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German Pages 370 [372] Year 2011
Ralf Tenberg
Vermittlung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in technischen Berufen Theorie und Praxis der Technikdidaktik
Berufspädagogik Franz Steiner Verlag
Ralf Tenberg Vermittlung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in technischen Berufen
Ralf Tenberg
Vermittlung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in technischen Berufen Theorie und Praxis der Technikdidaktik
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: »People and cogwheel« ©Hemera Kollektion/Thinkstock
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011 Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-09879-3
Meinem Sohn Pavel
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EINFÜHRUNG Der Vorläufer dieses Lehrbuchs, die „Didaktik lernfeldstrukturierten Unterrichts“1 war ein erster Versuch, das Ende der 1990er-Jahre für die beruflichen Schulen entwickelte Lehrplankonzept, dessen zentrales Kennzeichen die Orientierung an sog. „Lernfeldern“ ist, didaktisch zu hinterlegen und bis in den Übergangsbereich zur Methodik zu konkretisieren. Dies war in zweierlei Hinsicht ambitioniert: zum Einen, weil dieses Curriculum nicht auf Basis exakter Theorien und belastbarer empirischer Befunde begründet und ausformuliert wurde, sondern eher als eine programmatische Konsequenz auf mehrere zusammen treffende Entwicklungen in Wirtschaft, Technik, Arbeitsorganisation und Berufsschulwesen verstanden werden sollte, zum Anderen, weil sich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine stabile Entwicklung in der Unterrichtspraxis eingestellt hatte, die darauf schließen ließ, dass bzw. wie das Lernfeldkonzept überzeugend in beruflichem Unterricht umgesetzt werden kann. Rekapituliert man (nun) diese zehn Jahre, die ganz im Zeichen des „Lernfeldkonzepts“ standen, muss man nüchtern feststellen, dass sich die Erwartungen an dieses Curriculum nicht in dem Maße erfüllt haben, wie es wünschenswert gewesen wäre. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die berufsschulische Realität betrachtet. Es wäre zu erwarten, dass dort sowohl der LernfeldLehrplan, als auch dessen didaktisch-methodische Umsetzung Alltag wären. In empirischen Befunden2 zeigt sich aber, dass an vielen Berufsschulen die Lernfeldimplementierung nur stockend voran kommt, dass die Lernfelder zwar planerisch realisiert werden, didaktisch-methodisch jedoch nur wenig verändert wurde. Im Hintergrund dieser Schulrealität findet eine (nach wie vor) kontroverse wissenschaftliche Diskussion statt3. Dabei ist zunächst zu bedauern, dass dies auf Basis einer unschlüssigen Befundlage stattfindet. Studien, die den Erfolg lernfeldkonformen Unterrichts bestätigen, scheinen sich dabei mit gänzlich anderen Ansätzen zu befassen, als Studien, welche den Erfolg traditionellen Unterrichts nachweisen. Der Grund für diese Unschlüssigkeit ist relativ klar: Unterricht ist zu komplex, um dessen Erfolg bzw. Wirkungen über ein einzelnes Kriterium abbilden zu können. Er lebt vor allem von den inneren Überzeugungen der Lehrerinnen und Lehrer, von deren Motivation, Engagement 1 2 3
Tenberg, 2006. S. z.B. Clement, 2002 oder Koschmann, 2009. S z.B. Minnameier, 2004 oder Bruchhäuser, 2009.
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und Energie, die sie in dessen Planung, Konzeption und Durchführung investieren. Die Diskussionen haben sich – gegenüber der Anfangszeit – versachlicht und inzwischen wird das Lernfeldkonzept auch weitgehend akzeptiert. Die Grundidee, eines kompetenzorientierten Curriculums wird – angesichts eines national und international inzwischen in allen Bildungsbereichen erfolgten „outcomeorientierten“ Paradigmenwechsels – nicht mehr in Frage gestellt. Worin liegen aber nun die Verbesserungsbereiche des Lernfeldkonzepts? Als zentraler Aspekt könnte hier der bisherige Verzicht auf die Vorgabe von Kompetenzen festgestellt werden. Mit den curricularen Lehrplänen in den 1960er-Jahren erfolgte ein bedeutender Fortschritt in der Didaktik: an Stelle von Inhalten wurden Lernziele als Orientierungspunkte markiert. Damit trat an Stelle inhaltlicher Offenheit eine Vorgabe dafür, wohin ein Lernprozess führen sollte und woran man dies erkennen kann. Der intendierte Lernerfolg wurde damit konkret und überprüfbar. Die Lernfeld-Lehrpläne müssten, in konsequenter Übertragung der curricularen Idee, Kompetenzen als Lernziele vorgeben. Stattdessen geben sie weitgehend Handlungen vor, welche dann entweder als Ziele missverstanden und in der Unterrichtsplanung auch so positioniert werden, oder einfach an Stelle von Zielen gehandhabt werden – in der (Fehl-)Annahme, dass ein lernfeldorientierter Unterricht keine expliziten Lernziele benötige. Hinzu kommt eine Verunsicherung bzgl. der Wissenschaftlichkeit von lernfeldorientiertem Unterricht. Es wird konstatiert, dass die „Prinzipien“ der Handlungsorientierung und der Wissenschaftlichkeit im Widerspruch zueinander stünden. Hier sollte sich die Berufspädagogik (und auch die Wirtschaftspädagogik) deutlicher gegenteilig äußern, da mit einer nachlassenden oder reduktiven Wissenschaftlichkeit eines ihrer Grundfundamente unterwandert werden würde. Bildung für den Beruf und Bildung durch den Beruf kann sich nicht darauf beschränken, einem „Lernaktionismus“ zu entspringen bzw. diesen zu „bedienen“. Berufliche Bildung muss auf Basis exakten Wissens, Erkenntnis und Verständnis, in vielfältiger Verknüpfung mehrdimensionaler menschlicher Lern- und Entwicklungsprozesse entstehen und vom Individuum – über den Beruf und dessen Lernraum hinaus – in die eigene Persönlichkeit übertragen und dort sedimentiert werden. Dazu gehört nach wie vor – neben situativer Erschließung und arbeitsbezogener Anwendung – wissenschaftlich fundiertes Wissen in angemessener Tiefe und mit einer hochwertigen Systematisierung.
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Die hier vorgetragene Kritik an der aktuellen Lehrplansituation kann leicht als Fundamentalkritik an der Grundidee einer Handlungsorientierung verstanden werden. Gegenteilig soll hier festgestellt werden, dass die Grundideen des Lernfeldkonzept und deren didaktisch-methodische Derivate eine immense Bereicherung für das berufliche Lehren und Lernen bewirkt haben. Daher wird an dieser Stelle auch die Kompetenzorientierung als Fortschritt bestätigt, der für beruflichen Unterricht sinnvoll und richtungweisend erscheint. Handlungsorientierung kann unbedingt als ein Ansatz verstanden werden, der beruflichen Unterricht sinnvoll bereichern und – in seinem Anspruch einer Kompetenzentwicklung – unterstützen kann. So wie man aber das berühmte „Kind nicht mit dem Bade ausschütten“ soll, so sollte man auch nicht das, was sich in Jahrzehnten didaktischer Wissenschaft und Praxis entwickelt hat, einfach fallen lassen und davon ausgehen, dass der neue Ansatz so revolutionär sei, dass er die alten Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setze und durch neue und bessere, völlig kompensiere. Also gilt es, das Neue und das Alte in seinen Stärken zu verbinden und dabei verbinden, um auf diese Weise die jeweiligen Schwächen kompensieren zu können. Das heißt mithin, Kompetenzen und systematisiertes Wissen – ebenso wie Handeln und Verstehen sowie Individualisieren und Objektivieren – nicht als Widerspruch aufzufassen, sondern gegenteilig als zwingende Einheit. Beruflicher Unterricht, der diesen Anspruch hat, muss sich aller bislang entwickelter und bewährter didaktischen und methodischen Ansätze bedienen und diese sinnvoll und überzeugend integrieren. Um dies im vorliegenden Ansatz leisten zu können, wurde ein „KompetenzKonzept“ entwickelt, welches wissenschaftlich haltbar und dabei konsequent didaktisch handhabbar ist,. Ziel war dabei, eine Definition von Kompetenzen zu ermöglichen, über die sie sich als Lernziele im beruflichen Unterricht umsetzen und auch überprüfen lassen. Aufbauend auf diesem KompetenzKonzept wurde der ehemalige Ansatz einer Didaktik lernfeldstrukturierten Unterrichts neu „durchdekliniert“, mit der Folge, dass insbesondere auf Planungsebene deutlich Erweiterungen und Ergänzungen, erforderlich waren. Angesichts der dabei erforderlichen breiten Theoriedarstellungen und -erörterungen, musste aus Platzgründen auf eine Darstellung der allgemeindidaktischen Grundlagen verzichtet werden. Hinzugekommen ist eine Spezifikation auf den Bereich der Technikdidaktik. Diese Spezifikation wurde vorgenommen, um von der Distanz einer Didaktik beruflicher Bildung in eine etwas nähere Bereichsdidaktik zu gelangen und dabei insgesamt etwas konkreter werden zu können. Dabei sind die Fokussie9
rungen auf die technischen Domänen des gewerblich-technischen Gesamtbereichs eher präzisierend denn exkludierend zu verstehen. Abgesehen von den Praxisbeispielen erscheinen alle Passagen dieses Lehrbuchs (auch) auf andere Domänen übertragbar und – im Rahmen ihrer eigenständigen fachdidaktischen Spezifikationen – auch umsetzbar. Wie schon im vorausgehenden Ansatz soll auch bei diesem Konzept davon ausgegangen werden, dass dessen Theorien und deren Übertragung in die Praxis sowie seine empirische Erschließung in Verbindung mit den vielfältigen und schnellen Veränderungen im Gesamtkontext keinen Anspruch auf etwas Feststehendes oder Endgültiges berechtigen können und damit als temporärer Ansatz zu verstehen sind, der bald zu ergänzen oder zu modifizieren sein wird. Ralf Tenberg, im März 2011
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„Der gute Lehrer verwandelt das Talent des Schülers in eine Quelle des Selbstvertrauens. Er entzündet das Feuer von Neugier, Widerspruch und Ehrgeiz. Er vermittelt die Freude an der Freude und das Vergnügen an der Disziplin. Er reizt die Lust am ‚anders‘ und am ‚mehr‘. Er lehrt die Befriedigung, die vom ‚besser‘ kommt.“ Alexander Doepel4
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In: Salcher, 2008, S. 221.
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INHALTSVERZEICHNIS Einführung .............................................................................................
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Inhaltsverzeichnis ..................................................................................
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1 Begriffliches Umfeld ......................................................................... 1.1 Didaktik ...................................................................................... 1.2 Fachdidaktik ............................................................................... 1.3 Technik ....................................................................................... 1.4 Technikdidaktik ..........................................................................
17 18 33 38 42
2 Bezugskonzepte ................................................................................ 2.1 Beruf und Individuum ................................................................ 2.2 Kompetenzen nach dem KMK-Ansatz ....................................... 2.3 Technikdidaktisches Kompetenz-Konstrukt ............................... 2.3.1 Ausgangskonstrukt .......................................................... 2.3.2 Kompetenzen als Lernziele ............................................. 2.3.3 Fachlich-methodische Kompetenzen .............................. 2.3.4 Sozial-kommunikative Kompetenzen ............................. 2.3.5 Personale Kompetenzen ..................................................
46 47 53 61 61 70 72 85 91
3 Erwerb von Berufskompetenzen ..................................................... 3.1 Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen ................... 3.1.1 Pädagogischer Konstruktivismus .................................... 3.1.2 Kognitivismus ................................................................. 3.1.3 Motorisches Lernen ......................................................... 3.1.4 Lerntransfer ..................................................................... 3.2 Erwerb sozial-kommunikativer Berufskompetenzen ................. 3.2.1 Modellernen bzw. Beobachtungslernen .......................... 3.2.2 Soziale Informationsverarbeitung ................................... 3.3 Erwerb personaler Berufskompetenzen ...................................... 3.3.1 Selbstwirksamkeit ........................................................... 3.3.2 Motivation ....................................................................... 3.3.3 Kognitiv-affektive Aspekte von Arbeit und Beruf .......... 3.3.4 Selbstreguliertes Lernen ..................................................
103 103 104 110 113 115 122 122 125 127 128 132 140 141
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4 Unterstützung des Kompetenzerwerbs .......................................... 4.1 Interaktion .................................................................................. 4.2 Feedback .................................................................................... 4.3 Technikdidaktische Lernumgebungen ....................................... 4.3.1 Technikdidaktisches Prozessmodell ............................... 4.3.2 Geteilte Kompetenzentwicklung in der dualen Ausbildung ..................................................................... 4.3.3 Technischer beruflicher Unterricht ................................. 4.3.4 Betriebliche technische Berufsausbildung ......................
146 148 156 161 163
5 Unterrichtsplanung ......................................................................... 5.1 Lehrpläne ................................................................................... 5.2 Lernziele .................................................................................... 5.3 Didaktische und methodische Orientierungskonzepte ............... 5.3.1 Zielorientierung .............................................................. 5.3.2 Fachlichkeit .................................................................... 5.3.3 Kontextualisierung ......................................................... 5.3.4 Aktivierung ..................................................................... 5.3.5 Problemlösung ................................................................ 5.3.6 Motivierung .................................................................... 5.3.7 Kollektivierung ............................................................... 5.4 Unterrichtskonzepte ................................................................... 5.5 Perspektivenplanung ..................................................................
179 181 214 224 225 226 227 231 237 239 243 246 257
6 Unterrichtsvorbereitung ................................................................. 6.1 Struktur ...................................................................................... 6.2 Lernprodukte ............................................................................. 6.3 Medien und Materialien ............................................................. 6.4 Interaktionsplanung ................................................................... 6.5 Methodische Ausgestaltung ....................................................... 6.6 Reflexions- und Kontrollelemente .............................................
262 263 270 274 282 295 307
7 Unterrichtsdurchführung ............................................................... 7.1 Pädagogische Interaktion ........................................................... 7.2 Erziehungsstile in technischem Unterricht ................................ 7.3 Erziehungsverhalten von LehrerInnen ....................................... 7.4 Moderation von Gruppenarbeit ..................................................
312 313 323 329 331
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165 169 172
8 Unterrichts-Evaluation .................................................................... 8.1 Begriff und Bedeutung ............................................................... 8.2 Evaluationsmethoden ................................................................. 8.3 Varianten von Evaluation ........................................................... 8.4 Durchführung, Auswertung und Rückführung ...........................
339 340 344 348 353
Literatur ................................................................................................. 359
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1 BEGRIFFLICHES UMFELD Erschließungsfragen: – Was ist Didaktik und woher kommt sie? – Welche Struktur und welche Funktionen können der Didaktik beigemessen werden? – Worin unterscheiden sich didaktische Forschung und didaktische Praxis und wie hängen sie wiederum zusammen? – In welcher Beziehung stehen allgemeine Didaktik und die Bereichsdidaktiken? – Was sind didaktische Modelle, welches sind die bedeutendsten und worin unterscheiden sie sich? – Wie und auf welchen Ebenen erfolgt didaktische Theoriebildung? – Über welche Mechanismen und Protagonisten wird berufliche Didaktik realisiert? – Welche Arten von Fachdidaktiken lassen sich gegenüber stellen? – Wie haben sich die beruflich-technischen Fachdidaktiken entwickelt? – Worin besteht das Positionierungsproblem technisch-beruflicher Fachdidaktiken in der Lehrerbildung? – Was verstehen wir unter Technik? – Welche verschiedenen Ansätze erklären den technischen Fortschritt? – Welche verschiedenen Ansätze von Technikdidaktik können unterschieden werden? – Wie hängen die technischen Fachwissenschaften, die Didaktik der beruflichen Bildung, die beruflich-technischen Fachdidaktiken und die berufliche Technikdidaktik zusammen?
Als inhaltliche und terminologische Ausgangspunkte dieses Lehrbuchs werden in diesem Eingangskapitel die Begriffe „Didaktik“, „Fachdidaktik“, „Technik“ und „Technikdidaktik“ thematisiert und erörtert. Dabei wird jedoch keine grundlegende Auseinandersetzung mit diesen umfassenden, vielschichtigen und keineswegs eindeutig definierten Konzepten intendiert – dazu liegen einschlägige Werke in ausreichender Anzahl und von hoher Qualität vor. Vielmehr sollen zu Beginn dieser Technikdidaktik deren naheliegende Bezugskonzepte so weit akzentuiert und konkretisiert werden, dass deren Anliegen, Bezugsfeld und Grenzen deutlich werden.
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1.1 Didaktik5 Griechisch διδσκειν/didáskein (Lehre, Lehrkunst) Mit der Herausbildung der Erziehung als gesellschaftliches Phänomen ist untrennbar auch die Herausbildung didaktischer Erscheinungen verbunden. Bereits in Urgesellschaften sind Phänomene zu finden, die heute als didaktisch bezeichnet werden. Dies bezieht sich auf bestimmte Elementarformen des Lehrens und Lernens, welche auf dieser Stufe jedoch weder voll ausgebildet noch institutionalisiert waren (z.B. das Einbeziehen der Kinder in die Tätigkeiten der Erwachsenen). Waren diese anfangs noch ohne pädagogische Intention, kam jedoch bald eine solche hinzu: Erwachsene schalteten sich selbstverständlich in die kindliche Entwicklung ein, beginnend mit einem mehr oder weniger bewussten Vormachen über Maßnahmen der Korrektur und Lenkung. In höher entwickelten Gesellschaften wurde erkannt, dass „natürliche“ (informelle) Lernprozesse verbessert bzw. abgekürzt werden können, indem man verallgemeinerte Erfahrungen an die nachwachsenden Generationen (formell) vermittelt. Somit wird das Lehren aus seinem „natürlichen“ Zusammenhang herausgenommen und es entsteht „Unterricht“ als eine „Kunstform des Lehrens“6. Mit der Institutionalisierung des Lehrens entstand auch die Didaktik als Konkretisierung, Entwicklung und Theoretisierung der ursprünglichen didaktischen Phänomene. Beispielsweise zeigen die Werke von Ratichius (1571-1635) und Comenius (1592-1670), wie sich aus der Idee, Religionsunterricht sinnvoll zu gestalten, erste didaktische Feststellungen und Erkenntnisse vor einigen Jahrhunderten manifestierten. Der Begriff der Didaktik wurde von Comenius für die „Lehrkunst“ verwendet. Die Weiterentwicklung der Didaktik zur Wissenschaftsdisziplin muss zwei Jahrhunderte später datiert werden und steht mit den Arbeiten von Pestalozzi (1746-1827) und Diesterweg (1790-1866) in enger Verbindung. Der Begriff der Didaktik kann aus verschiedenen Richtungen erklärt werden:
– Didaktik als „Berufswissenschaft einer Lehrkraft“ soll zu einer wissenschaftlich orientierten Bewältigung der Aufgaben in Schule und Unterricht befähigen. Erst eine wissenschaftlich fundierte Didaktik hebt den Beruf der Lehrerin/des Lehrers auf ein universitäres Niveau. Die Wissenschaftlichkeit der Fächer ist dabei notwendige aber dennoch nicht hinreichende Bedingung. 5 6
18
Im folgenden weitgehend wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. Vgl. Klingberg, 1972.
– Didaktik bezieht sich auf organisierte Lehr-Lernprozesse und steht gleichbedeutend für alle Aspekte dieses organisatorischen Handelns. Informelle oder funktionale Lernprozesse bedürfen keiner Didaktik (Autodidaktik!).
– Didaktik ist ein eigenes Wissenschaftsgebiet, das sich in spezifische Bereiche aufgliedert. Didaktische Forschung befasst sich zentral mit der Praxis des Lehrens und7 Lernens, beeinflusst diese und führt zu entsprechenden Theorieansätzen.
– Die Didaktik umfasst, bezogen auf den Gesamtkomplex Unterricht, alle auf Unterricht gerichteten Entscheidungen und deren Begründungen im Zusammenhang mit dessen Voraussetzungen und den dort stattfindenden Prozessen. Ebenso unterschiedlich wie die Bezugssysteme der Didaktik, sind auch deren Definitions- und Differenzierungsansätze: In der geisteswissenschaftlichen Pädagogik8 (Herman Nohl, Theodor Litt, Eduard Spranger, …)9 wurde generell zwischen einer „Didaktik im engeren Sinne“ (i.e.S.) und einer „Didaktik im weiteren Sinne“ (i.w.S.) unterschieden. „Die Didaktik i.e.S“. bezog sich dabei ausschließlich auf die Bildungsinhalte (deren Auswahl und Begründung), „die Didaktik i.w.S“. Letztere sowohl auf die Inhalte als auch auf die Methoden und Medien (die Vermittlung). Diese Unterscheidung macht ausschließlich aus Perspektive einer bildungstheoretischen Didaktik Sinn, da sie zwischen einem (zentralen) Inhaltsaspekt und einem (nicht unwichtigen, aber relativ beliebigen) Methodenaspekt differenziert.
7 8
9
„Wichtig ist, dass Didaktik immer beide Aspekte einschließt: das Lehren und das Lernen“ (Gudjons, 2001, S. 233). Hermeneutisch-pragmatisch-normauslegende Pädagogik (Nohl-Schule) aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zurückgehend auf die Theorien von Wilhelm Dilthey. Dieser Ansatz steht in engem Zusammenhang mit dem Ansatz, der Expansion und neuen Relevanz der sich zunehmend institutionalisierenden und professionalisierenden Pädagogik wissenschaftlich Rechnung zu tragen. Herman Nohl, Jahrgang 1879, war – nach Assistentenjahren bei Wilhelm Dilthey – seit 1920 Professor an der Universität in Göttingen. Erich Weninger, Jahrgang 1894, zunächst Assistent bei Nohl, wurde 1949 Nohls Nachfolger. Eduard Spranger, Jahrgang 1882, wurde 1911 in Leipzig Professor, 1919 in Berlin und 1946 in Tübingen. Theodor Litt, Jahrgang 1880, wurde 1919 Sprangers Nachfolger in Leipzig. Er war vorher Gymnasiallehrer. Wilhelm Flitner, Jahrgang 1889, arbeitete vor seiner Berufung im Volkshochschulwesen. 1926 wurde er Professor an der Pädagogischen Akademie in Kiel. 1929 wechselte er an die Universität Hamburg. Eine knappe Übersicht zu den wissenschaftshistorischen Zusammenhängen gibt Tenorth (1992, S. 219-224).
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EULER charakterisiert die Didaktik (u.a.) hinsichtlich ihrer Ziele und Funktionen (s. Abbildung 1) Unterrichtsebene
Planung und Durchführung
Beschreibung und Erklärung
Prüfung und Bewertung
LehrLernsituationen
Entwicklung von Handlungsalternativen und Hypothesen
Theorie- oder Metaebene
Abbildung 1: Ziele und Funktionen der Didaktik10
Planungs- und Steuerungsfunktion: Didaktik als Grundlage zur Vorbereitung und Durchführung von Handeln in Lehr-Lern-Situationen. Unterricht ist in jedem Falle planvolles Handeln. Um dies angemessen und differenziert zu ermöglichen, bietet die Didaktik Aussagen, Herangehensweisen, Strukturen, Methoden, etc. Jede diesbezügliche Überlegung und darauf basierende Handlung ist didaktisch hinterlegt. Ordnungsfunktion: Didaktik als Grundlage zur Beschreibung und Erklärung von Lehr- Lernsituationen. Lehrende erfassen und interpretieren selbst durchgeführten oder auch bei anderen beobachteten Unterricht. Dabei dient ihnen die Didaktik als ein ordnender Hintergrund, vor welchem sie ihre Eindrücke, Erfahrungen, Schlüsse und Erkenntnisse spiegeln können. In der großen Vielfalt und Vielschichtigkeit von Lehr-Lernprozessen bietet die Didaktik Strukturen und Räume für die Ein- und Zuordnung aller wahrnehmbaren Partikel und Komponenten. Kritik und Problematisierungsfunktion: Didaktik als Grundlage zur Überprüfung von Handeln in Lehr-Lern-Situationen. Ein Lehr-Lernprozess entspricht der Umsetzung eines didaktischen Konzepts (Planung und Steuerung) sowie dessen Wahrnehmung und Beobachtung (Ordnung). Im Sinne einer vollständigen Handlung erfolgt als nächster Schritt eine kritische Bewertung. Didaktik unterstützt in diesem Zusammenhang einen Vergleich zwischen 10
20
Nach Euler, 1997, S. 100-102.
dem, was intendiert wurde und dem, was tatsächlich erreicht wurde (bzw. damit, was als Erreichtes wahrgenommen wurde). Heuristische11 Funktion: Didaktik als Grundlage zur Entwicklung von Handlungsalternativen und Hypothesen. Erst die Relativierung der Praxis auf Theorieebene erlaubt deren Abstraktion und damit ein tiefer gehendes Verständnis, das Voraussetzung für eine Überschreitung der Praxis ist. In der heuristischen Funktion von Didaktik findet die eigentliche Theoriebildung statt, aber auch deren Rückführung in die Praxis. Auf diesen Metazyklus gehen die didaktischen Modelle zurück.12 Diese Strukturierung verbindet übergreifend didaktische Theorie und Unterricht (und damit Wissenschaft und Praxis). Zudem macht sie deutlich, dass die Funktionsfelder der Didaktik keineswegs in einem beliebigen Nebeneinander stehen, sondern in zwei ineinander verschränkte Funktionszyklen eingebettet sind: ein „kleiner“ Zyklus guter Praxis und ein „großer“ Zyklus der Wissenschafts-Praxis-Interaktion. Damit wird auch klar, dass didaktische Theoriebildung aus der Praxis entsteht, sich auf diese bezieht und in dieser wiederum umsetzbar sein muss. Didaktische Modelle: Mit dem Übergang vom 16. in das 17. Jahrhundert beginnt ein rationaler Umgang mit der Erziehungs- und Lehrpraxis. Eine allgemeindidaktische Theoriebildung erfolgt erstmals von Ratke und Comenius. Lehre im Mittelalter fand häufig in mechanischen „Pauk- und Memorierschulen“ statt. Diese orientierten sich ausschließlich an Lehrinhalten, ausgerichtet an einer wissenschaftlichen Systematik. Neu war, dass damals nun sowohl Lerninhalte als auch der Lernende berücksichtigt wurden. Peterßen unterscheidet für den Zeitraum von 1600 bis 1900 vier aufeinander folgende aber nicht aufeinander aufbauende Ansätze.13
– Didaktik als „Lehrkunst“ (Vertreter: Comenius 1592-1670, Werk: „Didactica Magna“)
– Didaktik als „Unterrichtslehre“ (Vertreter: Herbart 1776-1848, seine Schüler: Herbartianer) – Didaktik als Bildungslehre (Vertreter: Otto Willmann 1839-1920) – Didaktik als Programm/Reformpädagogik (Vertreter: Peter Peterßen, Maria Montessori, etc.) 11 12 13
Heuristisch: (hier) menschlich verstehend, abstrahierend, transzendierend, … Nach Euler, 1997, 100-102 Vgl. Peterßen, 2001b, S. 136ff.
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1900 Die Unterrichtspraxis wird zunehmend durch didaktische Programme der Reformpädagogen bestimmt. Durch die geisteswissenschaftliche Pädagogik wird eine „Allgemeine Didaktik“ begründet 1933 Die Machtergreifung und Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten ordnet die Didaktik generell einer NS-ideologischen „Blut- und Bodenpädagogik“ unter 1945 Renaissance der vor dem Krieg bedeutenden geisteswissenschaftlichen Didaktik Dieser kurze historische Überblick zeigt, dass schon zur Zeit der Aufklärungen Bemühungen um didaktische Modellbildung stattfanden. Die Ansätze von Herbart können ebenso wie jene der Reformpädagogen als erste didaktische Modelle angesehen werden, wobei die aktuell bedeutenden didaktischen Theorien erst nach 1945 ausformuliert wurden. Gegenwärtig blickt man auf eine unüberschaubare Anzahl didaktischer Modelle, die sich bspw. hinsichtlich ihrer philosophischen Ausgangspunkte, ihrer (allgemeinen) Herangehensweisen oder auch ihrer Praxisfelder unterscheiden14. Konsens hingegen besteht hinsichtlich sog. „großer“ oder „klassischer“ didaktischer Modelle. Diese im deutschsprachigen Raum am häufigsten erwähnten Modelle repräsentieren neben ihren jeweiligen spezifischen didaktischen Aussagen auch spezifische wissenschaftstheoretische Grundpositionen: Darin sind eingeschlossen:15
– Die „kritisch-konstruktive Didaktik“ mit bildungstheoretischem Hintergrund
– – – –
Die „lehrtheoretische Didaktik“ mit lerntheoretischem Hintergrund Die „kybernetische Didaktik“ mit systemtheoretischen Hintergrund Die „lernzielorientierte Didaktik“ mit behavioristischem Hintergrund Die „kritisch-kommunikative Didaktik“ mit kommunikationstheoretischem Hintergrund
Die drei letztgenannten Modelle wurden in den zurückliegenden Jahren nicht mehr aufgegriffen. Die kybernetische Didaktik impliziert, ebenso wie die lernzielorientierte Didaktik, ein reduktives Schülerbild, das den Schüler zum Objekt degradiert. Diesem Vorwurf muss sich die kritisch-kommunikative 14 15
22
Kron (2000, S. 117) zählt 30 verschiedene Modelle, welche nach 1959 veröffentlicht wurden. In Anlehnung an Gudjons, 2001, S. 235ff.
Didaktik nicht stellen, So legte diese gegenteilig einen übergroßen Schwerpunkt auf den Beziehungsaspekt im Unterricht sowie auf die und die diesbezüglichen damit zusammenhängende Kommunikation und Störungen, spart aber dafür viele andere Aspekte organisierter Lernprozesse aus. Trotz der erkennbaren Defizite kann jedoch jedes dieser Modelle auch einen Beitrag zu gutem Unterricht liefern: die kybernetische Didaktik zeigt Möglichkeiten einer Präzisierung und Optimierung von Lehrstrategien; die lernzielorientierte Didaktik führt zu einem einfachen, hochgradig transparenten Unterricht; die kritisch-kommunikative Didaktik kann hingegen Hilfe in störanfälligen Unterrichtsszenarien leisten. 50erJahre
Bildungstheoretische Didaktik, ‚Didaktik im engeren Sinne‘ Lerntheoretische Didaktik, Berliner Modell
60erJahre
Informationstheoretische, kybernetische Didaktik Kritisch-kommunikative Didaktik Lernzielorientierte Didaktik
70erJahre
80erJahre
Lehrtheoretische Didaktik, Hamburger Modell Kritisch-konstruktive Didaktik
90erJahre
Konstruktivistische Didaktik
2000
Wolfgang Klafki
Heimann, Otto, Schulz
Siebert, Gudjons
Abbildung 2: Entwicklung der Allgemeinen Didaktik von 1950-200016
BLANKERTZ kam nach einer Analyse der damaligen didaktischen Strömungen 1969 zur Schlussfolgerung, dass sie letztendlich alle auf drei Paradigmen rekurierten: das bildungstheoretische, das lerntheoretische und das informationstheoretische. Diese verstand er jedoch keineswegs als unvereinbar und konstatierte, „dass die drei Grundpositionen gegenwärtiger Didaktik nur scheinbar miteinander konkurrieren, dass sie sich vielmehr in fruchtbarer Kritik und dauerndem Problembewusstsein halten“. 16
Peterßen, 2001, S. 146
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Gegenwärtig stehen noch drei allgemeine didaktische Modellansätze nebeneinander: Die „Kritisch-Konstruktive Didaktik“, die „Lerntheoretische Didaktik“ und die sog. „Konstruktivistische Didaktik“ (s. Abb. 2).17 Eigenständige berufsdidaktische Modelle wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder propagiert, konnten sich jedoch auch in den Anwendungsfeldern der einzelnen beruflichen Domänen (Wirtschaft, Technik und Gewerbe) gegenüber den allgemeindidaktischen Modellen nicht behaupten. Der aktuelle Ansatz von STRAKA und MACKE18 einer „Lern-Lehrtheoretischen Didaktik“ erscheint durchaus interessant, wird jedoch bislang in der didaktischen Forschung sowie in der Lehrerbildung kaum wahrgenommen.
Abbildung 3: Ebenen didaktischer Theoriebildung19
Didaktik beruflicher Bildung NICKOLAUS20 unterteilt den Bezugsraum berufsdidaktischer Theorien in drei separate Ebenen: 1. die Mikroebene, in welcher die eigentliche LehrLerninteraktion stattfindet, 2. die Mesoebene, in welcher die Ordnungsmittel (Lehrpläne, Ausbildungsordnungen) gestaltet werden und 3. die Makroebene, in welcher institutionalisierte Lehr-Lernprozesse intendiert und ausgehandelt werden (s. Abb. 3). Über diese Ebenen erfolgt ein langkettiger, komplexer und keineswegs unidirektionaler Weg didaktischer Intentionalität. Das hat zur Folge, dass die letztendlich zum Lernen führenden intrapersonalen Prozesse 17 18 19 20
24
Ausführlich und klar gegliedert beschreibt Kron, 2000, S. 57-101 die didaktische Problementfaltung in der Geschichte. Vgl. Straka, Macke 2005. Vgl. Nickolaus, 2006, S. 8f. Vgl. ebd. S. 10.
als äußerst komplexes und vielschichtiges Endprodukt vielfältiger didaktischer Einzelprozesse entstehen. Wie dabei die einzelnen Institutionen und Agenten im deutschen beruflichen Bildungssystem zusammenhängen und zusammenwirken kann systemisch skizziert, jedoch nicht kausal fixiert werden. In der nachfolgenden „didaktischen Topologie“ wird dies kurz illustriert:
Abbildung 4: „Topologie“ beruflicher Didaktik
Zu 1) Gesellschaft und Wirtschaft benötigen Bildung. Dazu formulieren sie Bildungsperspektiven wie – auf gesellschaftlicher Ebenen – „Mündigkeit“, „Solidarität“, „Verantwortung“ und – auf wirtschaftlicher Ebene – „Qualifikationen“, „Fähigkeiten“, „Fertigkeiten“. 2) Diese Bildungsperspektiven werden über einen Bildungsauftrag verbindlich gemacht. Im Falle der Gesellschaft steht dafür grundlegend § 7 des Grundgesetzes sowie die bildungsbezogenen Ländergesetze. Im Falle der Wirtschaft stehen dafür zentral das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung. 3) Universitäten, Kultusministerien und das BiBB als übergreifende Fachvertretung der betrieblichen Berufsausbildung setzen sich mit beruflichen Bildungstrends auseinander, erforschen, stimulieren und konkretisieren sie.
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4) Universitäten, Kultusministerien und das BiBB orientieren sich an bestehenden Gesetzen/Verordnungen und nehmen Einfluss auf deren Interpretation, Handhabung und Entwicklung. 5) Die Universitäten und das BiBB erforschen personelle und organisatorische Aspekte schulischer und betrieblicher Berufsbildung. Dabei werden Theorien und Befunde aus Nachbardisziplinen (Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Psychologie und Soziologie) einbezogen. 6) Universitäten und das BiBB setzen sich intensiv wissenschaftlich mit Lehren und Lernen in den einzelnen Domänen unter Berücksichtigung der (sich gegenseitig bedingenden) Rahmenbedingungen und Adressaten auseinander. Dies bedingt komplexe Kreisläufe aus Empirie und Theorie. 7) Die KMK, einzelne Kultusministerien und das BiBB entwickeln in gemischten Gremien KMK-Rahmenlehrpläne und Ausbildungsordnungen für Ausbildungsberufe oder -berufsgruppen. 8) In die Lehrpläne gehen zunächst zentrale Bildungsperspektiven ein, welche gesellschaftlich legitimiert und damit normativ sind. Damit korrespondierend werden Lernziele und -inhalte konkretisiert und strukturell verankert. Oberster Bezugspunkt von Ausbildungsordnungen sind wirtschaftlich-technische Prämissen und deren Abgleich durch die betrieblichen Sozialpartner. In deren Übertragung auf konkrete Berufe werden Qualifikationen bzgl. ihrer Anforderungen, internen Bezügen und zeitlichen Abfolge beschrieben. 9) Lehrpläne antizipieren und bedingen spezielle schulische Lehrformen und Lehrmethoden, Ausbildungsordnungen antizipieren und bedingen spezielle betriebliche Unterweisungsformen und -methoden. 10) Hinter den schulischen und betrieblichen Lehr- und Unterweisungsformen stehen spezifische Vorstellungen über die jeweils bestmögliche Vermittlung von Kompetenzen. 11) Die schulischen und betrieblichen Bildungsperspektiven, Ordnungsmittel und Lehrformen werden in der Lehrerbildung und der Qualifikation von AusbilderInnen umgesetzt. 12) Betriebliche Ausbildung wird auf Basis der Ausbildungsordnung in dazu spezifisch erlernten Lehrformen von AusbilderInnen realisiert. 13) Schulischer Unterricht wird auf Basis der Lehrpläne in dazu spezifisch erlernten Lehrformen von LehrerInnen realisiert. Diese Topologie soll verdeutlichen, dass berufsdidaktisches Handeln nicht auf die Berufsschulen eingrenzbar und überwiegend Sache der LehrerInnen ist, 26
sondern in einem komplexen Bezugsraum mit verschiedensten Protagonisten stattfindet. Im Sonderfall der dualen Berufsausbildung gilt dies umso mehr, da dort berufliche Bildung über das Zusammenwirken zweier unterschiedlicher und relativ eigenständiger Bereiche entsteht. Dies geht, seit sich dieses typisch deutsche Berufsbildungssystem etabliert hat, mit charakteristischen Unstimmigkeiten und Divergenzen einher: Didaktisches Handeln wird in unserem Falle dann gut fundiert, wenn sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Bildungsziele ergänzen. In der Realität ist dies – auf Grund unterschiedlicher Interessenlagen – nicht immer der Fall. Eine moderne demokratische Gesellschaft strebt übergreifend die Entwicklung mündiger Individuen an, die Wirtschaft benötigt in erster Linie qualifiziertes Personal. Das aktuelle Bildungskonzept beruflicher Handlungskompetenz stellt jedoch eine akzeptable Koinzidenz dieser beiden Aspekte her, da der arbeits- bzw. aufgabenorientierte Qualifikationsbegriff durch den individuenorientierten Kompetenzbegriff erweitert wurde. Trotz dieses gemeinsamen Aufhängepunkts ist der oben skizzierte „Idealweg“ von den obersten Bildungsziele bis in die einzelnen Bildungsprozesse nur eine Vision. Der Weg von der Bestimmung und Konkretisierung der Bildungsziele in den dazu autorisierten Gremien bis zur Unterrichtsrealität ist lang und verzweigt. Die einzelnen Teilebenen sind relativ autonom, was große „Freiheitsgrade“ hinsichtlich der Umsetzung und Wirkung „oberer“ didaktischer Intentionen impliziert. Vertikale Autonomie entsteht z.B. durch die sehr lose Koppelung der Bildungsperspektiven und -ansprüche an deren tatsächliche Realisierung (pädagogischer Freiraum!), horizontale Autonomie entsteht z.B. durch das Nebeneinander betrieblicher und schulischer Lernorte. Lernortkooperation ist nach wie vor ein Wunschgedanke, der sowohl an den unterschiedlichen Kulturen und Intentionen der beiden Lernorte als auch an strukturellen und organisatorischen Restriktionen scheitert. Diese horizontale und vertikale Bereichsautonomie führt so nicht nur zu einer (Aus-)Bildungsrealität, die relativ fern von deren Hintergründen „stattfindet“, sondern wirkt zudem als Entwicklungsbremse, da evolutionäre Prozesse nur innerhalb der Teilsysteme stattfinden, an den Systemgrenzen aber scheitern. Wenn Bildungswissenschaftler, Bildungsadministratoren, wirtschaftliche Fachverbände, Gewerkschaften, Schulleiter, Betriebliche Ausbilder, Lehrer und Auszubildende miteinander über Berufsausbildung diskutieren, kann durchaus der Eindruck entstehen, dass jeder von etwas anderem spricht. Die geringen Erfolge der zurückliegenden Jahrzehnte mit Bildungsplänen, äußerer und innerer Schulentwicklung belegen die Affirmativität des Gesamtsystems beeindruckend. Dies mag aus einer Fernperspektive plausibel erscheinen, zumal die Verhält27
nisse in der allgemeinen Bildung trotz geringerer Systemkomplexität deutlich einfacher sind und auch hier eine große Entwicklungsresistenz feststellbar ist. Aus Nahperspektive des Bildungspersonals und insbesondere der Auszubildenden jedoch erscheint es fatal: Diese nehmen sich als „Pendler“ zwischen zwei koexistierenden, nicht aber korrespondierenden Bildungswelten wahr, sehen den technischen Fortschritt und die laufenden betrieblichen Weiterentwicklungen und identifizieren schließlich Ausbildung als etwas Rückständiges und Träges. Der „Lernort Schule“ schneidet in dieser Bewertung erfahrungsgemäß schlechter ab, da er von den Auszubildenden zum Einen als tätigkeitsfern, zum Anderen als deutlich rückständig wahrgenommen wird. Welche Rolle die Wissenschaft in diesem Gesamtsystem spielt, blieb bislang unberücksichtigt. Fest steht, dass sie auf alle Ebenen Einflüsse ausüben kann. Fest steht aber auch, dass sie dies aktuell nur in geringem Maße tut. Zentral ist hier die Berufspädagogik zu nennen. Sie befasst sich seit vielen Jahrzehnten u.a. mit der technischen Berufsausbildung und kann diesbezüglich auch vielfältige Theorien und Befunde vorweisen. Bzgl. einer bereichsdidaktischen Wissenschaft lässt sich dies kaum feststellen; nach wie vor gibt es nur wenige Didaktikprofessuren in den beruflichtechnischen Domänen. Daraus kann abgeleitet werden, dass das Implementierungsdefizit berufspädagogischer Forschung mit deren Distanz zur Unterrichtsrealität zusammenhängt, womit eine Wirkungsbarriere der Wissenschaft unter vielen beschrieben wäre. Auf oberster Ebene wäre hier z.B. die Resistenz der politischen Entscheidungsträger gegenüber wissenschaftlichen Befunden zu konstatieren, auf mittlerer Ebene beispielsweise die Problematik, schulbezogene Forschung so zu realisieren, dass sie einerseits wissenschaftlich „offen“, andererseits aber „funktional“ ist. Auf unterer Ebene stehen schließlich Lehrpersonen, die wiederum selbst zwei relativ unterschiedliche Bildungsansätze integrieren sollten und dabei ein eigenständiges Wissenschaftsverständnis in die Pragmatik des Lehr-Alltags widerspruchsfrei implementieren. Mit diesen Verwerfungen zwischen Forschung und Anwendungsfeld müssen sich jedoch nicht nur die Bildungswissenschaften, sondern auch andere Sozialwissenschaften wie z.B. die Soziologie oder die Psychologie abfinden. Um diese Kluft nach und nach zu verringern, erscheint es speziell für die Didaktik angezeigt, ein Wissenschaftsverständnis zu vertreten, welches den Einfluss auf die Praxis mit einbezieht.
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Wissenschaftliche Positionierung Der Forschung ist innerhalb der vorausgehend skizzierten Gesamtstruktur eine relativ geringe Bedeutung beizumessen. Bildungspolitische Entscheidungen erfolgen – in Gesellschaft und Wirtschaft – selten vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Befunde. Berufsdidaktische Forschung wird fast nur im schulischen Bereich und dort eher rudimentär betrieben, da es hier kaum forschungsfähige Einheiten an den Universitäten gibt. So bedingen sich defizitärer Forschungsstand und geringe politische Akzeptanz gegenseitig. Dies ist vor allem in Bezug auf die universitäre Lehrerbildung fatal, da über diesen Weg die stärksten Innovationsimpulse in dieses komplexe und sperrige System gesetzt werden können bzw. könnten. Historisch betrachtet kommt die pädagogische Forschung aus der Geisteswissenschaft (NOHL, LITT, s.o.). In der Ablehnung, empirische Methoden auf den Menschen anzuwenden, fundierte Wilhelm DILTHEY diesen philosophisch gestützten Ansatz, der davon ausgeht, dass man die Natur zwar erklären könne, den Menschen jedoch verstehen müsse. Damit einher ging die Methodologie der Hermeneutik, mit welcher in erster Linie Texte analysiert und interpretiert wurden. Die geisteswissenschaftlichen Befunde in der Didaktik fanden jedoch wegen ihres übertrieben positiven Menschenbilds und den damit zusammenhängenden Forschungsthemen kaum Übertragung in die schulische Realität. In den 1960er Jahren beendete die sog. „Realistische Wendung“ die geisteswissenschaftliche Akzentuierung, wobei sich zwei Hauptstränge ausbildeten; ein ideologiekritischer und ein empirisch orientierter. Die „Kritische Erziehungswissenschaft“ versteht sich als gesellschaftspolitischer Ansatz, welcher die Ideen der „Kritischen Theorie“21 in die Pädagogik zu übertragen suchte. Als bekanntester Didaktiker hat Wolfgang Klafki versucht, diesen Ansatz in die schulische Realität zu integrieren („kritischkonstruktive Didaktik“), was zwar zu einer Reihe von Unterrichtsansätzen und -beispielen führte, jedoch zu keinen weiterführenden wissenschaftlichen Befunden, welche das didaktische Handeln auf einer der drei Ebenen der Theoriebildung nachhaltig beeinflussen konnten. Erste empirische Ansätze in der Erziehungswissenschaft setzten den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Psychologie etablierten Behavioris21
Horkheimer, Adorno, Habermas („Frankfurter Schule“) intendierten als Kritiker der bürgerlich-kapitalistischen Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen eine „vernünftige Gesellschaft mündiger Menschen“.
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mus um. Als extremes Gegenstück zum geisteswissenschaftlichen Zugang wurden dabei die Gedanken und Gefühle der Menschen völlig ignoriert. Lernen wurde als Verhaltensänderung aufgefasst, Lehren als Konditionierung. Dass sich diese Herangehensweise nicht lange hielt, kann – ähnlich wie bei den geisteswissenschaftlichen Ansätzen – durch die geringe Relevanz der Befunde für die pädagogische Praxis erklärt werden. Als ein markanter Punkt in der Konfrontation des empirischen Wissenschaftsverständnisses mit dem gesellschaftskritischen stellt sich der sog. „Positivismusstreit“ zwischen den Philosophen Adorno und Popper dar. Popper konstatierte in seinem kritisch-rationalistischen Ansatz, dass in den Naturwissenschaften die gleichen Methoden zur Anwendung kommen müssten wie in den Sozialwissenschaften, dass diese dabei jedoch generell defizitär seien, aber zumindest dazu geeignet, Einzelprobleme temporär zu lösen. Eine nicht gelungene Falsifikation legitimiere eine spezifische Theorie im Rahmen ihrer definierten Grenzen. Adorno, der als Vertreter der kritischen Theorie due Auffassung vertrat, dass Sozialwissenschaft nicht durch ein partikuläres Erklären von Teilausschnitten vollzogen werden könne, da dies immer nur in der irrtümlichen Akzeptanz der aktuellen Lebensbedingungen erfolge und somit von diesen so erheblich konfundiert wäre, dass deren Überwindung hin zu einer besseren Gesellschaft von Anfang an ausgeschlossen sei. Daraus ergeben sich zwei sehr unterschiedliche Positionen für den Wissenschaftler: Wer sich der kritischen Theorie anschließt, muss die Gesellschaft als Ganzes verändern, um sie zu verbessern. Dies zieht eine skeptische Grundorientierung nach sich, welche letztlich immer nach Bestätigungen und Ursachen der Gesellschaftskritik sucht. Wer sich hingegen dem kritischen Rationalismus anschließt, kann – auch ohne Konformität gegenüber den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen – an vielen Stellen versuchen, konstruktiv zu arbeiten, er muss dabei nur seine Möglichkeiten und Grenzen akzeptieren. Eine Didaktik, die -wie die hier vorliegende- sich auf empirische Befunde stützt, ist somit konstruktiv ausgerichtet, ohne dabei jedoch die ihr zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Bedingungen unkritisch zu ignorieren. In den 1980er Jahren erfolgte die sog. „Qualitative Wende“. Frühe qualitative Ansätze fanden schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kulturanthropologie, Ethnologie und Soziologie statt. In Abkehr von quantifizierenden Verfahren und deren Basistheorien besann man sich darauf, dass nicht das Verhalten der Menschen entscheidend für deren Bildungsprozesse ist, sondern das, was hinter diesem Verhalten steht. Erklären und Verstehen wurden nun nicht mehr als Kontrastpaar aufgefasst, sondern als zusammengehörig. Hinzu kamen philosophische Grundüberlegungen, die eine naive Übertragung na30
turwissenschaftlicher Ansätze auf den Menschen („Szientismus“) generell in Frage stellten. Daher wurde Poppers „kritischer Rationalismus“ gerne auch in Zusammenhang mit diesem neuen Paradigma gebracht. Popper lehnte den Positivismus ab, also die Annahme, dass nur das richtig sei, was diesbezüglich unumstößlich beweisbar ist. Gegenteilig ging er davon aus, dass alles menschliche Wissen temporär sei und unsere Theorien und Modelle nur eben so lange haltbar seien, bis wir diese entweder widerlegt oder verbessert haben. Sozialforschung muss dem gemäß auf Falsifikation ausgerichtet sein und auf die Markierung der Rahmenbedingungen und Grenzen. Ihre Ergebnisse seien als temporäre Annäherung zu verstehen, nicht aber als feststehende Tatsachen. An Stelle von Hypothesen wurden nun Forschungsfragen gestellt, die Zugänge auf den Menschen waren entweder hermeneutisch oder introspektiv, die Ergebnisse wurden interpretativ aufgearbeitet und diskutiert. Klassische Methoden waren die „objektive Hermeneutik“, die Grounded Theory oder auch die qualitative Inhaltsanalyse. Aus streng empirischer Sicht wurden diese Ansätze jedoch nicht zuletzt aufgrund ihres geringen Verallgemeinerungsanspruchs nie voll anerkannt. Nachdem sich die qualitative Wende auch in der Psychologie ausgewirkt hatte, kam in den 1990er Jahren aus deren Richtung ein neuer methodischer Impuls in die pädagogisch-didaktische Forschung. Man könnte diesen (im Akzent zur vorausgehenden Wende) als „quantitative Wende“ bezeichnen, denn nun waren plötzlich wieder hypothesengestützte, wirkungs- und vergleichsbezogene Ansätze der klassischen Experimentalforschung en vogue. Vor allem aus dem nordamerikanischen Raum kam eine wahre Flut von quantitativen Studien der sog. „Lehr-Lernforschung“. Darin wurde über große Probandenzahlen und unter Anwendung inferenzstatistischer Rechenmodelle Teilaspekten von Lehren und Lernen über Querschnitts- und Längsschnittsstudien nachgegangen. Large Scale Studien von der OECD (TIMMS oder PISA) unterstrichen den Gültigkeitsanspruch des quantitativen Paradigmas durch die plötzliche und scheinbar hohe politische Anerkennung empirischer Befunde aus der Bildungsforschung. Da sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft eng an diesen – weil internationalen – Standards orientierte, breitete sich die Lehr-Lernforschung innerhalb kürzester Zeit sehr stark aus. Nach wie vor wird diese Wirkungsforschung auf allen drei Bezugsebenen aber auch skeptisch gesehen, da ihre Befunde vom Bezugsfeld distanziert und terminologisch sowie mathematisch verschlüsselt sind (Varianzaufklärungen, Regressionskoeffizienten oder Modell-Fits). Hinzu kam, dass sich die nachgewiesenen Effekte auch selten überzeugend in die didaktische Praxis übertragen ließen, da sie entweder so erwartungskonform 31
waren, dass sie längst praktisch umgesetzt wurden, (z.B. der Nachweis, dass die Qualität des Ausgangswissens für den Lernzuwachs entscheidend sei) oder weil es nicht überzeugend gelang, alle Bezugsgrößen so zu kontrollieren, dass deren Einfluss nicht den erhobenen Effekt übersteigen würde (z.B. wenn ein Unterricht auf Grund einer Gestaltungsvariante motivierender als ein anderer ist, dabei jedoch nicht kontrolliert wird, von welchem Unterricht die jeweils eingesetzten Lehrpersonen mehr überzeugt waren). Schließlich ist noch zu bemängeln, dass einige dieser Ansätze aktuell einem naiven Empirismus das Wort reden. Dieser Gefahr sind quantitative Ansätze deutlich stärker ausgesetzt als qualitative, da sie die unmittelbare Konfrontation mit den Individuuen umgehen und die quantifizierten Ergebnisse kaum Rückkontrollen möglich machen. Die für die berufliche Didaktik bedeutsame domänenspezifische Unterrichtsforschung steht aktuell diesen beiden Paradigmen gegenüber. Dabei muss erneut die Frage danach aufgeworfen werden, was unter Wissenschaft zu verstehen sei. Ein weit verbreitetes Verständnis beantwortet diese Frage mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit, also einer Ablösung der Erkenntnisse von deren Entstehungskontext zur Formulierung allgemeiner Gesetze und Regeln. Dieser Anspruch kann jedoch nur in bestimmten, zumeist wenig komplexen Systemen (z.B. Mechanik) aufrecht erhalten werden, zu denen ein Zugang über objektive Instrumente möglich ist (Messgeräte, etc.). Beide Aspekte sind in der Didaktik nicht gegeben, da es sich um hochgradig variante Szenarien handelt, in welchen viele Individuen relativ offen miteinander interagieren und ein direkter Zugang auf deren Wahrnehmungen, Deutungen, Intentionen, Kognitionen und Reflexionen unmöglich ist. Um sich diesem Anspruch zumindest anzunähern, wäre eine „didaktische Laborforschung“ erforderlich. Die dafür notwendig werdende Dekontextualisierung würde den Forschungsgegenstand jedoch derart verändern, dass die Befunde zwar ein höheres Maß an Wissenschaftlichkeit (Allgemeingültigkeit) hätten, für die Didaktik jedoch kaum Relevanz aufweisen würden, da diese nur in enger Einbindung in einen komplexen Kontext vollzogen werden kann. Daher muss didaktische Forschung auf universelle Erkenntnisse verzichten und stattdessen ihre Erkenntnisse mit entsprechenden Eingrenzungen auf deren Entstehungs- und Projektionsraum handhaben. Zudem gilt es speziell für didaktische Forschung, die traditionelle Distanz zwischen Wissenschaft und Praxis zu relativieren. In einem früheren Verständnis nahm die Wissenschaft eine distanzierte Position gegenüber der von ihr zu erforschenden Praxis ein, aktuell aber jedoch etablieren sich Ansätze, in welchen Forschung und didaktische Praxis integriert werden. Dies bedeutet nicht, dass das Eine zum 32
Anderen wird; gegenteilig muss in diesen Ansätzen immer wieder geklärt werden, wo Forschung ist und wo Praxis. Beide Bereiche behalten ihre ursprüngliche Gestalt, nur in ihrer Schnittzone ändern sich die Dinge. Die didaktische Praxis wird von Praktikern und Wissenschaftlern gemeinsam vollzogen. Aus der gemeinsamen Gestaltung ergeben sich Veränderungen in der Praxis, welche auch wissenschaftliche Erkenntnisse nach sich ziehen. Diese Erkenntnisse können wiederum in die Praxis eingespeist werden, so dass sich Praxis und Wissenschaft parallel und ineinander verschränkt entwickeln. So entsteht wissenschaftlich fundiertes und dabei praktisch hochrelevantes Wissen mit Eingrenzung auf die involvierten Subjekte und dem Bezugskontext. Beispiele für derartige Ansätze sind „Action Research“ und „Design Based Research“. Die wissenschaftliche Positionierung beruflicher Didaktiken geht aktuell somit von einem empirischen Grundverständnis aus, muss dieses aber in zweierlei Hinsicht einschränken: zum Einen, indem qualitativ-explorative Ansätze gegenüber quantitativ-hypothesenprüfenden aufgrund ihrer vielschichtigeren Auseinandersetzung mit der Unterrichtsrealität bevorzugt werden, zum Anderen, indem vor allem in Interventionsstudien Wissenschaft und Praxis sinnvoll korrespondieren sollten.
1.2 Fachdidaktik Der allgemeinen Didaktik können aktuell eine Reihe spezifizierter Didaktiken gegenüber gestellt werden. Solche Bereichs-, Schularten- oder Fachdidaktiken können nach GUDJONS als Derivate der allgemeinen Didaktik angesehen werden: „Allgemeindidaktische Modelle müssen schließlich immer wieder konkret fachdidaktisch ‚durchbuchstabiert‘ werden“.22 Umgekehrt wäre aber auch der Standpunkt vertretbar, dass die allgemeine Didaktik eine unterrichtsferne Meta-Didaktik sei, welche aus spezifischen, unterrichtsnahen Didaktiken synthetisiert werden müsse.
22
Gudjons, 2001, S. 233
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Tabelle 1: Gegenüberstellung von Allgemeiner Didaktik und spezifischen Didaktiken Allgemeine Didaktik vs. spezifische Didaktiken Zwischen der Allgemeinen Didaktik und den Fach-, Stufen-, Bereichs- und Schulartendidaktiken gibt es keine Rangunterschiede. Vielmehr stehen sie sich in unterschiedlichen Abstraktions- bzw. Konkretisierungsebenen gegenüber.
−
Fachdidaktiken (Did. der Fächer der allgemeinen und berufsbildenden Schulen)
−
Stufendidaktiken (der Sekundarstufe, der gymnasialen Oberstufe, etc.)
−
Bereichsdidaktiken (Bündelung schulischer und außerschulischer Lernbereiche z.B. Verkehrserziehung)
−
Schulartendidaktiken (z.B. Didaktik für die Grundschule, die Förderschule, …)
Bei den Fachdidaktiken ist generell zwischen der Allgemeinbildung (allgemeine Fachdidaktiken) und der beruflichen Bildung (berufliche Fachdidaktiken) zu unterscheiden. Die allgemeinen Fachdidaktiken entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts aus den Fachmethodiken der allgemeinen Schulfächer, überwiegend in den Studienseminaren (z.B. Walther Lietzmann/Mathematik-Didaktik). Dort wurden fachwissenschaftliche Theorien und Inhalte zur Vermittlung an die SchülerInnen aufgearbeitet, die Lehrpläne erörtert und umgesetzt, Schulbücher entwickelt, etc. Diese ersten fachdidaktischen Ansätze wurden als „Abbilddidaktiken“ diskreditiert, da die Lernenden dabei weitgehend als Empfänger von Wissen eingestuft wurden. Eine darauf folgende Zuordnung zu den universitären Fachwissenschaften führte zu einer Verwissenschaftlichung der Fachdidaktiken und zu einer damit verbundenen Aufwertung. Die universitären Fachdidaktiken lösten sich schließlich von den Fachwissenschaften und entwickelten sich – in Zuwendung zur Pädagogik, Entwicklungs-, Lern- und pädagogischen Psychologie – zu eigenständigen Teildisziplinen. Dabei entwickelten sie auch eigenständige Forschungsgebiete und -gegenstände. Zentral sind dabei die Auseinandersetzung mit den Bedeutungsgehalten des Domänenwissens für die SchülerInnen und deren komplexe Thematisierung bzw. Vermittlung (Lernende als Partner in einer Lehr-Lerninteraktion) sowie die „Natur der Domäne“ und domänenspezifisches Wissen im Sinne von eigenständigen, nicht pragmatisch-funktionalen Perspektiven auf das Fach.
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Die beruflich-technischen Fachdidaktiken unterscheiden sich deutlich von den allgemeinen, da sie keinen Bezug zu einer naturwissenschaftlichen Fachdisziplin aufweisen, sondern zu einem Ingenieurfach. UHE23 erklärt Fachdidaktik als jenen Teil der Fachwissenschaft, der sich mit den Voraussetzungen, Bedingungen, Zielen, Inhalten, Methoden und Medien von Lehr-Lernprozessen unter dem Aspekt der besonderen Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines Faches oder einer beruflichen Fachrichtung beschäftigt. Deutschlandweit haben sich an den universitären Standorten mit BerufsschullehrerInnenbildung im zurückliegenden Jahrhundert berufliche Fachdidaktiken in den technischen Fakultäten etabliert. SCHÜTTE24 unterteilt diese Entwicklung in sechs Abschnitte: 1. Phase der Unterrichtslehre nach 1900 (Karl Weitzel) im „herbartianistischen Grundansatz“: Die SchülerInnen müssen verstanden und möglichst gut instruiert werden, dabei wird deduktiv aber auch induktiv vorgegangen. Fragend-entwickelndes Unterrichten wird gegenüber reinem Dozieren bevorzugt. Hier liegt kein spezifischer beruflicher Ansatz vor, zentral sind Methoden und deren Anwendung, ausgerichtet auf ein besseres Arbeits- und Tätigkeitsverständnis. 2. „Frankfurter Methodik“ (Jürgen Wissing, „Werkkundlicher Berufsschulunterricht“) um 1954. Der Unterricht orientiert sich zentral an Arbeit und Beruf, „berufliche Fächer“ entstehen. In Anlehnung an Herbarts Formalstufen wird ein 3-Phasen-Modell aus Anschauung, Verstetigung und Anwendung praktiziert. Dabei werden die SchülerInnen auch schon schrittweise aktiviert. Das dabei umgesetzte Fachverständnis beschränkt sich auf die Arbeitsprozesse und deren Spezifika; fachwissenschaftliche Hintergründe werden kaum erschlossen. 3. Anspruch einer „beruflichen Fachdidaktik“ (1960, Gustav Grüner, Dietrich Hering) in Orientierung an die allgemeine Didaktik und Auseinandersetzung mit deren Ansätzen und Problemstellungen, z.B. bildungstheoretische Überlegungen und Curriculumsdiskussion. Die Ingenieurwissenschaften werden den allgemeinen Fächern gleichbedeutend gesetzt. Damit steigt der fachwissenschaftliche Anspruch, parallel dazu sinkt die Nähe zu Beruf und Arbeit. 4. In der folgenden Phase der Ausdifferenzierung wird die Parallelität beruflicher Fachdidaktiken und allgemeiner Didaktik beibehalten und vertieft. 23 24
Vgl. 104f S. 2003, S. 129ff
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Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen dabei das sogenannte „Lehrstoff-Zeit-Problem“ sowie der Ansatz einer „didaktischen Reduktion“ (Dietrich Hering) und die damit einhergehende Suche nach effizienten Vermittlungsmethoden. Die Folge war ein effizienzorientierter, funktionalisierter Unterricht, in dem die SchülerInnen über Vereinfachungsreihen zu reproduzierbaren Wissensausschnitten geführt wurden. 5. Mit Beginn der 1980er Jahre hielt die „Lernzielorientierung“ Einzug in die beruflichen Curricula und leitete damit einen Paradigmenwechsel ein. Die Didaktik befasst sich zentral mit der Bestimmung und Umsetzung curricularer Lernziele, der Unterricht wird so zentral an Fachsystematiken orientiert und konzipiert, die Wissenschaftsorientierung erreicht ein Maximum. Die damit einhergehende Entkoppelung von Beruf und Betrieb führt zum Vorwurf der berufsschulischen Vermittlung trägen Wissens. 6. Schließlich setzt sich Mitte der 1990er Jahre das Paradigma der „Handlungsorientierung“ durch (Andreas Schelten, Reinhard Bader). Da dessen spezifisches Verständnis nicht eindeutig war und sich keine eindeutige Definition oder Theorie behaupten konnte, wird unter Handlungsorientierung in hohem Maße eine Abkehr von den Fach- und Wissenssystematiken hin zu Handlungssystematiken verstanden. Damit einher gehend erfolgt eine neuerliche Reform beruflicher Curricula. Durch das Lernfeldkonzept werden die beruflichen Fächer aufgelöst. Beruflicher Unterricht fokussiert sich auf die reflektierte Lösung komplexer realitätsnaher Aufgabenstellungen. Dabei gerät jedoch die Fachlichkeit deutlich aus dem Fokus der Didaktik; Probleme wie Handlungsaktionismus und Finalorientierung werden erkennbar. Aus dieser Perspektive verläuft die Entwicklung der beruflichen Fachdidaktiken über einen spiralförmigen Prozess. Dabei wird zwischen einer Tätigkeitsbzw. Handlungsorientierung und einer Wissenschaftsorientierung alterniert, was zum Einen die Bedeutung dieser beiden „Eckpunkte“ für die berufliche Didaktik unterstreicht, zum Anderen aber auch deren bislang nicht gefundene harmonische Integration. Es ist also davon auszugehen, dass ein überzeugender fachdidaktischer Ansatz in einer beruflichen Domäne seine theoretische und empirische Fundierung genau in diesem Zusammenhang von Wissen und Können, von Theorie und Praxis, von Schul- und Arbeitswelt finden muss. Von diesem hohen Anspruch ist die aktuell wahrnehmbare Realität weit entfernt. Der oben entstehende Eindruck eines übergreifenden Entwicklungsprozesses muss, angesichts des aktuell als gering einzuschätzenden Status der Fachdidaktiken an den deutschen Universitäten, erheblich relativiert werden. 36
Dies wird einerseits durch den insgesamt niedrigen Stellenwert der LehrerInnenbildung in Zeiten der Exzellenz-Orientierung bedingt, andererseits durch ein Zuordnungsproblem der Fachdidaktik, die hybridartig zwischen der Technik und der Bildungswissenschaft oszilliert. Die beruflichen Fachdidaktiken sind aktuell an den meisten/bedeutendsten universitären Standorten den Ingenieurfakultäten zugeordnet (TUM, RWTHAachen, TU-Berlin, LU-Hannover, Uni Stuttgart). Die Lehrenden stammen dort überwiegend aus dem akademischen Mittelbau oder sind Lehrbeauftragte. Selten wird eine berufliche Fachdidaktik durch ProfessorInnen abgedeckt, was für die Lehre und deren wissenschaftlichen Hintergrund nicht angemessen sein kann. Durch die hohen Lehrverpflichtungen ist es für diese Fachdidaktiker äußerst schwer, eigenständige Forschung zu betreiben. Damit sind sie gezwungen, ihre Lehrinhalte aus anderen Forschungskontexten und -befunden zu adaptieren bzw. auf Lehrbücher zuzugreifen. Eine weitere Folge der „Verschulung“ universitärer Fachdidaktiken ist der deutschlandweit zu bemängelnde defizitäre Forschungsstand der Disziplin. Die meisten Befunde in den beruflichen Fachdidaktiken wurden in den zurückliegenden Jahren von Berufspädagogen veröffentlicht, die domänenspezifische Lehr-Lernforschung betreiben. Aktuell lassen sich drei relativ unterschiedliche Positionierungen der beruflichen Fachdidaktiken an den Universitäten vornehmen: (1) als Bestandteil der entsprechenden Fach- bzw. Bezugswissenschaften, (2) als Teil der allgemeinen Didaktik und damit Erziehungswissenschaft und (3) als unabhängige und eigene Wissenschaftsdisziplin.25 Zu (1): Das hier vorliegende Primat der Fachlichkeit entsteht aus einer engen Verkopplung mit den Ingenieurfakultäten der Universitäten. Didaktisches Handeln orientiert sich dabei an Fachwissenschaft und -systematik. Entscheidend für die Lehr-Lernprozesse ist ein hohes fachliches Niveau. Die Wissensvermittlung, deren Ansätze, Möglichkeiten und Probleme werden nachgeordnet betrachtet. Zu (2): Das hier vorliegende Primat des Lehrens kann als Gegenperspektive zum Ansatz (1) verstanden werden. Im Zentrum der Überlegungen steht die Vermittlung des Lernens, die Lehr-Lern-Interaktion und damit einhergehende pädagogische und psychologische Aspekte. Fachliches wird bei- oder nachgeordnet. Die universitäre Zuordnung liegt hier bei bildungs- oder erziehungswissenschaftlichen Fakultäten. 25
Vgl. Ott, 2003, S. 95f
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Zu (3): Ausgehend von einem Primat der Beruflichkeit wird die Fachdidaktik zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin. Dieser Ansatz postuliert, dass Facharbeit der Arbeit von Ingenieuren nicht nachgeordnet sei, sondern beigeordnet und damit einen eigenständigen Anspruch und Hintergrund habe. Die Erforschung dieser Arbeitsprozesse und der damit zusammenhängenden Lernund Entwicklungsprozesse wird als berufswissenschaftlicher Ansatz vertreten, wobei der Berufswissenschaftler Fachexperte und Vermittlungsexperte in einer Person ist. Jeder der vorgestellten Ansätze hat Stärken und Schwächen. Aktuell ist der Ansatz (1) an den bedeutendsten Standorten universitärer Lehrerbildung im gewerblich-technischen Bereich dominierend. Ansatz (3) wird überwiegend im Bezugsraum von Felix Rauner und seinen akademischen Schülern umgesetzt, Ansatz (2) ist nur an wenigen Standorten vertreten. Die Ansätze (1) und (2) stehen sich idealtypisch gegenüber. Hier sind die Stärken des einen gleichzeitig die Schwächen des anderen. Die Annahme (bzw. Hoffnung), Ansatz (3) könne angesichts des Status Quo eine Lösung bieten, in welcher die Stärken beider Ansätze erhalten und ihre Schwächen reduziert werden könnten, wird aus den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre nicht bestätigt.26 Somit ist den beruflichen Fachdidaktiken ein enormer wissenschaftlicher und struktureller Entwicklungsraum beizumessen, welcher aktuell mehr Fragen aufwirft, als beantwortet. Dies bezieht sich auf deren generelle Positionierung zwischen Fachwissenschaften und Bildungswissenschaften, deren interne Bezüge und Eigenheiten und deren Eigenständigkeitsanspruch im Zusammenhang mit genuinen Theorien, Methodologien und Forschungsbereichen.
1.3 Technik Der Gegenstand bzw. das Konstrukt der Technik ist im Hinblick auf eine Technikdidaktik als spezifizierendes bzw. eingrenzendes oder fokussierendes Merkmal zu verstehen. Allgemein werden unter Technik u.a. nutzenorientierte, künstliche, gegenständliche Gebilde (Artefakte, Sachsysteme), menschli26
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Umgekehrt kann man bei diesem Ansatz sogar davon ausgehen, dass teilweise die Schwächen verstärkt werden, denn die so genannte Berufswissenschaft liefert weder einen fachlich vertieften Wissenskern für die angehenden BerufsschullehrerInnen in ihrer technischen Domäne, noch eine deutlich erkennbar höhere Vermittlungskompetenz. Innerhalb der Disziplin konnte sich der Ansatz als eigenständiger Bereich oder Teilbereich bislang nicht überzeugend aufstellen, da weder eigenständige Basistheorien noch darauf aufbauende belastbare Befunde vorliegen.
che Handlungen und Einrichtungen, in denen diese entstehen und menschliche Handlungen, in denen sie verwendet werden subsumiert. Technik ist im 21. Jahrhundert so selbstverständlich geworden, dass deren Allgegenwärtigkeit von den Menschen kaum noch wahrgenommen wird. Mit diesem Begriff werden überwiegend Maschinen, Geräte und Bauwerke in Verbindung gebracht, aber auch unsere Gesundheit und Körperpflege ist geprägt und erfüllt von Technik, ebenso wie unsere Ernährung und Kleidung27.
Abbildung 5: Soziologische Perspektiven auf den technischen Fortschritt
Insbesondere die amerikanischen Soziologen des beginnenden 20. Jahrhunderts haben sich mit dem „Phänomen Technik“ und dessen Einfluss auf menschliche Gesellschaften bzw. deren Entwicklungen intensiv auseinender gesetzt.28 Im Ansatz von Akos Paulinyi umfasst die Technik die Gesamtheit aller Artefakte sowie aller Verfahren und Handlungen, mit denen der Mensch zum Erreichen eines Zweckes diese Artefakte vorausdenkend entwirft, herstellt und anwendet. Zentrale Bezugssysteme sind dabei „Material“, „Energie“ und „Information“. Nach Lewis Henry Morgan ist der technische Fortschritt hingegen ein bedeutender Entwicklungsmotor der Zivilisation. Er unterscheidet dabei die Wilde Ära, in der Feuer, Bogen und Töpferei das Leben der Menschen erstmals technisch verbessert haben, die „Barbarei“, in der Haustierhaltung, Ackerbau und Metallbearbeitung hinzu kamen und schließlich die „Zivilisation“, in der Sprache und Schrift Einzug hielten. Lesley White betrachtet den technischen Fortschritt aus einer anderen Perspektive, der Nutzbarmachung von Energie: Beginnend mit der Muskelkraft der Tiere wurde die 27 28
Dies wird besonders deutlich, wenn kurzzeitig der Strom – als zentraler Energielieferant unserer Technik – ausfällt, oder wir versuchen, bei einem Campingurlaub mit „möglichst wenig“ Gegenständen auszukommen. Vgl. im Folgenden Popitz, 1995.
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körpereigene Energie überschritten. Darauf hin wurden Pflanzen gezielt angebaut und damit die Ernährungssituation deutlich verbessert, schließlich wurden fossile Brennstoffe und Atomkraft für die Bereitstellung von immer größeren und verfügbareren Energien erschlossen. Schließlich betrachtet Gerhard Lenski die technische Entwicklung aus Perspektive der Kommunikation. Erst diese versetzte den Menschen in die Lage, von einem Individuum zum anderen und damit auch über die Lebenszeit hinaus Erfahrungen und Wissen zu übertragen. Lenski sieht dabei die ersten beiden Phasen menschlicher Kommunikation als vortechnische, da in ihnen zunächst ein Bewusstsein entstand. In der 1. Phase werden Informationen wie bei den Tieren auf genetischem Wege weitergegeben, in der 2. Phase dann schon durch primitive Kommunikation. Erst in der 3. Phase wird Technik zur Hilfe genommen – es entstehen Zeichensysteme und – damit zusammenhängend – logische Grundansätze im Umgang mit den Zeichen. In der 4. Phase schließlich werden Symbole und Sprachen entwickelt, welche den zentralen Ausgangspunkt für eine umgreifende Herausbildung und Verbreitung von Information bilden (s. Abb. 5). Technik und technischer Fortschritt erweisen sich aus diesen soziologischen Perspektiven als komplexes und sehr facettenreiches Begriffsfeld. Technik ist ein allgegenwärtiges, vom Menschen untrennbares und weltbestimmendes Phänomen und ihre Genese steht in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit der Entwicklung des „Homo Sapiens“, dem archaischen Menschen zum „Homo Faber“, dem technisierten Menschen. Viele wissenschaftliche Disziplinen haben einen engen Bezug zur Technik oder setzen sich mit ihr reflexiv auseinander: Seit der Aufklärung sind die Naturwissenschaften und die Mathematik Grundwissenschaften und Ausgangsbereiche für technische Entwicklungen (z.B. die physikalische Entdeckung der Elektrik für die Glühbirne). Die Ingenieurwissenschaften haben sich aus dem ehemaligen Erfindertum entwickelt. Die Technikgeschichte setzt sich historisch mit dem technischen Wandel auseinander und den Mitteln, Wegen und Bedingungen, unter denen er sich vollzieht; die Techniksoziologie erforscht die gesellschaftlichen Auswirkungen der Technik. Schließlich fokussiert sich die Technikethik auf die moralisch-ethische Auseinandersetzung mit den technischen Realitäten und Entwicklungen, insbesondere mit den Individuen, die Technik gestalten und anwenden; 2die Technikphilosophie befasst sich zentral mit der Gegenüberstellung anthropologischer Grundfragen und Technik. Der technische Fortschritt spielt auch für die Volkswirtschaften weltweit eine bedeutende Rolle. Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitri-
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jewitsch Kondratjew (auch Kondratjeff) hat sich intensiv mit dem Zusammenhang zwischen technischen Innovationen und deren wirtschaftlichen Auswirkungen befasst. Er begründete eine zyklische Konjunkturtheorie, mit einem Phänomen „langer Wellen“ aus der Entwicklung einer technischen Basisinnovation, und deren industrieller und wirtschaftlicher Umsetzung. Der erste sog. „Kondtratjew-Zyklus“ bezieht sich daher auf die Frühmechanisierung in der Zeit zwischen 1780 und 1849, als Handwerksbetriebe und Manufakturen europaweit von großen Fabriken verdrängt wurden. Basisinnovation waren erste komplexe Maschinen wie die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl. Der zweite sog. „Kondtratjew-Zyklus“ bezieht sich auf die Industrialisierung, welche letztlich durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst wurde. Diese ermöglichte wind- und wasserunabhängige Energie in bislang ungekannter Menge bereit zu stellen und machte gleichzeitig eine Reihe von Rohstoffen (Kohle, Eisen), Produkten (Koks, Stahl) und Infrastruktur (Gleise und Eisenbahnen) erforderlich. Der dritte Zyklus, ausgelöst durch die Basisinnovation des Elektromotors (1890-1940), wurde als der „Elektrotechnik- und Schwermaschinen-Kondtratjew“ bezeichnet. Der vierte Zyklus, ausgelöst durch die moderne Produktionstechnik (1940-1980), wurde als der „Einzweck-Automatisierungs-Kondratjew“ bezeichnet. Der fünfte Zyklus, ausgelöst durch die Computertechnik (seit 1980), wurde als der „Informations-und Kommunikations-Kondratjew“ bezeichnet.29 Vor allem in den Industriestaaten war und ist die Technik der Motor der Wirtschaft. Deutschland erlebt aktuell einen Umbau in eine Dienstleistungsgesellschaft, in welcher die Rolle der Technik gegenüber humanen Faktoren deutlich an Bedeutung verliert. Trotzdem wird das Bruttoinlandsprodukt immer noch zum größten Teil aus der Industrie bzw. aus dem weitgehend technisch geprägten Handwerk geschöpft. Der anhaltend hohe Stellenwert von Technik ist auch im Bildungsbereich erkennbar. Technik ist an allen allgemein bildenden Schularten in vielen Bundesländern ein eigenes Fach bzw. ein eigener Zweig. In der Berufsbildung umfasst der gewerblich-technische Bereich die größte Anzahl an Ausbildungsberufen. Dies setzt sich in den Berufsfachschulen, Fachschulen und Fachakademien fort bis in die Ingenieurausbildung an der Fachhochschulen und Universitäten, so dass konstatiert werden kann, dass der Vermittlung von technischen Konzepten, Themen bzw. Inhalten gesamtgesellschaftlich ein hoher Stellenwert beizumessen ist.
29
Vgl. Schelten, 2005, S. 207.
41
1.4 Technikdidaktik Wendet man nun das vorausgehend umrissene Konzept einer Didaktik auf Technik an, kommt man zu zwei möglichen Grundansätzen von Technikdidaktik: (1) einen Ansatz übergreifender Technikdidaktik, welche sich auf jene didaktischen Aussagen eingrenzt, die bzgl. aller vorliegenden Konzepte und Facetten von Technik getroffen werden können, und (2) einen Ansatz eingegrenzter Technikdidaktiken, welche spezifische Aussagen für eine spezielles, eingegrenztes Konzept von Technik treffen können. (1) erscheint akademisch, zudem fehlt ihm wohl eine dezidierte Interessentengruppe. Zwar wird an verschiedenen Stellen über eine „allgemeinen Technikdidaktik“ geschrieben. Allerdings liegen dabei jedoch in jedem Falle spezifische Eingrenzungen vor. Daher müsste man gemäß (2) generell von den Technikdidaktiken sprechen, davon ausgehend, dass solche zu den verschiedenen Bezugsfeldern existieren. Dies kann zumindest für die beiden Hauptbereiche von Technikdidaktik, die allgemeine Bildung und die berufliche Bildung festgestellt werden.
Abbildung 6: Bezugsräume von Technikdidakitk
Das vorliegende Lehrbuch setzt sich ausschließlich mit der „beruflichen Technikdidaktik“ auseinander. Sie unterscheidet sich von einer allgemeinbildenden Technikdidaktik deutlich, da dort Technik ohne beruflichen Hintergrund und ohne dezidiertes Arbeits- und Praxisfeld vermittelt wird. Berufliche Technikdidaktik lässt sich somit nach außen sehr leicht abgrenzen. Eine Eingrenzung nach innen hingegen wird schwieriger, da das so entstehende Bezugsfeld der Technikdidaktik schon weitgehend von den Fachdidaktiken der
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beruflichen Domänen abgedeckt wird. SCHÜTTE30 greift diese Problematik auf und unterscheidet in technischer Berufsbildung vier spezifische Paradigmen: In einer fachwissenschaftlichen (bzw. ingenieurwissenschaftlichen) Orientierung das fachdidaktische Paradigma, in Orientierung am schulischen Unterricht das unterrichtsmethodische Paradigma, in Orientierung an der betrieblichen Unterweisung das „fachmethodische Paradigma“ und in übergreifender Integration das „technikdidaktische Paradigma“. In dieser Differenzierung wird die Technikdidaktik zu einem integrativen Sammelkonzept, welches mehrere Teilkonzepte sinnvoll zusammenführt. Diese Vorstellung drückt sich auch in der Definition von BONZ31 aus, der Technikdidaktik „als Zusammenfassung von besonderen Didaktiken beschreibt, die sich auf technische Bereiche wie Metalltechnik, Bautechnik, […] beziehen, mit dem Ziel, deren didaktische Gemeinsamkeiten zusammenführend zu betrachten“. Hier muss jedoch überlegt werden, ob eine so definierte Technikdidaktik nicht schon zu einer technisch akzentuierten Didaktik der beruflichen Bildung wird. Diese wird von SCHELTEN32 als eine „Bereichsdidaktik“ beschrieben, in welcher die allgemeinen und übergreifenden Aussagen der Berufspädagogik soweit konkretisiert werden, dass sie von den Fachdidaktiken aufgegriffen und in den einzelnen Domänen umgesetzt werden können. Tatsächlich wird es sich angesichts der hier vorliegenden definitorischen Unschärfebereichen kaum vermeiden lassen, dass die Technikdidaktik nicht eindeutig bestimmt und nach innen und außen klar abgegrenzt werden kann. Dies wäre jedoch nur dann erforderlich, wenn man befürchten müsste, dass disziplinäre Streitigkeiten um bestimmte Themen oder Bezugsfelder entstehen könnten. In der Realität verhält sich dies jedoch moderat, da durch die geringe Zahl forschender beruflicher DidaktikerInnen viele Befunde und Erkenntnisse auf domänenspezifische Forschung von BerufspädagogInnen zurückgehen. Somit kann Technikdidaktik einerseits als übergreifende Fachdidaktik technischer beruflicher Fachrichtungen (Bezugspunkt Fachwissenschaften), andererseits als eine technische Spezifikation der Didaktik beruflicher Bildung (Bezugspunkt Berufspädagogik) verstanden und gehandhabt werden. Sie kann mit beiden Bereichen korrespondieren, oder diese teilweise auch substituieren. Technikdidaktik positioniert sich durch ihre Kontexte, Modelle und Instrumentarien zentral in einem erziehungswissenschaftlichen bzw. geistes- und 30 31 32
Vgl. 2006, S. 88 Bonz, 2003, S. 4ff. Vgl. Schelten, 2010, S. 143f.
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sozialwissenschaftlichen Theorie- und Forschungsraum. Sie ist – ähnlich einer Didaktik der beruflichen Bildung – mit der Berufspädagogik verknüpft.33 Sie besitzt jedoch eine größere Praxisnähe, da ihre Aussagen bis in das konkrete fachdidaktische Handeln reichen. Die Gegenstands- und Bezugsfelder der Technikdidaktik liegen im Bereich der Ingenieurwissenschaften sowie der Berufs- und Arbeitswelt in Handwerk und Industrie. Das Praxisfeld der Technikdidaktik ist im sekundären Bildungsbereich identisch mit den einzelnen Fachdidaktiken (schulische, außerschulische und betriebliche Berufsausbildung), im tertiären Bereich geht sie in die Hochschuldidaktik über. In jedem Falle erfolgt ihre Konkretisierung in spezifischen Domänen. Diese Standortbestimmung könnte dahingehend interpretiert werden, dass die Technikdidaktik die technischen Fachdidaktiken vollständig substituieren könnte bzw. wollte. Tatsächlich erscheint es müßig zu erörtern, wie weit eine technische Domäne konkretisiert werden muss, um ihr didaktisch optimal gerecht zu werden. Wenn man z.B. von einer Didaktik der Metalltechnik spricht, impliziert dies die Didaktik des Maschinenbaus (Industrie) und des Metallbaus (Handwerk). Nimmt man die Didaktik des Bauwesens, kann darin eingeschlossen sein die Didaktik des Hoch- und Tiefbaus, die Didaktik der Holztechnik und die Didaktik der Farb- und Raumgestaltung, usw. Für keinen der so abgesteckten fachdidaktischen Bezugsräume kann eine inhaltliche Begründung gefunden werden. Tatsächlich sind es zumeist pragmatische Aspekte, die entweder im Zusammenhang mit personalbezogenen oder lehrorganisatorischen Überlegungen der jeweiligen Universität stehen. D.h., dass der Übergang zwischen groß angelegten Fachdidaktiken (z.B. Fachdidaktik der Metall- und Elektrotechnik) und einer Technikdidaktik kaum wahrnehmbar und der Unterschied beider Ansätze eher in ihrem Anspruch als in ihrer Realität erkennbar wäre. Fach- oder auch technikdidaktisches Handeln kann somit in den verschiedenen Bezugsräumen sehr domänenspezifisch, andererseits aber auch relativ domänenübergreifend sein. Z.B. müssen die Curricula für jeden Beruf individuell erstellt werden, können dabei jedoch nach übergreifenden Konzepten entwickelt werden. Für die Umsetzung gilt das Gleiche: Technikidaktik kann nach übergreifenden Ansätzen, Konzepten und Regeln stattfinden, muss aber in jedem Falle auf die Berufsbezüge der Lernenden abgestimmt sein. FachdidaktikerInnen in technischen Domänen sind somit immer zu einem hohen Grad auch TechnikdidaktikerInnen und umgekehrt. Wissenschaftlich gesehen arbeiten sie an einem gemeinsamen Werk, praktisch gesehen wirken sie in 33
44
In ähnlicher Beziehung wie Wirtschaftsdidaktik und Wirtschaftspädagogik.
vielfältigen Teilausschnitten kaum abgrenzbarer Felder. Angesichts der neu entstehenden Hybridberufe (z.B. Mechatronik) werden die traditionellen Domänen zukünftig mehr und mehr entgrenzen. Die IT-Berufe führen inzwischen den gewerblich-technischen Bereich und den kaufmännischen Bereich zusammen, so dass schließlich auch die Technikdidaktik und die Wirtschaftsdidaktik über ihre Schnittzonen und Korrespondenzen nachdenken müssen. Zusammenfassend wird Technikdidaktik als die Theorie und Praxis des Erwerbs und der Vermittlung von Kompetenzen in technischen Berufen „definiert.
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2 BEZUGSKONZEPTE Erschließungsfragen: – Was wird allgemein unter „Beruf“ in unserer Gesellschaft verstanden und speziell unter Facharbeiter- und Handwerkerberufen? – Woher kommen die technischen Berufe und welchen Wandel haben sie dabei insbesondere in den letzten Jahrzehnten erfahren? – Inwiefern ist das Berufskonzept auch in Zukunft tragfähig? – Inwiefern ist Facharbeit schon zur Wissensarbeit übergegangen und welche Konsequenzen zieht dies für die Aus- und Weiterbildung nach sich? – Was ist „Kompetenz“ und wie unterscheidet sie sich von der „Performanz“? – Welche Kompetenzen konstatiert die KMK in den Lernfeldlehrplänen und welche zentralen Intentionen stehen hinter diesen? – Welche Stärken und Schwächen hat der KMK-Kompetenzansatz hat und welche Konsequenzen zieht dies für seine didaktische Handhabung nach sich? – Wie ist das „Kompetenz-Konstrukt“ von Erpenbeck und Rosenstiel aufgebaut und wie ergeben sich darin Kompetenzklassen und -gruppen? – Wie unterscheiden sich „Gradientenstrategien von Evolutionsstrategien“? – Warum macht ein lernfeldorientierter Lehrplan Kompetenzen als Lernziele erforderlich? – Wie sind fachlich-methodische Berufskompetenzen im Sinne des Ansatzes von Erpenbeck und Rosenstiel zu beschreiben? – Welche besondere Rolle spielt Wissen bei den fachlich-methodischen Berufskompetenzen und in welche Wissensarten ist dabei zu unterscheiden? – Wie sind sozial-kommunikative Berufskompetenzen im Sinne des Ansatzes von Erpenbeck und Rosenstiel zu beschreiben? – Wie sind personale Berufskompetenzen im Sinne des Ansatzes von Erpenbeck und Rosenstiel zu beschreiben?
Das vorliegende Lehrbuch wird später in seinem 2. Teil (ab Kapitel 3), ein technikdidaktisches Prozessmodell vorstellen und Schritt für Schritt konkretisieren. Sowohl der Grundansatz des Modells als auch die Überlegungen zu dessen Realisierung gehen auf eine Reihe theoretischer Ansätze zurück, welche in diesem Kapitel nacheinander erörtert werden. Aus der Gesamtheit der vorzustellenden technikdidaktischen Bezugskonzepte entsteht die Kontur des vorliegenden Ansatzes einer Technikdidaktik. Die Betrachtungen beginnen mit dem Berufskonzept, das sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat. Es wird kurz umrissen und hergeleitet, um einen zentralen Orientierungspunkt für technikdidaktisches Handeln in unserer Produktions- bzw. Dienstleistungsgesellschaft zu bestimmen. Anschlie46
ßend wird das Konzept beruflicher Handlungskompetenz erörtert. Diese aktuelle vorderste Bildungsperspektive wird zunächst hinsichtlich ihrer Intentionalität geklärt und bzgl. ihres didaktischen Gehalts analysiert. Dabei wird offen gelegt, dass das vom Staat konstatierte „Kompetenzkonzept“ (KMK-Ansatz) wegen seiner normativen Fundierung nicht überzeugend von einer wissenschaftlichen Technikdidaktik gehandhabt werden kann. Es wird daher in einen psychologisch-empirisch fundierten Ansatz übergeleitet, welcher relativ konform zu den Grundintentionen des KMK-Ansatzes geht. Im Weiteren wird das Konzept dann so weit eingegrenzt und differenziert, dass es für die vorliegende Technikdidaktik handhabbar wird. Dazu wird aufgezeigt, wie Kompetenzen als Lernziele bestimmt werden können. Zudem wird der KompetenzBegriff in die drei Teilkonzepte „fachlich-methodische“, „sozial-kommunikative“ und „personale Kompetenzen“ unterteilt, um deren Erwerb und Vermittlung im Weiteren differenziert erörtern zu können.
2.1 Beruf und Individuum Der Berufsbegriff umreißt ein spezifisches Konstrukt, welches so nur im deutschsprachigen Raum anzutreffen ist, auf eine lange Historie zurückgeht und unterschiedliche individuen-, tätigkeits-, organisations- und gesellschaftsbezogene Aspekte integriert. Wie unterschiedlich einzelne Gesellschaften mit Arbeit und Qualifikation umgehen, zeigt sich im Vergleich mit Nordamerika. Die Konstanz und Verbindlichkeit, welche das deutsche Berufskonzept prägt, wird dort als Trägheit und Fessel verstanden, die den Arbeitenden nicht Sicherheit schenkt, sondern sie ihrer Freiheit beraubt. Das von Martin Luther erstmals verwendete Wort „Beruf“ wurde von ihm aus der „Berufung“ abgeleitet. Er unterschied zwischen einem spirituellen Beruf jedes Menschen (Glaube) und einem weltlichen Beruf (Arbeit). Der sich daraus einstellende Gebrauch des Begriffs bezog sich jedoch mehr und mehr auf den weltlichen Aspekt. Schließlich war es Max Weber, der sich dieses Begriffs bediente und ihn erstmals differenzierte und konzeptionalisierte. Als frühen historischen Ausgangspunkt der Beruflichkeit ist das mittelalterliche Handwerk festzustellen. Die Handwerker als erste Experten für gewerblich-technische Produkte und Dienstleistungen nutzten ihre Bedeutung für die damalige Gesellschaft und organisieren sich in Zünften. Diese Zünfte waren zunächst rein standespolitisch intendiert, zogen jedoch auch einen Professionalisierungsprozess nach sich, welcher sich im Anspruch auf ihre Arbeit und Produkte ebenso äußerte wie in der Handhabung eigenständiger Aus- und Weiterbildung. Für den Eintritt in ein Handwerk waren bestimmte Regeln 47
einzuhalten: ehrliche und freie Geburt, ehrlicher Beruf des Vaters, christliche Herkunft. Die Lehrlinge lebten beim Meister („ganzes Haus“), mussten Lehrgeld bezahlen und lernten nach dem „Imitatio-Prinzip“ (Zusehen, nach- und mitmachen). Nach der „Freisprechung“ begann die Wanderung als Geselle wiederum nach genauen Regeln, wobei der Aufstieg in die Meister-Ebene unsicher und schwierig war. Um dem hier vorliegenden Machtgefälle zu begegnen, gründeten die Gesellen in ihren jeweiligen Handwerken eigenständige Organisationen, die Gilden. In ihnen fanden die „Berufseinsteiger“ Schutz und Halt, bis sie das Meisterrecht erwarben und damit den Zugang zum Bürgerrecht bzw. die Erlaubnis, einen eigenen Hausstand zu gründen und natürlich das Gewerbe und die Ausbildung selbständig auszuüben. Trotz vieler gesellschaftlicher und staatlicher Veränderungen sind viele dieser Grundaspekte des Handwerks auch heute noch gültig. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann im Zuge von Verstädterung und beginnender Industrialisierung ein enormer gesellschaftlicher Wandel. Durch die Gründung der ersten größeren Manufakturen bzw. Fabriken erfolgte eine zunehmende Landflucht, das Proletariat entwickelte sich als neue, aber unterprivilegierte Gesellschaftsschicht. In die Selbständigkeit der Zünfte wurde bald staatlich eingegriffen (Reichszunftordnung 1731), da in Manufakturen und Fabriken verschiedene Handwerke integriert werden, mussten um komplexe Produkte effizient herstellen zu können. Diese, vor allem durch die Umstellung des Merkantilismus (staatlich gelenkte Ökonomie) auf die klassische Nationalökonomie (freie, selbst regulierende Märkte) bedingten epochalen Veränderungen, bewirkten für die Menschen zunächst mehr Probleme als Verbesserungen im Bezugsfeld Arbeit und Produktion. Vielerorts fand „Lehrlingszüchterei“ statt, d.h. die Lehrlinge wurden in schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen nicht gefördert sondern gegenteilig ausgebeutet. Für die zunehmend fragmentierte Arbeitsorganisation war immer weniger Qualifikation erforderlich, in Industrieschulen wurde Kinderarbeit vorbereitet. Aus den mehrfach wechselnden Festlegungen der Ausbildungsberechtigung in den Gewerbeordnungen dieser Zeit ist erkennbar, dass ein intensiver Wettlauf zwischen Handwerk und Industrie stattfand, in dem den alten Professionalisierungsgedanken und Prinzipien kaum Bedeutung beigemessen wurde. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich dieses Ungleichgewicht wieder langsam zu stabilisieren. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts rekrutierte die stark wachsende Industrie Vorarbeiter und Experten aus dem Handwerk, schließlich begann sie mit einer eigenen Ausbildung. Der „Facharbeiter“ als
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ausgebildeter Industriearbeiter etablierte sich, wobei sich die Ausbildung anfänglich noch stark am Handwerk orientiert. Zwischen 1890 und 1900 ging die Zahl der Einstellungen von Handwerkern in den Industriebetrieben erheblich zurück, die Zahl der selbst ausgebildeten stieg enorm. Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert wurde die Hochphase des Taylorismus, also der extremen Arbeitsteilung in Verbindung mit völliger Dequalifizierung überschritten. Das ehemals ungelernte Proletariat verringerte sich deutlich zu einer Schicht der angelernten MitarbeiterInnen. Die FacharbeiterInnen und HandwerkerInnen ordnen sich der Mittelschicht der Gesellschaft im 20. Jahrhundert zu. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Bezugsräume stand hinter ihnen ein identisches Konzept von Beruflichkeit, in dem die Ursprungswerte und -ideen des Handwerks ebenso enthalten waren wie die neu dazu gekommenen Aspekte industrieller Facharbeit. Zentrales Kennzeichen war eine mehrjährige, nicht akademische sondern betriebliche Ausbildung in Kooperation mit Berufsschulen. Das Berufsprinzip galt über den gewerblich-technischen Bereich hinaus auch für das kaufmännisch-verwaltende Bezugsfeld, wo eine eigenständige Entwicklung stattfand, jedoch zu sehr ähnlichen Ergebnissen im Professionalisierungsprozess geführt hat. Das Berufskonzept steht also in engem Zusammenhang mit der deutschsprachigen Kultur. Die Vorstellung einer Beruflichkeit beinhaltet tradierte Werte wie Verbindlichkeit, Langfristigkeit, Sesshaftigkeit etc. In Gesellschaften, in welchen diese Werte weniger bedeutend sind oder sogar negativ bewertet werden, konnte sich kein Berufskonzept etablieren. Das beste Beispiel dafür ist das US-amerikanische Konzept eines Learnig-by-Doing. In der USA des beginnenden 20. Jahrhunderts wurde großer Wert auf Mobilität und Unverbindlichkeit gelegt. Die von John Dewey konstatierte Philosophie eines „Way of Life“ fundierte dieses Freiheitsideal. Dieser war es auch, der den „Import“ von Kerschensteiners Fortbildungsschule – und damit des Deutschen Berufskonzepts in die USA – vehement verhindert hat.34 Beruflichkeit bedingte vor allem in der Nachkriegsgesellschaft bis in die 1980er Jahre folgende zentralen Aspekte:35 – Materielle Sicherung der eigenen Existenz durch Einkommen – Anforderungsgerechte Anpassung an geforderte Qualifikationen – Integration in betriebliche Wertorientierungen und Haltungen – Betriebliche Positionierung und Aufstiegsräume 34 35
Knoll, 1993, S. 131-145. Vgl. Rebmann, Tenfelde, Uhe, 2005, S. 86.
49
– Integration in gesellschaftliche Räume und deren soziales Gefüge – Soziale Positionierung – Grundlegung eines Lebensentwurfs – Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein – Identitätsbildung und persönliches Wachstum In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde dieses Konzept zunehmend in Frage gestellt. Dies hing zentral mit dem technisch-produktiven Wandel zusammen: In der Industrie hielt die Computertechnik Einzug, die Produkte wurden spezialisierter mit immer kürzer werdenden Entwicklungs- und Produktionsintervallen, Restrukturierung hielt in den sich internationalisierenden Betrieben Einzug, das wirtschaftliche Gesamtsystem wurde dynamischer und damit auch instabiler. Der „Neue Facharbeiter“ sollte flexibler, eigenständiger und selbstlernfähig sein, um mit dieser Dynamik mithalten zu können. Diesen Anspruch versuchte vor allem die Industrie durch veränderte Ausbildungskonzepte umzusetzen, da sie mit dem beruflichen Wandel direkt konfrontiert war. In einer polarisierenden Gegenüberstellung von SCHELTEN36 wird deutlich, was vom „Neuen Facharbeiter“ gefordert wurde: Tabelle 2: Facharbeit im Wandel Früher Ausführung vorgegebener Planung nach Anweisung Starre Arbeitszeiten Detailliert vorgegebene Arbeitspläne Aufgabenverteilung durch den Meister Störfallentscheidung durch den Meister Material- und Werkzeugkompetenz beim Meister Qualitätsverantwortung bei speziellen Kontrolleuren Terminkontrolle durch Terminverfolgung Kostenverantwortung beim Meister 36
50
Vgl. Schelten 2005, S. 221.
Künftig Selbständig planen, durchführen und kontrollieren Flexible Arbeitszeiten, Absprache im Team Selbständige Planung der Arbeitsaufgaben Aufgabenverteilung im Team Selbständige Störungsanalyse und Reaktion Verantwortliche Stoff- und Werkzeugdisposition Verantwortliche Qualitätssicherung Terminverantwortung Beteiligung am Kostenmanagement
Seit dieser „Entgrenzung des Facharbeiters“ wird in zunehmendem Maße über die Sinnhaftigkeit bzw. Zukunftsfähigkeit des Berufskonzepts diskutiert. In den 1990er Jahren, im Zuge einer wirtschaftlichen Flaute und den Outsourcing-Wellen des sich verbreitenden Lean-Managements, polarisierte sich die Diskussion: auf der einen Seite wurde das Ende des Facharbeiters konstatiert (fortschreitende Erosion der Facharbeit),37 auf der anderen Seite wurde dessen Fortbestand prognostiziert (anhaltende Evolution der Facharbeit).38 Aktuell, also knapp 20 Jahre später, hält diese Diskussion an. Dabei fanden und finden weitere Entwicklungen statt, welche immer wieder die Prognosen einer Erosion zu bestätigen scheinen. Trotzdem hat das Berufskonzept in diesen beiden Jahrzehnten kaum an Bedeutung verloren, was den evolutionären Ansatz von DOSTAL – zumindest bislang – bestätigt.39 Die Gegenargumentation einer Erosion der Beruflichkeit baut in hohem Maße auf der zunehmenden Entwicklungsdynamik in den Arbeitsbereichen auf. So wird prognostiziert, dass eine Volkswirtschaft es sich angesichts des globalen Wettbewerbs bald nicht mehr leisten können wird, Facharbeiter langwierig und für einen sehr spezialisierten Bereich auszubilden. Stattdessen würde sich die angelsächsische „Training-On-The-Job-Philosophie“ durchsetzen, welche den Qualifikationsvorteil von Facharbeitern durch entsprechende Arbeitsteilung kompensierte.40 DOSTAL hält dem entgegen, dass internationale Vergleiche deutlich gemacht hätten, „dass Länder mit einer umfassenden Beruflichkeit und darauf abgestimmten Bildungs- und Organisationsstrukturen in stabilen Beschäftigungsfeldern leistungsfähiger sind und keine überzogene Arbeitsteiligkeit realisieren müssen, während Länder ohne derartige Strukturen zwar in der Bugwelle innovativer Ereignisse schnell und unkompliziert reagieren, nach Einmündung in stabile Strukturen aber nicht die erforderliche Kompetenz entwickeln können“.41 Dies würde durch den Wechsel der Marktführerschaft bei neuen und traditionellen Produkten und Dienstleistungen (z.B. Mikroelektronik, Flugzeugherstellung, Consulting) veranschaulicht. In späteren Diffusionsphasen könnten jene Länder mit ausgeprägter Beruflichkeit ihre Konkurrenzfähigkeit deutlich verbessern. Tatsächlich befindet sich die Taylorisierung weltweit anhaltend auf dem Rückzug, weil ihr ein zentraler Erfolgsfaktor, nämlich die Produktion großer Stückzahlen über lange Zeiträume, abhanden gekommen ist. Damit wird sich das deutsche Berufskonzept – in der Argumentation Dostals – weiterhin behaupten können. 37 38 39 40 41
Vgl. z.B. Baethge, 2004. Vgl. z.B.. Dostal, 2002. Vgl. ebd., S. 467f. Vgl. Baethge, S. 345f. Dostal, 2002, S. 468.
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Ein entscheidender Aspekt in der Argumentation von Dostal ist die evolutionäre Komponente im Berufskonzept. Rückblickend auf das 20. Jahrhundert kann diese deutlich festgestellt werden, denn die Veränderungen in der Beruflichkeit kamen nicht in Schüben (wie die umfassenden Diskussionen Mitte der 1980er Jahre vermuten ließen), sondern fanden und finden im ständigen Anpassen und auch Antizipieren des wirtschaftlichen und technischproduktiven Wandels statt. Der in den 1980er Jahren konstatierte „neue Facharbeiter“ war vielerorts schon da, vor allem in den Klein- und mittelständischen Betrieben, in denen flachere Hierarchien und höhere Anforderungen an die Flexibilität und Selbständigkeit der Facharbeiter vorlagen. Zudem kennzeichneten den „neuen Facharbeiter“ Attribute, welche den Meistern zugeschrieben wurden, also wiederum Facharbeitern, die sich in ihrem Beruf weiter entwickelt hatten. Auch gegenwärtig sind evolutionäre Veränderungen in der Beruflichkeit auszumachen. Im Zuge der Verbesserung und Verbreitung elektronischer Informations- und Kommunikationssysteme haben sich die Facharbeiter weitgehend zu Informations- und Kommunikationsexperten entwickelt. Diesen Trend sah REICH42 1991 schon voraus, als er den „Wissensarbeiter“ oder „Symbolanalytiker“ konstatierte. Dieser Dienstleister sei in der Lage, Probleme zu identifizieren und zu lösen und strategische Vermittlungstätigkeiten außerhalb routinemäßiger Produktionsarbeiten durchzuführen. Damals ging REICH davon aus, dass dieser Anspruch nur auf einem akademisch gebildeten Niveau umgesetzt werden könnte. Inzwischen gibt es viele Berufe, in welchen Wissensarbeit einen nicht unbedeutenden Anteil ausmacht. Für höhere berufliche Niveaus wie die Meister- oder Technikerebene, ist diese inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Somit steht das deutsche Berufskonzept an der Schwelle zur Wissensgesellschaft bzw. hat diese schon überschritten. WILLKE kennzeichnet diese mithin als eine Gesellschaft, in der Wissen zum maßgeblichen Wirtschaftsfaktor im Wettbewerb um die lokalen und globalen Märkte wird. „Wissen wird nicht mehr als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet. Es wird kontinuierlich ergänzt, transformiert, revidiert, permanent als verbesserungswürdig angesehen. Wissensabhängige Operationen durchdringen verstärkt gesellschaftliche Strukturen und Prozesse. Informationsakquise, -analyse und verarbeitung (Umgang mit Expertensystemen) wird gegenüber operativen Prozessen vorrangig. Wissen wird zum wichtigsten Produktionsfaktor (gegenüber Boden, Rohstoffen, Kapital). Die Gesellschaft fordert immer mehr ‚intelligente Güter‘, diese wiederum eine ‚intelligente 42
52
Vgl. Reich, 1991.
Handhabung, Übergabe, Wartung, Erneuerung‘ […].“43 Neben anderen Aspekten war ein elaboriertes Fachwissen schon immer ein Unterscheidungsmerkmal des deutschen Berufskonzepts gegenüber dem angelsächsischen Modell des „Learning-by-Doing“. Damit sind gute Prognosen für die Behauptung der Beruflichkeit in der Wissensgesellschaft zu geben. Zusammenfassend lässt sich für die vorliegende Didaktik bzgl. des Berufskonzepts folgendes feststellen: Beruf oder Beruflichkeit ist ein tradiertes Konzept, welches seine Wurzeln im mittelalterlichen Handwerk hat und in enger Weise mit der deutschsprachigen Kultur verknüpft ist. Es existiert in seiner aktuellen Form seit mehr als einem Jahrhundert, bezieht sich auf nicht akademisch gebildete Experten mit einer mehrjährigen Ausbildung in Handwerk und Industrie, sowohl im technischen als auch im kaufmännischen Bereich. Über die Zeit seines Bestehens hat es sich vielfach gewandelt bzw. weiterentwickelt und somit die Veränderungen in Technik, Arbeit und Gesellschaft erfolgreich mit vollzogen. Trotz Kritik und skeptischer Prognosen scheint es sich evolutionär zu verhalten und auch den Übergang einer Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft in eine Wissensgesellschaft mit zu vollziehen. Technikdidaktik muss sich sowohl curricular als auch konzeptionell an Beruflichkeit orientieren. Das heißt einerseits jene Aspekte aufgreifen und umsetzen, welche als tradiert und gesellschaftlich bedingt den Wertehintergrund des Berufskonzepts ausmachen. Andererseits gilt es, jene Aspekte zu berücksichtigen und einzubeziehen, welche das aktuelle und zukünftige Konzept von Beruflichkeit prägen. Wissen muss hierbei eine zentrale Rolle spielen.
2.2 Kompetenzen nach dem KMK-Ansatz Berufliche Bildung orientiert sich spätestens seit ihrer schulischen Institutionalisierung an spezifischen Bildungsperspektiven. Ausgehend von Georg Kerschensteiner, der eine „Bildung für den Beruf“ von einer „Bildung durch den Beruf“ unterschied, waren diese Bildungsperspektiven immer sowohl an der Tätigkeit und der dahinter stehenden Arbeitswelt, als auch am Individuum und der dahinter stehenden Gesellschaft orientiert. Das interessante und damals innovative an der Idee einer Bildung durch den Beruf war, dass einer bestimmten Entwicklung und Ausübung hochwertiger Tätigkeiten ein eigenständiger Bildungswert beigemessen werden konnte. So etablierte sich hier ein Bildungskonzept, das nicht unmittelbar auf Schule oder Kultur bezogen
43
Vgl. Willke, 2001, S. 294
53
ist, sondern vom Erlernen hochwertiger und reflektierter Erwerbsarbeit ausgeht44. In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde diese Grundausrichtung nicht wesentlich verändert. Zwar erfolgten verschiedene Akzentuierungen, korrespondierend mit den zeitlich-gesellschaftlichen Veränderungen (z.B. eine Orientierung an gesellschaftskritischen Idealen in den 1960er Jahren), ohne jedoch den ursprünglichen „Bildungsdualismus“, welcher sich auch auf die Dualität der Lernorte übertragen hatte, aufzuheben. Dualität bedeutete (und bedeutet auch nach wie vor) dabei nicht Integrativität. Trotz der gemeinsamen Bildungsgänge und übergreifenden Intentionen und Institutionen unterscheiden sich die Bildungspartner in der dualen beruflichen Bildung deutlich. Die Betriebe sind profitorientierte wirtschaftliche Organisationen, die versuchen, durch Ausbildung ihren Mitarbeiterbedarf zu sichern. Der Staat fasst Ausbildung als gesellschaftsdienlichen Auftrag auf, in dem er einerseits der nachkommenden Generation den Zugang zu Sicherheit und Einkommen durch hochwertige Erwerbsarbeit ermöglichen, andererseits die Wirtschaft in diesem gesellschaftsdienlichen Auftrag unterstützen will. Diese Hauptorientierungen können – je nach Auslegung und Handhabung – sehr nahe beieinander liegen, sie können sich aber durchaus auch voneinander entfernen. Letzteres ist dann der Fall, wenn die Betriebe sich in der Ausbildung extrem am unmittelbaren Profit orientieren und die Schulen vergessen, sich an der betrieblichen Realität zu orientieren. Anhand skeptischer Veröffentlichungen beider Seiten kann für die 1980er Jahre eine solche Phase der Entfernung konstatiert werden. Für Betriebe stand zu Beginn des Jahrzehnts die Qualifikation der Auszubildenden im Mittelpunkt beruflicher Bildung, für Schulen deren Entwicklung zum beruflich mobilen, mündigen und eigenständigen Individuum. Die Polarisierung zwischen Tätigkeitsorientierung auf der betrieblichen Seite und Individualorientierung auf schulischer Seite wurde auch durch die Mitte der 1980er Jahre beginnende Orientierung an Schlüsselqualifikationen in den Betrieben nicht verringert. Gegenteilig wurde gegenüber berufsschulischer Bildung der Verdacht einer Vermittlung „trägen Wissens“ ausgesprochen. So wurde unterstellt, dass berufsschulisch erworbenes Wissen in beruflichen Situationen von den Auszubildenden weder reflektiert, noch situativ zum Einsatz gebracht werden konnte. Als mögliche Ursachen für „träges Wissen“ wurden u.a. defizitäre metakognitive Steuerungsprozesse beim Zugriff auf das Wissen angenommen, welche auf Strukturdefizite beim Gelernten zurückzu44
54
Vgl. dazu auch Schelten, 2005.
führen seien. Das vorhandene Wissen und dessen mögliche Anwendungssituationen stünden dabei in keiner strukturellen Verbindung.45 Ein diesbezüglich belastbarer empirischer Nachweis wurde in keiner beruflichen Domäne eingebracht, vielmehr berief man sich immer auf Studien aus dem Hochschulbereich46. Als die Idee betrieblicher Schlüsselqualifikationen Anfang der 1990er Jahre in ein neues Konstrukt übertragen wurde, das sowohl für Betriebe als auch Schulen relevant und aussichtsreich war, näherten sich die Bildungsperspektiven der beiden Lernorte einander wieder an. Dieses Konstrukt wurde in Anlehnung an den Deutschen Bildungsrat als Ansatz beruflicher Handlungskompetenz bezeichnet und etablierte sich im Verlauf der 1990er Jahre bei beiden Hauptintendanten beruflicher Bildung als zentrale Bildungsperspektive (s. Abb. 7).47 Ein begünstigender Faktor für diesen Erfolg war, neben der oben beschriebenen Unzufriedenheit bzw. Kritik, möglicherweise auch die damit erwartungsgemäß zunehmende Koinzidenz in der Grundorientierung betrieblichen und berufsschulischen Lernens.
