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German Pages 272 Year 2017
Gitta Barthel Choreografische Praxis
TanzScripte hrsg. von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein | Band 45
Gitta Barthel (Dr. phil.) ist in der Kunst-, Vermittlungs- und Forschungspraxis tätig und lehrt zeitgenössischen Tanz und Choreografie. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bewegungswissenschaft/Performance Studies an der Universität Hamburg, wo sie auch promovierte. Sie ist Mitautorin des »Choreografischen Baukastens« (hg. v. Gabriele Klein, transcript 2011).
Gitta Barthel
Choreografische Praxis Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Das vorliegende Buch wurde als Dissertation in der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg eingereicht.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Einleitung | 9 Fragestellung, Arbeitshypothese und Ziel | 12 Forschungsfeld und empirisches Material | 14 Methodisches Vorgehen | 17 Forschungsstand | 23 1. Choreografie | 27 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Tanz und Choreografie | 27 Choreografie als Raumschrift in Bewegung | 29 Festgelegte und improvisierte Ordnung | 31 Loslösung der Choreografie vom Tanz | 32 Prozess und Produkt | 37 Erweiterter Choreografiebegriff | 40
2. Choreografieren | 45 2.1 Explorieren/Improvisieren | 46 2.2 Partizipieren | 50 2.3 Dekonstruieren | 55 2.4 Kollaborieren | 57 2.5 Reflektieren | 59 2.6 Notieren/Erinnern | 65 2.7 Verschränkung von explorativen und reflexiven Praktiken als zentrales Strukturelement | 66
3. Tanzvermittlung | 69 3.1 Kreativitätsdispositiv | 70 3.2 Kreativität im Tanz | 74 3.3 Tanzvermittlung als Containerbegriff: Heterogene Bedeutungsvarianten | 77
3.4 Dimensionen von Tanzprojekten und Instanzen der ästhetischen Sozialität | 80 3.5 Institutionelle Dimension: Förderprogramme für Tanzprojekte | 82 3.6 Produktionsorientierte Dimension | 88 3.7 Personelle Dimension | 91 3.8 Inhaltliche Dimension | 95 3.9 Kritische Kunstvermittlung | 99 3.10 Positionierung der Studie | 106
4. Choreografie vermitteln | 109 4.1 Aufgabenstellen | 113 4.2 Klären | 132 4.3 Ausprobieren | 147 4.4 Auswerten | 158 4.5 Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement | 166 4.6 Teilhaben/Teilnehmen | 176 4.7 Aushandeln | 189 4.8 Aufrechterhalten | 196 5. Relationale Vermittlungspraxis | 203 5.1 Multidirektionale, explorative, emergente, reflexive Vermittlungspraxis | 204 5.2 Bedeutungsvarianten von Vermitteln beim Choreografieren | 209 5.3 Kombinieren und Gewichten der Relate | 213 5.4 Optionale Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde | 214
6. Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis | 221 6.1 Erweiterter Choreografiebegriff in künstlerischkulturellen Kontexten | 221 6.2 Schnittmengen und Divergenzen von Vermittlungspraktiken und choreografischen Praktiken | 225 6.3 Choreografievermittlung als selbstreferenzielle Erfahrungspraxis | 236
7. Zusammenfassung und Ausblick | 243 Dank | 247 Literaturverzeichnis | 249 Abbildungsverzeichnis | 269
Einleitung
Choreografische Praxis wird im 21. Jahrhundert verstärkt zum Thema tanzkünstlerischer und -wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Tagungen mit Workshops, Labs, Vorträgen, Lecture-Performances und Aufführungen verbinden Praxis- und Theorieformate1 und münden in Publikationen.2 In dieser Kombination ist auch in unserem Jahrhundert noch die ursprüngliche Doppelbedeutung vom Schreiben und Bewegen lebendig, die im Terminus ‚Choreografie‘ angelegt ist, der sich aus graphein (gr.) Schreiben und choros (gr.) Tanzplatz, Reigenplatz zusammensetzt (Klein 2011: 18f.). Das Interesse an choreografischer Praxis zeigt sich ebenfalls in der Veröffentlichung von Lern-, Arbeits- und Analyseinstrumentarien. Interdisziplinäre Teams aus Wissenschaftler/innen, Choreograf/innen, Medien- und Softwareexpert/innen, Architekt/innen und Grafikdesigner/innen kreieren intermediale sowie digitale Vermittlungsformate als Buch, Werkzeugkiste, CD-ROM, interaktive DVDROM und Webseite.3 Gleichzeitig entwickelt sich ein ‚erweiterter Choreografie1 | Beispielhaft sind hier genannt: Choreographie-Akademie / Choreographie in Frage stellen. Tanzwissenschaftliche Tagung und Performance-Projekt (2008); Internationale Konferenz zum Thema Performing Reality. ‚Making Worlds‘ in Dance and Choreography im Rahmen des Tanzkongress 2009 No Step without movement! (2009); Choreographieren reflektieren (2007), Zwischen Tanztechnik und Choreografie (2008), Spezielle Orte und Choreografie (2009) und Choreografie und Institution (2010) im Rahmen der Choreografie-Tagung Köln. 2 | Aus den aufgezählten Tagungen gingen die Publikationen Lampert (2010), Klein/ Noeth (2011) und Hardt/Stern (2011) hervor. 3 | Beispielhaft sind hier genannt: Die CD-ROM Improvisation Technologies als digitale Tanzschule von William Forsythe, die den Beginn dieser Entwicklung bildet (1999); das Buch mit interaktiver DVD-ROM Capturing Intension, Documentation, analysis and notation research based on the work of Emio Greco I PC, hg. von Scott deLahunta (2007); die Internetseite Synchronous objects als eine kreative Ressource für die Forschung in zahlreichen Disziplinen von William Forsythe (2009); das Open-Source-Projekt und die DVD If/Then Dialogues von Richard Siegal (2010); das Buch A Choreographer’s Hand-
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begriff‘ (u.a. Foster 2011; Klein 2011; Siegmund 2010), in dem choreografische Ordnung als „Organisation von Körpern und Raum und Zeit“ (Klein 2012: 25) verstanden wird, die nicht zwangsläufig an eine tänzerische Ästhetik und die Bewegungen menschlicher Körper gekoppelt ist. Im Zuge dessen wird Choreografie in künstlerisch-wissenschaftlichen Kontexten vermehrt losgelöst vom Tanz verhandelt und bezieht sich auf den gesamten Entwicklungsprozess eines Stückes und nicht nur auf dessen Ergebnis in Form eines Werkes. Die vorliegende Studie stellt Praxen eines erweiterten Choreografiebegriffes und deren Diskursivierung von Tanzwissenschaftler/innen in den Mittelpunkt und bindet diese in den Kontext der Tanzpädagogik und der Kulturellen Bildung ein. Tanzkunst steht seit der Post-PISA-Ära4 in der Kultur- und Bildungspolitik hoch im Kurs (vgl. Klinge 2010). Sie ist im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Antje Klinge zufolge „als Teilbereich kultureller Bildung selbstverständlich geworden“ (Klinge 2012a: 9) und nimmt ebenfalls „einen nicht mehr zu leugnenden Stellenwert in der Schule“ (ebd.) ein. Diese Feststellung aus tanzpädagogischer Sicht markiert eine bis dahin nie dagewesene Anerkennung des Tanzes als ästhetisches Medium im Bildungskontext. Innerhalb der aktuellen Vielfalt der Tanzangebote (vgl. Fleischle-Braun 2012) etablieren sich in Deutschland „Tanzprojekte“ (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012: 6) und mithilfe zahlreicher Tanzförderprogramme auf Bund- und Länderebene insbesondere „Tanz-in-Schulen-Projekte“ (vgl. u.a. ebd.; Müller/Schneeweis 2006; Keuchel 2009; Schneider 2009). Künstler/innen realisieren im Freizeit- und Bildungskontext in professionellen sowie außer-professionellen Feldern Produktionen mit heterogenen Gruppen aus nicht-, semi- und professionellen Darsteller/innen jeglichen Alters. Diese Tanzprojekte finden in Zusammenhängen statt, die sowohl dem Kontext der Tanzpädagogik als auch dem der Kunst zuzuordnen sind und stellen deswegen in besonderem Maße die Frage nach dem Verhältnis von künstlerischen und pädagogischen bzw. „künstlerisch-edukativen“ (Mörsch 2012: 76) Anteilen und Prioritäten. Das zieht den Bedarf an einer Aufarbeitung der Vermittlungspraxen nach sich (vgl. book von Jonathan Burrows (2010); der Choreografische Baukasten, Hg. von Gabriele Klein, als modular angelegte Werkzeugkiste (2011a); A Choreographer’s Score als Buch von De Keersmaeker/Cvejic (2012) und die Motion Bank von Forsythe mit digitalen Onlinepartituren (2010-2013). 4 | Pisa Studien der OECD werden seit dem Jahr 2000 zur Messung alltags- und berufsrelevanter Kenntnisse und Fähigkeiten Fünfzehnjähriger durchgeführt. Das nicht zufriedenstellende Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich führte zu bildungs- und kulturpolitischen Reformen wie der Ganztagsschule und zu vermehrten Kooperationen von Schulen, Kommunen und außerschulischen Einrichtungen. Im Zuge dieser Entwicklungen erfährt die Kulturelle Bildung größere Aufmerksamkeit und in Folge dessen auch der Tanz.
Einleitung
Land 2012; Bäcker 2008), die gegenwärtig in ‚künstlerisch-kulturellen Kontexten‘ stattfinden. Mit dieser Wortkombination bezieht sich die vorliegende Studie auf eine ‚künstlerisch-kulturelle Bildung‘ und rekurriert damit auf die aus England stammende Arts Education, deren Relevanz seit der Einbindung der Künstler/innen in den Bildungsbereich auch in Deutschland steigt. Arts Education ist „nicht identisch mit dem in Deutschland gängigen weiten Begriff der Kulturellen Bildung, sondern beschreibt den Ausschnitt der Bildung bzw. Erziehung in, mit und durch die Künste, der mit künstlerisch-kultureller Bildung übersetzt werden kann.“ (Eger 2012: 176)
Künstlerisch-kulturelle Bildung legt die Priorität explizit auf das Künstlerische und bezieht sich vornehmlich auf die Arbeit mit Schüler/innen in der Kooperation von einer Kunst- und einer Bildungsinstitution. Aufgrund der dargestellten Situation nimmt die vorliegende Studie das Verhältnis von Tanzkunst, Choreografie, Vermittlung und Kultureller Bildung in den Blick. Sie untersucht, wie sich Vermitteln in choreografischen Projekten vollzieht, die in künstlerisch-kulturellen Kontexten stattfinden.
Tanzkunst Choreografie Vermittlung Vermitteln in choreografischen Projekten
Kulturelle Bildung Abb. 1: Schnittmenge der forschungsrelevanten Themenkomplexe 5
Damit schließt sie zum einen an die Ergebnisse von Anne Bamfords Studien an, denen zufolge sich Kunst als Bildung, Bildung als Kunst, Bildung durch die Künste und Bildung in den Künsten praktizieren und unterrichten lässt 5 | Alle Abbildungen stammen von der Verfasserin, sodass auf eine Quellenangabe im Folgenden verzichtet wird.
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(Bamford 2006, 2010a,b). In Bamfords Systematik kann die Studie der Kunst als Bildung und der Bildung in den Künsten zugeordnet werden. Zum anderen verortet sie sich an der Schnittstelle von Tanzkunst, -wissenschaft und -pädagogik. Das Anliegen der Aufarbeitung des Zusammenspiels der genannten Themenkomplexe hat sich auch aus meiner Biografie heraus entwickelt. Mein beruflicher Werdegang als Tänzerin, Choreografin und Dozentin hat zu einer immer stärker werdenden Verflechtung von künstlerischen Tätigkeiten und Vermittlungstätigkeiten geführt. Zeitgleich wurde die praktische und theoretische Auseinandersetzung mit choreografischer Praxis zu meinem Arbeitsschwerpunkt.
Fragestellung, Arbeitshypothese und Ziel Aus den bisherigen Ausführungen leitet meine Forschung die Frage ab, wie sich Vermitteln in Projekten, die auf einem erweiterten Choreografiebegriff beruhen, im Zusammenspiel von Künstler/innen und heterogenen Gruppen aus nicht-, semi- und professionellen Jugendlichen sowie Erwachsenen vollzieht. Sie geht von der Hypothese aus, dass einer choreografischen Praxis eine Vermittlungspraxis inhärent ist. Die Studie betrachtet somit choreografische Projekte aus der Perspektive ihrer Vermittlungsprozesse. Mithilfe eines empirischen Forschungsdesigns soll nachvollziehbar werden, wie das doing (Garfinkel 1967) des Vermittelns geschieht. Die Studie nimmt auf diese Weise Vermittlungspraxis als Situation in den Blick. Sie untersucht weder die Erziehungspraxis noch die Didaktik als „Theorie der Bildungsinhalte bzw. Methode des Unterrichtens“ (Duden 2015: 255) noch die Praxis eines Wissenserwerbs und nimmt keine Qualitätsbestimmungen vor. Sie konzentriert sich hingegen auf das Wie des Vermittelns als solches. Ziel ist, einen Beitrag zu leisten, um das Verhältnis von Vermittlungs- und Kunstpraxis, dessen Differenz in der tanzpädagogischen Diskussion vielfach aufgerufen wird (vgl. Eger 2015; Bischof/Nyffeler 2014), am Beispiel choreografischer Praxen aufzuarbeiten und deren Verwobenheit deutlich zu machen. Zu diesem Zweck gilt es, die Praktiken des Vermittelns beim Choreografieren zu identifizieren und ihre Logik zu explizieren und so Aufschluss über das Interaktionsgefüge einer künstlerischen Praxis als Vermittlungspraxis zu gewinnen. Beim 2. Tanzpädagogischen Forschungstag 2012 wies Klinge auf die Notwendigkeit hin, domänespezifische Forschungsansätze und -methoden zu entwickeln, um das spezifische implizite Wissen der Tänzer/innen und Tanzpädagog/innen aufzuspüren und nutzbar zu machen (Klinge 2012b). Das praxeologische Forschungsdesign der vorliegenden Studie macht ebendieses explizierbar und die empirisch gewonnenen Erkenntnisse leisten einen Bei-
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trag zum Nachvollzug von Vermittlungspraxis. Sie spezifizieren auf diese Weise den bisherigen Forschungsstand der Tanzpädagogik aus einer soziologisch-praxeologischen Perspektive. Gleichzeitig ergänzt die Studie den Diskurs der Tanzwissenschaft zur Choreografie um den dort bisher wenig beachteten Aspekt der Vermittlung. Ihre Eigenheit liegt damit in der Kombination mehrerer Aspekte: sie fokussiert auf choreografische Praxis im Sinne eines erweiterten Choreografiebegriffes im Vermittlungskontext in Verbindung mit einer praxeologischen Methodologie, die das implizite Erfahrungswissen der Vermittelnden zu explizieren vermag. Sie stellt damit einen Aspekt in den Mittelpunkt, der in der Tanzpädagogik bisher marginalisiert wurde und arbeitet gleichzeitig die Vorgehensweisen von Choreograf/innen in künstlerisch-kulturellen Kontexten auf. Mit der Kombination eines Choreografieprojektes innerhalb und außerhalb des Schul- und Bildungskontextes können kontextübergreifende Vermittlungspraktiken heraus gearbeitet werden, die für ein breites Spektrum an Vermittlerpersonen nutzbar sind. So leistet die Studie auf inhaltlicher sowie methodologischer Ebene einen Beitrag zur tanzpädagogischen Forschung. Indem sie nicht nach der Motivation, der Erlebnisebene, der Intention, den Lerneffekten, dem Wissenszuwachs fragt, sondern das Augenmerk auf die künstlerische Praxis als solche richtet, möchte sie zur praxeologischen Erforschung von Bewegungskünsten sowie zur Entwicklung einer praxeologischen Tanzwissenschaft beitragen. Der Auf bau des Textes folgt dem Interesse an dem Zusammenspiel von Kunst- und Vermittlungspraxis. Den theoretischen Rahmen liefert der Diskurs von Tanzwissenschaftler/innen zum erweiterten Choreografiebegriff (Kap. 1.) und zu den Praktiken des Choreografierens (Kap. 2). Darauf folgt eine Herleitung der Heterogenität und Komplexität von Tanzvermittlung im Kontext der Tanzpädagogik und der Kulturellen Bildung sowie der Kritischen Kunstvermittlung (Kap. 3). Das Kernstück bildet die Darstellung der Vermittlungspraktiken und -methoden als Ergebnis aus der empirischen Erforschung zweier choreografischer Projekte (Kap. 4). Die Ergebnisse münden in die Ausdifferenzierung einer relationalen Vermittlungspraxis (Kap. 5) und destillieren Erkenntnisse zum Verhältnis von Kunst- und Vermittlungspraxis heraus. Die identifizierten Praktiken des Vermittelns beim Choreografieren in künstlerisch-kulturellen Kontexten werden abschließend an den Diskurs zu choreografischer Praxis rückgebunden, in der Tanzpädagogik und der Kulturellen Bildung verortet und in Bezug zum Kreativitätsdispositiv und zur Kritischen Kunstvermittlung gesetzt (Kap. 6). Mit diesem Vorgehen soll die Vernetzung der gegenstandsrelevanten Disziplinen der Tanzwissenschaft, der Tanzpädagogik und der Tanzkunst offensichtlich werden.
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Forschungsfeld und empirisches Material Die vorliegende Forschung konzentriert sich auf Vermittlungspraxen im deutschsprachigen Raum. Eine Ausweitung auf andere Länder würde aufgrund der jeweiligen Unterschiedlichkeit ihrer kulturpolitischen Historie und ihrer institutionellen Verankerungen den Rahmen der Studie sprengen, denn Vermittlungspraxen erschließen sich aus dem Zusammenwirken ihrer institutionellen, produktionsorientierten, personellen und inhaltlichen Dimension, wie im dritten Kapitel sichtbar wird. Internationale Einflüsse wie die Arts Education, die nachweislich Auswirkungen auf die Tanzvermittlung in deutschsprachigen Ländern nehmen, sowie englischsprachige Literatur, werden in die Forschung einbezogen. Die Studie grenzt ihren Untersuchungsraum innerhalb der Tanzvermittlung auf Choreografieprojekte ein, die auf einem erweiterten Choreografiebegriff basieren.6 Sie verfolgt eine induktive Forschungsstrategie, die vom Einzelfall ausgeht und nach Möglichkeiten der Verallgemeinerung sucht. Als ethnografische Studie angelegt, fand die empirische Untersuchung zweier Choreografieprojekte statt, die auf der Basis des theoretischen Samplings nach „konkret-inhaltlichen statt abstrakt-methodologischen Kriterien, nach ihrer Relevanz statt nach ihrer Repräsentativität“ (Flick 2004a: 106) in Kombination mit der Strategie des „typical-case samplings“ (Mertens 2010: 321)7 ausgewählt wurden. Ein erstes typisches Kriterium besteht in der aktuellen Relevanz des Handlungsfeldes. Aufgrund der zunehmenden Tanzvermittlungsprogramme mit Partnerschaften zwischen Kultureinrichtungen bzw. Tanzinstitutionen und Schulen und der daraus hervorgehenden Tanz-in-Schulen-Projekte kann die Bildungsinstitution Schule als typisches Feld angesehen werden. Dieser Hintergrund führte zur Auswahl eines Fallbeispiels mit Jugendlichen im Schulkontext. Die erste Feldforschung fand in der Choreografischen Werkstatt eines Projektes statt, welches im Rahmen des Vermittlungsprogramms der Kulturstiftung des Bundes Tanzfonds Partner von 2012 bis 2014 stattfand (Tanzfonds Partner 2014). Das Projekt Choreographie der Nachbar6 | Eine Darstellung des breiten Spektrums der Vermittlungskonzepte im Rahmen von Ausbildungsstudiengängen wird in der vorliegenden Studie nicht vorgenommen, da dies den Umfang überschreiten würde. Ausführungen zur Ausbildungslandschaft finden sich u.a. bei Albrecht/Cramer (2006) und Tanzplan Deutschland e.V. (2008). Inhalte und Konzepte von Tanzvermittlung im freien Kursbetrieb, in Privatschulen und staatlichen Instituten sind nicht berücksichtigt worden. 7 | Die Zuweisung eines für die Forschungsfrage „typischen“ Merkmales nimmt Mertens zufolge jeder Forscher/jede Forscherin selbst vor. „Typical cases can be identified by recommendations of knowledgeable individuals or by review of extant demographic or programmatic data that suggest that this case is indeed average“ (Mertens 2010: 321).
Einleitung
schaft (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg: 2012) beruht auf einer zweijährigen Kooperation zwischen K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg und der Winterhuder Reformschule/Stadtteilschule Winterhude in Hamburg. In diesem Kontext führte die Choreografin Ursina Tossi die choreografische Werkstatt Heimliche Orte – Verborgene Welten von Januar bis Mai 2013 durch. Das Werkstattformat ist Teil der Unterrichtsstruktur der Reformschule und zwölf Schüler/innen aus dem achten bis zehnten Jahrgang nahmen an der Werkstatt teil. Die Studie untersucht somit ein Kooperationsprojekt zwischen einer Kunstinstitution, die sich zur Aufgabe gemacht hat, „als Kompetenz- und Informationszentrum Ansprechpartner für Tanzinteressierte, Tanzschaffende und auch Kulturpolitik zu sein“ (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg: 2016) und den „zeitgenössischen Tanz verstärkt im Bereich der kulturellen Bildung zu verankern“ (ebd.) und einer Schule. Dies entspricht dem Konzept der Arts Education-Programme und stellt den Kunstfaktor in den Vordergrund. Tanzproduktionen mit Erwachsenen unterschiedlicher Erfahrungslevels bilden einen festen Bestandteil der Kunst sowie der Kulturellen Bildung, woraus sich die Auswahl des zweiten Projektes in einem außerschulischen Rahmen mit Erwachsenen ableitet, in dem keine Bildungsintention formuliert wird. Die Wahl fiel auf ein Projekt mit einer Mischung aus Menschen mit geringen, semi- bis professionellen Tanzkenntnissen. Die zweite Feldforschung fand im Mai 2013 mit Isabelle Schad als Choreografin und dreißig Erwachsenen bei der Produktion Hinter den Gärten, veranstaltet von der Tanzinitiative Hamburg8 in Kooperation mit der Internationalen Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg, statt. Das zweite Fallbeispiel mit Erwachsenen erschließt sich auch aus dem aktuellen Forschungsstand der Tanzpädagogik. Claudia Fleischle-Braun konstatiert, dass eine theoretische Aufarbeitung bisher vornehmlich von Modellinitiativen für Tanz-in-Schulen-Projekte stattfand und eine fachdidaktische Reflexion der „Rolle des Tanzes als freizeitkulturelle Aktivität“ (Fleischle-Braun 2008: 311) im Vergleich dazu marginal bleibt. Erwachsenenprojekte standen bisher wenig im Blickfeld der Tanzpädagogik und der Tanzforschung. Auch die Unterschiedlichkeit der beiden empirisch begleiteten Gruppen bildet ein Kriterium: Um eine Reliabilität der Untersuchungsergebnisse zu gewährleisten, gilt es aus forschungsmethodischer Perspektive, die Replizierbarkeit und „Reproduktionsgesetzlichkeit der Fallstruktur“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009: 39) an einem zweiten Fallbeispiel zu überprüfen und „nach wiederkehrenden identischen Strukturen, nach Homologien [...] in einem Fall und über die Fälle hinweg“ (ebd.: 40) zu suchen. Um die Praktiken des Vermittelns heraus zu arbeiten, bedurfte es des Weiteren der Differenz mehrerer Indikatoren (ebd. 38): diese bestehen im Alter, in den Vorkenntnissen, der Ziel8 | Leitung Barbara Schmidt-Rohr und Irmela Kästner.
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gruppe und dem institutionellen Rahmen der Projekte. Das Alter der Schüler/ innen betrug 14 bis 17 Jahre, das der Erwachsenen 23 bis 68 Jahre. Auf ihre Vorkenntnisse im Tanz befragt, gaben die sieben Schüler/innen, die bis zum Ende im Projekt blieben, geringe Vorkenntnisse in Hip Hop, Ballett, Standart-Tanz und Breakdance an, eine Person im türkischen Volkstanz. Die Vorkenntnisse der dreißig Erwachsenen bestehen zu ganz unterschiedlichen Graden aus Zeitgenössischem Tanz, Contact Improvisation, Tanztheater, Modern Dance und Theater. Unterschiedliche Erfahrungswerte bestehen zum Teil auch im Tai Chi, Yoga, QiGong, einige wirkten bereits in Tanzproduktionen mit, zwei Personen befinden sich in einer Ausbildung im Performancebereich, einige haben bereits Tanzausbildungen absolviert oder an Fortbildungen für Tanzpädagogik und -therapie teilgenommen. Die Differenzen der beiden Gruppen bieten methodologisch die Möglichkeit, im Abgleich der Vermittlungspraktiken beider Projekte, zum einen die kontextübergreifenden Praktiken erkennbar zu machen und zum anderen die kontextsensitiven Praktiken jedes Projektes als solche zu spezifizieren. Die Praktiken, die in beiden Projekten zu beobachten sind, lassen Schlussfolgerungen über Grundsätzlichkeiten des Vermittlungsgeschehens zu, die differierenden Praktiken über die Kontextgebundenheit und Spezifik des Vermittlungsgeschehens. Erst durch die Heterogenität der Fallbeispiele und durch die Kombination einer ‚unterrichtenden Künstlerin‘ und einer ‚praktizierenden Künstlerin‘ (Eger 2014: 104) wird die Situativität der Vermittlungspraxis explizierbar. Die Tatsache, dass die vorliegende Arbeit die Praxis von zwei weiblichen Choreografinnen erforscht, ist einem aleatorischen Faktor zuzuschreiben und beruht auf der Koinzidenz, dass im forschungsrelevanten Zeitraum und dem geografisch realisierbaren Umraum keine adäquate Kombination von Projektgruppe und einem männlichen Choreograf zur Verfügung stand. Die Projekte sind nicht aus dem Grund gewählt, best-practices-Beispiele darzustellen. Aus praxeologischer Sicht kann jede ethnografische Untersuchung gewinnbringende Erkenntnisse zur Vermittlungspraxis liefern, unabhängig von einer normativen Perspektive eines besonders ‚gelungenen‘ oder eines ‚gescheiterten‘ Vermittlungsgeschehens. In Bezug auf das theoretische Sampling ist abschließend die Sachkundigkeit der Choreografinnen zu erwähnen, beide sind ausgewiesene Expertinnen von Praktiken des erweiterten Choreografiebegriffes und beide besitzen Erfahrungen in Produktionen mit professionellen sowie mit nicht-professionellen Mitwirkenden.
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Methodisches Vorgehen Die Studie knüpft an das Forschungsprojekt Der choreografische Baukasten. Entwicklung und Erprobung eines Vermittlungskonzeptes für Choreografie an, welches unter der Leitung von Prof. Dr. Gabriele Klein von 2008 bis 2011 an der Universität Hamburg realisiert wurde (Klein 2008a). Das künstlerisch-wissenschaftlich angelegte Projekt, an dem ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin mitgewirkt habe, verband die künstlerische Praxis mit einer theoretischen Aufarbeitung der Genese des Choreografiebegriffes und mündete in dem Instrumentarium Choreografischer Baukasten (Klein/Barthel/Wagner 2011a).9 Während sich das Forschungsprojekt auf choreografische Praxis im professionellen Kontext bezog, verlagert die vorliegende Studie den Schwerpunkt auf die Praktiken des Vermittelns in künstlerisch-kulturellen Kontexten und stellt das Vermittlungsgeschehen in den Mittelpunkt. Damit bildet der vorliegende Text dessen inhaltliche Weiterentwicklung und vertieft die Verbindung einer tanzwissenschaftlichen, -praktischen und -pädagogischen Auseinandersetzung. Die Untersuchung verortet sich in der qualitativen Sozialforschung und baut auf einer Methodenstruktur auf, die im Folgenden zunächst zusammengefasst und im Anschluss daran eingehender beschrieben wird. Den Ausgangspunkt der Methodologie bildet die Praxeologie, spezifischer gesagt, eine praxeologische Tanzwissenschaft, die anhand der Ethnomethodologie mithilfe einer videogestützten Ethnografie und innerhalb dessen mit den Methoden der teilnehmenden Beobachtung, flankiert von Experteninterviews und Gruppendiskussionen, praktiziert wurde. Praxeologie Praxeologische Tanzwissenschaft Ethnomethodologie Ethnografie Videogestützte Ethnografie Teilnehmende Beobachtung Experteninterviews Gruppendiskussionen Abb. 2: Methodologie der Studie 9 | Seit 2015 existiert eine Buchversion des Choreografischen Baukastens (Klein 2015).
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Die Praxeologie geht auf die Schriften von Pierre Bourdieu (u.a. 1979) zurück, der die in der Philosophie etablierte Dichotomie zwischen Theorie und Praxis aufhebt und sie zu einer Theorie der Praxis verbindet. Dieser Forschungsansatz ist bestrebt, „die Isolierung von theoretischer und empirischer Arbeit zu überwinden“ (Schmidt 2012: 30) zugunsten „ihrer wechselseitigen Verschränkung“ (ebd.: 31). Auf dieser Grundlage entwickelt Gabriele Klein in ihren Untersuchungen der Praktiken des Übersetzens (Klein 2014a) sowie des Tanzens und des Forschens (Klein 2014b) eine „praxeologische Tanzwissenschaft“ (ebd.: 108) als Erfahrungswissenschaft. Diese greift zusätzlich auf das Konzept des impliziten Wissens von Michael Polanyi (1985), auch Alltags- und Körperwissen genannt, und den vom Habitus generierten „Praxissinn“ (Wacquant 1996: 42) von Pierre Bourdieu zurück. Polanyi unterscheidet zwischen implizitem, stillschweigendem Wissen, dem Wissen-Wie als praktischem Erfahrungswissen und dem propositionalen Wissen, dem Wissen-Daß als Fachwissen, welche Gilbert Ryle (1949) als knowing how und knowing that bezeichnet. Für Bourdieu wird das Handeln der Akteure vom sens pratique, dem praktischen Sinn oder Praxissinn, geleitet und ermöglicht situationsadäquates Handeln. Dieses ist vom Habitus geprägt, den Bourdieu als „System der organischen oder mentalen Dispositionen und der unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1970: 40) versteht. Eine auf dieser Grundlage konzipierte „Tanzwissenschaft als Praxis“ (Klein 2014b: 107) ist ein „kritisch-analytisches Projekt, das die Logiken der wissenschaftlichen und der tänzerischen (künstlerischen, pädagogischen, populären oder therapeutischen) Praxis zueinander in Beziehung setzt“ (ebd.: 112). Sie legt ihren Akzent nicht auf die Absichten der Individuen, sondern auf deren Aktivitäten. Mit der Situiertheit der agierenden Körper kommen die gruppenspezifischen Generierungsbedingungen in den Blick, denn eine Praktik ist „immer als eine ‚skillfull performance‘ von kompetenten Körpern zu verstehen“ (Reckwitz 2003: 290) und begründet sich in dem kollektiven Wissen der Beteiligten.10 Ein praxeologisches Verständnis findet sich auch in der Ethnomethodologie wieder, die den Konstruktions- und Aushandlungscharakter sozialer Wirklichkeit betont und dem Individuum eine aktive, kreative Rolle in der sozialen Interaktion zuschreibt. Sie basiert auf der Annahme, dass die sozialen Akteure nicht den Strukturen, innerhalb derer sie agieren, unterliegen, sondern sie erst hervorbringen. Ethnomethodologische Leitfragen suchen nach den generativen Prinzipien der Geordnetheit des interaktiven Geschehens und versuchen, „sichtbar zu machen, wie soziale 10 | Praxis wird in dieser Studie als Oberbegriff verwendet und setzt sich aus einer Vielzahl von Praktiken zusammen. Als Referenz dient das Verständnis von Hörning/Reuter von „Kultur als Praxis“ (Hörning/Reuter 2004: 10f.), in dessen Rahmen ein „Praktizieren von Kultur“ (ebd.: 11) geschieht (vgl. Haller 2013: 15). Vermittlung als Praxis besteht entsprechend aus einer Vielzahl von Vermittlungspraktiken.
Einleitung
Ordnungen von Teilnehmerinnen erzeugt und fortlaufend aufrecht erhalten werden“ (Schmidt 2012: 33). Soziale Ordnungsbildungen werden als situierte accomplishments (Garfinkel 1967) verstanden, die in lokalen Praktiken und wiederkehrenden Handlungsszenen zustande kommen.11 Harold Garfinkel führt in diesem Zusammenhang den Begriff accountable ein. Die Beteiligten liefern demnach in ihren Interaktionen immer auch Erklärungen für ihre Handlungszusammenhänge mit und machen sie darstellbar, verfügbar und verstehbar. Indem sie auf den Kontext bezogen stattfinden und auf diesen zurückwirken, wohnt den accounts eine Reflexivität inne (vgl. Bergmann 1981). In ihrer Selbstkenntlichmachung sind Praktiken also zum einen durch ihre Konstanten bestimmt und bilden Stabilität aus. Zum anderen sind sie wandelbar und instabil und bergen das Risiko des Scheiterns. Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen wird deutlich, dass der Begriff der Praxis jenseits einer intentionalen Handlungstheorie funktioniert und das doing in den Mittelpunkt rückt. Dieses Konzept wurde von Garfinkel und Harvey Sacks in den 1960 er Jahren bei ethnologischen Analysen von Alltagspraktiken entwickelt. Es steht für eine Heuristik, mit der soziale Tatsachen temporalisiert und als praktische Vollzugswirklichkeiten aufgezeigt werden können. Pirkko Husemann überträgt die bisher beschriebenen Grundlagen auf das Choreografieren und verdichtet sie aus der Perspektive einer tanzwissenschaftlichen Praxeologie zu folgender Aussage: „Mit Blick auf die Choreographie ermöglicht der Begriff der Praxis also gleich dreierlei: Choreographie lässt sich als Prozess (nicht als Produkt) fassen, sie kann als Folge und Ausdruck eines Zusammenspiels zwischen Künstlern und Kunstbetrieb (nicht als Schöpfung eines selbstbestimmten Individuums) verstanden werden und schließlich auch als langfristig durchgeführte Alltagspraxis (nicht als einmalige Aktion).“ (Husemann 2009: 29)
Innerhalb der praxeologischen Forschungsstrategie ermöglicht die Ethnografie durch die Teilhabe an der sozialen Situation, feldspezifische Erkenntnisse hervor zu bringen (Hirschauer/Amann 1997: 24). Damit bietet sie eine adäquate Vorgehensweise zur Untersuchung des Vermittlungsgeschehens der choreografischen Praxis. Die Grundannahme der Untrennbarkeit von Körperlichkeit, Handeln und Denken sowie der methodologische Kernpunkt des Herstellens von Beobachtbarkeit, wie sie die Praxeologie vorschlägt, entspricht der Verwobenheit der explorativen und reflexiven Arbeitsweisen sowie der Flüchtigkeit von Choreografie, wie im zweiten Kapitel aufgezeigt wird. Sie weist sich 11 | „I use the term ‚ethnomethodology‘ to refer to the investigation of the relational properties of indexical expressions and other practical actions as contingent ongoing accomplishments of organized artful practices of everyday life“ (Garfinkel 1967: 11).
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damit für das Erforschen der choreografischen Vermittlungspraxis als ein fruchtbares Instrumentarium aus. Mithilfe der teilnehmenden Beobachtung (vgl. Emerson/Fretz/Shaw 2001) und ihrer Kombination mit einer videogestützten Ethnografie kann das implizite Wissen der an der choreografischen Praxis Beteiligten in den Fokus genommen werden. Damit lassen sich „auch ‚stumme‘ Praktiken, die ohne Worte auskommen“ (Reckwitz 2008a: 196), erfassen, die in den bewegungsorientierten Praxen der Choreografie anzutreffen sind. Im Sinne von Hirschauer/Amann ging ich mit einer offenen Haltung für Unerwartetes ins Feld und versuchte einen ‚befremdeten Blick‘ einzunehmen, der zwischen Nähe und Distanz oszilliert (Hirschauer/Amann 1997: 12). Die Tatsache, dass sich mit teilnehmender Beobachtung auch unbewusste Handlungsabläufe erfassen lassen, macht sie als Methode besonders geeignet, um das nicht-intentionale Tun der beteiligten Jugendlichen, Erwachsenen und Choreografinnen aufzuspüren und das implizite Vermittlungswissen, welches sie in die choreografischen Praxen mitbringen, zu explizieren. Hier zeigt sich ihre Kompabilität zur praxeologischen Abkehr von der Intentionalität der Praktizierenden, wie sie eingangs beschrieben wurde. Neben der teilnehmenden Beobachtung bildete die videogestützte Ethnografie die zweite Erhebungsmethode. Als Orientierung diente hier die Studie von Larissa Schindler über die Bewegungspraxis des Kampf kunsttrainings (Schindler 2011a). Schindler kombiniert Beobachtungsprotokolle aus den Feldaufenthalten mit auf „Videomitschnitten auf bauenden Beschreibungen“ (ebd.: 129), um ein Komplementärverhältnis von Aufzeichnung und Beschreibung zu erreichen (vgl. Hirschauer 2001). Mit den Beobachtungsprotokollen und Videoaufnahmen konnten die für das Vermittlungsgeschehen relevanten Bewegungs- und Sprachelemente und deren Verhältnis zueinander erfasst werden. Da sich in der Ethnografie mehrere Methodologien verbinden lassen, wurden Befragungsverfahren zur Ergänzung und Vertiefung des Verständnisses eingesetzt (Flick 2010: 311). Interviews mit den Choreografinnen und Gruppendiskussionen mit den Darsteller/innen (vgl. Bohnsack 2010) ermöglichten, die Erkenntnisse aus dem Feld abzusichern und trugen zur Validierung und Reliabilität der Ergebnisse bei (ebd.). Gruppenbefragungen der Darsteller/innen boten sich besonders an, da sie die Gruppendynamik und den Austausch unter den Beteiligten erfassen und bei den wechselseitigen Anregungen wesentliche Aspekte des Themenbereiches zutage befördern können (vgl. Dreher 1991: 186). So entstand ein „Mixed Methods Sampling“ (Mertens 2010: 326): die Beobachtungsprotokolle und Detailbeschreibungen der audiovisuellen Aufnahmen erfassten die Praktiken des Vermittelns, die Gespräche ergänzten diese um die Erfahrungen und subjektiven Deutungen der Beteiligten.
Einleitung „Audiovisuelle Aufzeichnungen, detaillierte Transkriptionen und konversationsanalytische Auswertungen holen ein Geschehen mikroskopisch nahe heran; ethnografische Beschreibungen, die ein Geschehen aktiv befremden, vergrößern die Distanz.“ (Schmidt 2012: 34)
Auf diesem Zusammenspiel beruht die Methodenwahl der Datenauswertung.12 Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle erfolgte mit einem kodierenden Verfahren, dem ethnografischen Kodieren nach Emerson/Fretz/Shaw (2007) und Gobo (2008) unter Zuhilfenahme der webbasierten Software für computergestützte qualitative Datenanalyse Dedoose.13 In mehreren Kodierdurchgängen wurden die Praktiken des Vermittelns heraus gearbeitet und mit Memos zur Reflexion des Vorgehen ergänzt (vgl. Hammersley/Atkinson 2007; Flick 2004a). Der Forschungshaltung des ethnografischen Kodierens folgend, versuchte ich dabei in einem offen gehaltenen Modus zu verbleiben, das Material prozesshaft zu entdecken, durch den Vergleich der Ergebnisse beider Projekte zu reifizieren und die Komplexität der Vorgänge zu beschreiben. Dieses Vorgehen bestand, angelehnt an die Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996), aus den drei Phasen offenes, axiales, selektives Kodieren. Auf der Grundlage des Kodierschemas von Strauss/Corbin (ebd.) entwickelte ich einen in Veränderung befindlichen Katalog mit forschungsrelevanten Fragen, die an das Material gestellt wurden: • Wie zeigen sich die Teilnehmenden in der Situation, dass gerade die choreografische Praxis als Vermittlungspraxis am Laufen ist? • Woran werden Praktiken des Vermittelns erkennbar? • Welche Praktikengeflechte zeigen sich und wie verändern sie sich? • In welchem zeitlichen Verhältnis stehen sie zum Projektverlauf? • Wie ist das Zusammenspiel von Ermitteln und Vermitteln beschaffen und woran werden beide differenzierbar? • Welches Ziel lässt sich gegebenenfalls im Vermitteln explizieren? • Wo und wie zeigen sich Grenzziehungen zwischen choreografischer Praxis und Vermittlungspraxis? 12 | Flick differenziert zwischen impliziter und expliziter Triangulation (2004b: 53–57). Als explizite Triangulation, wie Flick sie beschreibt, wird die vorliegende Methodenkombination nicht bezeichnet, da dem Anteil der Befragungsverfahren im Verhältnis zu den Beobachtungsverfahren eine eher marginale Relevanz zukam. 13 | Dedoose ist eine „web application for mixed methods research“ (Dedoose 2016), ein Mac-kompatibles Programm auf Cloud-Basis für Text- und Videoanalyse mit interaktiver Datenvisualisierung in der qualitativen Forschung, welches u.a. in den Sozialwissenschaften, der Psychologieforschung, Ethnografischer Forschung und Anthropologische Forschung zur Anwendung kommt.
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• Welche Schnittmengen und Abweichungen zeigen sich zwischen den beiden Projekten? Die Antworten auf diese Fragen werden in den Analyseergebnissen im vierten Kapitel detailliert beschrieben. Ergänzend dazu ermöglichte ein an die Konversationsanalyse angelehntes Vorgehen, die „sequenzielle Struktur des Interaktionsgeschehens“ (Bergmann 1981: 27) der Auswertung zugängig zu machen. Im Datenkorpus wurden forschungsrelevante Situationen als Ankerbeispiele identifiziert und Detailbeschreibungen des Vollzugsgeschehens sowie Transkriptionen des Gesprächsverlaufs angefertigt und ausgewertet. Die „Ablauforganisation der sprachlichen Interaktion“ (ebd.: 25) und das Zusammenspiel von Bewegung und verbalen Äußerungen wurden „Zug-um-Zug“ (ebd.) analysiert. Die detaillierten Sequenzanalysen brachten die Ereignishaftigkeit und Indexikalität (vgl. Garfinkel/Sacks 1976) des Vermittlungsgeschehens zum Vorschein und ermöglichten, die Logik des Interaktionsgeflechtes der Praktiken zu erfassen und Strukturmerkmale zu identifizieren (vgl. Bergmann 1981: 12). Die Kombination eines sequentiellen und eines kodierenden Verfahrens machte die Entstehungs- und Veränderungsprozesse der Vermittlungspraktiken beim Choreografieren nachvollziehbar. Ziel war, die Praktiken des Vermittelns zu explizieren, sie der Interpretation zugängig zu machen, die Logik ihres Interaktionsgefüges und ihrer Prozesshaftigkeit heraus zu arbeiten, zu reflektieren und sie in einem letzten Arbeitsschritt in einem für Außenstehende nachvollziehbaren Text zu verdichten (vgl. Geertz 2012). Die methodisch geleitete Reflexion meiner Rolle als Forscherin bedurfte besonderer Sorgfalt, da ich langjährige Erfahrungen in der choreografischen Praxis sowie der Lehre in die Forschungsarbeit mitbringe. Der bereits erwähnte ‚befremdete Blick‘ bildete hier die Orientierung für die Forschungshaltung, um einer Voreingenommenheit entgegen zu wirken. Gleichzeitig bildete aber auch der umgekehrte Vorgang eine Herausforderung, nicht in ein going native zu verfallen. Forschungstagebücher als Reflexionsinstrument und Videoanalysen in Data Sessions mit Forscherkolleg/innen (vgl. Schindler 2009) trugen zur Reflexion des eigenen Vorwissens bei. Zur weiteren Distanzierung vom empirischen Material orientierte ich mich für die Textform an dem Schreibtyp, den Giampietro Gobo als das „realistische Narrativ“ (Gobo 2008: 290)14 bezeichnet. In diesem trete ich selbst als Ethnografin nicht auf, werde entpersonalisiert und verwende einen dokumentarischen Stil im Präsens, der danach strebt, eine konsistente Analyse zu präsentieren. Aus diesem Grund wechsle ich jetzt für den Rest des Textes in die grammatikalische Form der dritten Person.
14 | Übersetzung der Verfasserin der vorliegenden Studie.
Einleitung
Forschungsstand Um das Verhältnis von Tanz, Choreografie und Vermittlung in der Tanzpädagogik genauer zu bestimmen, erfolgt zuerst ein Forschungsüberblick zur Tanzvermittlung, dann zur Choreografievermittlung und anschließend zum Verhältnis zwischen Tanzkunst und -vermittlung. Als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich die Tanzpädagogik „mit der Legitimierung von Tanz im Erziehungs- und Bildungsprozess, entwickelt didaktische Konzeptionen und untersucht Lehr- und Lernprozesse im Tanz“ (Bäcker 2008: 161). Ihr obliegt die Analyse, Beschreibung und Erklärung der Bildungswirklichkeit von Tanz (Fleischle-Braun 2000: 15).15 Eine Übersicht der Studien und Forschungsansätze dieser Disziplin liefert Klinge (2012a). Sie differenziert zwischen Wirkungs- und Prozessforschung, Dokumentenanalysen und Evaluationsstudien sowie zwischen als wissenschaftlich einzustufenden Forschungen, nicht-wissenschaftlichen Studien und Praxiseinblicken, die ihr zufolge eher informativen und öffentlichkeitswirksamen Charakter besitzen. Diesen Kategorien ordnet sie die Veröffentlichungen aus der Tanzpädagogik und der Sportwissenschaft der letzten zwei Jahrzehnte zu. Es dominieren dabei Evaluationen zum Nachweis der Sinnhaftigkeit und Förderungswürdigkeit von Tanz im erziehungswissenschaftlichen und bildungstheoretischen sowie kulturpolitischen Kontext. Die Evaluationsstudien arbeiten die Wirksamkeit und den Erwerb von Schlüsselkompetenzen heraus. Ebenso wird die Spezifik des Tanzes als Bildungsbeitrag in vielen Publikationen hervorgehoben (vgl. u.a. Stern 2012; Eger 2014; Klinge 2014a; Boklage 2009). Als Charakteristika werden vor allem seine Prozesshaftigkeit, Mehrdeutigkeit und Ambivalenz genannt (vgl. Fleischle-Braun 2012; Dröge 2009). Im Jahr 2006 stellte eine Dokumentation der Bundesinitiative Tanz in Schulen die Basis für eine bundesweite Einbindung, Verankerung und Vernetzung von Tanz-in-Schulen-Projekten bereit und stärkt den Informationsaustausch über Strukturen, Entwicklungs- und Evaluationsmöglichkeiten (Müller/Schneeweis 2006). In dieser Veröffentlichung wurden Qualitätsstandards und Kompetenzen der Vermittler/innen, methodisches Handwerk, Ziele und Ansprüche von Tanzkunst im Bildungskontext thematisiert. Im Zuge einer deutschlandweiten Bestandsaufnahme der Tanz-in-Schulen-Projekte aus dem Jahr 2009 beginnen ethnografische Untersuchungen 15 | Die noch junge tanzpädagogische Forschung bezog anfangs ihre Referenzen aus der Sportpädagogik und -didaktik, der Sportwissenschaft und der Theaterpädagogik. Während in den 1970 und 1980er Jahren noch geisteswissenschaftlich orientierte Arbeiten im Vordergrund standen, entwickelt sie seit Anfang dieses Jahrtausends eine eigene Forschungstradition und sucht nach gegenstandsadäquaten Forschungsmethodologien (vgl. Klinge 2012a,b).
