodollaranleihen ebenfalls in Chicago handelbar wurden. Es wurde mehr und mehr sichtbar, dass über die Jahre hinweg die mit den Banking Acts von 1933/35 eingeführte strikte Bankenaufsicht für Geschäftsbanken nicht oder nur mit Verzögerung den Marktentwicklungen angepasst wurde und die Aufsichtsbehörden, allen voran die Fed, Regularien mehr aus makroökonomischen Zwängen wie Zinspolitik, Haushaltsdefizite, Rettung gefährdeter Finanzinstitute etc. erließ, als dass sie auf die Gesundheit der ihr anvertrauten Branche achtete. So ist es auch bezeichnend, dass die Anzahl der Bankrevisoren und des Aufsichtsstabes zwischen 1981 und 1984 verringert wurde. Wie anders sind sonst die Kreditkrisen zu erklären, die z. B. durch das zu stark ausgeweitete Auslandsgeschäft der Banken entstanden, insbesondere mit dem Dritte-Welt-Bereich in den 1970er Jahren, als das Konzept des „new money“ entwickelt wurde, um die Zahlungsunfähigkeit von überschuldeten Staaten wie Brasilien und anderen zu verdecken, indem auf der Basis existierender Kredite, die von den Schuldnern nicht bedient werden konnten, zusätzliche neue Kredite mit zumeist längeren Laufzeiten „aufgesattelt“ wurden.
77
Siehe FDIC-Statistics on Depository Institutions Report, All Commercial Banks National, 9/30/2008, All Real Estate Loans: USD 3.9 trillion.
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Wiesen die Commercial-Banken seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum oben genannten Zeitpunkt ein gesundes Equity-to-Assets Ratio78 aus, ohne dass, wie vorher erklärt, die Bankenaufsicht solch eine Zahl vorgab, so war doch festzustellen, dass sich das Verhältnis graduell verschlechterte, hervorgerufen vorrangig durch die Kreditausfälle im Auslandskreditgeschäft der großen Commercial-Banken. Ferner weisen Flannery/Rangan79 darauf hin, dass gewisse akademische Bankmodelle grundsätzlich den Gedanken bestärken, dass das Vorhandensein eines staatlichen Sicherheitsnetzes für Bankkunden in der Ausgestaltung eines Einlagenversicherungsund Lender-of-last-Resort-Konzeptes für systemrelevante Großbanken zur Folge hat, dass die in Konkurrenz stehende Bankenindustrie als gewinnsuchende Wirtschaftseinheit anstrebt, nur die erforderliche Minimalvorgabe an ihr Eigenkapital zu erfüllen. Sie nennen den Fall der Continental Illinois Bank, die als „too big to fail“ angesehen wurde und daher vorsorglich vom Staat aus Sorge um das Gesamtbankensystem übernommen wurde. Niemand, Großkunden eingeschlossen, obwohl sie nicht unter die FDIC-Einlagenversicherung fielen, erlitt einen Schaden dabei, weil alle Verluste (schätzungsweise USD 1,5 Mrd.) vom Staat absorbiert wurden. Mit derartigen Erfahrungen im Rücken erachteten Bankkunden die Eigenmittelausstattung von Kreditinstituten als nicht besonders wichtig, und die Bankindustrie reagierte entsprechend in den 1970er Jahren, indem sie die Eigenkapitalausstattung gewollt oder ungewollt absenkte.
2.6 Veränderungen zu Beginn der 1980er Jahre Hester80 hat nicht zu Unrecht in diesem Zusammenhang die Meinung vertreten, dass mehr und mehr eine Laissez-faire-Philosophie bezüglich der Bankenaufsicht in den USA übernommen wurde. Es war übrigens eine von der Politik der Ronald-Reagan-Administration vertretene Weltanschauung hinsichtlich wirtschaftlicher und Finanzangelegenheiten, die sich auch nachfolgende Regierungen zu eigen machten. Reagans Parole war, der Gesellschaft von der Regierung auferlegte Regeln und Gesetze auf ein Minimum zu begrenzen. Hierfür steht sein mittlerweile berühmter Ausspruch: “Government is not the solution to our problem, Government is the problem.”81 78 79
80 81
Siehe Abbildung 15: Market and Book Equity Ratios for U.S. Banks: 1893-2000, S. 55. Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan, Market Forces in the Banking Industry: Evidence from the Capital Buildup of the 1990s, S. 2 ff. Siehe Hester, S. 14. Ronald Reagan, Inaugural Address, 20. Januar 1981.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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Book Equity as % of Assets (FDIC-Insured Commercial Banks 14 12 10
%
8 6 4 2 0 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 Years
Abbildung 19: US-Banken; Equity Capital as a Percent of Total Assets at Year-End (1935-2000) Anders als die Abbildung 15 zeigt die obige Abbildung 19 die Entwicklung des Verhältnisses von Buchkapital zu Assets der amerikanischen Banken über die Zeitspanne von 1935 bis 2000, wobei der linke rote Pfeil einen historischen Tiefpunkt besagter Kennzahl kennzeichnet. Als besorgniserregend wurde diese Entwicklung in den frühen 1980er Jahren angesehen, als die Eigenkapitalrate der Großbanken unter 4 % fiel, worauf die US-Bankenaufsicht mit der Einführung einer fest vorgegebenen Eigenkapitalquote wie geschildert auf Seite 63, Fußnote 54 reagierte. Im Jahre 1991 – der Zeitpunkt ist gekennzeichnet mit dem rechten roten Pfeil – ergänzte der Basel-IAkkord, der zusätzlich das Konzept der Risikogewichtung von Bankforderungen beinhaltete, die vorherige Anordnung der US-Aufsichtsbehörden mit dem Erfolg, dass danach die besagte Ratio kontinuierlich stieg und um die Jahrhundertwende wieder alte Höchststände erreichte.
72
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Hierbei ist die Bemerkung angebracht, dass etliche europäische Banken nur am unteren Rand dieses Charts erscheinen würden aufgrund ihrer traditionell weit niedrigeren Ratios. Insgesamt brachte die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entscheidende philosophische Veränderungen in den USA zutage, und zwar nicht nur im politischen Denken, sondern auch im Wirtschaftsleben insgesamt und damit ebenfalls im Bankwesen. So übertrug sich der Laissez-faire-Gedanke auf das wirtschaftliche Treiben amerikanischer Unternehmen in zweifacher Hinsicht: kapitalismusfördernd durch die Reduzierung und Abschaffung von Steuern und Abgaben und global expansiv. US-Firmen kauften verstärkt Unternehmen im Ausland auf und erweiterten ihre bereits existierenden internationalen Aktivitäten durch Direktinvestitionen im Ausland, um neue Märkte für ihre Produkte und Dienstleistungen zu erschließen. Ein wesentlicher Beweggrund dieser expansionistischen Welle war u. a. die Sicherung von natürlichen Ressourcen wie Erdöl, Gas und Erze zum Wohle der amerikanischen Industrie und ihrer Bevölkerung. Die US-Banken waren in diese Aktivitäten stark eingebunden, indem sie ihrer heimatlichen Kundschaft folgte und bei Finanzierungen im Ausland zur Verfügung stand. Die US-Finanzindustrie, und hier besonders das Bankwesen, galt zu dieser Zeit als eine der meistreglementierten Industrien als Folge der Bankenkrise von 1933 durch die danach erlassene Gesetzgebung. So war es nicht verwunderlich, dass auch hier aufgrund politischen Einflusses eine größere Freizügigkeit Einzug hielt. Zum einen suchten die Geschäftsbanken Einflussnahme auf die Politik, um ihre Geschäftstätigkeiten produktmäßig ausweiten zu können. Zum anderen stießen sie bei der Politik offene Türen auf, weil der „freie Markt“ der Trend dieser Zeit war. Frei wurde definiert als ein Markt, der so weit wie möglich von Regularien und damit Kosten entlastet ist zum Wohle der Profitabilität und des einhergehenden Wohlstandes der Individuen sowie der Wettbewerbsbelebung. Als quid pro quo wurde wiederholt das Argument der Kostensenkung von Produkten und Dienstleistungen genannt, wodurch der Preis für den Verbraucher gesenkt wird, wenn so wenig staatliche Auflagen wie möglich zu beachten sind. Der Markt würde der beste „Arbitrator“ in diesem Falle sein. Das war die wirtschaftspolitische Ausrichtung im kapitalistischen Amerika zu dieser Zeit als eine direkte Ableitung der Reagan’schen Doktrin. Die Kapitalausstattung der großen amerikanischen Banken stabilisierte sich in den Folgejahren. Die S&L-Krise des Jahres 1988 tangierte sie nur marginal, obwohl sie für die S&L Associations derart hohe Verluste einbrachte, dass ein staatlicher Bailout dieser Institute in einer Größenordnung von schätzungsweise USD 150 Mrd. verfügt
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wurde, aus Sorge um den US-amerikanischen Immobilienmarkt. Ein wesentlicher Auslöser dieser Krise war eine Anweisung der Bankenaufsicht, die es den S&Ls gestattete, die Eigenkapitalunterlegung ihrer Vermögenswerte zu reduzieren, was sich später als Fehler herausstellte. Die danach erfolgte Einführung einer fest vorgeschriebenen Eigenkapitalquote durch die Bankenaufsicht und vor allem der Basel-I-Erlass, der für US-Commercial-Banken zum Ende des Jahres 1990 effektiv wurde, sind als eine Verschärfung der Bankenaufsicht anzusehen. Die Abbildung 19 belegt, dass diese Maßnahmen offenkundig Wirkung zeigten, denn ein stetiger Anstieg der Equity-to-Assets Ratio ist zu erkennen. Flannery, Rangan82 begründen diese Entwicklung mit der verstärkten Aufnahme von Tier-I-Kapital durch die Banken in den 1990er Jahren, um Basel I zu erfüllen. Eine weitere Quelle war die Thesaurierung von Gewinnen, die beträchtlich in der Periode war, weil erhöhte Dividendenausschüttungen hinter den erwirtschafteten Gewinnsteigerungen zurückblieben. Eine bedeutungsvolle Maßnahme für das Bankwesen wurde im Jahre 1987 vollzogen mit der Zulassung von sogenannten Section-20-Tochtergesellschaften von Commercial-Banken, denen es gestattet wurde, im Investment-Banking unter bestimmten Begrenzungen tätig zu werden. Der Name wurde abgeleitet vom Paragraphen des GSA, der aufgehoben wurde. Es war also eine tiefgreifende Gesetzesänderung, die als Ausnahmeregelung zum GSA konzipiert war. Es war das richtungsweisende Zeichen, dass an den Grundfesten des GSA zum ersten Male faktisch, also per decretum gerüttelt wurde. Commercial-Banken wurde es erlaubt, Geschäftsfelder zu betreten, die dem Investment-Banking für mehr als fünfzig Jahren zugeordnet waren.
2.7 US-Bankwesen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Die hohen Gewinnsteigerungen der US-Großbanken können vor allem auf eine Welle von Bankübernahmen bzw. -verschmelzungen zurückgeführt werden, die vorrangig mit Verdrängungswettbewerbsmotiven und Kosteneinsparungspotenzialen bei der Zusammenlegung von Instituten begründet wurden. Außerdem wurde es den Geschäftsbanken im Jahre 1994 durch eine weitere Gesetzesänderung, und zwar den Riegle-Neal Act83, gestattet, über US-interne Ländergrenzen hinweg Filialen zu betreiben, was für sie eine wesentliche Erweiterung der Geschäftsmöglichkeiten einräumte. Die Commercial-Banken erzielten dadurch eine größere Diversifizierung 82 83
Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan, S. 11. Gesetzgebung, die Inter-State Banking in den USA erlaubt.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
ihrer Risikopositionen, wodurch tendenziell Kreditverluste reduziert und somit die Gewinne gesteigert wurden. Gab es 1984 noch 14.512 FDIC-versicherte Banken, so verringerten sich die Zahlen auf 10.514 Institute in 1994 und nur noch 8.129 Banken im Jahre 200184. Um das Ausmaß dieser Merger-Welle zu skizzieren, seien die folgenden Transaktionen angeführt: Manufacturers Hanover ging in Chemical Bank auf, Chemical Bank wurde von Chase Manhattan übernommen, Chase übernahm JPMorgan, Bankers Trust wurde von der Deutschen Bank gekauft, JPMorgan übernahm BankOne.85 Alle vorher genannten Banken, auch die übernommenen Institute, erfreuten sich eines hohen Ansehens selbst im Ausland, da sie schon damals international ausgerichtet waren und zu den größten Banken der Welt zählten. Als Indikation ihres Wachstums sei erwähnt, dass sich JPMorgans Eigenkapital in diesem Zeitraum etwa verfünffachte86, sich die Umsatzerlöse vervierfachten und der Marktwert versechsfachte. Flannery, Rangan87 argumentieren, dass von etwa der Mitte der 1990er Jahre an weitere Gründe für den Eigenkapitalanstieg anzuführen sind. Die Bankenaufsicht und der US-Congress reformierten die Prozedere für den Umgang mit Failed Institutions, um Kosten zu vermeiden, was faktisch bedeutete, dass eine Quasi-Staatsgarantie für große Commercial-Banken („too big to fail“, siehe oben Seite 70) dadurch nicht mehr existent zu sein schien. Daher achteten große, nicht unter die Einlagenversicherung fallende Bankkunden verstärkt auf die Kreditwürdigkeit der Banken, mit denen sie Geschäfte machten. Es spiegelte sich darin wider, dass die ausgewiesene Eigenkapitalquote der Institute ein wesentlicher Faktor in der Beziehung von Bank und besagten Kunden wurde.88 Der Preis für Einlagen von diesen Unternehmen stand in Korrelation zu der Eigenkapitalstärke der Banken.
84 85 86 87 88
Siehe Hester, S. 16. Diese Transaktion fand erst im Jahre 2003 statt. Siehe Flannery, Rangan, Market Forces at work …, 2/25/2002. Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan, S. 23. So begann z. B. General Motors zu dieser Zeit, Depositenlimite für ihre Banken zu installieren.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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Ferner belegen Flannery/Rangan89, dass in diesem Zeitraum die Risiken in den Kreditportefeuilles der Banken anstiegen, denen mit höherer Kapitalunterlegung zu begegnen war. Der „Markt“ forcierte also die Entwicklung, dass die Commercial-Banken mehr Eigenkapital hielten, als Basel I verlangte.90 Die geschilderte Entwicklung der US-Commercial-Banken über die Jahre bis hin zu der Konsolidierungsphase des Sektors in den 1990er Jahren hatte also zur Folge, dass die größten amerikanischen Banken mit einer starken Eigenkapitalausstattung auf globale Expansion ausgerichtet waren, die dadurch mehr und mehr an Bedeutung gewann. Es fielen immer mehr Handelsbarrieren zwischen den Nationen, der kommunistische Block zerfiel und richtete sich neu aus auf ein (offenes) marktwirtschaftliches System, insbesondere asiatische Drittländer erfreuten sich eines starken Wirtschaftswachstums. Daran wollten insbesondere die US-Banken, die auf Wachstum angewiesen waren wegen ihrer starken Kapitalmarktabhängigkeit, weiter partizipieren. Sie nutzten ihren Wettbewerbsvorteil, und zwar ihr unzweifelhaftes Standing aufgrund ihrer hohen Eigenkapitalausstattung im Vergleich zur internationalen Bankenkonkurrenz, und sie wurden die dominierende Kraft im Feld der großen international operierenden Kreditinstitute. Ihr Heimatmarkt, die USA, ist der größte und am weitesten entwickelte Bankenmarkt der Welt mit einer Bevölkerungszahl von mehr als 300 Millionen Menschen und einer Hauseigentümerquote von über 50 %. Das Hypothekengeschäft91 spielt daher eine vorrangige Rolle für die US-Bankenindustrie im Inland und ist somit eine große Ertragsquelle gerade für die großen US-Banken, da die lokale Konkurrenz92 mehr oder weniger verschwand durch das nach ihnen benannte Debakel („S&L-Crisis“) im Jahre 1988. Das weite Filialnetz der Großbanken ermöglicht ihnen Akquisitionsvorteile; zum einen hinsichtlich der Quantität der ausgeliehenen Kredite, zum anderen, weil Regionen- und Kundendiversifikation bekannterweise das Kreditrisiko eines Portefeuilles senkt, also eine Qualitätsverbesserung der Bankerträge herbeiführt. Außerdem stieg die Kreditaufnahme des US-Staates, von Unternehmen (+87 %) und Haushalten (+69 %) vom Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre, woran gerade die größten US-Banken am meisten partizipierten. Die höheren Ausleihungen und die
89 90 91 92
Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan; Anlage „Figure 2“. Siehe Mark J. Flannery, Kasturi P. Rangan; Anlage „Figure 4“. Es schließt auch neuere Hypothekenprodukte wie home equity lines of credit etc. ein. Savings & Loan Associations, Savings Banks.
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stattgefundene Konsolidierung, so vermerkt Hester93, weitete den Kreditbestand der größten US-Banken wesentlich aus. Die Umsatzerlöse erhöhten sich mit Durchschlag auf die Profitabilität, weil aus gesamtwirtschaftlichen Gründen die Kreditrisiken zu dieser Zeit akzeptabel waren und das Zinsrisiko durch neu geschaffene Produkte wie zinsvariable Hypotheken und Zins-Hedge-Instrumente entscheidend eingegrenzt werden konnte. Höhere Profitabilität bedeutet, dass Banken die Mittel haben, um ihre Rücklagen zu stärken und somit ihre Eigenkapitalausstattung verbessern. Es ist unbestritten, dass Faktoren wie die Größe und Stärke einer Bank im Wettbewerb auf dem heimatlichen Finanzmarkt eine wichtige Rolle spielt. Es ermöglicht den Banken, mehr und größere Risiken zu übernehmen, was eine direkte und positive Auswirkung auf die Ertragsseite hat/haben kann. Da immer wieder Konjunkturabschwünge, individuelles Missmanagement von Kreditnehmern und andere risikovergrößernde Umstände eintreten, die negative Auswirkungen auf die Kreditbestände von Banken haben, ist eine hohe Eigenkapitalausstattung der Banken das Sicherheitspolster schlechthin gegen Kreditausfälle, und es macht somit die Bankeinlagen auf der anderen Seite der Bilanz dadurch sicherer. An dieser Stelle sei die Aussage von Sandy Weill94 angefügt, dem früheren CEO und Chairman der Citigroup, die zu der Zeit die größte Bank der Welt war: “Being large and having a strong balance sheet enables a company to withstand the financial turmoil that happens every now and then in (the) global markets.”
Der Ansatz, dass Banken ein „Eigenkapitalpolster“ halten müssen im Verhältnis zu ihren Ausleihungen, ist bis dato der Eckfeiler einer jeden Bankenaufsicht. Die Stärke auf ihrem Heimatmarkt prädestinierte die großen US-Banken, die Führung im globalen Bankgeschäft einzunehmen.
93
94
Siehe Hester, S. 20: „A wave of mergers (that) has greatly increased the share of banking system assets in the largest banks after 1994“. Siehe Sandy Weill, Ansprache an der Cornell University, 6/20/2007.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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2.8 1999 – Ein folgenschweres Jahr für die Bankenwelt Die riesigen Banken, die in der o. g. Konsolidierungsphase entstanden, befanden sich untereinander in einem strengen Wettbewerb. Neue Betätigungsfelder wurden gesucht, um weiteres Geschäftswachstum und damit einhergehend höhere Profitabilität zu erwirtschaften. Der Hunger nach Wachstum und die Anpassungsfähigkeit der US-Banken an Marktentwicklungen, so wie es Hester95 in der Überschrift seines Papiers formulierte, veranlasste die Banken, mehr Druck auf die Politik auszuüben, mit der Absicht, die stringenten Regularien der Banking Acts von 1933/1935 auszuhöhlen, wie das Beispiel der Section-20- Regelung aufzeigt, und die Bankenaufsicht zu lockern. Die Stoßrichtung wurde klar artikuliert, und zwar die Aufhebung des Trennbankensystems. Daher war es nur folgerichtig, dass in den USA im Jahre 1999 de jure der Glass-Steagall Act von 1933 durch den Gramm-Leach-Bliley Act (GLBA) aufgehoben wurde. Dies ermöglichte es den Geschäftsbanken, ihren Kunden zusätzlich Investment-Banking-Produkte und -Dienstleistungen anzubieten, was ihnen nach vorhergehender Rechtslage untersagt war. Vormals selbstständige Investment-Banken wurden Teile von internationalen Großbanken gemäß nachstehender Abbildung 2096.
95 96
Siehe S. 53. Siehe Alan D. Morrison and William J. Wilhelm Jr.; „Investment Banking: Institutions. Politics and Law“, Oxford University Press, 9/28/2008 at www.nytimes.com.
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Abbildung 20: Wall-Street-Firmen; Entwicklung durch M&A und Pleiten Auf der linken Seite der obigen Abbildung sind 26 „white shoe“-Investment-Banken aufgeführt, die bis auf Hambrecht&Quist, Credit Suisse First Boston und Donaldson, Lufkin Ende des 19. Jahrhunderts/in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geformt wurden. Betrachtet man die rechte Seite, so ist festzuhalten, dass gerade einmal GS und MS (sowie die zwei schweizerischen Banken UBS und CS) „überlebt“ haben, wobei sich die meisten Institute im Zuge von GLBA um 1999 herum in die „Arme der großen Commercial-Banken begeben haben“. Mittlerweile existiert auch Merrill
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Lynch nicht mehr als eigenständiges Unternehmen aufgrund der Übernahme durch BAC. GS un MS „konvertierten“ im Zuge der 2008-Krise zu Commercial-Banken.
2.9 Zusammenfassung Der Glass-Steagall Act von 1933 führte das Trennbankensystem in den USA (wieder) ein. Die Commercial-Banken waren einer strengen Bankenaufsicht unterworfen, insbesondere durch die FDIC, die u. a. Richtlinien hinsichtlich der Eigenmittelausstattung einführte.97 Die großen Commercial-Banken profitierten zum einen von ihrer Fähigkeit, erfolgreich nach Wachstumsmöglichkeiten zu suchen und sich den Marktsituationen anzupassen98, um profitabel zu sein/bleiben. Zum anderen veränderte sich die philosophische Grundeinstellung der Eliten des Staates hin zu einer Laissez-faireAttitüde, die Politik und Witschaft prägte. Eine wichtige Folge davon war die Desintegration der bis dahin strengen US-Bankenaufsicht. Den Banken wurde es immer wieder erlaubt, neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten, ohne dass die Bankenaufsicht in der Lage oder willens war, sich dieser Veränderungen zeitnah anzunehmen. Die Grunddienstleistungen, und zwar die Kreditvergabe und die Hereinnahme von Einlagen, traten mehr und mehr in den Hintergrund zugunsten von „marktorientierten Produkten“, d. h. weg von der traditionellen Finanzintermediär-Rolle von Banken unter Verwendung der eigenen Bilanz und hin zur Broker-Funktion“ oder gemäß Hartmann-Wendels99 hin zur Rolle des Finanzintermediär zwischen Kapitalgebern sowie -nehmern und den Finanzmärkten. In diesem Sinne wurde als weitere Lockerung schließlich auch die Niederlassungsbeschränkungen innerhalb der USA aufgehoben durch den Riegle-Neal Act.100 Der durch den Glass-Steagall Act und den McFadden Act vorgegebene Rahmen für die Commercial-Banken hat das US-Bankwesen Krisen überwinden lassen und bewiesenermaßen die großen US-Commercial-Banken gut für ihre Zukunft vorbereitet. 97
98 99 100
FDIC Law, Regulations, Related Act, 6000-BHC Act, App. D to Part 225 – Capital Adequacy Guidelines for BCHs: Tier 1 Leverage Measure; I. Overview a. Siehe vorher: Hester, „Growth and Adaptation“. Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, Bankbetriebslehre, S. 18. Als Folge wurde den Banken gestattet, sich in allen US-Bundesstaaten niederzulassen.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Veränderungen der Bankenaufsicht bezüglich vorgegebener Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung der Banken – hier sei besonders Basel I genannt –, die Bankenkonsolidierungswellen (im Anschluss an die S&L-Krise 1988) und der Riegle-Neal Act von 1994 sowie die hohe Profitabilität der Commercial-Banken in den 1990er Jahren ließ sie zu den größten und stärksten Banken der Welt aufsteigen. Mit dieser starken Finanz- und Marktposition im Rücken und der Laissez-fairePhilosophie in Wirtschaftsangelegenheiten, die mehr und mehr in den amerikanischen Politikerkreisen vertreten wurde, drängten die US-Commercial-Banken auf die Aufhebung des Glass-Steagall Acts von 1933, um sich von den Auflagen des Trennbankensystems zu befreien, so dass sie als Universalbanken im globalen Wettbewerb tätig sein konnten. Mit der Aufhebung von GSA traten die Commercial-Banken wieder in Konkurrenz mit den US-Investment-Banken. Dies bedeutete, dass die Uhr des Wettbewerbs in der Bankenindustrie in Amerika zurückgedreht wurde auf die Verhältnisse, die vor 1929/1933 im US-Bankwesen herrschten, die sogenannte Money-TrustPeriode.
2.10 Untersuchung der veränderten Konkurrenzsituation im globalen Bankenmarkt nach Aufhebung des Trennbankensystems in den USA Die durchgeführte Analyse der Konkurrenzsituation im internationalen Großbankenmarkt setzt im Jahre 2002 an, nachdem die USA ihre Bankengesetzgebung im Jahre 1999 grundlegend veränderten, die Weltwirtschaft und mit ihr die Bankenindustrie die Schocks der Finanzkrisen in Asien und Rußland sowie die wirtschaftlichen Folgen des 9/11-Terroranschlages auf die Finanzhauptstadt der Welt, New York, überstanden hatten. Nach dieser Übergangsperiode zwischen 1999 und 2001 verdeutlichte sich die nunmehr entstandene, von der GSA-Aufhebung hervorgerufene neue Wettbewerbssituation. Die US-Commercial-Banken traten in direkte Konkurrenz mit den wohl etablierten US-Investment-Banken und den europäischen Universalbanken, um ihr Geschäft anhand von Investment-Banking-Produkten auszuweiten. Auf der anderen Seite begannen die Letzteren, die bis dato als Commercial-Banken tätig waren, ihr
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Investment-Bank-Geschäft in den USA aufzubauen unter Ausweitung der Zahl der konkurrierenden Banken. Finanzielle Stärke der US-Institute und ihre Reputation sind daher die Determinanten des Erfolges in der beschriebenen Marktkonstellation. Zur Darstellung der finanziellen Stärke dienen die beiden Abbildungen 21 und 22 unten, in denen die Marktkapitalisierung und das Buchkapital im Verhältnis zum Vermögen der untersuchten Banken am Jahresende 2002 dargestellt werden: Market Cap 2002 200,000.0 180,000.0 160,000.0
USD billion
140,000.0 120,000.0 100,000.0 80,000.0 60,000.0 40,000.0 20,000.0 0.0 2002 BAC
JPM
C
WFC
DB
HSBC
RBS
BARC
UBS
CS
BNP
SocGen
UniCredit
Santander
GS
MS
Abbildung 21: Untersuchte Bankengruppe; Marktkapitalisierung Ende 2002
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Equity as % of Assets
E q u ity /A s s e ts
10.000% 8.000% 6.000% 4.000% 2.000% 0.000% 2002 BAC
JPM
C
WFC
DB
HSBC
RBS
BARC
UBS
CS
BNP
SocGen
UniCredit
Santander
GS
MS
Abbildung 22: Untersuchte Bankengruppe; Equity as % of Assets Ende 2002 Beide Grafiken spiegeln die Überlegenheit der US-Commercial-Banken im Vergleich zu den US-Investment-Banken und den europäischen Universalbanken wider. Ihre höhere Marktkapitalisierung und die höhere Unterlegung ihres Vermögens mit Eigenkapital verdeutlicht ihren Wettbewerbsvorsprung. Dem Argument von Flannery/Rangan von vorher101 folgend, dass Großanleger den geforderten Preis für Depositen, die nicht unter die Einlagenversicherung fallen, gemäß der Marktkapitalisierung der Institute festlegen, gibt den US-Commercial-Banken beim Erwerb von Fremdkapital, in diesem Falle von Wholesale Deposits, Vorteile gegenüber der europäischen Konkurrenz. Sie wurden als sicher(er) angesehen, so dass ihnen die niedrigsten Preise abverlangt wurden und Limite seitens der Anleger äußerst großzügig gesetzt waren. Die wesentlich höhere Eigenkapitalunterlegung des Vermögens reduziert u. a. das (Liquiditäts-)Risiko der amerikanischen Banken verglichen mit der Mehrzahl der Konkurrenzbanken, was einen weiteren Wettbewerbsvorteil ausmachte. 101
Siehe S. 73f.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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Es ist zu konstatieren, dass die US-Commercial-Banken sehr wohl als dominierende Kraft des internationalen Bankwesens den Wettbewerb im neuen Jahrhundert aufnahmen. Bei der Betrachtung der finanziellen Ergebnisse der Investment-Banken im Jahre 2002 fällt auf, dass sie eine höhere Profitabilität und damit einhergehend den höchsten ROE der Untersuchungsgruppe vorweisen. Es räumt ihnen zweifelsfrei einen Wettbewerbsvorteil ein. Bei tieferem Hinsehen ist auffällig, dass das Verhältnis von Provisions- und Zinseinnahmen102 51 % zu 49 % beträgt, wohingegen bei den US-Commercial-Banken die Zinseinnahmen mit 60 % der Gesamteinnahmen klar überwiegen aufgrund ihres kapitalintensiveren (Kredit-)Geschäfts. Bei den europäischen Banken bildet sich ein Verhältnis von 67 % Zins- und 33 % Provisionseinnahmen ab. Hiermit lässt sich belegen, dass den Investment-Banken nachzueifern war, weil sie höhere Provisionseinnahmen unter Benutzung von weniger Eigenkapital produzieren. Die kontinentaleuropäischen Banken traten zusätzlich noch mit dem Malus eines wesentlich höheren Verschuldungsgrades in den Wettbewerb ein. Sie sind dadurch als ein höheres finanzielles Risiko für Investoren zu erachten aufgrund ihres inhärent größeren Liquiditäts- und Preisrisikos als Folge ihrer Abhängigkeit einer erfolgreichen, permanent zu erfolgenden Fremdkapitalaufnahme. Des Weiteren besteht ein größeres Insolvenzrisiko, weil das Eigenkapitalpolster, das gegen Kredit- und andere Geschäftsausfälle schützen soll, niedriger ist als das der US-Commercial-Banken.
2.11 Auswirkungen der Veränderungen in den USA auf den internationalen Bankenmarkt Wie geschildet waren die US-Banken zur dominierenden Kraft im internationalen Bankgeschäft aufgrund ihrer stärkeren Profitabilität (bei wesentlich niedrigerem Leverage) aufgestiegen, was sich in besseren p/e-ratios ausdrückte und somit höheren Aktienpreisen verglichen mit den nichtamerikanischen Konkurrenzbanken. Die Überlegenheit gewann umso mehr an Bedeutung durch die größer werdende Wichtigkeit der internationalen Kapitalmärkte für die Großbanken, die ständig nach mehr Kapital Ausschau zu halten hatten, um ihre Wachstumsziele zu erreichen, um die Investoren an sich zu binden. Der „Kampf um Kapital“ intensivierte sich zusehends, 102
US-Investment Banken: GS, MS; US-Commercial Banken: BAC, JPM, C, WFC; europäische Banken: BARC, DB, UBS, BNP; unter Benutzung publizierter GuV-Ergebnisse.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
wobei die US-Banken Wettbewerbsvorteile bei der Aufnahme von Kapital aufgrund ihres Standings und ihrer Kreditwürdigkeit einbringen konnten. Sie erfreuten sich tendenziell niedrigerer (Refinanzierungs-)Kosten verglichen mit der Konkurrenz. Nach der Aufhebung von GSA verschärfte sich der Wettbewerb unter den international agierenden Großbanken zusehends: US-Commercial-Banken drangen in das Geschäft der Investment-Banken national und international ein und vice versa; US-Commercial-Banken weiteten ihr internationales Investment-Banking aus zulasten lokaler Universalbanken; internationale Universalbanken weiteten ihre Aktivitäten im Investment-Banking in den USA aus. Eingedenk der Tatsache, dass die US-Banken die Spitze im internationalen Bankwesen darstellten103, waren die international ausgerichteten europäischen Banken nunmehr gezwungen, die Geschäftsmodelle der amerikanischen Institute zu übernehmen, die ihnen ihre Dominanz bescherten. In ihrem inneramerikanischen Wettbewerb mit den Investment-Banken, die ihren ausschließlichen Fokus auf die kurzfristige Gewinnmaximierung gerichtet haben, folgten die Commercial-Banken dieser Strategie und unterwarfen ihre Institute der ROE-Maxime. Unter Bezugnahme auf Louis Brandeis104, der bereits denselben Tatbestand in der Money-Trust-Periode beobachtete, wird darin die „Konvertierung des CommercialBankers zum Investment-Banker“ erkennbar. Die Wachstumschancen der Geschäftsbanken stießen an ihre Grenzen, was letztendlich der Grund für sie war, die Aufhebung von GSA voranzutreiben. Als zusätzliche Profitquellen wurden die vorwiegend provisionszahlenden Investment-Banken-Aktivitäten in das Produktportefeuille der Universalbanken aufgenommen, und damit einhergehend verschafften sich die Banker den Vorteil der weit höheren Bezahlung, die für das Investment-Banking üblich ist. Die Tatsache der höheren Kompensation war sicherlich ebenfalls ein Anreiz für die Führungsriegen der europäischen Banken, ihren Fokus auf das kurzfristige und weniger Kapital benötigende Investment-Banking zu richten, um an Gehalts- und Bonuszahlungen heranzureichen, die bis dato nur amerikanischen Investment-Bankern zuteil wurden.
103 104
Siehe Kapitel 1, Statistiken zur Dominanz der US-Banken, S. 20 f. An anderer Stelle, siehe Fußnote 134.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
85
Die Folge davon war eine strategische Gleichausrichtung der international agierenden Großbanken, was durch die Übernahme wesentlicher Teile des Geschäftsmodells der Investment-Banken zum Ausdruck kam, und zwar: den Originate & Distribute(O&D)-Geschäftsansatz und die darin verkörperte Händlermentalität, die Kreditrisikoanalyse befasste sich faktisch nur noch mit den Elementen des Syndizierungs- bzw. Platzierungsrisikos105; der Buy-&-hold-Ansatz, der in der Ausübung des traditionellen Kreditgeschäfts in der Vergangenheit Usus war, wurde lediglich als Marketingwerkzeug zur Kundenbindung sporadisch verwendet; die ausgeweiteten Handelsgeschäfte wurden ausschließlich mit Fremdmittelaufnahmen finanziert unter Erhöhung des Leverage der Institute106, zusätzlich zum erhöhten Produkt-Leverage in einigen gehandelten Asset-Klassen; als Funding-Quelle diente der Interbanken-/Wholesale-Markt; das Bestreben, den Eigenkapitaleinsatz zu reduzieren durch Vermeidung von Aktienemissionen und den Rückkauf eigner Aktien; hohe Dividendenausschüttungen beizubehalten zur Befriedung der Kapitalmärkte; die vorher bereits erwähnte Managementkompensation, die von kurzfristigen Erfolgszahlen abhängig gemacht wird, sowie ein Bonuszahlungssystem für sogenannte „Rainmakers“ sowie Händler u. a. als Erfolgsbeteiligung an getätigten Transaktionen. Hierbei diente das Uraltbestreben eines jeden Bankers, die Risikoeingrenzung bis hin zur gänzlichen Vermeidung, als Begründung der strategischen Neuausrichtung, dem Ziele folgend die Rolle des Finanzintermediärs unter Verwendung des eigenen Buches mit der einer reinen Broker/Dealer-Funktion zu substituieren, die lediglich Investoren und Kapitalsuchende am Finanzmarkt zusammenbringt und dafür eine Gebühr berechnet.