Abbildung 7: Entstehungskontext des KMK-Ansatzes beruflicher Handlungskompetenz
Gemäß der Kultusminsterkonferenz (KMK) erfüllen die Berufsschule und die Ausbildungsbetriebe „in der dualen Berufsausbildung einen gemeinsamen Bildungsauftrag. Die Berufsschule ist dabei ein eigenständiger Lernort. Sie 45 46 47
Vgl. Renkl, 1996; Weinert, Schrader, 1997, S. 325. Z.B. Gruber, Mandl, Renkl, 1999. Vgl. Bader, 1989.
55
arbeitet als gleichberechtigter Partner mit den anderen an der Berufsausbildung Beteiligten zusammen. Sie hat die Aufgabe, den Schülern und Schülerinnen berufliche und allgemeine Lerninhalte unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen der Berufsausbildung zu vermitteln. Die Berufsschule hat eine berufliche Grund- und Fachbildung zum Ziel und erweitert die vorher erworbene allgemeine Bildung. Damit will sie zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen.“48 Gemäß des Beschlusses der KMK vom 15.03.1991 sollte sich die Berufsschule zentral an folgenden Zielen orientieren: – „eine Berufsfähigkeit zu vermitteln, die Fachkompetenz mit allgemeinen Fähigkeiten humaner und sozialer Art verbindet; – berufliche Flexibilität zur Bewältigung der sich wandelnden Anforderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft auch im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas zu entwickeln; – die Bereitschaft zur beruflichen Fort- und Weiterbildung zu wecken; – die Fähigkeit und Bereitschaft zu fördern, bei der individuellen Lebensgestaltung und im öffentlichen Leben verantwortungsbewusst zu handeln.“ Was dabei genau unter Fachkompetenz zu verstehen war, blieb fast ein Jahrzehnt offen. In diesem Zeitraum etablierte sich der Kompetenzbegriff und der dahinter stehende Paradigmenwechsel berufsschulischer Bildung. Deutschlandweit wurden viele Modellversuche durchgeführt, um Unterrichtskonzepte zu entwickeln, die dieser neuen Bildungsperspektive gerecht werden konnten. Am 5. Februar 1999 wurde über einen Beschluss des Unterausschusses für berufliche Bildung der Kultusministerkonferenz (KMK) das „Lernfeldkonzept“ eingeführt. Dieser Beschluss, „berufsschulischen Unterricht“ nicht mehr in Fächer zu teilen, sondern in Lernfeldern an betrieblichen Tätigkeiten und Prozessen zu orientieren, beinhaltete als intentionales Kernstück auch ein Konzept „beruflicher Handlungskompetenz“. Dieses wurde in dafür eigens entwickelten Handreichungen49 dargestellt und erläutert, die seitdem sukzessive überarbeitet bzw. weiterentwickelt wurden. Die Tatsache, dass die KMK die Einführung eines neuen Lehrplankonzepts mit Handreichungen flankiert, ist bezeichnend für die damals ausgelöste Verunsicherung im gesamten Bezugsfeld. Etwas süffisant könnten diese Handrei48 49
56
Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht (Stand: 5. Februar 1999), S. 9. Vgl. ebd.
chungen als eine Art Gebrauchsanweisung interpretiert werden, in welcher die KMK den potenziellen „Erstellern“, aber auch „Benutzern“ ihres „Produkts“ Vorschriften und Empfehlungen gibt, wie es „entwickelt, installiert, gehandhabt und gewartet“ werden müsse. Die Frage, inwiefern dieses verbindlich für die Realisierung beruflichen Unterrichts sei, wurde dabei kaum gestellt. De facto haben die meisten Bundesländer inzwischen ihren curricularen Aufwand deutlich reduziert, indem sie die Rahmenlehrpläne zur direkten Umsetzung an den Schulen freigegeben haben. Dies erfolgte immer in oberster Orientierung an der Umsetzung der neuen beruflichen Bildungsperspektiven. In der aktuellen Version der KMK-Handreichungen vom September 2007 wird unter Handlungskompetenz „die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“50 verstanden. Diese Handlungskompetenz „entfaltet sich in den Dimensionen von Fachkompetenz, Humankompetenz und Sozialkompetenz“.51 „Fachkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen. Humankompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte. Sozialkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen und zu verstehen sowie sich mit Anderen rational und verantwortungsbewusst auseinander zu setzen und zu verständigen. Hierzu gehört insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität.“52
50 51 52
Vgl. ebd. Ebd., S. 10 Ebd., S. 11
57
Als Bestandteile dieser drei Facetten von Berufskompetenz53 bzw. beruflicher Handlungskompetenz werden zusätzlich Methodenkompetenz, kommunikative Kompetenz und Lernkompetenz angefügt. „Methodenkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung zu zielgerichtetem, planmäßigem Vorgehen bei der Bearbeitung von Aufgaben und Problemen (zum Beispiel bei der Planung der Arbeitsschritte). „Kommunikative Kompetenz“ meint die Bereitschaft und Befähigung, kommunikative Situationen zu verstehen und zu gestalten. Hierzu gehört es, eigene Absichten und Bedürfnisse sowie die der Partner wahrzunehmen, zu verstehen und darzustellen. „Lernkompetenz“ ist die Bereitschaft und Befähigung, Informationen über Sachverhalte und Zusammenhänge selbstständig und gemeinsam mit Anderen zu verstehen, auszuwerten und in gedankliche Strukturen einzuordnen. Zur „Lernkompetenz“ gehört insbesondere auch die Fähigkeit und Bereitschaft, im Beruf und über den Berufsbereich hinaus Lerntechniken und Lernstrategien zu entwickeln und diese für lebenslanges Lernen zu nutzen.“54 Dieses komplexe terminologische Gebäude wird jedoch weder wissenschaftlich hergeleitet bzw. auf wissenschaftliche Theorien abgestützt, sondern durch seine Veröffentlichung gesetzt und – teilweise – mit normativen Argumenten begründet. Da Lehrpläne traditionell normativ begründet sind, ist dies nichts Ungewöhnliches. So lange dabei tradierte, bekannte oder eindeutig definierte Begrifflichkeiten verwendet werden, ergeben sich damit für die Handhabung der Curricula kaum Probleme. Da der Kompetenz-Begriff jedoch zur Zeit der ersten curricularen Setzung ebenso wenig wie bislang eindeutig geklärt und konzeptionalisiert wurde, entstand so ein theoretisch-terminologisches Defizit, welches Unsicherheiten, Irritationen aber auch Kritik und Ablehnung im praktischen und wissenschaftlichen Umfeld ausgelöst hat. So sprechen z.B. STRAKA und MACKE von einem „Pleonasmus Handlungskompetenz“55 und zerpflücken in vielfältiger Weise diesen Begriff und dessen Konzeptionalisierung durch die KMK. U.a. bemängeln sie, dass dort das Konzept beruflicher Handlungsfähigkeit „von einem stark eingeschränkten und nicht geklärten Handlungsbegriff ausgeht. Die mehr aufzählenden Erläuterungen zu den unterschiedenen Kompetenzarten machen sichtbar, dass Kompetenz mehr umfassen soll, als bereit und fähig zu sein, sich in Situationen zu verhalten. Allerdings geschieht dies eher umgangssprachlich.“56 Un53 54 55 56
58
Herleitung über ROTHS Antropologie (1971) Ebd. Vgl. Straka, Macke, 2008, S. 591. Ebd., S. 593f.
klar bliebe dabei auch, ob mit „Bereitschaft“ nun ein Personenmerkmal (trait) oder ein aktueller Zustand (state) gemeint sei. Da die Kategorie „Wissen“ nur im Zusammenhang mit dem Begriff „Fachkompetenz“ auftrete, würde impliziert, dass alle weiteren Teilkompetenzen kein Wissen erforderten. Bzgl. der Formulierung externaler Bedingungen erfolge mit der Nennung beruflicher, gesellschaftlicher und privater Situationen eine sich selbst ad absurdum führende Ausweitung auf schlichtweg alle Lebenssituationen.57 Schließlich werde ein gewisser „Kompetenz-Hedonismus“ angesprochen, der durch eine anhaltende Zunahme von Teilkompetenzen erkennbar sei. Methoden-, Lernkompetenz und kommunikative Kompetenz könnten durchaus auch Teile oder Aspekte von Humankompetenz sein. Zudem stelle sich die Frage, „warum nur diese drei Ergänzungen vorgenommen werden und nicht auch die Medien-, Bewertungs- oder berufliche Beschäftigungskompetenz etc. aufgeführt werden“.58 EULER kennzeichnet Handlungskompetenzen als inneres Potenzial eines Menschen, welches die „Gesamtheit der im Laufe der Ontogenese sedimentierten Erfahrungen eines Individuums“ repräsentiert.59 Er weist dabei darauf hin, dass diese Erfahrungen teilweise unverbunden und widersprüchlich zueinander stehen könnten. In diesem Sinne dürfe nicht von einmaligen Verhaltensweisen ausgegangen werden, sondern von „Dispositionen für ein stabiles regelmäßiges Handeln in bestimmten Typen von Situationen“.60 Dieser Ansatz stellt generell die Fassbarkeit des Kompetenz-Konstrukts in Frage, zudem dessen Segmentierung in Teilkompetenzen und die Vorstellung, solche in einzelnen Lerneinheiten konkret entwickeln zu können. CZYCHOLL bezeichnet den Begriff der Personalkompetenz (bzw. Humankompetenz) generell als unpassend, insofern „alle analytisch auszudifferenzierenden Teilkompetenzen sind ‚humane‘ bzw. ‚personale‘ Dimensionen menschlichen Seins“ seien.61 Schließlich kulminieren alle hier konstatierten Kritikpunkte in der Problematik der Kompetenzmessung. Aktuell liegen zwar eine Reihe valider und reliabler Verfahren zur Kompetenzmessung vor, diese sind jedoch in jedem Falle auf ein theoretisch begründetes und empirisch abgesichertes KompetenzKonstrukt bezogen.62 Angemessene Instrumente, die Kompetenzen nach dem 57 58 59 60 61 62
Vgl. ebd., S. 594. Ebd. Euler, 1997, S. 125. Ebd., S. 126. Czycholl, 2001, S. 173. Vgl. dazu Erpenbeck, Rosenstil, 2003.
59
KMK-Konzept messen, sind auf Grund des (oben festgestellten) Theoriedefizits kaum vorstellbar. Hinzu kommt, dass auch die aktuellen elaborierten Verfahren zur Kompetenzmessung nicht unproblematisch sind. Zum Einen, weil sie generell einen großen Aufwand erfordern sowie hohe diagnostische Expertise bei den Messenden. Zum Anderen aber, weil ihre Ergebnisse so komplex sind, dass sie für kleinere Lehr-Lerneinheiten kaum sinnvoll angewandt werden können, was wiederum dezidierte Rückschlüsse auf Beziehungen zwischen Lernprozess und -wirkungen schwierig bis unmöglich macht. Angesichts dieser Schwierigkeit haben sich inzwischen eine Reihe von Hilfsverfahren etabliert, die Instrumente zur Kompetenzfeststellung im Rahmen der KMK-Systematik anbieten.63 Bzgl. dieser Verfahren liegen jedoch keine belastbaren empirischen Belege vor. Sie erscheinen insgesamt wenig geeignet, da sie im fachlichen Bereich die Lösung von fiktiven, wenig berufs- oder tätigkeitsrelevanten Aufgaben und deren narrativer Beurteilung vorsehen. Im sozialen und personalen Bereich finden Selbstbewertungen im Rahmen von wenig konkretisierten und operationalisierten Dimensionen statt. Dies kann auch als ein weiteres Symptom für die Schwächen des KMKKompetenz-Ansatzes angesehen werden und auch für die Unsicherheit derjenigen, die versuchen, dieses didaktisch und methodisch umzusetzen, ohne aber an das Kernproblem heran zu kommen. Die hier komprimiert zusammengefasste Kritik bzgl. der Fundierung und Handhabbarkeit des von der KMK verwendeten Kompetenz-Ansatzes stellt dessen didaktisches Potenzial vor allem aus Perspektive der Unterrichtsplanung und -konzeption in Frage. Im vorliegenden Lehrbuch wird daher ein alternatives Kompetenz-Konstrukt aufgezeigt, welches dem KMK-Ansatz relativ ähnlich ist, dabei jedoch einfacher, besser fundiert und mit empirischem anstatt normativem Hintergrund. Dieser Ansatz versteht sich dabei nicht als Gegenkonzept zum KMK-Ansatz. Er korrespondiert in wesentlichen Aspekten und widerspricht auf keinen Fall der Grundidee, zu der sich die Intendanten der KMK-Handreichungen in der ersten und auch in der aktuellen Fassung bekannt haben, „eine Berufsfähigkeit zu vermitteln, die Fachkompetenz mit allgemeinen Fähigkeiten humaner und sozialer Art verbindet“.64 Ähnliche Ansätze, Kompetenzen konkreter und didaktisch handhabbarer zu
63 64
60
Z.B. der sog. KOMET-Ansatz (vgl. Rauner, Piening, 2010) oder Bremer, Haasler, 2004. KMK, 2007, S. 9.
modellieren, sind im In- und Ausland in vielen Bereichen erkennbar, die nicht vom Lernfeldkonzept abgedeckt werden.65
2.3 Technikdidaktisches Kompetenz-Konstrukt 2.3.1 AUSGANGSKONSTRUKT Als Orientierung für ein technikdidaktisches Kompetenz-Konstrukt kann und muss eine Vorstellung darüber heran gezogen werden, was Facharbeit ist bzw. was den Facharbeiter oder Handwerker ausmacht. Im vorausgehenden Kapitel zum Verhältnis von Beruf und Individuum wurde dies historisch hergeleitet und anhand von traditionellen und perspektivischen Merkmalen konkretisiert. Zentrales Kennzeichen von Facharbeit ist eine spezielle Expertise, die mit einer langfristig erworbenen und verdichteten Praxis zusammenhängt, dabei aber in hohem Maße von deren theoretischem Verständnis bedingt wird. Diese Expertise liegt in theoretischen Aspekten unter dem akademischen Niveau, im Praktischen jedoch darüber. Facharbeiter und Handwerker sind in der Lage, innerhalb ihrer Domäne eigenständig komplexe Aufgaben zu identifizieren und effektiv und effizient zu lösen. In Gesellschaften, in welchen Facharbeiter und Handwerker fehlen, muss eine Vermittlungsinstanz zwischen Konstruktion, Entwicklung bzw. Aufgabenanalyse und Aufgabenumsetzung eingebaut werden, die die einfachen Tätigkeiten der angelernten Mitarbeiter, deren Abfolgen sowie Korrespondenzen koordiniert und ihre Produkte oder Dienstleistungen kontrolliert. Ein zentraler Unterschied zwischen dem worker und dem Facharbeiter besteht also in einer höheren Eigenständigkeit und einem größeren Einsatzspektrum. Einen weiteren Unterschied könnte man vielleicht auf einer affektiven bzw. moralischen Ebene ausmachen, insofern man davon ausgehen könnte, dass sich Facharbeiter und Handwerker stärker mit ihrem beruflichen Handeln identifizieren können als bspw. angelernte Mitarbeiter – allerdings liegen dazu keine vor. Vor allem aber stellt sich das Konstrukt der Beruflichkeit als äußerst Facettenreich und – von Ansatz zu Ansatz – durchaus kontrovers dar.66 In der hier vorzunehmenden Kompetenzmodellierung wird daher diese Dimension (zunächst) ausgespart.67 Die Frage danach, wodurch eine große Handlungsflexibilität bedingt wird, lässt sich quantitativ und qualitativ beantworten. Sie entsteht sicher zunächst aus einer längerfristigen Ansammlung von Einzelerfahrungen. Eine darauf 65 66 67
Vgl. z.B. den „CoRe“-Ansatz von Ghsila, Bausch, Boldrini, 2008. Vgl. Unger, 117ff. Der Ansatz von Ghisla, Bausc, Boldrini (2008) sieht eine moralische Dimension vor.
61
zurückgehende Flexibilität stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn neue Bedingungen angetroffen werden bzw. wenn sich unbekannte Probleme oder Widerstände einstellen. Um dann handlungsfähig zu sein, ist das Verständnis der beherrschten Einzelhandlungen erforderlich, deren ursächlicher Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten und Wirkungen. Somit lässt sich hier subsumieren, dass Facharbeit als ein verstehendes bzw. verstandenes selbständiges Handeln innerhalb eines begrenzten Expertisefeldes beschrieben werden kann. Auf dieses Grundverständnis von Facharbeit lässt sich die Kompetenzdefinition von ERPENBECK und ROSENSTIEL widerspruchsfrei übertragen. Sie definieren Kompetenzen sehr knapp als „Dispositionen selbständigen Handelns“68 und beziehen sich dabei zentral auf die sprachwissenschaftlichen Ansatz von CHOMSKY (1962) und den motivationspsychologischen Ansatz von WHITE (1959). Beide Ansätze akzentuieren die menschliche Fähigkeit, aus einem begrenzten Inventar an Informationen und der Verinnerlichung damit zusammenhängender Anwendungsmöglichkeiten ein großes funktionsfähiges Handlungsrepertoire zu entwickeln. Die einzelne Handlung wird dabei (in Anlehnung an Chomsky) als „Performanz“ bezeichnet und so der Unterschied betont, der zwischen dem besteht, was das selbständige Handeln ermöglicht, bedingt und bestimmt und der eigentlichen Handlung. HUBER (2006) beschreibt das Verhältnis zwischen Performanz und Kompetenz als ein „Teil-Ganzes-Verhältnis“ und bringt so zwei weitere zentrale Aspekte zum Ausdruck: Nicht die einzelne Handlung kann Ausdruck über die dahinter stehenden Kompetenzen geben; vielmehr sind dazu immer mehrere selbständige Handlungen in variablen Situationen erforderlich. Umgekehrt ist aber ein Zugang auf die Kompetenzen nicht direkt, sondern nur indirekt über die daraus generierten Handlungen möglich. Das Ganze bleibt abstrakt und ist eine Implikation seiner Teile.69 Wenn Facharbeit – so wie oben beschrieben – von eigenständigem, situationsflexiblem, ausbau- und weiterentwicklungsfähigem Handeln geprägt ist, dann muss sie – gemäß der Definition von ERPENBECK & ROSENSTIEL – auf Basis von Kompetenzen erfolgen. Dass dies jetzt der Fall ist und auch zukünftig absehbar, bestätigen die vorausgehend erörterten Überlegungen über eine Zunahme der Wissensarbeit in der Facharbeit, bei welcher der operative Tätigkeitsanteil sich gegenüber den informationsbezogenen, planerischen, kommunikativen und organisierenden Anteilen deutlich verringern wird. Die tat68 69
62
Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XIX. Als Pendant dazu könnte Kompetenz (phänomenologisch) auch als ein Phänomen identifiziert werden, welches nicht direkt betrachtet, sondern ausschließlich über die Betrachtung seiner Abschattungen beschrieben werden kann.
sächliche Ausführung wird damit nicht nebensächlich werden, aber eine zunehmende kognitive Auseinandersetzung und Durchdringung erfordern. Die Basistheorie von ERPENBECK & ROSENSTIEL erweist sich somit als relevant, kann aber nicht genügen, um berufsbezogene Kompetenzen hinreichend zu beschreiben. Sie kennzeichnet berufliche Handlungskompetenzen generell als Dispositionen, welche Facharbeiter und Handwerker zu selbsttätigem beruflichen Handeln befähigen, erlaubt jedoch keine Aussagen darüber, wie diese im Einzelnen beschaffen sind. In einer Weiterführung der Basistheorie unterscheiden ERPENBECK & ROSENSTIEL zwischen „Kompetenztypen“ und „Kompetenzklassen“.70 Die Unterscheidung in Kompetenztypen bezieht sich auf den Anspruch der kompetenzbestimmenden Selbstorganisation. In jedem Falle wird dabei davon ausgegangen, dass Selbstorganisation „Problemlösung“ sei. Diese könne jedoch in zwei grundlegenden Ansätzen erfolgen, zum Einen durch „Gradientenstrategien“, zum Anderen durch „Evolutionsstrategien“. Ersteren wird ein weitgehend algorithmischer Ansatz zugeschrieben, Letzteren ein überwiegend heuristischer. Facharbeit kann beides erfordern. In der alltäglichen Arbeit und bei geringer Situationsvarianz dominieren Gradientenstrategien, bei Problemsituationen oder komplexen bzw. neuen Anforderungssituationen werden vermehrt Evolutionsstrategien erforderlich. Hier ist jedoch auch eine Grenze zwischen dem Facharbeiter bzw. Handwerker und Meistern bzw. Technikern zu ziehen. Berufliche Entwicklung und Aufstieg eines Facharbeiters oder Handwerkers bedingen eine Erweiterung des Kompetenzspektrums: die Gradientenstrategien werden beherrscht und bleiben verfügbar, darauf aufbauend und diese überschreitend kommen Evolutionsstrategien hinzu.71 Die Unterscheidung in Kompetenzklassen hingegen orientiert sich an den verschiedenen Bezügen bzw. einem Beziehungssystem des selbstorganisierten Handelns. ERPENBECK & ROSENSTIEL gehen dabei davon aus, dass sich geistige oder physische Handlungen stets Subjekt-Objekt oder SubjektSubjekt-Beziehungen vollziehen. „Selbstorganisiertes Handeln kann sich reflexiv auf die handelnde Person selbst beziehen (P). Es kann durch Aktivität und Willenskomponenten des Handelnden näher charakterisiert werden (A). Es kann sich auf eine gegenständliche Umwelt beziehen (in der auch andere Menschen als Forschungs- oder Bearbeitungs-‚Gegenstände‘ aufgefasst werden), auf deren fachlich-methodische Erfassung und Veränderung (F). Es
70 71
Vgl. Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIff. Vgl. Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIf.
63
kann schließlich auf eine soziale Umwelt (andere Menschen oder Menschengruppen) bezogen sein (S)“ (s. Abb. 8).72
Abbildung 8: „Die unterschiedlichen kompetenzrelevanten Objekt-Subjekt-Beziehungen“73
In Umsetzung der vier möglichen kompetenzrelevanten Beziehungen identifizieren ERPENBECK & ROSENSTIEL vier Kompetenzklassen, welche in der Literatur auch als „Schlüsselkompetenzen“ bezeichnet werden:74 Bezieht sich selbstorganisiertes Handeln reflexiv auf die handelnde Person selbst (P), handelt es sich um „personale Kompetenzen“, wird es durch Aktivität und Willenskomponenten des Handelnden näher charakterisiert (A) handelt es sich um aktivitäts- bzw. umsetzungsorientierte Kompetenzen, bezieht es sich auf eine gegenständliche Umwelt und auf deren fachlich-methodische Erfassung und Veränderung (F), handelt es sich um „fachliche und methodische Kompetenzen“, bezieht es sich auf eine soziale Umwelt (S), handelt es sich um „soziale Kompetenzen“.75 „Personale Kompetenzen: Dispositionen einer Person, reflexiv selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich selbst einzuschätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln, eigene Begabungen,
72 73 74
75
64
Ebd., S. XXIII. Ebd. Damit wird deutlich, dass Schlüsselkompetenzen nicht – wie häufig irrtümlich gehandhabt – als Metakompetenzen zu verstehen sind, aus welchen wiederum spezifische Kompetenzen generiert werden können, sondern als Ordnungsbezeichnungen im Sinne von Überbegriffen für die Zuordnung von spezifischen Kompetenzen. Wenn z.B. Fachkompetenz eine Schlüsselkompetenz ist, dann kann ein Mensch nicht über diese verfügen, sondern nur über eine Reihe von Kompetenzen, die als Fachkompetenzen einzuordnen sind. Richtigerweise muss man daher bei den Kompetenzklassen immer im Plural sprechen. Vgl. Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIII.
Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich im Rahmen der Arbeit und außerhalb kreativ zu entwickeln und zu lernen. Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen: Dispositionen einer Person, aktiv und gesamtheitlich selbstorganisiert zu handeln und dieses Handeln auf die Umsetzung von Absichten, Vorhaben und Plänen zu richten entweder für sich selbst oder auch für andere und mit anderen, im Team, im Unternehmen, in der Organisation. Diese Dispositionen erfassen damit das Vermögen, die eigenen Emotionen, Motivationen, Fähigkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompetenzen – personale, fachlich-methodische und sozial-kommunikative – in die eigenen Willensantriebe zu integrieren und Handlungen erfolgreich zu realisieren. Fachlich-methodische Kompetenzen: Dispositionen einer Person, bei der Lösung von sachlich-gegenständlichen Problemen geistig und physisch selbstorganisiert zu handeln, d.h. mit fachlichen und instrumentellen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten kreativ Probleme zu lösen, Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu bewerten; das schließt Dispositionen ein, Tätigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch selbstorganisiert zu gestalten, sowie die Methoden selbst kreativ weiterzuentwickeln. Sozial-kommunikative Kompetenzen: Dispositionen, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln.“76 Vergleicht man die Beschreibung der Kompetenzklassen von ERPENBECK & ROSENSTIEL mit dem KMK-Ansatz, werden durchaus Ähnlichkeiten deutlich: Im KMK-Ansatz erscheint auch die Fach- und Methodenkompetenz sowie die Sozialkompetenz. Humankompetenz kann als ein anderer Begriff für Personalkompetenz verstanden werden. Damit deutet sich an, dass beide Ansätze auf ein ähnliches Basiskonzept zurückgehen. Der Unterschied zwischen dem KMK-Ansatz und dem Ansatz von ERPENBECK & ROSENSTIEL besteht darin, wie sie dieses Basiskonzept weitergeführt haben. Im KMK-Ansatz wurde es in Orientierung an das Idealbild moderner Facharbeiter und Handwerker normativ ausgestaltet, der Ansatz von ERPENBECK & ROSENSTIEL bleibt diesbezüglich allgemein. Stattdessen werden hier die inneren und äußeren Zusammenhänge der Teilkompetenzen konkretisiert und damit das Gesamtmodell präzisiert. So wird das Theoriedefizit des KMKAnsatzes behoben, ohne diesen völlig zu konterkarieren. So wird er nicht 76
Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIII.
65
widerlegt, sondern theoretisch hinterlegt. Im nächsten Schritt muss dieses allgemeine Modell auf den modernen Facharbeiter bzw. Handwerker übertragen werden. In der Beschreibung der Kompetenztypen stellen ERPENBECK & ROSENSTIEL spezifische Zusammenhänge zwischen diesen und den Kompetenzklassen her. Bei Gradientenstrategien dominieren fachlich-methodische Kompetenzen die personalen, die sozial-kommunikativen und die aktivitätsbezogenen, bei Evolutionsstrategien verhält es sich umgekehrt.77 Sie begründen diese Unterscheidung mit den jeweils unterschiedlichen Handlungszielen und -intentionen. Wer Gradientenstrategien nutzt, hat eine konkrete Vorstellung vom Ziel und davon, wie er es erreicht. Für ihn zählen Effektivität und Effizienz. Er sucht nicht nach neuen Ausgangs- oder Bezugspunkten, sondern nach Anhaltspunkten für die nächsten Schritte und deren Handhabung. „Persönliche Eigenschaften wie Spieltrieb, Phantasie und Beharrlichkeit, aber auch kommunikative Fähigkeiten wie Kontaktstärke, Einfühlsamkeit und Geselligkeit sind bei dieser Lösungsstrategie eher störend, werden z.B. als Eigenwilligkeit oder Schwatzhaftigkeit zurückgewiesen. Fachliche und methodische Kenntnisse stehen im Zentrum des selbstgesteuerten Problemlösens.“78 Evolutionsstrategien werden dann genutzt, wenn Gradientenstrategien entweder nicht vorliegen oder nicht wirken. Dann gilt es, diese zu relativieren oder evtl. sogar zu negieren, um weiter zu kommen. Das Vorhandene muss destabilisiert und umbewertet werden. „Bei Evolutionsstrategien ist es entscheidend, dass einmal erstiegene ‚Lösungshügel‘ auch wieder verlassen werden können. Sie müssen deshalb notwendigerweise die Akzeptanz von Verschlechterungen einschließen.“79 Dies erfordert auch ein Überschreiten der eigenen Lösungskapazitäten durch Einbezug anderer. „Personale und aktivitätsbezogene und sozial-kommunikative Kompetenzen sind dabei zentral, fachlich methodische eine notwendige, aber in keiner Weise hinreichende Voraussetzung.“80 Im Zusammenhang mit Facharbeit löst sich dieser Dualismus bzw. Kontrast idealtypischer Kompetenztypen auf. Auf dem Weg zum Meister durchläuft der Facharbeiter oder Handwerker einen langen Weg zunehmend komplexer und abstrakter werdenden Problemlösungsprozess. Dieser beginnt in der Ausbildung mit dem Erwerb erster Gradientenstrategien (z.B. die Übertragung der Maße einer Zeichnung auf das Anreißen eines Bauteils), führt durch viele 77 78 79 80
66
Vgl. ebd. Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIII. Ebd. Ebd.
Übergangsstufen (z.B. die systematische Fehlersuche in einer Maschine, die einerseits feststehende Suchalgorithmen erfordert, welche andererseits für deren Auswahl, Reihenfolge oder evtl. Variation und Modifikation schon überschritten werden müssen), bis hin zu einem Expertenstatus, in welchem – gemeinsam mit anderen Experten – neue Lösungen für aufgaben- oder gewerksübergreifende Problematiken entwickelt werden (z.B. die Optimierung einer Prozesskette in einer Fertigungs- und Verpackungsanlage). Dies führt zu dem Schluss, dass für die Kompetenzentwicklung von Facharbeitern alle vier Kompetenzklassen gleich bedeutend sind, jedoch unterschiedlich akzentuiert werden müssen. Am Anfang sind fachliche und methodische Kompetenzen hoch relevant. Ohne ihre Entwicklung ist deren Weiterführung und Ausweitung in komplexere Kompetenzgefüge nicht vorstellbar. Trotzdem können sie nicht unter Ausschluss der anderen Kompetenzklassen entwickelt werden, da dies einer Negierung dieser Aspekte gleichkäme. Entwicklung von Berufskompetenz erfolgt somit permanent in allen vier Kompetenzklassen, mit einem anfänglichen Schwerpunkt im fachlich-methodischen Bereich und einer Akzentuierung der anderen Bereiche. Da sich die vorliegende Technikdidaktik zentral auf die Phase des beruflichen Einstiegs und der beginnenden Kompetenzentwicklung zukünftiger Facharbeiter und Handwerker bezieht, wird sich die weitere Umsetzung dieser theoretischen Grundüberlegungen primär mit fachlich-methodischen Kompetenzen auseinander setzen, dabei jedoch auch die anderen Kompetenzklassen integrieren und in Beziehung zu den fachlich- methodischen Kompetenzen setzen. Ausgehend von verschiedenen Subjekt-Subjekt- bzw. Subjekt-Objekt-Beziehungen ergibt sich relativ plausibel die Unterscheidung in Kompetenzklassen. Stellt man jedoch die daraus entstehenden „Sinneinheiten“ nebeneinander bzw. gegenüber, stellt man deutliche Unterschiede fest. Das, was uns zu einem selbständigen sozialen Handeln befähigt, ist nicht nur in inhaltlicher Hinsicht sehr unterschiedlich von dem, was uns zu einem selbständigen fachlichen Handeln befähigt. Auch in psychologischer Hinsicht. Fachliches Handeln wird in weiten Teilen kognitv-rational reguliert, soziales Handeln (zu unterschiedlichen Prozentsätzen) sowohl kognitiv-rational als auch emotionalaffektiv. Im Umgang mit der eigenen Person bzw. Persönlichkeit überwiegen emotional-affektive Komponenten. Dies überträgt sich auf die Kompetenzen: Fachlich-methodische Kompetenzen drücken sich in Form von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten aus, soziale Kompetenzen in einem sozialkommunikativen Bewusstsein und dessen Handhabung, Personalkompetenzen entsprechen absehbar den Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen und der Art und Weise, wie er damit umgeht. In dieser Reihung der Kompetenz67
klassen ist ein zunehmender Anteil an traits (feststehenden Persönlichkeitseigenschaften) erkennbar, was weitere Unterschiede in den Kompetenzklassen und den damit zusammenhängenden Lern- und Entwicklungsprozessen impliziert. Im Bereich der fachlich-methodischen Kompetenzen müssen Persönlichkeitseigenschaften kaum gehandhabt bzw. verändert werden, Gefühle und Überzeugungen spielen eine nebensächliche Rolle. Daher können hier Entwicklungen absehbar schnell und ohne individuelle Konflikte vollzogen werden. Entscheidend ist hier primär der Verstand, das Geschick und die Motivation des Lernenden. Bei den Sozialkompetenzen gilt dies noch zum Teil. Soziales Lernen muss – neben einem Verständnis – immer auch die eigenen Gefühle und Haltungen thematisieren und relativieren. Eine solche sozial-reflexive Haltung ist ein eigenständiger Lern- und Reifeprozess, der – bei großen Diskrepanzen – auch als Krise wahrgenommen werden kann und nicht erfolgreich sein muss. Die Entwicklung sozialer Kompetenzen erfolgt daher absehbar langsamer als jene fachlich-methodischer Kompetenzen. Der Verstand ist dabei nur zweitrangig, an erster Stelle stehen die Gefühle des Lernenden, in Verbindung mit spezifischen Persönlichkeitseigenschaften wie Altruismus, Extraversion, Offenheit und Empathie. Der Unterschied zwischen personalen Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften ist unscharf. Empirisch nachgewiesen werden kann, dass die Ausprägung sog. „Persönlichkeitsdimensionen“ (traits) eines Menschen sehr stabil sind. Daher muss in einer Theorie der „personalen Kompetenzen“ davon ausgegangen werden, dass Menschen in der Lage sind, im Rahmen dessen, was ihre traits erlauben, Persönlichkeitseigenschaften weiter zu entwickeln bzw. auszuformen. Dies kann auf Basis von Wahrnehmung, gedanklicher Auseinandersetzung und Verständnis erfolgen, setzt jedoch in hohem Maße Einstellungsveränderungen voraus, die überwiegend emotional bedingt sind. Solche Entwicklungsprozesse sind strukturell und zeitlich kaum eingrenzbar. Außerhalb dieser Reihung müssen noch die aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen betrachtet werden. Die Frage, auf Basis welcher Dispositionen eine Person die eigenen Emotionen, Motivationen, Fähigkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompetenzen – personale, fachlich-methodische und sozial-kommunikative – in die eigenen Willensantriebe integrieren und Handlungen erfolgreich realisieren kann, ist schwer zu beantworten. Vereinfacht ausgedrückt ist es die Frage danach, was uns aktiv und handlungsfä68
hig macht. ERPENBECK & ROSENSTIEL weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei aktivitäts- und „umsetzungsorientierten Kompetenzen“ um „Arbeits- und Tatigkeitsdispositionen“ handelt. D.h., dass sich diese Dispositionen aus dem ergeben, wie Menschen Arbeit und Tätigkeiten wahrnehmen, erleben und interpretieren. Damit ist ihnen – ähnlich wie den Sozialkompetenzen – eine Verschränkung kognitiv-rationaler und emotionalaffektiver Komponenten beizumessen. Eine Entwicklung in diesem Bereich bedingt reflexive Prozesse mit dem eigenen Tun, und deren kognitive und emotionale Verarbeitung. Da in diesem Zusammenhang von einer geringeren persönlichen Betroffenheit (und damit Affirmativität) als beim sozialen Lernen ausgegangen werden kann, sind kürzere Entwicklungszeiträume vorstellbar.
Abbildung 9: Kompetenzmodell nach ERPENBECK & ROSENSTIEL in Übertragung auf Facharbeit
Das in Abb. 9 dargestellte Kompetenzmodell fasst nochmals grafisch dir vorausgehenden Überlegungen einer Übertragung des Kompetenz-Ansatzes von ERPENBECK & ROSENSTIEL auf beruflich-professionelles Handeln von Facharbeitern und Handwerkern. Hier wird nochmals die enge Verschränkung der einzelnen Kompetenzklassen deutlich und damit die internen wechselseitigen Bedingungs- und Wirkungsgeflechte. Bevor nun eine technikdidaktische Konkretisierung der Kompetenzklassen vorgenommen wird, gilt es zu klären, ob bzw. inwiefern der Gesamtansatz didaktisch gehandhabt werden kann. Dazu sollte das Konstrukt die Feststellung von segmentierten (und damit 69
didaktisch handhabbaren) Bildungseinheiten erlauben (in unserem Falle von Lernzielen), Vorstellungen darüber zulassen, wie darin Lernen stattfinden kann (in unserem Falle Kompetenzentwicklung) und absehbar werden lassen, wie diese Lernprozesse (in unserem Falle Kompetenzentwicklungsprozesse), initiiert, angeregt und unterstützt werden können. Schließlich ist noch erforderlich, dass die Lernergebnisse bzw. Wirkungen (in unserem Falle Kompetenzen), festgestellt und beurteilt werden können. Um diese Bedingungen zu erfüllen, sind einige weitere Spezifikationen und Konkretisierungen erforderlich. Unter der Prämisse einer lernzielorientierten Didaktik, als welcher sich dieser Ansatz nachdrücklich versteht, gilt es, die potenziellen Lernergebnisse und -wirkungen zu Lernzielen zu machen. D.h., die Kompetenzen müssen einerseits so formuliert werden, dass sie als Zielkomponenten in einen beruflichen Unterricht übertragen werden können, andererseits so konkretisiert, dass sie messbar und taxierbar sind. Gelingt dies, sind die Ansprüche (1) und (4) hinreichend erfüllt. Bzgl. solchermaßen didaktisch handhabbarer Kompetenzen können dann Überlegungen über deren Lernen (2) und Lehren (3) folgen. 2.3.2 KOMPETENZEN ALS LERNZIELE Generell kann alles, was im Zusammenhang mit menschlichen Lern- und Entwicklungsprozessen vorstellbar ist, als Lernziel gesetzt werden. SCHELTEN beschreibt Lernziele als „angestrebte Lernergebnisse, über welche Schüler am Ende eines Lernvorganges verfügen sollen“,81 JANCK & MEYER definiert sie als „sprachlich artikulierte Vorstellung über die durch Unterricht zu bewirkende gewünschte Verhaltensänderung eines Lernenden“.82 In einigen Definitionen wird perfide zwischen „Lehrzielen“ und „Lernzielen“ unterschieden. Dabei werden jedoch keine bedeutenden Unterschiede im eigentlichen Gegenstand offen gelegt. Vielmehr darauf hingewiesen, dass das, was didaktisch intendiert und vorformuliert wird, korrekterweise als „Lehrziel“ zu benennen wäre, das „Lernziel“ sei dann das, was der Schüler unmittelbar in der Lernsituation intendiert. Da sich jedoch der Begriff des Lernziels langjährig etabliert hat, soll im Folgenden nur dann zwischen Lehr- und Lernziel unterschieden werden, wenn dies konkret erforderlich wird. Die Zielorientierung in der Didaktik geht auf einen pädagogisch-psychologisch intendierten Paradigmenwechsel in den 1960er Jahren zurück, in welchem rein inhaltlich orientierten Lehr-Lernprozessen Ziellosigkeit und damit 81 82
70
Schelten, 2010, S. 207. JanckMeyer, 2002, S. 51.
Beliebigkeit unterstellt wurde. Die sich mit den Lernzielen einstellende Konkretisierung von Lehr-Lernprozessen zog auch eine Auseinandersetzung mit der Kontrolle ihrer Ergebnisse nach sich. Die Formulierung von Zielen kann nur dann sinnvoll sein, wenn es in irgendeiner Form möglich ist, deren Erreichen zu erheben und zu bewerten. Zur Zeit der curricularen Lehrpläne wurde durch diese Tatsache eine Diskussion um Lernzieltaxonomien ausgelöst. Die Ansätze von BLOOM83 und KRATHWOL et al.84 dominierten lange Zeit die didaktische Theorie und Praxis, wobei sie ebenso bekannt wie umstritten. Die Problematik von messbaren Lernzielen besteht und bestand zum Einen darin, dass der Anspruch des Lernziels in einem reziproken Verhältnis zu seiner Messbarkeit steht: am besten lassen sich einfache Verhaltensweisen bzw. Wissensreproduktionen erheben, am schwierigsten tiefe Verständnisprozesse und Überzeugungen. In einer konsequenten didaktischen Umsetzung muss dies eine deutliche Absenkung des Vermittlungsniveaus zur Folge haben, da nur vermittelt werden kann/soll, was auch überprüfbar ist. Diese Tatsache wurde und wird den curricularen Lehrplänen vorgeworfen und rückblickend als ein Grund gesehen, warum sie zurückgenommen bzw. überschritten wurden. Wenn zu Gunsten anspruchsvoller Lernziele die Überprüfbarkeit der Lernziele aufgegeben oder als unbedeutend zur Nebensache erklärt würde, ergäbe sich jedoch ein fataler Fehler. Der Anspruch wäre dann nicht hoch, sondern nur spekulativ, da niemand genau sagen kann, worin sich dieser ausdrückt und wie er sich bemisst. Will man also Kompetenzen als Lernziele formulieren, muss man sich auf eine Gratwanderung zwischen Anspruch und Konkretisierung einlassen, ohne absehbare Chance, diese Diskrepanz völlig aufheben oder auflösen zu können. Wie vorausgehend bereits erörtert wurde, sollte sich eine Kompetenzvermittlung in der Berufsausbildung von Facharbeitern und Handwerkern primär auf fachliche und methodische Kompetenzen konzentrieren, da zunächst überwiegend Gradientenstrategien erworben werden. Personale Kompetenzen, sozial-kommunikative Kompetenzen und aktivitäts- bzw. umsetzungsorientierte Kompetenzen bekommen dabei eine beigeordnete Rolle, die keineswegs als Nach- oder Unterordnung verstanden werden sollte. Fachliche und methodische Kompetenzen sind zentraler Ausgangspunkt der Unterrichtsplanung. Die Entwicklung, Förderung bzw. Unterstützung der Personalkompetenzen,
83 84
Vgl. Bloom, 1972, Vgl. Krathwol et al., 1964.
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Sozialkompetenzen und aktivitäts- bzw. umsetzungsorientierte Kompetenzen angemessen integriert.
Abbildung 10: Angepasstes Kompetenzmodell nach ERPENBECK & ROSENSTIEL mit einer Priorisierung fachlich-methodischer Kompetenzen in der von Gradientenstrategien geprägten Phase der Berufsausbildung und des Berufseinstiegs
2.3.3 FACHLICH-METHODISCHE KOMPETENZEN Fachlich-methodische Kompetenzen werden beschrieben als „Dispositionen einer Person, bei der Lösung von sachlich-gegenständlichen Problemen geistig und physisch selbstorganisiert zu handeln, d.h. mit fachlichen und instrumentellen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten kreativ Probleme zu lösen, Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu bewerten; das schließt Dispositionen ein, Tätigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch selbstorganisiert zu gestalten, sowie die Methoden selbst kreativ weiterzuentwickeln.“85 Überträgt man diese allgemeine Umschreibung auf die Ausbildung in technischen Berufen, versteht man unter fachlich-methodischen Kompetenzen Dispositionen eines Facharbeiters oder Handwerkers, bei der Lösung von grundlegenden beruflichen Aufgaben geistig und physisch selbstorganisiert zu handeln. 85
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Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIII.
Diese Präzisierung von ERPENBECK & ROSENSTIEL zeigt, dass diese Dispositionen sich – neben berufsmotorisch akzentuierten Fähigkeiten und Fertigkeiten – einerseits auf fachliche und instrumentelle Kenntnisse, d.h. auf ein spezifisches Wissen sowie auf dessen sinnorientierte Einordnung und Bewertung beziehen. Andererseits aber geraten hier auch organisatorische und regulative Fähigkeiten in den Blick, mit denen dieses Wissen wirksam zu Anwendung gebracht werden und sich darin selbständig weiter entwickeln kann. Fachlich-methodische Kompetenzen von Facharbeitern haben damit drei zentrale Dimensionen: (I) Die des Wissens und Verständnisses, (II) die der Nutzbarmachung des Wissens und der Reflexion sowie (III) die der Berufsmotorik. Diese drei Ebenen befinden sich in einem doppelseitig-linearen Bedingungs- und Bestimmungsgefüge, in welchem das tatsächliche berufliche Handeln (III) als eine situationsangepasste und reflektierte Anwendung spezifischen Wissens (I) verstanden werden kann bzw. umgekehrt, das aufgabenund handlungsbezogene Wissen (I) als ein Verständnis-Gefüge, das sich in reflektierten Handlungsprozessen (III) herausgebildet hat. Um dem gemäß fachlich-methodische Kompetenzen zu präzisieren, müssten (1) die jeweils erwarteten berufsmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten mit ihrem kognitiven Anspruch und (2) das dafür erforderliche bzw. damit zusammenhängende oder korrespondierende Wissen konkretisiert werden. Dass dies nicht übergreifend, sondern nur in Abhängigkeit von einem festgelegten Anspruch möglich ist, soll nachfolgendes Beispiel kurz aufzeigen: Wenn ein Technischer Zeichner ein Maschinenteil detailliert, kann dies sowohl bzgl. des kognitiven Anspruchs als auch des erforderlichen Wissens sehr unterschiedliche Qualitäten annehmen. Es kann sich um einfache Bauteile mit Standardmaßen und aus Standard-Fertigungsverfahren handeln, bei denen nur geringe Ansprüche an Formen, Lagen und Oberflächen gestellt werden (z.B. Rippen eines geschweißten Rahmens). Es kann sich aber auch um komplexe Bauteile handeln, deren Funktionalität und Qualität erheblich von sehr genauen Angaben über die Abmessungen, Passtoleranzen und Oberflächenbeschaffenheiten abhängen (z.B. Antriebswellen). Entscheidend ist darüber hinaus, auf welchem Wege der Zeichner die Informationen über das Bauteil erhält. Kann er sie direkt aus der Konstruktion übernehmen? Muss er sie aus Maßblättern, Tabellen und Hersteller-Informationen heraussuchen? Oder muss er zusätzlich eigene Berechnungen durchführen? Somit ergibt sich aus den vorausgehend beschriebenen Aspekten (1) und (2) ein 2-faktorieller Anspruch an die Aufgabe des Detaillierens. Zur Konkretisierung einer fachlichmethodischen Kompetenz des Detaillierens muss somit (1) genau beschrieben 73
werden, auf welche Maschinen oder Anlagen sich diese bezieht und (2), welche Wege und Verfahren der Informationsgewinnung und -verarbeitung dabei gegangen werden müssen. Daraus ergeben sich vier mögliche Kompetenzbeschreibungen zu einer übereinstimmenden Performanz: „Der Zeichner zeichnet Bauteile aus Konstruktionszeichnungen von Maschinen oder Anlagen maßstabgerecht heraus, stellt diese vollständig und zeichnerisch richtig dar und bemaßt sie so, dass eine funktionsfähige aber auch effiziente Fertigung gewährleistet ist.“ Kompetenz 1. Niedriger Anspruch (1), niedriger Anspruch (2): Lesen einfacher Konstruktionszeichnungen, Maßentnahme aus Konstruktionszeichnungen, Beherrschung der 2D/3D-Darstellung im CAD, Handhabung von CADSoftware zur Darstellung, Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen, Kenntnis der Fertigungsverfahren Elektroschweißen, Sägen und Brennschneiden. Kompetenz 2. Niedriger Anspruch (1), hoher Anspruch (2): Lesen einfacher Konstruktionszeichnungen, Maßberechnung nach Konstruktionszeichnungen, Beherrschung der 2D/3D-Darstellung im CAD, Handhabung von CADSoftware zur Darstellung, Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen, Kenntnis der Fertigungsverfahren Elektroschweißen, Sägen und Brennschneiden. Kompetenz 3. Hoher Anspruch (1), niedriger Anspruch (2): Lesen komplexer Konstruktionszeichnungen, Maßentnahme aus Konstruktionszeichnungen, Beherrschung der 2D/3D-Darstellung im CAD, Handhabung von CAD-Software zur Darstellung, Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen, Passungstoleranzen, Oberflächentoleranzen, Form- und Lagetoleranzen, Kenntnis der Fertigungsverfahren Drehen, Fräsen, Schleifen, Vergüten. Kompetenz 4. Hoher Anspruch (1), hoher Anspruch (2): Lesen komplexer Konstruktionszeichnungen, Maßbestimmung nach Toleranztabellen und Katalogvorgaben von Fremdherstellern, Maßberechnung nach Konstruktionszeichnungen, Kenntnis der 2D/3D-Darstellung im CAD, Handhabung von CAD-Software zur Darstellung, Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen, Passungstoleranzen, Oberflächentoleranzen, Form- und Lagetoleranzen, Kenntnis der Fertigungsverfahren Drehen, Fräsen, Schleifen, Vergüten. In allen vier Fällen handelt der Technische Zeichner selbständig, jedoch – und angesichts der unterschiedlichen Ansprüche – auf Basis sehr unterschiedlicher Dispositionen. Fest steht, dass diese Dispositionen Wissenskomponenten sind, welche eng mit den selbständigen Handlungen verknüpft sind.
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Wissen „Wissen“ wird in der Philosophie als ein Phänomen beschrieben, welches – ähnlich wie die Erkenntnis – die „Einzigartigkeit“ des Menschen bedingt. Es geht auf Sinneswahrnehmungen bzw. deren Verständnis und Bedeutungszuweisung zurück, ist generell intersubjektiv, also für mehrere Betrachter identisch, kann quantitativ und zeitlich annähernd unbegrenzt gespeichert werden und ist die Grundvoraussetzung für ein verstandesmäßiges Lernen. In der Literatur werden verschiedene Arten von Wissen gegenüber gestellt bzw. unterschieden: Z.B. wird (in eindimensionalen Zusammenhängen) von einem „Faktenwissen“ gesprochen, (in komplexeren Zusammenhängen) von einem Konzeptwissen, (im sprachlichen Zusammenhang) von einem „semantischen Wissen“, des Weiteren von einem Wissen über Ereignisse und Handlungen, von einem Wissen über Vorgänge und Verfahren, von einem Wissen über Regeln und einschränkende Bedingungen, von einem Wissen über Probleme und Problemlösungsstrategien, von einem sozialen Wissen, von einem Wissen über Wissensqualitäten bis hin zu einem Wissen über das eigene Wissen. Dies deutet darauf hin, dass die jeweiligen Wissensbegriffe immer in engem Zusammenhang mit den Herkunfts-, Anwendungs- und Projektionsfeldern stehen. Anders ausgedrückt erfährt der jeweilige Begriff des Wissens seine Definition nicht aus einer klar vorliegenden und erfassbaren Gegenständlichkeit, sondern ausschließlich aus dem Bezugssystem seiner jeweiligen Sinnhaftigkeit. In einer Zusammenfassung der Komponenten beruflicher Expertise („vocational and professional expertise“) vergleicht TYNJÄLÄ86 (2009) unterschiedliche Wissenskonzepte. Die zentrale Unterscheidung besteht dabei zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen, was dem verbreiteten Ansatz von ANDERSON87 („declarative knowledge“ und „procedural knowledge“) entspricht. Anderson verstand unter „declarative knowledge“ die netzförmige Anordnung einzelner Wissenskomponenten, also ein semantisches Netz, welches aus propositionalen Grundeinheiten besteht. Eine Proposition wird aus zwei (beliebigen) Konzepten gebildet, welche durch eine Relation verbunden sind. Entscheidendes Kennzeichen ist dabei die mentale Repräsentation, also das Wissen über das Wissen und dessen gedankliche Verfügbarkeit. Deklaratives Wissen im Sinne von Anderson ist somit „explizites Wissen“. Es ist systema86 87
Vgl. Tynjäla, 2009, S. 17. Vgl. Anderson, 1983.
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tisiert und in hierarchischen Strukturen „etikettiert“, was dessen Auffinden und Abrufen wesentlich erleichtert. Dem stellt Anderson „procedural knowledge“ gegenüber. Dieses Wissen ist nach seiner Theorie implizit, also nicht gedanklich vorstell- oder abrufbar. Es ist ein Wissen, das nicht „gedacht“ wird, sonder sich im Handeln entfaltet. Prozedurales Wissen entsteht durch Handeln bzw. aus dem Handeln („proceduralization“). Andere Theorien sprechen hier von „skill“88 oder „implementation knowledge“, „client knowledge“, „psychomotor knowledge“89, was die „Nicht-Gedanklichkeit“ unterstreicht. Die Eindeutschung des Begriffs in „Prozedurales Wissen“ birgt die Gefahr, dass man dabei an ein Prozess-Wissen denkt, also an ein generelles Wissen darüber, „wie man etwas macht“. Dies wäre aber ein explizites Wissen und würde damit den Ansätzen von ANDERSON, BEREITER und Le MAISTRE/ PARÉ widersprechen. Es erscheint daher angemessener, hier nicht von Wissen, sondern von Geschick, Fertigkeit oder Gewandtheit zu sprechen. Für „procedural knowledge“ spart ANDERSON – im Gegensatz zu „declarative knowledge“ – ein Modell einer inneren Repräsentation aus. Dies deutet darauf hin, dass sich seiner Meinung nach dessen Wesen und Struktur erheblich vom declarative knowledge unterscheiden, dabei jedoch bislang weder theoretisch noch empirisch erschlossen wurden.90 Ohne näher auf die innere Repräsentation von Wissen einzugehen, greift RENKL diese Terminologie auf und entwickelt daraus ein eigenständiges, konstruktivistisches Wissenskonstrukt, das Zusammenhänge zwischen Wissenserwerb und Wissensanwendung herstellt.91 Er erweitert die Wissenskategorien von Anderson um (1) „konzeptuelles Wissen“ und (2) „konditionales Wissen“. Zu (1): Abgeleitet aus dem englischen Begriff des „conceptual knowledge“ ist unter konzeptuellem Wissen jenes Wissen zu verstehen, welches in einer begründenden oder verallgemeinernden Beziehung zum deklarativen Wissen steht. Nach Andersons Definition wäre dies ein spezieller Teil des deklarativen Wissens. RENKL aber trennt ihn davon ab und reduziert dabei das deklarative Wissen um diese Qualität. Dies ist entscheidend für RENKLs Vorstellung von Kompetenz, welche nicht entscheidend vom Umfang des deklarativen Wissens in einem spezifischen Sachzusammenhang abhängt, sondern 88 89 90 91
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Vgl. Bereiter, 2002. Vgl. Le Maistre, Paré, 2006. Zu terminologisch ähnlichen Konzepten im deutschsprachigen Raum vgl. Aebli, 2001, Mandl, Gerstenmaier 2000. Vgl. Renkl, 1994, S. 1ff.
vielmehr davon, wie gut dabei einschlägiges daklaratives und konzeptuelles Wissen verknüpft ist. Ein Facharbeiter ist demnach umso kompetenter, je mehr er in einem Aufgabenzusammenhang weiß und je besser er dies verstanden und evt. durchdrungen hat. Zu (2): Auch das prozedurale Wissen hat RENKL aufgeteilt: er unterscheidet dabei in eine situationsunspezifische Komponente, also das, was man generell unter Geschicklichkeit verstehen kann (s.o.) und in eine situationsspezifische Komponente, also das was man unter Einsatzfähigkeit verstehen kann. Konditionales Wissen ist – wie prozedurales Wissen – implizit, also nicht bewusstseinsfähig. Es wird „nicht gedacht, sondern gemacht“. Auch hier bewirkt die Unterscheidung der beiden Wissenskategorien eine verfeinerte Aussage über Kompetenz: Sie bemisst sich nicht in einer unspezifischen Menge an Geschick oder Einsatzfähigkeit, sondern wiederum in der Qualität beider Komponenten und deren Zusammenhang. Das Modell von RENKL akzentuiert in mehrfacher Weise Zusammenhänge zwischen Wissen und Handeln, wobei es sich primär auf den Wissenserwerb bezieht und sekundär auf die Wissensanwendung. Ein Kompetenzkonstrukt ist darin nicht explizit vorgesehen. RENKL setzt in diesem Modell konstruktivistische Ideen des Wissenserwerbs um, welche generell davon ausgehen, dass sich menschliche Wissensgefüge sehr individuell aus direkten Erfahrungen und deren Interpretation konstituiert. Damit rücken Wissenserwerb und -anwendung nahe zusammen. Der Wissenserwerb erfolgt gemäß dieser Theorie in dessen Erprobung und Anwendung. Die Anwendung des Wissens ist Umkehrung, Wiederholung und Weiterführung des Wissenserwerbs. Dies wird besonders deutlich, wenn RENKL innerhalb des prozeduralen Wissens die Sonderform des „konditionalisierten Wissens“ hervorhebt. Dieses Wissen entsteht in einer direkten Umsetzung deklarativen Wissens in Handlungen, also durch einen handlungsreflektierten Verständnisprozess (Kompilierung). Diese elementare Brücke zwischen implizitem und explizitem Wissen, zwischen Denken und Tun erscheint angesichts des Kompetenzkonstrukts von ERPENBECK & ROSENSTIEL hochgradig relvant, denn darin wird ein selbständiges Handeln auf Basis von spezifischem Wissen beschrieben und zudem die dynamische Komponente (sich selbständig weiter zu entwickeln) betont. Bzgl. der Wissensanwendung unterscheidet RENKL zwei prinzipielle Qualitäten. Die erste bezeichnet er als „Handlung“, die zweite als „Transfer“. Unter Transfer versteht er die Übertragung einer erlernten Handlung auf ähnliche, aber unterschiedliche Situationen. Wie weit dieser Transfer reichen kann,
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hängt dabei von der Qualität des deklarativen, prozeduralen und konditionalen Wissens ab. Darüber hinaus wird das konzeptuelle Wissen nun handlungsrelevant, welches für die einfache Handlung nicht erforderlich ist. Dieses Grundlagenwissen steht hinter dem Verständnis der einzelnen Dinge und Handhabungen und repräsentiert das, was der Einzelne über die Hintergründe seines handlungsrelevanten Wissens weiß. Z.B. besteht das deklarative Wissen des Technischen Zeichners darin, einen Wellenabsatz mit einem Freistich zu versehen, diesen Freistich normgerecht zu dimensionieren und schließlich korrekt einzuzeichnen. Der Freistich ist jedoch nur erforderlich, wenn an dieser Stelle ein bündiges Bauteil, z.B. ein Zahnrad, montiert wird. Ist der Absatz aber für ein Lager vorgesehen, welches im Innenring abgerundet ist, genügt ein Radius im Wellenabsatz. Um die Entscheidung zwischen Freistich und Radius eigenständig treffen zu können, muss der Technische Zeichner das Phänomen der Kerbwirkung verstanden haben. Dieses konzeptuelle Wissen über die Kerbwirkung fundiert im vorliegenden Falle das deklarative Wissen über die Gestaltung eines Wellenabsatzes. Es ist für die Aufgabe an sich nicht erforderlich, unterstützt jedoch zum Einen deren tieferes Verständnis, zum Anderen deren sinnvolle und evtl. weiterführende Variation. Im Zusammenhang mit Fachkompetenz impliziert das Modell von RENKL einen integrativen Erwerb von beruflichem Fakten- und Handlungswissen in produktiver Verknüpfung mit naturwissenschaftlich-technischem Grundlagenwissen. Der Erfolg des jeweiligen Wissenserwerbs drückt sich in unterschiedlichen Anwendungsarten und -qualitäten aus. Je nach Kompetenzbereich sorgt ein entsprechendes „Zugriffswissen“ für die eigentliche Anwendung, wobei deren Tragweite überwiegend vom Verständnis der jeweiligen Wissensgrundlagen abhängt: Je besser diese ist und je schlüssiger sie in Zusammenhang mit den anderen Wissenskomponenten steht, desto flexibler und transferierbarer kann das Wissen angewandt und weiterentwickelt werden. Zusammengefasst lassen sich nach RENKL fachlich-methodische Kompetenzen von Facharbeitern durch deklaratives, prozedurales, konditionales und konzeptuelles Wissen beschreiben. Ein grundlegender Anspruch der Kompetenzen hängt dabei von drei Aspekten ab: 1. Das deklarative Wissen muss ausreichen, um die Handlungen sinnvoll planen und deren Ergebnisse überprüfen zu können 2. Das prozedurale Wissen muss ausreichen, um die Handlungen sinnvoll durchführen zu können
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3. Das konditionale Wissen muss ausreichen, um die Handlungen situativ steuern und kontrollieren zu können
Abbildung 11: Wissensarten nach Alexander RENKL, 1995. RENKL ordnet den verschiedenen Wissensarten vier Ebenen zu: Dem konzeptuellen Wissen entspricht die (1) Reflexionsebene, welche unter der (2) Grundlagenebene steht und von dieser erreicht werden kann. Auf Grundlagenebene befinden sich das deklarative und das prozedurale Wissen. Die (3) Einsatzebene bestimmt mit dem Zugriffswissen die Verfügung über die Komponenten der Grundlagenebene. Die darüber liegende (4) Anwendungsebene wird einerseits von der Einsatzebene, andererseits von der Reflexionsebene bestimmt. Je tiefer die Ebene, desto abstrakter stellt sich das Wissen dar, je höher, desto konkrete und umgekehrt.
Für einen erweiterten Anspruch – d.h. für Handlungsflexibilität – ist zusätzlich konzeptuelles Wissen erforderlich. Dieses Wissen kann in zwei unterschiedliche Kategorien unterteilt werden, zum Einen in ein sach- bzw. „handlungsbegründendes Wissen“, zum Anderen in ein „handlungsübergreifendes bzw. handlungsunabhängiges Grundlagenwissen.“ Sach- bzw. handlungsbegründendes Wissen ist generell für ein Verständnis der Dinge und deren Handhabung erforderlich. Ohne dieses würden Gegenstände unreflektiert als gegeben hingenommen und Handlungen als festgeleg79
te Abläufe aufgefasst und umgesetzt. Dieses Verständniswissen ist zentrales Kennzeichen von Expertise. Es unterscheidet den Experten vom Laien. Ein Heimwerker stellt ein Betonfundament nach der Beschreibung eines Handbuchs her. Er löst dabei physikalische und chemische Vorgänge aus, die er nicht kennt und nicht versteht. Es ist ihm egal, da für ihn nur das Ergebnis zählt. Ein Betonbauer stellt das Fundament nach dem gleichen Plan her. Er reflektiert aber die dabei stattfindenden physikalischen und chemischen Prozesse und Reaktionen und nutzt den Plan nur als Gedankenstütze. Wenn Fehler darin enthalten sind oder die Komponenten von der Vorgabe abweichen kann der Heimwerker nicht sinnvoll reagieren. Der Betonbauer kann Lösungsalternativen bestimmen und umsetzen. Zudem wäre er – im Gegensatz zum Heimwerker – nach Fertigstellung des Fundaments in der Lage, evtl. Mängel einzuschätzen und ursächlich zu klären, so dass er den Plan modifizieren oder korrigieren kann. Dieses Beispiel macht deutlich, warum ein Experte sich weniger durch das Sach- oder Handlungswissen, als vielmehr durch das dahinter stehende Verständnis vom Laien unterscheidet. Dabei kann dieses Verständnis jedoch unterschiedliche Qualitäten haben und ist hinsichtlich seiner Tiefe kaum eingrenzbar. Im vorausgehenden Beispiel wird festgestellt, dass der Betonbauer die chemischen und physikalischen Vorgänge beim Betonieren kennt und verstanden hat, nicht jedoch wie gut bzw. wie tief. Weiß er einfach um die Klebewirkung von Zement oder kann er diese auf Kohäsions- und Adhäsionskräfte zurückführen? Kennt er die molekularen und atomaren Vorgänge, die die Kohäsions- und Adhäsionskräfte freisetzen? Welche Vorstellung hat er dabei von Elementarteilchen? Angesichts eines schwer eingrenzbaren Verständniswissens stellt sich die zentrale Frage, wie es bestimmt und festgelegt werden kann. Dabei gilt es kompetenzspezifisch, ein handlungsübergreifendes bzw. handlungsunabhängiges Grundlagenwissen zu identifizieren, das für das jeweilige Verständnis der Gegenstände, Systeme und Handlungen erforderlich ist. Dies kann gering sein, wenn die Zusammenhänge einfach sind (z.B. das Hebelgesetz für die Funktion einer Zange), es kann aber auch umfangreich sein, wenn die Zusammenhänge komplex sind (z.B. Eisen-KohlenstoffZweistoffsysteme und deren Gitterveränderungen bei Erwärmung und Abkühlung für das Verständnis der Stahlhärtung). An dieser Stelle wird deutlich, dass das Wissens-Modell von RENKL für eine Verwendung in einem technikdidaktischen Kompetenz-Konstrukt modifiziert werden muss. Zudem könnte diese Wissens-Terminologie innerhalb des un-
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scharfen Begriffsumfelds irreführend sein. Daher werden für den vorliegenden Ansatz die Begrifflichkeiten der Wissensarten neu gesetzt: Das deklarative Wissen wird (bezogen auf Facharbeit) als „Professionswissen bezeichnet, der sach- bzw. handlungsbegründende Anteil des konzeptuellen Wissens“ wird als „Begründungswissen“ bezeichnet, der handlungsübergreifende Anteil als allgemeines „Bezugswissen“. Da sowohl das prozedurale Wissen als auch das konditionale Wissen implizit und damit nicht konkretisierbar sind, werden sie nicht in die Wissenssystematik des Konstrukts eingeordnet, sondern eher im Sinne von Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden. Konditionales Wissen entsprich dabei Steuerungs- bzw. Regulationsfähigkeiten, prozedurales Wissen dem motorischen Geschick. Diese beiden spezifisch handlungsbezogenen Kategorien machen an dieser Stelle eine nähere Klärung des Zusammenhangs von Kompetenz, Wissen und Handeln erforderlich. Handeln In den vorausgehenden Betrachtungen über Wissen wurde zwar vielfältig Handeln thematisiert und akzentuiert, nicht jedoch exakt definiert. Tatsächlich gibt es sehr unterschiedliche Grundverständnisse über menschliches Handeln und daraus resultierend, sehr viele Definitionen und Theorien, welche damit korrespondieren. Dies kann hier nicht erschöpfend dargestellt werden, fest steht, dass ein Handlungsbegriff generell mit einem bestimmten menschlichen Handlungsraum und den darin erkennbaren Handlungsansprüchen undmöglichkeiten korrespondiert. Z.B. beziehen sich soziologische Ansätze auf Emile DURKHEIMs, Vilfredo PARETOs und Max WEBERs Theorien des sozialen Handelns. E. C. TOLMAN transformierte das Konzept des Verhaltens in der Psychologie durch den Ansatz eines „zielorientierten Verhaltens“ in ein Konzept des Handelns. Selbst wenn man menschliche Handlung auf den Bereich von Arbeit fokussiert, bleibt das Konstrukt facettenreich. Daher formulierte Winfried Hacker unter Ausschluss von affektiven und emotionalen Komponenten eine arbeitsbezogene kognitive Handlungstheorie, die sich explizit mit der Frage auseinandersetzt, wie Menschen komplexe Tätigkeiten regulieren (können). Nach HACKER bilden Handlungen „die kleinste psychologische Einheit der willensmäßig gesteuerten Tätigkeiten. Die Abgrenzung dieser Handlungen erfolgt durch das bewusste Ziel, das die […] Vorwegnahme des Ergebnisses der Handlung darstellt. Nur kraft ihres Ziels sind Handlungen selbständige, abgrenzbare Grundbestandteile oder Einheiten der Tätigkeit.“92 Handeln ist 92
Hacker, 1986, S. 73.
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demnach das, was Tätigkeiten im Einzelnen ausmacht, es erfolgt bewusst, motiviert und vor allem zielgerichtet. Den Aspekt der Zielgerichtetheit von Handlung hat Hacker in der „Handlungsregulationstheorie“93 weitergeführt und zu einer kognitiven Lern- und Arbeitstheorie ausgebaut. Dabei unterstellt er, dass eine Zielorientierung auch immer eine Zielüberprüfung impliziert, ansonsten wäre es eine unechte oder inkonsequente Zielorientierung.94 Eine vollständige Handlung beinhaltet demnach ein Wahrnehmen, ein Entscheiden, ein Denken, ein Tun und die Rückkoppelung. Wahrnehmen und Denken können auch als Planen zusammengefasst werden, dabei werden Informationen gesammelt und hinsichtlich der eigenen Ziele angeordnet, gegenübergestellt und abgewogen. Alternative Handlungspläne werden entwickelt und verglichen. Schließlich erfolgt eine Eingrenzung auf die beste bzw. erfolgversprechendste Option und damit die Umsetzung eines Handlungsplans. Da die menschliche Planungsfähigkeit weit über das direkte Handeln hinaus geht, muss diese zyklische Einheit der vollständigen Handlung als eine Systemgleichung betrachtet werden, in welcher nur auf unterster Ebene („sensumotorische Regulation“) physisch gehandelt wird. Über dem eigentlichen motorischen Vollzug können bei komplexen Tätigkeiten eine Reihe von Ebenen liegen, in welchen Ziele für zunehmend größere, aber gleichzeitig unschärfere Teilhandlungen gebildet werden. Z.B. kann über dem eigentlichen Vollzug des Absägen eines Flachstahls das Ziel stehen, diesen für eine Schweißung herzustellen, darüber kann das Ziel stehen, Rippen in ein Bauteil zu schweißen, darüber wiederum die Herstellung eines Stahlgehäuses und darüber wiederum die Herstellung einer Zellenradschleuse. In der Realisierung einer derartigen Planungshierarchie werden die Ziele schließlich auf allen Planungsebenen abgearbeitet. Dies erfolgt innerhalb der Ebenen jeweils sequenziell. Im vorliegenden Beispiel wird auf unterster Ebene I nach dem Absägen noch eine Bohrung gesetzt und anschließend entgratet. Wenn dies (für alle Rippen) erfolgreich vollzogen ist (Rückkoppelung), ist diese zyklische Einheit abgeschlossen. Auf der darüber liegenden Ebene II folgt in der Sequenz nach dem Fertigen der Rippen die Fertigung einer Wand des Gehäusekorpus. Dazu muss ein Blech ausgebrannt und anschließend abgeflext werden (Ebene I). Dann folgt das nächste Gehäuseteil, etc. bis alle Gehäuseteile hergestellt sind (Rückkoppelung und Abschluss Ebene II). Da nun die Gehäuseteile hergestellt sind, können sie geschweißt 93 94
82
Vgl. ebd., S. 273ff. Vergleichbar einem Golfspieler, der unter höchster Konzentration einen Ball schlägt und anschließend den Platz verlässt, ohne zu klären, wo der Ball gelandet ist.
werden (nächster Schritt auf Ebene III). Dies erfolgt in den Teilschritten Schweißvorbereitung (Ebene II), Schweißen und Verputzen (Ebene II), was wiederum im Einzelnen auf Ebene I realisiert wird, usw. So erweist sich eine komplexe Tätigkeit als umfangreiche hierarchische und sequenzielle Handlungsregulation. Die tatsächlich nacheinander erfolgenden Handlungen sind dabei nur die sichtbare Oberfläche dessen, was der Handelnde intendiert, überblickt und abstrahiert hat. Wie er dieses gedanklich arrangiert und koordiniert hat, und schließlich über vielfältige Rückmeldungen nach und nach abarbeitet, bis das oberste Gesamtziel erreicht ist, kann von außen nicht gesehen werden. Die hierarchisch-sequenzielle Handlungsregulationstheorie von Hacker macht in beeindruckender Weise die menschliche Planungs- und Abstraktionsfähigkeit im Zusammenhang mit komplexen Tätigkeiten deutlich. Der Erfolg und die Qualität von manuellem Tun hängen dabei davon ab, wie gut dieses abstrahiert und antizipiert werden kann. Z.B. ist das eigentliche „Stein-auf-Steinsetzten“ beim Mauern relativ einfach. Damit die Mauer danach aber allen Ansprüchen genügt, muss das Fundament zuvor eben und stabil an der richtigen Stelle gesetzt sein, der Mörtel muss richtig zusammengemischt und verflüssigt sein, die Ausrichtung der Mauer muss in alle Raumrichtungen stimmen und es müssen alle architektonischen Besonderheiten wie Öffnungen, Aussparungen oder Absätze einbezogen sein. Wurde einer dieser Faktoren nicht vorhergesehen oder angemessen berücksichtigt, wird die Mauer letztlich den gesetzten Anforderungen nicht gerecht. Es muss nachgebessert werden bzw. Defizite toleriert oder abgerissen und neu gebaut werden. Noch extremer kann dies in akademischen Berufen sein: Bevor ein Mediziner einen manuell einfachen Eingriff vornimmt, muss er vielfältige, komplexe Diagnosen und Differenzialdiagnosen stellen, eine Operationsvorbereitung planen und realisieren, die gesamte Folgeversorgung vorbereiten, Notfallvorkehrungen treffen und auch den gesamten Heilungs- und evtl. Nachbehandlungsprozess antizipieren. In den beiden Beispielen ist jedoch ein deutlicher Unterschied erkennbar: in handwerklichen Berufen stehen Planen und Handeln in einem ausgewogenen Verhältnis, in akademischen Berufen hingegen überwiegt das Planen. Dies kann so weit gehen, dass durch vertikale Arbeitsteilung für den Akademiker schließlich das Handeln wegfällt. Umgekehrt könnte eine hochgradige Arbeitsteilung den Facharbeiter – genauer dessen Planungsvermögen – überflüssig machen (Taylorisierung).
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In Orientierung am sog. VERA-Schema95 reicht Facharbeit von der Stufe I (sensumotorische Regulation) bis zur Stufe III (Teilzielplanung). D.h., dass Facharbeiter und Handwerker in der Lage sein müssen, komplexe Aufgaben zu überblicken und sie antizipierend so in Teilaufgaben aufzulösen, dass jede darin erforderliche Teilhandlung exakt an der richtigen Stelle angeordnet ist und in der Umsetzung effizient zum geforderten Ergebnis (Produkt oder Dienstleistung) führt. Aus diesen Betrachtungen über den Zusammenhang von Wissen und Handeln bzw. von Denken und Tun lässt sich eine Bestätigung des vorausgehend erörterten Ansatzes von fachlich-methodischen Kompetenzen durch eine empirisch abgesicherte kognitive Lern- und Handlungstheorie ableiten. Es wird darin bestätigt, dass nur spezifisches Wissen Facharbeiter dazu befähigen kann, komplexe Aufgaben über Teilziele zu sequenzieren und diese dann in sinnvoller Anordnung in vielen Einzelzyklen aus Zielbildung, Umsetzung und Kontrolle systematisch abzuarbeiten. Für die VERA-Ebene I kann schon ein geringfügiges, wenn einschlägiges Professionswissen für den Handlungserfolg genügen, was jedoch einen motivationalen Nutzen von Begründungswissen auch bei einfachen Tätigkeiten nicht ausschließt.96 Für Ebene II ist mehr Professionswissen und zudem Begründungswissen erforderlich, da eine eigenständige Handlungsplanung ein zumindest grundlegendes Verständnis für die Tätigkeit voraussetzt. Der Anspruch von Ebene III, Teilzielplanungen zu realisieren, korrespondiert mit der Umsetzung von Gradientenstrategien, deren Anwendungsflexibilität von weitgreifendem Professionswissen, tiefem Begründungswissen sowie der Verfügbarkeit allgemeinen Bezugswissens anhängt. Die somit belegte Konkretisierung dessen, was in einer offenen Kompetenzdefinition als „dispositionale Tiefenstruktur“ bezeichnet wird, soll an späterer Stelle im Zusammenhang mit dem Erwerb von Fachkompetenz wieder aufgegriffen werden. Zusammenfassend kann nun das Konzept fachlich-methodischer Kompetenzen von ERPENBECK & ROSENSTIEL, bezogen auf Facharbeit, konkretisiert werden. Die relativ unscharfen „fachlichen und instrumentellen Kenntnisse“ lassen sich widerspruchsfrei durch Professionswissen, Begründungswissen und allgemeines Bezugswissen ersetzen. Damit kann die oben begon95 96
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„Verfahren zur Ermittlung von Regulationserfordernissen von Arbeit“, vgl. Volpert et al., 1983a. In verschiedenen Arbeitsmotivationstheorien bzw. Arbeitszufriedenheitstheorien wird das Verständnis der Tätigkeit als wichtige internale Komponente festgestellt, wobei davon ausgegangen wird, dass das Handlungsverständnis ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen ist.
nene Präzisierung fachlich-methodischer Kompetenzen abgeschlossen werden: Fachlich-methodische Berufskompetenzen werden von Professionswissen, Begründungswissen und allgemeinem Bezugswissen bedingt. In Verbindung mit Steuerungs- bzw. Regulationsfähigkeiten und motorischem Geschick gewährleisten sie die selbständige Gestaltung, Lösung und Weiterentwicklung beruflicher Tätigkeiten und Aufgaben. 2.3.4 SOZIAL-KOMMUNIKATIVE KOMPETENZEN Unter dem Sammelbegriff „Sozialkompetenzen“ werden aktuell verschiedene und relativ unscharfe Kommunikations- bzw. Kooperationsfähigkeiten zusammengefasst. ORTH (1999) beschreibt Sozialkompetenzen als „Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die es ermöglichen, in den Beziehungen zu Mitmenschen situationsadäquat zu handeln“.97 Dies geht relativ konform mit der (oben bereits dargestellten) Spezifikation des Kompetenzkonstrukts von ERPENBECK & ROSENSTIEL von sozial-kommunikativen Kompetenzen als „Dispositionen, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln“.98 Eine mögliche Konkretisierung dieser Beschreibung wäre z.B der Ansatz von BASTIANS und KLUGE. Sie stellen eine Reihe von Teilfähigkeiten zusammen, welche sie dem Überbegriff Sozialkompetenz zuordnen:99 – Soziale Wahrnehmungskompetenzen bezeichnen die Fähigkeit, Situationen und Personen bezogen auf das persönliche Ziel angemessen wahrzunehmen und relevante Signale korrekt zu interpretieren. Dies umfasst frühzeitig und sensibel alle relevanten Signale der Situation und der an ihr beteiligten Personen zu erkennen und einzuschätzen. – Eigenes Selbst- und Stimmungsmanagement bezeichnen die Fähigkeit, eigene Stimmungen und Emotionen wahrnehmen, steuern und ggf. situationsangemessen ausdrücken zu können. Dies umfasst eigene Positionen hinterfragen zu können, eigene negative Stimmungen (Ärger, Stress, Frustration, Langeweile) nicht auf andere Situationen zu übertragen, auch bei negativen eigenen Stimmungen und in Belastungssituationen (z.B.
97 98 99
S. 3 Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIV. Nachfolgend: S. 1998
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Stress) aufgabenorientiert zu handeln und sich zuverlässig und konsistent zu verhalten. – Die aktive Rolle übernehmen zu können, bezeichnet die Fähigkeit, von sich aus die Initiative zu ergreifen und eigene Meinungen und Interessen anderen gegenüber aktiv durchsetzen zu können. Dies umfasst, die eigene Meinung und eigene Wünsche zu äußern, die eigene Meinung/Interessen anderen gegenüber durchzusetzen, sich einzubringen und ‚Nein‘ sagen zu können. – Kommunikationsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, sich auf verbaler und nonverbaler Ebene verständlich auszudrücken und Signale angemessen zu interpretieren. Dies umfasst inhaltliche und sprachliche Verständlichkeit (Prägnanz, Kürze, Gliederung, logischer Aufbau), insbesondere bei freier Rede, Sprachtempo, Lautstärke, Gestik, Mimik und Blickkontakt angemessen einzusetzen, Gespräche zu beginnen, aufrechtzuerhalten und zu beenden, zuzuhören und nicht zu unterbrechen, Inhaltsaspekte und Gefühlsaspekte von Nachrichten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. – Konflikt- und Kritikfähigkeit bezeichnen die Fähigkeit, situationsangemessen mit Konflikten umzugehen sowie Kritik äußern und annehmen zu können. Dies umfasst Konflikte wahrzunehmen, bezogen auf die eigenen Ziele einzuschätzen und anzugehen (ansprechen, lösen, ertragen, für nicht bedeutsam erklären und den Konflikt ggf. schwelen lassen), Kritik zu äußern und anzunehmen, Fehler einzugestehen und sich ggf. zu entschuldigen. – Beziehungsmanagement bezeichnet die Fähigkeit, soziale Kontakte zu anderen aufzunehmen, aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls zu vertiefen bzw. abzubrechen. Dies umfasst offen über eigene Gefühle und Interessen/ Absichten zu sprechen, Gefühle anderer zu bemerken, nachzuempfinden und ggf. zu äußern (Empathie), Akzeptanz/Toleranz von anderen und deren Meinungen und Gefühlen, den Standpunkt und die Gefühle anderer zu berücksichtigen, zu loben und Lob akzeptieren zu können, auch unangenehme Themen anzusprechen. – Teamkompetenzen bezeichnen die Fähigkeit, aufgaben- und zielorientiert mit den Mitgliedern der Gruppe zu kooperieren. Das heißt auch, Prozesse in einem Team zu steuern und voranzutreiben. Dies umfasst den zielorientierten gegenseitigen Austausch von Informationen, das Anbieten und Akzeptieren von Hilfe, sich selbst und andere in das Team zu integrieren, sich bei der Erfüllung einer Aufgabe mit den Teammitgliedern abzustim86
men und das Ergebnis der Teamarbeit als gemeinschaftlich erbrachte Leistung darzustellen. – Führungskompetenzen bezeichnen Kompetenzen sowohl im Umgang mit einzelnen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern als auch in der Interaktion mit Gruppen. Die einzelnen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter müssen ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihrem Bedürfnisstand entsprechend konstruktiv angeleitet und betreut werden. In Gruppensituationen bezeichnen Führungskompetenzen die Fähigkeit, Gruppen konstruktiv und produktiv anzuleiten und zu betreuen und das Teamklima und die Teamdynamik zu verbessern. (Die Beobachtung von Führungskompetenzen setzt Interaktionen voraus, in denen zwischen den Interaktionspartnern eindeutige Hierarchien existieren.) Dies umfasst Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen und damit umgehen und dafür geradezustehen, angemessen Feedback geben zu können, klare Absprachen zu treffen, Aufgaben zu delegieren, MitarbeiterInnen entsprechend ihren Fähigkeiten zu fordern und fördern und Informationsprozesse und die Kommunikation im Team zu fördern und eine Kommunikationskultur zu pflegen.“ Derartige Ansätze entsprechen situations- oder bereichsspezifischen Auswahlen ohne Differenzierung in übergreifende Aspekte. Mit dem Hinweis auf fehlende Systematiken und offene Terminologien solcher Kompetenzkataloge führte KANNING100 eine qualitative Synthese von Sozialkompetenzen durch und kam dabei zu drei grundlegenden Dimensionen (s. Tabelle 3): Tabelle 3: Dimensionen sozialer Kompetenzen Perzeptiv-kognitiver
Behavioraler
Motivational-emotionaler
Bereich
Bereich
Bereich
– Selbstaufmerksamkeit
– Extraversion101
– Emotionale Stabilität
– Personenwahrnehmung
– Durchsetzungsfähigkeit
– Prosozialität
– Perspektivenübernahme
– Handlungsflexibilität
– Wertepluralismus
– Kontrollüberzeugung
– Kommunikat.fertigkeiten
– Entscheidungsfreudigkeit – Wissen
– Konfliktverhalten – Selbststeuerung
100 Vgl. Kannig, 2002. 101 Seelische Einstellung, bei der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung eher auf die Außenwelt als auf die eigenen Gedanken und Gefühle gerichtet sind.
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Diese Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass soziale Kompetenz einem integrativen Konstrukt entsprechen, im Sinne der „Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, welche die Qualität eigenen Sozialverhaltens fördert“.102 Soziale Kompetenz drückt sich demgemäß in der Qualität der Einzelkomponenten und deren sinnvollem Zusammenwirken aus. Dabei werden jedoch individuenbezogene Faktoren einbezogen, die nach der Ausgangstheorie von ERPENBECK & ROSENSTIEL den personalen Kompetenzen zuzuordnen sind (z.B. Selbststeuerung, Handlungsflexibilität oder auch emotionale Stabilität). Daraus ergibt sich allerdings kein Widerspruch, da generell von einer Integrativität aller Teilkompetenzen ausgegangen wird, diese aber in einzelnen Kompetenzmodellen strukturell unterschiedlich aufgelöst wird.103 Für berufliches Lernen wenden sich EULER & BAUER-KLEBL überwiegend dem perzeptiv-kognitiven Bereich zu. Sie definieren Sozialkompetenz als „Disposition zur zielgerichteten Interaktion mit anderen Menschen über sachliche, soziale oder persönliche Themen in spezifischen Typen von Situationen“.104 Dieser Grundansatz präzisiert die von ERPENBECK & ROSENSTIEL allgemeine Kategorie eines Verhaltens als Interaktion und ordnet dieser zudem mit dem Begriff „zielgerichtet“ das Merkmal der Intentionalität zu. Sozialkompetenzen müssen demnach situations(typen)spezifisch bestimmt und präzisiert werden. „Die Beschreibung von Situationstypen soll die Grundlage schaffen, die auf sie bezogenen Kompetenzen in den drei Handlungsdimensionen Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen zu bestimmen. Hinsichtlich der Klärung des Begriffs der ‚Situation’ bzw. des ‚Situationstyps’ und der Bestimmung von Situationen lässt sich folgendes festhalten: – Situationen beschreiben die raum-zeitlichen Bedingungen für soziales Handeln, wobei die Akteure mit ihren individuellen Dispositionen einen Teil der Situation ausmachen. – Wenngleich die Wahrnehmung der Situation subjektabhängig erfolgt, ist es aufgrund von Sozialisationseinflüssen möglich, sozial geteilte Situationsdeutungen zu entwickeln.
102 Kannig, 2002, S. 155. 103 Inwiefern die Persönlichkeitseigenschaft „Extraversion“ als Kompetenz verstanden werden kann, sei erst einmal dahin gestellt. 104 Euler, Bauer-Klebl, 2009, S. 23.
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– Die Bestimmung von Sozialkompetenzen bezieht sich nicht auf singuläre Situationen, sondern auf Situationstypen. Diese aktualisieren sich in konkreten Situationen. – Als Bezugsrahmen für die Kennzeichnung des Situationstyps dient ein Modell, das die wesentlichen Merkmale bezeichnet: (a) Akteure; soziale Aufgaben, Erwartungen und Rollen; (b) Räumliche, materielle, kulturelle und institutionelle Bedingungen; (c) Zeitlicher Ablauf (Phasen, Schritte); (d) (kritische) Ereignisse. – Die Bestimmung und Beschreibung von Situationstypen ist das Ergebnis von Auswahl- und Konstruktionsprozessen. Welcher Situationstyp ausgewählt, wie er im Einzelnen abgegrenzt und wie abstrakt oder konkret er formuliert wird, ist abhängig von seinem didaktischen Anwendungskontext. – Ein auf diese Weise bestimmter Situationstyp bildet die Grundlage zur Begründung von Situationsanforderungen, zu deren Bewältigung spezifische Sozialkompetenzen erforderlich sind.“105 Folgt man weiter dem von EULER & BAUER-KLEBL sehr gründlich fundierten und elaborierten Theorieansatz, wird deutlich, dass eine Bestimmung sozialer Kompetenzen als Lernziele eine sehr aufwändige und schwierige Aufgabe für mehre Experten wäre. Im Weiteren würde dann die Konkretisierung situationstypenspezifischer Sozialkompetenzen, eine entsprechende didaktisch-methodische Transformation als Folge nach sich ziehen, was jedoch aus verschiedenen Perspektiven schwierig erscheint: 1. Genügen derartig hergeleitete Sozialkompetenzen – EULER & BAUERKLEBL stellen kein explizites Beispiel vor – schon für eine Verwendung als Lernziele, d.h. können sie so konkret formuliert werden, dass dazu Vermittlungswege und Methoden zur Reflexion und Kontrolle gefunden werden können? 2. Lässt sich ein so anspruchsvolles Kommunikationstraining in einen fachlich akzentuierten beruflichen Unterricht problemlos einbetten und außerhalb des realen Berufskontextes authentisch – und damit wirksam – vermitteln? 3. Sind die aktuellen Lehrpersonen an unseren Berufsschulen dazu qualifiziert bzw. besitzen sie selbst die erforderlichen Kompetenzen (und wel-
105 Ebd., S. 61
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ches sind diese?), um als Kommunikationstrainer professionell zu arbeiten? Keine dieser Fragen kann aktuell hinreichend positiv beantwortet werden, was zur Zwischenfeststellung kommen lässt, dass eine ähnlich klare Transformation von Sozialkompetenzen in berufliche Lernziele wie im vorausgehenden Falle der fachlich-methodischen Kompetenzen nicht gelingen kann bzw. letztlich in der Umsetzung die so gewonnene Schärfe wieder verlieren würde. Angesichts der KMK-Vorgabe ist ein so dezidierter Ansatz auch nicht erforderlich, da diese zwar den Anspruch einer Vermittlung von Sozialkompetenzen und kommunikativen Kompetenzen erhebt, ihn jedoch in den einzelnen Rahmenlehrplänen nicht weiter expliziert. Im Gegensatz zu den fachlichen Inhalten des Lehrplans, welche für jedes Lernfeld ausführlich beschrieben werden, erfolgen hier keine lernfeldspezifischen Vorgaben, was darauf hindeutet, dass die Vermittlung von Sozialkompetenzen nicht auf dem von EULER & BAUER-KLEBL gesetzten Anspruchsniveau stattfinden soll. Daher bleibt es aus Perspektive der Ordnungsmittel dem einzelnen Lehrer überlassen, wie er es „mit den Sozialkompetenzen“ hält. Aus Perspektive des vorliegenden Theoriekonstrukts wird diese nachgeordnete Bedeutung von Sozialkompetenzen mit der von ERPENBECK & ROSENSTIEL gesetzten Prämisse begründet, dass die Umsetzung von Gradientenstrategien (Facharbeit in Ausbildung und Berufseinstieg) primär von fachlich-methodischen Kompetenzen bestimmt werde (s.o.). Aus diesen Gründen mildert der vorliegende technikdidaktische Ansatz den Anspruch an die Bestimmung und Vermittlung von Sozialkompetenzen. An Stelle konkreter Sozialkompetenzen werden sog. „Schlüsselkompetenzen“ fokussiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass hinter der unüberschaubaren Vielfalt situationsspezifisch ausgerichteter Sozialkompetenzen wenige soziale Metakompetenzen identifiziert werden können, die dem dispositionalen Charakter von Kompetenzen ebenso gerecht werden können, bzw. diesen noch stärker aufweisen.106 Als soziale Schlüsselkompetenzen werden empirisch wenige Metakompetenzen bezeichnet, welche sich in variable Räume sozialer Interaktion übertragen lassen.107 Gemäß der OECD sind dies
106 Im Assessment Center, einem komplexen Kompetenzmessungsinstrument, werden explizit soziale Schlüsselkompetenzen erhoben und bewertet, davon ausgehend, dass diese aus spezifischen, simulierten Situationen abgeleitet und für spezifische Realsituationen prognostiziert werden können. Die Befundlage für Assessment Centers ist diesbezüglich überzeugend. 107 Vgl. Bormann, de Haan, 2008.
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– die Fähigkeit, gute und tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen zu unterhalten. Dazu gehört zentral Empathie108 und ein wirksamer Umgang mit Emotionen109 – Kooperationsfähigkeit110 – und die Fähigkeit zur Bewältigung und Lösung von Konflikten111 Soziale Schlüsselkompetenzen erscheinen konkret genug, um sie differenziert didaktisch aufgreifen zu können, d.h. diesbezügliche Ziele formulieren zu können, Vermittlungswege konzipieren und schließlich auch ihre Entwicklung feststellbar zu machen. Ein weiteres Argument für eine nachdrückliche, aber fachlich-beruflich unspezifizierte Vermittlung von Sozialkompetenzen findet sich in deren berufsübergreifender Bedeutung. Soziale Schlüsselkompetenzen korrespondieren in hohem Maße mit altersgemäßen Entwicklungsaufgaben bzw. deren Resultaten. Sie gehen einher mit den individuellen Sozialisationsprozessen und sollten damit über die berufsbezogene Funktionalität hinaus in ihrer Entwicklung gefördert und unterstützt werden. Daher kann die eingangs zitierte Grunddefinition von Sozialkompetenz nach ERPENBECK & ROSENSTIEL für die vorliegende Didaktik adaptiert werden, davon ausgehend, dass sich aktuelle und auch zukünftige soziale Schlüsselkompetenzen darin widerspruchsfrei einordnen lassen: „Sozial-kommunikative Berufskompetenzen sind Dispositionen, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln.“112 2.3.5 PERSONALE KOMPETENZEN Das Konstrukt personaler Kompetenzen ist im Ansatz von ERPENBECK & ROSENSTIEL am weitesten von der Performanz entfernt. Personale Kompetenzen äußern sich gemäß dieser Theorie nur indirekt im tatsächlichen Handeln, vielmehr wirken sie als „Basis-Dispositionen“ für fachlich-methodische, 108 Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Gefühle anderer Menschen zu versetzen. 109 Erschließung und Reaktion auf fremde Emotionen und Wahrnehmung sowie Handhabung der eigenen Emotionen. 110 Verständnis für Gesprächssituationen und Verläufe, Verhandlungs-, Vereinbarungs und Entscheidungsfähigkeit unter Berücksichtigung unterschiedlicher Standpunkte. 111 Analyse von Problemen und Interessen, Konfliktursachen und -ursprüngen sowie Argumenten und Standpunkten, Ermittlung von Übereinstimmungsbereichen und variablem Problemperspektiven, Priorisieren von Lösungen und Kompromissfindung. 112 Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIII.
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sozial-kommunikative und aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen. Die Grundannahme dieser strukturellen Anordnung besteht darin, dass selbstorganisiertes Handeln von Persönlichkeitsprozessen begleitet wird und diese Persönlichkeitsprozesse einen Einfluss auf das Handeln haben. Ein Individuum benötigt demgemäß personale Kompetenzen, um seine Persönlichkeitsprozesse so zu verstehen und aufzuarbeiten bzw. umzusetzen, dass es seine Handlungsfähigkeit entfalten bzw. weiterentwickeln kann. Personale Kompetenzen sind demnach funktionsorientiert und selbstreflexiv.113 Angesichts einer relativ einfachen Vorstellung von fachlich-methodischen oder sozial-kommunikativen Kompetenzen, welche sich direkt im fachlichen oder sozialen Handeln äußern, fällt ein Verständnis für nicht direkt wirkende Kompetenzen schwer. ERPENBECK & ROSENSTIEL beschreiben personale Kompetenzen als „Fähigkeiten, sich selbst einzuschätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln, eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich im Rahmen der Arbeit und außerhalb kreativ zu entwickeln und zu lernen“.114 Daraus ist weder Konsistenz für das beschriebene Konzept ableitbar, noch lassen sich die aufgezählten Partikel zu einem sinnvollen Ganzen kumulieren.115 Die aufgeführten Beispiele „Fleiß, Beharrlichkeit, Schöpfertum, Selbstvertrauen, Wertbewusstsein, Risikobereitschaft“116 lassen sich der Grunddefinition von personalen Kompetenzen kaum zuordnen.117 Was letztlich aus beiden Um113 Vgl. ebd. 114 Ebd. 115 Eine unspezifische „Fähigkeiten, sich selbst einzuschätzen“ ist kaum vorstellbar, da dies zum Einen alle einschätzbaren Eigenschaften und Befähigungen eines Menschen gleichermaßen betreffen müsste und dies zudem auf eine allumfassende Menge von möglichen Situationen, Bedingungen und Aufgaben. „Produktive Einstellungen“ sind ebenfalls unklar, denn das Attribut „produktiv“ beschreibt, inwiefern etwas förderlich oder fruchtbar für eine Sache oder ein Anliegen ist und erscheint im Zusammenhang von Einstellungen wenig signifikant, da diese primär bewerten sollen und nicht verändern. Des weiteren bleibt unklar, welche Werthaltungen gemeint sind, und inwiefern sich diese von den Einstellungen unterscheiden, welche Motive gemeint sind und was unter Selbstbildern zu verstehen ist, da dieses Konzept in der Psychologie für einen Menschen nur im Singular verwendet wird. Somit kann auch nicht festgestellt werden, worin die Fähigkeit liegen kann, diese unscharfen bzw. unklaren Aspekte zu entwickeln. Im Weiteren wird die Fähigkeit konstatiert, Begabungen, Motivationen und Leistungsvorsätze zu entfalten. Was kann der Einzelne dazu tun, seine Begabungen zu entfalten? Wie wird eine Motivation entfaltet? Passen dazu wiederum Leistungsvorsätze und inwiefern können diese entfaltet werden? Schließlich wird noch in sehr verallgemeinernder Weise die Fähigkeit hinzugefügt, sich generell kreativ zu entwickeln und zu lernen. 116 Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XXIV. 117 Z.B. welchem Aspekt entspricht der Fleiß? Ist es das Ergebnis einer Einstellungsentwicklung oder einer Werthaltungen? Oder ist es die Entfaltung von Motivationen oder Leistungsvorsätzen?
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schreibungen deutlich wird, ist die Unklarheit darüber, was tatsächlich personalen Kompetenzen zugeordnet werden kann, und in welcher Beziehung sie zu grundlegenden Persönlichkeitskomponenten stehen. Für die hier vorzunehmende Konkretisierung erscheinen motivationale, volitionale, aber auch kognitiv-affektive Aspekte in einer arbeitsorientierten Ausprägung bedeutsam. Daraus resultieren in motivationaler und volitionaler Hinsicht Selbstwirksamkeitserwartung, Handlungskontrolle, Lern- und Leistungsmotivation, in affektiver Hinsicht der Anspruch an die eigene Arbeit, betriebliche Identifikation und „commitment“, Prozess- und Kundenorientierung, unternehmerisches und ökologisches Denken, Entwicklungsorientierung etc. Hier wird erkennbar, dass personale Kompetenzen vor allem in affektiver Ausprägung zwar mit dem aktuellen Facharbeiterbild korrespondieren aber damit auch dessen Wandel unterliegen. Hinter diesen personalen Kompetenzen stehen grundlegende Persönlichkeitskomponenten wie die Persönlichkeitseigenschaften („traits“) und die Grundwerte eines Menschen. Personale Kompetenzen müssen in einem engen Zusammenhang mit diesen Komponenten stehen, dürfen damit aber nicht gleichgesetzt werden. Dies wäre unschlüssig, da die Persönlichkeitseigenschaften118 eines Menschen relativ unveränderbar sind (traits), personale Kompetenzen jedoch etwas sein müssen, was vom Individuum in einem entsprechenden Umfang entwickelt werden kann. Anders verhält es sich mit den Grundwerten eines Menschen wie z.B. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Fairness, Solidarität. Sie sollten als affektives Fundament einer Persönlichkeit der Hintergrund berufsbezogener Entwicklung sein und somit auch deren Gegenstand. Personale Kompetenzen stehen also zwischen den direkten Handlungskompetenzen eines Menschen und seiner Persönlichkeit. Sie entsprechen den hochindividuellen Strukturen, die ein Mensch entwickelt hat, um seine Eigenschaften und Werte funktional zur Wirkung zu bringen bzw. deren möglicherweise dysfunktionalen Wirkungen zu reduzieren bzw. einzugrenzen. Z.B. muss sich ein ängstlicher Mensch für eine funktionale Kommunikation aktivieren, ein extravertierter Mensch dagegen eher kontrollieren. Das bedeutet, dass sich Kompetenzkomponenten wie z.B. die generelle Leistungsmotivation von Individuen über objektivierte Skalen messen und darstellen lässt, wie diese in der Persönlichkeit jedes Einzelnen fundiert und verankert ist, dabei jedoch unbeachtet bleibt. 118 Z.B. die „Big Five“ nach Allport, Odbert: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit.
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Eine weitere, sehr bedeutende Facette personaler Kompetenz ist die Fähigkeit, selbstreguliert zu lernen. Dieser Aspekt erscheint aus zwei Gründen für eine Technikdidaktik besonders relevant: Zum Einen kann davon ausgegangen werden, dass selbstreguliertes Lernen dem Individuum ein besseres, einfacheres und auch wirksameres Lernen ermöglicht, zum Anderen korrespondiert dieser Aspekt in hohem Maße mit dem aktuellen Bild vom Facharbeiter bzw. Handwerker, der sich lebenslänglich selbst weiterentwickeln soll. Daher erstaunt es nicht, dass in den Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz konstatierte Lernkompetenz im Sinne einer „Bereitschaft und Befähigung, Informationen über Sachverhalte und Zusammenhänge selbstständig und gemeinsam mit Anderen zu verstehen, auszuwerten und in gedankliche Strukturen einzuordnen […] Fähigkeit und Bereitschaft, im Beruf und über den Berufsbereich hinaus Lerntechniken und Lernstrategien zu entwickeln und diese für lebenslanges Lernen zu nutzen“ als eigenständige oder quer verlaufende Kompetenz positioniert wird.119 Das ist (wie bereits oben erörtert) theoretisch nicht nachvollziehbar und erscheint als Strukturdefizit im Gesamtansatz der KMK. Selbstreguliertes Lernen wird seit mehreren Jahrzehnten in engem Zusammenhang mit sog. „Lernstrategien“ erforscht.120 Ausgehend von kognitivistischen Basistheorien (AUSUBEL 1960; GAGNÉ 1965; BRUNER 1966) etablierte sich Ende der 1960er Jahre „self directed learning“ in den Vereinigten Staaten. NEBER121 adaptierte als einer der Ersten diese Ansätze aus dem Amerikanischen und verankerte damit die Idee und das Konzept Selbstregulierten Lernens vor drei Jahrzehnten im deutschsprachigen Bezugsfeld. Bis Mitte der 1980er Jahre hatte sich in der Pädagogischen Psychologie eine Reihe von Referenzmodellen für Selbstreguliertes Lernen etabliert. Dazu zählen aktuell das „integrative Rahmenmodell“ von SCHIEFELE & PEKRUN,122 das „Drei-Ebenen-Modell“ von BOEKAERTS,123 das „Vier-Stufen-Modell“ von WINNE & HADWIN124, der „Eigenverantwortlichkeits-Ansatz“ von HIEMSTRA,125 das „Prozessmodell“ von BORKOWSKI, CHAN & MUTHUKRISHNA126 oder auch der „mehrdimensionale Ansatz“ von STRAKA.127 Jeder 119 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, 2000, S. 4 (http://www.kmk.org/doc/publ/handreich.pdf). 120 Vgl. Tenberg, 2008. 121 Vgl. Neber, 1978. 122 Vgl. Schiefele, Pekrun,1996. 123 Vgl. Boekaerts, 1997. 124 Vgl. Winne, Hadwin, 1998. 125 Vgl. Hiemstra, 2000. 126 Vgl. Borkowski, Chan, Muthukrishna, 2000.
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dieser Ansätze versucht, die vielfältigen Operanden von Selbstreguliertem Lernen stimmig und funktional zu integrieren, zentriert sich dabei aber jeweils auf einen speziellen Aspekt oder versucht deren metatheoretische Integration (Straka). Die aktuellen Theorien über Selbstreguliertes Lernen entsprechen somit Partialtheorien, welche sich deutlich überlappen und insgesamt sowohl ergänzen als auch relativieren. Unabhängig vom jeweiligen Modell, dessen Fokussierung oder Spezifikation erweisen sich zwei (keineswegs unabhängige) Konzepte in allen Ansätzen als zentral: Lernstrategien und Metakognition. Im Drei-Schichtenmodell von BOEKAERTS128 korrespondiert z.B. die mittlere Ebene der LernprozessKontrolle mit der inneren Ebene der Lernprozesse, indem „metacognitive knowledge and skills“ über den Einsatz von „cognitve strategies“129 entscheiden und wachen. WINNE & PERRY130 weisen in ihrem Strukturmodell Knowledge of Study Tactics and Strategies – neben beliefs, dispositions and styles, motivational factors and orientations, domain knowledge, knowledge of task – eine zentrale Bedeutung für den Selbstlernprozess im Sinne von Cognitive Conditions zu. Die eigentlichen Lernoperationen erfolgen durch den Einsatz von Acquired Tactics and Strategies. Das Prozessmodell von SCHMITZ131 bestimmt als Produkt und Anschluss der präaktionalen Phase an die aktionale Phase einen geplanten Strategieeinsatz. Dieser führt dann in der aktionalen Phase zur Lernstrategie-Anwendung, welche – neben der Volition – die Lernleistung bestimmt. Schließlich erfolgen in der postaktionalen Phase Reflexions- und Bewertungsprozesse, welche u.a. auch Strategiemodifikationen zur Folge haben. Im kombinierten Struktur- und Prozessmodell von SCHIEFELE & PEKRUN132 wird metakognitives Wissen – neben Fähigkeiten, Vorwissen, Motivation und Volition – als entscheidendes Lernmerkmal vorausgesetzt. Jede Phase der internen Lernsteuerung (vor, während und nach dem Lernen) wird von metakognitiven Prozessen bestimmt. Die kognitiven Lernstrategien kommen in der Vorbereitung (Ressourcen-Management) und dem eigentlichen Lernen (Wiederholungs-, Elaborations- etc. -strategien) zur Anwendung. Somit können die aktuell verbreiteten Modelle Selbstregulierten Lernens in allen Fällen auch als Modelle der Anwendung und Entwicklung von Meta127 128 129 130 131 132
Vgl. Straka, 2000. Vgl. Boekaerts, 1999, S. 449. Ebd. Vgl. Einne, Perry, 2000, S. 537. Vgl. Schmitz, 2001, S. 183. Vgl. Schiefele, Pekrun, 1996, S. 271.
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kognition und Lernstrategien aufgefasst werden. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass die gegenwärtigen Definitionen bzw. Konzepte von Metakognition und Lernstrategien sehr eng mit den jeweils einschlägigen Modellen von Selbstreguliertem Lernen korrespondieren. Je nach Taxonomie wird die Metakognition den Lernstrategien bei- oder übergeordnet bzw. zwischen kognitiven und metakognitiven Lernstrategien unterschieden. Im Folgenden werden die beiden Begriffe (oder besser Begriffssysteme) kurz umrissen und erörtert. Lernstrategien Als „Lernstrategien“ können allgemein jene Verhaltensweisen und Kognitionen bezeichnet werden, die vom Lernenden aktiv zum Wissenserwerb eingesetzt werden.133 KLAUER134 versteht unter Lernstrategien einen Plan von aufeinander folgenden Handlungen zur Erreichung eines Lernziels. Eine etwas komplexere Definition von HASSELHORN & GOLD beschreibt Lernstrategien als „Prozesse bzw. Aktivitäten, die auf ein Lern- oder Behaltensziel ausgerichtet sind und die über die obligatorischen Vorgänge bei der Bearbeitung einer Lernanforderung hinausgehen. Lernstrategien weisen wenigstens eine zusätzliche akzessorische Eigenschaft auf, indem sie entweder intentional, bewusst, spontan, selektiv, kontrolliert und/oder kapazitätsbelastend sind bzw. eingesetzt werden.“135 Diesen (und weiteren) Definitionen von Lernstrategien steht eine Reihe von Taxonomien gegenüber: FRIEDRICH & MANDL136 unterteilen die Lernstrategien in „kognitive“ und „metakognitive“ Strategien. Kognitiven Strategien wird eine eher operative Funktion beigemessen, metakognitiven eine überwiegend koordinative. Kognitive Lernstrategien unterscheiden sich in diesem Sinne übergreifend in: – „Elaborationsstrategien“, welche „dem Verstehen und dem dauerhaften Behalten neuer Informationen dienen“,137 z.B. „Vorwissen aktivieren, Fragenstellen, Notizenmachen, Vorstellungsbilder generieren, Mnemotechniken sowie Wiederholungsstrategien“138 – „Organisationsstrategien“, welche darauf abzielen, „neues Wissen zu organisieren und zu strukturieren, indem die zwischen den Wissenselementen bestehenden inhärenten Verknüpfungen herausgearbeitet wer-
133 134 135 136 137 138
96
Vgl. Wild, 2001. Vgl. Klauer, 1988. Hasselhorn, Gold, 2006, S. 90. Vgl. Friedrich, Mandl, 2006, S. 1f. Ebd., S. 2. Ebd.
den“139 z.B. „das Zusammenfassen von Texten, die Nutzung von Wissensschemata sowie Strategien der externen Visualisierung“140 – „Wissensnutzungsstrategien“, mit der Intention, schon im Erwerb neuen Wissens dessen Anwendung bzw. Transfer zu antizipieren, z.B. durch das „Lösen von Problemen, das Schreiben von Texten oder das Argumentieren/Diskutieren im sozialen Kontext“141 Tabelle 4: Lernstrategien nach FRIEDRICH & MANDL, 2006 Unmittelbare Lernstrategien
Mittelbare Lernstrategien
Kognitive Strategien
Metakognitive Strategien
- Motivations- und
- Elaborations-
- Selbstkontroll-
- Strategien für
strategien - Organisationsstrategien - Wissensnutzungsstrategien
und - Selbstregulationsstrategien
- Strategien für die
Emotionsstrategien kooperatives Lernen Nutzung von Ressourcen
Metakognitive Lernstrategien kennzeichnet eine „mental koordinative Orientierung“: – Selbstkontroll- und Selbstregulationsstrategien zur „situations- und aufgabenangemessenen Steuerung des Lernprozesses, insbesondere der Planung, Überwachung und Regulation, als ein ‚Nachdenken über das Nachdenken’ im Sinne von ‚Wie gehe ich bei dieser Aufgabe vor?’, ‚Habe ich das jetzt wirklich verstanden?’, ‚Damit bin ich noch nicht zufrieden’“.142 Diesen unmittelbaren Lernstrategien werden schließlich noch mittelbare Lernstrategien beigeordnet. Diese sind Motivations- und Emotionsstrategien (Aufbau von Lernmotivation, Abwehr von Amotivation, Herstellung und Stabilisierung von Volition), Strategien für kooperatives Lernen (Kommunikation und Kooperation beim Lernen) und Strategien für die Nutzung von Ressourcen innerer (Arbeitszeiten, -mittel, Dokumentation etc.) und äußerer Koordi139 140 141 142
Ebd. 4 Ebd. Ebd., S. 6 Friedrich, Mandl, 2006, S. 5.
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nation (Planung, Vereinbarung mit anderen Aktivitäten etc.) des Lernens (s. Tabelle). Dieser Ansatz korrespondiert deutlich mit der verbreiteten Taxonomie nach DANSERAU143 bzw. WEINSTEIN & MAYER144, welche eine Dreiteilung nach kognitiven, metakognitiven Strategien und Stützstrategien vornimmt. MAYER145 modifizierte seinen Ansatz später, indem er die kognitiven Strategien umstrukturierte und bisherigen Strategien des Elaborierens und Organisierens in „mnemotische Strategien“, „Strukturierungsstrategien“ und „generative Strategien“ aufteilte. Diese von MAYER vorgenommene, empirisch belegte Neubestimmung geht auf von ihm selbst bemängelte Unschärfen der vorausgehenden Kategorisierung zurück: – „Mnemotische Strategien“ werden zum Behalten neuer Informationen angewandt bzw. zur Unterstützung ihrer Verknüpfung mit vorhandenem Wissen (Mnemotechniken), z.B. gedankliches oder lautes Wiederholen, Bilden von Schlüsselwörtern etc. – „Strukturierende Strategien“ intendieren die Verknüpfung, Systematisierung und Reduktion des Lernmaterials, z.B. Finden bzw. Bilden von Überbegriffen (Kategorisierung), Identifikation und Verknüpfung relevanter Inhalte (Exzerpt) etc. – „Generative Strategien“ haben zum Ziel, ein vertieftes Verständnis für das Gelernte herzustellen. An Stelle des Aufnehmens, Behaltens und Überblickens von Informationen steht hier der Aufbau von logischen (oder zumindest funktionalen) Zusammenhängen. Beispiele wären hier WennDann-Beziehungen, komplexere mentale Modelle, Analogien etc. Eine der grundlegenden Ideen in der Auseinandersetzung mit Lernstrategien war (und ist) jene, dass sich diese hinsichtlich ihrer Qualität unterscheiden, also dass bessere Lernstrategien ein besseres Lernen und schlechtere Lernstrategien ein schlechteres Lernen kennzeichnen. Z.B. impliziert LOMPSCHERs Taxonomie146 die Möglichkeit einer wirkungs- und anspruchsbezogenen Bewertung der Lernstrategien, indem ein von ihm entwickeltes Instrument zwischen Oberflächenstrategien und Tiefenstrategien unterscheidet. Als Oberflächenstrategien werden dabei jene Strategien bezeichnet, welche eine reine Wissensreproduktion intendieren (z.B. wörtliches Auswendiglernen), als
143 144 145 146
98
Vgl. Danserau, 1985. Vgl. Weinstein, Mayer, 1986. Vgl. Mayer, 2003. Vgl. Lompscher, 1995.