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eine empirische Aufarbeitung der Vermittlungspraxis aus der Erlebnisper spektive der Beteiligten. Erste Hinweise über die praktizierten Arbeitsweisen der Künstler/innen, die für den vorliegenden Forschungsgegenstand von Interesse sind, geben u.a. die Studienabschluss- bzw. Diplomarbeiten von Merz (2009) und Wengler (2009)16 sowie von Boklage (2009)17 im Bereich der Prozessforschung, sind aber nach Klinge nicht als wissenschaftliche Forschungen einzustufen. Des Weiteren ist hier eine Evaluationsstudie von 230 Tanzprojekten mit außerschulischen Kooperationspartnern in NRW (Keuchel 2009)18 von Relevanz. Darin werden zwar Ansätze von Arbeitsweisen erkennbar, sie bleiben aber sehr allgemein formuliert. Wie die Künstler/innen im Detail vorgehen, wird nicht weiter aufgeschlüsselt und nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Die Vorherrschaft der Wirkungs- und Transferforschung wird in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts als Instrumentalisierung des Tanzes im Dienste der Bildungspolitik zunehmend kritisch hinterfragt (vgl. u.a. Freytag 2011; Klinge 2014b). Die tanzpädagogische Forschung gilt vermehrt den Voraussetzungen und Bedingungen für das Gelingen von Bildungsprozessen und der Qualitätssicherung (vgl. ebd.). Hier liefert die Darstellung der Arts Education-Programme von Nana Eger einen wichtigen Beitrag. Sie legt eine internationale Vergleichsstudie von best-practices-Beispielen in drei verschiedenen Ländern vor (Eger 2014). Darin untersucht sie „die komplexen Prozesse und Situationen Kultureller Bildung in, an, mit Schulen“ (Eger 2015) aus Sicht der Handelnden. Ihre ethnografische Forschung zeigt die methodisch-didaktischen Vorgehensweisen der unterrichtenden Künstler/innen auf. Als Ergebnis arbeitet sie Gelingensbedingungen und Qualitätskriterien heraus. Der Choreografievermittlung widmen sich nur wenige tanz- und sportwissenschaftliche Forschungen. Die Sportwissenschaftlerinnen Claudia Behrens (2012) und Verena Freytag (2011) liefern in jüngster Zeit zwei Dissertationsschriften mit empirischem Forschungsdesign, die sich mit Gestaltungsprozessen im Tanz befassen und somit choreografische Aspekte behandeln. Beide untersuchen die Innenperspektive des Erlebens der Agierenden19 und legen
16 | Beide untersuchen das Projekt Talking about future vom tanzlabor 21, Frankfurt/ Main, 2007. 17 | Boklages Untersuchung betrifft das Berliner Projekt TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen mit Berliner Grundschulen und das Gelsenkirchener Künstlerprojekt Heavy Music – Cool Love mit dem Choreograf Bernd Schindowski. 18 | 2007/08 untersuchte die empirische Studie 230 Tanzprojekte mit außerschulischen Kooperationspartnern in NRW. 19 | Freytag erforscht Studierende im Rahmen ihrer universitären Ausbildung zu Sportlehrer/innen, die das Fach „Gestalten, Tanzen, Darstellen – Gymnastik/ Tanz“ belegen,
Einleitung
didaktisch/methodische Anregungen für die Vermittlung von choreografisch ausgerichteten Prozessen in der Sport- und Tanzpädagogik vor. Martin Stern wirft in seiner Untersuchung des zeitgenössischen Tanzes „eine bildungstheoretische Perspektive auf Tanz“ (Stern 2011: 209) und koppelt diese an einen transformatorischen Bildungsbegriff (vgl. Ahrens 2011). Er wählt für die Aufarbeitung der Potentiale des Tanzes choreografische Verfahren, da sich nach seiner Ansicht sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen der ästhetischen Bildung besonders deutlich an choreografischen Strategien reflektieren lassen (Stern 2011: 210). Er zeigt am Beispiel eines Vermittlungskonzeptes im Ausbildungskontext von Tänzer/innen auf, wie die Vermittlung choreografischer Prinzipien und Strategien Prozesse der Ordnungsbildung ermöglichen kann (ebd.: 228) und wie Aufgabenstellungen mit einschränkenden Regelwerken Differenzerfahrungen schaffen können. Auf diese Weise macht er die Bildungsrelevanz von choreografischen Verfahren und ihren Reflexionsprozessen stark. Als ein weiteres Beispiel widmet sich Wiebke Dröge innerhalb des Tanzes spezifischen Fragestellungen der Choreografievermittlung und arbeitet ein Instrumentarium an Vermittlungsansätzen wie zum Beispiel das ‚Entsichern und Begleiten‘, das ‚Taking-over‘ der Schüler/innen sowie ‚multidimensionale Rollen‘ heraus (Dröge 2009: 241f.). Sie versteht Schüler/innen, Laien, Professionelle, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen als ‚Wissende‘ und sieht ihre Rolle als Vermittlerin darin, die Beteiligten mit ihrem Wissen in Kontakt zu bringen und Transformationsprozesse zu initiieren. Nach Dröges Ansicht ist Choreografievermittlung „nicht didaktisierbar“ (ebd.: 241), sie setzt vielmehr auf die Prozesshaftigkeit und Situativität des Vermittlungsgeschehens. Von 2011 bis 2013 führte Gabriele Klein an der Universität Hamburg ein Forschungsprojekt durch, welches in einen Zertifikats-Lehrgang Choreografieren mit Schüler/Innen als Weiterbildung im Bereich Zeitgenössischer Tanz und Choreografie, Zusatzqualifikation für die Bereiche DSP, Sport, Musik, Kunst (Klein 2013a) mündete.20 Zwei einjährige Weiterbildungen wurden mit dem Ziel angeboten, „Lehrende an Schulen mit den Arbeitsweisen der zeitgenössischen Choreografie und Tanzkunst vertraut zu machen und in einer engen Verzahnung von Theorie und Praxis, von Wissenschaft, Kunst und Kunstvermittlung zu qualifizieren, gemeinsam mit Behrens erforscht Schüler/innen im Rahmen von ‚Kul-Tour-Klassen‘ im vormittäglichen Projektunterricht in der Schule. 20 | Die Ausbildung erfolgte auf der Basis der Ergebnisse des vorausgegangenen Forschungsprojektes Choreografieren mit SchülerInnen. Entwicklung eines curricularen Konzeptes für die universitäre Aus- und Weiterbildung, 2009–2011, Universität Hamburg, Institut für Bewegungswissenschaft/Performance Studies, Leitung Prof. Dr. Gabriele Klein (Klein 2009a).
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung chülerInnen choreografische Prozesse durchzuführen und Choreografien zu erarbeiS ten.“ (Ebd.)
Die Weiterbildung fand in enger Verzahnung mit dem Choreografischen Baukasten (Klein/Barthel/Wagner 2011a) statt 21 und garantierte somit eine Anbindung an die künstlerische Praxis. Hier kam ein Konzept zur Anwendung, welches Vermittlungspraxis als künstlerische Praxis versteht. Im Kontext der vorliegenden Studie ist ebenfalls der Forschungsstand zum Verhältnis von Tanzkunst und -vermittlung von Interesse. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Wechselwirkungen zwischen Tanzkunst und -erziehung findet sich bei Gabriele Postuwka in Bezug auf den modernen Tanz in Europa und in den USA. Sie bezeichnet beide als „zwei eng miteinander verflochtene Bereiche“ (Postuwka 1999: 175), deren Qualität „in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis“ (ebd.) steht. Ihre empirische Forschung zeigt, wie sich Prinzipien der Tanzerziehung aus künstlerischen Veränderungen des Bühnentanzes ableiten und wie der moderne Tanz „die Theoriebildung für die Tanzerziehung und -ausbildung stark beeinflusst“ (ebd.: 176). Schwerpunkte des modernen Tanzes wie die Fokussierung der Individualität, das Schöpfende als introspektiver Akt und die Improvisation als kreatives Mittel der Persönlichkeitsentwicklung finden sich in den Unterrichtskonzepten wieder. So entsteht auf einem humanistischen Ansatz, der die Individualität und Kreativität ins Zentrum rückt, „ein spezifisches Erziehungs- und Ausbildungskonzept“ (ebd.: 11).22 Diehl/Lampert (2011) konstatieren bei Lehrmethoden zeitgenössischer Tanztechniken ebenfalls Wechselwirkungen zwischen pädagogischen und tanzkünstlerischen Ansätzen. Ihren Forschungsergebnissen zufolge wirken die Trainingsweisen der Pädagog/innen auf deren künstlerische Praxis zurück und umgekehrt beeinflusst ihre künstlerische Recherche die Vermittlungstätigkeit.23 In diesem Zusammenspiel entsteht ein „hybrides Geflecht von Tanzformen und Körpertechniken, von Erscheinungs- und Vermittlungsformen“ (Diehl/Lampert 2011: 10).
21 | Vgl. Methodisches Vorgehen in dieser Einleitung. 22 | Vgl. hierzu auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der tanzpädagogischen Vermittlungskonzepte zur Zeit des modernen Tanzes und des zeitgenössischen Tanzes von Fleischle-Braun (2000). In ihrer Arbeit steht weniger das Verhältnis zwischen Kunst und Erziehung bzw. Ausbildung im Vordergrund, anstatt dessen nimmt sie vor allem die Vermittlungskonzepte in den Blick. 23 | In dem Forschungsprojekt wurden die Humphrey/Limón-Tradition, Countertechnik, Jooss-Leeder Technik, Cunningham Technik, Minding Motion, Muller Technik und die Release- und alignment-orientierte Technik erforscht (Diehl/Lampert 2011).
1. Choreografie
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts widmen sich Tanzwissenschaftler/innen vermehrt einer Aufarbeitung der künstlerischen Praxen von Choreograf/innen und formulieren deren Merkmale zu einem Diskurs, der den theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie bildet. Dieser Diskurs nimmt eine Differenzierung zwischen Tanz und Choreografie vor und mündet in einem erweiterten Choreografiebegriff. Entsprechend beginnt das erste Kapitel mit einer Klärung der Termini Tanz und Choreografie und des erweiterten Choreografiebegriffes und spezifiziert deren Verhältnis zueinander. Auf dieser Grundlage erfolgt die Formulierung des dieser Studie zugrunde liegenden Choreografieverständnisses. Die nachfolgenden Darlegungen versammeln vornehmlich deutschsprachige Beiträge zum tanzwissenschaftlichen Diskurs und beziehen englischsprachige Beiträge ein, wenn diese die deutschsprachige Diskussion prägen.
1.1 Tanz und Choreografie Eine allgemeingültige Begriffsbestimmung des zeitgenössischen Tanzes wird im 21. Jahrhundert aufgrund der Hybridität der künstlerischen Ansätze, der beständigen Veränderung des Feldes und der Flüchtigkeit des Gegenstandes selbst vom Tanzdiskurs als schwierig eingestuft (vgl. u.a. Rosiny 2007; Traub 2001; Lampert 2007). Versuche der Einordnung des zeitgenössischen Tanzes rekurrieren oftmals auf die Ausführungen von Johannes Odenthal aus dem Jahr 1998 (vgl. Albrecht/Cramer 2006; Fleischle-Braun et al. 2006), der die Vielfalt der Techniken und ästhetischen Formen hervorhebt: „Zeitgenössischer Tanz ist prozessorientiert und die Ergebnisse stehen im Kontext einer persönlichen Gesamtentwicklung. Praktisch heißt das: Recherche in der Bewegung und dem Körper, Bewusstseinserweiterung und neues Körperverständnis als Forschungsschwerpunkt. Forschung und neue Tanzentwicklung stehen gleichberechtigt neben der Vermittlung von Techniken“ (Odenthal 1998: 22f.).
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Susanne Traub benennt im Rahmen ihres geschichtlichen Überblickes die Suche nach „individuellen und innovativen Ansätzen“ (Traub 2001: 181) sowie eine Multidisziplinarität und die „Diffusionen heterogener Tanzstile und choreographischer Verfahren“ (ebd.) als Charakteristika des zeitgenössischen Tanzes. Für sie ist eine Veränderung in der Haltung zur Bewegung zu beobachten, in der die Seins- und Identitätssuche sowie Verfahren der Konstruktion und Dekonstruktion auf eine Prozessualisierung der Stückentwicklung hinweisen. Mit Claudia Rosiny lässt sich seine historische Einordnung Anfang der 1980er Jahre setzen und begründet sich im Aufkommen der „Individualisierungsprozesse“ (Rosiny 2007: 11) und des „philosophischen Diskurses der Postmoderne“ (ebd.). Aufgrund der zunehmenden Vernetzung im Zuge der Mediengesellschaft entstehen vermehrt intermediale und interkulturelle Auseinandersetzungen sowie variable Strategien der Narration: „Hauptmerkmal des zeitgenössischen Tanzes ist in der Heterogenität der Bruch mit jeglichen festgelegten Formen [...]. Bewegung und Tanz sind nicht mehr repräsentierende Ausdrucksmittel, sondern betonen den choreographischen Prozess.“ (Ebd.: 13)
Teil dieser choreografischen Prozesse sind die „Fragmentierung als Gestaltungsprinzip von Choreografie“ und „digitale Kompositionsprinzipien in vielfältigen Verknüpfungsvarianten“ (ebd.: 15). Auch eine rezipientenorientierte Werkkonstitution als aktive Rezeption gilt als Prinzip des zeitgenössischen Tanzes. Die bisherigen Aussagen beschreiben den zeitgenössischen Tanz als heterogen, hybrid, prozess- und rechercheorientiert, intermedial und multidisziplinär. Sie machen deutlich, dass sich zeitgenössischer Tanz auch über Verfahren der Choreografie definiert und so wird im Folgenden der Begriff der Choreografie den Betrachtungsschwerpunkt bilden und ins Verhältnis zum Tanz gesetzt werden. Eine historische Auf bereitung des Choreografiebegriffes nimmt die vorliegende Studie nicht vor, da sich ihr forschungsleitendes Interesse auf die Vielfalt der choreografischen Praxen im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts konzentriert und in der Tanzwissenschaft bereits genealogische Abhandlungen vorliegen.1 Der Terminus ‚zeitgenössisch‘, der hier zitiert wird, ist kritisch zu hinterfragen, da er implizit einen eurozentrischen Blick transportiert, in dem die Örtlichkeit des angelegten Maßstabes einer Reflexion bedarf. Die versammelten Aussagen zu den künstlerischen Arbeitsweisen und deren Diskursivierung sind westlich geprägt und lassen offen, in welchem Verhältnis diese 1 | Analysen der historischen Genese des Begriffs wurden u.a. von Klein (2011), Foster (2011), Siegmund (2010) vorgelegt und zeigen die Transformationen des Begriffs von 1588 bis heute auf.
Choreografie
zu künstlerischen Ausprägungen im nicht-westlichen Raum stehen. Auch der Aspekt der Zeitlichkeit bedarf der Diskussion, denn eine Bestimmung von Tanz, ebenso wie von Choreografie kann immer nur im „Zusammenhang mit den historischen, konzeptionellen und praktischen Verfahren“ (Klein 2011: 20) der jeweiligen Zeit geschehen und reflektiert somit „das jeweils historische Verständnis von Bewegungsordnung sowie die jeweiligen politischen Konzepte von gesellschaftlicher Ordnung, deren ästhetische Formen in die Choreografie Eingang finden“ (ebd.). Das Zeitgenössische ist damit an eine Reflexion des Kontextes gebunden.2 Klein zufolge bezieht sich ‚zeitgenössisch‘ auf das, was „von Zeitgenossen produziert und von anderen Zeitgenossen als relevant für die jeweilige Gegenwartskunst des Tanzes wahrgenommen wird“ (ebd.: 16f.). In diesem Sinne liegt der vorliegenden Studie ein „Verständnis von Choreografie als Gegenwartskunst“ (ebd.: 16) zugrunde. Ebenso wie der Tanz besteht auch die Choreografie aus einer Heterogenität von Konzepten, Stilen und Techniken sowie von künstlerischen Positionen der Choreograf/innen und Kompanien.
1.2 Choreografie als Raumschrift in Bewegung Wie bereits in der Einleitung erwähnt, setzt sich das Wort ‚Choreographie‘ aus den Komponenten des Schreibens und des Bewegens zusammen und deren Verhältnis wird tanztheoretisch eingehend analysiert. Gerald Siegmund spricht von „der ursprünglichen Bedeutung von Choreographie als Schreiben mit der Bewegung“ (Siegmund 2010: 128). Er schließt aus der Bedeutung der Verschriftlichung und der damit verbundenen Festlegung der Choreografie, dass der Tanzende zur Wiederholung des vorgegebenen Materials gezwungen ist und somit Choreografie in diesem Sinne auch als Gesetz des tanzenden Körpers angesehen werden kann (ebd.: 123). Die „doppelte Bestimmtheit“ (Klein 2011: 19) von Schreiben und Bewegen, die im Wort Choreografie ange2 | Der Philosoph Giorgio Agamben beschreibt Zeitgenossenschaft als „eine eigentümliche Zeiterfahrung“ (Agamben 2010: 29) und als „spezielles Verhältnis zur Gegenwart“ (ebd.: 23), in der eine Phasenverschiebung stattfindet. Das Zeitgenössische zerlegt „die Zeit in ein ‚nicht mehr‘ und ein ‚noch nicht‘“ (ebd.: 31) und tritt so mit der Vergangenheit und der Zukunft in Beziehung. Der Zeitgenosse ist gleichzeitig seiner Gegenwart zugehörig und nimmt Distanz zu ihr. Erst diese Abweichung und dieser Anachronismus ermöglichen, „seine Zeit wahrzunehmen und zu erfassen“ (ebd.: 22). In der Betrachtungsweise Agambens ist ein Zeitgenosse aufgefordert, Glanz und Schattenseiten anzunehmen und muss fähig sein, alle Facetten seiner Zeit zu durchdringen. Zur Auseinandersetzung mit einer kritischen Zeitgenossenschaft mit dem Mittel der Abwesenheit vgl. Siegmund (2006).
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legt ist, besteht für Klein zum einen in der Flüchtigkeit des Auftauchens und Verschwindens der Körperbewegung, die sich im Bewegungsmoment selbst und als Spur in den Raum schreibt. „Zum anderen meint Choreografie als Raumschrift die Kunst des Dokumentierens und die Diskurse über die Ordnung der Körper im Raum, die sich entsprechend der jeweils historisch aktuellen Techniken der Aufzeichnung von Bewegung über Schrift, Bild, Fotografie, Film oder digitale Verfahren vollziehen.“ (Ebd.)
Der Raum ist auch bei Böhme/Huschka zentral, wenn sie feststellen: „In einem weiten Sinn ist Choreographie das Wissen vom Raum, insofern er durch Bewegung allererst generiert oder performiert wird“ (Böhme/Huschka 2009: 11). Um der Bedeutung des Begriffes der Choreografie im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts auf den Grund zu gehen, legt Nicole Haitzinger eine Umfrage des Internetmagazins Corpus zum Thema „Was ist Choreografie?“ als „Kartographien des Wissens“ (Haitzinger 2008) an. Sie versteht unter einer Kartographie den „Versuch einer Sichtbarmachung von (Körper-)Aktionen in Schrift, die ihre ‚eigene‘ und im Diskurs der Zeit stehende Ordnung gestaltet“ (ebd.). Sie geht der Frage nach, „welche Konzepte des Erfindens und Entwerfens [...] beim Nachdenken über Choreografie als Signaturen auf Papier oder als Texte im virtuellen Medium in Erscheinung [treten]“ (ebd.). Die Definitionen von fünfzig Künstler/innen, Theoretiker/innen und Kritiker/innen wurden assoziativ und inhaltlich sortiert und in mehreren Gruppen gefasst. Haitzinger stellt heraus, dass das Darstellungskonzept der Choreografiedefinitionen auf der Webseite die Autor/innen alphabetisch auflistet, aber keine Verlinkung vom Autor zu dessen Text existiert, sodass die User/innen entweder einer chronologischen Lektüre der von Corpus angebotenen Gruppenzusammenstellungen folgen oder eine „fragmentarische Lektüre“ unternehmen, bei der sich „Spielräume des Denkens öffnen“ (ebd.). Haitzinger zufolge artikulieren die Choreografiedefinitionen „zeitgenössische Vorstellungen von performativen Künsten und reflektieren kulturelle, politische, ideologische und ökonomische Kontexte“. Sie „verweisen auf Topoi des zeitgenössischen Diskurses: Verhältnis von Autor und Text, Ordnung und Zufall, Präsenz und Absenz, Chronologie und Topologie….“ (ebd.). Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist von Relevanz, dass sich bei der von Corpus angebotenen Informationsgenerierung und -darstellung zentrale Aspekte von Choreografie zeigen: Der Akt der Informationsauswahl muss von den Leser/innen bzw. Betrachter/innen selbst vollzogen werden, ihnen obliegt die Auswahl der Autor/innen und der Reihenfolge der Erkenntnisgewinnung. Jeder Leser/jede Leserin erzeugt im Moment des Internetzugangs die Dauer und den Ablauf des Ereignisses neu und konstituiert eine individuelle Zusammenstellung aus dem Informations-
Choreografie
angebot. Jeder Nutzer/jede Nutzerin kreiert somit seine/ihre eigene Recherche als „Nachforschung, Ermittlung“ (Duden 2015: 912). Die Umfrage vollzieht mit ihrem „kollektiven Sammlungsprozess“ (Haitzinger 2008), ihrer prozessorientierten Vorgehensweise, der Teilhabe der User/innen, des Ereignischarakters der Informationszusammenstellung und des digitalen Mediums Praktiken des Choreografierens. Corpus web repräsentiert hier nicht Choreografie sondern bringt sie hervor. Raimund Hoghes Definition sei hier erwähnt, da sie die Verbindung von Schrift und Bewegung thematisiert, indem er Choreografie als „Schreiben mit dem Körper“ (Hoghe 2008) bezeichnet. Choreografie, so lässt sich zusammenfassen, trägt die Doppelbedeutung des Schreibens und Bewegens in sich und existiert als Aufzeichnung von Bewegung sowie als Raumschrift mit dem Körper in Bewegung.
1.3 Festgelegte und improvisierte Ordnung Gemäß ihrer Bedeutung als Bewegungsvorschrift ist Choreografie ihrem Ursprung nach an Festlegung und Wiederholbarkeit gekoppelt. In diesem Verständnis ist sie eine „geplante und festgelegte Raumschrift sowie festgelegter Tanzrhythmus. Sie ist eine Vorschrift, welche im Akt der Tanzpräsentation aus dem Gedächtnis von den Ausführenden gewissermaßen abgelesen bzw. nachgeschrieben wird“ (Lampert 2007: 34). Neben dem „Finden, Kombinieren und Ausführen von Tanzschritten zu Musik“ (Siegmund 2010: 120) vollzieht sich seit dem 20. Jahrhundert eine Öffnung, in der die Improvisation ebenfalls zum Bestandteil des Choreografieverständnisses wird. Improvisationstechniken wie beispielsweise die Contact Improvisation, die seit der 1960er Jahre existiert, stellen Kleins Ansicht nach „das Verhältnis von Choreografie, als festgefügter, wiederholbarer Ordnung und Tanz als unwiederholbarer Praxis in Frage, indem interaktive Bewegungsgenerierung und Echtzeit-Komposition zusammenfallen“ (Klein 2011: 50).3 Neben der Festlegung nehmen regelgeleitete Improvisationen (vgl. u.a. Klein/Barthel/Wagner 2011b) einen größer werdenden Stellenwert ein und die Unterscheidung zwischen „Choreografie als festgelegte tänzerische Komposition“ und „Improvisation als spontane Komposition“ (Lampert 2007: 31) ist als 3 | Der Einsatz von Improvisation in der Aufführung wird unterschiedlich bezeichnet. Klein verwendet den Begriff der Echtzeit-Komposition, Lampert spricht in Bezug auf die Arbeiten von William Forsythe von „Echt-Zeit-Choreographie“ sowie „Real Time Choreographie“ (Lampert 2007: 158), Evert von „real time choreography“ (Evert 2002). Foster verwendet in Bezug auf die Improvisationsarbeit von Richard Bull im Post Modern Dance „improvisierte Choreographie“ (Foster 2002: 243). Die vorliegende Studie führt diese Begriffe als Echtzeit-Choreografie zusammen.
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„Dichotomie nicht haltbar“ (ebd.: 41). Die mit dem Einsatz von Improvisation entstehende Kunst des Augenblicks (Klein 2011: 43) wird zu einem zentralen Bestandteil choreografischer Verfahren und zieht weitreichende Auswirkungen nach sich. „Das Prinzip der real time choreography betont die Flüchtigkeit des Aufführungsprozesses und damit die Gegenwärtigkeit des theatralen Prozesses als dessen mediale Spezifität“ (Evert 2002: 504). Mit der Integration der Improvisation in die choreografische Praxis werden die Tänzer/innen zu Choreograf/innen und die Prozesse der Bewegungsgenerierung und der Komposition fallen zusammen (vgl. Klein 2011). Im Spiel der improvisierten Kombination von Materialien rückt die Ereignishaftigkeit in den Vordergrund und ruft das Phänomen der Emergenz auf. Der Begriff der Emergenz, aus dem Lateinischen emergere kommend, bezeichnet etwas Unerwartetes, „das vorher nicht gegeben war und aus den Elementen des Systems, in dem es auftaucht, auch nicht abzuleiten ist“ (Fischer-Lichte 2012: 75). Emergente Bewegungsabläufe thematisieren das Verhältnis von Planbarkeit und Unplanbarkeit und provozieren, „dass Situationen entstehen, die nicht choreographierbar sind, Choreographie sozusagen überwinden“ (Nik Haffner in Lampert 2007: 140) und sowohl den Tänzer als auch den Choreografen überraschen.4 Hier wird die Verbindung zwischen „nicht planbar“ und „nicht choreografierbar“ (ebd.) befragt und ein Choreografiebegriff formuliert, der mit einer ungeplanten Ordnung operiert, bei der Neues durch die Neukonstellation von Bekanntem entsteht. Echtzeit-Choreografien reflektieren damit das scheinbare Paradox, das ‚Unchoreografierbare‘ zu choreografieren. Gegenwärtige Choreografie besteht, so lässt sich zusammenfassen, sowohl aus festgelegten und wiederholbaren als auch aus improvisatorischen und emergenten Ordnungen, womit ein erster Baustein zu einem erweiterten Choreografieverständnis gelegt ist.
1.4 Loslösung der Choreografie vom Tanz Wenn Improvisation in das Choreografieverständnis integriert wird, entsteht die Notwendigkeit, die historisch geprägte „enge Verbindung von Tanz und Choreografie“ (Klein 2011: 52f.) zur Diskussion zu stellen. Gabriele Brandstetter nimmt eine Unterscheidung „zwischen dem Bewegungscode einer Choreographie (oder einer ‚Schule‘) einerseits und der jeweiligen Methodik des Choreographierens andererseits“ (Brandstetter 2000a: 127) vor. Sie trennt somit zum Zwecke der Analyse das „Bewegungskonzept (als Technik und als Ästhetik) und das Kompositionskonzept (als Formation, als Regelsystem einer Syntax)“ (ebd.) voneinander und hebt hervor, dass die Verknüpfung das Wesentliche 4 | Haffner bezieht sich hier auf die Arbeit von William Forsythe.
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des Choreographierens bildet. In dieser Perspektive können für Brandstetter choreografische Konzepte zur Beschreibung und Differenzierung von Tanzstilen dienen, so ist z.B. der Postmodern Dance anhand seines choreografischen Konzeptes definierbar, nicht aber durch einen „charakteristischen Bewegungscode“ (ebd.). Brandstetter verzeichnet hier eine Loslösung der Bewegungsästhetik von den choreografischen Verfahren. Diese Entwicklung aus dem Postmodern Dance findet in der Choreografie ihre konsequente Anwendung, die sich nicht über eine (wieder)erkennbare Ästhetik, sondern durch ihr choreografisches Konzept definiert. „[...] choreography cannot define itself in terms of an affiliation to a certain style, language or aesthetic. Choreography appears as a performative and constructive tool responsible for the fragmentation of dance as a hegemonic concept. Hence, I would propose to talk rather of ‚choreographic practice‘ [...].“ (Bauer 2008: 15)
Bauer beschreibt hier ebenfalls die Loslösung von ästhetischen Positionen und formuliert eine damit einhergehende Verschiebung von Choreografie als Produkt und Begriff zur Praxis des Choreografierens. „Der Tanz überlagert sich mit der Bewegung, ist isomorph zu ihr“ (Lepecki 2006: 9). Dieses Verständnis galt lange Zeit als „ontologische Gewissheit über choreographische Charakteristika“ (ebd.), doch Anfang dieses Jahrhunderts wird es aufgekündigt. Der Tanzwissenschaftler André Lepecki verzeichnet im amerikanischen und europäischen Tanz des Jahres 2006 eine Bewegungsreduktion in der experimentellen Choreografie (ebd.: 10), die mit dem Ideal des Tanzes als kontinuierliche Mobilität bricht. Seit dem Konzept-Tanz der 1990er Jahre entwickelt sich ein Paradigma, welches Choreografie nicht mehr innerhalb des Tanzes verortet, sondern zunehmend als eigenständiges Sujet verhandelt. Dieser Umbruch geschieht Klein zufolge aus der Tatsache heraus, dass „das postmoderne Spiel mit Tanzfiguren und Bewegungsmaterial, das noch die 1980er prägte, nicht mehr genügt, um eine konzeptionelle Basis für choreografische Produktion und Praxis bereitzustellen. Stattdessen hat der Konzepttanz einen Prozess initiiert, der choreografische Praxis als Forschungspraxis, diese als eine kollaborative Form und diese wiederum mitunter als eine kritische gesellschaftliche Praxis verstehen will.“ (Klein 2011: 62)
Eine derartige Veränderung führt zur Marginalisierung der tänzerischen Bewegung. Der Konzepttanz inszeniert, so Klein, auch „das Verschwinden des tanzenden Subjekts“ (ebd.: 58), indem intermediale Arbeitsweisen, in denen Bewegungsaktivitäten von digitalen Trägermedien übernommen werden, den tanzenden Körper ersetzen und die über Jahrhunderte gewachsene Koppelung der tänzerischen Bewegung an einen menschlichen Körper ebenso wie an den
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Tanz beenden. Auch Siegmund spricht von einem „weitgehenden Verzicht auf tänzerische, energetisch und rhythmisch gestaltete Bewegung“ (Siegmund 2010: 120). Aus seiner Sicht hat zwischen 1995 und 2010 durch das Interesse an Rechercheprozessen sowie der Reflexion und Inszenierung von Fragestellungen eine enorme Ausdehnung des Gültigkeitsbereichs des Choreografiebegriffes stattgefunden. Die Marginalisierung der tänzerischen Bewegung zieht eine Re-Definition des Tanzbegriffes nach sich und führt bei den Veranstaltern zu einer Differenzierung zwischen ‚Tanz-Tanz‘ und ‚Konzept-Tanz‘ (vgl. Schneider 2004). Das Verhältnis von Prozess und Produkt verschiebt sich und deren Trennung löst sich allmählich auf. Katja Schneider benutzt hierfür das Bild von geöffneten Grenzen (ebd.: 366) und konstatiert eine proportionale Verschiebung: „Der Tanz mag dabei verschwinden, die Choreografie bleibt präsent. Prinzipieller Standpunkt und Perspektiven des Choreographen sind vom Körper- und Raumbewußtsein des Tanzes geprägt. Ganz verabschiedet hat man sich vom Tanz also nie.“ (Ebd.)
Die Tatsache, dass der Tanz nicht auf der Bühne gezeigt, sondern konzeptionell verhandelt wird, eröffnet eine Reflexion der Beziehung zwischen Tanz und Choreografie. Tanz als choreografierte Bewegung taucht nun Schneider zufolge „in Zitaten und im Metadiskurs auf“ (ebd.). Für Siegmund begründet sich das Verschwinden des Tanzes aber nicht in der Debatte zwischen TanzTanz und Konzept-Tanz, sondern in der „Emanzipation der Choreografie vom Tanz“ (Siegmund 2007a: 49). Diese Emanzipation geschieht für ihn dadurch, dass Choreografie nicht mehr nur die Organisation von körperlicher Bewegung betrifft, sondern intermediale Herangehensweisen heterogene Materialien einbeziehen, der gesellschaftliche Kontext verhandelt wird, das Werk dem Zuschauer übereignet und zur Diskussion gestellt wird. Er verweist hier auf Bojana Cvejić, die ein offenes Konzept von einem geschlossenen differenziert: „A close concept defines choreography as composition, and identifies composition with inscribing a form or structure, but in any case a notion of a whole, by bodily movement in time and space. [...] To claim that choreography is an open concept implies that the notion of choreography (composition) be expanded and modified.“ (Cvejicć 2006: 52)
Diese Modifizierung geht für Cvejić über die Verwendung bereits existierender gestaltungsimmantenter Werkzeuge hinaus und bezieht unter anderem auch Sprache, theoretische Konzepte, Geschichtlichkeit, Bildende Kunst, Film, Musik, digitale Medien sowie das Theaterdispositiv mit ein. Ein offenes Konzept von Choreografie berücksichtigt Cvejić zufolge das Entstehen einer unvorhersehbaren Situation und führt zu einem veränderten Verständnis dieses Geschehens, an dem Künstler wie Rezipienten beteiligt sind. Petra Sabisch ver-
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weist im Zusammenhang mit den Vokabularien Tanz-Tanz und Konzept-Tanz auf die zusätzliche Verwendung des Begriffes „non-dance“ (Sabisch 2011: 158), der von Tanzkritiker/innen verschiedenen Choreograf/innen zugeschrieben wird. Sowohl Cvejić als auch Sabisch hinterfragen die bi-polare Gegenüberstellung dieser Begriffe kritisch. Aus Sabischs Sicht geht die Zuordnung von Stücken zu Tanz oder Nicht-Tanz an den substanziellen Veränderungen, die sich in der choreografischen Praxis durch deren Reflexion ihrer eigenen Mittel vollziehen, vorbei. Sie weist darauf hin, dass sich die Künstler/innen in diesen Schematisierungen nicht wiederfinden, sich davon differenzieren und sie reflektieren.5 Siegmund formuliert ein Bedingungsgefüge zwischen Tanz und Choreografie, wenn er sagt: „Choreographische Verfahren werden dann thematisch und treten in den Vordergrund, wenn die tänzerische Bewegung zurücktritt“ (Siegmund 2010: 120). Er spricht dem Tanzen den körperlichen Bewegungsvollzug des Momentes zu und der Choreografie die Strukturvorgabe für den Bewegungsvollzug. Der Tanz verkörpert somit die Struktur, die ihm die Choreografie zur Verfügung stellt: „Tanzen und Choreographie sind zweierlei. Ihr Verhältnis ist durch einen Abstand zueinander gekennzeichnet, einer Abständigkeit des tanzenden Körpers zur Choreographie, die doch auf dem Körper als Schriftzeichen basiert. Der tanzende Körper, der eine Flut von flüchtigen Bewegungen generiert, ist das, was sich prinzipiell der Verschriftlichung zur Choreographie entzieht. Gleichzeitig aber muss sich diese Choreographie auf die Bewegung beziehen, weil sie dem Strom von Bewegung eine Struktur gibt. Auf der anderen Seite gibt es den tanzenden Körper als bestimmten tanzenden Körper nur, weil er sich als strukturierter Körper in der Choreographie vor Zuschauern zu erkennen gibt.“ (Ebd.: 124)
Siegmund artikuliert hier eine Trennung von Tanz und Choreografie, hält die Dichotomie von Flüchtigkeit und Struktur aufrecht und zeigt deren Bedingtheit auf. Er sieht den Tanz als einen Bestandteil von Choreografie und Choreografie als dessen übergeordnete Struktur. Choreografie ist für ihn „ein Allgemeines, das den tanzenden Körper aufnimmt. Körper fügen sich in die allgemeine, überindividuelle Struktur ein und werden dadurch zu signifikanten Körpern, mithin zu Subjekten“ (Siegmund 2007b). Da Choreografie immer an Regeln gekoppelt ist, ist sie Siegmund zufolge immer auch an einen gesellschaftlichen Kontext gebunden und definiert sich über die in den Regeln enthaltenen Machtverhältnisse, Gegensätze und Widersprüche zwischen Individuum 5 | Als Beispiel einer solchen Reflexion der Zuweisungen nennt Sabisch Not Conceptual, eine Konversation zwischen Jonathan Burrows, Jérôme Bel, Bojana Cvejic und Xavier Le Roy, die von Jonathan Burrows 2007 organisiert wurde.
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und Gesellschaft. Siegmund setzt Choreografie mit Regeln gleich und leitet daraus eine Kausalität zwischen Choreografie und Gesellschaft ab: „Geben wir die Idee der Choreographie auf, geben wir die Gesellschaft auf“ (ebd.). Er beschreibt Choreografie als „Ort der Subjektivation“, an dem im „ge/teilten Theaterraum“ im Moment der Aufführung ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen und den Zwängen der Gesellschaft „durch die Anwesenheit des Publikums repräsentiert und ge/teilt produziert wird“ (ebd.). Damit schreibt Siegmund dem Publikum eine Teilhabe an der Choreografie zu. Seine Kernaussagen weisen Schnittmengen mit denen von Klein auf: In ihrer Untersuchung der choreografischen Praxis „als gesellschaftliche Praxis“ (Klein 2011: 70) weist Klein nach, dass choreografische Praktiken immer in Zusammenhang mit den jeweils vorherrschenden Produktionsverhältnissen stehen (vgl. Kunst 2009). Damit werden die multiplen Formen der kollektiven und kollaborativen Zusammenarbeit „auch vor dem Hintergrund der Transformationen des gesellschaftlichen Arbeits- und Produktionsbegriffs lesbar“ (Klein 2011: 71), die im Fordismus stattfanden. Dieser stellt Klein zufolge die Primate der Beschleunigung und Mobilität, und damit der Bewegung, in den Mittelpunkt, was Auswirkungen auf das Verständnis von Choreografie nach sich zieht. Choreografie übernimmt die Funktion, „den Rahmen bereitzustellen, um die unkontrollierte Bewegung in eine Ordnung zu bringen“ (ebd.). Im Postfordismus verändern sich Klein zufolge die Produktionsverfahren und damit der Begriff der Arbeit dahingehend, dass reproduktive Arbeit und kreative Handlungen nicht mehr voneinander zu trennen sind und „Eigenschaften wie Autonomie, Innovation, Kreativität, Interdisziplinarität oder Kollaboration“ (ebd.: 72), die vormals in der Kunst und der Wissenschaft virulent waren, nun im Produktionsprozess selbst zu finden sind. Fähigkeiten wie lernen, reflektieren und zusammenarbeiten sind im Postfordismus zentral. In diesem Kontext stellt Choreografie keine Kontroll- und Machtinstanz mehr dar, sondern „wird vielmehr als eine ästhetische Praxis verstanden, als ein performatives und konzeptionelles Werkzeug, um Ordnung selbst, ihre Formen, Strategien und Dynamiken zum Thema zu machen“ und „um Machtordnungen auszuprobieren, zu unterlaufen und eine gouvernementale Politik der Selbstregierung zu reflektieren.“ (Ebd.: 73)
Parallel zu dieser Betrachtungsweise von Choreografie auf einer gesellschaftlichen Ebene nimmt die Tanzwissenschaft auch eine Definition auf der Ebene der Bewegungsparameter vor. Siegmund überträgt Merce Cunninghams Definition von Tanz als Bewegung in Zeit und Raum (Cunningham 1952) in eine Definition von Choreografie und setzt „Choreographie als Organisation oder Strukturierung von Bewegung in Raum und Zeit“ (Siegmund 2010: 121), die Evert noch kondensierter formuliert: „Choreographie strukturiert Bewegungen“ (Evert 2005: 84).
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Die zitierten Autor/innen zeigen, so lässt sich zusammenfassen, den „formal ordnenden Charakter“ (Jeschke 2000: 58) von Choreografie auf. Letztere wird als Rahmen und Struktur verstanden – das Ordnende kennzeichnet das Choreografische. Des Weiteren definiert sie sich nicht zwangsweise über eine (wieder)erkennbare Bewegungsästhetik, sondern über ihre choreografischen Verfahren, über ihr Konzept. Tanz wird nicht zwangsweise ausgeführt, sondern kann diskursiv verhandelt und reflektiert werden. Choreografie verortet sich nicht mehr innerhalb des Tanzes, sondern wird als eigenständiges Sujet verhandelt. Mit der Teilhabe des Publikums an der choreografischen Praxis wird diese zu einer gesellschaftlichen Praxis und reflektiert Machtordnungen.
1.5 Prozess und Produkt In dem beschriebenen Nebeneinander von festgelegter, wiederholbarer und improvisatorischer, nicht wiederholbarer Ordnung in Choreografien wurde bereits die Beziehung von Produkt und Prozess thematisiert. Das Hinterfragen dieser Beziehung entspricht der doppelten Verwendung des Terminus ‚Choreografie‘ als Bezeichnung eines Werkes im Sinne eines Stückes, das zur Aufführung kommt und als eine Praxis, die das Vollzugsgeschehen in den Blick nimmt. Wenn Husemann zum einen von „dem Prozess des Choreographierens als dem Produzieren eines Tanzstücks“ (Husemann 2009: 21) spricht und zum anderen konstatiert, „Choreographie lässt sich als Prozess (nicht als Produkt) fassen“ (ebd.: 29), so kommt darin deren Untrennbarkeit zum Ausdruck. Auch Klein bezeichnet zum einen das Stück Le Sacre du Printemps von Pina Bausch als „eine Choreografie“ (Brandstetter/Kein 2015: 16) und versteht zum anderen Choreografie „als künstlerischen Prozess“ (Klein 2011: 68). Auf der Grundlage des performative turn aus den Kultur- und Theaterwissenschaften der 1990er Jahre wird Choreografie als performatives Konzept praktiziert, denn der performative turn hat „den Fokus fort von Texten hin zu Handlungen, Tätigkeiten und Vorgängen verschoben. Nicht mehr der strukturierte Zusammenhang verschiedener Elemente sollte analysiert werden, sondern vielmehr die Performativität von Kunst und Kultur, d.h. die Vorgänge des Machens, Herstellens, Produzierens, die Art und Weise der Herstellung und Durchführung, die Prozesse der Entstehung, Transformation und Interaktion.“ (Meyer 2006: 39)
Als entscheidende Veränderungen der performativen Wende nennt Fischer-Lichte aus theaterwissenschaftlicher Sicht „die Körperverwendung“ (Fischer-Lichte 2012: 10) der Akteure, „das Verhältnis zwischen Bühne und Publikum“ (ebd.), die Auflösung der „Dichotomie zwischen textzentrierten und
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leibzentrierten Kulturen“ (ebd.: 14) sowie eine damit einhergehende Interessenverlagerung „von den Texten hin zu Aufführungen“ (ebd.). In Bezug auf die Aufführung arbeitet Fischer-Lichte die leibliche Ko-Präsenz aller Beteiligten, die Körperlichkeit, den Rhythmus, die Wahrnehmung/Erzeugung von Bedeutung und die Ereignishaftigkeit von Aufführungen als zentrale Aspekte des Performativen heraus.6 Das Performative zielt nicht auf die Repräsentation von Ordnungsstrukturen ab, sondern bringt diese in der choreografischen Praxis überhaupt erst hervor und macht sie erfahrbar. „Statt Werke zu schaffen, bringen die Künstler zunehmend Ereignisse hervor, in die nicht nur sie selbst, sondern auch die Rezipienten, die Betrachter, Hörer, Zuschauer involviert sind. [...] Als Dreh- und Angelpunkt dieser Prozesse fungiert nicht mehr das von seinem Produzenten wie von seinen Rezipienten losgelöste und unabhängig existierende Kunstwerk, das als Objekt aus der kreativen Tätigkeit des Künstlersubjektes hervorgegangen und der Wahrnehmung und Deutung des Rezipientensubjektes anheimgegeben ist. Statt dessen haben wir es mit einem Ereignis zu tun, das durch die Aktion verschiedener Subjekte – der Künstler und der Zuhörer/Zuschauer – gestiftet, in Gang gehalten und beendet wird.“ (Fischer-Lichte 2004: 29)
Im Zuge dieser Entwicklung bekommt die Frage Relevanz, wann etwas als Kunst bezeichnet werden kann. Klein/Noeth (2011) rekurrieren auf Nelson Goodmans Sichtweise,7 dass ein Objekt zu gewissen Zeiten ein Kunstwerk sein kann und zu anderen nicht, je nach Kontext, Funktion und Blickwinkel des Wahrnehmenden.
6 | Wulf/Zirfas nennen fünf theoretische Referenzen des Performativen: „(1) die Sprechaktphilosophie von John Austin, die Aussagen als Handlungen begreift, (2) die Transformationsgrammatik von Noam Chomsky mit ihrer Differenz von Performanz und Kompetenz, (3) die Kultur- und Theatertheorien der performance art, des Happening und des Fluxus, (4) die Genderdiskussion, in deren Verlauf Judith Butler den Begriff der Performativität als rituelle Zitierung des Geschlechts einführt, und schließlich (5) der seit 1999 in Berlin etablierte Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“, in dessen Verlauf vor allem die Momente Körperlichkeit, Referentialität, Flüchtigkeit, Kreativität, Darstellung, Emergenz und Wiederholung/Ritualisierung herausgearbeitet wurden“ (Wulf/Zirfas 2006: 292). 7 | Der Theorie der Welterzeugung des Philosophen Nelson Goodman zufolge ist Welt nicht gegeben, sondern wird erschaffen. Auf dieser Grundlage stellen Klein und Noeth in ihrem Sammelband „Emerging Bodies. The performance of Worldmaking in Dance and Choreography“ (Klein/Noeth 2011) Tanz und Choreografie in ihren Potentialen der Welterzeugung zur Diskussion.
Choreografie „Ein Objekt kann in verschiedenen Zeiten verschiedene Dinge symbolisieren, zu anderen Zeiten gar nichts. Ein lebloses Objekt oder ein reiner Gebrauchsgegenstand kann vielleicht einmal als Kunst fungieren, und ein Kunstwerk kann vielleicht einmal als lebloses Objekt oder als reiner Gebrauchsgegenstand fungieren.“ (Goodman 1990: 91)
Die Hervorhebung des Wahrnehmungsblickwinkels für die Zuschreibung von Kunst findet sich auch in der eingehenden Betrachtung der Integration des Gehens in die Kunstpraxis8 sowie der Veränderung des Verhältnisses von Alltagsbewegungen zum Tanz und zur Choreografie von der englischen Choreografin und Tanzwissenschaftlerin Elizabeth Dempster. Sie beschreibt den Prozess, der dazu führt, ein Geschehen als Arbeit, Werk und Choreografie wahrzunehmen und leitet daraus ein Choreografieverständnis als Akt der Wahrnehmung ab. Durch die Wahrnehmung der Unterschiede von siebenunddreißig nichtprofessionellen Performer/innen beim Durchqueren einer Bühne entsteht für Dempster eine „Choreografie der Passanten“ im Austausch zwischen den Performer/innen und den Zuschauer/innen als gemeinsame Erfahrung: „[...] the work is not, or not only, in the body of the performer; the work and ist affects, be they perceptions of beauty, interest, aversion etc., are activated and produced between the spectator and actor. [...] Choreography became the name for an act of perception, when performer and audience together attend to the experience of moving.“ (Dempster 2008: 27)
Choreografie wird somit nicht mehr nur vom Künstler als solche definiert, sondern auch vom Betrachter. Peter Stamer rückt in diesem Zusammenhang den räumlichen und relationalen Aspekt in den Mittelpunkt, indem er Choreografie als „Organisation von Räumen, die sich zwischen bewegten wie auch zwischen bewegten und unbewegten Objekten aufziehen“ (Stamer 2007) ansieht. Die „Verräumlichung“ (ebd.) entsteht für ihn als spatiale Formgebung sowie als ästhetische Wahrnehmung sowohl von der Produktions- als auch von der Rezeptionsseite. Choreografie setzt für Stamer „einen anderen, relationalen Raum in den bereits bestehenden, gegebenen cartesianischen; er ist dahin gehend relational, als dieser immer in Bezug steht zu eben dem vorgängigen Raum (Körper zu Raum), zwischen den Körpern (Körper zu Körper) oder zu virtuellen Konzepten.“ (Ebd.)
Die Kontextgebundenheit der Wahrnehmung als zentralen Aspekt für die Choreografiezuweisung benennt auch Fischer-Lichte in ihrer Aufarbeitung der Qualitäten des Performativen. Sie zeigt anhand verschiedener Beispiele 8 | In ihrem Text bezieht sie sich auf das Stück Satisfyin’ Lover von Steve Paxton (1967).