105
106
Dies verdeutlicht ein Bericht der New York Times über ein Meeting des Top-Managements der Citigroup, das sich mit den überhöhten Handelsbeständen kurz vor Ausbruch der Bankenkrise befasste. Bemerkenswert daran war, dass offenkundig kein Kreditexperte anwesend war, sondern der Handelschef von Chuck Prince, CEO, befragt wurde, ob das Institut „sicher“ sei. Siehe Abschnitt über Leverage, S. 141 ff.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Daher war die Weiterentwicklung der „Märkte“, d. h. neue, zusätzliche Investorengruppen zu finden/kreieren für u. a. Schuldtitel und vor allem Hedge-Instrumente107, eine wichtige Aufgabe, die die Banken übernahmen. Von besonderer Bedeutung war schließlich die Rollenveränderung der Banken vom Kreditgeber zum Investor, die ebenfalls den Investmenthäusern abgeschaut wurde. Der Aus- bzw. Aufbau des Eigenhandels, insbesondere bei den europäischen Banken, wurde mit Vehemenz betrieben. Das Proprietary Trading in hausinternen Hedge Funds, auch als „Kasinogeschäft“ tituliert, entwickelte sich sehr schnell zu einer der Haupteinkunftsquellen der Banken. In der Geschäftsausrichtung der Banken wurde mehr und mehr die Tendenz deutlich, das Geschäft mit der realen Güterwirtschaft dem mit der Finanzwirtschaft unterzuordnen.108 Als Indikation lichtet die nachfolgende Abbildung 23 die Trade Assets per Jahresende einiger der untersuchten Banken ab:
107 108
Man denke nur an die stürmische Entwicklung des CDS-Marktes im letzten Jahrzehnt. Siehe Abbildung 1. Aus der eigenen Erfahrung kann berichtet werden, dass Firmenkundenbetreuer die Order bekamen, Kundenkreditlinien zu kürzen, weil Händler größere Risikopositionen im Eigenhandel fuhren, die das Gesamtkreditvolumen an den Kunden über interne Limite hievte.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Trade Assets 1,800,000
1,600,000
1,400,000
USD Million
1,200,000
1,000,000
800,000
600,000
400,000
200,000
2007
2006 DB GS Linear (C)
2005 C MS Linear (DB)
2004 BAC WFC Linear (WFC)
2003
2002
JPM HSBC Linear (GS)
Abbildung 23: Ausgewählte Banken; Trade-Assets-Bestände 2002-2007
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Das obige Schaubild gibt die Handelsbestände an, die den Bilanzen der genannten Banken entnommen sind per Jahresende 2002 bis 2007. Anzumerken ist, dass die 2006er- und 2007er-Zahlen der Deutschen Bank und der HSBC im IFRS-Format dargestellt sind, wohingegen alle anderen Banken nach GAAP berichteten. Des Weiteren zeigen die vier eingefügten Linien den Trend an, den die Trade-Asset-Bestände bei DB, C, GS und WFC eingeschlagen haben. WFC, die in der untersuchten Zeitperiode dem Investment-Banking abschwor, also eine reine Commercial-Bank blieb, weist völlig unbedeutende Bestände aus verglichen mit ihrem Gesamtgeschäftsvolumen. Dagegen ist das Anwachsen der Position bei der DB atemberaubend, selbst unter Berücksichtigung der IFRS- Rechnungslegungsvorschriften. Es unterlegt die Wandlung des Institutes von einer Commercial-Bank zu der vom Management propagierten globalen Investment-Bank. Auffallend ist ferner, dass die Trendlinien der C und GS mehr oder weniger parallel (und ansteigend) laufen, jedoch die Steigung geringer ist als z.B. bei der DB. Die organisatorische Ähnlichkeit der untersuchten Bankengruppe, wobei WFC als reine Commercial-Bank auszuschließen ist, als Konsequenz aus der Übernahme der Geschäftsmodelle der US-Banken bringt die BIS in ihrer Publikation109 zur einheitlichen Behandlung von Basel II zum Ausdruck. Die einzelnen genannten Geschäftsbereiche sowie deren Produkte und Dienstleistungen werden (mehr oder weniger) von der untersuchten Bankengruppe betrieben. Die Abbildung 23 unten, die den sogenannten Mapping Process für Kreditrisiken von Großbanken darstellt, könnte demnach auch als Organisationplan dieser Banken angesehen werden. Auffallend ist jedoch, dass der Level-1-Business-Lines-Auflistung die typischen Investment-Banking-Aktivitäten vorangestellt sind, und zwar Corporate Finance sowie Trading & Sales, und das Kreditgeschäft (= lending) nachrangig unter der Commercial-Banking-Sektion aufgezeigt wird, obwohl das Instrument das Kreditrisikomapping festlegt. Es kann als weiterer Beleg bewertet werden, dass die nunmehr als Universalbank tätigen Großbanken dem amerikanischen Ansatz gefolgt sind, eine Investmentbank zu sein mit deposit-taking- und lending-Kapazität.
109
Siehe BIS, International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards, S. 302, Juni 2006.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
Abbildung 24: Mapping of Business Lines; Source: BIS
89
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
2.12 Verstärkte Inter-Connectivity der Banken als Konsequenz Um die Gleichausrichtung der nach GSA-Aufhebung in Konkurrenz stehenden internationalen Großbanken zu demonstrieren, werden im Folgenden einige Geschäftsarten betrachtet, die alle untersuchten Großbanken aufbauten bzw. ausweiteten, um wettbewerbsfähig zu werden oder zu bleiben. Systemische Risikoerhöhung Dies drückte ein Economist-Artikel110 wie folgt aus: “Banks mimic other banks. They expose themselves to similar risk by making the same sort of loans. Each bank’s appetite for lending rises and falls in sync. What is safe for one institution becomes dangerous if they all do the same, which is often how financial trouble starts. The scope for nasty spillovers is increased by direct linkages. Banks lend to each other…, so one firm’s failure can quickly cause others to fall over, too.”
Besser kann die Inter-Connectivity von Banken nicht erklärt werden als in dem Zitat unter Heranziehung des Interbanken-Kreditgeschäfts. Ferner weiteten die Großbanken ihren Eigenhandel aus, was als Geschäftsart dem ähnlich ist, was Brandeis als die „investor function“ der Banker zu seiner Zeit bezeichnete. Die Proprietary-Trading-Transaktionen werden hauptsächlich in Finanztiteln getätigt, sind also losgelöst von der Güterwirtschaft, wobei als Käufer oder Verkäufer sowie Counterparties andere Banken eine große Rolle spielen. Das Beispiel der Deutschen Bank, die im Jahre 2008 allein USD 1,8 Milliarden im Proprietary Trading verlor, wofür vorrangig CDS-Geschäfte einer Händlergruppe verantwortlich waren, wirft ein Licht auf diese Aktivitäten und bestätigt die oben gemachte Aussage. Die Handelsstrategie stellte sich dar als Kauf von Anleihen im Sekundärmarkt und zu deren Kreditrisikoabsicherung OTC-Käufe von CDS, wobei der zu zahlende Preis für CDS niedriger war als die Einnahmen von den gehaltenen Anleihen. Das Problem trat ein, als Verkaufsdruck auf dem Anleihemarkt die Preise drückte und die Bank zwang, ihre Bestände herunterzuschreiben und letztlich Teile, die nicht gehedgt waren, mit Verlusten zu veräußern, weil der CDS-Markt zu dem Zeitpunkt inoperabel war. Gerade mit den CDS-Transaktionen, die ein bedeutendes Volumen im Eigenhandel ausmachen, ist eine Risikoerhöhung für das gesamte Bankensystem einhergegangen. Dies wurde sichtbar, als CDS-Verkäufer aufgrund von Insolvenzen von Anleihe110
Siehe The Economist; Economics focus/Systems failure, 28. November 2009.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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schuldnern ihren Zahlungsverpflichtungen aus CDS nicht nachkommen konnten. Der AIG-Fall war das Testament schlechthin dafür. Zu diesem Zwecke sei auf den rapiden Anstieg des Credit-Default-Swap-Volumens im Markt hingewiesen. Gemäß BIS-Statistiken111 begann das rapide CDS-Wachstum nach 2003 und erreichte seine Spitze im Jahre 2007 mit einem Volumen von USD 62,2 Billionen brutto zum entsprechenden spot-Preis.
Abbildung 25: Entwicklung des Credit-Default-Swap-Marktes 2005-2006 Die BIS-Tabelle oben zeigt die Entwicklung des Credit-Default-Swap-Marktes der Jahre 2005 und 2006 als Momentaufnahme und gliedert die Volumina nach Marktteilnehmern, kontraktierte Laufzeiten und CDS-Instrumenten auf. Der 70%ige Anstieg in der Laufzeitkategorie zwischen einem und fünf Jahren (2005 total netto 111
Siehe Abbildung 1, Seite 27.
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2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
USD 9.821 Milliarden auf USD 16.984 Milliarden in 2006) spiegelt die damalige Neuerung der Großbanken wieder, zugesagte Kreditlinien mit erstklassigen Ratings zu hedgen, und zwar auf single-name-Basis. Da die überwiegende Majorität der Kontrakte mit anderen Banken, respektive Investment-Banken und Versicherungen abgeschlossen wurde, erreichten die Aktionen lediglich eine Reduzierung des Kreditrisikos, indem ein corporate risk (mit höherem risk weighting) gegen ein financial institution risk (mit i.d.R. niedrigeren risk weighting) ausgetauscht wurde. Die Erhöhung systemischer Risiken im Bankwesen ist mit der Schilderung der obigen Produktapplikationen angesprochen. Streben nach Geschäftsvolumengewinnen anstatt Produktprofitabilität Zu den gemachten Ausführungen über die Problematik der systemischen Risiken, die sich durch die ausgeweitete Inter-Connectivity der Banken verschärfte, kommt noch hinzu, dass damit die Großbanken ein Überangebot an Finanzprodukten kreierten, was die Preise sinken ließ und häufig eine Kostensteigerung mit sich führte, weil die steigende Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern in diesen Geschäftsbereichen deren Kompensationen in die Höhe schnellen sah. Die Banken offerierten immer niedrigere Risikoprämien für Transaktionen, um den Zuschlag zu bekommen. Geschäftsvolumenausweitungen wurden als Ziele ausgegeben unter Vernachlässigung von Risiko und Ertrag. Marktanteile per Produkt und per Kunde sowie League-Table-Ränge wurden zur Mantra des Geschäfts erhoben, um sich von der Konkurrenz abzuheben, was durch Preis-/Margenreduzierung aufgrund ihres bereits eingetretenen Zerfalles nicht (mehr) möglich war. Dabei passierte es schon, dass Kundentransaktionen nur eingegangen wurden, wenn Marktanteilsgewinne oder Rangaufstieg im respektiven Geschäftsfeld zu verzeichnen waren, und zwar unabhängig von der Ertragsseite des individuellen Geschäfts.112 Wie schon zu Zeiten des Money Trust fokussierten die Großbanken zuallererst ihre Anstrengung im Investment-Banking auf den Handel mit Wertpapieren und einhergehend damit dem Underwriting von Wertpapieremissionen. Mit letztgenannter Geschäftstätigkeit sind sowohl das Firm-Commitment-Underwriting- als auch der BestEfforts-Underwriting113-Vorgang gemeint. Sie unterscheiden sich darin, dass beim Ersteren die Bank als Underwriter die Emission zum vereinbarten Preis kauft, für den Emittenten die Transaktion damit abgeschlossen ist bei Auszahlung des Erlöses. 112 113
Anekdotisch, basierend auf eigenen Erfahrungen. Siehe us.practicallaw.com, Best Efforts Underwriting, 2010.
2. BANKHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER US-BANKENINDUSTRIE
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Unter einem Best-Efforts-Underwriting-Vertrag tritt die Bank als Agent zwischen Investor und Emittent auf, um unter bestem Bemühen entsprechende Wertpapiere zu verkaufen. Die Agentenfunktion bezieht sich auf das Marketing der Wertpapiere, i. d. R. mit aktiver Unterstützung durch den Emittenten im Zuge einer Road Show. Dort wird potenziellen (Groß-)Anlegern, u. a. anderen Banken, die herausgebende Partei, die Transaktion sowie eine Preisindikation vorgestellt zum Zwecke einer sogenannten Buchbildung; d. h. Interessensbekundungen von Investoren für den Kauf der Wertpapiere einschließlich Preisvorstellungen werden eingesammelt. Der Prozess kommt zum Abschluss durch die Entscheidung des Emittenten über den Preis und Ausgabebetrag. Die Bank kauft nur den Teil der Emission, für den feste Aufträge vorliegen. Des Weiteren war es notwendig für als Agenten fungierende Banken, einen Secondary Market für von ihnen (weiter)verkauften Wertpapiere zu machen, was es wiederum erforderlich machte, einen voll funktionalen Handelsapparat vorzuhalten. In der Praxis war seinerzeit zu beobachten, dass Neuankömmlinge auf diesen Geschäftsfeldern – also Banken, die aufgrund der GSA-Aufhebung in das Wertpapiergeschäft einstiegen – ihre Bilanzen benutzten, zum einen, um Emittenten zu überzeugen, sie für Emissionen zu mandatieren, vor allem bei der Ausgabe von Papieren höheren Risikos, und zum anderen, um Wertpapierbestände für den Handel vorzuhalten. Zusammenfassung Das Wesensmerkmal der Inter-Connectivity der Großbanken ist, dass aufgrund der Führerschaft der US-Banken die Konkurrenz (mehr oder weniger) deren Geschäftsmodelle bezüglich Zielkunden, Produkten und Dienstleistungen, Risikoakzeptanz, Organisation und Managementkultur kopierte. Die Folge davon war: die Erhöhung systemischer Risiken, weil das Interbankengeschäft stark ausgeweitet wurde in einer Vielzahl von Produktkategorien, insbesondere Derivate und Proprietary Trading; ein Preis-/Margenverfall durch das Überangebot von Finanzprodukten und Markteintritts- und -verteidigungstaktiken, die von den Großbanken initiiert wurden, um zumindest Augenhöhe mit den amerikanischen Banken zu erreichen.
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3. Bankgeschichtliche Lektionen für die Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA 3.1 Die Investment-Banking-Kultur im Universalbankensystem Wenn also, wie vorher dargelegt114, der Investment-Banker eine derart wichtige, besser gesagt dominante Rolle einnahm/einnimmt, wenn das Universalbankensystem praktiziert wurde/wird, so ist es angebracht, die Rolle eben dieser Banker zu definieren und zu hinterfragen, um Aufschluss darüber zu gewinnen, ob und wenn ja, warum diese beiden existenzbedrohenden Bankenkrisen korrelieren mit der „Regentschaft“ des Bankwesen durch ihre Geschäftskultur in einem Universalbankensystem. Diese Untersuchung erscheint außerdem notwendig zu sein, weil in den kontinentaleuropäischen Ländern mit ihren Universalbankensystemen der Berufsstand bis in die frühen 1990er Jahre unbekannt war, so wie Dr. Breuer im zitierten Interview115 anmerkte. Bei der Rollendefinition des Investment-Bankers ist es wiederum angebracht, eine geschichtliche Rückschau zu halten, um dann den Vergleich mit der Gegenwart zu ziehen. Die Vergangenheit belegt, dass es schon immer eine klare Abgrenzung im US-Finanzwesen gegeben hat, die den Commercial-Banker vom Investment-Banker unterscheidet. Und dies, obwohl, wie oben belegt, das US-Bankwesen im Universalbankensystem bis 1933 betrieben wurde.116 3.1.1 Die Funktion des Investment-Bankers nach Brandeis Wiederum bezugnehmend auf Brandeis117, der die Originalfunktion des InvestmentBankers unter der vielsagenden Überschrift „The Proper118 Sphere of the InvestmentBanker“, als eine Handelstätigkeit („merchant function“) definiert, und zwar: 114 115 116
117 118
Siehe Abschnitt oben, Zeitperiode des US-Money Trust, S. 42 ff. Siehe S. 112 ff., Fußnote 161. Im deutschen Bankwesen, das stets als das Paradebeispiel eines Universalbankensystems angeführt wird, sind Begriffe wie „Investmentbanker/Investment-Banking-Abteilung“ erst im Zuge der Amerikanisierung des internationalen Bankgeschäfts eingeführt worden. Siehe Louis D. Brandeis, S. 5 ff. Das Wort „proper“ sollte hier besonders herausgestellt werden, wenn man es mit dem gleichbedeutenden Ausdruck „anständig“ ersetzt. In Brandeis’ Augen müssen somit auch „unanständige“ („improper“) Funktionen durch den
96 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
den Ankauf auf Wholesale-Basis von Anleihen, Aktien und kurzfristigen Wertpapieren von Schuldnern, die Geld benötigen (Firmen, Staaten, Ländern und Gemeinden), und den Verkauf dieser Wertpapiere an Investoren, die nach Anlage für ihr Geld suchen. Der Investment-Banker nimmt somit die Rolle des Mittelsmannes („middleman“) ein: Er stellt sich zwischen die oben genannten Schuldner, die nicht in der Lage/nicht willens sind, Eigenplatzierungen ihrer Papiere durchzuführen, und Investoren, denen die Fachkenntnisse fehlen, (Kredit-)Risiken abzuwägen und über eine ausreichende Markttransparenz verfügen (es sei dabei allein auf die große Anzahl von gelisteten Wertpapieren hingewiesen). Seine Fachkenntnisse in Bezug auf den Markt schlechthin und die geldsuchenden Emittenten prädestinieren den Investment-Banker, diese Funktion einzunehmen. Schon damals machte Brandeis119 darauf aufmerksam, dass eine große Anzahl von Investoren als Kleinanleger einzustufen war, die ohne Zweifel nicht über das ausreichende Wissen verfügten, um bei der Anlage in Aktien und/oder Anleihen intelligente, sprich rentable Entscheidungen zu treffen. Sie benötigten den fachmännischen Rat des Investment-Bankers. Dies bringt den Investment-Banker in den Genuss einer hohen Reputation bei seinen (Klein-)Kunden, die ihn in seinem Geschäft als Händler erfolgreich macht. Sein „guter Name“ ist das Hauptkapital des Bankers. Hieraus ergibt sich die sogenannte Placing Power eben dieser Investment-Banker, die ihnen die Türen der großen Emittenten öffnet. Sie vertrauen sich denjenigen Bankern an, die ihnen die größte Gewähr geben, dass ihre Wertpapieremission erfolgreich platziert wird, d. h. einen guten Absatz zu einem marktgerechten Preis für das Schuldnerrisiko erzielt. Schließlich sind die weiteren profitbringenden Funktionen120 der Investment-Banker jener Zeit zu nennen, die ihre Macht über die Gesamtwirtschaft untermauerten: a) Sie traten als Investoren auf, indem sie Aktienanteile an Firmen mit dem Ziel erwarben, größere (oligopolistische) Wirtschaftseinheiten durch Verschmelzungen zu bilden,
119 120
Investmentbanker ausgeführt worden sein. Diese Funktionen finden ihren Ausdruck im Abschnitt 3.1.2 unten: „Die Motivation des Investmentbankers“, S. 97 ff. Seine Kritik am Finanzwesen der USA spiegelt sich in diesem Ausdruck offenkundig wider. Siehe Louis D. Brandeis, S. 5/6. Siehe Vergütungsfragen, S. 139 ff.; Funktionen des Investmentbankers.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 97
b) Führerschaft in Reorganisationen insolventer Firmen gegen hohe Entlohnung zu übernehmen, c) Aufsichtsratsmandate zu akkumulieren und zum eigenen Vorteil zu benutzen. Spricht Brandeis kritisch von den Tätigkeiten, die die Funktion des InvestmentBankers ausmachen, so verfolgen Morrison und Wilhelm121 den Ansatz, zunächst einmal eine Rechtfertigung der Investment-Banker-Funktion darzulegen. Sie argumentieren, dass die Berufsgruppe einen Informationsmarktplatz unterhält, der vorrangig informationssensitive Wertpapiertransaktionen ermöglicht/erleichtert. Sie gehen weiter und konstatieren, dass Finanzmärkte nicht funktionsfähig wären, wenn Agenten (= Investment-Banker) nicht in der Lage sind, ihre wertvollen Informationen an diejenigen zu verkaufen, die diese Informationen für ihre Zwecke benötigen. Die Autoren nennen als informationsbedürftige Parteien in diesem Zusammenhang, Investoren, Emittenten, M&A-Parteien sowie Parteien, die in distressed debt/-loanVerhandlungen involviert sind. 3.1.2 Die Motivation des Investment-Bankers Keine dieser Funktionen, und insbesondere seine Händlerfunktion übt er aus als eine Wohltätigkeitsveranstaltung, um der Allgemeinheit etwas Gutes zu tun, sondern um Profite zu erzielen, so wie es in einem kapitalistischen Marktsystem gefordert wird. Den Zeitumständen und Brandeis’ negativer Grundeinstellung zur InvestmentBanker-Gilde entsprechend, geht er offenkundig davon aus, dass Investment-Banker ihre Informationsvorsprünge anderen gegenüber rigoros zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Morrison und Wilhelm122 andererseits sehen die Motivation der Investment-Banker darin, erworbene Informationen ihrem Werte entsprechend an eine diskrete Gruppe von Klienten zu verkaufen, mit denen sie eine langfristige, auf Vertrauen basierende Kundenbeziehung haben/ eingehen möchten. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine gewichtige Marktmacht dem Investment-Banker zuteil wird bei der Ausübung seiner Funktion als Mittelsmann. Die Emittenten sind auf ihn angewiesen bei der Aufnahme von Kapital, das sie für ihre Geschäftstätigkeiten benötigen, um erfolgreich zu sein. Die Investoren, insbesondere Kleininvestoren, vertrauen sich dem Investment-Banker mit ihrem Vermögen an, um sichere und ertragreiche Geldanlagen zu erwerben. Diese Machtposition, die durchaus dazu 121
122
Siehe Alan D. Morrison und William J. Wilhelm Jr., Investment Banking: Past, Present and Future, Journal of Applied Corporate Finance, Vol. 19 Number 1, A Morgan Stanley Publication, S. 10, Winter 2007. Siehe Alan D. Morrison und William J. Wilhelm Jr., S. 12 ff.
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verleiten kann, das Streben nach Profit vor die Interessen der Emittenten und Investoren zu stellen, legte Brandeis123 seinem Argument zugrunde, dass es auch „unanständige“ („improper“) Geschäftsgepflogenheiten gab, die von Investment-Bankern verfolgt wurden. Er nannte drei Ziele, die in dieser frühen Periode des amerikanischen Bankwesens von aggressiven Investment-Bankern angestrebt und auch erreicht wurden, die eine derartige Wortwahl rechtfertigen könnten: a) Die Wertpapieremittenten zu kontrollieren Der Handel mit Wertpapieren allein genügte den Investment-Bankern nicht; sie wollten Wertpapiere „produzieren“124 mit dem Ziel, mehr Umsatz zu erzielen, da mehr Umsatz für den Händler mehr Gewinn erbringt, wenn er „richtig“, d. h. preisgünstig einkauft und willige Käufer hat, die auf sein Preisangebot eingehen. Ihre damals hohe Reputation als Banker verschaffte ihnen Einfluss auf große Unternehmungen. Sie saßen in einflussreichen Exekutiv- und Finanzkomitees, weil sie in den Augen potenzieller Emittenten den Zugriff auf Kapital repräsentierten. Sie benutzten u. a. ihre Positionen als einflussreiche Board Members von großen Unternehmen, um das Anleiheemissionsvolumen ständig zu erhöhen. Das M&A-Geschäft dieser Zeit, und zwar eine nicht enden wollende Verschmelzungskampagne in u. a. der Transport- und Schwerindustrie, diente den Investment-Bankern als Werkzeug für Volumenausweitungen im Wertpapierhandel von vorher nicht gekanntem Ausmaß. Allein J. P. Morgan & Co. und Vertraute hielten damals finanzielle Macht über Firmen mit einer Kapitalisierung von USD 17,3 Milliarden. Für diese Klientel beschaffte sich J. P. Morgan & Co. über einen Zeitraum von zehn Jahren Aufträge für die öffentliche Vermarktung von Wertpapieremissionen im Betrag von über USD 2 Milliarden.125 Es zeigte sich später in den Konkursen etlicher Firmen, dass die Übernahme anderer Unternehmen deren spätere Zahlungsunfähigkeit begründete. Die Firmen hatten sich zu hoch verschuldet durch den Aufkauf von Unternehmen, die keinen/wenig wirtschaftlichen Sinn machten und somit bald am Markt untergingen/der übernehmenden Firma schadeten, durch die übertriebene, von Investment-Bankern gewollte Ausgabe von Schuldtiteln.
123 124
125
Siehe Louis D. Brandeis, S. 7-18. Siehe Louis D. Brandeis, S. 7: „They (the I-Banker) were not content merely to deal in securities. They desired to manufacture them also.“. Siehe Louis D. Brandeis, S. 8/9.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 99
Die M&A-/Verschmelzungswelle wurde sehr oft mit Fremdkapital finanziert, d. h. „auf Pump“ getätigt, wobei die geschäftliche Ratio dem Wunsch der Banker, Neuemissionen zu „produzieren“, untergeordnet wurde. Das Geld kam von dritten Parteien, den Investoren, ohne dass ein Risiko nach Einnahme ihres Handelsgewinns mit den Bankern verblieb. Des Weiteren ermöglichten es dem Investment-Banker anvertraute Mandate, wie z. B die prominente Rolle als Mitglied eines Board of Directors eines Geschäftskunden, einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung einer Wertpapieremission dieses Unternehmens zu nehmen. Er besaß das Wissen, was potenzielle Anleger für entsprechende Wertpapiere zu zahlen bereit waren. Hierauf vertraute der Emittent bei der Preisfestsetzung. Wie sagte doch Brandeis126: “The Investment banker is naturally on the lookout for good bargains in bonds and stocks”.
Somit ergab sich eine (fast) ideale Konstellation für eine Firma wie J. P. Morgan & Co.; sie kontrollierten, zumindest beinflussten den Schuldner nicht nur bei der Entscheidung, eine Anleihe zu begeben, sondern auch zu welchem Preis diese an eben die gleichen Investment-Banker verkauft werden sollte. Unzweifelhaft ist, dass der Investment-Banker hier seinen Profit wohlwollend berücksichtigte. Hier sei wiederum Brandeis127 zitiert: “Can there be real bargaining where the same man is on both sides of a trade?”
Der 100. US-Kongress beriet im Jahre 1987 über das Thema der eventuellen Abschaffung von GSA. Im erstellten Dokument128 zur Debatte sind u. a. als Grund für die Beibehaltung des GSA die inhärenten Interessenkonflikte der Banker festgehalten, die sie zu Missbräuchen verleitete und daher letztendlich den GSA produzierten. Ferner sind die Markt- und Konkurrenzbedingungen im Bankwesen dieser Zeit zu betrachten. Das Bankgeschäft mit Großkunden war aufgeteilt unter einer kleinen Gruppe von Investment-Banken. Ein Oligopol, welches Neulingen den Eintritt verwehrte, und außerdem einen Berufskodex einhielt, der die Ansprache von Kunden einer anderen Bank so gut wie ausschloss. Damit waren die Preise im Emissionsge-
126 127 128
Siehe Louis D. Brandeis, S. 8 . Siehe Louis D. Brandeis, S. 8. William D. Jackson, Glass-Steagall Act: Commercial vs. Investment Banking, Government Documents Collection, Economics Division, Congressional Research Service, Northern Kentucky University Library, June 29, 1987.
100 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
schäft festgeschrieben und den Kunden jegliche Verhandlungsmöglichkeiten genommen. b) Die Wertpapierkäufer zu kontrollieren Zeigte der vorhergehende Abschnitt auf, dass der Investment-Banker anstrebte, die Angebotsseite zu kontrollieren, so ist auch bezüglich der Nachfrageseite zu erkennen, dass die potenziellen Käufer unter den Einfluss der Banker fielen. Hierbei waren zwei Kategorien von Investoren zu betrachten: die institutionellen Investoren und die Kleinanleger. Bei den Letzteren ist aufgrund ihrer großen Anzahl eine absolute Kontrolle über ihr Anlagegebaren wohl kaum möglich, obwohl gerade sie des Rates von Investment-Bankern am meisten bedürfen, weil ihnen die Markttransparenz und das Risikoverständnis zumeist fehlt. Außerdem bezeichnet Brandeis129 die Kleininvestoren als „launische“ Anleger; sie kaufen nur dann, wenn sie wollen, da sie keinem „Zwang“ unterliegen, zu investieren. Morrison und Wilhelm130 stimmen zu, dass Retail Investor als eine alternative Liquiditätsquelle für den Wertpapiermarkt anzusehen sind. Ihren Gedanken weiterfolgend, dass Investment-Banker einen Informationsmarktplatz kreieren, weiten sie mit einiger Berechtigung aus, indem sie zusätzlich von der besagten potenziellen Anlegergruppe aggregierte Nachfrageinformationen über den Platzierungsmarkt erhalten (können). Von allerhöchter Bedeutung für die Händler sind die professionellen Anleger aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten, große Beträge für Emissionen zu kommittieren. Lebensversicherungen und Banken, hier insbesondere deren Trustabteilungen sowie Trustbanken waren die Institutionellen, die derart wichtig für die Platzierung von Wertpapieren in der „frühen Periode“ waren, weil sie als Großabnehmer von Emissionen fungierten. Die Versicherungsgesellschaften hatten Geld und mussten es anlegen. Gerade bei ihnen war der Geldzufluss durch den Verkauf von Policen enorm. Anders als Kleinanleger unterliegen sie dem „Zwang“, eine Rendite zu erzielen, um ihren Kunden das zu liefern, was in den abgeschlossenen Verträgen versprochen wurde, bzw. um ihre Profitabilitätsvorgaben zu erfüllen. Unter diesen beschriebenen Voraussetzungen war es nur konsequent, dass der Investment-Banker anstrebte, diese Großanleger unter seine Kontrolle zu bringen. Hatten in der Vergangenheit die Versicherungen Aktienanteile an den Banken gehalten, so kehrte sich das Verhältnis um, als die Banker begannen, Aktienanteile der Assekuranz zu erwerben 129 130
Siehe Louis D. Brandeis, S. 9. Siehe Alan D. Morrison und William J. Wilhelm Jr., S. 11..
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 101
und sie somit zu beherrschen. Mit diesem Schritt verschafften sich die InvestmentBanker auch zusätzlich den Zugriff auf Banken und Trust-Unternehmen, deren Aktien vorrangig von den Versicherungen gehalten wurden. Später, siehe unten, erwarben sie Aktienanteile an Banken und Trust-Unternehmen, die ihnen Einfluss über die Anlagepolitik und -exekution der Institute verschaffte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass solch eine Macht ausgenutzt wurde, indem die Investment-Banken Dumping von anderweitig nicht/schwer verkäuflichen Wertpapieren in die Portefeuilles der kontrollierten Institute betrieben. Diese Geschäftspraktiken hatten zusätzlich den Nebeneffekt, dass auch schlecht gelaufene Underwritings der ahnungslosen Öffentlichkeit als „erfolgreiche Transaktionen“ vorgetäuscht werden konnten, was die Reputation des Investment-Bankers in den Augen der Investoren, und hier gerade von Kleinanlegern, hob. Es ist ein leichte(re)s Geschäft, ein Underwriting für eine Anleihe abzugeben, wenn man Verfügungsmacht über die Nachfrager hat. Diese Placing Power erwarben sich die Investment-Banker, indem sie sich bei derartigen Unternehmen einkauften. Denn die Kundengruppe der Institutionellen repräsentiert die vorher genannte Placing Power, die der Banker den potenziellen Emittenten nachweist, um Mandate zu gewinnen. c) Die liquiden Mittel anderer Leute zu kontrollieren Als die Versicherungsgesellschaften per Gesetz131 gezwungen wurden, ihre Bankund Trustanteile zu veräußern, kauften Investment-Banken wie J. P. Morgan & Co. die Anteile auf und erhielten sich damit die Kontrolle über diese Institute. Gerade die Kundeneinlagen wie Sparvermögen und andere kurzfristig angelegten Gelder waren hier für die Banker von Bedeutung. Das Pujo Committee132, eingesetzt vom US-Kongress, um die Macht der Investment-Banken zu untersuchen, berichtete, dass 34 Banken und Trust-Unternehmen unter der Kontrolle von J. P. Morgan & Co. zum Untersuchungszeitraum (1906 und folgende) mit einem Depositenvolumen von fast USD 2 Milliarden standen; Gelder also, die Kleinanlegern, Unternehmen und anderen gehörten. Über diese Gelder konnten die Investment-Banker verfügen, um ihre Handelsgeschäfte zu finanzieren, weil sie die Banken und Trust-Unternehmen unter ihrer Kontrolle hatten. Das Ergebnis war, dass ihre getätigten Transaktionen
131 132
Siehe Louis D. Brandeis, S. 11, aufgrund einer Kongressuntersuchung („Armstrong Investigation“). Siehe Report of the Pujo Committee, “The Concentration of Control of Money and Credit”, 1913. Source: U.S. 62d Congress, 3rd. Session, House Report, No. 1593, ch.iii.
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(fast) kein eigenes Geld benötigten, sondern ausschließlich das Geld anderer benutzt wurde. Auch hier sei nochmals die US-Kongessdebatte133 des Jahres 1987 angeführt, die explizit herausstellte, dass die „Kontrolle über das Geld anderer“ eine enorme finanzielle Macht darstellt, die in jedem Falle einzugrenzen ist. Um z. B. dem Emittenten eine Anleihe abzukaufen und als Handelsbestand für kürzere Zeit zu halten, verwendete der Investment-Banker die Liquidität, die von den Banken auf den Spar- und Depositenkonten verwaltet wurde. Dies ermöglichte es dem Händler, Underwritings in Größenordnungen zu tätigen, die dessen Kapitalbasis allein unmöglich gemacht hätten. Ferner waren diese Banken gleichzeitig die Depositenbanken eben dieser Anleiheemittenten mit der Folge, dass das aufgenommene Fremdkapital postum auf deren Bankkonten (zurück)floss und erst mit einer gewissen Zeitverschiebung abgerufen wurde gemäß dem Fortgang der Investition, die die Geldaufnahme erforderte. Mit anderen Worten ausgedrückt, das Geld verließ nie die Bank, und der Investment-Banker machte seinen Gewinn ohne/mit geringem Einsatz seiner eigenen finanziellen Ressourcen. Der Profit der Investment-Banker war gewaltig nicht nur in absoluten Beträgen, sondern gerade auch unter dem Aspekt, dass er effektiv „kein/kaum eigenes Kapital“ einzusetzen hatte. Die Erzielung von Provisionsertrag ohne Risiko, da Angebot und Nachfrage kontrolliert wurden, ohne Aufwendung eigener Mittel, da das Geld anderer verwendet wurde, unter eigener Bestimmung der Gewinnmarge, da der Wettbewerb in den damals vorherrschenden oligopolistischen Verhältnissen weitgehend vermieden wurde – dies war das negative Berufsbild des Investment-Bankers, das Brandeis aufzeigte. Es war daher nicht verwunderlich, dass sich Commercial-Banker die Frage stellten, warum nicht auch sie an diesen hochprofitablen Geschäften teilhaben sollten; denn letztendlich stellten sie durch ihre Arbeit, nämlich u. a. das Einsammeln von Depositen jeder Art, dem Investment-Banker diese Ressourcen für seine Zwecke zur Verfügung. Gleichzeitig bewirkten sie damit, dass sie ihr originäres Geschäft, die Kreditvergabe an Unternehmen, unterminierten, weil potenziell das Emissionsgeschäft der 133
Siehe William D. Jackson, S. 3. Interessant ist, dass im Wortlaut Brandeis’ Zitat übernommen wurde:“Other People’s Money“.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 103
Investment-Banker mit dem Kreditgeschäft in Konkurrenz stand und vom Investment-Banker geleiteten Bankmanagement bevorzugt wurde. Brandeis134 drückt dieses Ansinnen in zwei Fragen aus: “And the bank officer naturally asked,” Why then should not the bank and trust companies share in so profitable a field? Why should not they themselves become Investment bankers too, with all the new functions incident to ‘Big Business’? ”
Eine andere Variante der Geschehnisse wird von Morrison und Wilhelm135in die Überlegungen eingebracht, warum Commercial-Banker zu Investment-Bankern wurden. Sie stellen den klaren Vorteil heraus, dessen sich die Commercial-Banken in den Anleihemärkten erfreuen konnten aufgrund ihrer Erfahrung im Kreditgeschäft. Vor allem ihre bei weitem höhere Kapitalausstattung (nicht nur wegen ihrer „Kontrolle über das Geld anderer“) ließ sie im Primär- wie auch im Sekundärmarkt für Anleihen das „Zepter übernehmen“. Morrison und Wilhelm „institutionalisieren“ demnach die Bewegung der Commercial-Banken hin zum Investment-Banking aufgrund des Vorhandenseins von in der Organisation brachliegenden Ressourcen wie Kapital, Infrastruktur, Personal, etc., wohingegen Brandeis diesen Schritt „personifiziert“; d. h. ausschließlich die Banker seiner Zeit als Triebfeder der Veränderung sieht, um mehr Geld zu verdienen. Und so geschah es dann auch: Der Commercial-Banker verließ das ihm anvertraute Geschäftsfeld des Bankwesens, definiert als die temporäre Kreditvergabe an Unternehmungen, und stellte Investment-Banking-Aktivitäten als dominante Geschäftstätigkeit vor alle anderen Bankprodukte. Commercial-Banker wurden Investment-Banker mit allen anhängigen „Privilegien“, zuallererst einmal die wesentlich höhere Renumeration136. Dem „Markt“ brachte dies keinen Vorteil in der Form von schärferem Wettbewerb (und dadurch niedrigeren Preisen für die Bankenkundschaft), denn die Banker taten das, was Brandeis137 als „divide the spoils“ bezeichnete, sie teilten sich den Markt zu ihrem Vorteil auf. An dieser Stelle ist die Betonung dessen notwendig, dass nicht eine Gruppe, und zwar die Investment-Banker, die andere „übernahm“, sondern dass die CommercialBanker sich ebenfalls das Geschäftsterrain der Investment-Banker zu eigen machten. Und dies alles geschah in einer Non-hostile-Atmosphäre. 134 135 136 137
Siehe Louis D. Brandeis, S. 18/19 . Siehe Alan D. Morrison und William J. Wilhelm Jr., S. 18 ff. Siehe unten; Abschnitt 3.4 „Vergütung“, S. 139 ff. Siehe Louis D. Brandeis, S. 19.