Tiefenstrategien diejenigen Strategien, die auf ein Verständnis des zu Lernenden gerichtet sind. Diese – an sich plausible – Annahme erwies sich jedoch in Versuchen, sie empirisch zu bestätigen, als sehr widerspenstig. Weder die in vielfältigen Instrumenten vorgenommenen Partikularisierungen und Umstrukturierungen der Lernstrategien, noch Ausdifferenzierung und Verfeinerung bei den Wirkungsfeststellungen konnten bislang bestätigen, dass allein die Art, Gattung oder Charakteristik einzelner Lernstrategien schon über deren Qualität bzw. Wirksamkeit entscheiden kann. Vielmehr deutet sich an, dass ein Lernstrategie-Einsatz in einem komplexen Zusammenhang mit dem situationsspezifischen, gegenüber Aufgabe und Anforderung fein abgestimmten tatsächlichen Einsatz steht, welcher sich auf ein bestehendes Repertoire bezieht und dabei mit verschiedenen antizipativen, lernbegleitenden und auch retrospektiven Prozessen korrespondiert. Dieser Einsatz hängt von korrespondierenden kognitiven, metakognitiven und emotionalen Faktoren ab. Metakognition Unabhängig von der zu Grunde liegenden Definition oder Taxonomie wird in allen aktuellen Lernstrategie-Konzepten zwischen kognitiven und metakognitiven Strategien unterschieden. Unter Metakognitionen sind allgemein reflexive Auseinandersetzungen zu verstehen, welche ein Mensch gegenüber seinen operativ ausgerichteten Kognitionen führt, also vereinfacht „Gedanken über die eigenen Gedanken“. Dies erfolgt im Zusammenhang mit Lernen schon beim einfachen Rekapitulieren eines Lösungsweges und kann bis in komplexe philosophische Auseinandersetzungen führen. In den aktuellen Ansätzen Selbstregulierten Lernens wird generell davon ausgegangen, dass die jeweiligen Lernoperationen einer darüber liegenden gedanklichen Steuerung unterliegen. Die Definition von HASSELHORN & GOLD147 fordert dies explizit durch den Anspruch, dass Lernstrategien „über die obligatorischen Vorgänge bei der Bearbeitung einer Lernanforderung hinausgehen“.148 Umgekehrt ist also zu konstatieren, dass Lernprozeduren erst durch Metakognitionen zu Lernstrategien werden. Da sich menschliches Denken in einem Vorausschauen, einer direkten bzw. situativen und einer retrospektiven Reflexion vollziehen kann, teilen sich die metakognitiven Lernstrategien in die Bereiche „Lernplanung und Ressourcen-
147 Vgl. Hasselhorn, Gold, 2006. 148 Ebd., S. 90
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Management“, „Lernüberwachung und Lernregulierung“ sowie „Lerndiagnose und Lernbewertung“ auf. Die Plausibilität dieser einfachen Basiszusammenhänge muss jedoch angesichts des aktuellen Forschungsstands relativiert werden. Schon BROWN beschrieb Metakognition als „Wissen und Kontrolle über das eigene kognitive System“149 und akzentuierte damit – neben dem Aspekt der Kontrolle – den des Bewusstseins. Zudem markieren diese Faktoren keinen Dualismus zwischen unbewusstem und bewusstem oder unkontrolliertem und kontrolliertem Denken, sondern sind vielmehr als Pole eines wenig konstanten Kontinuums zu verstehen. Während wir denken, können unser diesbezügliches Bewusstsein und unsere diesbezügliche Kontrolle sehr starken Intensitätsschwankungen ausgesetzt sein. Beispiel wäre hier die Lösung einer anspruchsvollen Aufgabe, bei der wir relativ unbewusst aber durchaus kontrolliert zunächst auf unsere Erinnerung zugreifen, um nach bewährten Lösungen zu suchen, wenn wir diese aber nicht finden, automatisch auf offene Lösungsalgorithmen zugreifen und dabei sehr bewusst die Schlüssigkeit unserer neuen Lösungswege reflektieren, ohne zunächst direkten Einfluss darauf vorzunehmen etc. Wie nahe kognitive und metakognitive Prozesse beieinander liegen, zeigt die von STRASSER durchgeführte theoriegestützte Synopse,150 in welcher er drei unterschiedliche Formen von Metakognition differenziert: „deklarative Metakognition“, „prozedurale Metakognition“ und „metakognitive Empfindungen“. Deklarative Metakognition entspricht metakognitivem Wissen, welches sich in Personen-, Aufgaben- und Strategievariablen teilt.151 Der Begriff der Prozeduralen Metakognition subsummiert weitgehend die metakognitiven Lernstrategien. Als metakognitive Empfindungen werden Emotionen bezeichnet, die mit den gedanklichen Prozessen einhergehen, diese evtl. initiieren, begleiten und beeinflussen. Basisgerüst dieser Differenzierung ist die von RYLE152 begründete Teilung in deklaratives und prozedurales Wissen als Erklärung des kognitiven Zusammenhangs und Zusammenspiels zwischen menschlichem Denken und Handeln (später aufgegriffen von AEBLI, MANDL, RENKL etc.). Wo nun aber die Trennlinie bzw. der Übergang zwischen prozeduraler Kognition und prozeduraler Metakognition ist, kann aktuell weder theoretisch markiert noch empirisch abgebildet werden. Noch diffuser wird es mit emotionalen Bezügen. Auf Basis klinischer Erfahrungen und
149 150 151 152
100
Brown, 1984, S. 61. Vgl. Strasser, 2007, S. 85f. Vgl. ebd., S. 86. Vgl. Ryle, 1949.
Versuche legte CIOMPI in seinem Ansatz einer „Affektlogik“153 den engen Zusammenhang zischen gedanklichen und emotionalen Prozessen offen, unterstrich dabei aber gleichzeitig dessen Komplexität durch das Prädikat „ fraktal“, also „selbstähnlich“, aber unberechenbar. Ob dies haltbar ist oder nur einer Annahme entspricht, kann angesichts fehlender empirischer Belege nicht geklärt werden. Fest steht aber, dass die „emotionale Komponente“ in kognitiven und metakognitiven Prozessen sowie deren Übergängen und Korrespondenzen immer eine Rolle spielt.154 Die hier vorgenommene Zusammenfassung der Konzepte von Lernstrategien und Metakognition legt einerseits relativ klare und vor allem plausible Theorien offen, welche für Forschung und auch Praxis handhabbar erscheinen und ein in sich einigermaßen schlüssiges Bild abgeben. Andererseits zeigt sie auch, dass dieses Bild nur der Oberfläche eines immer noch relativ unerschlossenen, gleichermaßen komplexen und diffusen Bezugsraums menschlicher Lernprozesse entsprechen kann. Eine empirische Bilanzierung von TENBERG155 über den empirischen Forschungsstand bzgl. der Anwendung von Lernstrategien und Metakognition im beruflichen Lernen kommt zu folgender Zusammenfassung: – Lernstrategien und Metakognition weisen im beruflichen Lernen eine „gewisse Relevanz“ für Lernleistungen auf, – sie stehen in einem relativ offenen Zusammenhang mit Lern- bzw. Leistungsmotivation, – sie hängen deutlich mit volitionalen Dispositionen zusammen und – unterliegen einer hohen individuellen und situativen Varianz. Diese Befundlage trägt der Tatsache Rechnung, dass es bislang nur wenige praxiserprobte Ansätze von Lernstrategieförderung im beruflichen Unterricht gibt, der Schwierigkeit, den Lernstrategieeinsatz von Schülern empirisch zu erschließen und auch der Problematik einer reliablen und validen Kompetenzmessung. In jedem Falle muss darauf bezogen der Optimismus bzgl. der hohen Potenzialität dieser Metakompetenz der KMK relativiert werden.
153 Vgl. Ciompi, 1997. 154 Bezeichnend ist hier auch eine gewisse „Hemdsärmligkeit“ in der theoretischen wie empirischen Handhabung dieser Problematik, die sich z.B. im Ansatz von Friedrich, Mandl, 2006, s.o.) zeigt. So werden dort Motivations- und Emotionsstrategien den kognitiven und metakognitiven Strategien einfach als eigenständige Konzepte beigeordnet. 155 Vgl. Tenberg, 2008.
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Somit wird hier zusammengefasst, was im Fokus des vorliegenden Ansatzes – korrespondierend mit dem Grundmodell von ERPENBECK & ROSENSTIEL – unter personalen Berufskompetenzen verstanden werden kann: Die Fähigkeit, Selbstwirksamkeit im beruflichen Tun wahrzunehmen und zu entwickeln, Lern- und Leistungsmotivation sowie Handlungskontrolle darin auf- und auszubauen, ein hoher Anspruch an die eigene Arbeit, betriebliche Identifikation, Prozess- und Kundenorientierung, unternehmerisches und ökologisches Denken sowie eine generelle berufliche Entwicklungsorientierung und zudem die Befähigung unter reflektiertem Einsatz von Lernstrategien selbstreguliert zu Lernen. Angesichts dieser Beschreibung wird deutlich, welchen hohen Stellenwert diese Kompetenzen für Facharbeiter und Handwerker insbesondere in deren Ausbildung und Entwicklung haben. Daher müssen sie von einer überzeugenden Technikdidaktik verstanden, aufgegriffen und realisiert werden.
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3
ERWERB VON BERUFSKOMPETENZEN
Im vorausgehenden Abschnitt wurde, konform zum KMK-Ansatz beruflicher Handlungskompetenz und dem Theoriemodell von ERPENBECK & ROSENSTIEL, eine Präzisierung von Kompetenzen für Facharbeiter und Handwerker in technischen Berufen vorgenommen. Dabei wurde in fachlichmethodische Kompetenzen, sozial-kommunikative, anwendungs- und umsetzungsorientierte sowie personale Kompetenzen differenziert. In den Erörterungen der einzelnen Kompetenzklassen wurden ihre konzeptionellen Unterschiede deutlich. Diese Unterschiede zeigen sich nicht nur im „Wesen“ der einzelnen Kompetenzen, sondern auch deutlich in deren Erwerb. Im Folgenden wird die vorausgehende Unterteilung für die Erörterungen über den Kompetenzerwerb beibehalten. Damit soll jedoch nicht impliziert werden, dass die einzelnen Kompetenzklassen separat vermittelt werden sollen bzw. können. Tatsächlich ist dieses nur integriert vorstellbar, wobei unterschiedliche Akzente gesetzt werden müssen.
3.1 Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen Erschließungsfragen: – Welches sind die Grundideen des pädagogischen Konstruktivismus? – Warum bildet der pädagogische Konstruktivismus mit dem Objektivismus kein Kontrastpaar? – Welches sind die Grundbedingungen für eine Perturbation? – Warum ist Lernen aus konstruktivistischer Sicht affirmativ? – Welches sind die Kernaussagen der Äquilibrationstheorie von Jean Piaget? – Welche didaktischen Implikationen lassen sich aus dem Konstruktivismus ableiten? – Worin korrespondieren Konstruktivismus und Kognitivismus und worin unterscheiden sie sich? – Was kennzeichnet den Kognitivismus gegenüber dem Behaviorismus? – Wie treten Kognitionen bzw. kognitive Prozesse in Erscheinung? – Was ist unter heuristischen Fähigkeiten zu verstehen? – Worin unterscheidet sich geistiges und körperliches Lernen beim Menschen? – In welcher Phasenstruktur erfolgt motorisches Lernen?
Gemäß der vorausgehenden Konzeptionalisierung fachlich-methodischer Berufskompetenzen werden diese zum Einen durch spezifische Wissenskom103
ponenten repräsentiert, zum Anderen von der Fähigkeit, dieses Wissen zu verwenden. Eine Reihe von Theorien (z.B. von AEBLI (1951) und MANDL156) deuten darauf hin, dass hier die grundlegenden Mechanismen durch einen konstruktivistischen Ansatz erklärt werden können. Zur Erklärung menschlicher Denk- und Problemlösungsprozesse sind zusätzlich kognitivistische Ansätze aufzuzeigen und zu erörtern. Schließlich soll im Zusammenhang mit manuellen Fertigkeiten noch kurz auf die Grundlagen motorischen Lernens eingegangen werden. Im Anschluss an diese partiellen Auseinandersetzungen mit kompetenzrelevanten Lerntheorien werden diese zusammengeführt und hinsichtlich ihrer korrespondierenden auch divergierenden Aussagen analysiert. 3.1.1 PÄDAGOGISCHER KONSTRUKTIVISMUS Der pädagogische Konstruktivismus wurde Mitte der 1990er Jahre in Deutschland aus dem nordamerikanischen Raum implementiert. Dort wurden Befunde aus der Lehr-Lernforschung in lehrmethodische Konzeptionen wie z.B. anchored instruction157 oder cognitve appreticeship158 übertragen und erprobt. Im Hintergrund dieser Konzeptionen stand ein neu entdecktes Lernparadigma, welches einen objektivierten Zugang beim Lernen aus individuenbezogenen Gründen und effektivitätsbezogenen Gründen als defizitär feststellte. Es wurde davon ausgegangen, dass es unnatürlich sei, Lernende direkt mit systematisiertem Wissen zu konfrontieren, da Menschen Wissen zunächst eigenständig konstruieren müssen. Zudem wurde auch nachgewiesen, dass objektiviert erworbenes Wissen in Anwendungen, die über dessen Rekapitulation hinausgehen, kaum behalten und selten direkt angewandt werden kann („träges Wissen“). „Der Konstruktivismus bietet einen Lernbegriff an, der neuro- und kognitionswissenschaftlich ‚abgesichert‘ ist, aus Sicht der Alltagserfahrung plausibel und praktisch folgenreich ist“.159 Im Grundansatz wird dabei die Wichtigkeit objektiven Wissens keineswegs bestritten, ihm wird jedoch eine überindividuelle Bedeutung beigemessen. Individuelles menschliches Wissen ist generell ein durch Erfahrungen, Lernen und Reifung entstandenes, individuelles Konstrukt, welches – ähnlich einem Netzwerk – aus Bezugskonzepten (Knoten) besteht, die durch vielfältige Relationen (Verknüpfungen) ihre Eigenschaften und Zusammenhänge erhalten. 156 157 158 159
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Vgl. z.B. Gerstenmaier, Mandl, 1994 oder Mandl, Reinmann-Rothmeier, 1998. Vgl. Bransford, 1990. Vgl. Collins, Brown, Newman, 1989. Siebert, 2008, S. 8.
In ihm sind kognitive, affektive und emotionale Aspekte gleichermaßen verknüpft. Es ist zum Teil über das Bewusstsein zugänglich, weite Teile wirken unterbewusst. Die Objektivierung des Wissens ist eine kollektive (überindividuelle, entsubjektivierende) menschliche Kognitionsleistung, welche von abstrahierenden und relativierenden Verständnis- und Erkenntnisprozessen bedingt wird. Erst die Objektivierung macht eine Kommunikation des Wissens an andere Individuen möglich und damit dessen Überprüfung, Bestätigung, Korrektur, Modifikation, Relativierung und schließlich Dokumentation. Wissensobjektivierung ist somit die Grundbedingung von Kultur, Technik und Wissenschaft. D.h., dass auch das objektivierte Wissen letztenendes ein menschliches Konstrukt ist, nicht aber ein individuelles, subjektives, (onthogenetisches), sondern ein überindividuelles, verallgemeinertes (phylogenetisches). Ausgangspunkt des konstruktivistischen Ansatzes sind die Theorien des Chilenen Humberto MATURANA und seiner „Schüler“ (Francisco VARELA, Ernst von GLASERFELD etc.), welche zunächst in Nordamerika aufgegriffen und umgesetzt wurden. Diese Ansätze wurden wiederum im deutschsprachigen Raum rezipiert und kritisch adaptiert.160 Maturana übertrug Erkenntnisse aus der Zellbiologie auf Zusammenhänge menschlichen Lernens und untermauerte damit u.a. die Idee neuronaler Netze theoretisch. Zur Erklärung des konstruktivistischen Grundansatzes sind folgende Begriffe zentral: Autopoiesis: Aus dem Griechischen autos + poiein = Selbst + Erhaltung. Nach MATURANA sind wir als strukturdeterminierte Systeme von außen prinzipiell nicht gezielt beeinflussbar, sondern reagieren immer im Sinne der eigenen Struktur.161 Die Selbstorganisation ist ein Fortpflanzungs- und damit Überlebensprinzip höherer Lebewesen. Die Struktur bewahrt eine innere Ordnung gegenüber einer äußeren. Viabilität: Ernst von GLASERFELD – ein Deutscher Kognitionspsychologe, Kybernetiker und Begründer des Konstruktivismus-Begriffs – definiert Viabilität in Anlehnung an die Entwicklungspsychologie Piagets als „lebensdienlich“ bzw. „dem Überleben dienend“. Von GLASERFELD kennzeichnet damit jene Impulse bzw. Reize, welche ein System als passend, brauchbar oder funktional erkennt. Viabilität ist die Grundvoraussetzung für die Annahme eines Reizes oder Impulses. 160 Z.B. von Heinz Mandl oder Rolf Dubs. 161 Als Beispiel ist hier die Zellteilung als ein andauerndes „Sich-selbst-Erzeugen“ zu erwähnen. Die neue Zelle entspricht der Entwicklung des Organismus, beruht aber auf der vorliegenden Erbinformation.
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Perturbation: Der Begriff der Perturbation ist auf Francisco VARELA zurückzuführen. Diese Wortkreation hängt damit zusammen, dass im Spanischen disturbación Störung im unangenehmen Sinne bedeutet. Er sprich also von „perturbación“, einer Störung im angenehmen Sinne. Der daraus abgeleitete englische Begriff „perturbation“ (eingedeutscht Perturbation) bedeutet somit „Störung eines autopoietischen Systems mit der Folge einer Veränderung“. Dabei kann der perturbierende Impuls oder Reiz das System nicht direkt beeinflussen. Er stimuliert vielmehr die strukturellen Grundanlagen des Systems, was schließlich zu einem inneren Wandel führt.162 Perturbierende Reize kommen immer aus dem umgebenden Milieu. Da dieses Milieu generell aus einzelnen Individuen besteht (in menschlichen Gemeinschaften), stimulieren sich die einzelnen Systeme gegen- bzw. wechselseitig. Dies wird als „strukturelle Kopplung“ bezeichnet. Interaktion zwischen Menschen wird dabei als anhaltende reziproke Perturbation angesehen. Rekursivität: Auf Niklas LUHMANN, einen deutschen Soziologe und geistigen Vater der Systemtheorie, geht nicht nur das Konzept der strukturellen Kopplung zurück, sondern auch der damit zusammenhängende Begriff der „Rekursivität“. Erkenntnis bzw. Lernen ist rekursiv – es greift auf Erfahrenes zurück. Was wir wahrnehmen, hängt davon ab, was wir bereits kennen. Rekursives Lernen ist strukturdeterminiert, also strukturkonservativ. Es entsteht nichts gänzlich Neues, sondern eine veränderte, angepasste und damit auch weiterentwickelte Form des Alten. Innerhalb eines geteilten Milieus stellen sich Menschen als geschlossene System Systeme dar, welche aber mit ihrer Autopoiesis Umwelt strukturell gekoppelt sind. (rekursiv) viabel? Über diesen Mechanismus können sie sich verändern. Dazu ist jedoch Perturbation äußere ein Impuls/Reiz erforderlich, den Reize strukturelle Koppelung das System als „viabel“ (erwünscht) akzeptiert. In Form einer Perturbation (positive Störung) wird eine Systemveränderung (bzw. Anpassung) ausgelöst. Diese Änderung ist zwar vom äußeren Reiz abhängig, wird jedoch vom bestehenden System bestimmt, dimensioniert und ausgestaltet. Damit ist Millieu
162 Wenn z.B. eine Gruppe („System“) eine Themenvorgabe für eine Diskussion erhält („Reiz“), wird das Gespräch zwar durch das Thema ausgelöst („stimuliert“), jedoch nicht determiniert. Dafür sind Wissen, Meinungen und Einstellungen der Individuen der Gruppe entscheidend („Grundanlagen des Systems“).
106
menschliches Lernen bzw. menschliche Entwicklung rekursiv, also strukturkonservativ.163 Gemäß der dargestellten Theorie ist Wissen vernetzt und dynamisch, in ständigem Auf- und Umbau wird sozial ausgehandelt und situiert und erwächst aus Problemlösungen. Gespeichert wird nicht nur das „Produkt“ in Form einer Systemanpassung, sondern auch der dabei durchlaufene Erkenntnisprozess in Form von Lösungsstrategien. Diese Vorstellung von Wissen betrifft alle menschlichen Entwicklungsbereiche, also neben dem kognitiven auch den affektiven, emotionalen und psychomotorischen Bereich. Auch wird die klare Trennung dieser Bereiche im Konstruktivismus grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass kein kognitiver bzw. psychomotorischer Entwicklungsprozess ohne emotionale und affektive Systembeteiligungen stattfindet. Diese Vorstellung vom Aufbau und Bestand menschlichen Wissens, von dessen Komplexität und Integrativität, weist eine hohe Kohärenz zum Kompetenzansatz auf. Der als „Äquilibration“ bezeichnete entwicklungspsychologische Ansatz von Jean Piaget macht deutlich, wie ein Wissenserwerb aus konstruktivistischer Perspektive erfolgen kann. Äquilibration Jean Piaget,164 Schweizer Psychologe (1896-1980), muss auf Grund seiner Entwicklungstheorie in enge Verbindung mit den Ansätzen von Maturana, Varela und Glaserfeld gebracht werden. Vor allem Glaserfeld bezeichnet die von Piaget entwickelte (und empirisch fundierte) „Theorie der Äquilibration“ als genuin konstruktivistischen Ansatz. Unter Äquilibration versteht Piaget selbstregelnde Anpassungsprozesse des Menschen an seine Umwelt. Diese 163 Die daraus entwickelte Theorie des pädagogischen Konstruktivismus wurde später (vor allem bei Theoretikern) gerne im Extrem diskutiert. Philosophische Aspekte über die Existenz oder auch Nicht-Existenz unserer nur durch die Sinne erschließbaren (und damit anzweifelbaren) Welt führten zu einer Polarisierung zwischen einem sog. „radikalen Konstruktivismus“ und einem sog. „gemäßigten“ Konstruktivismus. Diese Unterscheidung erscheint hier nicht zuletzt in Anbetracht dessen, was aus dem Gesamtansatz an Schlüssen abgeleitet werden kann, als wenig fruchtbar. Auch wird in keiner Feststellung der genannten Wissenschaftler ein Schwerpunkt auf diese philosophischen Grundfragen gelegt; vielmehr versuchen sie, menschliches Lernen dort besser verständlich zu machen, wo die Aussagefähigkeit anderer Lerntheorien unscharf wird. 164 Der Schweizer Philosoph und Psychologe Jean Piaget arbeitete und forschte auf dem Gebiet der Kinder- und Persönlichkeitspsychologie. Er befasste sich mit philosophischen Fragen des Sprachverständnisses, des Symboldenkens, der moralischen Urteilsbildung, der Genetik und mit dem Strukturalismus. Jean Piaget forderte u.a. die Erneuerung des Unterrichtswesens gemäß seiner Entwicklungstheorie.
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Anpassung erfolgt durch eine interne „Gleichgewichtsregulierung“, welche sich in Form einer komplexen Systembildung ausdrückt. Als Kernprozesse dieser Systembildung ermittelte Piaget in umfassenden Studien die beiden korrespondierenden Vorgänge der „Assimilation“ und „Akkommodation“. Unter Assimilation versteht Piaget die Einordnung von neuen Umwelterfahrungen in schon vorhandene subjektive Bezugssysteme. Das Neue wird als ähnlich mit Bekanntem identifiziert und diesem zugeordnet. Dadurch wird die neue Erfahrung „verstanden“ und das bestehende System ergänzt.165 Wenn sich etwas Neues nicht in der erwarteten Weise verhält, wenn es Enttäuschung, Überraschung etc. also eine Unstimmigkeit mit dem bisher Erfahrenen gibt, kann nicht assimiliert werden, da ein System in sich (subjektiv) schlüssig sein und dies auch bleiben muss. Entweder wird dann dieses Neue verworfen oder das bestehende System wird verändert (abhängig von der Stabilität des Alten bzw. dem Reizwert des Neuen). Die Veränderung des Systems erfolgt dann in Form einer schlüssigen Ausweitung oder Ergänzung mit erheblichem Komplexitätszuwachs. Das neue System vereinigt das bisherige mit dem Neuen, indem es nicht nur das Neue hinzufügt, sondern auch die spezifischen Verhältnisse, in welchen es zu dem Gesamtsystem steht.166 Dieser Vorgang wurde von Piaget als „Akkomodation“ bezeichnet. Aus konstruktivistischer Sicht beinhaltet die Äquilibration alle zentralen Teilaspekte der Theorie: Das Lernen erfolgt rekursiv, also in einer primären Auseinandersetzung mit dem bereits Bekannten. Die Auswahl, Annahme und Umsetzung der Reize erfolgt in Abwägung ihrer Viabilität. Dabei muss diese für eine Akkomodation erwartungsgemäß höher sein als für eine Assimilation, da das eine systemstabilisierend, das andere jedoch systemdestabilisierend ist. Die Perturbation steht somit wiederum in enger Verknüpfung mit dem Innenzustand – wird von diesem also determiniert, nicht vom äußeren Reiz. Die Summe aller Äquilibrationen führt zu einer stabilen Autopoiesis, da die sich dabei einstellende Entwicklung das System gemäß der eigenen Möglichkeiten und Grenzen gegenüber der Umgebung maximal anpasst. 165 Z.B. berührt ein Kind zum ersten Mal das Wasser und erkennt, dass es nass und kalt ist. Die bisherigen Erfahrungen damit identifizierten es als geruchsneutrale durchsichtige Flüssigkeit. Die neuen Eigenschaften widersprechen nicht den alten, können diesen also zugeordnet werden und ergänzen damit das bestehende System „Wasser“. 166 Im Winter sind die Seen gefroren. Das bisherige Schema von Wasser kann dieses nicht widerspruchsfrei als Festkörper repräsentieren, da Wasser an sich flüssig ist. „Akkomodation“ heißt, den Begriff des Wassers mit dem des Eises ergänzen, indem festgestellt wird, dass Wasser auch fest sein kann, wenn es eine bestimmte Temperatur unterschritten hat. Dann kommen weitere neue Eigenschaften hinzu: nicht durchsichtig, glatt, hart, usw., bis wiederum dieses Konzept überschritten wird, wenn Eis in Form von Schnee auftritt…
108
Im Hinblick auf die Theorie der Äquilibration verschwimmt der Unterschied zwischen Wissenserwerb und -anwendung. Sowohl Assimilation als auch Akkomodation bedingen eine aktive Auseinandersetzung mit dem Neuen. D.h. es wird nicht etwas aufgenommen, um es „irgendwann“ einmal zu verwenden, sondern es findet überhaupt nur dann eine Aufnahme statt, wenn von einer Verwendbarkeit ausgegangen wird. Damit bedingt die Art und Weise des Wissenserwerbs unmittelbar das potenzielle Anwendungsfeld des erworbenen Wissens. Z.B. baut sich eine andere Vorstellung von Eiweiß auf, wenn ich es im Labor untersuche, als wenn ich damit Erfahrungen beim Kochen sammle. Umgekehrt, wird ein Chemiker wahrscheinlich ebenso unwahrscheinlich gut kochen, wie ein Koch in der Lage sein wird, Lebensmittelanalysen durchzuführen. Wissenserwerb aus konstruktivistischer Perspektive ist somit immer kontextbezogen, eine Wissensanwendung kann dann rekurrierend auf den Erwerb erfolgen. Überträgt man die (vorausgehend erläuterte) Vorstellung eines netzartigen Wissens auf die Wissensanwendung, klären sich auch weiter reichende Aspekte wie Wissensübertragung oder -transfer. In diesen Begriffen drückt sich die menschliche Fähigkeit aus, spezifisch erworbenes Wissen auf andere, mehr oder weniger ähnliche Situationen zu übertragen. Transfer entspricht aus konstruktivistischer Perspektive einer Akkomodation höherer Ordnung. So wie Menschen in der Lage sind, bestimmte Systeme soweit zu verändern, dass sie neue Komponenten widerspruchsfrei aufnehmen bzw. erklären können, so gelingt dies auch mit Anwendungssituationen. Dabei wird anstelle des inneren Erklärungszusammenhangs der äußere Bezugsrahmen modifiziert. Entscheidend ist dabei der Grad der Ähnlichkeit zwischen dem Kontext des Wissenserwerbs und der Anwendung. Ähnlichkeit erkennen heißt in diesem Sinne, identische Kernaspekte von nicht identischen Randaspekten zu unterscheiden. Wenn dies gelingt, kann das bestehende Wissen in angepasster Form auf den neuen Zusammenhang angewandt werden. Dies erfolgt in jedem Falle experimentell. Bei Erfolg ist das Anwendungsfeld erweitert, bei Misserfolg wird die Falsifikation vermerkt, evtl. werden Basisannahmen revidiert und damit die Herangehensweise variiert bis der Transfer gelingt oder die Möglichkeiten ausgereizt sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Konstruktivismus ein adäquater Ansatz zur Beschreibung menschlichen Wissens, dessen Erwerb und Anwendung ist. Er erlaubt darüber hinaus auch Rückschlüsse auf die Übertragung und damit Erweiterung von Wissens- und Anwendungszusammenhängen. Da der Konstruktivismus jedoch aktuell keine stimmigen Aussagen darüber bereit
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hält, wie Menschen bewusst mit ihrem Wissen umgehen, ist eine weitere Theorie über den Zusammenhang von Wissenserwerb und Wissensanwendung erforderlich: der Kognitivismus. 3.1.2 KOGNITIVISMUS Schon kurz nachdem nordamerikanische empirisch-psychologische Ansätze das Lernen des Menschen über dessen Verhalten zu erklären versuchten, etablierte sich eine Gegenfraktion, die sich mit genau jenem Bereich befasste, welchen die Behavioristen vermieden. Der sog. Kognitivismus befasst sich mit dem, was die Bahvioristen als „black box“ aussparen, den menschlichen Denk- und Problemlösungsprozessen. Unter „Kognitionen“ versteht EDELMANN „jene Vorgänge, durch die ein Organismus Kenntnis von seiner Umwelt erlangt. Im menschlichen Bereich sind dies besonders: Wahrnehmung, Vorstellung, Denken, Urteilen, Sprache. Durch Kognition wird Wissen erworben“.167 Der Kognitivismus ist den psychologischen Lerntheorien zuzuordnen. Er kann gegenüber dem Behaviorismus als Folge-, aber auch als Gegenansatz aufgefasst werden, denn er bietet nicht nur Ansätze für Zusammenhänge, welche der Behaviorismus völlig ausspart, sondern richtet sich auch komplementär gegen dessen Menschenbild. Der Kognitivismus ist auf die Gestaltpsychologie zurückzuführen und entwickelte sich etwa zur gleichen Zeit wie der Behaviorismus. Er befasst sich überwiegend mit den Themen Wahrnehmung, Problemlösen durch Einsicht, Entscheidungsprozesse, Informationsverarbeitung und Verständnis. In kognitivistischen Lerntheorien wird versucht, komplexe Denkprozesse zu erkennen und zu erklären. Dieses ambitionierte Ziel hängt nicht nur mit einem tieferen Interesse an den Hintergründen menschlichen Lernens zusammen, sondern ebenso mit der Grundsatzentscheidung, den Menschen nicht als (determiniertes) Objekt zu betrachten, sondern als (denkendes, selbstreflektives, individuelles) Subjekt zu erschließen. Es wird davon ausgegangen, dass – menschliches Verhalten mehr als eine Reiz-Reaktions-Kette ist, welche von außen gesteuert bzw. manipuliert werden kann, – zwischen Reiz/Umwelt und Reaktion/Verhalten die kognitive Repräsentation als Bindeglied steht, welche einer (bei Tieren feststellbaren) unmittelbar an die Wahrnehmung gekoppelten Kodierung und Integration von In-
167 Edelmann, 2002, S. 8.
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formationen/Reizen/Umweltfaktoren in ein persönliches Erfahrungs- und Denksystem widerspricht, – Reize nicht nur aufgenommen und beantwortet, sondern dazwischen einer Bewertung und Verarbeitung unterzogen werden, – Entwicklung ein aktiver Prozess eines mit Erkenntnisfunktionen ausgestatteten Subjektes ist, – Handeln überwiegend von Denkvorgängen bestimmt wird und weniger von den äußeren Gegebenheiten. Im Gegensatz zu behavioristischen Ansätzen werden im Kognitivismus Bewusstseinsprozesse akzentuiert. Kognitives Lernen wird grundlegend als Informationsaufnahme und -verarbeitung verstanden, da das Individuum aktiv am Lernprozess beteiligt ist und da Lernergebnisse keine direkten Verbindungen zwischen Verhalten und Folgen sind, sondern in erster Linie dem entsprechen, was der Lernende aus dem Erfahrenen gemacht hat. Als typische kognitive Lerntheorie kann die Handlungsregulationstheorie nach HACKER und VOLPERT168 bezeichnet werden. Kognitives Lernen kann auch als „Lernen durch Einsicht“ oder „Lernen durch Denken“ bezeichnet werden. Im Gegensatz zum instrumentellen Lernen passiert hier die Verhaltensänderung nicht als Folge eines anhaltenden „Einschleifens“ sondern durch das Auflösen von Unstimmigkeiten (kognitive Dissonanzen). Kognitives Lernen lässt sich durch drei Merkmale näher beschreiben: – Einsicht ist abhängig von der Anordnung der Problemsituation – Lernerfolg stellt sich plötzlich ein („Aha-Erlebnis“) – Die gewonnene Lösung kann auf andere Situationen angewandt werden Wichtige Vertreter des Kognitivismus waren Edward C. Tolman und Jerome Bruner. Bruner identifizierte menschliche Wahrnehmung als einen Vorgang der Kategorisierung. Diese erfolgt generell im Sinne einer Zuordnung des Wahrgenommenen zu bestimmten Attributen. Diese Zuordnung entspricht (1) einem Bestimmen des Wahrgenommenen anhand charakteristischer Attribute, (2) einem Anordnen der Attribute zueinander, (3) einer Gewichtung der Attribute und (4) einer Abgrenzung des Konzepts über bestimmte Toleranzen innerhalb (1)-(3). Hier wird eine gewisse Korrespondenz mit dem konstruktivistischen Ansatz deutlich. Auch Bruner sieht die Einordnung von Neuem bzw. die Neubildung von Kategorien als systematischen Prozess der Ergän168 Vgl. Volpert, 1980.
111
zung oder Erweiterung (ähnlich dem Ansatz von Piaget). Nach seiner Theorie erfolgt Lernen in drei Schritten: 1. Aneignung neuer Informationen, 2. Transformation des Neuen zur Anwendung und 3. Evaluation der Anpassung und Anwendung bzgl. dessen intendierter Zwecke. Der häufig ausgesprochene Vorwurf, der Kognitivismus würde menschliches Denken, weitgehend adäquat zu Computern, als rechnerische Verarbeitung symbolischer Repräsentationen beschreiben, kann angesichts der oben umrissenen Konzepte zurückgewiesen werden. Die Kernaussage aktueller kognitiver Lerntheorien ist: menschliches Lernen erfolgt nicht algorithmisch (mathematisch-logisch, eindeutig), sondern heuristisch (problem- und situationsabhängige geistige Abläufe).169 Diese heuristische Fähigkeit zeigt sich am deutlichsten in menschlichen Problemlösungsprozessen. Wenn ein Individuum mit einer Aufgabe konfrontiert ist, die weder abgearbeitet (Folgen) werden kann, noch durch gewohnte und eingeschliffene kognitive Operationen gelöst werden kann (Algorithmen bzw. Gradientenstrategien) bzw. diese einfach zu aufwändig wären,170 kann bzw. muss er sich sog. „Heuristiken“ (Evolutionsstrategien) bedienen. Typische Problemlösungsstrategien sind z.B. „vom Ziel aus rückwärts denken“, „Unterschiedsreduktion“, „Mittel-Ziel-Analyse“ und „Arbeiten mit Analogien“. Jede dieser Strategien setzt neben der Intelligenz, Logik und Kreativität eines Individuums auch Wissen voraus und dessen hochgradig flexible Handhabung. Heuristiken sind somit unsere komplexesten kognitiven Fähigkeiten, die zur Lösung schwieriger Probleme ebenso eingesetzt werden wie zur Verringerung „kognitiven Aufwands“ oder auch zur Entwicklung und Gestaltung von Neuem. Je stärker beim Lernen ein Verständnis von Zusammenhängen erforderlich ist, desto mehr werden solche Heuristiken aktiviert (s. weiter unten „Lernstrategien“).
169 Unter Heurismus wird nach Sell (1988, S. 68) der Gesamtablauf des Problemlösungsprozesses verstanden. Um Handlungen so organisieren zu lernen, sind bestimmte Konstruktionsund Verfahrenselemente anzuwenden („Heurismen“). Ganz allgemein und weitreichend betrachtet, besteht der Heurismus dabei in der Organisation von Analyse-, Veränderungs- und Prüfprozessen (TOTE-Einheiten, Miller, Galanter, Pribram, 1973). 170 Z.B. das „Problem des Handlungsreisenden“.
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Tabelle 5: Gegenüberstellung der verschiedenen Lernparadigmen Behaviorismus
Konstruktivismus
Kognitivismus
Lernen
Einschleifen und Festigen durch Wiederholung
Entdecken, einordnen, verknüpfen, erweitern
Erarbeiten, verstehen, assoziieren, zuordnen, transferieren
Beispiel
Auswendig lernen
Zusammenhänge erschließen
Zusammenhänge nachvollziehen
Wissen
Latent, implizit
episodisch, implizit
systematisch, explizit
Stärken
Große Mengen/ geringe kognitive Belastung
Individualisiert, anwendungserprobt
Objektiviert, sicher, übertragbar
Schwächen
Unsicherheit, schneller Verfall
Unsicherheit, Funktionseinschränkung
Anwendungsdefizite, Entgrenztheit
In Tabelle 5 wird erkennbar, dass jede Form menschlichen Lernens unterschiedliche Wege geht, unterschiedliche Bereiche fokussiert und damit auch spezifische Wirkungsfelder anspricht. Daher kann nicht die Entscheidung für ein einzelnes Lernparadigmas zu optimalen Lernerfolgen führen, sondern die spezifische und angemessene Kombination aller drei Zugänge. 3.1.3 MOTORISCHES LERNEN Fachlich-methodische Kompetenzen von Facharbeitern und Handwerkern sind aktuell ohne manuelles Geschick nicht vorstellbar. Qualität und Umfang der berufsmotorischen Anteile innerhalb der fachlich-methodischen Kompetenzen differieren dabei erheblich von Beruf zu Beruf. Fest steht, dass die Beherrschung der erforderlichen manuellen Techniken ebenso eine Disposition für selbständiges Handeln darstellt, wie das dazu erforderliche Wissen.171 Motorisches Lernen vollzieht sich weitgehend physisch, jedoch sind dabei auch willentlich-kognitive Vorgänge von großer Bedeutung. Das neuromuskuläre System des Menschen ist so beschaffen, dass es über einfache Bewegungsvorstellungen schnell zu einer Rahmenkoordination gelangt, in der eine Bewegung in Grobform ausgeführt werden kann. Durch Wiederholungen 171 Eine Frisur wird ebenso wenig gelingen, wie das Schneiden eines Gewindes, wenn dazu zwar alle Wissenskomponenten verfügbar sind, aber die entsprechende Motorik fehlt.
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werden nach und nach Bewegungsfehler reduziert und minimiert, so dass die Bewegung schließlich in „Normalbedingungen“ sicher ausgeführt werden kann (Detailkoordination). Weiteres Üben, Variieren und Differenzieren führt schließlich zu einer Automation, in welcher die Bewegung auch unter schwierigen Bedingungen unbewusst reguliert sicher und stabil gelingt. Derartige Zyklen berufsmotorischen Lernens sind weitgehend behavioristisch zu erklären. Anhaltende Reize (stimuli) führen zu immer besser abgestimmten Reaktionen (responses). Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass auch hier der Mensch den Verstand erheblich zur Unterstützung einsetzt (bzw. einsetzen kann). Für Fortschritte im motorischen Lernen sind vielfältige Rückmeldungen erforderlich. Physisch erhält der Lernende Feedbacks über seine eigenen Sinneswahrnehmungen bzw. Rezeptoren. Er sieht sich handeln und auch das Ergebnis seiner Handlungen. Zudem erhält er taktile, aber auch verbale Rückmeldungen von anderen. Psychomotorisches Lernen vollzieht sich in gedanklicher Aufmerksamkeit,172 so dass davon ausgegangen werden kann, dass die für die Rückmeldungen erforderlichen Verständnisprozesse bedeutende Brücken zwischen Wissen und Handeln, zwischen Denken und Tun, zwischen Verstand und Physis schlagen. Wäre dies nicht der Fall, könnte Kompetenz auch über imaginäre oder fiktive Handlungen entwickelt werden. In den vorausgehenden Betrachtungen zur Handlungsregulation wurde der Zusammenhang zwischen Berufsmotorik und Kognition schon kurz akzentuiert („Handlungsregulationstheorie“). Auch hier wird deutlich, dass zwar hinter den einzelnen Handlungen komplexe Verständnis- und Regulationsprozesse stehen, diese jedoch letztendlich erst durch die tatsächliche Handlung realisiert werden. Der Kreis aus Wahrnehmen, Denken und Tun erfordert bei Facharbeitern und Handwerkern in vielen Fällen motorische Fertigkeiten, was diese damit auch zu einem entscheidenden Teil des Ganzen werden lässt.
172 Das gilt sicher nicht für Babys oder Kleinkinder und weniger für den Erwerb von Alltagsmotorik, sondern v.a. für motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die darüber hinaus gehen. Neben der Berufsmotorik ist dies z.B. das Spielen eines Instruments oder der Sport.
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Mikrokoordination: Bewegungen gelingen unter verschiedensten Bedingungen in vielfältigen Varianten Detailkoordination: Bewegungen gelingen unter Normalbedingungen, Bewegungsfehler sind weitgehend abgestellt Rahmenkoordination: Erst Versuche der Bewegung gelingen unter vereinfachten Bedingungen, die Bewegungen sind noch fehlerbehaftet Abbildung 12: Die drei Phasen der Koordination in der Berufsmotorik
Wie eng im motorischen Lernen Verstand und Motorik korrespondieren, zeigen auch die beiden charakteristischen Störungen berufsmotorischen Lernens. Wenn ein Auszubildender eine bestimmte Fertigkeit nicht richtig verstanden hat, entwickelt er eine falsche oder fehlerhafte Berufsmotorik, z.B. wenn er beim Sägen glaubt, in der Vorwärts- und Rückwärtsbewegung die Säge gleich stark auf das Werkstück drücken zu müssen. Wenn er dagegen die Technik verstanden hat, jedoch noch nicht richtig umsetzen kann, bedient er sich motorischer Vereinfachungen, die er später auf Grund seines Wissens um die richtige Technik nach und nach revidieren wird, z.B. wenn er beim Elektroschweißen aus Ausdauer- oder Präzisionsgründen immer wieder nach kurzer Strecke absetzt, obwohl er weiß, dass er die Naht in einem Stück durchschweißen sollte. In beiden Fällen ist es der Verstand, der schließlich zur angemessenen Motorik führt, im ersten Falle durch Korrektur, im zweiten Falle durch Beharrlichkeit. 3.1.4 LERNTRANSFER Die dieser Didaktik zu Grunde liegende Beschreibung von Kompetenzen als Dispositionen für selbständiges Handeln korrespondiert in enger Weise mit dem deutlich älteren Konzept des Lerntransfers. STEINER bezeichnet diesen als „die Nutzung von früher erworbenem Wissen im Hinblick auf neue Inhalte und neue Situationen“.173 So plausibel die Vorstellung bzw. Unterstellung eines Lerntransfers und so zwingend dessen Wirksamkeit im Hinblick auf jedes menschliche Lernen erscheint, so unklar stellen sich empirische Nachweise über dessen Ursachen, Bedingungen und Effekte dar. In Nordamerika wurden diesbezüglich schon Anfang der 1960er Jahre umfassende Experi173 Steiner, 2006, S. 193.
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mente und Feldstudien durchgeführt, jedoch zumeist mit dem Ergebnis, dass der Lerntransfer ausbleibt.174 In den vergangenen 20 Jahren führten Studien unter dem Sammelthema „analoger Transfer“ zu besseren Ergebnissen. So wurde festgestellt, dass strukturelle Analogien – also Ähnlichkeiten, die eher in der Struktur von Aufgaben und Lösungen liegen, als in deren Inhalten – eine entscheidende Rolle dabei spielen, inwieweit Menschen ihr erworbenes Wissen auf neue Bereiche oder Situationen übertragen können. Diesen Befunden stehen jedoch eine Reihe ungelöster Probleme gegenüber: Bislang wurde der Lerntransfer in keinen lerntheoretischen Gesamtrahmen integriert. Nach wie vor bleibt unklar, welches die entscheidenden bzw. wirksamen Analogien für einen Transfer sind. Zudem gibt es zwar theoretische Stufenbzw. Prozessmodelle für den Lerntransfer, diese berücksichtigen jedoch nicht dessen realen zeitlichen Ablauf.175 Weitere Ansätze zum Lerntransfer fokussieren sich auf den Lernkontext, den es zunächst zu abstrahieren (Dekontextualisierung) gilt, um dann das Gelernte auf einen neuen Kontext anwenden zu können. Dies setzt aber voraus, dass mit dem erworbenen Wissen auch die Bedingungen erlernt werden, unter welchen dieses anwendbar ist. Ein hoher Anspruch, der nicht nur den Gesamtlernaufwand vergrößert, sondern auch eine Lernintention hinzufügt, die dem Lernenden zunächst wenig plausibel erscheinen bzw. diese konkurrieren könnte. Wenn man schon Schwierigkeiten hat, das Lichtbogenschweißen an sich zu verstehen, kann nicht erwartet werden, dass man sich zusätzlich noch damit auseinander setzt, für welche weiteren technischen Zwecke Lichtbogen verwendet werden könnten. Möglich wäre auch eine Verwechslung des Lerngehalts, bei welchem die Lernenden, anstatt sich auf den primären Lerninhalt zu konzentrieren, sich auf dessen Kontext fokussieren könnten und damit die Transferfähigkeit defizitären Wissens erreichen.176 Als interessante Weiterführung des Analogie-Ansatzes werden aktuell sog. „Situationsmodelle“ untersucht. Dabei wird davon ausgegangen, dass in mentalen Modellen generell strukturelle Merkmale der Lernsituation unbewusst mit abgespeichert werden. Dies ermöglicht zum Einen eine Identifikation neuer Situationen, auf die das Gelernte auch angewandt werden kann, als auch den eigentlichen Transfer. Im Gegensatz zum Kontext-Ansatz ist hier nur eine
174 Vgl. Steiner, 2006. 175 Vgl. Salvucci, Anderson, 1998. 176 Vgl. Prenzel, Mandl, 1993.
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nachträgliche Situierung erforderlich,177 keine explizite Thematisierung des Kontextes im Lernprozess bzw. Aufarbeitung.178 Schließlich wurden und werden die Lernstrategien als eigenständige Transferelemente aller Lernprozesse erforscht. Über die Metakognition soll dabei eine Lern-Abstraktion die Relativierung und Abstrahierung von Lernprozessen bewirken und damit einen Transfer der Lerntechniken und -strategien ermöglichen. Die diesbezügliche Befundlage kann diese Annahmen jedoch nur teilweise bestätigen (s. dazu Kap. 2.3.5). Angesichts dieser komplexen und nur bedingt korrespondierenden Bilanz ist es nachvollziehbar, dass es Forscher gibt, die einen Lerntransfer generell in Frage stellen.179 Führt man jene aktuellen psychologischen und didaktischen Befunde zusammen, die einen Lerntransfer bestätigen, lassen sich die folgenden drei zentralen Feststellungen für dessen Begünstigung treffen: (1) Lerntransfer hängt erheblich von der Qualität des Lernprozesses ab. (2) Für einen Lerntransfer sind neben den kognitiven auch emotionale Aspekte sehr bedeutsam. (3) Lerntransfer wird durch persönliche Unterstützung erheblich gefördert. Zu (1): Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lernenden nach dem Unterricht einen Transfer leisten können, wird durch die folgenden fünf Qualitätsmerkmale deutlich erhöht: 1. Konsolidierung des Wissens: Das erworbene Wissen sollte dazu in veränderten Abfolgen, Rahmenbedingungen bzw. aus anderen Perspektiven oder auch mit veränderten Zielsetzungen aufgearbeitet werden. 2. Flexibilisierung der neu erworbenen Strukturen: Die Lernenden sollen dazu angeleitet werden, die Problemstellungen bzw. Aufgaben zu analysieren und dabei Aufgaben und Rahmenbedingungen zu relativieren und abstrahieren. 3. Multiple Repräsentation der Wissensstrukturen: Ikonische Repräsentationen sollen in verbale oder numerische (und wechselseitig umgekehrt) übertragen werden, so dass das Wissen in verschiedenen Strukturen vernetzt und verankert wird.
177 Deutliche Akzentuierung des Wissenserwerbskontexts. 178 Vgl. Kintsch, 1991. 179 Vgl. Steiner, 2006.
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4. Dekontextualisierung: Wie vorausgehend beschrieben, soll das Gelernte in neuen Kontexten angewandt werden. 5. Rekapitulieren von Lern- und Lösungsprozessen: Nach der Lösung einer Aufgabe oder am Ende eines Lernabschnittes sollen die Lernenden zurückblicken und feststellen, wie sie das neue Wissen erworben haben, welche einzelnen Schritte sie dabei gegangen sind, wo die entscheidenden Überlegungen lagen.180 Zu (2): Ob bzw. zu welchem Grad ein Lerntransfer möglich ist, entscheiden neben den kognitiven maßgeblich auch emotionale Aspekte. Hier ist das Interesse der Lernenden ein bedeutender Faktor: Je stärker ein Lernprozess internalisiert wird, also je höher das Maß an lernbezogenem Interesse, desto wahrscheinlicher ist ein späterer Transfer. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass auch im Anschluss an qualitativ hochwertigen Unterricht amotivierte oder überwiegend extrinsisch motivierte Lernende das Gelernte kaum in einem Transfer umsetzen können. Weitere nicht-kognitive Prädiktoren für einen Lerntransfer sind ein verständnis- bzw. tiefenorientiertes Lernen, eine „hohe Bereitschaft zu mentaler Anstrengung und zum Durchhalten in schwierigen Lern- und Problemlösesituationen“,181 günstige Kausalattributionen für Lernerfolg sowie eine spezifische Selbstwirksamkeitserwartung. Zu (3): Schließlich ist davon auszugehen, dass ein Transfer entscheidend von der Betreuung und Unterstützung der Lernenden abhängt. VYGOTSKI spricht182 von einer „Zone proximaler Entwicklung“, wenn er eine enge persönliche Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden bezogen auf einen wünschenswerten Lerntransfer beschreibt. Entscheiden sind dabei entweder direkte Hinweise des Lehrenden, was und wie transferiert werden könnte, oder indirekte Impulse durch Fragen oder Antworten. Die aktuelle Befundlage im Bezugsfeld der Entwicklung von fachlichmethodischen Berufskompetenzen hat bislang nur wenige belastbare Aussagen hergeleitet, die über die Ansätze des Kognitivismus und Konstruktivismus hinausgehen. Daher erscheint es mehr als opportun, die gründlich empirisch ermittelten und innerhalb einem langjährig gewachsenem internationalen Forschungskontext elaborierten Befunde über den Lerntransfer zu adaptieren. Dabei soll einerseits die begründete Vorsicht bzgl. zu hoher Erwartungen an Transferleistungen mitgenommen werden, andererseits aber auch jene spezifi-
180 Vgl. Steiner, 2006. 181 Ebd., S. 199. 182 Vgl. Vygotski, 1978.
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schen Aussagen darüber, welche kognitiven, emotionalen und sozialen Faktoren einen Lerntransfer begünstigen. Zusammenführung: – Menschen erwerben ein Wissen, das sie als relevant einschätzen, sie können es jedoch nicht auf- oder übernehmen, sondern müssen es neu konstruieren – Wissen konstruieren bedeutet, neue Informationen dem bestehenden individuellen Netzwerken gegenüber zu stellen und dieses dann entweder zu ergänzen, oder es so anzupassen, dass sich das Neue stimmig einordnen lässt – Wissenskonstruktion bezieht den Entstehungskontext mit ein, d.h. die Situation und Prozesse der Aneignung von Informationen gehen verbunden mit diesen in das Netzwerk ein – Ähnelt der Entstehungskontext des Wissens dessen Anwendungskontext, kann davon ausgegangen werden, dass die Wissensanwendung später unproblematisch verläuft – Individuelle Wissensnetze sind nicht „richtig“ oder „wahr“, sie können sogar unschlüssig sein, lückenhaft oder fehlerhaft; um sie zu verifizieren, muss das Individuum Wissen objektivieren – Wissensobjektivierung erfolgt wissenschaftlich durch Theorie und Empirie und sozial durch Kommunikation – Objektivierte Wissensnetze bleiben individuell, wobei sie gemäß der Objektivierung redigiert sind; d.h. die Situierung des Wissens bleibt erhalten, das Wissen selbst ist geklärt und bestätigt – Wissensobjektivierung ist ein zentrales Element in der langfristigen Wissensentwicklung, da das Individuum diese gesicherten Stränge im Netzwerk benötigt, um es zu stabilisieren und einen sinnvollen „Weiterbau“ des Netzes zu gewährleisten – Verständnis bzw. Erkenntnis sind die Folge aktiver geistiger Verarbeitungsprozesse; sie können nicht im Sinne eines Anpassungsverhaltens an äußere Reize erklärt werden vielmehr sind sie Ergebnisse komplexer Problemlösungsprozesse – Wenn Lernen durch Problemlösungen erfolgt, ist umgekehrt davon auszugehen, dass ein Problemlösen Lernwirkungen beim Menschen freisetzen
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– Ähnlich wie beim Wissenserwerb durch Konstruktion werden auch beim Problemlösen Kontextfaktoren in den Lernprozess einbezogen; daher sind Lernwirkungen aus Problemlösungen ebenfalls handlungsrelevant und transferierbar – Motorisches Lernen erfolgt weitgehend physisch, dabei sind jedoch kognitive Zugänge und Begleitprozesse förderlich; umgekehrt ist der Handlungsvollzug letztlich die Realisierung des Überlegten, Gedachten und Verstanden, daher muss das berufsmotorische Lernen als ein Prozess verstanden werden, der mit dem kognitiven Lernen in hohem Maße korrespondiert – Berufsmotorik ist ein zentraler Bestandteil von fachlich-methodischen Kompetenzen von Facharbeitern und Handwerkern, daher muss der Kompetenzerwerb diese in jedem Falle integrieren und angemessen akzentuieren – Die Wahrscheinlichkeit eines Lerntransfers (und damit einer Kompetenzentwicklung) steigt mit der Qualität des Lernprozesses, der Motiviertheit der Lernenden und deren sozialer Unterstützung Für den Erwerb von fachlich-methodischer Berufskompetenz sind daher folgende Schlussfolgerungen abzuleiten: (1)
Fachlich-methodische Berufskompetenzen werden durch eigenständige Konstruktionsprozesse erworben, die – abhängig von den individuellen Vorkenntnissen und Vorerfahrungen eines Menschen – individuell verlaufen und zu individuellen Ergebnissen führen
(2)
Die Ausgangskompetenzen des Lernenden sind von entscheidender Bedeutung, da das Neue immer im Bezug darauf konstruiert wird. D.h. dass ein hoher Kompetenzstand besonders gut weiterentwickelt werden kann, jedoch Kompetenzdefizite oder Fehlkonzepte auch sehr hemmend wirken können
(3)
Die Aktivierung der Ausgangskompetenzen, ihre bestehende Ordnung, Zugänglichkeit und Ausdifferenzierung, spielen eine entscheidende Rolle für deren Korrektur, Erweiterung und Vereinbarkeit mit dem Neuem
(4)
Fachkompetenzerwerb ist in jedem Falle ein Informationsverarbeitungsprozess. Somit spielen Quantität und vor allem Qualität der Kommunikation dabei eine entscheidende Rolle.
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(5)
Für einen Aufbau komplexer aber auch flexibler und transferfähiger Wissensnetze sind nichtlineare Lernwege erforderlich, also entdeckendes und problemlösendes Lernen, in dem die Lernenden den Kontext der Kompetenzen und deren Hintergründe und Bezüge erschließen können
(6)
Neugier und Interesse der Lernenden spielen eine ebenso entscheidende Rolle wie eine generelle Lernbereitschaft und ein positives Selbstbild
(7)
Der Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen sollte auch das Wissen über das eigene Wissen bzw. die eigenen Kompetenzen fördern; derartige metakognitive Prozesse müssen explizit thematisiert und durch Reflexions- und Bewertungsprozesse unterstützt werden
(8)
Der Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen erfordert vollständiges Handeln, also eine Integration aller relevanten kognitiven und psychomotorischen Prozesse, daher muss eine Differenzierung in zwei Lernorte generell skeptisch gesehen werden
(9)
Der Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen setzt eine Konsolidierung neu erworbenen Wissens voraus, dessen Flexibilisierung und Überführung in multiple Repräsentation. Zudem sind eine Dekontextualisierung des Gelernten und die Rekapitulation der Lern- und Lösungsprozessen förderlich
(10) Der Erwerb fachlich-methodischer Berufskompetenzen wird durch eine angemessene und als angenehm empfundene Lernbetreuung erheblich gefördert Diese Schlussfolgerungen werden für die späteren Überlegungen zur Vermittlung von fachlich-methodischen Berufskompetenzen aufgegriffen und weitergeführt.
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3.2 Erwerb sozial-kommunikativer Berufskompetenzen Erschließungsfragen: – Welche Prozesse kennzeichnen das Beobachtungslernen und welche Merkmale sind diesem zuzuweisen? – Welche Schlüsse für soziales Lernen und dessen Förderung ergeben sich aus dem Beobachtungslernen? – Wie unterscheiden sich Modellernen und soziale Informationsverarbeitung? – Welche rationalen Verhaltensweisen bedingen ein kompetentes Sozialverhalten? – Welche Schlüsse für soziales Lernen und dessen Förderung ergeben sich aus der sozialen Informationsverarbeitung?
KANNING183 hat offengelegt, dass Sozialkompetenzen sich aus einer engen Verschränkung kognitiver und emotionaler Komponenten konstituieren. Soziales Lernen könne somit nur unzureichend über kognitive Prozesse erklärt werden, andererseits erscheint auch ein rein behavioristischer Ansatz nicht hinreichend. Daher wird im Folgenden das Modellernen als Kernstück der sozial-kognitiven Lerntheorie erörtert. 3.2.1 MODELLERNEN BZW. BEOBACHTUNGSLERNEN Ausgehend von den Ansätzen von BANDURA, dem Begründer der sog. sozial-kognitiven Lerntheorie, stellt STEINER fest, dass eine Vielzahl von sozialen Kompetenzen durch Beobachten und Nachmachen erworben werden.184 Dies wird mit der Tatsache begründet, dass soziales Verhalten ausschließlich in Zusammenhang mit anderen Individuen auftritt und sich demgemäß auch ausschließlich an diesen orientieren kann. Mit anderen Worten: wir entwickeln uns sozial durch ständigen Vergleich des eigenen Verhaltens mit dem der anderen und den daraus resultierenden Folgen. Fehlen die anderen, kann kein soziales Lernen stattfinden. Die Beobachtung eines Modells kann einen Beobachter in unterschiedlicher Richtung beeinflussen: Ein neues Verhalten kann erlernt werden, wie z.B. ein Gruß oder eine Geste in einer fremden Kultur. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Reaktion kann erhöht oder vermindert werden, wie z.B. das Hupen im Auto in einem südländischen Stadtverkehr bzw. in einem kleinen Dorf; schließlich kann die Beobachtung eines Modells auch zu einer Hem183 Vgl. Kanning, 2002. 184 Vgl. Steiner, 2006, S. 157f.
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mung bzw. Enthemmung führen. Prominentes Beispiel dafür ist die Verkehrsampel, die wir dann eher bei Rot überschreiten, wenn die anderen dies vor uns tun.185 Ein weiteres Merkmal von Beobachtungslernen ist, dass es versuchsfrei erfolgt. Es muss nicht unmittelbar nach der Beobachtung erfolgen und erfordert keine Übungen oder Wiederholungen. „Der Beobachter speichert die Sinneserfahrungen oder symbolischen Reaktionen in dem Augenblick, wo er das Modellverhalten wahrnimmt. Diese gespeicherten sensorischen Vorgänge oder symbolischen Reaktionen sind dann später die ‚Stichworte‘, auf die hin ein früher durch Beobachtung gelerntes Verhalten in die Tat umgesetzt wird.“186 Nach BANDURA stehen im Zentrum des Beobachtungslernens (1) Aufmerksamkeits-, (2) Kodierungs-, Behaltens-, (3) Reproduktions-, (4) Verstärkungsund Motivationsprozesse. Zu (1): Beobachtung setzt Aufmerksamkeit voraus. Diese erfordert zunächst die Akzeptanz bzw. Relevanz des Modells (affektive Valenz). Hinzu kommt der funktionale Wert des zu Beobachtenden. Dieser ist hoch, wenn ein bestimmtes Verhalten von den anderen geschätzt oder geachtet wird. Diesen „Modellstimuli“ stehen wichtige Beobachtermerkmale gegenüber: Entscheidend ist eine entsprechende Wahrnehmungskapazität, ein mittleres Erregungsniveau und evtl. eine diesbezüglich schon vorausgehende Lerngeschichte.187 Zu (2): Vor allem visuelle Eindrücke, aber auch verbale tragen dazu bei, dass ein beobachtetes Verhalten gespeichert wird. Dies erfolgt in kodierter Form, wobei das Beobachtete dabei auf (individuell) wichtige Komponenten reduziert und in Verbindung mit den spezifischen Auslösebedingungen gespeichert wird.188 Zu (3): Treten diese Auslösebedingungen ein, muss es nicht zum tatsächlichen Nachmachen des beobachteten Verhaltens kommen. Der Beobachter kann
185 Vgl. Gage, Berliner, 1996, S. 261f. 186 Ebd., S. 264. 187 Ein Schüler beobachtet eine Gruppe älterer Schüler beim Rauchen im Pausenhof. Die Schüler der eigenen Klasse schauen zu diesen Älteren auf. Einige in der Gruppe sind dabei aber mit internen Streitigkeiten abgelenkt. Nur ein Schüler konzentriert sich auf die Älteren. Er hat nämlich auch in seinem Jugendzentrum festgestellt, dass diejenigen, die rauchen besonders angesehen sind. 188 Er erinnert sich später an ihre Gesten, ihre Haltung und die Worte, die sie im Zusammenhang mit Zigaretten und Rauchen verwenden.
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dieses auch rein gedanklich reproduzieren. Innerhalb derartiger Reproduktionen kann der Lernprozess weitergeführt und vertieft werden.189 Zu (4): Die wiederholte Konfrontation mit einem erfolgreichen Modell erhöht den Willen bzw. die Bereitschaft, das Beobachtete nachzumachen. Solche stellvertretende Verstärkung wird nach erfolgtem Nachmachen durch Selbstverstärkung (im erfolgreichen Falle) ersetzt.190 Daraus kann zusammengefasst werden: Soziales Lernen … – erfolgt in permanenter Beobachtung der anderen und hängt zunächst davon ab, wie interessant das Modell bzw. sein Verhalten ist, – erfordert Aufmerksamkeit und Aufnahmenfähigkeit seitens des Beobachters und knüpft an vorausgehende korrespondierende Lernprozesse an, – wirkt sich innerlich aus und kann ohne Verhaltensänderung weitergeführt und vertieft werden, – kann kognitiv erfasst und damit beeinflusst werden, – wird dann verhaltensändernd, wenn Verstärkung erfolgt; Verstärkung kann von außen oder von innen bzw. explizit oder implizit erfolgen. Aus den vorausgehenden Betrachtungen lassen sich darüber hinaus einige übergreifende Schlüsse für die Förderung sozialen Lernens ableiten: – Soziales Lernen findet dann mit hoher Wahrscheinlichkeit statt, wenn ein anerkanntes „Modell“ vorliegt. Sowohl die/der Beobachtete als auch ihr/sein Verhalten müssen der/dem Beobachtenden für das eigene Verhalten interessant, attraktiv, adaptiv, etc. erscheinen.191 – Der soziale Lernprozess erfolgt langzeitlich und häufig zunächst auch ohne äußere Veränderungen. Jeder Lernschritt unterliegt den genannten Ausgangsbedingungen und kann verhaltensfördernd oder verhaltensunterbindend wirken. Damit ist anekdotischen Ereignissen weniger Lernpotenzial zuzuweisen als wiederkehrendem Sozialverhalten. Widersprüchliche 189 In den folgenden Wochen sieht er immer wieder diese Gruppe im Pausenhof. Er verinnerlicht dabei ihre Gesten und Worte, traut sich aber nicht, es ihnen dort gleichzutun. 190 Als er eines Tages einen angesehenen Schüler seiner Klasse rauchen sieht, stellt er sich zu ihm und nimmt eine angebotene Zigarette an. Er stellt dann auch fest, dass die anderen Schüler seiner Klasse ihn nun als etwas Besonderes sehen. 191 Das bedeutet z.B., dass sich LehrerInnen immer bewusst sein müssen, dass jede ihrer Verhaltensweisen zu einer Nachahmung bei den SchülerInnen führen kann, unabhängig davon, ob dies gewollt oder ungewollt ist. Das bedeutet aber auch, dass LehrerInnen nur bedingt als Modelle fungieren können. Je nach Alter und Entwicklungsstand der SchülerInnen tendieren diese mehr oder weniger dazu, Erwachsene als Modelle anzuerkennen.
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Wahrnehmungen können einen sozialen Lernprozess hemmen bzw. unterbinden. – Entscheidend ist die Fremd- und Selbstverstärkung. Implizite Fremdverstärkung kann durch stellvertretende Verstärkung im Vorfeld der Übernahme des erlernten Verhaltens erfolgen, explizite Fremdverstärkung und Selbstverstärkung setzen diese jedoch voraus. Damit wird zunächst die hohe Bedeutung der affektiven Valenz des Modells unterstrichen und auf den gesamten sozialen Lernprozess ausgeweitet. – Eine explizite Fremdverstärkung kann entweder direkt in Form einer Förderung erwünschten Sozialverhaltens bzw. Eindämmung unerwünschten Sozialverhaltens, oder indirekt in einer Förderung der Selbstverstärkung erfolgen. Diese kann sich sowohl auf die Eigenwahrnehmung des Lernenden beziehen, als auch auf die darauf bezogene Bewertung. – Zur Förderung erwünschten Sozialverhaltens liegen verschiedene Möglichkeiten kognitiver und behavioristischer Interventionen vor. Diese sind gezielt, spezifisch und situiert einzusetzen. – Eine Förderung der Selbstverstärkung erfolgt durch Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstaufmerksamkeit, Selbstbewertung und Selbstkontrolle. Damit kann erreicht werden, dass sich die Lernenden eigenständig belohnen bzw. bestrafen. Z.B. verordnet sich ein Schüler, der sich als zu dominant in einer Gruppe wahrnimmt, aus eigenem Willen eine „Zuhör-Phase“. – Je reifer die Lernenden sind, desto kognitiver kann das soziale Lernen erfolgen. Reflexionen über die eigene Autonomie und den individuellen Stand der sozialen Integration können die Wirkungen des Modellernens durch metakommunikative Prozesse weiterführen. 3.2.2 SOZIALE INFORMATIONSVERARBEITUNG In Akzentuierung des kognitiven Aspekts sozial-kommunikativer Kompetenzen ist weniger der Umgang mit den eigenen Gefühlen und denen der anderen zu fokussieren, sondern die Art und Weise, wie soziale Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Kommunikation und Interaktion werden von sozial kompetenten Individuen in hohem Maße kognitiv reguliert. Dies erfolgt zum Einen zur Schaffung und Stabilisierung der eigenen Rolle in einer Gruppe („identifizierende Komponente“), zum Anderen aber auch zur Realisierung bzw. Durchsetzung der eigenen Ideen und Intentionen in der Gruppe („strategische Komponente“). WILD/HOFER/PEKRUN benennen eine Reihe
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von rationalen Verhaltensweisen, die ein kompetentes Sozialverhalten bedingen:192 “ – seine Wünsche und Meinungen äußern (Ich-Botschaften senden), aber auch den anderen anhören (aktiv zuhören), – Kontakte herstellen und aufrecht erhalten, aber auch beenden, – Hilfe anbieten, aber auch Unterstützung annehmen und ablehnen, – im Gespräch andere nicht unterbrechen, sich aber auch nicht unterbrechen lassen, – andere respektieren, aber auch Respekt von anderen einfordern, – Widerspruch äußern, aber auch Kritik annehmen und nach Kompromissen suchen.“ Diese anspruchsvollen sozial-kommunikativen bzw. -interaktiven Verhaltensweisen entsprechen komplexen interpersonellen Problemlösungsprozessen mit einem hohen Anspruch an die involvierten Interaktionspartner. Nach CRICK & DODGE193 erfolgen diese in vier handlungsregulatorischen Teilschritten: 1. Interpretation der Situation, 2. Generierung sinnvoller Handlungsalternativen, 3. Entscheidung für eine Handlungsweise und deren Umsetzung, 4. Wahrnehmung und Bewertung der Folgen des Handelns. Derartige komplexe sozial-kommunikative Verhaltensweisen werden im „häuslichen“ Modellernen (s.o.) mit Eltern und Geschwistern begründet, müssen jedoch später in kognitiven Lernformen ergänzt und erweitert werden. Diese bedeutende Aufgabe obliegt den allgemeinbildenden bzw. berufsbildenden Schulen (Sekundarstufen I und II). Die dafür geeigneten Ansätze in Kommunikationstrainings bzw. Metakommunikation orientieren sich dabei weitgehend an den Gesetzmäßigkeiten des konstruktivistischen und kognitivistischen Lernens. Für den Erwerb von sozialen Berufskompetenz sind daher folgende Schlussfolgerungen abzuleiten: (1) Für die Lernenden sind als Lehrer bzw. Ausbilder Personen bzw. Persönlichkeiten wichtig, die in vorbildlicher Weise und möglichst widerspruchsfrei interagieren und kommunizieren.
192 Im Folgenden Wild, Hofer, Pekrun, 2006, S. 255. 193 Vgl. Crick, Dodge, 1994.
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(2) Es muss für die Lernenden Klarheit darüber bestehen, wie man sich verhält bzw. wie man sich nicht verhalten soll. Dabei sind Lob und Tadel sehr gezielt und differenziert, keineswegs aber im Übermaß einzusetzen. (3) Die Lernenden sollen zunehmend das eigene Sozialverhalten wahrnehmen, reflektieren und regulieren lernen. Dazu ist Metakommunikation erforderlich. (4) Im Zuge einer metakommunikativen Auseinandersetzung können die Lernenden nach und nach eine gewisse Distanz zum eigenen Sozialverhalten aufbauen und damit bewusst Kommunikationstechniken implementieren.
3.3 Erwerb personaler Berufskompetenzen Erschließungsfragen: – Wie unterscheiden sich die Konzepte „Selbstwirksamkeit“, „Selbstwirksamkeitserwartung“, „Selbstwertgefühl“, „Selbstkonzept“? – Wie funktioniert ein „high-performance-circle“ im Sinne von LOCKE/LATHAM? – Was ist „Motivation“ und welche Bedeutung hat sie für den Menschen? – Welches sind die zentralen Aspekte von „Leistungsmotivation“ und wie kann sie gefördert werden? – Welches sind die zentralen Aspekte von „Lernmotivation“ und wie kann sie gefördert werden? – Welches sind die zentralen Aspekte von „Arbeitsmotivation“ und wie kann sie gefördert werden? – Welches sind die zentralen Aspekte von „Handlungsmotivation“ und wie kann sie gefördert werden? – Welche Rolle spielen kognitiv-affektive Aspekte für Handwerker und Facharbeiter und wie werden sie erworben? – In wie fern ist „Lernkompetenz“ ein Teil der „Personalkompetenz“? – Wie hängen „selbstreguliertes Lernen“, „Lernstrategien“ und „Metakognition“ zusammen? – Wie lässt sich „Lernkompetenz“ fördern?
Gemäß der vorausgehenden Konkretisierung personaler Berufskompetenzen ist deren Erwerb als gekoppelt individuen- und tätigkeitsbezogene Entwicklung zu verstehen. Die überwiegend emotionalen Aspekte Selbstwirksamkeit und Motivation sind als langzeitliche menschliche Entwicklungsaufgaben bzw. Entwicklungsprozesse aufzufassen, welche durch berufliches Lernen zwar angeregt und gefördert werden können, jedoch nur in einem begrenzten 127
Rahmen und determiniert, durch die individuell „mitgebrachten“ Potenziale der Jugendlichen. Die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserwartung und Motivation verläuft dabei keineswegs konstant, unterliegen Ereignissen und Störungen und wird zudem durch eine Reihe externer Faktoren beeinflusst.194 Die kombiniert kognitiv-affektiven Aspekte „hoher Anspruch an die eigene Arbeit“, „betriebliche Identifikation“, „Prozess- und Kundenorientierung“, „unternehmerisches und ökologisches Denken“ sowie „generelle berufliche Entwicklungsorientierung“, konstituieren sich in kürzeren und dabei auch dynamischeren Veränderungsprozessen. Da in technisch-beruflichem Unterricht die Entwicklung der erstgenannten Aspekte eher begleitet denn reguliert werden kann, beschränken sich die hier darzustellenden Überlegungen zum Erwerb personaler Kompetenzen darauf, die wichtigsten Grundlagen aufzuzeigen und bedeutsame Zusammenhänge zu erläutern. Bzgl. der zweitgenannten arbeits- bzw. betriebsbezogen Aspekte erscheinen dagegen konkretere Erörterungen erforderlich und auch möglich. 3.3.1 SELBSTWIRKSAMKEIT BANDURA definiert Selbstwirksamkeitserwartung als Erwartung eines Menschen, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können.195 Der intensive Wunsch nach Effektivität geht auf das menschliche Grundbedürfnis nach Kontrolle zurück. Kontrollverlust ist frustrations- und angstbehaftet. Daher ist Selbstwirksamkeitserwartung für menschliches Handeln eine minimale Grundvoraussetzung, für die Erbringung von Leistung ist ein höheres Maß erforderlich. Entscheidend für die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung ist die internale Kontrollüberzeugung. Das Individuum muss sich selbst als Ursache einer Wirkung erkennen bzw. eine Wirkung auf das eigene Handeln zurückführen, nicht auf das Anderer oder den Zufall.196 Selbstwirksamkeitserwartung ist bei einem Individuum nicht allgemein ausgeprägt sondern differenziert aufgaben- bzw. situationsspezifisch entwickelt. Menschen haben „ein Gespür“ dafür, wo sie etwas können und wo nicht. Somit ist Selbstwirksamkeitserwartung nicht generalisierbar oder transferier-
194 Für Auszubildende stehen hier die Entwicklungsaufgaben junger Erwachsener an; zentrale Kontexte sind die Peers, die Eltern und die Familie. 195 Vgl. Bandura, 1980. 196 Wenn beispielsweise Kleinkinder Dinge, die sie anfassen und halten plötzlich fallen lassen, überprüfen sie, ob sie die Kontrolle darüber haben, unabhängig davon, ob ihnen das nützlich ist.
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bar, mit der Konsequenz, dass jeder Mensch ein spezifisches Spektrum verschiedenster Selbstwirksamkeitserwartungen besitzt. Bandura hat folgende Moderatoren der Selbstwirksamkeitserwartung hergeleitet:197 Meisterung schwieriger Situationen, soziale Unterstützung, physiologische Reaktionen, Beobachtung von Modellen. Dabei ist das Meistern schwieriger Situationen entscheidend und in jedem Falle auch unverzichtbar. Soziale Unterstützung und physiologische Reaktionen sind direkte Verstärker, Beobachtung von Modellen ist ein indirekter Verstärker.198 Innerhalb des individuellen Spektrums verschiedener Selbstwirksamkeitserwartungen eines Menschen kann ein großes Gefälle zwischen stark und schwach ausgeprägten Bereichen vorliegen. Entscheidend ist hier, wie der Einzelne dieses Spektrum sieht und bewertet. Es mündet schließlich in das Selbstwertgefühl199 eines Menschen und gewinnt damit eine biographische Dimension indem die selbst entwickelten Fähigkeiten in die Gesamtpersönlichkeit einfließen. Ausgangspunkt des Selbstwertgefühls ist das frühkindliche Grundvertrauen, weitere Entwicklungen erfolgen durch soziale Bestätigung, Anerkennung und Wertschätzung. Mit der Reifung eines Menschen verlieren dabei emotionale, empathische Rückmeldungen immer mehr an Bedeutung und sachliche bzw. funktionale Bestätigungen werden wichtiger. Das bedeutet, dass das Selbstwertgefühl Erwachsener maßgeblich von deren Selbstwirksamkeitserwartung bedingt wird.200 Nach LOCKE/LATHAM201 konstituiert ein Mensch sein Selbstkonzept aus zwei Teilkonzepten, dem „kognitiven Konzept“ und dem „affektiven Konzept“. Das kognitive Konzept entspricht dem, wie ein Mensch sich und seine Fähigkeiten verstandesmäßig einschätzt, das affektive Konzept entspricht dem, wie er diese Einschätzung bewertet. Man könnte auch sagen, dass sich 197 Vgl. Bandura, 1980. 198 Beispiel: Wenn es einem KFZ-Mechatroniker-Azubi gelingt, eine Bremse richtig einzustellen, sieht er dies am Bremsenkontrollstand (Rückmeldung über das Meistern der Aufgabe), er spürt es aber auch bei einer Probebremsung (physiologische Reaktion). Eine weitere Bestätigung erfährt er durch das Lob des Meisters und des Kunden (soziale Unterstützung). Schließlich beobachtet er einen Gesellen, wie er in genau der gleichen Weise eine Bremse erfolgreich einstellt, was ihn zusätzlich bestärkt (Beobachtung von Modellen). 199 Auch „Selbstwert“ oder „Selbstvertrauen“ genannt. 200 Als Gegenbeispiel dazu könnte die negative Wirkung der Arbeitslosigkeit auf das Selbstwertgefühl angeführt werden. Diese wird in hohem Maße darauf zurückgeführt, dass Menschen ohne Arbeit in ihren Möglichkeiten, sich als wirksam wahrzunehmen, (im Vergleich zu Arbeitenden) eingeschränkt sind. 201 Vgl. Locke, Latham, 1990.
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das Fähigkeitskonzept eines Menschen und sein darauf gebautes Selbstvertrauen gegenüber stehen. Zwischen diesen beiden Konzepten besteht ein enger Bedingungs- und Wirkungszusammenhang: Je positiver ein Mensch seine Fähigkeiten bewertet, desto besser fühlt er sich, je besser er sich fühlt, desto lieber wird er seine Fähigkeiten einsetzen und damit neuerliche Bestätigung finden. Dieser positive Kreislauf wird von Locke/Latham als „highperformance-cycle“ bezeichnet. Darin ist der Mensch von sich und seinem Tun überzeugt, zweifelt nicht oder stellt es in Frage und erlebt eine Kompetenzwahrnehmung und -bestätigung, die auch eine hohe Arbeitsleistung nach sich zieht. Dieses Bestätigungs- und Stabilisierungssystem kann jedoch sowohl im (1) kognitiven als auch im (2) affektiven Bereich gestört werden. Zu (1): Bei einer Wahrnehmung von Fehlern wird Misserfolg zurückgemeldet, die Kompetenz in Frage gestellt und damit das kognitive Konzept destabilisiert. Dies kann durch tatsächliche Fehler erfolgen, aber auch durch defizitäre oder falsche Rückmeldungen bzw. durch zu hohe oder unpassende Zielvorstellungen. Als Konsequenz ergibt sich – neben einem Bestreben nach Ursachenklärung und Korrektur – eine Negativbewertung des Tuns, also eine Destabilisierung des affektiven Konzepts. Zu (2): Ein schwaches oder aus anderen Arbeits- oder Lebenssituationen temporär geschwächtes Selbstvertrauen kann dazu führen, dass ein Mensch schon erworbene Kompetenzen in Frage stellt bzw. sich den Erwerb neuer Kompetenzen nicht zutraut. Die Folge kann dann sein, dass das bisher zügige, sichere Handeln langsam und vorsichtig wird bzw. dass Neues nicht an- und aufgenommen bzw. erprobt und umgesetzt wird. Somit könnte man auch umgangssprachlich einen „Engelskreis“ und einen „Teufelskreis“ konstatieren, denn im ersten Falle bewirkt die Dynamik positiver Bestätigungen eine Stabilisierung beider Konzepte, im zweiten Falle bewirkt sie eine Infragestellung und Destabilisierung. Die hier didaktisch abzuleitenden Schlüsse sind schwieriger, als sie zunächst scheinen: An sich gelten die oben schon festgestellten Faktoren einer Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung primär durch wahrgenommene Handlungserfolge und sekundär durch entsprechende Verstärker. Dies muss jedoch – angesichts der Überlegungen zum „high-performance-cycle“ – relativiert werden. Fall A: Bei einem Menschen mit geringem Selbstvertrauen ist es generell schwieriger, Erfolge herbeizuführen, da er skeptisch und vorsichtig an die Dinge herangeht. Wenn er trotzdem erfolgreich handelt, tendiert er dazu, entweder den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe in Frage zu stellen, oder dies 130
als Zufall einzustufen. Wenn er dagegen Misserfolge hat, wird er sich leicht in seinem Selbstbild bestätigt sehen und dieses einmal mehr verfestigen. Fall B: Bei einem leistungsschwachen Menschen ist es ebenfalls schwierig, Erfolge herbei zu führen, da in seinem Verständnis der Aufgabe und in ihrer Umsetzung kognitiv-perzeptive Fehler liegen können. Die Klärung und Aufarbeitung der Fehler reduzieren dann das kognitive Konzept und, dem folgend, das affektive. Wenn er ohne Klärung und Aufarbeitung der Fehler (durch Zufall oder Unterstützung) erfolgreich handelt, könnte sich ein unangemessenes Selbstvertrauen entwickeln, mit der Folge, dass die defizitäre Kompetenz beim nächsten Einsatz nicht „funktioniert“ und eine noch negativere affektive Reaktion die Folge ist, da man zum einen eine Selbstüberschätzung feststellt, zum anderen keine Vorstellung von deren Ursachen hat. Zusammengefasst wäre daraus zu schließen, dass berufliches Lernen dann in einen „high-performance-cycle“ führen kann, wenn es gelingt, Zyklen, wie sie die Fälle A und B beschreiben, zu vermeiden. Auszubildende in gewerblich-technischen Berufen beginnen – bezogen auf ihren angestrebten Beruf – mit einem minimalen kognitiven Konzept. Daher ist es natürlich, dass sie dazu auch ein minimales affektives Konzept haben. Da sie selbst und der Betrieb zu Beginn der Ausbildung diesbezüglich auch keine großen Erwartungen haben, kann dies nicht negativ wirken. Wichtig ist für die Jugendlichen in dieser Phase ein positives (fachlich unspezifisches) Selbstbild, um sich die Ausbildung und deren Herausforderungen generell zuzutrauen. Wenn dies nicht der Fall ist (z.B. durch Negativerfahrungen aus der Schulzeit) würde eine Anfangsüberforderung in einen Negativzyklus gemäß des Falles A führen. Mit zunehmendem kognitiven Konzept wächst auch das affektive Konzept des Auszubildenden. Unabhängig von seiner objektiven Leistungsfähigkeit kann dieses zu optimistisch oder zu pessimistisch sein. Daher kann ein Auszubildender in beide der dargestellten Negativzyklen geraten, wenn er unstimmige oder falsche Rückmeldungen über seinen Kompetenzstand erhält. Mündet eine Ausbildung in eine Überforderung des Auszubildenden, ergibt sich wieder die gleiche Gefahr wie bei einer Anfangsüberforderung; der Auszubildende nimmt mehr und mehr Schwierigkeiten wahr und wird damit immer unsicherer (Fall A). Wenn man ihn dann durch einfache Ermunterungen oder Herunterspielen der Probleme nur „psychisch aufrichtet“, gelangt er direkt in den anderen Negativkreislauf (Fall B). Daher kann die Lösung hier nur in intensiver Arbeit an den Schwierigkeiten und den daraus erfolgenden Positv-Rückmeldungen liegen.
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D.h. zusammengefasst, dass – beruflicher Unterricht vielfältige Möglichkeiten für die Auszubildenden bieten sollte, sich mit angemessenen fachlichen Aufgaben zu konfrontieren und dazu schnelle und direkte Leistungsrückmeldungen zu erhalten; – bzgl. der Zugänglichkeit und des Schwierigkeitsgrades differenzierte Aufgabenstellungen erforderlich sind, die eine „weiche“ Schwelle zum Einstieg in die Fachinhalte setzen; – LehrerInnen die Selbstbewertung und das Selbstvertrauen der Jugendlichen sowie deren Leistungsverlauf differenziert wahrnehmen und verfolgen sollten, um möglichst früh Einstiege in Negativ-Kreisläufe zu verhindern; – fachliche Bemängelungen frei von Bewertungen in Verbindung mit Lösungsmöglichkeiten oder neuen Wegen besprochen werden müssen, um die Eigenbewertung nicht zusätzlich zu belasten und um zu signalisieren, dass dem Auszubildenden eine Verbesserung generell zugetraut wird. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung kann absehbar den Ausbildungs- und Berufserfolg steigern und dazu führen, dass ein Jugendlicher sein Potenzial ausschöpft, eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung wird wahrscheinlich eine Selbsteingrenzung im Handeln und Lernen nach sich ziehen, mit der Folge, dass der junge Mensch sein Potenzial nur bedingt ausschöpfen wird. In der weiteren beruflichen Biografie kann sich dies fortsetzen. D.h. dass mit der Förderung dieser personalen Kompetenz ein „Grundstein“ für eine positive Berufs(bildungs)karriere gelegt werden kann. 3.3.2 MOTIVATION Das Thema „Motivation“ ist äußerst facettenreich und wird im Zusammenhang mit Lernen häufig und vielfältig akzentuiert. Unzählige Motivationstheorien werden in verschiedensten didaktischen Ansätzen aufgegriffen und in generelle Prinzipien oder methodische Ableitungen für alle Phasen der Unterrichtsplanung und -realisierung umgesetzt. Damit wird klar, dass die Bedeutung von Motivation für das Lernen seit langem erkannt und didaktisch aufgearbeitet wurde. Motivation wird in der Psychologie allgemein als das bezeichnet, was dem menschlichen Tun Energie und Richtung gibt. Sie ist von Persönlichkeitsvariablen abhängig, wird aber auch von Umweltvariablen bedingt und beeinflusst. Motivation kann in Lern- und Arbeitsprozessen eine entscheidende Kompo-
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nente für die Umsetzung sein, zudem ist sie auch eine relevante Zielkomponente für die Kompetenzentwicklung. Betrachtet man Motivation als eine personale Kompetenz für Facharbeiter und Handwerker, kann zunächst Leistungsmotivation als eine übergreifende Motivation betrachtet werden, welche sich auf Handeln, Arbeiten und Lernen gleichermaßen bezieht. Betrachtet man Arbeit reduziert auf das eigentliche Handeln, gilt es Aspekte der Handlungsmotivation zu fokussieren. Weitet man diesen Blickwinkel aus, steht man der Thematik Arbeitsmotivation bzw. Arbeitszufriedenheit gegenüber. Da für den Erwerb von fachlich-methodischen Kompetenzen innerhalb und auch nach der Ausbildung eine entsprechende Lernmotivation erforderlich ist, muss diese sicher auch mit einbezogen werden. Dies wird jedoch später, im Zusammenhang mit der Kompetenzvermittlung, erfolgen. Leistungsmotivation HECKHAUSEN202 definiert als Leistungsmotivation „das Bestreben, die eigene Tätigkeit in all jenen Tätigkeiten zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält und deren Ausführung deshalb gelingen oder misslingen kann“. Für dieses Bestreben können verschiedene Ursachen festgestellt werden. Z.B. geht McCLELLAND et al.203 von einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis nach Leistung aus. Leistung wird zum eigenständigen Motiv, ähnlich wie Macht, Besitz oder Gemeinschaft. Dieser Ansatz ist deterministisch, da er Leistungsmotivation als trait identifiziert und damit kaum individuelles Entwicklungspotenzial zuweist. ATKINSON204 betrachtet Leistungsmotivation in seinem RisikoWahl-Modell als ein Konstrukt, welches sich aus der Differenz zwischen der Erfolgsmotivation und der Misserfolgsvermeidungsmotivation quantitativ bestimmen lässt. Je höher das erste und je geringer das zweite beim Individuum ausgeprägt ist, desto höher ist seine Leistungsmotivation. Schließlich stellen GAGE/BERLINER205 einen engen Zusammenhang zwischen Leistungsmotivation und Attribution fest: Interne Attribuierung führe zu Erfolgssuche, externe Attribuierung zu Misserfolgsvermeidung. Leistungsmotivation ist demnach ein menschlicher Antrieb, der auf interne Attribuierung zurück geht. Auch hier wäre ein trait indirekt für die Leistungsmotivation verantwortlich. 202 203 204 205
Vgl. Heckhausen, 1980. Vgl. McClelland et al., 1953. Vgl. Atkinson, 1957. Vgl. Gage, Berliner, 1996.
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Um einen technischen Beruf zu erlernen und ihn erfolgreich und entwicklungsorientiert auszuführen, benötigt ein Mensch Leistungsmotivation. Dabei erscheint es müßig, zu klären, welcher Anteil hier auf traits beruht und damit unabänderlich ist und welcher Anteil entwicklungsfähig erscheint, denn letztendlich hängt dies immer auch davon ab, inwieweit ein junger Facharbeiter oder Handwerker selbst entscheidet, ob er über seine Grundeigenschaften hinauswachsen, oder sich ihnen unterordnen will. Gemäß der hier vorgestellten Theorien erscheint es für die Entwicklung von Leistungsmotivation bedeutsam, … – dass Auszubildende möglichst viel selbsttätig lernen, also schon im Lernen ihr Wissen und Verständnis erproben können; – dass sie vielfältige Aufgaben mit angemessenem Schwierigkeitsgrad erhalten; – dass sie Gütemaßstäbe und deren Verbindlichkeit erkennen und anerkennen; – dass ihnen vielfältige und hochwertige Rückmeldungen zur Verfügung stehen, aus denen sie erkennen können, was sie richtig bzw. falsch gemacht haben; – dass sie in ihrer Reflexivität gefordert und gefördert werden; – dass sie bei der Aufarbeitung der Fehler und deren Korrektur oder Revidierung unterstützt werden; – dass sie über die Gütemaßstäbe hinaus einen eigenständigen Anspruch entwickeln. Handlungsmotivation Verschiedene Handlungstheorien deuten darauf hin, dass Motivation eine bedeutende Rolle im menschlichen Handeln spielt. Gemäß der Definition von HACKER206 ist das Attribut „motiviert“ neben „zielgerichtet“ und „bewusst“ eines von drei konstituierenden Merkmalen von Handlungen. Im sog. „Rubikon-Modell“207 nach HECKHAUSEN erfolgt der Einstieg in das Handeln überwiegend durch motivationale Prozesse: In der sog. prädesizionalen Phase, der Vorphase des eigentlichen Handelns, werden vom Individuum Informationen rezipiert und diese im Hinblick auf verschiedene Ideen und Antriebe abgewogen, um schließlich eine handlungsbezogene Entscheidung treffen zu 206 Vgl. Hacker, 1986, S. 73. 207 Vgl. Heckhausen, Gollwitzer, Weinert, 1987.
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können. Diese motivationalen Prozesse lösen ein aktives Zugehen auf Informationen sowie eine fokussierte Auseinandersetzung mit ihnen aus. Vor dem eigentlichen Handeln (präaktionale Phase) werden Willensprozesse (Volition) stimuliert, angefangen mit einer dezidierten Zielentscheidung und Handlungsplanung. Diese „aktiven Anteile der Motivation“ werden beim tatsächlichen Handeln (aktionale Phase) weitergeführt. Schließlich löst die der Handlung folgende Bewertungsphase (postaktionale Phase) wiederum motivationale Prozesse aus, die dann schließlich in die nächste Handlung führen. Somit wird deutlich, dass die von Hacker und Volpert offen gelegten zyklischen Prozesse der Handlungsregulation nicht nur von sachlich-rationalen Absichten und Rückmeldungen getragen werden, sondern auch in hohem Maße von motivationalen bzw. volitionalen Prozessen. Immer dann, wenn eine Teilhandlung abgeschlossen ist, muss der „Rubikon“ zwischen der prädesizionalen Phase und der postdesizionalen Phase überschritten werden, also in motivationaler Abwägung entschieden werden, was als nächstes kommt, wie es weiter geht. Daher kann die Handlungsmotivation einzelner Menschen sehr unterschiedlich sein: Eine zu geringe Ausprägung führt zu Zurückhaltung oder Übervorsicht, eine mittlere Ausprägung zu einem adäquaten Handeln, eine zu hohe Ausprägung zum Aktionismus. Um eine angemessene Handlungsmotivation zu entwickeln kann es daher kein anderes Rezept als sinnvolles und reflektiertes Handeln geben. Dies sollte auch in möglichst authentischen Kontexten stattfinden, da zum Einen die Bewertung des (potenziellen) Handlungsergebnisses erheblich auf die Handlungsmotivation „vorauswirkt“. Zum anderen ist die Handlungsmotivation – ähnlich wie die Selbstwirksamkeitserwartung – in hohem Maße situationsabhängig. Insgesamt sind hier folgende Schlüsse zu ziehen: – Berufliches Lernen sollte den Auszubildenden viele Gelegenheiten geben, möglichst eng im Berufskontext unter Realansprüchen zu handeln. – Dabei sollte vor allem die Vorphase des Handelns als zentrale Lernphase akzentuiert und durch Informationsmaterialien sowie Entscheidungshilfen unterstützt werden. – Dazu sind komplexe Aufgaben erforderlich, die mehr als einen direkten Lösungsweg zulassen. – Die in der Vorphase der Handlung getroffenen Entscheidungen und die dazu gehörigen Verständnisprozesse sollten durch explizite und ausgeprägte Kontroll- und Bewertungsprozesse bestätigt bzw. relativiert werden können.
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– Unterstützung sollte zurückhaltend und individuell erfolgen, indem vorsichtige Auszubildende zum Handeln bekräftigt und übereifrige zur Besonnenheit aufgefordert werden. Handlungsmotivation entsteht durch offene Zugänge auf berufliche Aufgabenstellungen, die Möglichkeit, eigene Ziele zu bilden, Entscheidungen selbst zu treffen, Handlungspläne zu entwickeln und umzusetzen, Handlungsprodukte oder -ergebnisse zu schaffen und zu bewerten. Handelndes Lernen kann Handlungsmotivation als Lernmotivation nutzen und dabei den individuellen Umgang mit Motivation und Volition weiterentwickeln. Arbeitsmotivation Seit MASLOWs208 „Bedürfnispyramide“ wurden vor allem seitens der Arbeits- und Organisationspsychologie einige Theorien zur Arbeitsmotivation entwickelt. Die ursprünglichen Überlegungen MASLOWS, warum Menschen überhaupt arbeiten, wichen dabei der Frage nach der Arbeitszufriedenheit aus. Eine diesbezügliche Referenztheorie wurde von HERZBERG 1959209 veröffentlicht. Diese empirisch abgestützte Zweifaktorentheorie stellt Aspekte, welche Arbeitszufriedenheit fördern (satisfiers) solchen gegenüber, welche Arbeitsunzufriedenheit fördern (dissatisfiers). Als „satisfiers“ wies Herzberg überwiegend internale Faktoren nach, z.B. die Möglichkeit, Leistung zu erbringen bzw. Anerkennung und Wertschätzung. Als „dissatisfiers“ stellten sich externale Faktoren heraus, z.B. Entlohnung oder Arbeitsbedingungen. Je mehr satisfiers in einer Tätigkeit vom Individuum wahrgenommen werden, desto höher die Arbeitszufriedenheit, je mehr Dissatisfiers, desto höher die Arbeitsunzufriedenheit. Fehlen jedoch satisfiers, entsteht nicht automatisch Unzufriedenheit, fehlen Dissatisfiers, entsteht nicht automatisch Zufriedenheit. Mit anderen Worten: Nur eine Verbesserung im Bereich der satisfiers kann die Arbeitszufriedenheit tatsächlich erhöhen; verbessert man im Bereich der dissatisfiers wird dagegen lediglich die Unzufriedenheit reduziert. Gemäß Herzbergs Theorie nehmen die internalen Aspekte einer Tätigkeit eine bedeutende und unersetzliche Rolle ein. Auch bei guten Arbeitsbedingungen und ordentlicher Bezahlung wird ein Mensch keine wirkliche Zufriedenheit in seiner Arbeit finden, wenn er etwas tut, was ihn nicht interessiert, wo er seine Potenziale nicht ausschöpfen kann und wo er keine adäquaten sozialen Beziehungen erlebt.
208 Vgl Maslow, 2002. 209 Vgl. Herzberg, Mausner, Snyderman, 1959.
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Betrachtet man Arbeitsmotivation nun als personale Kompetenz, entsteht Skepsis, da die dafür relevanten Faktoren relativ feststehend erscheinen. Spätestens wenn sich ein Mensch für eine Ausbildung bzw. einen Beruf entschieden hat, sollten diese Aspekte weitgehend geklärt und einigermaßen positiv realisiert sein. Aus demographischen Zahlen und empirischen Studien wird jedoch das Gegenteil deutlich: Gerade die Ausbildungs- bzw. Berufswahl erfolgt bei den meisten Jugendlichen unter erheblichen Restriktionen (eingeschränkte Angebote, Defizite im Schulabschluss, fehlende Grundkompetenzen) und zudem auf wenig rationaler Basis (Modeberufe, Peergroup, Elternhaus, fehlende Fähigkeit, aber auch Bereitschaft, sich zu informieren). So erstaunt nicht, dass sich ein hoher Prozentsatz von Jugendlichen in der Ausbildung „fehl am Platze“ fühlt.210 Dies gilt insbesondere auch für Auszubildende mit Abitur: „Unzufriedenheitsstatistiken“ führen häufig Berufe aus dem oberen Spektrum des kaufmännischen Bereichs an, also z.B. Bank- und Industriekaufleute. Trotzdem ist für die ausbildungsbezogene, möglicherweise aber auch langfristige Arbeitsmotivation der Faktor „Interesse“ entscheidend. Dass ein gewisses „grobes Berufsinteresse“ bei einigen Jugendlichen schon vorliegt, ist nicht in Frage zu stellen. Bei den meisten kann aber davon ausgegangen werden, dass dies nicht manifest ist und zudem in vielen Fällen negierend („ich weiß genau, was ich nicht will“). Das bedeutet, dass angesichts des Alters, in dem Jugendliche in eine Ausbildung eintreten, davon ausgegangen werden kann, dass sie sich entweder in einer sehr frühen Phase beruflicher Identifikation befinden, oder diese noch gar nicht begonnen haben. Arbeitsmotivation kann somit in dieser Phase – ebenso wie Leistungs- und Handlungsmotivation – zumindest anteilig entwickelt werden. Dies erfolgt durch Prozesse beruflicher Identifikation, bzw. durch ein, für jedes Individuum wichtiges Initialerlebnis, das den Anfang seiner beruflichen Identität bildet. Im Gegensatz zum komplexen und zum Teil auch strittigen Konstrukt der beruflichen Identität211 kann „berufliche Identifizierung“ einfacher eingeschätzt werden. Identifizierung ist generell der Weg zur Identität bzw. der Prozess einer Identitätsentwicklung. Sie beginnt an einem Punkt, an dem ein Mensch in den Ansichten, Ideen, Traditionen aber auch Handlungen und Artefakten anderer 210 Vgl. Ratschinski, 2009. 211 Neben berufs- und wirtschaftspädagogischen Ansätzen stehen hier Ansätze aus der Arbeitsund Organisationspsychologie sowie der Soziologie, die das Konstrukt deutlich unterschiedlich akzentuieren.
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Menschen Attraktivität entdeckt und den Wunsch bzw. Willen entwickelt, sich dem in irgend einer Form anzuschließen und damit „zu diesen Menschen dazuzugehören“. Identifizierung ist somit nicht ein Interesse an einer bzw. eine Begeisterung für eine Sache (z.B. Reggae-Musik, Rasta-Locken, etc.), sondern eine als interessant oder angenehm empfundene persönliche Zuordnung zu anderen Menschen (z.B. Jugendlichen, die Rasta-Locken tragen und Reggae-Musik hören).212 Ob aus der Identifizierung eine Identität wird, entscheidet deren Grad, Verlauf und Dauer. In allen namhaften Theorien über „Identität“ besteht Konsens bezüglich deren Persönlichkeitswirksamkeit. Berufliche Identität ist dann entstanden, wenn die berufliche Identifizierung eine Qualität erreicht hat, in welcher der Einzelne sich und seinen Selbstwert zumindest zu einem gewissen Teil aus dem beruflichen Handeln ermisst. Dies kann aus zwei Gründen in der Ausbildungszeit nicht bzw. nur rudimentär erfolgen: Zum Einen befinden sich die Jugendlichen in diesem Lebensabschnitt in einer Latenzphase, in der sie von einer Kind-Identität in eine Erwachsenen-Identität wechseln müssen und somit die berufliche Identifizierung als Nebenaspekt in einem großen Gesamtprozess verläuft. Zudem bieten die älteren Gesellen oder Meister häufig keine attraktiven Identitätsmodelle an. Zum Anderen besitzt das berufliche Handeln in vielen Ausbildungen zumindest anfangs noch nicht die Qualität, welche erforderlich bzw. ausreichend wäre, um sich den „Arrivierten“ zuzuordnen. Ob bzw. wann ein Facharbeiter oder Handwerker eine berufliche Identität aufgebaut hat, ist jedoch für den Aspekt der beruflichen Identifizierung nicht entscheidend, vielmehr erscheint es für eine Berufsausbildung wichtig, dass er sich „auf dem Weg dazu“ befindet. Um diesen Weg angehen zu können und sich auf ihm zu „bewegen“, ist das Ziel durchaus relevant. Somit können einige Wirkungsfaktoren für den Identifikationsprozess in einer Berufsausbildung abgeleitet werden: Erfüllung eines längerfristigen Berufswunsches, Wahrnehmung von Attraktivität in den Gegenständen, Tätigkeiten, Produkten, Mitarbeitern und Führungskräften, dem Betrieb und der Abteilung, „soziale Passung“, spezifische Selbstwirksamkeit, eigenes Wachstum und Entwicklung, Anerkennung von innen (Ausbilder) aber auch von Außen (Peer Group, Eltern), Zukunftsaussichten und Verdienstmöglichkeiten.
212 Ein reiner Musik-Fan, dem die Reggae-Musik gut gefällt, den aber die Rasta-Philosophie nicht interessiert, wird die Musik gerne hören, sich aber nicht mit dem Reggae identifizieren.
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Der Aufbau einer konstanten und dauerhaften Arbeitsmotivation beginnt somit in der Berufsausbildung durch berufliche Identifizierung. Je positiver die oben angeführten Faktoren vom Auszubildenden empfunden werden, desto mehr Arbeitsmotivation wird er entwickeln und desto stärker wird er schon in der Ausbildung mit dem Aufbau einer beruflichen Identität beginnen. Umgekehrt wird die Identifizierung nicht oder nur in geringem Maße stattfinden, wenn Zweifel daran bestehen, ob man diesen Beruf überhaupt beibehalten will oder kann bzw. wenn er (wie bei vielen Auszubildenden in den hochwertigsten Ausbildungen) nur als ein Zwischenschritt vor oder zu einem hochschulischen Bildungsweg gesehen wird. Damit wird schließlich auch deutlich, dass gerade der Aspekt der Arbeitsmotivation keineswegs mit der Leistungs- und Handlungsmotivation einher gehen muss, sondern sogar „quer“ dazu liegen kann. Zusammenfassend ist hier zunächst festzustellen, dass sich der Aspekt der Motivation im Hinblick auf personale Kompetenzen nicht nur als vielfältig und komplex, sondern in hohem Maße als bedeutsam erwiesen hat. Motivation oder Motive entwickeln und damit umgehen erweist sich für angehende Facharbeiter und Handwerker als gleichermaßen anspruchsvolle und attraktive Herausforderung, in deren Bewältigung bzw. Umsetzung die separaten Einzelbereiche verschiedener Motivationsarten und -theorien sich auflösen und in relativ konvergente Schlussfolgerungen einmünden: – Auszubildende in technischen Berufen sollten möglichst nah bzw. im Berufskontext unter Realansprüchen Lernumgebungen vorfinden, in welchen sie selbsttätig Aufgaben mit angemessenem Schwierigkeitsgrad bearbeiten können; – Die Aufgabenstellungen sollten komplex, aber vom Schwierigkeitsgrad her angemessen sein und mehrere Lösungswege ermöglichen; – Durch vielfältige indirekte aber auch direkte Reflexions- und Feedbackansätze sollten die Auszubildenden mit eigenen und fremden Gütemaßstäben konfrontiert werden und daraus einen eigenen Anspruch an ihr Tun entwickeln; – Fehler oder Mängel sollten nicht emotionalisiert oder sanktioniert, aber auch nicht ignoriert oder kleingeredet werden, sondern ursächlich aufgeklärt, bewertet und korrigiert bzw. revidiert; – Betreuung und Unterstützung beginnt bei einer guten Auswahl der Informationsmaterialien (fachlich-inhaltlich) und Leittexte (methodisch) und
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realisiert sich emotional-affektiv durch positive Ermunterung und Bestärkung sowie kognitiv durch Verständnis- und Klärungsgespräche; – Die individuellen Identifizierungsprozesse sollten beobachtet und durch das Gesamtszenario der Ausbildung „allgemein“ gefördert werden. Zudem können sie nachgefragt, nicht aber gefordert oder erzwungen werden. In offenen Einzelgesprächen kann schließlich geklärt werden, wo der Azubi steht und ihm evtl. Orientierungshilfe gegeben werden. 3.3.3 KOGNITIV-AFFEKTIVE ASPEKTE VON ARBEIT UND BERUF Die vorausgehend betrachteten Personalkompetenzaspekte Selbstwirksamkeit und Motivation sind überwiegend emotional bedingt und damit eng mit der persönlichen Identität des Individuums verbunden. Die nun zu erörternden „kognitv-affektive Aspekte von Arbeit und Beruf“ beziehen sich überwiegend auf den Verstand und das Wertesystem. Im Zusammenhang mit den Erfordernissen, Ansprüchen und Hintergründen von Arbeit hängen sie daher überwiegend mit der beruflichen Identität des Individuums zusammen. Die Aspekte „hoher Anspruch an die eigene Arbeit“, „betriebliche Identifikation“, „Prozess- und Kundenorientierung“, „unternehmerisches und ökologisches Denken“ sowie „generelle berufliche Entwicklungsorientierung“ werden gerne als Arbeitstugenden bezeichnet und damit als ein „Markenzeichen“ der dualen Berufsbildung im deutschsprachigen Raum. Letztendlich sind es moralische Komponenten, die – bezogen auf das Individuum – den Unterschied zwischen Job und Beruf ausmachen. Wo, wie und warum entwickeln Handwerker und Facharbeiter diese „Arbeitsmoral“? Fest steht, dass hier der Betrieb zentraler Entwicklungsraum sein muss. Innerhalb und auch nach der Ausbildung wird formell und informell vermittelt, was für die Produkte bzw. Dienstleistungen und eine innovative, zukunftsträchtige und nachhaltige Wertschöpfung entscheidend ist. In dem Maße, in dem dieses Verständnis im Betrieb verinnerlicht und kulturell umgesetzt wird, kann der einzelne Auszubildende oder Mitarbeiter daran partizipieren. Aus psychologischer Perspektive geht es hier um die Internalisierung moralischer Normen. Angesichts des Anspruchs einer Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition kann in diesem Bereich eine Anpassung an bestehende Regeln nicht genügen. Nach OERTER & MONTADA213 sind die Normen dann internalisiert, wenn sie ohne externe Kontrollen eingehalten werden, „dass sie von einer Person als richtig anerkannt werden, was daran erkennbar 213 Vgl. 2008, S. 581
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ist, dass ungerechtfertigte Abweichungen zu Selbstvorwürfen, Schuld oder Scham führen“214. Angesichts dieses hier formulierten Anspruchs ist davon auszugehen, dass diese kognitiv-affektiven Aspekte personaler Berufskompetenz nur im Zuge von überwiegend betrieblichen Identifikationsprozessen entwickelt werden können. Dabei ist das (bereits im Zusammenhang mit Sozialkompetenzen erörterte) Modellernen von großer Bedeutung. Identifikation erfolgt aus Beobachtung, wobei diese jedoch bestimmten Bedingungen unterliegt:215 1. Das Beobachtete darf den eigenen Überzeugungen nicht widersprechen; 2. Die beobachtete Person muss anerkannt und „machtvoll“ sein. Macht kann dabei in Fachkompetenz ebenso bestehen wie im Sozialstatus, Beliebtheit oder Sanktionsgewalt; 3. Der Beobachtende sollte eine bestehende oder erwünschte Ähnlichkeit zur beobachteten Person wahrnehmen. In der traditionellen Meisterlehre übernimmt dieses Modellrolle der Ausbilder mit seiner eigenen Person. Wichtig ist zudem, dass diese kognitiv-affektive Entwicklung nicht nur über informelle, mentorengeprägte Prozesse „mitläuft“, sondern für die Lernenden so weit expliziert wird, dass die Werte nach ihrer Übernahme auch verstanden werden. So kann eine moralische Entwicklung erfolgen, die über Wissen und Verständnis zu Distanz und Reife führt. Diesbezügliche Ansätze stehen in engem Zusammenhang mit einem konsequenten und weitgreifenden Qualitätsdenken. Aus den Grundansätzen von Qualitätsgruppenarbeit wurde im Zuge der in den 1990er Jahren Verbreitung findenden Lernenden Organisation umfassendes Qualitätsmanagement implementiert. In moderner industrieller Ausbildung werden die Auszubildenden von Anfang an in das Qualitätsmanagement mit einbezogen, z.B. betreiben sie eigene KVP-Werkstätten (KVP=Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) zur Optimierung betrieblicher Stör- oder Schwachstellen. 3.3.4 SELBSTREGULIERTES LERNEN Der Lernerfolg hängt – aus kognitivistischer und konstruktivistischer Perspektive – zentral von der Fähigkeit selbstreguliert zu lernen ab. Diese überfachliche Kompetenz ist den personalen Kompetenzen zuzuordnen, weil sie zwar 214 Ebd. 215 Vgl. ebd.
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einen effektiven und effizienten Wissenserwerb intendiert, dabei jedoch nicht fachlich-methodisch, sondern individuenspezifisch orientiert ist.
Abbildung 13: Zusammenfassung der aktuellen Theorien selbstregulierten Lernens in Akzentuierung von Lernstrategien und Metakognition216
Im Folgenden wird ein Modell über die interdependenten Zusammenhänge von Lernstrategien und Metakognition im selbstregulierten Lernen vorgestellt (s. Abbildung 13).217 Im Zentrum dieses Modells steht die Lernsteuerung durch das metakognitive System. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Lernsteuerung generell als dynamischer, wechselwirkender Prozess zwischen verschiedenen Kognitionen in ständiger Verbindung mit verschiedenartigen Emotionen aufzufassen ist.218 Betrachtet man Lernen als vollständige Handlung (bewusst, intendiert, motiviert und reflektiert), kann in eine präaktionale, eine aktionale und eine postaktionale Phase unterschieden werden.219 216 217 218 219
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Vgl. Tenberg, 2008b. Vgl. ebd. Vgl. Baumert, 1993, S. 348. Vgl. oben den Abschnitt zu „Handlungsmotivation“.