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auf, dass performative Akte nicht auf Aufführungen beschränkt sind, in ganz unterschiedlichen Feldern auftreten können und „dass es weitgehend von der Wahrnehmung abhängt, ob ein Phänomen als performativ aufgefasst wird oder nicht“ (Fischer-Lichte 2012: 133). Der Ereignischarakter der Zuweisung von Choreografie kommt durch die Zuschauer/innen als „Ko-Produzenten der Choreografie“ (Klein 2011: 61), durch die rezipientenorientierte Werkkonstitution und die offenen Aufführungsformate zum Ausdruck. Die Begriffsbestimmung verweist also nicht auf die Aufführung als Produkt, sondern auf den Akt der Zuschreibung. Der Terminus ‚Choreografie‘, so lässt sich zusammenfassen, erfährt eine doppelte Verwendung, er bezeichnet ein Werk im Sinne eines Stückes, das zur Aufführung kommt und eine Praxis, die das Vollzugsgeschehen und den Prozess in den Blick nimmt. Auf der Grundlage des performative turn wird Choreografie als ein performatives Konzept verstanden und die Ereignishaftigkeit gewinnt an Bedeutung. Die Zuschauenden können dabei als Ko-Produzent/ innen der Choreografie den Akt der Choreografiezuschreibung gleichermaßen wie die Künstler/innen vollziehen.
1.6 Erweiterter Choreografiebegriff In den vorangegangenen Abschnitten wurde der erweiterte Choreografiebegriff bereits eingeführt, dessen Reichweite im Folgenden eine detaillierte Betrachtung erfahren soll. Susan Leigh Fosters Analysen ästhetikaffiner sowie ästhetikfremder Kontexte liefern wichtige Beiträge zum Diskurs des erweiterten Choreografiebegriffes. Die Tanzwissenschaftlerin sieht Choreografie als Entwurf bzw. Plan oder Inszenierung von Körpern in Bewegung, „choreography has come to refer to a plan or orchestration of bodies in motion. And in this refined definition, the plan is distinguished from its implementation and from the skills necessary for its execution.“ (Foster 2011: 15)
Demzufolge wird der Entwurf von dessen Ausführung und den dafür notwendigen Fähigkeiten entkoppelt9 und Choreografie ist somit nicht zwangsweise an eine tänzerische Erscheinungsform gebunden, Menschen und Artefakte10 9 | Mersch führt diese Entwicklung auf die Wichtigkeit der Ereignishaftigkeit zurück, die „eine strukturelle Differenz zwischen Konzeption und Geschehnis“ (Mersch 2002: 234) schafft. 10 | Reckwitz betrachtet Artefakte „als Gegenstände, deren sinnhafter Gebrauch, deren praktische Verwendung Bestandteil einer sozialen Praktik oder die soziale Praktik selbst darstellt. In diesem sinnhaften Gebrauch behandeln die Akteure die Gegenstän-
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können gleichermaßen an ihrer Entstehung teilhaben. Foster schlägt eine Konzeptualisierung von Choreografie im Sinne einer Theoretisierung von Identität vor: „‚choreography‘ can productively be conceptualized as a theorization of identity – corporeal, individual, and social“ (ebd.: 4). Damit setzt sie sich von einer Sichtweise ab, die sich lediglich auf die Präsentation einer Aufführung bezieht, ohne grundlegende Aspekte wie die Geschichte und Methodologisierung des Körpers adäquat einzubeziehen. Choreografie geht über die tänzerische Bewegung hinaus und kann alle Arten menschlicher Bewegung betreffen. Foster fasst ebenfalls die Herstellung von Geschlechterrollen als choreografischen Akt auf oder die Richtlinien, nach denen Demonstrant/innen gewaltfreie Aktionen durchführen oder die Aktion von Mitarbeiter/innen in Call Centern, die eine Echtzeit-Choreografie vollbringen. In einem weiteren Schritt geht sie auch über die menschliche Bewegung hinaus, so können z.B. Vögel komplizierte Choreografien aufführen oder Objekte Bewegungsströme choreografieren, z.B. wenn Gebäude das Bewegungsverhalten von Menschen organisieren oder Filmkameras Szenen in Kinofilmen koordinieren oder Multiproteinkomplexe Veränderungen der DNA bewirken (ebd.: 2f.). Foster erweitert das Choreografieverständnis noch radikaler, indem sie Choreografie vom realen Bewegungsvollzug loslöst, sodass auch Entscheidungsfindungen sowie Diskurse als choreografischer Akt angesehen werden können wie (ebd.: 5). In dieser Argumentationslinie geht Choreografie über eine ästhetische Dimension hinaus und bezieht auch eine soziale und politische Dimension mit ein bzw. diese Dimensionen artikulieren sich in der Choreografie. Neben der Bewegung des Körpers versteht Rudi Laermans auch Assemblages heterogener Materialien als Choreografie (Laermans 2008). In Ihnen konstituieren sowohl Medien mit körperlich-materiellem Charakter wie die Bewegung als auch andere mit immateriellem Charakter wie Licht, Klang und Text die Performance. In ihrer Versammlung werden die Artefakte für Laer mans zu Performern eines erweiterten Choreografiebegriffes, „‚choreography in general‘ is the art of making and modulating – of governing – heterogeneous assemblages. If the assembling is successful, the outcome is a non-hierarchical performative network that is the actual medium of the performance, even its main performer.“ (Ebd.: 13)
So vermischen sich Performances mehr und mehr mit Installationen und bilden emergente choreografische Ordnungen. Zum Beispiel erzeugen die Besucher einer Hüpf burg mit ihren Bewegungen durch ihre Interaktionen eine de mit einem entsprechenden Verstehen und einem know-how, das nicht selbst durch die Artefakte determiniert ist. Andererseits und gleichzeitig erlaubt die Faktizität eines Artefakts nicht beliebigen Gebrauch und beliebiges Verstehen“ (Reckwitz 2008b: 115).
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performative Choreografie, die situativ ensteht. Klein sieht in dieser Installation kein künstlerisches Objekt, sondern ein Objekt, was „die Frage nach dem Ästhetischen im Profanen, nach dem Verhältnis von Kunst- und Alltagsobjekten stellt. Es ist vielmehr ein Ort, in dem Bewegung, Choreografie und Kunst mit lebensweltlichen Erfahrungen in einem Kunstraum ineinander fließen [...].“ (Klein 2012: 29)11
Für Laermans können menschliche und nicht-menschliche Bewegungen ein Kraftfeld als eigenständige Form des Sozialen erzeugen: „The constructed force-field is a genuine form of sociality, a common – I prefer this word above expressions such as ‚community‘ or the more fashionable ‚multitude‘ – inhabited by both human and non-human movements that (inter) act as intensities or singularities. During a ‚dance performance in general‘, this choreographed ‚common‘ is the actual Iocus of the performance’s total performativity.“ (Laermans 2008: 13)
Diese Loslösung der choreografischen Praxis von der Bewegung des menschlichen Körpers öffnet die Anwendungsbereiche des Choreografiebegriffes, wie sich in Themen und Titeln diverser Publikationen spiegelt: Geschichte wird choreografiert (Foster 1995: Choreographing History), Gender (Foster 1998: Choreographies of Gender), Protest (Foster 2003: Choreografies of Protest), Empathie (Foster 2011: Choreographing Empathy. Kinesthesia in Performance), Differenz (Albright 1997: Choreographing Difference), Beziehung (Sabisch 2011: Choreographing relations. Practical Philosophy And Contemporary Choreography) und das Soziale (Klein 2009b: Das Soziale choreografieren. Tanz im öffentlichen Raum). Damit liegt ein Interesse an Choreografie nicht nur im Kunstbereich vor, sondern auch in ästhetikfernen Domänen (vgl. Foster 2011). Choreografie kann sich neben der Bewegung von Körpern auch auf die Bewegung von Gedanken beziehen und für alle jene Menschen von Interesse sein, die gewillt sind, „die Bewegungen des Geistes zu ordnen, um in diesem Sinne selber zu choreographieren“ (Böhme/Huschka 2009: 20). Der Entwurf und die Ausführung einer Choreografie können, so lässt sich zusammenfassen, voneinander entkoppelt werden und somit können Menschen und Artefakte gleichermaßen an ihrer Entstehung teilhaben. Choreografie verortet sich vermehrt auch in ästhetikfremden Kontexten und löst sich von der zeit-räumlichen Organisation des realen Bewegungsvollzugs, sodass
11 | Klein bezieht sich hier auf die Installation White bouncy castle (1997) von William Forsythe und Dana Caspersen, die in vielen Städten und diversen Örtlichkeiten stattfand.
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auch Entscheidungsfindungen sowie Diskurse als choreografischer Akt angesehen werden können. Diese Erweiterung des Choreografieverständnisses mündet in das Konzept der sozialen Choreografie. Wenn Menschen sich im Straßenverkehr bewegen, auf einem Bahnhof das richtige Gleis finden, in der Oper von ihrem Sitzplatz aufstehen, um einen verspäteten Zuschauer auf seinen Platz zu lassen, beim Eiscafé in der Warteschlange stehen, in der Fußgängerzone einen Straßenmusikanten umkreisen – dann erzeugen und performen sie mit ihrem impliziten Körperwissen soziale Ordnungen (vgl. Schmidt 2012: 10). Dies erschließt sich der Methodologie des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Andrew Hewitt zufolge aus der Annahme, dass soziale Choreografie im Fundament unserer sozialen Erfahrungen verankert ist und die soziale Organisation unseres Lebens formt (Hewitt 2005: 2).12 Hewitt sieht Ästhetik als „einen Raum, in dem soziale Möglichkeiten erprobt und performt werden“ (ebd.: 4).13 Soziale Ordnungen leiten seiner Auffassung nach ihr Ideal aus dem Ästhetischen ab und verorten diese direkt im Körper. Wenn Ästhetik in der körperlichen Erfahrung beheimatet ist, dann stellt sie, so schlussfolgert er, ein Feld bereit, in dem sich Diskurs und Praxis treffen und reflektiert damit auch ideologische Standpunkte. So werden zum Beispiel in der Ästhetik des Tanzes Ideologien und politische Systeme sichtbar: das frontal zum Publikum ausgerichtete Raumkonzept des klassischen Tanzes zeigt eine Form der Selbstrepräsentation absolutistischer Höfe, in denen sich das Machtmonopol des Königs als Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt niederschlägt. So artikuliert für Hewitt nicht nur die soziale Choreografie, sondern auch Choreografie als Kunstform das Ästhetische und das Ästhetische artikuliert das Politische. Hewitt will Choreografie dabei aber nicht als eine bloße Metapher oder Repräsentation der sozialen Ordnung verstanden wissen, sondern für ihn ist sie der Diskurs und die Performance dieser Beziehung. Er vertritt die Überzeugung, „that choreography designates a sliding or gray zone where discourse meets practice – a zone in which in an earlier era it was possible for an emerging bourgeois public sphere to work on and redefine the boundaries of aesthetics and politics. I will, then, read ‚choreography‘ neither as aesthetics nor as politics but rather as articulation – not as one term in a relation but as a discourse, and performance, of that relation.“ (Ebd.: 15)
Diese Ausführungen Hewitts stehen in Einklang zu den in Deutschland von Klein durchgeführten Untersuchungen. Sie weist Laufmarathons, Technoparaden, Fußballweltmeisterschaften ebenso wie Breakdance-Battles, den Christopher Street Day oder den Karneval der Kulturen als Beispiele für „Cho12 | Übersetzung der Verfasserin der vorliegenden Studie. 13 | Übersetzung der Verfasserin der vorliegenden Studie.
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reografien des Alltags“ (Klein 2012) aus, die „als ästhetisches Muster gesellschaftlicher Ordnungen im sozialen Raum allgegenwärtig“ (Klein 2011: 20) sind. Klein versteht soziale Choreografie erstens als zeit-räumliche Organisation „von Körpern, die sich interaktiv aufeinander beziehen bzw. interkorporal sind“ (Klein 2012: 25) und zweitens als Verbindung des Sozialen und des Ästhetischen, in der das Ästhetische die Strukturen und die Interaktionen des Sozialen beschreibt. Damit performt und reflektiert soziale Choreografie gleichzeitig „die jeweils aktuellen kultur- und theatertheoretischen Konzepte wie Identität, Theater, Aufführung, Performanz“ (Klein 2011: 21), die wiederum von den künstlerischen Performances reflektiert werden. Für Klein stellen künstlerische Interventionen das Scheitern und Gelingen beim Erzeugen und Aufrechterhalten sozialer Ordnung zur Diskussion, greifen in sie ein, unterwandern und reflektieren sie (Klein 2012: 27). Choreografische Ordnungen sind, so lässt sich zusammenfassen, sowohl im künstlerischen Kontext als auch in der alltäglichen Lebenswelt zu finden. Soziale Choreografien lassen sich als interkorporal erzeugte Ordnungen begreifen, die auf dem Körperwissen der sie erzeugenden Personen beruhen und die Ästhetik des Sozialen als performative Ordnung reflektieren können. Auf der Grundlage der in diesem Kapitel behandelten Literatur und der dargestellten Aspekte beruft sich die vorliegende Studie auf einen erweiterten Choreografiebegriff und fasst darunter Bewegungsordnungen von menschlichen Körpern und Artefakten in Zeit und Raum. Diese Bewegungsordnungen können zum Zweck der Wiederholbarkeit festgelegt sein sowie aus Regelwerken für ein situativ entstehendes Geschehen bestehen. Choreografische Ordnungen werden hier nicht als Dichotomie zur Improvisation verstanden und beziehen sich nicht nur auf die Bewegung von menschlichen Körpern, sondern auf jegliche Objekte; sie sind mithin nicht an die Ästhetik einer tänzerischen Ausprägung gebunden und können auch alltägliche Bewegungen einbeziehen. Indem Choreografie als situations- kontext- und personengebunden betrachtet wird, kann sie sich je nach Feld und Ausprägung als künstlerische Choreografie im Rahmen einer Aufführungssituation ereignen und als soziale Choreografie im alltäglichen Lebensraum. Sie bezieht immer das Verhältnis von Akteur/innen und Rezipient/innen mit ein. Was als Choreografie wahrgenommen wird, kann von allen Beteiligten, auch den Betrachter/innen entschieden werden, hängt also nicht von der Beschaffenheit des Geschehens ab, sondern vom Blickwinkel des Wahrnehmenden. Als Choreografie wird ebenfalls jegliche Art des Schreibens, Aufzeichnens, Dokumentierens und Publizierens von choreografischen Ordnungen gefasst. Das hier formulierte Verständnis wird dem weiteren Verlauf des Textes zugrunde gelegt.
2. Choreografieren
Nachdem zentrale Praxen des erweiterten Choreografiebegriffes behandelt wurden, sollen nun deren Praktiken in den Fokus kommen.1 Diskursprägende Tanzwissenschaftler/innen markieren das Explorieren/Improvisieren, Partizipieren, Dekonstruieren, Kollaborieren, Reflektieren und Notieren/Erinnern als konstitutive Praktiken des Choreografierens.
Notieren/Erinnern
Reflektieren Explorieren/Improvisieren Partizipieren
Dekonstruieren
Kollaborieren
Abb. 3: Praktiken des Choreografierens
In der choreografischen Vollzugswirklichkeit formen sie „lose gekoppelte Komplexe von Praktiken“ (Reckwitz 2003: 295), die ihre Konstellationen immer wieder verändern. Wie im Abschnitt zum methodischen Vorgehen ausgeführt wurde, folgt die vorliegende Studie dem Konzept einer praxeologischen Tanzwissenschaft, die davon ausgeht, dass sich Tanztheorie „in und durch Tanz oder künstlerische Praxis“2 (Klein 2013b: 138) formuliert: „Dance theory [...] can only be conceived as a theory of practice, as a theory, which does not
exclusively or primarily concentrate on a product, but also – and foremost – on a
process, i.e. by reflecting the methods used and the forms of collaboration.
Dance theory is thus only conceivable in the context of a form of dance studies
that defines 1 | Im Abschnitt zum methodischen Vorgehen wurde das Verständnis der vorliegenden Studie von Praxis und ihrem Verhältnis zu Praktiken bereits dargestellt, vgl. Einleitung in dieser Studie. 2 | Übersetzung der Verfasserin der vorliegenden Studie.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung itself as an empirical science (Erfahrungswissenschaft), as a ‚science
of reality‘ as a ‚practical science‘.“ (Ebd.)
Konsequenzerweise wird im Folgenden nicht mehr vom Substantiv ‚Choreografie‘ gesprochen, sondern von der Tätigkeit des Choreografierens als doing choreography.
2.1 Explorieren/Improvisieren Die prozessorientierten Arbeitsweisen Explorieren und Improvisieren stellen das Interesse an Fragestellungen in den Vordergrund und betonen den Aspekt der Recherche und Forschung. In der internationalen Debatte, wie beispielsweise bei Bojana Cvejić, wird artistic research als „set of procedures of discovering, developing, describing, explaining and interpreting the functions, methods, values and sense of art“ (Cvejić 2006: 54) verstanden. Cvejić sieht darin ein Denk-, Arbeits- und auch Verhaltensmodell der Künstler/innen. Die Debatte um artistic research, im deutschen als Künstlerische Forschung bezeichnet, entwickelt sich in diesem Jahrhundert zu einem viel diskutierten Phänomen und wirft die Fragen auf, wann künstlerische Praxis zur Forschung wird, wie Forschung über, für und in der Kunst möglich ist und wie sich künstlerische und wissenschaftliche Forschung unterscheiden.3 In diesen Auseinandersetzungen kommt dem Explorieren als „erforschen, untersuchen, erkunden“ (Duden 2015: 332) des Verhältnisses zwischen Freiraum und Einschränkung in Echtzeit-Choreografien besondere Bedeutung zu. Die Arbeit mit Scores als „Sets von Anweisungen“ (Klein/Barthel/Wagner 2011b: 9f.) organisiert das Zusammenspiel der Performer/innen. Verabredungen, Vorgaben und Einschränkungen regeln das Miteinander. Lampert differenziert am Beispiel der amerikanischen Choreografin Anna Halprin eine explorative Arbeit mit Aufgabenstellungen bzw. tasks und die Arbeit mit Improvisation. Exploration nimmt für Halprin mehr Aufmerksamkeitslenkung vor und setzt mehr Grenzen als die Arbeit mit Improvisation (vgl. Halprin 1987: 12, zitiert nach Lampert 2007).4 Im Unterschied dazu steht beim Improvisieren als Handlung 3 | Als Referenz des Diskursfeldes gilt Christopher Fraylings Aufarbeitung der verschiedenen Typen der Kunstforschung (1993), zur Vertiefung der Debatte vgl. u.a. Borgdorff (2009), Peters (2013). 4 | „The more limits you set on yourself, the more you are required to objectivy. The more you limit yourself you have to push the edges out to get at more material. See, if I were just improvising I’d go up to a certain point and might just leave it and go to something else. An exploration requires that you stay on that particular path, focused on dealing with a particular element, for a given length of time. And that you can’t just
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ohne Vorbereitung aus dem Stehgreif der Aspekt des Unvorhergesehenen im Vordergrund (vgl. Bormann/Brandstetter/Matzke 2010). Brandstetter spricht vom „Verfahren der ‚strukturierten Improvisation‘ [...]. Mit einer Aufgaben-Stellung für die Tänzer – einem begrenzten Regel-Setting – werden bestimmte Bewegungs- und Interaktionspatterns (inklusive ihrer Variationsmöglichkeiten) festgelegt.“ (Brandstetter 2010a: 191)
Auch Husemann thematisiert das Verhältnis von Vorgaben und Freiraum, denn Vorgaben schaffen „erst den Spielraum, innerhalb dessen sich die Tänzer ihre jeweiligen Freiheiten nehmen können. Ganz ohne Vorgaben (in einer ‚freien‘ Improvisation) wären nur geringfügigere Abweichungen der Tänzer untereinander erkennbar. Erst Improvisationsstrukturen [...] machen die allgemeinen und individuellen Handlungsspielräume der Akteure überhaupt wahrnehmbar. Und gerade die Irritation des Regelapparates durch einen Regelverstoß, ein Missverständnis oder einen Fehler lässt die Regel als solche in Erscheinung treten.“ (Husemann 2009: 227)
Beim Improvisieren in Echtzeit-Choreografien werden spezifische skills von den Tänzer/innen abgefragt, die Lampert in einem Praktiken-Geflecht mit der Bezeichnung „Kunst der Kombinatorik“ (Lampert 2007: 179) fasst. Diese besteht nach Lampert aus den Fähigkeiten eines responsive body, dem Lösen kombinatorischer Probleme, schnellem Denken und Tanzen, dem Antizipieren, der Bereitschaft, Risiko einzugehen und der Fähigkeit zur Imagination (ebd.). Sie formuliert damit ein Zusammenspiel von Explorieren und Reflektieren, in dem sich eine Distanz zum entstehenden Material zeigt. Eine ähnliche Verknüpfung beschreibt Foster: „Bull’s structures specialized in citing the making of dance and in referencing the ongoingness of choreographic exploration. But all improvised dances describe themselves in the sense that they are reflexively pointing to their own making.“ (Foster 2002: 250) 5
Yvonne Hardt konstatiert ebenfalls eine Verschränkung von Ausprobieren und Reflektieren im Akt des Tanzes, indem die Performer/innen während einer Echtzeit-Choreografie in der Aufführung ihre Bewegungsentscheidunrun off. Or you can’t just move into some more familiar way of doing things“ (Halprin 1987: 12, zitiert nach Lampert 2007: 60). 5 | Die improvisatorische Arbeitsweise von Richard Bull fand im Zeitraum der Judson Church statt, innerhalb dessen die Mitglieder vermehrt mit tasks arbeiteten.
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gen unter einem choreografischen Blickwinkel reflektieren. Im Rahmen ihrer ‚angewandten Tanzwissenschaft‘ stellt sie fest, „Bewegungsmaterial entwickelnde Tänzer können lernen, simultan zu reflektieren und sich zu bewegen“ (Hardt 2008: 239). Diese Verknüpfung geschieht sowohl gleichzeitig als auch nacheinander. Alle bisherigen Aussagen stellen, so lässt sich zusammenfassen, die Prozesshaftigkeit in den Mittelpunkt. Diese besteht aus explorativen, improvisatorischen und rechercheorientierten Anteilen und bedingt das Eingrenzen von Aktionsspielräumen mit Regelwerken, deren Grad an Unvorhersehbarkeit variabel ist.
Kollektives Improvisieren und Kooperieren Auch für ein „kollektives Improvisieren“ (Eikels 2013: 360),6 welches Kai van Eikels aufarbeitet, stellen Regeln eine Grundbedingung dar.7 Er beschreibt Ausgangs-Settings und Regelwerke mit der Metapher von Türöffnern eines Hauses, welches sich in ständigem Umbau befindet. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Konfrontation mit einer Improvisationsaufgabe ohne Regeln bzw. Vorschriften eine Kapitulation bei den Ausführenden zur Folge haben kann, denn sie „erfahren das Ausgesetztsein in einer Gegenwart, in der alles, was sie tun oder lassen, gleichermaßen frei ist, als Ohnmacht“ (ebd.: 380). Wenn aber vorkonstruiertes Material als „Alphabetisierung des Möglichen“ und als „elementare Gliederung“ (ebd.) existiert, dann können die Beteiligten darauf zurückgreifen und zwischen verschiedenen Handlungsweisen wählen. Die Einschränkung des Vollzugsspielraums durch Regelwerke begünstigt aus seiner Sicht das Lenken der Aufmerksamkeit in unbemerkte Räume innerhalb der Regelstruktur und kann auch zum Regelbruch führen. Damit ist kollektives Improvisieren „eine Folge mehr oder weniger eingespielter, ausprobierter, objektivierter, selbst als lediglich definierte und noch nicht praktizierte aber jedenfalls distinkter Abläufe, zwischen denen man wählen kann“ (ebd.). Er verwendet in diesem Zusammenhang den Terminus ‚angeleitete Improvisation‘ (ebd.: 382). Das „Üben“ und „Sich-in-Erinnerung-Halten“ (ebd.: 387) von geprobten und erprobten Bewegungsmustern sowie das situative Wählen der Bewegungsmuster dienen zur Vorbereitung auf die Aufführung. Damit wird für ihn das künstlerische Improvisieren zu einem „Vollziehen in der Dimension des Möglichen“ (ebd.: 383). Die Beteiligten kombinieren und re-kombinieren das im Probenprozess gemeinsam generierte und eingeübte Material inner6 | Kollektiv bedeutet „gemeinschaftlich“ sowie „alle Beteiligten betreffend, erfassend; umfassend“ (Duden 2015: 565) und bedingt damit die Zusammenarbeit aller. 7 | Eikels bezieht sich in seiner Analyse auf die Performance Radioballett der Gruppe Ligna.
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halb der getroffenen Verabredungen, welche das Mögliche vorstrukturieren. Kollektives Improvisieren ist somit an einen impliziten „Konsensualismus“ (ebd.: 360) gekoppelt, bei dem die Beteiligten während der Materialzusammenstellung miteinander kooperieren müssen.8 Das Kooperieren „erhält damit die Aufgabe, all das an Direktiven und Verantwortlichkeiten erst zu ermitteln, was nirgends mehr geschrieben steht oder als Geschriebenes keinen nennenswerten Einfluss auf das reale Procedere hat.“ (Ebd: 361)
In diesem Kontext ist eine Bereitschaft gefragt, Andersartigkeit zu akzeptieren. Das „Yes-anding“ stellt diesbezüglich den „Versuch einer technischen Ausbildung von Anerkennung in der Theaterimprovisation“ (ebd: 356) dar. Jeder Improvisierende reagiert auf das Angebot des Vorherigen mit dem Redebeginn „Yes, and...“ und stellt somit eine affirmative Beziehung zum Vorangegangenen her, bevor das Gesagte weitergeführt oder in eine andere Richtung gelenkt oder konterkariert wird. Diese „Maxime einer Ethik des Improvisierens“ (ebd.) garantiert Zustimmung und damit Anerkennung und verhindert Ablehnung und Ausschluss. Das Anschließen wird in diesem Zusammenhang zu einer notwendigen Improvisationspraxis (vgl. Bertram 2010).9 Im künstlerischen Kontext, so lässt sich zusammenfassen, erfolgt Improvisieren immer auf der Grundlage von Aufgaben, Strukturen und Regel-Settings. Mit freier Improvisation wird in der Kunst des Choreografierens nicht gearbeitet. Die Praktik des Improvisierens geht mit der Praktik des Reflektierens einher. Als Bestandteile der Praktik des kollektiven Improvisierens nennt Eikels: Ausgangs-Settings und Regeln formulieren, wählen, üben, sich-in-Erinnerung-halten, das Mögliche vorstrukturieren und vollziehen, kombinieren und re-kombinieren, kooperieren, einen verteilten Konsens bilden, affirmatives Reagieren, Yes-anding und anschließen.
8 | Kooperieren bedeutet „[auf wissenschaftlichem od. politischem Gebiet] zusammen arbeiten“ (Duden 2015: 594) und Kooperation betrifft die „Zusammenarbeit verschiedener Partner“ (ebd.). Das Arbeiten im Kollektiv und das Kooperieren liegen demzufolge dicht beieinander. 9 | Für Georg W. Bertram entsteht Anerkennung in der Improvisation durch Anschlussaktionen. Diese „lassen sich als Praktiken begreifen, mittels derer Ausgangsaktionen anerkannt werden“ (Bertram 2010: 30). Gelingen und Misslingen des Improvisierens geschieht durch Anschlussaktionen, in denen sich die Beteiligten „wechselseitig Anerkennung zollen bzw. sich eine solche verweigern“ (ebd.).
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2.2 Partizipieren Partizipation10 ist unter anderem in der Politik, der Stadtplanung, Pädagogik, Kulturellen Bildung und der Kreativindustrie gegenwärtig (vgl. Siegmund 2010) und bildet „einen gefeierten Begriff in der Kunst“ (Kunst 2014: 19). Im künstlerischen Kontext bezieht er sich auf die aktive Beteiligung an und in Kunstwerken und hat weitreichende Auswirkungen auf choreografische Praktiken.
Kollektives Arbeiten, fluktuierende Funktionen, geteilte Autorschaft als Aushandlungspraxis In Folge der explorativen Arbeitsweisen verstehen sich Choreograf/innen „als suchend, forschend, lernend, vermittelnd und reflektierend“ (Klein/Barthel/ Wagner 2011c: 42) und können potenziell unter anderem Funktionen als Leiter/innen, Delegierende, Berater/innen, Moderator/innen, Lehrende und Akteur/innen einnehmen (ebd.). Brandstetter bezeichnet den Choreograf als „Organisator von kollektiven Prozessen“ (Brandstetter 2010b: 45), Foster als „facilitator“ (Foster 2011: 66), der Choreograf Xavier Le Roy bezeichnet sich als Vorschlagenden, der vom Spielleiter zum Fragenden wechselt (Le Roy in Leeker 2003: 98).11 Indem die Performer/innen an der Materialgenerierung und an der Aufführungsgestaltung teilhaben, sind sie als Co-Autor/innen und Co-Choreograf/innen am Stück beteiligt – Funktionen werden dehierarchisiert (Brandstetter 2010b: 45). Bojana Kunst bezeichnet diese Positionierungsbewegungen als eine „multilogue and pluralist orientation“ (Kunst 2009: 82) und spricht in der Folge von ‚pluralistischen Arbeitsweisen‘, bei denen der Tanzkritiker gegebenenfalls zum Produzent wird, der Philosoph im Stück performt, der Agent Tanzkritiken schreibt und der Zuschauer zum Performer wird (ebd.: 83). Brandstetter bezeichnet kollektive Arbeitsprozesse als „Praktiken multipler Autorschaft, in denen das Mit-Teilen zur Basis von Entscheidungen wird“
10 | Max Fuchs nimmt eine detaillierte Begriffsuntersuchung vor und bestimmt darin das Verhältnis von Partizipation und Teilhabe folgendermaßen: „‚Teilhabe‘ meint wörtlich, einen Teil von etwas zu haben, wobei ‚Teil‘ sich logischerweise auf ein Ganzes bezieht. Man will Teil eines Ganzen sein, will bei diesem Ganzen mitmachen (‚Teilnahme‘), vielleicht sogar das Ganze mitgestalten. Drückt man diesen Sachverhalt mit Fremdwörtern aus, so handelt es sich bei dem ‚Teil‘ lateinisch um ‚pars‘, bei der Teilhabe also um Partizipation“ (Fuchs 2008: 6). 11 | Martina Leeker und Xavier Le Roy in einem Interview über Le Roys Projekt Projekt (2003).
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(Brandstetter 2010b: 45).12 Darin nehmen Diskussionen, Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse in Bezug auf die Bewegungen sowie auf die Beziehung der Beteiligten zueinander einen maßgeblichen Teil der Probenarbeit ein (vgl. Husemann 2009). Im Zusammenspiel von Improvisieren, Partizipieren und Aushandeln geraten Machtverhältnisse in Bewegung und bedingen eine neue Form der Kollektivität: „Summoning dancers and viewers into a new sense of agency, as co-creators and witnesses of a choreographic process, The Dance That Describes Itself calls upon all participants to construct a new kind of collectivity. Lacking the authorical leadership of a single choreographer, The Dance That Describes ltself launches an inquiry into the kinds of power relations that might inform and sustain a ‚leaderless‘ community. It asks dancers and viewers to consider how individual desires and initiatives might be accommodated by communal consensus, and how dierence and disagreement among individuals might be negotiated.“ (Foster 2002: 14)13
In Echtzeit-Choreografien wird die Partizipation für den Zuschauer sichtbar, der Umgang mit Autorschaft wird als Thema ausgestellt, verhandelt und kritisch reflektiert (vgl. Husemann 2009; Brandstetter 2010). Auf diese Weise entsteht ein Praktiken-Ensemble aus Explorieren, Partizipieren und Reflektieren. Diese Entwicklungen führen zur Bildung von Künstlerkollektiven, deren Interesse den Prozessen des Austausches selbst gilt und die nur mit gegenseitigem Vertrauen möglich sind, wie Helmut Ploebst von den Gruppenmitgliedern des Künstlerkollektivs Superamas berichtet (Ploebst 2007: 29).14 Die 12 | Husemann spricht von der „Vervielfältigung von Autorschaft“ (Husemann 2009: 72). 13 | Foster bezieht sich hier auf das Stück The Dance That Describes Itself (1977) von Richard Bull. 14 | Das Zusammenspiel zwischen kollektiver Bewegungsorganisation und Vertrauen thematisiert auch Eikels im Kontext des Schwarmverhaltens bzw. der ‚Schwarmintelligenz‘. Künstler interessieren sich für „die Bewegung von Schwärmen als Spuren einer ereignishaften Choreographie“ (Eikels 2007: 35) und übertragen sie auf das menschliche Kollektiv. Schwärme funktionieren mit einfachen Bewegungsregeln, bei denen jedes Mitglied eines Schwarms nur mit wenigen anderen kommuniziert, daraus aber ein Synergieeffekt als „eine emergente Ordnungsleistung“ (ebd.) entsteht. Diese besteht in einem dezentralen Beziehungsnetzwerk der Mitglieder. Die dem Schwarm zugrunde liegenden Bewegungsregeln werden von Künstler/innen als choreografische Anweisungen angesehen und von Soziobiolog/innen als soziale Verhaltensregeln gelesen. Eikels arbeitet den partizipatorischen Aspekt des kollektiven Schwarmverhaltens heraus (vgl. Eikels 2008). Für ihn bilden „Individualismus und Partizipation an Schwarmaktivitäten“ keinen Widerspruch, „da der Schwarm keine hierarchische Unterordnung und keine
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Künstlerkollektive erproben gleichberechtigte Formen der Zusammenarbeit und hinterfragen klassische Hierarchien (vgl. Klein/Barthel/Wagner 2011c: 30). Im Zuge dessen wird vermehrt der Begriff der „horizontalen Arbeitsstruktur“ (Husemann 2006)15 verwendet. Eine andere Form der Partizipation betrifft die verschiedenen Arten und Weisen, wie das Publikum zu unterschiedlichen Graden an choreografischer Praxis teilhat. Seit sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Entscheidende der Kunstform des Theaters von der Literatur zur Aufführung verlagert hat (vgl. Herrmann 1920) und die Theatersituation immer an „die leibliche Kopräsenz von Akteuren und Zuschauern“ (Deck 2008: 9) im realen Raum gebunden ist (vgl. Fischer-Lichte 2012), wird die Beteiligung des Publikums immer als eine aktive verstanden. Mit dem Verständnis der „Rolle des Zuschauers als eines Mit-Spielers wurde die
Aufführung als ein Prozess bestimmt, der aus dem gemeinsamen ‚Spiel‘ von
Akteuren und Zuschauern, aus ihrer Interaktion hervorgeht“ (ebd.: 21). Dies gilt unabhängig davon, ob der Zuschauer aktiv in das Geschehen involviert ist oder zuschaut, er ist immer Teil davon und wird in jedem Fall „mitchoreografiert“ (Siegmund 2010: 121). Entscheidend an diesem Wandel ist, dass es dadurch „fortan nicht länger Rezipienten oder Zuschauer gibt, sondern nur mehr Beteiligte – Komplizen eines Geschehens, in das alle verwickelt sind und das folglich gemeinsam ‚ver-antwortet‘ werden muss“ (Mersch 2002: 20). Damit ist die „Vollzugsform“ der performativen Kunst „die Inter-Aktion“ (ebd.: 238) und an die Stelle der Intentionalität tritt Mersch zufolge eine Responsivität. „Es gibt keine Nicht-Teilnahme, kein Nichtverhalten zum Ereignis“ (ebd.: 239) mehr. Eikels unterzieht das Verständnis des Kollektiven, welches in den Kommunikationssystemen der Praktik des Partizipierens erzeugt wird, einer kritischen Betrachtung. Er sieht in aktiven Beteiligungsformen mit fluktuierenden Funktionen, bei denen Personen aus dem Publikum „[f]reiwillig oder gezwungenermaßen zum Mehr-als-die-übrigen Mitwirkenden aufgerückt“ (Eikels 2013: 130) werden, nicht als Ausdruck einer demokratischen oder emanzipaegalitäre Einordnung, sondern nur die aktive Mitgestaltung einer Bewegung verlangt“ (Eikels 2007: 36). Für Eikels stellt die Aktivität selbst das zentrale Kriterium dar, es „gibt keine rein passive oder rezeptive Anwesenheit in einem sozialen Schwarm und nur eine begrenzte Zeit des Abwartens“ (ebd.: 51) und diese Funktionsweise bedarf einer Offenheit für das Selbstmanagement jedes Einzelnen. Eikel stellt fest: „Die einzelne Aktivität oder das bloße Faktum des Aktiv-Seins ‚schafft‘ hier das Vertrauen, indem sie den Agierenden ein Erlebnis von Kontemporalität verschafft“ (ebd.). Die Abstimmung und situative Synchronisation mit einigen anderen des Schwarms verhilft zu einem „positiven Feedback-Effekt“ (ebd.) und dem Erleben von einem gemeinsamen Rhythmus. 15 | Husemann bezieht sich dabei auf ihren Bericht über das Festival Tanz made in Berlin des Jahres 2006.
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torischen Beteiligung. Für ihn konstituiert sich das Publikum aus einem Moment der Unsicherheit über seine Rolle heraus als Kollektiv. Das belebt Eikels Argumentation zufolge zwar die Aufführungsdynamik, nutzt aber auf parasitäre Weise die Unsicherheit des Publikums auf deren Kosten aus und übt entsprechend Gewalt aus. Für Eikels meint „Partizipation, dass ein Teil von mir [Herv.i.O.]16 sich einem Teil von etwas zuwendet. Auf einer Szene dieses Partizipierens waltet zweifach kein Ganzes: Es gibt kein kollektives Ganzes, dessen Teil ich werde (weder ein im Hinblick auf bzw. durch Repräsentation bestimmtes Ganzes wie ,die Gruppe‘, ‚die Partei‘ oder ,das Publikum‘ noch ein performatives Ganzes wie ,die Ausstellung‘, ‚die Aufführung‘, ‚das Spektakel‘, ‚die Erlebnisgemeinschaft‘). Und es gibt kein Ich, das zur Gänze in etwas eintritt.“ (Ebd.: 189)
Diese Sichtweise verweigert sich dem Duktus des ‚Ermöglichen‘ von Teilhabe an einem Gemeinschaftsgefühl eines Kollektivs. Eikels dreht das Bedingungsgefüge um und bringt jedes Individuum ins Zentrum des Handelns, denn „wer sich anschickt, Partizipation zu ermöglichen, wischt bereits über die kollektive Wirklichkeit des Performens hinweg, und seine Rückwendung zu dieser Wirklichkeit vom Niveau des ermöglichten Möglichen aus begegnet, mitunter trotz hehrer Absicht, den Teilnehmenden mit Überheblichkeit, erniedrigt sie wie ein Integrationsbeauftragter die Ausländer, denen er seine Programme aufdrängt.“ (Ebd.)
Eikels macht vielmehr deutlich, dass „Partizipation sich im Vollzugsgeschehen organisiert“ (ebd: 190). Eine kritische Position formuliert auch Rudolf Frieling, indem er anmerkt, dass sich die Idee des Partizipativen in der Realität als ein Paradoxon darstellt, da im Moment der Abgabe künstlerischer Autorschaft ebendiese noch verankert ist und sich der Künstler nie gänzlich seiner Rolle des Initiators entziehen kann (Frieling 2008). Selbst wenn die Zuschauenden die Regeln der Performance beeinflussen können, so geschieht dies in einem vorgegebenen Rahmen und das Theater weist dem Publikum eine Rolle zu. Wenn, wie inzwischen deutlich wurde, Partizipation immer stattfindet, so liegt das Spezifische jeder künstlerischen Auseinandersetzung in den Graden des sich Involvierens und diese Grade variieren je nach Praktiken und Rahmen, innerhalb dessen sie angewendet werden. Auch Judith Siegmund sieht die Auflösung der Trennung zwischen Akteuren und Zuschauenden in partizipativen Aufführungsformaten durch die aktive Einflussnahme der Zuschauenden auf das Stück eher kritisch, da letztere ihres Erachtens damit „den Status von Akteuren einnehmen, 16 | In allen Zitaten wurden alle Hervorhebungen aus den Originalen übernommen, sodass im Folgenden auf die Kennzeichnung [Herv.i.O] verzichtet werden kann.
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ja sogar an die Stelle der Autoren treten“ (Siegmund 2010: 12). Siegmund sieht darin eine Abgabe von Verantwortung an die Zuschauer/innen und „ein falsches Demokratie-Versprechen“ (ebd.). Sie weist den Künstler/innen die Rolle zu, die Rahmung des Kunstgeschehens zu generieren und zu synthetisieren. Partizipieren geht in kollektiven Arbeitsweisen, so lässt sich zusammenfassen, mit einer geteilten und multiplen Autorschaft sowie fluktuierenden Funktionen in eher flachen Hierarchien auf der Basis von Vertrauen und geteilter Verantwortung einher. Choreografische Praktiken sind somit maßgeblich von den Funktionen der Beteiligten geprägt, beeinflussen deren Kommunikation und Arbeitsweisen sowie die Grade der Teilhabe. Da die Funktionen variabel sind, können bzw. müssen sie in jeder Produktion immer wieder neu hinterfragt und verhandelt werden. Mit dem Partizipieren rücken somit auch das Aushandeln und Reflektieren ins Zentrum.
Rezipientenorientierte Werkkonstitution Choreografieren als performatives Konzept, an dem Performer/innen und Zuschauer/innen gleichermaßen partizipieren, Kunstproduktion und -rezeption also ineinander greifen, stellt auch die Frage nach der Bedeutungszuweisung. Aus Sicht der Performativitätstheorie geht es hierbei nicht vornehmlich um das Lesen und Interpretieren von Zeichen, sondern um die Wahrnehmung sinnlicher Qualitäten (vgl. Fischer-Lichte/Roselt 2001: 249). Nicht der semiotische Umgang mit Bedeutungszusammenhängen steht im Vordergrund, sondern assoziative Möglichkeitsräume stehen zur Disposition und der Umgang mit Bedeutungszusammenhängen und Sinnzuschreibungen liegt beim Rezipienten. Deck spricht von einem „Erfahrungsraum“ (Deck 2008: 17), an dem der Zuschauer nicht nur als Beobachter beteiligt ist, sondern sein „Fokus trägt entscheidend zur Rezeption des Geschehens bei“ (ebd.). Bei dieser Form der Teilhabe rückt die Reflexion der konzeptionellen Thematik des Stückes von den Zuschauer/innen in den Vordergrund. Ploebst zufolge findet diese als „Informations- und Wissensaustausch“ (Ploebst 2004: 326) statt und wird von jedem Rezipient durch sein individuelles Referenzsystem und sein „soziobiographisch auf bereitetes Empfängerinstrumentarium“ (ebd.) gelesen.
Gemeinschaftsbildung Für Siegmund stellt Choreografie „einen gesellschaftlichen Körper her, weil sie die einzelnen Körper aufnimmt und in eine allgemeine Struktur einschreibt, die im Theaterraum vor und mit Zuschauern geteilt wird“ (Siegmund 2010: 124). Choreografische Ordnungen geben Regeln vor, stellen aber gleichzeitig in der Zusammenführung der Performer/innen und Zuschauer/innen im Moment der Aufführung die Frage „nach dem Verhältnis von Individuellem
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und Allgemeinem“ (ebd.). Sie stellen „temporäre Gemeinschaften her“ (ebd.: 128) und stellen gleichzeitig „auch deren Funktionieren auf die Probe“ (ebd.), worin für Siegmund ein politisches Moment liegt. Die gesellschaftliche sowie politische Dimension des Choreografierens macht auch Bojana Kunst stark, wenn sie von „körperlichen Praktiken politischer Partizipation und Solidarität“ (Kunst 2014: 18) spricht. Sie sieht bereits im Versammeln von Körpern ein partizipatives Geschehen und stellt einen Zusammenhang her zwischen der aktuellen Tendenz der choreografischen Praxis, „Partizipation und gemeinschaftliche Erlebnisse“ (ebd.) in den Mittelpunkt zu stellen und der Kraft aktueller politischer Mobilisierung, bei der die Gemeinschaft eine Möglichkeit der Umsetzung von Demokratie bietet. Darin könnte Kunst zufolge einer der Gründe für das aktuelle „Interesse an gemeinschaftlicheren Arbeitsmethoden und partizipierenden Formen von Anwesenheit“ (ebd.: 19) liegen. Einen anderen Grund sieht sie in der „Erforschung der Mittel, durch die Zusammenarbeit mobilisiert wird“ (ebd.) und den daraus resultierenden zunehmenden Wechselwirkungen zwischen den Machern und Betrachtern einer Produktion. „Choreografische Ansätze für Partizipation können uns heute tatsächlich zeigen, dass Partizipation nicht die individualistische Verantwortung eines jeden für ein harmonisches Zusammensein ist [...]. Partizipation entsteht nämlich hauptsächlich aus einer antagonistischen Aktivität der Vielen [...]. Statt die Gemeinschaften zu inszenieren, erzeugt Choreografie dann vielmehr Gemeinschaften im Werden, sie eröffnet eine vielfältige und widersprüchliche Mobilisierung der Körper und ästhetische Erfahrungen und fordert damit auch unsere demokratische und politische Praxis heraus.“ (Ebd.)
2.3 Dekonstruieren Die beschriebenen kollektiven Arbeitsweisen mit geteilter Autorschaft sowie die improvisatorischen Anteile führen zu einer Hybridisierung des Materialbestandes der Stücke und ziehen entsprechende Kompositionsverfahren nach sich. Der Einzug der Improvisation in die Choreografie bricht die Einheitlichkeit eines ordnenden Gesamtzusammenhangs auf. Die Einzelteile des choreografischen Materials werden dekonstruiert und aus „der traditionellen Verbindlichkeit des Referenzsystems“ (Jeschke 2000: 58) heraus gelöst. Anstatt dessen wird Choreografie „als kombinatorisches Spiel organisiert“ (ebd.). Es entstehen Montagen und Collagen, die fragmentarisch aufgebaut sind. Ebenso wie das Material erfährt auch die Bedeutung eine Dekonstruktion, wie im Zuge der rezipientenorientierten Werkkonstitution bereits behandelt wurde. Sinn und Zeichen führen nicht zu Eindeutigkeit, sondern zu Mehrdeutigkeit (vgl. Klein/ Barthel/Wagner 2011d: 72), der Dekonstruktion folgt oftmals eine „Reorganisation und Neukombination des Materials“ (ebd.), die gleichzeitig eine Reflexion
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des Materials vollzieht. Diese kann sich „auf eine ästhetische, konzeptionelle, kompositorische, geschichtliche und/oder soziale Ebene“ (ebd.: 73) beziehen. Eine andere Form der Dekonstruktion findet statt, wenn die Zuschauer/innen durch das Verschwinden der tänzerischen Bewegung von der Bühne dazu aufgefordert sind, die entstehenden ‚Lücken‘ selbst zu füllen (vgl. Husemann 2009; Siegmund 2010). Damit können festgefügte Vorstellungen vom tanzenden Körper hinterfragt oder Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten der Zuschauer/innen unterlaufen werden. Dekonstruieren wird auch in Bezug auf den Körper und den Raum praktiziert. Zum einen wird das zentrische Körperkonzept des klassischen Tanzes, welches von einem mittigen Zentrum und einer stabilen Achse ausgeht, „zugunsten eines multizentrischen Körpers“ (Evert 2003: 126) aufgelöst. Zum anderen wird das zentrische Raumkonzept mit einem „dezentrischen Raumkonzept“ (Klein/Barthel/Wagner 2011d: 85) ergänzt. Beim Dekonstruieren entstehen „brüchige, marginale, fragmentierte oder verschobene Narrationen“ (Thurner 2007: 34), sodass die erzählerische Kontinuität einer fragmentarischen Erzählweise weicht. Thurner formuliert hierfür den Begriff der ‚narrativen Dis-order‘ und versteht diese als „planvoll ver-rückte Ordnung“ (ebd.: 39), die u.a. zu Komik oder Irritation führen kann. Auch mit aleatorischen Kombinationstechniken entstehen Dekonstruktionsprozesse. Mühlemann konstatiert am Beispiel von Musik und Tanz, dass deren Charakteristik „im Zeitalter des elektronischen Experimentierens mit Fragmenten, Modulen und Samplern weniger in der rationalen, systematischen Bearbeitung verschiedener Materialien und Realitäten zu suchen ist als vielmehr in den neuen Sinnesreizen und assoziativen Wirkungen, die ihre Verschmelzung generiert.“ (Mühlemann 2007: 29)
Durch die Aleatorik findet ebenfalls eine Abwendung von vorgegebenen Zusammenhängen zwischen Bewegungsmaterial und -bedeutung zugunsten einer zufälligen Materialkombination und der Dekonstruktion von Bedeutungszusammenhängen statt. Bedeutung erschließt sich nicht durch lineare Handlungsstränge, sondern durch das Öffnen von Wahrnehmungsmöglichkeiten, sie wird von den Zuschauern nicht nur „empfangen und dekodiert“ (Klein 2011: 67), sondern überhaupt erst produziert. In Bezug auf das Praktiken-Ensemble lässt sich zusammenfassen, dass Dekonstruieren mit einem rezipientenorientierten Partizipieren und einem Reflektieren verzahnt ist.