104 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
3.2 Trennbankensystem vs. Universalbankensystem 3.2.1 Pro Trennbankensystem Die Einführung des Trennbankensystems in den USA sollte die Verfehlungen der Banker adressieren, die letztlich zur großen Bankenkrise von 1933 führten, nämlich die Konzentration im Bankwesen durch die Schaffung immer größerer und somit immer mächtigerer (und dies nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch politischen Sinn) Bankinstitute, und die persönliche Bereicherung der Investment-Banker durch Bankgeschäfte, die, so Brandeis, außerhalb der „proper sphere“138 eines InvestmentBankers lagen, und zwar mit der Ausübung von Kontrolle über die Wertpapieremittenten, die Wertpapierkäufer, das Geld anderer, die Interessenkonflikte139 hervorgerufen haben. Sie wohnen dem Universalbankensystem inne, weil all die verschiedenen Bankgeschäfte von ein und demselben Institut betrieben werden (können): Kreditnehmer sind auch (potenzielle) Emittenten von Wertpapieren; Anleger von Bankdepositen können von den Banken als „Platzierungsmarkt“ von Anleihen und dergleichen benutzt werden; das Vorhandensein von (niedrigst)verzinslichen Spar- und Sichteinlagen von Bankkunden verschafft den Banken beträchtliche Liquiditätsvolumina, die zur Finanzierung kurzfristiger Handelstransaktionen/Spekulationen im eigenen Banknamen Verwendung finden (können). Der geschäftliche Fokus der Investment-Banker richtete sich auf kurzfristiges Gewinnstreben und somit weg vom Commercial-Banking, das lediglich noch als „Mittel zum Zweck“ angesehen wurde, um Kundeneinlagen zu günstigsten Kondition zu erwerben. Das Kreditgeschäft wurde betrieben mit dem Ziele, schnellstmögliche Rückzahlung des Schuldners durch von denselben Banken unterschriebenen Wertpapierplatzierungen mit Investoren zu erzielen, um sich dadurch des Kreditrisikos zu entledigen. Der Missbrauch dieser Geschäfte wurde wiederholt als zusätzlicher Grund für die Einführung von GSA genannt. 138 139
Siehe Louis D. Louis Brandeis, S. 5. Siehe William D. Jackson, Glass-Steagall Act: Commercial vs. Investment Banking..
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 105
Schließlich zeigt die geschichtliche Betrachtung auf, dass der GSA dem amerikanischen Bankwesen Stabilität verliehen hat, die den Anlegern das Vertrauen in den Bankensektor zurückgab: Commercial- wie auch Investment-Banken florierten. Bankenkrisen wurde weitestgehend vermieden/klein gehalten bis in die 1970er Jahre hin. Die US-Großbanken nahmen im internationalen Vergleich die führenden Positionen auf den Ranglisten ein. 3.2.2 Plädoyer für das Universalbankensystem/Con Trennbankensystem Wenn also das Bestreben der größten US-Commercial-Banken gewesen ist, das Trennbankensystem zugunsten des Universalbankensystems zu überwinden, und dem vom US-Staat stattgegeben wurde, so ist es notwendig, tiefer in die Thematik der Unterscheidung beider Systeme einzusteigen. Denn andere Staaten behielten auch nach 1933 das Universalbankensystem unverändert bei, mit Deutschland als Exemplarfall. Hartmann-Wendels140 drückt den Tatbestand wie folgt aus: „Das deutsche Bankensystem ist ein Universalbankensystem. Grundsätzlich ist es Kreditinstituten erlaubt, alle möglichen Bankgeschäfte zu betreiben. Wenn sich aus der Historie heraus trotzdem Banken mit abgegrenzten Tätigkeitsgebieten (Spezialbanken) etabliert haben, so jedenfalls nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben.“
Berechtigterweise stellt sich somit die Frage, warum Deutschland trotzdem von weiteren Bankenkrisen irgendeiner Bedeutung verschont blieb, ohne dass Commercialund Investment-Banking getrennt waren, die deutschen Banken also (fast) ebenso gediehen wie die US-Bankenindustrie. Die großen US-Commercial-Banken erfreuten sich, wie vorher aufgezeigt, einer außerordentlich starken finanziellen Position. Als Marktführer erwirtschafteten sie sehr befriedigende Margen im größten Bankenmarkt der Welt: Sie hatten stets erfolgreich Produktinnovationen, Kundenkreiserweiterungen und die Ausdehnung ihrer Auslandsaktivitäten vollzogen, um Wachstum und Profitabilität nachzuweisen. Sie hatten die politische Unterstützung dafür, dass die US-Bankenaufsicht ihren strategischen Vorstellungen und Wünschen aus dem urkapitalistischen Glauben 140
Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, Bankbetriebslehre, S. 25 ff.
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heraus entsprach, dass Marktkonkurrenz, sprich Deregulierung die Kosten für Bankprodukte und -dienstleistungen zum Vorteil der Kunden senkt. Es gab vor und nach der Einführung des Trennbankensystems in den USA von Politikern und Wissenschaftern geäußerte Zweifel daran, dass der Glass-Steagall Act in dieser Hinsicht die richtige Lösung für die US-Bankenindustrie ist.141 Daher kann der Einstieg in den Wettstreit mit den US-Investment-Banken und den europäischen Universalbanken als nur konsequent angesehen werden. Das Ziel, weiterhin profitables Geschäftswachstum zu zeigen, sollte durch den Eintritt in neue Produktbereiche, Kundenkreise und Märkte erreicht werden. Doch es ist auch die Frage zu beantworten, ob sich alle verantwortlichen Parteien wie z. B. der Staat, die Bankenaufsicht und die betroffenen Banken sowie andere Marktteilnehmer wie global operierende Auslandsbanken, Nicht-Banken etc. über die Dimension einer solchen Veränderung im Klaren waren. Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass ein reger Research zu dem Thema in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, was damit zu erklären ist, dass diese beiden Länder die angesprochenen Bankensysteme in ihrer reinsten Form verkörperten, also repräsentativ waren. Es ist festzustellen, dass die wissenschaftliche Meinung im Laufe der Jahre zum Universalbankensystem tendierte; in Deutschland deswegen, weil es das schon immer praktizierte System war; aber auch in den USA verstärkte sich die Meinung zugunsten von Universalbanken. Zwei wesentliche Papiere, geschrieben von Professor Dr. Hans E. Büschgen142 und von George J. Benston143, spiegeln diese Meinung in eindeutiger Weise wider. So beschäftigt sich Büschgen zu allererst einmal mit Definitionen zur Thematik, indem er den Begriff „Universalbank“ eingrenzt:
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143
Siehe George J. Benston, Universal Banking, The Journal of Economic Perspectives, Bd. 8, Nr. 3, (Sommer 1994), S. 122 ff. Vor der Great Depression lehnte der US-Kongress wiederholt Gesetzesvorlagen ab, die C- und I-Banking trennen sollten. Siehe auch Senator Glass, 1934: Nach Einführung von Glass-Steagall äußerte Glass die Befürchtung, dass das Gesetz „über das gewünschte Ziel hinausschoss“. (Quote: „The GSA, however, was considered harsh by most in the financial community, and it was reported that even Glass himself moved to repeal the GSA shortly after it was passed, claiming it was an overreaction to the crisis“)/ Investopedia.com. Siehe Hans E. Büschgen, Universalbankensystem versus Trennbankensystem: Vor- und Nachteile, veröffentlicht in: Die Bürger im Staat, 47. Jg., Heft 1, 1997, S. 16 ff. Siehe George J. Benston, Universal Banking, The Journal of Economic Perspectives, Bd. 8, Nr. 3 (Sommer 1994), S. 121-143.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 107
„… dass diesem diejenigen Banken subsumiert werden, die die bankbetriebliche Leistungserstellung im Bereich des Depositen- und Kreditgeschäftes – im angelsächsischen Sprachgebrauch als ‚commercial banking‘ tituliert – mit der Erbringung von Leistungen im Effektenemissions-, Effektenkommissions-, Effekteneigen- und Effektendepotgeschäft – resp. ‚investment banking‘ – kombinieren.“144
Des Weiteren setzt er die Begriffe „Spezialbankensystem“ und „Trennbankensystem“ gleich und definiert die Spezialbanken als Institute, „die Leistungen im Bereich des Depositen- und Kreditgeschäftes erstellen, ohne dieses mit einer Leistungserstellung im Effektengeschäft zu verbinden und andererseits jene Institute, die Leistungen im Zusammenhang mit der Emission, der Verwaltung und dem An- und Verkauf von Effekten erbringen, diese aber nicht mit der Leistungserstellung im Depositenund Kreditgeschäft kombinieren.“145
Hinsichtlich ihrer offerierten Leistungen verhalten sich diese Institute im Wesentlichen komplementär am Markt, was ursprünglich auf die in den USA per Gesetz implementierte Trennung von Commercial Banks und Investment Banks zutraf. Bentson definiert die Universalbank ebenfalls wie oben beschrieben, erweitert jedoch den Begriff durch die Hinzufügung des Versicherungsgeschäfts.146 Damit sieht er eine Erweiterung der Geschäftstätigkeiten der Banken in Richtung „Allfinanz“, ein Konzept, das über die Jahre an Bedeutung gewann. Es sei erinnert, dass z. B. die Citigroup durch den Merger zwischen Citibank und dem Versicherungsunternehmen Travelers entstand. Auch die Deutsche Bank trat in besagtes Geschäft ein durch Gründung einer Versicherungsgesellschaft und spätere Zukäufe. Doch die spektakulärste Transaktion in Deutschland war wohl der Kauf der Dresdner Bank durch die Allianz Versicherung. Da mittlerweile alle oben genannten Allfinanzkonzepte wieder ad acta gelegt wurden, denn seit geraumer Zeit betreibt keines der Institute mehr beide Geschäftsarten zusammen, findet die engere Definition der Universalbank nach Büschgen im weiteren Verwendung.147 Beide Autoren kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass das Universalbankensystem dem Trennbankensystem vorzuziehen ist. Büschgen spricht sogar von „eine(r) Überlegenheit des Universalbankensystems“148, was den Schluss erlauben könnte, dass diese Banken die Finanzdienstleistungsindustrie dominieren. 144 145 146 147
148
Siehe Hans E. Büschgen, S. 2. Siehe Hans E. Büschgen, S. 3. Siehe George J. Bentson, S. 121. Trotzdem ist anzumerken, dass gerade die UK-Banken (und einige US-Banken) nach wie vor das Versicherungsgeschäft als Teil ihres Portefeuilles betreiben. Siehe Hans E. Büschgen, S. 17.
108 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Bentson hingegen macht den Punkt, dass Spezialinstitute sehr wohl auf ihrem Spezialgebiet erfolgreich in Konkurrenz zu den Universalbanken existieren können, insbesondere auf Gebieten wie z. B. Takeovers, Leveraged Buyouts und Mergers aufgrund ihrer Fähigkeiten, schnell und kreativ zu arbeiten. Dagegen erscheinen die Universalbanken eher bürokratisch, was sie nicht gerade prädestiniert für derartige Mandate. Somit glaubt Bentson nicht, dass eine Dominanz der Universalbanken vorhanden ist149. Beide Wissenschaftler belegen ihre Meinung der Vorteilhaftigkeit des Universalbankensystems, indem sie eine Effizienzbeurteilung der Bankensystemtypen150 durchführen. Die kritische Untersuchung umfasst die bekannten Themenkreise wie: die Befürchtung, dass Universalbanken u. a. aufgrund ihrer Größe und ihrer engen Verbundenheit mit ihren Kunden das Risiko finanzieller Instabilität erhöhen. Angesprochen sind hier Systemic-Risk-Fragen, Komplexität der Institute vs. Bankenaufsicht, das „too big to fail“-Argument vs. exzessive Risikobereitschaft des Managements151. Gemäß Büschgen152 hat die breitere Produkt- und Servicepalette der Universalbanken den Vorteil, dass Gewinn- und Verlust-Situationen zwischen dem Investment- und dem kommerziellen Bankgeschäft ausgeglichen werden können, was letztendlich zum Vorteil für die Stabilität des Instituts sein kann und damit auch für die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse; das Verhältnis zwischen den Universalbanken und den Kapitalmärkten. Hier wird einerseits die Thematik angesprochen, ob Universalbanken die Entwicklung von starken Aktienmärkten, und damit einhergehend die Existenz von unabhängigen Stockbrokern und Dealern, aus Konkurrenzüberlegungen unterminieren. Außerdem wird das Pro und Kontra der Umstände diskutiert, wenn Universalbanken nicht nur Kreditgeber, sondern gleichzeitig auch Anteilseigner und Inhaber von Aufsichtsratsmandaten in besagten Unternehmen sind. die Frage, ob Universalbanken zu viel Macht besitzen und ausüben in der Realwirtschaft („Macht der Banken“) durch Beteiligungsbesitze an Unternehmen, die Depotstimmrechtsausübung und durch Aufsichtsratsmandate und der Politik durch Lobbyismus, um den Markteintritt von potenzieller Konkurrenz zu vermeiden/einzugrenzen zur Erzielung von Marktdominanz. 149 150 151 152
Siehe auch Hartmann-Wendels, S. 25. Siehe Hans E. Büschgen, S. 5. Siehe George J. Bentson, S. 123 ff. Siehe Hans E. Büschgen, S. 4.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 109
die Sorge, dass das Kundenangebot der Universalbanken dadurch eingeschränkt werden könnte, weil nur geringer Wettbewerb existiert unter den wenigen, dominierenden Instituten, die eine derartige Marktstärke ausnutzen, indem den Kunden nur noch ein begrenztes Produkt- und Serviceangebot unterbreitet wird und sie nicht mehr die freie Produktauswahl haben (z. B. durch Produktbündelung). Büschgen153 hält dem entgegen, dass unter der Voraussetzung, dass hinreichender Wettbewerb besteht, Universalbanken die langfristige Kundenbindung („Hausbankprinzip“) als Ziel haben, um den größtmöglichen Nutzen aus Cross-SellingOpportunitäten zu ziehen; die potenziellen Interessenkonflikte154, die durch den Universalbankbetrieb hervorgerufen werden, nämlich die Probleme zwischen der kommerziellen und der Investment-Bankenseite, die zu einer inobjektiven Kundenberatung führen könnten. Diese können in vielfältiger Form zutage treten, wie z. B. Bankkreditrückzahlung durch Wertpapieremission, Kreditvergabe zur Preisunterstützung für Wertpapier-Underwritings oder Missbrauch von vertraulichen Kundeninformationen. Es kann also festgehalten werden, dass gemäß der Meinung beider Wissenschaftler das Universalbankensystem gegenüber dem Trennbankensystem vorzuziehen ist, weil es zum einen den Bankinstituten die Möglichkeit eröffnet, stärker zu diversifizieren bezüglich Kundenkreisen, Produkten, Servicen und den Märkten schlechthin, was risikosenkend sprich ertragserhöhend auf das Bankgeschäft insgesamt und einhergehend damit auf die Gesamtwirtschaft wirkt. Zum anderen sprechen die oben aufgezeigten Thematiken in ihrer Analyse nicht gegen das Universalbankensystem, weil die untersuchten Problemkreise weitgehend auch im Trennbankensystem vorhanden sein können. Außerdem stellt Bentson fest, dass das Trennbankensystem in den USA per decretum eingeführt wurde und damit das vorher auch in den USA praktizierte Universalbankensystem ablöste. Sein Plädoyer zugunsten des Letzteren fasst er in klare Worte: “ ‘Restricting banks’ securities activities was either a misguided reaction to the financial crisis of the 1930s or a means of enhancing the position of investment bankers (or punishing banks) at the expense of the general public (Bentson 1990)”.155
Der Hunger nach höheren Umsätzen und Renditen war Antrieb für die US-Commercial-Banken, auf die Aufhebung des Glass-Steagall Acts zu dringen. Sie genossen 153 154 155
Siehe Hans E. Büschgen, S. 7. Siehe William D. Jackson, Glass-Steagall Act: Commercial vs. Investment Banking. (Fußnote 139) Siehe George J. Bentson, S. 141.
110 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
sowohl akademische Unterstützung, wie oben dargelegt, als auch den Zuspruch von der überwältigenden Mehrheit der US-Politiker, die einer Laissez-faire-Philosophie verschrieben waren und deshalb marktpolitisch jegliche Wettbewerbsrestiktionen ablehnten. Ferner waren sie in Sorge, dass US-Banken im internationalen Wettbewerb hinterherhinken könnten, nachdem sich, wie empirisch nachgewiesen156, mehr und mehr Staaten in der Welt dem Universalbankensystem verschrieben. So behielten andere Nationen auch nach 1933 das Universalbankensystem unverändert bei, mit Deutschland als Exemplarfall. Berechtigterweise stellt sich somit die Frage, warum Deutschland trotzdem von weiteren Bankenkrisen irgendeiner Bedeutung verschont blieb, ohne dass Commercial- und Investment-Banking getrennt waren und die deutschen Bankenindustrie als „sicher“ angesehen wurde. 3.2.3 Exkurs: Die deutsche Bankenaufsicht Nach Jan Kregel157 zeigt die deutsche Bankenaufsichtsgesetzgebung einen Weg auf, wie Bankenregulierung in einem Universalbankensystem konzipiert sein sollte, um Verwerfungen im Bankensektor und daraus resultierende Bankenkrisen zu vermeiden oder zumindest einzugrenzen durch die Adressierung von potenziell auftretenden Problemen hinsichtlich der Stabilität der Banken sowie des Einlegerschutzes. Das in Deutschland existierende Kreditwesengesetz entstammt den im Jahre 1933 eingeführten Gesetzen und Regularien zur Aufsicht von Universalbanken. Die darin enthaltenen Grundsätze (1, 2, 3), die nunmehr gelten unter Einschließung zwischenzeitlicher Finanzinnovationen und basierend auf den drei Säulen der Bankenaufsicht, und zwar den Mindestkapitalanforderungen, der bankenaufsichtsrechtlichen Überprüfung und der Marktdisziplin, unter der Bezeichnung Solvabilitätsverordnung (SolvV), Liquiditätsverordnung (LiqV), bestimmen die Kapitalausstattung der Banken bezogen auf ihren Kreditbestand und geben Liquiditätsrichtlinien vor sowie die Definitionen für langfristige Liquidität, Fristenkongruenz von langfristigen Assets und deren Finanzierung. Das deutsche Universalbankensystem sah ursprünglich keine Einlagensicherung vergleichbar mit der FDIC-Versicherung in den USA vor. Erst im Jahre 1974, als Folge 156 157
Siehe Hans E. Büschgen, S. 3 ff. Siehe Jan Kregel, Background Considerations to a Regulation of the U.S. Financial System: Third Time a Charm? Or Strike Three?, The Levy Economics Institute of Bard College, Working Paper No. 557, März 2009.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 111
der „Herstatt-Pleite“, gründete die Bundesbank ein Institut, das von liquiditätsschwachen Banken ausgestellte Wechsel akzeptierte, die anschließend bei der Bundesbank diskontiert werden konnten, bevor 1976 die deutschen Banken auf freiwilliger Basis einen privaten Einlagensicherungsfonds einrichteten. Kregel begründet den Erfolg der Bankenaufsicht des deutschen Universalbankensystems wie folgt158: “The German Bank Law … It is based on the indirect approach to the problem of bank stability and the protection of depositors via the Principles Concerning the Capital Resources and Liquidity of Credit Institutions”.
Hinsichtlich der Anwendung der oben genannten Prinzipien führt er aus: “In Germany regulators operate a system in which the bank’s balance sheet is effectively split into short-term commercial banking activities requiring maturity matching, and capital market activities requiring long-term maturity matching. This is the equivalent to extending commercial bank regulation to investment banks, yet recognizing that the regulations must differ.”
Mit anderen Worten ausgedrückt: Unter gesetzlicher Vorgabe einer Debt-to-Equity Ratio, klar definierten Liquidity Ratios sowie dem Erfordernis von Fristenkongruenzen zwischen Assets und ihren zugrunde liegenden Finanzierungen, so meint Kregel, können Bankkunden in einem Universalbankensystem vor Bankenkrisen wie der nach der Money-Trust-Periode in den USA geschützt werden, so wie es nach Kregels Meinung in Deutschland über viele Jahre hinweg bewiesen wurde. Der Erfolg des deutschen Universalbankensystems wurde auch in den USA anerkannt, denn im Jahre 1999, während der wissenschaftlichen und politischen Diskussion, die letztendlich zur Aufhebung von GSA159 führte, so Kregel, wurde diesem System große Beachtung zuteil und eine sorgfältige Untersuchung schloss sich dem an. Schließlich entschieden sich die USA, das Trennbankensystem mit dem Bank Holding Company Model zu ersetzen, in dem die verschiedenen Bankgeschäfte in rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaften betrieben werden unter der Gesamtsteuerung durch eine Bank-Holding. Die enttäuschenden Ergebnisse dieses Modells, man braucht nur auf die gegenwärtig anhaltende Bankenkrise zu blicken, in die die Welt im Jahre 2008 stürzte, sind der beste Beweis, so Kregel160, die Diskussion über Universalbanken von Neuem zu be158 159 160
Siehe Jan Kregel, S. 16. Durch den sogenannten Financial Modernization Act von 1999. Siehe Jan Kregel, S. 18.
112 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
ginnen, und zwar nicht als Bankensystem, sondern als Modell einer Bankenaufsicht nach der Vorlage des deutschen Bankenaufsichtsrechts. Unzweifelhaft wirken die Kapital- und Liquiditätsverordnungen des deutschen Bankenrechts, gekoppelt mit sorgfältigen regulatorischen Berichtspflichten der Kreditinstitute und deren Prüfungen durch die Bankenaufsicht moderierend auf die Risikofreude des Bankmanagements. Dies hat die gewünschten Ziele erwirkt, und zwar die Stabilität des deutschen Bankensektors für viele Jahre. Bezeichnend ist es, dass die Banken in Deutschland in den Jahren nach der Krise von 1933 ohne eine Einlagensicherung für Kundendepositen nicht nur als „sicher“ angesehen wurden, sondern sie waren es auch tatsächlich. Es erscheint jedoch notwendig, gewisse Einschränkungen dahingehend zu machen, dass die Erfolge ausschließlich aufgrund der oben gepriesenen Bankengesetzgebung und -aufsicht erzielt wurden. Vielmehr deutet einiges darauf hin, dass andere Faktoren eine zumindest nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Die Kapitalmärkte in Deutschland waren unterentwickelt, so jedenfalls argumentierten regelmäßig Kritiker des deutschen Finanzsektors. Vergleiche von Börsenumsatzzahlen mit denen angelsächsischer Nationen dieser Jahre sprechen eine deutliche Sprache. Zusätzlich gilt es festzuhalten, dass bis in die 1980er Jahre eine ausgeprägte Investment-Banking-Culture, äquivalent zu der in den USA und Großbritannien, in deutschen Banken nicht feststellbar war. Dies stellte der ehemalige Deutsche-BankVorstandssprecher, Dr. Rolf-E. Breuer, in einem Gespräch mit dem Handelsblatt161 heraus mit seiner Antwort auf die Frage nach der besonderen Leistung von Dr. Alfred Herrhausen für die Deutsche Bank: „Auf den Punkt gebracht: Die Internationalisierung oder der Eintritt in das internationale Investment-Banking. Das ist in Herrhausens Ära initiiert worden und bestimmt die Deutsche Bank bis heute. Das war ein großer Schritt, denn Investment Banking im angelsächsischen Sinn gab es damals in Deutschland nicht. Es gab keine Investmentbanker. Die Hochschulen bildeten keine aus. Investment-Banking war keine Sparte, die man lernen konnte.“
Die Deutsche Bank kaufte daraufhin im Jahre 1989 die englische Merchant Bank, Morgan Grenfell und 1999 in den USA, Bankers Trust, um ihren Einstieg in das internationale Investment-Banking zu vollziehen. Es war sicherlich ein Indiz dafür, 161
Siehe Handelsblatt, Gespräch mit Rolf-E. Breuer: „Herrhausen stand auf dem Feldherrenhügel nie hinten“, 30.11.2009.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 113
dass eine derartige Geschäftsfunktion bis dato kaum von Bedeutung für das Unternehmen war. Ansonsten hätte ja eine geschäftliche Ausweitung auf das Gebiet ohne die oben zitierten M&A-Transaktionen vollzogen werden können. Doch Aussagen der damaligen Geschäftsleitung der Deutschen Bank betonten, dass sie es für unabdingbar ansah, durch den Erwerb gerade die Investment-Banking-Kultur für das Institut dazuzugewinnen. Um Breuer’s Punkt von oben zu wiederholen. auch in der damaligen Bankenausbildung, sei es die traditionelle deutsche Banklehre, das Studium der Bankbetriebslehre mit seinen Lehrinhalten und der zugrunde liegenden Fachliteratur oder die berufliche Tätigkeit in deutschen (Groß-)Banken, befassten sich bestenfalls marginal mit dem ansonsten relativ unbekannten Terminus „Investment-Banking“. Organisationpläne der damaligen Zeit beinhalteten keine Abteilung/Division oder Ähnliches mit der Nomenklatur Investment-Banking. Dies soll nicht bedeuten, dass Investment-Bankinggeschäfte nicht getätigt wurden. Hermann Josef Abs, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, wurde nicht zu Unrecht als der deutsche Finanzfachmann162 schlechthin anerkannt. Abs war jemand, der das M&A-Geschäft in Deutschland betrieb, und zwar auf höchster hierarischer Firmenebene, so wie einige wenige Führungspersönlichkeiten in den anderen beiden damals existierenden deutschen Großbanken. Hier sind die Beteiligungskäufe von Industrieunternehmen der Deutschen Bank anzuführen, womit sich Abs den Namen des „Sprechers der Deutschland AG“ machte. Die Absicht hinter diesen Beteiligungen war nicht das schnelle Durchhandeln der Position, so wie es nunmehr gang und gäbe im Investment-Banking ist, sondern das Halten der Position aus zumeist (wirtschafts-)politischen Gründen.163 Das Kapitalmarktgeschäft164, und hier insbesondere Transaktionen im internationalen Anleihegeschäft mit Staatsanleihen sowohl am Inlands- als auch am Euromarkt, wurde ebenfalls von ihm gefördert, und die Aktivität gewann dadurch in Deutschland an Bedeutung. Es wird jedoch deutlich, dass bei diesen Anleiheemissionen die Kreditvergabe an den respektiven Emittenten im Vordergrund stand und nicht die Platzierung der Wertpapiere. Mit anderen Worten und vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt: Es war eine Kreditvergabe traditioneller Art in verbriefter Form.
162 163
164
Siehe Lothar Gall, Der Bankier Hermann Josef Abs, 2005, S. 294 ff. Lothar Gall, S. 311; geschildert hier ist die Daimler-Benz/Quandt-Transaktion, um den Verkauf an den Iran zu verhindern. Siehe Lothar Gall, S. 289 ff.
114 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Nirgendwo ist zu finden, dass Abs, der als traditioneller Kreditbanker ausgebildet wurde und seine Karriere diesem Metier zu verdanken hatte, ein Proponent des typischen angelsächsischen Investment-Bankings war, kurzfristige Handelsgeschäfte zu betreiben. Die langfristige Kreditvergabe165 war sein Geschäft, wie viele Dokumente belegen, genannt seien hier die Exportkredite wie die zur Finanzierung des Assuan-Staudamms in Ägypten, für die er verantwortlich zeichnete. Hieraus lässt sich ableiten, dass das eigentliche Wesensmerkmal der deutschen Universalbanken das Betreiben des kommerziellen Bankgeschäfts gewesen ist mit der Dominanz des Kredit- und Einlagengeschäfts. Wenn also die deutschen Banken vorrangig besagtes kommerzielles Bankgeschäft betrieben haben und das Investment-Banking im Vergleich dazu die beschriebene, fast unbedeutende (Neben-)Rolle hinsichtlich Volumen und Ertrag einnahm, so kann das Argument gemacht werden, dass die Bankregularien der Aufsichtsbehörde die Hauptgeschäftstätigkeit der deutschen Banken, und zwar das Commercial-Banking, adäquat überwacht und begleitet haben. Demzufolge müsste erst noch der Beweis erbracht werden, dass das KWG die gleichen Erfolge in der Bankenaufsicht hat, wenn das Investment-Banking den gleichen oder sogar einen größeren Stellenwerk als das kommerzielle Bankgeschäft im Tun der Universalbanken hat. Daher ist die von Kregel angedachte Überlegung, das KWG als Instrument für die Aufsicht von Universalbanken in Erwägung zu ziehen, vordergründig interessant. Akzeptiert man jedoch, dass deutsche Universalbanken eigentlich funktional Commercial-Banken waren, so kann das Argument der „guten“ Erfahrung mit der Stabilität der deutschen Banken trotz Vermeidung von GSA-gleicher/ähnlicher Gesetzesgebung über die Jahrzehnte als nicht unbedingt stichhaltig angesehen werden. Die gegenwärtige Bankenkrise, in die verstärkt deutsche Banken hineingeschlittert sind, zeigt auf, dass auch die deutschen bankenaufsichtlichen Bestimmungen nicht ausreichten, um Schieflagen bei Banken zu vermeiden, die durch „Kasinogeschäfte“ hervorgerufen wurden und Schäden verursachten, die mittlerweile die gesamte Volkswirtschaft belasten. Die oben genannten Kasinogeschäfte entspringen dem Investment-Banking, denkt man an die Derivativprodukte wie z. B. CDOs, CDS usw., so dass die berechtigte Querverbindung gezogen werden muss, dass auch das KWG nicht mit dem Instrumentarium ausgestattet ist, Investment-Banking dieses Kalibers zu beaufsichtigen.
165
Siehe Lothar Gall, S. 297 ff.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 115
Da ist es wohl eher angebracht, die deutsche Bankenaufsicht mit der in den USA praktizierten Bankenaufsicht für die „reinen“ Commercial-Banken gleichzusetzen; jedoch mit dem Zusatz, dass die Kennzahlenvorgabe für Kapital- und Liquiditätsausstattung seitens der deutschen Aufsicht erst viele Jahre später von der amerikanischen Bankenaufsicht eingeführt wurde166, was damals wesentlich zur Festigung des USBankensystems beitrug. Festzuhalten bleibt somit, dass aufgrund der Komplexität und Größe von Universalbanken die Bankenaufsicht erschwert wird und sie deshalb mit höherem Aufwand betrieben werden muss. Die Euphorie für die Abschaffung des Trennbankensystems hat möglicherweise ein wichtiges Argument zugunsten des Trennbankensystems unterdrückt, und zwar die Feststellung von Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber167: „Investment Banking ist riskanter als Commercial Banking, weshalb ein Trennbankensystem die Sicherheit der Depositen unterstützt“.
Die Autoren stellen also fest, dass das Investment-Banking mit höheren Risiken behaftet ist, was sie mit der Funktion der Investment-Bank als „Finanzintermediär im weiteren Sinne“168 erklären, weil sie u. a. den Handel an den Finanzmärkten nicht nur unterstützen, sondern auch im eigenen Namen betreiben. Das den Investment-Banken auferlegte Verbot, gemäß GSA Kundeneinlagen zu akzeptieren, findet also seine Begründung in deren mit höherem Risiko behafteten Geschäftsaktivitäten, dem Eigenhandel. Die Feststellung ist somit schlüssig, dass Commercial-Banken, die geringere Risiken fahren, derartige Einlagen sicherer machen. Dieser Tatbestand ist von besonderer Bedeutung für die erarbeitete Thematik, ein Aufsichtsmodell für die Bankenindustrie zu entwickeln, das die Sicherheit der Kundeneinlagen als den wohl wichtigsten Eckpunkt hat. Thx, back to reading Iam
166 167 168
Siehe Fußnote 54. Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, S. 23. Siehe Hartmann-Wendels, Pfingsten, Weber, S. 15 ff.