In der präaktionalen Phase werden die Lern-Aufgabe und die verfügbaren Ressourcen antizipiert. Die hier erfolgenden motivationalen und volitionalen Prozesse entscheiden über den weiteren Verlauf des Lernprozesses. Je nachdem, welche Valenz der Aufgabe bzw. deren Lösung beigemessen wird, welche Bedeutung dem eigenen Anspruch und Fremdansprüchen zukommt, wie sich Erfolg oder Misserfolg zeigen bzw. welche Erwartungen damit verbunden sind, in welchem Verhältnis dazu die Erfolgserwartung steht etc., entwickelt sich vor einem spezifischen emotional-affektiven Hintergrund ein latentes Konzept, wie an die Aufgabe herangegangen werden soll und welche Lernstrategien dabei zum Einsatz gebracht werden sollen. Auch die Lernstrategie-Auswahl ist emotional eingefärbt, da mit dem bestehenden Repertoire auch Erinnerungen an dessen Anwendung verbunden sind, welche mehr oder weniger angenehm sein können (Aufwand, Anstrengung, Beherrschung, Erfolg etc.) In der aktionalen Phase kommen die gewählten metakognitven und kognitiven Strategien zur Anwendung. Ihr Einsatz erfolgt vor dem antizipierten emotional-affektiven Hintergrund, löst aber zusätzliche – entweder fördernde oder hemmende – Emotionen aus. Die Tendenz dieser handlungsbegleitenden Emotionen wird von der Antizipation determiniert, kann sich aber absehbar auch (bei unerwartetem Verlauf) revidieren oder umkehren. Je kognitivaufgabenorientierter der Lernende ist, desto geringer sind hier die emotionalen Einflüsse; der Lernstrategie-Einsatz erfolgt nach Funktions- und Regulationskriterien und wird nüchtern mit der Feststellung von Erfolg oder Misserfolg enden. Evtl. werden zusätzliche Lernstrategien eingesetzt oder auch das Scheitern akzeptiert. Anders bei Lernenden, die diesem Idealbild nicht entsprechen. Entweder müssen sie ein hohes Maß an Aufwand betreiben, um einen erwünschten Lernstand zu erreichen, oder sie entwickeln Verhaltensweisen, welche ein tatsächliches Lernen nur simulieren. Dabei sind verschiedenste Gefühle denkbar, vom unangenehmen Lernzwang über Frustrationen bei wahrgenommenen Merk- oder Verständnisdefiziten bis hin zur Langeweile in der Simulation. In der postaktionalen Phase wird der Lernstrategie-Einsatz vor dem Hintergrund der antizipierten Einschätzungen und Erwartungen bilanziert. Dies setzt zum Einen voraus, dass überhaupt ernsthaft versucht wurde, zu lernen (kein Kulissenlernen), zum Anderen eine reflexiv-konstruktive Haltung. Oberflächenorientierte und tiefenorientierte Lerner ziehen hier ein (mehr oder weniger) sachliches Resümee, bewerten Lernprozess und -erfolg, ziehen Rückschlüsse auf die Strategien und bestätigen oder korrigieren diese. Ein Unterschied zwischen beiden Lernorientierungen besteht jedoch in den Bewer143
tungskategorien und dem dazu investierten Aufwand: Oberflächenorientierte Lerner tendieren zu ökonomischen Betrachtungen, also einer Abwägung zwischen Aufwand und Wirkung und ziehen diesbezügliche Schlüsse. Für tiefenorientierte Lerner hingegen ist die Effektivität entscheidend; sie konzentrieren sich darauf, gelungene Lösungsprozesse für eine spätere Anwendung oder Weiterführung und Ausbau zu abstrahieren und zu konservieren. In der Realität ist weder von einem idealtypischen Auftreten der konstatierten Lerntypen, noch von einer klaren Trennung und Abfolge der Lern-Handlungsphasen auszugehen. Es ist durchaus denkbar, dass ein Schüler innerhalb eines (nach außen hin geschlossen erscheinenden) Lernprozesses seine diesbezügliche Haltung völlig revidiert und damit alle entscheidenden Parameter verändert. Diese Unschärfe in Erwerb und Handhabung von Lernstrategien zeigt sich immer wieder in empirischen Untersuchungen. Z.B. stellen NÜESCH & METZGER220 trotz aufwändiger langjähriger Internetstudien lediglich fest, dass eine langfristige Förderung von Lernstrategien bei Auszubildenden zu signifikanten Veränderungen in der Effizienz und Zielorientierung des Lernverhaltens führen könne (Selbsteinschätzungen der SchülerInnen), diese jedoch sei auf das mittlere Ausbildungsniveau einzugrenzen ist. Wie in anderen Befunden zeigt sich so auch in dieser Studie, dass eine Reihe von SchülerInnen entweder kaum Lernstrategien aufbauen wollen bzw. können, oder dass sie mit ihren bestehenden bzw. verfügbaren Lernstrategien zufrieden sind. Bei den guten bis sehr guten SchülerInnen kann dies akzeptiert werden, bei den schwächeren SchülerInnen erscheint diese „Lernstrategie-Resistenz“ allerdings fatal, da genau eine Verbesserung in diesem Meta-Aspekt die Lernleistungen mittel- bis langfristig fördern und damit einen Positivkreislauf in Bewegung setzen könnte. Da jedoch aktuell keine empirischen Befunde vorliegen, welche ein diesbezügliches Konzept in seiner Wirksamkeit bestätigen, muss momentan davon ausgegangen werden, dass sich die Entwicklung von Lernstrategien bei schwächeren Schülern nicht über Methodentrainings mit metakognitiven Elementen anbahnen lässt, sondern nur durch ein langfristiges, eng geführt und begleitetes Lernen aufbauen und erst bei entsprechendem Stand metakognitiv erschließen lässt. Wie im vorausgehenden Kapitel hergeleitet wurde, verstehen wir unter „personalen Berufskompetenzen“ Fähigkeiten, Selbstwirksamkeit im beruflichen Tun wahrzunehmen und zu entwickeln, Lern- und Leistungsmotivation sowie Handlungskontrolle darin auf- und auszubauen, einen hohen Anspruch an die 220 Vgl. Nüesch, Metzger, 2010, S. 47f.
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eigene Arbeit, betriebliche Identifikation, Prozess- und Kundenorientierung, unternehmerisches und ökologisches Denken, eine generelle berufliche Entwicklungsorientierung sowie die Befähigung unter reflektiertem Einsatz von Lernstrategien selbstreguliert zu Lernen. Wie die hier im Einzelnen dargestellten Ausführungen über den Erwerb dieser Teilaspekte zeigen, betreten wir dabei einen Bezugsraum, der weit vor dem Wirkungsbereich technisch-beruflichen Lernens beginnt und der zugleich weit über diesen hinausweist. Unser spezifischer Lern- und Entwicklungsraum bietet nur eingeschränkte Möglichkeiten, personale Kompetenzen zu wecken und zu fördern. Nichtsdestotrotz sind sie hier von großer Bedeutung, da sie – wie der Ansatz von ERPENBECK & ROSENSTIEL postuliert – Basiskompetenzen für die fachlich-methodischen wie auch für die sozial-kommunikativen Kompetenzen darstellen. Aus dieser fundierenden und integrativen Position ergeben sich letztlich auch sehr spezifische Schlussfolgerungen für eine Förderung und Unterstützung im Erwerb personaler Kompetenzen, welche im folgenden Kapitel näher erörtert werden sollen.
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UNTERSTÜTZUNG DES KOMPETENZERWERBS Erschließungsfragen: – Was ist unter „Interaktion“ zu verstehen und welche Rolle spielt sie in der Didaktik? – Welche verschiedenen Interaktionsformen sind im beruflichen Unterricht möglich, was kennzeichnet sie und wie unterscheiden sie sich voneinander? – Welcher Zusammenhang besteht zwischen „Interaktion und Kommunikation“? – Welchen Störungen kann Kommunikation ausgesetzt sein und welche Auswirkungen können diese haben? – Worin besteht die Problematik der latenten Inhalte von Nachrichten? – Warum ist dem „Feedback“ in menschlichen Lernprozessen eine besonders bedeutsame Rolle beizumessen? – Welche Attribute kennzeichnen ein lerndienliches Feedback? – Welche verschiedenen Formen von Feedback können unterschieden werden? – Was kennzeichnet eine technikdidaktische Lernumgebung? – Welche Basiskomponenten weißt ein „technikdidaktisches Prozessmodell“ auf und wie hängen diese miteinander zusammen? – Wie kann über zwei verschiedene Lernorte ein gemeinsamer Kompetenzerwerb erfolgen? – Wie kann in den Betrieben und den Berufsschulen „Connectivity“ hergestellt werden? – Inwiefern ist für die Konkretisierung von Unterricht eine Gegenüberstellung der inneren und äußeren Prozesse beruflichen Lernens erforderlich? – Wie wird beruflicher Unterricht in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess übergeführt? – Wie erfolgt die Kompetenzvermittlung in den Betrieben? – Was kennzeichnet die „Vier-Stufen-Methode“ und wie ist sie zu bewerten? – Was kennzeichnet die „Leittextmethode“ und wie ist sie zu bewerten?
In den beiden vorausgehenden Kapiteln wurde berufliches Lernen als komplexer Kompetenzerwerb systematisch aufgearbeitet. In diesem Kapitel wird nun erörtert, inwiefern und womit der Erwerb von Kompetenzen für technische Berufe unterstützt werden kann. Dazu sind zwei Bezugskonzepte besonders bedeutsam: zum Einen das Konzept des Lehrens, zum Anderen jenes der Lernumgebung. Unter Lehren wird im traditionellen Sinne eine direkte Einflussnahme einer Lehrperson auf einen Lernenden verstanden. In dieses Begriffsverständnis passen die Instruktion, die Vorlesung, der Unterrichtsvortrag, aber auch das Unterrichtsgespräch oder die Unterweisung. Schon vor der Zeit der Reform146
pädagogik wurden direkte Lehr-Interventionen in Frage gestellt, da mit ihnen direktive oder auch autoritäre Komponenten in Verbindung mit dem Lernen gebracht wurden. Erkenntnisse darüber, dass Menschen relativ individualistisch lernen, und zwar dann am besten, wenn dies in einem anregenden und entsprechend ausgestatteten Ambiente erfolgt, führten zur Entwicklung von Lernumgebungen, so z.B. typisch im Ansatz von Maria Montessori. Angestrebt wurde dabei eine besonders „lehrreiche Umgebung“, die einerseits all jene Informationen und Anwendungen, welche vom lernenden Individuum erschlossen und in Wissen bzw. Kompetenzen umgewandelt bzw. ausgebaut werde soll, beinhalten sollte; andererseits sollte sie den Lernenden vielfältige Anreize und Hilfeleistungen für die Ausbildung, Aufrechterhaltung sowie für das erfolgreiche Abschließen eines Selbstlernprozesses bereitstellen. Anspruchsvolle Lernumgebungen, in denen die Möglichkeiten einer Autodidaktik überschritten werden sollen, sehen generell die Anwesenheit von Lehrpersonen vor. Dieses Lehren erfolgt jedoch über andere Initial- und Interaktionsprozesse als das traditionelle Lehren. Man spricht eher von Betreuung, Beratung, Anregung und Unterstützung. Dies schließt jedoch direkte Instruktionen in angemessenem Rahmen und Umfang nicht aus. Somit wird klar, dass das Konzept des Lehrens und das Konzept der Lernumgebung sich nicht entgegenstehen, sondern – gegenteilig – sich in einer aktuellen Vorstellung von Kompetenzförderung gegenseitig ergänzen und damit bedingen: „Keine Lernumgebung ohne Lehren, kein Lehren außerhalb einer Lernumgebung“ soll die Prämisse sein. An dieser Stelle sollen die ersten beiden Grundfunktionen der Didaktik nach EULER, die Planungs- und Steuerungsfunktion und die Ordnungsfunktion aufgegriffen und konkretisiert werden:221 Davon ausgehend, dass Lehren in jedem Falle planvolles Handeln ist, bildet die Didaktik zunächst die Grundlage zur Vorbereitung und Durchführung des Handelns der Lehrpersonen in Lehr-Lern-Situationen. Um dies angemessen und differenziert zu ermöglichen, muss sie entsprechende Herangehensweisen, Strukturen und Methoden bereithalten. Planung erfordert zudem entsprechende Begriffs- und Bezugssysteme für alle vielfältigen Komponenten und Partikel. Um Unterricht beschreiben bzw. auch erklären zu können, muss die Didaktik einen ordnenden Hintergrund bereitstellen, an welchem Eindrücke, Erfahrungen, Schlüsse und Erkenntnisse gespiegelt werden können. Aus diesem Anspruch ergibt sich sodann auch die Struktur für dieses und die nachfolgenden Kapitel des vorliegenden Lehrbuchs: Zunächst wird – unter 221 Vgl. Euler, 1997, S. 100-102.
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Klärung der entsprechenden Zusammenhänge und Begründungen – ein didaktisches Modell aufgebaut und ausdifferenziert, anschließend wird dessen konkrete Umsetzung erläutert und erörtert. Da es sich dabei um ein Prozessmodell handelt, wird die Umsetzung weitgehend dem intendierten technikdidaktischen Prozess folgen. Der Grundansatz dieses Prozessmodells geht auf die Annahme zurück, dass Lernen (und damit auch Kompetenzerwerb) ein Interaktionsprozess darstellt, dessen Qualität und Wirksamkeit in hohem Maße von den darin möglichen sowie stattfindenden Rückmeldungen abhängt. Daher werden diese beiden Bezugskonzepte im Vorfeld des Modellaufrisses erörtert.
4.1 Interaktion „Interaktion“ bedeutet in der deutschen Sprache zunächst nicht mehr als „Wechselbeziehung“. So wird mit diesem Begriff wird allgemein das Zusammenspiel von zwei beliebigen „Agenten“ beschrieben, z.B. von bestimmten Größen, Variablen, Konstrukten, Systemen oder auch Personen. Lernen wie auch Lehren stehen aus heutiger Sicht in enger Verbindung mit menschlichen Interaktionsprozessen, da in beiden Fällen nicht von einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auszugehen ist, sondern vielmehr von komplexen Wechselwirkungen einer Vielzahl von Faktoren. Aus pädagogischer Perspektive kann sich dies auf (1) intrapersonale Prozesse222 sowie auf (2) interpersonale Prozesse beziehen.223 Zu (1): Aus konstruktivistischer Sicht kann ein Lernprozess als interner Interaktionsprozess eines Subjekts vorstanden werden. Eine Autopoiesis lebt nicht aus passiver Betrachtung, sondern einer (zunächst geistig) aktiven Auseinandersetzung des lernenden Individuums mit Neuem. Äußere Eindrücke werden beobachtet und mit eigenen Vorerfahrungen verglichen. Gemäß dem daraus entstehenden Reizwert wird es hinsichtlich seiner Attraktivität bzw. Viabilität bewertet. Ob im Einzelnen assimiliert oder akkomodiert wird, entscheidet sich dann bei dem jeweiligen Versuch, das Neue in das bestehende Wissen einzufügen. Dies findet zunächst nur als geistige Aktivität statt und äußert sich erst sekundär verbal oder durch Handlungen.
222 Also auf Interaktionen, welche überwiegend innerhalb eines Subjekts ablaufen. 223 Also auf Interaktionen, welche zwischen mehreren Subjekten ablaufen.
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Schüler A Intrapersonale Interaktion
Schüler A Intrapersonale Interaktion
Reize
Reize
interpersonale Interaktion
Lehrer, Umwelt, Lerngegenstände, weitere Personen, ...
Abbildung 14: Zusammenhang zwischen intrapersonaler und interpersonaler Interaktion
Zu (2): „Interpersonale Lerninteraktion“ findet dann statt, wenn dem lernenden Subjekt im Lernprozess (mindestens) ein zweites Individuum gegenübersteht. Dieser Interaktionspartner kann ebenfalls lernintendiert sein, muss dies aber nicht. Ist dies der Fall, handelt es sich entweder um Mitlernende oder um Lehrende, andernfalls um beliebige Interaktionspartner. Da der einzelne Lernende, seine Mitlernenden und Lehrenden zwar ähnlichen aber nie gleichen Intentionen unterliegen, entsteht durch ihre Interaktion ein geteilter, aber auch inhomogener Interaktionsraum. Die intrapersonalen Interaktionen aller Beteiligten regen sich gegenseitig an und beeinflussen sich gegenseitig, indem sie sich in interpersonalen Interaktionen äußern (s. Abbildung 14). (1) ist also ohne (2) denkbar – ein Subjekt kann auch alleine lernen. (2) ist ausschließlich als Folge von (1) denkbar – ein geteilter Lernprozess bzw. ein Lehr-Lernprozess entsteht, indem sich zwei Subjekte einen „Lernraum“ interaktiv teilen. Abbildung 14 verdeutlicht zudem die Abhängigkeit aller äußeren Interaktionsprozesse von den inneren. Unabhängig davon, ob ein Schüler mit einem Vortrag konfrontiert wird oder einem anderen Lernenden gegenübersteht, in jedem Falle regeln die inneren Denkprozesse Auswahl und Zugang aller äußeren Reize und bestimmen damit auch jede Form von Lern-Interaktion. Aus diesem Zusammenhang kann aber auch umgekehrt geschlossen werden, dass Qualität, Vielfalt und Quantität der (im Gegensatz zu den Denkprozessen nach außen hin erkennbaren) interpersonalen Interaktionen ein zuverlässiges Abbild der intrapersonalen Interaktionen sind. Dies begründet nicht zuletzt die zentrale Bedeutung jeder äußerlich erkennbaren bzw. beeinflussbaren
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Interaktion innerhalb der Didaktik, da sich nur über die von der Lehrperson wahrnehmbaren Anteile des Lehr-Lern-Prozesses Interventionen vornehmen lassen und deren Umsetzung und Wirkungen registriert werden können. Mit anderen Worten: Die Lehrkraft weiß umso mehr über die Wirkung ihres Unterrichts, je mehr sie darüber bei den Schülern wahrnehmen und beobachten kann. Als Resultat dieser Betrachtungen ergeben sich für Lernprozesse drei unterschiedliche Interaktionsräume: (1) die „interne Lerninteraktion“ (ILI) als Raum ungeteilter geistig-aktiver Auseinandersetzung, (2) die „Lern-LernInteraktion“ (= externe Lerninteraktion ELI) als Raum eines (mehr oder weniger symmetrisch) geteilten Lernens und (3) die „Lehr-Lern-Interaktion“ (LLI) als Raum einer (asymmetrischen) Lehr-Lern-Auseinandersetzung: Zu (1): Geistig-aktive Auseinandersetzung bedeutet für ein lernendes Subjekt, sich mit etwas Neuem zu befassen um dieses kennen zu lernen, zu verstehen, zu überprüfen, zur Anwendung zu bringen etc. Verständnis, Einsicht, Erkenntnis sind die Resultate der Erfahrungen, die ein Subjekt in der Auseinandersetzung mit dem Neuen macht. Wie gut ein Individuum lernt, hängt somit zentral davon ab, wie gut es diese interne Interaktion beherrscht. Zentrale Faktoren sind hier neben Intelligenz und Begabung bereits bestehenden Kenntnisse und Fähigkeiten, Vorstellungsgabe, Abstraktionsfähigkeit, verfügbare Lerntechniken und Gedächtnis, aber auch Interesse und Motivation. Eine interne Lerninteraktion (ILI) besteht in der aktiven Aufnahme und Verarbeitung von Informationen z.B. aus einem Vortrag oder in der Auseinandersetzung mit Medien. Zu (2): Geteiltes Lernen entsteht dann, wenn zwei oder mehrere Lernende ihre geistige Auseinandersetzung zu einem gewissen Grad miteinander teilen. Anders ausgedrückt werden hier zwei oder mehrere ILI gekoppelt. Zu den bereits angesprochenen Aspekten aus (1) kommt nun die soziale Interaktion hinzu. Diese soziale Interaktion ist theoretisch symmetrisch, da beide Subjekte das gleiche Ziel haben und sich diesbezüglich austauschen und evtl. unterstützen. Da im Realfall jedoch immer unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Fähigkeiten vorliegen, sind in der externen Lern-Interaktion (ELI) Asymmetrien die Regel. Zu (3): Die Lehr-Lern-Interaktion (LLI) kann auch als „pädagogische Interaktion“ bezeichnet werden. „Das zentrale Merkmal der pädagogischen Interaktion besteht darin, dass ein oder mehrere Akteur(e) auf einen oder mehrere andere Akteur(e) in Richtung auf bestimmte Ziele erzieherischen Einfluss zu
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nehmen versuchen.“224 Damit wird deutlich, dass häufig die beiden vorausgehenden Interaktionsprozesse (1 u. 2) diesem Aspekt (3) ein- bzw. untergeordnet werden. Dies ist schlüssig, aus Sicht der Lehrkraft, da ihr gesamtes Wirken darauf zielen muss, die vorausgehenden Prozesse zu unterstützten. Grund dafür ist wiederum die Lernautonomie der Schüler. Wie bereits zuvor deutlich gemacht wurde, kann der Lehrer die Lernenden nicht „lernen machen“. Also ist die einzig direkt lernwirksame Interaktion die ILI, die jedoch über äußere Interaktionsprozesse beeinflusst, unterstützt, angereichert bzw. moderiert werden kann. Lehrinteraktionen besitzen somit generell den intentionalen Kern einer Förderung der ILI. Dies kann über verschiedene Wege erfolgen: 1. Direkte Unterstützung der ILI durch Lehrkommunikation (Vortrag, Präsentation, Unterrichtsgespräch, Instruktion …); 2. Direkte Unterstützung der ILI durch mediale Aufbereitung (Vorbereitung, Selektion, Reduktion, Bereitstellung von sachbezogenen Informationen, Vereinfachung von Zugangswegen, motivationale Maßnahmen, Übungsmaterialien …); 3. Indirekte Unterstützung der ILI durch Beeinflussung der ELI. Lerninteraktionen stellen sich dem gegenüber anders dar: 1. Unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand durch Ansehen, Lesen, Zusehen/-hören, Bearbeitung, Auf- bzw. Abschreiben, Zeichnen, Experimentieren etc.; 2. Mittelbare Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand durch Kommunikation über diesen mit Mitlernenden bzw. Lehrpersonen. Aus den bisherigen Betrachtungen wird deutlich, dass hier zwei sehr unterschiedliche Interaktionsszenarien vorliegen: einerseits die im Lernenden stattfindende ILI in Form einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Neuen, andererseits die darauf bezogenen interpersonellen Interaktionen (ELI + LLI), welche weitere Personen mit in den Lehr-Lern-Prozess einbinden. Das Zweite impliziert das Erste, ohne es genau wahrnehmen, einschätzen oder bemessen zu können. Somit muss eine Interaktionsplanung zwar die ILI antizipieren, kann sich aber ausschließlich in Form einer LLI ausdrücken. PERREZ/HUBER/GEISSLER ordnen die interpersonelle Interaktion (ELI + LLI) generell der „sozialen Interaktion“ zu. Sie definieren soziale Interaktion als einen Prozess, in welchem zwei oder mehr Menschen sich in ihrem Han224 Perrez, Huber, Geißler, 2006, S. 361, hier in Anlehnung an Brezinka, 1990.
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deln aufeinander beziehen.225 Damit wird neben dem Handlungsbezug der Aspekt der Kommunikation im Zusammenhang mit Interaktion deutlich. Zwei (oder mehrere Individuen) handeln wechselseitig auf Grund dessen, was sie diesbezüglich kommunizieren. Art, Umfang, Qualität und Effektivität einer Interaktion werden somit auch maßgeblich von der dabei stattfindenden Kommunikation bestimmt.226 Kommunikation bezeichnet auf menschlicher Ebene vereinfacht den wechselseitigen Austausch von Gedanken in Sprache, Schrift oder Bild. Wird Kommunikation aber vom menschlichen Subjekt abgekoppelt, spricht man bspw. von wechselseitigen Übermittlungsprozessen zwischen bestimmten Objekten, zwischen technischen Systemen oder auch zwischen Daten bzw. Signalen, die einen festgelegten Bedeutungsgehalt aufweisen. Dies erscheint jedoch gemäß dem sog. „Sender-Empfänger-Modell“ zunächst unzulässig:227 Dieses psychologische Modell ist sehr bekannt und wird als Basiskonstrukt in der Sprechakttheorie, der Nachrichtentechnik und der klassischen Informationstheorie, aber auch in Pädagogik und Didaktik angewandt.
225 Vgl. Perrez, Huber, Geißler, 2006, S. 359. 226 Mit der Maßgabe, dass auch im Bereich Kommunikation zwischen intrapersoneller und interpersoneller Kommunikation unterschieden werden kann, lassen sich Interaktion und Kommunikation gleichsetzen. Diese häufig anzutreffende Unschärfe führt zu einer (im hier wichtigen didaktischen Bezug) wenig wünschenswerten Vernachlässigung des Handlungsaspekts. 227 Es wird gerne diskutiert, ob die Teilnehmer einer Kommunikation Individuen sein müssen bzw. ob für Kommunikation ein Bewusstsein vorausgesetzt werden muss. In den technischen Disziplinen wird dies verneint und die Kommunikation als ein Prozess betrachtet, der den Zustand des Empfängers verändert. Aus philosophischer Sicht wäre dann allerdings zu fragen, ob es Kommunikation ohne „Verständnis“ und „Erinnerung“ überhaupt geben kann. Auch ist nach wie vor strittig, ob Kommunikation intentional (von einer Absicht begründet) sein muss bzw. ob es einseitige Kommunikation gibt.
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Situativer Kontext Störung
codierte Nachricht Kanal (Übertragungsmedium) codierte Antwort
Sender
Empfänger
Kommunikation wird als Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger definiert. Die Nachricht wird kodiert und als Signal über einen Übertragungskanal übermittelt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation ist, dass Sender und Empfänger die gleiche Kodierung für die Nachricht verwenden. Auf ihrem Weg vom Sender zum Empfänger kann die Nachricht durch Störungen verfälscht werden.
Abbildung 15: Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation
Bei genauerer Betrachtung des Modells wird jedoch deutlich, dass Gegenstände oder technische Systeme sehr wohl eine Rolle in der menschlichen Kommunikation spielen. Sie können zwar nicht die Rolle von Sender oder Empfänger einnehmen, da sie zu keinen gedanklichen Leistungen fähig sind, können aber als Medien die Kommunikation maßgeblich bestimmen. Dabei ist generell zwischen zwei verschiedenen Medientypen zu unterscheiden: (1) die Übertragungsmedien (Informationskanal) und die (2) Informationsmedien: Übertragungsmedien werden immer dann genutzt, wenn die humanen Medien (Sprache, Gestik, Mimik) nicht ausreichen. Z.B. benutzt man einen Brief oder ein Telefon, um eine Information weiterzutragen. Informationsmedien werden im Sinne von Speichern genutzt. Sie entlasten das menschliche Gedächtnis wenn zu viele Informationen vorliegen oder die Gefahr besteht, diese zu vergessen. Z.B. kann ein Foto etwas festhalten, was man erstens so genau nicht beschreiben könnte und zweitens wahrscheinlich im Detail auch schnell vergessen würde. Beide Medien können auch in kombinierter Form vorgefunden werden, z.B. in den Massenmedien, wo unzählige Informationen über große Räume und Distanzen verbreitet werden. Die Position der Übertragungsmedien im vorliegende Modell (s. Abb. 15) ist gekennzeichnet, wo aber befinden sich hier die Informationsmedien?
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Rahmenbedingungen
Rahmenbedingungen Störung
Störung InformationsMedium
codierte Nachricht InformationsMedium
Kanal (Übertragungsmedium)
codierte Nachricht Kanal (Übertragungsmedium) codierte Antwort
codierte Antwort
Sender? Empfänger
Empfänger Sender
Abbildung 16: Position von Informationsmedien im Sender-Empfänger-Modell
Wie Abbildung 16 zeigt, kann ein Informationsmedium einen Sender nicht ersetzen. Dies kann auf den ersten Blick z.B. bei computergestützten, sog. „interaktiven“ Medien scheinbar der Fall sein, bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass jedes Informationsmedium (auch ein Computerprogramm) von einem Individuum entwickelt und bereitgestellt werden muss. Zudem schließt sich der Kreis auch erst dann zur Kommunikation, wenn sich der Autor eines Informationsmediums in irgendeiner Weise mit dem Feedback der Empfänger auseinandersetzt. Damit ergeben sich aus kommunikativer Perspektive drei vorstellbare Kommunikationsräume: (1) die intrapersonelle Kommunikation, (2) die unmittelbare interpersonelle Kommunikation und (3) die mittelbare interpersonelle Kommunikation. Raum (1) entspricht weitgehend der vorausgehend betrachteten ILI. Die Räume (2) und (3) sind aus didaktischer Perspektive sehr unterschiedlich zu betrachten: Während in (2) die zwischenmenschlichen Aspekte eine zentrale Rolle einnehmen, sind in (3) die medialen Aspekte entscheidend. Zu (2): Im Sinne von SCHULZ VON THUN228 besitzt jede Nachricht neben dem Sachinhalt (a) auch Aspekte der Selbstoffenbarung (b), der Beziehung (c) und des Appells (d). Ohne dies hier näher ausführen zu wollen, kann festgestellt werden, dass eine rein fachliche Kommunikation in unmittelbaren LehrLern-Prozessen unmöglich ist. Unabhängig davon, was eine Lehrperson intendiert und explizit sagt, vermittelt sie in jedem Falle darüber hinausgehende, implizite Aspekte (s. Abbildung 17).
228 Vgl. Schultz von Thun, 1994, S. 19.
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Sachinhalt
Selbstoffenbarung
Nachricht
Appell
Beziehungshinweis
Abbildung 17: Nachrichtenquadrat nach Schulz von Thun229
Unmittelbare Lehr-Lern-Kommunikation findet somit immer innerhalb einem impliziten psycho-sozialen Raum statt, welcher der Lehrkraft zumindest bewusst sein sollte, um kontraproduktive Wirkungen zu vermeiden. Je weiter die Lehrziele im affektiven, sozialen bzw. emotionalen Bereich liegen, desto expliziter müssen die Aspekte der Selbstoffenbarung, der Beziehung und des Appells mit in die Unterrichtsgestaltung einbezogen werden. Dies betrifft insbesondere Aspekte der Lehr-Lern-Interaktion, der Sozialformen und der Führungsstile, welche an späterer Stelle weiter ausgeführt werden. Zu (3): Gegenüber der unmittelbaren Kommunikation ist die Kommunikation über Informationsmedien relativ sachlich. Zwar können die unter (2) angesprochenen Aspekte auch hier wirksam werden. Dies verliert jedoch sicher an Wirkung durch die fehlende Präsenz des Senders, zudem sinkt die Wahrscheinlichkeit einer unbewussten oder unbeabsichtigten Kommunikation durch die fehlende Situativität. Für die Gestaltung von Informationsmedien gelten (ebenso wie jene der Übertragungsmedien) somit gegenüber der Gestaltung personeller Lernkommunikationen eigenständige Gesetzmäßigkeiten. Dies wird unter dem Aspekt der Medien später näher erörtert (s. Kap. 0). Zusammenfassend ist festzustellen, dass Lernen mit einer interpersonalen Interaktion beginnt, indem sich ein Individuum aktiv mit Neuem auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung wird durch Kommunikation mit anderen Subjekten bereichert. Sind diese als Mitschüler oder Lehrpersonen intentional am Lernprozess beteiligt, entstehen externe Lerninteraktionen bzw. LehrLern-Interaktionen. Da die Kommunikation die Koppelung aller an einem 229 Vgl. Schultz von Thun, 1994, S. 19.
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Lernprozess beteiligten Individuen herstellt, bestimmt diese maßgeblich über Qualität und Wirkung der gesamten Lehr-Lerninteraktion.
4.2 Feedback Wenn Lernen bzw. Kompetenzerwerb als komplexer und mehrschichtiger Interaktionsprozess verstanden wird, ist den für jede Form von Interaktion generell erforderlichen Rückmeldungen eine bedeutende Rolle beizumessen. Sowohl in konstruktivistischen als auch in kognitivistischen Lerntheorien wird davon ausgegangen, dass das Individuum Lernfortschritte nur in dem Maße verwerten kann, in dem es sich deren versichert hat. Bezogen auf den Erwerb von fachlich-methodischen Kompetenzen sind insbesondere kognitive Bestätigungsrückmeldungen, die sich auf die Richtigkeit von Konzepten, Handlungen oder Lösungen beziehen, bedeutsam. Für den Erwerb sozial-kommunikativer Kompetenzen sind – neben kognitiven Bestätigungen – insbesondere Verhaltensrückmeldungen bedeutsam. Das Individuum orientiert sich sozial an den anderen und sucht nach Bestätigungen für sein richtiges Verhalten. Soziale Verstärker sind Rückmeldungen, die vom sozial Agierenden unmittelbar mit seinem Verhalten in Verbindung gebracht werden und ihn bestätigen oder zu Veränderungen in seinem Verhalten aktivieren. Für den Erwerb personaler Kompetenzen sind vielfältige motivationale und volitionale Rückmeldungen sowie Rückmeldungen über die Wirksamkeit des eigenen Handelns erforderlich. Schließlich hat sich erwiesen, dass Lernkompetenzen weitgehend über Metakognition entwickelt werden können, also über innere Rückmeldungen bezüglich dem eigenen Denken und Problemlösen. Kompetenzentwicklung wird somit in seiner ganzen Breite von verschiedenartigsten nebeneinander aber auch miteinander eintretenden Rückmeldungen bestimmt. In einer zusammenfassenden Metaanalyse über 180.000 Einzelstudien haben HATTIE/TIMPERLEY230 zunächst die am häufigsten erforschten Feedbackkomponenten identifiziert und hinsichtlich ihrer Effektstärken231 gegenübergestellt. Gemäß dieser Studie sind für das kognitive Lernen vor allem sachliche Hinweise,232 Zielklärungen233 und Korrekturen234 wichtig. In 230 Vgl. Hattie, Timperley, 2007, S. 84. 231 Als Effekte werden in diesen Studien erfahrungsgemäß Lernerfolge erhoben, dies umfasst in vielen Fällen die einfache Wiedergabe von Wissen, aber auch das Lösen von Aufgaben sowie komplexe Problemstellungen. 232 Effektstärke 1.10 233 Effektstärke 0.46
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Lernhandlungen zählt zentral das unmittelbare Wahrnehmen des Handlungserfolgs.235 Im Verhaltensbereich ist vor allem persönliche Bestärkung236 entscheidend, zudem sind audiovisuelle Selbst-Reflexionen sehr wirksam.237 Darüber hinaus lassen sich verschiedene Attribute für Rückmeldungen ableiten: 1. Direktheit: Eine sofortige, wenig komplexe Rückmeldung ist gegenüber einer verzögerten, komplexen deutlich wirksamer.238 Daher sollten Feedbacks nicht erst am Ende längerer Lernstrecken eingeleitet werden. Besser sollte das Lernszenario so aufgebaut sein, dass es aus sich heraus immer wieder Feedbacks leistet oder fordert (z.B. durch komplexe Aufgaben oder Kontrollfragen). Allerdings sollte dies nicht als Aufruf zu einer Überhäufung des Lernprozesses mit permanenten Rückmeldungen verstanden werden, da die Menge der Feedbacks generell in keinem Zusammenhang mit deren Wirksamkeit steht.239 2. Sachlichkeit: Rückmeldungen in Form von klaren sach- oder situationsbezogenen Hinweisen haben die höchste Wirksamkeit,240 da sie unmittelbar zugeordnet und umgesetzt werden können. Bestätigungsrückmeldungen241 führen dabei zu stärkeren Wirkungen als Fehlerrückmeldungen,242 was nicht als ein Aufruf zur Fehlervermeidung verstanden werden, sondern vielmehr die Bedeutung von Erfolgen akzentuieren soll. 3. Neutralität: Feedbacks sollten von persönlichen Bewertungen möglichst frei gehalten werden. Im Zusammenhang mit Bemängelung, Strafe, aber auch Lob, wurden nur geringe, teilweise negative Effekte nachgewiesen.243 4. Anspruch: Rückmeldungen sollten nicht den Anspruch bzw. den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe relativieren oder aufweichen. Gegenteilig soll-
234 235 236 237 238 239 240 241 242 243
Effektstärke 0.37 Effektstärke 0.95 Effektstärke 0.94 Effektstärke 0.64 Effektstärke im Unterschied zwischen „unmittelbarer“ und „verzögerter“ Rückmeldung 0.34, Effektstärke im Vergleich „wenig komplexe“ Rückmeldung – „komplexe“ Rückmeldung 0.55 vs. 0.03. „Wenige“ Feedbacks stehen „gehäuften“ Feedbacks mit einer Effektstärke von 0.32 zu 0.39 gegenüber. Effektstärke 1.10 Effektstärke 0.43 Effektstärke 0.25 Effektstärke bei „Strafe“ 0.20, bei „Lob“ 0.14, Vergleich zwischen „Lob“/„kein Lob“ 00.9 vs. 0.34, „entmutigende“ Rückmeldungen -0.14.
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ten sie sich an angemessenen und herausfordernden Zielen orientieren,244 da einige Lernende sonst nicht ihre Lösung, sondern vielmehr die Aufgabe selbst in Frage stellen. Die Lernenden bekommen im Eigen-, Lehrer- und Schülerfeedback Rückmeldungen über ihr Wissen, ihre Kompetenzen sowie über soziale als auch personale Aspekte. Dabei hat jede Art der Rückmeldung eine eigenständige Charakteristik: Eine Eigenrückmeldung erfolgt im relativ engen Spektrum dessen, was der Einzelne von sich selbst wahrnehmen kann bzw. will. Sie wird daher von der „Vorauswahl des Erwünschten“ und einem „Eingangsfilter des Erwarteten“ beeinflusst. Daher sind Eigenrückmeldungen vor allem im Bereich der fachlich-methodischen Kompetenzen, aber auch in jenem der personalen Kompetenzen relevant. In erstem Falle deshalb, weil hier Vorauswahl und Eingangsfilter auf Grund der Sachlichkeit kaum zur Wirkung kommen werden, in zweitem Falle, da hier gerade der Umgang mit Vorauswahl und Eingangsfilter zur Kompetenzentwicklung beiträgt. Wie vorausgehend beschrieben, geht es bei diesen Feedback-Überlegungen um den Aufbau von Motivation und Selbstwirksamkeit. Beides hängt zentral damit zusammen, was man sehen will, was man an sich heran lässt und wie man es verarbeitet. Insbesondere selbstreguliertes Lernen und die darin zentralen Problemlösungsprozesse sind ohne Selbstreflexion nicht denkbar.
244 Effektstärke bei „anspruchsvollen Zielen“ 0.51, bei „einfachen“ oder „beliebigen Zielen“ 0.35.
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Abbildung 18: Selbstreflexion als entscheidendes Bindeglied in zirkulären Problemlösungsprozessen245
Im Modell von ZIMMERMAN & CAMPILLO (s. Abb. 18) verbindet die Selbstreflexionsphase die Arbeitsphase mit der Antizipationsphase und erweist sich somit als entscheidendes Bindeglied zirkulärer Problemlösungsprozesse.246 Schülerrückmeldungen erfolgen im breiteren aber leider relativ zufälligen Spektrum dessen, was die Mitschüler wahrnehmen, wie sie es interpretieren und rückkoppeln. So sind sie für den Adressaten im fachlich-methodischen Bereich interessant, jedoch bezüglich ihrer Richtigkeit nicht sicher. Daher erfordern sie eine Verifizierung. Im personalen Bereich sind sie sehr bedeutsam, da der Lernende diese dem Eigenfeedback gegenüber stellen und es damit relativieren kann. Am bedeutendsten sind Schülerrückmeldungen für die Entwicklung sozial-kommunikativer Kompetenzen, da diese ausschließlich in sozialer Interaktion entwickelt werden können. Lehrerrückmeldungen repräsentieren für die Lernenden in erster Linie die fachliche Referenz und sind daher entscheidend für die Verifizierung und Objektivierung des erworbenen Wissens. Bezogen auf soziales Lernen stellen sie ein wichtiges Korrektiv dar, vor allem immer dann, wenn die ablaufenden 245 Vgl. Zimmerman, Campillo, 2003. 246 Vgl. Zimmerman, 2008, S. 178.
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sozialen Prozesse defizitär oder kontraproduktiv werden. Die in erster Linie von Eigenrückmeldungen abhängige Entwicklung personaler Kompetenzen kann durch Lehrerrückmeldungen gut ergänzt werden, wenn diese darauf ausgerichtet sind, Motivation und Selbstwirksamkeitserwartung aufzubauen. Dies erfolgt vor allem beim Aufbau von Leistungsmotivation durch sachliche Aussagen über das Erreichte und Noch-Zu-Erreichende, bei der Erfahrung von Selbstwirksamkeit durch Akzentuierung dessen, worin das Schülerhandeln wirksam wurde. In kollektiven Lernformen wurde nachgewiesen, dass die Lernenden ihre persönliche Effektivität in hohem Maße aus der ihnen zurückgemeldeten Gruppeneffektivität ableiten.247 Bzgl. der Rückmeldung durch „interaktive Medien“, also multimediale Computer, werden in der vorausgehend bezogenen Studie von HATTIE & TIMPERLEY hohe Effektstärken konstatiert (0.52). Auch wird festgestellt, dass das Computerfeedback in vielen Fällen gegenüber dem „menschlichen“ Feedback wirksamer ist.248 Diese Pauschalisierung erscheint jedoch angesichts der vielfältigen Möglichkeiten von Computerfeedback und der dabei vorstellbaren Qualitätsunterschiede sehr verkürzt. Zudem belegt ein weiterer Befund, dass Rückmeldungen aus programmierten Instruktionen sogar negative Effekte herbeiführen können. Daher kann davon ausgegangen werden, dass interaktive Medien interessante und produktive Lernrückmeldungen leisten können, dies jedoch – wie im Falle der „Human-Rückmeldungen“ – entscheidend davon abhängt, wie das Feedback von denjenigen, die das Medium gestalten, antizipiert und konzeptionalisiert wird und wie gut es gelingt, das rückmeldende Medium an das lernende Individuum anzupassen. Feedback ist in organisierten Lehr-Lernprozessen jedoch nicht nur für die Schüler essenziell. Sowohl für die Konzeption eines mediengestützten, hochgradig schüleraktiven Unterrichts als auch für dessen Durchführung ist es für die Lehrperson entscheidend, zu wissen, wie die Lernenden damit zurechtkommen. Das betrifft zunächst die fachlich-inhaltliche Seite, also die Frage, ob das vermittelte bzw. zu vermittelnde Wissen der Schülergruppe angemessen ist und zudem die methodische Seite, also die Frage, ob die Zugänge für die Lernenden so angelegt sind, dass sich möglichst viele von ihnen darin zu Recht finden. Da die Lehrperson jedoch auch personale und sozial-kommunikative Kompetenzen vermitteln soll, benötigt sie selbst auch auf der persönlichen Ebene intensive Feedbacks von den Lernenden. Dies erfolgt zum Einen durch intensive Beobachtung der Einzel- und Gruppenarbeiten, zum Anderen 247 Vgl. Wing-yi Cheng et al., 2008, S. 208f. 248 Effektstärke „Computerfeedback“ 0.41 vs. „menschliches Feedback“ 0.24.
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aus formellen, aber auch informelle Einzel- bzw. Gruppengesprächen. Schließlich ist für einen guten Unterricht langfristig auch das Arbeitsklima im Unterricht bedeutsam. Daher benötigen Lehrende auch Rückmeldungen darüber, welche Qualität das Klassenklima in ihrem Unterricht erreicht. Im Gegensatz zu den Lernenden ist somit das Lehrerfeedback nicht auf einen direkten, individuellen Lernerfolg ausgerichtet, sondern zum Einen auf die Wirksamkeit von Materialien, Medien und lernunterstützender Maßnahmen, zum Anderen auf das persönliche Wirken der Lehrperson selbst. Da vor allem im zweiten Aspekt die Gefahr eines engen Blickwinkels bzw. der Selbsttäuschung besteht, ist hier zur Objektivierung eine Formalisierung bzw. Instrumentalisierung anzuraten. Dies wird später unter dem Aspekt der Evaluation näher erörtert. Ebenso wie Interaktion und Kommunikation erweisen sich Rückmeldungen als essenzielle Komponenten des Lehr-Lernprozesses. Die Lernenden benötigen ständig gutes Feedback für eine effektive und effiziente Kompetenzentwicklung. Lehrende können Lernumgebungen nur dann angemessen gestalten, betreuen, modifizieren und optimieren, wenn auch sie entsprechend gute Rückmeldungen über die Lernprozesse und -wirkungen erhalten.
4.3 Technikdidaktische Lernumgebungen Allgemein soll in der vorliegenden Technikdidaktik unter Lernumgebung ein Szenario verstanden werden, in welchem berufsbezogene Kompetenzentwicklung möglich bzw. wahrscheinlich ist. Da sich Didaktik weitgehend mit der gezielten Unterstützung von Kompetenzentwicklung auseinandersetzt, werden unorganisierte, zufällige, lebensweltliche also informelle Lernumgebungen ausgeschlossen. In diesem ist der Lernende auf sich alleine gestellt, also Autodidakt. Dass eine gute berufliche Didaktik auf diesen Raum jedoch vorbereiten muss, soll damit nicht ausgeschlossen werden – gegenteilig ist eine Vermittlung von Berufskompetenzen im Allgemeinen und von Lernkompetenzen im Besonderen gezielt darauf ausgerichtet, Facharbeiter und Handwerker auf informelles Lernen vorzubereiten und zu befähigen. Wenn im Folgenden nun der Begriff der Lernumgebung verwendet wird, ist jedoch immer eine intentionale, also organisierte und betreute Lernumgebung gemeint. Nach GUDJONS vollzieht sich didaktische Interaktion, indem sich „Sinndeutungen und Handlungen des einen am Tun des anderen ausrichten. Die dabei auftretenden Prozesse sind vielfältig methodisch organisiert und auf die Lern-
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bedingungen und Adressaten ausgerichtet, bleiben jedoch immer mittelbar.“249 Daraus leitet sich zunächst ab, dass der Zusammenhang zwischen dem Erwerb von Kompetenzen und dessen Unterstützung (1) ein mittelbarer ist und (2) durch Interaktion herbeigeführt wird. Bezogen auf den schulischen Lernraum definiert MEYER Unterricht als „die planvolle pädagogische Interaktion von Lehrenden und Lernenden zum Zwecke der Aufklärung und der Vermittlung von Handlungskompetenz“.250 Zu (1): Wie die Begrifflichkeit der Unterstützung von Kompetenzentwicklung schon andeutet, kann dieser Prozess (bzw. diese Leistung) dem Lernenden nicht abgenommen werden. Kompetenzentwicklung kann ausgelöst, angeregt, moderiert, betreut, hinterlegt, ausgestattet, rückgemeldet etc., jedoch nicht von außen gesteuert oder direkt herbeigeführt werden. Somit beläuft sich dies auf eine intendierte Einflussnahme. Die Unterstützung von Kompetenzentwicklung ist damit generell ein Handeln, dessen Erfolg bestimmte Wirkungen bei anderen, eigenständigen Individuen voraussetzt und stellt sich als ein Versuch dar, der gelingen oder scheitern kann. Zu (2): Dieser mittelbare Prozess besteht in einer Interaktion, also einer wechselseitigen Einflussnahme. Damit stehen nicht die Lehrenden als Subjekte den Lernenden als Objekten gegenüber, vielmehr finden wechselseitige Prozesse zwischen gleichwertigen Individuen statt. Dies bedeutet, dass Lehren keine „kommunikative Einbahnstraße“251 sein kann, sondern in vollständigen Handlungen aus Aktionen und Rückmeldungen erfolgt. Es bedeutet auch, dass Lehren und Lernen als (phasenweise) parallel verlaufende und kommunikativ verknüpfte komplexe Handlungen aufzufassen sind. Somit kommt allen vermittelnden Elementen (Medien) in Lehr-Lernprozessen große Bedeutung zu. Lehrprozesse sind gemäß dieser Grundlagenbetrachtung den Lernprozess antizipierende, vorbereitende, ausstattende, begleitende etc. Lehreraktivitäten, welche über Planungselemente gesteuert, über Feedbackprozesse geregelt und durch Medien unterstützt werden. Aus dieser Grundannahme wird nachfolgend ein technikdidaktisches Prozessmodell hergeleitet.
249 Gudjons, 2001, S. 175. 250 Meyer, 1997, S. 27. 251 Im Sine des „Sender-Kanal-Empfänger“-Modells von Kommunikation.
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4.3.1 TECHNIKDIDAKTISCHES PROZESSMODELL Lehr- und Lernprozess stehen sich zunächst „unabhängig“ gegenüber. Der Lehrprozess ist umfassender und tangiert den Lernprozess nur in der Phase des Unterrichts und einem Teil der Evaluation. Der Lehrprozess ist dabei als Kette zu betrachten, welche mehr oder weniger weiten, ineinander verschränkten Kreisläufen entspricht.252 Der Lernprozess entspricht eher den (im Bereich Lernen) erörterten Vorstellungen einer rekursiven Autopoiesis und führt zu individuellen Lernwirkungen. In der Planung werden zunächst die intendierten Lernwirkungen antizipiert, um entsprechende Schwerpunktsetzungen, Aufteilungen, etc. vornehmen zu können. In der Vorbereitung wird der eigentliche Lernprozess antizipiert und demgemäß Vorgaben für die LehrLerninteraktion verfasst sowie Unterrichtsmaterialien und -medien erstellt bzw. bereitgestellt. Der Unterricht vollzieht sich durch die Konfrontation der Lernenden mit den Materialien und Medien und die reale didaktische Interaktion.253 Eine Evaluation verfolgt das Unterrichtsgeschehen, um anschließend zu Rückschlüssen auf alle Teile der Handlungskette zu gelangen.254 Das skizzierte Modell macht u.a. deutlich, dass sich Lehrprozesse gegenüber den mit ihnen zusammenhängenden Lernprozessen sehr unterschiedlich darstellen. Der Lernprozess kann als ein relativ geschlossener Heurismus betrachtet werden, welcher zwar auf Eingangsimpulse reagiert und mit anderen Individuen interagiert, dabei aber eigenständige Entwicklungen vollzieht und zu hochindividuellen Wirkungen führt. Der Lehrprozess entspricht (idealisiert) eher einer komplexen Handlungskette, mit räumlich, zeitlich und interaktiv voneinander differenzierbaren Abschnitten. Generell kann er als „vollständige Handlung“ im Sinne der Handlungsregulationstheorie gesehen werden, da er in sich einen Kreislauf aus Planung, Durchführung und Rückmeldung darstellt. Diese „vollständige“ Gesamthandlung zergliedert sich jedoch (wie bereits angesprochen) in viele ineinander verschränkte Teilzyklen.
252 Z.B. kann sich ein Gesamtkreislauf des Lehrens aus „Planung“, „Konzeption“, „Unterricht“ und „Evaluation“ ergeben, aber auch, wenn das Konzept „steht“ und funktioniert, nur aus „Unterricht“ und „Evaluation“. 253 Diese kann, muss aber nicht der geplanten Interaktion entsprechen. 254 Z.B. Rückschlüsse über das persönliche Wirken der Lehrkraft aus der Unterrichtsinteraktion, über die spezifischen Konzepte und Materialien aus deren Umsetzung bzw. Einsatz und (evtl. auch) über die Richtigkeit der Ausgangspunkte, der gesetzten Schwerpunkte und Verteilungen.
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Ausgangspunkte, Schwerpunkte, Verteilung, … Konzepte, Materialien, … persönliches Wirken
Orientierung, Antizipation
Unterrichtsprozess
Medien
Vorbereitungsprozess
Interaktion
Planungsprozess
Evaluationsprozess
Information
Lernprozess
Lernwirkungen
Unterricht Abbildung 19: Modell der Verschränkung von Lern- und Lehrprozess
Ein Lehrprozess ist somit der Versuch, durch eine antizipativ geplante und vorbereitete, materiell unterstützte und rückgekoppelte Interaktionssituation eine Gruppe von Individuen dahingehend zu perturbieren, dass diese sich in eine intendierte Richtung entwickeln. Unabhängig, wie gut oder schlecht, einfach oder aufwändig, kurzfristig oder langfristig etc. dieser Versuch ist, kann er auf Grund der Rekursivität des Lernprozesses erfolgreich oder erfolglos sein. Die systemische Geschlossenheit individueller Lernprozesse macht die Ableitungen von Kausalitäten im Lehr-Lernzusammenhang generell schwierig. Zudem befasst sich Unterricht nicht mit einzelnen Lernenden, sondern mit Lerngruppen, und damit mit einer Vielzahl unterschiedlicher, unabhängiger Heuristiken, welche sich mehr oder weniger gegenseitig beeinflussen. Daher kann sich die Gestaltung eines Lehrprozesses auch nicht an exakten Regeln, Rezepten, Algorithmen, etc. orientieren, sondern wird selbst zu einem komplexen, (sowie personenbezogen bzw. situationsbezogen) individuellen Heuristiken.
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4.3.2 GETEILTE KOMPETENZENTWICKLUNG IN DER DUALEN AUSBILDUNG Ginge man von geschlossenen Ausbildungskonzepten an den berufsbildenden Schulen bzw. in den Betrieben aus, wäre die Unterstützung des Kompetenzerwerbs angehender Facharbeiter und Handwerker aus institutioneller Perspektive relativ einfach handhabbar. Das im deutschsprachigen Raum dominierende duale System beruflicher Bildung bedingt jedoch zwei korrespondierende Lernorte. Traditionell sieht dieses staatlich partizipierte Wirtschaftsmodell vor, dass die Ausbildung weitgehend in den Betrieben stattfindet, jedoch durch berufsschulischen Unterricht unterstützt wird. Der Einbezug einer Berufsschule geht auf die ehemalige Fortbildungsschule zurück, deren Auftrag einer ergänzenden allgemeinen und beruflichen Bildung durch Georg Kerschensteiner präzisiert wurde. Seitdem es die Berufsschule gibt, sieht sich diese nicht als Appendix der Betriebsausbildung, sondern konstatiert einen eigenständigen Anspruch, welcher eine Bildung des Facharbeiters bzw. Handwerkers über seinen fachlichen und betrieblichen „Tellerrand“ hinaus durch den Beruf und für das Leben konstatiert. Diese historischen Grundsätze wurden durch den Kompetenzansatz neu aufgegriffen und die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten etablierte Festlegung des Betriebes als praktischen und der Schule als theoretischen Lernort relativiert. Unabhängig davon, welches Konstrukt von Kompetenz aufgegriffen wird, das der KMK oder das von ERPENBECK & ROSENSTIEL, aus beiden Ansätzen kann keine klare Differenzierung in zwei getrennte, dabei aber korrespondierende Lern- bzw. Entwicklungsphasen abgeleitet werden, gegenteilig akzentuieren beide Ansätze genau das Gegenteil: sie gehen von hochgradig integrierten Kompetenzentwicklungsprozessen aus, in welchen nicht nur Denk- und Handlungsaspekte ineinander verschränkt sind, sondern auch kognitive, emotionale und psychomotorische Komponenten sich in ihrer Entwicklung gegenseitig bedingen und bestimmen. Demgegenüber steht das tradierte Nebeneinander der beiden Lernorte und deren langjährig etablierte Differenzierung. Diese Differenzierung wird nicht nur durch die unterschiedlichen Lernumgebungen und -konzepte deutlich, sondern vor allem durch die erheblichen Unterschiede beim Bildungspersonal: In den Betrieben sind dies die AusbilderInnen, in den Schulen die BerufsschullehrerInnen. AusbilderInnen sind als Meister Praxisexperten und verfügen über ein hohes Maß an Arbeitsprozess- und aufgabenbezogenes Erfahrungswissen. BerufsschullehrerInnen sind wissenschaftlich ausgebildete Theorieexperten und verfügen über ein hohes Maß an Fach- und Bezugswissen.
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Eine Bemängelung dieser Tatsache erscheint an dieser Stelle müßig. Die Lernortteilung ist faktisch und hat sich über einen sehr langen Zeitraum, in welchem einige Paradigmenwechsel vollzogen wurden, letztendlich durch die Konstanz des deutschen Konzepts des Facharbeiters bzw. Handwerkers bewährt. In Staaten, in welchen die Berufsausbildung überwiegend schulisch gehandhabt wird, besteht das gleiche Problem in der umgekehrten Richtung: Hier sind viele Betriebspraktika erforderlich und es stellt sich gleichermaßen die Frage, wie hier nun eine integrative Kompetenzentwicklung stattfinden kann. Diese Fragen lassen sich wissenschaftlich aktuell nicht ausschöpfend behandeln. Wie die zurückliegenden Jahre zeigen, hat sich die Berufsschule vor allem wegen den Lernfeld-Lehrplänen deutlich den Szenarien betrieblicher Ausbildung angenähert. Dies ist einerseits positiv zu sehen, da in der Vergangenheit immer wieder mehr Praxisnähe angemahnt wurde. Andererseits ist es auch mit Skepsis zu sehen, da die Berufsschule nicht in der Lage ist, eine berufliche Realität zu substituieren und zudem weder die Mittel noch die Zeit hat, Berufskompetenzen in ihrer „Ganzheit“ zu vermitteln. Der Lernort Berufsschule kann innerhalb der dualisierten Berufsbildung nur bestehen, wenn er seine Identität akzentuiert, anstatt sie zu verwässern. Diese Identität muss auf der Zuständigkeit und Verantwortung für die wissenschaftlich-theoriebezogenen Anteile der Berufsausbildung aufbauen. Betriebe und Berufsschulen müssen im dualen System eine „symbiotische Einheit“ bilden, in welcher jeder des anderen bedarf, um zu dem gemeinsam anvisierten Ziel zu gelangen.255 „Duale Ausbildung entfaltet sich somit nicht als organisatorischer Dualismus von schulischer Theorievermittlung und betrieblicher Theorieanwendung, sondern muss als ein lernortübergreifendes Lehr-Lernarrangement […] begriffen werden.“256 Dass dieses lernortübergreifende Lehr-Lernarrangement funktioniert, setzt voraus, dass die Auszubildenden in der Lage sind, die beiden Lernorte und deren unterschiedlichen Beitrag zu ihrer Kompetenzentwicklung zu integrieren. Wie aufwändig und schwierig dies für den Einzelnen ist bzw. wie gut es gelingt, kann dabei in hohem Maße von den Schulen und den Betrieben beeinflusst werden. Beide Lernorte müssen Brücken bauen und Bezugspunkte markieren, die den Lernenden generell signalisieren, dass der andere Lernort wichtig und bedeutsam ist. Zudem sollten sie fachlich ineinander verzahnt sein, damit sich anstelle von Verzögerungen, Unklarheiten oder Brüchen zwischen Betrieben und Schulen möglichst 255 Vgl. Straka, 2001, S. 30 (Diagramm). 256 Sloane, 2001, S. 190.
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viele Ansatzpunkte für den wechselseitigen Transfer von theoretischen und praktischen Kompetenz-Komponenten ergeben. Die Rolle der Berufsschule zeichnet sich dabei hinsichtlich der beruflichen Realität als (1) antizipativ ab, hinsichtlich des Erreichens der Bildungsziele als (2) prospektiv. Dies hat Konsequenzen für technischen beruflichen Unterricht. Zu (1): Technischer beruflicher Unterricht kann nur in dem Maße kompetenzförderlich sein, indem er von den Lernenden in die von ihnen wahrgenommene berufliche Realität eingeordnet werden kann. Umgekehrt: Je weiter entfernt der Unterricht von deren aktueller Praxis ist, desto mehr „träges Wissen“ wird produziert. Alles zu vermittelnde Wissen muss also in Bezug zu dessen realem Anwendungskontext gesetzt werden. Zu (2): Das letzte aber entscheidende Feedback über die Wirksamkeit beruflichen Unterrichts erfolgt aus dem Grad der erreichten beruflichen Handlungskompetenzen der Lernenden. Diese Rückmeldung ist jedoch zeitlich zu langfristig, ursächlich zu unscharf und zu komplex, um daraus Schlüsse auf den Unterricht ziehen zu können. Daher ist es erforderlich, direktere Rückmeldungen für den Unterricht zu finden, welche zu einem entsprechenden Anteil als Prädiktoren für berufliche Handlungskompetenz gelten können. Diese müssen sich – gemäß des hier zu Grunde gelegten Konstrukts von fachlichmethodischen Kompetenzen – auf anwendungsrelevantes Wissen beziehen. Technischer beruflicher Unterricht muss sich somit zwar übergreifend an der Vermittlung von fachlich-methodischen Kompetenzen orientieren, konkret aber primär die Vermittlung hochwertiger und gleichermaßen handlungsadaptiver Wissenskomponenten intendieren. Im Bezugsfeld der personalen und sozial-kommunikativen Kompetenzen ist die Problematik der Lernortteilung ähnlich einzuschätzen. Ihr kann jedoch, da in diesen Entwicklungsbereichen die Wissenskomponenten keine dominante Bedeutung haben, nicht in identischer Weise wie bei den fachlich-methodischen Kompetenzen begegnet werden. Aktuell wird versucht, durch Ähnlichkeiten in den sozialen und personalen Prozessen in schulischen Lernumgebungen beruflich-betriebliche Authentizität zu simulieren. Berufsschulisches Lehren heißt somit aus diesem Blickwinkel: – als Teilhaber eines komplexen Lehrprozesses – in Antizipation der beruflichen Realität – kompetenzrelevantes Wissen
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– in persönlichkeitsförderlicher und sozial weiterführender Weise zu vermitteln, – um eine Entwicklung von beruflicher Handlungskompetenz anzubahnen, – welche sich im Zusammenwirken mit der betrieblichen Ausbildung ergänzt und vervollständigt. Die Rolle des Lernorts Betrieb stellt sich in diesem Problem nicht weniger schwierig dar. Auf Grund der Tatsache, dass hier Lern- und Tätigkeitsraum identisch sind, könnte man annehmen, dass dort Kompetenzen vollständig vermittelt werden können. Wäre dies so, könnte man die Berufsschulen abschaffen. Gemäß der Theorie von Erpenbeck/Rosenstiel ist das betriebliche Lernen zwar angehäuft mit Performanz. Unsicher, und sehr abhängig vom dortigen Bildungskonzept ist, welche fachlich-methodischen Kompetenzen im Vollzug der Handlungen von den Lernenden entwickelt werden. Da dem betrieblichen Ausbildungspersonal die wissenschaftlichen Hintergründe zum fachlichen Geschehen fehlen, verbleibt das betriebliche Lernen zumeist im Professionswissen. Dieses kann jedoch für den beruflichen Anspruch von Facharbeitern oder Handwerkern nicht genügen. Somit sollte auch die betriebliche Ausbildung Brücken zur Berufsschule bauen und gemeinsame Bezugspunkte für die integrative Kompetenzentwicklung durch die Lernenden setzen. Das soll nicht als ein Aufruf zu betrieblichem Unterricht verstanden werden, sondern zu einer Akzentuierung dessen, was die bedeutendsten Unterweisungsverfahren ohnehin kennzeichnet: eine Inszenierung von Lernprozessen, in welchen nicht nur das Was und das Wie eines Verfahrens, einer Technik oder einer Technologie vermittelt wird, sondern vor allem das Warum. Betriebliches Lehren heißt also aus diesem Blickwinkel: – als Teilhaber eines komplexen Lehrprozesses – in Antizipation technisch-naturwissenschaftlicher Hintergründe – Berufspraxis – in persönlichkeitsförderlicher und sozial weiterführender Weise zu vermitteln, – um eine Entwicklung von beruflicher Handlungskompetenz anzubahnen, – welche sich im Zusammenwirken mit dem berufsschulischen Unterricht ergänzt und vervollständigt.
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4.3.3 TECHNISCHER BERUFLICHER UNTERRICHT Unterricht ist gemäß dem skizzierten Modell (s. Abbildung 19) jene Form eines beruflichen Lehr-Lernarrangements, welche am Lernort Schule bereit gestellt wird. Dabei steht der Lernprozess der Schüler im Zentrum der Lehrtätigkeit und muss, trotz dessen heuristischen Charakters, in eine Gesamtoperationalisierung einbezogen werden. Dies heißt mit anderen Worten, dass LehrLernprozesse, egal, wie schwierig, individualistisch, situativ, etc. sie sich darstellen, nach klaren Kriterien, Prinzipien und Systematiken vorbereitet werden müssen, um sich den intendierten Zielen möglichst gut anzunähern. Es gilt, einen äußeren Prozess zu gestalten, welcher die intendierten inneren Prozesse möglichst gut stimuliert. Abbildung 20 soll verdeutlichen, dass für die Planung und Durchführung von Unterricht zwar innere Prozesse und Wirkungen angenommen und antizipiert werden müssen, diese jedoch nur über äußere Prozesse (Lernaktivitäten) und Ergebnisse hergestellt und nachvollzogen werden können. Daher orientiert sich die Planung generell an der inneren Seite, also am intendierten Lernprozess und dessen Wirkungen. Lernprozess • Zuwendung • Aufnahme • Verarbeitung • Veränderung •…
Lernwirkungen • Erinnerungen • Wissen • Gefühle • Einstellungen • ...
Lernaktivitäten • Zuhören, Lesen • Schülergespräch • Lehrergespräch • Bearbeitung • Umsetzung • Problemlösung • Bewertung •…
Lernprodukte • Materialien (ausgewählt) • Aufzeichnungen • Gegenstände • Situative Rückmeldungen • Spätere Rückmeldungen
Abbildung 20: Gegenüberstellung der inneren (oben) und der äußeren Seite (unten) von Lernprozessen
Die Konzeption und Durchführung muss sich jedoch der äußeren Seite von Lernprozessen zuwenden, da sie nur so konkret werden kann. Auch die Evaluierung befasst sich vordringlich mit der äußeren Seite. Wird sie erfolgreich durchgeführt, muss sie letztlich auch Rückschlüsse auf die tatsächlich erreichten Lernwirkungen ermöglichen. Abbildung 21 zeigt das vorausgehende Modell (s. Abbildung 19) mit den zentralen Konkretisierungen von Unterricht. 169
– Der Schritt von der Unterrichtsplanung zur -vorbereitung besteht in einem Übergang vom Antizipativen bzw. Implikativen zum Gegenwärtigen bzw. Konkreten. – Die Unterrichtsdurchführung ist das situative (und damit einzigartige) Zusammentreffen des konkret Geplanten mit den lehrenden und lernenden Individuen mit der Folge beiderseitiger (innerer) Veränderungen und äußerer Ergebnisse. – Die Evaluation entspricht wiederum dem umgekehrten Übergang vom faktisch Beobachteten bzw. Erhobenen zum daraus auf den gesamten Lehrprozess Abgeleiteten und damit wiederum Implikativen. Lehrprozesse umfassen die Gesamtheit solcher Zyklen aus (a) Antizipation, (b) Konkretisierung, (c) Faktizität und (d) „Re-Interpreation“. Direkter Bezugspunkt des (c) didaktischen Handelns ist die (b) Konkretisierungen. Um diese zu gestalten, werden die Metaprozesse (a, d) benötigt. Die hier skizzierten inhaltlichen Aspekte eines technikdidaktischen Modells stehen in einem engen strukturellen Zusammenhang, welcher sich in Form zyklischer Prozesse darstellt. Die Idee, Unterricht nicht als linearen Prozess, sondern als eine Art Regelkreis wahrzunehmen, ist dabei keine neue. Paul Heimanns Faktorenanalyse ist dafür nur ein prominentes Beispiel. Faktenbeurteilung und Formenanalyse intendierten eine nachgeschaltete Auseinandersetzung einer Lehrkraft mit dem eigenen didaktischen Handeln, welche in der heutigen Zeit als kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)257 aufgefasst werden könnte. Die daraus abzuleitenden Aspekte bzgl. sog. Unterrichtsqualität werden an späterer Stelle erörtert.
257 KVP ist ein zentraler Begriff in der Organisationsentwicklung. Vor allem im Zusammenhang mit Ansätzen einer inneren Schulentwicklung durch Qualitätsmanagement wurde er in den letzten Jahren in den Schulsektor übernommen.
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Planung
Vorbereitung
Durchführung
Evaluation
Lehr-Lerninteraktion Medien Materialien
Orientierung, Antizipation
Lernaktivitäten
Lernprodukte
Lernprozess
Lernwirkungen
Abbildung 21: Konkretisierungen des Unterrichts
KVP soll hier nicht als Maxime aufgefasst werden, sondern als Aufforderung an LehrerInnen verstanden werden, die vorliegende Didaktik zu einer Individualdidaktik zu entwickeln. Dieser in der Berufsbiografie von guten LehrerInnen verlaufende, implizite Prozess könnte auf diese Weise expliziert und damit verbessert werden. Das in den folgenden Kapiteln konkretisierte Modell soll dazu einige Ausgangspunkte, Zusammenhänge, Feststellungen und Vorschläge liefern. Welche Qualitäten und Quantitäten eine solche Individualdidaktik dabei jeweils annimmt und wie sie sich entwickelt, hängt (nach wie vor) vom Anspruch und den Fähigkeiten der/des Einzelnen, dem Engagement aber auch von den personellen und materiellen Rahmenbedingungen sowie den verfügbaren Ressourcen ab. Abschließend ist eine letzte theoriebezogene Einschränkung zu treffen. Jede Ausformulierung eines Modells bedeutet, sich für eine spezifische Möglichkeit unter vielen zu entscheiden. Zwischen einem didaktischen Modell und einer Didaktik liegen einige Reduktions-, Entscheidungs- und auch Interpretationsschritte. Das Modell lehnt sich an ein Paradigma an, schafft daran orientierte konzeptionelle Aufhängungen und bettet diese in eine Struktur ein. Zu 171
welchen tatsächlichen Kern- und Randaspekten dies führt und wie diese gewichtet sind und zueinander in Relation stehen, hängt von der jeweiligen Ausformulierung sowie deren Einflussfaktoren ab. Die vom Autoren im Folgenden getroffene Ausformulierung soll kein Ideal repräsentieren, sondern einen Ansatz, die theoretisch angedachten Aspekte an Hand konkreter Konzepte weiterführen zu können und zentrale didaktischmethodische Kernpunkte im Rahmen des Gesamtansatzes zu erörtern. Dabei eröffnet sich ein weites Spektrum an didaktischen Einzelthemen, deren Differenzierung und weitere Konkretisierung den Rahmen dieser Lehrschrift und sicher auch deren Zweck überschreiten würde. Dies soll den technischen Fachdidaktiken zugewiesen werden, da gerade im beruflichen Unterricht die einzelnen Domänen als sehr spezifizierte Bezugsfelder angesehen werden müssen und auch über einige eigenständige Ansätze verfügen. 4.3.4 BETRIEBLICHE TECHNISCHE BERUFSAUSBILDUNG Die vorliegende Technikdidaktik kann kein umfassendes Gesamtkonzept für beide Lernorte anbieten. Das wäre in den gegebenen institutionellen und personellen Rahmenbedingungen der dualen Berufsausbildung im deutschsprachigen Raum auch nicht sinnvoll oder praktikabel. Trotzdem muss vor dem Hintergrund der „integrativen Bildungsperspektive Berufskompetenz“ zumindest skizziert werden, mit welchen Bildungskonzepten aktuell Auszubildende in technischen Berufen in den Betrieben konfrontiert werden. Dies zum einen, um ein lernortübergreifendes Verständnis aufzubauen, zum anderen, um die Trennschärfe zwischen den Stärken und Schwächen des jeweiligen Lernorts zu erhöhen. In den folgenden zusammenfassenden Betrachtungen ist generell zwischen der Ausbildung in der Industrie und jener im Handwerk zu unterscheiden, also zwischen großbetrieblicher Berufsausbildung und kleinbetrieblicher. Erste findet in komplexen Organisationsstrukturen mit eigenen Räumen, Medien und Personal statt, zweite überwiegend nach dem Muster der traditionellen Meisterlehre. Nur in industriellen Großbetrieben haben sich Unterweisungsmethoden etabliert, welche den Anspruch eines „Stehlens mit den Augen“ oder eines „Vormachen-Nachmachen-Verfahrens“ überschreiten. Damit soll nicht die Meisterlehre diskreditiert werden, wohl aber festgestellt, dass sich deren Möglichkeiten und Grenzen gegenüber großbetrieblichen Konzepten deutlich enger abzeichnen. Während in Kleinbetrieben die Ausbildung zumeist in die alltäglichen Produktions- und Dienstleistungsprozesse integriert ist und über den zeitlichen 172
Verlauf einfach zu Gunsten der Produktionstätigkeit reduziert wird, erfolgt sie in Großbetrieben aktuell über zwei spezifische Ansätze:258 1. durch gezielte Unterweisungsmaßnahmen, 2. durch ein Lernen am Arbeitsplatz. Zu 1.: SCHELTEN259 definiert „Unterweisung“ als „methodische Vermittlung von Kenntnissen (kognitiv), Verrichtungen (psychomotorisch) und Haltungen (affektiv) zur Ausführung einer Tätigkeit durch einen Beherrscher dieser Arbeitstätigkeit“. Er spricht dabei von einer nachdrücklichen Lehre, welche sich deutlich von der eher beiläufigen Lehre in vorpädagogischen Verfahren wie z.B. der Beistellmethode unterscheidet.260 Diese Nachdrücklichkeit kennzeichnet auch die schulische Lehre, daher ist das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen Unterricht und Unterweisung der Anspruch, primär die Ausführung einer Tätigkeit zu vermitteln und erst sekundär deren Hintergrund, was unbedingt einen diesbezüglichen Experten voraussetzt. Dies schließt – wie die nachfolgende Darstellung der Unterweisungsverfahren zeigen wird – die Vermittlung des Verständnisses der Handlungen nicht aus, gegenteilig soll dieses unbedingt im Zuge der Tätigkeitsvermittlung aufgebaut werden. Gegenüber der schulischen Lehre ist diese Verständnisvermittlung jedoch weitgehend auf den Handlungszusammenhang begrenzt und kann weder von einer Herleitung basaler Wissenskomponenten ausgehen, noch weitreichende oder vertiefende Wissenskomponenten erschließen. Die Unterweisung besitzt dort ihre Stärke, wo berufsschulisches Lernen nur eingeschränkt erfolgen kann – im Erwerb motorisch-operativer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Umgekehrt zeigt sich deren Schwäche in der Theoriequalität, also dort, wo die Berufsschule ihre Stärke sehen kann. Zu 2.: Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen berufsschulischem und betrieblichem Kompetenzerwerb beim Lernen am Arbeitsplatz. Hier können (durch Unterweisungen vorbereitete) fachlich methodische Kompetenzen durch die Lernenden ausgebaut und vertieft werden, wobei dies weiterhin von Ausbildern reguliert werden kann. Dies erfolgt jedoch nicht direkt über unterweisungsbezogene Interventionen, sondern indirekt über die Tätigkeitsgestaltung. Die „Lernumgebung Arbeitsplatz“ lässt sich bzgl. ihres Lernpotenzials sehr gut über die Dimensionierung des Tätigkeitsspielraums anpassen. Den Auszubildenden werden – entsprechend ihren erkennbaren Kompetenzen, ihrer Eigenständigkeit und Entwicklungsfähigkeit – angemessene Hand-
258 Diese Ansätze werden in modernen Gesamtkonzepten entweder nacheinander oder auch alternierend umgesetzt. 259 Vgl. Schelten, 2006, S. 7 260 Vgl. S. 8
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lungs- und Entscheidungsspielräume eröffnet und damit Räume für sehr individuelle Kompetenzentwicklungen geschaffen.261 Beide Ansätze, Unterweisung und Lernen am Arbeitsplatz, sind für eine optimale Kompetenzentwicklung unverzichtbar. Über 100 Jahre haben sich diese in gegenseitiger Ergänzung in der Industrie bewährt. Dabei ist ein Gesamttrend festzustellen, welcher die anfänglich relativ restriktiven Ausbildungsszenarien von Lehrwerkstätten und Betriebseinsätzen aufgehoben hat und aktuell in betriebs- und geschäftsprozessorientierten Ansätzen kulminiert, in welchen beide Grundansätze wiederum integrativ erfolgen. Für diesen Trend ist aktuell der in den 1980er Jahren und im Zuge des damals durch die Computertechnologie ausgelösten technisch-produktiven Wandels ausgelöste Anspruch einer Vermittlung von Kompetenzen an Stelle von Qualifikationen verantwortlich. Die beiden bekanntesten und am weitesten verbreiteten Unterweisungsformen sind die Vier-Stufenmethode und die Leittextmethode:262 Die Vier-Stufenmethode entspricht einer „pädagogisch hinterlegten“ Erweiterung der „Vormachen-Nachmachen-Methode“, da in ihrem Zentrum die unterweiserbetonte Stufe 2 und die lernendenbetonte Stufe 3 stehen. Die Stufe 1 entspricht einer Vorbereitung auf den eigentlichen Lernprozess, die Stufe 4 dessen formellem Abschluss. In einer strikten Handhabung der Vier-Stufenmethode wird zunächst eine Unterweisungsgliederung für eine zu lernende Fertigkeit erstellt. Diese dreispaltige Vorlage unterteilt eine komplexe Fertigkeit (z.B. das Absägen einer Holzleiste) in sinnvolle Teilhandlungen (z.B. Spannen der Leiste, maßgerechtes Ausrichten der Leiste, Ansägen, Durchsägen, Maßkontrolle). Jeder dieser Teilhandlungen (Spalte 1) ist dann eine genauere Beschreibung (Spalte 2) und vor allem eine Begründung (Spalte 3) zugeordnet. Aus dieser Unterweisungsgliederung wird dann die Vorlage für die Vier-Stufenmethode entwickelt. Für die Stufe 1 wird die zu erlernende Einzelfertigkeit einem größeren Ganzen zugeordnet und deren Bedeutung aber auch Schwierigkeiten geklärt. Dies erfolgt, um das Interesse der Lernenden zu wecken, sie für den anstehenden Lernprozess zu motivieren und zu sensibilisieren. Wichtig ist, dass zum Einen klar wird, wozu die Lernenden diese Fertigkeit benötigen, zum Anderen, mit welchen Gesamtaufgaben bzw. Kompetenzen diese korrespondiert.
261 Näheres dazu in Dehnbostel, 2008. 262 Im Folgenden übernommen aus Schelten, 2006, S. 15.
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In Stufe 2 wird die gesamte Fertigkeit demonstriert und dabei gründlich besprochen. Im Sinne eines Ganz-Teil-Ganz-Ansatzes führt der Meister dabei zunächst die komplette Tätigkeit durch und erklärt die groben Teilabschnitte (Beispiel Leiste wie oben). Anschließend wird jeder Teilschritt sehr genau vorgeführt. Dabei werden die jeweiligen Details besprochen und deren Spezifika geklärt (z.B. dass die Leiste nur so fest eingespannt werden sollte, wie eine Verformung des Holzes ausgeschlossen werden kann oder dass sie waagrecht eingespannt werden muss, um einen rechtwinkligen Schnitt zu gewährleisten etc.). Schließlich wird alles nochmals in Normalgeschwindigkeit durchgeführt, um einen „Zeitlupeneffekt“ der detaillierten Durchführung zu verhindern und eine Vorstellung dafür zu geben, wie die Tätigkeit bei einem Experten schließlich aussieht. In Stufe 3 werden die bislang passiven Lernenden aktiv. Auch sie versuchen zunächst, die groben Teilhandlungen nachzuvollziehen, um dann in einem zweiten Durchgang dies ebenso detailliert wie der Meister zu wiederholen und zu besprechen. Schließlich folgt ein dritter Durchgang, in dem auch versucht wird, die Tätigkeit möglichst genau in „Echtzeit“ auszuführen. In dieser Phase hat der Meister die Aufgabe, angemessen zu korrigieren, sowohl was die Handlungen, als auch deren Begründungen betrifft. Stufe 4 bildet den formellen Abschluss und den Übergang ins Üben. Die Lernenden fassen das Gelernte zusammen und resümieren über die Fertigkeit und deren Spezifika. Sie erhalten dazu individuelle Rückmeldungen über den erreichten Stand und die noch abzustellenden Defizite sowie persönliche Aufgabenstellungen für die Übungsphase. Dieser „Klassiker“ des betrieblichen Lernens wird gerne als lehrerzentriert und restriktiv bemängelt. Tatsächlich haben die Lernenden hier weder die Möglichkeit, die Fertigkeit aus einem Gesamtzusammenhang her zu erfahren und zu erwerben, noch bleibt ihnen Raum für eigene Bewegungsexperimente oder -erfahrungen. Das zugehörige Begründungswissen wird nicht von ihnen selbst hergeleitet, sondern von der Lehrperson vorgegeben und kommuniziert. Andererseits werden damit sehr schnell sichere und funktionale Berufsmotoriken aufgebaut. Der Lernprozess verläuft relativ sicher und störungsfrei. Um die Qualität der deutlich eingeschränkten Handlungsregulationen, welche über die Vier-Stufenmethode erreicht werden, zu überschreiten, mussten Methoden in den Betrieben etabliert werden, in welchen offenere Lernprozesse möglich waren. Der dabei am weitesten verbreitete Ansatz ist die Leittextmethode. Sie etablierte sich Mitte der 1980er Jahre zunächst in der gewerblichtechnischen Ausbildung (Mercedes-Werk Gaggenau, Projekt „Dampfmaschi175
ne“), wurde wenige Jahre später dann aber auch in die kaufmännischen Ausbildungsbereiche übernommen. Ihr Name macht den mit der Leittextmethode verbundenen Paradigmenwechsel in der betrieblichen Ausbildung deutlich: An Stelle der persönlichen Instruktion durch einen Meister erfolgte nun eine mediengestützte Lernanleitung über Leitfragen und -hinweise. Wie der Begriff deutlich machen soll, handelt es sich dabei um keine verschriftlichten Instruktionen, sondern um Leitmaterialien, die Lernräume eröffnen, strukturieren, aber auch begrenzen. Diese Materialien führen dann über sechs zentrale Schritte zum eigenständigen Erwerb ähnlicher Fertigkeiten wie in der VierStufen-Methode, jedoch über einen wesentlich hochwertigeren Zugang und damit absehbar zu komplexeren Handlungsregulationen. In Schritt 1 informieren sich die Lernenden zunächst über die zu lernende Fertigkeit, deren Zusammenhänge und Hintergründe. Dazu werden Leitfragen gestellt, zu deren Beantwortung Fachliteratur erschlossen werden muss. In Schritt 2 wird die anstehende Tätigkeit geplant. Dazu geben die Unterlagen Leithinweise, vor allem über die Details der Tätigkeit und wichtige Spezifika. Schließlich erfolgt in Schritt 3 die Entscheidung. Diese wird gemeinsam mit dem Ausbilder in einem Fachgespräch getroffen. Dabei wird sowohl das genaue Wissen über die jeweiligen Fertigkeiten geklärt, als auch deren Verständnis. Arbeitspläne werden rekapituliert, modifiziert oder auch zurückgewiesen. Schließlich werden die Lernenden in die eigentliche Ausführung „entlassen“. Diese erfolgt im Schritt 4. Nach der Ausführung wird das Ergebnis der Tätigkeit in Schritt 5 kontrolliert. Dies erfolgt anhand spezieller Leitfragen unter Anwendung des neu erworbenen Wissens aus der Informationsphase. Schließlich erfolgt im letzten Schritt 6 die Bewertung. Dabei werden nicht nur die erreichte Qualität in der Aufgabenerfüllung eingeschätzt, sondern auch die dazu vollzogenen Lösungswege und -prozesse, wiederum in Aufarbeitung und Reflexion des neu Gelernten. Aus handlungsregulatorischer Perspektive wird die Leittextmethode gegenüber der Vier-Stufenmethode als hochwertiger eingeordnet. Sie bringt die Lernenden dazu, eigene Ziele und Teilziele zu bilden, anschließend danach aufgabenspezifisch zu handeln und die weiter folgenden Handlungen gemäß der jeweiligen Zwischenergebnisse abzustimmen und anzupassen. Inwiefern bzw. zu welchem Prozentsatz dies aber tatsächlich über den Weg von Wissen, Verständnis und Erkenntnis erfolgt, oder nicht doch auf Basis latenten Erfahrungswissens oder über Versuch-und-Irrtum, bleibt offen. Zudem wurde festgestellt, dass diese stark verschriftlichte Lehrform sprachlich schwächere Auszubildende benachteiligt. Ein weiteres Problem stellt sich aus der Distanz der Meister, die in der Leittextmethode nur betreuen und beraten: gerade ihr 176
Vor- und Abbild ist das Kernstück der traditionellen Meisterlehre und fehlt nun. Es sorgt dort für Klarheit und Sicherheit und liefert – neben den fachlichkognitiven – auch ein sehr starkes verhaltensbezogenes Vorbild. Da das Bildungspersonal in den Betrieben kaum über explizite didaktische oder bildungswissenschaftliche Kompetenzen verfügt, welche es zu einem wissenschaftlich reflektierten didaktischen Handeln befähigen würde, haben die Methoden dort eine deutlich höhere Bedeutung als in den Berufsschulen.263 So bilden diese nicht nur Rahmen und Leitlinie der Lehr-Lernprozesse, sondern auch deren einzigen Bezugsraum. Damit ergibt sich eine relativ „flache didaktische Welt“ aus den Komponenten Ausbildungsrahmenplan (Curriculum), Unterweisung und Lernen am Arbeitsplatz (Methoden), Gesellenoder Facharbeiterprüfung (heimlicher Lehrplan). In einem solchermaßen „didaktisch verkürzten“ Szenario wird die Kompetenzentwicklung der Lernenden einerseits als selbstverständlich erachtet, andererseits jedoch weder expliziert noch hinterfragt oder gar überprüft. Genauere Vorstellungen darüber, welches die einzelnen zu entwickelnden Kompetenzen in welchen Bezugsgruppen oder -klassen seien, bestehen bei den Ausbildern selten, zumeist wird grob zwischen Fach- und Sozialkompetenzen unterschieden. Erste sind alles, was die Auszubildenden können sollten bzw. müssen, zweite sind ein unüberschaubares Feld an soft skills, die „informell miterworben“ werden. Großbetriebe mit Referenzausbildungen wie BMW oder AIRBUS haben sich in den zurückliegenden Jahren diesbezüglich deutlich verbessert, indem sie die Personalentwicklung mit in die Ausbildungskonzepte einbezogen haben. Auszubildende in solchen Betrieben erleben eine Relativierung der traditionellen Facharbeiter-Genese, indem sie Portfolios anfertigen, ihre Kommunikations- und Präsentationsfähigkeiten ausbauen, in Lerninseln und Juniorenfirmen mitarbeiten oder KVP-Werkstätten managen. Im Schatten dieser sich zunehmend ausbreitenden Welle der Akzentuierung von soft skills in der industriellen Berufsausbildung bleibt die Vermittlung von fachlich-methodischen Kompetenzen relativ betrachtet zurück.264 Hier werden zwar auch Neuansätze erprobt (Planspiel, Simulation, E-Learning), jedoch kaum die Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit der Standardmethoden geführt. Empirische Zugänge finden in diesem Bereich der Berufsbildung selten statt. Die aktuellen formellen und informellen Ansätze betrieblicher Ausbildung verfügen über genügend Potenzial, eine Kompetenzvermittlung im Rahmen 263 Vgl. dazu auch in Zedler, 2009. 264 Vgl. dazu auch Dehnbostel, 2010, S. 2.
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der dualen Ausbildung hochwertig zu gewährleisten. Dieses Potenzial könnte dann am besten ausgeschöpft werden, wenn die Stärken möglichst gut genutzt und die Schwächen möglichst gut kompensiert werden. Im Zentrum steht hier die Akzentuierung technisch-naturwissenschaftlicher Hintergründe im Zuge der Vermittlung von Fertigkeiten und Fähigkeiten. Dies ginge sowohl mit der Vier-Stufenmethode als auch der Leittextmethode in hohem Maße konform, wird jedoch selten konsequent praktiziert. Auch die aktuelle Prüfungspraxis bedingt eher eine Teilung zwischen Wissen und Handeln, da nach wie vor in einem praktischen Teil die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Auszubildenden erhoben werden und – davon unabhängig – in einem theoretischen Teil (überwiegend in Multiple Choice) deren Fachwissen. Vielleicht würde eine Umwandlung der praktischen Prüfung in ein komplexes Assessment, in dem das Arbeitsergebnis nicht nur bewertet, sondern auch dessen Entstehungsprozess gemeinsam mit AusbilderInnen und BerufsschullehrerInnen nachbesprochen wird, hier ein wenig „die Augen öffnen“ und im Sinne eines produktiven heimlichen Lehrplans die Ausbildungspraxis verbessern.
178
5
UNTERRICHTSPLANUNG Erschließungsfragen: – Was sind Lehrpläne und welche Bedeutung ist diesen in der Didaktik beizumessen? – Welche generellen Funktionen haben Lehrpläne? – Wie waren die curricularen Lehrpläne aufgebaut und welchen Prämissen unterlagen sie? – Was ist unter „operationalisierten Lernzielen“ zu verstehen? – Was sind „Lernzieltaxonomien“ und welcher Zweck wird ihnen beigemessen? – Welche Kritik wurde gegenüber den „curricularen Lehrplänen“ geäußert? – Welche Bedingungen und Intentionen haben die Novellierung der Lehrpläne nach dem sog. „Lernfeldkonzept“ beeinflusst? – Wie sind „lernfeldorientierte Lehrpläne“ aufgebaut und wie hängt dieser Aufbau mit ihren Grundintentionen zusammen? – Was kennzeichnet ein „Lernfeld“? – Wie sollen die Lernfelder gemäß der „KMK-Handreichung“ didaktisch umgesetzt werden? – Welche Skepsis bzw. Kritik wird gegenüber den Lernfeldlehrplänen bzw. ihren Umsetzungsvorgaben geäußert? – Was ist generell unter einem „Lernziel“ zu verstehen und wie sind Lernziele auf Basis der Lernfeldlehrpläne zu formulieren? – Über welche didaktischen Transformationen werden „fachlich-methodische Kompetenzen“ in Lernziele umgewandelt? – Über welche didaktischen Transformationen werden sozial-kommunikative und personale Kompetenzen in Lernziele umgewandelt? – Was sind „didaktische und methodische Orientierungskonzepte“ und welche Bedeutung ist ihnen in der Unterrichtsvorbereitung und -realisierung beizumessen? – Was intendieren die einzelnen didaktischen und methodischen Orientierungskonzepte und welche internen Korrespondenzen weisen sie untereinander auf? – Was ist generell unter „Unterrichtskonzepten“ zu verstehen, worin liegen ihre Möglichkeiten und Grenzen? – Was ist im vorliegenden Ansatz unter einer „Perspektivenplanung“ zu verstehen, was intendiert sie und wie wird sie umgesetzt?
Wie zu Beginn bereits festgestellt wurde, sind die aktuellen Didaktiken und so auch die beruflichen Didaktiken bzw. beruflichen Fachdidaktiken nur zu einem geringen Maße wissenschaftlich fundiert. Dieser Ansatz versteht sich (momentan) als normatives und erfahrungsreflektiertes Konzept mit wissenschaftlichem Hintergrund. Dies ist keineswegs optimal, muss aber toleriert werden, da für die große Breite didaktischen Handelns und methodischer Konkretisierungen nur wenige einschlägige belastbare Befunde innerhalb aber 179
auch außerhalb des einschlägigen Bezugsraums vorliegen. Ebenso wie der Grundansatz dieser Technikdidaktik wird daher auch dessen wissenschaftliche Fundierung als temporär angesehen, mit dem Fernziel, das Normative zu Gunsten des Wissenschaftlichen zu reduzieren. Jene Befunde, die im Folgenden in die planerischen und gestalterischen Überlegungen eingeflochten wurden, stammen überwiegend aus der Pädagogischen Psychologie und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Sie sollen dabei nicht nur dieses Konzept mit Wissenschaftlichkeit bereichern, sondern auch zeigen, wie Lehrerinnen und Lehrer generell ihre Praxis anhand wissenschaftlicher Befunde reflektieren und orientieren können. Dies konnte bislang und kann auch in Zukunft nicht durch eine direkte Adaption einer Erkenntnis in ein Handeln erfolgen, sondern erfordert in jedem Fall ein kritischkonstruktives, überlegtes und reflexives Vorgehen. Die Forschungsmethode des Design-Based-Research kann dabei als Vorlage dienen, da hier nicht eine Methode direkt implementiert wird, um dann zu messen, was sie bewirkt, sondern mit einer Methode (auf Basis relevanter Vorüberlegungen und Vorbefunde) experimentiert und variiert wird, um herauszufinden, was sie unter welchen internalen und externalen Bedingungen in einem bestimmten Bezugsraum leisten kann. Hochwertiges didaktisches Handeln kann so, ohne sich ständig „neu erschaffen“ zu müssen, über eine offene und experimentierfreudige Haltung permanent auf dem Stand der Wissenschaft gehalten werden, ohne, dass immer einschlägige Befunde „schlüsselfertig“ verfügbar sind. Mit konstruktivistischen Lehr-Lernvorstellungen werden immer wieder offene und damit wenig vorausgedachte und entsprechend vorbereitete Unterrichte in Verbindung gebracht. Die Lehrpersonen vergeben Arbeitsaufträge und ziehen sich dann zurück, am Ende wird das ein wenig besprochen, selten etwas aufgeschrieben. Solche und ähnliche Einschätzungen bzgl. einer Unterrichtsplanung nach dem konstruktivistischen Paradigma sind keine Seltenheit. Praxis wie Wissenschaft belegen das Gegenteil: Je offener ein Unterricht geplant wird, desto mehr Aufwand erfordert dieser, wenn er hohe Qualitätsansprüche erreichen will. Das ist evident, weil die Engführung eines traditionellen Unterrichts nur die Vorbereitung einer Handlungs- und Argumentationslinie erforderlich macht, je größer der einzuschließende Lern- und Entwicklungsraum wird, desto mehr Aufwand muss betrieben werden, um einen Rahmen zu schaffen, der für die Lernenden einerseits förderlich und andererseits nicht völlig entgrenzt ist. HARTINGER et al. wiesen in einer empirischen Studie265 über den Einfluss von Lehrvorstellungen von LehrerInnen nach, dass „das 265 1091 SchülerInnen, 45 Klassen, 2 Jahrgangsstufen.
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konstruktivistisch-offene Lernverständnis nicht zu einer geringeren Strukturierung des Unterrichts führt“. Die Befunde belegen zudem, „dass die Forderung nach einer ‚strukturierten Offenheit‘ nicht nur ein theoretisches methodisches Postulat darstellt, sondern dass es in der Unterrichtspraxis bei den Lehrer(inne)n mit konstruktivistischem Lehrverständnis schon Alltagspraxis ist“.266 In diesem und den nachfolgenden Kapiteln wird aufgezeigt, wie komplex eine konstruktivistisch orientierte Unterrichtsplanung und -vorbereitung sich darstellt und wie dies zielführend und gleichermaßen pragmatisch umgesetzt werden kann.
5.1 Lehrpläne267 „Lehrplan“ wird definiert als „Auswahl und Anordnung von Lehrgütern für einen bestimmten, meist umfassenderen Lehrzweck oder als Kodifikation des Lehrgefüges; das Lehrgefüge ist der strukturierte Zusammenhang des unterrichtlichen Geschehens, in dem als in einem Teil der Erziehungswirklichkeit Lehre und Überlieferung an eine nachwachsende Generation vor sich geht. Die Funktion des Lehrplans ist es, die bildungspolitischen Intentionen des Gesetzgebers schulartenspezifisch und fachspezifisch zu konkretisieren.“268 Lehrpläne werden generell vom Staat bzw. den ihm unterstehenden Kultusbehörden erstellt und sind somit gesellschaftliche bzw. politische Konstrukte. Durch ihre Verbindlichkeit stellen sie die zentrale Einflussnahme des Staates in den Unterricht dar. Lehrpläne sind nach Schularten, Fächern und Jahrgangsstufen geordnet und äußern sich generell zum Erziehungs- und Bildungsauftrag, zu fachlichen und inhaltlichen Aspekten und zu übergreifenden organisatorischen Vorgaben. DUBS stellt sechs idealisierte Funktionen von Lehrplänen fest: 1. Festlegung allgemeiner Zielvorstellungen und Konkretisierung von Inhalten; 2. Übertragung von Innovation und gesichertem wissenschaftlichem Fortschritt in die Schulen; 3. Koordination zwischen Schulstufen (interner Aspekt) und einzelnen Schulen (externer Aspekt);
266 Hartinger, Kleickmann, Hawelka, 2006, S. 122. 267 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 268 Posch, Larcher, Altrichter, 1996.
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4. Nivellierung des Anspruchsniveaus und Gewährleistung einer Vergleichbarkeit der Abschlüsse; 5. Konkretisierung von externen Prüfungsvoraussetzungen (z.B. für die Kammerprüfungen); 6. Orientierungshilfe für alle am schulischen Lehr-Lern-Prozess beteiligten Individuen.269 Dass diese Idealvorstellung von Lehrplänen bislang noch nicht erreicht wurde, belegt die anhaltende Diskussion und Entwicklung dieses zentralen bildungspolitischen Gegenstands. Aus berufsschulischer Perspektive ist die „Evolution“ der Lehrpläne seit den 1950er Jahren in drei Epochen unterteilbar: (1) die inhaltlich orientierten Lehrpläne etwa bis Mitte der 1960er Jahre, spätestens ab den 1970er Jahren die (2) curricularen Lehrpläne und seit Mitte der 1990er Jahre die (3) lernfeldorientierten Lehrpläne. Zu (1): Lehrpläne waren in der Nachkriegszeit zunächst weitgehend Sammlungen von Inhalten. Dies akzentuieren z.B. die Grundansätze von Wolfgang KLAFKI, durch eine intensive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten, da die Lehrpläne den Lehrkräften kaum Anhaltspunkte gaben, nach welchen Gesichtspunkten daraus Unterricht entstehen könnte. Zu (2): Mitte der 1960er Jahre wurden in Deutschland anglo-amerikanische Ansätze einer „Curriculumtheorie“270 adaptiert, mit der Folge einer Kritik der inhaltlich orientierten Lehrpläne. Sie wurden als Produkte einer zentralistischen staatlichen Bildungsplanung in Frage gestellt und sollten mittels einer sozialwissenschaftlich angereicherten Unterrichtsplanung verbessert werden.271 Der wieder nach Deutschland zurückgekehrte Emigrant Saul B. Robinsohn begründete „aus zentralen gesellschaftlichen Veränderungen die Notwendigkeit, Lehrpläne auf der Grundlage eindeutig bestimmbarer Fähigkeiten und Kenntnisse für künftige Qualifikationen zu entwickeln“.272 Im Curricularen Lehrplan sollten Ziele, Inhalte, Methoden und Erfolgsüberprüfungen auf wissenschaftlicher Grundlage in einen schlüssigen und verbindlichen Zusammenhang gebracht werden.
269 Vgl. Dubs, 2001, S. 64. 270 Der Begriff „Curriculum“ bezeichnete von der Antike bis zum Mittelalter den Plan der systematischen Unterweisung, z.B. den Plan, nach dem in Klöstern der Nachwuchs erzogen wurde. 271 Vgl. Robinsohn, 1971. 272 Gudjons, 2001, S. 247.
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Zentrale Kriterien für die Entwicklung solcher Curricula waren: – Ein expliziter gesellschaftlicher Konsens als Basis für alle Lehrpläne; – Die Offenlegung und rationale Begründung der Kriterien, nach welchen Lehrplanentscheidungen getroffen wurden; – Klar definierte Qualifikationen, welchen Inhalte eindeutig zugeordnet werden können; – Exakte Zielangaben in Form von beobachtbarem oder kontrollierbarem Verhalten.273 Für die Curriculum-Entwicklung entstand ein umfassender Apparat an Vorgaben, Leitlinien, Planungskonzepten etc. Die Philosophie derartiger Vorgaben übertrug sich dementsprechend in die Umsetzung der Curricula. Robert Mager vertrat in seiner Didaktik einen Ansatz der „Lernziel-operationalisierung“, also einer Explikation der curricular gesetzten Lernziele in handhabbare Komponenten. In diesem Sinne musste für die Unterrichtsplanung jedes gesetzte Lernziel in Form von beobachtbaren Verhaltensweisen der Schüler beschrieben werden, welche diese nach Ablauf des Unterrichts zeigen sollten.274 Zudem mussten Bedingungen275 genannt werden, unter denen das Verhalten der Schüler stattfinden sollte, sowie ein Bewertungsmaßstab angegeben werden, nachdem entschieden werden konnte, ob die Schüler das Lernziel erreicht hatten. Auf diese Weise wurden jedoch Ziel und Indikator vertauscht. Ein Verhalten kann kein bildungsrelevantes Lernziel ergeben, da Menschen nicht ein einmal geäußerte Verhalten wiederholen sollten, sondern in der Lage sein, dieses Verhalten in immer neuen Situationen angemessen einzubinden. Also ist nicht das Verhalten lernrelevant, sondern das, was die Menschen zu diesem Verhalten befähigt. Nicht das einmalige Verhalten muss also das Lernziel sein, sondern regelmäßiges zukünftiges Verhalten. Ziel ist nicht eine Verhaltensänderung, sondern vielmehr eine Veränderung der dahinter stehenden Kognitionen und auch Emotionen.276 Herbert GUDJONS resümierte, dass sich solche Curricula bald als „Trojanisches Pferde“ erwiesen, aus deren Bauch Unheil hervor kroch: „Es waren nämlich geschlossene Systeme, die Lehrer und Schüler dazu zwangen, völlig verplante Lernprozesse nachzuvollziehen, Inhalts- und Zielentscheidungen kritiklos zu akzeptieren und auf vorgeschriebenen metho273 274 275 276
Vgl. Gudjons, 2001, S. 247 Mit Begriffen wie „nennen, erklären, aufschreiben können, etc. Zeit, Hilfsmittel etc. Vgl. Klauer, 2007
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dischen Lernwegen auf vorab festgelegte operationalisierte Lernziele zuzusteuern.“277 Die Folge war, dass schon sehr früh (Ende der 1970er Jahre) sog. „offene“ Curricula diskutiert und von einer Gegenbewegung gefordert wurden. Zu (3): Trotzdem wurden die Lehrpläne beruflicher Schulen bis in die 1990er Jahre vom Curriculum-Ansatz geprägt. In den allgemein bildenden Schulen wurden nach und nach offene Curricula umgesetzt. Z.B. etablierte sich in den Gymnasien ein Kompetenzansatz, mit der Einführung aktueller didaktischer Orientierungen wie z.B. der Handlungsorientierung.278 Die Lehrpläne bezogen sich zwar weiterhin auf einzelne Fächer (trotz Überlegungen, auch diese aufzuheben bzw. aufzuweichen), unterteilten den „Lehrstoff“ aber nicht mehr nach detaillierten Lernzielen, sondern nach größeren Lernbereichen und diesbezüglich intendierten Fachkompetenzen.279 In der beruflichen Bildung führte eine ähnliche Entwicklung zum sog. „Lernfeldkonzept“. Curriculare Lehrpläne Obwohl die curricularen Lehrpläne gegenwärtig schon überholt sind, erscheint deren Aufarbeitung in der vorliegenden Technikdidaktik bedeutsam; zum Einen, weil dies zum tieferen Verständnis des Lernfeldkonzepts erforderlich ist, zum Anderen, weil sie durchaus eine wertvolle didaktische Substanz aufweisen, die mit ihrem „Verschwinden“ verloren gehen könnte. Curriculare Lehrpläne an beruflichen bzw. berufsbildenden Schulen bezogen sich generell auf einzelne allgemeine bzw. berufliche Fächer. Sie basierten auf von der KMK vorgegebenen Rahmenlehrplänen, welche von den Kultusministerien der Bundesländer (bzw. deren dazu gegründeten Institutionen) ausformuliert und ausgestaltet wurden. Sie waren damit grundsätzlich landes277 Klauer, 2007, S. 249. 278 Z.B. aus dem Physik-Lehrplan der 11. Klasse Gymnasium Rheinland-Pfalz: „Die Handlungskompetenz wird durch handlungsorientierten Unterricht gefördert, der von den Schülerinnen und Schülern die aktive Auseinandersetzung und den handelnden Umgang mit Lerngegenständen fordert. Handeln ist hier zu verstehen als ein – zielgerichteter Prozess, der sich u.a. durch die Vorwegnahme möglicher Handlungsformen und deren Erzeugnisse auszeichnet (geistiges Probehandeln, Simulation) – konstruktiver Prozess, der die Umwandlung der Ausgangssituation in eine erwünschte Zielsituation anstrebt hierarchischer Prozess, in dem sich eine Abfolge von untergeordneten Operationen vollzieht – kontrollierter Prozess, der eine angemessene Auswahl von Handlungsmöglichkeiten entwickelt und durch Vergleich mit den Zielvorstellungen eine Entscheidung trifft. Handlungsorientierter Unterricht ist nur dann sinnvoll, wenn nach dessen Durchführung der gesamte Vorgang gemeinsam reflektiert (Handlungsplan, Ablauf, Ergebnis, Präsentation) und systematisiert wird“. 279 Z.B. im Lernbereich „Elektrisches Feld“: Fachkompetenzen: 1.1 Kenntnis der Existenz von positiven und negativen Ladungen, 1.2 Kenntnis der elektrischen Influenz und Polarisation.
184
spezifisch, orientierten sich jedoch (vor allem im fachlichen Bereich) am seitens der KMK vorgegebenen Rahmen, welcher eine gewisse Einheitlichkeit der Berufsausbildung im dualen System sichern sollte. 3. Dem Lehrplan liegt folgende Stundentafel zugrunde: Unterrichtsfach
10. Jahrgangsstufe
11. Jahrgangsstufe
12. Jahrgangsstufe
Fachtheorie
15
15
15
Fachrechnen
4
4
4
Fachzeichnen
2
2
2
Praktische Fachkunde
5
5
5
26 Wochenstunden
26 Wochenstunden
26 Wochenstunden
Religionslehre
3
3
3
Deutsch
3
3
3
Sozialkunde
3
3
3
Sport
2
2
2
37 Wochenstunden
37 Wochenstunden
37 Wochenstunden
Abbildung 22: Stundentafel des bayerischen Lehrplans für die Berufsschule Fachklassen Baustoffprüfer, 10. mit 12. Jahrgangsstufe, 1983. Fachliche Unterrichtsfächer Fachtheorie, Fachrechnen, Fachzeichnen, Praktische Fachkunde
Der erste Teil des Lehrplans beinhaltet sog. Leit- und Richtziele. Diese übergeordneten Ziele berufsschulischen Unterrichts sind zumeist fachübergreifend und „präambelartig“. Sie beinhalten neben einer Reihe zentraler Werte beruflicher Bildung auch grundlegende didaktische Prinzipien des jeweiligen Fachs. Der zweite Teil beinhaltet die Lernziele, -inhalte und Hinweise zum Unterricht. Die Anordnung entspricht einer zeitlichen Abfolge der Lernziele nach Schuljahren und Unterrichtssequenzen. Diese Sequenzierung drückt sich in eingangs erscheinenden Stundentafeln (s. Abbildung 22) sowie in klaren Zeitangaben zu allen Lernzielen aus (s. Abbildung 23).
185
Damit zeichnen sich vier zentrale Dimensionen für curriculare Lehrpläne ab:280 Eine Zieldimension (Lehrzweck, Bildungs-, Lernziele), eine Inhaltsdimension (Lehrgut, Lehrinhalt, Stoffgebiet), eine Ordnungsdimension (zeitliche Aufteilung und Anordnung, Reihenfolge, Methoden, Umfang) und eine Auswahldimension (nach Altersstufen, Klassen, Schularten, -stufen, -zweigen, fachlichen, gesellschaftlichen, psychologischen, philosophischen Gesichtspunkten). LERNZIELE
LERNINHALTE
HINWEISE
Aufgaben aus der Praxis:
Nur SI-Einheiten verwenden
Ermittlung der Masse, Dichte und des Volumens von Baustoffen, z.B. Rohdichte eines Betonteils
Siehe Praktische Fachkunde, 10. Jgst., Lernbereich 1.2
Bewegungs-, Lageund Formänderungen, Größe, Richtung und Wirkungslinie einer Kraft
Demonstrationsversuche zur Wirkung einer Kraft
Kraftpfeil, Kräftemaßstab, Einzellast, Flächenlast
Die Lastannahmen (Eigengewicht, Verkehrslast) nach DIN 1055 und DIN 1072 sind nur exemplarisch und in vereinfachter Darstellung zu unterrichten
ZEIT
1.4 Masse, Dichte, Kraft 1.4.1 Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten zwischen Masse, Dichte und Volumen Fähigkeit, dazu fachliche Berechnungen durchzuführen 1.4.2 Überblick über die Wirkungen von Kräften Fähigkeit, Kräfte zeichnerisch darzustellen
3 Std.
Kraftmessungen mit der Federwaage 1 Std.
2.1 Maßeinheiten
Abbildung 23: Auszug aus dem bayerischen Lehrplan für die Berufsschule Fachklassen Baustoffprüfer, 10. mit 12. Jahrgangsstufe, 1983, Fachtheorie, Lernziele 1.4
Den didaktischen Ausgangspunkt bilden dabei klar die Lernziele. Um diese zu „verwirklichen“, werden Inhalte situations- und individuenspezifisch in An280 Vgl. Müller, 2002, S. 88f.
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lehnung an die vorgegebenen Ordnungsstrukturen aufbereitet. MEYER definiert Lernziele als die „sprachlich artikulierte Vorstellung über die durch Unterricht (oder andere Lehrveranstaltungen) zu bewirkende gewünschte Verhaltensänderung eines Lernenden“.281 Ganz im Sinne dieses behavioristischen Ansatzes wurden Lernziele auf drei grundlegende Entwicklungsbereiche des Menschen bezogen: „Kognitive Lernziele“ beziehen sich auf die Entwicklung von Kenntnissen und intellektuellen Fähigkeiten, also vom Erinnern von Wissen über dessen systematische Einbettung und Reflexion, dessen Anwendung in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen bis hin zum Problemlösen. „Psychomotorische Lernziele“ beziehen sich auf physische Entwicklung. Das kann allgemein technische oder handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten umfassen, ebenso wie gestalterische oder sportliche. „Affektive Lernziele“ beziehen sich auf die Entwicklung von Einstellungen, Werthaltungen und Überzeugungen. Diese affektiven Komponenten können sich auf Beruf und Betrieb beziehen, auf Familie und Freunde, oder auch auf Staat und Gesellschaft. In den „curricularen Lehrplänen“ (CuLP) wurden diese Lernzieltypen vier Lernzielklassen zugeordnet. Dabei teilte man kognitive Lernziele in die Klassen „Wissen“ und „Erkennen“ auf. Die Klasse „Können“ entsprach dem psychomotorischen Bereich, die Klasse „Werten“ dem affektiven. Quer zu dieser (horizontalen) Klassenbildung wurde (vertikal) noch in Anforderungsstufen unterschieden. Z.B. standen im Lernziel 1.4.1 (s. Abbildung 23) die Entwicklungsperspektiven (a) Kenntnis und (b) Fähigkeit untereinander. Diese bezogen sich nicht nur auf unterschiedliche Zielklassen, sondern stellten zudem unterschiedliche Anforderungen fest. (a) war dem Bereich „Wissen“ zuzuordnen, (b) dem Bereich „Können“, (a) besaß einen relativ hohen Anspruch, (b) einen eher geringeren. Diese Übersicht über die Lernzielbeschreibungen wurde auch als Taxonomietabelle bezeichnet und man fand sie zu Beginn jedes curricularen Lehrplans (s. Abbildung 24). Sie gab einen Überblick über die verschiedenen Zielklassen und den zugeordneten Anforderungsstufen und sollte den planenden Lehrkräften helfen, die einzelnen Anforderungsstufen klar einzuschätzen und gegeneinander abzuwägen.