Choreografieren
2.4 Kollaborieren Kollaborieren findet entweder als Zusammenarbeit mehrerer Künstler/innen innerhalb einer Kunstform statt oder als Zusammentreffen von mehreren Kunstformen oder als Zusammenarbeit von Experten/innen aus kunstfremden Feldern wie Wissenschaftler/innen, Politiker/innen oder Manager/innen (Klein/Barthel/Wagner 2011c: 33). Eine Kollaboration17 zwischen dem Publikum und den Künstler/innen wird meist als Partizipation bezeichnet und wurde bereits behandelt. Partizipieren und Kollaborieren greifen auch deswegen ineinander, weil Kollaborationen meist mit eher flachen Hierarchien in gemeinschaftlichen Rechercheprozessen einhergehen und einen gleichberechtigten Austausch suchen (vgl. Lázár 2016). Kollaborationen entstehen entweder aus der Initiative mehrerer Künstler/innen oder ein Künstler/eine Künstlerin wählt projektbezogen Kollaborationspartner/innen aus verschiedenen Diszi plinen aus. Meist steht das Potential jedes Einzelnen sowie der Austausch unterschiedlicher Sichtweisen und Wissensbestände im Mittelpunkt der kollaborativen Zusammenarbeit.
Intermediales und interdisziplinäres Arbeiten Im Zuge des erweiterten Choreografiebegriffes und der Arbeit in Kollektiven gewinnen intermediale Vorgehensweisen und interdisziplinäre Kollaborationen an Bedeutung. Sie hinterfragen das Trägermedium von Bewegung (Klein 2011: 47),18 weiten die choreografische Ordnung von menschlichen Körpern auf andere Medien und Artefakte aus und reflektieren Themen wie die physische bzw. digitale Anwesenheit von Körpern und von Bewegung sowie deren Erinnerung und Dokumentation. Choreografieren besteht aus der „Organisation von heterogenen Materialien, aus Bewegung, Körpern, Sprache, Texten, Bildern, Licht, Raum und Objekten“ (Siegmund 2007b). Diese Liste ließe sich um Musik/Ton, Film/Video, Softwareprogramme u.a. erweitern. Die Drama-
17 | Als Synonyme für den Begriff der Kollaboration nennt Lázár „cooperation, interaction, collective act or participatory practices“ (Lázár 2016). 18 | Die Bewegungsparameter Raum, Zeit und Körper werden von Klein auch als Medien ausgewiesen (Klein 2005: 181), wobei sie den Körper als „ein performatives Medium“ (ebd.: 183) spezifiziert. Dementsprechend lässt sich auch die choreografische Organisation von Körper, Raum und Zeit in sich schon als eine Synthese verschiedener Medien begreifen und damit ist der choreografischen Praxis eine intermediale Praxis inhärent. Kleins Aussage: „Nur als verkörperte Form, als Praxis, kann der Tanz seine mediale Wirksamkeit entfalten“ (ebd.) lässt sich gleichermaßen auf die choreografische Praxis übertragen.
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turgin und Tanzwissenschaftlerin Ana Vujanović spricht vom „Einschreiben“ verschiedenster Materialien: „[...] choreography as an inscription of movement cannot be reduced to text only [...] nore does it only include dancing (and it is least of all dancing), but it is also the speech as a soundtrack, the filmed interviews, the camera angles and movements, the lighting on stage, the dispositif of the screen-stage, the performing modes. However, choreography here relates to, but at the same time cannot be reduced to, the inscription of these various elements themselves.“ (Vujanovic 2008: 129)19
Rosiny definiert Intermedialität „als konzeptionelles Miteinander von gekoppelten Medien“ (Rosiny 2013: 21). Als Übersetzung des ‚inter‘ schlägt sie die Beschreibung eines Wechselverhältnisses zwischen den Medien beim gleichzeitigen Bewahren des spezifischen Charakters jedes Mediums vor. Im Zentrum des Interesses stehen somit das kommunikative Zusammenspiel der Medien und die multiplen Beziehungsmöglichkeiten innerhalb dieses Zusammenspiels. Damit geht eine Öffnung der Choreografie zu interdisziplinären Auseinandersetzungen einher. Beim Kollaborieren in interdisziplinären Produktionen unterziehen Künstler/innen ihre disziplineigenen Mittel und deren Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Medien einer Exploration und Reflexion. Lepecki macht sich für das Choreografieren als disziplinübergreifendes Forschungsfeld stark, welches „das Verhältnis zwischen Körpern, Subjektivität, Politik und Bewegung“ (Lepecki 2006: 13) auch jenseits des Tanzes denkt. Durch die Zusammenarbeit von Softwareprogrammierer/innen, Videodesigner/innen und Choreograf/ innen entstehen intermediale Installationen, in denen Passanten mit ihren alltäglichen Bewegungen „eine sich ständig wandelnde soziale Zufallschoreographie“ (Rosiny 2013: 286) generieren.20 Auch mittels digitaler Kommunikationsformen und der social media entstehen partizipative soziale Choereografien wie zum Beispiel Flashmobs und führen zu einer „partizipativen Kultur des ‚Produsers‘, in der Produzent und Rezipient, Kunst und Leben miteinander verschmelzen” (ebd.: 309). Diese verschiedenen Ausprägungen stellen die Gegenwärtigkeit des choreografischen Geschehens zur Diskussion. In der intermedialen choreografischen Praxis kann, so lässt sich zusammenfassen, das Ordnen von Bewegung in Zeit und Raum nunmehr alle Träger von Bewegung betreffen, Körper, Artefakte und Medien gleichermaßen. Kollaborative Formen der Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams reflektieren die Vielfalt der choreografischen Materialien, ihre Zeitlichkeit und Potentiale. 19 | Vujanovic beruft sich hier auf das Stück And Then von Eszter Salamon (2007). 20 | Rosiny bezieht sich auf die Installation City of Abstracts von William Forsythe, die seit 2000 in verschiedenen Städten zu sehen ist.
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2.5 Reflektieren In den bisher behandelten Praktiken, dem Explorieren/Improvisieren, Partizipieren, Dekonstruieren und Kollaborieren, war das Reflektieren bereits kontinuierlich präsent: Explorative Ansätze gehen mit dem Reflektieren ihrer eigenen Mittel einher, partizipative Ansätze reflektieren die Autorschaft und die Funktionen der Beteiligten, intermediale reflektieren die An- und Abwesenheit von Körpern und Bewegung und beim Dekonstruieren findet gleichzeitig eine Reflexion der Bewegung statt, um nur einige Verbindungen zu nennen. Das Reflektieren bildet also mit dem Explorieren, Dekonstruieren, Kollaborieren und dem Partizipieren ein Praktiken-Ensemble. Im Folgenden werden Aspekte des Reflektierens detailliert, die bisher noch nicht ausreichend zur Sprache kamen wie Kontextualisieren, Hinterfragen, Diskursivieren, Kritisieren und Verhandeln.
Kontextualisieren: Hinterfragen der Aufführungsräume und -formate Choreografische Praxis besteht aus einer Vielzahl von ortbezogenen Ansätzen, die zumeist unter dem Begriff der site specific performances21 gefasst werden. Das Interesse besteht unter anderem darin, in eine Auseinandersetzung mit eigens dafür ausgesuchten Orten zu gehen. Choreografische Projekte finden im künstlerischen, öffentlichen und kommerziellen Raum statt, in Bühnen- und Theaterräumen, in Museen, auf Bahnhöfen, Parkplätzen, in Einkaufspassagen, Privatwohnungen, Fabrikgebäuden, Lagerhallen oder auf Industriebrachen. Indem sie sich vermehrt aus dem traditionellen Bühnenkontext herauslösen, gehen sie den grundlegenden Fragen nach, wie sich Ort und Raum zueinander verhalten, wie die Anwesenden den Ort wahrnehmen und wie sich Interaktionen zwischen dem Ort und den Künstler/innen sowie 21 | Eine detaillierte Aufschlüsselung dieser Begriffskombination legt Marie-Luise Lange vor: „situ – (lat.) ist als Stamm in dem mehrdeutigen Begriff der
site specifity enthalten und heißt (Ursprungs-) Ort, in
situ heißt dann am Ort, am Platz, und zwar in Relation
zu einem noch größeren Feld.
site – meint im Englischen Ort, Platz, Stelle, Gelände, Lage
auch im Sinne von Baugelände, Schauplatz, Stätte, aber
auch Ausstellungsort.
Site specific als Adjektiv meint Ortsbezogenheit“ (Lange 2010: 9). Sie spezifiziert, dass sich der Begriff der site specific performance aus dem Begriff der site specific art ableitet: „Während der Begriff der site specific art alle künstlerischen Strategien einschließt, die sich auf einen spezifischen
Ort – sei er natürlich, geografisch, historisch, urban oder
sozialräumlich definiert – beziehen, implizieren site specific
performances und kommunikative Kunstaktionen im öffentlichen Raum stärker die Bedeutung der Korrelation zwischen
Orten und ausführenden Handlungen“ (ebd.: 11).
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den Zuschauer/innen vollziehen (vgl. Hunter 2009). Den zentralen theoretischen Bezugstext derartiger Auseinandersetzungen liefert Michel de Certeau (1988) mit seiner Differenzierung zwischen dem Ort, der durch die Konstellation statischer Punkte definiert wird, und dem Raum, der dynamisch ist und durch Bewegung und Aktivität erzeugt und gestaltet wird: „In short, space is a practiced place. Thus the street geometrically defined by urban planning is transformed into a space by walkers“ (Certeau 1984: 117). In ortsbezogenen Recherchen arbeiten die Künstler/innen oftmals mit dem Ort (vgl. Hunter 2009: 413), loten Möglichkeiten aus, die konventionellen Nutzungen eines Ortes zu stören, zu unterwandern und zu transformieren und schreiben mit ihren choreografischen Anordnungen neue Bewegungen in den Ort ein und reflektieren ihren Bezug zum Vorherigen (vgl. ebd.; Deck 2008). Als Praktiken seien hier beispielhaft das „Aufgreifen des Vorhandenen und Ableiten von Gestaltungsstrukturen“ (Barthel 2015: 138) sowie das „Verstärken als Umordnen und Sichtbarmachen des Vorhandenen“ (ebd.: 141) bei einer „Choreografie als urbaner Landart“ (Tanzinitiative Hamburg: 2016) genannt. Das Spezielle der jeweiligen site specific performance zeigt sich in der Art und Weise, wie die Beteiligten und Artefakte als „Partizipanden“ (Hirschauer 2004: 74) an der choreografischen Praxis teilhaben und diese erzeugen. Denn die materiellen Gegebenheiten sowie örtlichen und zeitlichen Bedingungen wie zum Beispiel Größe, Bodenbeschaffenheit, vorhandene Materialien, bei einer outdoor performance auch das Wetter, können, Stefan Hirschauer folgend, als Partizipanden verstanden werden, da sie an der choreografischen Praxis „teilhaben und in ihre Dynamik verwickelt sind“ (ebd.). Dabei vollzieht sich ortsbezogenes „Choreografieren [...] als multidirektionale[s] Zusammenwirken vielgestaltiger Partizipanden“ (Barthel 2015: 145). Diese informieren sich fortlaufend und kreieren den Zustand einer „‚becoming-ness‘“ (Hunter 2009: 413). Unter Raum wird in choreografischen Praktiken die gesamte Aufführungssituation einschließlich des Verhältnisses von Zuschauern und Akteuren verstanden und bezieht sich nicht nur auf den Aufführungsort, sondern nimmt immer auch eine Kontextualisierung vor. Indem sich site
specific performances in den alltäglichen Lebensraum und die Lebenswelt der Menschen hinein öffnen, erfahren Zuschauer/innen und Performer/innen Bewegung gemeinsam in kunstfremden, öffentlichen, urbanen oder ländlichen Räumen. Das Verlassen der Theaterräume leistet einen Beitrag, „Schauplätze des ‚öffentlichen‘ Lebens neu zu entdecken und wenigstens vorübergehend symbolisch zu besetzen. An die Stelle des zweckgerichteten Gehens treten neue Beziehungen des Körpers zur Stadt und zur Landschaft, durch Grenzgänge zwischen privaten und öffentlichen Erfahrungsräumen wie zwischen Kunst und alltäglichem Verhalten.“ (Primavesi 2008: 104)
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Evert stellt kritisch fest, dass künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum unter anderem „aufgrund ihres Marketingpotenzials“ (Evert 2005: 83) zu einer gängigen Praxis avancieren und urbane Räume nutzen, die im Zuge einer steigenden ‚Eventisierung‘ (vgl. Klein 2008b) bereitwillig von den Städten zur Verfügung gestellt werden. Evert zeigt aber auch eine gegensätzliche Tendenz auf, die eine vertiefte Auseinandersetzung „mit den sich darin bietenden Irritationen der alltäglichen Wahrnehmung“ (Evert 2005: 83) eingeht und das Miteinander von inszenierten und alltäglichen Bewegungen reflektiert und damit das gesellschaftspolitische und -kritische Potential von Performances im öffentlichen Raum stark macht.22 In site
specific performances wird das gegebenenfalls zufällig anwesende Publikum durch das Eingreifen der choreografischen Praxis in ihr alltägliches Tun „mit sich selbst konfrontiert“ (Primavesi 2010: 29) und in einen Reflexionsprozess integriert. Die beschriebenen An sätze hinterfragen die zunehmende Kontrolle, Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums. Ortsbezogene choreografische Praxis kann, so lässt sich zusammenfassen, die Kontextbezogenheit von Aufführungsräumen reflektieren, eine veränderte Wahrnehmung von Öffentlichkeit ausstellen und die Interaktion zwischen Raum, Künstler/innen, Performer/innen und Zuschauer/innen befragen. Dies geschieht u.a. im Verorten, Kontextualisieren, Transformieren, Aufgreifen, Ableiten, Umordnen, Verstärken und Unterwandern. Eine weitere Ausprägung der explorativen, prozessorientierten und partizipativen Arbeitsweisen findet sich im Reflektieren der Aufführungsformate. Es entsteht eine Vielfalt gleichzeitig existierender Präsentationsformen, unter anderem „wiederholbare Werke oder performative Formate wie Installation, Aktion, Lecture-Performance, Show, Dialog, Labor/Versuchsanordnung, Projektreihe“ (Klein/Barthel/Wagner 2011d: 122). Offene Aufführungsformate holen den Prozess der Stückentwicklung in das Werk. Bojana Kunst beschreibt, wie Arbeitsweisen, die die Zuschauer aktiv in den Prozess einbeziehen, auf den Präsentationskontext zurückwirken und ihn mitgestalten. Ihr zufolge entsteht gleichzeitig zu den prozessorientierten Arbeitsweisen eine Zunahme an prozessorientierten Aufführungsformaten, in denen die Zuschauer an öffentlichen Proben, Work-in-progress-showings, Workshops und Ergebnispräsentationen von Research-Prozessen teihaben. Damit ist schon die Produktion einer Performance ein performativer Akt, schlussfolgert Kunst, und braucht somit Zuschauer: „The performance of the work process is closely connected with the need for the inclusion of participants“ (Kunst 2009: 83). Das Einbeziehen der Zuschauer hängt demnach mit dem Veröffentlichen des Arbeitsprozesses zusammen. Partizipative Aufführungsformate beziehen den Zuschauer als 22 | Evert bezieht sich hier auf Beispiele von Performances der Gruppen Ligna und Rimini Protokoll.
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mobilen Teil des Stückes ein und ermöglichen, seinen Standpunkt und seine Perspektive selbst zu bestimmen und sich seiner körperlichen Nähe zur Materialität des Kunstereignisses gewahr zu werden: „The spectator becomes a participant who is actively and critically involved in what takes place“ (ebd.: 86). In offenen Aufführungsformaten steht „der Akt selbst, das Kontingente, die Singularität einer ästhetischen Aktion“ (Mersch 2002: 210) im Vordergrund, der Weg führt aus performativer Sicht „‚vom Werk zum Ereignis‘“ (ebd.: 163) und unterstreicht „die konsequente Verzeitlichung der ästhetischen Arbeit zu ‚Eingriffen‘, zur Konstitution von ‚Erfahrungen‘, seien diese persönlicher, politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Art“ (ebd.: 210f.). Auch das Bühnensetting wird einer Hinterfragung unterzogen, Zuschauer- und Bühnenraum werden nicht mehr zwangsweise getrennt und die Zuschauer/ innen bekommen nicht notwendigerweise Plätze zugewiesen, Choreografien gestalten sich unter anderem als Rundgänge oder Touren sowie in Form von Parcours (Primavesi 2008: 104) und hinterfragen Sehgewohnheiten und Rezeptionsroutinen.
Fragen und Diskursivieren Choreograf/innen praktizieren in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung eine Kultur des Fragens und der Selbstreflexivität. Sie befragen ihre eigenen choreografischen Mittel wie den Körper als Instrument der Bewegung sowie ihren Umgang mit Körperkonzepten. Ploebst spricht von „Selbstbefragungsstrategien der konzeptionellen Choreographie“ (Ploebst 2004: 328) als Form der „Selbstvergewisserung“ (ebd.: 327).23 Eine spezifische Technik der Selbstreferentialität zeigt sich im Zitat,24 mit dessen Hilfe Referenzsysteme aufgebaut und im Aufführungskontext einer konzeptuell angelegten Reflexion unterzogen werden (vgl. ebd.; Schneider 2004; Lampert 2007). Wie in den Ausführungen zur Performativität und zur sozialen Choreografie bereits beschrieben, verhandelt choreografische Praxis aktuelle Diskurse aus den Sozial-, Kulturund Theaterwissenschaften sowie der Philosophie. Mit dem Einzug des Performativen in die choreografischen Praktiken bildet die Reflexion des Umgangs mit Repräsentation einen der thematischen Schwerpunkte. Lepecki arbeitet heraus, auf welche Art und Weise zeitgenössische Choreografie eine „Kritik am Repräsentationalen“ (Lepecki 2006: 71) vornimmt,25 ihr eigenes Verhältnis 23 | Ploebst bezieht diese Aussage auf Stücke von Meg Stuart, Jérôme Bel und Xavier Le Roy. 24 | Eine detaillierte Aufarbeitung des ‚Zitierens‘ und seiner Abgrenzung zum Reproduzieren sowie Rekonstruieren liefert Hardt (2010). 25 | Lepecki analysiert die Arbeiten Nom donné par l’auteur (1994), The last performance (1998) und Jérôme Bel (1995) von Jérôme Bel.
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zu Darstellung und Subjektivität aufarbeitet und „diskursive und performative Herrschaftsformen reproduziert“ (ebd.). Auch das Thema der Identität wird in den Produktionen verhandelt, reflektiert und als wandelbar aufgedeckt. So weist Lepecki der Choreografie das Potential zu, „in diesem besonderen, hyperbolisch-repräsentativen Raum der Bühne“ (ebd.: 73) die Frage nach dem Sein stellen zu können und „eine ganze Reihe von Assoziationen von Präsenz und Sichtbarkeit, Absenz und Unsichtbarkeit zu vermitteln“ (ebd.). Im Fragen und Diskursivieren findet sich eine Form der Selbstreflexivität, so lässt sich zusammenfassen, in der konstitutive Dispositive des eigenen Metiers wie zum Beispiel Körper, Identität und Repräsentation verhandelt werden.
Kritisieren und Verhandeln Die thematischen Auseinandersetzungen der reflexiven Praktiken finden im Kritisieren und Verhandeln ihre konsequente Fortführung. Husemann versteht Choreografieren als „praxisimmanente Kritik im Modus des Ästhetischen“ (Husemann 2009: 29) und beschreibt dessen Prozesshaftigkeit in einem Praktiken-Ensemble aus Explorieren und Reflektieren: „Was dem Publikum in der Aufführung mitgeteilt wird, ist [...] die Tatsache, dass man auf der Bühne dabei ist, eine kritische Haltung zu entwickeln, eine Form dafür zu finden und dieser gemeinsam Sinn zu geben. Insofern ist das Kritische hier auch nicht als ‚sinnvolle‘ Aussage, sondern ausschließlich im Akt der Sinnproduktion selbst zu finden. Anders formuliert, besteht der ‚lnformationsgehalt‘ der Aufführung in Prozessen der Subjektivierung, Vermittlung und Sinnsuche.“ (Ebd.: 214)
Choreografische Praktiken verzahnen, wie in den Ausführungen zur sozialen Choreografie im ersten Kapitel beschrieben wurde, das Soziale mit dem Ästhetischen und verhandeln auch die Beziehung zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen. Der selbstreflexive Akt des Hinterfragens der eigenen Arbeits- und Produktionsmethoden und -bedingungen zum Beispiel kann als ein politischer Vorgang verstanden werden. Indem Kunst in der Ästhetik des Tanzes eine „politische und soziale Ordnung“ (Kunst 2014: 18) sieht, knüpft sie an Hewitts Ausführungen im Zuge des erweiterten Choreografiebegriffes an 26 und definiert Choreografie als „aktive und produktive Kraft zur Etablierung verkörperter sozialer und politischer Vereinbarungen, Verhaltensnormen und Bewegungsabläufe [...]. In diesem Sinne mündet Choreografie in den sozialen und politischen Bereich“ und ist „tief in die soziale und politische Artikulation der Körper im Allgemeinen eingebettet.“ (Ebd.) 26 | Vgl. Kap. 1.6. in dieser Studie.
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Klein geht noch einen Schritt weiter, indem sie fragt, wie „sich Choreografie als eine kritische Praxis und kritische Aktion, als eine Form des Widerstands etablieren“ (Klein 2011: 75) kann und ob „Choreografie als Modell für politische Formen von Organisation fungieren“ (ebd.: 76) kann. Sie kommt zu dem Schluss, dass choreografische Praxis nicht zwangsläufig kritisch ist, sondern nur dann, „wenn sie sich als ästhetische Praxis an Ordnungen, Normen und Konvention reibt, sie unterläuft, widerständig ist – und diese auch verändert. Sie ist politisch dann, wenn sie Normen und Konventionen transformiert, nämlich jene, die immer auch distinktiv sind und ein- und ausschließen.“ (Ebd.)
Das Politische der choreografischen Praktiken wird von vielen Tanzwissenschaftler/innen thematisiert. Lepecki führt den Akt des Partizipierens und das Anerkennen des Neuen als Grundlage für die Verbindung der Kunst zur Politik an und sieht deren Gemeinsamkeit im Dissenz (Lepecki 2013). An Hanna Arendts Erkenntnis anknüpfend, dass Politik genauso ereignishaft und flüchtig sei wie eine Performance, weist er auf die Nähe des Tanzes und der Choreografie zur philosophischen Reflexion über das Politische hin. Eikels Argumentation setzt an der Kunst an. Er konstatiert eine „Politisierung des künstlerischen Handelns“ (Eikels 2013: 11) darin, dass die Gesellschaft anfängt, „Kollektivität als eine Wirklichkeit der Praxis zu bemerken“ (ebd.). Denn, so Eikels, das Kollektive gehört zur Wirklichkeit. Eikels argumentiert weiter: „Ich muss nicht entscheiden, ob ich im Kollektiv oder allein handle; ich kann entscheiden, welche Wendungen ich kollektiven Dynamiken mit meinem Handeln geben will“ (ebd.). Diese Tatsache entsteht für ihn aus einer Theorie der politischen Praxis, die er als „Praxeologie von Performance“ (ebd.: 13) vorstellt. Seinen Untersuchungen zufolge begreift sich die künstlerische Praxis des 21. Jahrhunderts „selbst als eine Version des politischen Handelns“ (ebd.). Die politische Kraft einer „Kunst des Kollektiven“ liegt für ihn „darin, dass sie mit den Trennungen, (Ver-)Teilungen und Zerstreuungen in den funktional differenzierten, postidentitären Gesellschaften umgeht [...]“ (ebd.). Diese veränderte Art, das Kollektive zu denken, zeigt sich für Eikels besonders in den performativen Künsten. In seiner Argumentationslinie wird offensichtlich, wie die Praktiken Partizipieren und Reflektieren unmittelbar miteinander verknüpft sind. Eikels Auffassung folgend verhandelt choreografische Praxis eine kollektive Praxis als politische Praxis.
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2.6 Notieren/Erinnern Eikels hat bereits im Zuge der Praktik des kollektiven Improvisierens deutlich gemacht, auf welche Art und Weise ein Sich-in-Erinnerung-Halten geprobter und erprobter Bewegungsmuster mit dem situationsbedingten Auswählen von Bewegungsmustern einhergeht. Improvisieren und Erinnern stehen mithin nicht zwangsweise als Dichotomien zueinander und schließen sich nicht aus, sondern können ineinander greifen. Beim Choreografieren ist ihr graduelles und zeitliches Verhältnis zueinander entscheidend und dieses führt auch zur Praktik des Notierens. Brandstetter sieht „Choreographie als Schreiben von Bewegung und über sie“ (Brandstetter 2000b: 104). In Notationen27 steckt die Beziehung zwischen der Notation und der performativen Praxis, zum Beispiel in der Art und Weise, wie sich darin Zeitlichkeit und Räumlichkeit ablesen und nachvollziehen lassen. Notationen können den Status eines Dokumentes, einer Partitur oder eines Prä-Skriptes haben und thematisieren die Temporalität des Choreografierens als Bewegen und Schreiben (Brandstetter/Hofmann/ Maar 2010: 7). Brandstetter weist auf die Hybridität der Aufzeichnungsarten hin, die „von (Alphabet-)Schrift, (Musik-)Partitur, Zahlen, Figurenzeichnungen“ (Brandstetter 2010c: 91) bis zu konventionalisierten Zeichen reichen.28 Notationen als „Verzeichnung choreographischen Denkens“ (Brandstetter/ Hofmann/Maar 2010: 17) bringen in ihrer Zeichenhaftigkeit Körperwissen zur Sichtbarkeit und deren Lektüre ist ein Bestandteil des choreografischen Prozesses. Das Ephemere der Bewegung ruft die Frage nach der Bewahrung auf und Choreografie lässt sich in diesem Sinne als Gedächtnisarbeit und Modus des Erinnerns begreifen. „Denn für Choreographie bedeutet die Kunst des Memorierens weit mehr als das Einprägen der Bewegungs- und Wegemuster. Vielmehr ist im jeweiligen Bewegungsmoment 27 | Rudolf von Laban hatte schon 1927 eine von ihm entwickelte Form der Kinetographie vorgestellt. Seine Zeitschrift „‚Schrifttanz‘, das war ein Konzept
der Archivierung und der Produktion von Choreographie, ein Mittel ebenso
zur Tanz-Analyse, zur ‚Tanzerziehung‘ wie für ‚Tanzforschung‘. Es sollte
ein Medium der Kanonisierung von Tanz und zugleich ein Instrument seiner
Institutionalisierung sein“ (Brandstetter 2007: 85). 28 | Auch Claudia Jeschke bezieht „choreographisches Tun [...] auf die Beschreibung und Notierung von kodifizierten Tanzschritten und -figuren mit Hilfe ihrer abgekürzten Benennungen“ (Jeschke 2000: 56). Sie entwickelt aus der analytischen Beobachtung und Beschreibung der Bewegung als „BewegungsText“ (ebd.: 47) ein offenes System zur „Inventarisierung von Bewegung“ (ebd.: 51). Dieses bewegungsanalytische Schreibund Notationsverfahren (vgl. Jeschke 1999) nimmt die Verbindung zwischen dem „Schauen, Schreiben und Wissen“ (Jeschke 2010: 57) in den Blick und versteht sich als Schule der Bewegungswahrnehmung.
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Karthographien sind als Aufschreibesysteme bzw. Partituren zu verstehen, sie transportieren die vergangene Bewegung und erzeugen Spuren. Unabhängig davon, ob es bei der Gedächtnisarbeit um eine festgelegte oder eine zufallsgeleitete choreografische Ordnung des Materials geht, bleibt die Erinnerung immer fragmentarisch. Kartographien kommen nicht nur im Nachhinein des Bewegungsereignisses zur Anwendung, sie werden als Scores auch zum Auslöser von choreografierter Bewegung: „Schriftbilder von Notationen bewahren und entfalten Bewegungen“ (Brandstetter/Hofmann/Maar 2010: 7). Das Schreiben und Bewegen als Notation, Dokumentation und Reflexion findet, so lässt sich zusammenfassen, im Sinne eines choreografischen Denkens statt und ermöglicht das Festhalten sowie Re-Aktualisieren von choreografischem Material.
2.7 Verschränkung von explorativen und reflexiven Praktiken als zentrales Strukturelement Auf der Grundlage der ausgewählten Literatur wurden in diesem Kapitel Praktiken des Choreografierens beschrieben. Die Praktiken Explorieren und Reflektieren haben sich als besonders signifikant heraus gestellt und im Verlauf der Ausführungen wurde deutlich, wie sehr sie einander bedingen: die prozessorientierte und explorative Materialgenerierung zeigt sich in der Dekonstruktion von Bedeutungszusammenhängen und der rezipientenorientierten Werkkonstitution, im Ereignischarakter der Aufführungsräume und führt zu offenen Aufführungsformaten. Interdisziplinäre Auseinandersetzungen ziehen explorative Herangehensweisen sowie partizipative und kollektive Arbeitsweisen nach sich, die wiederum die Aufführungsräume und -formate verhandeln und reflektieren. Partizipative Praktiken gehen mit explorativen und reflexiven Praktiken einher und ziehen Aushandlungsprozesse nach sich. Kollektives Improvisieren bedingt das Reflektieren der Situation und ihrer Zusammenhänge – um nur einige Verbindungen zu nennen. Choreografische Praktiken sind somit „als ein Bündel körperlicher und mentaler Aktivitäten zu verstehen, wobei davon ausgegangen wird, dass das Mentale in Praktiken registriert, ratifiziert, bestätigt und beobachtbar wird“ (Klein 2014b: 109). Diese Feststellung von Klein gilt den tänzerischen Praktiken, ist aber, wie dieses Kapitel zeigt, gleichermaßen auf die choreografischen Praktiken übertragbar.
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Eine Tanzwissenschaft als Erfahrungswissenschaft, und damit eine Verwobenheit von Exploration und Reflexion ebenso wie von Praxis und Theorie, zeigt sich auch in den Biografien der Partizipanden dieser Erfahrungswissenschaft. Die tanzwissenschaftliche Forschung29 wird seit Anfang dieses Jahrhunderts nicht alleinig von Theoretiker/innen betrieben, sondern vermehrt auch von Künstler/innen. Klein verzeichnet gleichzeitig die umgekehrte Bewegung einer Hinwendung der Tanztheorie zur künstlerischen Praxis (Klein 2013b: 137) und leitet diese Tendenz unter anderem aus den Biografien der Autor/innen ab, die oftmals selbst aus der künstlerischen Praxis kommen. So ist bei tanzwissenschaftlichen Tagungen eine eindeutige Zuordnung der Referent/innen als Tanzwissenschaftler/innen und/oder Künstler/innen aufgrund ihrer Biografien nicht immer möglich (vgl. Hardt/Stern 2011: 11) und gegebenenfalls auch nicht sinnvoll. Viele Beitragende verbinden praktisches Erfahrungswissen ihrer künstlerischen Tätigkeit mit akademischem Wissen und bringen wissenschaftliche Schriften zum Thema Tanz und Choreografie in die Tanztheorie ein. Entsprechend spiegeln die Beiträge in den Veröffentlichungen von Tagungen das Ineinandergreifen der theoretischen und praktischen Auseinandersetzungen im Feld der Choreografie.
29 | Die Tanzwissenschaft ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft, die sich erst seit den 1980er Jahren verstärkt entwickelt (vgl. Brandstetter/Kein 2015).
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3. Tanzvermittlung
Nach der Auf bereitung des Themenschwerpunktes der Choreografie verlagert sich in diesem Kapitel die Aufmerksamkeit auf die Tanzvermittlung. Zum einen soll hinterfragt werden welche Zusammenhänge den gegenwärtigen „Vermittlungsboom“ (Bischof/Nyffeler 2014: 13) und die Zunahme der Attraktivität von Tanzprojekten befördern. Zum anderen soll nachvollziehbar werden unter welchen Bedingungen sich der tanzpädagogische Handlungsraum sowie sein theoretischer Bezugsrahmen von der Tanzerziehung zur Kulturellen Bildung verlagert haben und auf welche Weise diese Entwicklung die gegenwärtige Tanzvermittlung prägt. Die Studie erschließt die beschriebenen Zusammenhänge auf der Folie des Kreativitätsdispositivs (Reckwitz 2012) und erörtert dessen gegenstandsrelevante Aspekte auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene. Daraufhin erfolgt eine Betrachtung der Bedeutung von Kreativität im Tanz. Anschließend wird die institutionelle, produktionsorientierte, personelle und inhaltliche Dimension von Tanzvermittlung kritisch reflektiert. Dabei kommen ästhetische Praktiken des Kreativitätsdispositivs zur Sprache in denen partizipative Arbeitsweisen propagiert werden die eine Schnittmenge mit Prinzipien der Kulturellen Bildung sowie mit Praktiken der Künstler/innen aufweisen. Das Interesse an dem Verhältnis von Kunst und Vermittlung, welches im Zentrum dieser Studie steht wird nicht nur im Kontext der Tanzvermittlung verhandelt, sondern auch an den Diskurs der Kritischen Kunstvermittlung angebunden. Auf dieser Grundlage kann die Studie im letzten Abschnitt des Kapitels in den auf bereiteten Kontexten verortet und ihr Forschungsansatz für die empirische Untersuchung vorgestellt werden.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
3.1 Kreativitätsdispositiv Das von Andreas Reckwitz explizierte Dispositiv der Kreativität 1 gewinnt seit Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend an Relevanz. Es setzt sich aus Praktiken und Diskursen unterschiedlicher sozialer Felder zusammen, die sich netzwerkartig verbinden und ineinander diffundieren und besteht aus „Artefaktsystemen und Subjektivierungsweisen, die nicht völlig homogen, aber doch identifizierbar durch bestimmte Wissensordnungen koordiniert werden“ (ebd.: 49). Zu seinen Bestandteilen zählt Reckwitz u.a. ästhetische Subkulturen, Kunst, postindustrielle Arbeitsformen, stil- und erlebnisorientiertes Konsumverhalten, Erziehung, Psychologiediskurse zur Kreativität, Artefaktzusammenhänge in gentrifizierten Stadtteilen, „politische Maßnahmen zur Förderung kreativer Potenziale“ (ebd.: 51) sowie „den Enthusiasmus für die kreative Teamarbeit und für das ständige In-Bewegung-Sein“ (ebd.: 52). Des Weiteren bildet dieses Dispositiv auch spezifische Affektstrukturen aus wie zum Beispiel die Fokussierung auf das Neue, das Ereignishafte und das Andere oder die Faszination für Körperideale der Kreativsubjekte.
Instanzen ästhetischer Sozialität Kunst bildet für Reckwitz die Voraussetzung und zugleich „ein exemplarisches Format“ (ebd.: 55) für die Entstehung des Kreativitätsdispositivs, welches sich auch auf kunstfremde Felder ausweitet. Sie entwickelt nach Reckwitz einen „Grundriss des Sozialen: Sie bildet eine ästhetische Sozialität aus“ (ebd.: 54), die im Laufe der Zeit das gesamte Dispositiv prägt und auf vier Komponenten bzw. Instanzen fußt: dem schöpfenden Künstler, dem Kunstwerk, dem Rezipienten und einem institutionellen Rahmen zur Marktregulierung. Ihr Zusammenwirken hält das Kreativitätsdispositiv am Laufen und wird im 21. Jahrhundert zu einem leitenden Dispositiv der Gegenwartsgesellschaft (vgl. Klein 2014c). Die ästhetischen Praktiken der Kunst nehmen dabei einen zentralen Stellenwert ein. Für Reckwitz „sind ästhetische Praktiken solche, in denen routinemäßig Sinne und Affekte als selbstbezügliche modelliert werden. Im Zentrum dieser Praktiken steht also die Hervorlockung ästhetischer Wahrnehmung – ob in anderen oder in einem selbst.“ (Reckwitz 2012: 25)
1 | Kreativität „ist ein Phänomen, welches sich u. a. aus folgenden Komponenten zusammensetzt: Phantasie, Intuition, Improvisation, Originalität, Flexibilität, Inspiration, divergentes Denken. K. bringt schöpferische Leistungen, neue, originelle Problemlösungen (in Kunst, Wissenschaft, Technik und Gesellschaft usw.) hervor“ (Prechtl/Burkard 2008: 317).
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Selbstver wirklichung und Affiziertsein in multiplen Subjektpositionen Aisthesis als sinnliche Wahrnehmung2 will Reckwitz in ihrer „Selbstzweckhaftigkeit und Selbstbezüglichkeit“ (ebd.: 23) sowie „der Eigendynamik sinnlicher Wahrnehmung“ (ebd.) verstanden wissen. Durch das Diffundieren der ästhetischen Praktiken in die Politik, Wirtschaft, Bildung, Medien, Privatsphäre sowie die Stadtplanung und andere Felder findet eine Ästhetisierung unserer Gesellschaft statt. Das Künstlerisch-Schöpferische, was früher in Sub- und Gegenkulturen ausgehandelt wurde, ist Reckwitz zufolge ein allgemeingültiges kulturelles Modell geworden. Er arbeitet heraus, dass die ästhetischen Praktiken weit über die künstlerischen hinausgehen. Die doppelte Bedeutung von Kreativität definiert er in diesem Kontext zum einen in der Fähigkeit, fortwährend „dynamisch Neues hervorzubringen“ (ebd.: 10) und dem Alten vorzuziehen. Zum anderen bezieht sich die Kreativität auf das „Modell des ‚Schöpferischen‘, das sie an die moderne Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische insgesamt zurückbindet“ (ebd.), zielt also nicht auf technische Innovation ab, sondern auf Lebendigkeit und Experimentierfreude im Erzeugen eines ästhetisch Neuen. Das Konzept der Kreativität knüpft somit an das Ideal des Künstlers als ‚Geniesubjekt‘ an, erweitert es auf die potenzielle Fähigkeit jedes Menschen, künstlerisch tätig zu werden und begründet eine lustgesteuerte Motivation, auch kreativ tätig sein zu wollen. Das Streben nach Kreativität fußt auf dem psychologischen Modell des Selbstwachstums, auf das Reckwitz referiert. Nach Auffassung der self growth psychology von Abraham H. Maslow (1992) ist Selbstverwirklichung eine dem Menschen innewohnende Vorwärtstendenz, ein Antrieb zum Wachstum (Maslow 1992: 162) und erzeugt „eine Tendenz, alles kreativ zu tun“ (ebd.: 143). Reckwitz greift Maslows Modell auf und betont den Aspekt der Selbsterneuerung. Dabei „geht es dem Selbst um eine quasikünstlerische, experimentelle Weiterentwicklung in allen seinen Facetten, in persönlichen Beziehungen, Freizeitformaten, Konsumstilen und körperlichen oder psychischen Selbsttechniken.“ (Reckwitz 2012: 12)
Selbstentfaltung besteht also darin, die eigenen Potentiale in sinnlich starken Momenten hervor zu holen sowie in der Idee einer „im weitesten Sinne ästhetischen Transformation alltäglicher Wahrnehmung“ (ebd.: 218), die nach zweckfreien und sinnlichen Extremerlebnissen strebt. Ästhetische Praktiken 2 | Ästhetik, aus dem griechischen aisthesis, Wahrnehmung, Empfindung, Gefühl, bezeichnet zum einen die sinnliche Wahrnehmung und zum anderen die Lehre vom Schönen in der Kunst (vgl. Hügli/Lübcke 2013: 72). Eine ausführliche Differenzierung zwischen Ästhetik und Aisthetik findet sich bei Bernhard (2008).
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fungieren als ein „Welterfahrungs- und -verarbeitungsmodus des selbstreferenziellen Erlebens“ (ebd.: 26). Die Charakteristik des Kreativitätsdispositivs besteht in der Verbindung eines Kreativitätswunsches mit einem Imperativ: „Das Individuum will und es soll kreativ sein“ (Reckwitz 2013a: 32), was ein Expandieren von Kreativität bewirkt. „Kreativität wird zum Orientierungspunkt eines ganzen psychologischen Lebensprogramms und aller Alltagspraktiken, in deren Zentrum ein ‚kreativer Habitus‘ steht: ein Ensemble von inkorporierten Schemata und Strategien, die das Subjekt permanent und scheinbar ganz natürlich zur lustvollen Wahrnehmung und Hervorbringung des Neuen, zum Experiment mit sich selbst befähigen.“ (Reckwitz 2012: 228)
Stifteten einstmals die Religion und die Politik Sinn und Befriedigung, so übernimmt gegenwärtig zunehmend das Ästhetisch-Kreative diese Funktion. Sinnlich starke Momente der Selbstbezüglichkeit, wie sie die ästhetischen Praktiken ermöglichen, bilden für alle Beteiligten Reiz und Motivation und heben die Erregung, das Affektive hervor. Im Genuss des Selbstbezüglichen empfindet sich der Kreierende sowie der Betrachter „als ein schöpferisches Selbst, das dem Künstler analog ist“ (ebd.: 10). Reckwitz bezeichnet die ästhetische Sozialität als eine sinnlich-perzeptive Sozialität, bei der multiple Subjektpositionen aufgerufen werden,3 ein „Publikumssubjekt der ästhetischen Rezeption und Aneignung, ein Kreationssubjekt neuartiger Wahrnehmungen, Zeichen und Emotionen sowie ein ästhetisch performatives Subjekt, das sich zum Gegenstand einer ästhetischen Selbstgestaltung vor einem Publikum macht.“ (Ebd.: 325)
Kreativitätsimperativ und Kreativökonomie Die Expansion der künstlerischen Praktiken, die Reckwitz seit Anfang des 20. Jahrhunderts verzeichnet, führt in der Folge zu einer Liberalisierung der Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst und trägt zur Ästhetisierung der Gegenwartsgesellschaft bei. Reckwitz sieht unter anderem eine „Entgrenzung der Kunstwerke in Richtung Alltagsgegenstände und Performances“ sowie „der 3 | Die Bedeutung der Verbindung multipler Subjektpositionen wird auch in der Performativitätstheorie aufgerufen, denn es geht nicht mehr um das „existierende Kunstwerk, das als Objekt aus der kreativen Tätigkeit des Künstlersubjektes hervorgegangen und der Wahrnehmung und Deutung des Rezipientensubjektes anheimgegeben ist. Statt dessen haben wir es mit einem Ereignis zu tun, das durch die Aktion verschiedener Subjekte – der Künstler und der Zuhörer/Zuschauer – gestiftet, in Gang gehalten und beendet wird“ (Fischer-Lichte 2004: 29).
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künstlerischen Praktiken in Richtung Kollektivarbeit und Zufallsproduktion“ (Reckwitz 2013b: 32). Die Positivbewertung der Kreativität lässt sich zum einen als Folgeerscheinung der Positivbewertung von Individualisierungs- und Ästhetisierungsprozessen lesen (vgl. Jakob 2008) und zum anderen wird sie durch die Theorie der Kreativen Klasse vorangetrieben, die auf Richard Florida zurückgeht und in den 1970er Jahren zu einer kulturellen Transformation führte. Florida propagierte die creative class als ökonomische Chance für neues Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung (Florida 2000).4 Kreativität wird nicht mehr alleinig als individuelle Selbstentfaltung betrieben, sondern zu einem Imperativ der Berufswelt. Durch die angeschobene Gleichsetzung von Kreativität mit wirtschaftlichem Wachstum entsteht eine ‚Doppelbelegung‘ des Begriffes (vgl. Jakob 2008), die Reckwitz kritisch hinterfragt. Das Ideal der Kreativität wird zum Imperativ und führt zu einer Instrumentalisierung von Kreativität. Den Imperativ des Kreativen verortet Reckwitz unter anderem auch in der Bildung (Reckwitz 2012: 11) und seine Vermarktung und Ökonomisierung vollzieht sich für ihn auf einem gesamtkulturellen Hintergrund. Im Zuge der creative industries5 ist die kreative Arbeit „zu einem Strukturmerkmal immer größerer Segmente der postmodernen Ökonomie geworden“ (Reckwitz 2013a: 33), Reckwitz spricht von einem kulturellen und ästhetischen Kapitalismus, den er auf die „Transformation der Wirtschaft von der Industriegesellschaft in Richtung einer Innovations- und Kreativökonomie“ (ebd.) zurückführt, in der sich „die Innovationsorientierung des Managements und der Bedeutungsgewinn der klassischen Kreativindustrien“ (ebd.) miteinander verbunden haben.6 In den Unternehmen findet aufgrund der beweglichen und veränderlichen Umwelt eine Transformation des Managementdenkens statt, bei der die Selbstveränderung zum Normalfall wird und dem Bedarf nach Neuem und Überraschendem der Konsumenten Genüge leistet. In Verbin4 | Florida führte eine programmatische Studie durch, die zeigt, dass seit den 1970er Jahren ein ‚kreativer Ethos‘ einer richtungsweisenden Berufsgruppe, der creative class, gesellschaftliche Dominanz gewinnt. Deren zentrale Tätigkeiten sind die Idee- und Symbolproduktion im Bereich Werbung, Softwareentwicklung, Design, Beratung und Tourismus. 5 | Die creative industries bzw. die Kreativwirtschaft wird „als jener Wirtschaftszweig definiert, dessen Güter und Dienstleistungen gekennzeichnet sind von einem überdurchschnittlich hohen Anteil an symbolischem sowie künstlerisch-ästhetischem Wert. Inbegriffen sind darin Werbewirtschaft, Film und Fernsehen, Verlagswesen, Architektur, Design-, Mode-, und Musikindustrie, bildende sowie darstellende Künste“ (Jakob 2008: 107). 6 | Jakob unterscheidet zwischen „Kreativität, verstanden als Prozess innovativen, ästhetischen Handelns, und der Kreativwirtschaft als vorrangig ökonomischer Kategorie“ (ebd.: 128), wie sie in der Kreativindustrie zum Tragen kommt.
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dung mit dem Relevanzgewinn der Kreativbranchen für die Ökonomie entsteht eine Innovationsökonomie. Diese fügt dem bereits bestehenden kreativen Ethos „ein produktivistisches Ethos“ (ebd.: 32) hinzu. Im Zuge dessen machen sich die kulturell-ökonomischen Praktiken des Kreativen die künstlerischen Praktiken wie zum Beispiel das Choreografieren, wie später ausgeführt wird, zunutze und verwenden sie als Vorbild für die Arbeitsweisen der Innovationsund Kreativökonomie: partizipative, kollektive, kooperative und projektbezogene Arbeitsweisen im Team werden in der Innovations- und Kreativökonomie, „die vom Erfordernis permanenter Innovation ausgeht“ (ebd.: 33), als Praktiken der Motivations- und Ertragssteigerung eingesetzt. Die Aufgabe der Unternehmen lautet, „designing new experiences“ (ebd.: 35). Die Unternehmer preisen „die kollektive künstlerische Arbeit als vorbildlich für die Projektarbeit in der nach-industriegesellschaftlichen Ökonomie“ (ebd.) und propagieren innovative Organisationsformen in flachen Hierarchien. Damit werden ästhetische Praktiken vermehrt in Vermarktungskontexten instrumentalisiert. Den Instanzen der ästhetischen Sozialität der Kunst kommt dabei ein zentraler Stellenwert zu, denn die Verbindung zwischen Kreierenden, Rezipienten und deren Verknüpfung im ästhetischen Ereignis wird von „institutionellen Mechanismen – marktförmigen, medialen oder politisch-staatlichen – gerahmt, denen es um das Management von Aufmerksamkeit geht“ (Reckwitz 2012: 323). Als Fazit formuliert Reckwitz eine kritische Betrachtung dieser Entwicklungen, verzeichnet eine Erschöpfung und Überdehnung der Innovationsund Kreativökonomie (Reckwitz 2013b: 29) und fordert mehr Nachhaltigkeit. Er benennt „Strukturprobleme einer an Kreativität orientierten Kultur“ (ebd.) wie den Leistungszwang der Kreativität, die Diskrepanzen zwischen kreativer Leistung und Kreativerfolg, Aufmerksamkeitszerstreuungen und Ästhetisierungsüberdehnungen. Als mögliche Gegenbewegungen benennt er die „profane Kreativität“ (ebd.: 31), die ohne Zuschauer auskommt und „eine Kultur und Alltagsästhetik der Wiederholung, die sich vom Aktivismus des Neuen distanziert“ (ebd.). Als Auswege bzw. „kulturpolitische Strategie“ (ebd.: 33) bezeichnet er die Soziokultur, die kulturelle Nachhaltigkeit und die Politisierung von Kunst.