116 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
3.3 Parallelen zwischen der Money-Trust- und Post-GSAPeriode Begründet in der Tatsache, dass de jure im Jahre 1999 die Trennung von Investmentund Commercial-Banking wieder aufgehoben wurde und somit das amerikanische Bankwesen zurückkehrte zu einem Universalbankensystem, wie es bereits am Ende des 19. Jahrhunderts und dem frühen 20. Jahrhundert bestand, besteht Forschungsbedarf aufgrund folgender historisch beobachtbarer Parallelen zur Gegenwart: a) In beiden Perioden existierte das Universalbankensystem und diesem System innewohnende Interessenkonflikte. b) Die Money-Trust-Periode in Amerika leitete über in die schlimmste Bankenkrise der Neuzeit (1933), und weniger als zehn Jahre nach der Aufhebung von GSA im Jahre 1999 rissen die US-Großbanken das gesamte internationale Bankensystem in die zweitschlimmste Krise, die nur aufgrund politischer Intervention größten Ausmaßes die Tiefe der 1933er Krise verhinderte. c) In beiden Zeitabschnitten expandierten die US-Banken in vorher ungekanntem Ausmaß. Sie etablierten sich als riesige Finanz-Supermärkte produktseitig dank des dann bestehenden Bankensystems. Brandeis sprach bezogen auf die MoneyTrust- Periode sogar von einer Oligarchy, einer kleinen Gruppe von Banken, die den Markt beherrschten. In der Post-GSA-Periode erreichten die Institute eine Größe, so dass sie von der politischen Führung bei Ausbruch der Krise als „too big to fail“ angesehen und daher gestützt wurden. Die Schutzmaßnahme verhinderte den Kollaps der Gesamtwirtschaft, der eingetreten wäre, wenn die Großbanken ihren Verpflichtungen gegenüber Wirtschaft und Bevölkerung aufgrund von Insolvenz nicht mehr nachgekommen wären. Besonders herausgestellt werden muss die Tatsache, dass in beiden Perioden die Investment-Banking-Kultur das Bankgeschäft bestimmte, wobei die ihr innewohnende Händlerfunktion in den Vordergrund zu allen anderen Bankaktivitäten gestellt wurde. Die Risikoabwälzung auf Dritte war eine wichtige Maxime in der Geschäftstätigkeit der Banken. Den Bankkunden und Investoren wurden Anleihe- und andere Finanzprodukte aufgedrängt, ohne dass eine ordnungsgemäße Risikoberatung stattfand. Das Ziel war, Kreditrisiken über die Bankenindustrie hinaus zu verteilen. Das Commercial-Banking, im Wesentlichen die Kreditvergabe an Unternehmen und Private sowie die Hereinnahme von Kundendepositen, war kein Selbstzweck mehr für die Banken, sondern war degradiert zu einem Mittel zum Zweck für die
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 117
Kreation/Innovation und den Verkauf von Investment-Bankingprodukten und -dienstleistungen, die mehr und mehr im Interbankenmarkt vertrieben wurden. 3.3.1 Interbankenmarkt169 Als eine der Hauptgeschäftsaktivitäten von Bankern während der Money-TrustPeriode wurde ihre Händlerfunktion identifiziert, womit der Handel mit Wertpapieren gemeint war. Ferner traten sie im Markt als Investor auf mit der Absicht, Aktien und Anleihen längerfristig zu halten, sei es, um auf die Geschäftsaktivitäten der emittierenden Unternehmen Einfluss zu nehmen, um Firmenfusionen zu bewirken oder Restrukturierungen von ganzen Industrien und Firmen vorzunehmen, um damit ihr Geld zu verdienen. Beide Funktionen – die des Händlers und des Investors – zielten auf das Kapitalmarktgeschäft ab, das ein wesentlicher Bestandteil des auf angelsächsischen Ursprung zurückgehenden Finanz- und Bankwesens in den USA ist. Es war das Geschäft mit Finanztiteln, das Vorzug erhielt vor dem traditionellen Kreditgeschäft mit der Güterwirtschaft schlechthin. Die Großbanken fungierten als Underwriter der Wertpapiertransaktionen von Schuldnern und benutzten anschließend ihre Placing Power, die vorrangig darin bestand, besagte Papiere an andere Finanzinstitute wie z. B. kleinere Banken, Trust-Gesellschaften und Versicherungsunternehmen weiterzureichen für deren eigene Portefeuilles und/oder zum Weiterverkauf an (kleinere) Endabnehmer. Nicht zu Unrecht wurden die Großbanken auch als „Wholesale Banks“ tituliert. Bezeichnend dafür war der Kommentar, den Commissioner Eastman von der Interstate Commerce Commission im Jahre 1925 machte. Der Hintergrund war ein Streit mit Bankern über deren Vergütung für erbrachte Dienstleistungen: “The big bank houses are jobbers, rather than retailers of securities, and in general they sell to other banking houses, which in turn distribute to investors”170.
Es war ein Teil des sich stärker in den Vordergrund drängenden Interbankengeschäfts, das für die Großbanken immer mehr an Bedeutung gewann. Nicht verwunderlich war, dass die US-Commercial-Banken mit starkem Nachdruck bereits zu GSA-Zeiten einforderten, an diesem Geschäft mit dem Hauptaugenmerk auf Wertpapiertransaktionen wieder teilhaben zu dürfen. Ende der 1980er Jahre wurde dem Bestreben (begrenzt) nachgegeben durch die gesetzliche (Ausnahme-)Regelung zugunsten sogenannter Section-20-Tochtergesellschaften. 169 170
Siehe oben Abschnitt 2.12: Verstärkte Inter-Connectivity der Banken als Konsequenz, S. 74 ff. Siehe Louis D. Brandeis, Norman Hapgood, Other People’s Money: And How The Bankers Use It, 1913, Foreword, S. xxxiii.
118 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Damals wie heute ist das Interbankengeschäft für viele Banken eine der wichtigsten Einkommensquellen ihrer Tätigkeit. Wie an anderer Stelle unten beschrieben171 weiteten die Großbanken in der Post-GSA-Periode mit der Übernahme der O&DModells ihre Interbankengeschäfte bewusst aus. Andere Finanzinstitute waren eine ergiebige Zielgruppe, weil sie u. a. Risikodiversifikation ihrer Portefeuilles aufgrund von bankaufsichtlichen Vorschriften suchten, die derartige Maßnahmen als kapitalentlastend einstuften. Der Kauf von unterschiedlichen Finanztiteln erlaubte dies auf relativ einfachem Weg, verglichen z. B. mit den größeren zu unternehmenden Anstrengungen, durch eigenakquirierte Kreditausleihungen an diverse Schuldner ein ähnliches Resultat zu erzielen. So zielte die Entwicklung von strukturierten Kreditprodukten der Großbanken auf den Risikodiversifikationseffekt ab mit dem Resultat, dass CLO/CDO-Produkte sowohl in den Bilanzen vieler Banken bei Ausbruch der Krise zu finden waren als auch bei anderen Finanzinvestoren. Wertpapierpensionsgeschäfte172 zwischen Banken stellen eine weitere Produktart dar, die die Transaktionsvolumina im Interbankenmarkt beträchtlich ausweiteten. Sie finden starke Verwendung im Liquiditätsmanagement der Banken. Die Aussage findet Bestätigung bei Hartmann-Wendels173 mit der Aussage: „Vor allem durch Repos mit Renten sind in den letzten Jahren große Teile des traditionellen Geldhandels zwischen Banken, der auf der Basis unbesicherter Kreditlinien stattfand, ersetzt worden.“
Sie stellen eine kurzfristige Wertpapierleihe von i. d. R. Staatsanleihen dar, wobei die Rückübertragung der Wertpapiere entweder zwingend vorgeschrieben ist (echtes Pensionsgeschäft) oder die Option des Geldgebers ist (unechtes Pensionsgeschäft); ein Kassa-Verkauf und ein Termin-Rückkauf werden also kombiniert.174 Es ist erkennbar, dass derartige Transaktionen eine tiefgreifendere Verzahnung des Banken- und Finanzsektors hervorgerufen hat, was mit anderen Worten bedeutet, dass sich systemische Risiken, die aus den Transaktionen erwachsen können, im Vergleich zu denen, die aus dem traditionellen Geldhandel zwischen Banken herrühren, verschärft haben. Der Grund dafür liegt in dem Faktor, dass zusätzlich Marktgeschehnisse im Wertpapierhandel Einfluss nehmen (können) auf die Beziehung miteinander handelnder Institute. Sie werden sowohl hervorgerufen durch das 171
172 173 174
Siehe unten, S. 119 ff., Kontrolle über Emittenten, Investoren und das „Geld anderer“, mit den Ausführungen zu Syndizierungen und Securitization und zur Benutzung des Interbankenmarktes. Siehe Abbildung 42 „Repo markets, amounts outstanding“, S. 171. Siehe Hartmann-Wendels, et al., S. 422. Weitere Themenbehandlung unter Hartmann-Wendels, et al., S. 422 ff. Hier genannt im Zusammenhang mit der Argumentationskette zum Thema „Interbankgeschäft und systemische Risiken“.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 119
mögliche Ausfallrisiko für beide Seiten des Kontraktes bei Nichteinhaltung des Wertpapierpensionsvertrags als auch durch mittlerweile branchenüblich gewordene, vertraglich vereinbarte Margin Calls für den Fall, dass in Pension gegebene Papiere Wertverluste durch Marktveränderungen erleiden während der Laufzeit der Geschäfte. Beide Fälle, die Nichtrückzahlung in Geldform und die Nichtbeschaffung weiterer Wertpapiere unter einem Margin Call, bewirken den Verkauf der Wertpapiere durch den Geldgeber, was das Angebot an Wertpapieren im Markt erhöht und somit die Preise sinken lässt. Im Markt entstandener Verkaufsdruck auf die Wertpapiere kann den Wertverfall von anderen in Pension gegebenen Papieren hervorrufen und schließlich eine Negativpreisspirale auslösen. Die Lehman-Brothers-Pleite im Jahre 2008, die nach Meinung vieler Experten die Bankenkrise auslöste, ist der Exemplarfall des oben beschriebenen Zusammenhangs. Das Institut hatte am Ende weder die geldlichen Mittel noch Wertpapiere entsprechender Qualität, um eingegangene Repos bei Fälligkeit zu begleichen bzw. Margin Calls nachzukommen. Die Nichterfüllung riss Liquiditätslücken bei den Gegenparteien der Transaktionen auf, die nur zu decken waren durch den Verkauf von Wertpapierbeständen, was wiederum Marktpreise sinken ließ. Die Preislawine war losgetreten. Wenn über systemische Risiken im Finanzwesen gesprochen wird, dann muss das Thema „Gerüchteküche“ zumindest erwähnt werden, denn es scheint ein besonderes Phänomen im Bankensektor zu sein. Zur Verdeutlichung sei das Beispiel des Interbankenhandels mit Wertpapieren genannt. Es ist bekannt, dass Gerüchte gerade an Börsen ihren festen Platz haben. Sie werden dort teils fabriziert, aber auf jeden Fall verbreitet aufgrund der (fast) insulären Verhältnisse, in denen sich die Händler bewegen und zugleich Zugriff auf Informationen sowie Wissen über Transaktionsgeschehnisse am Markt haben. Ferner sind diese Marktteilnehmer außerordentlich risikosensitiv. In solch einem Umfeld kann leicht eine geschäftliche Transaktion wie z. B. der Verkauf einer größeren Wertpapierposition zu einer (gering) unter Markt liegenden Preisforderung von Händlern (miss)interpretiert werden mit der Folge, dass Gerüchte über das Verkäuferinstitut in Windeseile zu kursieren beginnen. Treten Marktteilnehmer wegen derartiger Gerüchte in Aktion, ist ein Run auf besagtes Institut und eine eventuelle Ausweitung auf andere Banken vorstellbar. Kontrolle über Emittenten, Investoren und das „Geld anderer“ Ferner muss angemahnt werden, dass die Ausweitung einer zweifelsfrei vorhandenen Machtposition hinsichtlich der Kontrolle über Emittenten, Investoren und das „Geld anderer“ durch die Benutzung der zur Verfügung gestellten Kundeneinlagen jeglicher Art bei gleichzeitiger Reduzierung der Eigenkapitalquoten der Institute ähnliche Aus-
120 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
maße annahm, wie sie Brandeis175 bereits in früheren Zeiten kritisierte. Gerade dieser Tatbestand gibt Veranlassung, einen tieferen Einblick in das Geschäftsgebaren der Banker zu nehmen, um den Nachweis disproportionaler Ausnutzung ihrer Stellung nachzuweisen, mit anderen Worten eine wesentliche Schwachstelle des Universalbankensystems aufzuzeigen, die bereits einmal in der jüngeren Geschichte zu umfassenden Veränderungen im Bankwesen geführt hat. Zeigte bereits Brandeis das oben genannte Kontrollbestreben von Investment-Bankern auf, das über ihr legitimes Betätigungsfeld hinausreichte, so soll hiermit der Beweis geführt werden, dass die Charakteristika der Investment-Banker-Motivationen nach der Aufhebung von GSA wieder zutage traten. 3.3.2 Kontrolle über die Wertpapieremittenten Viele Regularien und Gesetze wurden bis dato erlassen, um die Missstände der Vergangenheit, die Brandeis und andere im Bankwesen aufdeckten, abzustellen. Genannt seien hier die Regelungen, um die von Brandeis so gebrandmarkte Macht der Investment-Banker einzugrenzen/abzuschaffen (ungerechtfertigte Machtausübung als Minderheitsaktionär, Board-of-Directors-Mitgliedschaft eines Unternehmens usw.), also insbesondere im Zusammenhang mit Mandaten, die den Bankern besagte Vorteile verschafften. Außerdem haben sich auch die Machtverhältnisse in der Beziehung zwischen Kunde und Bank verändert. Ob der Banker trotzdem in der Gegenwart noch nach Wegen sucht, seine besondere Geschäftsposition als Beschaffer von Finanzierungen für Unternehmungen und Privatpersonen sowie Geldanlagen zu benutzen, um für sich den größtmöglichen Profit zu erzielen, also – um es mit Brandeis in abgewandelter Form auszudrücken – nach wie vor das Bestreben hat, dafür die „improper sphere“ seines Tuns zu betreten, soll als Nächstes untersucht werden. Kundenkreis: Emittenten von höchster Kreditqualität Sie erfreuen sich mittlerweile einer starken Marktposition, die ihnen die freie Auswahl von Underwriters ermöglicht und dadurch ihnen den „besten“ Preis sichert. Die Emittenten bieten ein derart großes Transaktionsvolumen an, dass die Banken selbst bei niedrige(re)n Gebühren i. d. R. profitabel arbeiten können.176 Außerdem ist es für Banken notwendig, an dem Geschäft teilzunehmen, damit sie ihren Anlegern zu Diensten sein können, und anderen Emittenten die Fähigkeit nachweisen, dass sie 175 176
Siehe oben, Abschnitt 3.1.2: Die Motivation des Investmentbankers, S. 97 ff. Siehe Abbildung 26, Seite 122.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 121
ein Major Player auf dem Felde sind. Reputation ist gerade in diesem Marktsegment von allergrößter Bedeutung. Für einen „Neuling“, der in diesen derart wichtigen Markt einbrechen möchte, ist es nicht ungewöhnlich, Loss Leaders177 zu akzeptieren, um seinen Namen im Wettbewerb zu etablieren. Zu gegenwärtigen Zeiten ist es sicherlich nicht mehr möglich für den InvestmentBanker, Wertpapiere im Primärmarkt mit ersten Adressen zu „produzieren“, um sein Handelsvolumen zu erhöhen und Provisionen einzunehmen., d. h. durch die Akquisition von Underwriting-Mandaten direkt vom Emittenten, wie oben beschrieben, aufgrund einer ausgeübten Macht-/Kontroll-Position über den Emittenten, die darin bestand, dass der Investment-Banker den Board of Directors des Emittenten beherrschte. Großkunden schauen auf League Tables, die ein Indikator für die Platzierungsstärke einer Investment-Bank sind, wenn sie die Entscheidung über einen Underwriter/Underwriting-Gruppe treffen. Obwohl von Zeit zu Zeit das Argument von Finanzchefs dieser Unternehmen zu hören ist, dass sie aus Gründen der Sicherheit für den Erfolg einer Wertpapierausgabe nur die Top-3-bis-5-Banken gemäß Rangliste verpflichten, ist daraus jedoch die Ableitung einer Machtstellung dieser Banken im Sinne von Brandeis nicht haltbar. Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn die Problematik des „Tieing“ („Verknüpfung“) in die Diskussion eingebracht wird, die in der jüngeren Vergangenheit stets ein kontroverses Thema war. Darunter ist die Beziehung zwischen der Kreditvergabe an und dem Erwerb von Underwriting-Mandaten für Emissionen eines Kunden durch Banken zu verstehen. Zum einen ist es gesetzlich untersagt, einen Kredit unter der Bedingung zu gewähren, dass die Emissionsmandate an den Kreditgeber zu gehen haben. Zum anderen stellt die Marktposition von Unternehmen hoher Kreditqualität eine solche Situation außer Frage. Es gibt in der Regel eine ausreichende Anzahl von willigen kreditgebenden Banken und Wertpapierhäusern, die bereit sind, in eine Geschäftsbeziehung mit derart „gutem“ Namen einzutreten, so dass keines der Institute eine Position besitzt, diese Bankprodukte als Paket verkaufen zu können. So hat es sich zumindest stets in den „krisenlosen Zeiten“ der nahen Vergangenheit dargestellt.
177
Definiert als Transaktionen, bei denen man von vornherein davon ausgeht, einen Verlust zu produzieren, sei es durch Price Lowballing oder Nichtplatzierung/Bestandshaltung.
122 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Investment Grade Bond Issuance Volume 1,200.0
US D Billio n
1,000.0 800.0 600.0 400.0 200.0 0.0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Years
Abbildung 26: US-Corporate-Anleihemarkt 1996-2009178 Die Abbildung schließt non-convertible debt, MTNs, und Yankee bonds mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr ein (ausschließlich CDs), die im Zeitraum von 1996 bis 2009 mit einem investment grade rating platziert wurden. Mit einem Durchschnittsvolumen von mehr als USD 625 Milliarden pro Jahr, einem Spitzenemissionsbetrag im Jahre 2007 von fast USD 1 Billionen und einer positiven Trendlinie wird ersichtlich, warum dieses Geschäft einerseits für die Großbanken so eminent wichtig ist. Es zeigt aber auch auf, dass die Emittenten „Marktmacht genießen“ aufgrund der aufgezeigten Größenverhältnisse des Anleihegeschäftes.
178
Source: Thomson Reuters.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 123
Kundenkreis: Sub-Investment-Grade/High-Yield-Bankkunden Anders erscheint die Situation für den Sub-Investment-Grade/High-Yield-Kundenkreis. Aufgrund des hohen Kreditrisikos ist die Markttiefe von Kreditgebern wesentlich geringer als im High-Grade-Markt. Mit abnehmender Risikobereitschaft nimmt die Zahl williger kreditgebender Banken ab. Oft genug benötigen Firmen mit schwächerem Kreditstanding Finanzmittel, die über den von Banken zur Verfügung/in Aussicht gestellten Kreditrahmen hinausgehen, weil sie entweder nicht bereit sind, höhere Beträge auf den eigenen Büchern zu halten, oder weil sowohl eine Weiterplatzierung auf dem Syndizierungsmarkt als auch Direktverkäufe als aussichtslos und daher als nicht erfolgbringend eingeschätzt werden. Um trotzdem die benötigten Finanzmittel aufnehmen zu können, wird zumeist der High-Yield-Markt179 angezapft mit seinen Marktteilnehmern wie High-Yield- und Vulture-Bond-Funds, um einige zu nennen. Aus der Tatsache heraus, dass der Bankenmarkt nicht die Tiefe an Kreditgebern hergibt, dass der High-Yield-Anleihemarkt besondere Kreditrisikobeurteilungskenntnisse erfordert, also nicht unbedingt eine breite Investorenklasse anspricht, da etliche Anlegergruppen von diesen Anleihen Abstand nehmen, könnte eine Machtposition der Investment-Banken in diesen Märkten hergeleitet werden, was vergleichbar mit der von Brandeis geschilderten Situation im damaligen Primärmarkt für Wertpapieremissionen war: Der Investment-Banker vermittelt Kredite an Subprime-Schuldner (sei es für Akquisitionen, Umschuldungen etc.), die zwangsweise die Begebung von High-Yield-Anleihen erfordern. Diese Anleihen werden wiederum von den Investment-Banken „underwritten“ oder auf Best-Effort-Basis übernommen zwecks Weiterverkauf an bestimmte Gruppen von Anlegern, die auf die Risikoanalyse der sogenannten Experten, nämlich der Investment-Banken, aufgrund enger Geschäftsbeziehungen vertrauen. Als „Mittelsmann“ mit seiner Expertise als Fachmann des Geschäfts in einem enge(re)n Markt sowohl auf der Angebotsseite wie auf der Nachfrageseite ist dem Investment-Banker damit die Möglichkeit gegeben, „seinen“ Preis/Profit durchzuholen. In den Großbanken wurden die Sub-Investment-Grade-Transaktionen zum Kerngeschäft des Investment-Bankings erhoben. Eine nicht unübliche organisatorische 179
Es ist nicht unüblich, dass kreditgebende Banken eine High-Yield-Anleihe in der Kapitalausstattung des Unternehmens als Bedingung für die Kreditbereitstellung machen, sei es als Anschlussfinanzierung zur Ablösung des Bankkredites, sei es zusätzlich zum Bankkredit.
124 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Maßnahme der Banken war es, dieses Kundensegment vom High-Grade-Geschäft zu trennen und in einem gesonderten Profitcenter zu managen. Es ist bemerkenswert, dass in den Jahren nach der Aufhebung des GSA der Subprime- und High-Yield-Markt eine bis dahin kaum gekannte Expansion erfahren hat.180 High Yield Debt Issuance Volume 160.0 140.0
USD Billion
120.0 100.0 80.0 60.0 40.0 20.0 0.0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Years
Abbildung 27: US-High-Yield-Anleihemarkt 1996-2009181 Die Abbildung 27 des US-High-Yield-Anleihemarktes zeigt eine erratische Entwicklung über den Beobachtungszeitraum von 1996 bis 2009, die vom gesamtwirtschaftlichen Konjunkturverlauf abzuleiten ist (z. B. dem tech bubble burst von 1999). Jedoch ist nicht zu verkennen, dass der Markt stets mit Vehemenz zurückkehrte. Das durchschnittliche Ausgabevolumen pro Jahr beträgt über die Periode fast USD 100 Milliarden, was bedeutend ist unter Inrechnungstellung der niedrigeren Zahl von 180 181
Die Spitze in 1998 ist mit der „high tech bubble“ erklärt. Source: Thomson Reuters.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 125
Marktteilnehmern (Banken, Investoren) und i. d. R. niedrigeren Emissionsbeträgen per Transaktion, beides verglichen mit dem high grade market, aufgrund der vorliegenden Schuldnerprofile. Doch mehrmals erzielte jährliche Spitzenemissionsbeträge von rund USD 140 Milliarden lassen das Geschäft als attraktiv für die Banken mit Fachkompetenz erscheinen, nicht zuletzt wegen der i. d. R. höheren Platzierungsgebühren für derartige Transaktionen, aber auch die starke Kontrolle, die die Banken über die Geschäftsart ausüben (wie oben dargelegt). Produktgruppe: Das Securitization-Geschäft Es ist zunächst einmal angebracht, dem Begriff „Securitization“ eine feste Definition zuteil werden zu lassen. Hierzu sei das „Comptroller’s Handbook“182 zitiert: “Asset securitization is the structured process whereby interests in loans and other receivables are packaged, underwritten, and sold in the form of ‘asset-backed securities’. From the perspective of credit originators, this market enables them to transfer some of the risks of ownership to parties more willing or able to manage them. By doing so, originators can access the funding markets at debt ratings higher than their overall corporate ratings, which generally gives them access to broader funding sources at more favorable rates. By removing the assets and supporting debt from their balance sheets, they are able to save some of the costs of on-balance-sheet financing and manage potential asset-liability mismatches and credit concentrations.”
Sicherlich muss von vornherein festgehalten werden, dass im Securitization-Geschäft die Innovationskraft des Investment-Bankings im Hinblick auf die oben genannten Tätigkeiten der Zusammenstellung, Zeichnung und Platzierung derartiger Wertpapiere bestens zum Ausdruck kommt. Eine Refinanzierungsquelle für Commercial-Banken wurde in den letzten Jahrzehnten dadurch aufgetan. Und wie ein kürzlich veröffentlichtes Papier von Goetzmann and Newman183 darlegt, betrieben InvestmentBanker das Securitization-Geschäft bereits während der Money-Trust-Periode in den 1920er Jahren. Es zeigt auf, dass Anleihen am öffentlichen Kapitalmarkt in den USA emittiert wurden, die besichert und unterlegt waren mit gewerblichen und privat genutzten Immobilien. Regional diversifizierte Hypotheken wurden gepoolt, deren Cashflow wurde verwendet, um den Schuldendienst der neuerlich herausgegebenen Anleihen zu begleichen. Es waren schon damals komplexe Mortgage-backedSecurities-Transaktionen, wie sie heutzutage typisch geworden sind. Große RealEstate-Investment-Banken kreierten, zeichneten und platzierten diese Anleihen ursprünglich an Investoren wie Sparkassen, Lebensversicherungsgesellschaften und 182 183
Comptroller of the Currency, Administrator of National Banks, Asset Securitization, November 1997 Siehe William N. Goetzmann, Frank Newman; Securitization in the 1920’s, Working Paper 15650, National Bureau of Economic Research, Januar 2010.
126 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Stiftungen, die jedoch mit der Zeit risikobewusster wurden. Um aber den in den 1920er Jahren ausgebrochenen Immobilienboom weiter mit Finanzierungen zu stärken, wurden Privatanleger als Kapitalquelle und als „lender of last resort“ von Investment-Banken identifiziert, nicht zuletzt deswegen, weil sie als weniger risikoerfahren angesehen wurden bei Immobilienanlagen, so Goetzmann und Newman184. Beide bringen dafür nicht nur anekdotische, sondern auch empirisch hergeleitete Argumente vor. Das Securitization-Geschäft der Banken entspringt demnach aus der Immobilienfinanzierung. Über die letzten Jahrzehnte hinweg wurde diese Verbriefungsmethodik auf Autokredite und -Leasing-Verträge, Kreditkarten, (Zweit-)Hypotheken, Fertigbaukreditforderungen, Studienkredite, CLOs/CDOs und andere Forderungen nicht nur ausgeweitet, sondern auch sehr stark forciert gemäß folgender Abbildung 28:
184
Siehe William N. Goetzmann, Frank Newman, S. 7 ff.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 127
3,000.0
ABS Outstandings
2,500.0
U SD M illion
2,000.0
1,500.0
Other Student Loans Housing
1,000.0
HE Loans Receivables
500.0
Auto Loans
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
0.0
Abbildung 28: United States; Asset-Backed Securities185 Das ABS-Wachstum in den Jahren von 1996 bis 2008, basierend auf den entwickelten Technologien, diverse Forderungen (siehe oben) zu Transaktionen zu verpacken, kann als explosiv bezeichnet werden. Die ABS Außenstände wuchsen von unter USD 500 Millionen in 1996 auf über USD 2,5 Milliarden in 2008 an; ein Wachstum um das Fünffache. Besonders fallen die Steigerungsraten der Kategorie „Other“ auf. Dort sind die CLO- und CDO-Transaktionen als dominierender Faktor enthalten, die allein in 2008 mehr als die Hälfte der Gesamtaussenstände im Betrag von rund USD 1,6 Milliarden ausmachten. Die Voluminazahlen bezüglich der Anzahl begebener Anleihen und ihrer Beträge wuchsen exponentiell, und damit einhergehend die Größe der Fachabteilungen in den 185
Quelle: Thomson, Financial Bloomberg, SIFMA.
128 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Banken. Es wurde eine bedeutende Refinanzierungsquelle sowohl der CommercialBanken als auch von kreditsuchenden Unternehmungen. Dieses weitere Betätigungsfeld der Investment-Banker, das ein ungeheueres Wachstum über die letzten Boomjahre erfuhr, sollte ebenfalls einer Betrachtung unterzogen werden, um herauszufinden, ob diese Produktgruppe den Bankern die – gemäß Brandeis – angestrebte Kontrolle über die Emittenten gibt. Wohlwissend, dass im oben genannten „Primärgeschäft“ des Wertpapierhandels bestenfalls im High-Yield-Markt eine gewisse Kontrolle der Emittenten zu erreichen ist (wie zuvor geschildert), um Handelsbestände auszuweiten, zielt der SecuritizationMarkt darauf ab, durch die Verbriefung von diversen Forderungen neue und größere Handelsvolumina zu kreieren, indem bereits existierende Anleihen und andere Schuldtitel verwendet werden, um für die Begleichung des fällig werdenden Schuldendienstes eines neu ausgegebenen Wertpapiers den Cashflow zu erzeugen. Aus verschiedenartigen, bereits existierenden Wertpapieren werden also neue Anleihen zusammengestellt. Hier sind insbesondere die Collateral Debt Obligations (CDO) zu nennen. Der Kauf von Wertpapieren, die anschließend ein CDO unterlegen, erfolgt durch Transaktionen im mittlerweile tiefen Sekundärmarkt. Da, anders als im Primärmarkt, kein Kontakt zum Anleiheemittenten benötigt wird, um neue Wertpapiere in dieser Form zu kreieren und auf den Markt zu bringen, ist die Kontrolle über das Emissionsgeschäft von CDOs vollends in der Hand des Investment-Bankers. Die Banken brauchen nicht mehr den (Original-)Schuldner zu „kontrollieren“, um sicherzustellen, dass Wertpapiervolumina emittiert werden, sondern sie können sich im Finanzmarkt frei beim Erwerb von Anleihen verschiedenster Schuldner186 bedienen, sei es um Handelsbestände vorzuhalten oder zu „securitisieren“. Der Investment-Banker entscheidet, zu welchem Preis die frei handelbaren Debt Obligations eingekauft werden. Es ist also stets „sein Preis“, den er bezahlt, d. h. er schließt damit das Risiko eines Verlustgeschäfts weitestgehend aus; insbesondere auch deswegen, weil er den Verkaufspreis festsetzt, wenn diese CDOs den Investoren zum Kauf angeboten werden, ohne dass ihnen eine realistische Prüfungsmöglichkeit des Risikos und – damit einhergehend – des Kaufpreises zur Verfügung steht.
186
Als Hintergrund hierzu sei erwähnt, dass Securitization bereits für viele Jahre Bestandteil des US-Hypothekengeschäfts war. Die Refinanzierung von Hypothekenpools wurde vorgenommen, indem eine (große) Anzahl von Einzelhausdarlehen von Banken aufgekauft und anschließend zusammengefasst wurden und als Anleihe an Investoren weiterverkauft wurden. Risikodiversifikation und ein stetig im Wert steigender Immobilienmarkt machten Anlagen in derartige MBS (Mortgage Backed Securities) attraktiv.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 129
Cashflow-Modellrechnungen über die zu erwartende Amortisation einer solchen CDO, die von Rating-Agenturen mit ihrer entsprechenden Risikobeurteilung (Rating) versehen sind, werden von den Investmenthäusern, die auch gleichzeitig Verkäufer der Anleihe sind, selbst erstellt. Sie basieren auf statistischen Annahmen der Vergangenheit (wie z. B. Durchschnitts-Default-Raten verschiedener Schuldnergruppen etc.). Der Investment-Banker emittiert so laufend neue Wertpapiere, ohne dass er mit Schuldnern in Verbindung treten muss, hat somit Kontrolle über sein Emissionsvolumen, solange der Markt Debt Obligations zum Kauf bereithält. Er bietet die kreierten Wertpapiere zu einem Preis an, der allein von ihm festgesetzt wird, ohne dass das Preis-Risiko-Verhältnis von potenziellen Käufern nachvollzogen werden kann. Sie vertrauen ausschließlich dem Rating der Agenturen. Auch das Argument, dass der Markt den Preis aufgrund von konkurrierenden Angeboten bestimmt, ist so gut wie ausgehebelt, weil ein Vergleich von CDO-Emissionen wegen des unterschiedlichen Risikomixes der neu herausgegebenen Wertpapiere schlichtweg nicht möglich ist. Festzuhalten bleibt, dass nach der Aufhebung des GSA die Verhaltensmuster in der Geschäftsausübung der Investment-Banker zu beobachten sind, die denen der Banker der Money-Trust-Periode gleichen/zumindest ähneln, wenn es um das Bestreben geht, Kontrolle über die Wertpapieremittenten zu bekommen. Sicherlich haben Gesetze und Finanzmarktregularien, die nicht zuletzt wegen wiederholten Missbrauchs von Machtpositionen einzelner Marktteilnehmer, wie u. a. von Investment-Bankern zu bestimmten Zeiten, bewirkt, dass sich das Verhalten von Bankern bei der Herangehensweise an Finanzgeschäfte verändert hat. Doch erkennbar ist, wie bereits oben herausgearbeitet, dass es ein Wesensmerkmal der Funktion eines Investment-Bankers ist, Kontrolle über seinen Markt gewinnen zu wollen, und zwar sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite; denn ein Händler erzielt nun einmal seinen höchsten Gewinn, wenn er niedrig einkauft und hoch verkauft unter weitestmöglicher Vermeidung von Risiko. 3.3.3 Die Kontrolle über die Wertpapierkäufer Dieses Bestreben des Händlers wird ebenfalls deutlich bei der Suche nach Parallelen der beiden bankgeschichtlichen Zeiträume in der Analyse des zweiten Kritikpunktes von Brandeis am Universalbankensystem unter Führung des Investment-Bankers.
130 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Über das letzte Jahrzehnt ist eine starke Ausweitung des Bankgeschäfts mit Financial Players als Kunden zu verzeichnen gewesen. Es hat auf verschiedenen Kundenebenen stattgefunden: a) Kreditinstitute, die schon immer das sogenannte Interbankengeschäft betrieben haben in Form von Handelsaktivitäten mit Devisen, Commodities, Wertpapieren, etc. und Transaktionsbankaktivitäten, dem Zahlungsverkehr und Cash Management, Trade Finance etc. bis hin zum Interbanken-Kreditgeschäft, weiteten diese Betätigungsfelder verstärkt aus. b) Die oben genannten, zusätzlich zu anderen Kreditinstituten, die diesen Bereich neu für sich als Geschäftszweig entdeckten, weiteten ihre Beziehungen mit Finanzinstitutionen über das traditionelle Interbankengeschäft hinaus aus. So erfreut sich das Kreditsyndizierungsprodukt einer starken Ausweitung und Bedeutung für die Profitabilität der Großbanken. Die Aufstockung der personellen Kapazitäten über die letzten Jahre ist ein Indiz dafür, dass es von großer Wichtigkeit für Universalbanken geworden ist. Ähnlich wie im Syndizierungsgeschäft mit Anleihen schälte sich eine (relativ kleine) Gruppe von Banken bei Kreditsyndizierungen als dominierend heraus. Es sind in der Regel die größten Banken, gemessen an deren Kreditkapazitäten, welche die League Tables im Kreditsyndizierungsgeschäft anführen und dadurch eben auch eine Führungsrolle bei Schuldnern einnehmen. Sie sind in der Lage, hohe Underwriting-Verpflichtungen einzugehen, was klein(er)en Banken den Zugriff auf derartige Transaktionen, die sogenannten Primärmarkt-Mandate, d. h. Underwriter/Mitglied einer Underwriting-Gruppe zu sein, verwehrt. Bei der Bildung/Ausweitung ihrer Kreditportefeuilles sind kleinere Banken daher darauf angewiesen, sich im „Sekundärmarkt“ einzukaufen, womit sie sich zwangsläufig in eine gewisse Abhängigkeit von den Großbanken begeben. Ihr Vorteil ist, dass sie weder Kundenakquisitions- noch -betreuungskosten aufzuwenden haben, um Kreditgeschäft zu akquirieren, da die Syndizierer diese Funktionen für die kleinen Banken übernehmen. Die Kreditanalyse und -überwachung wird durch die aus Sorgfaltspflichten zu leistende Arbeit der syndizierenden Bank(en) wesentlich unterstützt. Ferner ist bei der Auswahl von Risiken bezüglich Schuldner-, Industrie-/Branchen-, Länderrisiken sowie Größenordnung und Laufzeit besagter Kreditvergaben alle Entscheidungsmacht in ihren eigenen Händen. Das Nichtvorhandensein einer direkten Kundenbeziehung mit dem Schuldner unterbindet die Herausbildung einer „moralischen Verpflichtung der Bank“, einen Schuldner eventuell mit zusätzlichen Kreditvergaben zu unterstützen, obwohl,
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 131
dem Vorsichtsprinzip folgend, eine Ablehnung weiterer Kredite angebracht wäre.187 Nachteilig stellt sich für die kleineren Banken dar, dass sie ihr Kreditgeschäft in einer gewissen Abhängigkeit von den Großbanken betreiben. Sie, die sogenannten Stuffees, müssen von den Syndizierern berücksichtigt werden, um nicht von einem wesentlichen Teil des Kreditgeschäfts ausgeschlossen zu werden. Mehr und mehr Schuldner bevorzugen den Syndizierungsmarkt bei der Kreditaufnahme aus Zeitersparnis- und Kostengründen und ansteigendem Kreditbedarf, was es diesen Banken erschwert/unmöglich macht, direkte Kundenbeziehungen mit der Klientel zu unterhalten. Der Tatbestand hebt die Position der syndizierenden Großbanken ein weiteres Mal heraus. Diese Stärkeposition kann zweifelsfrei als Kontrolle über die an den Syndizierungen teilnehmenden Banken angesehen werden. Es ist das gleiche Argument, das im vorhergehenden Abschnitt über die Kontrolle der Wertpapierkäufer gemacht wurde. Die klein(er)en Banken werden zu Investoren, die auf eine oligopolistische Händlergruppe stoßen, die den Markt kontrolliert. Bei der Betrachtung des Kreditsyndizierungsgeschäfts ist abermals zu erkennen, dass es: ein Handelsgeschäft188 ist und somit der Investment-Banker das Ziel im Auge hat, seinen Markt zu kontrollieren, um den höchsten Profit für sich zu erzielen. Dies trifft ebenfalls zu auf das Syndizierungsgeschäft im Leverage-Loan-Segment, das einen starken Volumenanstieg zu verzeichnen hatte gemäß nachfolgender Abbildung 29: c) Mit dem Wachstum der Hedge-Funds-Branche über die Jahre hat sich eine weitere, für die Märkte immer bedeutendere Käufergruppe von Kreditprodukten, wie u. a. verbriefte Anleihen, Private Placements, Kreditverpflichtungen, Kreditforderungen etabliert. Es sind Nicht-Banken, die in der Regel enge Beziehungen mit Großbanken unterhalten, weil vielerorts deren Management und Personal für dieselben Banken in der Vergangenheit tätig war. In einzelnen Fällen unterstützen Banken als Sponsoren die Gründung solcher Funds durch bankeigene Einlagen, 187
188
Erinnerung an den Chrysler-Fall im Jahre 1990, als die Fed die DB bat, Kredite zu verlängern, um den Konkurs des Schuldners zu verhindern, aufgrund der langjährigen engen Kundenbeziehung zwischen den beiden Firmen, obwohl die DB-interne Kreditentscheidung das Gegenteil forderte. Kreditsyndizierungsabteilungen in Universalbanken sind i. d. R. dem Bereich Investmentbanking zugeordnet.