281 Meyer, 1980, S. 137.
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Anforderungsstufen
Zielklassen Æ
WISSEN
KÖNNEN
ERKENNEN
WERTEN
Informationen
Operationen
Probleme
Einstellungen
Einblick: (in Ausschnitte eines Wissensgebiets)
Fähigkeit: bezeichnet dasjenige Können, das zum Vollzug von Operationen notwendig ist
Überblick: (über den Zusammenhang wichtiger Teile) Kenntnis: verlangt stärkere Differenzierung der Inhalte und Betonung der Zusammenhänge Vertrautheit: bedeutet souveränes Verfügen über möglichst viele Teilinformationen und Zusammenhänge
Bewusstsein: Die Problemlage wird in ihren wichtigen Aspekten erfasst
Fertigkeit: verlangt eingeschliffenes, müheloses Können
Einsicht: Eine Lösung des Problems wird erfasst, bzw. ausgearbeitet
Beherrschung: bedeutet souveränes Verfügen über die eingeübten Verfahrensmuster
Verständnis: Eine Lösung des Problems wird überprüft und ggf. anerkannt
Offenheit Interesse Neigung
Achtung Freude Bereitschaft Entschlossenheit
Abbildung 24: Taxonomietabelle aus dem bayerischen Lehrplan für die Berufsschule Fachklassen Baustoffprüfer, 10. mit 12. Jahrgangsstufe, 1983.
Gerade die Lernzieltaxonomie deutet auf eine Problematik des curricularen Ansatzes hin, der nie überzeugend gelöst wurde. Den ersten und prominentesten Ansatz, die Qualität von Lernzielen in einem Ordnungssystem handhabbar zu machen, geht auf BLOOM282 zurück. In seiner kognitiv akzentuierten „Taxonomy of Learning Objectives“ steht auf unterster Stufe die Kenntnis, gefolgt vom Verstehen, dem Anwenden, der Analyse, der Synthese und schließlich der Beurteilung. Diesem Ansatz folgten bis heute weitere von seinen Schülern ANDERSON, KRATHWOHL und MARZANO. Dabei wurden die Taxonomien erheblich ausdifferenziert, wobei sie nach wie vor empirisch nur unzulänglich abgesichert sind. In eine aktuelle Theorie komplexer Kompetenzen kann die hier zu Grunde gelegte Vorstellung zunehmender Wissensqualitäten kaum mehr passen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Handlungsfähigkeit eines Menschen direkt mit dem Abstraktionsgrad seines 282 Vgl. Bloom, 1965.
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Wissen zunehmen kann, gegenteilig intendiert der kompetenzbezogene Paradigmenwechsel eine Abkehr vom Auf- und Ausbau handlungsfernen Wissens. Die zentrale Kritik der curricularen Lehrpläne wurde vorausgehend schon akzentuiert: Ihnen wurde unterstellt, verplante Lernprozesse zu erzwingen und die LehrerInnen zu nötigen, vorliegende Inhalts- und Zielentscheidungen ebenso kritiklos zu akzeptieren wie methodische Lehrwege. Bei Betrachtung des Lehrplanauszugs und vor allem der zugehörigen Taxonomietabelle wird deutlich, dass in derartigen Lehrplänen tatsächlich ein hoher Grad an Konkretisierung vorlag. Diese streng „gerasterten“ Vorgaben konnten aber die angestrebte Konkretisierung nur theoretisch und ausschnittartig erreichen. In der Umsetzung erwies sich die Orientierung an äußerlich erkennbaren Verhalten vor allem in Verbindung mit der Lernzieltaxonomie als kaum realisierbar. In der Praxis wurden die curricularen Lehrpläne selten im Sinne von Robert F. MAGER umgesetzt.283 Die Ausformulierung von Lernzielen mit genauen Verhaltensbeschreibungen in Orientierung an die verschiedenen Zielklassen und Anforderungsstufen fand wohl überwiegend zur Vorbereitung von Lehrproben statt, selten für die alltägliche Unterrichtskonzeption. An Stelle der vielfältigen Lehrplanvorgaben orientierten sich die LehrerInnen an anderen Kriterien, welche überwiegend mit berufs- bzw. praxisbezogenen, individualbezogenen aber auch prüfungsbezogenen oder pragmatischen Überlegungen zusammenhingen. SCHELTEN beschreibt Lernziele im Sinne von angestrebten Lernergebnissen, über welche Schüler am Ende eines Lernvorganges verfügen sollen.284 In Orientierung an einer solchen demgemäß offeneren Zielfindung und mit dem entsprechenden didaktischen Gespür konnten die Vorgaben des CuLP zu einem guten Unterricht führen. Alle vorgesehenen Inhalte ließen sich dabei in einer angemessenen zeitlichen Verteilung aufeinander bezogen und aufbauend vermitteln. Sowohl die korrespondierenden Fächer als auch der Unterricht der späteren Jahrgangsstufen verfügten über Bezugsinformationen, an welchen sie sich in ihrer didaktischen Planung orientieren könnten. Der fachwissenschaftlich-systematische Ausgangspunkt ging direkt in die Unterrichtskonzepte ein und prägte damit beruflichen Unterricht als primären Theorieunterricht.
283 Vgl. Mager, 1973. 284 Vgl. Schelten, 1994, S. 171.
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Das Lernfeldkonzept Herkunft Beruflicher Unterricht teilte sich im curricularen Lehrplan in allgemeine Fächer (Deutsch, Ethik …) und berufliche Fächer (Fachtheorie, Fachpraxis …) auf. Diese beiden Hauptbereiche beruflichen Unterrichts beziehen sich jedoch auf sehr unterschiedlich ausdefinierte Einzelfächer. Bei näherer Betrachtung der Ziele und Inhalte der beruflichen Fächer wird deutlich, dass diese „inhaltlich unscharfe, häufig bewusst und künstlich gesetzte Grenzen zu ihren Nachbarfächern aufweisen und dass ihnen weder eine spezifische akademische Bezugsdisziplin, noch eine besondere Lehrerausbildung und auch keine Fachdidaktik zugeordnet ist“.285 Diesbezügliche Erklärungsansätze gibt es einige, durchaus konträre: Wird davon ausgegangen, dass sich die entstehende Berufsschule von den Betrieben differenzieren wollte, werden die beruflichen Fächer mit einer Übernahme des Fächerprinzips aus den allgemeinen Schulen in die beruflichen bzw. berufsbildenden Schulen begründet. Wird davon ausgegangen, dass sich die entstehende Berufsschule an den Betrieben orientieren wollte, werden die beruflichen Fächer mit einer Übertragung ingenieurswissenschaftlicher „Taylorisierung“ von der Produktion auf die Berufsschule begründet. Dieser scheinbare argumentative Widerspruch hebt sich jedoch auf, wenn – im Sinne der reformpädagogischen Argumentation – davon ausgegangen wird, dass schulische Fächer (allgemein oder beruflich) schulorganisatorisch intendiert sind, nicht aber pädagogisch. Alle Planungs- und Koordinationsaspekte, von der Lehrerverteilung bis zur Raumauslastung, sind deutlich einfacher, wenn man sie in kleinen, diskreten Formaten handhabt. Mit dieser Partikularisierung einhergehend entstanden aber auch sehr unzusammenhängende Unterrichtsgefüge. Die fehlende Gesamtkoordination des Curriculums wurde von den Schulen bzw. Lehrpersonen nur selten kompensiert. Für die Lernenden entstand so ein mosaikartiges, wenig zusammenhängendes theoretisches Gebilde ihres beruflichen Theoriewissens. Es blieb schließlich ihnen selbst überlassen, die unterschiedlichen Unterrichtsstile, Unterrichtsqualitäten und Schwerpunktsetzungen anzunehmen, zu überbrücken und zu einem Ganzen zusammenzuführen. Mit dem technischbetrieblichen Wandel in den 1980er Jahren wurde die diesbezügliche Kritik seitens der Großbetriebe stärker, zumal sich diese in ihren Ausbildungskonzepten schon seit Längerem komplexen und praxisnahen Ansätzen zugewandt hatten. 285 Clement, 2003, S. 4.
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Zu Beginn der 1990er Jahre etablierte sich Handlungsorientierter Unterricht in deutschen Berufsschulen. Dieser zunächst eng an der betrieblichen Leittextmethode angelehnte Ansatz wurde mit dem betrieblich erhobenen Anspruch der Förderung von Schlüsselqualifikationen begründet. Im Zuge einer zunehmenden Etablierung und Differenzierung des Ansatzes in der Praxis sowie einem wachsenden wissenschaftlichen Interesse und der Implementierung empirischer Ergebnisse entwickelte sich ein eigenständiges Konzept. Handlungsorientierter Unterricht sollte fächerübergreifend organisiert sein und sich mit komplexen beruflichen Problemstellungen befassen, welche von den Schülern theoretisch erschlossen und praktisch umgesetzt werden müssen.286 Als ein zentrales Ergebnis der damaligen Studien über Handlungsorientierten Unterricht ergab sich die Insuffizienz der bestehenden (curricularen) Lehrpläne. Im Abschlussbericht über den Modellversuch „Fächerübergreifender Unterricht in der Berufsschule“ wird 1996 konstatiert: „Das berufliche Lernen soll zukünftig nicht mehr in den herkömmlichen Fächern, sondern in inhaltlich zusammengehörenden, thematisch gegliederten Lernfeldern gestaltet werden.“287 Kurze Zeit später wurden die ersten in Lernfelder gegliederten Lehrpläne entwickelt.288 Dabei wird in den Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule folgende Feststellung getroffen: „Eine auf die Veränderungen in der Qualifikationsanforderung ausgerichtete Pädagogik hat sich stärker an den Prozessen beruflicher Tätigkeiten zu orientieren. Damit werden die beruflichen Tätigkeitsfelder eine wesentliche Bezugsebene für den Berufsschulunterricht. Die Rahmenlehrpläne der KMK folgen diesen Anforderungen, indem sie nach Lernfeldern strukturiert sind, die an Tätigkeitsfeldern des Berufs zu entwickeln sind und den spezifischen Bildungsauftrag der Berufsschule einschließen. Infolge des Wandels der Arbeits- und Geschäftsprozesse in den Betrieben nehmen die Rahmenlehrpläne damit auch die für den Wandel ursächlichen Erkenntnisse aus den Fachwissenschaften auf.“289 Da die Rahmenlehrpläne der KMK innerhalb der beruflichen Bildung eine hohe bundesweite (und damit länderübergreifende) Verbindlichkeit besitzen, ist dieser Setzung große Bedeutung beizumessen. Unabhängig von der aktuel286 Genauer in Schelten, 2004, S. 176. 287 Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, 1996, S. 199. 288 Am 09.05.1996 findet das „Lernfeldkonzept“ in den Handreichungen der KMK erstmalig Erwähnung. 289 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, 2000, S. 4 (http://www.kmk.org/doc/publ/handreich.pdf).
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len Kritik und den Implementierungsproblemen des Lernfeldkonzepts soll es in dieser Didaktik als zentrale Planungsvorgabe für beruflichen Unterricht angenommen werden. Konzept Obwohl BADER auch noch 2004 davon ausging, dass das Lernfeldkonzept theoretisch erst ansatzweise bearbeitet sei, veröffentlicht er eine „Handreichung zur Erarbeitung von Rahmenlehrplänen sowie didaktischer Jahresplanung für die Berufsschule“.290 Er charakterisiert Lernfelder – im Sinne der KMK-Konzeption – als didaktisch reflektierte (berufliche) Handlungsfelder, welche (für beruflichen Unterricht) in spezifische Lernsituationen übertragen werden können.291 Demgemäß sind Lernfelder „didaktisch begründete, schulisch aufbereitete Handlungsfelder. Sie fassen komplexe Aufgabenstellungen zusammen, deren unterrichtliche Bearbeitung in handlungsorientierten Lernsituationen erfolgt. Lernfelder sind durch Zielformulierungen im Sinne von Kompetenzbeschreibungen und durch Inhaltsangaben ausgelegt.“ Demgegenüber definiert BADER Handlungsfelder als „zusammengehörige Aufgabenkomplexe mit beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen, zu deren Bewältigung befähigt werden soll. Handlungsfelder sind immer mehrdimensional, indem sie stets berufliche, gesellschaftliche und individuelle Problemstellungen miteinander verknüpfen. Die Gewichtung der einzelnen Dimensionen kann dabei variieren.“ Schließlich beschreibt er Lernsituationen als Konkretisierung der Lernfelder. „Dies geschieht in Bildungsgangkonferenzen durch eine didaktische Reflexion der beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen.“292 So wie sich im curricularen Lehrplan die Entwicklung von Lehrplänen und deren didaktische Umsetzung in Unterricht gegenseitig bedingen, implizieren sich auch die Schaffung von Lernfeldern und die darauf bezogene (unterrichtliche) Ausgestaltung von Lernsituationen gegenseitig. Dem Dualismus aus vollständigem Curriculum und didaktischer Transformation (durch Reduktion) steht hier jener von Lernfeld und Lernsituation gegenüber. Ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Konzepten wird jedoch durch die enge Bezugnahme auf berufliche Handlungsfelder deutlich. Während der CuLP sich als ein Ordnungsmittel verstand, welches die berufliche Realität (und 290 Vgl. Bader, 2004a, S. 1. 291 Vgl. Bader, 2004a, S. 1. 292 Ebd. S. 28
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deren Theorieanspruch) repräsentierte, positioniert sich der lernfeldorientierte Lehrplan (LoLP) zwischen dieser und dem Unterricht. Dies hat nicht nur eine Aufwertung des Berufsbezugs in der Unterrichtsplanung zur Folge, sondern zieht auch erheblich veränderte Modalitäten der Lehrplanentwicklung und -umsetzung nach sich.
Handlungsfelder Didaktisch begründete Transformation
Überprüfung der intendierten Bildungsrelevanz
Lernfelder Didaktisch begründete Konkretisierung
Überprüfung der intendierten Kompetenzentwicklung
Lernsituationen
Abbildung 25: Zusammenhang Handlungsfeld-Lernfeld-Lernsituation nach Bader293
BADER skizziert mögliche Verfahrenswege (1) zur Generierung von Lernfelder auf Lehrplanebene und (2) zur praktischen Umsetzung von Lernfeldern auf Unterrichtsebene. Aus der Tatsache, dass beide Verfahrenswege ohne die Auseinandersetzung mit beruflichen Handlungsfeldern nicht möglich sind, ergibt sich eine Trias Handlungsfeld/Lernfeld/Lernsituation, in welcher Lehrplan und Unterricht sowohl unmittelbar aufeinander bezogen sind als auch mittelbar über ein gemeinsames Reflexionsfeld. Zu (1): Zur Generierung von Lernfeldern ist es erforderlich, reale berufliche Handlungsfelder aufzusuchen und hinsichtlich ihrer Bildungsrelevanz zu prüfen. Diese Prüfung bezieht sich auf die Erfassung von (a) relevanten Arbeitsprozessen, (b) die Identifikation und Beschreibung der Handlungsfelder innerhalb eines Ausbildungsberufs, (c) die Transformation von Handlungsfeldern in Lernfelder und (d) deren Zusammenstellung, Anordnung und Ausgestaltung.
293 Vgl. Bader 2004a, S. 1.
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(a) Diese Vorgabe für Lehrplangremien auf KMK-Ebene macht deutlich, dass – im Gegensatz zum CuLP – hier nicht mehr fachwissenschaftlich geordnete Ziele und Inhalte zusammengestellt werden können, sondern es zunächst gilt, die betriebliche Realität zu erfassen. Um dieser (zumindest temporär) zu entsprechen, muss zunächst ein charakteristisches Profil der Arbeits-, Geschäftsprozesse und Tätigkeiten eines Berufs ermittelt werden. Dabei gilt es, die hier vorliegende Gesamtvielfalt auf regionale bzw. betriebliche Spezifika erheblich einzuschränken. Diese „Reduktion“ ist schwierig und entspricht (bei allem Bemühen um Objektivität) einer situativen und subjektiven Auswahl. Gemäß der Vorgabe sollten dazu die aktuellen Ordnungsmittel des Berufs294 gesichtet, Unternehmen aufgesucht und Expertengespräche initiiert werden.295 (b) Das eigentliche Erfassen und Beschreiben von Handlungsfeldern sollte auch im direkten Dialog mit den entsprechenden Betrieben und Experten erfolgen. Konkretisiert wird ein Handlungsfeld durch seine spezifische Funktion innerhalb einzelner oder mehrerer Geschäfts- bzw. Arbeitsprozesse sowie durch ein darauf bezogenes Qualifikations- bzw. Kompetenzprofil. Dabei gilt es, besonders charakteristische Handlungsfelder (gem. charakteristischer Prozesse) im Sinne eines Grundbestands zu identifizieren und auf ein Abstraktionsniveau zu bringen, welches eine Beschreibung des Ausbildungsberufs durch eine angemessene Anzahl an Handlungsfeldern ermöglicht.296 (c) Ob die ausdefinierten Handlungsfelder tatsächlich in den Rahmenlehrplan eingehen entscheidet sich bei deren Transformation in Lernfelder. Diese soll – gemäß BADER – im Sinne einer Rückkontrolle nach didaktischen Gesichtspunkten erfolgen.297 Nach Überlegungen bzgl. der Gegenwarts-, Zukunftsbedeutung, Exemplarität und Innovationswert wird im Gesamtüberblick beurteilt, welche der erfassten Handlungsfelder tatsächlich erforderlich sind, um die Arbeits- bzw. Geschäftsprozessstruktur zu repräsentieren und, ob sich daraus schon eine bestimmte schulische Abfolge erkennen lässt. Im Idealfall wird dann ein Handlungsfeld direkt zum Lernfeld, real ist aber von mehr oder weniger umfassenden Ergänzungen und/oder Kürzungen auszugehen. (d) Abschließend werden die ausgewählten Handlungsfelder in Lernfelder transformiert, arrangiert und ausformuliert. Diese Transformation entspricht 294 Ausbildungsordnung, Ausbildungsberufsbild, Blätter zur Berufskunde, Informationen von Unternehmen etc. 295 Vgl. Bader 2004a, S. 29f. 296 Zu große Handlungsfelder sind schwer beschreib- und handhabbar und lassen sich nur fragmentarisch in Lernfelder umsetzen. Zu kleine Handlungsfelder führen zu einer Zergliederung und nivellieren innere Zusammenhänge. 297 Vgl. ebd., S. 31f.
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einer Umsetzung der Konsequenzen des vorausgehenden Auswahlprozesses durch qualitative und quantitative Maßnahmen: z.B. Erweiterung/Ergänzung der Lernfelder um die Förderung von Human- oder Sozialkompetenz zu ermöglichen, Anhebung oder Senkung des Niveaus im Hinblick auf die zu erwartenden Lernvoraussetzungen der potenziellen SchülerInnen, Identifikation fehlender Lernfelder und deren Bedeutung für den Beruf. Hinzu kommen auch Überlegungen, wie die Lernfelder nach didaktischen und organisatorischen Aspekten sinnvoll auf die Schuljahre verteilt werden können.298 Die eigentliche Ausformulierung vollzieht sich in der Feststellung der innerhalb eines Lernfeldes zu betonenden Kompetenz-Schwerpunkte, der zuzuordnenden Inhalte und zeitlicher Rahmenvorgaben. Diese Handlungsempfehlungen für die Entwicklung von Lernfeldern lassen erahnen, dass die Lehrplanarbeit mit dem LoLP gegenüber der Umsetzung des CuLP keineswegs einfacher geworden ist. Die von KLAFKI entlehnte „didaktische Analyse“ gewinnt in dieser Anwendung eine neue, ungewohnte Gestalt. Sie wird nicht mehr zur Auswahl und Gewichtung von Themen bzw. Inhalten angewandt, sondern zur Transformation von Handlungsfeldern in Lernfelder. Ob dies im ursprünglichen Sinne hier überhaupt sinnvoll bzw. möglich ist, kann keineswegs als sicher unterstellt werden.299 Auch die von BADER konstatierte Auseinandersetzung mit der theoretischen Fundierung der Berufstätigkeiten anhand seines Modells einer Kompetenzentwicklung im Sinne des Durchlaufens eines soziotechnischen Handlungssystems300 erscheint sehr theoretisch, denn eine Zuordnung beruflicher Tätigkeiten zu den dort konstruierten Ebenen bleibt vage. Für diesbezügliche Betrachtungen bieten sich wahrscheinlich eher arbeitspsychologische Zugänge an wie z.B. das VERAVerfahren301 über welches Arbeitstätigkeiten gemäß ihres regulatorischen Anspruchsniveaus voneinander unterschieden werden können. Damit wäre zumindest eine grobe Taxierung der identifizierten Tätigkeiten und damit der
298 Vgl. Bader 2004a, S. 32f. 299 Generell ist davon auszugehen, dass jedes innerhalb eines Berufs vorzufindende Handlungsfeld von entsprechender Bedeutung für Gegenwart und Zukunft ist. Ansonsten würde es durch die beruflich-betriebliche Realität eliminiert werden. Derartige Gewichtungen sind zwar in jedem Falle vorzufinden, drücken aber eher betriebliche oder regionale Spezifika als objektive Gewichtungen aus. 300 Das von Bader entwickelte Modell der „Kompetenzentwicklung“, dem die Annahme eines Durchlaufens bestimmter soziotechnischer Handlungssysteme zu Grunde liegt, erstreckt sich von der Alltagserfahrung über die Werkstatterfahrung bis hin zur Modell- und Theoriebildung. Vgl. ebd., S. 18. 301 „Verfahren zur Ermittlung von Regulationserfordernissen in der Arbeitstätigkeit“ (vgl. Volpert, 1983a).
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Handlungsfelder möglich, um deren zeitlichen Umfang sowie deren Positionierung im Gesamtplan zu konkretisieren. Schließlich erscheint die geforderte Zuweisung konzeptionell ungeklärter Kompetenzen zu Lernfeldern relativ willkürlich, wissenschaftlich kaum haltbar und damit weder produktiv noch erforderlich,302 denn die Lernfeldbeschreibungen umfassen (zumindest explizit) keine diesbezüglichen Aussagen. Zu (2): Lernfelder entstehen durch „didaktisch begründete Transformationen von Handlungsfeldern“ in paralleler Überprüfung der intendierten Bildungsrelevanz. Die Entwicklung von Lernsituationen soll dann auf Basis vorliegender Lernfelder erfolgen im Sinne einer didaktisch begründeten Konkretisierung. Dabei repräsentiert das (staatlich vorgegebene) Lernfeld einen Handlungsrahmen mit spezifischen Inhalten zur Gestaltung von Lernsituationen, die berufliche Realität (explizit das jeweilige Handlungsfeld) einen komplexen Reflexionsgegenstand zur Überprüfung der Relevanz der Lernsituationen. BADER beschreibt in diesem Zusammenhang vier Teilbereiche: (a) Analysieren von Lernsituationen, (b) Ausgestaltung von Lernsituationen, (c) Organisation und Rahmenbedingungen und (d) Überprüfungen des Lernerfolgs.303 Diese Umsetzung von Lernfeldern in Lernsituationen wird nicht im Sinne einer tatsächlichen Unterrichtsgestaltung verstanden, sondern vielmehr als ein Zwischenschritt, welcher der eigentlichen Unterrichtskonzeption vorausgehen sollte. Damit wird die dem Lernfeldkonzept inhärente Idee einer schulnahen Curriculum-Entwicklung deutlich. Vereinfacht ausgedrückt geht der LoLP davon aus, dass er sich erst in einer schulspezifischen Ausgestaltung konkretisiert. So verfügt der LoLP über einen gewissen Abstraktionsgrad, der ihn einerseits langfristig stabiler, andererseits aber auch flexibler machen soll. Im Gegensatz zum CuLP kann er jedoch nicht direkt in den Unterricht übertragen werden. Die Entwicklung von Lernsituationen auf Basis vorliegender Lernfelder entspricht somit einer kombinierten Lehrplan- und Konzeptarbeit, welche absehbar nur von schulspezifischen Teams aus fachlich ausgewiesenen KollegInnen (evtl. mit Einbindung betrieblicher Experten) vorgenommen werden kann.
302 Vgl. die vorausgehende Erörterung des „Kompetenz-Konzepts“ und dessen kontroverse Diskussion. 303 Vgl. Bader, 2004a., S. 34ff.
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Zusammenfassend sollen aus dem Lernfeldkonzept folgende didaktische Implikationen abgeleitet werden: – Eine grundlegende Orientierung an der Vermittlung beruflicher Handlungskompetenzen im Sinne einer komplexen Bildungsperspektive betrieblichen und schulischen Lernens; – Vorstellungen und Konzepte bzgl. des Erwerbs, der Repräsentation und der Anwendung von Wissen, die mit der Zielperspektive beruflicher Handlungskompetenz korrespondieren; – Lehr-Lernprozesse, welche von einem Kompetenzaufbau ausgehen und versuchen, diesen möglichst gut zu unterstützen. Gemäß der KMK-Handreichung sind Lernfelder durch Zielformulierung, Inhalte und Zeitrichtwerte beschriebene thematische Einheiten, die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind. Zielformulierungen beschreiben die Qualifikationen und Kompetenzen, die am Ende des schulischen Lernprozesses in einem Lernfeld erwartet werden. Sie bringen den didaktischen Schwerpunkt und die Anspruchsebene (z.B. „Wissen“ oder „Beurteilen“) des Lernfeldes zum Ausdruck. In den Zielformulierungen wird das zu erwartende Ergebnis der Lernprozesse im Lernfeld im Präsens beschrieben.304 Die „Inhalte“ stellen nach den Zielformulierungen ein weiteres Element bei der Ausgestaltung der Lernfelder dar. Sie sind – unter Beachtung der Aufgaben des Lernortes Berufsschule – als „didaktisch begründete Auswahl“ zu bestimmen und beschreiben den Mindestumfang, der zur Erfüllung des Ausbildungsziels im Lernfeld erforderlich ist – allerdings ohne Anspruch auf fachsystematische Vollständigkeit. Der „Umfang“ des berufsbezogenen Unterrichts beträgt pro Ausbildungsjahr in der Regel 280 bzw. 320305 Unterrichtsstunden. Für jedes Lernfeld ist dabei ein Zeitrichtwert für dessen Behandlung im Unterricht festzulegen, welcher im Hinblick auf die organisatorischen Gegebenheiten der Berufsschule durch 20 teilbar sein und 80 Unterrichtsstunden nicht überschreiten sollte. Lernfelder sind zudem handlungsorientiert auszurichten. Damit werden (gem. KMK) Lernarrangements mit Handlungs- und Situationsbezug und eigenverantwortlichen Schüleraktivitäten gefordert, die Vermittlung von Orientie304 Nicht zu verwenden sind Formulierungen, die das Ergebnis des Lernprozesses mit „soll …“ beschreiben. Der Rahmenlehrplan ist eine Vorgabe, die sich nicht selbst durch „soll“Formulierungen in Frage stellt. 305 Für Unterricht im kooperativen Berufsgrundbildungsjahr (BGJ).
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rungswissen, systemorientiertem Denken und Handeln sowie vernetztes Denken, das Lösen komplexer und exemplarischer Aufgabenstellungen aus den beruflichen Tätigkeitsfeldern die didaktische Einbindung von Arbeits- und Geschäftsprozessen im Erklärungszusammenhang der zugehörigen Fachwissenschaften. Fachtheoretische Inhalte sollen so in einen Anwendungszusammenhang gebracht werden, welcher die Vorgaben der Lernfelder in Lehr-/ Lern-Arrangements präzisiert. Beispielmaterial Übersicht über die Lernfelder für den Ausbildungsberuf „Ausbaufacharbeiter“ mit dem Schwerpunkt „Zimmerarbeiten“ (1. Stufe) sowie für den Ausbildungsberuf „Zimmerer“/„Zimmerin“ (1. und 2. Stufe) Lernfelder
Zeitrichtwerte in Stunden 1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
Ausbaufacharbeiter/-in Berufsfeldbreite Grundbildung (alle Berufe) 1 Einrichten einer Baustelle
20
2 Erschließen und Gründen eines Bauwerks
60
3 Mauern eines einschaligen Baukörpers
60
4 Herstellen einer Holzkonstruktion
60
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Abbildung 26: Lernfeldübersicht mit spezifischen Lernfeldern und zugehörigen Zeitrichtwerten
Anhand des dargestellten Beispielmaterials lassen sich die vorausgehenden konzeptionellen Erläuterungen der KMK nachvollziehen. Abbildung 26 zeigt eine Lernfeldübersicht mit spezifischen Lernfeldern und zugehörigen Zeitrichtwerten. Die untereinander stehenden Lernfeldbezeichnungen sind im Sinne von Handlungsfeldern verfasst bzw. aus solchen erkennbar abgeleitet und steheen in einer sinnvollen (aber nicht verbindlichen) Reihenfolge. Jedem Lernfeld ist eine entsprechende Zeitvorgabe zugewiesen. Abbildung 27 zeigt das Lernfeld 3 aus den Rahmenlehrplänen für die Bauberufe. Unter der Lernfeldbezeichnung steht eine Zielformulierung, welche die Intentionen des Lernfeldes hinsichtlich der erwarteten Schüleraktivitäten 198
präzisiert. In Verbindung mit den aufgelisteten Aktivitäten stehen präzisierende Planungs-, Entscheidungs-, Durchführungs- und Beurteilungsaspekte. Die Inhalte sind in den Feldern darunter ohne weitere Erläuterung untereinander aufgelistet. Lernfeld 3
Mauern eines einschaligen Baukörpers
1. Ausbildungsjahr Zeitrichtwert: 60 Stunden
Zielformulierung: Die Schülerinnen und Schüler planen die Herstellung eines einschaligen Mauerwerkskörpers aus klein- oder mittelformatigen künstlichen Mauersteinen einschließlich Öffnungen. Sie treffen Entscheidungen für Baustoffe und Art des Verbandes. Sie wählen geeignete Materialien zum Abdichten gegen Bodenfeuchtigkeit aus und erarbeiten Lösungen für ihren Einbau. In Anlehnung an den Arbeitsablauf erstellen die Schülerinnen und Schüler eine Auflistung der Arbeitsmaterialien. Dabei beachten sie das Aufstellen von Arbeitsgerüsten unter Berücksichtigung des Arbeitsschutzes. Die Schülerinnen und Schüler fertigen Ausführungszeichnungen an und führen Mengen- und Materialermittlungen anhand von Tabellen durch. Sie nutzen Messwerkzeuge, fertigen Aufmaßskizzen an und erstellen einen Kriterienkatalog zur Beurteilung der Arbeitsergebnisse. Inhalte: Wandarten- und aufgaben künstliche Mauersteine, Dichte, Druckfestigkeit, Luftschall- und Wärmedämmung Baukalke Mauermörtel, Mörtelgruppen Maßordnung im Hochbau Mauerverbände Arbeitsgerüste Abdichtungsstoffe Baustoffbedarf Ausführungszeichnungen, Aufmaßskizzen Isometrie
Abbildung 27: Ausformuliertes Lernfeld 3 aus den Rahmenlehrplänen für die Bauberufe
Vergleicht man diese Planungsvorgabe mit dem curricularen Lehrplan, werden einige gravierende Unterschiede deutlich: (1) Die beruflichen Fächer sind nicht mehr expliziert und differenziert, (2) die Lernzielformulierung hat sich
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verändert, (3) die ehemaligen vier Spalten sind in zwei Felder übergegangen und (4) die Gesamtmenge der Vorgaben hat sich verringert. Zu (1): Die ehemaligen „beruflichen Fächer“ sind im LoLP weder erwähnt, noch lassen sich diesbezügliche Anhaltspunkte vorfinden. Die Systematisierung nach berufsbezogenen Lernfeldern geht davon aus, dass deren Vermittlung auch die in den ehemaligen Fächern intendierten Lernschwerpunkte306 integrieren kann. Zu (2): Die „Ziele“ werden bewusst als solche und nicht als „Lernziele“ bezeichnet. Sie sind keinen bestimmten Entwicklungsbereichen zugeordnet bzw. in Zielklassen und Anforderungsstufen taxiert. Vielmehr drücken sie sich in Schülerhandlungen aus, welche sich auf allgemein gehaltene Inhalte beziehen. Diese inhaltlichen Bezüge werden im darunter liegenden Inhaltsfeld näher beschrieben. Zu (3): In lernfeldorientierten Lehrplänen stehen ein Zielfeld und ein Inhaltsfeld ohne interne Bezugssystematik untereinander. Damit fallen zunächst die Hinweisspalte und die Zeitspalte weg, zudem können keine partikulären Inhalte bestimmten Einzelzielen zugeordnet werden. Die Zeitangabe erfolgt in Form eines Richtwerts für das gesamte Lernfeld. Zu (4): Aufgrund der fehlenden Hinweise zum Unterricht und vor allem wegen des wesentlich geringeren Explikationsgrads der lernfeldorientierten Lehrpläne hat sich die Gesamtmenge des Vorgegebenen gegenüber den curricularen Lehrplänen erheblich verringert. Das ehemalige „Lehrstoff-ZeitProblem“ verblasst zugunsten eines „Konkretisierungs- und Gewichtungsproblems“. Das Bemühen der LehrerInnen, die vielen Ziele des curricularen Lehrplans in der gegebenen Zeit umzusetzen, kehrt sich um in die Problematik, aus den Lernfeldern konkrete Teilziele abzuleiten und diese entsprechend ihrer beruflichen Bedeutung zu gewichten. Erörterung Aus dem vorausgehenden Vergleich wird zunächst deutlich, dass mit den lernfeldorientierten Lehrplänen eine erhebliche Übertragung bildungsbezogener Entscheidungen vom Staat auf die Schulen bzw. LehrerInnen erfolgt. „Damit werden zugleich wesentliche Aufgaben der curricularen Entwicklungsarbeit an die einzelnen Schulen verlagert, zumal auch vorgesehen ist, dass diese Rahmenlehrpläne direkt und ohne nochmalige landesspezifische Lehrplankommissionen als Lehrpläne der einzelnen Bundesländer eingesetzt werden. Den Schulen wird hiermit die Chance zur curricularen Profilierung 306 Physikalisch-technologisches Denken und Handeln, technische Mathematik etc.
200
und Differenzierung geboten, und auch die Möglichkeit einer curricularen Abstimmung zwischen den Ausbildungspartnern vor Ort werden grundsätzlich deutlich verbessert.“307 Dieser optimistischen Einschätzung kann auch eine pessimistische entgegengehalten werden: Wenn nun die LehrerInnen vor Ort nicht über die entsprechenden organisatorischen Bedingungen für eine schulnahe CurriculumEntwicklung verfügen oder für diese keine entsprechenden Qualifikationen, Motivationen und Interessen vorliegen, ist die intendierte Umsetzung des Lernfeldkonzepts deutlich in Frage zu stellen. Wie aber geht eine Lehrkraft mit derart knappen, offenen Planungsvorgaben ohne Beachtung der umsetzungsbezogenen KMK-Empfehlungen um? Mit der „Schwächung“ des staatlichen Lehrplans durch reduzierte Inhalte und Verbindlichkeit geht absehbar eine Stärkung des „heimlichen Lehrplans“ einher. Eine curriculare Desorientierung bewirkt die verstärkte Orientierung an jener Pragmatik, welche Berufsschulen schon seit ihrem Bestehen begleitet: den Abschlussprüfungen. Diese werden traditionell – praktisch, aber auch theoretisch – maßgeblich von den Kammern gestellt. Die Berufsschulnoten und -prüfungen besitzen diesen gegenüber nur marginalen Charakter. Hinzu kommt, dass die Theorieteile der Kammerprüfungen nach wie vor überwiegend Multiple-Choice-Aufgaben beinhalten. Das Lernfeldkonzept wird vor dem Hintergrund einer Reihe von Implementationsproblemen breit und kontrovers diskutiert. Die Praxis spaltet sich ebenso wie die Wissenschaft in Befürworter und Skeptiker. Je nachdem, ob Lehrpersonen gemäß schüleraktivierender, reformpädagogischer bzw. handlungsorientierter Ansätze unterrichten wollen oder eher einen traditionellen Unterricht bevorzugen, positionieren sie sich zum Lernfeldansatz in unterschiedlicher Weise. Für die Einen bedeutet er eine Bestätigung ihrer didaktischmethodischen Ideale und bessere Rahmenbedingungen für den Unterricht, für die Anderen eine Entwertung ihrer Didaktik und Anpassungsdruck. Skeptiker in der Wissenschaft weisen auf (immer noch) mangelnde Stringenz sowie fehlende empirische Belege des Konzepts hin,308 Befürworter sehen darin einen überzeugenden Ansatz einer längst überfälligen Professionalisierung berufsschulischen Unterrichts.309 Angesichts dieser anhaltenden Diskussion sollen hier drei Anmerkungen getroffen werden:
307 Tram, 2003, S. 5. 308 Vgl. Huisinga, 1999 oder Reinisch, 2003. 309 Vgl. Tramm, 2003 oder Sloane, 2003.
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1) Das Lernfeldkonzept war keine Modifikation oder Revision des vorausgehenden Lehrplans, sondern ein vollständig neues Konzept. Somit ist die bisher kurze Implementierungszeit eher als „Testlauf“ denn als Bewährungsphase anzusehen. Sowohl das Konzept als auch dessen Umsetzungsvorgaben sind eher als eine Zwischenform als eine Endform einzuschätzen. 2) Die unterrichtenden LehrerInnen konnten auf keine elaborierten Umsetzungsstrategien des Konzepts zurückgreifen, sondern handelten weitgehend eher auf Basis kurzfristig erworbenen Wissens aus der Literatur bzw. Fortbildungen. Dabei unterlagen und unterliegen sie einem enormen Anpassungsdruck, begleitet von erheblichen Unsicherheiten und hohem Arbeitsaufwand. 3) Aufgrund der Offenheit des Konzepts, aber auch aufgrund einer Reihe von Implikationen aus übertriebenen oder falsch verstandenen Formulierungen (wie z.B. dem generellen Anspruch einer Handlungsorientierung), werden schwerwiegende Fehleinschätzungen getroffen und kommuniziert: z.B. wird von einem verordneten Methodenmonismus ausgegangen oder dem Anspruch eines Unterrichts, der berufspraktische Fertigkeiten vermittelt. Damit steht fest, dass sich das Lernfeldkonzept sowohl hinsichtlich seiner Ausformulierung als auch seiner didaktischen Umsetzung noch in der Entwicklung befindet. Diese Entwicklung ist auch erschwert, durch eine mangelhafte Unterstützung der Implementierung sowohl auf inhaltlicher aber auch auf personeller Ebene.310 Das Lernfeldkonzept verspricht einerseits eine Chance für eine kompetenzorientierte Didaktik „vor Ort“, andererseits zieht es jedoch auch sicher eine Erhöhung des schulspezifischen curricularen Aufwands und der damit verbundenen didaktischen Verantwortung nach sich. Die Implementierung weist aktuell große Unstimmigkeiten auf. Bei mangelhafter bzw. nicht stattfindender Umsetzung der Lernfelder stehen die LehrerInnen vor einem „Lehrplanvakuum“, welches die Wahrscheinlichkeit einer Orientierung an „heimlichen Lehrplänen“ erhöht. Dies wäre für die Berufsschule als Teil des dualen Systems kontraproduktiv, da sie mit dem Lernfeldkonzept eine Stärkung ihrer Position bewirken wollte, dessen Ablehnung oder Scheitern genau das Gegenteil bewirken würde.
310 Ein derartiger Wandlungsprozess würde in der Wirtschaft sehr vorsichtig und mit großem Unterstützungsaufwand eingeleitet und begleitet werden. Der Erfolg (oder Misserfolg) des Lernfeldkonzepts hängt aktuell erheblich davon ab, wie sich die Lehrerschaft damit arrangiert.
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Schulnahes Curriculum Im Zentrum der Diskussion über eine erfolgreiche Umsetzung des Lernfeldkonzepts an den Berufsschulen stehen sog. „schulnahe Curricula“.311 Dieser Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass durch die bewusst offen gehaltenen staatlichen Vorgaben in den Rahmenlehrplänen der eigentliche Lehrplan erst in der schulinternen Umsetzungen entsteht. Die schulische Umsetzung von Lernfeldern beläuft sich übergreifend auf die Entwicklung von Lernsituationen. Bei diesem neu geschaffenen Format „geht es nicht um die einzelne Unterrichtsstunde, sondern um eine zusammenhängende Reihe von Unterrichtsstunden, die nach Gesichtspunkten einer handlungsorientierten Didaktik aufgebaut sein sollen. Vor dem Hintergrund der offenen curricularen Vorgaben muss diese Präzisierungsarbeit in Schulen von Arbeitsgruppen übernommen werden.“312 Gemäß SLOANE wird das als Aufgabe von Bildungsgangkommissionen angesehen. Er sieht darin eine „Mesoebene“ didaktischer Planung, welche zwischen der Lehrplangestaltung (Makroebene) und der Unterrichtsgestaltung (Mikroebene) die Gestaltung von Bildungsgängen umfasst (s. Abbildung 28). SLOANE schreibt dieser Mesoebene eine vermittelnde Position zwischen der Lehrplan- und der Unterrichtsebene zu und bezeichnet sie als „Managementebene“, deren Zweck die Gestaltung der unterrichtlichen Arbeitsbedingungen sei.313 Planungsebenen
Gremien / Personen
Aufgaben
Planungseinheit
Planungsgegenstände
Makroebene
KMK-LPAusschüsse
Lehrplangestaltung
Rahmenlehrplan
Lernfelder
Mesoebene
Kollegiale Teams
BildungsgangGestaltung
Schulnahes Curriculum
Lernsituationen
Mikroebene
LehrerInnen
Unterrichtsgestaltung
Einzelkonzept
Unterrichtseinheiten
Abbildung 28: Ebenen didaktischer Planung im Lernfeldkonzept
311 Dieses Konstrukt klingt zunächst paradox, da die vollständigen Curricula der Vergangenheit vom Staat gestaltet und vorgegeben wurden und durch das Lernfeldkonzept doch eigentlich abgeschafft werden sollten. Zudem wird impliziert, dass Schulen eigene Curricula entwickeln, was wiederum einer der Grundfunktionen von Lehrplänen widerspricht: der staatlichen Bildungskontrolle. 312 Sloane, 2003, S. 7. 313 Vgl. ebd.
203
Derartiges schulspezifisches Bildungsmanagement wird seitens der KMK explizit als eine gemeinschaftliche Aufgabe von LehrerInnenteams betrachtet. Die relativ offenen Vorgaben des Lehrplans sollen so zunächst in ein jeweils schulspezifisches Curriculum umgesetzt werden, bevor schließlich einzelne Unterrichtssequenzen oder -stunden ausgearbeitet werden können. Dieses Curriculum entspricht einer Umsetzung der Lernfelder auf die regionalen Spezifika sowie auf die personellen und adressatenbezogenen Gegebenheiten. Ein solches Bildungsmanagement sollte sollte unbedingt in kollegialen Teams eines Fachbereichs bzw. Teilbereichs erfolgen, wenn mehrere Lehrer- Innen innerhalb eines Lernfelds unterrichten. Zudem fordert die KMK-Empfehlung eine Orientierung des Bildungsmanagements an (1) dem Bildungsziel „beruflicher Handlungskompetenz“, (2) einer „Handlungsorientierung“ im Unterrichtsgeschehen und (3) die Orientierung an Praxis- und Geschäftsprozessen für den Lehr-Lernprozess. Zu 1) Das Konzept „beruflicher Handlungskompetenz“ wurde vorausgehend ausführlich erörtert. Zusammenfassend muss hier nochmals festgestellt werden, dass das Lernfeldkonzept sich mit dem Kompetenzansatz an einer Bildungsperspektive orientiert, welche einen konstruktartigen Charakter aufweist, empirisch schwer nachweisbar ist und nur in einem hochgradig individualistischen, längerfristigen, symbiotischen Lernprozess zweier eigenständiger Lernorte erreicht werden kann. Daher kann auf dieser Planungsebene nur antizipiert werden, welche Kompetenzen durch eine spez. Lernsituation gefördert werden können. Dies entspricht jedoch generell einer Fernperspektive, nicht einem dezidierten Element des steuer- und evaluierbaren Unterrichtsprozesses. Zu 2) „Handlungsorientierung“ wird aktuell vielfältig erklärt und verstanden. Eine feststehende Definition, welche über eine breite berufs- und wirtschaftspädagogische Akzeptanz verfügt, fehlt aber bislang. BADER stellt in einer Bestandsaufnahme elf unterschiedliche Ausprägungen von Handlungsorientierung fest. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass ein breiter Konsens nur hinsichtlich zweier Konzepte bestehe, nämlich einerseits in einer Orientierung an „vollständigen beruflichen Handlungen“ gemäß der sog. Leittextmethode und andererseits Orientierung berufsschulischen Unterrichts an beruflich-praktischen Problemstellungen. Weitere fünf Ausprägungen stellt er (im Sinne zusätzlicher Bildungsvorgaben der Berufsschule) vor: „Handlungsorientierung als psychologisch begründete Strukturierung aller Lernprozesse – meist auf Basis von Kognitionspsychologischen Theorien, von Handlungsregulationstheorien oder von pragmatischen Verbindungen beider 204
Theoriestränge. Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen, in denen die Lernenden möglichst durch selbständiges Handeln lernen, mindestens jedoch durch aktives Tun, jedenfalls nicht allein durch gedankliches Nachvollziehen von Handlungen anderer […] Handlungsorientierung als Lernen an konkreten Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter Erkenntnisse (z.B. der Naturwissenschaften) feststeht, sondern offen ist […] Handlungsorientierung als Orientierung der Kommunikation an den Handlungsbedürfnissen der Kommunikationspartner […]Handlungsorientierung als Planung und Gestaltung von Lernprozessen mit dem Ziel der Fähigkeit, aus gewonnenen Erkenntnissen (im weitesten Sinne) gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, d.h. der Einsicht die Tat folgen zu lassen, um vorgefundene Situationen in Richtung auf Ziele, die als erstrebenswert erkannt wurden, mit den geplanten Methoden zu verändern.“314 Hinzu kommt die „Handlungsorientierung als Merkmal unternehmerischer Selbständigkeit“,315 die Hanldungsorientierung als eine „besonders weit gehende Form von Selbständigkeit des beruflichen Handelns“,316 „Handlungsorientierung als Entwicklung und Vermittlung impliziten Wissens“317, die „Handlungsorientierung als vorbereitende Kompetenzentwicklung zur Bewältigung nicht voraussagbarer beruflicher, gesellschaftlicher und individueller Anforderungen“318 als aktuelle Orientierungskonzepte der betrieblichen Ausbildung und schließlich „Handlungsorientierung als Leitlinie in der Curriculumerntwicklung“319 gemäß der neu strukturierten lernfeldorientierten KMK-Rahmenlehrpläne. EULER konstatiert, dass der Begriff der Handlungsorientierung häufig in Abgrenzung zu einer negativen didaktischen Praxis angeführt wird, welche verändert werden solle.320 Er stellt als verbreitete Konkretisierungsansätze von Handlungsorientierung folgende drei Möglichkeiten vor: Handlungsorientierung als „vollständiges Lernen“ im Sinne der Handlungsregulationstheorie, Handlungsorientierung als „ganzheitliches Lernen“ mit „Kopf, Herz und Hand“ im Sinne der Reformpädagogik und Handlungsorientierung als Vorstellung über den Ablauf von Lernprozessen ausgehend von einer Handlungs-
314 315 316 317 318 319 320
Bader, 2004, S. 62ff. Ebd. S. 66. Ebd. S. 68. Ebd. S. 66. Ebd. S. 67. Ebd. Vgl. Euler, 2003, S. 130 (z.B. einseitige Ausrichtung an kognitiven Lernzielen, Überwindung des Frontalunterrichts, Ausrichtung des Unterrichts an Antworten, nicht an Problemen etc.)
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systematik anstelle der bisherigen Fachsystematik.321 SCHELTENs Konzept des handlungsorientierten Unterrichts integriert diese Teilaspekte und geht davon aus, dass es kein didaktisches Prinzip einer Handlungsorientierung gibt, sondern nur dann Handlungsorientierter Unterricht vorliegt, wenn alle diesbezüglichen Kriterien erfüllt sind.322 Befürworter des handlungsorientierten Unterrichts sehen dessen Wirksamkeit als empirisch fundiert323 und verweisen auf eine Reihe von Untersuchungen aus den 1990er Jahren, die Handlungsorientierten Unterricht als wirksames und zukunftsweisendes Konzept feststellen. Gegner stellen eine eher mangelhafte empirische Belegung fest und interpretieren das vorliegende wissenschaftliche Material skeptisch.324 Zu 3) Mit dem Einzug der I&K-Berufe325 etablierte sich in den gewerblichtechnischen Berufen das Konzept der „Geschäftsprozessorientierung“. Dieser aus dem wirtschaftlichen Sektor entlehnte Terminus gewann in der Mitte der 1990er Jahre an Bedeutung, als sich vor allem im Computerbereich neue technische Berufe mit kaufmännischen- und umfangreichen Dienstleistungsanteilen entwickelten. Die Geschäftsprozessorientierung entwickelte sich schnell zu einem Prinzip der betrieblichen Ausbildung in Berufen mit Dienstleistungscharakter.326 Gemäß diesem Prinzip sollte ein Beruf nicht mehr in traditioneller Organisation eines gestuften Entwickeln aufeinander aufbauender, komplexer werdender Fähigkeiten und Fertigkeiten gelernt werden, sondern von Anfang an in Form einer Partizipation vollständiger Geschäftsprozesse. Anstatt zu Beginn alle Grundfähigkeiten zu erwerben und diese nach und nach zu vertiefen und auszubauen wird ausschließlich das gelernt, was für den jeweiligen Schritt innerhalb eines Geschäftsprozesses erforderlich ist und, nach und nach, über die sich aneinanderreihenden Geschäftsprozesse ausgeweitet und universalisiert. Damit verschiebt sich das betriebliche Bildungsverständnis erheblich vom Materialen zum Formalen. Es ist nun weniger entscheidend, was, sondern viel mehr wie und in welchen Kontexten gelernt wird. Den Inhalten, Kenntnissen und Fertigkeiten wird eine wichtige, aber trotzdem temporäre Bedeutung zugewiesen. Die Art und Weise, wie man diesen begegnet, sie sich aneignet, zum Einsatz bringt, evaluiert, korrigiert, relativiert, transferiert usw. und sie zu einem sinnvollen Arbeitsergebnis 321 Vgl. Euler, 2003, S. 131. 322 Vgl. Schelten, 2004, S. 176ff. 323 Durch domänenspezifische Untersuchungen in Wirtschaft und Technik z.B. von Achtenhagen, 1988 oder Heimerer, Schelten, Schießl, 1996. 324 Vgl. Beyen, 2003, S. 214. 325 Informations- und Kommunikationsberufe. 326 Viele kaufmännischen Berufe, I&K-Berufe, Handwerksberufe, aber auch Industrie (z.B. Mechatroniker).
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bringt, nimmt nun eine zentrale Rolle in der Ausbildung ein. Mit der Umsetzung der I&T-Berufe im dualen System überträgt sich also der betriebliche Anspruch einer Geschäftsprozessorientierung auf die Lehrpläne der Berufsschulen, und von dort in die KMK-Vorgaben für die neuen Rahmenlehrpläne. Erörterung Woran soll sich nun die Arbeit schul- bzw. fachspezifischer Bildungsgangkommissionen orientieren? Können Kompetenz-, Handlungs- und Geschäftsprozessorientierung komplett und durchgängig in der Planung von Lernsituationen realisiert werden? Als (praktische) Antwort auf diese Frage findet man häufig aktuelle (integrative, spezifische) Ansätze eines handlungs- und geschäftsprozessorientierten Unterrichts.327 Damit wird jedoch zum Einen eine eingeengte, paradigmatische Position hinsichtlich relativ offener, inkonsistenter Begrifflichkeiten eingenommen, zum Anderen wird impliziert, über Referenz-Unterrichtskonzepte zu verfügen, welche die intendierten Bildungsperspektiven effektiv und effizient transportierten. Dies erscheint jedoch weder wissenschaftlich fundiert noch unterrichtsbezogen wünschenswert. Die Wirkungen solcher (zumeist sehr aufwändiger) Lernumgebungen werden eher unterstellt als nachgewiesen und zeigen sich generell immer in Abhängigkeit von vielen bedeutsamen Rahmen- und Randaspekten.328 Außerdem würde auf diese Weise das -lernpsychologisch bedeutsame und empirisch fundiertePrinzip der Methodenvielfalt völlig ignoriert und Methodenmonismus heraufbeschworen. Bekennt man sich also zu der Tatsache, dass Handlungs- und Geschäftsprozessorientierung eher offenen Orientierungskonzepten denn expliziten und damit didaktisch-methodisch realisierbaren Leitvorgaben entsprechen, stellt sich die Frage, wonach sich eine Bildungsgangkommissionen genau orientieren kann. Diese Frage wird aktuell in der Berufspädagogik und insbesondere in den Fachdidaktiken sehr unterschiedlich und kaum befriedigend beantwortet. Die vorliegende Technikdidaktik bezieht sich an dieser Stelle auf ihre lernpsychologischen Ausgangspunkte in Konstruktivismus und Kognitivismus. 327 Z.B. ein Unterricht für IT-Systemelektroniker, näher beschrieben in Vögele, 2003. 328 Z.B. schließt Nickolaus (vgl. ders., 2000, S. 204f.) aus einer Metaanalyse empirischer (domänenspezifischer) Forschung über handlungsorientierten Unterricht, dass dieser einem traditionellen Unterricht unterlegen sei. Demgegenüber stellen Geiger, Riedl (2004, S. 198f.) empirische Ergebnisse über spezifische Bedingungen vor, unter welchen handlungsorientierter Unterricht besonders gute Wirkungen zeigte. Vgl. dazu auch umfassender Riedl, Schelten 2005.
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Hier wurde festgestellt, dass berufliches Lernen u.a. in aktiver Selbstauseinandersetzung Lernender mit von ihnen als relevant und interessant erkannten Problemen in möglichst anwendungsnahen Szenarien stattfinden sollte. Daraus ergibt sich eine generelle Absage an den traditionellen fächergegliederten beruflichen Unterricht mit rezeptiven Lehr-Lern-Prozessen. Die ehemals für die Unterrichtsplanung priorisierten Fachsystematiken werden dabei nicht abgeschafft, ihnen wird vielmehr die Rolle von Ordnungssystemen zugewiesen. Hinzu kommen „Handlungs- oder Prozesssystematiken“, welche für die Lernenden den Entstehungs-, Erschließungs- und auch Anwendungskontext repräsentieren und so vor der Systematisierung des Wissens dessen konstruktivistische Erschließung ermöglichen. Anstatt die Inhalte nach Fächern sortiert und gemäß ihrer wissenschaftlichen Themenzusammenhänge zu erarbeiten, erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit den Inhalten gemäß deren Auftreten innerhalb eines komplexen beruflichen Prozesses329. Die „Begegnung mit dem Wissen“ erfolgt für die Schüler so nicht mehr ausgehend von der Systematik und Theorie des Faches mit bei- oder nachgeordneter Antizipation bzw. Reflexion deren praktischer Anwendung, sondern in einer Theorieauseinandersetzung aus den Erfordernissen bzw. Problemstellungen des jeweiligen Berufskontextes. Trotz der großen Bedeutung des Berufskontextes in einem aktuellen berufsschulischen Unterricht bleibt der Wissenserwerb nach wie vor in dessen Zentrum. Neu ist aber dessen enge, explizite und konstante Verknüpfung mit den Bezugs- und Anwendungsfeldern. Diese Verknüpfung kann unterschiedlichste Formen, Ausprägungen und Intensitäten annehmen und soll später unter dem Begriff „Kontextualisierung“ erörtert werden. Zusammenfassung Wie eingangs festgestellt, können berufsschulische Lehrpläne nur im Zusammenhang mit jenen kulturellen, technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten betrachtet und verstanden werden, auf welche sie zurückgehen und welche sie in einem permanenten Wandel halten. Der lernfeldorientierte Lehrplan entspricht somit lediglich einer aktuellen, aber temporären Konkretisierung jener Aspekte, welche gegenwärtig in diesem Bezugsraum das größte Gewicht bzw. den größten Einfluss haben. So wie der curriculare Lehrplan nach seiner Implementierung schon bald kritisiert und in Frage gestellt wurde, unterliegt gegenwärtig der lernfeldorientierte Lehrplan deutlichen Widerständen. Einige in diesem Zusammenhang wichtigen Aspek329 Z.B. werden die Klebeverbindungen nicht als Teilgebiet der „unlösbaren Verbindungen“ in der Fügetechnik erarbeitet, sondern im Zusammenhang mit der Herstellung eines Rotorblattes.
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te wurden vorausgehend erörtert. Abschließend sollen der alte und der neue Lehrplan nochmals gegenübergestellt werden: (1) Die vier Spalten, welche den gesamten CuLP durchziehen, beschränken sich im LoLP auf zwei Felder. An Stelle feinstrukturierter Zielfeststellungen liegt eine Zusammenstellung komplexer thematischer Einheiten vor. Die ehemaligen Zielformulierungen im Sinne beobachtbaren bzw. prüfbaren Verhaltens sind gelockert und finden ihren Ausdruck in Tätigkeitsformulierungen. Ziele und Inhalte erscheinen übergreifend beigeordnet, nicht spezifisch zugeordnet; an Stelle kleinschrittiger Zeitzuteilungen werden umfassende Gesamt-Zeitangaben festgestellt. (2) Die LoLP-Ziele sind keine Lernziele im ursprünglichen Sinne, da sie Performanz anstatt Kompetenz beschreiben. Sie sind weder nach Entwicklungsbereichen differenziert noch nach bestimmten Qualitäten taxiert. Damit werden keine Anforderungsstufen vorgegeben. Das Anforderungsniveau des Unterrichts wird durch den Schwierigkeitsgrad und die Komplexität der jeweiligen Lernhandlungen von der Lehrperson selbst festgelegt. (3) Im LoLP wird nicht nach beruflichen Fächern unterschieden. Die allgemeinen Fächer bleiben, aber die bisher separaten Teilbereiche beruflicher Theorie und Praxis werden integriert und nach einem technologischen Ordnungssystem gegliedert. Ehemalige berufliche Fächer (Rechnen, Zeichnen …) werden zu lernfeldübergreifenden Meta-Fähigkeiten. (4) Insgesamt gibt der LoLP weniger vor und bedingt auch eine geringere Verbindlichkeit. Die Gesamtheit aller Inhalte ist geringer und hat eher Beispiel- denn Erfüllungscharakter. Noch stärker wurden die Zielvorgaben reduziert. Zudem besteht ihr Erreichen nicht mehr in der Erfüllung von Anforderungen, sondern in der Durchführung von Handlungen. Die intendierten Bildungsperspektiven (Kompetenzen) werden nicht in Zusammenhang mit den Lernfeldern gebracht. An Stelle des Lehrstoff-Zeit-Problems in Zusammenhang mit dem CuLP liegt bei Anwendung des LoLP eher ein „Konkretisierungs“- und „Gewichtungsproblem“ vor. Die LehrerInnen unterliegen nicht mehr dem Druck, die vielen Einzelziele des curricularen Lehrplans in der gegebenen Zeit zu erfüllen. Vielmehr sind sie nun gefordert, aus dem LoLP konkrete Zielperspektiven abzuleiten und diese entsprechend ihrer (gegenwärtigen, spezifischen …) beruflichen Bedeutung zu gewichten. Vor allem Aspekt (4) macht deutlich, dass sich die Planungssituation mit dem LoLP gegenüber jener des CuLP zwar gelockert, dabei aber nicht gerade vereinfacht hat. Wie vorausgehend bereits erörtert wurde, wird den LehrerInnen damit ein didaktischer Raum eröffnet, welchen sie kaum kennen und 209
dessen Gestaltung sie (selbsttätig?) erlernen sollen. Dies erhöht nicht nur die Arbeitsbelastung in Vorbereitung und auch Durchführung, sondern erzeugt schon im Vorfeld einen Veränderungsdruck, welcher nicht in jedem Falle konstruktiv bzw. produktiv umgesetzt werden kann. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass in derartigen Situationen der Einfluss sog. „heimlicher“ Lehrpläne zunimmt. Weiterentwicklung lernfeldorientierter Lehrpläne Inzwischen wurde die Umsetzungsproblematik der lernfeldorientierten Lehrpläne in Lehrplankommissionen erkannt und konstruktiv aufgegriffen. In der Neuentwicklung des Lehrplans für den Zweig „Mechatronik“ an den technischen Gymnasien Hessens bspw. wurde daher versucht, eine Kompetenz- und Wissensorientierung umzusetzen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war – neben der von vielen LehrerInnen bemängelten Offenheit reiner Lernfeld-Ansätze – der verbindliche Weg zu einem Zentralabitur. Diese Standardisierung erzeugt einen hohen Druck auf die Lehrerschaft, ihren Unterricht an sehr konkreten Aspekten auszurichten, da man ansonsten riskierte, dass die eigenen SchülerInnen große Schwierigkeiten im Abitur hätten.
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Tabelle 6: Auszug aus dem Lehrplan für den Zweig „Mechatronik“ an den technischen Gymnasien Hessens, Modul E1 Darstellung und Konstruktion technischer Systeme I Technische Kommunikation
E1
Darstellung und Konstruktion technischer Systeme I Die Schülerinnen und Schüler sind in der Lage, Werkstücke und Baugruppen zu konstruieren und diese in den verschiedenen Darstellungen mittels CAD-Software zu dokumentieren. Lernhandlungen:
Korrespondierendes Wissen:
6 Technische Unterlagen graphisch darstellen Die Schülerinnen und Schüler können technische Zeichnungen analysieren, Werkstücke bzw. Baugruppen mittels CADProgrammen modellieren und daraus technische Zeichnungen erstellen und ableiten.
– Normierung: Papierformate, Linien, Schriften, Zeichnungsarten, Bemaßung, Toleranzen, Passungen – Lesen, Anfertigen und Bemaßen von einfachen und komplexeren Zeichnungen, Darstellung in mehreren Ansichten, Schnittdarstellung – Fertigungszeichnung, Gesamtzeichnung, Stückliste – Modellieren von 3D-Werkstücken – Bilden von Baugruppen – Ableiten von technischen Zeichnungen aus modellierten 3D-Werkstücken – Erstellen von Stücklisten
Der Lehrplan für den Zweig „Mechatronik“ an den technischen Gymnasien Hessens ist den lernfeldorientierten KMK-Rahmenlehrplänen relativ ähnlich. Im Zentrum steht eine Outcome-Orientierung und die damit einhergehende Beschreibung von Zielhandlungen. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch in der Explikation des jeweils relevanten Wissens. „Im vorliegenden Lehrplan sind die intendierten Kompetenzen in 15 Kursen dargestellt. Kern jedes Kurses ist eine übergreifende Beschreibung dessen, was die Schülerinnen und Schüler am Ende des Lernprozesses können sollen [15 übergreifende Kompetenzen]. Diese Gesamtkompetenz wird jeweils in einer zweispaltigen Tabelle konkretisiert und differenziert: In der linken Spalte sind Teilhandlungen der Gesamtkompetenz als Lernhandlungen beschrieben [Performanzen]. in der rechten Spalte sind diesen Lernhandlungen korrespondierende Wissensaspekte zugeordnet. Die sich daraus ergebenden Teilsegmente aus Lern-
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handlung und korrespondierendem Wissen können als Teilkompetenzen verstanden werden, welche im Unterricht vermittelt werden sollen.“330 Dieses Beispiel zeigt, dass lernfeldorientierte Lehrpläne mit genaueren Aussagen über das zu vermittelnde Wissen möglich sind. Es zeigt auch, dass damit die Grundidee des Lernfeldansatzes – eine Outcome-Orientierung mit Auflösung der traditionellen Fächer – nicht in Frage gestellt wird. Grundannahme ist dabei – wie im vorliegenden Lehrbuch – dass fachlich-methodische Kompetenzen in hohem Maße wissensdeterminiert sind. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich der Lehrplan in der Unterrichtspraxis bewährt und zu welchen Abiturleistungen die damit unterrichteten SchülerInnen kommen werden. „Heimlicher Lehrplan“ Der Ausdruck „heimlicher Lehrplan“ etablierte sich in den späten 1960er Jahren -wahrscheinlich durch Übernahme des englischen Ausdrucks „hidden curriculum“- in den deutschen Sprachraum.331 Darunter wurden zunächst ungewollte Nebenwirkungen von Erziehung und Unterricht verstanden, also z.B. die affirmative Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Schulen im Gegensatz zu deren äußerem Streben nach demokratischer Entwicklung und Emanzipation. „Heimlich“ meint also, dass die Lernziele nicht offen kommuniziert, aber trotzdem latent, durch Inhalte und Struktur der Erziehung sowie das Verhalten der PädagogInnen, vermittelt werden. Eine ähnliche Situation könnte im Zusammenhang mit der Umsetzung des Lernfeldkonzepts entstehen (s. Abbildung 29). Anstatt das diffuse Fernziel „Berufliche Handlungskompetenz“ anzuvisieren, orientiert sich die Lehrkraft am Nahen, Greifbaren, der anstehenden Gesellen- oder Facharbeiterprüfung.332 Da diese aktuell häufig bzw. überwiegend in Form von MultipleChoice-Aufgaben gestellt wird, könnte die Folge eine inhaltliche wie auch methodische Orientierung des Unterrichts an der Reproduktion quantitativen Wissens sein. Weitere „heimliche Lehrpläne“ finden sich in verschiedensten Ausprägungen. Z.B. orientieren sich LehrerInnen häufig eher an den verfügbaren Medien (vor allem Schulbüchern) als an den verbindlichen Lehrplänen.
330 Berufliche Schulen des Landes Hessens, 2010, S. 5. 331 Vgl. Jackson, 1986. 332 Vgl. Sloane, 2001, S. 189.
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Offizieller Lehrplan
‚Heimlicher‘ Lehrplan
Erziehung zu Emanzipation und Mündigkeit
bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse
Latentes Begünstigen / Einfordern eines Funktionierens der SchülerInnen in den bestehenden Strukturen
Vermittlung beruflicher Handlungskomp.
Gesellen- / Facharbeiterprüfungen (MC)
Inhaltliche und methodische Orientierung an der Reproduktion quantitativen Wissens
Eigenständige, reflexive Didaktik
verfügbare Medien (Schulbücher, ...)
Anstatt einer offenen, vielschichtigen didaktischen Planung werden die Medien als Ausgangspunkt gesetzt
Inhaltliche / curriculare Innovationen
vorliegende / vorbereitete Unterr.materialien
Implementierung von Neuerungen erfolgt adaptiv im Kompromiss anstatt in angemessener Neugestaltung
Stand von Wissenschaft und Praxis
persönliches theoretisches / berufliches Wissen
Didaktische Reduktion bzw. Bildungsganggestaltung erfolgt individulistisch bzw. subjektiv anstatt objektiv / optimal
Abbildung 29: Offizieller und „Heimlicher“ Lehrplan
Dahinter stehen klare Vorteile der Effizienz aber auch der Effektivität bei Planung und Konzeption. Hinzu kommt die bekannte Kraft des Existierenden, welche nicht nur normierend wirkt („ich mache das Neue wie das Alte“), sondern auch selbstredend blockierend („warum sollte ich etwas Neues machen, wenn das Alte schon vorliegt?“). Speziell bei der Umsetzung des LoLP kommt noch ein wichtiger Aspekt hinzu: Da hierzu aktuelle beruflichprofessionelle Bezüge erforderlich sind, die LehrerInnen jedoch nur über ein geringes sektorales Wissen verfügen, ist zu erwarten, dass eben diese schmalen Sektoren eine Übergewichtung bzw. -bewertung erfahren werden. Die Gestaltung der Lernsituationen wird so weniger den Hintergrund des Lernfelds repräsentieren, als vielmehr die Fachkompetenz der unterrichtenden Lehrkraft. Auch DUBS konstatiert, dass unsere Berufsschulen mehr denn je durch die „heimlichen Lehrpläne“ geprägt werden. Dabei bezieht er sich auf die Feststellung, dass die Innovationskraft aktueller Ordnungsmittel in zweierlei Hinsicht in Frage zu stellen sei: „Einerseits dauern Lehrplanreformen zu lange, um Innovationen rechtzeitig in die Schulen einzubringen. Andererseits bereitet die Darstellungsart immer mehr Schwierigkeiten. Solange man mit behavioristischen Lernzielen arbeitet, ergeben sich keine formalen Probleme: Für jeden Lernschritt wird ein Lernziel formuliert. Sobald aber die Erkenntnisse der neuen Lehr-Lern-Theorie Eingang finden sollen, wird die Darstellungsweise schwieriger, weil – vor allem, wenn der Lehrplan Anregungscha-
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rakter für die Lehrpersonen haben soll – sie erstens auf komplexere, umfassendere Problemorientierung und auf Lernprozesse auszurichten ist. Dazu kommt dass zweitens […] viele der lerntheoretischen Neuerungen den Mikrobereich betreffen, die im Mesobereich des Lehrplans keinen maßgeblichen Niederschlag finden.“333 Nur Idealisten gehen davon aus, dass sich diese „heimlichen Lehrpläne“ ausschalten lassen. Tatsache ist, dass der LehrerInnenberuf aktuell auch bei hohem ideellen Anspruch nicht ohne Pragmatik ausgeübt werden kann. Dies schließt auch eine Akzeptanz bzw. Toleranz im Hinblick auf die beschriebenen Unschlüssigkeiten bzw. Defizite bestehender Lehrplanmodelle mit ein. Trotzdem gelingt es verantwortlichen PädagogInnen, sich dieser Aspekte bewusst, hochgradig lehrplankonformen Unterricht zu gewährleisten. Wichtig scheint, dass die „heimlichen Lehrpläne“ nicht durch die Implementationsprobleme des LoLP gestärkt werden.
5.2 Lernziele334 Im vorausgehenden Kapitel wurde klar, dass im Zentrum curricularer Überlegungen generell die Lernziele stehen sollten. Lehrende müssen möglichst konkret festlegen, „wohin es gehen soll“, bevor sie „den Weg dahin“ bestimmen. Die curricularen Lernziele waren relativ klar, da sie kleinschrittig festgelegt hatten, was die Lernenden nach Absolvieren des Unterrichts wissen sollten. Dies stellt sich beim LoLP anders dar; an Stelle von Lernzielen gibt der Lernfeldlehrplan sog. „Ziele“ vor. Hinter diesem Begriff stehen zumeist Beschreibungen von vorbereitenden, durchführenden oder reflektierenden berufsbezogenen Handlungen. Z.B. im KMK-Rahmenlehrplan für Industriemechaniker „Die Schülerinnen und Schüler wählen geeignete Prüfmittel aus, wenden diese an und erstellen die entsprechenden Prüfprotokolle.“335 Diese „Ziele“ können jedoch nicht als Lernziele genutzt werden, da sie – wie KLAUER schon bei den operationalisierten Lernzielen kritisiert hatte – ein Verhalten akzentuieren, anstatt dem, was dieses Verhalten ermöglicht. An Stelle der „Ziele“ müssten im LoLP Kompetenzen beschrieben sein, und dies in einer Ausformulierung, die deren weitere didaktische Handhabung möglich macht. Wer jedoch die „Ziele“ im lernfeldorientierten Lehrplan als Kompetenzbeschreibungen identifiziert, verwechselt Kompetenz mit Performanz. 333 Dubs, 2001, S. 65. 334 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 335 2004, S. 9.
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Nicht die Handlung selbst, sondern das, was uns dazu befähigt ist die Kompetenz.336 Dies wiederum hat zur Folge, dass die Bildungsganggestaltung nicht bei der Generierung von Lernsituationen beginnen kann, sondern bei der Ableitung von Kompetenzen im Sinne von Lernzielen ansetzen muss. Lässt man diesen Schritt aus, werden Ziel und Weg vertauscht und der Unterricht wird einem Lehr-Lernaktionismus preisgegeben, in dem (Lehrpersonen wie Lernenden) unklar bleibt, was letztendlich erreicht wurde. Das in der vorliegenden Technikdidaktik hergeleitete Kompetenz-Konstrukt intendiert neben einer Präzisierung des KMK-Ansatzes insbesondere eine didaktische Nutzbarkeit. Dieser Anspruch ist dann gerechtfertigt, wenn die so formulierten Kompetenzen als Lernziele verwendet werden können, d.h. wenn sie sich so ausformulieren lassen, dass sich aus ihnen eine klare Vorstellung darüber ergibt, zu welchen Ergebnissen beruflicher Unterricht kommen soll und diese Ergebnisse zu einem angemessenen Grad überprüfbar sein müssen. An dieser Stelle offenbart sich die geringe Verbindlichkeit der LoLP. Tatsächlich bleibt es nun den Schulen bzw. der Lehrerschaft überlassen, welche spezifischen Dispositionen sie für die im Lehrplan dargestellten Zielhandlungen festlegen. Das ist aus KMK-Perspektive sicher probat, vernachlässigt jedoch erheblich den in §7 GG aufgehängten Bildungsauftrag des Staates. Besonders bemerkenswert erscheint dabei, dass die Lehrerschaft vor Ort mit einer Aufgabe konfrontiert wird, welche die KMK und aktuell auch die Kultusministerien der Bundesländer aussparen bzw. umgehen. Ob dies durch das Fehlen der erforderlichen Expertise zu begründen ist oder durch die „Schonung von Ressourcen“ bzw. eine Kombination aus beidem, sei dahin gestellt. Die Begründungen, welche für diesen Missstand vorgegeben werden, können einem argumentativen Disput nicht standhalten: So wird konstatiert, dass nur durch eine schulnahe Curriculum-Entwicklung eine Anpassung des LoLP auf die regionalen und lokalen Bedingungen möglich sei. „Das wäre gleichbedeutend mit dem Anspruch, dass die Lernsituationen dann im 2-3-Jahresintervall aktualisiert werden müssten, eine schwer vorstellbare Leistung, angesichts des schon einmalig sehr hohen Aufwands einer Lernfeldumsetzung. Zudem muss man die Frage stellen, ob damit der bedeutenden Nivellierungsfunktion der Berufsschule noch Rechnung getragen würde: bislang hat berufsschulischer Unterricht gewährleistet, dass gerade eine einzelbetriebliche Eingrenzung vermieden oder reduziert wurde und so 336 Vgl. Erpenbeck, Rosenstiel, 2007, S. XIX.
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ein Facharbeiter oder Handwerker, der in Nürnberg gelernt hat, in einer Firma in Flensburg sofort anfangen konnte. Hinzu kommt der Verlust der bislang curricular sehr bedeutsamen Exemplarität. Schon immer wurden berufliche Lehrpläne mit dem Bewusstsein verfasst, dass sie vom technischen Fortschritt überholt sein werden, wenn sie in die Umsetzung gehen. Daher wurde bei deren Gestaltung besonders hoher Wert auf die Exemplarität der Lernziele und Inhalte gelegt. Wird nun aber aus (möglicherweise exemplarischen) Lernfeldern im regional und situativ eingeschränkten Fokus zu vermittelndes Wissen abgeleitet, müsste sich dies an genau jenen Prämissen orientieren, wie sie für eine übergeordnete Lehrplangestaltung gelten. D.h. dass an dieser Stelle der regional-situative Anspruch sogar konterkariert werden müsste, wollte man seiner didaktischen Verantwortung gerecht werden. Vernachlässigt man diesen Aspekt, tut man genau das, was das Lernfeldkonzept gründlich ausräumen wollte: man vermittelt – handlungsorientiert – „Träges Wissen“, also ein Wissen, das nicht in berufliches Handeln übergeht, weil es für dieses nicht funktional bzw. erforderlich ist.“337 Diese Mängelfeststellung auf Ebene der Lehrplangenerierung entbindet die Lehrerschaft vor Ort jedoch nicht von einer anspruchsvollen kompetenzbezogenen Lernzielbestimmung. Wie vorausgehend festgestellt, müssen im beruflichen Unterricht Kompetenzen erreichbar und an dessen Ende abprüfbar sein. Dies erfordert für die einzelnen Kompetenzbereiche sehr spezifische Transformationen, aber auch Implikationen. Während die fachlich-methodischen Kompetenzen auf einzelne Lernstrecken bezogen werden können, stellen sich die weiteren Kompetenzen übergreifend dar. Trotzdem kann es nicht genügen, diese allgemein – wie die ehemaligen Leit- und Richtziele – zu Beginn zu konstatieren, um sie dann im weiteren Unterricht zu vernachlässigen. Daher müssen Lernziele in zwei unterschiedlichen „Formaten“ generiert werden: Im fachlich-methodischen Bereich (1) müssen dies sehr situationsspezifische, auf einzelne Unterrichtseinheiten bezogene Kompetenzen sein, im sozial-kommunikativen und personalen Bereich (2) müssen dies situationsübergreifende, auf eine Unterrichtsjahresplanung bezogene Kompetenzen sein. Generell muss dabei akzeptiert werden, dass sich für das Generieren von Kompetenzen im Sinne von Lernzielen zwar sinnvolle, logische und wissenschaftlich akzeptable Vorgaben treffen lassen, diese jedoch bislang keiner
337 Tenberg, 2010, S. 7.
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umfassenden empirischen Überprüfung unterzogen wurden.338 Wie bei allen bisherigen Vorgehensweisen dieser Art erwächst aus dieser Tatsache ein hoher Anspruch an die Expertise derjenigen, die diese Aufgabe übernehmen und damit gleichbedeutend auch eine hohe Verantwortung. Als Auswahl- und Entscheidungskriterien können daher hier jene der didaktischen Analyse von Wolfgang KLAFKI Anwendung finden, insbesondere die Fragen nach der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung sowie der exemplarischen Bedeutung. Dabei wird spätestens bei der tatsächlichen Durchführung der Transformationen klar, dass man – auch bei bester Expertise und hohem Aufwand – zu einem nicht unerheblichen Anteil individualistisch oder gar spekulativ bleiben wird. Bedeutungsbeimessungen sind nicht objektivierbar. Immer werden die persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen der Lehrperson über den jeweiligen Kompetenzbereich dessen Konkretisierung prägen, nie wird sich so ein objektives bzw. „richtiges“ oder gar „optimales“ Ergebnis finden lassen. Um solche Effekte zu kontrollieren und zu reduzieren bietet es sich an, mehrere Personen, betriebliche Experten, evtl. auch schul- und regionsübergreifend mit in diese curriculare Arbeit einzubeziehen.339 Zu (1): Die Ausgangsdefinition für fachlich-methodische Berufskompetenzen dieser Technikdidaktik bezieht sich auf Professionswissen, Begründungswissen und allgemeines Bezugswissen in Verbindung mit Steuerungs- bzw. Regulationsfähigkeiten und motorischem Geschick. Um vor diesem Hintergrund fachlich-methodische Kompetenzen zu präzisieren, muss das erwartete Können bzgl. dessen kognitiven Anspruchs geklärt und darauf bezogen das dafür erforderliche bzw. damit zusammenhängende oder korrespondierende Wissen konkretisiert werden. Wie oben erörtert, gibt der LoLP kein Anspruchsniveau vor. Ein solches ist jedoch entscheidend für das gesamte Verfahren Kompetenz-Konkretisierung. So kann beispielsweise die gleiche Handlung kann bei unterschiedlichen internalen und externalen Bedingungen völlig unterschiedliche Dispositionen erfordern. Wir greifen erneut das bereits diskutierte Beispiel des Detaillierens bei Technischen Zeichnern im Maschinenbau auf. Ausgangspunkt ist dabei die im 338 Dies trifft aktuell jedoch auf alle bisherigen didaktischen Entwürfe zu. Selbst die empirisch fundierten Ansätze von Heimann, Otto und Schultz gehen auf eine sehr schmale Basis mit überwiegend qualitativ-explorativen Studien in keinen repräsentativen Querschnitten zurück. 339 Vielleicht werden zukünftig elektronische Medien diesbezüglich produktiv eingesetzt und derartige didaktische Aufgaben in Wikis realisiert, in denen über das Internet für eine große Gemeinschaft die Ergebnisse immer präsent und – in Anwendung von Review-Systemen – jederzeit erweiter- und modifizierbar sind.
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Lehrplan unter „Ziele“ beschriebene Kompetenz: „Der Zeichner ist in der Lage, Bauteile aus Konstruktionszeichnungen von Maschinen oder Anlagen maßstabgerecht herauszuzeichnen, diese vollständig und zeichnerisch richtig darzustellen und so zu bemaßen, dass eine funktionsfähige aber auch effiziente Fertigung gewährleistet ist“. In einer ersten didaktischen Transformation muss nun der Anspruch der hier beschriebenen Kompetenz festgelegt werden. Dies kann auf einer oder mehrerer Ebenen erfolgen, je nachdem, wie komplex sich dies darstellt. Im vorliegenden Beispiel unterscheiden wir einen technisch-inhaltlichen Anspruch von einem Anspruch der Informationsverfügbarkeit. Wenn beide niedrig angesetzt werden, wären die präzisierten Performanzen (=Berufshandlungen) wie folgt zu beschreiben: „Lesen einfacher Konstruktionszeichnungen, Maßentnahme aus Konstruktionszeichnungen, Beherrschung der 2D/3D-Darstellung im CAD, Handhabung von CAD-Software zur Darstellung, Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen in Kenntnis der Fertigungsverfahren Elektroschweißen, Sägen und Brennschneiden“. Durch die Bestimmung des Anspruchs erfolgt sowohl eine Differenzierung hinsichtlich der Performanz als auch hinsichtlich deren Explikation. In einer zweiten didaktischen Transformation können nun den einzelnen Performanzen entsprechende Wissensaspekte zugeordnet werden. Dies erfolgt in maximal drei Durchgängen. Zunächst wird das Professionswissen geklärt, anschließend das zugehörige Begründungswissen und schließlich das dazu erforderliche allgemeine Bezugswissen. Die ersten beiden Wissensaspekte hängen eng miteinander zusammen und sind daher relativ einfach abzuleiten. Zum „Lesen einfacher Konstruktionszeichnungen“ müssen die Auszubildenden wissen, wie die einzelnen Projektionsebenen dargestellt werden und zusammenhängen, wie Schnitte gelegt und gekennzeichnet werden, wie Bau- und Normteile, Schnittflächen, Oberflächen, Maß- und Hilfslinien dargestellt werden, wie in Konstruktionszeichnungen bemaßt und beschriftet wird, woran man den Maßstab erkennt und wie Anschlussteile oder -geräte dargestellt werden. Um nun das relevante Begründungswissen zu ermitteln, wird zu allen Aspekten des Professionswissens die Frage „warum?“ gestellt. Warum werden verdeckte Kanten gestrichelt gezeichnet? Weil sie von den sichtbaren Kanten unterschieden werden müssen. Warum werden Schnittflächen schraffiert? Um sie von realen Flächen zu unterscheiden. Warum fehlen die Toleranzangaben? Weil sie erst durch die Detaillierung festgelegt werden usw.
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Schwieriger stellt sich hingegen die Frage nach dem relevanten allgemeinen Bezugswissen dar. Diese muss zum Teil über die verständnisbezogenen Erfordernissen des Professionswissens beantwortet werden, zum Teil aber auch unabhängig von diesen und in Bezug auf eine erweiterte berufliche Bildung, die entweder auf die Allgemeinbildung zielt (bzw. zielen soll), oder auf höhere Bildungsebenen bzw. -bereiche vorbereitet. Im vorliegenden Beispiel könnte sich dieses Problem bei dem Teilanspruch „Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen in Kenntnis der Fertigungsverfahren Elektroschweißen, Sägen und Brennschneiden“ stellen. Denn was bedeutet hier „Kenntnis“? Genügt es z.B. schon, generell zu wissen, wie geschweißt wird und was dabei in etwa gemacht wird, müssen nur die 3- 4 wichtigsten Schweißverfahren bekannt und verstanden sein, oder müssen die Lernenden genau wissen, wie das Schmelzschweißen in den verschiedenen Verfahren funktioniert und welche physikalisch-chemischen Prozesse dabei ablaufen? Bezogen auf das aktuelle Facharbeiterbild trifft im vorliegenden Falle wahrscheinlich der höchste Anspruch zu. Dies zum Einen, weil ansonsten der Anspruch der Berufsschule, die Allgemeinbildung fortzuführen unterlaufen würde, zum Anderen, weil nur so ein beruflicher Aufstieg in der Fachlaufbahn und in einer Hochschullaufbahn vorstellbar ist. Wo ist hier nun aber die Grenze? Genügt es bereits, den Lernenden zu vermitteln, dass die Schmelzenergie beim Elektroschweißen durch einen Lichtbogen entsteht, oder muss der Lichtbogen physikalisch genauer geklärt werden. Genügt es ferner, das Phänomen des Plasmas zu erörtern, oder müssen diesbezügliche noch zusätzliche Versuche und quantenphysikalische Berechnungen durchgeführt werden? An dieser Stelle wird wiederum die Eingangsfeststellung deutlich, in der konstatiert wurde, dass es keine genauen Regeln oder daraus resultierende Ideallösungen für didaktische Transformationsprozesse geben kann. Mit leistungsstarken Auszubildenden kann man sicher noch interessante Details ansprechen, mit leistungsschwächeren Auszubildenden hingegen wäre dies eine unsinnige Überforderung und die verfügbare Zeit könnte besser für die Begründung und Vertiefung einfacherer Zusammenhänge genutzt werden.340 Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen wird ein weiterer Aspekt dieses didaktischen Ansatzes deutlich: für eine effektive und effiziente Gesamtpla340 An dieser schwierigen Entscheidungsstelle zeigt sich ein hochrelevantes Forschungsdesiderat. Bislang gibt es keine belastbaren Befunde darüber, wie sich welche Wissensaspekte im realen beruflichen Tun auswirken. Ein zentrales Problem, diesbezügliche Erkenntnisse zu gewinnen, liegt in der hochgradigen Routinisierung von Facharbeit. Somit wären nur Studien in Ausnahmesituationen oder Veränderungsprozessen relevant.
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nung kann nicht von einzelnen Performanzen oder einzelnen Lernfeldern ausgegangen werden. Velmehr muss eine Gesamtplanung projektiert werden, in welche die Ansprüche und Anliegen aus allen Teilbereichen einzugehen haben. Nach dieser Bestandsaufnahme muss also eine erste Revision erfolgen. So scheint es zunächst wichtig, bestimmte Schwerpunkte, die durch wiederholtes Auftreten erkennbar sind, herauszuarbeiten und auf diese Weise bedeutsame Akzente zu setzen, um Redundanzen kontrollieren zu können. Im vorliegenden Beispiel kann z.B. davon ausgegangen werden, dass die Grundfertigungsarten schon in einem vorausgehenden Lernfeld vermittelt wurden und hier als bekannt vorausgesetzt werden können. Ergebnis dieser beiden Transformationen ist eine Tabelle, in der einzelnen Performanzen spezifische Wissensaspekte zugewiesen sind. Für das weitere didaktische Handeln ist damit eine Vorgabe erstellt, in welcher spezifische Wissensaspekte in engem Performanzbezug stehen. Damit lassen sich sodann auch klare Lernziele formulieren: „Die Auszubildenden können Ausbrennteile so bemaßen, dass sich die Zeichnungen bei kleinen wie großen Stückzahlen an teilautomatischen und automatischen Brennschneidemaschinen direkt einstellen bzw. einprogrammieren lassen und dabei die erforderlichen Toleranzen eingehalten werden. Sie haben in diesem Zusammenhang verstanden, dass die Maße so berechnet werden müssen, dass einerseits genügend Übermaß für die Fertigung bestehen bleibt, andererseits aber weder Material noch Arbeitszeit oder Energie verschwendet werden.“ Performanz
Professionswissen (und Begründungswissen)
Bezugswissen
Bemaßung und Beschriftung von Maschinenteilen in Kenntnis der Fertigungsverfahren Sägen, Elektroschweißen und Brennschneiden
• Fertigungsgerechtes Bemaßen und Beschriften (zur Optimierung der Übertragung auf die Maschine und zur Vermeidung von Fehlersummationen) • Kenntnis der Abläufe der grundlegenden Fertigungsprozesse sowie deren Maß- und Oberflächentoleranzen in Abhängigkeit von verschiedenen Maschinen und Stückzahlen (für spezifische Verfahren sind spezifische Maßanordnungen erforderlich)
• Fehlerrechnung in der Physik
Das vorliegende Beispiel wurde bewusst so gewählt, dass die einzelnen Tätigkeiten im Rahmen berufsschulischer räumlicher bzw. ausstattungsmäßiger
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Bedingungen realisiert werden können. Dies trifft jedoch für einige der Ziele in den aktuellen KMK-Rahmenlehrplänen der technischen Ausbildungsberufe nicht zu. Z.B. fordert der KMK-Rahmenlehrpehrplan für Industriemechaniker von 2004 „Die Schülerinnen und Schüler fertigen auftragsbezogen unter Berücksichtigung des Arbeits- und Umweltschutzes Werkstücke aus verschiedenen Werkstoffen auf Werkzeugmaschinen.“341 Dieser Anspruch würde sich nur in einem „integrierten Fachunterrichtsraum“ erfüllen lassen, in dem die entsprechenden Maschinen für alle Schüler und unter den aktuellen Standards bzgl. Qualität und Arbeitssicherheit verfügbar wären. Das ist in diesem Beispiel und in vielen anderen Fällen aktuell und zukünftig kaum vorstellbar. So wird es zwar immer möglich sein, dies in Teilgebieten wie z.B. der Steuerungstechnik zu realisieren, in den meisten Fällen wird jedoch das Realszenario substituiert werden müssen. Dies kann schon in der Lernzielformulierung berücksichtigt werden. Im vorliegenden Beispiel findet dies schon im Lehrplan statt. Direkt im Anschluss an das vorausgehend genannte Ziel stehen die folgenden im Lehrplan: „Sie entnehmen Gruppenzeichnungen, Teilzeichnungen, Skizzen und Stücklisten die notwendigen Informationen. Sie erstellen und ändern Skizzen und Teilzeichnungen auch mit Hilfe von Anwendungsprogrammen. Die Schülerinnen und Schüler wählen unter technologischen Aspekten geeignete Fertigungsverfahren aus. Sie entscheiden, ob vor der spanenden Fertigung Verfahren zum Ändern von Stoffeigenschaften durchgeführt werden müssen. Sie legen notwendige technologische Daten fest und wählen die erforderlichen Hilfsstoffe aus. Für das gewählte Fertigungsverfahren erstellen sie Arbeitspläne, wählen Spannmittel für Werkstücke und Werkzeuge aus, und richten die Maschine zur Fertigung ein.“ All diese Tätigkeiten lassen sich wiederum in der Berufsschule realisieren. Damit ist es auch möglich, darauf die beiden oben bereits erörterten didaktischen Transformationen vorzunehmen, diese im Unterricht umzusetzen und an dessen Ende zu überprüfen. Damit soll an dieser Stelle auch dafür plädiert werden, einzelne Ziele eines Lernfeldes entweder auszusparen, wenn diese mit den berufsschulischen Ressourcen nicht realisiert werden können und sie durch andere, nachfolgende Ziele innerhalb des jeweiligen Lernfelds überzeugend substituiert werden. Gelingt dies nicht oder nur teilweise, muss diese Substitution selbst vorgenommen werden und vor der ersten Transformation eine vorbereitende Trans341 Vgl. S. 13.
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formation erfolgen, in welcher eine nur im Betriebskontext mögliche Tätigkeit in eine oder mehrere schulisch ausführbare Tätigkeiten umgewandelt wird. D.h. zusammengefasst, dass (evtl.) in einer vorbereitenden Transformation eine betriebsbezogene Tätigkeit in eine oder mehrere schulbezogene Tätigkeit übergeleitet wird, in einer ersten Transformation der nähere Anspruch einer Tätigkeit geklärt wird und in einer zweiten Transformation den genaueren Tätigkeiten Wissensaspekte zugeordnet werden. Daraus lassen sich schließlich Lernziele formulieren, die eine Kompetenz repräsentieren und dabei in beruflichen Unterricht übertragen und an dessen Ende überprüft werden können. Zu (2): Wie vorausgehend festgestellt wurde, bezieht sich die Bestimmung sozial-kommunikativer Kompetenzen und personaler Kompetenzen nicht auf einzelne Unterrichtsabschnitte bzw. Unterrichtssequenzen, sondern auf längere Vermittlungszeiträume. D.h. es werden keine stunden- oder lernstreckenbezogenen Einzelkompetenzen definiert, sondern Kompetenzen, die sich über einen bis mehrere Monate entwickeln sollten. Dies ist angesichts der Langfrisitigkeit emotional-affektiver Prozesse und der damit einher gehenden Entwicklungsvorgänge angemessen und bezieht sich auch auf die Umsetzung im Unterricht und die Überprüfung: Sozial-kommunikative Kompetenzen und personale Kompetenzen werden durch spezielle methodische Arrangements bzw. Interventionen vermittelt. Diese werden sukzessive im Unterricht etabliert und ausdifferenziert. Dabei sollten die Lernenden über deren Ziele und Intentionen im Voraus informiert werden, um sie regelmäßig reflektieren zu können. Im Gegensatz zum fachlich-methodischen Bereich sind die Lehrplanvorgaben hier minimal.342 Daher muss und kann die Formulierung sozialkommunikativer Kompetenzen und personaler Kompetenzen auch nicht über direkte didaktische Transformationen erfolgen. Vielmehr bleibt sie – in vollem Umfang – Sache der involvierten Lehrpersonen. Einzige Prämisse ist, dass keine Widersprüche zur KMK-Vorgabe auftreten dürfen, was jedoch angesichts derer globaler Formulierungen schwer möglich ist.
342 Euler, et al. (2004, S. 59) kommen nach einer kriteriengestützten Dokumentenanalyse der Ordnungsgrundlagen von 22 Schweizer Lehrberufen zu einem ernüchternden Schluss: Einerseits stellen sie fest, dass nach wie vor „didaktisch akzentuierte Modelle zur Bestimmung und Begründung von Sozialkompetenzen“ fehlen, andererseits weisen sie darauf hin, dass diese aufgrund mangelnder Verbindlichkeit relativ folgenlos vernachlässigt bzw. ausgeklammert werden könnten.
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In Kapitel 2.3.4 wurde definiert, dass sozial-kommunikative Berufskompetenzen Dispositionen sind, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln. D.h. dass „gruppenorientiertes Verhalten“ eine Teilkompetenz wäre. Diese Teilkompetenz impliziert einige Einzelperformanzen: Z.B. das Erkennen und Anerkennen von Gruppen, die Bestimmung der eigenen Rolle in Gruppen und jener der anderen, die Ein- und Abgrenzung von Gruppenaufgaben und Gruppenzuständigkeiten, das Erkennen von Gruppenaufgaben und Gruppenproblemen sowie die Identifikation mit diesen etc. Trotz der hohen emotional-affektiven Anteile bei der Kompetenzentwicklung in diesem Bereich, kann diese auch hier nicht ohne kognitive Stimulierung und Reflexion unterstützt werden. Das bedeutet, dass auch hier (und ähnlich wie bei den fachlich-methodischen Kompetenzen) den einzelnen Performanzen bestimmte Wissensaspekte zugeordnet werden sollten. Z.B. für die Bestimmung der eigenen Rolle in Gruppen und jener der anderen: Typische Gruppenrollen, Hintergründe der Entwicklung von Gruppenrollen, Wirkungen von Gruppenrollen auf Individuen und Gruppe etc. Eine Sozialkompetenz könnte somit z.B. lauten: „Die Auszubildenden können die eigene Rolle und die Rollen der anderen in ihren Lerngruppen bestimmen. Dabei sind ihnen typische Gruppenrollen bekannt, sie verstehen die Hintergründe der Entwicklung von Gruppenrollen und deren Wirkungen auf Individuen und Gruppe.“ Ähnlich wie im hier beispielhaft genannten sozial-kommunikativen Bereich erfolgt dies im personalen Bereich. Z.B. kann Leistungsmotivation in Einzelperformanzen aufgegliedert und diesen wiederum Wissensaspekte zugeordnet werden. So entstehen neben dem Zielkonzept des fachlich-methodischen Bereichs zwei weitere im sozial-kommunikativen und personalen Bereich. Immer stehen Performanzen in Zusammenhang mit Wissensaspekten, wobei dies vor allem im ersten Bereich sehr explizit der Fall ist. Alle drei Zielkonzepte bilden zusammen die Grundlage für eine didaktisch-methodische Jahresplanung (Umrissplanung). Diese kann nur dann sinnvoll, d.h. effektiv und effizient, umgesetzt werden, wenn alle involvierten Lehrpersonen dabei zusammen arbeiten, denn die dafür erforderliche enge Verschränkung didaktischer und methodischer Aspekte kann kaum in Form von aufsummierten Einzelunterrichten realisiert werden. Zudem wird so die Expertise der einzelnen Lehrpersonen überschritten, was nicht nur für die Klärung des kompetenzrelevanten Wissens förderlich erscheint, sondern insbesondere für die entscheidende vorausgehende Klärung des Anspruchsniveaus. 223
5.3 Didaktische und methodische Orientierungskonzepte Quer zu den großen didaktischen Modellen bzw. übergreifend gegenüber spezifischen didaktischen oder methodischen Komponenten haben sich in den zurückliegenden Epochen sog. „didaktische Prinzipien“343 ausdefiniert. Diese werden, ähnlich den moralischen Prinzipien, als tradierte und sprachlich manifestierte Orientierungshilfen mit normativem Inhalt bezeichnet. Didaktische Prinzipien gehen in den meisten Fällen auf paradigmatische bzw. praxisbezogene Ursprünge zurück. Als feste Grundsätze mit übersituativer Geltung beinhalten sie interpretationsfähige Kategorien, welche Spielräume für deren situative Umsetzung lassen.344 Didaktische Prinzipien sind auf Grund ihres normativen Charakters wissenschaftlich hinterlegbar, nicht jedoch nachweisoder belegbar.345 Durch ihre Herkunft und klare, orientierende Ausrichtung sind didaktische Prinzipien sehr praktikabel und besitzen damit große Bedeutung für die Vorbereitung didaktischen Handelns. Leider muss eine wahre Flut von verschiedenen, teilweise sehr spezifischen oder überlappenden didaktischen Prinzipien beklagt werden, welche auf deren unsystematische Entwicklung und relativ beliebige Handhabung zurückgeht. GÖCKELs Versuch, eine strukturelle Aufteilung zu treffen, hat zu einer generellen Unterscheidung zwischen sog. „fundierenden“ und sog. „regulierenden“ Prinzipien geführt.346 Erstere beziehen sich auf „konstitutive“ Aspekte des Unterrichts, letztere eher auf „situative“ Aspekte. GÖCKEL stellt als fundierende Prinzipien die „Sachgemäßheit“, „Schülergemäßheit“ und „Zielgemäßheit“ fest. Im Gegensatz dazu stehen unterschiedliche Formulierungen der „regulierenden“ Prinzipien. RIEDL nennt in diesem Zusammenhang z.B. „Anschaulichkeit“, „Elementarisierung“, Erfolgssicherung etc.347 Ferner stellt er fest, dass die regulierende Prinzipien „weniger eindeutig voneinander abgrenzbar und bestimmten Zieldimensionen zuzuordnen“ sind, da sie sich häufig gegenseitig bedingen würden. Dennoch ist „es möglich, dass einzelne Prinzipien von ihrer zentralen Orientierung her einzelnen fundierenden Prinzipien besonders nahe stehen. Andere haben enge Be343 Synonym dazu wird auch von Unterrichtsgrundsätzen oder Unterrichtsprinzipien gesprochen. 344 Vgl. Euler, 2003, S. 127. 345 Bezogen auf moralische Prinzipien kann z.B. wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass Offenheit im sozialen Kontext stabilisierend wirkt, nicht jedoch, dass dieses Prinzip richtig oder falsch sei. 346 Vgl. Glöckel, 1996, S. 282ff. 347 Vgl. Riedl, 2004, S. 113f.
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rührpunkte mit allen vorausgehend benannten Unterrichtsgrundsätzen.“348 Solche Begriffswelten erscheinen nicht nur dem Praktiker „akademisch“. Bzgl. der Didaktischen Prinzipien sind somit semantische, terminologische und auch strukturelle Unschlüssigkeiten festzustellen. In einzelnen Fachdidaktiken bestehen trotzdem schlüssige Binnensysteme didaktischer Prinzipien, welche jedoch gegenüber anderen derartigen Begriffssystemen nur begrenzt kompatibel erscheinen. Die bestehenden übergreifenden Versuche, inhaltliche Klarheit, Ordnung und damit Praktikabilität in dieses Konglomerat zu bringen, wirken eher verwirrend denn hilfreich. Die vorliegende Technikdidaktik beschränkt sich auf zwei didaktische Orientierungskonzepte („Zielorientierung“ und „Fachlichkeit“) und fünf methodische Orientierungskonzepte („Kontextualisierung“, „Aktivierung“, „Problemlösung“, „Motivierung“, „Kollektivierung“). Damit soll zunächst die Vielfalt der bildungsbezogenen, pädagogischen und psychologischen Ausgangspunkte auf eine überschaubare Zusammenstellung weniger, aber dabei zentraler Aspekte reduziert und fokussiert werden. Zielorientierung und Fachlichkeit stehen als Kernpunkte für eine sinnvolle und angemessene Generierung von zielrelevanten Kompetenzen. Kontextualisierung, Aktivierung, Problemlösung, Motivierung und Kollektivierung stehen für eine konzeptkonforme, hochwertige und vielschichtige Unterrichtsplanung, -vorbereitung und -umsetzung. 5.3.1 ZIELORIENTIERUNG „Für den, der kein Ziel hat, ist jeder Weg der richtige.“ Diese Redensart drückt prägnant aus, was Zielorientierung für den Unterricht bedeutet. Erst mit der Bestimmung von Lernzielen kann der dahin führende Weg festgelegt werden, kann ermittelt werden welche Inhalte auf dem Weg zum Ziel erschlossen werden sollen. Außerdem kann letztlich für Lernende wie Lehrende nach dem Lernprozess festgestellt werden, ob bzw. zu welchem Grade der Unterricht erfolgreich war. Umgekehrt würde ein „zielloser“ Unterricht einen Rückschritt in die Epoche der Inhaltsorientierung bedeuten, bei der weder Lehrenden noch Lernenden klar war, was der Unterricht dezidiert erreichen sollte. Die durch den lernfeldorientierten Lehrplan angestrebte Ablösung von kleinschrittig vordefinierten Einzellernzielen darf somit nicht in Form „zielof-
348 Ebd., S. 112.
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fener“ Unterrichtskonzeption bzw. durch eine Orientierung an diffusen Globalzielen umgesetzt werden.349 Lernziele sind somit das tragende Gerüst (auch) eines lernfeldorientierten Unterrichts. In dieser Technikdidaktik entsprechen sie konsequenterweise Kompetenzen. Dabei liegt der Schwerpunkt bei fachlich-methodischen Kompetenzen, welche durch eine Performanz, deren Anspruchsniveau und das dies bedingende Wissen konkretisiert werden. Ihre (wie vorausgehend beschriebene) Bestimmung und Ableitung durch verschiedene didaktische Transformationen ist unumgänglich anspruchsvoll, andererseits aber auch sehr fruchtbar für die weitere Unterrichtsplanung. Zudem erfolgt über diese Zugänge eine sehr intensive Auseinandersetzung mit den Lehrplänen und der darin zu identifizierenden Relevanz für den berufsschulischen Unterricht. Erst im Hinblick auf die intendierten Lernziele können die methodischen Elemente definiert, die Reflexionselemente und vor allem auch -inhalte bestimmt werden. Schließlich kann nach einer absolvierten Lernstrecke nur anhand der Lernziele festgestellt werden, welche Kompetenzen die Lernenden zu welchem Grad erworben haben. 5.3.2 FACHLICHKEIT350 In einem fachlich korrekten Unterricht muss alles Dargestellte, Angesprochene, Abgebildete, Erörterte, Verfasste, Ge- oder Bearbeitete etc. (a) richtig und (b) fachgemäß systematisiert sein. Der Aspekt (a) erscheint trivial, besitzt jedoch gerade dann große Bedeutung, wenn für die Erklärung von Zusammenhängen eine didaktische Reduktion vorgenommen wird. Dabei muss ein Zusammenhang vereinfacht werden, um diesen zu verdeutlichen oder verständlicher zu machen. Diese Vereinfachung (im Sinne von Ausschnittbildung, Schematisierung, Zerlegung in Einzelschritte, Hervorhebung, etc.) sollte grundsätzlich keine Fehldarstellung beinhalten.351 Gerade in naturwissenschaftlichen Bereichen, in welchen teilweise die Vorstellungskraft von Wissenschaftlern an Grenzen stößt, lässt sich dieses 349 Die häufig feststellbare Verwechslung von „Zielen“ und „Lernzielen“ wurde vorausgehend ausgiebig erörtert, ebenso die Fehlvorstellung, dass eine Performanz als Lernziel dienen könne. 350 Der Begriff „Fachlichkeit“ wurde bewusst gewählt, um die ehemalige „Sachgemäßheit“ abzulösen. Dieses Prinzip stellt m.E. einen Anachronismus dar, da die von Klafki gelehrte Sachstruktur ein naiv-realistisches Verständnis von der natürlich gegebenen Struktur der Sache zur Voraussetzung, welche als „Primat der Inhalte“ zu einer Degradierung der Methode als (beliebiges) „Transportmittel“ (wichtiger) Inhalte führt. 351 Prominentes Beispiel dafür ist die Erklärung des elektrischen Schaltkreises mit dem Bild eines Wasserkreislaufs.
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Prinzip nicht immer kompromisslos einhalten.352 Dann aber drückt sich Fachlichkeit dadurch aus, dass die Vereinfachungen ausschließlich auf den jeweiligen schwierigen Zusammenhang verwendet werden, dass dies den Schülern transparent gemacht wird und, dass die Vereinfachungen nicht in erkennbarem Widerspruch zu damit zusammenhängendem oder darauf bezogenem Wissen stehen. Der Aspekt (b) besitzt große Bedeutung angesichts des vom KMK-Ansatz konstatierten Vorgabe, „handlungsorientiert“ zu unterrichten. Handlungsorientierung steht methodisch im Gegensatz zu fachsystematischer Ordnung. Würde man diese Empfehlung der KMK befolgen, würden die Auszubildenden absehbar defizitäre Wissensgefüge entwickeln, da Fachwissen im Lernhandlungsprozess nicht expliziert und relativiert wird und so mit dem Entstehungskontext verknüpft bliebe, anstatt für weitere Kontexte verfügbar gemacht zu werden. Die konstruktivistischen Vorstellungen über menschliches Lernen gehen zwar von individuellen und situativen Zugängen zum Wissen aus, betonen dabei aber auch die zentrale Rolle der dabei stattfindenden systembildenden bzw. systemerweiternden Grundprozesse (Äquilibration). Problemlösung und Transfer hängen in hohem Maße davon ab, inwieweit das Wissen eines Menschen strukturell verknüpft, verdichtet, relativiert und auch abstrahiert ist. Je dichter und vielfältiger diese Strukturen abgelegt sind, desto leichter sind sie situativ verfügbar und damit eigenständig anwendbar (KompetenzAnspruch!). Wenn später in der Unterrichtsvorbereitung zwischen handlungssystematischen und fachsystematischen Sequenzen unterschieden wird, ist dies also nicht als ein „Entweder-Oder“ intendiert, sondern vielmehr als ein „Sowohl-Als-Auch“. 5.3.3 KONTEXTUALISIERUNG Empirische Studien, wie z.B. die von ROSENDAHL, FEHRING & STRAKA,353 machen immer wieder deutlich, dass Auszubildende dem berufsschulischen Lernen weniger Bedeutung als dem betrieblichen Lernen beimessen. Dieses Relevanz-Defizit wirkt sich sowohl direkt auf die Lernmotivation, als
352 Z.B. müsste man, um einen Transistor zu verstehen, sich den sog. „Tunnel-Effekt“ vorstellen können. Dieses atomphysikalische Konstrukt erfordert neben erheblichen physikalischen und mathematischen Kenntnissen die Fähigkeit, sich Aufenthaltswahrscheinlichkeiten von Elementarteilchen als räumliche Konstellation vorzustellen. 353 Vgl. Rosendahl, Fehring, Straka, 2007, S. 210.
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auch indirekt auf die damit zusammenhängende Lernqualität und -wirksamkeit aus. Beruflicher Unterricht steht generell im Kontext beruflich-betrieblicher Realität. Die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz ist Folge eines produktiven Zusammenwirkens beider Lernorte. Von den Schülern bzw. Auszubildenden im dualen System wird dabei eine Integrationsleistung erwartet bzw. gefordert. Diese besteht zum Einen darin, das schulisch erworbene theoriebezogene Wissen im betrieblich-praktischen Lernen und Arbeiten einzubetten und weiterzuführen, zum anderen darin, das betrieblich erworbene praxisbezogene Wissen im berufsschulischen Unterricht aus theoretischer Perspektive zu verstehen und zu begründen. Diese Integration gelingt umso besser, je enger die Verknüpfungen und Bezüge zwischen beiden Lernorten sind. Berufsschulische Lehr-Lernprozesse sollten daher in jedem Falle von beruflich-betrieblichen Situationen ausgehen, diese reflektieren oder antizipieren und evtl. simulieren oder in Teilen auch abbilden bzw. integrieren. Dies betrifft primäre Prozesse wie Fertigung oder einfache Dienstleistungen ebenso wie sekundäre Prozesse wie Planung, Projektierung oder Qualitätssicherung. Der Begriff der Kontextualisierung wird hier nicht eingeführt, um die bestehende terminologische Vielfalt um ein weiteres Element zu bereichern bzw. um einem besonders schwierigen oder spezifischen Zusammenhang Rechnung zu tragen. Vielmehr sollen über diesen Begriff die im Zusammenhang mit dem Lernfeld-Konzept sehr häufig aber zumeist nur vage definierten Termini der „Handlungs- bzw. „Geschäftsprozessorientierung“ ersetzt werden. Der Unschärfe des Begriffs der Handlungsorientierung ist nicht nur die beschriebene Vielfalt diesbezüglicher Einzelkonzepte zuzuschreiben (s. oben), sondern auch dessen sehr unterschiedliche methodische Umsetzung bzw. Handhabung. Z.B. wird verbreitet davon ausgegangen, dass Handlungsorientierung dann vorliegt, wenn die Schüler im Unterricht praktisch tätig werden, andere sehen Handlungsorientierung als eine besonders intensive Form schüleraktiven Unterrichts etc. Die Tatsache, dass Handlungsorientierung zum zentralen didaktischen Prinzip des Lernfeldkonzepts erklärt wurde, hängt auch nicht mit einem diesbezüglich definierten bzw. theoretisch oder empirisch fundierten Konzept zusammen,
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sondern eher mit der Intention, fächergeteilten, lehrerzentrierten, an kognitiven Lernzielen ausgerichteten, traditionellen Unterricht zu überwinden.354 Gemäß der vorausgehend erörterten Theoriegrundlagen über kompetenzförderliches Lehren und Lernen wird dieser Intention dann Rechnung getragen, wenn berufliche Lernsituationen in deren relevante berufsbezogenen Prozesse (bzw. berufsspezifische Tätigkeiten) eingebettet bzw. diesen gemäß systematisiert werden. Kontextualisierung fokussiert dabei nur einen allgemein anerkannten Kernpunkt der Handlungsorientierung: die Grundlegung (fach-)theoretischer Auseinandersetzung anhand beruflich relevanter Problemstellungen. Dieser (kontextbasierte) Anknüpfpunkt für Theorieunterricht geht zum Einen mit den vorausgehend dargestellten Lerntheorien konform und zum Anderen mit den dem Lernfeldkonzept zu Grunde liegenden Anspruch auf eine Förderung von Handlungskompetenzen bzw. Reduktion trägen Wissens.355 Entscheidend erscheint hier, dass nicht ein beliebiges bzw. einfaches Handeln im Zentrum der Methodik steht, sondern ein anspruchsvolles Handeln, welches in jedem Falle in enger Verknüpfung mit gedanklich-intellektuellen Prozessen stehen muss.356 Eine konsequente Umsetzung dieser Idee impliziert zwei zentrale methodische Facetten: (1) die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit den jeweiligen Problemstellungen bis hin zu diesbezüglich vollständigen Lösungshandlungen im Sinne eines (Nach-)Vollzugs der beruflichen Tätigkeiten im Unterricht, (2) den Nachvollzug von Handlungssystematiken (aus Arbeitsoder Geschäftsprozessen) als Lernsystematiken (für Lehr-Lernprozesse). Zu (1): Da gemäß konstruktivistischer und kognitivistischer Theorien Lernen durch Problemlösen nur als aktive Auseinandersetzung der Lernenden vorstellbar ist, erklärt sich dieser Aspekt von selbst. Ein Optimum ist hier erreicht, wenn Lernende ein Problem erkennen, das für dessen Lösung erforderliche Wissen eigenständig erschließen, eine Lösung entwickeln, diese prak354 Vgl. Euler, 2003, S. 130. 355 „Getriebeberechnungen“ sind im Maschinenbau ein geläufiges Thema, wobei jedem klar ist, welche Praxisrelevanz es besitzt. Trotzdem wird das Thema gerne vereinfachend als „Rechenunterricht“ abgetan. Dies würde sich ändern, wenn der Unterricht sich mit beruflichen Problemstellungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung bzw. Beeinflussung von Getriebeübersetzungen stehen, auseinandersetzte. 356 Also ein durch Denken begründetes und geordnetes Tun im Sinne Aeblis. Damit wird einerseits ein reines Aufgabenrechnen ausgeschlossen, auch wenn dabei praktische Situationen als Ausgangspunkt verwendet werden (Fachrechenunterricht). Andererseits kann damit aber auch ein reines Wechseln von Getriebestufen, selbst wenn diese evtl. nachgerechnet werden („praktische Fachkunde“), verhindert werden.