3.2 Kreativität im Tanz Nachdem Kreativität in einem übergeordneten Rahmen als eine zentrale Komponente der Gegenwart behandelt wurde, skizziert der nächste Abschnitt seine Bedeutung im künstlerischen Tanz und in der Tanzerziehung seit Einzug der Improvisation im Modernen Tanz des 20. Jahrhunderts. Die Konzepte der Tan-
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zerziehung 7 der 1970er bis 1990er Jahre machten sich zum Ziel, Wirkzusammenhänge zwischen Kunst, Kreativität und dem eigenen Leben erfahrbar zu machen. Sie sehen Tanz als Prozess zwischen Innen- und Außenwelt, in dem eine Aussage und Botschaft transportiert und individuelle Bewegungsumsetzungen gestaltet werden. Im deutschsprachigen Raum wurde allgemein unter Tanzerziehung das Initiieren von Wahrnehmungsprozessen verstanden, in der „das Wahrgenommene eine emotionale Reaktion erfährt und über den Weg der inneren Anverwandlung und Verarbeitung das Erlebte in symbolhafter Präsentation gestaltet“ (Haselbach 1995: 298) wird. Barbara Haselbach verortet die Tanzerziehung innerhalb der ästhetischen Erziehung und unterscheidet zwischen einer kreativen und einer imitativen Arbeitsweise (Haselbach 1991).8 Nicht das Nachahmende, sondern die Gestaltung des Erlebten waren Leitlinien des künstlerischen Unterrichts (vgl. Postuwka 1999). Die Verbindung von Kreativität und Improvisation bildet ein durchgängiges Prinzip und etabliert die Improvisation in der modernen Tanzkunst als Gestaltungs- und in der Tanzerziehung auch als Erziehungsprinzip (ebd.: 113).9 Kreative Prozesse zu fördern wird seither zum zentralen Anliegen von Tanzpädagogik (vgl. Artus/Mahler 1992). Ursula Fritsch bezeichnet auf einem anthropologischen Hintergrund die Ästhetische Erziehung und die „‚Kreativitätserziehung‘“ (Fritsch 1993: 58) als „Konzepte, die für die Selbstbefreiung bzw. ein Sich-Selbst-Wiederfinden durch Ausdruckssteigerung eintreten“ (ebd.). Ihre Reflexionen über die Lehre des Tanzes beziehen sich auf Ausdruck- und Gestaltungsprozesse. Fritsch sieht die ästhetische Tanzerziehung als eine Form der Weltaneignung auf der Basis der Durchlässigkeit von Ich und Welt sowie von Subjekt und Objekt. Als wesentliche Aspekte ästhetischer Lernprozesse benennt Fritsch eine reflexive 7 | Die Tanzerziehung fußt auf reformpädagogischen Ansätzen der Jahrhundertwende, welche Erziehung als innere Formung verstanden wissen wollten, in denen das Ausdruckspotential der Kunst ins Zentrum rückte und die Grundlage der modernen Tanzund Bewegungserziehung bildete. 8 | Die kreative Arbeitsweise besteht für Haselbach in themenbezogenen Aufgabenstellungen des Lehrers, deren Lösungen den Kindern zu technischen Fähigkeiten verhelfen sollen. Dabei werden keine Beispiele für eine etwaige Imitation angeboten, sodass die Kinder Erfahrungen aus ihren eigenen Vorstellungen heraus sammeln. 9 | Haselbach konzipierte eine Didaktik und Methodik tänzerischer Improvisation zur Förderung der Kreativität mit spezifischen Lernzielen, Sozialformen, Anleitungsmethoden und Unterrichtsstrukturen. Der Improvisation kommen dabei nach Haselbachs Vorstellungen viele verschiedene Intentionen zu, sie ist „Unterrichtsprinzip, seltene Erholung vom Leistungsdruck, Alibi für überwiegend imitatives Lehren und Lernen, Mittel zum Zweck der Erfahrungssammlung, Vorstufe zur Gestaltung, themenloses Happening oder individuelles Experimentieren mit gestellten Aufgaben und Themen“ (Haselbach 1976: 5).
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Verarbeitung von Wahrnehmungsempfindungen und eine ästhetische Artikulation im Gestalten. Neben dem Ausdruck des individuellen Empfindens wird Kreativität auch als Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung eingesetzt. Rudolf von Laban betont „die positive Auswirkung, die die kreative Tätigkeit des Tanzens auf die Persönlichkeit des Schülers hat“ (Laban 1981: 23). Sein Konzept verbindet einen Kunst- und Erziehungsschwerpunkt, indem er dem Tanzunterricht auf der Basis des modernen Tanzes10 einen erzieherischen Wert zuschreibt. Die sogenannte ‚kreative Tanzerziehung‘ fußt auf seiner Lehre und stellt individuelle Bewegungsexperimente von Kindern ins Zentrum, bei denen Aufgaben zu grundlegenden Bewegungthemen die Ausdrucksfähigkeit fördern sollen. Die tanzdidaktischen Konzeptionen dieser Zeit zielen also auf „die Entwicklung und Förderung des kreativen Potentials eines jeden Menschen“ (Postuwka/Schwappacher 1999: 68) und verschreiben sich damit „der Persönlichkeitsbildung und dem kreativen Handeln im und durch Tanz“ (ebd.). Die Tatsache, dass in improvisations- und prozessorientierten Ansätzen die Rolle der Kreativität für die Bewegungs- sowie die Persönlichkeitsentwicklung zen tral ist, führt zu einer „Aufwertung des Individuums“ (ebd.). Die Relevanz von Kreativität im Tanz hat bis heute nicht nachgelassen und zeigt sich jüngst in den sportwissenschaftlichen Untersuchungen schöpferischer Gestaltungsprozesse von Behrens und Freytag.11 Beide rekurrieren auf das Phasenmodell des kreativen Schaffensprozesses von Wallas (1926), welches die Grundlage der seit den 1950er Jahren von den USA ausgehenden, praxisbezogenen Kreativitätsforschung bildete (vgl. Prechtl/Burkard 2008). Behrens strukturiert ihre Untersuchung des Gestaltungsprozesses diesem Modell folgend in eine erste Phase der „Improvisation“ (Behrens 2012: 76), die, wie sie ausführt, in der Kreativitätsforschung der Präparations- oder Vorbereitungsphase entspricht und einer zweiten Phase der „Komposition“ (ebd.: 77), die sie in Zusammenhang mit der Inkubation und Illumination in der Kreativitätsforschung stellt. Darauf folgt bei Behrens das „Proben“ (ebd.: 78) als dritte Phase, welches in der Kreativitätsforschung der Verifikation entspricht und endet mit dem „Präsentieren und Aufführen“ (ebd.) als vierter Phase. Während Behrens das Phasenmodell aus methodologischer Perspektive von vorneherein als Strukturierungskriterium an ihre Untersuchung anlegt, entsteht seine Relevanz in der Untersuchung von Freytag erst aufgrund ihrer Forschungsergebnisse. Die Datenauswertung der Tagebücher zeigt, so Freytag, dass sich in den Äußerungen der Studierenden das Phasenmodell des kreativen Schaffensprozesses spiegelt. Ebenso bilden sich darin die sieben Parameter bzw. Kriterien zur Kreativität ab: Fluktualität, Flexibilität, Originalität, Sensitivität, Komplexitätspräferenz, Elaboration und Ambiguitätstoleranz (vgl. Kirchner/Peez 2009: 10 | Moderner Ausdruckstanz wird von ihm als Synonym für Kreativen Tanz verwendet. 11 | Vgl. Einleitung: Forschungsstand in dieser Studie.
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11). Die Ambiguitätstoleranz wird in Freytags Forschungsergebnissen als zentrales Lernfeld bei Gestaltungsprozessen kenntlich. Sie erfordern und fördern „das Aushalten von Doppeldeutigkeit, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit und der Fähigkeit Inkongruenzen zusammenbringen zu können“ (Freytag 2011: 174f.). Formulierungen im Rahmen der tanzpädagogischen und -wissenschaftlichen Aufarbeitung der Bildungskonzepte im Tanz aus dem Jahr 2014 zeigen, wie die Inhalte und Konzepte der Tanzerziehung auch in die gegenwärtige Zeit hinein wirken. Bischof/Nyffeler verstehen „die ästhetisch-künstlerische Praxis“ (Bischof/Nyffeler 2014: 16) als „eine Auseinandersetzung mit sich selbst und der äusseren Welt“ (ebd.: 17), die zu einer „symbolischen Verarbeitung“ führt und „das Verarbeitete in einer gestalteten Form nach aussen“ (ebd.) trägt.
3.3 Tanzvermittlung als Containerbegriff: Heterogene Bedeutungsvarianten Nachdem das Thema der Kreativität behandelt wurde, wendet sich der nächste Abschnitt dem Begriff der Vermittlung zu. Dieser setzt sich in seiner etymologischen Historie aus einer Vielfalt an Bedeutungszuweisungen zusammen, deren Heterogenität sich in der gegenwärtigen Tanzvermittlung wiederfindet. Vermitteln wird im neuhochdeutschen Wörterbuch der Brüder Grimm in seiner ersten Wortbedeutung als sinnliches Verbinden zweier Teile (Grimm/ Grimm 1956: 878) verstanden und anhand eines Beispiels ausgeführt, in dem die Körpersprache visuelle Informationen vermittelt.12 Als zweites tritt „die bedeutung des vereinigens, ‚zusammenbringen, in berührung bringen‘ hervor“ (ebd.), drittens bedeutet es „mittel zu etwas geben, verursachen“ (ebd.) sowie viertens, „durch einschieben eines mittelstückes auseinanderliegendes, -gehendes einigen, zugänglich machen; übertragen: befreunden, ausgleichen, ebnen“ (ebd.). Zuletzt meint es „sich vermitteln, eine vereinigung, vereinbarung treffen, sich verständigen“ (ebd.). In vielen etymologischen Wörterbüchern finden sich Definitionen der Herstellung von einer Verbindung oder Einigung. Dies entspricht dem aus der Philosophie stammenden Verständnis als „Ausgleich oder Versöhnung zwischen zwei Extremen bzw. Gegensätzen. Im Erkenntnisprozess stellt die V. jenes Moment dar, welches die verschiedenen Bereiche der
12 | „sinnlich, wo nur die bedeutung des dazwischenschiebens eines mitteldinges hervortritt: nhd. die volle brust, der nackte oberkörper ziehen das auge hin, und wie gefällig vermittelt hals und kehle das zurückgesenkte haupt. Göthe 39,32“ (Grimm/ Grimm 1956: 878).
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Vermittlung gilt auch als „die Vereinigung eines Begriffs mit seinem dialektischen Gegenteil [...] z.B. den Übergang des Begriffs der Qualität in den der Quantität“ (Baeyer/Buck 1979: 149) und zeigt sich in Hegels Vorstellung als „fruchtbare u. zu neuen Erkenntnissen führende intellektuelle Verbindung gegensätzl. oder ‚auseinandertretender‘ Begriffe, Anschauungen oder Auffassungen“ (Hillmann 1994: 902). Das zeigt sich auch in dem soziologischen Verständnis als „Bezeichnung für die Herstellung eines ‚MittIeren‘ zwischen antagonistischen Begriffen, Möglichkeiten, Anschauungen zur Überwindung der bestehenden Widersprüchlichkeit“ (Fuchs-Heinritz et al. 1994: 716) und wird in diesem Sinne auch als ‚richten‘ verstanden. Ein ähnliches Verständnis formuliert „das In-Verbindung-Setzen von (scheinbar) Entgegengesetztem, die Herstellung eines Zusammenhanges von unverbundenen Teilen“ (Hübel 2012: 193) und die „Bezeichnung für den Ausgleich (ein ‚Mittleres‘) sich widerstreitender Interessen“ (Baeyer/Buck 1979: 149). Die bisherigen Literaturquellen zeigen als Schnittmengen die Prozesshaftigkeit sowie das Verbindende im Allgemeinen und das Auflösen von Widersprüchen im Speziellen. Diese finden sich gleichermaßen im Substantiv wie im Verb. Hegel verbindet aus philosophischer Sicht die Prozesshaftigkeit mit dem Reflexiven, Vermittlung ist für ihn „nichts anderes als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst ..., oder auf die reine Abstraktion herabgesetzt, das einfache Werden“ (G.W.F. Hegel 1807, zitiert in Fuchs-Heinritz et al. 1994: 716). Auch Hegel propagiert ein Verständnis von Vermittlung als Verbindung von Gegensätzen durch das Auflösen von Widersprüchen (vgl. Hillmann 1994). Der Begriff der Vermittlung ist in seiner Wortgeschichte philosophisch und sozialwissenschaftlich, nicht aber erziehungswissenschaftlich verankert, was zeigt, dass er in didaktisch-methodischen Zusammenhängen nicht von Relevanz ist. Diese Marginalisierung im Erziehungskontext findet sich in der stärker werdenden Verwendung des Begriffes Tanzvermittlung bei gleichzeitiger Abnahme des Begriffes Tanzerziehung wieder. Vermitteln wird aber nicht nur als „ausgleichen“, sondern auch als „dazwischentreten“ (Köbler 1995: 435) definiert, was einen Widerspruch aufmacht. Das Duden/Herkunftswörterbuch (2007) leitet vom Wort ‚Vermitteln‘ zum Wort ‚Mittel‘ weiter und dort ist zu finden: „Das vom Substantiv abgeleitete Verb mitteln (mhd. mitteln ‚zu etwas verhelfen, schlichten‘) wird heute als einfaches Verb nicht mehr verwendet. Gebräuchlich sind dagegen die Bildungen ermitteln ‚herausfinden; feststellen‘, übermitteln ‚überbringen, zu jemandem gelangen lassen‘ und vermitteln ‚eine Einigung erzielen, intervenieren; zustande bringen, herbeiführen; besorgen.‘“ (Duden 2007: 533)
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Hier wird eine direkte Verbindung zwischen vermitteln, ermitteln und übermitteln deutlich. Die Bedeutungsvariante „überbringen, zu jemandem gelangen lassen“ findet sich auch in anderen Ausgaben des Dudens wieder, unter anderem als „an jmdn. weitergeben, auf jmdn. übertragen“ (Duden 1999: 4252) mit dem Beispiel, „er kann sein Wissen nicht v.“ (ebd.). Hier steht vermitteln also für einen unidirektionalen Transfer als übermitteln, überbringen, übertragen und weitergeben von Wissen von einer Person an eine andere. In diesem Sinne wird der Begriff auch als Synonym für Lehren und Unterrichten verwendet, worauf u.a. Baeyer/Buck verweisen und den Leser/die Leserin bei Vermittlung zu ‚Lehren‘ weiter leiten (Baeyer/Buck: 1979: 149).13 Sämtliche der aufgezählten Bedeutungszuweisungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hegen und im Verlauf des Textes ergänzt werden, lassen sich in Aussagen von Stellvertreter/innen der Tanzpädagogik und in den Ergebnissen der Analyse der empirischen Untersuchung der Vermittlungspraxis finden und werden an den jeweiligen Stellen kenntlich gemacht. In der Tanzpädagogik fungiert der Begriff der Vermittlung, ebenso wie Kultur und Bildung, als ein ‚Containerbegriff‘ (Fuchs/Liebau 2012: 28) bzw. als ‚Pluralitätsbegriff‘ (Fuchs 2012: 63), was sich als Unschärfe sowie als Offenheit lesen lässt. Er schafft Raum für die gegenwärtige Vermittlungspraxis mit heterogenen Beteiligtengruppen in heterogenen Aktionsfeldern. Wie umfangreich die Bereiche sind, die unter dem Begriff subsumiert werden, verdeutlicht das nrw landesbüro tanz als „Ansprechpartner mit unterschiedlichen Kompetenzbereichen“ (nrw landesbüro tanz 2016), dessen Schwerpunktthemen von Schalt- und Beratungsstellen, Vermittlung von Künstler/innen, Projekten, Bühnen, Aus-, Fort- und Weiterbildungen, Nachwuchsförderung, Evaluation und Forschung bis hin zu Produktionen für junges Publikum gehen. Im Container der Vermittlung finden Tanzkünstler/innen, Choreograf/innen, Tanzpädagog/innen, Lehrer/innen, Schüler/innen, nicht- und semiprofessionelle Erwachsene, Kultur- und Kunstinstitutionen,14 Freizeiteinrichtungen und Schulen Platz. Der Begriff transportiert im Vergleich zur Tanzerziehung und -pädagogik keinen expliziten Qualifizierungskontext und marginalisiert damit den pädagogischen Lehr-Lernaspekt und entspricht der Heterogenität des Arbeitsfeldes und der Vermittlerpersonen. Je mehr sich der Kunst- und Vermittlungssektor vermischen, je mehr Künstler/innen im Zuge der Tanz-in-Schulen-Projekte in den Bildungsbereich eingebunden sind, desto mehr gewinnt die künstlerische Bildung als Bildung in den Künsten an Bedeutung und be13 | Weitere Definitionen vgl. Kap. 3.9. in dieser Studie. 14 | Zum Beispiel bezeichnet sich K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg als Kompetenzzentrum und Ansprechpartner für zeitgenössischen Tanz und Choreographie, künstlerische Forschung und Tanzvermittlung (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg 2016).
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günstigt eine Verschiebung von der Tanzerziehung zur -vermittlung. Das Zusammenspiel dieser vielfältigen Bedeutungsvarianten führt zur Etablierung des Begriffes der Tanzvermittlung in der Praxis sowie in der Theoretisierung dieser Praxis durch die Tanzpädagogik.
3.4 Dimensionen von Tanzprojekten und Instanzen der ästhetischen Sozialität Mit den von Künstler/innen geleiteten Tanzprojekten „hat sich tanzkünstlerisches Schaffen im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren als Teil der kulturellen Bildung etabliert“ (Bischof/Nyffeler 2014: 227). Im Zuge dessen entwickeln sich Tanzprojekte in einem komplexen Bedingungsgefüge, das sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt, die in der vorliegenden Studie in vier Dimensionen gefasst werden (vgl. Mörsch 2014),15 und zwar in einer institutionellen, produktionsorientierten, personellen und inhaltlichen Dimension. Die institutionelle besteht aus der strukturellen Bereitstellung, Finanzierung und Organisation von Tanzangeboten im schulischen und außerschulischen Feld sowie aus dem Zusammenwirken der Veranstalter/Geldgeber/Produzenten/Medien/Kritiker/innen. Sie verbindet Kunst und Bildung in heterogenen Aktivitätsfeldern und entfacht Qualitätsdiskussionen. Die produktionsorientierte Dimension besteht in dem Kunstereignis in Form einer 15 | Die hier vorgenommene Einteilung leitet sich von den „Arbeitsprinzipien im Programm ‚Kultur macht Schule‘“ von Carmen Mörsch (2014) ab, in der sie die Arbeitsbereiche des Schweizer Programms zur Förderung der Teilnahme von Schulklassen am kulturellen Leben des Kantons Aargau darlegt. Mörsch differenziert eine Dimension der ‚Projekte‘ mit einer Konzeptebene (Input), einer operativen Ebene (Prozess) und einer Ergebnisebene (Output) sowie eine zweite Dimension der Akteur/innen: Künstler/innen, Lehrpersonen, Schule, Projektkoordinator/innen, Kulturinstitutionen und Verwaltung. Ihre Begriffsverwendung ist jedoch nicht einheitlich, denn in einer anderen Publikation schreibt sie, in der Praxis der Kulturvermittlung „durchdringen sich pädagogische Dimensionen mit künstlerischen und gesellschaftlichen“ (Mörsch 2009-2012a: 14). Fleischle-Braun verwendet ebenfalls den Begriff „Vermittlungsdimensionen“ (Fleischle-Braun 2012: 584). Sie versteht diese aber im Unterschied zur vorliegenden Studie im Sinne von „Modalitäten der ästhetisch-sinnlichen Erfahrung“ (ebd.). Dazu gehören für sie Rezeptivität, Reflexivität und performative Erfahrung in ästhetisch-gestaltenden Tanzaktivitäten. Nur wenn diese „qualitativen Modalitäten“ (ebd.) berücksichtigt werden, können für Fleischle-Braun „Tänze aus allen kulturellen Bereichen [...] zum Thema oder Gegenstand ästhetisch-kultureller Bildung werden“ (ebd.). Die Vermittlungsdimensionen von Fleischle-Braun sind in der vorliegenden Studie innerhalb der inhaltlichen Dimension anzusiedeln.
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Aufführung, welche Künstler, Kunstwerk und Rezipient/innen verbindet, die personelle besteht in der Zusammenarbeit heterogener Berufs- und Teilnehmergruppen, die inhaltliche besteht in der künstlerischen Tätigkeit der Choreograf/innen und der beteiligten Gruppenmitglieder sowie im Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten, im Konzipieren von Bildungskonzepten und methodisch-didaktischen Vermittlungskonzepten. Diese vier Dimensionen von Tanzprojekten zeigen Entsprechungen zu den vier Instanzen der ästhetischen Sozialität im Kreativitätsdispositiv: dem institutionellen Rahmen, dem Kunstwerk, den Künstler/innen und den Rezipient/innen. Die inhaltliche Dimension findet sich als einzige Komponente weder in den Instanzen der ästhetischen Sozialität noch in einer Subjektposition, sondern steht horizontal dazu und betrifft mithin alle Instanzen. Dimensionen von Tanzprojekten
Instanzen der ästhetischen Sozialität
Institutionelle Dimension
Institutioneller Rahmen
Produktionsorientierte Dimension
Kunstwerk
Personelle Dimension
Künstler/innen Rezipient/innen Inhaltliche Dimension
Abb. 4: Dimensionen von Tanzprojekten und Instanzen der ästhetischen Sozialität (nach Reckwitz 2012)
Dem Dispositiv der Kreativität entsprechend wirkt in Tanzprojekten ein Netzwerk aus Schulen, Bildungsträgern, Jugendzentren, Trägervereinen, Veranstaltungshäusern, den Diskursen der Tanzpädagogik, der Bildungstheorie und der Kulturellen Bildung, den Künstler/innen mit ihren explorativen, partizipativen und reflexiven choreografischen Praktiken, den Artefaktsystemen der Schule mit Unterrichtsräumen und Stuhl- und Tischmobiliar, Turnhallen und Sportgeräten, den Artefaktsystemen der Kunstproduktion mit Tanzstudios und Probenräumen, Theaterbühnen und Technikausstattung sowie den Positionierungsbewegungen der Beteiligten zusammen. Im Zentrum dieses Netzwerkes stehen die Künstler/innen. Bei einem Vergleich der Dimensionen von Tanzvermittlung mit den Instanzen der ästhetischen Sozialität sowie den Subjektpositionen (die im Abschnitt zur personellen Dimension noch ausdifferenziert werden), bilden die Künstler/innen die Schnittmenge. Diese Tatsache macht in der Perspektive der vorliegenden Studie ein Charakteristikum von Tanzprojekten aus und befördert ihren Boom.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Instanzen der ästhetischen Sozialität Subjektpositionen der ästhetischen Sozialität Künstler/innen
Dimensionen von Tanzprojekten Abb. 5: Künstler/innen als Schnittmenge der Instanzen und Subjektpositionen der ästhetischen Sozialität (nach Reckwitz 2012) und den Dimensionen von Tanzprojekten
3.5 Institutionelle Dimension: Förderprogramme für Tanzprojekte Im 21. Jahrhundert führt die stetig wachsende Anerkennung des Tanzes als bildungsästhetisches Medium zu einer Vielfalt „tanzkultureller Bildungs- und Vermittlungsangebote“ (Fleischle-Braun 2012: 586) bzw. „zielgruppenspezifischer Bildungs- und Vermittlungsformate“ (ebd.: 587). Einrichtungen und Träger der Erwachsenenbildung sowie freie Veranstalter und Tanz- bzw. Theaterhäuser initiieren generationsübergreifende Bühnenproduktionen und konzipieren Education-Projekte in Kooperation mit Schulen (vgl. Klinge 2010). Modellinitiativen unterstützen seit 2005 eine Tendenz zu Partnerschaften und machen ein „kulturell-ästhetisches Bildungsangebot durch Tanz“ (Fleischle-Braun 2012: 586) möglichst vielen Kindern und Jugendlichen zugängig und erweitern das Angebotsspektrum „der tanzpädagogischen und -künstlerischen Vermittlungsarbeit im Rahmen der Kulturellen Bildung“ (ebd.). Die Termini ‚tanzkulturell‘ und ‚kulturell-ästhetisch‘ bringen eine Fokussierung auf das kulturelle Feld zum Ausdruck, in dem Angebote als Kunstform, als Bildungsbestandteil und als in der Freizeit ausgeübte Aktivität unterschiedlichster Personengruppen stattfinden. Die in diesem Kontext oft verwendeten Termini ‚Vermittlungsangebote, -programme und -formate‘ beziehen sich alle auf die Konzeption, Bereitstellung, Organisation und Finanzierung von Tanzangeboten in der institutionellen Dimension von Tanzprojekten. Als politisch gewolltes Konzept erweitern zahlreiche Kulturprogramme ihr ehemals außerschulisches Wirkungsfeld um das der Schule. Die Vermischung von Un-
Tanzvermittlung
terrichtszeit und Freizeit in Ganztagsschulen schafft Freiräume für die Kooperation zwischen Tanzkünstler/innen, Kultureinrichtungen und Schulen. Diese Situation führt zu einer Fokussierung von Tanzprojekten in Schulen und implementiert die temporäre und projektbezogene Arbeit von Künstler/ innen im Bildungskontext. Die Verbreitung des Begriffes der Vermittlung in der deutschsprachigen tanzpädagogischen Literatur vollzieht sich im Zuge der Tanzförderprogramme, die mit Tanzplan Deutschland der Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2005 ihren Anfang nahmen und denen seither mannigfaltige Kooperationen zwischen inner- und außerschulischen Partnern folgen. Aufgrund der kulturpolitisch beförderten Teilhabe an Tanzprojekten verbreiten sich diese in alle Bevölkerungsschichten und beginnen, Tanzproduktionen aus der Randständigkeit heraus zu holen. Seither sind mit Tanzvermittlung auch die Tanzprojekte selbst gemeint. Die Tätigkeit von Künstler/innen als Vermittler/innen in Tanzprojekten und speziell in Tanz-in-Schulen-Projekten trägt der Argumentationslinie der vorliegenden Studie folgend maßgeblich zu einer Marginalisierung des Begriffes der ‚Tanzerziehung‘ bei, da letzterer für die Arbeit von Künstler/innen nicht adäquat ist. Er entspricht weder ihrer Berufsausbildung noch ihrem Selbst- und Arbeitsverständnis, wie die Aussage der Choreografin und Vermittlerin Wiebke Dröge spiegelt, der zufolge die Künstler/innen keine „Metamorphose zum neuen Lehrer an[streben]“ (Dröge 2014: 111). Sie steht für ein Selbstverständnis von Künstler/innen, die sich gegen eine Pädagogisierung ihrer künstlerischen Arbeit verwahren. Die Tanzförderprogramme16 können als Teil eines kulturpolitischen Aufmerksamkeitsmanagements des Kreativitätsdispositivs angesehen werden. Sie sind Zeichen eines gesellschaftlichen Konsens am Interesse an und der Anerkennung von Kreativität und können als politische Maßnahmen betrachtet werden, die das kreative Potenzial der Bevölkerung fördern sollen. Indem die Bildungspolitik die Vernetzung des Kunst- und Bildungssystems protegiert, fördert sie aber gleichzeitig eine Instrumentalisierung der Kunst zum Erwerb von Schlüssel- und Transferkompetenzen und macht sich Tanzprojekte zunutze, um Bildungsmissstände zu bereinigen und Qualifikationen zu erzeugen, wie in den Darstellungen zum Forschungsstand bereits ausgeführt wurde.17 Die Forderungen seitens der Bildung speisen sich unter anderem aus tanzpädagogischen Evaluationen, die den Tanz für den Erwerb von Schlüsselkompetenzen als be16 | Das fünfjährige Förderprogramm Tanzplan Deutschland, die Initiative Tanzfonds Partner, Fonds für Partnerschaften zwischen Tanzinstitutionen und Schulen der Kulturstiftung des Bundes oder Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in dem Künstler mit bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen in lokalen Bündnissen zusammenarbeiten, seien hier beispielhaft genannt. 17 | Vgl. Einleitung: Forschungsstand in dieser Studie.
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sonders geeignet auszeichnen (vgl. Stern 2012; Eger 2014; Klinge 2014a; Boklage 2009). Aus tanzpädagogischer Sicht dienen sie dem Nachweis und der Legitimation der Sinnhaftigkeit und Förderungswürdigkeit von Tanz und sollen helfen, den Tanz in der kulturellen Bildungsdebatte zu stärken und nachhaltig zu verankern. Inzwischen hat jedoch die Bildungspolitik die von der Transferforschung aufgezeigten Outputwirkungen des Tanzes in einen Imperativ gekippt, von dem sich die tanzpädagogische Diskussion nunmehr abgrenzt. Für Klinge ist der Anspruch an die Kulturelle Bildung, und innerhalb dessen an den Tanz, inzwischen so weit gestiegen, dass sie sich gegen eine „Kulturelle Bildung als gesellschaftliches ‚Allheilmittel‘“ (Klinge 2014b) verwahrt. Weder die künstlerischen Praxen im Allgemeinen noch der Tanz im Besonderen könne den gesellschaftlich erzeugten Bildungsnotstand ‚heilen‘, so Klinge. Eine veränderte Haltung ist auch in Bezug auf die Tanz-in-Schulen-Projekte beobachtbar: Nach der ersten Phase der Begeisterung über das steigende Interesse an Tanzprojekten und über die Vielfalt der künstlerischen Praxen und ihrer Produktionen wird in einer zweiten Phase der Ruf nach Nachhaltigkeit stärker und es erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Imperativ, den die Bildungspolitik an Veranstaltungen der Kulturellen Bildung und an den Tanz in Schulen richtet. Nicht nur das marktorientierte, politisch-staatliche Aufmerksamkeitsmanagement, sondern auch mediale Aufmerksamkeitslenkungen tragen zum Boom von Tanzprojekten im außerprofessionellen Bereich bei. Der Film Rhythm is it! von Royston Maldoom18 wird in den tanzpädagogischen Analysen als Initiator dieses Booms gewertet und sein vielzitiertes Versprechen ‚You can change your life in an dance class‘ impliziert ebenfalls eine Verbindung zwischen Kreativitätswunsch und -imperativ.
Heterogene Aktionsfelder Im Zuge der verstärkten Einbettung des Tanzes in den Schulkontext werden Orte und ihre Bestimmungen irritiert und verlieren an Eindeutigkeit: Zum Beispiel arbeiten Künstler/innen im System Schule, Lehrer/innen arbeiten in Kunstprojekten mit, Schüler/innen nehmen an Orten der Kunst Unterricht und erhalten Noten für eine Aufführung im Theater. Die Heterogenität der Aktionsfelder durch die Verzahnung von Kunst und Schule ruft vielfältige Positionierungsbewegungen hervor und wird hier als Thematik der institutionellen Dimension verhandelt, sie steht aber gleichermaßen in der personellen sowie inhaltlichen Dimension zur Diskussion. Hier zeigt sich, dass die vorgenommene Strukturierung der Dimensionen nur bedingt haltbar ist und 18 | Der Film dokumentiert die Arbeit des Choreografen Royston Maldoom mit Schüler/ innen im Rahmen des kulturellen Bildungsprojektes Sacre du Printemps der Berliner Philharmoniker, 2004.
Tanzvermittlung
in Anbetracht der Dynamik des Forschungsgegenstandes lediglich als Reflexionsstruktur dient. Die Orte der Praxen, an denen die Tanzprojekte realisiert werden, erfahren Funktionsverschiebungen: das Probenstudio des choreografischen Zentrums wird als Ort der Kunstpraxis zum Unterrichtsraum, die schulische Turnhalle oder Musikaula oder das Klassenzimmer werden als Orte der Bildung zu Orten der Kunstproduktion. Dies führt auch zu Unklarheiten darüber, welche Regeln darin gelten, wie in der empirischen Forschung im anschließenden Kapitel zu beobachten sein wird. Die tänzerische und choreografische Praxis findet als Hybrid aus Unterricht, Probe, Kurs, Workshop, Werkstatt und Projekt statt. In der tanzpädagogischen und bildungskulturellen Literatur tritt in Bezug auf Tanzprojekte eine Vielzahl von Begriffen auf, die je nach Kontext, Verfasser/innen und Kombinationen andere Verortungen und Gewichtungen vornehmen. Eger spricht aus Sicht der Arts Education von der „Tanzkunstvermittlung“ und der „tanzkünstlerischen Bildung“ (Eger 2014: 129), denn eines der Kennzeichen der Arts Education liegt im „Verfolgen von kunst- wie bildungsspezifischen Zielen“ (ebd.: 303), innerhalb derer „künstlerische Bildungsangebote in/an/mit Schulen fokussiert“ (ebd.: 104) werden. Arts Education besteht aus einem weiten Kunstverständnis und „umfasst sowohl professionelle wie Amateur-Kunst“ (ebd.: 36) der bildenden und darstellenden Künste und bleibt „offen für immer neue Entwicklungen und Ausprägungsformen künstlerischer und kultureller Praxis“ (ebd.). Fleischle-Braun verlagert aus tanzpädagogischer Sicht mit der Aussage, dass allen Kindern und Jugendlichen „ein kulturell-ästhetisches Bildungsangebot durch Tanz“ (Fleischle-Braun 2012: 586) ermöglicht werden soll, den Schwerpunkt auf die politische Dimension der kulturellen Teilhabe. Der Begriff „ästhetisch-kulturelle Bildung“ (ebd.: 584) fokussiert umgekehrt den körperlich-sinnlichen Erfahrungsaspekt der Ästhetischen Bildung, die als Teilbereich im Dachbegriff der Kulturellen Bildung enthalten ist, und bindet diesen in das kulturelle Feld ein. Angesichts der Vermischung der Kunst- und Bildungsfelder zeichnet sich hier eine Tendenz zu variablen Begriffskombinationen ab, die von Positionierungsbewegungen zeugt.
Qualitätsdebatte zwischen Kunst und Bildung Im Jahr 2009 widmete sich die Tagung „tanz vermittelt – tanz vermitteln“ (Burkhard/Walsdorf 2010), in der Tanzwissenschaftler/innen, Tanzpädagog/ innen und Tanzpraktiker/innen zusammentrafen, der Aufarbeitung des Vermittlungsbegriffes. Tanz ist dem Tagungsband zufolge „nicht nur Gegenstand von Vermittlung, sondern mitunter selbst Vermittler von Informationen, Bedeutungen und Ideen: Er kann sowohl Objekt als auch Subjekt von Vermittlung sein“ (ebd.: 9). Dem Tanz wird die Funktion zugewiesen, „soziale Kompetenz
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zu vermitteln“ (ebd.) und der Vermittlerperson „die Weitergabe von Tanzwissen an Kinder und Jugendliche“ (ebd.: 11). Vermittlung wird hier als Transferleistung verstanden und die künstlerischen und pädagogischen Perspektiven werden im Tagungsband getrennt voneinander erst aus „ästhetisch-künstlerischer, dann aus pädagogischer [...] Perspektive“ (ebd.) behandelt. Ziel ist, den Tanz auf seine Eignung als Erziehungsmittel zu untersuchen. Das Verhältnis von Kunst, Schule, Bildung und Vermittlung wird in weiteren Tagungen sowie in Publikationen praktisch und theoretisch verhandelt. Die „beiden Systeme Kunst und Bildung“ (Eger 2015) sowie „Schule und Kunst“ (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012: 8) werden oft als „zwei grundverschiedene, kulturelle Systeme“ (ebd.) benannt und damit wird nach Ansicht der vorliegenden Studie ihre Differenz gestärkt.19 Die Tagungen befragen die Spezifik der Vermittlungsweisen von Künstler/innen sowie die Bedingungen gelingender Vermittlungspraxis, setzen sich mit ihren Widersprüchen und Spannungsverhältnissen auseinander und suchen nach Möglichkeiten, diese aufzulösen. Darin drückt sich die etymologische Bedeutung von Vermittlung als das Auflösen von Widersprüchen aus. Das Verhältnis von Kunst und Bildung stellt Fragen an die Vermittlungspraxis, an die Ausbildung von Vermittler/innen und die Qualitätssicherung tanzpädagogischer Erwartungen. Es erscheint als Manko, Chance, Widerspruch und Dilemma. Die tanzpädagogische Vermittlungsarbeit stellt „die Frage nach dem Kompetenz-Profil“ (Fleischle-Braun 2008: 316) in einem Feld, welches sich weder eindeutig in der Domäne der Erziehung bzw. der Pädagogik noch in der Domäne der Kunst verorten lässt. Der Bundesverband Tanz in Schulen hat 2012 „Gelingensfaktoren und Qualitätskriterien für die Zusammenarbeit von Kulturellen Bildungsinstitutionen und Schulen“ (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012: 8) herausgegeben, denen zufolge sich die Qualität von Bildungsprozessen nur indirekt über qualitätsbestimmende Merkmale erschließen lässt (ebd.: 9).20 In der tanzpädagogischen Diskussion wird die Expertise der Künstler/innen wertgeschätzt und gleichzeitig eine Qualitätssicherung und Professionalisierung der Vermittlungspraxis gefordert (vgl. Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012; 19 | Eine Kluft wird oftmals in der Formulierung eines ‚dazwischen‘ markiert, tanzpädagogische Publikationen tragen Titel wie Tanz zwischen Kunst und Vermittlung (Foik 2008) und Tagungen formulieren Grenzgänge in|zwischen Kunst und Vermittlung (2014) oder Im dazwischen – Künstler und Künstlerinnen vermitteln, 5. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung, Ruhr-Universität Bochum. Die Publikation der Tagungsbeiträge trägt den Titel Künstlerinnen und Künstler im Dazwischen. Forschungsansätze zur Vermittlung in der Kulturellen Bildung (Eger/Klinge 2015). 20 | Unter Vermittlungskompetenzen werden darin pädagogische, didaktische und methodische Kompetenzen aufgelistet, unter Fachkompetenzen tanzpraktisches Können, tanzkünstlerische Expertise und tanztheoretisches Wissen.
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Klinge 2010, 2012; Bäcker 2010). Stephani Howahls Aussage, dass die erstrebten Schülerkompetenzen „nur erreicht werden können, wenn die Tanzvermittler ihrerseits im höchsten Maße fachlich und didaktisch kompetent agieren“ (Howahl 2010: 152) beschreibt eine Kausalität, die davon ausgeht, dass die fachliche und didaktische Kompetenz der Vermittlerpersonen die Vorbedingung eines gelingenden Kompetenztransfers darstellt und geht von einem prä-existenten und intentional ausgerichteten Konzept für eine gelingende Praxis aus. Hier wird Vermittlung in seiner Bedeutungsvariante als Transferleistung von Tanzkünstler/innen an Schüler/innen verstanden, bei der die Tanzkünstler/ innen den Schüler/innen zu Wissen verhelfen und ihnen Kompetenzen verschaffen (vgl. Baeyer/Buck 1979). Zur Erreichung dieses Ziels wird die Teamarbeit verschiedener Experten empfohlen, im Besonderen die von Künstler/innen und Pädagog/innen oder eine Prozessbegleitung in Zusammenarbeit von Schule und Tanzkünstlern. Neue Studiengänge, Aus- und Weiterbildungen werden konzipiert, staatliche Hochschulen bieten Qualifizierungen für Tanzpädagogik bzw. Tanzvermittlung für Kinder und Jugendliche im schulischen wie außerschulischen Bereich an (vgl. Klinge 2012c). Ein Schwerpunkt im Bereich der Kulturvermittlung und Kulturellen Bildung ist Klinges Recherchen zufolge bisher aber eher marginal. Die Titel der Universitätsstudiengänge, die sie aufzählt, sind weitestgehend vom Begriff der ‚Tanzpädagogik‘ bestimmt,21 bis auf wenige Ausnahmen,22 die anstatt Pädagogik Kultur verwenden und die bereits thematisierte Verschiebung des Aktionsfeldes in die Kulturelle Bildung widerspiegeln. Beim MA Studiengang Tanzkultur V.I.E.W. der Sporthochschule Köln steht das V. für Vermitteln: „Vermitteln ist thematisiert als Vermittlung von Lehrpersonen an Lernende, Vermittlung zwischen Kunst und Pädagogik, zwischen Hoch- und Breitenkultur und zwischen Theorie und Praxis“ (Howahl/Tiedt 2008: 304). In dieser Beschreibung werden Kunst und Pädagogik als Gegensatzpaar gesetzt und weisen auf die Bedeutungsvarianten von Vermittlung als Wissenstransfer von jemand an jemand sowie als erkenntnisreiche Verbindung ‚gegensätzlicher und auseinandertretender‘ Begriffe hin (vgl. Hillmann 1994). 21 | Kindertanzpädagogik (Bachelor-Studiengang an der Akademie des Tanzes in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim), Tanzpädagogik (Bachelor-Studiengang an der Palucca Schule Dresden), Tanzpädagogik (Master-Studiengang an der Folkwang-Universität der Künste in Essen, Tanzpädagogik (Universität Konstanz, Bachelor-Studium Sportwissenschaft) (vgl. Klinge 2012c). 22 | Klinge nennt hier die Deutsche Sporthochschule DSHS Köln in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln (HfMT) mit dem Modul „Tanz in Schulen“ des MA Tanzkultur V.I.E.W. und den Studiengang TanzKultur am Sportinstitut für Sportwissenschaft der Universität Bern (ebd.). Seit 2014 existiert der Weiterbildungsmaster Kulturelle Bildung an Schulen der Philipps-Universität Marburg.
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In Bezug auf Arts-Education-Programme, die Eger „als ein sich entwickelndes Feld ‚im dazwischen‘ von Kunst und Bildung“ (Eger 2014: 303) ansieht, stellt diese fest, dass sich Qualität nicht aus einer Perspektive erfassen lässt, es sind vielmehr „verschiedene Dimensionen von Qualität anzunehmen – eine künstlerische, pädagogische, soziale, organisatorische oder ökonomische und ggf. noch weitere“ (Eger 2012: 177). Als Fazit ihres Vergleiches dreier internationaler komplementärer Arts Education-Ansätze plädiert sie für einen Qualitätsbegriff, „der das Unabgeschlossene akzeptiert, kontinuierliche Weiterentwicklungen bzw. Veränderungen einschließt und im Dialog zwischen den Beteiligten Partnern entwickelt wird“ (ebd.: 182). Unter „Vermittlungspraxis“ versteht Eger die Unterrichtssituation mit den unterrichtenden Künstler/innen und den Schüler/innen, in der die Ziele und Schwerpunktsetzungen der Arts Education-Programme „lebendig und in ihren spezifischen Kontexten umgesetzt werden“ (Eger 2014: 308). Sie beschreibt damit einen intentionalen Vermittlungsbegriff und gleichzeitig einen unabgeschlossenen Qualitätsbegriff.
3.6 Produktionsorientierte Dimension „Als darstellende Kunstform gehört Tanz auf die Bühne“ (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012: 65). Dieses Statement bezeichnet einen der Gründe, aus denen Tanzprojekte in einer, wie auch immer gearteten, ‚Präsentation‘ münden, die zumeist in der Aufführung einer Choreografie besteht, gegebenenfalls auch in Text-, Bild- und Filmdokumenten. Die Aufführungen finden oftmals in Veranstaltungen zum Abschluss eines Tanzförderprogramms, eines Workshops, eines Festivals, des Sommerfestes einer Schule oder anderen Inszenierungsformen zur Aufmerksamkeitslenkung statt. Zeitlich begrenzte Tanzprojekte arbeiten in der Regel auf eine „Präsentation der erarbeiteten Werke“ (Müller 2012: 598) hin, die der Verankerung der künstlerisch-kulturellen Bildung in der Schule dienen. Gleichzeitig ist eine Aufführung wichtig, um „den Kindern einen künstlerischen Rahmen in Form einer Bühne zur Verfügung zu stellen. Durch das Erleben einer Aufführung mit Kostümen, Lichttechnik und Publikum erfahren die Kinder und Jugendlichen eine Würdigung ihres Engagements, Wirkungsweisen der künstlerischen Tanzerziehung verstärken sich.“ (Ebd.)
Die Bedeutsamkeit der Präsentation erschließt sich ebenfalls aus dem Kreativitätsdispositiv, denn sie verbindet alle Instanzen der ästhetischen Sozialität und alle Subjektpositionen sowie den Kreativitätswunsch und -imperativ. Die Aufführung bündelt Interessen und Emotionen, sie ermöglicht das Affiziertsein im ästhetischen Intensiverlebnis und bedient die Veranstalter und Geldgeber mit einer Repräsentationsgelegenheit in Form eines möglichst innovativen
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Events als Ergebnis- und Erfolgsnachweis und verhilft zu medialer Aufmerksamkeit. Der Reiz am Produkt des Kunstereignisses besteht für den Künstler, das Publikum und die Institutionen der Marktregulierung. Der Kreativitätsimperativ und seine Steigerung im Produktivismus des Kreativen findet hier eine ganz eigene Ausprägung. Das künstlerische knowing how der Choreograf/ innen garantiert die Attraktivität eines Kunstereignisses und nicht eines vornehmlich edukativen Ereignisses. Tanzaufführungen mit nicht-professionellen und heterogenen Gruppen stellen die Frage nach der Verortung der Kunstwerke und führen zu einer Aufweichung der Polarisierung zwischen Kunst- und Amateuraufführung. Dröge spricht von „Jugendproduktionen an Theaterhäusern“ (Dröge 2014: 110) und fordert deren Anerkennung als eine eigene Kunstform in professionellen Kontexten, auch wenn deren Geschichte noch jung ist. Sie vertritt die Ansicht, dass die Produktionsweisen der Tanzkünstler/innen bei Jugendproduktionen im Vergleich zu den Profiproduktionen die gleichen sein sollten. Ihrer Meinung nach ist es „absolut überinterpretiert, diese Ansätze per se in ‚pädagogische‘, ‚sozial motivierte‘ oder ‚künstlerische‘ zu sezieren, sobald die Performer keine ausgebildeten Künstler, sondern Jugendliche sind. Die Unterschiede in den Produktionsformen spiegeln lediglich ein Gesamtbild dessen, was es generell an Gruppenarbeitsweisen und Führungsstilen gibt.“ (Ebd.: 112)
Kritisch steht sie der immer noch wirksamen, und aus ihrer Sicht überholten Ansicht gegenüber, in der „Jugendliche sich im – noch holprigen – Stil ihrer erwachsenen Vorbilder versuchen, verbunden mit dem Selbstverständnis, dass dies auf eine pädagogische Bühne gehört“ (ebd.: 116). Für Dröge besteht ein Manko darin, dass bisher die Arbeit von Choreograf/innen mit Jugendlichen lediglich seitens der Bildungsforschung untersucht wird, sie fordert, dass die Künstler/innen sich „deutlicher artikulieren und von sich und ihren Arbeitsweisen sprechen [...], dass Künstler sich in den theoretischen Diskurs einmischen“ (ebd.: 111). Der spezielle Beitrag der Künstler/innen liegt für sie darin, „sichtbar zu machen, dass Jugendliche keine Belehrungen im herkömmlichen Sinne brauchen oder danach verlangen. Sie sind Teil der Gesellschaft und als solcher auch von künstlerischem Interesse und eigener Strahlkraft. Sie wollen partizipieren, aktiv sein, etwas Spannendes erleben, mitgestalten – und nicht von Erwachsenen beschäftigt werden.“ (Ebd.)