132 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
die (hoffentlich) gute Renditen abwerfen, ohne dass die Bank im eigenen Namen in Risikopapiere investiert. Sicherlich haben Banken bei derartigen geschäftlichen Verflechtungen im Auge, dass die Hedge Funds als potenzielle Counterparties für alle erdenklichen Bankgeschäfte in Frage kommen; insbesondere dann, wenn man an die Handelsaktivitäten im Investment-Banking denkt. Eine signifikant große Käufergrupe für u. a. verbriefte und unverbriefte Kredite hat sich damit für das Platzierungsgeschäft aufgetan, die mit hohem Leverage arbeitet, welcher in der Regel durch Kreditaufnahme in Form von kurzfristigen Repo-Geschäften erzeugt wird. Die doppelte Abhängigkeit der Hedge Funds von Großbanken – und zwar als Kreditkunde der Bank einerseits und Investment-Manager von Einlagen der Bank andererseits – „erkauft“ sozusagen dem Banker die Kontrolle über die Hedge Funds als Geschäftspartner.
Abbildung 29: Leveraged Lending; Growth of Nonbanks in the Primary Markets, 1994-2004
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 133
Für den Zeitraum von 1994 bis zum ersten Quartal 2004 zeigt die Abbildung 29 die prozentuale Verteilung zwischen Banken und Nicht-Banken als Marktteilnehmer im Leveraged Loan-Primärmarkt. Unter der Rubrik Nicht-Banken sind Versicherungen, Hedge Funds und andere subsumiert sowie die Ausgabe von CLOs. Der Anteil der Banken, der Mitte der 1990er Jahre um die 70 % des Gesamtmarktes ausmachte, sank kontinuierlich über die Jahre bis hin zu einem Anteil von etwa 20 % Anfang 2004. Die abgebenen Marktanteile gingen (fast) kongruent über auf die Non-Banks. Die Rolle des Primärkreditgebers wurde somit von ihnen übernommen, wobei nicht selten die Banken als Arrangeure der leveraged loans auftraten. Es ist ein klares Indiz für die mittlerweile bei den Banken eingetretene Abneigung, Kredite auf ihre eigenen Bücher zu nehmen. Dem begegneten sie damit, dass die ihnen „nahestehenden Hedge Funds“ als Kreditgeber auftraten, also eine Investorengruppe, die von den Banken mehr oder weniger „kontrolliert“ wurde. d) Schließlich ist das sogenannte Wealth-Management-Geschäft von allen großen Banken über die letzten Jahre wesentlich ausgebaut worden. So hatte sich Goldman Sachs im Jahre 1999 anlässlich ihres IPOs zum Ziel gesetzt, ihre AssetManagement-Aktivitäten, also das Geschäft mit institutionellen Anlegern sowie ihrer Privatklientel der o. g. Wealth-Management-Rubrik, innerhalb der Zeitperiode der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. Sie erfreuen sich nunmehr eines Kundenstamms von 2.000 Institutionellen und mehr als 25.000 Privaten mit einem Asset-under-Management-Volumen189 von USD 871 Mrd. per Ende 2009. Große Beträge an Liquidität und Verfügungsvollmachten werden von Investoren an Banken mit einer gewissen Renditeerwartung übergeben, die frei über die Anlagen eben dieser Gelder entscheiden. Absolute Kontrolle ist damit den Banken gegeben im Hinblick auf die Wertpapierkäuferseite. Vielleicht ist es zu aggressiv ausgedrückt, diese Geschäftsart in die „improper sphere“ der Investment-BankerTätigkeit einzuordnen. Die betriebsinterne Trennung des Asset-Management- vom Emissionsgeschäft ist wohl gegeben durch die Installation von Chinese Walls, jedoch ist nicht auszuschließen, dass trotzdem die Anlageseite der Bank dem Folge leistet, was deren Emissionsabteilung als marktbestimmende Wertpapiere anbietet, die dadurch in einem marktgerechten Portefeuille unabdingbar sind.
189
Siehe Goldman Sachs, Geschäftsbericht 2009, S. 58.
134 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
3.3.4 Kontrolle über das „Geld anderer Leute“ Als dritten Kritikpunkt stellte Brandeis das Bestreben der Investment-Banker heraus, die Kontrolle über die liquiden Mittel anderer Leute zu gewinnen, denn vorhandene Liquidität ermöglicht es Händlern, ihre Transaktionen damit zu finanzieren. Auch in diesem Falle sind die Parallelen zwischen den beiden Zeitperioden auffällig; denn damals wie heute bestimmen Investment-Banker-Attitüden die Geschäftsgebaren in den Universalbanken, und zwar maximales Profitstreben bei kurzfristigen Laufzeiten der einzelnen eingegangenen Handelstransaktionen. Vorhandene Liquidität aufgrund ihrer „Knappheit“ muss den höchstmöglichen Ertrag erwirtschaften. Eine derartige Denkweise schließt nur die Aufgabe ein, das Handelsbuch zu managen, da im Investment-Banking ein Loan Book wie im Commercial-Banking nicht vorhanden ist: a) Im Universalbankensystem erlaubt der Gesetzgeber, dass der Banker im Investment-Banking tätig sein kann und gleichzeitig Kundeneinlagen jeglicher Art entgegennehmen darf; eine Tätigkeit, die mit der Einführung des US-Trennbankensystem als Folge der Bankenkrise von 1933 nur den Commercial-Banken gestattet war. Zusätzlich wurde den Commercial-Banken die FDIC-Versicherungspflicht für Kundeneinlagen auferlegt. Der Grund dafür war, gerade die Kleinanleger vor dem Verlust ihrer Spar- und sonstigen Einlagen zu schützen, nachdem diese als Folge der Universalbankenkrise von 1933 derartig schlechte Erfahrungen machen mussten. Nach der Aufhebung von GSA im Jahre 1999 wurde den nun wiederum als Universalbanken tätigen Großbanken das InvestmentBankinggeschäft erlaubt unter Beibehaltung des Privilegs, Kundeneinlagen anzunehmen. Somit war die Konstellation wieder hergestellt wie zu Zeiten des Money Trust, die nach Meinung vieler, Brandeis eingeschlossen, die Bankenkrise von 1933 hervorrief. Die mittlerweile fest etablierte Einlagensicherung wurde beibehalten zum Schutze von Kleinanlegern, was als positiv bewertet wurde, abgesehen von den davon ausgehenden sogenannten Moral-Hazard190-Effekten. Die Liquiditätsvolumina, die den als Universalbank tätigen Großbanken durch Kundeneinlagen zur Verfügung stehen, sind immens. Die nachfolgende Abbildung 30 zeigt das verbuchte Depositenvolumen der vier größten US-CommercialBanken über den Zeitraum von 2002 bis 2007 auf. Der Gesamtbetrag der von den
190
Moral hazard: Gemeint sind damit die höhere Risikobereitschaft des Bankmanagements mit dem Umgang von Kundeneinlagen, weil die Versicherung Anleger kompensiert, falls notwendig, und der Glaube, dass der Staat insgesamt als Garant für Bankkunden eintreten würde.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 135
Instituten gehaltenen Kundeneinlagen von mehr als USD 2,7 Billionen zum Ende des Jahres 2007 ist eine bemerkenswerte Größe.
Deposit Volume 3,000,000 U S D Miliio n
2,500,000 2,000,000 1,500,000 1,000,000 500,000 2007 JPM
2006 WFC
2005 C
2004 BAC
2003
2002
Total US-C-Banks
Abbildung 30: Ausgewählte US-Banken; Einlagenwachstum 2002-2007 Die liquiden Mittel, also das „Geld anderer“, können zum Funding ihres Eigenhandels benutzt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Banken aufgrund von Gewinnmaximierungszielen hin und wieder nicht der Versuchung widerstehen, unakzeptabel hohe Risiken mit ihren Kurzfristspekulationen einzugehen, weil die Liquidität, die Kunden hinterlegt haben, dafür vorhanden ist. In beiden Universalbankperioden ist feststellbar, dass durch hohen Liquiditätszufluss die Risikobereitschaft der Banken anstieg. Als Beweis dafür kann angeführt werden, dass die Fed in der gegenwärtigen Krise ihre Risikostandards bei der Hereinnahme von Sicherheiten für Emergency-Kreditausleihungen heruntersetzte, weil die Banken hohe Beträge an „minderwertigeren“ Schuldtiteln hielten. b) Für die Händler stellt sich ein weiterer Vorteil mit dem Vorhandensein von niedrig verzinsten Kundeneinlagen ein. Die von den Banken gezahlten Kundenzinssätze sind relativ niedrig im Vergleich zum Geldmarkt, der nur in größeren Beträgen handelt und somit nicht für Kleinanleger zugänglich ist. Von Seiten der Banken ist
136 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
daher ein gewisser Zinsabschlag auf Kundeneinlagen gerechtfertigt. Demgegenüber verdienen die Banken einen Spread durch die Bündelung ihrer Kundeneinlagen (= Losgrößentransformation) bei der Anlage im eigenen Namen, sei es zur Finanzierung des Loan Books oder des Trading Books. Diese dem Bankgeschäft inhärente Funktion, einhergehend mit Risiko- und Fristentransformation, sind traditionell die Ertragsquellen von Commercial-Banken gewesen. c) Zusätzlich werden Depositen von Kleinanlegern als „sticky“ (klebrig) angesehen, da sie in der Regel ohne große Betragsschwankungen bei den Banken für lange Zeit verweilen („Bodensatz“-Thematik). Obwohl Teile dieser Einlagen vertraglich kurzfristiger Natur sein können, kann aufgrund der Stickyness der Kundeneinlagen davon ausgegangen werden, dass sie der Bank langfristig zur Verfügung stehen. Wie bereits dargestellt, ist die Fristigkeit der Handelsgeschäfte in der Regel kurzfristiger Natur, und die Banken haben, wie vorher festgestellt, Liquidität zur Verfügung mit langer Verweildauer zu niedrigen Kosten. Unter Benutzung der Kundeneinlagen zur Refinanzierung dieser kurzfristigen Handelspositionen wird formal eine Laufzeitenkongruenz zwischen Anlage und Refinanzierung kreiert, so dass faktisch daraus kein Liquiditätsrisiko entstanden ist. Unter normalen Geschäftsbedingungen hat dies sogar einen positiven Effekt auf die Liquiditätslage der Bank, da aufgrund der langen Verweildauer der Kundeneinlagen kurzfristige Handelsbestände mit relativ längerfristigen Verbindlichkeiten finanziert werden. All dies ist gültig unter der Voraussetzung, dass die Reputation der Banken unzweifelhaft ist/bleibt, weil damit ein Run auf die Institute (fast gänzlich) auszuschließen ist. d) Außerdem sind die Kosten für derartiges Fremdkapital, das auf diesem Wege den Handelsbestand einer Bank (re)finanziert, sehr niedrig, wenn sie bankintern ausschließlich auf der Basis der Zinskosten für die Kundeneinlagen berechnet werden.191 Unter diesen Gegebenheiten ergibt sich für Banken eine gute Konstellation, um profitables Handelsgeschäft zu betreiben; immer unter der Voraussetzung, dass „das Geld anderer“ weiterhin uneingeschränkt in zeitlicher wie auch in betraglicher Hinsicht zur Verfügung steht.
191
Ist als simplifizierende Annahme zu verstehen, um den Punkt zu machen, dass Liquiditätskosten direkt den Gewinn aus Handelstransaktionen beeinflussen.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 137
Das „Geld anderer Leute“, das im Universalbankensystem zu günstig(st)en Konditionen bezüglich Laufzeit und Preis den Banken in großen Beträgen aus Retail- als auch Wholesale-Quellen192 zur Verfügung gestellt wird, gibt den Banken die Liquidität, Handelsbestände in einer Größenordnung zu finanzieren, die zum einen ihre Kapitalbasis ohne besagte Kundeneinlagen nicht erlauben würde. Zum anderen gestattet ihnen eine Mischkalkulation aller Einlagenkosten, den Break-even-Punkt für ihre Handelstransaktionen positiv zu beeinflussen, weil tendenziell Retail-Depositen kostensenkend auf die Refinanzierungskosten der Banken wirken. Wenn zusätzlich eine Geldschwemme („savings glut“) auftritt, so wie in den letzten Jahren durch den globalen Wirtschaftsboom, sich also den Banken damit eine fast unversiegbare Quelle für Kreditaufnahmen auftut, wobei der Preis von WholesaleDepositen sinkt, dann steht den Händlern ein (fast) unermesslicher Betrag von „Geldern anderer Leute“ für spekulative Zwecke zur Verfügung. Dieser im Universalbankensystem beider Perioden beobachtbare Liquiditätszufluss bei den von Investment-Bankern bzw. „konvertierten“ Commercial-Bankern geführten Großbanken, hat zur Folge gehabt, dass das traditionelle Kreditgeschäft, das bis dato deren wesentliche Ertragsquelle darstellte, vernachlässigt wurde. Die den Banken zugewiesenen volkswirtschaftlichen Transformationsfunktionen bezüglich Fristen, Losgröße und Risiko, wurde eine weitere auf Maximalgewinn ausgerichtete Funktion vorangestellt, und zwar der (kurzfristige) Eigenhandel unter Benutzung der angesammelten Liquidität ihrer Kunden. Den Proprietary Trading Desks der Großbanken wurden Liquiditäts- und Risikolimite193 zugewiesen zu günstigen internen Verrechnungspreisen, um Gewinne im Handelsgeschäft mit Finanztiteln und anderen Anlagemöglichkeiten zu erzielen. All das hat zu erhöhter Risikobereitschaft der Banken geführt und somit der Bereitschaft, immer höhere Handelsbestände mit höherer Risikobehaftung zwecks Profitsteigerung einzugehen. Doch die Annahme ist nicht unberechtigt, dass für Investment-Banker in den Führungspositionen der Universalbanken die Handelsbestands- und somit Risikoerhöhung, die mit der Liquidität aus Kundeneinlagen finanziert wurde, „manageable“ erschien, weil
192
193
Siehe FDIC: Risk Management Manual of Examination Policies; Section 6.1 – Liquidity and Funds Management; Funding Sources: Liabilities, S. 8 ff. Siehe unten, Gesamtbanksteuerung, Duales Steuerungsmodell, S. 183.
138 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
sie in beiden Zeitperioden des Bestehens des Universalbankensystems davon überzeugt waren, dass im Handelsgeschäft Risiken minimiert, eventuell sogar eliminiert sind aufgrund der Kurzfristigkeit der eingegangenen Transaktionen; sie den Glauben hatten, dass sie stets am Markt kurzfristig Risiken (sprich: angehäufte Handelsbestände) abwälzen können, aufgrund ihrer Anstrengungen, den Käufermarkt zu kontrollieren; vor der gegenwärtigen Bankenkrise die existierenden Einlagensicherungen einen Run auf die Banken ausschließen würden sowie die „too big to fail“-Mentalität unter dem Bankenpublikum in Bezug auf die Großbanken wieder existierte, die den Abzug von billigen Kundendepositen ausschließt. Das Vertrauen in den Staat, wie oben geschildert, demonstriert durch Erhöhung der Einlagensicherungsbeträge und die Gewährung von Bail-out-Geldern für die Bankenindustrie bestätigte sich mit der Konsequenz, dass die Banken weiterhin mit dem „Geld anderer Leute“, und zwar Kundeneinlagen und Steuergeldern ihre Handelsgeschäfte finanzieren können. Für die Zukunft ist also nicht anzunehmen, dass Banken freiwillig und aus eigenen Motiven heraus die internen Cost of Funds für ihre Handelsaktivitäten drastisch erhöhen werden, was einhergehen würde mit einer Risikoreduzierung ihrer Geschäftstätigkeit, weil mit politischer Unterstützung des bestehenden Systems zu rechnen ist. Warum also mit unnütz hohen internen Verrechnungskosten arbeiten, die Transaktionsvolumen und somit Profite einschränken würden, wenn man auf den Staat als „lender of last resort“ vertrauen kann. Der Moral-Hazard-Gedanke hat seine Bestätigung gefunden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die von Brandeis identifizierten Motivationen der Investment-Banker, die von ihm als fragwürdig bzw. schädlich für die Gesamtwirtschaft eingestuft wurden und schließlich ein gewichtiger Grund waren, den Bankern durch den Erlass von GSA Einhalt zu gebieten, in der Periode nach Wiedereinführung des Universalbankensystems wiederzuerkennen sind. Die Produkte und Kundenkreise, die Banker in der jüngeren Zeit benutzten, zielten ohne Zweifel wieder darauf ab, Kontrolle über Schuldner, Investoren und das „Geld anderer“ zu gewinnen, um Maximalprofitabilität und somit Höchstkompensation für sich selbst zu erzielen.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 139
3.4 Vergütungsfragen Schließlich muss die Kompensationsthematik der Investment-Banker, die sich – damals wie heute –einer exorbitant hohen Entlohnung ihrer Dienste erfreuten, einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Denn seit Ausbruch der gegenwärtig noch immer anhaltenden Bankenkrise wird in Politik, Wirtschaft und vielen Sparten der Wissenschaft wie VWL, BWL, Sozialwissenschaften etc. darüber diskutiert, ob und wenn ja, was für einen Anteil Vergütungen für Banker in Form von Gehältern, Bonussen und anderen monetären und nichtmonetären Kompensationen an der Krise hatten, vielleicht sogar eine Hauptursache dafür waren; wie in der Zukunft die Bezahlung von Bankern aussehen sollte, um eventuell herausgeschälte Interdependenzen zwischen der o. g. Vergütungsthematik und der Krise in Zukunft zu verhindern; ob die Politik tätig werden muss durch Gesetzeserlässe und/oder bankaufsichtliche Regelungen oder die Privatwirtschaft eine eigene Lösung findet, die einerseits Fehlentwicklungen im Investment-Banking weitestmöglich ausschließt (wie z. B. die Bereitschaft, überhöhte Risiken einzugehen in der Hoffnung, bei positivem Marktverlauf reich entlohnt zu werden) und andererseits die Frustration der breiten Bevölkerung über die astronomisch hohen Bonuszahlungen adressiert. Die Publikationen, Interviews und Reden über diesen von der Öffentlichkeit als Missstand erachteten Tatbestand sprechen immer wieder gerade den Zusammenhang von ungebändigter Risikobereitschaft der Banker und dem Streben nach Bonuszahlungen an, die in ihrer Höhe keine/kaum Vergleiche in anderen Industrien finden. Die Politik führt des Weiteren an, dass die eingegangenen Risiken bei Misserfolg dem Steuerzahler untergeschoben werden, der Investment-Banker also den von ihm verschuldeten Schaden bei „jemand anderem“ ablädt unter (eventuellem) Verlust seiner Stelle. Diese letztgenannte Situation wirft ein weiteres Vergütungsthema auf, und zwar die Zahlung von horrenden Summen bei der Auflösung von Arbeitsverträgen, obwohl die Trennung vom Mitarbeiter mit den entstandenen Verlusten der Bank ihre Begründung hat, so dass nicht einmal der Verlust der Arbeitsstelle als eine „Form der Bestrafung“ für die verursachten Schäden anzusehen ist. Etliche, (fast) gleichlautende Vorschläge zu dem Thema beinhalten die Idee, Bonuszahlungen vom langfristigen Erfolg der Bank abhängig zu machen.194 Dieses 194
Sowie Maßnahmen einzuführen, wie z. B. Aktionärsmitspracherecht, um die Abfindungszahlungen abzuschaffen, zumindest aber bei geschäftlichem Versagen des Management/der Mitarbeiter einzuschränken.
140 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Argument schließt meiner Meinung nach ein grundsätzlich existierendes Postulat aus, und zwar die sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft akzeptierte Definition der Funktion des Investment-Bankers und des Commercial-Bankers und die Art und Weise, wie die Arbeit der beiden unterschiedlichen Berufsstände im US-Bankwesen vergütet worden ist. So hat Louis Brandeis195 in seinem unten genannten, 1934 erschienenen Buch die Funktion des Investment-Bankers wie folgt definiert: “The original function of the Investment banker was that of dealer in bonds, stocks and notes; buying mainly at wholesale from corporations, municipalities, states and governments which need money, and selling to those seeking investments. The banker performs, in this respect, the function of a merchant; and the function is a very useful one … Corporations require the aid of a banker-middleman … Investors in corporate securities, also, require the services of a banker-middleman … the services of the Investment banker were in great demand, and his powers and profits increased accordingly”.
Für die Funktionsdefinition des Commercial-Bankers sei Norman Hapgood196 wie folgt zitiert: “The business of the Commercial banker is the proper taking of risks. He requires careful judgment, but he must take risks, and be paid for it. The business of a savings bank is, as far as is within human power, to take no risks at all.”
Es ist anzumerken, dass bereits in den Zeitperioden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in der die USA ein Universalbankensystem betrieben haben (die Periode des sogenannten Money Trust), die Diskussion über den von Bankern angehäuften persönlichen Reichtum sehr kontrovers geführt wurde, was wesentlich dazu beitrug, dass eben jenes Universalbankensystem letztendlich mit der Einführung von GSA ihr (vorläufiges) Ende fand. Brandeis197 macht darauf aufmerksam, dass zum Beispiel der Reichtum des Bankers J. P. Morgan zu seiner Zeit sprichwörtlich war, ohne dass genaue Zahlen vorlagen, obwohl der US-Kongress Anhörungen zu den Thema abhielt. Die Kommission, die sich hiermit befasste, stellte fest, dass außerordentlich hohe Underwriting Fees und andere Gebühren von den Investment-Bankern durchsetzbar waren, weil der Markt fast keinem Wettbewerb ausgesetzt war. Ferner misst Brandeis den von InvestmentBankern angehäuften Reichtum an den von ihnen getätigten Aufkäufen von Banken,
195 196 197
Siehe Louis D. Brandeis, S. 5 ff. Siehe Norman Hapgood, S. xxxvii. Siehe Louis D. Brandeis, S. 20 und 63.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 141
Versicherungen und anderen Unternehmen in geldlichen Größenordnungen, die (fast) niemand anders zu seiner Zeit aufbringen konnte. Zweifellos erweckte dieser Reichtum den Unwillen der Bevölkerung, so dass die Politiker aktiv wurden, was schließlich mit dazu beitrug, dass Gesetze erlassen wurden zur Einführung des Trennbankensystems. Keine zehn Jahre nach der Aufhebung von GSA im Jahre 1999 – und dieser Tatbestand ist meines Erachtens nach von Bedeutung – erfährt die Welt eine Bankenkrise, die annähernd vergleichbar ist mit der von 1933, und viele Menschen vertreten wiederum vehement die Meinung, dass in ihren Augen die Bezahlung der Investment-Banker zu hoch ist und außerdem ein verursachender Grund der gegenwärtigen Bankenkrise ist. In diesem Zusammenhang sei nochmals festgehalten, dass in beiden genannten Zeitperioden das Investment- und das Commercial-Banking in einem Universalbankensystem integriert war/ist, was eine bemerkenswerte Parallele beider Zeitperioden darstellt. Die folgende Abbildung 31198 zeigt den Anstieg der Bonuszahlungen an Wall Street nach der Aufhebung von GSA auf im Vergleich zu den moderaten Vergütungszahlen zuvor:
198
Quelle: Office of the State Comptroller, Feb.23, 2010
142 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Wall Steet Bonuses 40
250,000
35
USD Billion
25
150,000
20 100,000
15 10
USD000
200,000
30
50,000
5 -
19 19 85 19 86 19 87 19 88 19 89 19 90 19 91 9 19 2 19 93 19 94 19 95 19 96 19 97 19 98 20 99 20 00 0 20 1 20 02 20 03 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 09
0
Years Bonus $bil
Average $000
Abbildung 31: Wall-Street-Bonuszahlungen 1985-2009 Das Schaubild 31 stellt die ausgezahlten Bonusbeträge pro Jahr und den Durchschnittsbonus pro Mitarbeiter für die Zeitperiode von 1985 bis 2009 dar. Der fulminante Anstieg während des Untersuchungszeitraumes (2002 bis 2007) sticht heraus; der gezahlte durchschnittliche Bonusbetrag verdreifachte sich fast von USD 60.900 auf USD 177.830, und die Bonuspools der Banken insgesamt stiegen von USD 9,8 Milliarden in 2002 auf USD 33 Milliarden. Nach, verglichen mit diesen Beträgen, moderaten Zahlungen in den 1980er Jahren ist ein erstes Ansteigen in den frühen 1990er Jahren zu erkennen. Dies geht einher mit der den Commercial-Banken erteilten Genehmigung, in das Wertpapiergeschäft und somit in das InvestmentBanking einzutreten (Section 20-Subsidiary-Rule).
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 143
Während des 60-jährigen Bestandes des Trennbankensystems in den USA haben Investment-Banker sicherlich auch nicht schlecht verdient, wenn sie geschäftlichen Erfolg hatten, ohne dass von öffentlichen Angriffen auf deren Vergütung zu berichten ist, die vergleichbar sind mit dem gegenwärtigen wie auch dem zu Money-TrustZeiten erfolgten öffentlichen Aufschrei gegen die (Über-)Bezahlung von InvestmentBankern. Robert Skidelsky199 argumentiert im Zusammenhang mit seinen Gedanken über Keynes’ Verständnis von Gerechtigkeit und Fairness im Leben schlechthin und im Wirtschaftsleben im Besonderen, dass sich zumeist öffentliches Ärgernis gegen Vergütungen richtet für etwas, was Schaden bringt: “…bankers who bankrupt their institutions, business executives whose ‘restructuring’ schemes involve sacking large numbers of workers.”
Es ist also nicht der Tatbestand der hohen Vergütungszahlungen, der das Unverständnis und die damit einhergehende Wut der Öffentlichkeit hervorruft, sondern die Ungerechtigkeit, dass im Falle der beiden Bankenkrisen Aktivitäten eben dieser Banker belohnt worden sind, obwohl sie der Gesamtbevölkerung letztendlich (schwer) geschadet haben. Dieser Frage sollte nachgegangen werden, um mit mehr Wissenstiefe an die Problemlösung der Bonuszahlungen heranzugehen, weil damals wie heute die Vergütung der Investment-Banker Stein des Anstoßes für die Öffentlichkeit ist, die unter den zum Teil verheerenden Folgen dieser Krisen zu leiden hatte/hat. Aus dieser Frustration heraus könnten Schlüsse und auch Konsequenzen gezogen werden, die sich eventuell später als falsch verordnete Regularien zur Bonuszahlungsthematik herausstellen, weil sie das „wahre Übel“ nicht adressiert haben. Wenn die Bezahlung von Investment-Bankern kritisiert wird hinsichtlich ihrer Höhe, weil sie möglicherweise manipuliert worden ist durch das Eingehen überhöhter und somit unakzeptabler Risiken, so könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass die Funktion, die der Investment-Banker ausübt, das dargestellte Problem begründet. Daher ist es notwendig, eben diese Funktion näher zu untersuchen. Der Berufsstand des Investment-Bankers wurde von Brandeis (wie oben bereits ausgeführt) als eine „Händlerfunktion“ („function of a merchant“) definiert, die er
199
Siehe Robert Skidelsky; Keynes – The Return of the Master –, S. 147 ff., 2009.
144 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
als Prinzipal und nicht als Agent ausübt. Skidelsky200 beschreibt diese Tätigkeit wie folgt: “They (the traders) are not interested in holding correctly priced risks, only in selling them on as quickly and frequently as possible. The thing to avoid is to be left holding these securities when the music stops”.
Seine Entlohnung ist also der Gewinn, den er durch den Kauf und Verkauf von Wertpapieren im eigenen Namen erzielt. Er finanziert Handelsbestände auf kurzfristiger Basis, die zwecks Kundenbedienung vorgehalten werden müssen, da ein möglichst umgehender Weiterverkauf derselben an Investoren stattfinden soll. Dies ist das Geschäftsmodell, das der Merchant betreibt. In der Kurzfristigkeit einer jeden Transaktion (vom Ankauf bis zum Verkauf der Papiere) liegt das Bestreben des Händlers. Das unterscheidet ihn vom Broker, der als Agent auf Kommissionsbasis arbeitet. Jedoch muss an dieser Stelle eingebracht werden, dass sich Brandeis einer engen Auslegung der Funktion des Investment-Bankers verschrieben hat, was sicherlich den größten Teil der Betätigung des Berufsstandes zu seiner Zeit erklärte; und zwar die Händlertätigkeit. Doch bereits damals ist aus seinen Schriften zu entnehmen, dass die Investment-Banker weiteren Geschäften (über die Händlertätigkeit hinaus) nachgingen. Im Berufsjargon werden sie Banker genannt. Sie waren diejenigen, die M&A-Transaktionen erdachten und ausführten. Ihre Motivation dafür konnte vielfältiger Art sein: mehr Wertpapierhandelsumsätze zu „produzieren“, sich an verschmolzenen Firmen zu beteiligen, bereits eingegangene Firmenbeteiligungen zu schützen etc. Ferner erläuterte Hapgood201 an mehreren Stellen seines Vorwortes zum Buch von Brandeis, dass Investment-Banker Reorganisationen von Bankrott gegangenen Unternehmen als ihre Domäne beanspruchten. Dabei verwendete er nicht die sanftesten Worte, um diese Tätigkeit zu beschreiben: “… in this period of mergers and reorganizations, a great many of our banks have stood like harpies, watching until a client shows signs of illness, and then rushing in to force him into liquidation, into bankruptcy. The bank then takes a hand in reorganizing the concern, makes a profit out of the reorganization and puts some of its men on the new directorate.”
200
201
Siehe Robert Skidelsky, S. 45; des Weiteren kritisiert er als Keynes-Anhänger die Aussage, die Annahme eines effizienten Marketes der sogenannten Freshwater Economists, mit der Aussage, dass er keinen Händler kennt, der an so etwas wie den effizienten Markt glaubt, in dem Risiken korrekt gepricet werden. Dem kann ich mich nur anschließen aufgrund meiner mehr als 30- jährigen Praxiserfahrung im Umgang mit Händlern. Siehe Norman Hapgood, S. xxx.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 145
Diese Betätigungsfelder haben bis heute nicht an Bedeutung für die Investment-Banken verloren. Im Gegenteil: Sie werden von ihren Bankern betrieben und sind darauf ausgerichtet, Provisionsertrag (sowie zu damaligen Zeiten Beteiligungsgewinne) zu erzielen. Sicherlich ist es notwendig hinzuzufügen, dass die Tätigkeit des Proprietary Tradings in vorher nicht gekannten Ausmaßen gerade in den Jahren nach der GSAAufhebung von den Instituten aufgenommen wurde. Diese Aktivitäten benennt Goldman Sachs „Principal Investments“ und Morgan Stanley „Principal Transaction-Trading“. Beispiel: Goldman-Sachs-Geschäftssegmente An dieser Stelle erscheint es angebracht, am Beispiel der wohl gegenwärtig bedeutendsten Investment-Bank, Goldman Sachs (GS), aufzuzeigen, welche Geschäftsfelder das Institut „beackert“ sowie die Komposition ihres Einnahmenstromes und ihrer Profite. GS ist damit richtungsweisend im Investment-Banking. Vorwegzunehmen ist bereits jetzt, dass das Händlergeschäft nach wie vor klar dominiert und die anderen Segmente mehr oder weniger als Beiwerk bezeichnet werden können. Es ist ein Beleg dafür, dass Brandeis’ Aussage bezüglich der „merchant function“ von Investment-Banken als deren herausragende Geschäftstätigkeit unverändert gilt. Trading ist Investment-Banking schlechthin. GS202 fungiert in drei Geschäftssparten (Rangfolge nach: 2009 „net revenues“): 1. Trading und Principal Investments
USD 34,4 Mrd.
2. Asset Management und Securities Services
USD 6,0 Mrd.
3. Investment-Banking
202 203
203
USD 4,8 Mrd.
Siehe Goldman Sachs, Geschäftsbericht 2009, S. 30. Siehe Goldman Sachs, S. 53: Zwei Komponenten des Investmentbankingsegmentes, und zwar Financial Advisory in M&A, Divestitures, Corporate Defense Activities, Restructuring, Spin-offs und Underwriting of Private Placements, Public Offerings of Securities and other Financial Instruments, weisen o. g. „fee“-Aufkommen aus.
146 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
GS - Segment Revenues 40,000 35,000
USD Mrd.
30,000 25,000 20,000 15,000 10,000 5,000 2009
2008
I-B Net Revenue
2007
Trading-Net Revenue
2006
2005
Asset Mgmt-Net Revenue
Abbildung 32: Goldman Sachs; Business Segment Revenues GS - Segment Operating Expenses
USD Mrd.
20,000 15,000 10,000 5,000 2009
2008 I-Banking "
Trading
2007 Asset Mgmt
Abbildung 33: Goldman Sachs; Operating Expenses per Business Segments
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 147
Wiederum ist festzustellen, dass auch die Funktion des Bankers bestimmt wird durch die Kurzfristigkeit seiner Geschäfte. So wird zum Beispiel eine M&A-Transaktion in einem relativ kurzen Zeitraum abgewickelt, die Gebührenzahlung eingenommen und der Banker weiß kurzfristig, was sein Gewinn ist. Somit rechtfertigt auch die Banker-Funktion nicht, Bonuszahlungen vom Langfristerfolg der Bank abhängig zu machen. Wohingegen der Commercial-Banker als Risk Taker längerfristiger Kreditrisiken in Erscheinung tritt, was seine Rolle definiert. Durch die Übernahme von eben diesen Kreditrisiken übt er die Transformationsfunktionen aus, die für eine Volkswirtschaft unabdingbar sind, also das Einsammeln von (Spar-)Geldern und deren Ausleihung im eigenen Namen an Kreditnachfrager zur Finanzierung von mittel- und langfristigeren Investitionen. Diese Unterscheidung der beiden Berufe verdeutlicht, dass der Händler und der Banker, i. e. die Investment-Banker, ein kurzfristiges Geschäft betreiben, die Commercial-Banker auf der anderen Seite längerfristig mit ihrem Kapital im Risiko stehen. Die Erstgenannten können demnach in (relativ) kurzem Zeitraum feststellen, ob sie einen Gewinn oder Verlust mit ihren Geschäften produziert haben, und zwar bei jedem Umschlag ihrer Wertpapierpositionen, der grundsätzlich unter 90 Tagen liegen sollte, bzw. bei Abschluss ihrer (Beratungs-)Mandate. Die typische Investment-Bank hält daher üblicherweise nur sehr geringe Beträge an Langfristkapital vor, das entsprechenden Risiken ausgesetzt ist. Betrachtet man diesen Aspekt der Tätigkeit des Investment-Bankers, nämlich die Kurzfristigkeit seines Geschäfts, stellt sich berechtigterweise die Frage, warum insbesondere Politiker die Bezahlung der Investment-Banker von dem Langfristerfolg des Handelshauses, i. e. der Investment-Bank abhängig machen wollen, als ob sie hoffen, dass dadurch die in Frage gestellten ausufernden Bonuszahlungen durch eventuell auftretende Verluste in Folgejahren nivelliert/hinfällig werden und dadurch die Öffentlichkeit „beruhigt“ werden kann. Dies scheint ein Ansatz zu sein, der grundsätzlich auf die Entlohnung von Commercial-Bankern Anwendung finden sollte/müsste, die für lange Zeit im Ungewissen schweben, ob ihre Kreditbeurteilung eines Schuldners richtig war, so dass sie das von der Bank ausgeliehene Geld einschließlich Zinsen zurückgezahlt bekommen. Nur dann, so kann argumentiert werden, ist festzustellen, ob die Bank erfolgreich war, was die Basis für Bonuszahlungen sein sollte, folgt man der von Politikern erdachten Vorlage über die Vergütung von Bankern nach Langzeiterfolg.