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tisch-professionell umsetzen, um dann am Ergebnis nicht nur die Richtigkeit ihrer Lösung zu erfahren, sondern zudem auch die Qualität ihrer Theorieauseinander- und -umsetzung.357 Zu (2): Da berufliche Problemstellungen generell innerhalb beruflicher Prozesse entstehen, sollten sie auch nur innerhalb dieser nachvollziehbar in beruflichen Unterricht integriert werden. In Handlungs- oder Prozesssystematiken können diese Prozesse abstrahiert und damit aus der Realität in die Lernumgebung übertragen werden. Später erfolgt die fachliche Systematisierung im Sinne eines Ein- bzw. Zuordnens des erarbeiteten Wissens in bestehende oder neue Wissenssystematiken.358 Kontextualisierung kann, je nachdem, wie nahe die Unterrichtsprozesse bei den Betriebsprozessen liegen, in sehr unterschiedlichen Intensitätsgraden umgesetzt werden. – Maximale Kontextualisierung wird in einem Unterricht erreicht, welcher in einem beruflichen Realszenario stattfindet (dabei aber trotzdem die volle Theorieauseinandersetzung erlaubt).359 – Hohe Kontextualisierung liegt dann vor, wenn die berufliche Realität mehr oder weniger authentisch nachgestellt wird und dabei vollständige Handlungen möglich sind.360 – Je weniger die SchülerInnen im Sinne beruflicher Prozesse aktiv werden bzw. je mehr die Lernaktivitäten sich auf die Theorieauseinandersetzung eingrenzen, desto mehr sinkt die Kontextualisierung. 357 Ein Getriebe soll bei gleichem Motor auf eine höhere Drehzahl gebracht werden. Dazu müssen die Zahnradpaarungen verändert werden. Um die richtige Drehzahl zu erreichen, müssen dementsprechende Berechnungen erfolgen. Die diesbezügliche Theorie wird im Fachbuch erläutert, die Formeln finden sich im Tabellenbuch. Das Ergebnis der Berechnungen drückt sich in Übersetzungsverhältnissen aus, welche zu einer Auswahl an Zahnrädern führen. Diese müssen in richtiger Anordnung und Reihenfolge fachmännisch montiert werden. Erst wenn das Getriebe wieder vollständig am Prüfstand hängt, kann abgelesen werden, ob die erwünschte Drehzahl erreicht wurde. Stimmt diese, kann die Effektivität und Effizienz der Arbeit beurteilt werden, tritt ein Fehler auf, muss dieser gefunden, analysiert und behoben werden, was zu einer erneuten, vertieften Theorieauseinandersetzung führt. 358 Die Drehzahlerhöhung ist erforderlich, da eine komplexe Anlage umgestellt werden soll. Dabei treten neben dieser weitere Problemstellungen auf, welche mit Drehzahlen, Geschwindigkeiten, Drehmomenten, aber auch mit Kraftübertragungselementen und diesbezüglichen Baugruppen etc. zusammenhängen. 359 Dies kann z.B. in einem sog. „integrierten Fachunterrichtsraum“ gelingen, welcher alle professionellen Maschinen und Apparaturen sowie alle Lehr- bzw. Lern- und Informationsmedien einschließlich der verschiedenen Gruppen- und Arbeitsplätze, PC-Infrastruktur etc., bereithält. 360 Z.B. wenn mit Simulationen etc. gearbeitet wird und die SchülerInnen daraus ihre Rückmeldungen an Stelle der echten Aufgabenlösung beziehen.
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– Minimale Kontextualisierung liegt dann vor, wenn sich eine Unterrichtssequenz nur noch entlang eines medial abgebildeten oder einfach nur vorgestellten Betriebs- oder Geschäftsprozesses „hangelt“, ohne diesen für die Lernenden real erlebbar oder beeinflussbar zu machen. – Keine Kontextualisierung liegt vor, wenn versucht wird, Praxis anhand von Medien dem Unterricht aufzusetzen oder anzuhängen, da hier die Unterrichtslogik ausschließlich einer fachwissenschaftlichen Systematisierung folgt und die Lernenden einen Berufskontext frei implizieren müssen. Die Bedeutung der Kontextualisierung leitet sich zentral aus der Feststellung ab, dass die theoretischen Wissenskomponenten aus dem berufsschulischen Unterricht mit den praktischen Wissenskomponenten aus dem betrieblichen Lernen von den Schülern selbst zu Handlungskompetenzen zusammengeführt werden müssen. Diese Zusammenführung kann absehbar durch die Kontextualisierung unterstützt und erleichtert, nicht aber ersetzt werden.361 Zudem liegt hier auch ein ernst zu nehmender motivationaler Aspekt vor. In empirischen Studien zeigt sich immer wieder, dass das schulische Lernen von den Auszubildenden nicht ernst genommen wird, weil sie darin keine bzw. eine zu geringe betriebliche Relevanz erkennen. 5.3.4 AKTIVIERUNG Aus konstruktivistischer Sicht ist Lernen ausschließlich Sache der Schüler, Lernen kann nicht von außen aufgezwungen bzw. determiniert werden. Lernen erfolgt für jeden Schüler individuell in Zusammenhang mit seinem bisherigen Wissen und dem, was er daraus machen kann bzw. machen will. Lernen erfolgt über eine aktive und diskursive Auseinandersetzung mit Neuem und den damit zusammenhängenden sozialen Aushandlungsprozessen. Die eigenständige Auseinandersetzung mit dem Neuen hat sich als ebenso wichtig 361 Umgekehrt kann sie sicher auch ohne Kontextualisierung erfolgen, wie die zurückliegenden Jahre traditionellen berufsschulischen Unterrichts belegen können. Daher sollte dieser Orientierungsaspekt ernst genommen, nicht aber überbewertet werden. Eine hochgradige Kontextualisierung kann nur in wenigen Fällen erreicht werden, da die Berufsschule dazu eine vollständige, professionelle und aktuelle Geräteausstattung benötigen würde. Häufiger lassen sich wahrscheinlich hohe und mittlere Kontextualisierungsgrade erreichen, indem entweder mit berufsdidaktischen Medien gearbeitet wird (z.B. FESTO-Komponenten in der Steuerungstechnik) oder in lernortkooperativer Aufteilung zwischen Betrieb und Schule entlang eines komplexen Projekts alterniert wird. Ein geringerer Grad an Kontextualisierung kann dann ausreichen, wenn die Praxisrelevanz deutlich erkennbar ist bzw. wenn einem Thema insgesamt eher eine marginale Bedeutung zuzuweisen ist. So kann es in einigen Fällen durchaus reizvoll für BerufsschülerInnen sein, wenn sie den beruflichen Zusammenhang einer bestimmten Theorie selbst entdecken dürfen.
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erwiesen, wie die Identifikation mit dem Lehr-Lernprozess und den daran beteiligten Individuen. Die Effektivität eines solchen selbstorganisierten Lernens konnte in vielfältigen Studien innerhalb und auch außerhalb der beruflichen Bildung nachgewiesen werden.362 In beruflichem Unterricht kommt daher der Aktivität lernender Individuen eine besondere Bedeutung zu. Eine Reihe aktueller empirischer Ergebnisse aus der Lernpsychologie bzw. domänenspezifischer Unterrichtsforschung deuten darauf hin, dass die Schüleraktivität ein zentraler Prädiktor für die eigentliche Lernleistung ist, aber auch für Faktoren, welche diese unmittelbar bzw. mittelbar beeinflussen (wie z.B. Motivation oder Interesse). Diese unter Pädagogen generell anerkannte Feststellung kann jedoch in sehr unterschiedlicher Weise aufgefasst und vor allem umgesetzt werden. Beispielsweise wird in der Literatur häufig schon dann von Schüleraktivierung gesprochen, wenn die Lehrkraft mit den Schülern ein Unterrichtsgespräch führt. Häufig werden sog. schüleraktivierende Methoden beschrieben wie z.B. „Blitzlicht“, „Expertengespräch“ oder „Mind Mapping“. Die Reformpädagogen verstanden unter Schüleraktivierung hingegen wesentlich mehr. Sie gingen davon aus, dass der Lernprozess aus den Aktivitäten der Lernenden entsteht, von diesen geprägt und individualisiert wird und der Lehrprozess sich währenddessen ausschließlich auf ein Begleiten, Helfen und Unterstützen beläuft. In dieser Spanne wird erkennbar, wie unterschiedlich Schüleraktivierung in der Unterrichtspraxis aussehen kann. Dieses äußere Erscheinungsbild erscheint jedoch weniger wichtig als dessen intentionaler Hintergrund. Für LehrerInnen, die Schüleraktivität in ihrem Unterricht verwirklichen, gibt es (in idealtypischer Polarisierung) zwei Ausgangspunkte: (1) Der Unterricht erfolgt generell schüleraktiv beinhaltet dabei aber lehreraktive Phasen. (2) Der Unterricht ist generell lehreraktiv und wird mit schüleraktivierenden Elementen angereichert.
362 Vgl. z.B. Seifried, 2004.
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Zu (1): Hier steht die selbsttätige, mediengestützte, diskursive Erarbeitung von Lerninhalten durch die SchülerInnen im Vordergrund. Der Schwierigkeitsgrad liegt in einem mittleren Bereich, so dass alle Lernenden in der Lage sind, sich das Wissen selbst zu erarbeiten.
Zu (2): Hier steht die Darstellung, Instruktion, Veranschaulichung und Erklärung von Lerninhalten durch die Lehrkraft im Vordergrund. Der Schwierigkeitsgrad liegt im oberen bzw. unteren Bereich, so dass eine Erarbeitung durch die Schüler entweder zu schwierig bzw. nicht erforderlich wäre. Es stehen entsprechende Praxis- bzw. Es stehen überwiegend PräsentatiErarbeitungsmedien, Räume für sozia- onsmedien und frontal ausgerichtete le bzw. individuelle Lernformen und Räumlichkeiten zur Verfügung bei genügend Zeit zur Verfügung. eher knapper zeitlicher Ausstattung. Die individuellen Wissensbestände Die Lernenden müssen den Ausjedes einzelnen Lernenden werden gangspunkt der Lehrkraft einnehmen aktiviert, das Lernen erfolgt als sozia- und deren Logik folgen. In relativ ler Aushandlungsprozess, über längere kurzen Lernstrecken werden InforLernstrecken werden komplexe Prob- mationen in hoher Dichte rezipiert leme gelöst und anschließend vor der und gedanklich weiterverarbeitet. Klasse präsentiert und diskutiert. LehrerInnen-Instruktionen erfolgen Schüleraktivitäten erfolgen als Motibei nicht lösbaren Problemen (in der vation zum Einstieg oder in ÜbungsErarbeitung) bzw. Fehldarstellungen oder Vertiefungsphasen im An(in der Präsentation). schluss an den Lehrervortrag. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass beide Positionen als legitim angesehen werden können. Ferner wird deutlich, dass diese methodische Polarisierung keineswegs eine Polarisierung hinsichtlich der zu Grunde liegenden Lernparadigmen bedingt. In beiden Fällen lässt sich die kognitivistisch-konstruktivistische Auffassung von Lernen beibehalten. In beiden Fällen kann/muss individuelle Wissenskonstruktion erfolgen. Der Unterschied besteht aber im Weg dieser Wissenskonstruktion und in deren Wahrscheinlichkeit, Qualität bzw. Ausmaß. In (1) beschreiten die SchülerInnen einen sehr individuellen und kommunikativen Lernweg. Jede/r kann dort beginnen, wo er/sie steht, andererseits muss sich auch jeder einen eigenen Startpunkt im Gesamtkomplex suchen und diesen von dort aus folgerichtig erschließen. Durch die Interaktion der Ler233
nenden besteht dabei zum Einen die Möglichkeit, vom Wissen der anderen zu profitieren, zum Andern kann dadurch auch das eigene Wissen einem Außenvergleich unterzogen werden. Dieser relativ offene Weg kann auch Umwege beinhalten oder in Sackgassen führen. Zudem besteht nur geringe Sicherheit gegenüber dem unter Schülern Erarbeiteten bzw. Gelernten. Umfang und Endstand der Wissenskonstruktion hängen letztlich von der Selbständigkeit der SchülerInnen, deren Eigeninitiative und Ausgangskompetenzen ab. In (2) müssen die SchülerInnen einem vorgegebenen Lernweg folgen. Keiner von ihnen kann genau dort beginnen, wo er/sie selbst steht. Entweder reicht das jewelige Grundwissen aus, oder es fehlt. Im zweiten Falle kann keine aufbauende Wissenskonstruktion erwartet werden. Die Komplexität des Lerngegenstands wird – wenn überhaupt – erst am Ende der Lernstrecke erkennbar. Wo die anderen Lernenden stehen, bleibt für die SchülerInnen während des Lernprozesses relativ unklar; das Wissen der/des Lehrenden ist präsent und dominant. Der Erkenntnisweg des Lehrers wird abgebildet, nachvollzogen und mit der individuellen Logik verglichen. Bei erfolgreichem Vergleich entsteht Verständnis, andernfalls bestenfalls ein Merken unzusammenhängender Begriffe. Umfang und Endstand der Wissenskonstruktion hängen von der Aufmerksamkeit der Lernenden, ihrer Abstraktions- und Transformationsfähigkeit ab. Mit Verlassen dieser polarisierenden Betrachtung kommt man zu der Feststellung, dass sich die Gesetzmäßigkeiten und Wirkungen der Schüleraktivierung in hohem Maße über deren Umfang bzw. Ausmaß innerhalb eines Unterrichts regulieren lassen. Je länger und komplexer diese Phasen sind, desto eher entspricht der Unterricht den unter (1) dargestellten Aspekten, je kürzer und strukturierter diese sind, desto mehr tendiert der Unterricht zu den Gesetzmäßigkeiten von (2). Aus der Unterrichtsforschung: In den zurückliegenden Jahren wurde vor allem in den technischen Domänen handlungsorientierter beruflicher Unterricht empirisch erforscht. Um diesen neuen Ansatz wissenschaftlich zu erschließen und letztlich Empfehlungen für die Gestaltung solcher Settings ableiten zu können versuchte man, Erkenntnisse über dessen Verlauf und Schülerwahrnehmung zu gewinnen. Einige Studien widmeten sich auch der Erhebung der Wirkungen von handlungsorientiertem Unterricht. U.a. wurde hier festgestellt, dass die Schüleraktivität innerhalb eines solchen Unterrichts zwei Gesichter hat: Zwar arbeiten die SchülerInnen motiviert, interessiert und eigenständig an der Lösung komplexer Aufgaben. Sie tun sie dies jedoch nicht immer mit der 234
erforderlichen fachlich-theoretischen Reflexion. Einzelne SchülerInnen tauchen in den langfristigen Gruppenarbeiten unter, andere isolieren sich von ihren Mitlernenden. Endergebnisse werden kopiert und nicht selbst entwickelt bzw. nachvollzogen. Die praktischen Aufgaben unterliegen einer Finalorientierung an Stelle einer Kausalorientierung. Man ist bestrebt, die Problemstellung zu lösen, ohne sich dabei vertieft mit der Substanz des Problems auseinanderzusetzen.363 Daher wird aktuell davon ausgegangen, dass (1) längere, unstrukturierte Lernstrecken viele Schüler fachlich und auch sozial überfordern anstatt sie zu motivieren;, (2) eine vertiefte theoretische Auseinandersetzung im Lösungsprozess einer beruflichen Aufgabe nicht aus eigenem Antrieb entsteht, sondern stimuliert und moderiert werden muss; (3) mit dem Ausmaß der Schüleraktivität (Freiheitsgrade und Dauer) korrespondierend das Erarbeitete zusammengefasst, restrukturiert und reflektiert werden muss, um die Inhalte zu konkretisieren und das Gelernte zu sichern. Ein gegenwärtiges Fazit dieses Forschungsstands ist, dass komplexe tätigkeitsorientierte Phasen erhebliche Probleme aufwerfen. Die Länge der Lernstrecken muss daher gemäß der Thematik, dem Schwierigkeitsgrad, der Offenheit sowie auch der Selbständigkeit, Reife und Intelligenz der Schüler sehr differenziert gehandhabt werden. Komplexe und hochgradig kontextualisierte Lernumgebungen werden im Allgemeinen erst durch eine Anreicherung mit lehreraktiven Komponenten (Einführungen, Fachgespräche, Instruktionen, Kontrollen …) wirksam. Immer wieder werden auch Wirkungsstudien über selbstgesteuertes Lernen veröffentlicht.364 Selten wird dabei ein klarer Beleg für dessen Überlegenheit gegenüber lehrerzentrierten Vermittlungsformen erbracht, und wenn, ist Skepsis angezeigt, da solche Vergleiche im Feld nur schwer vorgenommen werden können und aus Laborversuchen wenig Signifikanz für die Praxis herbeiführen. Der entscheidende Fehler solcher Studien besteht jedoch in der Polarisierung an sich, welche impliziert, dass das eine das andere ausschließen würde. Vielmehr sollte darauf hingewiesen werden, dass die beste Schüleraktivierung absurd wird, wenn sie auf Lehrerinstruktionen verzichten muss.
363 Vgl. Tenberg 1996. 364 Vgl. z.B. Konrad, 2009.
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Der Exkurs in die Unterrichtsforschung zeigt, dass Schülerorientierung einer Dimensionierung bedarf. Sie ist von einer ganzen Reihe von Faktoren (Schüler, Thema, Schwierigkeitsgrad, Praxisrelevanz etc.) und Rahmenbedingungen (Zusammensetzung der Klasse, betriebliche Herkunft …) abhängig und kann bestenfalls stimuliert, nie aber exakt reguliert werden. Trotzdem lässt sich eine Aussage hinsichtlich eines planerischen Ausgangspunktes treffen: Bei entsprechenden Ressourcen (Medien, Räume, Zeit etc.) erscheint es besser, zunächst eine Orientierung gemäß Position (1) vorzunehmen: Dies ist mit dem aktuellen Anspruch beruflichen Unterrichts hinsichtlich eines Erwerbs beruflicher Handlungsfähigkeit zu begründen. Um das zu gewährleisten (bzw. zu unterstützen), ist ein selbsttätiges Lernen im sozialen Kontext in Verbindung mit der Lösung komplexer beruflicher Probleme unumgänglich. Um diesen Wissenserwerb zu unterstützen, zu bestätigen bzw. zu sichern, sind jedoch Elemente aus der Position (2) unerlässlich. Daher ist diesen zwar eine sekundäre Planungsposition zuzuweisen, jedoch keineswegs eine nachgeordnete Bedeutung. Schülerorientierung ist und bleibt damit ein Kernelement der Unterrichtsgestaltung, jedoch muss dabei sehr genau abgewogen werden, wie diese im Einzelnen zu gewichten und auszugestalten ist. Wie eng der Aspekt der Aktivierung mit (dem nachfolgenden) der Problemlösung verknüpft ist, zeigt der Ansatz von WUTTKE, WOLF et al.: (1) „Im Zentrum selbstorganisierten Lernens stehen die Problemlöseaktivitäten der Schüler. Die zu bearbeitenden Probleme sind komplex und werden im Allgemeinen in einer projektbasierten und gruppenorientierten Umgebung gelöst. (2) Die Planung, Umsetzung und Bewertung der Lernprozesse wird – soweit möglich – in die Hand der Lernenden gegeben. Selbstorganisiertes Lernen umfasst dabei notwendigerweise auch die Definition und Reflexion von Zielen und die Bewertung und Reflexion der eigenen Handlungen und Problemlösungen. (3) Im Rahmen des selbstorganisierten Lernens lernt natürlich jeder auch für sich selbst. Zusätzlich sind aber das Lernen für andere (Arbeitsteilung bei der Bearbeitung der Probleme und Präsentation der Ergebnisse) und mit anderen zentrale Designelemente selbstorganisierten Lernens. Dabei wird auch davon ausgegangen, dass Argumentationen innerhalb der Gruppen und mit dem Lehrer sowie das Verbalisieren eigener Ideen Reflektion und Tiefenverarbei-
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tung fördern und die Wissensgenerierung sowie die Problemlösefähigkeit unterstützen. (4) Das Lösen komplexer, realitätsnaher Probleme schließt das Risiko ein, Fehler zu machen und im ersten Anlauf zu scheitern. Es bedeutet aber auch, aus Fehlern lernen zu können sowie eigenständig Verstehen zu generieren und Kompetenzen aufzubauen.“365 5.3.5 PROBLEMLÖSUNG Wie der kurze Exkurs in die theoretischen Zusammenhänge des Kognitivismus gezeigt hat, besitzt ein entdeckendes Lernen in Zusammenhang mit Problemlösungsprozessen eine höhere Qualität als ein rezipierendes oder abbildendes Lernen. Der Wissenszuwachs erfolgt nicht quantitativ, sondern qualitativ. Im Sinne von Jerome Bruner beschreibt TERHART problemlösendes Lernen als ein „über-die-gegebene-Information-Hinausgehen“, also eine Lernform, welche heuristische Prozesse fördert, aber auch fordert. „Entscheidend ist, dass beim entdeckenden Lernen der Lernende in einem kreativen Akt über das Vermittelte bzw. bisher Bekannte oder Erfahrene hinaus zu neuem, erweitertem Wissen gelangt.“366 In Anbetracht der aktuellen Bildungsperspektive erscheinen derartige Lernprozesse bedeutend bzw. unumgänglich, da hier zwar auch faktisches Wissen erwartet wird, darüber hinaus jedoch auch die Fähigkeiten, eigenständig zu solchem Wissen zu gelangen. Über die Lösung spezifischer Problemstellungen „wird nicht nur neues Wissen, werden nicht nur neue Fähigkeiten via Entdeckung erworben, sondern auf einer darüber liegenden Ebene auch ein Wissen entwickelt, wie man in offenen, problemhaltigen Situationen mit seinem vorhandenen Wissen, mit seinen vorliegenden Fähigkeiten umgehen kann.367“ Hier wird wiederum der Bezug zum Basiskonstrukt von Kompetenzen deutlich, welche diese als Disposition zu eigenständigem Handeln feststellt. Des Weiteren stehen Schüleraktivierung und entdeckendes Lernen in einem engen Sinnzusammenhang. Ausgehend von den Vorstellungen der Reformpädagogen hing Schüleraktivierung nie mit Abbildungs- oder Auswendiglernen bzw. einem mehr oder weniger reflektierten Lernaktionismus zusammen. Vielmehr sollten sich die Lernenden entweder durch entsprechende anregende Arrangements (MONTESSORI) oder über offene Lernaufgaben (PETER365 Wuttke, Wolf, 2007, S. 103. 366 Terhart, 2000, S. 149. 367 Vgl. Terhart, 2000, S. 149.
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SEN) eigenständig mit Problemstellungen auseinandersetzen. Auch die im Zusammenhang mit Schüleraktivierung relevanten Aspekte eines „Lernens als Wissenskonstruktion“ d.h. in einer aktiven Auseinandersetzung mit den Neuen, werden erst dann einschlägig, wenn dieses Lernen auf Grund kognitiver Dissonanzen (s. Kognitivismus) erfolgt. Sowohl Entdeckung als auch Problemlösung korrespondiert zudem mit naturwissenschaftlichem Unterricht. Die Denkwege der SchülerInnen stellen sich analog zu jenen der Wissenschaftler bzw. Techniker dar. Dabei ist die klassische Induktion nur eine Möglichkeit, entdeckendes Lernen umzusetzen. Gegenüber allgemeiner Bildung ist die berufliche Bildung durchsetzt von Technologien und Arbeits- bzw. Geschäftsprozessen, welche in jedem Falle als (momentane) Endresultate komplexer Abfolgen von Problemlösungsprozessen gesehen werden können. Im Sinne von TERHART ist problemlösender Unterricht wie folgt gekennzeichnet:368 – Die Lehrkraft schafft eine Lernumgebung, welche Interesse bei den SchülerInnen weckt und zur Aktivität motiviert; – Dies erfolgt über Medien, Materialien aber auch über Hinführungen, Anregungen und Aufforderungen; – Die Lehrkraft verlässt sich auf das Interesse der SchülerInnen, sich mit einer Problemstellung auseinander zu setzen – Die SchülerInnen dürfen/sollen sich dabei untereinander austauschen; es steht ihnen genügend Zeit zur Verfügung, um zu individuellen Ergebnissen zu kommen; – Die Lehrkraft begleitet die individuellen Problemlösungen und gibt angemessene Rückmeldungen. MINNAMEIER akzentuiert vor diesem Hintergrund ein didaktischmethodisches Paradoxon, welches aus dem Anspruch selbstgesteuerter Problemlösung durch die Lernende erwächst. Er konstatiert zunächst, dass problemlösendes Lernen nicht umhin kommt, „Lerner ganz gezielt in die Schwierigkeiten zu bringen, die ihnen die Unzulänglichkeiten ihres aktuellen Dankens vor Augen führen“369.Ohne solche Erfahrungen (der Instabilität) sei die Produktivität des problemlösenden Lernens in Frage zu stellen. Da jedoch Selbststeuerung nur im Rahmen der aktuellen kognitiven Strukturen der Ler368 Vgl. ebd., S. 155. 369 Minnameier, 2003, S. 21.
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nenden stattfinden kann, muss angezweifelt werden, dass sich jemand zu neuen Erkenntnissen die er eben noch nicht hat selbst hinführen kann. „Er müsste ja schon wissen, wo er hin muss.“370 Dieses Paradoxon ist jedoch so alt, wie die Pädagogik, da deren generelles Ziel ja ihre eigene Erübrigung ist. Problemlösendes Lernen im schulischen Kontext kann also nicht in völliger Selbststeuerung erfolgen, vielmehr muss dieses angemessen konzipiert und in jedem Falle moderiert und unterstützt werden. Die Entwicklung der Lernenden bedingt dann nicht nur Verbesserungen im Lösen von Problemen, sondern auch in der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Letztlich hängen die Aspekte Problemlösen und Eigenständigkeit untrennbar miteinander zusammen, denn eine instruierte Problemlösung kann nur bedingt als solche bezeichnet werden, da sie vom Lernenden absehbar später nicht ohne Unterstützung selbst vollzogen werden kann371. 5.3.6 MOTIVIERUNG Allgemein betrachtet sind es vor allem die Motive eines Menschen, die die Ausrichtung seines Handelns bestimmen, dessen Intensität, Konsequenz aber auch Einschränkung, Abschluss oder Abbruch. Damit begründet sich aus zweierlei Perspektiven die Bedeutung der Motivation für beruflichen Unterricht: Motivation als (1) Zielkategorie, (2) als Weg-Kategorie. In Kapitel 3.3 wurde der Aspekt der Motivation bereits umfassend und im Zusammenhang mit personalen Kompetenzen erörtert. Im Fokus standen dabei die Arbeits-, Leistungs-, Lern- und Handlungsmotivation. Zu (1): Berufsschulischer Unterricht sollte nicht zuletzt angesichts des Anspruchs auf eine Förderung personaler Kompetenzen in jedem Fall einen Aufoder Ausbau der Arbeits-, Leistungs- und Lernmotivation bewirken. Durch die Lernortspezifika der Berufsschule wird sich dies jedoch überwiegend auf die Lern- und die Leistungsmotivation beziehen, da die Arbeitsmotivation weitgehend von den betrieblichen Aufgaben, Tätigkeiten und den damit zusammenhängenden Interaktionen und Bewertungen abhängt. Zu (2): Menschen lernen bzw. entwickeln sich dann am besten, wenn sie dazu motiviert sind. Dies kann auf eine ganze Reihe von Komponenten zurückgeführt werden. WILD, HOFER & PEKRUN372 erwähnen diesbezüglich die Leistungsmotivation, die Lernzielorientierung, die Leistungszielorientierung, 370 Ebd., S. 20. 371 Hingegen ist im Rahmen einfacher bzw. klar eingrenzbarer Aufgaben ein VormachenNachmachen durchaus probat 372 Vgl. Wild, Hofer, Pekrun, 2006, S. 213.
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das Interesse, das Flow-Erleben, die intrinsische und extrinsische Motivation, die Selbstbestimmung, persönliche Ziele, multiple Zielstrukturen sowie die Volition. Da in der vorliegenden Technikdidaktik von einem schüleraktiven Unterricht ausgegangen wird, in welchem die Lernenden eigenverantwortlich handeln sollen, ist der Handlungsmotivation und dem dabei entscheidenden Aspekt der Selbstbestimmung eine besondere Bedeutung beizumessen. Ohne Handlungsmotivation finden absehbar einfach keine oder nur rudimentäre Lernhandlungen statt. Menschliches Handeln ist generell bewusst, zielgerichtet und motiviert. Damit unterscheidet es sich von automatisiertem oder reflexartigem Verhalten. Es ist ferner geprägt von sich gegenseitig beeinflussenden Kognitionen und Emotionen. Aus den Studien von DECI & RYAN373 ergibt sich ein besonders enger Zusammenhang zwischen Motivation und Selbstbestimmung, bzw. dem Ausmaß, in dem Menschen über ihre Handlungen selbst entscheiden können. Ausgangspunkt dieser Theorie ist die nachgewiesene Grundeigenschaft des Menschen, zu allererst seine drei psychischen Grundbedürfnisse Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit befriedigen zu wollen.374 Die daraus abgeleitete „organismische Integrationstheorie“ erweitert den klassischen Dualismus von „extrinsischer“ und „intrinsischer“ Motivation. Intrinsische Motivation ist dabei durch ein vollständiges Fehlen instrumenteller Ziele gekennzeichnet und kann deshalb nur bei „zweckfreiem Tun“ unterstellt werden.375 Extrinsische Motivation teilt sich in vier Stufen auf, die mit zunehmender Autonomie bzw. abnehmender externaler Steuerung taxiert sind: 1. Externale Verhaltensregulation mit sehr geringer Autonomie; die Handlung erfolgt, um eine Belohnung zu erhalten oder einer Bestrafung zu entgehen; 2. Introjizierte Verhaltensregulation mit geringer Autonomie; die Handlung erfolgt, um Schuld- oder Schamgefühle zu reduzieren; 3. Identifizierte Verhaltensregulation mit zunehmender Autonomie; die Handlung erfolgt aus Akzeptanz für deren Notwendigkeit;
373 Vgl. Deci, Ryan, 2000. 374 Vgl. Deci, Ryan, 1985, S. 32. 375 Dieser hohe Anspruch ist z.B. bei sozialem Engagement, bei musischen oder gestalterischen Tätigkeiten denkbar. Intrinsische Motivation korrespondiert somit entweder mit freud- bzw. genussvollem Erleben oder mit einer Beimessung sehr hoher Werte.
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4. Integrierte Verhaltensregulation mit hoher Autonomie; die Handlung erfolgt aus innerer Überzeugung bzgl. deren Sinn und Nutzen.376 Da davon auszugehen ist, dass berufsschulisches Lernen nur in seltenen Fällen aus reinem Interesse stattfinden wird (also ohne instrumentelle Ziele), sollten sich motivationsbezogene Überlegungen auf die beiden höherwertigen Kategorien der extrinsischen Motivation beziehen: die „identifizierte“ und die „integrierte“ Verhaltensregulation. D.h. die Lernhandlungen sollten so arrangiert sein, dass sich die Lernenden mit deren Zielen und Hintergründen identifizieren und diese verinnerlichen können. Speziell in technischem beruflichem Unterricht hat sich neben der Instruktionsklarheit die inhaltliche Relevanz als der bedeutsamste Faktoren für die Lernmotivation herausgestellt.377 Dazu benötigen die Lernenden eine angemessene Lernautonomie. Zudem gilt es, die Lernprozesse so zu arrangieren, dass sie dabei – möglichst gemeinsam mit anderen Lernenden – ihre bestehenden Kompetenzen auch umsetzen können. HASSELHORN & GOLD stellen in Anlehnung an RHEINBERG378 fest, dass ein Verhalten immer nur dann leistungsmotiviert ist, „wenn es auf die Selbstbewertung eigener Tüchtigkeit zielt, und zwar in Auseinandersetzung mit einem eigenen Gütemaßstab, den es zu erreichen oder zu übertreffen gilt“.379 Im Zentrum der Leistungsmotivation steht also eine selbstgesetzte Norm des Individuums, die ohne Zweifel in großer Abhängigkeit von internalen und externalen Faktoren steht. Internale Faktoren sind personenspezifisch, wie z.B. was man von sich selbst bei entsprechendem Aufwand erwartet oder annimmt, was andere erwarten könnten. Externale Faktoren sind kontextspezifisch, wie z.B. unter welchen Bedingungen eine Leistung erbracht werden soll. Leistungsmotivation geht in dem Maße in die Lernmotivation ein, in dem Individuen ihr Lernen an Gütemaßstäben orientieren. Eine solche Orientierung wird insbesondere durch Aufgabenstellungen mit einem mittleren Schwierigkeitsgrad gefördert. Gemäß ATKINSONS „Risiko-Wahl-Modell“380 ist dies dann gegeben, wenn sowohl der Anreiz eines Erfolgs als auch dessen Wahrscheinlichkeit ein akzeptables Niveau erreichen. Gelingt dies nicht, muss entweder mit einem Misserfolg gerechnet werden, oder dem Erfolg wird kein Wert beigemessen.
376 377 378 379 380
Vgl. Deci, Ryan, 1985, S. 32. Vgl. Knöll, Gschwendtner, Nickolaus, 2008. Vgl. Rheinberg, 1997, S. 58. Hasselhorn, Gold, 2009, S. 106. Vgl. Atkinson, 1957.
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Neben diesen allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Leistungsmotivation hängt diese zudem von persönlichkeitsbedingten Faktoren ab. HASSELHORN & GOLD stellen diesbezüglich zwei Zusammenhänge fest:381 Zum Einen (1) die Unterscheidung in erfolgsmotivierte und misserfolgsängstliche Menschen, zum Anderen die unterschiedlichen (2) Attributionsstile von Individuen. (1) Misserfolgsängstliche Menschen vermeiden den mittleren Schwierigkeitsgrad, da bei diesem die klarsten Aussagen über die eigene Leistungsfähigkeit einher gehen. „Sie wählen also entweder sehr leichte Aufgaben, weil dabei der Misserfolg so gut wie ausgeschlossen ist, oder aber sehr schwere Aufgaben, weil dort das Scheitern keine Schlussfolgerungen auf die eigene Tüchtigkeit erlaubt.“382 Damit gehen sie einer Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsfähigkeit aus dem Weg, das Leistungsmotiv sinkt im Lernprozess und die Leistungsangst nimmt zu. So wird dem „Lernziel Leistungsmotivation“ absehbar kaum Rechnung getragen. Hinsichtlich technischen beruflichen Unterrichts wird man somit nicht umhin kommen, die Auseinandersetzung der Lernenden mit ihrer Leistungsfähigkeit zu fordern. Wenn dies aber nicht zu einer Verstärkung der Misserfolgsängste führen soll, muss dabei auf eine gute individuelle Betreuung geachtet werden, in welcher nach und nach der Wille und auch die Kraft aufgebaut werden, sich selbst sinnvolle Gütemaßstäbe zu setzen und gemäß dieser dann auch bestmöglich zu handeln. (2) Unter „Attribution“ ist die menschliche und damit subjektive Ursachenzuschreibung zu verstehen. Im Zusammenhang mit Lernleistungen bedeutet dies, welchen Aspekten Lernerfolge bzw. welchen Aspekten Lernmisserfolge zugeschrieben werden. Nach WEINER383 lassen sich hier zwei Dimensionen unterscheiden: zum Einen die der „Lokation“, zum Anderen jene der „Kontrollierbarkeit“. „Lokation“ bedeutet, ob die Ursachen eines Lernergebnisses eher bei sich selbst (intern) oder bei äußeren Faktoren (extern) gesehen werden. Kontrollierbarkeit bedeutet, ob die Ursachen eines Lernergebnisses für ein bestimmtes Individuum einfach oder schwierig zu kontrollieren sind. Schließlich spielt noch die zeitliche Stabilität eine erhebliche Rolle: diese kann innerhalb einer Ursachenzuschreibung erheblich variieren. Ein erfolgsmotivierter Mensch attribuiert im Normalfall seine Erfolge wie Misserfolge intern. Externe Attribuierungen gestattet er sich erst, wenn bestimmte äußere Umstände von ihm als außergewöhnlich erachtet werden.
381 Hasselhorn, Gold, 2009, S. 108. 382 Ebd. 383 Vgl. Weiner, 1992.
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Umgekehrt stellt es sich bei dem Phänomen der Misserfolgsvermeidung dar: Je ausgeprägter dies vorliegt, desto mehr wird das vorausgehend beschriebenee Muster invertiert. Erfolge werden alleine den äußeren Umständen zugeschrieben, Misserfolge dem eigenen Unvermögen. In diesen Negativzuschreibungen wird häufig auch eine niedrige Kontrollierbarkeit unterstellt, was zu einem schwer behebbaren Determinismus führen kann, der sich nicht selten in Form einer „erlernten Hilflosigkeit“ manifestiert.384 Dann reagieren Individuen auf keinerlei Lernreize mehr, egal, welcher Art oder von welcher Intensität diese sind. Dieses Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit“ wurde zuerst in Tierversuchen, dann aber auch bei Menschen nachgewiesen. Sie entwickelt sich dann, wenn für die Lernenden anhaltend keine Verhaltensweisen oder Alternativen wahrnehmbar sind, mit denen sie Erfolge erzielen könnten.385 Die Faktoren, Bedingungen und Zusammenhänge lernbezogener Leistungsmotivation sind vielfältig und komplex. Das zeigen viele Studien, die sich mit Lernmotivation und Lernemotion im Bezugsfeld beruflichen Lernens auseinandergesetzt haben. Z.B. haben GRIEDER (2006) und BENDORF (2008) hypothesengestützt Quer- und Längsschnittuntersuchungen unter Einbezug vielfältiger Kontrollvariablen durchgeführt, ohne jedoch belastbare regressive bzw. korrelative Zusammenhänge nachweisen zu können. Letztendlich wurden lediglich bekannte Phänomene bestätigt, wie z.B. dass die Lernmotivation im Verlaufe eines Schuljahrs nachlässt oder dass gute SchülerInnen motivierter sind als weniger gute. Eine Lehrperson kann nicht davon ausgehen, dass es möglich ist, alle Lernenden gleichermaßen zu motivieren bzw. Motivationsdefizite mit einfachen Maßnahmen schnell zu beheben. Dies entbindet jedoch nicht von einer intensiven und anhaltenden Auseinandersetzung mit den vielfältigen Aspekten der Motivation bei der Unterrichtsgestaltung und -durchführung. Je erfolgreicher dies gelingt, desto besser und angenehmer ist der Unterricht und, desto besser wird dieser erwartungsgemäß auch die Motivation im Sinne personaler Kompetenzen fördern. 5.3.7 KOLLEKTIVIERUNG Mit „Kollektivierung“ wird in der vorliegenden Didaktik die Prämisse gesetzt, in den Arbeits- und Übungsphasen im technischen beruflichen Unterricht vielfältige Schüler-Schüler-Interaktionen vorzusehen. Dies begründet sich sowohl aus den lerntheoretischen und motivationsbezogenen Zusammenhän384 Vgl. Hasselhorn, Gold, 2009, S. 45f. 385 Genauer z.B. in Seligman, Johnston, 1973.
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gen als auch aus der Anforderung, sozial-kommunikative sowie personale Kompetenzen zu vermitteln. Insbesondere der Konstruktivismus deutet darauf hin, dass Wissenserwerb ein sozialer Prozess ist, in dem das neu erworbene Verständnis mit dem anderer Lernender ausgehandelt und abgeglichen werden muss. Dass sich sozial-kommunikative Kompetenzen nur über soziale Kommunikation entwickeln können, ist evident. Aber auch Motivationskomponenten und speziell die Selbstwirksamkeitserwartung können von gemeinsamem Lernen profitieren. Gemäß der Selbstbestimmungstheorie von DECI & RYAN386 ist einer der drei zentralen Faktoren für die Förderung von Lernmotivation die soziale Einbindung. Leistungsmotivation steht und fällt mit dem selbst gesetzten Anspruch; dieser kann speziell mit jenen definiert, präzisiert und weiterentwickelt werden, die sich in der gleichen Lern- und Arbeitssituation befinden. Angesichts dieser vielfältigen Begründungselemente für kollektives Lernen erstaunt kaum die aktuelle Paradigmatisierung und damit auch Idealisierung von sog. „Gruppenunterricht“. TERHART diskutiert eine Reihe wissenschaftlicher Belege für dessen Vorzüge: Diesen gemäß würde nachgewiesen, dass ein Unterricht in Kleingruppenarbeit einem Unterricht ohne diese Arbeitsform sowohl hinsichtlich der Reproduktion von Wissen als auch hinsichtlich der Beherrschung geistiger Arbeitstechniken weit überlegen sei. Neben einer engen und beständigen Kontaktstruktur sei auch ein kooperativeres, kohäsiveres und disziplinierteres Verhalten nachweisbar. Die Leistungspersönlichkeit, Arbeitsintelligenz und Verhaltenssteuerung würden ebenso gesteigert wie das Kontaktverhalten und die Sozialaktivität. Selbstreflexion und Einsicht in die eigene Rolle bzw. in das eigene Verhalten würden gefördert, Gehemmtheit, Nervosität und Ängste würden reduziert. Gefühlsorientierung, Initiative und Rollenflexibilität würden zunehmen, ebenso die Koordinations- und Kommunikationsfähigkeiten.387 TERHART stellt diese euphorische Position nun aber aus zwei Gründen in Frage. Zum Einen deutet er eine generelle Skepsis im Zusammenhang mit vergleichender Unterrichtsforschung an, zum Anderen geht er davon aus, dass hier Gruppenunterricht in Idealform, nicht aber in seiner schulischen Realität untersucht wurde.388 Andere Ergebnisse aus der empirischen Unterrichtsforschung bestätigen diese Skepsis: RIEDL erwähnt z.B. mögliche Passivitäten bzw. Abschweifungen 386 Vgl. Deci, Ryan, 2000. 387 Vgl. Terhart, 2000, S. 160f. 388 Vgl. Terhart, 2000, S. 161.
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einzelner SchülerInnen in Lerngruppen.389 Gegenüber individuellen Arbeitsformen könne sich der Einzelne hier in der Gruppe verstecken.390 Diesen (relativ eingrenzbaren) kognitiv-motivationalen Risiken stehen schwerwiegendere sozial-emotionale Effekte in offenen Schülerarbeitsgruppen gegenüber. Kommunizieren und Arbeiten in Gruppen bedinge immer auch sog. Gruppendynamiken, welche sowohl produktiv als auch kontraproduktiv sein können391. Häufig finden diese aber latent statt und entzieht sich einer direkten Beobachtung. Treten in diesem Zusammenhang Störungen offen zu Tage, haben sie zumeist schon ein hohes Ausmaß erreicht. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass die SchülerInnen anstatt soziale Kompetenzen zu erwerben diese eher reduzieren bzw. defizitär entwickeln. Kollektiver Unterricht ist somit eine anspruchsvolle Herausforderung, die leicht auch ins Negative kippen kann. Sehr leicht wird hier aus „gut gemeint“ das Gegenteil von gut.392 Eine Vermeidung gruppenorientierter Lernprozesse bzw. deren Ausschluss kann damit aber nicht begründet werden. Vielmehr sollte dazu aufgerufen werden, kollektives Lernen besonders ernst zu nehmen und dementsprechend hochwertig methodisch umzusetzen. TERHART fordert in diesem Zusammenhang zunächst eine Reflexion bzw. Revision des beruflichen Selbstverständnisses der Lehrkräfte.393 Die traditionelle direkt vermittelnde, referierende und instruierende Rolle muss also für kollektiven Unterricht um initiierende, moderierende, regulierende und stimulierende Funktionen erweitert werden. In gleichem Maße sind aber auch Veränderungen seitens der SchülerInnen erforderlich. Passivität steht als stabiles Verhaltensmuster dem Gruppenlernen ebenso entgegen, wie fehlende oder defizitäre kommunikative Kompetenzen. Um Arbeits- und Übungsphasen in kollektiver Form durchführen zu können, muss nun aber nicht generell in Gruppen gelernt werden – kollektives Lernen beginnt nämlich schon bei der Partnerarbeit. Wenn in Gruppen gearbeitet wird, sollten diese zudem nicht zu groß werden. Alleine aus organisatorischen Aspekten wäre es unverantwortlich eine Klasse mit 30 SchülerInnen in 5 Sechsergruppen zu teilen, da so große Gruppen eigenständig nur bei großer Lernreife und -eigenverantwortlichkeit produktiv arbeiten können. Mit jedem Gruppenmitglied reduziert sich die Verbindlichkeit des Lernauftrags und 389 Vgl. ebd. 390 Social Loafing 391 Emotionale Wechselwirkungen in einer Gruppe, ausgelöst durch persönliche Reaktionen einzelner Gruppenmitglieder auf Interaktion bzw. Verhalten anderer Gruppenmitglieder. 392 Vgl. z.B. Harter et al., 2009 oder Haag, Dann, 2001. 393 Vgl. Terhart, 2000, S. 162.
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erhöht sich die Wahrscheinlichkeit sozialer Dynamiken. Ideal sind absehbar (zum Einstieg) Dreier- bzw. (bei gewisser Übung) auch Vierergruppen. Wie interessant, vielfältig und effektiv kollektive Schülerarbeit in der Praxis sein kann, zeigen innovative Ansätze wie z.B. „Wechselseitiges Lehren und Lernen“. In diesem Ansatz wird die klassische Schülerrolle aufgelöst, die Lernenden übernehmen wechselweise die Lehrerrolle und alternieren so zwischen Instruktion und Konstruktion. So erleben sie nicht nur eine Emanzipierung ihrer bisherigen Rolle, sondern erfahren, wie eng Lernen und Lehren beieinander liegen. Damit einher gehen – neben einer Verdichtung der fachlichen Auseinandersetzung – sowohl metakognitive als auch metakommunikative Prozesse (s. dazu insbesondere Kap. 6.6).394 Generell sind bei kollektiver Schülerarbeit zwei Aspekte sehr ernst zu nehmen: zum Einen müssen die Schüler in diese Arbeitsform gründlich eingeführt und eingewöhnt werden, zum Anderen gilt es, sowohl die Lern- und Arbeitsprozesse als auch die gruppendynamischen Prozesse laufend wahrzunehmen, sie gegebenenfalls zu unterstützen bzw. auch angemessen zu intervenieren. Dies setzt eine hohe Expertise seitens der Lehrkraft voraus. Nur wenn sich hochwertige Gruppenprozesse einstellen, können fachlichmethodische und sozial-kommunikative Kompetenzen gleichermaßen gefördert werden. Dies zeigt z.B. eine Studie von WING-YI CHENG et al., in der nachgewiesen wird, dass leistungsschwächere SchülerInnen in qualitativ hochwertigen Gruppenarbeiten mehr profitieren als leistungsstärkere in qualitativ geringwertigen Gruppenarbeiten.395
5.4 Unterrichtskonzepte396 Der Begriff des „Unterrichtskonzepts“ wird innerhalb der Didaktik nicht einheitlich gehandhabt. Z.B. werden unter diesem Oberbegriff markante Stilformen beim Unterrichten und Lernen in der Schule verstanden; JANK & MEYER definieren sie folgendermaßen: „Unterrichtskonzepte sind Gesamtorientierungen didaktisch-methodischen Handelns, in denen ein begründeter Zusammenhang von Ziel-, Inhalt- und Methodenentscheidungen hergestellt wird.“397 U.a. wird auch von „didaktischen Großformen“ oder allgemein „Methoden“ gesprochen, wenn komplexe methodische Gesamtansätze dargestellt oder gegenübergestellt werden. 394 395 396 397
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Vgl. Huber, 2005. Vgl. Wing-Yi Cheng et al., 2008, S. 216. Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. Jank, Meyer, 2002, S. 67.
Demgemäß ist die Liste von „Unterrichtskonzepten“ lang: Kommunikativer Unterricht, genetisches Lernen, programmierter Unterricht, lernzielorientierter Unterricht, Arbeitsschule, Gesamtunterricht, Projektunterricht, Handlungsorientierter Unterricht, offener Unterricht oder schülerorientierter Unterricht sind nur einige Beispiel für die vorliegende Vielfalt, aber auch für eine fehlende Konsistenz und Systematik. Jeder genannte Ansatz entspricht einem methodischen Setting, welches als Ausgestaltung einer didaktischen Idee verfasst und umgesetzt wurde. Unterrichtskonzepte können dabei aber hilfreich sein, da sie die Komplexität didaktischer Entscheidungen (ähnlich den Prinzipien) reduzieren und damit den „Spiegelkabinetteffekt“ der Interdependenzen aufheben398. Unterrichtskonzepte können sowohl normativ als auch wissenschaftlich fundiert sein. Sie halten Grundmuster und Abfolgen über das Was, Wann und Wie der didaktischen Planung bereit und haben sich häufig in der Praxis bewährt. Mit dieser didaktisch-methodischen „Paketierung“ gehen jedoch Implikationen einher, die nicht unproblematisch erscheinen: 1. Intentional-konzeptionelle Koppelung: Konzept und Hintergrund werden beiderseitig miteinander verbunden. Wer z.B. nicht handlungsorientiert unterrichtet, vermittelt keine Handlungskompetenzen bzw. wer Handlungskompetenzen vermitteln will, kann dies nur in handlungsorientiertem Unterricht tun. 2. Methodische Geschlossenheit: Das vorliegende bzw. beschriebene Methodenspektrum ist ideal aufeinander abgestimmt. Andere Methoden sind darin weder erforderlich noch produktiv, gegenteilig könnten sie die Abstimmung verschlechtern oder ihr zuwider laufen. 3. Konzeptionelle Gesamtheit: Ein Unterrichtskonzept muss konsequent als Ganzes umgesetzt werden; die Verwendung von Teilkomponenten macht keinen Sinn. Keine dieser drei Annahmen ist jedoch letztlich haltbar, da für sie bislang keine empirischen Bestätigungen vorliegen. Zudem hat schon der Herbartianismus gezeigt, dass monolithische didaktische Ansätze, in welcher ein spezifisches Konzept zum Ideal erklärt wird, eine ungerechtfertigte Verkürzung mit sich bringen, die der Vielfalt menschlicher Lern- und Entwicklungsprozesse nicht gerecht werden können. Durch die Spezialisierung auf ein Unterrichtskonzept kann ein unkritischer Selbstbestätigungskreislauf entstehen, einhergehend mit Methodenmonismus. Obwohl in vielen Fällen an dem je398 In zwei gegenüber stehenden Spiegeln wird ein Objekt unendlich oft reflektiert. Dies erfolgt auch im Hin und Her bei didaktischen Entscheidungen zwischen interdependenten – also jeweils voneinander abhängigen – Aspekten.
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weiligen Unterrichtskonzept intensiv weitergearbeitet wird, werden jedoch selten dessen Basisannahmen in Frage gestellt bzw. relativiert. Zudem fehlt häufig der „Blick über den Zaun“ gerade zu solchen Ansätzen, welche als „Gegenansatz“ zum eigenen Konzept verstanden werden. Dies zeigt im Falle des Handlungsorientierten Unterrichts die immer wieder konstatierte Polarisierung gegenüber einem „traditionellem Unterricht“, den es jedoch als solchen nie gab. Daher sollten Lehrpersonen nicht nach dem idealen, optimalen oder aktuellen Unterrichtskonzept suchen, sondern diesbezüglich ein profundes Spektrum kennen und praktizieren können. Letztendlich kann sich so die implizierte Geschlossenheit der Unterrichtskonzepte relativieren. Dann verfügen die Lehrpersonen über komplexe Methodenpools, deren Ausschöpfung einen facettenreichen Unterricht und damit verbundene innovative Weiterentwicklungen erwarten lässt, welche letztendlich auch die Unterrichtskonzepte innovieren können. Aus didaktischer Perspektive ist den Unterrichtskonzepten somit eine Orientierungs-, aber auch eine Beispielrolle für die Gestaltung von LehrLernprozessen zuzuweisen. So entsprechen sie schlüssigen Kompositionen aus verschiedenen didaktisch-methodischen Elementen, mit diesbezüglich transparenten Grundideen. Zudem hat man es dabei oft mit praxiserprobten Ansätzen zu tun, zu denen es einzelne wissenschaftlich fundierte Befunde gibt. Für eine Vertiefung dieser Thematik empfiehlt sich die einschlägige fachdidaktische Literatur. Nachfolgend werden beispielhaft und zusammenfassend vier Unterrichtskonzepte dargestellt, welche in mehr oder weniger engem Zusammenhang mit dem konstruktivistischen Paradigma stehen. Beginnend mit den im deutschsprachigen Raum angesiedelten Konzepten „Handlungsorientierter Unterricht“ und „Projektunterricht“ folgen die nordamerikanischen Ansätze „Cognitive Apprenticeship“ und „Anchored Instruktion“. Von einer ausführlichen Erörterung bzw. Bewertung dieser Konzepte wird hier abgesehen. Handlungsorientierter Unterricht wird aktuell in der deutschsprachigen Berufs- und Wirtschaftspädagogik breit aber auch kontrovers diskutiert. Wie RIEDL399 feststellt, bestehen für dieses Konzept vielfältige Sichtweisen und Definitionen. MEYER definiert schulartübergreifend Handlungsorientierten Unterricht als einen ganzheitlichen und schüleraktiven Unterricht, „in dem die zwischen der Lehrkraft und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der Lernenden in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden kön399 Vgl. Riedl, 2004, S. 129.
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nen“.400RIEDL konstatiert, Handlungsorientierter Unterricht ist „ganzheitlich“ und schüleraktiv, geht von Schülerinteressen aus und stellt die Herstellung von Handlungsprodukten in den Mittelpunkt. Für beruflichen handlungsorientierten Unterricht ergeben sich folgende acht Bestimmungsgrößen:401 1. Komplexe Aufgabenstellung und Lerngebiet 2. Handlungssystematisches Vorgehen 3. Integrierter Fachunterrichtsraum 4. Innere Differenzierung 5. Kooperatives und kommunikatives Lernen 6. Selbststeuerung und Freiheitsgrade 7. Unterstützende Lehrerrolle 8. Integrative und offene Leistungsfeststellung Ausgehend von einer praktischen Problemstellung aus dem direkten Berufsbereich der SchülerInnen (1.) entwickeln LehrerInnen Arbeitsmaterialien, welche sich an der gedachten Lösungsabfolge der Aufgabenstellung (2.) orientieren. Die Lernenden setzen sich in Gruppen (4./5.) selbständig (6.) mit den Aufgabenstellungen auseinander und arbeiten die erforderlichen Theoriezusammenhänge auf, um die praktische Lösung durchführen zu können. Dies wird durch ein entsprechendes Raumarrangement (3.) ebenso unterstützt wie durch die betreuende Lehrkraft (7.). Während und nach Abschluss des LernArbeitsprozesses erfolgen Rückmeldungen und Kontrollen über LehrerSchüler-Gespräche, Selbst- und Fremdeinschätzungen sowie Beurteilung der Arbeitsergebnisse (8.). Handlungsorientierter Unterricht ist dabei keineswegs im Sinne eines Praxisunterrichts bzw. einer komplexen Unterweisung zu verstehen, da hier nicht der Erwerb berufsmotorischer Fertigkeiten bzw. betriebliches Erfahrungslernen intendiert wird. Im Zentrum steht vielmehr die Auseinandersetzung mit der Theorie. Der beruflichen Handlung wird dabei die Rolle des (1) „Lernzugangs und -wegs“ und der (2) „Anwendungsprojektion“ beigemessen. Im Sinne von (1) werden motivationale Gewinne erwartet. Diese beziehen sich zum Einen auf eine grundlegend verbesserte Motivation von BerufsschülerInnen im praktischen Tun gegenüber reinem Theorieunterricht. Hinzu kommen das generelle Interesse für berufspraktische Aspekte, die Offenheit 400 Meyer, 1987, S. 402. 401 Vgl. Riedl, 2004a, S. 89.
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und Spannung beim Lösen von Problemen, die Möglichkeit zu experimentieren sowie ein daraus jeweils resultierendes Mehr an Handlungsmotivation. Weitere Motivation entsteht dann aus Akzeptanz, wenn für die Lernenden die Notwendigkeit, theoretische Zusammenhänge bzw. fachliche Details und Begrifflichkeiten zu lernen und zu verstehen besser ersichtlich wird, da diese hier im Zusammenhang mit berufspraktischen Gegebenheiten auftreten. Gemäß (2) entwickeln sich bei dieser Form des Wissenserwerbs kaum abstrakte, „dysfunktionale“ Wissensgebilde („Träges Wissen“). So wird davon ausgegangen, dass die Theorieauseinandersetzung im berufspraktischen Kontext Orientierungs- bzw. Fokussierungseffekte bewirkt, was letztlich eine nachhaltige Verknüpfung aller theoretischen und praktischen Wissenskomponenten zur Folge haben kann. RIEDL betont, dass handlungsorientierter Unterricht kein besserer, sondern ein anderer Unterricht sei (und warnt somit von der oben bereits erläuterten Idealisierung eines Unterrichtskonzepts). Er stellt dabei fest, dass die Umsetzung dieses Ansatzes hohe Anforderungen sowohl an die technisch-räumlichorganisatorischen Rahmenbedingungen, als auch an die didaktischen und beruflich-praktischen Kompetenzen der Lehrperson stellt. Zudem sollte derart schüleraktiver und -selbsttätiger Unterricht sukzessive eingeführt werden, da die SchülerInnen sonst überfordert werden könnten bzw. sich die intendierten motivationalen und wissensbezogenen Aspekte nicht oder nur rudimentär einstellen könnten.402 Der Begriff des „Projektunterrichts“ wurde von der Projektmethode nach FREY403 abgeleitet. Im Zentrum dieses Konzepts steht eine Restrukturierung schulischen Unterrichts durch Überbrückung bzw. Aufhebung von fächer-, themen- oder jahrgangsbezogenen Begrenzungen. Dabei sollen die SchülerInnen auch aus ihrer passiv-rezeptiven Position in eine aktiv-gestaltende versetzt werden. D.h. sie sollen ihre Fantasie einsetzen und Verantwortung übernehmen, indem sie die Enge schulischer Bezugsräume verlassen und sich mit der kulturellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen. RIEDL fasst dabei folgende Kernaspekte zusammen:404 – Zusammenarbeit, Rücksichtnahme und gemeinsames Schaffen werden eher gefördert als Konkurrenzverhalten;
402 Vgl. Riedl, 2004a, S. 97ff. 403 Vgl. Frey, 1990. 404 Nachfolgend vgl. Riedl, 2004, S. 131f.
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– Lernobjekte sind meist reale Situationen und Gegenstände, wie sie außerhalb der Schule vorkommen; – Dadurch wird die Koppelung oder vielleicht sogar die Synthese schulischer und außerschulischer Lernbereiche ermöglicht; – Angesprochen werden kognitive, motorische und affektive Bereiche in ganzheitlicher Sicht; – Persönliche Fähigkeiten des Schülers werden besonders beachtet, um diese möglichst optimal zur Entfaltung zu bringen; – Persönliche Bedürfnisse des Schülers werden berücksichtigt; – Die Motivation für ein Erreichen gemeinsamer Ziele wird kurz- und mittelfristig erleichtert; – Die Projektmethode ist ein Bindeglied zwischen einzelnen Fächern; – Die ständige innere Erneuerung der Schule wird durch Eingehen auf aktuelle Betätigungsbedürfnisse und Fragestellungen aufrechterhalten. Das Grundmuster von FREY sieht dabei fünf aufeinanderfolgende Schritte vor: (1) Projektinitiative, (2) Projektskizze, (3) Projektplan, (4) Projektdurchführung, (5) Projektabschluss. Zu (1): „Ein Projekt beginnt durch eine Anregung von Lehrer- oder Schülerseite. Dies kann eine Aufgabe, eine besondere Stimmung, ein Problem, ein bemerkenswertes Erlebnis […] sein, das jemand in die Lerngruppe einbringt. Grundlegend hierfür ist die Offenheit der Ausgangssituation.“405 Zu (2): „Wenn eine Projektinitiative aufgegriffen wird, so mündet sie als Ergebnis in die Projektskizze. Diese umreißt grob das geplante Vorgehen. Darauf baut der weitere Verlauf des Projekts auf. Die Projektskizze darf nicht das Ergebnis der Durchsetzung einzelner Teilnehmer sein. Sie muss die Betätigungswünsche aller Teilnehmer in sich vereinen.“406 Zu (3): Der Projektplan beschreibt das anvisierte Vorgehen: „Die Teilnehmer äußern ihre Wünsche für eigene Tätigkeiten im Projekt, entwerfen Verlaufspläne, klären Rahmenbedingungen, verteilen Aufgaben.“407 Der so entstehende Projektplan wird schriftlich festgehalten und bereitet den Lernprozess nicht nur vor, sondern repräsentiert diesen zu einem nicht unbedeutenden Teil. Vor
405 Ebd., S. 133. 406 Ebd. 407 Ebd.
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allem die Bewältigung der hier stattfindenden Klärungs- und Entscheidungsprozesse eröffnen komplexe Räume sozialen Lernens. Zu (4): Die Projektdurchführung erfolgt übergangslos aus der Projektplanung. Angedachtes wird nun ausgeführt, einzelne Teilgebiete werden aufgegriffen und bearbeitet. Recherchiertes wird zusammengetragen, um schließlich zu einem gemeinsamen, kollektiven Handeln im Sinne der Projektidee zu gelangen. Zu (5): Im Zentrum des Abschlusses eines Projekts stehen dessen Ergebnisse, sowohl in Form konkreter Gegenständlichkeiten als auch in Form von Erlebnissen oder Erfahrungen. Nach FREY sind drei Varianten denkbar, ein Projekt zu beenden: – „bewusster Abschluss/Präsentation: Veröffentlichung der Ergebnisse, Vorstellung des Produktes; – Rückkoppelung zur Projektinitiative: Vergleich zwischen der Planung und den erreichten Ergebnissen; – Auslaufen lassen: Bildungsphase des Projekts geht nahtlos in einen gebildeten Abschluss über, die Projektarbeit kann hier beendet sein, oder die Effizienz kann gesteigert werden, d.h. man arbeitet weiter.“408 RIEDL hebt dabei noch sog. „Fixpunkte“ (1) und „Metainteraktion“ (2) hervor. Diese beiden Elemente des Projektunterrichts sollen die Schüler zu einer intensiven Reflexion des Lernprozesses führen. Dabei bezieht sich (1) eher auf Aspekte der Orientierung und Navigation im komplexen Projektgeschehen. (2) inszeniert eine Metaebene, auf welcher die Schüler sich mit dem Getanen und Erlebten und ihren diesbezüglichen Erfahrungen, Eindrücken und Bewertungen auseinandersetzen sollen.409 Damit wird erneut der Anspruch dieses Unterrichtskonzepts unterstrichen, die Lernenden in höchstmöglichem Maße am Lehr-Lern-Prozess zu beteiligen. Die metakognitiven Aspekte erscheinen dabei vor allem für das soziale und affektive Lernen besonders produktiv. Der „Cognitive Apprenticeship“-Ansatz wurde Ende der 1980er Jahre von COLLINS, BROWN & NEWMAN veröffentlicht.410 „Cognitive apprenticeship emphasizes the solving of real world problems under expert guidance that fosters cognitive and metacognitive skills and processes. It can be applied by tasks that are slightly more difficult than students can manage independ408 Riedl, 2004, S. 134. 409 Vgl. ebd. 410 Vgl. Collins, Brown, Newman, 1989.
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ently. Cognitive apprenticeship is achieved through tasks that require the aid of peers and instructors.“411 Dieser Ansatz einer „erkenntnisorientierten Meisterlehre“ überträgt das Mentorenprinzip aus dem berufspraktischen Lernen auf kognitive, erkenntnisorientierte Lernprozesse. Der Lernvorgang erfolgt im sozialen Kontext, verankert in die authentische Situation der Praxis. Dabei findet ein ständiger Austausch zwischen dem Lehrer und dem Schüler (vergleichbar Meister – Lehrling) statt. Die SchülerInnen lernen durch aktive Mitarbeit Problemlösungsstrategien vom erfahrenen Experten. Gleichzeitig wird die jeweilige Fachsprache und die damit verbundene Art, das eigene Tun zu reflektieren, internalisiert. So wird schließlich versucht, Problemlösestrategien und Heuristiken von Experten auf Lernende zu übertragen. Ziel dieses Ansatzes ist der Aufbau von Begriffs-, Fakten- und Prozesswissen sowie strategischen Wissens, welches nach dem gegenwärtigen Stand der Kognitionsforschung Experten auszeichnet.412 Durch ein Zusammenspiel aus Beobachtung und eigenständigem Üben sollen neben einem bereichsbezogenen Wissen heuristische Strategien, Kontroll- und Lernstrategien aufgebaut werden. Als methodische Kernelemente kommen dabei ferner „Modelling“, „Coaching“, „Scaffolding“, „Fading“, „Articulation“, „Reflection“ und „Exploration“ in sequenzieller Abfolge zur Anwendung.413 – Modelling: Zeigen des Vorgehens durch einen Experten. Der Experte führt die Lösung einer Aufgabe vor und beschreibt, welche Überlegungen er anstellt, um sie zu lösen. Hierdurch werden die nicht sichtbaren kognitiven Vorgänge externalisiert; – Coaching: Verbesserungen, Korrekturen und Vorschläge seitens des Instruktors. Er beobachtet, wie der Lernende die Aufgaben löst und gibt Feedback, d.h. gezielte Hilfestellung für real vorliegende Probleme; – Scaffolding: Wirkt wie ein unterstützendes „Gerüst“; Der Experte gibt Struktur und Anleitung vor und hilft bei untergeordneten Zielen, solange bis das komplexere Lernziel erreicht wird. Dabei übernimmt er Teilaufgaben, die der Lernende noch nicht alleine durchführen kann; – Fading: Die Instruktion tritt in den Hintergrund, sobald der Lernende die Aufgabe selbst durchführen kann. Die Hilfe wird langsam reduziert. Je weniger Fehler der Lernende macht, umso weniger Hilfe bekommt er;
411 Ebd., S. 455. 412 Vgl. Straka, 2001, S. 19. 413 Hier zeigen sich deutliche Übereinstimmungen mit der als „Vier-Stufen-Methode“ bezeichneten Unterweisungsmethode zur Vermittlung berufspraktischer Qualifikationen.
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– Articulation: Lernender oder Instruktor fasst Denkprozesse in Worte. Das entspricht dem Modelling, nur dass jetzt auch der Lernende seine Problemlösungsansätze artikulieren kann; – Reflection: Wiederholung und Nachdenken über das Problemlösen. Die Vorgehensweisen, die in den Schritten Modelling und Articulation externalisiert wurden, werden verglichen. – Exploration: Die Problemlösestrategien werden in praktischen Aufgaben umgesetzt. Dieser Schritt erfordert Transferleistungen, da jetzt die Lernenden gefordert sind, selbständig Probleme zu lösen. Gegenwärtig hat das Gesamtkonzept innerhalb der deutschsprachigen beruflichen Bildung eher Randbedeutung. Empirische Untersuchungen über dessen praktische Umsetzung liegen aktuell überwiegend in Form vergleichender Ansätze in experimentellen oder laborähnlichen Settings vor, jedoch nicht aus dem Praxisfeld beruflicher Domänen. Trotzdem wird diesem Konzept eine zentrale Bedeutung als Orientierungskonzept für den Handlungsorientierten Unterricht beigemessen, sowie die Funktion eines „Methodenpools“ für einen Unterricht, der sich an der Vermittlung komplexer Kompetenzen orientiert. Besondere Bedeutung hat das sog. „scaffolding“ als sehr hochwertige Form des Unterrichtsgesprächs erlangt (s. Kap. 0). Das hochgradig mediengestützte Konzept „Anchored Instruction“ wurde 1990 von der „Cognition & Technology Group at Vanderbilt“ (CTGV) veröffentlicht.414 Es „versteht sich als ein Ansatz, träges Wissen zu überwinden, indem bedeutungshaltige Lernumgebungen geschaffen werden, in denen Probleme zu lösen sind und in denen größere Erkundungen von Schülern und Lehrkräften möglich sind. Ein Hauptziel ist es, den Lernenden Arten von Problemen und Anlässen, denen Fachleute in verschiedenen Bereichen begegnen, verstehen zu helfen und zu sehen, wie Fachleute ihr Wissen als Werkzeug benutzen Probleme zu erkennen darzustellen und zu lösen. Damit verbunden ist auch das Ziel, Lernenden zu helfen, ihr Wissen zu vernetzen, indem sie die gleiche Situation – d.h. den gleichen Anker – unter vielen und verschiedenen Gesichtspunkten untersuchen.“415 414 Die „Cognition and Technoloy Group at Vanderbilt Universitiy“ entwickelte eine Reihe von Lernumgebungen für den naturwissenschaftlichen Unterricht ab Klasse 5. Es handelte sich dabei um mehr oder weniger alltägliche Geschichten um die Person Jasper Woodbury. Diese Geschichten wurden in Form eines Videos (ca. 20 Minuten) präsentiert, an dessen Ende Jasper Woodbury jeweils vor einem Problem steht, das die Schüler stellvertretend lösen sollten. Alle für die Problemlösung erforderlichen Informationen wurden in die Geschichte integriert. 415 Straka, 2001, S. 21.
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Kernelement dieses Konzepts ist also die Schaffung und Nutzung von sog. „Wissensankern“. Dies erfolgt durch Aufbau einer stabilen, sicheren Wissensbasis, von welcher ausgehend ein „konzentrischer Lernraum“416 erschlossen werden soll. Durch ein kontinuierliches Thematisieren des Erlernten in unterschiedlichsten Theorie- und Praxiszusammenhängen wird einerseits das erworbene Wissen gefestigt und andererseits wird es gleichzeitig in entsprechende Anwendungszusammenhänge gebracht. Das Grundkonzept wurde durch audiovisuelle Lernmaterialien konkretisiert und im nordamerikanischen Raum in der Unterrichtspraxis erprobt.417 Durch die Medien in Verbindung mit den betreuenden Lehrkräften kann auf diese Weise eine hochgradig schülerorientierte Lernumgebung entstehen. Die dabei ursprünglich verwendete Serie „Jasper“, die zur Verbesserung des mathematischen Denkens von Schülern der fünften Jahrgangsstufe herangezogen wurde, unterlag folgenden Gestaltungskriterien:418 – Hochgradige Visualisierung zur Förderung der Anschaulichkeit und Motivation bzw. zur Reduktion von Leseschwächen bzw. Lesemüdigkeit; – Lebensechte Problemstellungen, welche mathematische Zusammenhänge in alltägliche Zusammenhänge bzw. spezifische Anwendungssituationen einbetten; – Komplexe Problemstellungen, welche sich an der Realität orientieren und zudem einem Lernen nach „Versuch-und-Irrtum“ entgegenwirken; – Offene Lösungssituationen, welche Entscheidungen und Aktivitäten der Lernenden initiieren bei gleichzeitiger Bereitstellung aller für die Lösungsfindung erforderlichen Angaben und Informationen; – Bereitstellung von ähnlichen, aber weiterführenden Problemstellungen zur Auslösung und Unterstützung von Transferprozessen. Weitere, aktuellere Umsetzungen dieses Konzepts haben sich überwiegend im Bezugsfeld computerunterstützten Unterrichts etabliert. Dies unterstreicht zwar dessen Vorteile hinsichtlich hochgradig mediengestützter Lernumgebungen, sollte aber nicht im Sinne einer Begrenzung auf diesen Bereich interpretiert werden. Die Grundidee von „Anchored Instruction“ ließe sich in jedem Falle auch mit weniger bzw. einfacheren Medien didaktisch-methodisch realisieren.
416 „Konzentrisch“ im Sinne sich vergrößernder, ausweitender Kreise. 417 Vgl. ebd., S. 20. 418 Vgl. Straka, 2001, S. 22.
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Bei allen vier skizzierten Unterrichtskonzepten kann von konstruktivistischen Grundorientierungen ausgegangen werden. In allen Fällen steht der Zusammenhang „Lernen und Anwendung“ im Vordergrund. Die vorausgehend beschriebenen didaktischen Orientierungskonzepte können in allen vier Ansätzen mehr oder weniger deutlich identifiziert werden.419 Jedes Unterrichtskonzept besitzt aber auch sehr eigenständige Züge: Handlungsorientierter Unterricht überträgt die Grundideen der Leittextmethode auf schulisch-theoriebezogene Lernsituationen, Projektunterricht schafft Entwicklungsräume für Verantwortung und Selbstreflexion, Cognitive Apprenticeship nutzt den Experten-Novizen-Dialog und Anchored Instruction setzt einen Schwerpunkt auf das Selbsterschließungspotenzial neuer Medien. Die Selbsttätigkeit der Lernenden hat in allen Ansätzen eine zentrale Bedeutung, wird jedoch sehr unterschiedlich umgesetzt. Im Gegensatz zu den anderen Ansätzen geht Situated Cognition von Einzellernen aus. Die LehrerInnen-Rolle ist – gegenüber traditionellem Unterricht – weniger auf Wissensvermittlung dafür mehr auf Beratung und Betreuung ausgerichtet. Die Spanne zwischen Situated Cognition, in der auch fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräche stattfinden (scaffolding) und Anchored Instruction, welches z.B. auch in Form eines computergestützten Fernunterrichts stattfinden könnte, zeigt jedoch an, welche Varianz auch der Kommunikationsaspekt in den beschriebenen Unterrichtskonzepten aufweisen kann. Schließlich ist für alle vier Ansätze noch ein Defizit zu konstatieren: Durch die Verankerung im konstruktivistischen Paradigma werden objektivistische Aspekte konzeptionell nur rudimentär berücksichtigt. Dies führt bei den Lernenden letztlich zu Wissensbeständen, die zwar innerhalb bestimmter Handlungssituationen angewandt, jedoch zu wenig relativiert und abstrahiert werden können. Ein solchermaßen weitgehend implizites Wissen kann bestehenden fachlichen Systematiken des Menschen nur schwer zugeordnet werden und diese somit weder ergänzen noch erweitern.
419 Die vorliegenden Ansätze haben sich nicht unabhängig voneinander entwickelt. Handlungsorientierter Unterricht geht auf Ideen des Projektunterrichts zurück. Zudem gab es eine Reihe von Veröffentlichungen in den 1990er Jahren, welche die Ausgestaltung dieses Konzepts mit Elementen aus Situated Cognition und Anchored Instruction befürworteten. Auch die beiden nordamerikanischen Ansätze sind nicht unabhängig voneinander entstanden. Ähnlich wie handlungsorientierter Unterricht und Projektunterricht auch auf reformpädagogische Ideen im Deutschland um 1900 rekurrieren, gingen diese Ansätze aus den Veröffentlichungen über pädagogischen Konstruktivismus von Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela (1978) hervor.
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5.5 Perspektivenplanung Ausgehend von dem vorliegenden technikdidaktischen Prozessmodell (Kap. 4.3.1) unterteilt sich der Lehrprozess in die Abschnitte „Planung“, „Vorbereitung“, „Durchführung“ und „Evaluation“. Der Planungsprozess antizipiert die erwünschten Lernwirkungen in Form von Lernzielen auf Basis der curricularen Ausgangspunkte und diesbezüglich gesetzter Schwerpunkte und Verteilungen. Diese Planung ist – angesichts der Vielfalt und Komplexität der zu berücksichtigenden Lernziele – anspruchsvoll und aufwändig. Es gilt, neben der integrativen, systematischen und effizienten Vermittlung fachlich-methodischer Kompetenzen auch sozial-kommunikative und personale Kompetenzen in ein didaktisches Gesamtkonzept so zu integrieren, dass dem gesetzten Anspruch einer Anbahnung beruflicher Handlungskompetenz möglichst gut Rechnung getragen wird. Wie dieser hohe Anspruch planerisch umgesetzt werden soll, wird mit den Lehrplänen und Handreichungen hingegen nicht vorgegeben. Die hier erforderlichen inhaltlichen und strukturellen Entscheidungen müssen von den involvierten Lehrpersonen selbst getroffen werden. Ihre Qualität steht daher in sehr engem Zusammenhang mit deren Expertise, aber auch ihrem persönlichen Anspruch und Verantwortungsbewusstsein. Das folgende Planungsmodell versucht, dieser offenen Situation einerseits und dem hier erforderlichen hohen Anspruch andererseits Rechnung zu tragen. Es will und kann dabei kein Idealansatz sein, sondern soll vielmehr als Beispiel für ein realisierbares Konzept dienen, das sich in schulischen Einzelsituationen mit entsprechenden Spezifikationen und Modifikationen konkretisieren lässt. Grundannahmen dieser Perspektivenplanung ist, dass berufs- und jahrgangshomogene Klassen vorliegen und die unterrichtenden Lehrpersonen einen Bildungsgang als kollegiales Team über alle vier Jahre komplett und durchgehend betreuen. Planungsstufe 1 – Kompetenzexplikation: Planungsgrundlage ist der Lehrplan eines Bildungsgangs über alle vier Ausbildungsjahre. Aus diesem gilt es zunächst, alle Lernziele zu definieren. Dies erfolgt überwiegend mittels der oben vorgestellten didaktischen Transformationen im fachlich-methodischen Bereich420. Hinzu kommt die Konkretisie420 Also durch die Ergänzung der als Ziele definierten Berufshandlungen durch ein Anspruchsniveau sowie relevante Wissensaspekte.
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rung der sozial-kommunikativen und personalen Kompetenzen gemäß dem ebenfalls vorausgehend bereits vorgestellten Grundansatz, mit dem sowohl die habituellen als auch die kognitiven Aspekte der einzelnen Kompetenzen bestimmt werden können. Als Ergebnisse dieser ersten Planungsstufe können drei unterschiedliche Tabellen erstellt werden; jeweils eine für jede Kompetenzklasse. Darin werden generell die einzelnen berufsbezogenen Handlungen (Performanzen) mit den ihnen jeweils zugeordneten Wissensaspekten aufgelistet. Im Falle der fachlich-methodischen Kompetenzen werden zwei Spalten für das Wissen vorgesehen: eine für Professions- und Begründungswissen, eine für allgemeines Bezugswissen. Fachlich-methodische Kompetenzen, Industriemechaniker 1. AJ, Lernfeld X Performanz Professionswissen, Begründungswissen Bezugswissen
Sozial-kommunikative Kompetenzen, Industriemechaniker 1. AJ, Lernfeld X Performanz Bezugswissen
Personale Kompetenzen, Industriemechaniker 1. AJ, Lernfeld X Performanz Bezugswissen
Planungsstufe 2 – zeitliche Akzentuierung: Über die Planungsstufe 1 wurden im fachlich-methodischen Bereich Kompetenzen generiert und expliziert, welche nun untereinander, in Abfolge der Lernfelder angeordnet sind. Wie von der KMK vorgegeben, stellen sich diese
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Lernziele als völlig gleichwertig dar. Einziger Gewichtungsfaktor ist die Zeitbeimessung, welche jedoch über so große Bezugseinheiten reicht, dass sie auf einzelne Kompetenzen oder deren Partikel nicht angewandt werden kann. Die zentrale Gewichtung der fachlich-methodischen Kompetenzen ist schon bei deren Konkretisierung durch ihre Ausstattung mit Wissen erfolgt. Diese spezifische Akzentuierung von Kompetenzen durch die Qualität und auch Quantität des zugeordneten Wissens, sollte dann auch möglichst proportional in die weitere Planung und Konkretisierung des Unterrichts mit einbezogen werden. Für die Perspektivenplanung bedeutet dies eine dementsprechende Verteilung der zeitlichen Anteile, für die spätere Konzeptionsarbeit eine angemessene mediale und interaktive Ausgestaltung dieser unterschiedlich gewichteten Lernräume. Das bedeutet nun aber nicht, dass die einzelnen Kompetenzen nacheinander in zeitlicher Abfolge vermittelt werden müssen. Vielmehr besteht der Grundgedanke des aktuellen Lehrplans in der Aufhebung der ehemaligen kleinschrittigen Sequenzierung von Lerneinheiten. Sollen mehrere fachlich-methodischen Kompetenzen integrativ vermittelt werden, können deren Zeitanteile dazu aufsummiert werden. Auch für die sozial-kommunikativen und personalen Kompetenzen sind Unterrichtsanteile einzuplanen. Dabei sind zwei grundlegende Aspekte zu berücksichtigen: 1. Zeitanteile für die auch hier erforderliche Vermittlung expliziten Wissens, 2. Zeitanteile für die kommunikative Aufarbeitung und Reflexion der individuellen Entwicklung dieser Kompetenzen. Der 1. Aspekt lässt sich direkt aus den den Performanzen zugeordneten Wissensaspekten ableiten. Je mehr Wissen dabei vermittelt werden soll, desto mehr Zeit ist dafür einzuplanen. Zusätzliche Zeit ist für die Vermittlung der sozial-kommunikativen und personalen Kompetenzen einzuplanen. Dafür sind vielfältige Formen der Wissens-Aufarbeitung und Reflexion erforderlich. In der alltäglichen Planung werden diese Überlegung möglicherweise umgekehrt erfolgen, da diesen Lernbereiche gegenüber dem fachlich-methodischen Bereich eine nachgeordnete Rolle beigemessen wird, da der Lehrplan hier keinerlei Gewichtungen vorgibt. In einem hochwertigen Unterrichtskonzept ist jedoch die Vermittlung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen so weit integriert, dass das Eine in Verbindung mit dem Anderen erfolgt. Dann ist die verfügbare Unterrichtszeit optimal genutzt.
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Planungsstufe 3 – inhaltliche Akzentuierung: Aus den Planungsstufen 1 und 2 geht eine zeitlich-inhaltliche Gesamtplanung hervor. Dabei werden alle intendierten Kompetenzen formuliert und für die einzelnen Kompetenzbereiche Rahmenzeiten vermerkt. Die einzelnen Kompetenzen sind über Zeitanteile grob gewichtet. Eine direkte Umsetzung dieser Planung in eine Abfolge von Unterrichtssequenzen wäre zwar möglich, würde jedoch sicher einige Wiederholungen beinhalten. Diese Wiederholungen ergeben sich absehbar aus den performanzspezifischen Wissenszuordnungen, sowohl (a) im Bereich des Professions- und Begründungswissens, als auch (b) im Bereich des allgemeinen Bezugswissens. Sie können in manchen Fällen (a) als Redundanzen eingestuft werden, in anderen Fällen (b) halten sie zusätzliche Akzentuierung bereit: Zu (a): Wenn z.B. das gleiche Schweißverfahren in zwei oder drei verschiedenen Kompetenzen auftritt, sollte man es dort, wo es das erste Mal erscheint, grundlegend vermitteln und dort, wo es das zweite Mal erscheint, wiederholend, das dritte Mal evtl. vertiefend. Zu (b): Die Ableitung allgemeinen Bezugswissens aus vorgegebenen Performanzen erfolgt relativ vage und zieht damit häufig Unsicherheiten über deren generelle Relevanz und angemessene Dimensionierung nach sich. Wenn z.B. das Boyle-Mariottesche-Gesetz bei mehreren Kompetenzen als Grundwissen abgeleitet wird, kann dies als Indikator für dessen Bedeutung für das tiefer gehende Verständnis der Zusammenhänge in diesem Beruf gelten. Solche Wissensaspekte sollten dann auch mit entsprechendem Nachdruck vermittelt werden, d.h. im vorliegenden Beispiel mit einem oder mehreren naturwissenschaftlichen bzw. technischen Versuchen und deren Übertragung in die Berufszusammenhänge. Hinzu kommen hier Kompetenzen, die mit dem allgemeinen Bezugswissen korrespondieren. Dies sind Lese- und Schreibfähigkeiten, Rechenfähigkeiten und in manchen Berufen die Fremdsprache Englisch. Auch hierbei gilt es, angemessene Akzente zu setzen, so dass diese „allgemeinen Kompetenzen“ ihrer Bedeutung gemäß vermittelt werden. Würde dies nur im Zuge der Vermittlung fachlich-methodischer Kompetenzen erfolgen, wären Defizite vorprogrammiert. Daher sollten unbedingt spezifische Vermittlungssequenzen eingeplant werden, in welchen beispielsweise Lesetrainings durchgeführt werden, bestimmte Themen der Rechtschreibung behandelt werden und vor allem, in denen das Rechnen gründlich und schwerpunktmäßig geübt wird. Dass auch ein solcher auf allgemeine Grundlagen ausgerichteter Unterricht von den Schulerinnen und Schülern als berufsbezo-
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gen wahrgenommen wird, müssen Texte, Materialien und vor allem Aufgaben aus der beruflichen Realität der jeweiligen Schülerinnen und Schüler sichern. Wenn schließlich alle drei Stufen der Perspektivenplanung durchlaufen sind, liegt eine Gesamtplanung für ein Schuljahr vor, welche in Abfolge der Lernfelder die drei Kompetenzbereiche zeitlich gliedert. Jede einzelne Kompetenz ist dabei durch berufliche Handlungen und Wissensaspekte konkretisiert. Zudem werden im fachlich-methodischen Bereich sowohl im Professionsund Begründungswissen, als auch im allgemeinen Bezugswissen thematischinhaltliche Akzentuierungen vorgenommen, welche eine spezifische konzeptionelle Handhabung dieser Aspekte vorsehen. Diese Planung versteht sich also als Arbeitsvorlage für die weitere Konkretisierung des Unterrichts und kann selbstverständlich bei evtl. auftretenden Umsetzungsproblemen modifiziert oder revidiert werden.
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UNTERRICHTSVORBEREITUNG Erschließungsfragen: – Warum muss für die Konkretisierung von technischem beruflichem Unterricht eine Struktur festgelegt werden und welche zwei generellen Möglichkeiten stehen dazu zur Verfügung? – Welche strukturellen Überlegungen führen zu Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten und welche zu Systematisierungsaktivitäten? – Was sind Artikulationen und welche verschiedenen Ansätze können dabei unterschieden werden? – Was versteht man unter Lernprodukten und welche Rolle ist ihnen in der Unterrichtsvorbereitung beizumessen? – Wie unterscheiden sich Lernprodukte in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten und in Systematisierungsaktivitäten? – Was versteht man unter Medien und welche Rolle ist ihnen generell in der Unterrichtsvorbereitung beizumessen? – Wie sind die einzelnen Lehr- und Lernmedien voneinander zu unterscheiden und welche Funktionen sind ihnen in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten und Systematisierungsaktivitäten beizumessen? – Was versteht man unter Materialien und welche Rolle ist ihnen in der Unterrichtsvorbereitung beizumessen? – Welche unterschiedlichen Funktionen haben Materialien in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten und Systematisierungsaktivitäten? – Warum ist auch in schülerorientiertem Unterricht eine Interaktionsplanung erforderlich und worauf sollte sie sich konzentrieren? – Welches sind die Vor- und Nachteile von Unterrichtsgesprächen, Vorträgen und Vorführungen und wann können sie sinnvoll eingesetzt werden? – Wie kann eine Instruktion sinnvoll vorbereitet werden? – Wie können sozial-kommunikative Kompetenzen und personale Kompetenzen durch die methodische Ausgestaltung der Lernumgebung vermittelt bzw. unterstützt werden? – Wie kann über den Verlauf eines Schuljahrs die Kommunikation in Gruppen verbessert werden? – Wie kann über den Verlauf eines Schuljahrs die Leistungsmotivation verbessert werden? – Wie kann über den Verlauf eines Schuljahrs die Lernkompetenz verbessert werden? – Was ist unter Reflexions- und Kontrollelementen zu verstehen und wie unterscheiden sie sich? – Warum ist Reflexions- und Kontrollelementen in technischem beruflichem Unterricht eine besondere Bedeutung beizumessen? – Welche Reflexions- und Kontrollelementen sind für beruflichen technischen Unterricht angemessen und wie sind sie einzusetzen?
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– Wo sind Probleme und Grenzen der Reflexions- und Kontrollelemente in beruflichem technischem Unterricht erkennbar?
Wenn nach dem „guten Lehrer“ oder „Optimallehrer“ gesucht und gefragt wird, werden selten emotionale Aspekte wie z.B. eine „optimistische Haltung“ angeführt. Für die Schüler sind vielmehr strukturelle und intellektuelle Aspekte dafür entscheidend, wie sie eine Lehrperson und deren Unterricht bewerten. Dies sind gemäß empirischer Befunde eine nachvollziehbare Strukturierung des Unterrichts, ein reichhaltiges Methodenrepertoire, variable Unterrichtsformen, eine effiziente Nutzung der Unterrichtszeit, eine Vergabe angemessener Aufgaben mit angemessener Unterstützung bei deren Bearbeitung, klare Äußerungen über Ziele und Inhalte, effektive und straffe Klassenführung, wirksame Antizipation von Störungen und Gegensteuerung, individuelle Förderung.421 Angesichts dieser Befundlage wird also nicht zuletzt klar, welch große Bedeutung konzeptionellen Aspekten innerhalb des gesamten Unterrichtsgeschehens zukommt. Daher soll im Folgenden besonderes Gewicht auf eine gute Grundstruktur technischer Lernumgebungen gelegt und alle weiteren bedeutsamen Aspekte darin eingegliedert bzw. darauf aufgebaut.
6.1 Struktur422 Nach vollzogener Perspektivenplanung kann im nächsten Konkretisierungsschritt die eigentliche Unterrichtsvorbereitung beginnen. Diese entspricht allgemein einer Konzeption vielfältiger aufeinander abgestimmter Lernumgebungen. Dabei stellt insbesondere die methodische Gestaltung eine große Herausforderung dar, da sie gewissen Interdependenzen unterliegt und nicht – wie häufig in der Methodenliteratur impliziert – über die einfache Klärung nachrangiger Entscheidungsebenen423 vollzogen werden kann. In Kapitel 4.3.1 wurde ein Prozessmodell für diese Technikdidaktik erörtert, in welchem die beiden unabhängigen Prozesse des Lernens der SchülerInnen und des Lehrens der Lehrpersonen durch direkte und medial getragene Interaktionen gekoppelt sind. In diesem Prozessmodell ist die Unterrichtsvorbereitung oder Unterrichtskonzeption der zweite Hauptschritt, nach der Planung und vor der Durchführung. Die Unterrichtsvorbereitung erfolgt dabei – wie auch die Planung – vor der eigentlichen Unterrichtsdurchführung, daher er421 Vgl. Rheinberg, 1997, S. 300f. 422 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 423 Z.B. in Bonz, 2006, S. 44.
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fährt sie keine unmittelbare Beeinflussung von Schülerimpulsen und daraus resultierende Wirkungen und Wechselwirkungen. Trotzdem muss die Konzeptionsarbeit eben diese sehr genau antizipieren und prognostizieren. So wie die Perspektivenplanung die intendierten Unterrichtsziele antizipiert, gilt dies für die Unterrichtsvorbereitung bzgl. der intendierten Lernprozesse. Da die vorliegende Technikdidaktik davon ausgeht, dass diese zu einem großen Teil in Form von selbstreguliertem Lernen stattfinden sollten, stehen die (erwünschten bzw. erforderlichen) Aktivitäten der Lernenden zum Kompetenzerwerb im Fokus der gesamten Unterrichtskonzeption. Eine Lernaktivität kann kann dabei verschiedene Formen annehmen, wie, z.B. Lesen, Rechnen oder auch die Analyse eines Motors oder die Erstellung einer technischen Zeichnung. Daher ist für eine didaktische Planung ein diesbezügliches Ordnungssystem erforderlich. An vorderster Stelle sind zwei Aktivitätengruppen gemäß des zu Grunde liegenden Lernparadigmas zu unterscheiden: Das konstruktivistische Paradigma wird in (1) „Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten“ umgesetzt, das objektivistische Paradigma (2) in „Systematisierungsaktivitäten“:424 Zu (1): Unter „Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten“ sind Lernaktivitäten zu verstehen, die in einem engeren Zusammenhang mit beruflichem Tun stehen. Darunter fallen z.B. die formelle Vorbereitung beruflicher Handlungen, die Aufarbeitung bzw. Erstellung beruflicher Informationsmaterialien oder auch die Bearbeitung einer beruflichen Problemstellung. Kennzeichen von Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten ist deren handlungslogische Orientierung im direkten Berufskontext. Die Lernenden sollen dabei in vollständigen Handlungen eigene Ziele bilden, deren Erreichen überprüfen und ihr weiteres Handeln daran ausrichten. Neben der Vermittlung von Handlungsfähigkeit wird durch diese Aktivitäten auch dem Anspruch der Kontextualisierung Rechnung getragen. Zu (2): Unter „Systematisierungsaktivitäten“ sind Lernaktivitäten zu verstehen, die in einem engeren Zusammenhang mit fachlichen bzw. wissenschaftlichen Systemen oder Systematiken stehen. Darunter fallen z.B. das erfassende, vergleichende oder abstrahierende Erschließen fachlicher Informationsmaterialien, die Durchführung und Auswertung von Versuchen oder auch die Einbettung fachlicher Teilinformationen in fachwissenschaftliche Ordnungssysteme. Kennzeichen der Systematisierungsaktivitäten ist deren fachsystema424 Wie bereits an mehreren Stellen dieser Didaktik erörtert wurde, verstehen sich diese Paradigmen nicht als konträr sondern gegenteilig als ergänzend.
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tische Orientierung, welche ein Relativieren (aber nicht Verlassen) des direkten Berufskontextes erfordert. Die Lernenden sollen dabei ihre bestehenden Wissenssysteme anhand objektivierten Wissens (Fachbücher, Tabellenbücher, etc.) aktivieren, überprüfen, ergänzen, erweitern oder auch korrigieren können. Neben der Konkretisierung und Stabilisierung des handlungsbezogen erworbenen Wissens wird durch diese Aktivitäten auch dem Anspruch der Fachlichkeit Rechnung getragen. Neben dieser paradigmatisch hinterlegten Unterscheidung zweier (sich ergänzender) Hauptgruppen von Lernaktivitäten kann auch eine sequenzielle Unterscheidung getroffen werden. Dabei wird – wie in den kognitivistischen Lerntheorien (s. Kap. 3.1.2) erläutert – Lernen als Informationsverarbeitungsprozess sequenziert. Dieser beinhaltet die Akquise und Aufnahme von Informationen, deren Verarbeitung, Beurteilung, Anwendung und Dokumentation. Aus der Zusammenführung dieser beiden „Unterscheidungsgattungen“ ergibt sich eine Aktivitäten-Matrix, welche eine konkrete Aktivitätenplanung ermöglicht (s. Tabelle 7): Tabelle 7: Aktivitäten-Matrix aus den Dimensionen „Aktivitätengruppen“ und „Informationsverarbeitung“ Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten
Systematisierungsaktivitäten
Informationsakquise und Informationsaufnahme
Suchen, Auswählen, Erschließen von Handbüchern, Zeichnungen, Maßblättern und Plänen, Herstellerinformationen, …
Suchen, Auswählen, Erschließen von Fachinformationswerken wie Fachbüchern, Fachzeitschriften oder elektronischen Informationssystemen, …
Informationsverarbeitung
Funktionsbezogenes Verständnis der Informationen für eine Umsetzung in berufsrelevante Handlungen
Relativierendes und Abstrahierendes Verständnis der Informationen und Assoziieren mit berufsrelevanten Handlungen
Informationsbeurteilung/ Informationsbewertung
Genügt die Information zum Tätigkeitsvollzug, ist damit eine hochwertige Tätigkeit bzw. ein gutes Arbeitsergebnis erreichbar?
Ermöglicht die Information ein Verständnis der Tätigkeit, können damit Tätigkeitsspezifika fachlichen Ordnungssystemen zugeführt bzw. diesen entnommen werden?
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Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten
Systematisierungsaktivitäten
Anwendung
Vollzug der beruflichen Handlung
Relativierung und Abstrahierung der beruflichen Handlung
Dokumentation
Arbeitspläne, Zeichnungen, Schaltungen, …
Zusammenfassungen, Beschreibungen, Skizzen, Diagramme, …
In der vorliegenden Technikdidaktik wird davon ausgegangen, dass ein Kompetenzerwerb sowohl Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten als auch Systematisierungsaktivitäten erforderlich macht. Wenn einer der beiden Aspekte nicht oder nur untergeordnet berücksichtigt wird, entsteht entweder ein aktionistischer Unterricht (Vernachlässigung des Systematisierungs-Aspekts) oder ein theorielastiger Unterricht (Vernachlässigung von individuellem Zugang und Anwendung). Wie diese beiden unterschiedlichen Aktivitätsformen methodisch verknüpft, gekoppelt oder integriert werden, bleibt dabei offen. Dankbar sind sowohl ein Nacheinander als auch ein Miteinander. Z.B. können nach Bearbeitung einer beruflichen Aufgabe deren fachliche Hintergründe erschlossen werden, oder umgekehrt, fachliche Zusammenhänge nach einer theoretischen Klärung in einer beruflichen Aufgabe umgesetzt werden. Bei längeren Lernstrecken wird dieses Alternieren zu einer klaren Trennung zwischen Wissenskonstruktion und -systematisierung führen, bei kürzeren Lernstrecken löst sich diese Trennung auf, mit der Folge eines anhaltenden Alternierens beider Lernprozesse. Welche Sequenzierung hier nun die beste oder sinnvollste bzw. wirksamste ist, kann aktuell nicht festgestellt werden.425 Dies kann von den unterschiedlichsten Faktoren und Komponenten abhängen und ist möglicherweise für die Kompetenzentwicklung von nachgeordneter Bedeutung. Da die gesamte Unterrichtskonzeption noch eine Reihe weiterer Überlegungen und auch Restriktionen mit sich bringt, sollte dieser Aspekt offen gelassen und nur falls nötig im Einzelfall konkretisiert werden. Weiterführung des Beispiels: Geht man vom vorausgehend hergeleiteten Lernziel und der dahinter stehenden Explikation von Performanz und Wissen aus, lässt sich der Aktivitätenplan grundlegend skizzieren: 425 Vgl. dazu z.B. Geiger, Riedl, 2004.
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„Die Auszubildenden können Ausbrennteile so bemaßen, dass sich die Zeichnungen bei kleinen wie großen Stückzahlen an teilautomatischen und automatischen Brennschneidemaschinen direkt einstellen bzw. einprogrammieren lassen und dabei die erforderlichen Toleranzen eingehalten werden. Sie haben in diesem Zusammenhang verstanden, dass die Maße so berechnet werden müssen, dass einerseits genügend Übermaß für die Fertigung bestehen bleibt, andererseits aber weder Material noch Arbeitszeit oder Energie verschwendet werden.“ Erschließungs- und Erprobungsaktivität 1: Es wird davon ausgegangen, dass für die Lernenden das Bemaßen schon aus den Betrieben bekannt ist. Daher beginnt die Lerneinheit mit einer Aufgabe, in der ein Ausbrennteil zunächst so bemaßt werden soll, dass sich die Maße am einfachsten auf die Maschine übertragen lassen. Um dies zu ermöglichen, müssen die Lernenden die Eingabefunktionen verschiedener Brennschneidemaschinen recherchieren und erfassen. Dann erfolgt eine Besprechung der Lösungen mit der Lehrperson. Dabei wird zum Einen deren formale Richtigkeit und Effizienz für die Maschineneingabe geklärt, zum Anderen aber die Problematik der Maß-, Oberflächen- und Formtoleranzen aufgedeckt. Systematisierungsaktivität 1: Nun folgt eine Instruktion in die Grundlagen der Fehlerrechnung in der Physik. Daraus abgeleitet wird die einfache Gesetzmäßigkeit der Fehlersummation in Maßketten. Die Lernenden lösen dazu im Anschluss Aufgaben, die sich auf reale technische Zeichnungen beziehen. Erschließungs- und Erprobungsaktivität 2: Die Lernenden fertigen eine Reihe von Skizzen mit Bemaßungsvorschlägen (bzgl. Form und weiterer Bearbeitung) für verschiedenartige Brennteile an. Anschließend werden die Skizzen gegenseitig kontrolliert und korrigiert. Kontroversen werden im Klassenverband gemeinsam mit der Lehrperson erörtert und geklärt. Systematisierungsaktivität 2: Abschließend erfolgt eine Dokumentation über die Bemaßung von Ausbrennteilen und das Problem der Fehlersummation.
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In Übertragung und Umsetzung der Sequenzierung wird die Erschließungsund Erprobungsaktivität 1 expliziert und präzisiert: Erschließungs- und Erprobungsaktivität 1: Informationsakquise und Informationsaufnahme
Recherchieren der Eingabefunktionen von Brennschneidemaschinen aus Originalunterlagen, Klärung der Eingabeschnittstellen und deren Eingabemöglichkeiten und Eingabevarianten
Informationsverarbeitung
Vergleich der maschinellen Eingabemöglichkeiten mit den Bemaßungsmöglichkeiten des CAD-Programms
Informationsbeurteilung/ Informationsbewertung
Klärung, welche Bemaßung für die Brennschneidemaschinen generell passt und dabei im CADSystem effizient umgesetzt werden kann
Anwendung
Bemaßung unterschiedlicher Ausbrennteile
Dokumentation
Notieren der zentralen Bemaßungsaspekte und der Begründung für die Entscheidung für eine spezielle Methode
Systematisierungsaktivität 1: Informationsakquise und Informationsaufnahme
Gedankliches Folgen der Instruktion über den Zusammenhang von Maßketten und der Fehlerrechnung in der Physik, Stellen von Rückfragen
Informationsverarbeitung
Erprobung einfacher Fehlerrechnungen in der Physik
Informationsbeurteilung/ Informationsbewertung
Klärung der eigenen Vorgehensweise in den Fehlerrechnungen und Beurteilung der Lösungswege und Ergebnisse
Anwendung
Durchführung komplexer MaßkettenFehlerrechnungen
Dokumentation
Schon erfolgt
Mit der Aktivitätenplanung beginnt die sog. „Artikulation“ des Unterrichts, d.h. er wird formal gegliedert und sequenziert. Solche Unterrichtsartikulationen haben eine lange didaktische Tradition. Ursprünglich gehen Idee und Begriff auf HERBART zurück. Seine Beobachtungen aus dem Unterricht und Überlegungen über dessen Verlauf führten zu der Theorie, dass schulisches
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Lernen generell in den beiden Schritten (1) „Vertiefung“ und (2) „Besinnung“ erfolge. Daraus leitete er die bekannten vier „Formalstufen“ ab: 1. In (1) werden Sachzusammenhänge erfahren und geklärt (Stufe der Klarheit), 2. anschließend werden diese neu erworbenen Zusammenhänge mit dem bestehenden Wissen in Verbindung gebracht (Stufe der Assoziation). 3. In (2) wird das Erlernte zusammengefasst und eingeordnet (Stufe des Systems) um dann 4. abschließend umgesetzt und angewandt zu werden (Stufe der Methode). Obwohl dies aus lernpsychologischer Sicht nicht mehr zeitgemäß erscheint,426 ist zu bemerken, dass es HERBART als erster verstand, einen Unterricht nach „wissenschaftlich“ hergeleiteten Aspekten zu strukturieren. Leider wurde im sog. „Herbartianismus“ dieses Grundkonzept universalistisch und maskenhaft eingesetzt, was das Formalstufenkonzept in den Ruf eines rezeptartigen Lehrschematismus brachte. Dieses Problem besteht nach wie vor. Aktuelle Artikulationsschemata sind in ihrem Grundaufbau relativ offen gehalten, können aber durch eine engsichtige Operationalisierung schnell zu einer starren Maske werden, welche die Unterrichtsvorbereitung (und damit auch -durchführung) zu einem gleichförmigen, mechanistischen Prozess reduziert. Beispiele für Artikulationsschemata Wilhelm Rein
Vorbereitung/Darbietung/Verknüpfung/Zusammenfassung/Anwendung
Wilhelm Dörpfeld
Anschauen/Denken/Anwenden
Georg Kerschensteiner
Schwierigkeitsanalyse und -umgrenzung/Lösungsvermutung/Prüfung der Lösungskraft/Verifikation/ Bestätigung durch Ausführung
Heinrich Roth
Motivation/Stufe der Schwierigkeit/Stufe der Lösung/Stufe des Tuns und Ausführens/Stufe des Behaltens und Übens/Stufe des Bereitstellens, der Übertragung und Integration
426 Neues Wissen entsteht im Kontext bestehenden Wissens, daher kann eine Assoziation nicht nach dem Verständnis erfolgen, sondern umgekehrt entsteht das Verständnis im Zuge der Assoziation.
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Hilbert Meyer
Einstiegsphase (Motivation und Wecken eines Problembewusstseins)/Erarbeitungsphase (Kompetenzentwicklung und -festigung)/Schlussphase (Ergebnissicherung und Kontrolle)
Hier ist zu erkennen, dass eine Artikulation immer auch einen methodischen Rahmen impliziert. Ein Unterrichtskonzept, das mit Hilfe einer Artikulation festgelegt wurde, trägt in jedem Fall auch deren methodische Grundgedanken. Daher ist es zwar legitim, den Unterricht mit Hilfe dieser Instrumente vorzubereiten, es sollte aber in dem Bewusstsein erfolgen, damit nicht nur der Chronologie des Schemas folgen zu müssen, sondern auch deren didaktischem Hintergrund. Generelles Unterscheidungsmerkmal aller Formen von Unterrichtsartikulation ist der Bezugsprozess: Der Ansatz von REIN orientiert sich zentral am Lehrprozess, die Ansätze von DÖRPFELD, KERSCHENSTEINER und ROTH am Lernprozess. Im Ansatz von MEYER werden beide Systematiken kombiniert. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Konkretisierung: Z.B. im Vergleich des Ansatzes von KERSCHENSTEINER mit jenem von DÖRPFELD. KERSCHENSTEINER führt eine Vielzahl von dezidierten Gliederungspunkten auf, die miteinander eng verknüpft sind. DÖRPFELD beschränkt sich auf drei relativ offene Überbegriffe. Damit erlaubt das Konzept von DÖRPFELD sicher größere methodische Varianten als jenes von KERSCHENSTEINER. Die hier vorgestellte Artikulation durch einen Aktivitätenplan orientiert sich weitgehend am Lernprozess und ist relativ offen gehalten. Ihre methodische Grundausrichtung erfährt sie dabei aus den (vorausgehend) gesetzten Orientierungskonzepten. Die weitere methodische Konkretisierung erfolgt über die Festlegung von Lernprodukten, Medien und Materialien, der Interaktionsplanung und der Reflexions- und Kontrollelemente
6.2 Lernprodukte427 Der Begriff des „Lernprodukts“ erscheint aus pädagogischer Sicht zunächst als Unwort. Lernen als menschlicher Entwicklungs- und Erkenntnisprozess produziert an sich keine greifbaren Dinge oder Gegenstände. Wie vorausgehend festgestellt wurde, sind Lernprozesse ausschließlich geistige Vorgänge, welche sich nur indirekt wahrnehmen bzw. nachweisen lassen. Trotzdem besitzen sie in den meisten Fällen einen Gegenstandsbezug. Wenn neue Be427 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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griffe gebildet werden oder ein bestehendes Begriffssystem angepasst wird bzw. auf eine bestimmte Problemsituation angewandt wird, orientiert sich der Mensch bevorzugt an dem, was er sinnlich erfassen bzw. sich gegenständlich vorstellen kann. Man macht sich Notizen, skizziert Zusammenhänge oder stellt Gegenstände her. Rein abstraktes Denken ist auch für lern- und denkgewohnte Menschen schwierig. Daher sind Theorien auch auf bestimmte Modellvorstellungen angewiesen,428 wenn keine direkten „Lernprodukte“ vorliegen bzw. geschaffen werden können. Ähnliches gilt für explizite Lernprozesse, also für Unterricht bzw. für unterrichtsähnliche Situationen. Sobald ein Individuum bewusst versucht, sich etwas anzueignen, verknüpft es diesen Denkvorgang mit Handlungen. Vom einfachen Memorieren über Vorsprechen, Aufschreiben, Durcharbeiten, Besprechen, Lösungen erarbeiten bis hin zu komplexen praktischen Tätigkeiten sind hier verschiedenste Lernhandlungen vorstellbar.429 Jede dieser Handlungsformen antizipiert spezifische Handlungsergebnisse. Die Anwendung von bestimmten Lehrmethoden durchsetzt die damit zusammenhängenden Lernprozesse mit bestimmten Materialisierungen. Lernt ein Kind beispielsweise das Schreiben, muss es dabei zunächst Buchstaben, dann Worte und später Texte erstellen. Dies sind Lernprodukte, da sie Artefakte repräsentieren, die gezielt entstehen, um den Lernvorgang zu unterstützen bzw. diesen tragen. Lernprodukte erfüllen somit erstens den Zweck, den an sich immateriellen Lernprozess für die Lernenden zu „materialisieren“ und damit an bestimmte Ergebnisse oder eben Produkte zu knüpfen. Innerhalb der Lernsituation wird das Gelernte greifbar, nach der Lernsituation bleibt es evtl. nachschlagbar oder wiederholbar. Zweitens stellen sie für die Lehrenden wichtige Gegenstände der Beobachtung, Beurteilung und Kontrolle des Lernprozesses dar. So betrachtet, stellt sich ein Lernprozess für Beobachter zum Einen in Form von Veränderungen in Verhalten und Interaktion dar, zum
428 Z.B. kann aktuell der Teilchenbegriff in der Teilchenphysik an sich nicht mehr gehalten werden, da hier nur noch unterschiedliche Materie-Energie-Zustände voneinander unterschieden werden; trotzdem ist noch von Kleinstteilchen die Rede. 429 Z.B. werden u.a. gerne Illustrieren, Strukturieren und Exzerpieren als bedeutende Lernstrategien nachgewiesen.
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Anderen aber auch durch eine Reihe von entstehenden (bzw. entstandenen) Lernprodukten.430 Aus sequenzieller Sicht kann zwischen Lernabschnitts-Produkten und LernEndprodukten unterscheiden werden: Lernabschnitts-Produkte sind Zwischenergebnisse, welche aus einzelnen Lernschritten oder -handlungen entstehen. In Phasen von Erschließungs- und Erprobungsaktivität sind dies Informationssammlungen sowie Teil- oder Zwischenstände innerhalb der Gesamttätigkeit.431 Bei Systematisierungsaktivitäten können dies Sammlungen von Daten oder Informationen, Arbeitsergebnisse etc. sein432. Lern-Endprodukte hingegen sind evaluier- und kontrollierbare Unterrichtsergebnisse, welche die intendierten Unterrichtsziele repräsentieren sollten. In Phasen von Erschließungs- und Erprobungsaktivität sind dies möglicherweise wirkliche Produkte oder Dienstleistungen,433 bei Systematisierungsaktivitäten die Ergebnisse übergreifender Aufgabenstellungen.434 Aus der Gegenüberstellung von Lern-Abschnitts- und Lern-Endprodukten wird wiederum ein Unterschied zwischen Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten sowie Systematisierungsaktivitäten deutlich: So steht bei Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten das Lern-Endprodukt im Zentrum des Geschehens. Die Handlungen der Lernenden unterliegen der zentralen Intention, dieses Endprodukt möglichst gut, aber auch schnell zu erreichen. Zwischen-Produkte werden zwar erstellt, jedoch zunächst nur aus der Einsicht heraus, damit das Endprodukt besser zu erreichen. Bei Systematisierungsaktivierungen hingegen stehen häufig die Zwischenprodukte im Zentrum des Geschehens. Wenn nicht gerade eine komplexe Methode zur Anwendung kommt, die dann zumeist auch eine größere Lernstrecke zur Folge hat, vollzieht sich der Unterricht in Einzelschritten, und damit auch in Zwischenprodukten. Die Lernenden erstellen damit aber nach und nach 430 Z.B. kann das erste Lernprodukt in einem Physikunterricht ein abgelesenes Messprotokoll sein, das zweite Lernprodukt eine daraus hergeleitete Proportionalität bzw. die Formel oder Konstanten, das dritte Lernprodukt eine gelöste Beispielaufgabe, weitere Lernprodukte in weiteren Aufgaben, der daraus entstehende Hefteintrag ein Gesamtlernprodukt einer Lerneinheit, ein mögliches weiteres Lernprodukt ein selbständig aufgebauter und durchgeführter Schülerversuch ähnlichen Inhalts usw. 431 Besteht die Gesamtaufgabe z.B. in der Erstellung einer Steuerung, wären solche Zwischenprodukte z.B. durch die Schüler recherchierte Datenblätter der Baugruppen oder die Lösungen erforderlicher Berechnungen etc. 432 Z.B. ausgefüllte Aufgabenblätter, angefertigte Skizzen oder Rechenergebnisse. 433 Im vorausgehenden Beispiel die fertige und funktionsfähige Steuerung. 434 Z.B. Gesamtpräsentationen einer längeren Gruppenarbeit oder auch die Lösung eines Aufgabenpakets.