Veranstalter, Geldgeber und Projektleiter sollen keinen Diskurs „über Jugendliche“ (ebd.: 110) führen, was Dröge als eine „Tendenz zwischen Ignoranz und Übergriffigkeit“ (ebd.) kritisiert, sondern die Jugendlichen sollen in den Kon-
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zeptionsprozess von Jugendproduktionen integriert werden, denn über sie „hinweg eine neue Sparte für sie zu entwickeln, erinnert an veraltete Bildungsstrategien“ (ebd.: 117). Sie spricht sich gegen die Festigung von Machtverhältnissen im Namen einer Vermittlungsmission und gegen eine Instrumentalisierung von Kunst und Künstler/innen aus. Die Innovations- und Kreativökonomie weist kollektive künstlerische Praktiken als besonders geeignet für die Projektarbeit aus und bietet hiermit die Grundlage für eine Ökonomie des Temporären im Projektformat. Diese erweist sich für die Künstler/innen in der Vermittlungsarbeit bei Tanzprojekten als ambivalent, denn das Geschäft mit der Tanzvermittlung boomt zwar (vgl. Wellershaus/Witte 2012), aber dabei werden auch die innovativen Potentiale des Künstlerischen und der Künstler/innen vermarktet. Wenn die Kreativen zum permanenten designing neuer Erfahrungen aufgerufen werden, kippt der Kreativitätswunsch in einen Imperativ. Die Koppelung von Kreativität und Wirtschaftswachstum zeigt sich in den vielen zielgruppenspezifischen Bildungs- und Vermittlungsformaten. Education-Projekte zwischen Theatern und Schulen bringen Zuschauer/innen in die Theaterhäuser und Schulen werden zum Aufführungsort von Tanzveranstaltungen. Das Temporäre des Projektformates erweist sich ökonomisch als besonders geeignet für eine kostengünstige Integration von Künstler/innen im Bildungskontext, bei dem diese ihren Status als Freiberufler behalten und wenig Honorar und Sozialabgaben kosten. In der Unterrichtspraxis leisten die Künstler/innen oftmals einen Großteil der Arbeit, für den sie aber nicht, wie die Lehrer/innen, die Kontinuität und Sicherheit einer Festanstellung erhalten. Die häufige Projektarbeit im Rahmen von Tanzvermittlung entspricht dem Kreativitätsimperativ sowie dem Managementdenken der Kreativ- und Innovationsökonomie mit ihrem Primat des Neuen, der Selbstveränderung, Flexibilität und Mobilität. Sie findet sich in der UNESCO Roadmap for Arts Education wieder, der zufolge die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts Arbeitskräfte benötigen, die „kreativ, flexibel, anpassungsfähig und innovativ“23 (UNESCO Roadmap for Arts Education 2006: 5) sind. Diese Fähigkeiten werden zum Normalfall deklariert und implizit auf die freiberuflichen Tanzkünstler/innen und -vermittler/innen übertragen. Deren Bereitschaft zur Selbstausbeutung ihrer Kraftressourcen bei oftmals inadäquaten Arbeitsbedingungen und geringer Bezahlung wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Hier bestehen in der institutionellen und personellen Dimension Ungleichgewichte, die kritisch als eine Form der Ausbeutung des Künstlerpotentials betrachtet werden können. 23 | „21st Century societies are increasingly demanding workforces that are creative, flexible, adaptable and innovative and education systems need to evolve with these shifting conditions. Arts Education equips learners with these skills […]“ (UNESCO Roa dmap for Arts Education, Lissabon 2006: 5).
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Neben den kontinuierlich subventionierten Stadttheatern werden Kompanien und Choreograf/innen, die nicht an Institutionen angegliedert sind, meist nur temporär gefördert und müssen sich flexibel den Produktionsverhältnissen des kapitalistischen Marktes anpassen. Den Unsicherheiten und der Kurzlebigkeit von Projekten und Finanzierungen entsprechend arbeiten die meisten Künstler/innen in mehreren Produktionen im Kunst- und Vermittlungssektor gleichzeitig und ebenso in kunstfremden Arbeitsfeldern. Der „unternehmerische Künstler wird zum Modell“ (Klein 2014c: 21) der engen Verbindung von „Arbeit, Leben und Kunst“ (ebd.). Immer mehr Choreograf/innen finanzieren ihre Bühnentanzproduktionen mit parallel laufenden Vermittlungsprojekten oder koppeln von vorneherein in ihren Anträgen die künstlerische Arbeit mit der Vermittlungsarbeit. Auch wenn kollektive Arbeitsweisen in der Innovations- und Kreativökonomie sowie in der Tanzkunst gleichermaßen wertgeschätzt werden, so führt dies aus Sicht der Choreografin Isabelle Schad 24 jedoch zu vielen Widersprüchen. Der Produktions- und Aufführungsmarkt fördert zwar Arbeitsweisen wie „open space, practice-orientated work, workin-progress, process versus product, collective work, networking, collaboration“ (Schad 2013: 280), nutzt sie aber zu leeren Schlagworten ab und kommerzialisiert sie. So entsteht nach Schads Einschätzung ein Zugzwang für die Künstler/innen, sich mit dem vom Produktionsmarkt geförderten Imperativ des Kollektiven zu schmücken, um eine Projektförderung zu bekommen und für Festivals eingekauft zu werden. In der Arbeitspraxis entlarven sich diese vermeintlich kollektiven Produktionen jedoch allzu häufig als künstlerisches Eigentum einer Einzelperson, dem alle zuarbeiten. Für Schad vollzieht sich damit eine Sinnentleerung der einstmaligen künstlerischen Bedeutung und sie plädiert für eine Haltung des „working with“ anstatt des „working for“ (ebd.).
3.7 Personelle Dimension Ein Charakteristikum von Tanzprojekten besteht in dem Zusammentreffen der von Reckwitz beschriebenen multiplen Subjektpositionen: Kreationssubjekt, ästhetisch performatives Subjekt und Publikumssubjekt (Reckwitz 2012). Bei einem Abgleich der Subjektpositionen des Kreativitätsdispositivs mit den Beteiligten bei Tanzprojekten wird deutlich, dass sich diese einander zuordnen lassen:
24 | Schad führt eines der beiden in der vorliegenden Studie untersuchten Choreografieprojekte durch.
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Subjektpositionen des Kreativitätsdispositivs
Personelle Dimension von Tanzprojekten
Kreationssubjekt
Künstler/innen
Ästhetisch performatives Subjekt
Darsteller/innen
Publikumssubjekt
Zuschauer/innen
Abb. 6: Entsprechung der Subjektpositionen des Kreativitätsdispositivs (nach Reckwitz 2012) und der personellen Dimension von Tanzprojekten
In Tanzprojekten in künstlerisch-kulturellen Kontexten kann die gleiche Person potenziell mehrere dieser Subjektpositionen gleichzeitig einnehmen. Zum Beispiel setzt sich im Fall des in der vorliegenden Arbeit untersuchten Choreografieprojektes mit einer Gruppe von Schüler/innen das Publikum der Aufführung zu einem Großteil aus Familie, Freunden und Gleichgesinnten der Darsteller/innen zusammen. Die Schüler/innen sind als Tänzer/innen an der Aufführung beteiligt und als Zuschauer/innen der Präsentationen anderer Schulklassen. Das Publikum von Tanzprojekten mit Erwachsenen wie bei dieser Studie, besteht meist zu einem Großteil aus Personen, die entweder schon an vergleichbaren ästhetischen Ereignissen mitgewirkt haben oder daran zukünftiges Interesse mitbringen. Sie bilden somit auch potenzielle Kreierende und ästhetisch performative Subjekte, die sich zum Gegenstand einer ästhetischen Gestaltung vor einem Publikum machen möchten, wie Reckwitz es formuliert. Ein Darsteller-Publikums-Verhältnis, welches auf der Abgrenzung zwischen Publikum und professionell ausgebildeten Künstler/innen beruht, baut auf der Erwartungshaltung des Publikums an das Virtuose und Spektakuläre des von beruflich ausgebildeten Spezialisten erzeugten ästhetischen Ereignisses auf. Daneben wird ein ganz anderer Reiz und eine andere Affiziertheit bei einem Darsteller-Publikums-Verhältnis wirksam, bei dem das Publikum Erfahrungswissen aus der eigenen aktiven Beteiligung an Aufführungen mitbringt und die Darsteller/innen gar keine oder nur eine partielle Ausbildung besitzen und nicht durch eine berufliche Professionalität und geschulte Virtuosität bestechen oder berühren. Wenn Darsteller/innen und Publikum einander kennen, entsteht eine zusätzliche affektive Bindung. Diese besondere Verwobenheit von Künstler/innen, Darsteller/innen und Rezipient/innen in Tanzprojekten weicht die Abgrenzung zwischen ‚Professionellen‘ und ‚Amateuren‘ bzw. ‚Laien‘ auf. Die Hervorhebung des Affektiven und Sinnlich-Perzeptiven als Möglichkeit der ästhetischen Transformation alltäglicher Wahrnehmung, wie sie Reckwitz im Rahmen des Kreativitätsdispositivs beschreibt, bildet eine starken Reiz und eine Motivation für die Mitwirkenden. Im kreativen Habi-
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tus als Orientierungspunkt eines psychologischen Lebensprogramms lassen sich Gründe für das steigende Interesse von Erwachsenen unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und Altersstufen an der Teilhabe an Tanzprojekten im Freizeitkontext ausmachen. Die Wichtigkeit des Affiziertseins entspricht ebenfalls den Leitgedanken der Tanzerziehung sowie heutiger Tanzvermittlung. Aussagen über „Visionäre Bildungskonzepte im Tanz“ (Bischof/Nyffeler 2014) aus dem Jahr 2014 beschreiben „emotionale Betroffenheit“ (ebd: 17) als ein Ziel von Tanzvermittlung und fordern, „Tanz soll irritieren und Emotionen wecken“ (ebd.). Heterogene Personengruppen aus Tänzer/innen, Choreograf/innen, Tanzpädagog/innen und Lehrer/innen mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen sind bezeichnend für Tanzprojekte.25 Den Künstler/innen wird u.a. vom Rat für Kulturelle Bildung (2014), von Vertreter/innen der Arts Education sowie von beteiligten Schüler/innen eine große Anerkennung ihrer Expertise zuteil. Evaluationen von Tanz-in-Schulen-Projekten bestätigen, dass die Beteiligung von ‚echten‘ bzw. authentisch wirkenden Künstlern einen Mehrwert für die Beteiligten darstellt (vgl. Eger 2014; Müller/Schneeweis 2006; Bischof/Nyffeler 2014). Anbieter und Mitwirkende favorisieren also Tanz- und Choreografieprojekte mit Künstler/innen. Das Zusammentreffen verschiedener Personengruppen im Bildungskontext hinterfragt deren Selbstverständnis, die Choreograf/ innen sehen sich mit den Rahmenbedingungen und Erwartungshaltungen des Systems Schule konfrontiert und die Bezeichnung ihrer Arbeit wird zur Diskussion gestellt. Beispielsweise definiert sich Eger als „unterrichtende Künstlerin“ (Eger 2011: 189), Claudia Hanfgarn schreibt, sie arbeite „nach dem Prinzip ‚aktive Bühnenkünstler unterrichten in Schulen‘“ (Hanfgarn 2015). Im Vokabular der tanzpädagogischen Literatur tauchen mit dem Begriff der „Tanzvermittlung“ (u.a. Klinge 2012: 883) auch die Termini „Tanzvermittler“ (u.a. Howahl 2010: 149) und „TanzkünstlerInnen“ (u.a. Fleischle-Braun 2012: 586) sowie „Tanzschaffende“ (u.a. Bischof/Nyffeler 2014: 229) auf. Sie bezeichnen in angemessen offener Weise die Tätigkeit heterogener Personengruppen, denn der Begriff der Tanzpädagog/in wäre nur für diejenigen legitim, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen. ‚Tanzvermittler‘ transportiert für sich gesehen die Tatsache, dass eine Person im Vermittlungskontext arbeitet, ohne zu definieren, ob diese eine künstlerisch-choreografische Erfahrung mitbringt und/oder aus einem künstlerisch-edukativen Zusammenhang kommt. Erst die Gleichzeitigkeit der Begriffe Tanzvermittler und Tanzkünstler markiert 25 | Fleischle-Braun fasst die heterogenen Gruppen in mehrere „Modelle“ (Fleischle-Braun 2008: 316), dem aus England stammenden Modell des Community Dance-Künstler-Pädagogen (vgl. Foik 2008), dem Tänzer-Choreograf sowie dem Kulturvermittler, „der sich auf ein spezifisches tanzkulturelles Feld konzentriert und spezialisiert hat“ (Fleischle-Braun 2008: 316).
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deren Differenzierung und stellt die Frage, ob Künstler/innen gegebenenfalls keine Vermittler/innen sein könnten und die Vermittler/innen keine Künstler/innen. Als Tanzvermittler/innen werden Personen bezeichnet, so lässt sich aus der Fachliteratur schließen, solange sie an der Schnittstelle von Kunst und Schule arbeiten. Tänzer-Choreografen werden zu „Unterrichtenden“ (Howahl 2010: 149) wenn sie im Schulkontext arbeiten. In den Arts Education werden die in Schulen arbeitenden Künstler/innen Teaching Artists, unterrichtende Künstler/innen genannt und unterscheiden sich von Practicing Artists, den praktizierenden Künstler/innen (vgl. Eger 2014: 104). Diese Differenzierung bezieht sich nicht „auf eine bestimmte Berufsgruppe, sondern bezeichnet die jeweilige Rolle, die der Künstler oder die Künstlerin in der jeweiligen Situation einnimmt“ (ebd.). Eine Verständigung und Klärung einer einheitlichen Begriffsverwendung, wie dies in den Arts Education bereits erfolgte, wäre aus Sicht der Verfasserin der vorliegenden Arbeit auch im deutschsprachigen Vokabular aus Gründen der Übersichtlichkeit wünschenswert. Im Zuge der Heterogenität der Beteiligten und der Aktionsfelder kommt es zu einer Vermischung des Kunst- und Vermittlungsmarktes. International ausgewiesene Choreograf/innen arbeiten ebenso wie diplomierte Tanzpädagog/innen temporär in Vermittlungsprojekten bzw. Education-Projekten. Die Künstler/innen sind es aufgrund des Marktangebotes gewohnt, abwechselnd oder gleichzeitig im Kunst- und im Vermittlungsmarkt zu produzieren, mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, mit Amateuren oder im professionellen Rahmen. Vermittlungsprojekte halten Einzug in Projektanträge für künstlerische Konzepte, um die Chancen auf Bewilligung zu erhöhen. Die Choreograf/innen sehen sich mitunter gezwungen, die Darsteller/innen ihrer Produktionen aufgrund von Finanzierungszwängen auszuwählen. Während der Förderantrag noch Honorare für professionelle Künstler/innen kalkulierte, wird das Projekt gegebenenfalls später aufgrund fehlender Finanzierungsmittel mit heterogenen Mitwirkenden realisiert, die gar nicht oder temporär für ihre Mitarbeit bezahlt werden (können) und dennoch aus Gründen der kreativen Selbstverwirklichung oder für eine Profilierung auf dem Weg zur Professionalität mitwirken. Gegebenenfalls zahlen die Teilnehmenden dafür, an einem Tanzprojekt als Performer/innen mitzuwirken, anstatt dafür bezahlt zu werden. Die Tatsache, dass viele Beteiligte sowohl potenzielle Kreations- als auch Publikumssubjekte sind, unterstützt diese Tendenz. So sind mitunter weder die Choreograf/innen noch die Darsteller/innen eindeutig einem spezifischen Feld zuzuordnen.
Tanzvermittlung
3.8 Inhaltliche Dimension Die inhaltliche Dimension von Tanzprojekten besteht in der Praxis der Künstler/innen und Mitwirkenden, ihrem Verständnis von Vermittlung, in didaktischen und methodischen Konzepten und den Bildungstheorien, auf die diese rekurrieren. Klinge zufolge „unterscheidet sich das jeweilige Verständnis von Tanzvermittlung von Institution zu Institution. Während einige einen eher klassischen Begriff von Vermittlung im Sinne von Einübung in und Erwerb von Tanztechniken zugrunde legen, verstehen wiederum andere Tanzvermittlung als eigenständigen Bildungsbereich, der den Gegenstand Tanz – vor allem in seiner zeitgenössischen Ausrichtung – als ästhetisches Medium Kultureller Bildung auslegt.“ (Klinge 2012c: 883)
Als zentrale Inhalte von Tanzvermittlung fassen Fleischle-Braun et al. „Improvisation, Komposition, Dramaturgie; Vermittlung von choreographischem Handwerk [...]; Präsentieren und Aufführen von erarbeiteten Stücken oder Produktionen; Betrachten, Analysieren, Reflektieren; Wissen über Tanz in Form von Tanz- und Kulturgeschichte, Tanztheorie [...]; Besuch von Tanzaufführungen [...]; den Tanz und das Theater in seiner Vielfalt kennenzulernen [...].“ (Fleischle-Braun et al. 2006: 54)
Damit wird das Zusammenspiel der aktiven Teilhabe an Tanz und der Rezeption von Tanz hervorgehoben. Die Arbeitsweisen in Programmen der ästhetisch-kulturellen Bildung „zeichnen sich vor allem durch einen sensitiven Umgang mit dem eigenen Körper und das Kennenlernen und Erproben einer tänzerischen Bewegungsvielfalt aus. In der tanzpädagogischen Vermittlungsarbeit werden häufig erlebnisorientierte, induktive und explorative Arbeitsweisen sowie Gestaltungsaufgaben in Form von Gruppen- und Einzel improvisation eingesetzt, unter Verwendung grundlegender Bewegungsprinzipien und Kategorien der Tanzanalyse (z.B. nach dem Laban-Konzept), ebenso kompositorische Arbeitsverfahren, die vor allem auf die kreative Produktion von Tänzen ausgerichtet sind.“ (Fleischle-Braun 2012: 584f.)
In der Tanzvermittlung dieses Jahrhunderts ist ein Bedeutungszuwachs von kreativen und gestalterischen Arbeitsweisen zu erkennen (vgl. Stern 2012), in denen partizipative Formen der Zusammenarbeit in flachen Hierarchien favorisiert werden. Im Vergleich dazu tritt die Arbeit mit festgelegtem, kodifiziertem Bewegungsmaterial und reproduktiven Verfahren in den Hintergrund und im Zuge dessen auch die Vermittlung spezifischer Ästhetiken von Tanzstilen. Die „zeitgenössische Tanzkunst“ wird „nicht als Stil, sondern als Prinzip
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und Methode gesehen, die eine Tanzvermittlungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe und in einer prozessualen Ausrichtung beschreibt“ (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012: 6). Für Klinge bedeutet das aber nicht, dass den „traditionell festgeschriebenen und kulturell gebundenen Formen des Tanzes“ (Klinge 2010: 87) keine Bildungspotenziale zugesprochen werden können. Überlieferte Tänze vermitteln „über den praktisch-körperlichen Nach- und Mitvollzug“ kulturelles Wissen und erfüllen „die Zeige- und Aufklärungsfunktion von Bildung“ (ebd.).
Bildungskonzepte Um Bildungsprozesse in Gang zu setzen, bedarf es Klinge zufolge „der Herstellung von Erfahrungs- und Möglichkeitsräumen, die das Subjekt entdecken, erkennen und nutzen kann“ (ebd.). Den Aspekt der Erfahrung koppelt sie mit der Reflexion: „Zentral und richtungsweisend für die Ermöglichung von Bildung ist ein Verständnis von Tanz als Erfahrungsfeld individueller, kultureller und gesellschaftlicher Reflexionen. Dem entspricht [...] ein Verständnis von Vermittlung, das Erfahrungen von Brüchigkeit und Differenz in den Mittelpunkt des Lernprozesses stellt.“ (Ebd.: 91) 26
Daraus leitet Klinge einen Begriff von Vermittlung ab, der eine „Auffassung vom lernenden Subjekt impliziert“ (ebd.: 86), bei dem dieses „nicht nur mit neuen Erfahrungen der sozialen Welt konfrontiert wird, sondern auch mit sich selbst als Erfahrendem“ (ebd.: 89). Die Grundlegung dieses Subjektbegriffes ist für sie entscheidend, um Lern- und Bildungsprozesse zu initiieren. In diesem Sinne „bedarf es Vermittlungsverfahren, die sich an der prinzipiellen Offenheit und Unabschließbarkeit von Bildung orientieren“ (ebd.). Damit fordert die Tanzpädagogik ein Bildungskonzept ein, welches Tanzvermittlung ebenso wie Tanzkunst als offenen Prozess versteht. Aus tanzpädagogischer Sicht schreibt Fleischle-Braun dem Tanz eine Selbstreferentialität zu und sieht dessen Wert „im Vollzug und in der Erlebnishaftigkeit selbst begründet“ (Fleischle-Braun 2012: 582). Der Tanz kann ihr zufolge „ein Modell sein für eine ganzheitliche ‚leibliche‘ Erfahrungsbildung und körperliche Reflexivität“ (ebd.: 584). Das 26 | Verena Freytags Untersuchung von Gestaltungsprozessen im Ausbildungskontext von Sportstudent/innen bestätigt diese Aussagen empirisch. Die Schüler/innen erlebten die „Ambivalenzerfahrung“ (Freytag 2011: 167) als zentrale Kategorie und pendelten „zwischen Nullbock und Höhenflug“, wie der Titel beschreibt. „Ein Stück zu erfinden [...] ist ein ambivalenter Prozess. [...] Der offene gestalterische Prozess ist somit ein Balanceakt: zwischen Scheitern und Gelingen, Erfolg und Misserfolg, Fortschritt und Stagnation“ (ebd.: 174f.).
Tanzvermittlung
entspricht den bildungstheoretischen Darlegungen zur Ästhetischen Bildung, wie sie Eckart Liebau und Jörg Zirfas vertreten und die in der Tanzpädagogik vielfach als Referenz herangezogen werden. Sie verstehen Bildung als aisthetische Bildung, da sich der „gesamte menschliche Selbst- und Weltbezug wesentlich über die Sinne vermittelt“ (Liebau/Zirfas 2008: 7). Durch den Erfahrungs- und -verarbeitungsmodus von Welt im Rahmen der tänzerischen Praxis entsteht die Möglichkeit, ihr schöpferisches Selbst in den privaten Alltag zu integrieren und das Ästhetisch-Kreative übernimmt eine sinnstiftende und befriedigende Funktion (vgl. ebd.).27
Partizipation: Tanzprojekte in der Kulturellen Bildung Partizipation wurde bereits im zweiten Kapitel im Kontext der choreografischen Praktiken behandelt. Sie bildet eine zentrale Schnittmenge zwischen der Choreografie, dem Kreativitätsdispositiv, der Bildungstheorie, der Kulturellen Bildung und der Tanzvermittlung. Die Expansion der ästhetischen Wirkungsfelder und die wachsende Anerkennung von Tanzprojekten in der Kulturellen Bildung, verstanden „als lebensbegleitendes Lernen in den Künsten, mit den Künsten und durch die Künste“ (Weigl 2015: 3), trägt zur Etablierung des Begriffes der Tanzvermittlung bei, wie die Argumentation der vorliegenden Studie nahe legt. Diese Entwicklung ist entscheidend an die Bedeutung der Partizipation gekoppelt, denn in der Kulturellen Bildung ist „der kreative Umgang des Menschen mit seinen schöpferischen Kräften durch die Begegnung mit Kunst, Kultur und Künstlern“ (Klinge 2012a: 2) ein Kerngedanke. Kulturelle Bildung tritt für Teilhabegerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen an Kultur ein und bezieht eine lebenslange Perspektive, und damit unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen, mit ein (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2014). Vanessa-Isabelle Reinwand stellt aus kulturpolitischer Sicht fest: „Unter dem soziokulturellen Motto ‚Kultur für alle und von allen‘ wurde kreatives und künstlerisches Gestalten des Einzelnen als gleichwertig zur Rezeption von Hochkultur und als Hauptbestandteil einer kulturellen und sozialen Praxis erkannt.“ (Reinwand 2012: 111)
Die Kulturelle Bildung umfasst eine Vielfalt kultureller Praxen, „die den Menschen zu einer individuell sinnvollen und sozial verantwortlichen Lebensgestaltung befähigen“ (Klinge 2012a: 2) und bezieht als Allgemeinbildung und biografische Lebenskunst (vgl. Reinwand 2012) auch Freizeitaktivitäten wie 27 | Die Vielfalt der didaktisch-methodischen Ansätze und Konzeptionen der Tanzvermittlung werden im Rahmen der vorliegenden Studie nicht behandelt, da sie nicht dem Forschungsfokus entsprechen, wie bereits in der Einleitung dargelegt wurde.
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die Beteiligung an Tanzprojekten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ein. Die Beschreibung eines Veranstalters von Tanzprojekten macht deutlich, wie Prinzipien Kultureller Bildung Eingang in die Tanzvermittlung finden: „Die kulturelle Bildung im tanzhaus nrw folgt den Prinzipien: ein ganzheitliches Menschenbild, das den Einzelnen nicht auf seine Defizite reduziert, sondern seine Stärken fördert und seine Schöpfungskraft freisetzt; die Förderung der künstlerischen Persönlichkeit durch die professionell begleitete Beschäftigung mit Tanz, Musik und Theater. Die Verbindung von professionellen Tanzkünstlern und Amateuren; die interkulturelle Begegnung und Neugier auf andere Tanzkulturen.“ (Schackow 2011: 83) 28
In ihren Ausführungen zum Tanz aus bildungstheoretischer Sicht betrifft für Klinge Bildung sowohl „den Prozess als auch das Ergebnis persönlicher Entwicklung und Entfaltung eines selbstbestimmt und verantwortungsvoll handelnden Individuums“ (Klinge 2010: 84). Als Bildungsprinzipien gelten für Klinge die „Selbstbestimmung, Teilhabe und Urteilsfähigkeit“ (ebd.: 86). Sie unterscheidet zwischen drei Bildungsdiskursen: „Bildung im Sinne von Ausbildung, Bildung als Beitrag zu Solidarität und Chancengleichheit und Bildung im Sinne von Selbstbestimmung und Subjektwerdung“ (Klinge 2014a: 61f.). In deren Zentrum steht die Auseinandersetzung des Selbst mit der Welt. Ihrem Bildungsverständnis liegt somit die Aktivität des Subjekts zugrunde und Bildung ist „immer ein Sichbilden“ (ebd.: 62) als ständige Auseinandersetzung mit sich selbst sowie den Dingen der Welt. In diesem Sinne ist es reflexiv. Klinges Ausführungen folgend ist Bildung des Weiteren zu allererst konflikt haft, stört und kann „Gewohnheiten in Frage stellen und irritieren“ (ebd.: 63). Grenzüberschreitungen führen zur Um- oder Neuordnung und -deutung von Erfahrungen. Sie trägt damit „konstruktive, aktive und zugleich kritische Momente“ (ebd.) in sich und ist „ein nie abschliessbarer Prozess“ (ebd.). Wenn Bildung als Selbstbildung verstanden wird und Kulturelle Bildung den Fokus auf Selbstbildung legt, ist ihr eine partizipative Dimension inhärent. Die Relevanz der Partizipation zieht eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Bildung und Erziehung nach sich. Aus tanzpädagogischer Sicht versteht Marianne Bäcker Erziehung als „Prozess intentionaler, zielgerichteter Beeinflussung von Menschen mit dem Ziel, sie zur Bewältigung von Lebenssituationen und zur selbstständigen Lebensführung zu befähigen“ (Bäcker 2008: 161). Während Bildung keinem Curriculum folgt, ist Erziehung an bestimmte Inhalte und eine Didaktik gekoppelt. Die hier formulierte Abgrenzung vom Erziehungsgedanken und Hinwendung zu einem Bildungsgedanken, der die Partizipation und damit die Fähigkeit des Subjekts 28 | Projekt Take-off: Junger Tanz, tanzhaus nrw.
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zur Selbstbildung in den Vordergrund stellt, trägt, so legt die Argumentation der vorliegenden Arbeit nahe, zur Verwendung des Vermittlungsbegriffes bei und marginalisiert in der Folge den Begriff der Erziehung in diesem Kontext. Bäcker stellt fest, „dass eine Sache an sich nicht bilden kann, sondern dass Lehrende nur günstige Ausgangslagen und Zusammenhänge schaffen können, um Bildung zu ermöglichen“ (ebd.: 162). Klinge bestätigt, Bildung kann nicht „erzwungen, sondern nur angeregt und ermöglicht werden“ (Klinge 2014a: 62f.). Zusammenfassend stellt der Begriff der Tanzvermittlung die Teilhabe an künstlerischer Tanzpraxis auf der Grundlage von Selbstbildung und Eigenverantwortlichkeit in den Vordergrund. Er wird zum Label für ein Diskurs- und Praxisfeld mit heterogenen Ansprüchen, mit Bildungskonzepten, Aktionsfeldern und Personengruppen, dessen Spannungsverhältnisse Positionierungsbewegungen erfordern, die gegenwärtig noch anhalten. Die Bezugnahme des tanzpädagogischen Diskurses zur bildungstheoretisch propagierten Relevanz von Partizipation trägt zur steigenden Verwendung des Vermittlungsbegriffes bei und marginalisiert den Begriff der Erziehung. Die Analysen der vorliegenden Studie führen zu der Einschätzung, dass Tanzvermittlung vornehmlich dann als Label verwendet wird, wenn Choreograf/innen bzw. Tanzschaffende und heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Graden an Vorkenntnissen zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit findet in künstlerisch-kulturellen und damit in künstlerisch-edukativen Zusammenhängen statt und die Teilhabe und Selbstbestimmung steht im Vordergrund. Wenn diese Komponenten zentral sind, dann wird der Begriff in Kooperationen von außer- und innerschulischen Partnern, in Tanz- und Choreografieprojekten und ebenso in Ausbildungsstudiengängen (vgl. Diehl 2014) sowie in Kunstzentren (vgl. K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg 2016) verwendet.
3.9 Kritische Kunstvermittlung Mit dem Forschungsinteresse an dem Verhältnis von Kunst- und Vermittlungspraxis lässt sich die vorliegende Studie aus mehreren Gründen an den Diskurs der Kritischen Kunstvermittlung anschließen. Der Begriff der ‚Kritischen Kunstvermittlung‘ bezieht sich ursprünglich auf die Vermittlung von Werken der Bildenden Kunst. Carmen Mörsch (2009) führt dessen Anfänge auf die Bildungsreform im Westeuropa der 1960er bis 1980er Jahre zurück, die mit einer Revision der gesellschaftlichen Funktion der Museen einherging und in die Forderung nach einer ‚Kultur für alle‘ (Hoffman 1979) mündete. Seither sind die Kulturinstitutionen aufgefordert, ihre eigenen Inklusions- und Exklusionsmechanismen zu reflektieren. Mit den Einflüssen der Cultural Studies
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der 1970er Jahren werden die vorhandenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse der Kunstvermittlung verstärkt kritisch hinterfragt. Daraus erwuchs die Forderung, „das Museum zu einem Ort der Interaktion und des Austauschs zu machen. Nicht mehr nur über oder für, sondern in Kooperation mit den ProduzentInnen von Kultur im erweiterten Sinne“ (Mörsch 2009: 18) soll sich kritische Kunstvermittlung vollziehen. Seit den 1990er Jahren entwickelt sich, so Mörsch, von Seiten der Kunstpädagogik eine Verbindung der ‚Künstlerischen Kunstvermittlung‘ mit der ‚Kunstvermittlung als Dekonstruktion‘ und mündet in eine ‚Kunstvermittlung als Fortsetzung von Kunst‘ (vgl. Sturm 2005). Deren zentrales Anliegen ist, die Vermittlung des Kunstwerks „methodisch und strukturell an ihrem Gegenstand auszurichten“ (Mörsch 2009: 20) und wird entsprechend mit Methoden vollzogen, die aus der künstlerischen Praxis hergeleitet sind und die Prozesshaftigkeit und Unabschließbarkeit von Bedeutungszuweisungen akzeptiert. Auch hier ist die Reflexion des eigenen Kontextes und der darin eingeschriebenen Machtverhältnisse konstitutiver Teil des Vermittlungskonzeptes. Die sich aus diesen Einflüssen zusammen setzende Kritische Kunstvermittlung wird derzeit auch im Feld der Kulturellen Bildung und des Tanzes rezipiert (vgl. Reinwand 2012; Eger/Klinge 2015). Für Mörsch „bedeutet Kunstvermittlung die Praxis, Dritte einzuladen, um Kunst und ihre Institutionen für Bildungsprozesse zu nutzen: sie zu analysieren und zu befragen, zu dekonstruieren und gegebenenfalls zu verändern. Und sie dadurch auf die eine oder andere Weise fortzusetzen.“ (Mörsch 2009: 9)
Auf diesem Hintergrund enthält die Kritische Kunstvermittlung „insbesondere Elemente des dekonstruktiven und des transformatorischen Diskurses. Sie vermittelt das durch die Ausstellungen und Institutionen repräsentierte Wissen und ihre festgelegten Funktionen unter Sichtbarmachung der eigenen Position. Sie stellt dabei explizit Werkzeuge für die Aneignung von Wissen zur Verfügung und verhält sich reflexiv zu der Bildungssituation, anstatt sich auf die ‚individuelle Begabung‘ und ‚freie Entfaltung‘ des Publikums zu verlassen.“ (Ebd.: 20)
Mörsch differenziert vier institutionelle Diskurse der Kunstvermittlung, den affirmativen, reproduktiven, dekonstruktiven und transformatorischen Diskurs, die einander in der Praxis überlappen und auf unterschiedliche Bildungsbegriffe und -inhalte zurückgreifen. Der dekonstruktive beinhaltet das kritische Hinterfragen der Kunst sowie der Bildungs- und Kanonisierungsprozesse, indem er künstlerische Methoden, die am Kunstwerk orientiert sind, nutzt und sich meist an ein bisher ausgeschlossenes Publikum richtet und zusammen mit dem Publikum hinterfragt. Auch der transformatorische Diskurs hinterfragt seine eigenen Machtstrukturen kritisch. „Das bedeutet dass Bildung
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selbst zum Gegenstand von Dekonstruktion bzw. Transformation wird“ (ebd.: 12f.). Beim transformativen Diskurs versteht sich die Kulturinstitution „als Akteurin gesellschaftlicher Mitgestaltung“ (ebd.: 10) und bezieht auch partizipativ angelegte Projekte ein, in denen Vermittlerpersonen und Rezipient/innen gemeinsam Angebote der Kulturinstitution gestalten. Sie erproben die Aufhebung der Trennung ihrer Funktionen zugunsten eines Austausches, von dem beide Gruppierungen profitieren. Dadurch entsteht eine Haltung des ‚nicht über, sondern mit‘.29 In diesem Sinne fordert Alexander Henschel bei seiner Schärfung des Vermittlungsbegriffes im Rahmen der Bildenden Kunst,30 „AdressatInnen von Kunstvermittlung nicht per se als defizitär zu entwerfen, die verarztet werden müssen, sondern Vermittlung als Spiel wechselseitiger Anerkennung zu begreifen“ (Henschel 2014: 99). Hier lässt sich Dröges bereits erwähnte Forderung aus dem Tanzkontext anbinden, auch die Jugendlichen mit in den Konzeptionsprozess von Jugendproduktionen zu integrieren, anstatt über sie hinweg Vermittlungsprogramme zu konzipieren (Dröge 2014). Wenn Henschel schreibt, bei Kunstvermittlung sei „immer von irgendwelchen Zielgruppen die Rede, die man an den Gütern der so genannten Hochkultur teilhaben lasse“ (Henschel 2014: 97), so hinterfragt er ebenso wie Dröge nicht nur die Paternalisierung der an Vermittlungsprojekten Beteiligten, sondern reflektiert auch Vermittlung ‚als Mission‘ und Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse. Mörsch bindet diesen Aspekt an den allgegenwärtigen Ruf 29 | Für einen angemessenen Überblick werden hier auch die beiden anderen Diskurse skizziert: Die affirmative Kunstvermittlung versteht Kulturinstitutionen als Orte der Bewahrung, Pflege und Vermittlung von Kulturgut und wendet sich mit Vermittlungspraktiken wie Vorträgen, Veranstaltungen und Führungen vor allem an ein Fachpublikum. Der reproduktive Diskurs versucht, Schwellenängste abzubauen und ein fachfremdes Publikum an Kunst heranzuführen. Gängige Praktiken hierfür sind u.a. Workshops für Schulklassen und Fortbildungen für Lehrpersonen, spezielle Events wie Museumstage oder lange Nächte (Mörsch 2009: 10). In der Tanzvermittlung entspricht der reproduktive Diskurs der Rezeption von Tanzstücken in Aufführungsbesuchen und deren Reflexion sowie Probenbesuche von Schüler/innen in professionellen Kompanien, Interventionen von Künstler/innen in Schulklassen und Werkeinführungen. Dabei bleiben die Schüler/ innen meist weitgehend rezeptiv, sind als Zuhörer/innen beteiligt und können Fragen stellen. Mörsch zufolge wohnt dem affirmativen und reproduktiven Diskurs keine Reflexion der Machtstrukturen der anbietenden Institution inne, sondern er bleibt auf einer unkritischen Ebene gegenüber der Bildungsarbeit. 30 | Henschels Ausführungen beziehen sich auf ein Beispiel der Kunstvermittlung im Bereich der Bildenden Kunst, bei dem ein Museum für zeitgenössische Kunst Vermittlungsmaßnahmen ergreift, um die vornehmlich aus Migranten bestehende Bevölkerung des nahegelegenen Stadtteils am kulturellen Kulturgut des Museums teilhaben zu lassen.
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nach Partizipation an. Denn für sie „stellt sich nicht nur die Frage, wer in welchem Umfang woran partizipiert, sondern vor allem auch, wer in der Position ist, Partizipation zu erlauben, und wer die Verantwortung für deren Wirkungen trägt“ (Mörsch 2009-2012b: 88). Mörsch schreibt den Kunstvermittler/ innen im Kontext der Bildenden Kunst eine kritische Haltung zu: „Kritische Kunstvermittler_innen glauben nicht, dass Kunst per se gut für alle Menschen ist, sondern erkennen das zurichtende in dieser Setzung. Sie wollen nicht, dass ihre Bildungsarbeit dazu führt, ‚Arbeitskräfte auszubilden, die kreativ und flexibel sind‘, wie es in der 2010 veröffentlichten UNESCO-‚Roadmap for Arts Education‘ heißt, sondern sie streben die Bildung von Widerständigem an. Sie begeben sich aber auch in Widerspruch zu den Heroisierungen emanzipatorischer pädagogischer Ansätze und befragen diese unter anderem auf ihre autoritativen Elemente und wiederum auf ihre Anschlussfähigkeit an neoliberale Verhältnisse.“ (Mörsch 2012: 64f.)
Henschel führt diese Argumentation weiter, indem er sich eingehend mit dem Widerspruch im Vermittlungsbegriff befasst: Er kritisiert die für ihn fälschlicherweise weit verbreitete Ansicht, die Funktion von Vermittlung bestehe darin, „Verbindung zu schaffen, Lösungen herbei- oder gar Heilung durchzuführen. Die immer wieder aufgerufene Metapher der Brücke [...] suggeriert, als könne man einen Bruch, einen Konflikt, einen Widerspruch, eine Lücke durch Vermittlung überbrücken und ihn so nivellieren.“ (Henschel 2014: 95)
Seine Recherchen zur älteren Wortgeschichte von Vermittlung legen „das Gegenteil von Vermittlung als Verbindung nahe“ (ebd.), sondern weisen sie als Trennung aus, als „hindernd wozwischen treten“ (Lexer 1878: Sp.181). Er schlussfolgert: „Bei jeder Form des Vermittelns, bei der ein Dritter eine Rolle spielt, bei der also ein Dritter als Vermittler sich zwischen zwei Teile schiebt, wird verbunden und getrennt zugleich“ (Henschel 2014: 95). Im Zentrum sollte für Henschel eine wechselseitige Anerkennung stehen. Er rekurriert hier auf Hegel, der die Anerkennung als konstitutives Element in Vermittlungsprozessen heraus arbeitet: „Jedes ist dem anderen die Mitte, durch welche jede sich mit sich selbst vermittelt und zusammenschließt und jedes sich mit dem andern unmittelbares für sich seiendes Wesen, welches zugleich nur durch diese Vermittlung so für sich ist. Sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend.“ (Hegel 1980: 110)
Henschels Analyse führt ihn zu der Erkenntnis, dass es „die Funktion der Vermittlung [ist], mit Konflikten, Brüchen und Widersprüchen zu arbeiten“
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(Henschel 2014: 96). Daraus folgt für ihn: „Es gibt – hält man sich an den Begriff der Vermittlung – keine Lösung!“ (ebd.: 99). Mit diesem Fazit plädiert er für einen „differenzierten Vermittlungsbegriff, der seine eigene Ambivalenz anerkennt“ (ebd.: 100). Henschel stellt auch in Frage, ob bei Vermittlung im Sinne einer unidirektionalen Transferleistung überhaupt „sinnvoll“ (ebd.: 93) von Vermittlung gesprochen werden kann, denn seinem Verständnis nach bedingen Lehr-Lernprozesse einander und Lerneffekte stellen sich wechselseitig ein. Er formuliert „eine mehrperspektivische Vermittlungspraxis“ als „Kooperation aus vielen Richtungen. In Vermittlung ernsthaft involviert – statt ihr bloß ausgesetzt – sein müsste also heißen, anerkannt zu werden und an den Spielregeln von Vermittlung mitschreiben zu können“ (ebd.: 94). Mehrperspektivische Vermittlungspraxis bedeutet für ihn eine gleichwertige Akzeptanz aller Herangehensweisen an Kunst. Damit fordert er nicht nur die aktive Teilhabe an Kunst, sondern auch an ihrer Vermittlungspraxis. In der Debatte um die Tanzvermittlung steht eher das Auflösen von Gegensätzen im Vordergrund, bei Henschel das Trennende, womit das Verbindende und das Trennende als ambivalente Bestandteile von Vermittlung stehen. Henschel schlägt vor, Vermittlung eher als „Relations- statt Substanzbegriff“ (ebd.: 97) zu benutzen, denn für ihn ist „Vermittlung stets abhängig [...] von dem, auf das sie sich bezieht. Vermittlung ist abhängig von der Geschichtlichkeit und Wandelbarkeit ihrer Relate und ist deshalb konstitutiv als offener Prozess zu denken, der Veränderung impliziert.“ (Ebd.)
Henschels Ausführungen zu Vermittlung als Relationsbegriff sowie seine Differenzierung der etymologischen Bedeutungsvarianten von Vermittlung bilden gewinnbringende Anschlussmöglichkeiten für die vorliegenden Studie. Sowohl das Relationale als auch die Bedeutungsvarianten finden sich in den Ergebnissen der empirischen Untersuchung wieder31 und werden im Verlauf der Studie auf die Vermittlungspraxis gegenwärtiger Choreografie bezogen spezifiziert.32 Einen relationalen Aspekt der Vermittlungspraxis greift auch Mörsch auf, denn für sie bedeutet künstlerische Vermittlung, „in relationalen und ambivalenten, vieldeutigen und nicht zuletzt auch gewaltvollen Verhältnissen zu arbeiten“ (Mörsch 2015: 28). Im Zuge ihrer Überlegungen zur „Kunstvermittlung als kritische Praxis innerhalb des educational turn in curating“ (Mörsch 2012) konstatiert Mörsch bei den Kunstvermittler/innen im Ausstellungskontext Vermittlungspraktiken, die das Gelingen der Vermittlung aus Sicht der Erwartungen der Veranstalter garantieren. Sie bezeichnet diese als „professio 31 | Vgl. Kap. 4., 5., 6. in dieser Studie. 32 | Vgl. Kap. 5. in dieser Studie.
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nelle Reflexivität“ bzw. „‚Reflexivität erster Ordnung‘“ (ebd.: 57). Allerdings geht diese für Mörsch aber nicht so weit, „die Macht-Wissens-Komplexe, die die Kriterien für Gelingen und für erwünschte Effekte hervorbringen, zu hinterfragen“ (ebd.: 62). Unter „‚Reflexivität zweiter Ordnung‘“ (ebd.: 67) versteht sie im Unterschied dazu Fragen an das Ausstellungsereignis als Ganzes in einem übergeordneten Rahmen, zum Beispiel wer die Nutzungsweisen des jeweiligen Ereignisses und Ortes definiert, wie diese Definition kommuniziert wird und „welche Lehren des Ein- und Ausschlusses, der Legitimität von Nutzungsweisen, welche Regulierungen und Disziplinierungen die Displays und die Räume einer Ausstellung produzieren“ (ebd.: 58). Hinter den sichtbaren Akten der Vermittler/innen läuft, so Mörsch, immer auch ein hidden curricula, sodass sich ebenfalls die Frage stellt, wo dieser herkommt, wie er die offensichtlichen Regulierungen beeinflusst, gegebenenfalls intensiviert oder unterläuft. Diese „‚Reflexionen zweiter Ordnung‘“ (ebd.: 60) sind für Mörsch die Voraussetzung für eine Kritische Kunstvermittlung. Dazu gehört für sie, das Verhältnis von Macht und Wissen zu hinterfragen, von dem die Gelingensbedingungen und Erwartungen des Ausstellungsereignisses gesteuert werden. Eine Reflexivität zweiter Ordnung besteht für Mörsch, wenn sich Kunstvermittler/innen in eine kritische Distanz zu ihrer Bildungsarbeit begeben und zusammen mit den Beteiligten darin enthaltene Machtstrukturen reflektieren, unterwandern und transformieren.33 Kritische Kunstvermittlung bedingt ebenfalls, Handlungsalternativen für Veränderungen zu entwerfen und nicht nur eine reine „‚Reflexivität zweiter Ordnung‘, die letztendlich ohne normativ-ethische Entgegensetzungen auskommt und auch schlicht zur Optimierung der bestehenden Verhältnisse dienen kann“ (ebd.: 67). Für Mörsch enthält der viel zitierte „Wunsch der Kooperation auf Augenhöhe von einer machtvollen Position aus“ (ebd.: 75) einen „unauflösbaren Widerspruch“ (ebd.), denn Institutionen wie Museen, ebenso wie Veranstalter von Tanzprojekten, Choreografische Zentren oder Theater agieren von vorneherein aus Machtpositionen und beruhen Mörsch zufolge auf materiellem, symbolischem, kulturellem oder sozialem Kapital. Um diesen „Widerspruch produktiv zu machen“ (ebd.) fordert Mörsch eine aktive „Arbeit an der bewussten Herstellung von Verhältnissen auf Augenhöhe“ (ebd.) seitens der Institutionen und ihre Partner. Diese Ausführungen machen deutlich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der institutionellen Dimension von Kunst als Reflexion ihrer Machtstrukturen in der Kritischen Kunstvermittlung bereits weit entwickelt ist. Sie liefert damit die Basis für einen Weg zu einer kritischen Choreografievermittlung, zu der die vorliegende Studie einen Beitrag leisten möchte. Neben Mörschs Arbeiten zur Theoretisierung der Praxis der Kunstvermittlung erforscht sie auch die Praxis der Kulturvermittlung. Letztere verbindet 33 | Die detaillierte Beschreibung eines Beispiels findet sich in Mörsch (2015).