148 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
Wenn also aus den Funktionen der Investment-Banker nicht abzuleiten ist, dass Bonuszahlungen vom langfristigen Erfolg ihrer Tätigkeit abhängig gemacht werden sollten, da – wie oben dargestellt – der Kern des Geschäftsmodells der InvestmentBank die (relative) Kurzfristigkeit ihrer Transaktionen ist, also Gewinne und Verluste schnell realisiert werden, wohingegen der Commercial-Banker funktional langfristige(re) Risiken eingeht, deren Ausgang erst nach Jahren bei Rückzahlung der Schuld inklusive Zinsen bekannt ist, dann widerspricht der Lösungsvorschlag zur Investment-Banker-Vergütung jeglicher Logik und adressiert nicht die Problemstellung. Daher sollte die andere, vorher genannte Beobachtung einer tieferen Würdigung unterzogen werden, dass nämlich die Diskussion über die Vergütung von InvestmentBankern immer dann hochkocht, wenn sich die USA dem Universalbankensystem verschreiben. Oder anders ausgedrückt, dass das Universalbankensystem die Ursache für horrend ausufernde Vergütungen im Bankwesen ist. Es macht die funktionale Unterscheidung der verschiedenen Bankertypen, so wie oben beschrieben, hinfällig. Nicht die Tätigkeit des Bankers ist die Basis seiner Bezahlung, sondern das „Bankensystem“, in dem er tätig ist. Wäre dies der Fall, dann liegt das praktizierte Universalbankensystem der stark kritisierten (Über-)Bezahlung der Banker zugrunde und nicht die Funktion des Investment-Bankers. Dies wird u. a. auch deutlich bei der Betrachtung der Abbildung 31, die aufzeigt, dass die Bonuszahlungen an Banker postum mit der Aufhebung des Trennbankensystems exorbitant angestiegen sind nach einer Periode relativ gleichbleibender Vergütungshöhe in den 1980er Jahren. Der graduelle Anstieg in den 1990er Jahren ist mit der damals begonnenen Verwässerung von GSA durch Einführung/Ausweitung des Section-20-Mandates in den USA zu erklären, wodurch es den Commercial-Banken erstmals wieder erlaubt wurde, Investment-BankingGeschäfte zu betreiben (u. a. mit Beteiligung an Anleiheemissionen etc.). Zur Erinnerung sei hier noch einmal erwähnt, dass in der Zeit des Money Trust, als Universalbanken in den USA existierten, der Argwohn über den Wohlstand der (Investment-)Banker derart hohe Wellen schlug, dass Kongressausschüsse berieten, wie dem Einhalt geboten werden konnte. Die Parallelen der beiden Zeitperioden sind bemerkenswert, wenn gegenwärtig Politikergipfel über die gleiche Thematik abgehalten werden. Der US-Gesetzesgeber entschied damals, eine Systemveränderung im Bankwesen vorzunehmen. Mit die Einführung von GSA wurde der Money Trust abgeschafft, um u. a. der ungerechtfertigten Reichtumsanhäufung der Investment-Banker Einhalt zu gebieten. Ungerechtfertigt deswegen, weil deren Geschäfte mit dem „Geld anderer“
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 149
gemacht wurden und die Motivation der Banker war, Kontrolle über die Marktteilnehmer auszuüben204, so dass die Bereitschaft, unbillige Risiken einzugehen, mehr oder weniger für sie ohne Konsequenzen war, wenn Verluste auftraten. Die Investment-Banker nahmen eine Machtposition ein, die ihnen in keiner Weise zustand und zum Schaden der Allgemeinheit war. Und der Schaden der damaligen Bankenkrise war riesig, was eine derart drastische Systemveränderung als notwendig erscheinen lässt. Das US-Bankwesen gedieh unter GSA sehr wohl205, was rückblickend den Erfolg dieser Gesetzgebung als auch des Securities Acts of 1933/34, die für das InvestmentBanking galten, bestätigt. Wie eingangs bereits erwähnt, war zu Zeiten des Trennbankensystems die Vergütung von Investment-Bankern kein aufregendes Thema mehr für die Öffentlichkeit und damit auch nicht für die Politiker, obwohl diese nach wie vor überdurchschnittlich entlohnt wurden. Offenkundig war, um mit Keynes zu sprechen, dass der „just price“206 von den Investment-Bankern für ihre Dienste erhoben wurde. Anders ausgedrückt, das Risk-to-Reward-Verhältnis stimmte in den Augen der Öffentlichkeit. Die eingeführte SEC-Aufsicht nach der Bankenkrise von 1933 ließ den Eindruck erwecken, dass damit eine Institution errichtet worden war, die Kontrolle über die Risiken im Investment-Banking ausübte, um „Unfälle“ zu vermeiden. Der SEC kam bei ihrer Aufgabe zugute, dass Investment-Banken in ihrer Haupteigenschaft das Handelsgeschäft betrieben und sie in dieser Funktion, wie bereits oben mehrfach erläutert, kurzfristige Geschäfte tätigten, sei es als Prinzipal für die eigene Rechnung oder als Agent im Brokergeschäft. Investment-Banken wurden damals in der Regel als Partnerschaften geführt, was die Eigenkapitalausstattung und die Wachstumsmöglichkeiten dieser Institute beeinflusste. Es war also das Vermögen der Partner, das in der Unternehmung verwendet wurde. Die Nähe zum Geschäft der auf diese Weise eingebundenen Eigentümer hatte zweifelsfrei eine risikoregulierende Wirkung auf die Geschäftsgebaren der typischen Investment-Bank. Je kürzer die Transaktionsdauer der Deals, desto geringer war das darin zu akzeptierende Risiko; Missmanagement konnte verheerende persönliche Konsequenzen für die Partner haben bis hin zum Verlust ihres Vermögens.
204 205 206
Siehe Abschnitt 3.1.2: Die Motivation des Investmentbankers, S. 97 ff. Siehe Abschnitt 2.3: Zeitperiode des US-Trennbankensystems, S. 60 ff. Siehe Robert Skidelsy, S. 147.
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Wenn auch die nach wie vor hohen Vergütungen von Investment-Bankern in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr angeprangert wurden wie im frühen 20. Jahrhundert, so hatten sie damals wie heute doch Auswirkungen auf die Welt des Commercial-Bankings. Diesen Zusammenhang hat Brandeis207 unter der Überschrift „WHY THE BANKS BECAME INVESTMENT BANKERS“ erläutert. Er stellt fest, dass durch die großen Gewinne, die die Investment-Banker mit Handels- und Provisionsgeschäften erzielten und dafür die Einlagen von CommercialBanken und Trust-Unternehmen benutzten, die unter ihrer Kontrolle standen (= Universalbank geleitet von Investment-Banker), die zu dieser Zeit führenden Kreditinstitute der USA ihr Geschäftsmodell auf revolutionäre Art veränderten. Die Commercial-Banken wollten Investment-Banker sein, um an deren hochprofitablen Geschäften teilhaben zu können, und nicht nur die „Zulieferer“ von Kapital sein. Die Frage, wie sie Brandeis stellte, war sicherlich berechtigt: “Why should not they themselves208 become investment bankers, too, with all the new functions incident to ‘Big Business’?”
Die Folge daraus war, dass Banken von ihrem „rechtmäßig zugewiesenen Feld“ des Bankgeschäfts Abschied nahmen, nämlich der temporären Kreditvergabe an Unternehmungen. Der Invasion der Investment-Banker in das Geschäftsbanking folgte somit die Gegeninvasion der Commercial-Banker ins Investment-Banking. Die Triebfeder dafür war die hohe Bezahlung der Investment-Banker, die auf der hohen Profitabilität ihrer Geschäftstätigkeiten bei niedrigem (Eigen-)Kapitaleinsatz beruhte. Derartige Motivation kann den Bankern, die über viele Jahre mit Nachdruck auf die Abschaffung von GSA hinwirkten und dabei die Laissez-faire-Attitüden der Politiker der 1970er und folgender Jahre voll ausnutzten, um ihre Ziele zu erreichen, nicht abgesprochen werden. Letztendlich ist es das Streben nach Geld und Wohlstand, das in einer kapitalistischen Gesellschaft den Anreiz für Leistung darstellt. Die Fragestellung ergibt sich nun, ob nach all dem vorher Gesagten, auch in der PostGSA-Periode, also dem Zeitraum, der der gegenwärtigen Bankenkrise vorausging, die gleichen oder zumindest ähnliche (Universalbanken-)Systemfehler auftraten wie zu Zeiten des Money Trust.
207 208
Siehe Louis D. Brandeis, S. 18. Gemeint sind hier „banks and trusts“.
3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA 151
Dies ist mit Ja zu beantworten, weil Universalbanken 1. wiederum i. d. R. von Investment-Bankern geleitet wurden respektive von zum Investment-Banking „konvertierten“ Commercial-Bankern. Hierdurch hat die Händlermentalität als dominierender Geschäftsansatz Einzug in die Führungsetagen der Großbanken gehalten; 2. den Zugriff zum „Geld anderer“ eben diesen Investment-Bankern verschafften aufgrund ihrer Geldsammelstellenfunktion; 3. dadurch Verfügung über vorhandene Liquidität zu niedrigsten Preisen hatten, die es ihnen ermöglichte, ihren Händlern das Funding zu gewähren für die Übernahme von Risiken, die tendenziell im Preis zu niedrig angesetzt waren, jedoch als profitable Transaktion verbucht wurden, weil die intern verrechneten Cost of Capital zu niedrig angesetzt wurden. Die Folge war, dass Wertpapierhandelsbestände stark ausgeweitet wurden mit Positionen in Asset Classes mit hohem/höherem Risiko, um die Gewinnmargen zu maximieren. Es ist also festzuhalten, dass 1. die Money-Trust- und die Post-GSA-Periode im Bankwesen die gleichen Vergütungssysteme für Banker hervorbrachten; 2. diese den gleichen negativen Effekt auf die Öffentlichkeit hatten, weil die Höhe der Bezahlung der Banker als unverdient angesehen wurde, denn sie richteten mit ihrem Handeln nach Meinung der Bevölkerung nur Schaden an, den andere zu (er)tragen hatten; 3. beide entstandenen Bankenkrisen zu einem Umdenken bei der Vergütungsfrage von Bankern (und hinsichtlich des gesamten Bankwesens) führten; 4. nach der Einführung von GSA im Jahre 1933 die Bezahlung von Bankern keinen Stein des Anstoßes mehr darstellte, das Trennbankensystem diese Thematik beendete, 5. im Trennbankensystem die Bezahlung gemäß Funktion der Banker offenkundig die richtige Vergütungsmethodik darstellte; 6. der Vergütungsansatz aufgrund des Langfristerfolgs der Bank das Problem nicht adressiert, weil dies konträr zu der für Universalbanken äußerst wichtigen, ihnen innewohnende Investment-Bankerfunktion laufen würde und dadurch Personalprobleme mit sich brächte;
152 3. LEKTIONEN FÜR DIE WIEDEREINFÜHRUNG DES UNIVERSALBANKENSYSTEMS IN DEN USA
7. Deferred-Compensation-Schemata in Form von delayed vesting of stock, eine in den letzten Jahren vielerorten verwendete Vergütungsart, keine Lösung darstellt, um zu vermeiden, dass Händler unbillige Risiken anhäufen, um ihre Bonuszahlungen zu erhöhen, also ihr Interesse an einer Langfristprofitabilität des Instituts erwecken sollen. Es gibt mittlerweile marktgängige Produkte, die dem Begünstigten derartiger Vergütungsmechanismen die Möglichkeit geben, seinen Aktienwert über Jahre im Voraus abzusichern. Ein Kursverfall der Bankaktie aufgrund von Handelsverlusten, seien sie von ihm verschuldet oder auch nicht, „bestrafen“ ihn also nicht für seine Aktion, der Bank überhöhte Risiken aufgebürdet zu haben. Auch die Bank steht dem mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber, denn bestenfalls kann sie aus dieser Situation noch profitieren, indem sie die zu verteilenden Aktien im Markt zu einem dann niedrigeren Preis einkauft als der, der bei der Bonusfestlegung benutzt wurde. Der „schlechteste Fall“ für die Bank wäre, wenn sie aufgrund der Austeilung der Aktien eine Kapitalerhöhung machen müsste zu dem dann existierenden Marktpreis, der (vielleicht) als zu niedrig angesehen werden könnte, letztendlich also die Anteilseigner die Rechnung für die hohe Risikofreude der Händler zu begleichen haben. 8. Der Lösungsvorschlag nach Abwägung der genannten Probleme mit der Bankervergütung209 kann nur lauten, dass die funktionale Trennung der beiden Professionen wieder eingeführt werden muss, um Ausuferungen zu entgegnen. Wenn Händlern nicht das „Geld anderer“ zu niedrigsten Kosten zur Verfügung steht, sondern eine Scarce Resource ist, die nur mit entsprechend hohen Kosten erhältlich ist (in Form von Preis und Sicherheitenstellung), dann wird damit die Risikofreude und -bereitschaft gebremst. Dem Management von Universalbanken unter der Leitung von Investment-Bankern muss auferlegt werden, stets, explizit gesagt auch in Zeiten, wenn der „Markt boomt“, die Cost of Capital intern adäquat dem Vorsichtsprinzip eines ordentlichen Bankers festzusetzen, d. h. unter der Annahme, dass die Refinanzierungskosten aufgrund von Stresssituationen im Markt exorbitant hoch sind. Das Eigeninteresse des Managements und die Investment-Bankermentalität einer solchen Führung stehen dem entgegen, daher kann nur eine bankaufsichtliche Regularie dem Abhilfe schaffen.
209
Siehe S. 142 ff. sowie Abbildung 31.
153
4. GLBA – eine unausgegorene gesetzliche Maßnahme der USA mit schwerwiegenden Folgen für die Weltwirtschaft 4.1 Unterlassungen bei der Wiedereinführung des Universalbankensystems Lektionen der Vergangenheit Die US-Finanzgeschichte lehrt, dass es zwei sich klar unterscheidende Berufsstände im Bankwesen gibt: den Commercial-Banker und den Investment-Banker. Die wesentlichen Merkmale sind: Investment-Banking Kurzfristige Handelstransaktionen Handel mit Marktrisiken Niedrigere Kapitalintensität Fokus: Provisionseinnahmen Hohe Profitabilität Weniger Regularien Innovativ Eigenhandel als Hauptgeschäftstätigkeit (Investorfunktion) Hohe Vergütungen Volkswirtschaftlicher Beitrag zweifelhaft
Commercial-Banking Längerfristiges Kreditgeschäft Kredit- und Marktrisikoakzeptanz Höhere Kapitalintensität Fokus: Zinseinnahmen Niedrigere Profitabilität, kostenbedingt (FDIC-Gebühren) Strenge Bankenaufsicht Weniger innovativ Kein Eigenhandel Niedrigere Vergütung Verantwortung für volkswirtschaftliche schaftliche Transformationsfunktionen
Die Erkenntnis und die hieraus abgeleitete Ansicht, dass die Verquickung beider Berufszweige in einem Universalbankensystem die Ursache der Bankenkrise des Jahres 1933 war, begründete die Einführung des Specialized Banking System in den USA durch den GSA. In den kontinentaleuropäisch domizilierten Kreditinstituten, deren Finanzwesen nicht der angelsächsischen Geschäftskultur entstammt und die
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4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
ebenfalls in einem Universalbankensystem agierten, spielte die Funktion des Investment-Bankers keine, bestenfalls eine sehr untergeordnete Rolle in deren geschäftlichen Aktivitäten. Erst in den 1980er Jahren, einhergehend mit der Internationalisierung des Bankwesens, das in beiden Sparten von US-Häusern dominiert wurde, entstand die Notwendigkeit für sie, sich ebenfalls im Investment-Banking zu betätigen, wollten sie nicht der amerikanischen Konkurrenz unterliegen. Erst dann begann der Prozess der Realisation, dass das Investment-Banking und die damit einhergehende Geschäftskultur und -strategie etwas Neues war, insbesondere für deutsche Kreditinstitute, was kurzfristig nicht aufbaubar war und somit „eingekauft“210 werden musste. Es war demnach in deutschen Kreditinstituten ein Geschäftszweig, der nicht „natürlich gewachsen“ ist. Investment- und Commercial-Banker sind in unterschiedlichen Geschäftsfunktionen und -modellen tätig und verkörpern eine sehr voneinander abweichende Berufskultur, und hier insbesondere die Vergütungsstrukturen zugunsten der Ersteren. Wie vorher dargestellt nimmt der Geschäftsbanker die Rolle des Risikonehmers an und erfüllt die Transformationsfunktionen in einer Marktwirtschaft. Die Funktion der Investment-Banker ist die des Händlers, der Risiken vermittelt bzw. weiterhandelt. An Zeitperioden festgemacht sind es generell gesprochen kurzfristige Transaktionen, die eingegangen werden, im Gegensatz zu den mittel- und langfristigen Geschäftsabschlüssen des Commercial-Bankers, die strengeren regulatorischen Auflagen hinsichtlich Eigenkapitalausstattung, Einlagensicherung und anderen bankaufsichtlichen Maßnahmen unterliegen. Der Kostenblock, der hierdurch von den Geschäftsbanken zu tragen ist, kann als Grund für die niedrigeren Gehälter angeführt werden, verglichen mit den von Investment-Banken gezahlten, die u. a. aufgrund des Nichtvorhandenseins dieser regulatorischen Belastungen profitabler arbeiten. Es verwundert nicht, dass aufgrund dieser Fakten der Commercial-Banker in einem Universalbankensystem den Ehrgeiz entwickelt, (mindestens) äquivalent zum Investment-Banker entlohnt zu werden, potenziell seine Risiken und seine Kosten zu verringern, indem das Handelsgeschäft, finanziert mit dem „Geld anderer“, sprich den versicherten Kundeneinlagen, dem Kreditgeschäft vorgezogen wird. Brandeis211 drückt es wie folgt aus:
210 211
Siehe oben Abschnitt 3.2.3: Exkurs: Die deutsche Bankenaufsicht, S. 112 (Breuer-Zitat). Siehe Louis D. Brandeis, Other People’s Money: And How The Bankers Use It, 1913, S. 18; Sein Zitat wird hier herangezogen aufgrund der Wichtigkeit der Aussage, die das Argument bestätigt, dass die Verquickung der zwei Berufsstände unerwünschte Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft mit sich führt.
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“To do so would involve a departure from the legitimate sphere of the banking business, which is the making of temporary loans to business concerns”.
Das Bestreben, (mehr) Geld zu verdienen bei gleichzeitiger Risikovermeidung/-begrenzung anstatt des Erwerbs und Haltens längerfristiger Kreditausleihungen, ist nachvollziehbar. Beim Durchdenken dieser Zusammenhänge hatte Brandeis schon damals den Weitblick, dass das Universalbankensystem die Wurzel des Börsenkrachs von 1929 und der darauffolgenden Bankenkrise sein wird. Er formulierte die Vorhersage bereits im Jahre 1913212: “Our financiers have imperiled the commercial bank by their speculation in securities. They have imperiled the saving bank by their loss of feeling for its true function. In reality it takes different classes of men for these different duties. A man who is in the business of taking risks is NOT the proper man to determine what investments are without risks.”
Unter kritischer Betrachtung der Zeitperiode nach der Aufhebung von GSA ist die Aussage zu rechtfertigen, dass keinerlei Gedanken und noch weniger Lehren aus der Vergangenheit des US-Bankensystems in die GLBA-Gesetzgebung eingeflossen sind. Die Geschehnisse, besonders der Wandel der Berufskultur der Banker und der angewandten Geschäftsmodelle, und zwar weg vom Commercial-Banking und hin zum Investment-Banking, dokumentiert in der Etablierung des O&D-Ansatzes, der Ausweitung des Interbankenhandels sowie das Proprietary Trading, gleichen denen der Money-Trust-Periode. Das Bestreben, mehr Geld zu verdienen seitens der Banker, ist Teil des menschlichen Verhaltens in einem auf Wettbewerb basierenden Wirtschaftssystem. Restrukturierung der Bankenaufsicht Werden oben die Versäumnisse des Gesetzgebers mit Blick auf das Berufsbild der Banker und deren geschäftliche wie auch private Zielsetzungen aufgezeigt, so ist ebenfalls feststellbar, dass anscheinend nicht einmal die vorher bestehende Gesetzeslage einer sorgfältigen Revision und darauffolgenden Anpassung bzw. Veränderung unterzogen wurde. Der Fall der unveränderten bankaufsichtlichen Verantwortungen ist hier vorrangig angesprochen. Bei der nachträglichen Betrachtung des US-Gesetzes, das den GSA ablöste, wird nunmehr erkennbar, dass der GLBA eine unzureichende organisatorische Struktur und einen mit Mängeln behafteten Inhalt aufwies. Als Grund dafür wurden zumindest zeitweise einige Argumente vorgebracht, die einen erheblichen Einfluss von Lobbyis212
Siehe Norman Hapgood., Seite xxxvii, September 1932
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4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
ten auf den Gesetzesgeber zum Thema hatten, um Pfründe für ihre Interessengruppen zu sichern. So war immer wieder zu lesen, dass eine Institution wie die FDIC auf keinen Fall ihre wichtige Position als Bankeinlagenversicherer unterminiert sehen wollte. Manche Stimmen waren sogar zu hören, die nach ihrer Abschaffung riefen. Ihr Argument war die Moral-Hazard-Gefahr, dass die Einlagenversicherung eine höhere Risikobereitschaft bei Bankern bewirken kann. Die beibehaltene Organisation der Bankenaufsicht, obwohl die Veränderung des Bankensystems als tiefgreifend angesehen werden muss, macht diesen Punkt sehr wohl deutlich. Obwohl mit der neu geschaffenen Rechtslage die Investment- und Commercial-Banken am Markt als Konkurrenten auftraten unterhalb des rechtlichen Gebildes einer sogenannten Financial Holding Company (FHC), behielten FDIC und OCC trotzdem die bankaufsichtliche Verantwortung für die Commercial-Banken und SEC und CFTC für die Investment-Banken. Zusätzlich wurde der Fed ein Mandat zur Überwachung der FHCs zugewiesen.
No Adjustment of Banking Rules and Regulations
Abbildung 34: US-amerikanische Bankenaufsicht; Quelle: Hartmann-Wendels etc.
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
157
Die Abbildung 34 verdeutlicht die beinahe verwirrende Aufsichtsstruktur aufgrund der Vielzahl der involvierten Parteien auf verschiedenen rechtlichen Unternehmensebenen und deren unterschiedlichen Funktionen, die eine Verantwortlichkeit für die erfolgreiche Überwachung des Universalbankensystems vermissen lässt. Bei der Betrachtung ist zu erwähnen, dass es eine Koordination der verschiedenen Aufsichtsbehörden nicht gab, obwohl erwartet wurde, dass die Fed eine derartige Funktion ausüben würde. Doch die einzelnen Interessengruppen, insbesondere FDIC und SEC, sahen darin eine mögliche Eingrenzung ihrer Befugnisse und standen daher einer Zusammenarbeit kontraproduktiv gegenüber. Ein weiterer Gesichtspunkt erhärtet diese Ansicht, und zwar unterscheidet sich der philosophische Ansatz der verantwortlichen Aufsichtsorgane, wie bereits vorher geschildert213, doch recht gravierend. FDIC und OCC verkörpern einen „direkten“ Kontrollstil durch Prüfungen der Banken vor Ort und festgeschriebene, verpflichtende Vorschriften und veröffentlichte Regeln, die für das Commercial-Banking allumfassend Gültigkeit haben, wohingegen die SEC auf „indirektem“ Wege ihre Beaufsichtigung der Investment-Banken unter Benutzung von sogenannten Self Regulating Organizations (SRO) abwickelt, die wiederum der Weisungsbefugnis der SEC unterliegen. Die Fed, die ihre Aufgaben definiert bekam mit der Inflationsbekämpfung und dem Ziel der Erreichung von Vollbeschäftigung, so kann rückblickend konstatiert werden, nahm die zusätzlich übertragene Aufsichtspflicht der FHCs nur unzureichend an. Wie anders ist das Ausufern der gegenwärtigen Finanzkrise sonst zu erklären?
4.2 Das unterschiedliche Regelwerk zur Leverage-Begrenzung der US-Banken Eines der Hauptprobleme, wenn nicht sogar das Problem schlechthin, das der oben dargestellte Zustand der unveränderten Bankenaufsichtsstruktur heaufbeschwor, war die unterschiedliche Behandlung des den Banken durch FDIC-, SEC- und Basel-IIVorschriften gestatteten Verschuldungsgrades. Die Limitierung soll Sorge tragen, dass die Vermögenswerte der Banken mit „ausreichend“ Eigenkapital unterlegt sind oder anders ausgedrückt, dass ein Risikopolster ausreichenden Ausmaßes gegen Vermögensverluste vorhanden ist, um die Überschuldung von Banken zu vermeiden.
213
Siehe oben, Abschnitt 2.3: Bankenaufsicht Commercial-Banken/ Investment-Banken, S. 60 ff.
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4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Somit grenzt der erlaubte Leverage die Aufnahme von Fremdkapital zum Erwerb von Assets ein. 4.2.1 Reglementierung der US-Commercial-Banken; einschließlich der Reglementierungen nach Basel II Ursprünglich, und zwar bei der Einführung der US-Einlagenversicherung, hatten die FDIC-Regeln den Commercial-Banken keinen numerischen Test des Verhältnisses von Vermögen zum Eigenkapital auferlegt. Erst im Jahre 1981 wurde eine derartige Kontrollzahl zur Vorschrift. Die Abbildung 19, Seite 71 zeigt auf, dass vom Ende der 1960er Jahre an das Eigenkapitalpolster der Commercial-Banken absackte. Die Gründe sind darin zu finden, dass die Banken nachhaltige Fehler bei Kreditvergaben begingen, um ihre Geschäftsaktivitäten in neuen, ihnen oft unbekannten Märkten auszuweiten. Die Ausleihungen an staatliche Stellen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind an prominenter Stelle zu nennen; denn sie stellten sich als signifikante Verlustquellen heraus, weil Schuldendienstbegleichungen dieser Nationen u. a. aufgrund fehlender Devisenaufkommen ausfielen bzw. deren Überschuldung zum Opfer fielen. Die genannten Gründe für den Kreditausfall belegen, dass Defizite in der Kreditbearbeitung der Banken zu beanstanden sind, also ein Selbstverschulden der kreditgebenden Banken vorlag. Das Ergebnis dieses Versagens der Kreditgeber war, dass sich die finanzielle Lage der US-Banken zu diesem Zeitpunkt derart verschlechterte, dass die FDIC im Jahre 1981 zur Maßnahme der numerischen Verschuldungsgradeinschränkung214 griff. Zehn Jahre später, 1991, akzeptierte die US-Bankenindustrie die international ausgehandelten Bankregularien von Basel I und mit ihnen das Konzept der Risk Weighted Assets. Zusätzlich verabschiedete der US-Kongress jedoch das Gesetz, das den Geschäftsbanken eine Leverage Ratio-Rule verordnete. Sie mussten Kapital von 10 % ihrer errechneten RWA und 5 % ihrer verbuchten Assets halten, um als „well capitalized“ kategorisiert zu werden, d. h. sie hatten das regulatorisch verlangte Minimum um mindestens 25 % zu übertreffen. Wie die Abbildung 19 auf Seite 71 (roter Pfeil rechts) zeigt, hatten die getroffenen Maßnahmen den Erfolg, einhergehend mit der hohen Profitabilität215 dieser Jahre und einigen Kapitalerhöhungen der amerikanischen Banken, dass deren sich verbessernde 214
215
Primary capital = equity plus loan loss reserves > 5.5 % of assets, while total of primary and secondary (primarily qualifying subordinated debentures) capital > 6 % of assets. Hierzu hat die Merger Wave im US-Geschäftsbankensektor der 1990er Jahre wesentlich beigetragen.
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
159
Leverage Ratios ein Niveau in den Folgejahren erreichten, das seit den frühen 1960er Jahren nicht mehr gesehen wurde. Martin J. Gruenberg216 kommentierte dies folgendermaßen: “In fact, both bank capital and bank profitability are at or near historic highs today.”
Es wurde als regulatorischer Erfolg in den USA angesehen, dass die amerikanischen Commercial-Banken Eigenkapitalpositionen auswiesen, die denen der europäischen Institute weit überlegen waren. Doch amerikanische Volkswirte sahen bereits eine neue, schwächere Phase des Kreditzyklusses voraus nach den vielen Jahren des wirtschaftlichen Wachstums. Deshalb wurde die Verteidigung der ausgezeichneten Kapitalausstattung der US-Banken zur höchsten Priorität für die FDIC. Obwohl die US-Verantwortlichen ihre Unterstützung zum Konzept der Basel-II-Regularien gaben aufgrund des Grundverständnisses zwischen allen involvierten Parteien, nämlich dass Basel II “is to make regulatory capital more risk sensitive … without a significant reduction in aggregate risk-based minimum capital”217,
so traf trotzdem das Votum der Europäer für die neuen Regeln bei den US-Bankenaufsichtsbehörden auf ziemliche Skepsis aus den folgenden Gründen: Die zehn größten europäischen Banken wiesen bedeutend niedrigere Eigenkapitalzahlen aus verglichen mit den zehn größten US-Banken; Im Jahre 2005 führte der FDIC die sogenannte „QIS-4 Study“218 durch. Die Studie, die 26 US-Banken einschloss, verglich die beiden risikogewichteten Kapitalanforderungen nach Basel I und II und dem vorher ausschließlich verwendeten Leverage-Test. Die Abbildung 35, unten zeigt, dass alle in die Studie eingeschlossenen Banken nach beiden Basel-Regularien als „well capitalized“ eingestuft wurden. Hingegen belegt der Leverage-Test, dass hiernach 17 Banken in die Kategorie „unterkapitalisiert“ fielen und 9 von ihnen als als „signifikant unterkapitalisiert“ erachtet wurden. Den Extremfall repräsentieren 3 nach Basel II als „gut kapitalisiert“ erachtete Banken, die unter der Applikation der Verschuldungsgradmessung ohne Risikogewichtung im kritischen Bereich bezüglich Unterkapitalisierung angesiedelt waren. 216
217
218
Siehe FDIC: Speeches and Testimony, Martin J. Gruenberg, Vice Chairman FDIC, at the OpRisk USA Conference, New York, 23. Mai 2007, S. 1. FDIC: Speeches and Testimony, Martin J.Gruenberg, Vice Chairman FDIC, at the OpRisk USA Conference; New York, 23. Mai 2007, S. 2. Siehe Statement of Donald E. Powell, Chairman FDIC: „The Development of the New Basel Capital Accords“, Committee on Banking, Housing and Urban Affairs; Nov.10, 2005, S. 25 ff.
160
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Abbildung 35: 2005-Vergleich; Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio Das QIS-4-Result war für die FDIC eindeutig: „The Need for Minimum Leverage Ratios“. Leider wurde eine derartige Maßnahme nicht eingeführt.
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
161
Jedoch verhärtete sich damit die Meinung gegen die Implementierung der neuen und veränderten Basel-II-Regeln im US-Bankwesen. Für die FDIC war es ausgeschlossen, dass sie die Aufweichung der Eigenkapitalpositionen amerikanischer Banken erlauben würde. Donald E. Powell, Chairman der FDIC, fasste die Erkenntnisse aus der QIS-4 Study wie folgt zusammen: “Basel II appears to represent a fundamentally lower standard of capital adequacy that sharply conflicts with the PCA219 framework. Indeed, in terms of overall capital requirements, a 5 percent leverage ratio essentially makes the Basel II framework inoperative.”
Schlussfolgernd daraus lehnten die US-Bankenaufsichtsorgane die unverzügliche Einführung von Basel II ab unter Bevorzugung eines einjährigen Parallellaufes von Basel II im Jahre 2008 mit den existierenden Verschuldungsgradvorschriften. Dem sollte sich eine dreijährige Implementierungsphase zwischen 2009 und 2011 anschließen. Als Sicherheitsmaßnahme220 gegen das zwischenzeitliche Abrutschen des risikogewichteten Eigenkapitals wurden sogenannte Floors in die Bestimmungen einbezogen, die nicht mehr als 5 % pro Jahr, kumulativ über die dreijährige Phase erlaubten. Mit dem Vorteil ausgestattet, vom gegenwärtigen Zeitpunkt zurückschauen zu können, kann die von Powell abgegebene Prognose, dass das risikogewichtete Kapital nach Basel II als zu hoch ausgewiesen wird, wenn es mit dem Leverage-Test verglichen wird, nunmehr mit einer weiteren Analyse unterlegt werden. Seit geraumer Zeit221 veröffentlichen die Großbanken in den Geschäftszahlen ihre Tier-1-Kapitalquote. Die nachfolgenden Abbildungen222 benutzen die Zahlen und stellen sie dem Leverage-Test223 gegenüber.
219 220
221 222
223
Siehe US Prompt Corrective Action (PCA) rules issued by US-Congress to bank regulatory bodies. Siehe FDIC: Speeches and Testimony, Martin J. Gruenberg, Vice Chairman FDIC, at the OpRisk USA Conference; New York, 23. Mai 2007, S. 2. Hier wurde der Zeitraum von 2003 bis 2008 untersucht. Abbildung 36: Durchschnittszahlen der vier größten US-Banken; Abbildung 37: dergleichen für kont.europ. Banken, Seite 162/163. Eigenkapital zu Vermögen.
162
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Tier 1 Ratio vs.Eq%of Assets 12.00% 10.00% 8.00% 6.00% 4.00% 2.00% 0.00% Av 2003
Av 2004
Av 2005
US C-BANKEN Tier 1 Ratio
Av 2006
Av 2007
Av 2008
US C-BANKEN Eq%of Assets
Abbildung 36: US-Banken; Vergleich Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio Bei der Betrachtung der US-Banken ist auffällig, dass beide Graphen bis zum Jahr 2007 mehr oder weniger aufeinanderlagen und sich in etwa um die 8 % bewegten. Die Nichtbeachtung von Basel II in der Zeitperiode begründet dies. Die Institute waren als „well capitalized“ eingestuft, weil sie das erforderliche Limit der besagten Kategorie von 5 % weit übertrafen, was ihnen auf der anderen Seite den Raum gab, ihren Verschuldungsgrad anzuheben, ohne dass Interventionen der Bankenaufsicht zu erwarten waren. Doch mit der Anforderung der Aufsichtsbehörden, ab dem Jahre 2008 Basel II parallel zum Leverage-Test zu laufen, ergab sich die Möglichkeit, eine weitere Zustandsbeschreibung der Eigenkapitalsituation der Banken zu erstellen. Darin veränderte sich das Bild auf geradezu dramatische Weise. Die Tier-1-Kapitalquote verbesserte sich auf ungefähr 10 %, wohingegen sich das Verhältnis von Eigenkapital zu Vermögen
163
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
um fast 2 % auf 6 % verschlechterte. Bei der Betrachtung der Abbildung 36 wird eine sich öffnende Schere zwischen 2007 und 2008 sichtbar.