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auch ein Endprodukt. Dieses Endprodukt – z.B. ein Hefteintrag – ist dann die Summe aller Zwischenprodukte. Schließlich stellt die Schülerdokumentation435 generell ein zentrales Endprodukt und damit zugleich einen sehr konkreten konzeptionellen Ausgangspunkt dar. Da die Dokumentation für die SchülerInnen nicht nur das Substrat des Unterrichts repräsentiert, sondern auch die Unterlage für nachfolgende Vorbereitungen auf folgende Stunden bzw. Prüfungen, ist sie sehr gewissenhaft zusammenzustellen. Wie die Dokumentation dann im jeweiligen Unterricht entsteht bzw. erstellt wird, entscheidet sich – je nach Vorgehensweise – im Einzelfall. Das Lehrkonzept kann somit von einer Schülerdokumentation ausgehen. Aus dieser können die Lern-Zwischenprodukte bestimmt und gestaltet werden. Im Gegensatz zum vorausgehenden Schritt kann dies jedoch nicht „methodenunabhängig“ erfolgen. Im Zuge der Festlegung bestimmter Lern-Zwischenprodukte findet innerhalb dieser Didaktik die zentrale methodische Auseinandersetzung statt. Aktuell wird schüleraktiver Unterricht anhand bestimmter Aufgabentexte vorbereitet. Wenn diese Aufgaben durch längere Lernstrecken führen sollen, in welchen sich geschlossene Sequenzen aus Planen, Entscheiden, Durchführen und Reflexion ausbilden sollen, werden sie mit sog „Leittexten“ ausgestattet. Durch diese, der „Leittextmethode“436 entlehnte Vorgehensweise werden die Lernenden nicht direkt von einer Lehrperson aktiviert, sondern indirekt über schriftliche Unterlagen. Anhand von Leitfragen bzw. Leithinweisen erschließen die SchülerInnen relevante Informationen für die Bewältigung der vorgegebenen komplexen Aufgabenstellung und setzen diese selbständig in die Tat um. Dabei entstehen im Zuge der Lernhandlungen eine Reihe von Dokumentationen und Informationssammlungen. Hinzu kommen verschiedene Kontrollunterlagen, in welchen sich die Lernenden Rückmeldungen über ihre Lern- und Aufgabenfortschritte sowie über die Qualität ihrer Lösungen einholen können. Neben diesen dokumentierenden können zudem handlungsbezogene Lern-Zwischenprodukte erforderlich sein. So kann sich beispielsweise eine komplexe Dienstleistung kann sich aus einer Reihe von Einzelleistungen ergeben, oder ein Geschäftsprozess kann sich aus einigen Teilprozes-
435 Hefteinträge, Unterlagensammlungen, elektronische Aufzeichnungen etc. 436 Vgl. Mertens, 1974.
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sen zusammensetzen,437 bevor ein komplexes Produkt erstellt wird, könnten diesem reduzierte „Übungsprodukte“ vorausgehen.
6.3 Medien und Materialien438 Dieser Konzeptionsschritt steht in engem Zusammenhang mit mediendidaktischen Überlegungen. Als Medien können zunächst allgemein alle „Vermittlungshilfen“ im Unterricht bezeichnet werden. Dieser übergreifende Medienbegriff wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich akzentuiert und in Teilaspekte unterteilt. Die damit einhergehende Begriffsrelativierung soll durch einige kurze Feststellungen geklärt werden: Generell soll in dieser Didaktik zwischen Lehr- und Lernmedien unterschieden werden. Lehrmedien sind alle Medien, welche in der direkten LehrerSchüler-Kommunikation zum Einsatz kommen. Lernmedien sind jene Medien, mit welchen sich die Schüler selbst auseinandersetzen können. Eine Wandtafel oder ein Tageslichtprojektor ist aus dieser Unterscheidung zunächst als Lehrmedium zu identifizieren, ein Aufgabenblatt oder ein Lehrbuch als Lernmedium. Dies kann sich aber durch Veränderungen im methodischen Konzept relativieren bzw. umkehren. Präsentieren sich Schüler gegenseitig ihre Arbeitsergebnisse am Tageslichtprojektor, muss dieser eher als Lernmedium eingestuft werden. Wird ein Aufgabenblatt von der Lehrkraft gemeinsam mit den Schülern bearbeitet, ist dieses nun ein Lehrmedium. Damit kommt zum Ausdruck, dass sich die Gattung von Unterrichtsmedien nicht generell aus der Materialität ergibt, sondern zudem mit in der jeweiligen Anwendungssituation zusammenhängt. Die Unterscheidung zwischen Lehr- und Lernmedien ist somit eine überwiegend methodische, und keine objektbezogene. Trotzdem muss jedes Medium ein Objekt sein, um zur Anwendung gebracht werden zu können. Damit ergeben sich drei konstituierende Aspekte von Medien: Objekt, Inhalt und methodische Positionierung (s. Tabelle 8).
437 Z.B. beinhaltet die Einrichtung einer LAN-Umgebung für einen IT-Systemelektroniker neben der eigentlichen technischen Realisierung alle Einzelschritte, von der Konzipierung und Dimensionierung im Kundengespräch bis zur Übergabe mit Präsentation und Einweisung. 438 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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Tabelle 8: Konstitutive Aspekte von Medien Objekt
Inhalt
Methodische Positionierung
Demonstrations-, Printmedien, audiovisuelle/digitale Med., Originale …
Illustrations-, Lehrmedien Informations-, Indirekt zur Kommunikations-, Unterstützung Realmedien der Lehre
Z.B. Buch, Tafel, Videoband, Folie, Computer, techn. Gegenstand …
Z.B. Texte, Bilder, Z.B. BrainSprache, Filmsestorming am quenzen, DiaFlipchart gramme …
Lernmedien Direkt im Selbstlernprozess Z.B. Flipchart als SchülerLösungsposter
Neben den Medien werden für schüleraktiven Unterricht sog. Materialien benötigt. Als solche werden hier alle Unterlagen bezeichnet, welche die aufgabenbezogene Kommunikation bzw. Interaktion in einem schüleraktiven Unterricht leiten und tragen. Solche Aufgabenstellungen, Leittexte, Lernwegbeschreibungen etc. ermöglichen erst selbsttätige Lernprozesse und nehmen insbesondere in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten eine bedeutende Rolle ein. SLOANE konstatiert, dass die Materialien die Authentizität von Lernsituationen entscheidend mitbestimmen. Sie unterstützen die situative Adäquatheit sowie die Prozessorientierung.439 Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten erfolgen in längeren zusammenhängenden Lernstrecken. Daher muss eine umfangreiche Ausstattung an Lernmedien (1) und Materialien (2) vorliegen, zum einen, um den Lernprozess zu leiten, zum anderen, um ihn inhaltlich und handlungsbezogen zu gewährleisten. Hinzu kommen Einrichtungen bzw. Geräte (3), welche das Handlungslernen ermöglichen (s. Abbildung 30).
439 Vgl. Sloane, 2003, S. 12.
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Medien in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten Materialien (Lernwege)
Lernmedien
Einrichtungen, Geräte, (Lerninhalte) (Lernprozesse)
Lernhandlungen
Lernangebote
Lernprodukte
Abbildung 30: Beeinflussung und Unterstützung der Lernhandlungen in Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten
Zu (1): Als Lernmedien finden überwiegend authentische Informationsmedien Verwendung. Z.B. Originalformulare, Internetseiten von Lieferanten bzw. Herstellern, Datenbanken, Zeichnungen, Maßblätter, Tabellen etc. Um ein berufsbezogenes Problem professionell zu lösen, sollten die SchülerInnen überwiegend auf Informationen zugreifen, welche sie in ihrem beruflichen Umfeld vorfinden. Da dies jedoch nicht ausreichen kann, den theoretischreflexiven Anspruch derartigen Unterrichts zu gewährleisten, müssen den SchülerInnen zusätzlich Fach- bzw. Lehrwerke zur Verfügung gestellt werden, in denen Theorie- und Basiszusammenhänge verständlich dargestellt und praxisgerecht erläutert werden. Zu (2): Als Materialien werden spezifische Kommunikationsmedien bezeichnet, welche den schüleraktiven Lernprozess leiten und tragen sollen. Die komplexe Aufgabenstellung wird durch einen Apparat aus Fragen, Hinweisen und Anregungen in folgerichtige Teilaufgaben sequenziert. Über die Lösung der Teilaufgaben wird die Gesamtproblemstellung erarbeitet und die theoretische Auseinandersetzung gesichert. Hinzu kommen Reflexions- und Kontrollaufforderungen an die Lernenden, um den Lernprozess bzw. die Lernfortschritte zu explizieren, das Erreichen bestimmter Lernziele zu gewährleisten sowie die Dokumentation zu unterstützen. Aufbau und Gestaltung solcher Unterlagen hängen von der geplanten Lernsituation ab sowie von der methodischen Grundidee. Zu (3): Der eigentliche beruflich-professionelle Kontext entsteht aus einem Arrangement aus realen oder realitätsnahen Praxiselementen. Dies können bestimmte Räumlichkeiten (Büros, Labors, Praxen, Werkstätten …) ebenso sein wie Apparaturen, Maschinen, Werkzeuge oder Messgeräte. In einer Lernfirma arbeiten die SchülerInnen mit Computern mit Firmensoftware, in einem
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handlungsorientierten Steuerungstechnik-Unterricht wird eine Sortierstrecke mit Originalbauteilen realisiert. Interessant sind hier auch Simulationen. Da es kaum vorstellbar erscheint, für alle zu behandelnden Lernfelder ein authentisches berufliches Szenario in Schule hinein zu tragen, bieten sich z.B. computergestützte Simulationen als deren Ersatz an. Dies bringt Vorteile in Bereitstellung und Handhabung mit sich, jedoch auch Abstriche in der Authentizität. Komplexe Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten erfordern umfassende Medien-Arrangements. Die Lehrperson muss den Unterricht hochgradig medial vorbereiten und ausstatten. Über bestimmte Materialien werden die SchülerInnen motiviert und aktiviert, Informationsmedien zu nutzen, sich mit theoretischer Fachliteratur auseinanderzusetzen und in den jeweiligen Einrichtungen bzw. an den entsprechenden Geräten zu arbeiten. In vielfältigen Individual-Lernprozessen werden die Medien genutzt und umgesetzt. Die Gesamtqualität der medial-materiellen Ausstattung bemisst sich an: (1) der Stringenz, Flexibilität aber auch Angemessenheit der Materialien, (2) der Authentizität, Vielfalt aber auch Einschlägigkeit der Informationsmedien, (3) der Anschaulichkeit und Zugänglichkeit der Fach- bzw. Lehrwerke, (4) der Aktualität, Authentizität, Menge aber auch Unterrichtstauglichkeit der Geräte, Räumlichkeiten etc. Zu (1): Stringenz bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Anregungen Leitfragen, -hinweise, etc. in klaren, einfachen Schritten durch den Handlungs-Lernprozess führen sollen. Diese Schritte entsprechen weitgehend den wichtigsten Teilzielen. Demgegenüber steht der Anspruch an eine diesbezügliche Flexibilität. Die Leitmaterialien sollten keinen Rezeptcharakter aufweisen, keine kleinschrittigen Ketten bilden, sondern vielmehr unterschiedliche Handlungswege sowie Lernprozesse berücksichtigen bzw. ermöglichen. Angemessenheit bedeutet hier, dass die Leitunterlagen sowohl dem Ausbildungsund Erfahrungsstand als auch den sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden gerecht werden sollten. Zu (2): Setzen sich SchülerInnen selbständig mit beruflichen Informationsmaterialien auseinander, sollte der Weg zu diesen Medien ebenso authentisch sein wie die Medien selbst. D.h. dass nicht Ausschnitte eines Maßblatts auf einem kopierten Arbeitsblatt bereitgestellt werden sollten, sondern besser die SchülerInnen dieses Maßblatt im Internet finden und von dort einsehen bzw. ihre Informationen entnehmen sollten. Dabei stellen Vielfalt und Einschlägig277
keit ein Kontrastpaar dar, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Nur bei vielfältigen Informationsmaterialien sind auch vielfältige Zugänge, Lern- und Lösungswege denkbar. Zu (3): Um eine selbständige theoretische Erschließung, Reflexion und einen darauf aufbauenden Erkenntnisgewinn durch SchülerInnen zu ermöglichen, müssen Fach- bzw. Lehrwerke mit hohem didaktischem Anspruch zur Verfügung gestellt werden. D.h. es kann nicht ausreichen, ein beliebiges Physik-, Werkstoffkunde- oder Rechnungswesenbuch zur Verfügung zu stellen., Vielmehr muss gewährleistet sein, dass die dort erläuterten Inhalte und Theorien für die Lernenden verständlich dargestellt und aufbereitet sowie mit entsprechenden Beispielen und evtl. Übungsaufgaben versehen sind. Sind solche Werke (in Buch- oder elektronischer Form) nicht verfügbar, muss dies durch zusätzliche Lernunterlagen kompensiert werden.440 Zu (4): Wird ein Geschäfts- oder Handlungsprozess in beruflichen Unterricht transformiert, geschieht dies letztendlich durch die Nutzung entsprechender betrieblicher bzw. betriebsähnlicher Geräte und Ausstattungen. Selbstverständlich sollten diese Geräte und Einrichtungen mit jenen möglichst identisch sein, welche die Lernenden auch im Betrieb vorfinden. Dass dies sowohl aus Kapazitäts- als auch aus monetären Gründen nicht immer realisierbar ist, ist ebenso selbstverständlich. Bei technischen Anlagen und Maschinen kommen Sicherheitsaspekte für Menschen und Materialien hinzu. Die Nutzbarkeit solcher Medien im Unterricht schränkt sich in dem Maße ein, in welchem ihre Bedienung Gefahren für die SchülerInnen bedingt bzw. wie empfindlich sie hinsichtlich Fehlbedienungen sind. Ähnlich bedeutend sind die verfügbaren Räumlichkeiten. Dabei gilt es wiederum, didaktische Aspekte und organisatorische Aspekte ins Auge zu fassen. So sollten die Räume ein Nebeneinander von Gruppen-, Individual-, Theorie- und Handlungslernen ermöglichen. Dabei muss eine Beaufsichtigung aller teilnehmenden SchülerInnen gewährleistet sein.441 Medien in Systematisierungsaktivitäten Bei Systematisierungsaktivitäten können Lehrer- aber auch Schüleraktivitäten im konzeptionellen Fokus stehen. Das bedeutet, dass diesbezügliche Medienarrangements sowohl aus Lehrmedien als auch aus Lernmedien bestehen können. Die Lernmedien bilden dabei den methodischen Ausgangspunkt. Sie
440 Bzw. durch eine entsprechende LehrerInnen-Instruktion. 441 Z.B. in einem sog. „integrierten Fachunterrichtsraum“ (vgl. Riedl, 2004, S. 114).
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können sich auf Lernhandlungen der Schüler beziehen, aber auch auf Instruktionen der Lehrpersonen. Materialien
Lernmedien
(Lernwege)
(Lerninhalte) (Instruktionen)
Lernhandlungen
Lehrmedien
Lernangebote
Lernprodukte
Abbildung 31: Beeinflussung, Unterstützung und Ergänzung der Lernhandlungen bei Systematisierungsaktivitäten
Maßgeblich ist hier nicht mehr eine maximale Authentizität, sondern eine angemessene. Der Kontext muss vorliegen, steht aber nicht im Zentrum der Mediengestaltung; dieses wird eher von inhaltlichen, motivationalen, instruktionalen oder kommunikativen Überlegungen gebildet. In Phasen mit Systematisierungsaktivitäten können Lernmedien zu Lehrmedien werden, wenn die Lehrkraft einen Selbstlernprozess auflöst bzw. aussetzt, um diesen zu unterstützen bzw. zu intervenieren. Für solche Situationen zusätzlicher Erläuterungen, Vor- oder Nachbesprechungen, Vorführungen, Reflexionen, gemeinsame Versuche, etc. gelten die vorausgehenden Aussagen über Lernmedien. Eigenständige Lehrmedien liegen dann vor, wenn diese explizit für lehreraktive Phasen konzipiert werden. Dies sind z.B. geplante Lehrerversuche, Instruktionen, Vorträge, Vorführungen etc. Im Gegensatz zu den Lernmedien orientieren sich diese Medien nicht nur an deren Zugänglichkeit für die SchülerInnen zu orientieren, sondern auch an deren Handhabbarkeit für die Lehrkraft. Diese Unterscheidung kann belanglos sein, wenn diese „Handhabung“ auf Kommunikationsebene erfolgt, wie z.B. bei der Besprechung eines Schaubilds. Sie kann aber auch deutlich zum Ausdruck kommen, wenn komplexere Lehreraktivitäten anstehen. Z.B. ist ein Schülerversuch – bei gleicher Durchführung – anders vorzubereiten, als ein Lehrerversuch. Die Qualität der Medien korrespondiert hier mit der Qualität der Instruktion. Bei letzteren stehen Aspekte wie Einfachheit, Anschaulichkeit, Mehrdimensionalität, Wiederholbarkeit, Multimedialität etc. im Vordergrund. Ein Lehrmedium ist immer nur so gut, wie es eine jeweilige Instruktion unterstützen kann
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bzw. wie es den Lernenden hilft, die Instruktion zu verstehen, ihr zu folgen und ihre Details zu erfassen. Zusammenfassend ist für Lehr- und Lernmedien festzustellen, dass sie sowohl für Erschließungs- und Erprobungsaktivität als auch für Systematisierungsaktivitäten eine bedeutende Rolle einnehmen. Sie tragen bzw. unterstützen modernen beruflichen Unterricht in hohem Maße. Medien besitzen spezifische, aber auch übergreifende Qualitätskriterien. Generell sollten alle Medien für die jeweilige Schülergruppe zugänglich, angemessen, versteh- und erfassbar sein und eine möglichst große Nähe zum jeweiligen beruflichen Kontext aufweisen. Lehrmedien unterliegen in erster Linie Aspekten der Anschaulichkeit, der Verständlichkeit oder der sinnlicher Vielfalt. Lernmedien unterliegen eher Aspekten der Erschließbarkeit, Authentizität etc. Zu medienbezogenen Details bzw. zu deren methodischen Spezifikationen halten Mediendidaktik (medienbezogen) und auch die Fachdidaktiken (methodenbezogen) vielfältige Aussagen und Empfehlungen bereit. Materialien Die Festlegung und Gestaltung von Medien steht in einem direktem Zusammenhang mit deren didaktischer Nutzung. Im Falle der Lehrmedien erfolgen diese Überlegungen in Verbindung mit der Interaktionsplanung (folg. Unterkapitel), im Falle der Lehrmedien im Zusammenhang mit den Materialien. Wie eingangs festgestellt, handelt es sich dabei um Unterlagen, welche die aufgabenbezogene Kommunikation bzw. Interaktion in einem schüleraktiven Unterricht leiten und tragen. Die alleinige Konfrontation der Lernenden mit den Medien könnte zwar – bei guter Qualität für sehr selbständige Lernende – auch interessante Lernprozesse initiieren. Dabei wäre aber kaum absehbar, in welche Richtungen diese Lernprozesse bei jedem Einzelnen führen würden. Materialien haben damit neben ihren ein- und anleitenden auch fokussierende bzw. eingrenzende Funktionen. Bezugspunkte für die Gestaltung von Materialien sind die Lernziele, die Lernmedien und die erwünschten Lernprodukte. Angelehnt an die zu Grunde liegende Aktivierungsform verfasst die Lehrkraft Unterlagen, welche die Lernenden zu einer fokussierten und produktiven Auseinandersetzung mit den Medien anleiten sollen. Im Zentrum der Gestaltung von Materialien stehen die darin an die Lernenden herangetragenen Aufgaben. Hier ist generell zwischen Problemlösungsaufgaben (anwendungsbezogen) und Lernaufgaben (systematisierungsbezogen) zu unterscheiden. Lernziele sollten – im Gegensatz zu Problemlösezielen – sehr
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spezifisch gesetzt werden, also durch genaue Vorgaben über das erwartete Wissen und Verständnis. Problemlöseziele sollten sich darauf beschränken, das Problem zu umreißen und den Lösungsrahmen zu skizzieren. In einer empirischen Studie hat KÜNSTING nachgewiesen, dass „das Setzen unspezifischer im Vergleich zu spezifischen Problemlösezielen gleichzeitig einen höheren Lernerfolg, einen geringeren cognitive load442 und eine häufigere Strategienutzung443 bewirkt“.444 Für längere und komplexe Lernstrecken werden häufig sog. Leitfragen bzw. Leithinweise formuliert. Durch Textmaterialien mit systematisch angeordneten, komplexen Fragestellungen und Anregungen sollen die Lernenden motiviert und aktiviert werden, bestimmte Informationen zu akquirieren, um aus deren Verständnis berufsbezogene Problemstellungen lösen zu können. RIEDL stellt für die praktische Gestaltung von solchen Unterlagen drei zentrale Elemente fest und erklärt ihre Zusammenhänge: „In einem Leittext gibt die Leitlinie einen Überblick über die gesamte Aufgabenstellung, einzelne Arbeitsschritte, Teilhandlungen und Teilprozesse bei der Lernarbeit. Als ‚roter Faden‘ im Leittext liefert sie den Lernenden eine Orientierung über geforderte oder bereits durchlaufene Lernhandlungen. Sie lässt sich als ‚Checkliste‘ auch zur Kennzeichnung von bereits bearbeiteten Lernschritten verwenden. In groben Zügen bildet die Leitlinie wesentliche Handlungsschritte und damit Lernphasen aus dem Handlungsregulationsschema für einen solchen Unterricht ab. Leitaufgaben lenken die Aktivitäten und die Aufmerksamkeit der Lernenden. Sie unterteilen eine komplexe Gesamtaufgabe in einzelne Lernschritte und strukturieren den Lernverlauf. Leitaufgaben verlangen z.B. die Nutzung und Auswertung von Informationsquellen. Sie fordern zur Kooperation, Diskussion und Interaktion zwischen den Lernenden auf. Aus den Leitaufgaben resultieren Arbeits- und Lernergebnisse der Lernenden. Sie enthalten Aufforderungen zur Dokumentation und Sicherung der Lernergebnisse, um die erarbeitete Wissensinhalte systematisch schriftlich festzuhalten. Lernkontrollen können Zusammenstellungen von Lernzielen enthalten, an denen Lernende eigenverantwortlich bisher erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten reflektieren. Sie liefern ihnen durch eine mögliche Gegenüberstellung einen Überblick über geforderte und aktuell verfügbare Kompetenzen. Im Hinblick auf eine die Lerneinheit abschließende Leistungsfeststellung können 442 Kognitive Belastung. 443 Kognitive und metakognitive Lernstrategien. 444 Künsting, 2007, S. 164.
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dadurch Lernende offene Kompetenzbereiche erkennen und Lücken eigenverantwortlich oder zusammen mit einer betreuenden Lehrkraft schließen.“445 Vor allem bei Systematisierungsaktivitäten sind die Lernstrecken zumeist kürzer. Demgemäß werden die Erschließungsmaterialien hier gerne sehr knapp verfasst und kaum ausgestaltet. Häufig muss ein Aufgabenblatt oder ein Versuchsplan genügen; in einigen Fällen verzichten die Lehrkräfte sogar ganz auf schriftliche Formen und kommunizieren die Medienerschließung verbal direkt. Dabei wird vergessen, dass auch solche partikulären Erschließungsmaterialien eine große Bedeutung für die individuellen Lernprozesse haben. Durch die damit zusammenhängende situative Medienkonfrontation erlauben sie den Lernenden, eigenständig alles zu erschließen, was erwartet wird. Aufgabenbezogene Rückfragen an die Lehrperson sind dann nicht erforderlich womit auch diesbezüglich Ängste oder Unsicherheiten gar nicht aufkommen können. Nach Abschluss eines Lernzusammenhangs ermöglichen die Materialien es den SchülerInnen, deren Ausgangspunkt zu reflektieren und ihre Ergebnisse mit diesem abzugleichen. Daher sollten auch für kürzere Schüleraktivitäten erläuternde bzw. anleitende Texte methodisch reflektiert und formal gewissenhaft erstellt werden. Welche einzelnen Kriterien für derartige Materialien wichtig sind, kann den jeweiligen methodischen Vorgaben entnommen werden (s. Fachdidaktiken).446
6.4 Interaktionsplanung447 Trotz der Priorisierung schüleraktiver, selbsttätiger Lernprozesse innerhalb dieser Didaktik, sind diese in jedem Falle von Lehrprozessen gerahmt. Da auch in hochgradig schüleraktivem Unterricht die (direkte oder mediale) LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktion die einzige Verbindung zwischen Lehrund Lernprozess ist, kann Unterricht nur in dem Maße gelingen, in dem diese Interaktion produktiv verläuft. Um dies zu sichern, muss sie so weit wie möglich antizipiert und vorbereitet werden. Zu diesem Zweck erfolgt zunächst eine Reduktion (bzw. Projektion) der Interaktion auf Kommunikation. So können gerade Kommunikationsprozesse einfacher antizipiert werden, da sie nicht zwingend eine reaktive Komponente erfordern. Trotzdem repräsentieren sie das „Rückgrat“ der Interaktion. Vereinfacht ausgedrückt: wir intendieren Interaktion, konzipieren aber die Kom445 Riedl, 2004, S. 79. 446 Vgl. Kohler, 1998. 447 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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munikation; um Interaktionsprozesse vorzubereiten, werden kommunikationsbezogene Skizzen erstellt. Gedanklicher Ausgangspunkt ist dabei die intrapersonale Interaktion zwischen den Lernenden. So soll im Unterricht erreicht werden, dass sich die Schüler möglichst intensiv und wirksam mit bestimmten Inhalten auseinandersetzen. Im Sinne von Jean PIAGET entspricht dies dem Prozess der Äquilibration, aus kognitionspsychologischer Sicht findet dabei die grundlegende Bewertung und Bearbeitung von Reizen statt. Wissen und Erkennen entsteht – gemäß dieser beiden Konzepte – durch Eigenaktivität, nämlich indem selbstorganisierte Beziehungen zu bereits bestehenden individuellen Zuständen und kognitiven Strukturen entwickelt werden. Diese Selbstorganisation von Beziehungen kann jedoch nicht von außen diktiert oder manipuliert werden, sondern bestenfalls beeinflusst bzw. unterstützt. Das bedeutet, dass Unterricht versuchen muss, durch eine (unmittelbar) plan- und steuerbare interpersonale Interaktion die (nur mittelbar beeinflussbare) intrapersonale Interaktion zu fördern. Diese Förderung intrapersonaler Interaktion kann auf drei verschiedenen Wegen erfolgen: (1) durch die Schüler-Medien-Interaktion, (2) durch die Lehrer-Schüler-Interaktion und (3) durch die Schüler-Schüler-Interaktion. Da diese drei Interaktionsformen im Unterricht aufeinander bezogen sind und ineinander greifen sollten, ist auch deren Planung nur integrativ durchführbar. Wie bereits festgestellt wurde, ist Interaktion ein wechselseitiger, reaktiver Prozess zwischen eigenständigen Individuen ist. Damit scheidet eine strikte, lineare bzw. algorithmische Planung aus.448 So gilt es (zunächst), einerseits Interaktionsräume zu schaffen und zu gestalten und andererseits die Nutzung und Ausschöpfung dieser Räume zu gewährleisten bzw. zu unterstützen. Dies kann durch Maßnahmen der Organisation, der Koordination, der Moderation, der Instruktion etc. erfolgen. Schüler-Medien-Interaktion und SchülerSchüler-Interaktion erfordern Materialien, die Lehrer-Schüler-Interaktion strukturelle und inhaltliche Vorlagen. Handlungsleitend sind hier vor dem Hintergrund der Unterrichtsziele die vorliegende Aktivitätenplanung, die definierten Lernprodukte sowie die bestehenden Lernmedien und Lernmaterialien. Da in der vorliegenden Didaktik von einem schüleraktiven Unterricht ausgegangen wird, wird allen Instruktionsformen eine nachgeordnete Planungsposition zugewiesen. Dies soll jedoch nicht im Sinne einer verringerten Bedeu448 Auch wenn dies im fragend-entwickelnden Unterricht hartnäckig versucht wurde.
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tung dieses Aspekts interpretiert werden. Vielmehr müssen Instruktionen als Ausnahmeelemente eines überwiegend lernerzentrierten Unterrichts besonders gut begründet und gestaltet sein. Neben direkten Instruktionen interagieren die Lehrenden insbesondere in der Moderation und Betreuung der Lernaktivitäten. Da sich diese jedoch hochgradig situativ und individuell belaufen, können diese nicht dezidiert geplant werden, sondern werden gemäß übergreifender Ansätzen und Regeln situativ gehandhabt. Diesbezüglich werden nachfolgend einige Anmerkungen getroffen. Unterrichtsgespräch und Instruktion Ausgangspunkt für die Unterrichtsinteraktion ist der geplante schüleraktive, mediengestützte Lernprozess. Im Gegensatz zu der gut plan- und vorbereitbaren Schüler-Medien-Interaktion stellt sich deren flankierende Unterrichtsinteraktion im Planungsvollzug schwieriger dar. Das hängt zum Einen damit zusammen, dass diese überwiegend verbal erfolgt, zum anderen aber auch damit, dass sie eine hohe Varianz und damit Unplanbarkeit aufweisen kann. LehrerInnen interagieren ständig in Ihrem Unterricht auf Basis ihrer Kompetenzen, Erfahrungen, ihrer situativen Wahrnehmung und ihres Gefühls. Dieser „Fluss“ setzt sich aus schwächer und stärker situationsvarianten Elementen zusammen. Erstere sind zumeist Instruktionen, Unterrichts- oder Fachgespräche. Diese können explizit geplant werden. Letztere sind begleitende oder moderierende oder auch kontrollierende Interaktionen, welche eher nach offenen Regeln gehandhabt werden. Generell ist die Lehrer-Schüler-Interaktion als Ergänzung der SchülerMedien-Interaktion vorzusehen. Die Gründe für eine solche Ergänzung können – je nach Unterrichtsform – sehr unterschiedlich sein: So könnte es in Phasen mit Erschließungs- und Erprobungsaktivitäten (1) könnte es erforderlich sein, besonders schwierige Zusammenhänge durch eine direkte Instruktion effektiver oder effizienter zu vermitteln bzw. bei Maschineneinsatz damit Sicherheitsaspekten Rechnung zu tragen.449 Eher kontrollierende denn instruierende Funktion haben sog. „Fachgespräche“. In Anlehnung an die betriebliche Leittextmethode450 werden die relativ offenen Lernstrecken durch regelmäßige Besprechungen der Lehrkraft mit einzelnen Gruppen unterteilt, um Zwischenstände zu kontrollieren bzw. reflektieren.
449 Z.B. muss der selbständigen Benutzung einer Werkzeugmaschine im Unterricht eine gründliche Einweisung in diese Vorausgehen, v.a. im Hinblick auf die damit zusammenhängende Unfallgefahr. 450 Vgl. Selka, 1987.
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In Phasen mit Systematisierungsaktivitäten (2) können direkte Instruktionen in Form von Vorträgen, Referaten oder Präsentationen stattfinden. Darüber hinaus existiert eine ganze Reihe sog. Unterrichtsgesprächs-Konzepte, welche den Lehrer-Vortrag durch kommunikative Komponenten mehr oder weniger konsequent in LehrerInnen-SchülerInnen-Gespräche überführen sollen. Die Vielfalt und begriffliche Varianz zu diesem komplexen Thema macht es unmöglich, den Aspekt Unterrichtsgespräch/-instruktion hier erschöpfend zu erörtern. Nachfolgend werden daher nur einzelne, für diese Didaktik interessante Aspekte erörtert. Unterrichtsvortrag und Instruktion wurde und wird immer noch diskreditierend mit Frontal- oder Klassenunterricht in Verbindung gebracht. Diesen Organisationsformen wird die „Vernachlässigung sozialerzieherischer Gesichtspunkte, Verstärkung der autoritären Bindung an den Lehrer, Nichtberücksichtigung der Individualität der Schüler, Förderung rezeptiven Lernens“ vorgeworfen.451 Um diesen Vorwürfen zu begegnen, etablierte sich seit den 1960er Jahren eine Reihe von Unterrichtsgesprächskonzepten. Als besonders förderliche Gesprächsform galt über drei Jahrzehnte der sog. fragend-entwickelnde Unterricht. Dass auch dieser Ansatz schon gegen Ende der 1970er Jahre in eine ähnliche Kritik wie der reine Vortragsunterricht geriet, hängt mit dem gemeinsamen Ausgangspunkt beider Ansätze zusammen, nämlich der Lehrerzentrierung. Ob ein Vortrag ohne Rückfragen gehalten wird oder ob die Lehrkraft ab und zu eine Frage an die Klasse richtet, bleibt relativ gleich. So kann der Vortrag kann nicht ein eigeninitiatives Erschließen des Wissens durch die Lernenden ersetzen. Er folgt in jedem Falle der Logik und dem Verständnis der Lehrperson, in welche die Lernenden sich eindenken sollen, ihr folgen, sie nachvollziehen, etc. Sie können sie jedoch nicht entscheidend beeinflussen, verändern, individualisieren, also in ihre subjektive Logik transformieren. Daran konnte auch eine Reihe von Ansätzen nichts ändern, welche forderten, an Stelle von Erschließungsfragen der Lehrkraft sog. „Impulse“ zu setzen. Durch solche eher offen gehaltenen Fragen sollte den Schülern ein größerer Antwort- bzw. Lösungsraum zukommen und damit die gängelnde Wirkung eines kleinschrittigen, „Frage-und-Antwort-Spiels“ aufgehoben werden. Dies ist jedoch in Frage zu stellen, da auch die offenste Frage immer zu einer Re-
451 Terhart, 2000, S. 143.
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striktion wird, wenn die Antwort beim Fragenden schon vorliegt.452 An Stelle von behavioristischen Frage-Antwort-Ketten treten im „Impuls-Unterricht“ Antwortsituationen, in denen Lehrkräfte aus den eingehenden Reaktionen auf ihren Impuls eben jene auswählen, die in ihre vorgedachte und vorbereitete Lehrlogik passt, um diese zu bestätigen und weiter fortzuführen. Dabei fühlen sich die SchülerInnen mit teilweise lächerlichen Fragen unterschätzt bzw. unterfordert,453 oder auch im Unklaren gehalten bzw. an der Nase herumgeführt454. BAUMERT identifiziert solche „Unterrichtsgespräche“ als „stressinduzierende Choreografien“, in denen die LehrerInnen gegenüber den SchülerInnen in erheblich höherem Maße gefordert seien.455 Dieses mühsame „Zusammentragen“ von Schülerantworten innerhalb des vorher festgelegten Zielund Zeitrahmens wird von vielen Praktikern als ihre „Lehrkunst“ verstanden, da ihre Beherrschung lange Zeit nicht nur gute Außenbewertungen456 mit sich brachte, sondern auch zu einer guten situativen Kontrollwahrnehmung und einer damit einhergehenden Befriedigung führte. An dieser Stelle ist es erforderlich, nochmals zu den Ausgangspunkten dieser Erörterung zurückzukehren: Unterricht, in welchem Instruktionen bzw. Vorträge dominieren, wurde und wird aktuell die Vernachlässigung des sozialen Lernens, ein hierarchisches LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis sowie die Nichtberücksichtigung der Schülerindividualität und eine Förderung rezeptiven Lernens vorgeworfen. Daran konnten auch Unterrichtsgesprächskonzepte wenig ändern. Trotzdem besitzen solche Ansätze in der Praxis nach wie vor eine erhebliche Bedeutung, welche sich nicht nur aus ihrer großen Verbreitung begründen lässt. ASCHERSLEBEN457 führt dafür vier zentrale Gründe an: (1) Höhere Lehr-Ökonomie, da mehr „Stoff pro Zeit“ erarbeitet werden kann; (2) Lehrlogischer Unterricht ist generell einfacher vorzubereiten als lernsystematischer; (3) In lehrerzentrierten Settings lässt sich ein höherer Grad an Ordnung und Disziplin im Unterricht aufrechterhalten;
452 Gegenteilig steigt der Druck bei Lehrpersonen und SchülerInnen gleichermaßen, da die Wahrscheinlichkeit, dass die richtige und damit weiterführende Antwort gefunden wird, proportional zum Grad der Unschärfe des Fragenimpulses sinkt. 453 „Stellen wir uns einfach mal ganz dumm!“ 454 „Warum sagt die/der LehrerIn nicht einfach, was sie/er will?“ 455 Vgl. Baumert, 2003. 456 In Lehrproben, Beurteilungen etc. 457 Vgl. Aschersleben, 1987, S. 33ff.
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(4) Vor allem einfache Lerninhalte können durch lehrlogisches Vorgehen besonders gut vermittelt werden. Diese Argumente sind jedoch wenig tragfähig bzw. verkürzt. Zu (1) ist festzustellen, dass die Unterrichtseffizienz nicht dadurch steigt, dass möglichst Vieles thematisch angesprochen wird. (2) trifft nur dann zu, wenn die Lernenden die eigentlichen Erschließung und Vertiefung des Gelernten im Anschluss an den Unterricht eigenständig nachholen. Argument (3) transportiert ein rückständiges Bild von Unterrichtsdisziplin, die wie im 19. Jahrhundert darin besteht, dass die Schüler möglichst ruhig sein sollen und dabei aufmerksam der Lehrkraft zuhören. Die zentrale Schwäche dieser und ähnlicher Argumentationen liegt jedoch nicht in den Details, sondern im pauschalen Grundansatz, generell von einer Instruktion als methodischem Gesamtrahmen auszugehen. KUHN bemängelt angesichts bestimmter, angeblich wissenschaftlicher Belege, welche die Wirksamkeit direkter Instruktionen bestätigen, die Anmaßung, „that their claims about how best to teach and learn are universally applicable, irrespective of what is being thought to whom or why“.458 Ein solcher „Frontalunterricht“ ist jedoch nicht abzulehnen, weil er Instruktionen beinhaltet, sondern, weil er ausschließlich auf diesen aufbaut. Wie jede Form von Methodenmonismus kann dies für die SchülerInnen weder motivierend noch effektiv sein. Umgekehrt steht fest, dass das „methodische Element Instruktion“ eine durchaus große Bedeutung im verfügbaren Spektrum besitzt. In angemessenen Situationen sind Unterrichtsgespräche bzw. Instruktionen wichtige und wertvolle, teilweise sogar unverzichtbare Interaktionsformen.459 Sie können … (a) maximale fachlich-inhaltliche Korrektheit bei hoher Systematik, Stringenz und Verbindlichkeit sichern; (b) die Lernenden an eine Lehrperson binden und ihnen damit Richtung, Sicherheit und Vorbild geben; (c) den Lernaktivitäten der SchülerInnen Lehraktivitäten gegenüberstellen und damit methodisches Gleichgewicht herstellen und (d) einen sozialen Sicherheitsraum schaffen, in welchem Gruppenprozesse relativiert bzw. temporär aufgehoben werden. 458 Kuhn, 2007, S. 109. 459 Seifried weist in einer empirischen Studie (2006) nach, dass die Vermittlung von Rechnungswesen an kaufmännischen beruflichen Schulen weitgehend lehrerzentriert stattfindet, dieser Unterricht jedoch als strukturiert und gleichermaßen interessant bewertet wird.
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Zu (a): Im Gegensatz zu den Schülern besitzt die Lehrkraft das exakte fachliche Wissen. Davon ausgehend baut sie eine klare Systematik auf und folgt dieser stringent. Ihre Aussagen sind fundiert, sicher und damit verbindlich. Dies wird gerade dann bedeutend, wenn eine schüleraktive Auseinandersetzung mit der Thematik auch bei guter methodischer Aufbereitung nicht zu einem angemessenem Verständnis führt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn besonders abstrakte oder komplexe Probleme gelöst werden müssen, wenn neue und schwierige Terminologien aufgebaut werden müssen oder auch wenn gute Lernmedien fehlen. Unabhängig davon, zu welchem Grad ein/e SchülerIn eine Instruktion verstanden hat, kann sie/er sich danach zumindest sicher sein, dass das, womit sie/er sich auseinandergesetzt hat, richtig dargestellt wurde. Evtl. Verständnisprobleme werden hier also nicht mit einer Skepsis gegenüber dem, was man selbst oder mit den Mitschülern erarbeitetet hat, verbunden, sondern ausschließlich mit der Schwierigkeit der Thematik. Zu (b): Gegenüber einem Selbst- oder Gruppenlernprozess weist eine Instruktion bzw. ein Unterrichtsgespräch eine wesentlich höhere Lehrerbindung auf. Dies soll jedoch nicht im Sinne wie vorausgehend (3) im Sinne von Disziplinierung verstanden werden, sondern vielmehr als Aspekt des Modellernens. In der Art und Weise, wie ein/e LehrerIn eine Thematik vorträgt, bespricht, aufarbeitet bzw. vormacht oder illustriert, werden die Lernenden nicht nur mit den Inhalten konfrontiert, sondern auch mit dem professionellen Umgang damit. Z.B. können in einem Schülerexperiment zwar eigenständig Erkenntnisse gewonnen werden, aber die Schüler erleben dies eher in einer situativen Unsicherheit. Dies ist generell sinnvoll und an sich wünschenswert, da nur so die individuelle, aktive Auseinandersetzung mit dem Versuch gewährleistet ist. Trotzdem fehlt die Erfahrung, wie der Versuch professionell durchgeführt wird, also welche Abfolge von Handlungen die effektivste und effizienteste ist. Wie wird eine Verkabelung vorbereitet? Wie werden generell Messgeräte in welcher Reihenfolge an welchen Messstellen angeschlossen? Wie fasst man ein bestimmtes Bauteil an? usw. Zu (c): Nicht nur aus motivationsbedingten Gründen schließen die meisten aktuellen Didaktiken Methodenmonismus aus. Ausschließlich systembezogener Unterricht muss ebenso skeptisch angesehen werden, wie ausschließlich erschließender bzw. erprobender. Schüler, die über einen längeren Zeitraum in schüleraktiven Unterrichtsformen arbeiten, äußern in empirischen Untersuchungen den Wunsch nach lehreraktivem Unterricht, ohne damit nur die oft zitierte „Berieselung“ zurückzusehnen. Vielmehr fehlt ihnen ein methodisches Gegengewicht, welches aus lernpsychologischer Perspektive wichtig erscheint. Erst die sinnvolle Kombination aus (umfassenden) SchülerInnen288
Aktivitäten und (gezielten) LehrerInnen-Aktivitäten lässt ein methodisches Gleichgewicht und damit ein Optimum erwarten. Zu lehreraktiver Unterricht geht über die lernenden Individuen hinweg, zu schüleraktiver Unterricht bleibt flächig, unscharf und wenig verbindlich. Nur durch die Kollektivierung des Lernens können sozial-kommunikative Kompetenzen vermittelt werden. Dies ist generell richtig, wobei alleine die Kollektivierung keineswegs ein Garant für soziales Lernen sein kann. Gruppenarbeit bedingt nicht selbstverständlich produktive Wirkungen, und kann sogar zu defizitären sozialen Prozessen führen. Hingegen ist ein lehrerorientierter Unterricht sozial relativ „neutral“. SchülerInnen, die Probleme mit ihrer Rolle oder ihrem Rang im Klassengefüge haben, fühlen sich in lehrerorientiertem Unterricht häufig sicherer. Angesichts des kognitionspsychologisch begründeten „Selbsterschließungsprimats“ sollte Instruktion maßvoll und dabei versiert gehandhabt werden. Die Lernenden sind es gewohnt, sich „belehren“ zu lassen, so wird ihnen der Aufwand einer eigenständigen Wissenserschließung und Wissenskonstruktion erspart. Daher hören sie gerne zu und lassen sich Dinge erklären, ohne dabei jedoch allen Einzelheiten zu folgen bzw. Aspekte, die sie nicht verstanden haben, rückzufragen. Die intrapersonale Interaktion sinkt ab und damit auch die Wirkung des Lernprozesses. WITTWER & RENKL konnten aus einer Meatanalyse empirischer Untersuchungen eine Reihe von Instruktionsfehlern zusammenfassen, wobei als zentrales Problem beschrieben wurde, dass Lehrende generell das eigene Verständnis eines Zusammenhangs zum Modell des Erklärens machen.460 Die Wirksamkeit einer Instruktion hängt daher zentral von der Diagnosefähigkeit der Lehrperson ab, da nur eine genaue Einschätzung eines Verständnisproblems eine Unterstützung für dessen Lösung ermöglichen kann. Instruktion ist somit nicht als Belehren zu verstehen, sondern als gezielte Unterstützungsinteraktion, die – wie jede pädagogische Interaktion – einen zentralen Input hat und nicht in einem einzigen Kommunikationsakt erfolgt, sondern durch die Reaktionen der Lernenden, ihre Antworten aber auch Fragen präzisiert, modifiziert und variiert wird. „There is evidence suggesting that, for example, more successful teachers possess more knowledge about typical misconceptions that students might have in a certain domain or are better able to monitor students’ understanding and adapt their goals for diverse students.“461 Hinzu kommt das generelle Verständnis von Wissen und Wissenserwerb einer Lehr460 Vgl. Wittwer, Renkl, 2008, S. 58. 461 Vgl. ebd. S. 58.
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person. Je komplexer und anspruchsvoller deren epistemologische Überzeugungen („beliefs“) sind, desto individueller und adaptiver sind ihre Erklärungsansätze. Umgekehrt neigen Lehrpersonen mit naiven „beliefs“ zu unspezifischen Belehrungen: „teachers wits naive beliefs were more likely to deliver information in a didactic manner without adressing students’ knowledge prerequisites in further detail.“462 Im Hinblick auf diese Befunde erscheint es bezeichnend, dass gerade Lehrpersonen mit naiven beliefs zu einer verstärkten Instruktionsorienteirung tendieren.463 Für Instruktionen, Vorträge, Referate, Präsentationen, Versuchsdemonstrationen etc. ist eine Fülle an Konzepten und Vorlagen in der fachdidaktischen bzw. -methodischen Literatur vorzufinden. Z.B. wird unter „scaffolding“ eine sehr spezifische Interaktionsform beschrieben, welche direkte Instruktion und indirekte Beratung bzw. Moderation integriert. Die Bezeichnung stammt aus dem Amerikanischen und bedeutet so viel wie Unterstützung oder Hilfestellung (s. auch Kap. 0, Cognitive Apprenticeship).464 DUBS beschreibt „scaffolding“ als ein verbales Lehrerverhalten, welches die Lernenden befähigt, „ein Problem zu lösen, eine Aufgabe auszuführen oder ein Ziel zu erreichen, was ohne die gezielte Hilfe einer Lehrkraft für sie nicht möglich wäre. […] Es ist der anspruchsvollste Teil im Dialog, weil die Fragen und Rückfragen, die Denkanstöße, die Hinweise und Tipps sowie die Anmerkungen der Lehrkraft (und der Mitschüler) dazu dienen müssen, das anspruchsvollere Denken von der ‚Zone der proximalen Entwicklung‘465 her anzuregen und im weiteren Unterrichtsverlauf zu fordern, damit Neues verstanden und immer selbständiger angewandt werden kann.“466 DUBS konstatiert dabei, dass sich dies jedoch als eine verbale Gratwanderung darstellt: Sind die Hinweise oder Denkanstöße zu direkt oder ausführlich, nimmt die Lehrkraft den Denkprozess vorweg, bleiben sie zu vage, kann kein lernförderlicher Dialog entstehen. Scaffolding wird also als eine „Lehrkunst“ beschrieben, für die es nur wenige methodische bzw. kommunikative Regeln gibt. Es orientiert sich an der Grundidee einer verbalen „Brückenbildung“ zwischen dem vorhandenen Wissen der Lernenden und den intendierten Lehrzielen sowie einer mehr oder weniger konkreten Abgrenzung zum traditionellen behavioristischen fragendentwickelnden Unterrichtsgespräch: 462 463 464 465 466
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Ebd., S. 59. Vgl. Seifried, Sembil, 2007 oder auch Hartinger et al., 2006. Vgl. Straka, 2001, S. 18-20. Vgl. Vygotski, 1978. Dubs, 2009, S. 138.
– Diesem gegenüber sollen keine theatralisch-perfekten Dialoge aus kleinschrittigen Frage-Antwort-Ketten geführt werden; – Antworten erfolgen nicht auf Abruf, sondern nach Denkpausen; – Fehler und Missverständnisse sollen nicht ignoriert, übergangen oder unterdrückt werden, sondern aufgegriffen und für das weitere Lernen fruchtbar gemacht werden; – Das Gespräch erfolgt nach dem Minimalprinzip, mit dem Bestreben, es möglichst schnell zu erübrigen und den Lernprozess völlig auf die Schüler zu übertragen; – Längere Gesprächssequenzen sollten vermieden werden; sinnvoll sind vielfältige, kurze Einzelinterventionen, abhängig von den Schülerhandlungen und -fortschritten; – Die Interventionen gehen von immer neuen, angepassten Ziel- bzw. Teilzielbildungen aus und besitzen anregenden, motivierenden, jedoch keinen kontrollierenden Charakter.467 Jede methodische Vorlage für Instruktions- bzw. Gesprächstechnik ist gleichzeitig auch eine Vorlage für deren Vorbereitung. Gedanken werden zusammengefasst und stichpunktartig festgehalten, Fragen werden vorformuliert, Argumentationslinien werden skizziert, erwünschte Antworten oder evtl. Rückfragen werden antizipiert usw. Zudem wird notiert, wann, wie und wo dieses Segment in den Gesamtunterricht eingepasst wird bzw. in eine Folgephase übergeht. Die Betrachtung eines Unterrichtsgesprächs im Sinne von „scaffolding“ zeigt jedoch, dass die direkte Planbarkeit von Lehrer-Schüler-Interaktionen auch schnell an ihre Grenzen stößt. Zwar können auch hier noch wichtige Kernaspekte vorbereitet werden, weite Anteile der Interaktion muss die Lehrkraft jedoch situativ regulieren. Eine missverständliche Umsetzung der hier aufgeführten komplexen Betrachtungen zur Lehrer-Schüler-Interaktion könnte darin bestehen, deren Vorbereitungen zu umfangreich zu gestalten, was sich letztlich in der Umsetzung als wenig praktikabel oder hilfreich herausstellen. Demgegenüber steht das andere Extrem, eine Interaktionsplanung völlig offen zu lassen, mit der Argumentation, dies alles situativ bzw. intuitiv durch entsprechendes Erfahrungswissen regeln zu können. Es kann jedoch nicht als Zeichen pädagogischer Professionalität erachtet werden, wenn LehrerInnen Instruktions- oder Gesprächspha467 Vgl. Dubs, 2009, S. 138.
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sen auf Basis rudimentärer Unterlagen durchführen. Gegenteilig setzen sie sich dem Verdacht aus, einen unvorbereiteten „strategischen Monolog“ zu führen, mit welchem sie versuchen, ihre Vorbereitungsdefizite zu überspielen.468 Hier zeigt sich die größte Expertise von PädagogInnen in einer einfühlsamen Planung, welche angemessene Ankerpunkte festlegt und damit den verfügbaren Interaktionsraum umrahmt und gestaltet, ohne ihn zu verstellen. Vortrag und Vorführung Wie die vorausgehenden Betrachtungen über intrapersonale Interaktion verdeutlichten, stehen ein Lehrvortrag und eine konstruktivistische Auffassung von Lernen nicht im Widerspruch. So belegen Wissenschaft und Praxis deutlich, dass hochwertig Vorträge bzw. Vorführungen bei entsprechender Qualität und angemessenem Einsatz sehr lernwirksam sein können. Dies ist z.B. der Fall, wenn Individualisierungen nicht sinnvoll oder möglich sind (z.B. zu viele Zuhörer), nur Einblicke oder ein Überblick bzgl. einer Thematik gegeben werden sollen (Randaspekte, -themen), eine hohe Effektivität bzw. Effizienz in der Darstellung erforderlich ist (Zeitdruck, Fehlen entsprechender Lern- oder Info-Materialien), schwierige Terminologien vorliegen (Fachsprache, Aussprache und Anwendung von Begriffen) oder ein wichtiger Zusammenhang zwischen der vortragenden Person und den Inhalten besteht (affektive und emotionale Aspekte). Gemäß diesen Grundintentionen lassen sich verschiedene Vortragsformen unterscheiden bzw. gegenüberstellen: Der inhaltsorientierte Vortrag intendiert eine effiziente Vermittlung von Inhalten mit geringem Schwierigkeitsgrad und untergeordneter Bedeutung. Im Zentrum des Vortrags stehen strukturelle, quantitative und inhaltliche Überblicke. Der Aufbau ist sachlogisch und flächig. Die Vermittlung erfolgt möglichst klar, direkt, darstellend und zusammenfassend. Der erklärungsorientierte Vortrag intendiert eine effektive Vermittlung von wichtigen Inhalten mit höherem Schwierigkeitsgrad. Im Zentrum des Vortrags steht ein möglichst genaues Erklären, evtl. mit Einzelfällen oder Beispielen. Der Aufbau ist sachlogisch und punktuell. Die Vermittlung erfolgt möglichst analytisch und antizipiert einen optimalen gedanklichen Nachvollzug. Der sprachlich akzentuierte Vortrag intendiert eine effektive Vermittlung sprachlicher Inhalte und Terminologien. Im Zentrum des Vortrags stehen hier eine Fachsprache und deren Anwendung. Der Aufbau ist sachlogisch und fachsystematisch, gegebenenfalls etymologisch. Die Vermittlung erfolgt sprachlich klar und akzentuiert in 468 Vgl. Terhart, 2000, S. 45.
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einem Zusammenhang zwischen Begriffen und Inhalten. Der affektiv akzentuierte Vortrag intendiert eine Verbindung von Inhalten und Werten bzw. Gefühlen. Im Zentrum des Vortrags stehen spezifische Inhalte, welche eine affektive bzw. emotionale Hinterlegung erfordern. Der Aufbau ist dramaturgisch. Die Vermittlung erfolgt engagiert unter Anwendung rhetorischer Mittel. Im berufsschulischen Kontext ist den beiden ersten Varianten die größte Bedeutung beizumessen. Sprachlich und affektiv akzentuierte Vorträge erfordern nicht nur entsprechende Lehrziele, sondern auch spezifische Kompetenzen bei den Vortragenden. Die Vorbereitung eines Vortrags bezieht sich auf drei Bereiche: Den Vortragstext (1), eine unterstützende Präsentation (2) und Unterlagen für die SchülerInnen (3). Tabelle 9: Gegenüberstellung verschiedener Vortragsformen Vortrag
Schwerpunkt
Inhalte
Aufbau
Stil
inhaltsorientiert
erklärungsorientiert
sprachlich akzentuiert
affektiv akzentuiert
Viel Inhalt/ Zeit
Möglichst genaues Erklären
Aussprache und Bedeutung der Begriffe
Verbindung von Inhalten und Gefühlen
Überblicke, Strukturen, Quantitäten
Qualitäten, Einzelfälle, Beispiele, …
Quantitäten, Qualitäten, Fachsprache
Spezifische Inhalte
logisch, Fachsystematisch, flächig
logisch, Fachsystematisch, punktuell
Logisch, Fachsystematisch, etymologisch
Dramaturgisch
Klar, zusammenfassend, darstellend
gedanklicher Nachvollzug, analytisch
Zusammenhang zwischen Begriffen und Inhalten
Verwendung rhetorischer Mittel
Zu (1): Fachliche Vorträge werden nach gängigen Strukturvorgaben zusammengestellt (z.B. Motivierung, Einleitung, Hinführung etc./ Hauptteil(e), 293
Schwerpunkt(e) etc./Zusammenfassung, Abschluss etc.). Dies erfolgt überwiegend in Stichpunkten, Argumentationsskizzen etc., selten in verbaler Ausformulierung. Die Inhaltsauswahl und Schwerpunktsetzung erfolgt gemäß der Vortragsintention (inhalts- oder erklärungsorientiert) und sollte sich darauf möglichst beschränken. Zehn Minuten Vortragszeit sollten in der Schule nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Zu (2): Ein moderner Vortrag nutzt die verfügbaren Präsentationsmedien produktiv. D.h. es sollte generell versucht werden, den Vortrag visuell zu unterstützen, dies jedoch nicht nach dem Maximal-Prinzip, sondern in einer einschlägigen und angemessenen Weise. Ferner sind hier eine Reihe mediendidaktischer Überlegungen einzubeziehen, deren Erläuterung diesen Rahmen sprengen würde. Generell gilt dabei, dass ein schlecht strukturierter Vortrag auch durch die avanciertesten visuellen Effekte nicht besser werden wird, dass die Präsentation das Gesagte unterstützen, hinterlegen, betonen, nicht aber ersetzen kann469, dass Grafiken, Diagramme oder Bilder gegenüber Texten zu bevorzugen sind, dass ein Mittelweg zwischen „zu viel“ und „zu wenig“ gefunden werden und mit bunten und bewegten Elementen vorsichtig und gezielt umgegangen werden sollte. Zu (3): Schulische Vorträge erfordern generell eine Bereitstellung von Schülerunterlagen. Dies begründet sich zum Einen in der hohen Menge und Dichte der herangetragenen Informationen, zum Anderen in der Gefahr einer mangelnden intrapersonalen Interaktion. Im Gegensatz zur Selbsterarbeitung bleibt im Vortrag keine Zeit für die SchülerInnen, sich eigene Unterlagen anzulegen. Sie müssen mit allen Informationen des Vortrags versorgt werden, um sich darin dann entsprechende Anmerkungen und Notizen machen zu können. Motorische und kommunikative Passivität der SchülerInnen während eines Vortrags birgt immer die Gefahr eines „Ausblendens“ oder „Abschaltens“. Durch entsprechende Unterlagen können, neben der Dokumentation, auch Aktivierungsimpulse gesetzt werden, welche die SchülerInnen zu einer intensivierten Auseinandersetzung mit dem Vortrag führen. Über diesen Weg kann auch die Fähigkeit geschult werden, Vorträgen zu folgen und deren Aussagen zu erfassen und zu dokumentieren. Nicht nur ein späterer Zugang in höhere Bildungsbereiche setzt bei angehenden FacharbeiterInnen die Fähigkeit voraus, aus Vorträgen zu lernen. In der immer bedeutender werdenden beruflichen Weiterbildung sowie im computerunterstützten Lernen bzw. Fernlernen ist solchen Kompetenzen eine große Bedeutung beizumessen. D.h. allerdings nicht, dass beruflicher Unterricht 469 Rednertext = Präsentationstext in Powerpoint-Charts.
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sich nun verstärkt dem Vortrag zuwenden sollte, sondern soll vielmehr zeigen, dass auch diese didaktische Form ein spezifisches, nicht unbedeutendes Wirkungsspektrum aufweist und sehr produktiv eingesetzt werden kann. Hingegen soll die Vorführung hier nur kurz als eine Sonderform des erklärungsorientierten Vortrags angesprochen werden. Für sie gelten grundlegend alle diesbezüglich vorausgehend getroffenen Feststellungen, wobei der Präsentationskomponente noch einmal eine zusätzliche Bedeutung beizumessen ist. In der Vorführung wird versucht, eine aktive, besonders enge Verbindung zwischen Vortrag und Medium herzustellen. Somit besteht zwischen Vortrag und Vorführung ein fließender Übergang. Je mehr der Vortrag mit der Präsentation interagiert, desto mehr wird er zur Vorführung.470 Eine Vorführung bedingt in jedem Falle entsprechende Gegenstände, Einrichtungen oder Medien und intendiert eine ursächliche, fundierte aber auch authentische, realistische Herleitung bzw. Entwicklung von Zusammenhängen. Der/die Vortragende muss sich immer bewusst sein, hier als dezidiertes persönliches, praktisches und terminologisches Modell zu wirken. Gelingt dies, können die inhaltlichen und verständnisbezogenen Zielperspektiven des einfachen Vortrags um die „Komponente Handlung“ erweitert werden. Aus idealistischdidaktischer Perspektive sollte somit ein erklärungsorientierter Vortrag immer so weit wie möglich als Vorführung geplant werden.
6.5 Methodische Ausgestaltung471 Die bisherigen Überlegungen zur Unterrichtsvorbereitung beziehen sich zentral auf die Vermittlung fachlich-methodischer Kompetenzen, die damit zusammenhängende Grundstruktur und die Hauptkomponenten Lernprodukte, Medien, Materialien und Interaktionsplanung. Nach Festlegung dieser Kernaspekte folgt die methodische Ausgestaltung, in welcher die Umsetzung der didaktisch-methodischen Orientierungskonzepte weitergeführt wird. Unter Einbezug der jeweiligen lehrer-, schüler- und rahmenbezogenen Spezifika entsteht so letztlich die Lernumgebung. Dabei wurde allerdings bislang ein bedeutsamer Aspekt noch nicht berücksichtigt. So wurden den Überlegungen zur Vermittlung sozial-kommunikativer und personaler Kompetenzen festgestellt, dass diese in hohem Maße habituell erfolgt, ohne jedoch kognitive Aspekte völlig auszuklammern. Im 470 Z.B. wird in einem Vortrag eine kurze Animationssequenz sehr genau und detailliert kommentiert oder ein physikalischer Versuch wird vor Ort ausgeführt, beschrieben, erklärt, … 471 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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Zentrum des Kompetenzerwerbs steht dabei weniger das explizite Wissen, als vielmehr die Verknüpfung von expliziten und impliziten Wissens mit emotionalen und affektiven Komponenten. Dies führte zur planerischen Schlussfolgerung, dass dieses Kompetenzspektrum nicht in expliziten Lerneinheiten vermittelt werden kann, sondern durch ein übergreifendes Methodenkonzept, welches von einzelnen wissensbezogenen Schwerpunkteinheiten flankiert wird.472 Da – je nach Beruf und Ausbildungsjahr – verschiedene und durchaus unterschiedlich gewichtete Lernziele vorliegen können, beschränkt sich dieses Lehrbuch beispielartig auf drei Schwerpunktthemen: Kommunikation in Gruppen, Leistungsmotivation und Lernstrategien. Alle drei Themen sind für die aktuellen technischen Ausbildungsberufe von besonderer Bedeutung, das erste ist ein Teilausschnitt der sozial-kommunikativen Kompetenzen, das zweite und dritte Teilausschnitte der personalen Kompetenzen. Es kann hier aus Platzgründen kein vollständiger und in sich geschlossener Ansatz für die methodische Einbettung dieser Aspekte dargestellt werden. Entscheidend ist hier, dass jene Kompetenzen, bei deren Vermittlung weniger das explizite Wissen im Zentrum steht, nicht völlig informell und implizit gehandhabt werden, dass dabei trotzdem auch inhaltliches Wissen und Prozesswissen aufgebaut wird und dass sich die Lernenden dieser Entwicklungsprozesse bewusst sind, um darauf bezogen eigenständige Reflexionsprozesse aufbauen und für ein lebenslanges Lernen vorbereiten zu können. Ausgangspunkt für die folgenden drei methodischen Skizzen ist die Perspektivenplanung, in der die nicht fachlich-methodischen Kompetenzen präzisiert und konkretisiert sind. Kommunikation in Gruppen Perspektivenplanung: SKK, Industriemechaniker 1. AJ Performanz Die Lernenden sind in der Lage, bei der Bearbeitung von Arbeitsaufgaben angemessen und produktiv zu kommunizieren
Bezugswissen Grundlagen der Kommunikation, Kommunikationsregeln, Kommunikationsstörungen
etc. 472 Diese Einheiten dienen der Vermittlung von Wissen und der Einsicht in soziale, kommunikative, motivationale und emotionale Zusammenhänge.
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Um die hier umrissene Performanz zu realisieren, müssen generell Sozialformen wie Partner- und Gruppenarbeit regelmäßig im Unterricht eingeplant werden473. Im 1. Ausbildungsjahr wird dabei generell von einem niedrigen sozial-kommunikativen Entwicklungsstand der Lernenden ausgegangen474. Daher sollte die Komplexität der Sozialformen im Zuge eines Schuljahres (nur) langsam gesteigert werden. Am Anfang sollte überwiegend Partnerarbeit stattfinden, die nach und nach mit Kleingruppenarbeit ergänzt werden kann. Diese informelle Basis für sozial-kommunikative Prozesse ist durch formelle Interventionen zu ergänzen. Hier gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, z.B. können kleine Kommunikationstrainings durchgeführt werden. Entscheidend ist dabei, dass die Lernenden kommunikative Aufmerksamkeit und Reflexivität entwickeln. Sie lernen einfache Kommunikationsregeln, indem sie selbst überlegen, was für sie in der Kommunikation wichtig und notwendig bzw. unangenehm und störend ist. Daraus entwickeln die Lernenden ein lebendiges Regelwerk, das sie auch modifizieren und weiterentwickeln können. Beispiel: – In vollständigen Sätzen reden! – Laut und deutlich sprechen! – Kurz und präzise argumentieren! – Beim Thema bleiben, die Frage beachten! – Meinungen bzw. Behauptungen begründen! – Gut zuhören, wenn andere reden! – Auf Vorredner Bezug nehmen! – Beim Reden die Mitschüler anschauen! – Das Wort an Mitschüler weitergeben! – Niemanden auslachen oder herabsetzen! – Nebengespräche bzw. Störungen vermeiden! Wenn Kommunikationsregeln bekannt sind und umgesetzt werden, wird kommunikationsbezogene Reflexion bedeutsam. Diese „Kommunikation über Kommunikation“ wird als Metakommunikation bezeichnet.475 Die beteiligten 473 Das schließt Phasen der Einzelarbeit nicht aus, gegenteilig werden durch diese nicht nur eigenständige Lernziele erreicht, sondern auch Akzente zu den kollektiven Arbeitsformen gesetzt. 474 Das kann in Ausnahmefällen sicher relativiert werden. 475 Begriffliche Ursprünge beim Gestaltpsychologen Wolfgang Metzger.
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Individuen unterbrechen eine Kommunikationssituation bzw. verlassen diese, um die Kommunikation selbst zum (retrospektiven) Gegenstand ihrer nun folgenden Kommunikation zu machen. Die fachlichen Themen verlieren (zunächst) an Bedeutung, die Sachebene wird verlassen. Zentrale Bestandteile der Metakommunikation sind z.B. Struktur, Aufbau, Dramaturgie, Verlauf und Authentizität der Lernkommunikation. An dieser Stelle kann eine gezielte Wissensvermittlung stattfinden, die jedoch nicht übertrieben werden sollte. Als Grundlagen der Kommunikation sollten die Lernenden das „Sender-Empfänger-Modell“ und das Vier-BotschaftenKonzept von SCHULZ von THUN kennen lernen.476 Damit wird nicht nur ihr Wissen erweitert, sondern auch ihre Reflexionsfähigkeit in den Phasen der Metakommunikation gefördert. Ein ambitioniertes Konzept könnte später – speziell wenn Konfliktfälle auftreten – auch den „Ansatz der Ich-Botschaften“ von GORDON477 mit einbeziehen. Z.B.:478 1. Äußern Sie direkt Ihre Gefühle und Bedürfnisse: a) Akzeptieren Sie Ihre eigenen Gefühle so, wie sie sind. b) Drücken Sie Ihre Gefühle direkt aus. c) Äußern Sie Ihre Gefühle Ich-bezogen. d) Nennen Sie als konkrete Auslöser für Ihre Gefühle Situationen und Verhaltensweisen. e) Vermeiden Sie Verallgemeinerungen. f) Formulieren Sie Ihre Gefühle ohne Anklage oder Werturteil. 2. Helfen Sie Ihrem Partner, seine Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken: a) Akzeptieren Sie, dass Ihr Partner Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche hat, die nicht mit Ihren Vorstellungen übereinstimmen. b) Teilen Sie Ihrem Partner mit, dass Sie Ihn verstanden haben: Die sofortige Äußerung der eigenen Meinung zu dem Problem zurückhalten. c) Versuchen Sie, sich in den Gesprächspartner hineinzuversetzen, in seine Gefühlswelt und ihm mitzuteilen, dass man versucht, ihn zu verstehen. Nachfragen, ob man den Gesprächspartner richtig verstanden hat. d) Teilen Sie Ihrem Partner die Gefühle mit, die sein Wunsch in Ihnen auslöst. 476 Vgl. Schulz, Thun, 1994, S. 17. 477 Vgl. Gordon, 1989, S. 34f. 478 Nachfolgender Abschnitt vgl. ebd,
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3. Machen Sie ihm Vorschläge, unter welchen Bedingungen Sie die Wünsche Ihres Partners erfüllen können. 4. Äußern Sie Ihre konkreten Wünsche: a) Teilen Sie Ihre Wünsche ausdrücklich mit, auch Dinge, die Ihnen unangenehm, aber sehr wichtig sind. b) Formulieren Sie Ihre Wünsche als Wünsche, nicht als Forderung, Kritik oder Drohung. c) Formulieren Sie Ihre Wünsche, ganz konkret unter Angabe quantitativer und situativer Bedingungen. d) Formulieren Sie Ihre Wünsche zukunftsbezogen. e) Verdeutlichen Sie Ihrem Partner, wie wichtig ein Wunsch für Sie ist. f) Erklären Sie Ihrem Partner, welche Gefühle und Hintergrundbedürfnisse mit Ihrem Wunsche zusammenhängen. 5. Erörtern Sie mehrere Lösungsmöglichkeiten. 6. Legen Sie ganz genau fest, wie der Konflikt gelöst werden soll. Die Umsetzung derartiger Kommunikationskonzepte stellt sich aufwändig dar und erfordert mindestens zwei bis drei Unterrichtseinheiten. Dieser Aufwand kann sich aber in Form einer besseren und angenehmeren Kommunikation bzw. einer Reduzierung von Konflikten bezahlt machen. Die Lernenden führen komplexe Metakommunikation in einer kognitiv-emotionalen Überschneidungszone durch. Dabei setzen sie sich nicht nur sehr intensiv mit den dabei stattfindenden Kommunikationsformen und -wegen auseinander, sondern auch mit deren Folgen in eigener emotionaler Betroffenheit. Langfristig zeigt diese Methode sehr förderliche Wirkungen auf den Lehrer-Schüler- bzw. Schüler-Schüler-Umgang im Unterricht.479 Wie bereits im Zusammenhang mit dem Orientierungskonzept der Kollektivierung erörtert wurde, wird der sozial-kommunikative Entwicklungsbereich gerne unterschätzt bzw. auf simple Zusammenhänge verkürzt. Dies geschieht zum Einen deshalb, weil häufig zu wenig Wissen über die komplexen und vielfältigen Zusammenhänge sozial-kommunikativer Kompetenzen vorliegt. Zum Anderen, weil auch die Lehrpersonen in ihrem Professionalisierungsprozess selten eine diesbezüglich angemessene Kompetenz-Unterstützung erfahren haben. Daher sollten die kritischen Hinweise, welche mit dem Orientierungskonzept der Kollektivierung getroffen wurden, hier insbesondere be479 Empirisch nachgewiesen z.B. in Sauter, 2007.
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rücksichtigt werden (weitere Erläuterungen über die Spezifika dieser Thematik in Kap. 5.3.7). Leistungsmotivation Perspektivenplanung: PK, Industriemechaniker 1. AJ Performanz Das Lernen und Handeln der Lernenden wird von Leistungsmotivation bestimmt, sie haben einen hohen Anspruch an die eigene Arbeit
Bezugswissen Begriff und Bedeutung der Leistungsmotivation, Erfolgssuche und Misserfolgsvermeidung
etc.
Um die hier umrissene Performanz zu realisieren, müssen generell und häufig Situationen inszeniert werden, in welchen die Lernenden Leistung erbringen können. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dies personenspezifisch, mit moderatem Druck und unter angemessener Betreuung erfolgen sollte: Wenn Aufgaben gestellt werden, sollte deren Schwierigkeitsspektrum so angelegt sein, dass die Mehrzahl der Lernenden darin ihren persönlichen „mittleren Schwierigkeitsgrad“ innerhalb einer angemessenen Auswahl vorfinden können.480 Die Aufgaben sollten „leistungsattraktiv“ sein, also auf Themen und Zusammenhänge bezogen, die für die Lernenden leistungsrelevant sind. Dazu gehört alles unmittelbar berufliche, aber auch Problemstellungen, die dazu hinführen, oder darüber hinaus gehen. Phantasie-Aufgaben oder weit hergeholte Themen sind hier ebenso irrelevant wie Spiele. Förderlich ist dabei eine moderate Erfolgs-Verstärkung bzw. MisserfolgsBemängelung.481 Zusätzliche Anreize oder Strafen wirken sich eher kontraproduktiv aus.482 Betreuung sollte generell auf Anfrage erfolgen um gezielte Hilfestellung zu leisten. Zudem sollten jene Lernenden identifiziert werden, die keine Leistungsmotivation aufbauen. Im gemeinsamen Arbeiten und Problemlösen kann eine Lehrperson mit diesen Lernenden bilateral oder in Kleingruppen Motivationsdefizite aufarbeiten. Entscheidend ist dabei, dass sich die 480 D.h. einen Schwierigkeitsgrad, der für sie herausfordernd, aber noch lösbar ist 481 Dies wird häufig schon alleine durch die Klärung/Richtigstellung der Lösung ausgelöst. 482 Strafe führt leicht in Misserfolgsvermeidung. Es wurde zudem vielfältig nachgewiesen, dass externale Anreize intrinsische Motive korrumpieren, d.h. dass das tatsächliche Interesse an einem Erfolg sinkt, wenn für dessen Erreichen eine Belohnung angekündigt wird.
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Lernenden an Leistungssituationen gewöhnen und diese nach und nach nicht mehr als unangenehm empfinden. Aus solchen Erfahrungen heraus kann mit allen Lernenden die Bedeutung von Leistungsmotivation erschlossen werden.483 Zum Jahresbeginn und zum Halbjahr können die Lernenden einen Leistungsmotivationstest absolvieren und damit klären, „wo sie individuell stehen“. In Gruppengesprächen können die Ergebnisse gemeinsam diskutiert werden. Dabei erhalten die Lernenden nicht nur eine Rückmeldung über ihren Motivationsstand, sondern auch über den der anderen Lernenden. Für Lernende, die sich hier nicht entwickeln, sollten Beratungsmöglichkeiten bereit gehalten werden, da dies ihre Ausbildung bzw. ihre spätere Berufstätigkeit gefährden kann. Lernstrategien Nach KAISER & KAISER484 müssen Lernstrategien generell explizit, d.h. also offen und im Bewusstsein der Lernenden und immer im Zusammenhang mit einem problembasierten Erwerb fachlichen Wissens vermittelt werden. Dies zieht eine Reihe von Konsequenzen nach sich:485 – „Die verschiedenen Strategien müssen überhaupt erst einmal in ihrer jeweiligen Eigenart bekannt sein. – Sie sollen dann von den Lernenden selbst auf ihre Effizienz hin beurteilt werden. – Neben der Verwendung von Strategien ist auch die Kontrolle des Zugriffs einzubeziehen. Von daher müssen auch Überwachungsstrategien vermittelt werden, etwa die explizite Prüfung, ob alle vorhandenen Informationen genutzt sind, ob die Ergebnisse Sinn machen, welche Alternativlösungen bestünden, aus welchen Gründen sie nicht weiter verfolgt werden. – Da eine Aufgabe immer mit dem Einsatz affiner Strategien angegangen werden sollte, muss spezifisches Strategiewissen in breitem Umfang vermittelt werden. Es ist einsichtig zu machen, wie die selbe Strategie bei unterschiedlichen Problemlagen anwendbar ist, wo die Grenzen einer spezifischen Strategie liegen, auf welche anderen spezifischen Strategien bei gegebener Problemlage zurückzugreifen ist.“
483 Sowohl für die Qualität ihrer Arbeit, aber auch deren Wahrnehmung, Erleben und Bewertung. 484 Vgl. Kaiser, Kaiser, 1999, S. 125ff. 485 Nachfolgend vgl. Kaiser, Kaiser, 1999, S. 125.
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Perspektivenplanung: PK, Industriemechaniker 1. AJ Performanz Die Lernenden verfügen über die Lernstrategie des Elaborierens und sind sich bzgl. der Nutzung ihrer Lernstrategien bewusst
Bezugswissen Allgemeine Lernstrategien, Bedeutung von Elaboration beim Lernen
etc.
Um die hier umrissene Performanz zu realisieren, muss vielfältig und facettenreich das Lernen thematisiert werden. D.h. zunächst, dass explizite Lernsituationen innerhalb der Unterrichtszeit stattfinden müssen. Daraufhin können metakognitive Auseinandersetzungen situativ erfolgen („erkläre bitte, wie Du hier die Lösung gefunden hast“) oder retrospektiv („wie hast Du Dir die Zusammenhänge hier eingeprägt?“). In der ersten Form wird der Unterricht kaum unterbrochen, in der zweiten Form deutlich. Ausgehend von einem Kognitionsbegriff, der alle geistig-mentalen Vorgänge zusammenfasst, bezeichnet die sog. „Metakognition“486 die Auseinandersetzung mit den eigenen kognitiven Prozessen. Das Resultat von Metakognition ist primär ein „Wissen über das eigene Wissen“.487 Metakognition präzisiert ferner den Begriff der „Selbstreflexion“. Für selbstregulatives Lernen ist sie eine notwendige Bedingung, da dieses nur dann erfolgen kann, wenn die Lernenden „Bewusstheit“ bzgl. ihrer Lernprozesse aufbauen. Ging FLAVEL im Jahre 1976488 noch von nur zwei Hauptkomponenten aus, dem „Wissen über eigene kognitive Funktionen, Produkte und Ziele“ und der Kontrolle der eigenen kognitiven Aktivitäten, konstatierte HASSELHORN 1992489 ein komplexes integratives Klassifikationsschema, welches Metakognition übergreifend in systematisches und epistemisches Wissen aufteilt.490 Metakognitive Fähigkeiten sind Grundvoraussetzung für einen Lerntransfer, kennzeichnen „gute 486 Ursprünglich aus dem Amerikanischen: metacognition by John H. Flanell, Stanford-University, Henry M. Wellman Universität of Michigan, Ende der 1970er-Jahre. 487 Damit einher gehen unbedingt auch emotionale und affektive Prozesse, die hier jedoch unberücksichtigt bleiben. 488 Vgl. Flavel, 1976, S. 82f. 489 Vgl. Hasselhorn, 1992, S. 35f. 490 „Systemisches Wissen“ beinhaltet Funktionsgesetze, Einflussfaktoren, Stärken und Schwächen der eigenen Kognition, „epistemisches Wissen“ beinhaltet eigenes Wissen und seine Lücken, Wissenserwerb, Verwendung von Wissen, aktuelle kognitive Verfassung und Lernbereitschaft.
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Schüler“ und sind nachweislich Prädiktor für die schulische Leistung.491.Schüler, welche über metakognitive Fähigkeiten verfügen, stellen sich bei der Lösung von Aufgaben u.a. folgende Fragen: – Was weiß ich über dieses Thema […]? – Wie viel Zeit brauche ich, um diesen Zusammenhang zu lernen? – Gibt es einen guten Plan, nach dem ich diese Aufgabe bewältigen kann? – Wie kann/soll ich die Ergebnisse meiner Anstrengungen voraussagen bzw. abschätzen? – Wie soll ich meine Vorgehensweise ändern? – Wie entdecke ich einen Fehler, falls ich einen mache? Unabhängig davon, ob man dies nun auf den Lernzusammenhang eingegrenzt als ein „Lernen des Lernens“ identifiziert oder darin den Weg vom Novizen zum Experten492 sieht, steht fest, dass sich derartige Kognitionen in ihrer Entwicklung durch entsprechende Reflexion erheblich fördern lassen.493 Metakognition erfolgt im Reflektieren über Wissen, Wissenserwerb und Lösungsprozesse, wobei hier besonderes Interesse bzgl. der Vorgänge der Informationsgewinnung, -selektion und -aufarbeitung, dem Einsatz von Erfahrung und Logik, der Entstehung und Umsetzung von Lösungsideen sowie Überlegungen hinsichtlich der Umsetzung und Anwendung neuen Wissens besteht. Durch Metakognition ist eine zusätzliche, indirekte Förderung von Fach- und Methodenkompetenz zu erwarten. Der unmittelbare Lernprozess verliert seine Eindimensionalität, er wird transparent und variabel und seine Ergebnisse in Form von Wissen bzw. angebahnten Fachkompetenzen werden relativiert und durch Meta-Wissen (Methodenkompetenzen) bereichert. Unabhängig davon, ob zunächst das Bewusstsein über die eigenen Defizite zu einer Ernüchterung führt oder sich nach und nach Sicherheit durch ein wachsendes Bewusstsein über das eigene Wissen einstellt, kann Metakognition generell das Selbstbild
491 Vgl. Schneider, 1985, S. 111f. Der (nicht sehr hohe) Korrelationswert (r = .41) erklärt sich dabei aus der Feststellung, dass Metakognition erst dann wirksam werden kann, wenn schul. Leistung überhaupt im Zusammenhang mit selbständigen Lernprozessen steht. Zudem entwickelt sie ihre stärkste Wirkung bei Aufgaben mittleren Schwierigkeitsgrades. 492 Die sog. „Experten-Novizen-Forschung“ versucht, aus dem Vergleich zwischen Individuen, welche einen komplexen Heurismus beherrschen und jenen, welche diesen erst erlernen, Aufschlüsse über die dabei stattfindenden Lernvorgänge und den Heurismus selbst zu gewinnen. 493 Vgl. z.B. die Studie von Palincsar, Brown, 1981.
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fördern, indem sie dieses zunächst klärt.494 Damit sind ihr auch sekundäre Wirkungen hinsichtlich der Förderung von Personalkompetenzen zuzuschreiben. Metakognition ist für den Einzelnen dann sinnvoll und ertragreich, wenn er dabei nicht bewertet oder gar bemängelt wird. Eine Gruppe profitiert dann von einer gemeinsamen metakognitiven Reflexion, wenn die Einzelnen individuell beschreiben oder berichten und so die Erfahrungen aller eingebracht und denen der anderen gegenüber gestellt werden können. Je vielfältiger die Lernsituationen und -zusammenhänge, aus denen heraus Metakognition stattfindet, desto ertragreicher können deren Ergebnisse bei den einzelnen Lernenden sein. Im Rahmen der metakognitiven Auseinandersetzung sollten die Lernenden auch erfahren, was Lernstrategien sind, welche es gibt, wie sie sich voneinander unterscheiden und worin deren Stärken und Schwächen bestehen. Insbesondere das „Elaborieren“ sollte als die zu bevorzugende Lernstrategie hervorgehoben werden, da sie Verständnis fordert und fördert und damit sehr eng mit dem Aufbau fachlich-methodischer Kompetenzen an Stelle trägen Wissens korrespondiert. Um dies in die Praxis umzusetzen, schlagen KAISER & KAISER u.a. das CoRT-Programm von DE BONO495 vor, das Verfahren des Lauten Denkens und die Selbstbefragungstechnik. Das CoRT496-Programm wurde von De Bono bereits 1976 entwickelt und stellt sich gegenwärtig als weiterentwickelter, aktueller und sehr umfassender Ansatz dar, Wissen über kognitive Strategien und Fähigkeiten zur Steuerung und Kontrolle kognitiver Prozesse zu erwerben. Die sog. „TEC497-Sequenzen“ entsprechen einem konsequent reflektierten Problemlösungsprozess: „Target (Schwerpunkt setzen): Target bezeichnet den ersten Schritt im Denkprozess, in dem die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Thema gelegt und der Schwerpunkt des Denkens bestimmt wird. Die Erschließung und Unterteilung des Themas erfolgt zunächst durch Setzung drei unterschiedlicher Schwerpunktarten,“498 einen generellen Schwerpunkt, mehrere spezifische
494 Dies gilt nicht, wenn (wie vorausgehend erörtert) die SchülerInnen auf Grund von störenden bzw. hinderlichen Emotionen Abwehrhaltungen einnehmen oder Blockaden aufbauen. 495 Vgl. De Bono, 1987. 496 „Cognitive Research Trust“. 497 „Target – Expand – Contract“. 498 Kaiser, Kaiser, 1987, S. 127.
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Schwerpunkte und diesbezügliche Sub-Schwerpunkte. Dies führt zu einer expliziten Aufgliederung des Problems in das Gerüst einer Mindmap. „Expand (Ausweiten): Die im ersten Schritt festgelegten Sub-Schwerpunkte sind nun mit Informationen anzureichern. Dies erfolgt auf drei verschiedenen Wegen, durch Ausweitung in der Tiefe und Breite sowie über das Aufstellen von Alternativen.“499 Dabei sollen die Lernenden das Thema analysieren, unterteilen und beschreiben (Tiefe), dessen Umfeld und Kontext erschließen, Assoziationen zum Thema suchen und dessen Konsequenzen aufzeigen (Breite) sowie versuchen, das Thema bzw. die damit zusammenhängenden Konsequenzen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten (Alternativen). „Contract (Zentrieren): Die Zentrierung beinhaltet mehrere Vorgänge:“500 Die ermittelten Fakten werden dabei verdichtet bzw. vereinfacht (Zusammenfassen), zusammengeführt, synchronisiert (Verbinden/Kombinieren) und hinsichtlich ihres spezifischen Nutzens ausgewählt und priorisiert (Auswählen). Dann soll das Ergebnis aufgezeigt werden.501 Der metakognitive Anspruch des CoRT-Programms besteht überwiegend in der Explikation einer Herangehensweise auf Lern-Problemstellungen. An keiner Stelle werden die Lernenden direkt mit Metakognition konfrontiert. Durch die Umsetzung der vorgegebenen Systematik wird eine derartige Auseinandersetzung eingeleitet, ohne aber dabei von der eigentlichen Problemlösung abzulenken. D.h., dass die SchülerInnen einen für sie erkennbar strukturierten Problemlösungsprozess durchlaufen und damit nicht nur Hilfestellung in der eigentlichen Problemlösung erhalten, sondern darüber hinaus diese Strategie verinnerlichen und mit jedem weiteren Durchlaufen ausweiten und vertiefen können. Treten beispielsweise in einem Handlungslernprozess Schwierigkeiten auf, beginnen die SchülerInnen keine allgemeine Problemsuche, sondern können einzelne Arbeitsschritte kritisch reflektieren und evtl. nochmals durchlaufen. Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass dieses Verfahren nur im Zusammenhang umfangreicher Problemstellungen effektiv und effizient ist. Zudem erfordert es ein nicht unbeträchtliches sprachliches und kognitives Ausgangsniveau der Lernenden. „Lautes Denken“ stellt sich gegenüber dem vorausgehenden Ansatz als Verfahren zur expliziten Vermittlung metakognitiver Strategien dar, indem Vorgänge, welche eigentlich intern im Menschen ablaufen, expliziert und ausgesprochen werden. Dabei verbalisiert entweder ein Experte seine kognitiven 499 Ebd. 500 Ebd., S. 128. 501 Näheres dazu in KAISER & KAISER, 1999
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Vollzüge im Umgang mit einer Aufgabe oder zwei problemlösende Individuen verbalisieren permanent ihre Gedanken und Schlüsse („Pair-ProblemSolving“). Im CoRT-Programm können Lernende die kognitiven Strukturen von Experten erschließen, beim „Lauten Denken“ können sie ihre eigenen denen von anderen Lernenden gegenüberstellen.502 Je nachdem, wie unterschiedlich das Niveau der jeweiligen Schülerpaare bzw. -gruppen ist, entspricht der Lernvorgang mehr der Experten-Situation oder mehr dem PairProblem-Solving. In beiden Fällen wird intensiv darüber kommuniziert, wie man denkt und wie man die Gedanken der/s anderen interpretiert. Im Gegensatz zum CoRT-Programm wird hier keine Struktur vorgegeben und somit die Möglichkeit eines Scheiterns am Problem bzw. eines Aufbaus dysfunktionaler kognitiver und metakognitiver Strukturen erhöht. Andererseits besteht hier die Chance, individuelle und spezifische Strukturen offen zu legen und damit erschließbar zu machen. Daher muss lautes Denken generell stärker moderiert werden. Als typisches Beispiel ist hier die verbreitete Erarbeitung von Lernund Problemlösungsstrategien im Vorfeld schülerselbsttätiger bzw. handlungsorientierter Unterrichtssequenzen zu erwähnen. In Anbetracht der Vielfalt von Ansätzen zur Vermittlung metakognitiver Kompetenzen entsprechen die hier vorgestellten Konzepte nur einem beispielartigen Ausschnitt der Thematik. Dabei sollte das CoRT-Programm zeigen, wie Lernende einen reflektierten Zugang zu einer Problemstellung finden können, das Laute Denken kann speziell die Gegenüberstellung schülerspezifischer Metakognitionen mit denen anderer (Experten oder Gleichwertige) unterstützen. Die drei hier vorgestellten Ansätze einer Vermittlung sozial-kommunikativer und personaler Kompetenzen durch methodische Anreicherung, gestützt durch kognitive Impulse, sind letztlich nur Beispiele. Sie sollen andeuten, wie eine Vermittlung überfachlicher Kompetenzen sinnvoll und angemessen in den Hauptstrang der Vermittlung fachlich-methodischer Kompetenzen eingebettet werden kann. Angesichts der Vielfalt, welche die Sammelbegriffe sozial-kommunikativer und personaler Kompetenzen subsumieren, ist jedoch zu erahnen, wie wenig letztendlich davon im Verlaufe der Ausbildungszeit dezidiert umsetzbar ist. Daher wird der im Zusammenhang mit der Perspektivenplanung getroffene Hinweis, sich hier „begründet zu fokussieren“, erneut untermauert. Welchen Schwerpunkten im Bereich der überfachlichen Kompetenzen man sich im einzelnen zuwendet, sollte sowohl individuenbezogen entschieden werden, also ausgerichtet am Stand und Bedarf der Lernenden, 502 Vgl. Kaiser, Kaiser, 1987, S. 130.
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als auch berufsbezogen, also ausgerichtet an dem, was ein jeweiliger Beruf spezifisch erfordert.
6.6 Reflexions- und Kontrollelemente503 Als letzter Aspekt der Unterrichtskonzeption werden im Folgenden Reflexions- und Kontrollelemente erörtert. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, welche Rückmeldungen für die Lehrenden bzw. Lernenden über einen zurückliegenden Lehr-Lernprozess möglich machen. Wie die terminologische Unterscheidung zwischen Reflexion und Kontrolle deutlich machen soll, liegen hier nicht nur zwei unterschiedliche Intentionen vor, sondern – diesen gemäß – generell auch unterschiedliche Elemente. Ein Selbstbewertungsbogen zeigt beispielsweise den SchülerInnen, ob bzw. wie gut sie eine Aufgabe gelöst haben, ein Test gibt der Lehrkraft Informationen über den aktuellen Leistungsstand einer Klasse. Die meisten dieser Elemente können (mit unterschiedlichen Schwerpunkten) beide Zwecke erfüllen. Eine Klassenarbeit kann der Lehrkraft den Stand der einzelnen SchülerInnen zu erkennen geben und diesen gleichermaßen eine Rückmeldung geben, ob sie etwas gelernt und inwiefern sie dieses verstanden haben. Ohne Rückmeldungen bleibt ein Lehr-Lernprozess aus lerntheoretischer (1) und interaktionstheoretischer (2) Sicht defizitär. Zu (1): Lernen erfordert aus kognitivistischer und konstruktivistischer Perspektive vielfältige Formen. Als Beispiel sei hier auf den Vorgang der Assimilation hingewiesen, in welchem eine neue Eigenschaft für ein bestehendes Konzept erkannt und zugeordnet wird. Dies ist nur dann möglich, wenn diese Zuordnung auch hinsichtlich ihrer Stimmigkeit überprüft und bestätigt werden kann, was nicht ohne eine Außenrückmeldung möglich ist. Wir lernen durch die Verarbeitung neuer Eindrücke, indem wir die von uns vorgenommenen Interpretationen überprüfen. Zu (2): Grundsätzlich erscheint ein Lehren ohne Rückmeldungen zwar möglich, kommunikationstheoretisch aber nur als wenig sinnvoll. Unabhängig davon, ob direkt (im Gespräch) oder indirekt (durch schriftliche Anweisungen), unmittelbar (im Handeln) oder mittelbar (über Medien) Einflüsse auf Lernprozesse ausgeübt werden: in jedem Falle bedingen Rückmeldungen eine permanente Anpassung in Lernprozessen. Wie vorausgehend festgestellt wurde, ist Lernen ein generell unabhängiger, individueller Prozess, auf welchen 503 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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das Lehren nur Einflüsse ausüben kann. Somit entspricht es einem Regelkreis, in welchen interveniert wird, um anschließend die damit erreichten Veränderungen zu erheben und daran die nächste Intervention auszurichten. Verließe das Lehren diesen Regelkreis, würde es sich vom Lernprozess abkoppeln.504 Die Qualität des Lehrens hängt somit mit der Qualität der darin integrierten Rückmeldungen eng zusammen. Somit steht die Bedeutung bzw. Notwendigkeit von Reflexions- bzw. Kontrollelementen außer Frage. Innerhalb geschlossener Lehr-Lernprozesse besitzen sie für die Lehrenden und Lernenden eine regulierende Funktion. Am Ende von Lernsequenzen gewinnen sie zusätzliche Bedeutung. Lehrkräfte holen sich Rückmeldung über die Wirksamkeit ihres Unterrichts ein, die SchülerInnen sollen erfahren, was sie gelernt haben bzw. gelernt haben sollten. Für beide Seiten entsteht damit eine Explikation der eingetretenen (bzw. ausgebliebenen) Entwicklung. Für beide Individuen lassen sich daraus Folgehandlungen ableiten, nämlich für LehrerInnen der Folgeunterricht (nachtragend, ergänzend oder aufbauend), für SchülerInnen die Nacharbeitung, Aufarbeitung, Übung bzw. Umsetzung bzw. Anwendung im Betrieb (inkl. Kompetenzentwicklung). Reflexions- und Kontrollelemente sind genuine Bestandteile von LehrLernprozessen, wobei sie auch weitere hier nicht zu erörternde Funktionen erfüllen, wie z.B. die Leistungsdokumentation oder auch die Einstufung und Selektion. Reflexion Die Annahme, dass ein individualisiertes, eigenverantwortliches Lernen über Aufgaben- und Problemstellungen in Kleingruppen weitgreifende Denk- und Kommunikationsvorgänge voraussetzt und damit – neben dem Erwerb von Faktenwissen – tiefer gehende Entwicklungen bei den SchülerInnen auslöst, ist berechtigt, da diesbezüglich vielfältige empirische Belege vorliegen. Die Tatsache, dass diese Anbahnung von Kompetenzen aber überwiegend implizit verläuft, führt zum (eingangs dargestellten) Reflexionsproblem, welches darin besteht, dass ein Individuum mit unbewussten Wissensbeständen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten deutlich weniger anfangen kann als mit bewussten. Es genügt nicht nur etwas Bestimmtes „in irgendeiner Form“ zu können, es ist auch 504 Dies kann auch bei einem sehr mittelbarem Lehren nicht der Fall sein: Z.B. überarbeiten Schulbuchautoren ihre Bücher regelmäßig auf Basis ihrer damit selbst gemachten Lehrerfahrungen oder diesbezüglicher kollegialer Rückmeldungen. Ein anderes Beispiel wäre Fernunterricht. Auch dessen Qualität steht und fällt mit der Erhebung seiner Wirkungen über Prüfungen und Teilnehmerbefragungen.
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erforderlich, dass man weiß, dass (warum, wann, wie gut …) und warum man etwas kann. Während der von den Schülern als situativ erlebten Tätigkeits- und Verständigungsprozesse mit vielfältigen, emotional eingefärbten Interaktionen ist es den Lernenden kaum möglich, diese explizit wahrzunehmen bzw. zu transzendieren.505 Schüleraktiver, problemlösender Unterricht in Kleingruppen beinhaltet daher im Normalfall systematische Aufbereitungs- und Zusammenfassungsphasen, in welchen die inhaltlichen Aspekte der zurückliegenden Lernsequenzen expliziert, richtig gestellt, geklärt, systematisiert und dokumentiert werden. Damit wird auch versucht, der bekannten Finalorientierung506 problemlösenden Unterrichts entgegenzuwirken. Dann erst wissen die SchülerInnen, welches Wissen sie im Zusammenhang mit welchen Aufgaben oder Tätigkeiten sie entwickelt haben. Über ihre Vorgehensweisen, Zugangswege, Interpretations- und Lösungsstrategien können sie dabei zunächst nur vage Aussagen507 treffen.508 Um die kompetenzrelevanten Verknüpfungen zwischen Wissen und Handeln weiter zu verbessern, sind ferner metakognitive Auseinandersetzungen erforderlich. Kontrolle Innerhalb der Lernerfolgskontrolle kommen sowohl qualitative als auch quantitative Erhebungsverfahren aus der empirischen Sozialforschung zur Anwendung, also mündliche und schriftliche Prüfungen, spezifiziert auf die jeweilige SchülerInnengruppe zum jeweiligen Thema.509 Auf Grund der unterrichtlichen Rahmenbedingungen können diese Methoden jedoch nur eine geringe empirische Güte510 herbeiführen. Zu kleine Kohorten, unscharfe, fragmentarische Instrumentarien, Orientierung an Mittelwerten und 505 Für diesen Aspekt gibt es eine Reihe empirischer Belege, welche nicht nur ein fehlendes Bewusstsein der SchülerInnen in handlungsorientiertem Unterricht bzgl. ihrer spezifischen Kompetenzentwicklung belegen, sondern darüber hinaus auch bzgl. ihres darin erworbenen Fachwissens (= Faktenwissen). 506 In handlungsorientiertem Unterricht wurde in empirischen Untersuchungen eine sog. „Finalorientierung“ (= Streben nach Aufgabenlösung, Abschluss, Ergebnis etc.) festgestellt. So versuchen die Lernenden häufig, eine bestimmte Aufgabe möglichst schnell, direkt etc. zu lösen, anstatt sich fundiert mit Theorien und der damit zusammenhängenden Wissensentwicklung auseinanderzusetzen. 507 Vgl. Schneider, 1989. 508 Dies hängt zunächst von deren individuellem Entwicklungsstand bzw. Intelligenz ab. Empirische Untersuchungen haben metakognitive Fähigkeiten als Prädiktor für Intelligenz identifiziert. 509 Ausführlich in spezifischer Fachliteratur und vor allem in den Fachdidaktiken. 510 Objektivität, Validität, Reliabilität.
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Wunschdurchschnitten, Halo- bzw. Pygmalion-Effek, etc. sind nur einige Schlaglichter auf die Realität schulischer Leistungsmessung. Dabei hat sich aber eine langjährige Anwendungspraxis etabliert, welche sich vor allem im Zusammenhang mit der Erhebung von (quantitativem) Faktenwissen bewährt hat. Immer dann, wenn Leistungsmessung darüber hinausgehen soll, stößt sie schnell an ihre Grenzen.511 Ein weiteres Problem besteht in der Leistungsbewertung. Da sie in Form von Noten über die Unterrichtszusammenhänge hinaus die Rolle einer gesellschaftlich akzeptierten Bezugsnorm einnimmt, wird ihr ein besonders hohes Gewicht beigemessen. Da sich die Lehrkräfte individuell sowie situativ jedoch an verschiedenen, optionalen Bezugsnormen512 orientieren, summieren sich zu den Unsicherheiten der Leistungsmessung noch jene einer unstandardisierten (und damit hochgradig varianten) Bewertung. In den zurückliegenden Jahrzehnten der curricularen Lehrpläne bezogen sich Reflexions- und Kontrollelemente überwiegend auf kognitive Lernziele. Zwar wurde immer wieder die Erhebung nicht-kognitiver Lernziele angemahnt, da diese jedoch innerhalb der Lehrpläne nur präambelartig als sog. „Leit- und Richtziele“ erschienen, geriet ihre Reflexion noch stärker in den Hintergrund, als ihre Vermittlung. Daher stellt sich aktuell im Zusammenhang mit den Lernfeld-Lehrplänen eine Kompetenzdiagnostik als besondere Herausforderung hinsichtlich der Reflexion und Kontrolle von Lernergebnissen dar. Aktueller beruflicher Unterricht muss den Anspruch erheben, dass die Lernenden in der Lage sind, das erworbene Wissen auf andere, nicht mit der Ausgangssituation identische Anwendungssituationen zu übertragen. Die darin enthaltene grundlegende Problematik eines Lerntransfers wurde im Theorieteil bereits erörtert. Um nun den Anspruch einer einfachen Performanz-Messung zu überschreiten und dabei nicht in den unscharfen Raum der Transfer-Aufgaben zu geraten, sind Reflexions- und Kontrollelemente erforderlich, die sich an dem dieser Technikdidaktik zu Grunde liegenden Kompetenzkonstrukt orientieren. D.h. es muss sich um Verfahren handeln, in wel-
511 Z.B. die Bewertung von verfassten Texten, konstruktiven, gestalterischen Leistungen oder Einstellungsveränderungen. 512 Erfolgt die Notenvergabe nach einer sachlichen Bezugsnorm, orientiert sich die Lehrkraft an Lehrzielen, -inhalten und diesbezüglich definierten Kriterien. Erfolgt die Notenvergabe nach einer sozialen Bezugsnorm, orientiert sich die Lehrkraft an dem Gesamtdurchschnitt einer Klasse oder eines Jahrgangs Erfolgt die Notenvergabe nach einer individuellen Bezugsnorm, orientiert sich die Lehrkraft an der angenommenen persönlichen Leistungsfähigkeit einzelner SchülerInnen.
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chen eine jeweilige Performanz und das damit zusammenhängende Wissen korrespondierend überprüft werden. Dies ist in vielfältiger Form denkbar: Z.B. können fiktive Aufgaben schriftlich gelöst werden, wobei die einzelnen Lösungsschritte genau zu begründen sind. Umgekehrt können fehlerhafte Lösungsprozesse beschrieben werden und die Lernenden dazu aufgefordert, den Fehler zu identifizieren, dessen ursächliche Hintergründe zu erörtern und Lösungsvorschläge zu machen. Wenn Realaufgaben gelöst werden, können diese nachbesprochen werden. Dies kann durch ein Beobachtungsprotokoll der Lehrperson, aber auch durch audiovisuelle Aufzeichnungen unterstützt werden. Solche Fachgespräche können einzeln oder in Gruppen durchgeführt werden.513
513 Näheres dazu in Buchalik, 2009.
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UNTERRICHTSDURCHFÜHRUNG Erschließungsfragen: – Was ist generell unter „pädagogischer Interaktion“ zu verstehen und welche Bedeutung hat diese in technischem beruflichen Unterricht? – Welche verschiedenen Interaktionsformen sind in technischem beruflichen Unterricht möglich und welche spezifische Funktion ist diesen beizumessen? – Was versteht man unter „sozialer Kontrolle“ und welche Mittel stehen dazu zur Verfügung? – Was versteht man unter „subjektiven Theorien von Lehrpersonen“ und welche Rolle spielen sie in der Unterrichtsdurchführung? – Wie unterscheiden sich beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen des Handelns von Lehrpersonen und welche Problematik hängt damit zusammen? – Welche Arten von Schülerfehlern können unterschieden werden und wie können diese im Unterricht produktiv umgesetzt werden? – Welche verschiedenen Erziehungsstile lassen sich generell gegenüber stellen und worin unterscheiden sich die jeweiligen Ansätze? – Welcher Erziehungsstil wird aktuell als der beste eingeschätzt und womit kann dies begründet werden? – Welche Diskrepanz kann zwischen dem intendierten Erziehungsstil von Lehrpersonen und deren tatsächlichem Erziehungsverhalten bestehen und womit kann dies begründet werden? – Warum müssen Schülergruppenarbeiten generell von Lehrpersonen moderiert werden und nach welchen Prämissen kann dies erfolgen? – Was ist unter einem „Fachgespräch“ in technischem beruflichem Unterricht zu verstehen und wie sollte es durchgeführt werden? – Welche Intention liegt einem „sozialen Monitoring“ zu Grunde und wie wird dieses in technischem beruflichem Unterricht durchgeführt?
Letztendlich ist es die Unterrichtsdurchführung, die den Unterricht für die Lernenden real werden lässt. In deren Fokus steht dann zentral die Lehrperson und ihr Verhalten. „Gute Lehrer“ sind allgemein freundlich, verbreiten eine positive Stimmung, verstärken die Lernenden, loben und motivieren, zeigen hohes Engagement auch über den Unterricht hinaus. „Schlechte Lehrer“ machen einfältigen und eintönigen Unterricht, erzeugen negative Gefühle, verbreiten Angst, sind verbal und auch physisch aggressiv.514 Die Durchführung beruflichen Unterrichts nimmt innerhalb dieses didaktischen Konzepts eine Sonderstellung ein. So wurde festgestellt, dass Unterricht 514 Vgl. Schmitz et al., 2007.
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eine institutionalisierte Form von Erziehung ist, welche sich auf einen gesellschaftlich definierten Ausschnitt von Bildung spezifiziert. Das eigentliche Erziehungsgeschehen stellt sich dabei als ein Interaktionsprozess dar, in dem sich Sinndeutungen und Handlungen des einen am Tun des anderen ausrichten. Die dabei mögliche Varianz intra- und interindividueller Interaktionen wurde theoretisch und konzeptionell bereits aufgearbeitet. Dabei wurde generell geklärt, was Interaktion ist und welche Bedeutung ihr in Lehr-Lern-Prozessen zuzuweisen ist. Auch wurde dargestellt, wie in einem lernfeldorientierten beruflichen Unterricht produktive Interaktionsprozesse geplant und vorbereitet werden können. Dieses Kapitel über die Durchführung beruflichen Unterrichts beginnt mit grundlegenden Überlegungen zur sog. „pädagogischen Interaktion“ in der Schule. Daran anschließend werden einige übergreifende Betrachtungen über sog. „Führungsstile“ im Unterricht angestellt, um dann noch spezifisch auf die Moderation von Gruppenarbeit einzugehen.
7.1 Pädagogische Interaktion515 WEIDENMANN & KRAPP identifizieren die sog. „pädagogische Interaktion“ als eine Teilmenge der sozialen Interaktionen,516 die sich in erzieherischen Situationen abspielt. Dabei lehnen sie sich an den Erziehungsbegriff von BREZINKA an: „Das zentrale Merkmal der pädagogischen Interaktion besteht darin, dass ein oder mehrere Akteur(e) auf einen oder mehrere andere Akteur(e) in Richtung auf bestimmte Ziele erzieherischen Einfluss zu nehmen versucht bzw. versuchen.“517 Interpersonale Interaktion Dabei ist davon auszugehen, dass pädagogische Interaktion zentral von den Erfahrungen, Motiven, Situationen und Intentionen der jeweiligen Akteure beeinflusst wird und sich somit eine große Spannbreite unterschiedlicher Arten und Qualitäten ergibt: KRAPP & WEIDENMMAN stellen in diesem Zusammenhang eine (1) „statisch-rigide“ einer „dynamisch-adaptiven“ Interaktion gegenüber und unterscheiden (2) „symmetrische“ und „asymmetrische“ Interaktion. 515 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 516 Vgl. Weidenmann, Krapp, 2001, S. 360. 517 Ebd., S. 361.
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Das entscheidende Unterscheidungsmerkmal in (1) ist die Einflussnahme auf den Interaktionspartner: Eine pädagogische Interaktion kann zwischen dem Versuch einer direkten, kompromisslosen Beeinflussung eines Individuums und einem offenen, dynamischen Abstimmungsprozess alle denkbaren Zwischenstufen einnehmen. In einer statisch-rigiden Interaktion wird in stets gleicher Weise Einfluss von einer Person auf die andere ausgeübt. Dynamisch-adaptive Interaktion findet für deren Beteiligte „als sich wechselseitig bedingende Ursachen und Folgen in einer Sequenz wechselseitiger Orientierungen“518 statt. Die Unterscheidung nach (2) bezieht sich auf die Rollen der Interaktionspartner, explizit auf die damit verbundenen sozialen Rangunterschiede. Symmetrie liegt vor, wenn beide Interaktionspartner in etwa den gleichen sozialen Rang wahrnehmen. Je größer jedoch das Ranggefälle, desto asymmetrischer wird die Interaktion. Statisch-rigide Interaktion wird gerne mit asymmetrischer Interaktion gleichgesetzt bzw. verknüpft und umgekehrt dynamisch-adaptive mit symmetrischer Interaktion. Diese Annahme ist ebenso plausibel wie irreleitend und würde die Konsequenz mit sich bringen, dass der in der Pädagogik zumeist vorliegende Rangunterschied zwischen Lehrenden und Lernenden immer eine einseitige Interaktion nach sich ziehen müsste. Gegenteilig sollte trotz des Wissens- und Erfahrungsvorsprungs immer Ziel sein, eine möglichst dynamisch-adaptive Interaktion aufzubauen, da dies sonst nicht nur den Grundvorstellungen einer eine individuellen Wissenskonstruktion widerspräche, sondern auch einer Förderung sozial-kommunikativer und personaler Kompetenzen zuwider laufen würde. Aus diesem Blickwinkel wird die immer noch traditionelle Rollenverteilung im Unterricht deutlich: der Lehrperson wird generell die Fragen- und Antworten-Initiative zugesprochen. Ein Unterricht, der umgekehrt auf Schülerfragen aufbaut, ist nach wie vor eine Vision. Empirische Befunde519 würden solche Ansätze jedoch unterstützen. Die Einführung einer durchgängigen Fragenkultur im Unterricht ist aus didaktisch-methodischer Hinsicht eine große Herausforderung, da sie entgegen eingeschliffener Kommunikationsstrukturen verläuft. Nichtsdestotrotz wäre ihr Ertrag absehbar ein hoher, da der indirekte Weg einer Lern-Anregung durch einen direkten Weg des initiativen Lernens ersetzt würde.
518 Vgl. Weidenmann, Krapp, 2001, S. 360. 519 Z.B. Niegemann, Stadler, 2001 oder Seifried, Sembill, 2005.
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Person-Umwelt-Interaktion Da pädagogische Interaktion immer im Zusammenhang mit spezifischen äußeren Bedingungen steht, besteht zwischen den interpersonellen Interaktionen und der sog. „Person-Umwelt-Interaktionen“ ein enger Zusammenhang. „Für die Betrachtung von Erziehung unter der Perspektive sozialer Interaktion muss nicht nur die wechselseitige Orientierung und Einflussnahme der Beteiligten als dynamischer Prozess konzipiert werden, sondern ebenso die Interaktion zwischen den handelnden Personen und ihrer Umwelt.“520 Aussagen über die pädagogische Interaktion beziehen sich somit nicht nur darauf, wie Lehrer- Innen und SchülerInnen miteinander interagieren, sondern auch in welchen Interaktionsprozessen diese mit ihrer materiellen bzw. sozialen Umwelt stehen. Aus handlungstheoretischer Sichtweise ergibt sich aus dem dynamischen Zusammenwirken von (a) Personenmerkmalen und (b) Situationsmerkmalen folgende komplexe, fortlaufende Interaktionsstruktur: – „Menschen verfolgen innerhalb der Grenzen ihrer intellektuellen und emotionalen Möglichkeiten bestimmte Intentionen (Ziele); – ihr zielorientiertes Verhalten wird von der Situation, den Anforderungen bzw. Aufgaben und den gegebenen sozialen Strukturen mitbestimmt; – diese Umweltmerkmale treten in Wechselwirkung mit Personenmerkmalen und regen spezifische emotionale, motivationale, kognitive Reaktionen an; – von diesen Voraussetzungen aus entwirft die Person wiederum spezifische Handlungen; – im sozialen Kontext führen diese Handlungen und ihre Folgen zu charakteristischen Gruppenprozessen, Gruppenstrukturen, Gruppenergebnissen; – diese wiederum beeinflussen die Handlungsorientierung der beteiligten Personen usw.“521 Dies lässt deutlich werden, dass Unterricht in jedem Falle als fortlaufende Interaktion anzusehen ist, in welcher sich alle Beteiligten in einer komplexen sozialen Dynamik befinden. Bestimmt wird dieses Szenario einerseits durch die relativ stabilen intellektuellen und emotionalen Voraussetzungen der beteiligten Individuen sowie die relativ unveränderlichen Rahmenbedingungen wie z.B. Schulstandort, -gebäude, Klassengröße oder -zusammensetzung, 520 Weidenmann, Krapp, 2001, S. 360 521 Ebd., S. 361.