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pädagogische, künstlerische und gesellschaftliche Dimensionen und folgt einem intentionalen Einsatz der Kunst zum Zwecke der Bildung im Schulkontext (vgl. Mörsch 2009-2012a).34 Mörsch widmet sich der Zusammenarbeit von Schulen, Kultureinrichtungen und Vermittlerpersonen an „der Schnittstelle von Kunst und Bildung“ (Mörsch 2014: 5) sowie Fragen der Qualitätssicherung, die auch Angebote aus dem Tanzbetrieb einbeziehen. Das Erfahrungswissen der Beteiligten veröffentlicht Mörsch in Form einer „Handreichung“, die sich als „‚Diskussionsgrundlage‘“ und „‚Orientierung‘“ (ebd.: 2) versteht. Diese lässt sich parallel zum Qualitätsrahmen des Bundesverbandes Tanz in Schulen lesen, der als Leitfaden dienen soll (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012). Mörsch sieht die Kriterien und Arbeitsprinzipien entsprechend ihres Gegenstandes als prozesshaft an. Die Konzepte der Arbeit der Künstler/innen im Rahmen der Schule sind sowohl „‚von Kunst aus‘ gedacht, das heisst, sie nehmen gegenwärtiges und/oder vergangenes künstlerisches Schaffen als Ausgangspunkt für ihre Inhalte und ihre Methoden“ (Mörsch 2014: 2), als auch „von den Beteiligten aus gedacht“ (ebd.), das heißt, sie gehen bei der Projektgestaltung von den Interessen und Potentialen der Teilnehmenden aus. Vermittlung ‚von Kunst aus‘ zu praktizieren (vgl. Sturm 2011, 2005), entspricht dem Ansatz der vorliegenden Studie und der Tatsache, dass Tanz- und Choreografieprojekte im Bildungskontext gegenwärtig vornehmlich von Künstler/ innen realisiert werden und nicht von Lehrer/innen, also nicht ‚von Pädagogik aus‘ praktiziert werden. Hierin besteht ein weiterer Grund für den Anschluss an die Kritische Kunstvermittlung. Im Rahmen des komplexen Anforderungsgefüges sehen sich die Künstler/ innen bzw. Kulturschaffenden35 in der Schule enormen Spannungsverhältnissen ausgesetzt, die Mörsch zufolge kaum aufzulösen sind. Ihre Arbeit besteht zwar aus künstlerischen Tätigkeiten, unterscheidet sich davon aber gleichzeitig maßgeblich „durch den dezidiert pädagogischen Zielhorizont“ (Mörsch 2014: 5). Für Mörsch liegt der Fokus künstlerischer Arbeit im Schulkontext nicht darin, „erfolgreich Kunst zu machen, sondern es geht darum, ein künstlerisches Bildungsgeschehen in allen seinen Dimensionen gelingen zu lassen“ (ebd.). Mit diesem Statement formuliert Mörsch eine Priorität seitens der Bildungsperspektive. Sie sieht den reflexiven, produktiven und professionellen Umgang mit den Spannungsverhältnissen, denen sich die Kulturschaffenden in der Schule ausgesetzt sehen, als zentrales Arbeitsprinzip und Qualitätsmerkmal 34 | „Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung“ bereitet neun zentrale Themenbereiche der Kulturvermittlung auf: den Begriff selbst, die Adressierung, Inhalte, Funktionen, Akteure, Qualität, Darstellung und Dokumentation und bezieht sich nicht nur auf Bildende Künste, sondern auch auf Darstellende Künste. 35 | Die Bezeichnung Kulturschaffende versteht Mörsch allgemeiner als Künstler/ innen.
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der Kulturschaffenden sowie als Erwartung, die an die Vermittler/innen in diesem Kontext gestellt werden. Mörsch setzt den Umgang mit der Heterogenität der Arbeitssituation als Qualitätsmerkmal von Vermittlungspraxis, nicht fachliche, pädagogische, didaktische und methodische Kompetenzen und stellt die Situativität der Vermittlungspraxis in den Mittelpunkt. Die vorliegende Studie beruht auf dem gleichen Ansatz und entwickelt als Konsequenz aus der Personen- und Kontextbezogenheit der Situation einen offenen Fragenkatalog mit optionalen Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde.36
3.10 Positionierung der Studie In diesem Kapitel wurden Tanzprojekte aus der Perspektive des Kreativitätsdispositivs, der Kulturellen Bildung, der Tanzpädagogik, der Tanzvermittlung und der Kritischen Kunstvermittlung betrachtet. Damit ist der theoretische Rahmen gesetzt, um sich der Spezifik von Choreografieprojekten und Choreografievermittlung zuzuwenden und zwei Projekte empirisch zu erforschen, die explizit eine choreografische Praxis in den Vordergrund stellen. Die vorliegende Studie richtet ihren Fokus im nächsten Kapitel methodisch und inhaltlich auf das doing des Vermittelns und möchte, ganz im Sinne des Verbs, die „Augenblicke des Auftauchens selbst“ (Mersch 2002: 19) erfassen. Sie ist damit in der inhaltlichen Dimension der Tanzvermittlung zu verorten. Auf ethnografischem Wege soll das implizite Vermittlungswissen, welches der Arbeitshypothese folgend dem künstlerischen Prozess des Choreografierens inhärent ist, expliziert werden. Dieser Ansatz „nimmt die an der Vermittlungssituation Beteiligten mit deren spezifischem Wissen ernst“ (Mörsch 2009: 20) und stellt den Prozess ins Zentrum, nicht das Ergebnis eines gelungenen oder misslungenen Kompetenz- und Wissenstransfers. Nicht Voraussetzungen und Gelingensbedingungen werden in den Blick genommen, sondern das Interaktionsgeflecht aller Partizipanden. Die empirische Untersuchung, deren Ergebnisse im folgenden Kapitel dargestellt werden, konzentriert sich auf die Mikroebene der Proben- bzw. Unterrichtssituation und legt die Logik der Vermittlungspraxis am Beispiel zweier Choreografieprojekte frei. Sie möchte aufdecken, welche Bedeutungsvarianten von Vermittlung in Erscheinung treten, wenn Künstler/innen und Schüler/innen sowie Erwachsene in künstlerisch-kulturellen Kontexten choreografieren. Die Frage, wie sich choreografische Praxis als Vermittlungspraxis vollzieht, schließt an die Kritische Kunstvermittlung an, die auf geplante und reflexive Art und Weise künstlerische Methoden als Vermittlungsmethoden von Kunst einsetzt und Vermittlung und Kunst miteinander verknüpft. Künstlerische 36 | Vgl. Kap. 5.4. in dieser Studie.
Tanzvermittlung
Praktiken werden in der Vermittlungssituation verwendet, mithin als Vermittlungspraktiken verwendet. Das entspricht Tanz- und Choreografieprojekten, in denen Künstler/innen in Vermittlungskontexten eingesetzt werden, hier also ebenfalls ‚von Kunst aus‘ und nicht ‚von Pädagogik aus‘ gedacht wird. Indem die vorliegende Studie fragt, wie sich choreografische Praktiken als Vermittlungspraktiken vollziehen, sieht sie deren Verwobenheit von vornherein als gegeben an.
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4. Choreografie vermitteln
In der Analyse des empirischen Datenmaterials wurden mithilfe des ethnografischen Kodierens sieben konstitutive Praktiken des Vermittelns beim Choreografieren identifiziert:
Aufgabenstellen
Ausprobieren Aufrechterhalten Klären Auswerten Aushandeln Teilhaben/Teilnehmen
Abb. 7: Praktiken des Vermittelns 1
Jede der sieben Praktiken setzt sich aus einer Vielzahl von Ethnomethoden zusammen. Dieser Begriff stammt von Harold Garfinkel (1967), der die zen trale Bedeutung der Situierheit sozialer Ordnung in den ethno-methods (Bergmann 2011) sah, die er als spezifische Fähigkeiten eines Feldes identifizierte. Garfinkel zeigte am Beispiel von Geschworenen auf, dass diese fähig sind, Entscheidungen in kompetenter Art und Weise zu treffen und glaubhaft zu vertreten, obwohl sie als Geschworene unerfahren sind. Dieser Befund beruht auf der „prozessualen und autogenetischen Qualität sozialer Ordnungsstrukturen“ (ebd.: 230), aufgrund derer sich Ethnomethoden feldintern erschließen. Bergmann spricht auch von „generischen Mechanismen“ (ebd.), da sie keiner Fachexpertise bedürfen. Die folgenden Einblicke in die beiden empirischen Forschungsfelder2 zeigen, wie Beteiligte verschiedener Altersstufen mit unterschiedlichen Erfahrungsbeständen Vermittlung praktizieren. Sie greifen dabei auf ihnen bekannte Ethnomethoden zurück, verändern sie gegebenenfalls und 1 | Im Laufe des Kapitels werden weitere Kombinationen und Gewichtungen von Praktiken des Vermittelns dargestellt, auf deren Betitelung im Folgenden verzichtet wird. 2 | Vgl. Einleitung: Forschungsfeld und empirisches Material in dieser Studie.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
erzeugen situationsbedingt neue Ethnomethoden. Die in der Studie identifizierten Ethnomethoden werden themenbezogen als ‚Vermittlungsmethoden‘ bezeichnet und sind nachfolgend in einer Übersicht dargestellt:
Formulieren
Aufgabenstellen
Berühren
Aufgreifen und Ableiten
Strukturieren
Mit Gefühlsäußerungen Auskünfte geben Fragen und Antworten
Einbringen
Formulieren und Veranschaulichen: Intermediales Beispielgeben
Klären
Nachvollziehbarmachen
Gemeinsame Sprache aufbauen
Ausprobieren Verzahnen
Anpassen
Reflektieren Beobachten
Auswerten
Rückmelden
Choreografie vermitteln
Ausprobieren nach dem Auswerten
Ausprobieren und Auswerten
Auswerten beim Ausprobieren
Teilhaben/Teilnehmen
Anleiten
Auswerten nach dem Ausprobieren
Entscheiden
Ausprobieren beim Auswerten
Kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden
Sharing
Auffordern und Instruieren
Fluktuieren von Funktionen Meinungen äußern
Aushandeln
Vorschlagen
Aufrechterhalten Verankern
Notieren
Abb. 8: Vermittlungspraktiken und -methoden
Die wechselnden Kombinationen und Gewichtungen der Praktiken-Komplexe (vgl. Reckwitz 2008b) legen die Logik der Vermittlungspraxis frei, zeigen, welche etymologischen Bedeutungsvarianten von Vermitteln praktiziert werden und wie dies vonstatten geht.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Aus forschungsethischen und rechtlichen Gründen des Datenschutzes werden die Beteiligten in diesem Kapitel anonymisiert, was auch dem Zweck der Ab straktion und Neutralisierung vorgeprägter Funktionszuweisungen dient. Den Choreografinnen, Jugendlichen und Erwachsenen wird ein Pseudonym zugeordnet, ohne deren Machtverhältnisse als ‚Choreografin‘ oder ‚Gruppenmitglied‘ aufzurufen. Heimliche Orte – Verborgene Welten wird im Folgenden als Projekt 1 mit der Gruppe 1 bezeichnet und Ursina Tossi wird als Anja bezeichnet. Hinter den Gärten wird als Projekt 2 mit der Gruppe 2 und Isabelle Schad wird als Birgit bezeichnet. Mit Beteiligte, Teilnehmende, Anwesende und Mitwirkende sind die Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen gemeint. Die Darstellung der Forschungsergebnisse geschieht in zusammenfassenden Beschreibungen aus den Beobachtungsprotokollen sowie in Detailanalysen relevanter Beispielsituationen, die sich durch eine kleinere Schriftgröße vom restlichen Textkorpus abheben, und daraus abgeleiteten analytischen Schlussfolgerungen zur Vermittlungspraxis in der üblichen Textgröße. Diese Darstellungsform begründet sich in dem Bemühen um eine optische Differenzierung zwischen empirischem Feldmaterial und der Perspektive der Forscherin mit ihren analytischen Kommentaren (vgl. Emerson/Fretz/Shaw 2007), deren Wechsel die Situation für die Leser/innen nachvollziehbar machen möchte. Transkribierte Aussagen aus dem Feld sind in doppelte Anführungszeichen, Paraphrasierungen in einfache gesetzt. In Anlehnung an Flick (2004a) finden folgende Transkriptionssymbole Anwendung: • • • •
Umgangs-: unvollständiges Wort oder abgebrochener Satz (3): Sprechpause in Sekunden Aalso: Dehnung, die länger als der normale Redefluss dauert Guckt mal, wie ihr möglichst einfach drehen könnt: Betonung oder Hervorhebung • (Mesuderm): Unverständliches Wort • [Aber ich] wenn 2 oder mehr Personen gleichzeitig sprechen • ((Lachen)): parasprachliche Phänomene wie Lachen oder Seufzen Zitate aus dem empirischen Material werden, dem praxeologischen Grundsatz der Verwobenheit von Empirie und Theorie folgend, genauso behandelt wie Zitate aus der wissenschaftlichen Literatur. Zum Zweck eines überschaubaren Textumfangs werden nicht für jede Vermittlungsmethode Beispiele aus beiden Projekten aufgeführt, sondern repräsentative Situationen ausgewählt. Die sieben Vermittlungspraktiken bilden die Schnittmenge beider Projekte ab, projektspezifische Ethnomethoden werden als solche ausgewiesen.
Choreografie vermitteln
4.1 Aufgabenstellen Aufgaben werden in das Feld eingebracht, aus diesem aufgegriffen und abgeleitet. Sie artikulieren die Themen der choreografischen Praxis, setzen die Zusammenarbeit in Gang, können verbal, visuell oder durch Berührung gestellt werden und strukturieren Erfahrungsgelegenheiten in Raum und Zeit. Einbringen Bewegungs-, Schreib-, Hör-, Sprech-, Wahrnehmungs-, Erinnerungs-, Imaginations-, Übertragungs-, Interaktions-, Berührungs- und Gestaltungsaufgaben einbringen Bewegungs-, Interaktions- und Choreografieverständnis einbringen Vorkonzipierte und spontane Bewegungsideen und Aufgabenumsetzungen einbringen Aufgreifen und Ableiten Im Bewegungs- und Interaktionsverhalten Ideen anbieten Aufgabenstellungen aus Bewegungs- und Interaktionsangeboten der Agierenden aufgreifen und ableiten Vorhandenes verstärken Formulieren Explorativer, fragender, reflexiver, direktiver, metaphorischer, optionaler Formulierungsmodus Aktionsspielräume erweitern oder eingrenzen; Regelwerke erstellen Mit Aufgabenreihungen in ein Thema einführen; Mit Aufgabenkombinationen Komplexitätsgrad steigern Pädagogische Intention formulieren; Im Warm-up Bewegungsqualitäten und Szenenreihenfolge einführen Über-, Unterforderungsgrade, Aufmerksamkeitsbindung und Parallelaktionen in Beziehung setzen Berühren Strukturieren Raum strukturieren: Sich platzieren; Sich räumlich differenzieren; Anordnungen bilden; Ortsbezogene Praxis Zeit strukturieren: Aufgabenbeginn und -ende angeben; Aktionsdauer ankündigen; Aktionswechsel einleiten; Der Dynamik des Geschehens folgen Erfahrungsgelegenheiten strukturieren Abb. 9: Vermittlungsmethoden beim Aufgabenstellen
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Einbringen Alle Beteiligten besitzen vielfältige Erfahrungs- und Wissensbestände von Bewegungs-, Interaktions- und Vermittlungsprozessen aus dem Alltagsleben und bringen sie in ihre choreografische Praxis ein. Im Vermittlungsgeschehen werden diese situativ angepasst und weiter entwickelt und erzeugen gemeinsame Erfahrungs- und Wissensbestände. „Aufgabenstellungen“, wie sie Anja und Birgit nennen, bilden Auslöser, um in Aktion zu gehen. Bewegungs-, Schreib-, Hör-, Sprech-, Wahrnehmungs-, Erinnerungs-, Imaginations-, Übertragungs-, Interaktions-, Berührungs- und Gestaltungsaufgaben werden in die Arbeit eingebracht. Sie werden als Einzel-, Partner- und Gruppenaufgaben praktiziert. Die choreografischen Praxen bestehen in den beiden begleiteten Projekten unter anderem aus Körper-, Raum- und Gruppenwahrnehmung, aus Interaktionen mit Körperkontakt wie zum Beispiel Kettenreaktionen bei der Weitergabe von Berührungen sowie dem ortsbezogenen Umgang mit Materialien auf einem Hybrid aus Brache und Garten. Die Beteiligten generieren festgelegtes und wiederholbares Bewegungsmaterial aus verschiedenen Fortbewegungsarten und Interaktionen. Beim körperlichen Nachzeichnen der im Raum vorhandenen Linien oder beim Spiel mit dem Bewegungsverhalten in öffentlichen Räumen sowie in einer nachempfundenen Touristenführung ermitteln sie Abstraktions- und Übertragungsprozesse. Sie verknüpfen Bewegungs- und Textmaterial und arbeiten mit veränderbaren Kombinationen aus Regelwerken und spontanen Entscheidungen. Einige der vielfältigen Aufgabenstellungen zu diesen Themen werden im Laufe des vorliegenden Textes ausgeführt.
Aufgreifen und Ableiten; Vorhandenes verstärken Verbale Aufgaben, die sich an die gesamte Gruppe richten, werden vornehmlich von Anja und Birgit in die Praxis eingebracht. Einige davon haben sie vor Beginn der Probensituation entwickelt und ‚übermitteln‘ bzw. ‚überbringen‘ also eine Idee oder ein Thema bzw. ‚lassen dieses zu jemandem gelangen‘. Aus diesem vorerst unidirektionalen Vorgang entstehen im Feld multidirektio nale Prozesse: Anjas und Birgits Aufgabenstellung werden oftmals mit Fragen der Gruppenmitglieder zum Verständnis der Aufgabe durchsetzt. Beim anschließenden Ausprobieren einer Aufgabe geben die Beteiligten einander fortwährend körperliche bzw. visuelle Informationen und bieten mit ihrem Bewegungs- und Interaktionsverhalten Ideen für Umsetzungsmöglichkeiten der Aufgabe an. Wenn diese als Auskünfte wahrgenommen und ausgewertet werden, lassen sich daraus weitere Aufgaben ableiten:
Choreografie vermitteln Alle stehen im Kreis und jeder hat eine Flasche in der Hand. Birgit kündigt an: „Ich möchte versuchen, den Bezug von Bewegung, Zentrum und Objekt herzustellen“ und alle sollen nun „die Flasche in einer kreisenden Bewegung in der Form einer liegenden Acht um das Becken herum bewegen“. Alle probieren das Übergeben der Flasche von einer Hand in die andere aus. Birgit unterbricht ihren Bewegungsfluss bei der Übergabe nicht und alle übernehmen diese Version, ohne dass Birgit dazu etwas sagt. Dann verlagert sie beim Übergeben der Flasche das Gewicht jeweils stärker auf das linke, dann auf das rechte Bein und die meisten aus der Gruppe übernehmen auch diese Ausprägung.
Die Agierenden beobachten Birgit also, während sie sich bewegen und greifen deren visuell kommunizierten Details auf. Damit geben sie wiederum visuelle Rückmeldungen an Birgit, die ihrerseits die Agierenden beobachtet und deren Bewegungsverhalten auswertet: „Ja, und dann ist das Angebot jetzt von Christa, die schon ein Stück weiter ist - dann ruhig gucken, wo es einen weiter führt ((lacht)) ohne dass es sehr volontär, sehr willentlich ist“. Christa hat offensichtlich in ihrem Bewegungsverhalten visuell Umsetzungsmöglichkeiten der gegenwärtigen Aufgabe angeboten, die Birgit beobachtet hat, aufgreift, für alle Anwesenden beschreibt und als „Angebot“ betitelt. Dann leitet sie daraus die nächste Aufgabe ab und stellt sie an alle: Birgit meint, die Leute sollen schauen, ‚wo die Richtung sei und wie die Bewegung sich weiter entwickle‘. Wenig später ruft sie „ssssehr schön, Elsa, viel besser, waoh, da tut sich viel von gestern auf heute, ja, (2) nicht rot werden, nee, wirklich wunderbar, freut mich sehr.“
Diese Aufgabe verstärkt den bei Christa bereits vorhandenen Aspekt der Raumrichtung. Zusätzlich bestätigt Birgits Meinungsäußerung zur Bewegungsausführung von Elsa eine Veränderung und bezieht sich somit auf Vorangegangenes. Damit praktiziert sie eine Form des Aufrechterhaltens. Birgit: „Genau, das ist ein sehr schönes Angebot jetzt von Christian, von Seite zu Seite, von Seite zu Seite und von Seite über unten zur Seite (1) und immer nur vom Zentrum ausgehen, ja.“
Erneut greift Birgit das Bewegungsverhalten eines Agierenden auf und verstärkt das Vorhandene. Gleichzeitig verankert sie den Begriff „Angebot“ in der gemeinsamen Sprache, was zum Klären und Aufrechterhalten beiträgt. Aufgaben entstehen während der gemeinsamen Praxis auch implizit, „ohne ausdrücklich erwähnt zu sein“ (Hügli/Lübcke 2013: 434), wie sich mehrmals beim exzessiven Lachen zeigt:
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung In einer Partnerübung mit Berührung besteht die Aufgabe darin, den Atem am Körper des anderen zu spüren und eventuelle Bewegungen und Geräusche wahrzunehmen. Georgia, die mit Iris arbeitet, lacht ständig, versucht zwar, es zu unterdrücken und schaut unsicher um sich, schafft es aber offensichtlich nicht. Ihr exzessives Lachen durchdringt den ganzen Raum, niemand kann es überhören, niemand schaut zu Georgia hinüber, niemand sagt etwas.
Der Umgang mit dieser Gefühlsäußerung stellt eine Aufgabe an alle Anwesenden. In der Tatsache, dass niemand darauf reagiert, wird ein implizites Wissen von sozialen Praktiken sichtbar: „Das Geschehen verlangt bestimmte Formen der Teilnahme, und es lässt zugleich Abweichungen zu“ (Schmidt 2012: 9f.). Im Hinnehmen der Gefühlsäußerung erhalten die Anwesenden die Stabilität und Regelmäßigkeit ihrer laufenden Praxis aufrecht.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden des Vermittelns werden situationsadäquat gewichtet und kombiniert. • Multidirektionale Prozesse prägen die Praxis, dabei zirkulieren Ideen sowie Erfahrungs- und Wissensbestände aller Beteiligten. Birgit und Anja bringen ihr bereits vorhandenes, feldextern gewonnenes Bewegungs-, Interaktions- und Choreografieverständnis in Form von Aufgabenstellungen in die Praxis ein. Die anderen probieren die eingebrachten Aufgaben aus, setzen sie in Aktion um und bringen dabei ihrerseits feldextern gewonnenes Bewegungs-, Interaktions- und Choreografieverständnis ein. Sie erzeugen feldinterne individuelle sowie kollektive Erfahrungen, die sich aus den Vorprägungen aller Beteiligten zusammensetzen und die gemeinsame Vermittlungspraxis erzeugen. • Geplante und emergente Anteile zeigen sich beim Aufgreifen in wechselnden Gewichtungen und zeugen von der Unabgeschlossenheit des Vermittelns. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln treten in einer Vielzahl auf: Beim Einbringen von Aufgaben wird Vermitteln als ‚Mittel zu etwas geben und verursachen‘ praktiziert. Beim Aufgreifen und Ableiten ‚übermitteln‘ bzw. ‚überbringen‘ Birgit und Anja ihre Ideen und Themen und ‚lassen diese zu jemandem gelangen‘.
Formulieren In beiden Projekten finden Vermittlungsprozesse zu einem großen Teil über die Sprache statt und so zeigt sich das Formulieren als häufige Vermittlungsmethode in allen Praktiken. Aufgaben „in eine angemessene sprachliche Form [zu] bringen“ (Duden 2011: 626) ist für die Vermittlungspraxis von zentraler Be-
Choreografie vermitteln
deutung und mussen ebenfalls ausprobiert werden, wie Birgit bei ihrem Versuch anmerkt, eine nach unten gehende Bewegung zu beschreiben: „und die absteigende Richtung (2) ja, das Absteigen weiter durch gehen (1) ach, ich finde auch nicht immer die richtigen Worte und stotter’ da so vor mich hin ((lacht))“. In seltenen Fällen wird eine Aufgabe lediglich mithilfe des verbalen Kommunikationskanals gestellt, wie die folgende Aufgabenreihung. Sie bedarf weder für die Aufgabenstellende noch für die Praktizierenden visueller Informationen, da es um Körper- und Raumwahrnehmungen mithilfe der Vorstellungskraft geht. Die Auswahl der Vermittlungsmethode erfolgt hier also themenbezogen. Die Mitwirkenden liegen mit der Körperrückseite im Raum verteilt auf dem Boden. Anja sitzt zwischen ihnen und spricht mit geschlossenen Augen. Alle sollen ‚die Aufmerksamkeit auf die Geräusche im Raum lenken‘. Es ist zu hören, wie Nathalie ganz leise mit den Fingernägeln auf den Boden trommelt. Daraufhin ist auch von anderen leises Klopfen zu hören. Anja meint nun, alle sollen ‚ihre Körperhaltung beim Lauschen beobachten und genau beobachten, wo und wie das geschieht‘. Dann sollen sie speziell ‚auf die Geräusche außerhalb dieses Raums hören‘ und später ‚auf die Geräusche innerhalb des Körpers, auf die Atmung oder Bewegung im Körper, vielleicht auch auf die Verdauung‘. Dann sollen sie ‚alle drei Räume zusammenbringen, den Körperinnenraum, den Raum in dem wir sind und den Raum außerhalb‘. Anja wiederholt die Aufgabe: „Bring alles zusammen. Wo und wie passiert das?“ fragt sie in den Raum hinein und fügt hinzu, alle Geräusche seien gleich wichtig.
Diese Aufgabenreihung strukturiert Erfahrungsgelegenheiten, indem sie Wahrnehmungen anbietet, die sich auf das Lokalisieren unterschiedlicher Räume durch Hören und Fühlen beziehen. Sie folgt einer Logik, die zuerst Räume mithilfe der Vorstellungskraft immer weiter öffnet, dann auf den Körperinnenraum konzentiert und am Ende alle miteinander verbindet.
E xplorativer, fragender, reflexiver, direktiver, metaphorischer, optionaler Formulierungsmodus Bei Betrachtung der Relate3 von Aufgabenstellungen ergeben sich Fragen zum Zusammenhang zwischen • dem Praxisthema und dem Grad ihrer Offen- bzw. Geschlossenheit (Was) • seinem Komplexitätsgrad (singuläre Aufgaben, Aufgabenreihungen und -kombinationen) (Was) • dem Bekanntheitsgrad (Was) 3 | Der Begriff „Relate“ (Henschel 2014: 97) wird in dieser Studie als Synonym für ‚Komponenten‘ verwendet. Beide Begriffe treten wechselweise auf.
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• dem Formulierungsmodus und dessen Verständlichkeit (Wie) • den Beteiligten (Wer) • und dem Kontext (Wo, Wann). Welche Aufgaben werden als offen oder geschlossen und welche Formulierungen werden als verständlich oder kompliziert wahrgenommen? Wie hängt der Komplexitätsgrad einer Aufgabe mit der Verständlichkeit ihrer Formulierung zusammen? Eine komplexe Aufgabe kann verständlich formuliert sein und eine einfache Aufgabe kann so umständlich formuliert sein, dass sie kompliziert erscheint und wenn sie verständlich formuliert wäre, könnte sie gegebenenfalls auch einfach umzusetzen sein. Um den Komplexitätsgrad einer Aufgabe einzuschätzen, können einige Fragen helfen: Handelt es sich um eine singuläre Aufgabe, eine Aufgabenkombination, eine Aufgabenreihung, eine Einzel-, Partner- oder Gruppenaufgabe? Die Wahrnehmung von ‚komplex‘ ist subjektiv und personen- und situationsgebunden. Dennoch kann der Komplexitätsgrad aufgrund von Erfahrungswerten, die bereits im Kontext erzeugt wurden, reflektiert und eingeschätzt werden, um dann in der Interaktion überprüft und gegebenenfalls verändert zu werden. Aufeinander zu gehen ist eine singuläre Bewegungsaufgabe, aufeinander zu gehen und dann voreinander stehen bleiben ist eine Aufgabenreihung und damit bereits etwas komplexer. Gehen ist Teil des alltäglichen Bewegungsverhaltens aller Beteiligten und kann somit als relativ einfach eingestuft werden. Eine Touristenführung zu gestalten, die aus Erinnerungs-, Imaginations-, Sprech-, Interaktions-, Gruppen- und Bewegungsaufgaben besteht, ist im Vergleich dazu weitaus komplexer. Um den Bekanntheitsgrad einer Aufgabe einzuschätzen, sind erste Fragen: Handelt es sich innerhalb der gemeinsamen Praxis um eine neue Aufgabe oder eine Wiederholung durch Reihung oder Kombination? Welche Vorüberlegungen und Annahmen lassen sich zum Gewohnheits- bzw. Bekanntheitsgrad anstellen?4 Wie hängen ‚Was‘ und ‚Wie‘ zusammen? Wenn Anja sagt, „setzt euch hin“ gibt sie vor, ‚was‘ getan werden soll und lässt offen, ‚wie‘ dies geschieht. Trotz, dass die Aufgabe potenziellen Spielraum für individuelle Umsetzungen lässt, setzen sich alle Beteiligten auf ganz ähnliche Art und Weise. Sich auf den Boden zu setzen ist allen Anwesenden als routiniertes Alltagswissen vertraut. Entsprechend selbstverständlich wird es jetzt in alltäglicher Art und Weise ausgeführt. Die Aufgabe gibt keinen Anreiz, um von dieser Ausführung abzuweichen und regt durch ihren direktiven Formulierungsmodus nicht zu unterschiedlichen Umsetzungen an. Sie kann als geschlossen eingestuft werden. 4 | Vgl. Kap. 4.2. Klären: Nachvollziehbarmachen: Bekanntheits-, Fremdheitsgrade ermitteln in dieser Studie.
Choreografie vermitteln
Wenn im Unterschied dazu sowohl das ‚Was‘, also das Thema, als auch das ‚Wie‘, also der Formulierungsmodus, vorgegeben und als Imperativ formuliert wird, ist die Aufgabe maximal geschlossen, zum Beispiel: „Alle rennen so schnell wie möglich auf die andere Seite des Raums!“ Als Frage formuliert, wirkt die Aufgabe schon anders: „Wie könnt ihr so schnell wie möglich auf die andere Seite des Raums rennen?“ Eine Aufgabe wie zum Beispiel „reagiert aufeinander“ ist zwar viel offener und komplexer als die Aufgabe, sich hinzusetzen, ist aber so bestimmend formuliert, dass ihr offener Charakter nicht zum Tragen kommt. „Wie könnt ihr auf unterschiedliche Weisen aufeinander reagieren?“ lädt schon etwas mehr zum Ausprobieren verschiedener Umsetzungen ein. „Wie könnt ihr durch eure räumliche Anordnung aufeinander reagieren?“ grenzt zwar den Spielraum mehr ein als die vorherige Aufgabe, hebt aber mit dem Fragemodus den offenen Charakter hervor. „Probiert verschiedene Versionen aus, um vom Boden hinunter und wieder hinauf zu kommen“ ist direktiv formuliert, lädt aber inhaltlich zur Exploration ein und lässt sowohl das ‚Was‘ als auch das ‚Wie‘ weitgehend offen. Wenn eine explorativ angelegte Aufgabe auch fragend formuliert ist, wird der offene Charakter am Stärksten betont: „Auf welchen verschiedenen Wegen könnt ihr zum Boden hinunter und wieder hinauf kommen?“ Wenn sowohl das ‚Was‘ als auch das ‚Wie‘ fragend formuliert sind, ist der explorative Charakter am Stärksten. Die Modi der Aufgabenformulierung, die in den beiden Projekten sichtbar wurden, haben je nach Situation und Inhalt einen explorativen, fragenden, reflexiven, direktiven, metaphorischen oder optionalen Charakter. Manchmal wird die gleiche Aufgabe nacheinander in verschiedenen Modi formuliert oder es entstehen Kombinationen mehrerer Modi. Explorativer Formulierungsmodus: Er regt zu einem forschenden Suchen an und dem Sammeln von verschiedenen Möglichkeiten. Es geht um die Erfahrung als solche, ohne auf ein Ergebnis abzuzielen: „Welche unterschiedlichen Möglichkeiten könnt ihr finden, um euch abzustützen beim Aufstehen?“ Diese Formulierung gibt viel Freiraum und liefert keine Angebote für Möglichkeiten mit. Die nächste hebt die Suche nach individuellen Lösungen hervor: „Probiert nochmal jeder für sich, wie könnt ihr möglichst einfach drehen? Nur den Schritt beim Drehen, (1) mal jeder für sich rausfinden. Was macht dabei der Kopf, der Blick?“ Hier gibt Anja eine mögliche Hilfe mit auf den Weg. Vorher hatte sie bereits verbale Hinweise zu der Drehung gegeben und diese körperlich veranschaulicht. Als Iris aus dem Gleichgewicht kommt und ins Trudeln gerät, verlagert Anja die Vermittlungspraxis von einer anleitenden Arbeitsweise zu einer eigenständigen Exploration. Fragender Formulierungsmodus: Dieser hebt einen Angebotscharakter hervor und kann sowohl eine explorative als auch eine reflexive Ausrichtung haben. Anja stellt bei der bereits beschriebenen Partnerübung, bei der Georgia und Iris einander berühren, die Frage: „Wo kannst du den Atem spüren? Wo
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gibt es Bewegung? Wie? Gibt es Geräusche?“ und regt damit an, mit verschiedenen Sinnen wahrzunehmen. Fragende Formulierungen bieten Möglichkeiten an: „Vielleicht kannst du ausprobieren, wie Höhen und Tiefen mit ins Spiel kommen können?“ Sie können die Phantasie für das Umsetzen einer Aufgabe stimulieren: „Wo ist die Möglichkeit einer Suspension“ vermittelt, dass das Thema der Suspension in dieser Übung überhaupt von Relevanz ist. Eine spezifische Erscheinungsform des Fragemodus ist der Konjunktiv: „Könnte es sein, dass wir uns mehr Zeit lassen können?“ oder „Wie wäre das, wenn der Partner sich bewegt?“ Reflexiver Formulierungsmodus: Ein fragender Modus geht mit einem reflexiven einher und kann potenzielle Ausführungsmöglichkeiten explizieren und das Ergebnis einer Auswertung mitteilen: Bei einer Partnerübung befinden sich zwei Personen dicht nebeneinander im Vierfüßlerstand und lehnen sich mit ihren Körperseiten aneinander. Birgit: „Sich vom Hara aus mitbewegen, wie macht man das? Was ist das, Einswerden? [...] Braucht ihr wirklich Kraft dazu oder könnt ihr euch lehnen? [...] Weniger drücken als lehnen - wo ist der Unterschied?“ Ein reflexiver Modus muss aber nicht zwangsweise als Frage formuliert sein: „Probiert aus, ob ihr einfacher auftstehen könnt, wenn ihr die Beine beugt oder wenn ihr sie gestreckt lasst“. Die Reflexion besteht hier im Abgleichen zweier Möglichkeiten. Direktiver Formulierungsmodus: In der folgenden Probe wird die Situativität des Zusammenspiels von Praxisthema und Formulierungsmodus einer Aufgabenstellung besonders offensichtlich. Anja formuliert erst direktiv, was getan werden soll: „Schreibt ohne Unterbrechung und ohne den Stift vom Papier abzuheben alles auf, was euch in den Sinn kommt. Schreiben, schreiben, einfach immer schreiben“. Dann sollen alle zu zweit zusammen kommen und ‚sich Passagen ihres Textes aussuchen und einander vorlesen‘. Sofort ist lautes Stimmengewirr zu hören und es beginnen Gespräche.
Aufgrund der Reaktionen formuliert Anja ebenfalls, was nicht getan werden soll, wodurch es für die Beteiligten leichter wird, das Geschriebene vorzulesen, denn bald ruft Anja in die Aktion hinein, ‚es gehe darum, etwas von ihrem Text vorzulesen und nicht einfach etwas zu erzählen‘. Sie erklärt lachend den Unterschied zwischen vorlesen und erzählen und fügt hinzu: „Ihr könnt auswählen, welche Teile ihr lesen möchtet und welche nicht“. Metaphorischer Formulierungsmodus: Dieser kann eine Aufgabe verdeutlichen, Bewegungsqualitäten erzeugen und die Phantasie stimulieren. In einer Übung fängt Birgit an zu hüpfen und stellt die Aufgabe zuerst formal: „Wir springen in verschiedene Richtungen und hüpfen aus der Hocke“, dann metaphorisch: „Wie der Frosch, Bewegung vom Frosch, der macht einen großen Sprung“ und zuletzt als Konjunktiv: „Währt ihr ein Frosch, könntet ihr das
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machen ((lacht))!“ Eine Kombination aus formalem und metaphorischem Formulierungsmodus kommt häufig vor: Anja fragt die Gruppe, ob sie sich vorstellen könnten, in der Beschreibung ihrer Erfahrungen beim „Hör- und Spürspaziergang“ detaillierter zu werden und was das denn wohl bedeuten könne. Sie verwendet das Bild, ‚wie wenn man eine Lupe auf den Boden legt, um genauer zu sehen, so könnt ihr auch mit dem Hören vorgehen‘. Dann fordert sie alle auf, das auszuprobieren und gibt fünf Minuten Zeit, ganz detailliert aufzuschreiben, was sie hören, ‚wie ein Netz, was man auslegt‘. Beim Schreiben herrscht eine meditative Ruhe im Raum.
Metaphern können spezifische Bewegungsqualitäten zum Ausdruck bringen: Alle liegen auf dem Rücken, halten die Beine und Arme nach oben und bewegen sie in der Luft etwas nach vorne und hinten. Birgit: „So faul als möglich, so lazy as possible ((lacht)) so entspannt als möglich, wie ein Faultier, was im Baum hängt“. Die Charakteristik, dass eine Metapher nicht eindeutige Informationen gibt, sondern Freiraum für Assoziationen und unterschiedliche Interpretationen lässt, zeigt sich bei den sogenannten „Krokodilspitzen“. Ursula erklärt mir, das seien die Zähne des Krokodils und Nora meint, das seien die Zacken auf dem Rücken und auf dem Schwanz des Krokodils. Die Metapher wird im Laufe des Prozesses zum Titel der Szene und erzeugt eine gemeinsame Sprache, deren Bedeutung sich nur feldintern erschließt. Optionaler Formulierungsmodus: Dieser bietet Möglichkeiten an: „Und vielleicht noch mal mit der Rotation gucken. Und vielleicht mit der Ausdehnung von Zeit mal gucken“ oder stellt differenzierte Ausprägungen zur Wahl: Birgit sagt mitten in die Aktion hinein: „Einmal noch mal kurz schauen. (2) Entweder mit den Armen so“, sie lässt jetzt die Arme auf einer eher horizontalen Linie um das Becken herum schwingen, „oder so“ und nimmt dann die Arme eher in der Vor-Rückrichtung mit der Bewegung des Zentrums und den Schritten mit.
Optionen können verschiedene Komponenten betreffen, zum Beispiel die Organisationsform: „Wählt selber, ob ihr die Aufgabe alleine oder zu zweit umsetzen möchtet“.
Aktionsspielräume er weitern oder eingrenzen; Regelwerke erstellen Der Offenheitsgrad von Aufgaben ist variabel und wird in Klärungs- und Aushandlungsprozessen meist mehrmals eingeschränkt oder erweitert. Ob eine Aufgabe als offen, geschlossen oder ‚zu‘ offen oder ‚zu‘ geschlossen, als Korsett oder Sprungbrett wahrgenommen wird, ist von Individuum zu Individuum verschieden. In vielen Situationen formulieren Anja und Birgit Regelwerke für
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den Umgang mit Raum, Zeit und Interaktionen als Teil der Aufgabenstellung. Manchmal startet ein Vermittlungsprozess mit einer singulären Aufgabe und im Laufe des Prozesses wird dafür ein ganzes Regelwerk erzeugt. Die Regelwerke nehmen Einfluss auf den Komplexitätsgrad einer Aufgabe und können zwar anteilig aufgrund von Erfahrungswerten, die bereits in einer Gruppe erzeugt wurden, eingeschätzt werden, gehen aber meist mit Klärungs- und Aushandlungsprozessen einher. Erst in der Interaktion stellt sich heraus, ob gegebenenfalls ein offener Spielraum eingeschränkt oder eine geschlossene Aufgabe erweitert wird. Die erzeugten Aufgabenstellungen bleiben solange temporär und werden im Ausprobieren getestet und im Auswerten überprüft, bis ein für die Mehrheit der Beteiligten akzeptabler Rahmen erzeugt wurde. Im Verlauf dieser Prozesse ermitteln alle Beteiligten gemeinsam den Spielraum einer Aufgabenstellung und stecken den Vollzugsrahmen der Lösungsmöglichkeiten ab. Beispiele solcher Prozesse finden sich in den Praktiken Klären und Aushandeln.
Mit Aufgabenreihungen in ein Thema einführen; Mit Aufgabenkombinationen Komplexitätsgrad steigern Das Spezielle einer Aufgabenreihung besteht darin, dass mehrere Aufgaben nacheinander gestellt werden, die aufeinander auf bauen. Eine Aufgabenreihung zur Raumwahrnehmung wurde bereits zu Beginn des Abschnitts beim Formulieren aufgeführt. Eine andere Reihung aus Schreib- und Sprechaufgaben nach einem „Hör- und Spürspaziergang“ folgt einer Logik, die Erfahrungsgelegenheiten und Reflexionsprozesse verbindet und die Kommunikation vom Einzelnen zum Partner zur Gesamtgruppe erweitert: erst schreibt jeder/r die Erlebnisse nur für sich auf, dann, um Teile daraus anderen vorzulesen, dann wird in Kleingruppen über die Erfahrungen gesprochen und am Ende steht ein Gespräch in der ganzen Gruppe. Eine terminübergreifende Aufgabenreihung bilden im Projekt 1 die „Gänge“. Heute wird das dritte Mal mit den „Gängen“ gearbeitet und zwar in zwei Gruppen, die einander in zwei Raumecken gegenüber stehen: Von jeder Ecke kommt eine Person, beide treffen sich in der Mitte, bleiben stehen, schauen sich an, gehen weiter und tauschen ihre Plätze. Niemand weiß vorher, wer mit wem agiert. Als Anja sieht, dass Luzie ihr Gegenüber mit dem Blick auswählt und sich so über den Start zum Losgehen verständigt, macht sie den Einsatz des Blickes zur nächsten Aufgabe. Nachdem zwei Paare aneinander vorbei gegangen sind, ohne stehen zu bleiben, stellt Anja die Aufgabe, man solle bei der Begegnung länger als die gefühlte ‚normale‘ Zeitdauer stehen bleiben. Danach wird das Gleiche mit Rennen ausprobiert. Es folgen verschiedene Aufgaben für das Zusammentreffen: zuerst in der Mitte umein ander herum gehen, dann nach der Begegnung rückwärts weiter gehen, dann gleich-
Choreografie vermitteln zeitig beginnen und auch gleichzeitig enden. Im Anschluss wird auch das Rennen, wie vorher das Gehen, mit einer halben Drehung in der Mitte gekoppelt.
Anja leitet diese Reihung mit direktiven Formulierungen an, die wenig Ak tionsspielraum für die Darsteller/innen lassen. Die Anregungen für die Aufgaben leitet sie aus den Umsetzungen der Ausprobierenden ab, insofern laufen multidirektionale Prozesse. Zusätzlich steigern Aufgabenkombinationen den Komplexitätsgrad.
Zwischenergebnisse • Explorative Anteile erzeugen die Vermittlungspraxis: Aufgaben und Regelwerke werden nicht einmalig formuliert und festgelegt, sondern entstehen in multidirektionalen und emergenten Ermittlungsprozessen. • Vermitteln besteht aus der Kombination variierender Relate, die fortlaufend graduell aufeinander abgestimmt werden. Bei eingebrachten und im Feld erzeugten Aufgaben bilden Praxisthema, Komplexitäts- und Bekanntheitsgrad, Formulierungsmodus und Beteiligte entscheidende Relate. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln, multidirektionale, emergente Anteile: Jede Aufgabenreihung folgt einer eigenen Logik, sie kann sukzessive in ein Thema einführen oder es weiter entwickeln, worin sich Vermitteln als ‚zugänglich machen und ebnen‘ erkennen lässt. Sie kann von den Mitwirkenden inspiriert sein, wenn jemand deren Aufgabenumsetzungen beobachtet, auswertet und daraus Folgeaufgaben ableitet. Sie kann den Komplexitätsgrad steigern oder Raumwahrnehmung spezifizieren oder gezielt gewählt sein, um Bewegungsqualitäten zu differenzieren, wie sich im nächsten Abschnitt zeigt.
Pädagogische Intention formulieren Eine pädagogische Intention wird in beiden Projekten selten formuliert. Ein Beispiel findet sich bei der Arbeit mit den Antriebskräften von Rudolf von Laban. Birgit: „Ich würde das jetzt gerne noch mal von diesem zellulären Körper im Verhältnis zu kreisenden Bewegungen und den Laban-Antriebskräften ausprobieren, einfach um das nochmal so ein bisschen pädagogisch durchzugehen. Wir haben da unterschiedliche Dichte von Bewegungen zwischen schweben, gleiten, stoßen, peitschen, wringen, ((eh)) drücken ((überlegt)) ((eehh)) tupfen“. Dabei zählt sie mit der einen Hand an den Fingern der anderen Hand die Begriffe mit.
Im „pädagogischen Durchgehen“ der Antriebskräfte zeigt sich Vermitteln als ‚zugänglich machen und ebnen‘ und Birgit ‚gibt ihr Fachwissen von der Bewegungsanalyse von Rudolf von Laban an die Mitwirkenden weiter‘.
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Im Anschluss an ein kreisendes Gehverhalten der Gruppe bei der „Guided Tour“ macht Anja ihre Absicht nachvollziehbar, das fehlende Körpergefühl für den Raum durch eine Aufgabe zur Raumwahrnehmung zu schärfen. Einmal fragt Birgit nach einer praktischen Experimentierphase „Was sind die Lernergebnisse?“ Dies ist der einzige Moment in beiden untersuchten Projekten, wo ein Interesse an Lernprozessen formuliert wird, was sich als eine pädagogische Komponente deuten lässt. Birgits Vorgehensweise basiert auf Kontinuität. Sie erarbeitet nach eigenen Angaben im „Warm-up“ Bewegungsqualitäten, die für die Performance notwendig sind und stimmt deren Reihenfolge auf die Szenenreihenfolge der Performance ab. Ihr Vorgehen könnte sich auch als eine didaktische Maßnahme im Sinne einer „Methode des Unterrichtens“ (Duden 2015: 255) lesen lassen, wird aber nicht als belehrend wahrgenommen: Fiona: „Da gibt es nichts Lehrerhaftes, so, das muss- da müssen wir jetzt arbeiten. Stellt euch mal nicht so an, nee, des gibt es nicht“. Angelika: „Ja die Choreografie. Und plötzlich war sie da. Wir ham die ganze Zeit schon Teile davon ((em)) also erarbeitet irgendwie. Also ich mein’ im Raum war die Frage, oh, wir ham ja gar nich‘ mehr viel Zeit. Wir ham des noch gar nich‘ - es war alles dann schon da. Das sind Elemente, die schon vorbereitet waren. Ich hab auch immer noch gedacht dieser Anfang is‘ Erwärmung irgendwie. Aber eigentlich ist das schon ’n Teil des Prozesses. Das geht irgendwie flüssig ineinander über ((lachen)). Und dass wir danach eben daran gezielt beim Warm-up gearbeitet haben. (1) Das betraf vielleicht ein, zwei Personen, die darauf so eingewirkt haben, dass sich jemand so, wirklich so unwohl gefühlt hatte. Und dann hat sie dazu am nächsten Tag das beim Warm-up mit eingebracht. Irgendwie Wahnsinn, dann ist sie noch mal drauf eingegangen, hat ’ne kleine Erwärmung gemacht, noch mal ’ne Hinführung und hat das dadurch vielleicht tatsächlich geschafft, das aufzulösen irgendwie. Das find’ ich, wow, das ist nicht irgendwie Kritik.“ 5
Auch den „Score“ mit der Szenenreihenfolge und Stichworten fertigt Birgit nach ihren Aussagen mit einer Intention an: Schlüsselworte sollen das Zentrale benennen und als Erinnerungsstützen fungieren. Mithilfe des Scores koppelt sie die physiologische Erfahrungserinnerung an zentrale Schlüsselworte, was als pädagogische Maßnahme angesehen werden kann.