Tier 1 Ratio vs. Eq%ofAssets 12.00% 10.00% 8.00% 6.00% 4.00% 2.00% 0.00% Av 2003
Av 2004
Av 2005
CONT.EURO BANKEN Tier 1 Ratio
Av 2006
Av 2007
Av 2008
CONT. EURO BANKEN Eq%of Assets
Abbildung 37: Kontinentaleuropäische Banken; Vergleich Tier 1 Capital Ratio mit FDIC-Leverage Ratio Gravierender sieht das Bild der kontinentaleuropäischen Banken aus, da die Differenz zwischen beiden Relationszahlen über den gesamten Zeitraum um die 5 % zugunsten der Tier-1-Ratio ausmachte und sich ebenfalls die besagte Schere zusätzlich herausbildete, allerdings weit weniger auffällig als bei den US-Banken, wobei der Unterschied eine Dimension von fast 7 % erreichte. Außerdem sind augenfällig bei der vergleichenden Beschauung von Abbildung 36 und 37 die absoluten Zahlen der unterschiedlichen Verhältnisse: Die US-Banken weisen eine wesentlich bessere Eigenkapitalausstattung aus verglichen mit den Europäern, risikogewichtet als auch ungewichtet.
164
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Die kontinentaleuropäischen Banken wären nach US-Regularien allesamt als unterkapitalisiert eingestuft worden, wendeten sie den Leverage-Test an, was die vielleicht polemische Frage aufwirft, ob der Grund darin zu finden ist, dass gerade die Europäer Basel II mit aller Vehemenz vorantrieben, um am Markt besser dazustehen, sogar eventuell Augenhöhe mit den US-Banken zu suggerieren. Beide Bankengruppen zeigten im Jahre 2008 Tier-1-Quoten von 10 %, obwohl sich ihr traditionell berechneter Verschuldungsgrad – und zwar das Verhältnis zwischen Eigenkapital zu Vermögen, das aus der veröffentlichten Bilanz von jedem Außenstehenden errechnet werden kann – deutlich verschlechterte. Es ist ein Beweis dafür, dass Basel II einem höheren Verschuldungsgrad förderlich ist. Zumindest ist es zutreffend für eine länger anhaltende Periode höheren Wirtschaftswachstums, so wie sich das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts bis zum Krisenausbruch 2008 darstellte. Die Schlussfolgerung basiert auf dem Tatbestand, dass die Banken unter Basel II die Freiheit besitzen, die eingegangenen Risiken auf Basis ihrer eigenen „sophisticated“ Risikomanagementfähigkeiten, die den Großbanken wahrscheinlich aufgrund ihrer Reputation per Gesetz zugestanden worden sind, zu bewerten und somit den notwendigen Kapitalbedarf selbst zu bestimmen. Jegliche Transparenz ging verloren, weil die Banken aus Wettbewerbsgründen nicht zur detaillierten Veröffentlichung ihrer angewendeten internen Risikomanagementregeln und -instrumente verpflichtet wurden. Das macht den Unterschied der beiden Verschuldungsgradberechnungsweisen aus mit der Risikogewichtung als differenzierenden Faktor. Zu der oben zitierten Schere sei noch das Ergebnis einer Rechnung unter Verwendung der veröffentlichten Zahlen der vier US-Banken angefügt, die die Auswirkungen von Basel II mit Blick auf den Verschuldungsgrad verdeutlichen soll. Die Zahlen vom 31.12.2008 der vier größten US-Banken (gerundet): Assets: Eigenkapital: Leverage-Test Tier-1-Eigenkapitalquote:
USD 7,25 Trillionen USD 0,41 Trillionen 5,7 % (oder 17,5 zu 1) 10,0 % (also rund 75 % höher als oben)
Daraus ergibt sich, dass das Tier-1-Kapital annähernd 75 % höher ist als das zu Buche stehende Eigenkapital. Anders ausgedrückt, die Risk Weighted Assets (RWA), die von den Banken selbst festgelegt wurden aufgrund ihrer Expertise im Risikomana-
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
165
gement224, sind erstaunliche USD 1,8 Trillionen niedriger als das ausgewiesene Buchvermögen. Die letzte Zahl sollte im Kontext zum Gesamtvolumen des CPP225-Programms in den USA betrachtet werden. Die staatliche Maßnahme machte während der Krise Ausleihungen von USD 200 Milliarden an mehr als 500 Banken, davon wurden USD 90 Milliarden investiert in Bank of America, Citigroup, JPMorgan und Wells Fargo, also rund 45 % des Gesamtbetrags. Anhand der Zahlen kann gesagt werden, dass wegen der Bankenkrise notwendig gewordene Abschreibungen des Vermögens die USBehörden zwangen, knapp ein Viertel des zum Jahresende 2008 vorhandenen Eigenkapitals der vier Banken temporär zu ersetzen. Auffällig ist die Tatsache, dass die RWA um 25 % niedriger angesetzt wurden vor der Krise und anschließend prozentual der ungefähr gleiche Betrag in Eigenkapital vom Staat gezeichnet wurde. 4.2.2 Reglementierung der Investment-Banken Anders als die Commercial-Banken, erfuhren die Investment-Banken bereits im Jahre 1975 erstmalig die Einführung eines numerischen Leverage-Tests in Form der sogenannten Net Capital Rule226, die ganz und gar ausgerichtet war auf das kurzfristige Handelsgeschäft eben dieses Genres. Im Diskussionsprozess um die Einführung von Basel II äußerten die InvestmentBanken schon früh ihre Meinung, dass die neuen Regeln den Commercial-Banken einen Wettbewerbsvorteil geben, solange die Investment-Banken unter den ihnen auferlegten (Leverage-)Restriktionen verblieben. Sie argumentierten, dass ihre Risikomanagementsysteme und -werkzeuge denen überlegen sind, die von den Commercial-Banken aufgrund von Basel II in der Zukunft verlangt werden. Die SEC teilte diese Meinung und hob daher im Jahre 2004 die Net Capital Rule auf. Investment-Banken unterlagen somit nicht länger einem Verschuldungsgradlimit. Im Gegenzug hatten sie die neue SEC-Auflage der täglichen Vor-Ort-Überwachung ihres Handelsbuches durch die Aufsichtsbehörde zu akzeptieren. Im Nachhinein kann mit gutem Grund gesagt werden, dass sich diese quid-pro-quoMaßnahmen als ein schlechter Handel für die SEC herausstellten, wenn eine Firma wie Bear Stearns später nach veröffentlichten Berichten ihr Fremd-zu-Eigenkapital224
225 226
Es wird als gegeben angesehen, dass die untersuchte Bankengruppe die Erlaubnis der Bankenaufsicht erhielt, ihr eigenes Risikoraster zu verwenden anstatt den Standardansatz von Basel zu wählen. Siehe FinancialStability.gov: Road to Stability, Factsheet on Capital Purchase Program, 3/17/2009. Siehe oben, S. 64.
166
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Verhältnis auf 63:1 heraufgeschraubt hatte, als sie von JPMorgan auf Wunsch der Fed übernommen wurde. Die Abildung 38 zeigt sowohl das bedeutend höhere Debt-to-Equity-Verhältnis in absoluten Zahlen als auch die sich beschleunigenden Wachstumsraten desselben bei den Investment-Banken verglichen mit den US-Commercial-Banken über den Gesamtuntersuchungszeitraum von 2002 bis 2007. Leverage 35.0
Debt/Equity (x)
30.0 25.0 20.0 15.0 10.0 5.0 0.0
2007
2006
2005
2004
2003
BAC
10.7
9.8
11.7
10.1
14.0
2002 12.1
JPM
11.7
10.7
10.2
10.0
15.7
16.9
C
18.3
14.7
12.3
12.6
11.9
11.7
GS
25.2
22.4
24.2
20.2
17.7
17.7
MS
32.4
30.7
29.8
26.5
23.2
23.2
WFC
11.1
9.5
10.8
10.3
10.3
10.5
Year BAC
JPM
C
GS
MS
WFC
Abbildung 38: US-Commercial- und Investment-Banken; Leverage-Anstieg 2002-2007 Die nachstehende Abbildung 39 zeigt die Konsequenz aus der falschen SEC-Entscheidung von 2004, die Verschuldungsgradlimitierung der Investment-Banken aufzuheben (siehe roter Pfeil). Nicht nur, dass diese damit ihre Schuldenaufnahme deutlich erhöhten, sondern auch die Commercial-Banken legten notgedrungen aus Wettbewerbsgründen nach. Dies geschah zwar im geringeren Maße, um den Status als „well capitalized“ beim FDIC beizubehalten. Beide Gruppen standen nunmehr in scharfem Wettstreit, um mehr Profite zu erzielen. Liquiditätszuflüsse aus immer
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
167
größeren Kreditaufnahmen wurden zum Erwerb von Assets verwendet, die falsch, sprich dem Risiko nicht entsprechend gepreist waren aufgrund der stetig steigenden Nachfrage seitens der Banken. Die sogenannte Asset Pricing Bubble bildete sich, was letztendlich der Gesamtökonomie schadete, als sie platzte.
Leverage 35.0 D e b t/ E q u ity (x )
30.0 25.0 20.0 15.0 10.0 5.0 0.0 2007
2006
2005 GS
MS
2004 JPM
2003 C
2002 WFC
Abbildung 39: US-Commercial- und Investment-Banken; Leverage-Anstieg; Fokus 2004 In diesem Zusammenhang ist es angebracht, Wells Fargo und Goldman Sachs einer besonderen Betrachtung zu unterziehen, um nochmals von einer anderen Sichtweise zu verdeutlichen, welche Konsequenzen die o. g. Entscheidung des SEC hatte, Leverage-Limitierungen für Investment-Banken aufzuheben. Beide Institute repräsentierten während des Untersuchungszeitraums einerseits die typische US-Commercial-Bank mit einem regen Einlagen- und Kreditgeschäft, das sie eng verbunden hat mit der (US-)Güterwirtschaft, und andererseits den Inbegriff einer Investment-Bank mit ihrer ausgeprägten Händlermentalität und dem Fokus auf kurzfristigere geschäft-
168
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liche Transaktionen. Wells Fargo harrte lange Zeit aus, ihrem Geschäftsgrundsatz entsprechend und trotz GSA-Aufhebung nicht in das Investment-Banking einzusteigen.227 Goldman Sachs machte in der gesamten Zeit keinen Hehl daraus, ihre Investment-Banking-Strategie (Trading, Advisory, Asset Management) unverändert aufrechtzuerhalten.
ROE Comparison WFC-GS
%
30.0 25.0 20.0 15.0 10.0 5.0 0.0 2002
2003
2004 WFC
2005
2006
2007
GS
Abbildung 40: ROE-Vergleich; Wells Fargo vs. Goldman Sachs, 2002-2007 Verglichen werden von beiden Instituten das Asset-Volumen und -Wachstum, die Provisionseinnahmen prozentual zu den Gesamteinnahmen und der ROE über die Zeitperiode 2002 bis 2007. Auffällig ist der beträchtliche Anstieg des Asset-Bestandes um 315 % bei Goldman Sachs. Dagegen zeigt Wells Fargo ein moderates Wachstum von 165 %. Einem durchweg konstanten ROE um die 18 % plus von WFC stand ein geradezu explodierender ROE seitens GS gegenüber mit einem Anstieg um das Zweieinhalbfache (von 11,1 % auf 27,1 %). Dabei hielt WFC das Verhältnis von Zins- und Provisionsein227
Mit dem Kauf der Wachovia Bank im Jahre 2008 änderte sich ihre Politik graduell.
4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
169
nahmen annähernd konstant (66 % zu 33 %), wohingegen die Zinseinnahmen bei GS im Verhältnis zu der Non-Interest-Komponente anstiegen. Asset Growth 02-07
Name
Feature
2002
2003
2004
2005
2006
2007
WFC
Assets Non-Interest ROE (%)
349,259 37% 18.9
387,798 39% 18.0
427,849 38% 18.5
481,741 36% 18.9
481,996 33% 18.4
575,442 34% 16.9
165%
GS
Assets Non-Interest ROE (%)
355,574 51% 11.1
403,799 54% 13.9
531,379 60% 18.2
706,804 51% 20.1
838,201 49% 26.7
1,119,796 48% 27.1
315%
Abbildung 41: Diverse Vergleiche; Wells Fargo vs. Goldman Sachs, 2002-2007 Das besondere Augenmerk wird auf die Zeitperiode 2004 bis 2006 gerichtet, als die Bankgeschäfte in voller Blüte standen in dem dann etablierten Universalbankensystem. Das fulminante Asset-Wachstum bei GS, das bemerkenswerterweise vom Jahr 2004 an zu beobachten ist und dem gleichzeitig einhergehenden Absinken der Provisionseinnahmen verhältnismäßig zu den Zinseinahmen bringt hervor, dass gemäß DuPont-Analyse die Kosten der höheren Verschuldung niedriger waren als der Ertrag aus den bilanzierten Asset-Beständen. Kredite waren billig und zu der Zeit unbegrenzt erhältlich (Sparschwemme), und die so aufgenommene Liquidität suchte Anlage. Die dadurch entstandene Nachfrage nach Assets trieb deren Wertsteigerungen. Die Investment-Banken, wie hier am Beispiel von GS dargestellt, von jeglichen Leverage-Restriktionen befreit durch den SEC-Erlass des Jahres 2004, trieben den Zyklus zum Exzess. Die Überschuldung des Bankensektors ging demnach von den Investment-Banken aus. Sie (über)drehten das Schuldenkarussell, auf das die internationalen Großbanken, die sich im Wettbewerb mit den Investment-Banken wähnten, aufsprangen, um am Kapitalmarkt ähnlich herausragende ROE-Zahlen vorzeigen zu können. Die europäischen Banken operierten unter Basel II bereits seit 1999. Anders als bei den US-Banken war ihnen kein weiteres Verschuldungsgradlimit auferlegt. Ihre Ausgangsposition im globalen Bankenwettbewerb beinhaltete kleinere Eigenkapital-
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positionen verglichen mit den US-Konkurrenten, aber auch die Genehmigung der Bankenaufsichten für die ausschließliche Benutzung des RWA-Konzeptes, also die Selbstbestimmung der Höhe ihrer akzeptierten Risiken. Zweifelsfrei gibt es ausreichend stichhaltige Argumente für die Gewichtung von Risiken, doch die Abbildung 36 auf Seite 162 verglichen mit der Abbildung 37 auf der Seite 163 kann auch dahingehend interpretiert werden, dass die europäischen Banken aus Selbsterhaltung im internationalen Wettbewerb Basel II vorantrieben, um dem Markt ein Bild der ebenbürtigen Stärke mit den US-Banken in Bezug auf ihre Eigenkapitalausstattung zu vermitteln. Kunden und Investoren sollten die Risikomanagementfähigkeiten mit dem physischen Vorhandensein von Eigenmitteln bei den US-Banken aufwiegen.
4.3 Zusammenfassung Unterschiedliche Verschuldungsgradregelungen für die verschiedenen Bankentypen und -regionen wurden von den Bankenaufsichtsbehörden angewendet. Die USCommercial-Banken, die sich einer starken Eigenkapitalposition erfreuten und den restriktivsten Leverage-Test erfüllen mussten, standen im Wettbewerb mit den Investment-Banken, denen diesbezüglich keinerlei Begrenzungen seitens des SEC auferlegt wurden. Auf der internationalen Bühne verwendeten die europäischen Banken die Regeln des Basel-II- Abkommens und damit die Tier-1-Kapitalquote als neue Errungenschaft zur Messung der Bankenverschuldung. Sie erlaubte einen noch höheren Leverage als bereits vorhanden bei den Banken. Den Berechnungsmethoden der Banken zur Feststellung des RWA-Bestandes als Hauptkomponente der Tier-1Kapitalquote fehlte jedoch jegliche Transparenz. Zurückschauend ist festzuhalten, dass die europäischen Banken und die InvestmentBanken große Freiheiten besaßen, exzessiven Leverage als Werkzeug ihrer Aktivitäten in den Finanzmärkten einzusetzen, um ihre Profitabilität zu steigern. Ein entscheidendes Negativergebnis dieser Vorgehensweise war die Aktion aller Konkurrenten, einschließlich der US-Commercial-Banken, allerdings in geringerem Ausmaß aufgrund der engen FDIC-Regeln, ihren Verschuldungsgrad spiralförmig zu erhöhen. Die günstigen Konditionen durch die erlassenen regulatorischen Lockerungen und das Vorhandensein von riesigen Beträgen billiger Liquidität vorrangig in den Geldmärkten in der Form von Wholesale-Depositen benutzten die Banken, um hauptsächlich ihre Handelsbestände auszuweiten. Ihre Risikomanagementmethoden zur Berechnung der RWA basierten auf statistischen Modellen, die u. a. mit vergangenheitsbezogenen Kreditdaten bezüglich Default- und Recovery-Wahrscheinlichkeiten gefüt-
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tert waren, die einer Zeit des wirtschaftlichen Booms entnommen waren, als in allen Klassen von Vermögensgegenständen, insbesondere aber US-Immobilien, Kreditausfälle niedriger als in historischen Durchschnitten waren. Denn weniger Risiko bedeutet für Banken, dass sie weniger Eigenkapitalpolster benötigen. Die gegenwärtige Krise hat jedoch aufgezeigt, dass faktisch dieser Prozess zu einer Unterbewertung von Risiken durch die Banken geführt hat und somit die Negativfolgen eines instabilen Bankensystem für die Gesamtwirtschaft bewirkte. Ein idiosynkratisches (Neben-)Element der gegenwärtigen Krise, und zwar die Markto-Market-Rechnungslegungsbestimmung, die während des vergangenen Bankenbooms eingeführt wurde, bewirkte ein „Verstecken“ des wahren Verschuldungsgrades. Den Instituten wurde es damit erlaubt, Wertsteigerungen von Vermögenswerten bilanziell zu berücksichtigen. Als Folge davon erhöhten Banken ihre Verbindlichkeiten, was Bestätigung findet in den Volumenanstiegen von cp-Emissionen228 von Banken und dem von Banken beherrschten Repo-Markt, ohne dass sich ihr Leverage verschlechterte.
Abbildung 42: Entwicklung des Repo-Marktes, 2002-2008
228
Vorrangig Asset-backed-CP-Ausgaben von Konduits, die von Banken gesponsert waren.
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Die Abbildung 42 dient der Verdeutlichung des oben geschilderten Tatbestandes, dass der Repo-Markt zu der wichtigsten Quelle von Kurzfristliquidität für die Banken in der Zeitspanne zwischen 2002 und 2007 sowohl in den USA, mit dem größten Betrag von in der Spitze in 2007 ungefähr USD 10 Milliarden, als auch in der UK und den Euro-Gebieten wurde. Beide Produkttypen, Repos und Reverse Repos finden in diesem typischen Interbank-Geschäft Anwendung. Diese kurzfristigen Liquiditätsquellen konnten leicht angezapft werden, um relativ billige Kredite aufzunehmen. Derartige Funding-Strategien spiegelten auch den ROE-Fokus der Banken in dieser Zeit wider; denn sehr wenige Aktienemissionen wurden begeben und außerordentlich hohe Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe der Banken erfreuten die Aktionäre.
4.4 Gründe für die Suche nach einem neuen Modellansatz für das Bankwesen Die Diskussion eines neuen Modellansatzes basierend auf den vorher dargelegten historischen Erkenntnissen erscheint nicht nur angebracht sondern notwendig, und zwar konkret angesprochen, ob eine Rückkehr (des US-Finanzwesens) zum GSA eine Problemlösung sein kann, die nicht nur im US-Inland Krisen verhindert, sondern auch das Übergreifen dieser auf andere Regionen im weltwirtschaftlichen Verbund. Advokaten eines solchen Schrittes gibt es vielerorts; Gelehrte, ehemalige Zentralbanker, Politiker sowie Berater verschiedenster Denkrichtungen vertreten die Meinung in Gänze und/oder in abgewandelten Formen, zurückschauend auf die Geschehnisse der Jahre 1933 und 2008. Sicherlich hat nach wie vor das Zitat von Brandeis229 aus dem Jahre 1913 seinen nachhaltigen Effekt bei den Proponenten einer solchen Maßnahme, weil er schon damals vorhersagte, dass und warum es viele Jahre später zum Bankendesaster kam und welche Konsequenzen zu ziehen sind: “We shall never go far toward restoring soundness to banking until we again fully recognize the sacred division between RISK and SAFETY, which in banking is of necessity marked by the separation between commercial banks, security companies, and savings banks. The financiers who have confused these three functions have been destroying the bases of SOUND finance”.
Die Studie der beiden Zeitperioden, die in den Krisen endeten, gibt den Befürwortern starke Argumente für ihren Lösungsvorschlag der Wiedereinführung von GSA, 229
Siehe Norman Hapgood, 1913, S. xxxvi.
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ebenso wie die unumstößliche Tatsache der positiven Geschäftsentwicklung der USBanken unter dem Trennbankensystem für fast fünfundsechzig Jahre. So erfreuen sich die Argumente für die Wiedereinführung von GSA besonderer Beliebtheit bei einer Anzahl von Politikern. Ihren Wählern, die aufgrund der Geschehnisse verärgert und verunsichert sind, würde es demonstrieren, dass „etwas Handfestes“ gegen die aufgetretenen Missstände unternommen wird. Sie wollen diejenigen bestraft sehen, die das System zu ihrer eigenen Bereicherung benutzt haben und damit die Krise losstießen. Ob es jedoch der richtige Schritt wäre in Richtung eines stabil(ere)n Bankensystems, verlangt eine tiefere und detailliertere Analyse. Andere Erwägungen wichtiger Realitäten, die schon lange existierten bzw. sich im Bankwesen über die Jahre hinweg entwickelten, müssen mit einbezogen werden: Das über lange Zeit bestehende Universalbankensystem in den entwickelten kontinentaleuropäischen Staaten und deren Bankenaufsichtsorganisation und -regularien sowie deren Geschäftskultur sind zu berücksichtigen; die nachhaltige Stabilität der Finanzwirtschaft dieser Nationen auch nach 1933 (ohne dass sie zum Trennbankensystem überwechselten); die Internationalisierung des wirtschaftlichen Handels über Ländergrenzen hinweg in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts und mit ihr die Geschäftsausweitung der Großbanken weltweit, um ihren expandierenden Kunden zu Diensten sein zu können; die immer größer werdende Bedeutung inländischer wie auch internationaler Kapitalmärkte; die Produkt- und Dienstleistungsinnovationen, die aufgrund von neuen Kundengruppen und veränderten Bedürfnissen von Firmen- und Privatklientel nachgefragt wurden; die Etablierung der Basel-II-Bankregularien, die von den OECD-Staaten akzeptiert und bei ihren global operierenden Großbanken eingeführt wurden. Zusammenfassend gesagt haben die USA es zu akzeptieren, dass sich die Welt und mit ihr die Wirtschaft weiterentwickelt hat, verglichen mit dem Jahr 1933, als sie ihr Bankensystem umstellten, ohne auf den „Rest der Welt“ Rücksicht nehmen zu müssen. Heutzutage solch einen unilateralen Schritt zu machen, könnte nicht nur für die US-Banken unvorhersehbare Folgen mit sich führen, sondern auch für die nichtamerikanischen Institute bei ihren Geschäften in den USA, dem größten Finanzmarkt
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der Welt. Derart tiefgreifende Maßnahmen können nicht in Isolation gemacht werden, sie erfordern die Akzeptanz aller Betroffenen. Ferner müsste eine solche US-Gesetzgebung die strikten Restriktionen, die der GSA den Instituten auferlegte bezüglich erlaubter Bankaktivitäten, in Rechnung stellen. Das Geschäftsmodell, das das Bankgeschäft auf Zinseinnahmen aus der Übernahme der Transformationsfunktionen für die Volkswirtschaft begrenzte unter Limitierungen von Kundeneinlagen sowie dem Verbot von Filialbanking in anderen USBundesstaaten, bewirkte, dass das Geschäftspotenzial und damit Gewinn- und Eigenkapitalausweitungen der Commercial-Banken litten. Die Merger-Welle im US-Bankenmarkt in den 1990er Jahren zeigte, dass derartige Maßnahmen in den Augen der US-Bankmanager der einzige Weg waren, Wachstum zu erzielen, um Forderungen des Kapitalmarktes zu erfüllen. Die Konsequenz daraus war eine sich stark verringernde Zahl an Banken, die immer größer wurden und dadurch die Ursache für die „too big to fail“-Problematik sind. Darüber hinaus bewirkte das eingeschränkte Wachstumspotenzial beim Management der Commercial-Banken, die GSA-Restriktionen zu verwässern. Die Stoßrichtung war das nachweislich profitable, auf wenige Investment-Banken aufgeteilte Wertpapiergeschäft. Ein erster, entscheidender Erfolg dieses Bestrebens war die GSAÄnderung durch den Section-20-Erlass. Er erlaubte es den Commercial-Banken, Tochtergesellschaften zu gründen, die im Wertpapieremissionsgeschäft (begrenzt) tätig werden durften. Die Regelung, die ihren Namen bekam von dem GSA-Paragraphen, der angepasst wurde, war ein sogenannter Game Changer, weil er die Tür für die Commercial-Banken aufstieß, um an Investment-Banking-Transaktionen zu partizipieren. All diese „hausinternen“ Themen der US-Finanzwirtschaft sowie die Gedanken zur internationalen Verflechtung der Wirtschaftssysteme verlangen eine sorgfältige Abwägung, wenn ein solch wichtiger Schritt erwogen werden sollte, nach (nur) zehn Jahren wieder zur Gesetzeslage des GSA zurückzukehren. Dem stehen die Meinungen vieler gegenüber, das Universalbankensystem beizubehalten und derart zu regulieren, dass Fehler der Vergangenheit ausgemerzt sind. Nicht nur die Banker, die Kompensationseinbußen befürchten bei einer Rückkehr zum Berufszweig des Commercial-Bankers, sondern auch insbesondere die große Firmenkundschaft, die sich um Bankservice und -preise besorgt zeigt, sind die Proponenten einer solchen Vorgehensweise.
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Der Hauptbefürworter der Beibehaltung des bestehenden Systems ist das Institute of International Finance (IFF)230, das nach eigener Auskunft die einzige globale Vereinigung von Finanzinstituten ist. Es plädiert für gemeinsam mit den Bankaufsichtsbehörden zu erarbeitende zusätzliche Regularien, ohne am Status quo der Finanzindustrie zu rütteln. Mit anderen Worten ausgedrückt, es will lediglich die idiosynkratischen Elemente der gegenwärtigen Krise adressieren. Bei kritischer Beurteilung kann der folgende Auszug aus dem „Executive Summary“ des zitierten Memorandums als eine Art Warnung vor zu drastischen Veränderungen des Finanzwesens interpretiert werden: “However, it is crucial that … reform …, avoiding rigidities that could stifle growth, job creation and innovation”.
Ähnlich äußerte sich auch der Kreditchef der Deutschen Bank in einem Interview mit der Financial Times231, in dem er die Meinung vertritt, dass die Transparenz bei Securitization-Geschäften verbessert werden muss. Er nimmt also Bezug auf u. a. die strukturierten Kreditprodukte, eines der besagten „neuen“ Elemente, die der Eigenheit der Umstände der jüngeren Vergangenheit im Finanzwesen entsprangen. Einen größeren Rahmen, der zu adressieren ist, um in der Zukunft Krisen zu vermeiden, sieht er offenkundig nicht. Es ist ebenso bemerkenswert, dass er bessere Transparenz bei ABS-Geschäften einfordert, was die Frage aufwirft, ob das nicht die Aufgabe, besser gesagt die Verantwortung der Sponsorbanken dieser Transaktionen ist, wie der auf diesem Gebiet sehr aktiven Deutschen Bank.
4.5 Modellvorstellung eines veränderten Bankensystems Den divergierenden Meinungen von vorher, bei der die eine Seite den GSA zurückfordert, jedoch die andere Seite dafür plädiert, das gegenwärtige System beizubehalten und lediglich einige bankaufsichtliche Regularien zu verbessern, steht die durchgeführte Untersuchung gegenüber, die dazu hingeführt hat, über Systemveränderungen tiefgreifender Art nachzudenken. 4.5.1 Güterwirtschaft Der Gesamtökonomie ist nur gedient, wenn ein Finanzsystem, welches das Bankensystem einschließt, beiden Sparten, sowohl der Güterwirtschaft als auch der Finanz230 231
Siehe IIF; Restoring Confidence, Creating Resilience, Juli 2009. Siehe Financial Times, „How to build a financial system more resilient to shockwaves“, 8/11/2009.
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wirtschaft, gebührend Rechnung trägt. Das Ziel muss sein, den Universalbanken die geschäftliche Aufgabenverteilung zukommen zu lassen, die die Versorgung der Güterwirtschaft mit Bankdienstleistungen gewährleistet. Dies schließt ein, dass vorrangig die Kleinanleger(Retail)-Einlagen sicher sind und der (mittelständischen) Wirtschaft die notwendigen Kredite zur Verfügung gestellt werden sowohl in der Funktion des Prinzipals als auch des Agenten. Anders ausgedrückt, der InvestmentBanking-Kultur, die in den vorher aufgezeigten Perioden des Universalbankensystems Einzug hielt, muss eine Absage erteilt werden in Form und Substanz. Die Führung einer derartigen Bank muss in den Händen von sogenannten AllroundBankern liegen, die den Nachweis einer Kredit- sprich Risikomanagementausbildung einbringen, anstatt solche Positionen Managern mit Händlermentalität anzuvertrauen. Das O&D-Geschäftsmodell kann also nicht der Zentralpunkt aller bankgeschäftlichen Tätigkeiten sein, sondern es ist lediglich als Risikomanagementwerkzeug einzustufen. Der gemäß Brandeis inhärenten Motivation der Investment-Banker, marktbeherrschende Stellungen und die Kontrolle darüber zu erstreben, würde somit Einhalt geboten werden. Eine solche Geschäftsstruktur der Universalbanken, die der Güterwirtschaft dienlich ist, sollte durch die von einer strikten Bankenaufsicht erlassenen Restriktionen eingegrenzt sein und deren Aufsicht unterworfen werden: Nur lizenzierten Banken ist das Einlagengeschäft gestattet. Sie müssen Einlagenversicherung tragen und erhalten im Gegenzug das Privileg einer Kreditfazilitätseinräumung durch die Zentralbank, die die Zurverfügungstellung von Liquiditätsmaßnahmen in Notfällen einschließt. Alle weiteren Anlageproduktangebote an Bankkunden unterliegen der Genehmigungspflicht der Bankenaufsicht (oder einer Konsumentenschutzbehörde). Ein in Anlehnung an das für Medikamente etablierte Prüfungsverfahren bestimmt über den erlaubten Verkauf solcher Bankprodukte aufgrund ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität und die „Gesundheit“ der Gesamtökonomie. Ein intaktes Kreditrisikomanagement muss in den Banken institutioniert sein, dem der B&H- Geschäftsansatz zugrunde liegt. Begrenzte, vorzugsweise keine Kreditausleihungen an Institute der Finanzwirtschaft232, um systemischen Risiken vorzubeugen. 232
Siehe unten, S. 179.
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Strenge und einheitliche, für international agierende Großbanken gültige Leverage-Restriktionen.233 Transparenz der Berechnung des Verschuldungsgrades muss insbesondere für jeden Kunden gewährleistet sein, was erzielt werden kann durch Anwendung publizierter Bilanzzahlen, was die Benutzung des Verhältnisses von Eigenkapital zu Assets am praktikabelsten erscheinen lässt. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten zwischen dem Wertpapier-Underwriting-Geschäft und gleichzeitigem Kreditgeschäft mit ein und demselben Kunden unterliegt der Agent einer Rückführungsbeschränkung seines Kredit-Engagements aus den Geldern, die am Markt mit einer Emission aufgenommen wurden. Mit der Erlaubnis, im Wertpapieremissionsgeschäft für Kunden tätig sein zu dürfen, ist es zwangsläufig notwendig, dass die Banken einen Secondary Market für herausgegebene Wertpapiere machen müssen. Ferner muss es den Banken gestattet sein, Risiko- und Zinsmanagement bezüglich ihres aus Liquiditätserfordernissen zu haltenden eigenen Wertpapier-Portefeuilles betreiben zu dürfen. Nur Positionen aus derartigen Geschäften dürfen im Handelsbuch gehalten werden. Jegliche kundeninduzierten Handelstransaktionen sind tagesgleich glattzustellen. Für jegliches Beratungsgeschäft der Banken müssen Firewalls zum eigentlichen Bankbetrieb errichtet sein. Den Moral-Hazard-Problematiken, die aufgrund - der Existenz einer Einlagensicherung für Kundendepositen, - des Glaubens an eine „too big to fail“-Konzession seitens des Staates existieren, ist zu begegnen durch Herabsetzung des versicherten Einlagenbetrags und der Einführung eines Veto-Rechts für die Aufsichtsbehörden bei vorgeschlagenen Bankverschmelzungen. Beide Maßnahmen zielen darauf ab, das Risikobewusstsein von Bankmanagern zu schärfen. An dieser Stelle sei die oben angeführte Forderung nach einem B&H-Ansatz im Kreditgeschäft untermauert durch einen kurzen Abriss über die Veränderungen des Kreditentscheidungsprozesses der Banken über die letzten Jahrzehnte. Der Kreditgenehmigungsprozess der Banken hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte grundlegend verändert. Der noch in den frühen 1990er Jahren propagierte B&HGeschäftsansatz kann als ein kundenbezogener Prozess charakterisiert werden. Ein bankinternes Kreditkomitee unter der Leitung der Kreditabteilung hatte als Zielset233
Siehe unten, S. 182 ff.
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zung, eine Kreditentscheidung über einen individuellen Darlehensantrag zu fällen. Alle erdenklichen Risikoaspekte wurden erörtert und der Entscheidung zugrunde gelegt mit der Gewissheit, dass der Kredit auf der Bilanz der Bank bis zur Fälligkeit verbleiben würde. Mit dem Eintritt der Investment-Banken in das Kreditsyndizierungsgeschäft begann ein Umdenken in der Bankenindustrie. Sie waren nicht an einem Halten von Krediten interessiert aus Gründen ihrer begrenzten Eigenkapitalausstattung und Refinanzierungsquellen, u. a. wegen der Untersagung, Retail Deposits anzunehmen, sondern zielten auf die Fee-Einnahmen ab, die derartige Transaktionen hergaben. Das O&DModell und damit einhergehende kapitalmarkttheoretische Ansätze fanden somit ebenfalls Eingang in das Geschäftsgebaren der Commercial-Banken und damit das Bestreben, Kreditengagements einzugehen mit dem vorgegebenen Ausgang, sie nur in begrenztem Maße, zeitmäßig wie auch risikomäßig, zu halten. In internen Kreditausschüssen entschied die Antwort der Syndizierungsabteilung auf die Frage, wie schnell und wie profitabel solche Kredite weiterverkauft werden können, ob der Kreditvergabe beigetreten wird. Der Beitrag der Kreditabteilung beschränkte sich faktisch auf die Formalseite des Kreditprozesses (Führung der Kreditakte, Verfassung des Kreditantrags etc.) und einen Vorschlag zum Final-Hold-Betrag am Kredit für die Bank. Über die letzten Jahre hinweg gestaltete sich mit der Etablierung des CDS-Marktes, in Form von Indices- und Single-Name-CDS, nach eigener Erfahrung der Kreditgenehmigungsprozess als eine Verhandlung zwischen denjenigen Fachabteilungen der Bank, die eine Kundenbeziehung mit dem Schuldner unterhielten, wer die Kosten für den Kauf der „Versicherung“ des Kreditengagements übernimmt. Warf die Kundenbeziehung eine befriedigende Rendite ab nach Abzug des CDS-Preises, der von den CDS-Händlern der Bank quotiert wurde, dann stand die Genehmigung. Ein typisches Votum der Kreditabteilung als Beiständer des Prozesses las sich i. d. R. wie folgt: „Approved, subject to the purchase of CDS-cover.“
Diese Entwicklung ist weit entfernt vom traditionellen Kreditgeschäft der (Commercial-)Banken als Risk Taker, denen die volkswirtschaftliche Aufgabe zugeordnet ist, u. a. die Risikotransformationsfunktion zu übernehmen. Durch diesen Ablauf wurde ein CDS-Buch für die Handelsabteilung geschaffen, um damit Trading Income, das Blut des Investment-Bankings, zu produzieren.