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andererseits aber durch eher offene Aspekte wie temporäre oder situationsvariante Intentionen, Ziele, Motive etc. und die veränderlichen Rahmenbedingungen wie z.B. Medieneinsatz oder Sozialformen etc. Um die unterrichtliche Interaktion produktiv beeinflussen zu können, gilt es, die stabilen Bedingungen zu klären und mit Hilfe der veränderbaren Bedingungen Einfluss zu nehmen. Soziale Kontrolle Die primäre Einflussnahme in der pädagogischen Interaktion erfolgt über soziale Kontrolle. „Eine Person übt soziale Kontrolle aus, wenn die Folgen ihres Handelns bei einer anderen Person oder anderen Personen den intendierten Wirkungen entsprechen.“522 Soziale Kontrolle stellt also einen wechselseitigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen einem kontrollierenden und einem kontrollierten Individuum her. Das Erleben wirksamer Kontrollerfahrungen ist ein menschliches Grundbedürfnis. „Es entspringt dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Wunsch, gesetzte Ziele zu erreichen und aversive Ereignisse verhindern zu können.“523 Durch die wechselseitige Einflussnahme entsteht ein reaktives Geflecht aus voneinander abhängigen Kontrollwahrnehmungen. Damit ist zunächst davon auszugehen, dass sich zu Erziehende einer rigiden pädagogischen Interaktion eher widersetzen würden als einer adaptiven. Für die Erziehenden ergibt sich daraus eine zwiespältige Aufgabe, die darin besteht, zum Einen soziale Kontrolle auszuüben, zum Anderen den zu Erziehenden Kontrollerfahrungen zu ermöglichen. Hinzu kommt das Paradoxon der Erziehung, deren Fernziel ja darin besteht, sich (irgendwann) selbst zu erübrigen. Die verfügbaren Mittel der Kontrolle sind (1) „soziale Verstärkung“ (Belohnung), (2) „aversive Verstärkung“ (Bestrafung), (3) „Identifikationsangebote“ und (4) „kognitive Verhaltensweisen“: Zu (1): Soziale Verstärker sind primäre (direkte) und sekundäre (stellvertretende) positive Verstärker im verhaltenspsychologischen Sinn. Sie betreffen entweder das Individuum direkt oder werden von diesem bei anderen wahrgenommen und befriedigen dessen Bedürfnisse bzw. reduzieren dessen intrapsychische Spannungszustände. Für den Verstärkenden besitzen sie eine wichtige reflexive Komponente, da sie bei Wirksamkeit Kontrollerfahrungen vermitteln.524 Funktionierende bzw. positiv erlebte soziale Interaktion hängt 522 Krapp, Weidemann, 2001, S. 362. 523 Ebd. 524 Z.B. „wenn Ihr ein sauberes Heft führt, bekommt ihr eine gute Note!“
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häufig mit gegenseitig vermittelten und bestätigten sozialen Verstärkern zusammen („Positivkreislauf“).525 Ebenso wirksam kann die Reduktion bzw. der Entzug von sozialer Verstärkung („Extrinktion“ bzw. „Löschung“) sein. Das Übersehen eines Verhaltens senkt generell die Wahrscheinlichkeit dessen erneuten Auftretens. Wird dieses Mittel bewusst eingesetzt, kann es zu den gleichen Kontrollerfahrungen führen wie eine soziale Verstärkung. Problematisch sind dabei jedoch die generelle Externalität sowie die Instrumentalisierung. Die soziale Kontrolle wird hier ohne Einbezug des Verständnisses ausgeübt, was entweder schnell zu Widerstand führen kann, oder aber eine mögliche Internalität unterwandert. So könnte ein Verhalten, das eigentlich aus eigenem Interesse erfolgen würde, an die Verstärkung gekoppelt werden und bei deren Wegfall vom Individuum eingestellt werden.526. Zu (2): Aversive Verstärker beziehen sich auf Ängste der Betroffenen. Sie sind zwar wirksam, ziehen aber auch Flucht- bzw. Vermeidungsverhalten nach sich. Auch entfalten sie negative Wirkungen in der sozialen Interaktion. Die positiven Effekte der sozialen Verstärkung fallen weg. Es entsteht Unsicherheit bis hin zur Aggression. Von Menschen mit Identitätsproblemen kann Bestrafung evtl. auch als Zuwendung interpretiert werden, was zu einem gegenteiligen Effekt führen würde. Der Bestrafte stellt das bemängelte Verhalten nicht ein, um immer wieder Zuwendung zu erhalten, der Bestrafende nimmt Unwirksamkeit wahr und fühlt sich provoziert etc. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Strafende für den Bestraften zum „Modell“ wird, da der Bestrafte dieses Verhalten an sich selbst unmittelbar als wirksam wahrnimmt. Zu (3): Identifikationsangebote sind ein indirektes Erziehungsmittel, da sie nicht im Sinne einer Einzelmaßnahme ein- und umgesetzt werden, sondern die pädagogische Interaktion längerfristig begleiten (sollten). Über die Mechanismen des Modell- oder Erfahrungslernens kann über einen längeren Zeitraum eine Beeinflussung (= indirekte Kontrolle) erfolgen, die im Zusammenhang mit dem Wunsch nach sozialer Anpassung steht, z.B. durch sehr saubere Tafelanschriften, Unterlagen und Arbeitsblätter. Problematisch bzw. dysfunktional wird dies dann, wenn bei den zu Kontrollierenden keine soziale 525 Ein/e LehrerIn ist zu aufmerksamen SchülerInnen besonders freundlich. Damit verstärken sie deren Verhalten. Die SchülerInnen sind deswegen bei dieser/m LehrerIn besonders aufmerksam. Damit macht die/der LehrerIn die Kontrollerfahrung, dass sie durch ihre/seine Freundlichkeit die Aufmerksamkeit der SchülerInnen erhöhen kann. Die SchülerInnen machen die Kontrollerfahrung, dass sie durch ihre Aufmerksamkeit die Freundlichkeit der/des LehrerIn erhöhen bzw. stabilisieren können usw. 526 In unserem Beispiel: wenn das Heft nicht mehr kontrolliert wird, könnte es nicht mehr sauber geführt werden.
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Anpassung bzw. sogar soziale Distanzierung angestrebt wird. Dies kann z.B. generell durch die Adoleszenz hervor gerufen werden oder aus dem Rollengefüge von Peergroups erwachsen. Tabelle 10: Gegenüberstellung sozialer Kontrollmittel Soziale Verstärkung
Aversive Verstärkung
Identifikationsangebote
Kognitive Verhaltensweisen
Tadel, Strafe zur Verhaltenshemmung
Eigenes Vorbild, andere Vorbilder
Besprechung, Erklärung
Erzeugung von Ängsten
Modellernen
Lineare, reversible Interaktion
Erhöhung intrapsychischer Spannung
Soziale Anpassung
Verständnis und Einsicht
Strafe als Zuwendung, Strafender als Modell
AdoleszentenAbgrenzung, PeergroupEffekte
Fehlende Reife, gezielter Widerstand
Ansatz: Lob, Belohnung zur Verhaltensförderung Primäre Wirkung: Befriedigung von Bedürfnissen Wirkungsprinzip: Reduktion intrapsychischer Spannung Probleme: Erwünschtes Verhalten erfolgt ohne Einsicht
Zu (4): Kognitive Verhaltensweisen nehmen (nicht nur aus schulischer Sicht) eine Sonderrolle unter den sozialen Kontrollmitteln ein. Die Verhaltensbeeinflussung erfolgt dabei nicht im behavioristischen Sinne, sondern durch Ansprechen und Aktivieren des Verstandes. So erklären die Erziehenden ihre Wahrnehmungen, Interessen und Absichten, stellen ihre Erwartungen dar, versuchen Einsicht und Überzeugung zu schaffen. Die zu Erziehenden fühlen sich angesprochen, ernst genommen und können zu dem von ihnen Geforderten Stellung nehmen und dieses evtl. mit beeinflussen. Z.B. „Wenn Ihr ein sauberes Heft führt, könnt Ihr Eure Aufzeichnungen besser lesen und gewöhnt Euch keine schlechte Schrift an!“527 Probleme mit diesem Kontrollmittel gibt es nur, wenn die Zusammenhänge entweder nicht verstanden werden können 527 Vgl. ebd. S. 363
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oder das Verständnis verweigert wird. Daher ist hier in jedem Fall eine entsprechende Reife des Individuums sowie ein gewissen Wille erforderlich. Kognitive Verhaltensweisen besitzen generell das größte Potenzial für die Entwicklung personaler und sozial-kommunikativer Kompetenzen in beruflichem Unterricht und sollten daher innerhalb dieser Didaktik gegenüber anderen Mitteln sozialer Kontrolle bevorzugt eingesetzt werden. Jedes dieser Kontrollmittel hat ein spezifisches Einsatz- und Wirkungsspektrum, keines ist einfach richtig oder falsch bzw. gut oder schlecht. Für die pädagogische Interaktion ist es daher entscheidend, über alle Mittel zu verfügen, sich deren auch bewusst und über die Wirkungen im Klaren zu sein und somit in der Lage zu sein, in der jeweiligen Situation die angemessenen Kontrollmittel einzusetzen. Z.B. bietet sich für das zitierte Beispiel an, als LehrerIn so früh wie möglich zu erklären (4), warum eine saubere Heftführung verlangt wird. Gleichzeitig achtet die Lehrkraft auf die Sauberkeit der eigenen Schrift, der Medien und Materialien (3). Setzen die SchülerInnen diese Anforderung um, sollten sie dafür auch ein angemessenes Feedback (1) erhalten (Lob, eine Heftnote …). Bei SchülerInnen, die dies nicht tun, bietet sich zunächst ein klärendes Gespräch an (4). Dabei reduzieren sie zum Einen die positiven Verstärker (1) (kein Lob …), zum Anderen geben sie dafür eine Begründung und erinnern nochmals an die Hintergründe des geforderten Verhaltens (4). Bleibt die Heftführung schlecht, müssen unangenehmere Maßnahmen stattfinden (2). Diese sollten jedoch wiederum angemessen sein und in einem Bezug zum erwünschten Verhalten stehen (z.B. Hefteinträge neu schreiben …), um das Fehlverhalten und dessen Konsequenz nicht zu entkoppeln (4). Diese praktischen Schlüsse aus den theoretischen Basiszusammenhängen werden später im Zusammenhang mit den Führungsstilen weitergeführt. Umgang mit Schülerfehlern Innerhalb der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden sind Schülerfehler ein spezielles und facettenreiches Thema. Schon Jean PIAGET hatte den hohen Informationsgehalt von Fehlern bei Lernenden erkannt.528 Er konstatierte, dass man deutlich mehr Aussagen über die Denkweisen und -fähigkeiten von Menschen treffen könne, wenn diese Fehler begehen, als wenn sie alles richtig machen. Befunde aus dem betrieblichen Bereich schließlich haben gezeigt, dass sich Führungskräfte von Mitarbeitern u.a. dadurch unter-
528 Vgl. Gage, Berliner, 1996, S. 126.
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scheiden, dass diese Fehler nicht generell negativ belegen, sondern diesen auch Lernchancen beimessen.529 Daraus muss für Lehrpersonen geschlossen werden, dass sich eine gründliche Auseinandersetzung mit den Fehlern der Lernenden lohnt. So können deren Lernwege und -forschritte besser eingeschätzt werden, und die Lehrenden können ihr eigenes didaktisches Handeln reflektieren. Dem gegenüber gibt es eine Reihe empirischer Belege, die zeigen, dass sich Menschen an Falsches besser erinnern als an Richtiges. Daher kann unter einer konstruktiven Nutzung von Schülerfehlern in beruflichem Unterricht sicher nicht das möglichst häufige Herbeiführen beliebiger Fehler und deren Akzentuierung verstanden werden. WUTTKE & SEIFRIED530 konstatieren hinsichtlich solcher Fragen drei zentrale Aspekte, die sie aus einer Analyse des aktuellen Forschungsstands und eigener Befunde als zentral einschätzen: – „Kenntnisse/domänenspezifisches Wissen über mögliche Fehlerarten: Schülerfehler müssen zunächst von der Lehrkraft erkannt werden und es ist zu klären, inwiefern sie als Lerngelegenheit nutzbar zu machen sind. Dies ist dann möglich, wenn die Lehrkraft im Unterrichtsgespräch ‚erforscht‘, wo ein möglicher Denkfehler beim Schüler liegt. – Verfügbare Handlungsstrategien/Lehrerreaktionen: Hat eine Lehrkraft den Fehler eines Schülers erkannt, ist es an ihr, diesem in ‚angemessener‘ Art und Weise zu begegnen. Hierfür muss sie über zielabhängige Handlungsalternativen verfügen (verschiedene Arten von Rückmeldung, Fehler in der Klasse zur Diskussion stellen, auch: Fehler ignorieren, etc.). – Das Vorhandensein von zielführenden Sichtweisen bezüglich der Nutzung einer unterschiedlichen Auseinandersetzung mit Schülerfehlern: Hier lässt sich – grob gesprochen – eine so genannte Fehlervermeidungsdidaktik (Fehler vermeiden, damit sich falsche Gedankengänge nicht einschleifen können) einem konstruktiven Fehlermanagement (Fehler als Lernchance) gegenüberstellen. In diesem Sinne verfügt die Lehrkraft über die Bereitschaft, sich bei einem regelmäßig engen Zeitbudget im Unterricht auf Schülerfehler und deren Analysen einzulassen.“531 Insbesondere müssen hier Denk- und Verständnisfehler von Flüchtigkeitsfehlern oder Verwechslungen unterschieden werden. Nur die Erstgenannten erscheinen für das weitere Lernen relevant, denn sie beinhalten – auch wenn 529 Vgl. Bauer et al., 2003. 530 Vgl. Wuttke, Seifried, 2009, S. 47f. 531 Ebd.
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ihre Schlüsse und Resultate falsch sind – genau das Verständnis, das bei den Lernenden aktuell vorliegt. Mit einer gemeinsamen Erschließung dieses Verständnisses profitieren Lehrperson und Lernende gleichermaßen, da so zum Einen klar wird, was nicht verstanden und auch warum, zum Anderen, das Richtige nun explizit herausgestellt und damit verstärkt werden kann. Diese Herangehensweise korrespondiert eng mit den in Kap 3.3.4 erörterten Aspekten zur Metakognition.532 Unbeabsichtigtes Wirkungen pädagogischen Handelns Jede pädagogische Einflussnahme erfolgt teilweise planvoll und bewusst gesteuert, teilweise aber auch unbewusst. Intentionales, zielgerichtetes erzieherisches Handeln erfolgt dabei vor dem Hintergrund subjektiver Annahmen über die Wirkung(en) einer bestimmten Maßnahme. Derartige instrumentelle Überzeugungen bilden sich aus wiederholtem, mit bestimmten Kontrollerfahrungen verknüpftem Handeln. Ob das pädagogische Handeln dann tatsächlich zum erwünschten Erfolg führt, hängt dabei nicht nur von der Richtigkeit bzw. der situativen Angemessenheit der angewandten subjektiven Theorie ab, sondern zudem von der Motivation des Erziehenden, überhaupt die seiner Meinung nach wirksamste Maßnahme einzusetzen und von dessen Überzeugung, dies auch wirkungsvoll tun zu können (Selbstwirksamkeit).533 Erzieherisches Handeln ist jedoch in jedem Falle auch von Wirkungen begleitet, welche vom Erziehenden nicht beabsichtigt und evtl. auch nicht wahrgenommen werden. Dieser „Geschehensaspekt“ erzieherischen Handelns „umfasst alle Ereignisse, die ohne Planung und ohne Absicht einen Einfluss auf das Interaktionsgeschehen ausüben“.534 So hängt primär mit der Mehrperspektivität menschlicher Kommunikation zusammen, also mit der Tatsache, dass neben der Vermittlung von Nachrichten auch Informationen über die Beziehung zum Interaktionspartner und Selbstoffenbarungen ausgetauscht und erwidert werden.535 Subjektive Theorien von LehrerInnen Subjektive Theorien sind Alltagstheorien, welche – ähnlich wie wissenschaftliche Theorein – aus Beobachtungen gebildet werden, um bestimmte Eindrü532 Ein eigenständiges, aber durchaus anspruchsvolles Verfahren für einen produktiven Umgang mit Fehlern in beruflichem Unterricht hat Minnameier (2008) entwickelt und erforscht. 533 Vgl. Krapp, Weidemann, 2001, S. 364. 534 Ebd. 535 Im Zuge dieser mehrkanaligen Interaktion entwickeln sich bei LehrerInnen Verhaltensstereotypen, welche auf sogenannte „subjektive Theorien“ zurückgeführt werden können.
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cke zu erklären (deskriptiv) und deren Folgen zu prognostizieren (präskriptiv). Im Unterschied zu wissenschaftlichen Theorien werden sie jedoch nicht durch entsprechende Methoden verallgemeinert, sondern bleiben individuell und dabei auch nur zum Teil bewusst. Trotzdem sind solche Theorien, ähnlich wie Motive oder Volitionen, von handlungsleitender Bedeutung, erweisen sich diesen gegenüber aber als wesentlich stabiler, insofern wirken sie über lange Zeiträume bzw. gehen auf lange zurückliegende Erfahrungen zurück und sind dabei relativ entwicklungsresistent. Aus dem Verständnis der Wirkungen solcher subjektiven Theorien stellt sich das pädagogische Handeln von LehrerInnen (1) als begrenzt kognitiv reflektiert und (2) als schülerdeterminierend dar. Zu (1): Bei der wissenschaftlichen Beobachtung pädagogischen Handelns fällt auf, dass dieses nicht immer konform zum Professionswissen der Lehrkräfte erfolgt. „Vielmehr handeln sie nach rasch verfügbaren Routinen, obwohl sie wissen, dass diese für die Problemlösung in einer spezifischen Situation nicht optimal geeignet sind.“536 Dies betrifft die Wissensvermittlung ebenso wie das Unterrichtsmanagement und die Auseinandersetzungen mit sog. „Unterrichtsstörungen“.537 Solche Routinen werden auf „Leitbilder“ zurückgeführt, welche zwar nicht unbedingt im Widerspruch zu den bestehenden Kognitionen stehen müssen, jedoch auf überwiegend emotionale Entstehungszusammenhänge zurückgehen. Beispielsweise orientiert sich das Rollenverständnis einer Lehrkraft zu einem erheblichen Teil an den eigenen Schulerfahrungen.538 Derartige Stereotypisierungen sind absehbar nicht völlig abzustellen, lassen sich wohl aber über deren Kenntnis eingrenzen. Daher erscheint speziell aus diesem Blickwinkel eine hochwertige Evaluation des Unterrichtsgeschehens für die Entwicklung einer objektiveren und damit auch persönlich befriedigenden pädagogischen Interaktion bedeutsam. Zu (2): Der „Pygmalion-Effekt“ beschreibt die sog. „selbsterfüllende Prophezeiung“ in der LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung. LehrerInnen mit relativ stabilen, vor allem negativen Erwartungsstereotypen („Mädchen können nicht 536 Krapp, Weidemann, 2001, S. 388 537 Z.B. ruft ein Lehrer eine Schülerin auf, die offensichtlich dem Unterricht nicht gefolgt ist. Obwohl er weiß, dass er einen abwesenden Schüler damit nicht konstruktiv in den Unterricht einbindet, dafür aber bloßstellt und frustriert, wendet er dieses Verhalten immer wieder an. 538 Bespricht man mit dem Lehrer das beobachtete Verhalten, wird er dessen Dysfunktionalität einerseits bestätigen, andererseits mit anderen Dingen rechtfertigen („die sollen ruhig ein wenig erschrecken“ …). Er wird auch bestätigen, dass er dieses Lehrerverhalten aus seiner eigenen Schulzeit gut kennt.
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rechnen“, „Hans schreibt nur durchschnittliche Aufsätze“ …) erzeugen vor allem gegenüber instabilen SchülerInnen einen latenten Anpassungsdruck. Die SchülerInnen stimmen ihr Verhalten auf die Erwartungen der LehrerInnen unbewusst ab und formen sich nach dem Bild, welches diese sich von ihnen machen. In einer modernen beruflichen Schule ist eine dynamische und bzgl. der Asymmetrie gemäßigte Interaktion zwischen LehrerInnen und SchülerInnen anzustreben. Durch die aufgabenbezogene Rollenverteilung in Lehrende und Lernende ist zwar eine völlige Symmetrie undenkbar. Dennnoch können sich Interaktionsstrukturen etablieren, in welchen dysfunktionale Hierarchien, Stereotypisierungen und statische Rollen- bzw. Kompetenzzuweisungen nicht zur Wirkung kommen. Entscheidend ist hier nicht zuletzt das Prinzip der „Reversibilität“; auch bei Bemängelungen müssen Lehrpersonen Ausdrucksformen wählen, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen würden. Soziale Kontrollmittel müssen feinfühlig, bewusst und gezielt eingesetzt werden, um innerhalb der pädagogischen Interaktion Einsicht vor Einflussnahme zu stellen. Die gesamte Lernumwelt sollte ernst genommen und aktiv positiv beeinflusst werden. Dies beginnt beim Interieur der Schule und deren sozialem „Klima“ und reicht bis in die Gestaltungselemente des Unterrichts. Je konsequenter sich dies auf die gesamte Schule ausweitet, desto mehr kann diese zu einem produktiven dynamischen sozialen System werden.
7.2 Erziehungsstile in technischem Unterricht539 PETERSSEN identifiziert den „Führungsstil“ einer Lehrkraft als eine Kategorie, welche sich nicht auf spezifische Einzelsituationen des Unterrichts bezieht, sondern auf dessen dauerhaftes soziales Klima. Er widerspricht dabei häufig in diesem Zusammenhang geäußerten deterministischen Thesen, welche Lehrerverhalten als wenig veränderbar feststellen: „Der tatsächlich praktizierte Führungsstil ist weitaus mehr von rational begründbaren Intentionen des Lehrers als von unbestimmten Einflüssen abhängig, das haben die maßgeblichen Untersuchungen übereinstimmend gezeigt.“540 Diese These kann zunächst vor dem Hintergrund der vorausgehenden Betrachtungen bestätigt werden, von den Einschränkungen im Zusammenhang mit den subjektiven Theorien von LehrerInnen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie konstant tatsächlich ein solches LehrerInnen-Verhalten ist bzw. sein sollte 539 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 540 Peterssen, 2000, S. 413.
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und ob sich durch einen konstanten Führungsstil gleichermaßen ein dauerhaftes soziales Klima einstellen lässt. In einer Übertragung von LEWINS Laboratoriumsversuchen auf die Schule unterscheidet PETERSSEN Führungsstile in drei mögliche Ausprägungen: den „autoritären Führungsstil“, den „demokratischen“ und den sog. „laissezfaire-Führungsstil“.541 Die dabei implizierte Dreiteilung löst sich jedoch bei näherer Betrachtung auf. Vielmehr stellen die Kategorien „autoritär“ und „laissez-faire“ nur die beiden Pole des Führungsverhaltens dar, innerhalb deren sich eine Lehrkraft mehr oder weniger „demokratisch“ verhalten kann. In diesem Ansatz stellt sich der Erziehungsstil einer Lehrkraft eindimensional dar und wird durch einen mehr oder weniger hohen Grad an Autorität bestimmt. TAUSCH & TAUSCH542 führten den Ansatz von PETERSSEN weiter und unterteilten die relativ unscharfe Kategorie der Autorität in die beiden separaten Dimensionen „Lenkung“ und „Wertschätzung“. Für einen effektiven Unterricht unterstellen sie dabei generell ein gewisses Maß an Lenkung. Dabei führt ein sehr hoher Grad an Lenkung in Verbindung mit Geringschätzung zum sog. „autokratischen Führungsstil“, Unterricht mit hoher Lenkung und hoher Wertschätzung hingegen bedingt einen sozialintegrativen Führungsstil.543 Aus dieser Theorie ergibt sich wiederum eine polarisierte Gegenüberstellung extremen Führungsverhaltens auf einer Achse. Diese ist nun jedoch nicht die Achse der Lenkung, sondern jene der Wertschätzung. NOLTING & PAULUS ersetzen unter Beibehaltung der LenkungsDimension TAUSCH & TAUSCHs Begriff der „Wertschätzung“ durch jenen der „Zuwendung“ und gehen davon aus, dass innerhalb dieser beiden Dimensionen grundsätzlich alle Ausprägungen von Erziehungsverhalten auftreten können. Daraus ergeben sich in polarisierter Betrachtung vier Idealtypen, welche eine theoretische Gegenüberstellung bzw. einen komplexen Vergleich hinsichtlich ihrer Wirkungen. LehrerInnen mit einem hohen Grad an Lenkung bzw. Beaufsichtigung werden bei großer Zuwendung als autoritativ bezeich541 Die Terminologie geht auf den deutschen Psychologen Kurt Lewin zurück, der vom nationalsozialistischen Deutschland in die USA emigriert war und dort Untersuchungen über die Ursachen totalitärer Entwicklungen forschte. 542 Tausch, Tausch, 1998, S. 56f. 543 Autokratischer Führungsstil: Befehle und Anordnungen, Tadel, Bedingungen, Drohungen, Strafe, Ungleichheit, Kontrolle. Sozialintegrativer Führungsstil: Geringe Häufigkeit von Ausdrucksformen der Macht, Dirigierung nur wenn unbedingt notwendig, reversible Kommunikation, kooperative Verhaltensweisen. Vgl. ebd., S. 416.
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net, bei geringer Zuwendung als autoritär. LehrerInnen mit geringer Lenkung bzw. Beaufsichtigung werden bei großer Zuwendung als nachgiebig bezeichnet, bei geringer Zuwendung als vernachlässigend (s. Abbildung 32). Lenkung/ Beaufsichtigung
autoritär
autoritativ Wärme/ Zuwendung
vernachlässigend
nachgiebig
Abbildung 32: Erziehungsstile nach den Dimensionen „Lenkung“ und „Zuwendung“544
In empirischen Untersuchungen über die schulischen Wirkungen von Erziehungsstilen stellte sich der autoritative Stil als Optimum heraus. So bewirkte dieser einen hohen Grad an Schulorientierung bei gleichzeitiger positiver Entwicklung des Selbstvertrauens und sozialer Kompetenz. Die anderen Erziehungsstile waren demgegenüber mit Abstrichen behaftet. Der autoritäre Stil zieht geringes Selbstvertrauen nach sich und bewirkt eher die Förderung von Folgsamkeit als von Selbständigkeit. „Nachgiebiges“ (permissives) Verhalten führt ebenfalls zu verringerter Selbständigkeit, drückt sich aber eher durch Verantwortungsvermeidung aus, zudem reduziert es die Schulorientierung.545 „Die negativsten Konsequenzen hat der vernachlässigende Erziehungsstil, dem es sowohl an emotionaler Wärme als auch an Verhaltenskontrolle fehlt. Solchermaßen erzogene Kinder haben häufiger schlechte Beziehungen zu Gleichaltrigen, sind im Jugendalter oft impulsiv, aggressiv oder auch delinquent. Weiterhin zeigen sie am häufigsten psychische oder psychosomatische Belastungssymptome und die Schulleistungen sind deutlich schlechter als bei anderen Gruppen.“546 Einen autoritativen Erziehungsstil kennzeichnen hohe Anforderungen der LehrerInnen an ein verantwortliches Handeln ihrer Schü544 Vgl. Nolting, Paulus, 2004, S. 74. 545 Vgl. ebd. 546 Vgl. Nolting, Paulus, 2004, S. 75.
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lerInnen. Sie ermutigen die Lernenden dabei auch zu verbalen Auseinandersetzungen mit der Umwelt. Die Lernaktivitäten werden von den LehrerInnen empathisch und unterstützend angeleitet und begleitet. NICKEL erweitert den Ansatz von NOLTING und PAULUS um eine weitere Dimension, die sog. „anregende Aktivität“. Zur den Hauptdimensionen „Sozial-emotionale Zuwendung“ und „Lenkung“ kommt damit ein weiterer Aspekt hinzu, welcher die Förderung von Selbständigkeit, Eigeninitiative etc. fokussiert. Dies erscheint bei näherer Betrachtung jedoch nicht konsistent, da diese „dritte Dimension“ nicht unabhängig von jener der Lenkung ist. Eine Förderung der Selbständigkeit bedingt reduzierte Lenkung, ebenso wie umgekehrt ein hoher Lenkungsgrad Eigeninitiative vermindern muss. Trotz dieser Unschlüssigkeit des Ansatzes macht er deutlich, dass die große Befürwortung des autoritativen Erziehungsstils im Hinblick auf Erziehungsziele wie Autonomie oder (soziale, politische) Emanzipation durchaus kritisch gesehen werden kann. Der dort zwar verbalisierte Anspruch einer „Anleitung und Begleitung“ der Lernenden müsste sich somit in einer Korrektur (bzw. Explikation) der „Lenkungs“-Dimension äußern. Daher erscheint es schlüssig, die Dimension Lenkung im Hinblick auf die von NICKEL konstatierte Selbständigkeitsdimension zu präzisieren. Tatsächlich beinhaltet „Lenkung“ im Sinne von NOLTING & PAULUS zwei zentrale Komponenten: Zum Einen jene der Steuerung, zum Anderen jene der Disziplinierung. „Steuerung“ bezieht sich dabei ausschließlich auf die Führung und Anleitung, die die Lernenden im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Wissens erfahren, also, wie eng oder weit sie im Lernprozess von der Lehrkraft geführt werden. Disziplinierung ist hier nicht im negativen Sinne als rigide Erziehungsmaßnahmen aufzufassen, sondern als Gesamtheit aller LehrerInnenVerhalten, welche das Lern- bzw. Arbeitsklima im Unterricht sichern. Obwohl weder kleinschrittiger, eng geführter Unterricht mit einem hohen Maß an Disziplin zusammenhängen muss, noch der Verzicht auf Disziplinierung einen komplexen, selbsttätigen Unterricht bedingt, kann diese Annahme häufig festgestellt werden.547 Es liegt jedoch auf der Hand, dass beide Aspekte eher einer spezifischen Anpassung an die Schüler bzw. an die jeweilige Lernsituation bedürfen, nicht aber unangepasst im Sinne eines persönlichen Führungsstils gehandhabt werden sollten. 547 Die Vermischung oder Verwechslung dieser beiden Aspekte bewirkt, dass einerseits „inkongruent“ gehandelt wird (z.B. wenn eine engere Lenkung zusammen mit einer Missbilligung kommuniziert wird) und andererseits, dass die SchülerInnen das eine mit dem anderen koppeln („jetzt werde ich enger gelenkt, also will man mich bestrafen“).
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Ein erfolgreicher Erziehungsstil baut situationsübergreifend auf dem positiven bzw. produktiven Modell durch die Lehrkraft (1) und deren „sozialemotionaler Zuwendung“ (2) auf. Hinsichtlich der Aspekte „Steuerung“ (3) und „Disziplinierung“ (4) ist eine variable Handhabung angezeigt. Zu (1): Dem „LehrerInnen-Modell“ sind vielfältige Wirkungsfelder zuzuweisen. Ausgangspunkt ist dabei die Fachkompetenz. Ist diese für die Schüler gering, kann die betreffende Lehrkraft kaum zum Modell werden. Hinzu kommen alle weiteren erzieherischen Aspekte. Die Lehrperson sollte für alle Erziehungsziele den Endzustand dessen repräsentieren, wohin sich die SchülerInnen entwickeln sollen. Je weniger dies der Fall ist bzw. je stärker dies divergiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Zu (2): Unter „sozial-emotionaler“ Zuwendung einer Lehrkraft sind deren vielfältige emotionale Äußerungen gegenüber den SchülerInnen zusammenzufassen. Kommunikationsbegleitende Emotionen wie Sympathie (Zuneigung), Empathie (Einfühlung), Akzeptanz, Respekt, Vertrauen etc. modulieren innerhalb bestimmter sozialer Interaktionen den Beziehungsaspekt. NOLTING & PAULUS548 weisen in diesem Zusammenhang auf eine Reihe empirischer Untersuchungen hin, welche durchgängig die Bedeutung der Wertschätzung von Lehrkräften gegenüber den SchülerInnen belegen.549 SchülerInnen wünschen sich persönliches Interesse, das Gefühl, wichtig zu sein, Ermutigungen, Respekt, Ansprechbarkeit bei Problemen etc. Besonders bedeutsam ist dabei die positive Korrelation zwischen Leistungsmerkmalen und einem positiven sozial-emotionalen Klima (Lehrerunterstützung und Affilation550) sowie eine negative Korrelation zwischen Leistungsmerkmalen und einem negativen sozial-emotionalen Klima (Leistungsdruck, Wettbewerb) hervorzuheben. D.h., dass die Wertschätzung der Lehrperson nicht nur die emotionale Disposition der Schüler zu Schule und Unterricht bestimmt, sondern zudem auch deren Leistungsfähigkeit. Zu (3): Da Lernen generell eine Selbstregulation durch die Lernenden erfordert, bemisst die Lehrkraft den Aspekt der Steuerung gemäß einem einschätzbaren Optimum. Im Sinne von Maria MONTESSORIS „Hilf mir, es selbst zu
548 Vgl. Nolting, Paulus, 2004, S. 76. 549 Z.B. Schweer, 1997 (Idealbild der Lehrkraft), Freitag, 1998 (Wertschätzende Begegnung mit Lehrkräften in der Schule aus Sicht von SchülerInnen), Tillmann, 1999 (Mangel an wertschätzender Begegnung und seine Folgen). 550 Gesellung, Zusammenarbeit, Zusammensein, …
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tun“551 pendelt hier das Erziehungsverhalten zwischen Führen und „Wachsen lassen“. Zu (4): Disziplinierungsmaßnahmen sind mit Bedacht anzuwenden, d.h. immer nur in dem Maße, das erforderlich ist, um den Lernprozess zu sichern. Hier stehen alle vorgestellten Kontrollmittel zur Verfügung. Als Ausgangspunkt steht in diesem Zusammenhang aber zunächst die Vermeidung einer Verstärkung unerwünschten Verhaltens. Ist eine Intervention erforderlich, sollte diese erklärt und begründet werden. Erst wenn kein Verständnis bei den Lernenden erreicht werden kann, sollten aversive Mittel gezielt, angemessen und begründet eingesetzt werden. Die Wirkung bzw. der Erfolg einer Anwendung von sozialen Kontrollmitteln steht in engem Zusammenhang mit allen hier erörterten Aspekten: Wie bereits festgestellt wurde, reduziert ein produktives Lehrermodell die Wahrscheinlichkeit von Schwierigkeiten in der pädagogischen Interaktion. Dies gilt ebenso für eine entsprechende Steuerung: ist diese nicht angemessen, fühlen sich die SchülerInnen entweder unter- oder überfordert und tendieren verstärkt zu Zerstreuung, Ablenkung etc. Die Wahrnehmung (bzw. das Fehlen) sozial-emotionaler Zuwendung entscheidet für den Betroffenen darüber, ob ein Führungsimpuls der Lehrperson von ihm fürsorglich, unbeteiligt oder erniedrigend wahrgenommen wird. Jede dieser vier zentralen Erziehungskomponenten sollte in unterschiedlicher Art und Weise bemessen werden: „Vorbild und Zuwendung“ sollten situationsunabhängig hoch bemessen sein. Steuerung und Disziplinierung erfolgen schülerindividuell und im Situationsbezug. Dabei kann die Steuerung im Gegensatz zur Disziplinierung geplant werden, insofern sie weitgehend im methodischen Konzept festgelegt werden kann. Ihre Bemessung erfolgt in dem Versuch, je nach Klasse/SchülerInnen, Lernzielen und -inhalten, Schwierigkeitsgrad, Leistungsstand etc., ein gewisses Optimum zu finden. Disziplinierungen sollten minimalistisch gehandhabt werden. Dabei wird die Effektivität und Effizienz der Maßnahmen nicht nur von reaktiven Aspekten, sondern auch erheblich von proaktiven Aspekten bestimmt. WILBERS552 nennt hier u.a. das Aufstellen von „Regeln mit Konsequenzen“ sowie die Einführung von Prozeduren.
551 Vgl. 1966 552 Vgl. Wilbers, 2007, S. 9.
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7.3 Erziehungsverhalten von LehrerInnen553 Aus den vorausgehenden Betrachtungen wird deutlich, dass der Führungsoder Erziehungsstil von LehrerInnen aus dem Zusammenwirken multipler, interdependenter und zum Teil auch divergenter Einzelkomponenten entsteht. Er besitzt Langzeitkomponenten hinsichtlich der Modellwirkung einer Lehrkraft und deren Zuwendung für die SchülerInnen, aber auch situative Komponenten hinsichtlich Steuerung und Disziplinierung. Die Unterrichtsdurchführung erweist sich als ebenso komplex und vielschichtig wie die vorausgehenden, vorbereitenden LehrerInnentätigkeiten. Im Gegensatz zur Unterrichtsvorbereitung erfolgt dessen Durchführung nicht aus einer antizipierenden Distanz heraus, sondern in unmittelbarer sozialer Einbindung. Zu der in der Vorbereitung überwiegenden kognitiven Komponente tritt nun eine bedeutende emotionale Komponente. Diese entsteht (1) aus der eigentlichen Umsetzung des didaktischen Konzepts und den darauf bezogenen Rückmeldungen, aber auch (2) im Zusammenhang mit den unterrichtsbegleitenden Verhaltensweisen der Schüler: (1) Das didaktische Konzept wird realisiert und dabei auch (subjektiv) evaluiert. Die Lehrkraft erlebt die Wirkungen dessen, was vorbereitet wurde, und stellt die jeweilige Diskrepanz zwischen dem Intendierten und dem Realisierten fest. Durch die Identifikation mit der eigenen Arbeit löst dies positive (bestätigende) oder negative (bemängelnde) Gefühle aus. (2) Schülerverhalten im Unterricht werden von der unterrichtenden Person generell mit ihrer eigenen Persönlichkeit gekoppelt. Sie reagieren daher auf Ablehnung oder Störung auch nicht nur sachlich, sondern oft auch – mehr oder weniger – persönlich betroffen. Im Hinblick auf die so entstehende emotionale Betroffenheit innerhalb der Unterrichtsdurchführung kann ein Erziehungsstil nur bedingt strategisch betrachtet werden. Die dabei bestimmenden Faktoren entwickeln erst ihre tatsächliche Wirkung in der stattfindenden Interaktion. Dies betrifft zunächst den Aspekt der Zuwendung, da hier eine anhaltende Dynamik aus vermittelten und empfangenen Gefühlen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen vorliegt. Auch das Disziplinierungsverhalten von Lehrkräften muss in engem Zusammenhang mit deren emotionalem Erleben des Unterrichts stehen. GAGE & BERLINER ermittelten in empirischen Untersuchungen positive und negative LehrerInnenemotionen: 553 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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„LehrerInnen freuen sich, wenn sie von den Schülern gemocht werden, wenn Schüler mitarbeiten, wenn diese sich kooperativ verhalten, wenn Schüler Leistung zeigen. Dabei spielt die Attribution einer positiven Verhaltensänderung bei den Schülern mit dem eigenen pädagogischen Wirken eine erhebliche Rolle (Kontrollerfahrung, Bestätigung) ‚Die Schüler sind angenehm, ich bin o.k., der Unterricht ist gut.‘ Umgekehrt beziehen LehrerInnen ein unangenehmes Schülerverhalten auf sich und ihren Unterricht und entwickeln daraus Konflikt- und Versagensängste. Versagensängste sind dort wahrscheinlicher, wo pädagogische Misserfolge offenkundig sind und zugleich die unmittelbare Verantwortlichkeit des Lehrers klar scheint.“554 Konkret kann sich dies z.B. auf Mitarbeitsverweigerungen der Schüler, Widerstände gegen bzw. Ignoranz von Anordnungen bis hin zu Beleidigungen der Lehrkraft beziehen. Dass derartige Ängste nicht selten sind, ist nicht generell auf ein Versagen der Lehrkräfte zurückzuführen. Vielmehr steht dies in Zusammenhang mit den vielfältigen, anspruchsvollen und teilweise auch widersprüchlichen Anforderungen ihres Berufs. Gerade im Hinblick auf abweichendes Schülerverhalten sind Lehrer oft mit Problemen konfrontiert, welche ihre Kompetenzen (qua Ausbildung) schlicht überschreiten.555 Aus positiven und negativen Emotionen können sich unterrichtstypische Dynamiken entwickeln, welche sich in nachweisbaren Verhaltensmustern von LehrerInnen äußern. Z.B. erfolgt häufig die Vergabe bzw. Verteilung von Zuwendung auf Basis von Sympathie/Antipathie, anstelle nach dem Prinzip einer möglichst hohen, individuellen Beimessung. Auch wird das Minimalprinzip der Disziplinierung teilweise im Sinne einer Konfliktvermeidung umgesetzt (permissiv) und nicht im Sinne eines späten, aber erforderlichen Mittels. Oder aber es werden aversive Mittel eingesetzt, ohne dabei die Ursachen von Störungen, oder Konflikten geklärt bzw. andere Mittel in Erwägung gezogen zu haben (s. auch vorausgehend bei „subjektive Theorien“). An die Stelle eines strategisch-reflektierten Erziehungsstils tritt ein aktionistischunreflektiertes Erziehungsverhalten. Wie in den meisten sozial-interaktiven Tätigkeiten unterliegt die Lehrperson einem starken situativen Handlungsdruck, welcher ihr/ihm nur begrenzte Reflexionen ermöglicht und der Spielraum bzw. die Varianz möglicher Reaktionen damit erheblich eingegrenzt sind. Stehen LehrerInnen nicht über oder neben den unterrichtlichen Interaktionsprozessen, sondern sind in diese mehr 554 Krapp, Weidenmann, 2001, S. 323. 555 Vgl. ebd.
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oder weniger stark involviert. Daher ist LehrerInnen-Verhalten immer ein Geflecht aus dem, was pädagogisch intendiert (intentionale Komponente), kognitiv umgesetzt (kognitive Komponente) und emotional erlebt (emotionale Komponente) wird, rückgreifend auf bestehende Muster (subjektive Komponente) und eingebunden in situationsspezifische soziale Dynamiken (reaktive Komponente). Eine produktive Auseinandersetzung mit dem Bezugsfeld „Unterrichtsdurchführung“ bedingt somit zum Einen die Antizipation eines hochwertigen Erziehungsstils, zum Anderen dessen wirksame Umsetzung in die Praxis. Der Erziehungsstil von Lehrpersonen wird somit weniger davon bestimmt, was sie wollen (bzw. gerne hätten) sondern vielmehr davon, was sie können – also von deren sozial-kommunikativen Kompetenzen. Dies wird bestätigt durch empirische Untersuchungen über die Schülerzufriedenheit, in welchen die sozial-kommunikativen Kompetenzen von Lehrpersonen als zentraler Prädikator nachgewiesen werden.556
7.4 Moderation von Gruppenarbeit557 Die SchülerInnen-Medien-Interaktion bildet den konzeptionellen Ausgangspunkt der vorliegenden Didaktik. Daran orientiert werden die Medien und Materialien einer Unterrichtssequenz konzipiert. Trotzdem hat auch in einem schülerzentrierten Unterricht die SchülerInnen-LehrerInnen-Interaktion eine zentrale Bedeutung, die jedoch weniger in der direkten Wissensvermittlung besteht, sondern vielmehr in deren indirekter Unterstützung. Gegenüber einem lehrerzentrierten Unterricht beläuft sich die Interaktionsplanung weniger auf instruktionelle Zusammenhänge, sondern auf vordringlich Einrahmung, Moderation und Unterstützung. Dies schließt aber auch hier den Einbau instruierender Sequenzen nicht aus. Zwischen Vortrag, Instruktion oder auch Lehrgespräch einerseits und Moderation, Unterstützung etc. andererseits bestehen interaktionsbezogene Unterschiede. In offenen Lehr-Lern-Situation gilt es keine Interaktionslinie aufzubauen und dieser zu folgen, vielmehr wird die Schülerinteraktion beobachtet und daraufhin gehandelt. Die Interaktion in schüleraktivem Unterricht kann somit nicht stringent, linear oder gar algorithmisch geplant werden. Da hier Interaktion zwischen einer Vielzahl von selbstzentrierten bzw. -reflektiven Subjekten stattfindet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass – trotz Themen- oder Medienbezug – 556 Vgl. z.B. Kaming, Gärtner, 2008. 557 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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klare Voraussagen über deren Struktur, Verlauf oder Inhalt getroffen werden können. Vielmehr setzt sich die Gesamt-Unterrichtsinteraktion aus vielen einzelnen, individuellen Teilinteraktionen zusammen. Diese finden – je nach Arbeitsorganisation – mehr oder weniger zwischen einzelnen SchülerInnen und LehrerIn statt (Einzelarbeit) oder innerhalb der gebildeten Lern- und Arbeitsgruppen (Gruppenarbeit). Aus lehrmethodischer Perspektive sind zwischen Partner- bzw. Gruppenarbeit durchaus Unterschiede festzustellen. Obwohl beide Organisationsformen aktivierend und individualisierend wirken, erleben die SchülerInnen dies unterschiedlich: Partner- bzw. Gruppenarbeit erfordert Kommunikation, lockert auf, verbreitert die thematische Auseinandersetzung. Einzelarbeit konzentriert und reduziert die Kommunikation und konfrontiert die Lernenden mit ihren eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Partner- bzw. Gruppenarbeit zwingt aber auch zur Kommunikation, setzt soziale Dynamiken frei, legt die Schwächen der SchülerInnen untereinander offen und ermöglicht das „Abtauchen“ Einzelner. Dagegen ermöglicht Einzelarbeit eine Kommunikationspause, findet in sozialer Neutralität statt, gewährleistet Diskretion hinsichtlich des individuellen Wissensstandes und bindet trotzdem alle beteiligten SchülerInnen. Aus Interaktionsperspektive stellt die Einzelarbeit gegenüber der Partnerbzw. Gruppenarbeit jedoch keine eigenständige Situation dar, sondern eher eine Sonderform, in welcher keine schülerinterne Interaktion stattfindet. Alle möglichen Interaktionen belaufen sich ausschließlich auf den LehrerInnenSchülerInnen-Aspekt. Daher beziehen sich die nachfolgenden Feststellungen auf Partner- bzw. Gruppenarbeitssituation, davon ausgehend, dass die dabei getroffenen Feststellungen selbstredend auf Einzelarbeit übertragen werden können. Interesseweckung, Motivierung, Aktivierung Generell sollte die jeweilige Aufgabenstellung bzw. die diese vermittelnden Materialien und Medien das Interesse der SchülerInnen wecken, sie motivieren und aktivieren. Für Gruppenarbeiten, die ein sozial-kommunikatives Lernen intendieren, hat GOMEZ nachgewiesen, dass dazu „reziproke und interdependente Gruppenaufgaben, welche tatsächliche Kooperationsprozesse voraussetzen“,558 erforderlich sind. So wird eine kollektive Auseinandersetzung mit dem Neuen notwendig, und ein nebeneinander erfolgendes Bearbeiten von Teilfragestellungen verhindert. 558 Gomez, 2009, S. 398.
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Einzelne Lernende oder auch Gruppen, die nur schleppend in die Bearbeitung einer Aufgabe einsteigen, herumdiskutieren bzw. überhaupt nicht aktiv werden, sollten damit nicht zu lange alleine gelassen werden. Geringes Interesse bzw. Motivation werden so kaum verbessert, es geht wertvolle Zeit verloren und zudem entsteht Frustration bzw. auch Konfliktpotenzial. Die Lehrkraft sollte sich also zu den SchülerInnen begeben und erfragen, warum sie nicht aktiv werden. Falls keine organisatorischen Gründe vorliegen (fehlende Unterlagen oder Materialien, unklare Aufgabenstellungen …) sollte die Aufgabenstellung intensiv besprochen werden. Dabei sollten die SchülerInnen in erster Linie erfahren, worin die spezifisch beruflich-fachliche Relevanz besteht. Auch thematisiert werden können der Schwierigkeitsgrad und der erforderliche Lösungsaufwand. Dabei sollten die Einwände der SchülerInnen zwar ernst genommen und sachlich ausgeräumt werden, aber auch darauf hingewirkt, dass sie ihre Arbeitsgruppe koordinieren und selbständig in die Aufgabe einsteigen. Für alle Lernenden, ob einzeln, paarweise oder in Gruppen, sollte immer klar sein, dass ihre Leistung bzw. ihr Beitrag in der Aufgabenbearbeitung überprüft werden kann. Daher empfiehlt es sich, erst nach Beendigung eines Arbeitsauftrags festzulegen, welche SchülerInnen die Ergebnisse präsentieren. Lernhilfe, Unterstützung, Beratung Signalisieren SchülerInnen Probleme in der Aufgabenbearbeitung bzw. -lösung, sollte die Lehrkraft ihnen angemessen helfen. Dies stellt sich gegenüber der vorausgehenden Motivierung wesentlich schwieriger und komplexer dar. Es gilt das bestehende Problem schnell und genau zu identifizieren und gleichzeitig herauszufinden, welcher minimale Rat bzw. Hinweis den jeweiligen SchülerInnen weiterhilft. Dabei gilt es, einerseits nicht die Lösung vorwegzunehmen, andererseits aber auch nicht die SchülerInnen mit „verschlüsselten Informationsfragmenten“ hinzuhalten. Ferner sollte ein fragendentwickelndes „gemeinsames Problemlösen“ vermieden werden, da dies von den SchülerInnen ähnlich wie im Klassen-Unterricht nicht als eigenständiges Erarbeiten, sondern eher als aufgesetztes „Frage-Antwort-Spiel“ wahrgenommen wird. Oftmals genügt es, Hinweise auf übersehene bzw. falsch aufgefasste Informationen zu geben bzw. Programm-, Übertragungs- oder Rechenfehler offenzulegen. Noch schwieriger stellt sich die Situation dar, wenn die Lehrkraft Fehler bzw. falsche Lösungswege sieht, die SchülerInnen aber keine Probleme bemerken. Vor einer Intervention sollte hier dann selbst genau überlegt werden, ob überhaupt wirklich ein Fehler vorliegt, oder nur ein ungewöhnlicher Lösungsweg. 333
Zudem könnte der Fehler lehrreich sein (s. Kap. 6.6). Also muss auch bei der Feststellung von Lösungsfehlern abgewogen werden, ob der Fehler von den SchülerInnen selbst gefunden und dann behoben werden kann oder ob sie damit überfordert sind. Zu den vorausgehenden Überlegungen kommen also in diesen Fällen noch einige Abwägungen, welche den Zeitpunkt, die Art und den Umfang der Intervention bedingen. Um diese schwierige Aufgabe zu beherrschen, sind – neben viel fachlicher und didaktischer Kompetenz – Erfahrung, Übung und „Fingerspitzengefühl“ erforderlich. Generell gilt: – Nur auf Schülerinitiative intervenieren, oder wenn feststeht, dass ein inproduktives, schwer lösbares Problem vorliegt; – Das Problem schnell und genau mit den SchülerInnen gemeinsam identifizieren; – Lösungsvorschläge der SchülerInnen sammeln, explizieren, ordnen, evtl. ausführen oder ergänzen; – Zentrale Fehler aufklären und kommunizieren; – Fehlende oder falsch verarbeitete Informationen aufarbeiten; – Nach der Beratung die Gruppe noch beobachten, sichern, dass die Unterstützung ausreicht. Mitarbeitssicherung und Konflikthilfe Gruppenarbeit setzt voraus, dass sich alle SchülerInnen beteiligen und eine gewisse Harmonie in der Zusammenarbeit vorliegt. Schülergruppen, in denen dies nicht der Fall ist, sind weniger (bis gar nicht) produktiv. Generell ist es Aufgabe der SchülerInnen, dafür zu sorgen, dass alle Mitglieder einer Gruppe sich an der Arbeit beteiligen. Dies durchgehend abzusichern, würde die Lehrkraft überfordern bzw. wäre für alle Gruppen einer Klasse nicht leistbar. Verschließen sich aber einzelne SchülerInnen ihrer Gruppe, sondern sich von dieser ab oder es ergeben sich interne Spannungen, muss die Lehrkraft eingreifen. Dabei gilt es zunächst, im Einzelgespräch mit der/m jeweiligen SchülerIn die vorliegenden Gründe zu identifizieren. Sind diese motivationalen Ursprungs, gelten die vorausgehenden Feststellungen in (1). Versperrt sich ein/e SchülerIn generell der Arbeit, muss dies disziplinarisch gehandhabt werden. Evtl. müssen diese SchülerInnen auch punktuell aus der Gruppenarbeit ausgegliedert und zur Einzelarbeit aufgefordert werden. Werden hingegen soziale oder kommunikative Probleme in der Gruppe als Ursache für das Verhalten einzelner SchülerInnen identifiziert, gilt es für die Lehrkraft, eine
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Konfliktlösung einzuleiten. Dies gilt generell für jedes Auftreten gruppeninterner Konflikte. Für Gruppenkonflikte existieren, abhängig von den Gruppenarten, involvierten Personen, Konfliktstärken bzw. -ausmaßen und anderen Rahmenbedingungen unterschiedlichste Lösungsansätze. Bewährt haben sich in der Schule z.B. das Gesprächskonzept von Thomas GORDON559 oder „Mediations“Konzepte. „Mediation“ bedeutet allgemein Vermittlung. Generell wird ein/e MediatorIn bestimmt (LehrerIn oder SchülerIn), welche/r eine neutrale, vermittelnde Position zwischen den Parteien einnehmen soll. Jede Seite trägt ihre Argumente vor und es wird versucht, eine gemeinsame Lösung ohne Sieger und Verlierer zu finden.560 Obwohl die Arbeitszeit der SchülerInnen begrenzt und damit sehr wertvoll ist, sollte sich die Lehrkraft intensiv mit der Aufarbeitung von Arbeitsstörungen bzw. Gruppenkonflikten beschäftigen. Dies ist nicht immer einfach, da Vieles unter der Oberfläche der Gruppenarbeit verborgen bleibt bzw. „schwelt“. Der Anspruch eines Unterrichts, welcher Sozialkompetenzen fördert, bedingt jedoch an erster Stelle, diesbezügliche kontraproduktive Prozesse zu minimalisieren. Erfolgreiche Konfliktlösungen gehen dann mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Sozialkompetenzen der SchülerInnen über. Fachgespräche und Soziales Monitoring Die einzigen explizit plan- und vorbereitbaren Segmente bei der Moderation von Gruppenarbeiten sind (a) die sog. Fachgespräche und (b) das soziale Monitoring. Erstes bezieht sich auf die spezifische Reflexion und Kontrolle kognitiver Unterrichtswirkungen, zweites auf die Reflexion und Kontrolle sozialer bzw. kommunikativer Unterrichtswirkungen. Zu (a): Der Begriff des „Fachgesprächs“ entstammt der betrieblichen Leittextmethode. Diese Unterweisungsmethode wurde in deutschen Großbetrieben Mitte der 1980er Jahre eingeführt. Anstelle von direkten Unterweisungen des Meisters erarbeiten sich die Auszubildenden die Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Hilfe von Leittexten selbständig. Um dies zu kontrollieren und koordinieren, sieht das Konzept zwischen der Arbeitsplanung und -durchführung Fachgespräche zwischen Auszubildenden und Lehrmeistern vor, in
559 Vgl. Gordon, 1989. 560 Näheres dazu ist in der Fachliteratur zu finden. Für „Mediation“ gibt es eine Reihe bewährter Praxiskonzepte. Sie erfordert Übung und Erfahrung, gilt aber aktuell als wirksamster Ansatz für die Bewältigung von Unterrichtskonflikten.
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denen geklärt wird, ob alles richtig erarbeitet wurde und die anstehende Durchführung sinnvoll und produktiv sein kann. Diese Interaktionsform wurde dann später innerhalb des Unterrichts übernommen. Die betrieblichen Intentionen der Gewährleistung von Sinnhaftigkeit und Sicherheit der Arbeit wurden dabei um den Aspekt der Verständniskontrolle erweitert. In Fachgesprächen haben LehrerInnen in schüleraktivem Unterricht die Möglichkeit, innerhalb eines längerfristigen Lernprozesses den Kenntnis- und Leistungsstand der SchülerInnen intensiv zu erheben, diesen aufzuarbeiten, zu ergänzen bzw. anderweitige Maßnahmen einzuleiten. Thema eines Fachgesprächs ist die zurückliegende Lern- bzw. Arbeitssequenz. Zunächst werden die vorliegenden Arbeitsergebnisse gemeinsam bewertet und dabei auftretende Schwierigkeiten und Lösungswege besprochen. Dann sollten die SchülerInnen (von der Lehrkraft vorbereitete) Fragen beantworten, welche die Qualität des erworbenen Wissens erheben. Dabei kommen kognitive aber auch metakognitive Aspekte zur Sprache. Das Aufgabenspektrum kann sich von einfachem Fachwissen bis hin zum Transfer des Gelernten erstrecken. Am Ende des Fachgesprächs stehen die Selbstbewertung der SchülerInnen für die zurückliegende Lernsequenz und die differenzierte LehrerInnen-Bewertung mit entsprechenden gemeinsamen Überlegungen für die weitere Aufgabenbearbeitung. Trotz dieser relativ klaren Vorstellungen über Fachgespräche ist deren Praxis aktuell sehr variantenreich.561 Zu (b): Unter „sozialem Monitoring“ sind hier Maßnahmen zu verstehen, welche einen Gruppenprozess gemeinsam mit den Beteiligten erheben, beschreiben, offen legen, analysieren und aufarbeiten. Vor allem in der betrieblichen Gruppenarbeit haben sich solche Verfahren bewährt, um dortige Teamprozesse zu unterstützen und zu fördern. Dies erscheint auch für die Gruppenarbeit im beruflichen Unterricht erforderlich, zudem kann so die intendierte Entwicklung von Personal- und Sozialkompetenzen explizit gefördert werden. Soziales Monitoring ist systematisierte und explizierte Metakommunikation (vgl. Kap. 6.6). Die SchülerInnen erhalten z.B. Instrumentarien zur Gegenüberstellung ihres Selbstbilds mit dem „Fremdbild“ der anderen und können sich mit den Ergebnissen auseinandersetzen. Über Mindmaps und Charts werden Eindrücke über die Gruppenarbeit erhoben und besprochen. Dabei stehen Aspekte des gegenseitigen Umgangs, der Kommunikation und Kooperation im Mittelpunkt. Die Lehrkraft setzt die jeweils angemessenen Instru561 Vgl. Buchalik, Riedl, 2008.
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mentarien ein und moderiert das Monitoring. Sie sichert eine dabei offene aber geregelte Kommunikation, vermittelt bei Konflikten und unterstützt die SchülerInnen bei der Ableitung, Dokumentation und Umsetzung von Konsequenzen für die weitere Gruppenarbeit. Das soziale Monitoring kann in einer minimalisierten Form nach einzelnen Arbeitsschritten oder -phasen erfolgen, oder ausführlicher am Ende einer Unterrichtssequenz. Es fördert nicht nur die Schülergruppenarbeit und die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen, sondern ermöglicht der unterrichtenden Lehrkraft die besten Einblicke in die sozialen und kommunikativen Prozesse ihres Unterrichts. Damit ist nicht nur eine differenziertere Einschätzung der einzelnen SchülerInnen aus dieser Perspektive möglich, sondern auch eine Modifikation bzw. Optimierung dieser (ansonsten relativ verdeckten) Unterrichtsanteile. Wie die Fachgespräche sollte auch das soziale Monitoring mit einer kurzen Zusammenfassung durch die unterrichtende Lehrperson abgeschlossen werden. Die vorausgehend umrissenen vier Teilaspekte einer Moderation von Schülergruppenarbeit machen deutlich, dass hier sehr hohe praktische und auch persönliche Anforderungen an die Lehrkräfte gestellt werden. Die LehrerInnen werden zwar von der dominanten Vortrags- bzw. Gesprächsrolle befreit, gleichermaßen aber mit einer permanenten Begleitung der SchülerInnen beauftragt. Wie anspruchsvoll und gleichermaßen erfolgreich dies sein kann, zeigt z.B. die Studie von ROZENDAAL, MINNAERT BOEKAERTS, in der der ILS-Ansatz („Interactive Learning Group System“) empirisch überprüft wurde. Dieser Ansatz ist stark konstruktivistisch ausgerichtet, sieht dabei aber eine sehr enge Betreuung und Unterstützung durch die Lehrperson vor. Die Befunde zeigen, dass bei den Lehrpersonen, die den ILS-Ansatz am stringentesten umgesetzt haben, die hochwertigsten Lernprozesse und die stärkste Motivation bei den SchülerInnen feststellbar waren.562 Somit ist festzustellen, dass schülerzentrierter Unterricht für die Lehrkräfte die gleiche Präsenz fordert, wie lehrerzentrierter Unterricht. Dabei reduzieren sich die Anteile direkter Kommunikation, Beobachtung und situative Reaktion kommen dagegen hinzu. Dies macht eine Reihe von Kenntnissen und Kompetenzen erforderlich, welche aktuell in der Lehrerbildung nur selten bzw. rudimentär vermittelt werden. Hier zu erwähnen sind insbesondere die Theorie und Praxis von Metakognition und -kommunikation, aber auch vielfältige Sozialkompetenzen. Sinnvolle soziale Interventionen im Unterricht setzen bei der Lehrperson ein Verständnis der sozialen Prozesse voraus. Au562 Vgl. Rozendaal, Minnaert, Boekaerts, 2005.
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ßerdem muss sie sich über deren Ursachen und Wirkungen sowie über die eigene Rolle innerhalb des Gesamtszenarios im Klaren sein.
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UNTERRICHTS-EVALUATION Erschließungsfragen: – Was ist generell unter „Evaluation“ zu verstehen und welche Rolle ist dieser im vorliegenden didaktischen Prozessmodell beizumessen? – Wie hängen „Evaluation und Unterrichtsqualität“ zusammen? – Warum ist es schwierig, Unterrichtsqualität zu konkretisieren? – Welche Methoden können zur Evaluation angewandt werden und wie unterscheiden sich deren Zugangs- und Handhabungsspezifika? – Welche Varianten von Evaluation sind möglich und welche verschiedenen Intentionen können damit jeweils einher gehen? – Welche Aspekte sind für die Durchführung einer Evaluation zu berücksichtigen? – Wie sollten die Ergebnisse einer Evaluation ausgewertet und an die beteiligten Lehrpersonen kommuniziert werden? – Wie wird Evaluation verstetigt und zu einem genuinen Bestandteil didaktischmethodischen Handelns gemacht?
Gemäß dem vorliegenden didaktischen Modell nimmt Evaluation nach Planung, Konzeption und Durchführung die abschließende Funktion innerhalb einer Gesamt-Lehrsequenz ein. Ausgangspunkte, Schwerpunkte, Verteilung, … Konzepte, Materialien, … persönliches Wirken
Vorbereitungsprozess
Unterrichtsprozess
Evaluationsprozess
n
Planungsprozess
Abbildung 33: Übergang sequenziellen didaktischen Handelns in zirkuläres Handeln
Da sich Evaluation auf alle vorausgehenden Teilschritte im didaktischen Prozess bezieht, nimmt sie zwar im Rahmen dieser Darstellung eine Endposition ein, bildet jedoch nicht den Schluss einer didaktischen Sequenz, sondern vielmehr den Beginn des Übergangs in (geschlossene) didaktische Handlungskreise. Didaktisches Handeln ist demgemäß als ein Kreisprozess aus
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Unterrichtsgestaltung, Unterrichtsrealität und (ggf.) Unterrichtsveränderung563 aufzufassen. Um Veränderungszyklen produktiv zu gestalten, hat sich der Ansatz der Evaluation bewährt.
8.1 Begriff und Bedeutung564 Lange bevor der Begriff der „Evaluation“ im schulischen Sprachgebrauch Verbreitung fand, entstanden schon Ansätze, die didaktisches Handeln nicht linear bzw. unidirektional, sondern zirkulär bzw. reflexiv aufzufassen. Prominentes Beispiel dafür ist HEIMANNS Faktorenanalyse. Seit langem wird in Wissenschaft und Praxis versucht, die Lehrertätigkeit um reflexive Elemente zu bereichern. Evaluation fand jedoch bislang keinen breiten Eingang in die Alltagspraxis der LehrerInnen, vielmehr wurde sie zu einem „Reizbegriff“, der mit Kontrolle und Sanktion in Verbindung gebracht wird. Diese Ablehnung war nicht völlig unbegründet, da Evaluation – neben dieser internen Funktion – auch als externe Rückmeldung eingesetzt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn deren Ergebnisse Individuen zugänglich gemacht werden, welche nicht direkt am didaktischen Handeln beteiligt sind.565 Dann wird nicht primär das Schließen didaktischer Handlungskreise intendiert, sondern deren Erfassung oder auch Bewertung. Diese Nutzung von Evaluation ist für die Praxis nur sekundär relevant. Vor allem die Instrumentalisierung von Evaluation für bildungsökonomische Ansätze (z.B. QM) bleibt für LehrerInnen wenig nachvollziehbar, da sie hier (mit Recht) Restriktion anstelle von Förderung und Unterstützung sehen. Im Folgenden soll daher ausschließlich interne Evaluation als integratives (Teil eines Ganzen), reflexives (rückmeldendes) rekursives (auf sich bezogenes) Element eines vollständigen didaktischen Handelns erörtert werden. Begriff Der Begriff „Evaluation“ geht auf das lateinische Wort „valeve“ (bei Kräften sein, wert sein) zurück. Im Deutschen wird unter Evaluation häufig Schät-
563 „Vollständige Handlung“ gem. der Handlungsregulationstheorie nach Hacker und Volpert (s. Volpert, 1980). 564 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 565 Z.B. Forscher oder auch Inspektoren.
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zung, Wertbestimmung, Bewertung, Beurteilung etc. verstanden.566 Spezifiziert auf Schule bzw. Unterricht versteht man aktuell unter Evaluation u.a.: – Eine Rechenschaftslegung zur Dokumentation der Qualität pädagogischer Arbeit nach außen; – Die Bewertung der Wirksamkeit von Bildung unter der Maßgabe der in dem jeweiligen Bildungssystem (-kultur) vorherrschenden Wert- und Normvorstellungen; – Die Vergewisserung und Rückmeldung über die Wirksamkeit der schulischen Praxis und Wechselwirkungen zwischen pädagogischen Zielen, methodisch-didaktischen Konzepten sowie erzielten Ergebnissen. Für den vorliegenden Ansatz trifft die letztgenannte Auffassung am besten zu, da in dieser Verbesserung und Weiterentwicklung gegenüber Überprüfung und Rechenschaft priorisiert wird. Die vorliegende Einschränkung auf den Aspekt der Wirksamkeit erscheint hier jedoch zu eng. Würde sich didaktische Reflexion ausschließlich auf diesen Aspekt beschränken, ginge sie kaum über die (im Zusammenhang mit der Unterrichtskonzeption dargestellten) Kontroll- und Reflexionselemente hinaus. Daher soll das Prädikat „Wirksamkeit“ durch jenes der „Qualität“ ersetzt werden. Unter Evaluation wird nachfolgend generell eine Vergewisserung bzw. Rückmeldung über die Qualität beruflichen Unterrichts verstanden. Dabei wird beruflicher Unterricht in der gesamten Komplexität des vorliegenden Modells aufgefasst und im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) nicht (statisch) als wachsender Bestand, sondern (dynamisch) als ein sich permanent entwickelndes Konstrukt verstanden. Unterrichtsqualität Evaluation bezieht sich generell auf die Qualität beruflichen Unterrichts. Obwohl die Frage nach „dem guten Unterricht“ keine neue ist, wird der Begriff „Unterrichtsqualität“ (UQ) erst seit ca. einem Jahrzehnt intensiv, vor allem im Zusammenhang mit Konzepten sog. „innerer Schulentwicklung“ diskutiert. Dies steht in engem Zusammenhang mit der vorangehenden Zuwendung der Wirtschaft zur Sicherung bzw. zum Management von Qualität. Als Adaptivbegriff ist UQ eng mit innerer Schulentwicklung und schulischem Qualitätsmanagement verknüpft.567 566 Auswertung von Erfahrungen und Bewertung von Verfahrensweisen in der Forschung, Analyse und Bewertung eines Sachverhalts, Einschätzung der Wirkungsweise, Wirksamkeit und Wirkungszusammenhänge. 567 Näheres dazu in Tenberg, 2003.
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Stellt man LehrerInnen die Frage nach „gutem Unterricht“, fallen eine Reihe von pädagogischen bzw. didaktischen Schlagwörtern aus den verschiedensten Bezugssystemen und -ebenen.568 Dabei stellt sich zumeist einerseits ein diesbezüglich relativ breiter Konsens unter den befragten LehrerInnen ein, andererseits sind diese selten willens und auch in der Lage, diese Aspekte zu strukturieren, systematisieren bzw. zu taxieren.569 Dieses Defizit deutet nicht nur ein Fehlen (bzw. ein Vernachlässigen) diesbezüglicher Vorgaben aus der Wissenschaft an, sondern auch eine fehlende Praxis einer damit zusammenhängenden alltäglichen Auseinandersetzung.570 GARVIN571 stellt aktuell fünf grundlegende Auffassungen von Qualität fest: Ein normatives Qualitätsverständnis,572 ein produktbezogenes Qualitätsverständnis,573 ein kundenbezogenes Qualitätsverständnis,574 ein herstellungsbezogenes Qualitätsverständnis,575 ein monetär orientiertes Qualitätsverständnis.576 Dabei kann sich Qualität partikulär oder summarisch bemessen, je nachdem, ob Erfordernisse ein- oder mehrdimensional festgelegt werden. Die Festlegung von Erfordernissen, welche einer Qualitätsvorstellung zu Grunde liegen, kann in diesem Sinne durch die Gesellschaft, Fachexperten, Kunden, den Markt etc. erfolgen. Überträgt man diesen Ansatz auf Unterricht, wird die Komplexität und Multidimensionalität von Unterrichtsqualität deutlich. Verschiedene Individuen bzw. Gruppierungen definieren verschiedenste Erfordernisse, welche zumeist undifferenziert aber additiv gehandhabt werden. LehrerInnen sehen ihr „Produkt Unterricht“ dann im Schnittfeld vielfältigster Qualitätsanforderungen: (1) Normative UQ-Ansprüche entstehen aus gesellschaftlichen Ansprüchen, rechtlichen und staatlichen Vorgaben,577 (2) produktbezogene UQ-Ansprüche bestimmt die Lehrkraft selbst,578 (3) kundenbezogene UQ-Ansprüche entstehen durch Orientierung des Unterrichts an den Adressaten und deren Vertre-
568 Guter Unterricht ist differenziert, aktivierend, wirksam, erziehend, wissenschaftlich, modern, aktuell, nachhaltig, praxisorientiert, motivierend … 569 Als Belege für diese Feststellung sind die inzwischen verbreiteten „Schul-Leitbilder“ anzuführen, in welchen diese Aspekte ebenso vielfältig wie unstrukturiert dargestellt werden. 570 Vgl. Brügelmann, 1999. 571 Vgl. Garvin, 1984. 572 Das Gute, Schöne, Richtige, … 573 Z.B. „20 Jahre alter Wein ist besser als 10 Jahre alter Wein“. 574 Fähigkeit einer Leistung, die Bedürfnisse des Kunden zu erfüllen. 575 Erfüllung von Vorgaben bzw. Anforderungen. 576 Günstige Kosten-/ Nutzen-Proportion. 577 Öffentliche Meinung, Werte, Dienstvorschriften, Lehrpläne … 578 „Eigener Anspruch“ bei der Anwendung von Berufs- oder Praxiswissen.
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ter,579 (4) herstellungsbezogene UQ-Ansprüche entstehen durch eine Orientierung an Didaktiken bzw. deren Bezugswissenschaften,580 (5) monetär orientierte UQ-Ansprüche entstehen im Sinne einer Gegenrechnung der umgesetzten Ressourcen.581 Eine hohe Unterrichtsqualität ist gemäß dieser Kategorisierung dann erreicht, wenn hochgradig „lehrplangemäß“ unterrichtet wird, die Lehrkraft den eigenen Unterricht als „gut“ einschätzt, Schüler, Betriebe und Eltern mit dem Unterricht zufrieden sind, ein hochwertiges didaktisches Konzept umgesetzt wird und die verfügbaren Ressourcen effizient eingesetzt wurden (im Sinne des ökonomischen Prinzips). Eine summative Qualität von Unterricht bestünde somit in einer möglichst vollständigen Deckung aller Teilaspekte. Dies stellt sich als hoher Anspruch dar, da jeder Teilaspekt einerseits eine andere Perspektive repräsentiert und andererseits nicht im Sinne einer Ganzheit erfassbar oder abbildbar erscheint. Zudem bestehen keine quantifizierbaren Beziehungen zwischen den Teilaspekten; niemand kann festlegen, in welchem Verhältnis ein Qualitätsaspekt gegenüber einem anderen verrechnet werden müsste. Evaluation erfordert somit immer begründete Ausschnittbildungen bzw. Fokussierungen einher gehend mit deren Eingrenzung und Relativierung. Exkurs in die Schulrealität Obwohl Evaluation (nicht nur im Schulbereich) aktuell in aller Munde ist, verläuft deren Verbreitung in der Praxis nach wie vor schleppend. Als Gründe für die ablehnende Haltung an den Schulen werden berufsethische Argumente (pädagogischer Freiraum) oder berufssoziologische Argumente (AutonomieParitäts-Muster582) ebenso geäußert wie verschiedene Pragmatismen („zu aufwändig, keine Zeit, das bringt nichts …“). Hinter diesen Argumenten sind eine Reihe (1) rationaler aber auch (2) emotionaler Ursachen auszumachen: Zu (1): Tatsächlich ist Evaluation in der Lehrerbildung noch ein sehr junges Thema, so dass aktuell Praktiker zumeist nur dann über diesbezügliche Kompetenzen verfügen, wenn sie sie eigenständig erworben haben. Dieses Defizit erstreckt sich selbstverständlich auch in übergeordnete Bereiche wie Schulleitung und -aufsicht. Zudem erscheinen die bestehenden schulischen Rahmenbedingungen nicht unbedingt förderlich für Evaluation. Unterricht wird abgeschlossen, auf Basis individueller Materialien durchgeführt, es bestehen kaum geteilte Arbeitsräume oder -zeiten. Damit stellt sich eine Arbeitssituation ein, 579 580 581 582
Schüler, Eltern, Betriebe. Einhalten bestimmter Konzepte, Modelle, Prinzipien etc. Nutzung bestimmter Ressourcen bzw. Kompensation fehlender Ressourcen. Vgl. Lortie, 1972.
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welche mit der wirtschaftliche Betriebe kaum vergleichbar ist. LehrerInnen arbeiten und kommunizieren individualistisch in sehr unterschiedlichen Räumen und Bezugsfeldern zumeist in schwach strukturierten Prozessen. Zu (2): Evaluation ist für LehrerInnen häufig angstbehaftet. Durch die generell hohen, ineinander verwobenen kognitiven, kommunikativen und psychosozialen Anforderungen des Berufs identifizieren sich LehrerInnen stark mit dem „eigenen Unterricht“. D.h. sie betrachten diesen keineswegs als ein neutrales Produkt, sondern sehen diesen zu einem gewissen Teil auch als Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Wird ein Unterricht in Frage gestellt, fühlen sich LehrerInnen in der Regel persönlich betroffen. Obwohl durch den Beamtenstatus kaum angreifbar, befürchten LehrerInnen schlechte Beurteilungen, Bemängelungen und damit zusammenhängende Kritik sowie Nachteile. Dies hängt vermutlich mit der bekannten Kluft zwischen didaktischen Möglichkeiten (bzw. Anforderungen) und schulischer Realität zusammen. Alltagsunterricht kann nur selten jenen Anforderungen gerecht werden, mit welchen die LehrerInnen in ihrer Ausbildung konfrontiert wurden. Entsprechend ängstlich wird auf Unterrichtsbeobachtungen von Schulleitung oder -aufsicht reagiert. Aber auch der Besuch von KollegInnen, ReferendarInnen oder PraktikantInnen ist nicht immer willkommen. Das könnte darauf hindeuten, dass in vielen Fällen Unterricht auch den eigenen Ansprüchen der LehrerInnen nicht gerecht wird, ohne dass diese aber eine genaue Vorstellung dieses Defizits entwickeln und sich damit dann – in Ermangelung von Konsequenzen bzw. ohne Hoffnung auf Abhilfe – einfach arrangieren. Fehlende oder defizitäre Kompetenzen für Evaluation, ungünstige äußere und innere Rahmenbedingungen, Ängste gegenüber anderen aber auch sich selbst stehen somit aktuell in der Schulpraxis relativ diffusen „Evaluationserträgen“ gegenüber und bedeuten zudem Mehraufwand.583 Dieser Aufwand kann nur für jene Lehrpersonen gerechtfertigt sein, denen es gelingt, durch Evaluation ihr gesamtes didaktisches Wirken in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu überführen. Dies bedingt keine Erhöhung des Aufwandes, sondern dessen Optimierung.
8.2 Evaluationsmethoden584 Aktuell orientiert sich Evaluation aus methodischer Perspektive an der empirischen Sozialforschung. Dies hängt zum Einen mit dem gegenwärtigen For583 Näheres dazu in Altrichter, Posch, 1999. 584 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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schungsparadigma in der Lehr-Lern-Forschung zusammen, zum Anderen mit den relativ identischen Bezugsfeldern, Personengruppen, Fragestellungen und Projektionsfeldern. Häufig wird Unterrichtsforschung mit Evaluation gleichgesetzt. Daher finden viele der „gängigen“ Methoden empirischer Sozialforschung Verwendung für die Evaluation von Unterricht. Entscheidend dafür, welche Methode eingesetzt wird, ist dabei aber nicht eine vorausgehende bzw. nachfolgende Theoriebildung im Zusammenhang mit einem komplexen Forschungsdesign, sondern vielmehr das Erhebungsinteresse und die diesbezüglich praxisbezogene möglichen Erhebungszugänge.585 Generell unterscheidet die empirische Sozialforschung zwischen „Methoden der (1) Beobachtung“, „Methoden der (2) Befragung“ und (3) „Materialanalysen“. Damit drücken sich drei grundlegende Perspektiven aus: Bei einer Beobachtung wird ein äußeres Bild einer sozialen Situation rezipiert, dokumentiert und analysiert, bei einer Befragung erfolgt eine sog. „Introspektion“, d.h. dass die Sichtweisen von Individuen erschlossen werden, bei einer Materialanalyse erfolgt eine Rekonstruktion einer Lehr-Lern-Situation, indem man sich mit deren Medien, Materialien und materiellen Ergebnissen befasst. Zu (1): Unter ist keine behavioristisch geprägte Erhebung äußerer Erscheinungen im Sinne eines Messens und Zählens quantifizierbarer Daten zu verstehen. Diese würde dem epistemologischen Grundverständnis dieser Didaktik ebenso wie deren Basiskonzept des Kognitivismus und Konstruktivismus widersprechen. Vielmehr ist ein „verstehendes Beobachten“ gemeint, also eine sinnerschließende Auseinandersetzung eines Individuums mit einem Geschehen. Dabei ist eine möglichst authentische Konfrontation mit dem Unterrichtsgeschehen erforderlich, sowie ein diesbezügliches Tiefenverständnis. Im Idealfall würde somit der Unterrichtende selbst als Beobachter fungieren. Da dies jedoch nicht zeitgleich möglich ist, muss entweder eine andere Person beobachten, oder ein Beobachtungsmedium eingesetzt werden, welches eine spätere Eigenreflexion der Lehrkraft ermöglicht. Daraus resultiert eine Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Beobachtung. Mittelbare Beobachtung erfolgt über audiovisuelle Medien, was eine relativ objektive Abbildung des Geschehens ermöglicht, jedoch leider
585 Soll z.B. die Schülersicht bzgl. des Unterrichts erhoben werden, repräsentieren die SchülerInnen den einzigen dafür verfügbaren Zugang.
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auch eine Ausschnittbildung mit sich bringt.586 Die unmittelbare Beobachtung erfolgt durch die Anwesenheit einer Beobachtungsperson im Unterricht. Diese kann sich auch mehr oder weniger am Unterricht beteiligen,587 was Vorteile hinsichtlich des Zugangs mit sich bringt, jedoch Nachteile hinsichtlich der Datenerhebung sowie der Authentizität und Objektivität. Unmittelbare Beobachtung führt zu mehr oder weniger strukturierten bzw. operationalisierten Protokollen. Die Gestaltung von Vorlagen für Unterrichtsprotokolle aus den Kriterien entspricht der Transformation der Qualitätsvorstellungen von Unterricht in die Evaluation. In der Praxis haben sich Kombinationen aus mittelbarer und unmittelbarer Beobachtung bewährt. Die audiovisuelle Aufzeichnung entbindet von einer allzu engen Protokollierung und ermöglicht dem Beobachter eine Konzentration auf spezifische Phänomene. Andererseits erleichtert sie eine anschließende Auswertung sowie Besprechung des Unterrichts und erhöht die Aussagekraft gegenüber der Lehrkraft die sich und die Klasse aus neuer Perspektive sehen kann. Zu (2): Im Gegensatz zu (1) bezieht sich ein Zugang über Befragung nicht ausschließlich auf die Unterrichtssituation. Zwar sind ausschließlich die SchülerInnen jene, welche mit dem Unterricht direkt in Kontakt kommen, jedoch stehen hinter ihnen noch andere Individuen, welche mit den Folgen des Unterrichts durchaus konfrontiert werden. Dies ist in erster Linie das betriebliche Ausbildungspersonal. Will man etwas über den eigenen Unterricht und dessen Wirkungen in Erfahrung bringen, sollte man daher nicht nur die Schüler darüber befragen, sondern auch auf die Betriebe zugehen. Je nach Personengruppe deuten sich dabei unterschiedliche Fokussierungen an. Bei den SchülerInnen stoßen eher situative Aspekte des Unterrichts auf Interesse, aus Sicht der Betriebe erscheinen vor allem Wirkungsaspekte interessant. Aus methodischer Sicht muss zunächst zwischen „schriftlichen“ und „mündlichen“ Befragungen unterschieden werden. Dabei teilen sich die schriftlichen Verfahren in gebundene und offene Fragestellungen, die mündlichen in Gespräche und Interviews. Gebundene Fragen liefern aufgrund ihrer Operationalisierung schnell und einfach quantifizierbare Ergebnisse, bilden jedoch nur 586 Wollte man das Gesamtgeschehen eines Unterrichts komplett videotechnisch dokumentieren, müsste jede SchülerInnen-SchülerInnen- und jejde LehrerInnen-LehrerInnen-Interaktion zeitlich synchronisiert und ineinander verschränkt mit Bild und Ton aufgenommen werden. Der dabei erforderliche technische Aufwand würde dem Unterricht eine „Studioatmosphäre“ verleihen, welche alle Beteiligten erheblich beeinflussen könnte. 587 Je nach Grad bzw. Intensität der Beteiligung spricht man dann auch von „teilnehmender Beobachtung“.
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einen bestimmten Ausschnitt der sozialen Realität ab. Offene Fragen hingegen besitzen einen breiteren und tieferen Erschließungsgehalt, erfordern jedoch ein aufwändigeres Verfahren und müssen qualitativ aufbereitet werden. Ähnlich sieht es im Zusammenhang mit mündlichen Befragungen aus. Der Übergang vom Gespräch ins Interview ist fließend und deutet in erster Linie den Strukturierungsgrad an. Je offener ein Gespräch ist, desto mehr kann erschlossen werden, desto vager werden aber auch die möglichen Schlüsse. Je enger ein Interview strukturiert ist, desto weniger Aspekte kann es erschließen, desto konkreter aber werden darin getroffene Aussagen ausfallen. In der Praxis sind auch hier Kombinationen üblich. Z.B. bieten sich regelmäßige, gebundene Schüler- und Elternbefragungen an, um generelle Einschätzungen und Trends zu erfassen. In anschließenden LehrerInnen-SchülerInnenGesprächen können diese Einschätzungen kommuniziert, konkretisiert und evtl. korrigiert werden. In Problemklassen bieten sich dagegen Einzelinterviews mit einem Schwerpunkt in der sozialen Interaktion an. Regelmäßige Gespräche mit den Betrieben sollten nicht als Interviews gehalten werden, können aber durchaus durch vorgefertigte Leitfäden unterstützt und dokumentiert werden. So wie vorausgehend die Beobachtungsprotokolle bzw. Auswertungsbögen die didaktischen Qualitätsvorstellungen in die Evaluation übertragen, erfolgt dies in den Befragungen über deren Instrumentarien. Unabhängig davon, ob mit harten Skalen, offenen Items oder mittels Interview- oder Gesprächsleitfäden gearbeitet wird, repräsentieren diese letztlich nur die gesetzten Kriterien. Die Erstellung derartiger Instrumente entspricht daher einer Transformation der Qualitätskriterien in Fragestellungen. Zu (3): Ähnlich wie die Ethnologie aus der Erforschung von Gegenständen und Bauten zurückliegender Kulturen Aufschlüsse über diese zieht, betrachtet die aktuelle empirische Sozialforschung Vorgaben und Ergebnisse sozialen Handelns, um auf dieses Rückschlüsse ziehen zu können. Im Zusammenhang mit Unterricht bedeutet dies, dass die Analyse der Materialien und Ergebnisse aus den Lernhandlungen der SchülerInnen Informationen über den Unterricht offen legen kann. Dies bezieht sich auf alle Konzeptunterlagen, Materialien, Medien sowie Schüleraufzeichungen und -mitschriften ebenso wie auf Aufgabenbearbeitungen und -lösungen bzw. hergestellte Gegenstände oder Produkte. Eine weitere Möglichkeit bietet die Auswertung sog. „logfiles“. So erlauben moderne Computersysteme die Aufzeichnung aller Aktionen bei der Bedienung von Computerprogrammen. Die dabei entstehenden logfiles lassen
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eine vollständige Rekonstruktion der Schülerbedienung zu und ermöglichen damit eine genaue Analyse der Arbeits-, Lösungs- und Lernwege. Wie sich bereits abzeichnet, kann Evaluation über sehr unterschiedliche Zugänge in unterschiedlichen Varianten, Qualitäten und Schwerpunktsetzungen erfolgen. Wie die einzelnen Verfahren ausgewählt und kombiniert werden, klärt sich in der Praxis und ist Ausdruck des individuellen Qualitätsbewusstseins von LehrerInnen. Daher erscheint es auch in diesem Rahmen kaum möglich, Vorbild- oder Beispielmaterial für Instrumente anzubieten. Evaluation von Unterricht setzt die Kompetenz voraus, Instrumentarien herstellen, akquirieren, analysieren und beurteilen zu können. Dies erfordert spezifische Theorie- und Praxiskenntnisse.
8.3 Varianten von Evaluation588 Aus methodologischer Sicht erscheint Evaluation relativ identisch mit einer wissenschaftlichen Untersuchung, aus intentionaler Sicht, also aus der Nutzungs- bzw. Bewertungsperspektive, stellt sich dies anders dar. Im Gegensatz zu einem möglichst neutralen, sachlichen Erkenntnisgewinn steht hier das Interesse an gezielten Rückmeldungen. Wie bereits vorausgehend dargestellt wurde, betrifft dies diejenigen, welche den Unterricht geplant, konzipiert und durchgeführt haben („Interne“), aber auch solche, die an der Güte des Unterricht interessiert sind („Externe“). Wissenschaftliche Untersuchungen werden im Normalfall von der Erhebung der Daten bis zu deren Interpretation durchgängig von einer distanzierten Person durchgeführt. In Evaluationsansätzen können Erhebung und Bewertung von unterschiedlichen Personengruppen (internen oder externen) vorgenommen werden. Man unterscheidet daher generell aus Erhebungsperspektive zwischen (1a) „Selbst- und (1b) Fremdevaluation“, aus Bewertungsperspektive zwischen (2a) „interner“ und (2b) „externer“ Evaluation. Zu (1a): Selbstevaluation (SE) entspricht einer direkten Selbstreflexion. Eine Lehrkraft erhebt ihren eigenen Unterricht, führt beispielsweise eine Schülerbefragung durch oder analysiert Videoaufzeichnungen ihres Unterrichts. Je mehr KollegInnen in die Unterrichtsgestaltung involviert sind, desto umfangreicher werden die Möglichkeiten einer SE. Z.B. können Konzeptmaterialien gegenseitig kontrolliert werden oder gegenseitig kollegiale Hospitationen erfolgen. Wichtig ist dabei aber, dass jede/r Beteiligte am Gesamtkonzept mitwirkt – anderenfalls wäre dies schon „Fremdevaluation“ (FE). SE geht von 588 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006.
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Identifikation aus und damit von hoher Subjektivität, Reflexivität sowie von starker Betroffenheit. Zu (1b): Fremdevaluation bedingt eine persönliche Distanz, welche nur dann vorliegen kann, wenn man sich weder mit einem Unterricht, noch mit dessen Entwicklern identifiziert. Daher entspricht eine teaminterne Evaluation immer einer Selbstevaluation, auch wenn sie mehrere Personen einbezieht. FE ermöglicht einen wesentlich sachlicheren, neutraleren Zugang und bedingt die Integration von Experten.589 Selbst- und Fremdevaluation hängen eng zusammen. SE kann zu sehr intensiven, punktuellen Aufschlüssen über Aspekte, welche für die betroffenen LehrerInnen sehr bedeutungsvoll sind, führen. FE hingegen kann zu anderen bzw. weiteren Aufschlüssen über einen Unterricht führen, welche evtl. von dessen Gestaltern überhaupt nicht identifiziert worden wären. Werden im ersten Falle die bestehenden didaktischen Kompetenzen präzisiert bzw. modifiziert, können sie im zweiten Fall in Frage gestellt, relativiert oder auch bereichert werden, usw. Selbst- und Fremdsicht ergänzen sich im Idealfall und ermöglichen eine maximale Rückmeldung an alle Beteiligten. Voraussetzung dabei ist eine konsensuale Vorstellung von Unterrichtsqualität.590 Auch hier eröffnet sich in der Auseinandersetzung über einen Konsens zwischen Internen und Externen ein didaktischer Entwicklungsraum; in der Kommunikation über die eigenen und fremden Vorstellungen von Unterrichtsqualität präzisieren LehrerInnen ihre eigene Didaktik und erfahren jene der anderen. Zu (2a): „Interne Evaluation“ (IE) erfolgt dann, wenn diejenigen, welche einen Unterricht realisiert haben, mit dessen Ergebnissen und Wirkungen konfrontiert werden und diese bewerten. IE ist die selbstverständliche Weiterführung einer SE, da kaum vorstellbar ist, dass LehrerInnen ihren Unterricht ausschließlich erheben, um ihn dann von anderen bewerten zu lassen. IE kann aber auch als FE erfolgen. Dies ist dann der Fall, wenn die Erhebung von Externen durchgeführt wird. IE ermöglicht in beiden Fällen den Aufbau eines wirksamen KVP591 im Zusammenhang mit Unterricht. Ohne derartige Informationen orientieren die LehrerInnen ihre Unterrichtsvor- und -nachbereitung an der aktuell wahrgenommenen (Jahrgangs-, Klassen-, Schüler- …) Situation. Einzige „Außenkriterien“ sind dabei die „üblichen“ Kontrollelemente, also mündliche Prüfungen und Klassenarbeiten. Das direkte didaktische Han589 Andere Lehrkräfte, Fortbildungslehrkräfte, Fachexperten, Praktiker, Wissenschaftler etc. 590 Je geringer der Konsens, desto weniger kann der Eine mit den Aussagen des Anderen etwas anfangen; je größer der Konsens, desto produktiver die Kommunikation. 591 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
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deln bemessen sie an situativen, individualisitischen Aspekten und folgen dabei überwiegend ihren subjektiven Theorien. Verbesserungen stellen sich dabei nur episodisch bzw. anekdotisch ein, unterliegen nur latenten, inneren Ansprüchen und orientieren sich kaum an Außenkriterien. IE informiert diejenigen, welche Unterricht realisieren, auch über ihre persönlichen Kompetenzen und den damit zusammenhängenden Stand der eigenen beruflichen Entwicklung. Ohne derartige Informationen stellt sich die berufliche Entwicklung von Lehrkräften defizitär dar. Weder die Unterrichtsvorbereitung noch das direkte didaktische Handeln unterliegen äußerer Beobachtung bzw. Vergleichen. LehrerInnen erfahren daher nur selten Expertenrückmeldungen, ebenso selten erleben sie Ihresgleichen bei der Arbeit. Berufliche Fortbildung wird zumeist gemäß persönlicher Interessen bzw. eines äußeren Angebots wahrgenommen, selten auf Grund festgestellter beruflicher Defizite. Zu (2b): „Externe Evaluation“ (EE) überträgt die Bewertung von Unterricht an Personen oder Gruppen, welche diesen nicht realisiert, aber an dessen Ergebnissen Interesse haben. Dies bezieht sich auf Schüler, Eltern und Betriebe ebenso wie auf Schulleitung und -aufsicht. Im Gegensatz zur „Reflexionsfunktion“ der IE ist der EE eine „Deskriptionsfunktion“ zuzuweisen. Die Ergebnisse der Bewertung werden nicht direkt in den Unterricht zurückgeführt, sondern nach außen getragen. Ob bzw. inwiefern dies möglich, nötig bzw. produktiv ist, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Einerseits wird behauptet, dass Unterricht nur von denjenigen bewertet werden kann, die diesen realisiert haben, andererseits finden schon immer Unterrichtsbesuche und Lehrproben statt. Auch dort, wo versucht wird, ganze Schulen in Qualitätssysteme zu integrieren, stellt sich der Bereich Unterricht als schwer zugängliches Problemfeld dar. Fest steht, dass die ehemaligen „pädagogischen Freiräume“ gesellschaftlich immer weniger akzeptiert werden und über kurz oder lang auch LehrerInnen an berufsbildenden Schulen sich transparenten Entwicklungskonzepten nicht mehr verschließen können. Interne und externe Evaluation stellen zunächst ein Kontrastpaar dar: Während IE eine Optimierung des Gesamtprozesses intendiert, erfolgt EE, um über einen momentanen Stand von Unterricht etwas mitzuteilen. IE geht in einen internen Kreisprozess ein, EE erfolgt dialogisch nach außen. Trotzdem besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Formen: EE verlagert die Auseinandersetzung über einen Unterricht auf ein breites Feld von Individuen, welche von dessen Qualität bzw. Ergebnissen erheblich betroffen sind. Dadurch entsteht eine direkte Verbindung zwischen „Dienstleistern“ und „Kunden“. Diese Verbindung ist wichtig, da es die „Kunden“
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emanzipiert, deren Wahrnehmung und Beurteilung offen legt und damit greifbar macht. LehrerInnen müssen sich einerseits dieser Öffentlichkeit stellen, andererseits können sie sich mit dieser Faktizität und mit den dahinter stehenden Individuen rational auseinandersetzen. Das bringt reaktive, aber auch antizipative Folgen mit sich. Wer gut bewertet wird, erhält Bestätigung, wer weniger gut bewertet wird, erlebt dies als Kritik. Die bisherige Innensicht erhält eine gewichtige Ergänzung bzw. ein Korrektiv. Je nachdem, wie gegenläufig sich die Ergebnisse von IE und EE darstellen, gilt es, die zusätzlichen Informationen in die internen Verbesserungszyklen einzubeziehen und darüber hinaus die IE (inhaltlich oder methodisch) anzupassen. Im Extremfall kann sogar eine Korrektur der didaktischen Ausgangspunkte die Folge sein. Z.B. könnte ein Lehrer, dessen Unterricht als zu chaotisch bezeichnet wird, Überlegungen anstellen, ob er weitere Ordnungselemente mit einbeziehen muss. Zusätzlich müsste er also in seine IE ein Item aufnehmen, welches diesen Aspekt klärt. Interne und externe Evaluation an öffentlichen Schulen sollten gut aufeinander abgestimmt sein bzw. miteinander korrespondieren. Die Schlüsselrolle hat dabei das jeweilige Konzept der Unterrichtsqualität. Nur wenn dieses den Vorstellungen der LehrerInnen entspricht, werden sie sich mit einer darauf basierenden Evaluation identifizieren können. Somit bildet dieses individuelle „didaktische Leitbild“ den Ausgangspunkt schulischer Evaluation. Da sich eine individuelle Bestimmung von Unterrichtsqualität aber zu einem nicht unerheblichen Teil auch an Außenkriterien orientieren muss (Aspekt 1, normative UQ-Ansprüche) und nach außen hin kommunizierbar sein sollte, kann auf externe Evaluation nicht völlig verzichtet werden. Einem Konflikt zwischen interner und externer Evaluation lässt sich dabei schon früh in der Feststellung und Kommunikation individueller Unterrichtsqualitätsvorstellungen entgegenwirken. Einerseits sollten diese LehrerInnen nicht aufgezwungen werden, andererseits sollten diese auch nicht willkürlich oder minimalistisch bzw. ungreifbar oder beliebig sein. So sollte eine erfolgreiche EE an einer Schule mit der Auseinandersetzung mit den individuellen Qualitätsstatuten ihrer Lehrerschaft beginnen. Konform zu diesem „kooperativen“ Vorgang der Qualitätsbestimmung sollte die gesamte weitere Handhabung von Evaluation vorgenommen werden. D.h., dass auch deren Durchführung, Auswertung und Umsetzung nicht als isolierte interne oder externe Konzepte optimal erscheinen, sondern voraussichtlich dann ihre besten Wirkungen entwickeln, wenn sie kooperativ erfolgen. Im Idealfall entwickelt sich ein Dialog zwischen „Internen“ und „Externen“, welcher zu einer Explikation und Ausdifferenzierung dessen führt, was didaktisch gewünscht wird aber 351
auch zu einer Offenlegung und Anerkennung dessen, was didaktisch möglich ist. Tabelle 11: Evaluations-Matrix mit den Dimensionen Erhebung/Bewertung Erhebung Bewertung
Selbst-
Fremd-
Intern
Spiegel
Beratung
Extern
Recheschaft
Kontrolle
Aus diesen beiden Dimensionen von unterrichtsbezogener Evaluation ergibt sich eine Matrix mit vier möglichen Ausprägungen (s. Tabelle 11). Dabei werden die primären Funktionen der jeweiligen Ausprägung deutlich: a) Eine interne Selbstevaluation konfrontiert LehrerInnen direkt mit ihrem eigenen Unterricht und bezieht keine anderen Personen mit ein. Daher entspricht sie einem vorgehaltenen Spiegel bei gleichzeitiger Vermeidung äußerer Partizipation; b) Eine interne Fremdevaluation erfolgt dann, wenn Lehrkräfte andere Personen für die Evaluation ihres Unterrichts hinzuziehen und sich mit deren Eindrücken auseinandersetzen. Diese Beratung kann andere bzw. neue Perspektiven auf den eigenen Unterricht öffnen und helfen, die eigenen Eindrücke zu konkretisieren und relativieren; c) Eine externe Selbstevaluation entspricht einer Rechenschaftslegung. Der Unterricht wird von den LehrerInnen selbst erhoben und die Ergebnisse werden nach außen weitergegeben; d) Erfolgt auch die Erhebung durch Außenstehende, spricht man von einer externen Fremdevaluation. Liegen die Gründe für diese Vorgehensweise nicht in einem wissenschaftlichen Zusammenhang, ist hier von bewertenden bzw. kontrollierenden Intentionen auszugehen. Wie schon im Zusammenhang mit den Einzeldimensionen stellt auch für diese vier Ausprägungen die Definition der Unterrichtsqualität einen zentralen Bezugspunkt dar. D.h., dass b), c) und d) in jedem Falle eine diesbezügliche Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Parteien voraussetzt und bedingt. Ausgangspunkt ist aber in jedem Falle a). Ohne Interne Selbstevaluation und die damit einsetzende Auseinandersetzung mit den eigenen Qualitätsvorstellungen erscheinen alle weiteren Evaluationsansätze wenig sinnvoll.
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Sowohl eine Beratung als auch Rechenschaft und Kontrolle führen nur dann zu einer nachhaltigen Verbesserung von Unterricht, wenn die betroffenen LehrerInnen deren Konsequenzen in ihre eigenständigen Schleifen aus Unterrichtsplanung, -konzeption und -durchführung einbetten. Aus den vorausgehenden Betrachtungen leiten sich folgende übergreifende Konsequenzen ab: 1. Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt von Evaluation ist die Bestimmung von Unterrichtsqualität. Sie ist nicht nur als Endergebnis eines didaktischen Diskurses bedeutend, sondern hat auch eine bedeutende Initiativfunktion; 2. Basis jeder Form von Evaluation ist eine interne Selbstevaluation. Sie ist Ausgangspunkt und Schnittstelle für alle anderen Ansätze und bestimmt deren Wirksamkeit; 3. Externe- und Fremdevaluation sind additive Ansätze, welche die interne Selbstevaluation bereichern, ohne sie aber wenig sinnvoll erscheinen. Ihre Wirksamkeit hängt erheblich von der Konvergenz der zu Grunde liegenden Vorstellungen von Unterrichtsqualität ab; 4. Interne Selbstevaluation kann von einzelnen Lehrkräften nur rudimentär durchgeführt werden. Daher empfiehlt sich für eine sinnvolle Evaluation die Bildung kollegialer Teams (wie schon zur Bildungsganggestaltung).
8.4 Durchführung, Auswertung und Rückführung592 Die eigentliche Durchführung der Evaluation, deren Auswertung und Rückführung in die Unterrichtsgestaltung bezieht sich auf die vorausgehend erörterten Zusammenhänge und konkretisiert diese.593 Durchführung der Evaluation Wie bereits eingangs angedeutet, empfinden viele LehrerInnen Evaluationsmaßnahmen als eine wenig weiterführende, zusätzliche Belastung. Nicht zuletzt versuchen sie dabei, sich externen Einblicken zu entziehen, da sie den eigenen Unterricht oft als Teil ihrer Privatsphäre betrachten. Da jedoch davon auszugehen ist, dass Evaluation aktuell nur dann fruchtbar werden kann, wenn 592 Im Folgenden teilweise wörtlich übernommen aus Tenberg, 2006. 593 Speziell für die Evaluationspraxis liegt eine Vielzahl von Konzepten und Methoden vor. Dort werden neben strukturellen und operativen Vorgaben auch eine Vielzahl von Instrumenten und Auswertungsverfahren zur Verfügung gestellt. Beispiele dafür finden sich in: Kempfert, Rolff, 1999.
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sich die Beteiligten damit identifizieren, sollten derartige Ängste vermieden bzw. weitgehend reduziert werden. Mit der Akzeptanz für Zugänge und Methoden steigt erwartungsgemäß die Bereitschaft von LehrerInnen, sich mit den Ergebnissen und deren Hintergründen auseinander zu setzen und diese proaktiv umzusetzen. Je nachdem, wie stark (oder schwach) die emotionale Betroffenheit einer Lehrkraft ausgeprägt ist, werden erste eigene Evaluationssversuche sehr eingegrenzt stattfinden, externe Individuen im Unterricht vermieden, keine Schülermeinungen mit einbezogen und auch keine Informationen nach außen kommuniziert.594 In vielen Fällen entwickelt sich dann ein Interesse an Hintergründen, anderen Meinungen und weiteren Informationen, so dass LehrerInnen über einen gewissen Zeitraum ihr Evaluationsspektrum intuitiv erweitern. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Didaktik erscheint insbesondere sog. „kollegiale Evaluation“ interessant. Da die Gestaltung anspruchsvoller Lernumgebungen besser im Team erfolgt, entsteht von Anfang an eine Kleingruppe von LehrerInnen, welche gemeinsamen Unterricht entwickeln. Im Idealfall teilen sich diese auch die Unterrichtskonzeption, -durchführung und -evaluation. Ist dies (mehr oder weniger) der Fall, entwickelt sich nicht nur ein geteilter Raum didaktischer Expertise, sondern auch ein engerer persönlicher Bezug. Derartige kollegiale Teamarbeit ermöglicht neben einer angstreduzierten Evaluationsdurchführung auch eine hohe Effizienz und Effektivität in deren Weiterführung, da sich exakt diejenigen Individuen mit einem Unterricht konfrontieren, welche diesen entwickelt und gestaltet haben. Die Durchführung von Evaluation ist somit auch ein Gewöhnungsprozess, welcher am besten in einem kollegialen Team erfolgt. Nicht zuletzt hat sich im Zusammenhang mit Evaluation gezeigt, dass deren Kernstück, nämlich die Selbstevaluation, nur rudimentär von einer einzelnen Lehrkraft durchgeführt werden kann. Daher erscheint sog. „Kollegiale Evaluation“ nicht nur als diesbezüglich interessante Variante, sondern als unumgängliche Implikation der vorliegenden Didaktik. Auswertung und Rückführung der Evaluation Evaluation besitzt im vorliegenden didaktischen Modell nicht nur unterschiedliche Ausgangspunkte und Methoden, sondern auch drei verschiedene Projektionsfelder (s. Abbildung 33). D.h. sie bezieht sich nicht nur auf das direkte Unterrichtsgeschehen, sondern auch auf die diesem vorausgehenden 594 Z.B. durch eine videogestützte Selbstreflexion.
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Prozesse der Unterrichtsplanung und -konzeption. Damit schließt sich der Gesamtprozess nicht an einem Verknüpfungspunkt, sondern an dreien. Evaluation erscheint dann am wirkungsvollsten, wenn ihre Ergebnisse klar auf die entsprechenden Entstehungszusammenhänge zurückgeführt werden. D.h. z.B., dass Probleme mit Lernsituationen der Planungsebene rückgemeldet werden müssen, Probleme mit Unterrichtsmaterialien der Konzeptebene und Interaktionsprobleme der Durchführungsebene. Diese Differenzierung ist theoretisch plausibel, praktisch jedoch nicht eindeutig umsetzbar. Wird beispielsweise festgestellt, dass SchülerInnen Schwierigkeiten mit einem bestimmten Leittext haben, kann dies daran liegen, dass dessen Zielsetzung bzw. Gegenstand nicht konform zur aktuellen beruflichen Praxis gehen (Planungsebene), dass inhaltliche oder gestalterische Defizite in der Unterlage liegen (Konzeptebene) oder, dass die vorausgehende Instruktion nicht hinlänglich auf die Aufgabe vorbereitet (Durchführungsebene). Daher erfordert die Auswertung von Evaluationsergebnissen und deren Rückführung in den Gesamtprozess ein komplexes und differenziertes Vorgehen. Bei diesem Vorgehen ist generell davon auszugehen, dass ein festgestelltes Problem bzw. Defizit immer mit allen drei Bezugsfeldern zusammenhängen kann. D.h., man versucht die Ursächlichkeit auf multikausale Zusammenhänge zurückzuführen und dann für jeden Einzelzusammenhang Schlüsse zu ziehen. Im Falle des vorausgehenden Beispiels wird dann möglicherweise festgestellt, dass die Aufgabe praxiskonform ist und auch entsprechend vorbereitet wurde. Der tatsächliche Verbesserungsbereich liegt auf Konzeptebene und hängt mit einem ungenau formulierten Text zusammen. Zusammenfassung Der vorliegende Gesamtansatz sieht Evaluation als bedeutsames Element für ein reflexives und damit auf Weiterentwicklung ausgerichtetes didaktisches Handeln vor. Jede einzelne Komponente der Planung, Konzeption und Durchführung kann nur auf Basis von Evaluation auf ein angemessenes Niveau gebracht werden und im zeitlichen Verlauf vor Starrheit oder Rückständigkeit bewahrt werden. Moderne berufliche Lernumgebungen bieten so viele Bezugsfelder und Ansatzpunkte für Evaluation, dass die Lehrpersonen hier eher ein Auswahl- und Fokussierungsproblem haben, denn ein Problem, Evaluationsrelevantes zu identifizieren. Nachfolgend ist nochmals kurz ein Ansatz für die Handhabung von Evaluation in einem pädagogischen Team skizziert:
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1. Festlegung der beteiligten und involvierten Personen; 2. Gemeinsame Bestimmung des Evaluationsaspekts und den damit zusammen hängenden Gütemerkmalen (Evaluationskategorien); 3. Bestimmung des Evaluationsfelds und der diesbezüglichen Zugänge und Methoden; 4. Erstellung eines Evaluationsplans mit Intervallen für primäre und sekundäre Zugänge; 5. Akquise bzw. Anpassung oder Gestaltung von Evaluationsinstrumenten; 6. Auswertung der Ergebnisse und Klärung ursächlicher Zusammenhänge auf allen drei Ebenen (Unterrichtsplanung, Unterrichtskonzeption und Durchführung); 7. Feststellung von Verbesserungsbereichen auf den betroffenen Ebenen, Klärung der Verbesserungsansätze und Konkretisierung in einem zeitlich konkreten Umsetzungsplan; 8. Umsetzung des Verbesserungsplans mit einer Zwischenüberprüfung der Fortschritte und einer abschließenden erneuten Evaluation. Nur in Umsetzung eines derartigen Ablaufplans kann davon ausgegangen werden, dass die Evaluation zu angemessenen Fortschritten führt. Wenn z.B. die Ursachen nicht genau geklärt werden, können Verbesserungsansätze nicht sinnvoll gestaltet werden; wenn die Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen nicht konkret und zeitlich eingegrenzt beschlossen wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese auch inkonkret bleibt und nie zum Ende kommt. Daher sollten von Anfang an auch die begrenzten Umsetzungsressourcen mit in die Evaluationsaktivitäten eingeplant werden. Angesichts der meist knapp bemessenen Zeit sollte man sich auf möglichst interessante und relevante Kernaspekte beruflich-technischer Lernumgebungen konzentrieren. Lehrpersonen, die all dies beachten, berichten auch, dass sie bei der Auseinandersetzung mit sehr spezifischen Kernthemen immer auch ein ganzes Bündel weiterer didaktisch-methodisch hoch relevanter Themen mit einbeziehen müssen, z.B. bei der Verbesserung der Schüleraufzeichnungen Lern- und Leistungsmotivation, Gruppenarbeit, Instruktion usw. Das, was so als Kollateraleffekt erscheint, ist jedoch aus wissenschaftlicher Perspektive ein zentraler Gewinn der Evaluation: Die evaluierenden Lehrpersonen setzen sich von einem Praxisproblem ausgehend mit dessen Ursächlichkeiten auseinander und erschließen darauf hin die dafür als relevant eingeschätzten Informationen, um gezielt Lösungen für ihre Praxis herbei zu führen. Damit öffnen sie im Sinne des Ansatzes von EULER (s. Kap. 1.1) ihren Praxiskreislauf zum Wis356
senschaftskreislauf, was absehbar nicht nur eine Verbesserung der spezifisch festgestellten Unterrichtsdefizite bewirken wird, sondern auch die fachliche und persönliche Entwicklung der so handelnden Lehrpersonen voran bringen wird.
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Technisch-berufliches Lernen zielt auf die Entwicklung von Kompetenzen, also von Dispositionen, welche den Lernenden zu einem eigenständigen beruflichen Handeln in technischen Kontexten befähigen. Welches sind diese Kompetenzen im Einzelnen? Wie können sie geklärt, differenziert, beschrieben, vermittelt und schließlich überprüft werden? Und in welchen technischen Kontexten werden von wem welche Kompetenzen benötigt? Diesen Fragen wendet sich Ralf Tenberg mit seiner Technikdidaktik schwerpunktmäßig zu. Er hat dabei insbesondere die Ausbildung von Facharbeitern und Handwerkern im Blick, hält jedoch auch eine Reihe von Konzepten und Aussagen für den tertiären Bereich bereit. Zunächst klärt er technikdidaktische Basisaspekte und -begriffe, arbeitet anschließend die zentralen Theorien über berufliche Kompetenzen und deren Entwicklung auf und erläutert schließlich die Kompetenzvermittlung entlang eines didaktischen Prozessmodells genauer.
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ISBN 978-3-515-09879-3
9 7 83 5 1 5 0987 93