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4.5.2 Finanzwirtschaft Das Geschäft mit der Finanzwirtschaft, das in keinem Fall von untergeordneter Bedeutung im heutigen Bankwesen ist, wird sodann einer „Spezialgruppe“ von Institutionen per decretum überlassen, und zwar den Investmenthäusern, den Hedge Funds und Private-Equity-Unternehmen. Dabei ist es angebracht, auf die Verwendung des Wortes „Bank“ im Namen solcher Institute zu verzichten, so wie es bereits seit Jahren von Goldman Sachs und Morgan Stanley gehandhabt wird. Hierzu ist es notwendig, deren Geschäftspartner aus der Finanzwirtschaft zu benennen: 1. Es ist das Kundensegment, das Handels- und Investmentgeschäfte mit Finanztiteln als ihre Haupttätigkeit deklariert. 2. Konkret würde von der Klientel dieser Häuser verlangt werden, dass sie die Qualifikation eines gemäß amerikanischer Rechtslage Accredited Investor 234 nachweisen, also u. a. Universalbanken, institutionelle Anleger und „vermögende Kunden“. Nur unter der Bedingung ist es derartigen Kunden gestattet, mit den o. g. Firmen in Geschäftsverbindung zu treten. Kundeneinlagen sind nicht versichert, und die Risiken aller getätigten Anlage-, Hedge-, etc. Geschäfte sind ausschließlich für das Konto der Kunden derartiger Institute. Der Innovationsfreudigkeit dieser Institute steht als Begrenzung die Risikobereitschaft ihrer Kunden als Regulat entgegen. Eine Aufsicht der Firmen entsprechend der SEC-Überwachung in den USA, die indirekt und sehr weit gefasst unter der Vorgabe etabliert wurde, dass ihre Überwachungsfunktion von Investmenthäusern auf der Anwendung des „gesunden Menschenverstandes“235 basiert, sollte Freiräume für Innovation und Risikofreude schaffen. Für die Sicherheit des gesamten Finanzwesens ist es unabdingbar notwendig, Kreditaufnahmen sowie die Akzeptanz von Counterparty Risk von Häusern, die ausschließlich ihre Geschäfte mit der Finanzwirtschaft tätigen, mit den oben zitierten Banken nicht zu gestatten, zumindest auf ein Minimum einzugrenzen als wesentlichen Schritt 234
235
According to US Federal Securities Law, Rule 501 of Regulation D and expanded to SEC proposal on „accredited natural persons“- definition to restrict individuals’ permission of invest into hedge funds. Under the current rules, an investor who is a natural person (e.g., an executive, employee, or angel investor) will qualify as an „accredited investor“ if (i) his or her net worth (or joint net worth with his or her spouse) exceeds $1 million at the time of purchase, or if his or her income exceeds $200,000 (or joint income with his or her spouse exceeds $300,000) in each of the two most recent years, and (ii) the individual has a reasonable expectation of reaching the same income level in the year of investment (the „Accredited Investor Test“). Siehe oben, S. 64.
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zur Vermeidung systemischer Risiken, die ihrer Herkunft nach diesem „Hochrisikosektor“ entstammen.
Gedanken zu Veränderungen im Bankwesen Fokus:Güterwirtschaft Universalbanken Transformationsfunktion Kreditlinie mit Zentralbanken Unter stringenter Bankaufsicht Kreditrisiko-, nicht Portfoliomanagement Keine/begrenzte Kreditausleihungen an => Klare und restriktive „leverage“ Vorgaben Vermeidung von „moral hazard“-Problematik
Fokus:Finanzwirtschaft I-Banks, Hedge Funds, PE Klientel:“Accredited Investors“, (Institutionelle, Vermögende) Keine Einlagensicherung „Kasinogeschäft“, innovativ Keine/restriktive Kreditaufnahme von U-Banken
Abbildung 43: Veränderungen im Bankwesen 4.5.3 Justifikation des Modellansatzes Anders als im kommerziellen Bankgeschäft, in dem die Risikoübernahme aufgrund der den Banken übertragenen Transformationsfunktionen der bestimmende Faktor der wirtschaftlichen Tätigkeit darstellen sollte und wofür die Anforderung besteht, ein ausreichendes Eigenkapitalpolster gegen das Auftreten von Kreditverlusten vorzuhalten, akzeptiert der Investment-Banker grundsätzlich nur sehr begrenzte Risikopositionen (wenn überhaupt) in seinem vorherrschenden Handelsgeschäft. Er erfreut sich damit eines profitableren Geschäftsmodells als der Geschäftsbanker, weil vorrangig Provisionseinnahmen erzielt werden unter wesentlich niedrigeren Eigenkapitalanforderungen. So ist es keine Überraschung, dass bei der Verquickung beider Bankertypen in einem Universalbankensystem die „Händlerfunktion“, die der Investment-Banker verkörpert, Dominanz in den Bankinstituten gewinnt und das Kreditgeschäft in den Hintergrund gedrängt wird, so wie es in beiden Universalbankenperioden in den USA zu beobachten war. Die Güterwirtschaft, die auf die
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Bereitstellung von Krediten angewiesen ist, um zu florieren, wird dadurch vernachlässigt, was sich in Zeiten von Bankkrisen zu einer Kreditklemme verschlimmerte und somit Wirtschaftskrisen auslöste. Auf der anderen Seite warf das US-Trennbankensystem das Problem für die Commercial-Banken auf, dass sie nur begrenzte Wachstumsmärkte vorfanden aufgrund ihres durch die GSA-Vorgabe eingeschränkten Betätigungsspielraums, und zwar das Kredit- und Einlagengeschäft. Dies zwang die Commercial-Banken bereits in den 1970er Jahren, nach weiteren Wachstumsmöglichkeiten Ausschau zu halten, um nachhaltiges Wachstum und damit einhergehend gesteigerte Profitabilität den Kapitalmärkten gegenüber nachzuweisen. Die befürchtete Alternative dazu war das Ende der Eigenständigkeit im Wege der Übernahme durch eine andere Bank. Daher zielt der vorgestellte Modellansatz darauf ab, die oben genannten Fakten zu adressieren, indem die Investmenthäuser mit ihren Handelsaktivitäten und ihrem Beratungsgeschäft ausschließlich mit einer ausgewählten Klientel, den nach USRecht sogenannten Accredited Investors, in Geschäftsbeziehungen treten dürfen. Sie dienen demnach einer um nichts von der Güterwirtschaft zurückstehenden Finanzwirtschaft. Ferner ist ihnen nur ein sehr begrenzter Zugriff auf die Produkte und Dienstleistungen der Universalbanken, insbesondere Kreditaufnahmen, gestattet. Die geschäftlichen Aktivitäten der Universalbanken haben einer strikten bankaufsichtlichen Kontrolle zu unterliegen, die sicherstellt, dass die Vorschriften zu Kredit- und Counterparty-Risk-Limitierungen zu allen Zeiten eingehalten werden zwecks Vermeidung der Systemic-Risk-Problematik. Gleichzeitig erlaubt es den Universalbanken ein wesentlich erweitertes Spektrum an Bankgeschäften ihren Firmen- und Privatkunden anzubieten, was ihnen ausreichende Opportunitäten und Wachstumspotenziale beschert. Im Hinblick auf das Anlagegeschäft mit (Klein-)Kunden bedarf es jedoch einiger weiterer Neuregelungen hinsichtlich Produktsicherheit und deren Gewährleistung. Eine Genehmigungspflicht durch die Bankenaufsicht muss für derartige Investmentprodukte, die von Universalbanken vertrieben werden können, festgeschrieben sein, um das Wohlsein der (Klein-)Anleger sicherzustellen. Für diese Zwecke sollte ein Konzept entwickelt werden in Anlehnung an die Regularien, die die Genehmigungspflicht von verschreibungspflichtigen Medikamenten bestimmen. Die Solidität der Universalbanken, im Sinne von Sicherheit der ihnen anvertrauten Einlagen und der Fähigkeit und Willigkeit, den für die Güterwirtschaft notwendigen Kreditfluss bereitzustellen, wird untermauert durch den Weiterbestand der Beziehun-
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gen zwischen den Zentralbanken und den Banken zur Geldmarktsteuerung und damit einhergehend der Kreditversorgung der Kreditwirtschaft. Des Weiteren ist es unabdingbar, international einheitlich strenge Leverage-Limitierungen den Universalbanken vorzugeben, die ihre Rechtfertigung darin finden, dass die unakzeptabel hohen Kreditaufnahmen der Banken zur gegenwärtig noch nicht ausgestandenen Bankenkrise geführt haben; in der Zeitperiode vor der Bankenkrise des Jahres 2008 unterschiedliche Leverage-Tests für die international agierenden Großbanken galten, und zwar unterlagen: - US-Commercial-Banken
FDIC – Equity-to-Assets Ratio,
- US-Investment-Banken
SEC – nach 2004 Verzicht auf Test
- Europäische Banken
Basel II – Tier 1 Capital Ratio.
Wenn in Rechnung gestellt wird, dass sich gemäß der Abbildungen 36 und 37 auf Seite 162 und 163 oben die Equity-to-Assets Ratio nach 2007 aller untersuchten Banken verschlechterte, getrieben von den Investment-Banken, die dreimal so hoch verschuldet waren wie die US-Commercial-Banken236, aber gleichzeitig dieselben Banken unter der Basel-II-Regelung eine Verbesserung ihrer Verschuldungsgrade errechneten, dann wird das Versagen dieses Leverage-Regimes deutlich und verlangt nach dringender Neuerung; der Verschuldungsgrad der europäischen Banken unter hypothetischer Verwendung des Leverage-Tests der FDIC von 1981, also die US-Regelung vor den Basel-I- und -II-Regeln von europäischer Seite stark eingefordert und ihr dann auch gewährt wurde, zeigt, dass diese Banken unterkapitalisiert waren bei Eintritt in den internationalen Großbankenwettbewerb nach der GSA-Aufhebung in Amerika; die Tatsache, dass die Berechnung der Basel-II-Tier-1-Capital-Ratio jegliche Transparenz hinsichtlich der Kalkulation der Risk Weighted Assets (RWA) für Investoren und Bankkunden vermissen lässt. So hat die Krise bewiesen, dass Unexpected-Loss-Annahmen, die in die RWA-Kalkulationen einfließen, später nach eigener Aussage der Banken „falsch“ waren, was die gesamte Berechnungsmethodik post mortem noch mehr suspekt erscheinen lässt. 236
Siehe oben, Abbildung 38, S. 166.
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Zusätzlich kann argumentiert werden, dass eine strenge Leverage-Limitierung auch eine Maßnahme gegen die Moral-Hazard-Problematik des „too big to fail“ sein kann. Von der Prämisse ausgehend, dass eine Bank nicht als „too big to fail“ anzusehen ist, wenn sie jederzeit ausreichend Eigenkapital vorweist im Verhältnis zu ihrer Bilanzsumme, dann kann eine Leverage-Limitierung positive Konsequenzen für ihre finanzielle Stärke haben. Damit ist gewährleistet, dass jegliches (Bilanz-)Wachstum nur einhergehen kann mit dem proportionalen Anstieg des Eigenkapitals; die Bank muss also Gewinne thesaurieren und/oder mit Aktienemissionen am Markt Geld aufnehmen. Verfügt die Bank nicht über ausreichendes Eigenkapital relativ zur Bilanzsumme, so unterliegt sie dem Zwang der Eigenkapitalaufnahme und/oder der „Verschlankung“ ihrer Bilanz, sprich Asset Divestitures. Da die Finanzierung mit Eigenkapital teurer ist als andere Finanzierungsmittel, kann davon ausgegangen werden, dass gerade die marginal profitabelen Handelsgeschäfte dann von den Banken zurückgefahren werden (müssen), was eine Zielsetzung des Modellansatzes sein soll. Somit macht eine strikte Begrenzung des Verschuldungsgrades die Banken sicherer, weil im Idealfall stets ein ausreichendes Eigenkapitalpolster zur Abfederung von Kreditverlusten vorhanden ist. In jedem Fall bedarf es eines strategischen Umdenkens des Bankmanagements, und zwar weg vom Streben nach Geschäftsvolumenswachstum, indem Handelstransaktionen zu Marginalmargen kontraktiert und mit Fremdkapital finanziert wurden, weil der Markt es zu billigem Preis (beinahe) unbegrenzt zur Verfügung gestellt hatte; wie geschehen in den letzten Jahren. Die damit kreierte Nachfrage nach Assets resultierte in zu niedrigen Preisen für die eingekauften Risiken. Daher muss vielmehr die Qualität der Erträge das strategische Denken der Banker leiten, wobei Risikoerwägungen im Vordergrund stehen müssen, im Unterschied zu dem von Schierenbeck237 propagierten dualen Steuerungsmodell zur ertragsorientierten Banksteuerung mit den Kernelementen Rentabilitäts- und Risikosteuerung. Die Aussage von Hartmann-Wendels238: „Im Dualen Steuerungsmodell wird der Rentabilitätssteuerung daher mit der Risikosteuerung ein Korrektiv zur Seite gestellt“
zu dem Thema lässt darauf schließen, dass die Risikosteuerung eine untergeordnete Rolle zur Rentabilität spielt. Es wäre eine These, die im Bankgeschäft, also dem 237
238
Siehe H. Schierenbeck, Ertragsorientiertes Bankmanagement, Band 2: Risiko-Controlling und Integrierte Rendite-/ Risikosteuerung, Gabler, Wiesbaden, 8. Aufl. Siehe Thomas Hartmann-Wendels et al., S. 353.
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4. GLBA – EINE UNAUSGEGORENE GESETZLICHE MASSNAHME DER USA
Geschäft mit Risiken, keine Anwendung finden sollte, was leider nicht mit den nahen Vergangenheitsgeschehnissen im Einklang steht. Auf die RAROC-Thematik239, die im letzten Jahrzehnt aufgebracht wurde mit dem Bestreben, das dem dualen Steuerungsmodell zugrunde liegende Rentabilitäts- und Risikomanagement in mathematischer Form zu verknüpfen, wird in dem Zusammenhang nicht eingegangen. Die Praxis der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Preisfestsetzung von zu übernehmenden Risiken in den Großbanken auf dem mittlerweile fest etablierten CDS-Markt basiert wird. Der Risikopreis ist somit in Form eines „marktgerechten Preises“ vorgegeben. Schließlich würde eine Beibehaltung des Universalbankensystems unter Abtrennung der Unternehmensteile, die ausschließlich ihre Geschäfte mit der Finanzwirtschaft gemäß obiger Definition tätigen, für die Bevölkerung der Nationen, die mit dem System über Jahrzehnte hinweg vertraut sind, keine wesentlichen Veränderungen ihrer Bankgeschäfte mit sich führen. Die Ausnahme davon ist die (kleine) Klientel, die als Accredited Investors eingegrenzt würde. Ihnen bleibt die Wahl ihrer Finanzgeschäftspartner ungenommen, denn der Status ist ihnen als Opt-in-Wahl vorbehalten. Unter diesen Bedingungen sollte die Zustimmung und damit die Gleichausrichtung des Bankensystems für international operierende Großbanken der OECD-Länder erhältlich sein. Für den fairen Wettbewerb zwischen Instituten, die in unterschiedlichen Jurisdiktionen beheimatet sind, ist dies eine unabdingbare Notwendigkeit. Es stellt die Vorbedingung eines jeden angedachten Modellansatzes für ein neues Großbankensystem dar. Der Erfolg einer solchen Bankenreform würde den Titel der Globallösung tragen, dem großes Gewicht beizumessen ist, weil die multinationalen Banken zwar lokal bankaufsichtlich überwacht würden und trotzdem die gleichen Spielregeln zu befolgen hätten. Ferner würde es den Grundstein legen für ein harmonisiertes Vorgehen der Aufsichtsbehörden im Falle von zukünftig auftretenden grenzüberschreitenden Problemen im Bankenmarkt aufgrund der erzielten Konformität des Großbankensektors.
239
Siehe Ulrich Anders, RaRoC - ein Begriff, viel Verwirrung, Zeitschrift DIE BANK, 5-00, Seite 314-317.
185
5. Schlussteil Die Parallelen der beiden größten Bankenkrisen der jüngeren Vergangenheit, die in der Untersuchung aufgedeckt wurden, sind auffällig und sollten deshalb als Ausgangspunkt zur Findung eines Bankensystemmodells dienen, in dem in der Zukunft jene tiefen und daher kostspieligen Verwerfungen in der Wirtschaft vermieden werden. Mit den aufgezeigten Parallelen und der Tatsache, dass die USA ihr Finanzwesen im Jahre 1933 durch den GSA grundlegend veränderten, weil das Universalbankensystem als die Wurzel des damaligen Finanzdisasters angesehen wurde, sowie den dargestellten Versäumnissen des Gesetzgebers beim Erlass des GLBA im Jahre 1999, findet die These Bestätigung, dass auch die Bankenkrise des Jahres 2008 wiederum im Universalbankensystem ihre Verursachung gefunden hat. Als ein weiteres Indiz dafür kann der geschäftliche Erfolg der US-Banken während des Bestandes des Trennbankensystems angeführt werden; denn es hatte zur Folge, dass die amerikanischen Großbanken die Spitze im internationalen Bankwesen erklommen. Und nur neun Jahre später, nachdem diesen starken Banken durch die Politik der Weg zum Investment-Banking geöffnet wurde aufgrund der Aufhebung von GSA in 1999, führten sie die Welt an den Rand eines weltweiten Bankenkollapses, was durchaus darauf schließen lässt, dass der Aufstieg und Fall mit der Veränderung der Bankregularien zu tun hat. Nichtamerikanische Großbanken adoptierten den US-Banking Style notgedrungenermaßen in Form und Substanz, um wettbewerbsfähig sowohl bei ihrer Kundschaft als auch an den internationalen Kapitalmärkten zu werden/bleiben. Eine tiefgreifendere Inter-Connectivity unter den Banken als in der Vergangenheit stellte sich in zweierlei Form dar: Zum einen wird eine geschäftliche Gleichausrichtung der Großbanken sichtbar, und zum anderen weiteten sich die Interbankenaktivitäten, im Handel mit Finanztiteln und den Repo-Kontrakten zum Zwecke des kurzfristigen Liquiditätsmanagements, deutlich aus. Damit rückte das Geschäft mit der Güterwirtschaft in den Hintergrund. Ein beträchtliches Volumen von gehandelten Finanztiteln, und hier insbesondere die „neuen“ strukturierten Kreditprodukte, entstammten dem amerikanischen Markt, zumeist hypothekarisch unterlegte Schuldtitel, die ihren Weg auf die Bilanzen (fast) aller internationalen Großbanken fanden.
186
5. SCHLUSSTEIL
Aufgrund der Inter-Connectivity sprang die Krise über die US-Grenzen hinaus und andere westliche Staaten wurden ebenfalls zu Rettungsmaßnahmen ihrer Bankenindustrie gezwungen. Nur knapp neun Jahre nach der (Wieder-)Einführung des Universalbankensystems durch den amerikanischen Gesetzgeber musste die gesamte US-Finanzindustrie vom Staat „gerettet“ werden, um Schlimmeres für die Gesamtwirtschaft abzuwenden: Die Einlagenversicherung für Bankkunden wurde erhöht zur Vermeidung von Runs auf die Banken; „Notfall-Liquidität“ wurde von den Zentralbanken bereitgestellt zur Vermeidung von Bankinsolvenzen; staatliche Kapitaleinschüsse in Kreditinstitute wurden notwendig zur Beruhigung der Kapitalmärkte; zahllose Banken wurden geschlossen/„zwangsübernommen“. Die Moral-Hazard-Themen in Bezug auf die staatlichen Stützungen von Banken aufgrund ihrer Größe („too big to fail“) und der Einlagensicherung, die potenziell die Risikobereitschaft der Banker erhöhen, sowie der Problemkreis der systemischen Risiken beschäftigen seitdem wieder die Politiker und Wissenschaftler. Es ist die Suche nach Mitteln und Wegen, ausgehend von den Lehren der durchlebten Krisen, derartiges in der Zukunft zu vermeiden, zumindest jedoch stark einzugrenzen. Die idiosynkratischen Elemente der gegenwärtigen Krise, definiert als Produktinnovation und Übernahme des O&D-Geschäftsmodells durch die Banken, können nicht als Ausgangspunkt für das eingetretene Disaster des Kreditwesens erachtet werden, denn sie beschreiben lediglich die Symptome der Krise, nicht aber die Ursache. Vielmehr müssen die herausgearbeiteten Unterlassungen bei der Wiedereinführung des Universalbankensystems240 in den USA adressiert werden. Einige der herausgearbeiteten Kernprobleme beruhen auf der Erkenntnis, dass 1. die Verquickung der beiden Professionen, und zwar die des Commercial-Bankers und des Investment-Bankers, in einer Universalbank zur Folge hat, dass das Investment-Banking letztendlich dominiert;
240
Siehe S. 153 ff.
5. SCHLUSSTEIL
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2. dann die Investment-Banking-Kultur die Geschäftsstrategie der Universalbanken bestimmt, wodurch die anderen Geschäftszweige betriebsintern an Bedeutung verlieren; 3. die in den Instituten regieführenden Investment-Banker aufgrund der ihren Berufsstand bestimmenden Händlerfunktion sowie ihrer Motivation, den Markt zu kontrollieren, Aktivitäten mit der Finanzwirtschaft in den Vordergrund stellen; 4. die für die Volkswirtschaft wichtigen, den Kreditinstituten zugewiesenen Transformationsfunktionen ihre Wichtigkeit für die Banken verlieren. Damit korreliert die ausgemachte Tendenz der Institute, ihre Geschäftspolitik auf Transaktionen mit Finanztiteln und Finanzinstituten auszuweiten unter Vernachlässigung der Betreuung der Güterwirtschaft, insbesondere die Kreditbereitstellung an diese in kritischen Zeiten. Struktur und Organisation der US-amerikanischen Bankenaufsicht Ein weiteres identifiziertes Kernproblem ist die Struktur und Organisation der USamerikanischen Bankenaufsicht241, die sich als zersplittert, unübersichtlich und insbesondere unkoordiniert darstellt242. Wie in Paragraph 2.1, Seite 51 ff. geschildert, haben die in den USA von jeher bestehenden politischen Meinungsverschiedenheiten über das Machtverhältnis zwischen Föderalstaat und den einzelnen Bundesstaaten zu diesem Problem beigetragen. Zwar sieht die Regelung mittlerweile vor, dass der Fed die Aufsicht der Bank Holding Companies übertragen wurde, was mit anderen Worten gleichsteht mit der Überwachung des Universalbankensystems, in dem die Großbanken operieren. Doch nunmehr ist die Klage immer wieder zu hören, dass die Überwachungsorgane FDIC, OCC und SEC, CFTC der unterhalb der Holdings angesiedelten operationalen Einheiten, den Commercial-Banken und Investment-Banken, ihren Verantwortungen nachgingen, ohne dass die Fed zumindest eine Koordinationsfunktion übernommen hatte, sowie lax mit der Aufsicht der Holding-Gesellschaften verfuhr. Risikoakkumulationen in den Instituten, so die gegenwärtigen kritischen Stimmen, wurden nicht erkannt bzw. ignoriert und auf jeden Fall keine Gegenmaßnahmen getroffen. Ferner wurde der von der Aufsichtsphilosophie243 unterschiedliche Ansatz von FDIC und SEC, der direkten und indirekten Institutsüberwachung, nicht adressiert, obwohl 241 242
243
Siehe oben, S. 156 ff. Siehe Frederic S. Mishkin, S. 231: „Commercial Bank regulation in the United States has developed into a crazy quilt of multiple regulatory agencies with overlapping jurisdictions“. Siehe oben, S. 62 ff.
188
5. SCHLUSSTEIL
Commercial- und Investment-Banken nach GSA-Aufhebung am Markt in direkte Konkurrenz getreten waren. Von diesen Erkenntnissen herrührend kann das Postulat zur Überwachung von international agierenden Großbanken, die als Universalbanken operieren, nur lauten, dass sie von einer Aufsichtsbehörde überwacht werden müssen, unabhängig von ihrer formalen rechtlichen Formation, sondern aufgrund ihrer materiellen Tätigkeit. Diese nationalen Aufsichtsbehörden sind zur globalen Kooperation zu verpflichten, die der Obhut einer Institution wie der BIS zugeordnet werden könnte. Regelwerke zur Leverage-Begrenzung Gerade die oben angerissene Thematik der Defizite in der Bankenaufsicht verdeutlicht sich handfest durch die Offenlegung der unterschiedlichen Regelwerke zur Leverage-Begrenzung244 der international operierenden Großbanken. Dies stellt ein anderes Kernproblem dar, das einer Unterlassungssünde seitens der Bankenaufsicht mit weitreichenden negativen Folgen gleichkommt. Es verursachte die Überschuldung des Bankensektors bis hin zur Bankenkrise des Jahres 2008245. Wie die Fehlentwicklung der Investment-Banken nach dem SEC-Erlass des Jahres 2004, durch den jegliche Leverage-Limitierung aufgehoben wurde, gezeigt hat, muss eine derartige Restriktion essentieller Bestandteil von vorgegebenen Auflagen für das Bankgeschäft sein. Eine Verschuldungsgradlimitierung der Banken ist unverzichtbar. Daher ist es notwendig, ein einheitliches Regelwerk zum Leverage für die Großbanken zu implementieren, das den Zweck erfüllt, die Institute „sicher(er)“ zu machen bei Vermeidung der Fehler der nahen Vergangenheit. So hat sich herausgestellt, dass das Tier-1-Kapitalkonstrukt gemäß Basel II versagt hat, was im Übrigen bereits von der FDIC im Jahre 2005 vorhergesagt wurde.246 Das Vertrauen in die Risikomanagementqualifikationen der Großbanken, die aufgrund der Regularie den Level ihrer RWA selbst bestimmen können basierend auf einer Black-Box-Methode unter Benutzung statistischer Wahrscheinlichkeiten herrührend aus der Vergangenheit bankgeschäftlichen Tuns, der jegliche Transparenz fehlt, ist im Mark erschüttert. Ohne die Kritik weiter zu vertiefen, kann gesagt werden, dass die Regelung den Banken keinen guten Dienst erfüllt hat. Sie ist als Grund dafür anzusehen, dass die Bankenaufsicht nicht die dann eingetretene Verschuldungskrise der Banken frühzeitig genug erkannte und somit die Bankenaufsicht nicht die Möglich244
Siehe oben, S. 157 ff. Siehe Peter Bofinger, Radikale Einschnitte, Financial Times Deutschland, 5.8.2010. 246 Siehe oben, S. 160 ff. 245
5. SCHLUSSTEIL
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keit hatte, dem entgegenzusteuern. Ferner war dem „Markt“, sprich den Bankeinlegern sowie -investoren kein Instrument an die Hand gegeben, sich ein eigenes Bild über das Leverage-Niveau der Institute zu machen, da die Wertpapieranalysten, die den Bankensektor als ihre geschäftliche Domäne ausgewählt haben, i. d. R. in ihren Berichten exklusiv dem Tier-1-Szenario Aufmerksamkeit schenkten. Daher muss in einer Verschuldungsgradregularie der Transparenzaspekt zugunsten der breiten Öffentlichkeit neben der Festsetzung der zu beziffernden Limitsetzung eine vorrangige Rolle spielen. Die guten, über mehr als 65 Jahre während der Existenz des Trennbankensystems in Amerika gewonnenen Erkenntnisse der US-Bankenaufsicht mit der Messung der Verschuldung von Commercial-Banken mit dem Quotienten aus Eigenkapital zu Assets/Bilanzsumme erlauben den Schluss, dass die Kennzahl im angedachten Modell Verwendung finden sollte. Selbst nach den vehementen Abschreibungen der Banken im Jahre 2008 waren die US-Commercial-Banken der Untersuchungsgruppe trotzdem noch als „well capitalized“ einzustufen unter Anwendung des genannten Quotienten. Sie hatten in den Jahren einer aufmerksamen und durch strenge Regeln gekennzeichneten Bankenaufsicht, bei der die Leverage-Restriktion von herausragender Bedeutung war, denn es vermied die Aufblähung der Asset-Bestände und damit einhergehend potenziellen Abschreibungsbedarf, ein gesundes Eigenkapitalpolster erwirtschaftet. Zur Berechnung bedarf es lediglich der publizierten Bilanzen der Banken, die aufgrund international harmonisierter Rechnungslegungsvorschriften vergleichbar sind, so dass es ein Einfaches ist, das von den Banken veröffentlichte Kalkulationsergebnis nachzuvollziehen. Neben der Bankenaufsicht erlaubt diese Regelung, dass auch der „Markt“ ein Mittel besitzt, nämlich den Vergleich des derart errechneten Verschuldungsgrades zwischen den Großbanken, auf der eine Urteilsfindung hinsichtlich der finanziellen Stärke einzelner Banken basiert werden kann. Durch die erzielte Transparenz ist zu erwarten, dass der „Markt für Kundeneinlagen“ – damit sind sowohl Retail- als auch Wholesale Deposits gemeint – seinen Preis festlegt. Banken mit höherem ausgewiesenen Verschuldungsgrad würden höhere Zinsen zu zahlen haben aufgrund einer geforderten Risikoprämie und visa versa. Ein objektives Marktregulat wäre der Bankenaufsicht zur Seite gestellt. Daher erscheint die Diskussion eines Modellansatzes basierend auf den vorher dargelegten historischen Erkenntnissen als angebracht, und zwar konkret angesprochen,
190
5. SCHLUSSTEIL
ob eine Rückkehr (des US-Finanzwesens) zum GSA eine Problemlösung sein kann, die nicht nur im US-Inland Krisen verhindert, sondern auch das Übergreifen dieser auf andere Regionen im weltwirtschaftlichen Verbund, ob das Universalbankensystem beibehalten werden sollte in der gegenwärtigen Form mit evtl. strikterer Anwendung des bereits vorhandenen Regelwerkes, ob ein grundsätzliches Überdenken des Bankwesens notwendig ist, um das gesamte Wirtschaftssystem nachhaltig vor Bankkrisen zu schützen. Der letztgenannten Option folgend, wurde der oben dargestellte Modellansatz zur Veränderung des Bankensystems entwickelt. Wie im Abschnitt „Zielsetzung“ dargelegt: der Schutz der Einlagen von Bankkunden, die Vermeidung bzw. größtmögliche Eingrenzung der dem Bankwesen innewohnenden systemischen Risiken, die von den Banken zu übernehmenden Transformationsfunktionen, die von der Gesamtwirtschaft zwangsläufig benötigt werden, muss oberstes Gebot jeder Neuregelung sein. Dem wird der Modellansatz (weitestgehend) gerecht, wenn die Universalbanken dahingehend reglementiert werden, dass sie ihren ausschließlichen Geschäftsfokus auf die Güterwirtschaft zu richten haben unter stringenter, wohl strukturierter Bankenaufsicht und strikten Verschuldungsgradlimitierungen sowie restriktiver Geschäftsbeziehungen zu den untengenannten Instituten mit finanzwirtschaftlicher Ausrichtung. Es ist eine „Spezialgruppe“ von Instituten, und zwar Investmenthäuser, Hedge Funds und Private Equity-Firmen, die ihre Geschäfte mit der Finanzwirtschaft betreiben, konkret gesagt mit dem Kundenkreis, der in Anlehnung an die US-Regelung der „Accredited Investors“ definiert ist, also u. a. Universalbanken (in Einklang mit den oben genannten Restriktionen), institutionelle Anleger und „vermögende Kunden“.
191
Fazit Die folgenden Thesen lassen sich aus den oben aufgeführten Unterlassungen bei der Wiedereinführung des Universalbankensystems in den USA ableiten: 1. Die Entscheidungsträger, die die Bankensystemveränderung in den USA bewirkten, begegneten mit Ignoranz und Nichtbeachtung den geschichtlichen Fakten der „Money Trust“-Periode. Insbesondere die alles andere verdrängende Investment-Banking-Kultur, die in den damaligen Banken vorherrschte, hatte zur Folge, dass letztendlich mit dem GSA das Trennbankensystem implementiert wurde. 2. Dieses Trennbankensystem hatte außerordentlich profitable und damit sichere US-Banken mit starken Bilanzen hervorgebracht. 3. Die Auswirkungen der GSA-Aufhebung nicht nur auf den US-Inlands-Finanzmarkt, sondern auch auf die ausländische Bankenkonkurrenz wurden nicht überblickt und fanden somit keinen Entritt in die Gesetzesgebung. Insbesondere international tätige europäische Großbanken verschrieben sich der „Amerikanisierung“ des Bankenwesens durch die Hinwendung zum Investment Banking. 4. Eine veränderte Bankenaufsicht organisatorischer wie auch materieller Art wäre nach Einführung des GLBA vonnöten gewesen, und zwar sowohl in den USA wie auch in Westeuropa sowie eine internationale Koordination der regulatorischen Aufsicht jener Institute. 5. Universalbanken sind strengen Verschuldungsgradrestriktionen zu unterwerfen, die vom „Markt“ aus Transparenzgründen nachvollziehbar sein müssen. Dies schließt aus, dass den Banken gewährt wird, ihre eigene Risikogewichtung von Assets, die aus einer Black Box herrührt, zu verwenden, um deren Kapitalunterlegung zu bestimmen, was bedeutet, dass das Basel-II-Modell als Werkzeug der Bankenaufsicht versagt hat. Somit verkörpern diese Thesen die Wurzeln der Bankenkrise von 2008.
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1: Roland Hübner: Terminbörsliche Immobilienderivate für Deutschland, 2002. 2: Philip Steden: Marktorientierte Bankenregulierung. Eine ökonomische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Einlagensicherung, 2002. 3: Marc Brüning: Corporate Finance als europäische Option im mittelstandsorientierten Bankgeschäft, 2002. 4: Peter Claudy: Projektfinanzierungen in Emerging Markets. Eine institutionenökonomische Analyse, 2002. 5: Sven Deglow: Vertriebs-Controlling in Bausparkassen. Aufgaben und Instrumente einer Controlling-Konzeption zur Koordination der Vertriebswege, 2003. 6: David Mbonimana: Internationalisierungsstrategien von Banken – Kooperation versus Akquisition. Eine historische und vergleichende Analyse am Beispiel deutscher Großbanken, 2005. 7: Julia Plakitkina: Bankenstrukturen und Systemrisiken – eine ökonomische Analyse Russlands im internationalen Vergleich, 2005. 8: Florian Bolte: Auswirkungen des Schuldenmanagements auf Renditedifferenzen zwischen Anleihen öffentlicher Emittenten des Euro-Währungsgebietes, 2005. 9: Annett Ullrich: Finanzplatz Berlin – Entstehung und Entwicklung, 2005. 10: Holger Blisse: Stärkung der Kreditgenossenschaften durch verbundbezogenes Eigenkapital der Mitglieder. Ein Beitrag zur Corporate Governance-Diskussion, 2006. 11: Tobias Hofmann: Asset Management mit Immobilienaktien, 2006. 12: Bert Helwing: Qualitative Bewertung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften – Eine empirische Analyse ausgewählter Bewertungskriterien und ihr Einfluss auf die Rendite und das Beteiligungsvolumen, 2008. 13: Michael Behrens: Turnaround Finance – eine Analyse der Kapitalzufuhr im Krisenfall des Mittelstandes, 2008. 14: Jana Gersch: Studienfinanzierung durch Kreditinstitute, 2009. 15: Christian Wildmann: Portfolioinvestitionen in Emerging Capital Markets. Portfolioinvestitionen im Kontext von Entwicklungsaspekten aufstrebender Kapitalmärkte, 2011. 16: Rolf-Peter Mikolayczyk: Veränderungen des US-Bankensystems als Wurzel der Bankenkrise von 2008, 2011.