5 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Über-, Unterforderungsgrade, Aufmerksamkeitsbindung und Parallelaktionen in Beziehung setzen Parallelaktionen stellen die Frage nach dem Zusammenhang zwischen einer eventuellen Unter- oder Überforderung und der Aufmerksamkeitsbindung. Je nachdem, ob eine Aufgabe eine Über- oder Unterforderung für eine Person darstellt, kann sie einen großen Prozentsatz der Aufmerksamkeit binden oder einen eher geringen und Kapazität für andere Wahrnehmungs- und Aktionsfelder lassen. Das zeigt sich in der Gruppenaufgabe der „Guided Tour“, bei der sich jeweils eine Person an ein Raumerlebnis aus dem „Hör- und Spürspaziergang“ erinnern soll und diese Erinnerung jetzt im Probenstudio wie eine Touristenführer/in einer Gruppe von Touristen erzählen soll. Während dieser Aufgabe sind bei der Touristenführerin unsicheres Umherschauen, fragende Blicke zu den anderen, hochgezogene Schultern, hilfloses Auf- und Abbewegen der Arme zu beobachten. Sie veranschaulichen, dass diese Rolle, die von einer einzigen Person umgesetzt wird, eine extreme Herausforderung bis hin zur Überforderung darstellt und die volle Aufmerksamkeit benötigt. Die komplexe Aufgabenkombination aus Erinnerungs-, Imaginations-, Sprech-, Interaktions-, Gruppen- und Bewegungsaufgabe stellt Anforderungen an das Vorstellungs-, Abstraktions- und räumliche Übertragungsvermögen, für die die Mitwirkenden anscheinend erst noch Bewältigungsstrategien entwickeln müssen. Auch scheint der Fremdheitsgrad der Aufgabe groß zu sein und trägt zu einer Überforderung bei. Im Vergleich dazu bindet die Rolle der Touristen, die von einer ganzen Gruppe umgesetzt werden, nicht zwangsläufig die gesamte Aufmerksamkeit, sondern lässt bei einigen noch Kapazität für Pa rallelaktionen, die keinen offensichtlichen Bezug zur Hauptaktion besitzen und auf eine Unterforderung schließen lassen. Elisabeth und Andreas treten einander zwischendurch gegen die Beine, während sie in der Touristengruppe mitgehen und hüpfen ab und zu, was in keinem Zusammenhang mit der laufenden Führung steht. Später spielen sie Fangen und rennen durch den Raum, während Anja einen Hinweis gibt. Ihre Parallelaktionen zeigen, dass ihre Aufmerksamkeit nicht gänzlich in der Aufgabe gebunden ist. Als alle auf dem Boden liegen, gähnt Andreas übertrieben laut. Während sie die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis des Körpers zum Raum lenken sollen, schaut Andreas zwischendurch auf sein Smartphone. Er liegt so dicht an Elisabeth, die wegen Kopfschmerzen nicht mitmacht und am Rand sitzt, dass er sie fast berührt und schaut zwischendurch lächelnd zu ihr auf. Elisabeth ist ebenfalls mit ihrem Smartphone beschäftigt und scheint Andreas zu ignorieren.
Auffällig ist, dass Parallelaktionen in Gruppe 1 immer mit Andreas, der nie gleichzeitig mit Bruno anwesend ist, und einem der Mädchen laufen. Das zwischenzeitliche Abschwenken von der Hauptaktion könnte entsprechend
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geschlechtermotiviert sein, es kann als Desinteresse oder Langeweile gelesen werden oder als Unfähigkeit, sich auf die Wahrnehmungsaufgabe einzulassen. Keine dieser Interpretationen lässt sich eindeutig explizieren. In jedem Falle zeigen sie die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Parallelaktionen, Unter- oder Überforderung und Aufmerksamkeitsbindung für die Vermittlungspraxis an.
Berühren Körperkontakt ist besonders in der Bewegungspraxis von Projekt 2 ein zentrales Kommunikationsmittel, in Gruppe 1 tritt es weniger häufig auf. Berühren zeigt sich hier neben dem Formulieren und Veranschaulichen als eine weitere Art der Aufgabenstellung. Bei der Aufgabe, sich in Kleingruppen erst mit den Körpern aneinander zu lehnen und dann voneinander abzudrücken stehen gerade vier Personen ganz dicht nebeneinander in einem Kreis. Sie haben bereits mehrmals den Wechsel von anlehnen und abdrücken ausprobiert. Jetzt tauschen sie sich über ihre Erfahrungen aus: Dabei lehnt sich Margot erst langsam und vorsichtig mit beiden Händen von der Seite an Christians Rumpf, der links neben ihr steht, und drückt sich langsam von ihm ab. Dann lehnt sie sich wieder an ihn, drückt sich aber diesmal ganz kraftvoll und schnell von ihm ab. Während ihrer Bewegungen schaut sie die drei anderen wechselweise an und diskutiert mit Christian über die Unterschiede zwischen den beiden Versionen. Dann lehnt sich Margot mit der Seite ihres linken Armes an Christians Rumpf und diskutiert währenddessen mit den anderen über den Unterschied zwischen dem Körperkontakt mit der Hand und dem Arm.
Margot vermittelt Christian hauptsächlich im Berühren und Spürbarmachen die variierenden Intensitäten und Berührungsflächen, begleitet vom Veranschaulichen und Formulieren für die drei Gruppenmitglieder. Weitere Beispiele mit Körperkontakt als Vermittlungsmethode finden sich im Textverlauf.6
Strukturieren Ein zentraler Bestandteil der Praktik Aufgabenstellen besteht im Strukturieren von Raum, Zeit und Erfahrungsgelegenheiten.
6 | Vgl. Kap. 4.5. Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement: Auswerten beim Ausprobieren: Haptisches Fragen und Rückmelden in dieser Studie.
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Raum strukturieren Der Umgang mit dem Raum als zentralem Aspekt der choreografischen Arbeit zeigt sich im Vermittlungsgeschehen in einer Makro- und einer Mikroebene. Auf der Makroebene wurden von den Veranstaltern beider Projekte mit der Auswahl der Arbeits- und Aufführungsorte schon vor Probenbeginn Setzungen vorgenommen. Beide Projekte fallen in den Bereich der „site specific work“ (Lange 2010: 8) und verlagern den traditionellen Probenraum des Tanzstudios sowie den traditionellen Aufführungsort des Theaters temporär in den öffentlichen Raum. Die Arbeitsorte variieren während der Stückentwicklung und die jeweiligen materiellen Gegebenheiten beeinflussen die Vermittlungspraxis sowie das entstehende choreografische Material. Ortsbezogene Erfahrungs- und Gestaltungsaufgaben lösen Platzwechsel aus, Gruppe 1 verlässt zum Beispiel beim Gestalten eines „Hörstückes“ den Probenraum und begibt sich in die umliegende Halle, deren Treppen, Flure und Küchenecke unterschiedliche Klangräume und Hörgelegenheiten bieten. Des Weiteren bewegen sich die Beteiligten bei einem „Hör- und Spürspaziergang“, der bereits erwähnt wurde, auf dem Außengelände um das Gebäude herum. Die Performance findet letztendlich in einem Bühnenraum statt. Die erste Arbeitsphase des Projektes 2 beginnt in Probenstudios und dann wechselt die Gruppe auf eine Industriebrache im öffentlichen Raum als Aufführungsort ihrer site specific performance. In der Mikroperspektive zeigt sich das Strukturieren des Raums als soziale Praktik und Bestandteil der „kollektiven Bewegungsorganisation“ (Schmidt 2012: 9) der Beteiligten. Wie, wird beim Eintreffen zum ersten Termin beobachtbar. In beiden Projekten bilden die Mitwirkenden keine bereits existierende Gruppe, sondern treffen als Einzelpersonen am Ort der choreografischen Praxis ein. Sie kennen sich zu unterschiedlichen Graden bis gar nicht. Die materiellen Gegebenheiten des Tanz- bzw. Probenstudios spiegeln sich beim Projekt 1 in einem dem Raum eingelagerten Körperverhalten und der Raum erzeugt als Artefakt eine soziale Ordnung: Als ich in den Arbeitsraum hinein komme ist Anja bereits anwesend. Sie steht rechts neben der Eingangstür, wo das einzige Mobiliar, ein Tisch und eine Musikanlage, stehen und ich setze mich an die rechte seitliche Wand. Nach und nach setzen sich die nächsten Eintreffenden an die beiden freien Wände. Sie setzen sich mit unterschiedlichen Abständen nebeneinander und lehnen sich dabei an die Wand. Einige sind mit ihren Smartphones beschäftigt, nur wenige sprechen miteinander, mit Anja redet niemand.
Platzieren wird hier als Ethnomethode anschaulich und legt eine Differenzierung zwischen Anja und den Anderen offen, die in den Folgeterminen wiederholt und verankert wird. In dieser Wiederholung bringen die Anwesenden mit ihrem Raumverhalten das Alleinstellungsmerkmal der Projektleiterin im Unterschied zur Gruppe der Mitwirkenden hervor und bestätigen in dieser Diffe-
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renzierung eine Hierarchie, die in den Funktionen der Beteiligten bereits eingeschriebenen ist: Anja zeichnen viele Singularitäten aus, sie kennt als Einzige bereits den Raum aus ihrer künstlerischen Praxis, sie hat als Einzige einen Schlüssel, sie ist die einzige Projektleiterin und hat fachliche Vorkenntnisse. Die Gruppenmitglieder zeichnen sich durch Gemeinsamkeiten aus: allen ist der Raum unbekannt, alle sind Schüler/innen, alle besitzen keine choreografischen Fachkenntnisse. Für den Beginn der praktischen Arbeit bewirkt Anja dann ein Umplatzieren in einen Sitzkreis und löst die räumliche Hierarchisierung auf. Dass das Strukturieren des Raums nicht als Vorbereitung für eine choreografische Aufgabe geschieht, sondern Bestandteil der choreografischen Praxis ist, wird beim Kreis besonders auffällig, der eine Konstante der Vermittlungspraxis bildet. Anfangs wird der Sitz- oder Stehkreis explizit von Anja und Birgit mit Aufgaben in Gang gesetzt und erzeugt eine soziale Ordnung mit einer kommunikativen Struktur, in der alle einander gleich gut sehen und hören, die somit einen gemeinschaftlichen Austausch ermöglicht und keine räumliche Hierarchisierung vornimmt. Im Laufe des Prozesses zeigt sich die „selbstläufige Instruktivität von Praktiken“ (Schindler 2011a: 26): der Anfangskreis wird zum geteilten Wissen aller und bedarf keines expliziten Hinweises mehr. In den Proben finden oftmals verbale Aufgabenvermittlungen und Feedbackgespräche im Kreis statt. In anderen Situationen strukturiert der Kreis die visuelle und verbale Kommunikation einer Bewegungsaktion, zum Beispiel beim „Warm-up“ mit Wahrnehmungsübungen in Projekt 2 und beim Übernehmen von vorgegebenen Bewegungen einer Person beim Namenlernen in Projekt 1. Das Strukturieren des Raums ist immanenter Teil vielfältiger choreografischer Arbeitsthemen und artikuliert sich in Aufgaben zur Raumwahrnehmung, -imagination, -erkundung und -gestaltung. Zum Beispiel nimmt Gruppe 1 im Raum vorhandene Linien auf und zeichnet sie mit einem selbst gewählten Gelenk an anderer Stelle als Bewegung in den Raum. Oder es geht um die Verbindung von individuell ausgewählten Punkten im Raum und deren Verknüpfung mit verschiedenen Fortbewegungsarten, die Bewegungsgewohnheiten in unterschiedlichen öffentlichen Räumen unterwandern. Oder es findet ein choreografiertes „Gärtnern“ beim Ein- und Ausrollen von Rollrasenbahnen in geometrischen Strukturen statt. Beim „Where I am is what I need“ geht es um das Finden des dem Augenblick gemäßen Platzes. Raumstrukturen entstehen auch, ohne als Aufgabe formuliert worden zu sein, zum Beispiel wenn Anwesende während der Praxis nicht am Bewegungsgeschehen teilnehmen. Sie platzieren sich dann meist entweder stehend oder sitzend am Rand der Bewegungsfläche und beobachten das Geschehen von dort aus oder bleiben als Teil der Gruppe inmitten des Raums stehen. Raumstrukturen werden manchmal themenbezogen vorgegeben und tragen zum Beispiel zur optimalen Sichtbarkeit beim Übernehmen eines Bewegungsab-
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laufes bei: Anja stellt sich zum Vorzeigen einer Fortbewegung häufig vor die Gruppe mit der gleichen Front wie die Gruppe. Diese Formation übernehmen später auch Madeleine und Luzie, um Georgia eine Bewegungsfolge zu vermitteln. Beim Sich zu Eigen Machen einer festgelegten Bewegungsfolge am Platz wechselt Anja die Formation vom Kreis zu zwei einander gegenüber stehenden Reihen, sodass die Praktizierenden einander sehen. In Situationen, in denen Anja die Bewegungsausführung der Gruppe beobachten möchte, platziert sie sich gegenüber und bewegt sich dann spiegelbildlich zur Gruppe. Wechselnde Personen bestimmen im Arbeitsraum die Front, zu der sich die Agierenden ausrichten und beziehen somit die Zuschauerperspektive ein. Das Strukturieren des Raums kann neben dem Außenraum auch die Wahrnehmung des Körperinnenraums betreffen, wie bereits beschrieben wurde.
Zeit strukturieren Die Wichtigkeit des Strukturierens der Zeit hängt von der Art der Aufgabe ab. Wenn es um Gestaltungsaufgaben geht, die eigenständig von den Mitwirkenden umgesetzt werden, bilden das Ankündigen und Markieren von Zeitfenstern einen wichtigen Bestandteil: Anja kündigt eine Aufgabe an, gibt die Dauer für die Aufgabenumsetzung an, benennt den Arbeitsbeginn, erzeugt eine Zeitstruktur durch ein Smartphone, nimmt einen Aktionswechsel von einer Wahrnehmungs- zu einer Sprechaufgabe zum Austausch über die Wahrnehmungen vor und stellt eine Regel zur zeitlichen Gestaltung der Sprechaufgabe auf. Auch hier greifen das Strukturieren der Zeit für die choreografische Praxis und als choreografische Praxis ineinander und strukturieren Erfahrungsgelegenheiten. Anders verhält es sich beim prozessorientierten Ermitteln der Funktionsweise einer Interaktion. Da entwickelt sich die Zeitlichkeit in der Praxis und folgt situativ den Bedürfnissen des Ermittlungsprozesses.
Erfahrungsgelegenheiten strukturieren Aus einer Makroebene betrachtet ist der Vermittlungsschwerpunkt beider Projekte bereits in ihrer institutionellen Dimension7 darauf angelegt, Erfahrungen8 in choreografischen Kreationsprozessen zu strukturieren. Die Veranstalter des Projektes 1 weisen Tanz und Choreografie als „bewegungs- und 7 | Vgl. 3.5. in dieser Studie. 8 | Der Begriff der Erfahrung, aus dem mitteldeutschen von ervarunge, der Durchwanderung oder Erforschung, verbindet den Aspekt der Kenntnis und des Erlebens. Erfahrung „bezeichnet alles was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Allerdings lässt sich dies ohne kognitive Prozesse weder konservieren noch kommunizieren oder bewusst machen. Daher sind mit Erfahrungen immer Interpretationsprozesse verbunden, die sie ins Bewusstsein bringen, die sie aber auch durch Erwartungen steuern“ (Tenorth/Tippelt 2012: 192f.).
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erlebnisintensive Kunstformen“ (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg 2012) aus, betonen die Fähigkeit von Kindern und Jugendlichen, mit Bewegung Raum zu erfahren und stellen das Erkunden des alltäglichen Lebensraums in den Mittelpunkt des Projektes, was sich auch im Thema der Werkstatt Heimliche Orte – Verborgene Welten spiegelt. In der Mikroebene geschieht das Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten vornehmlich mit „Aufgaben“ und „Übungen“, wie einige der Beteiligten sagen. Birgit: „Eine Aufgabe ist ein Vorschlag, mit dem man arbeiten kann, den probiert man aus und dann guckt man, wie das sinnvoll passt, wo man hinkommt damit, was sich herstellt damit - also von der Idee in die Praxisausführung und das Ausprobieren.“9
Der Begriff der Aufgabe wird auch im Sinne einer Herausforderung verwendet: Birgit: „Das ist jetzt ein klassisches Beispiel dafür, dass es jetzt von der Praxis in die Organisation vom Score übergegangen ist, ne, das bringt euch am Meisten direkt vom Einen zum Anderen hin, das haben wir jetzt erst als einen Moment des Weges ausprobieren müssen – als Aufgabe.“
Nach dem ersten Durchlauf des gesamten Stückes meint Birgt hinterher zur Gruppe: „Jetzt gab es noch einige Momente, wo es noch nicht eurer Material war, das ist jetzt die Aufgabe“. Birgit beschreibt ihre eigene Aufgabe darin, „klare Ansagen zu machen“ und einen „Formvorschlag zu geben“. Innerhalb dessen „hat dann wiederum jeder so viel mehr Freiheit, weil es klar ist, zu was man gebeten ist und wie man dann da irgendwie das selber füllt. Das ist eine große Aufgabe. Das ist eine große Aufgabe, sonst verschwimmen die Sachen.“
Praxisaufgaben werden immer von Anja oder Birgit angekündigt und bestehen aus Informationen für die nachfolgende Aktion. Sie bedingen die Beteiligung und Mitgestaltung der Gruppe an der Aufgabenumsetzung und lassen den Agierenden verschieden offene Freiräume für unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten. Jede Aufgabe strukturiert die Praxis auf eine situations- und personengebundene Weise. Im Vergleich dazu beziehen sich „Übungen“ in den beiden untersuchten Projekten meist auf kürzere und weniger komplexe Aktivitäten, lassen weniger 9 | Diese Äußerungen stammen aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Spielraum für selbstinitiierte Gestaltungsumsetzungen als Aufgaben und beziehen sich auf Fertigkeiten. Fiona drückt ihr Bedürfnis aus, die Bewegungsqualität beim Aufnehmen der Blumentöpfe zu „üben“ und nicht nur bei Birgit zu beobachten. Bei einem Feedbackgespräch formuliert Anja einen möglichen Lern- und Erfahrungsaspekt von Übungen, wenn sie bittet, „könnt ihr mal versuchen, ich weiß, das geht total schnell, nicht schlecht, blöd, doof, zu sagen, sondern einfach so zu beschreiben was passiert ist, das ist schwieriger, aber das ist eine gute Übung“. In einer anderen Situation weist Anja Andreas darauf hin, dass ‚die Übung einen Modus brauche, in dem nicht gesprochen werde und er mit seiner Verweigerung den Modus der Übung störe‘ und verknüpft Übung hier mit einer fokussierten Aufmerksamkeit. Ein Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten vollzieht sich immer in der Kombination mehrerer Vermittlungsmethoden. Meistens besteht es im Ankündigen und Umsetzen einer Aufgabe, im Vorgeben einer Organisationsform,10 im Strukturieren des Raums und der Zeit sowie dem Vorgeben der Beteiligungsmodi wie zum Beispiel dem Aktions- und Beobachtungsmodus. In Projekt 1 entsteht Erfahrungspraxis in den multiplen Bewegungs-, Schreib-, Sprech- und Höraufgaben, die Anja einbringt und die konzeptionell an Sinneserlebnissen ansetzen. Sie stellen Erfahrungen und Erlebnisse von choreografischer Praxis ins Zentrum, nicht Wissen über Choreografie, was Anja in einem Feedbackgespräch mit der Gruppe formuliert, wenn sie meint, es gehe ihr um das „Sammeln von Erfahrungen“ und „vor allem um das Erleben“. Als Nathalie nach einer Übung anmerkt, sie habe das mit den Linien in den Raum zeichnen „nich‘ richtig verstanden“ und hinzufügt „ich weiß nich‘ wie’s aussehen soll“, antwortet Anja ihr: „Das muss ja auch nicht irgendwie aussehen. Es geht ja darum, das zu erleben. Ja?“, womit sie den Erfahrungsaspekt in den Vordergrund rückt und den ästhetischen Aspekt marginalisiert. Sie fügt hinzu: „Also, der Raum- die Übung ist dazu da den Körper ins Verhältnis zum Raum zu setzen. Ja? Das macht die Übung. Mehr nicht, erstmal. Der Rest ist Erfahrung.“ Ihre Fokussierung auf Sinneswahrnehmung wird ebenfalls in einem „Brainstorming“ am sechsten Termin offensichtlich, bei dem alle bisherigen Praxisthemen rekapituliert werden: Anja: „Lasst uns mal einmal erinnern, was wir bisher gemacht haben [... ]. Wir ham angefangen mit den Sinnen, also mit euch. Mit dem Hören, mit dem Fühlen, mit dem Tasten“. Während sie das sagt, legt Anja einen gelben Zettel in die Mitte des Kreises, auf dem „Sinne“ steht. Dieser Zettel ist einer von mehreren, auf die sie Begriffe geschrieben hat und anhand derer sie im Folgenden die zentralen Themen der bisherigen choreografischen Praxis aufzählt und mit der Gruppe bespricht.
10 | Vgl. 5.3. in dieser Studie.
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Erfahrungspraxis zeigt sich zudem als notwendiger Bestandteil der Vermittlungspraxis, als Anja zwischenzeitlich von ihrer Kollegin Corinna vertreten wird und an der Choreografieentwicklung nicht teilnimmt. Corinna hat den Kompositionsprozess mit der Gruppe weiter entwickelt und Text in das Bewegungsmaterial integriert. Als Anja wiederkommt, verfügen die am letzten Termin Dabeigewesenen über mehr Erfahrungswissen vom Stand der Choreografie als Anja. Sie hat zwar von Corinna einige Informationen zum Vollzugsgeschehen telefonisch erhalten, benötigt aber das Erfahrungswissen der Anwesenden aus dem praktischen Vollzug. Erst nachdem Madeleine Anja die neue Bewegungsfolge gezeigt hat und Anja beim Sich zu Eigen Machen des Materials eine eigene Erfahrung der Bewegung gewonnen hat, kann sie diese mit den Anwesenden choreografisch weiter bearbeiten. Smartphoneaufnahmen unterstützen zwar diesen Prozess, reichen aber nicht aus, um alle Fragen zu klären.
Zwischenergebnisse • Geplante, emergente Anteile: Das Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten oder von zeitlichen und räumlichen Komponenten kann zwar zu gewissen Teilen geplant und vorgedacht werden, beinhaltet im Vollzugsgeschehen aber unplanbare Anteile. Vermittlungspraktiken „sind nicht gerahmt von Ordnungen“ (Klein 2014b: 110), sondern Ordnungen sind als emergente Phänomene beobachtbar, „die in den Praktiken eingelagert sind und durch Praktiken hervorgebracht werden“ (ebd.). • Auf einer Makro- und Mikroebene wird Vermitteln als Erfahrungspraxis sichtbar. Diese ist für das Aufrechterhalten des choreografischen Materials nicht nur ein konstitutiver, sondern ein notwendiger Faktor, um Erfahrungswissen weiterzugeben. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Im Formulieren einer pädagogischen Intention zeigt sich Vermitteln als ‚zugänglich machen und ebnen‘ sowie ‚Weitergeben‘ von Fachwissen.
4.2 Klären Aufgabenstellungen gehen meist mit Verständigungsprozessen einher und lösen Versuche aus, einander zu verstehen. Das Klären kann je nach Situation auch zu unterschiedlichen Graden ein Erklären sein, bei dem das ‚Übermitteln‘ von Informationen auf einem unidirektionalen Weg von einer Person zu einer oder mehreren anderen im Vordergrund steht. Eine Person oder mehrere versuchen, ‚jemandem zu etwas zu verhelfen‘, zum Beispiel zu mehr Verständnis eines Bewegungsablaufs. Aus unidirektionalen Erklärungsversuchen werden oft multidirektionale Ermittlungsprozesse, bei denen die Beteiligten die
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zur Klärung der Situation benötigten Wissensbestände erzeugen. Unter Wissensbeständen wird hier implizites sowie explizites Wissen gefasst.11 Klären und Erklären lassen sich beim Choreografieren nicht eindeutig voneinander trennen und zeigen sich in veränderlichen Gewichtungen. Erklären ist auf den Gesamtprozess bezogen weitaus seltener und deswegen im Begriff des Klärens mit gemeint. Formulieren und Veranschaulichen: Intermediales Beispielgeben Fragen und Antworten Allgemeine, detaillierte, Folge-, Pseudo-, Gegenfrage stellen Nachvollziehbarmachen Performatives Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen; Nachvollziehbarmachen von Sinnzusammenhängen zwischen Praxisthema und Aufgaben/Übungen; Begründen Bekanntheits-, Fremdheitsgrade ermitteln Mit Gefühlsäußerungen Auskünfte geben Mit Gesten, Mimik, Blicken und Körperverhalten Auskünfte geben; Körperbefinden äußern und auswerten Gefühle als Meinungsäußerung Gemeinsame Sprache aufbauen Ankündigen; Betiteln Fachausdrücke einbringen Abb. 10: Vermittlungsmethoden beim Klären
Formulieren und Veranschaulichen: Intermediales Beispielgeben Formulieren und Veranschaulichen gehen bei Klärungsprozessen meist miteinander einher und ihr Zusammenspiel wird im Folgenden als intermediales Beispielgeben bezeichnet. So veranschaulicht Anja ihre Aufgabe, mit einem selbst gewählten Gelenk ‚Linien im Raum nach zu zeichnen‘ mithilfe von visuellen Beispielen und ergänzt sie mit verbalen Erklärungen: Anja: „Ich suche einen Auslöser im Raum, zum Beispiel eine hervortretende Linie im Zement der Wand, und zeichne zum Beispiel mit der Schulter diese Linie vor der Wand in den Raum“. Während sie das erzählt, führt sie mehrere horizontale Hin- und Herbe11 | Vgl. Einleitung: Methodisches Vorgehen in dieser Studie.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung wegungen mit der Schulter aus und scheint imaginäre Linien in die Luft zu malen. Dann meint sie: „Oder ich greife die Form eines Lüftungsrohres auf und zeichne diese mit dem Knie in die Luft“ und bewegt dabei ihr rechtes Knie in Kreisen.
Intermediales Beispielgeben zeigt sich auch bei Franziska, Luzie und Anja, als sie den bereits beschriebenen Bewegungsablauf üben, bei dem man sich auf den Boden setzt und dreht. Anja zeigt den Ablauf wieder mehrmals vor und die anderen versuchen, ihn zusammen mit ihr auszuführen. Die Gewichtung zwischen Bewegung und Sprache wird in jedem Moment situationsbedingt neu abgestimmt, körperliches Veranschaulichen und verbales Beschreiben ergänzen sich. In der Vermittlungspraxis beim Choreografieren ist das situationsadäquate Gewichten beider Medien in ständiger Dynamik begriffen: Anja: „Setz dich ab“. Anja stützt ihre rechte Hand und ihren rechten Unterschenkel auf den Boden und setzt sich dann auf ihr Gesäß. Dann hält sie einen Moment inne, „andere Hand dazu“, jetzt stützt sie ihre linke Hand links neben ihr Gesäß auf den Boden ab und dreht sich dann auf ihrem Gesäß weiter nach links. „Rechtes Bein kommt rum, Hand ist immer noch da und - steh’ auf“. Anja zieht ihren rechten Fuß über den Boden nach links hinüber, drückt ihre rechte Hand in den Boden und steht dann mit einem Schritt auf. Während die anderen versuchen, die Bewegung zeitgleich mit zu machen, ruft Franziska: „Oh, meine Hose ist zu eng“, unterbricht ihre Bewegung und zieht ihre Hose hoch. Anja wartet, bis alle wieder stehen und kündigt die andere Seite an: „Linkes Knie, linke Hand, linkes Knie linke Hand, alle zusammen“, dann stützt sie ihre linke Hand auf dem Boden ab und setzt ihr Körpergewicht auf den linken Unterschenkel. Sie verweilt wieder in dieser Haltung und wartet, bis alle anderen auch in dieser Haltung gelandet sind. Dann dreht sie weiter. Luzie hat sich bereits so schnell gedreht, dass sie jetzt mit den Beinen durcheinander kommt und kichert. Sie setzt sich noch einmal zurück auf ihren linken Unterschenkel, ruft „oh Gott“ und probiert noch einmal aufzustehen. Anja wartet auf Luzie und dreht sich mit ihr zusammen und Luzie dreht nun zur richtigen Seite. Anja: „Dann weiter (1) und steh auf.“
Hier wird das Ineinandergreifen von Formulieren und Veranschaulichen offensichtlich, denn es wäre unmöglich, den gesamten Bewegungsvollzug verbal zu beschreiben und umgekehrt würde auch das Veranschaulichen allein zum Klären der Koordination zwischen Hand und Fuß nicht ausreichen. Das zusätzliche Benennen von links und rechts ist vonnöten, wie Luzies Reaktion zeigt, die ihr Versehen bemerkt und auf die fälschliche Koordination zurückführen kann, was von einem Verstehensprozess zeugt. Schindler formuliert Polanyis Ausspruch „Wir wissen mehr als wir zu sagen wissen“ (Polanyi 1985: 14) in die Version: „Wir zeigen durch unser Tun wesentlich mehr als wir sagen können“ (Schindler 2011b: 346) um. Das intermediale Beispielgeben verbindet beides. Bernadette beschreibt das Zusam-
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menspiel von ‚sagen‘ und ‚zeigen‘, welches auch Birgit oft praktiziert, als gewinnbringendes Element der Vermittlungspraxis: „Und- und oft geht‘s auch wirklich darum sie zu sehen wie sie spricht und während sie was erklärt und dann darüber mit rein zu gehen schon- in das was- was da passiert dann tatsächlich auch schon was mit meinem Körper. Weil sie eben- sie auch ganz viel Mimik hat und- und dann auch schon Körperlichkeit so. Und das ist etwas, was- was bei mir zum Beispiel ganz schnell greift.“12
Der exemplarische Charakter des Intermedialen Beispielgebens zeigt sich bei der Aufgabe, eine „Guided Tour” zu gestalten: Anja: „Ich geb’ euch jetzt en bisschen Zeit, was vorzubereiten, und zwar so ’ne Art Guided Tour“. Sie erklärt, alle sollen nun ‚den Raum, den sie draußen erlebt haben, so, wie sie ihn erlebt haben, mit Worten beschreiben, als wären sie Touristenführer, die den Touristen bei einer Führung etwas zeigen‘. Dann fügt sie hinzu: „Und es wird die ganze Zeit gesprochen ohne Pause und jede kann die andere abwechseln, indem sie sagt: ‚Ja und‘ und dann sozusagen ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen in den Raum bringt, versteht ihr das? [...] Das läuft folgendermaßen ab: Eine beginnt zu beschreiben, zum Beispiel der Boden fühlt sich (1) sehr (1) weich an“. Während sie das sagt, streicht sie mit ihrer Hand über den Boden. „Das wär’ eine Beschreibungsmöglichkeit, ich bezieh’ mich dabei auf etwas, was hier im Raum ist, zum Beispiel den Boden und erinnere mich was draußen war mit dem Boden, versteht ihr? Und dann redet ihr darüber mit uns“. Später erinnert Anja noch einmal daran, dass sie sich an die Regel des „Ja, und ...“ halten sollen für den Sprecherwechsel. Dann fragt sie nach: „Klar? Wisst ihr was ihr tun sollt? Wisst ihr, wie das mit dem Ablösen funktioniert?“
Beispielgeben existiert ebenfalls als verbales Verdeutlichen einer Aufgabe, so nennt Nathalie Rollen und Rutschen als Bewegungen, die in einer Kirche nicht erlaubt sind und versucht auf diese Weise, denjenigen die Aufgabe deutlicher zu machen, die letztes Mal nicht anwesend waren. Anja und Birgit führen oftmals eine neue Aufgabe als Erste aus und setzen mit Beispielen die Praxis in Gang. In der Folge übernehmen und variieren andere diese Beispiele und im Laufe des Ausprobierens tauchen meistens weitere Ideen verschiedener Personen auf, die wiederum als Beispiele fungieren. Es entstehen Kettenreaktionen.
12 | Diese Äußerung stammt aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Fragen und Antworten Fragen und Antworten sind alltäglicher Bestandteil der Verständigung und gehören insofern zum impliziten Wissen aller Beteiligten. Im choreografischen Vermittlungsgeschehen sind sie häufig und in vielen Variationen zu hören. Fragen nehmen vielfältige Erscheinungsformen an, sie treten unter anderem als Gegenfrage anstatt einer Antwort auf oder als Nachfragen, die immer detaillierter werden. Fragen können Antworten implizieren, müssen dies aber nicht zwangsläufig, manchmal wird eine Frage gestellt, ohne auf die Antwort zu warten, sondern selbst beantwortet. Manchmal ist ein „ja?“ oder „okay?“ eine Pseudofrage und bedingt keine Antwort. Der fragende Formulierungsmodus wurde bereits beim Aufgabenstellen thematisiert, er kann auch an die Praktik des Auswertens gekoppelt sein und ist bei Feedbackgesprächen zen tral. Eine reflexive Form des Fragens zeigt sich beim Hinterfragen der Inhalte und Arbeitsweisen oder des Sinns der choreografischen Praxis und zieht meistens ein Aushandeln des weiteren Vorgehens nach sich. Im Zusammenhang mit dem Aufrechterhalten bereits erarbeiteter Errungenschaften können Fragen und Antworten zum Beispiel überprüfen, ob Vereinbarungen erinnert werden oder wer an welcher Szene beteiligt ist, sie bestätigen Errungenschaften oder zeigen einen Klärungsbedarf an. Verständnis- und Verständigungsprozesse spielen bei Interaktionsaufgaben, in denen die Zusammenarbeit der Gruppe zentral ist, eine besondere Rolle. So entsteht beim Ausprobieren des sogenannten „Traktors“ mit seinem „Motor“ in einer Kleingruppe eine Diskussion darüber, wer dabei aktiv die Bewegungsrichtung vorgibt. Beim Traktor ziehen mehrere Personen den „Motor“ an seiner Kleidung in eine Richtung und bringen ihn damit in Bewegung. Die Ziehenden reagieren dabei aber auch auf die Bewegungsrichtung des „Motors“. Helene: „Ich hab halt gedacht der Motor is‘ derjenige der sich bewegt. Also derjenige der bewegt und was anbietet“. Fiona: „Ja, wir ham‘s auch immer Motor genannt, ne?“ Helene: „Und die andern -die andern- weil für mich ist der Motor der aktive, der, der ((em)) der was macht, was anbietet und [die andern sind sozusagen diejenigen, die-]“ Fiona: „[Das Auto hat auch ’n Motor] und du sagst aber wo‘s hingeht so. Und jetzt is‘ es aber so, dass du weißt wo du hinwillst ((lachen))“. Nora: „Ja. Aber des Auto hat nicht ((em)) die Richtung, gibt nicht die Richtung vor“. Christa: „Ja, genau ((lachen))“. Lisa: „Von daher passt es dann wieder- ((lachen)).“
Anschließend gehen alle wieder in das körperliche Ausprobieren. Ob Fionas und Helens Fragen geklärt wurden, bleibt offen. Im darauffolgenden Feedbackgespräch der gesamten Gruppe wird die Frage, ob nun der Traktor oder
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der Motor aktiv die Bewegungsrichtung angibt, auch von einer anderen Kleingruppe thematisiert und führt wieder zu keinem eindeutigen Ergebnis. Es bedarf noch des mehrmaligen Wechsels zwischen Ausprobieren und Auswerten, bis die Aktivitätsverteilung beim „Traktor und Motor“ annähernd geklärt ist.
Zwischenergebnisse • Multidirektionale Anteile: Intermediales Beispielgeben ist kooperativ ausgerichtet, also ‚mehrperspektivisch‘. Es bestätigt ein „didaktisches Grundmoment“ (Schindler 2011b: 346) von Praktiken, die Erklärungen für ihre Handlungszusammenhänge mitliefern, verfügbar und verstehbar machen. • Praktiken und Methoden: Beispiele können Aufgaben veranschaulichen und klären oder einen Bewegungsablauf veranschaulichem. Beim Fragen und Antworten trägt vor allem der Praktiken-Komplex Ausprobieren und Auswerten zum Klären bei, ihre Verbindung bringt die Vermittlungspraxis voran. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Fragen und Antworten zeigt sich Vermitteln als ‚sich verständigen‘, beim Erklären als ‚Übermitteln‘ von Informationen und als Versuch, ‚jemandem zu etwas zu verhelfen‘.
Nachvollziehbarmachen Dem Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen kommt eine besondere Bedeutung zu: es beglaubigt auf performative Weise die Möglichkeit des Gelingens und Scheiterns als legitimen Teil der Vermittlungspraxis. Das Nachvollziehbarmachen von Sinnzusammenhängen spielt besonders in Projekt 1 eine zentrale Rolle und trägt maßgeblich zum gegenseitigen Verstehen und Anerkennen zwischen Choreografin und Mitwirkenden bei.
Performatives Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen Als für die „Guided Tour“ weitere Fragen folgen, bittet Anja mehrere Personen, aufzustehen. Sie schiebt die Stehenden mit ihren Händen dicht nebeneinander und benennt sie als diejenigen, die gleich die anderen führen und mit ihnen sprechen werden. Anschließend wendet sie sich an Heike aus dieser Gruppe und bittet sie, den anderen nun ihre Erinnerungen von letzter Woche von draußen zu erzählen.
Anja stellt in diesem Moment eine Raumordnung her, verteilt Rollen, wählt eine Touristenführerin aus und sagt ihr, was sie als nächstes tun soll. Damit leitet sie das Geschehen an und grenzt den Entscheidungsspielraum der Gruppe temporär ein. Hier vollzieht sich ein ungeplanter Verlauf, denn zu Beginn
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hatte Anja eine eigenständige Arbeitsweise der Gruppe angekündigt. Nun leitet sie die „Guided Tour“ vorerst an. Heike beginnt zögernd, die Aufgabe auszuprobieren. Sie erzählt, ‚sie gehe durch’s Gras und dann werde es hügelig‘, setzt dabei ihre Füße vorsichtig auf den Boden ab und schaut unsicher um sich. Anja bleibt in der Nähe von Heike und ermutigt sie, weiterzumachen und ihre Erfahrungen zu beschreiben, lobt sie und meint, alle anderen ‚könnten nun die Rolle der Führenden übernehmen.‘
Erst die praktische Erfahrung von Heike, die von Anja angeleitet und von den anderen beobachtet wird, führt dazu, dass die meisten Gruppenmitglieder anschließend bestätigen, die Aufgabe verstanden zu haben. Daraufhin setzen sie diese auch eigenständig um.
Nachvollziehbarmachen von Sinnzusammenhängen zwischen Praxisthema und Aufgaben/Übungen; Begründen Neben Aufgaben bedürfen auch Sinnnzusammenhänge der Klärung. Beweggründe zur Auswahl einer Aufgabe nachvollziehbar zu machen und Bezüge herzustellen tragen zum gegenseitigen Verstehen bei. Anja: „Wir haben ja letztes Mal mit diesen ((em)) mit diesen Räumen gearbeitet und da ist mir eben aufgefallen, dass ihr die ganze Zeit im Kreis gegangen seid. Und da ist mir dann einfach wichtig, dass ihr ’n körperliches Gefühl kriegt für den Raum. Ja? Und wie kriegt man so körperliches Gefühl für den Raum? Habt ihr ’ne Idee? (9)“. Niemand antwortet. Anja: „Ihr benutzt verschiedene Räume in euerm Leben. Welche Räume sind das und wie bringt ihr euern Körper in diesen Raum? Also woher weiß der Körper, was er gerade da zu tun hat? Zum Beispiel im Klassenraum sitzen oder auf dem Sportplatz laufen.“
Es folgt ein Austausch, an dessen Ende Anja fragt: „Okay, wenn ihr jetzt wisst, was für einen Hintergrund diese Übung hat, könnt ihr dann mehr damit anfangen?“ meint Olivia nach einer Weile: „Also ich schon“. Verstehen und verstanden werden sind wichtige Komponenten der Zusammenarbeit. In Projekt 1 verstehen die Gruppenmitglieder das Thema der Werksatt nicht, welches bereits durch einen vorangegangenen ersten Abschnitt mit einer anderen Werkstattleitung vorgegeben war. Sie beschreiben, ebenso wie Anja, dessen Widersprüchlichkeit. Judith: „Also das versteh ich auch nich‘, warum unsere Werkstatt Heimliche Orte heißt, beim Tanzen machen wir ja nichts Heimliches- also“. Für die Motivation der Gruppe scheint wichtig zu sein, den Sinn der choreografischen Praxis und den Zusammenhang zwischen dem Thema und Anjas Aufgaben zu verstehen.
Choreografie vermitteln Judith: „Ich glaub manchmal, dass sie uns nicht so wirklich versteht. Also ((em)) klar versteh ich, dass man manchmal Sachen machen muss, die man nich‘ so mag, oder… Aber ich glaub, sie versteht einfach nicht, dass ((em))- Also zum Beispiel gab es mal ein paar Übungen, die fanden wir ganz toll, haben wir ihr auch gesagt, und ein paar Übungen, die haben wir alle nicht verstanden.“ Karin: „Ich muss erstmal verstehen warum ich das machen soll.“13
Für das Gefühl, verstanden zu werden, benötigen die Gruppenmitglieder, dass Anja sich erkundigt, was sie machen möchten und dass sie auf sie eingeht. Als Heike bei der „Guided Tour“ fragt „und was soll das bringen, also was ist der Sinn darin?“ antwortet Anja „du gibst der ja einen Sinn, das ist ja eine Aufgabe, damit kannst du was machen“. Sie formuliert damit ein Verständnis von Aufgaben als Möglichkeit einer explorativen Teilhabe und gibt die Verantwortung für die Sinnzuweisung an Heike zurück. Anjas Sichtweise wird anfangs für die Gruppe nicht nachvollziehbar, was sich aber im Laufe der Verständigungsprozesse ändert. Judith: „Da sollte sie uns irgendwie erklären, warum wir das machen oder was es für ’n Grund gibt oder was es dann für ’ne Voraussetzung für was anderes ist. Dann glaub ich hätten wir’s alle besser gemacht oder hätten uns auch mehr drauf eingelassen als einfach so- Ich hab die ganze Zeit gedacht, so, nee, das wollen wir nicht machen. Aber, weil wir dachten auch immer, ja, es hat keinen Grund warum wir das jetzt machen sollten - und jetzt ist das halt anders.“
Später verlagert Anja auf Wunsch der Gruppe ihre intermediale Arbeitsweise zu mehr tänzerischen Anteilen und die Gruppenmitglieder gestalten eigenes Bewegungsmaterial für eine festgelegte Choreografie auf Musik. Damit verändert sich auch die Wahrnehmung der Zusammenarbeit: Elisabeth: „Am Anfang war das schon ’n bisschen komisch, weil wir alle so, weiß nich’das war so angespannt oder so. Und wir mochten Anja nich’ so gerne, weil sie Sachen mit uns gemacht hat, wo wir nicht verstehn- den Sinn dahinter nicht verstanden haben. Und dann ging das aber mit der Zeit. Dann hat sie uns- is’ auch auf uns eingegangen und wir ham’ uns ’n bisschen mehr drauf eingelassen und dann is’ das besser geworden“. Judith: „Ja ich glaub am Anfang ham wir uns nich‘ so gut mit Anja verstanden, weil wir immer so, oh des wollen wir nich‘ machen. Das is‘ unnötig, gedacht haben. Aber jetzt
13 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Um welche Komponenten es beim Verstehen geht, ist gruppen- und kontextgebunden. In Projekt 2 bezieht sich das Bedürfnis, etwas zu Verstehen vor allem auf die Bewegungs- und Interaktionslogik, die in den vielen Gruppen- und Kettenreaktionen von Relevanz ist und auf die Wirkung des Stückes für die Zuschauer/innen.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Solange keine konstruktive Gewichtung zwischen Aufgabenstellen, Ausprobieren und Klären erzeugt wurde, besteht Vermitteln im Ermitteln einer erfolgreichen Verständigung. Die Mitwirkenden benötigen einen für sie adäquaten Grad der Klärung der Aufgabe, um diese auszuprobieren, die Aufgabe klärt sich aber zum Teil erst im Ausprobieren. Vermittlungspraxis ist beim Choreografieren also vom situationsadäquaten Kombieren und Gewichten der Praktiken Aufgabenstellen, Klären und Ausprobieren geprägt. • Beim Klären von Aufgaben ist eine wiederkehrende Logik zu beobachten: Eine Aufgabe wird gestellt, erzeugt Fragen und Antworten, wird erklärt und meist mehrmals umformuliert. Die aufgabenstellende Person ermittelt, wie sie den Mitwirkenden ihr Thema verständlich machen kann, die Mitwirkenden ermitteln, was die Aufgabenstellerin meinen könnte, was die Aufgabe beinhalten könnte und wie sie umgesetzt werden kann. Beide Blickwinkel greifen im Interaktionsgeschehen ineinander. Ein Nachvollziehbarmachen von Beweggründen für die Auswahl von Praxisthema und Aufgaben/Übungen sowie deren Sinnzusammenhänge trägt zum Verstehen und Klären bei. • Geplante und emergente Anteile, Gelingen und Scheitern: Die Kombination von Praktiken lässt sich nicht im Vorhinein planen, auch sie wird situativ erzeugt. Wenn die anleitende Person versucht, die Gruppe zum Start einer Aktion aufzufordern, bevor ein Großteil der Gruppe oder die Aktiven dieser Gruppe ein für sie ausreichendes Verständnis der Aufgabe gewonnen haben, so scheitert dies meist und führt zu Verständigungs- und Aushandlungsprozessen. Erst ein situationsadäquates Gleichgewicht vom Klären der Aufgabenstellung vor dem Ausprobieren der Aufgabe und dem Klären während des Ausprobierens der Aufgabe führen in die Aktion.
14 | Da Verstehensprozesse im Zusammenspiel von Auswerten und Ausprobieren entstehen, werden sie im fünften Abschnitt dieses Kapitels eingehender behandelt, vgl. 4.5. in dieser Studie.
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• Temporalität, Unabgeschlossenheit: Zu welchem Zeitpunkt das Aufgabenstellen und Klären mit einem Ausprobieren einhergehen kann und ob diese hilfreich für den Klärungsprozess ist, kann nicht im Vorhinein geplant werden, sondern wird von den Beteiligten situativ ermittelt. In den variierenden Graden der Unplanbarkeit zeigt sich ebenfalls die Kontextgebundenheit von Vermittlungspraxis.
Bekanntheits-, Fremdheitsgrade ermitteln Die Relevanz des Bekanntheits- bzw. Fremdheitsgrades wurde bereits beim Formulieren von Aufgaben angesprochen.15 Bringen die Beteiligten gegebenenfalls feldexterne Erfahrungen für die Praxis des laufenden Projektes mit oder ist diese eher unbekannt? Da die Gruppe für die „Guided Tour“ noch keine Erfahrungswerte besitzt, sammeln die Gruppenmitglieder erst einmal im Gespräch Informationen, die ihnen ermöglichen, sich eine Vorstellung davon zu machen, welche Aufgabenumsetzungen möglich wären, um sich auf dieser Grundlage zuzutrauen, etwas gestalten zu können. Heikes Aufruf an ihre Gruppe „Wir fangen einfach an“ und Nathalies Antwort: „Ja, wir improvisieren das“ zeugen von ihrem impliziten Wissen, eine Erfahrung der Aktion zu benötigen, um sie zu verstehen. Hier wird Vermittlungspraxis erneut als Erfahrungspraxis explizit. Ein Vergleich der Arbeitsweise mit dem „Hörstück“ bringt die gleichzeitige Bedeutung des Komplexitätsgrades ins Spiel: beide Praxen bestehen aus terminübergreifenden Aufgaben, bei denen eigenständig eine Gestaltung vorbereitet werden soll. Beiden gingen mehrere Übungen voran, die sukzessive in das Thema einführten. Eine imaginierte und abstrahierte Touristenführung oder der „Traktor“ sind so komplex und ungewohnt in Bezug zur alltäglichen Bewegungspraxis, dass sie gegebenenfalls starken Klärungsbedarf erzeugen. Ein wichtiger Faktor in der Vermittlungspraxis besteht also im Ermitteln und Einschätzen des Bekanntheits- bzw. Gewohnheits- und Fremdheitsgrades von Themen, Aufgaben und Übungen. Gefühlsäußerungen können Hinweise über bekannte und unbekannte Themen oder die Destabilisierung gewohnter Alltagspraxen geben. Soziale Praktiken „vollziehen sich überwiegend im Modus des Gewohnten und Selbstverständlichen“ (Schmidt 2012: 10), die künstlerischen Praktiken des Choreografierens aber dekon struieren und dekontextualisieren das Gewohnte (vgl. Klein/Barthel/Wagner 2011d: 72–75), unterwandern das Selbstverständliche und hinterfragen die „impliziten Regeln und normativen Verhaltensanforderungen“ (Schmidt 2012: 10) sozialer Praktiken. Sie befragen, wie sich das Neue im Alten und das Alte im Neuen verhält. Das wird in einer Aufgabe sichtbar, bei der sich die Mitwirkenden Fortbewegungsarten an einem öffentlichen Ort aussuchen sollen, die 15 | Vgl. Kap. 4.1.: Aufgabenstellen: Formulieren: Explorativer, fragender, reflexiver, direktiver, metaphorischer, optionaler Formulierungsmodus in dieser Studie.
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dort nicht erlaubt sind. Der Mut zu verbotenen Bewegungsarten zeigt sich in der Gruppe ganz unterschiedlich. Nathalie robbt sich auf dem Rücken liegend rückwärts über den Boden quer durch den ganzen Raum, was anstrengend ist lang dauert und von Lisa mit lautem Gelächter quittiert wird. Sie muss so stark lachen, dass sie ihren Einsatz für die nächste Interaktion verpasst. Ihre Gefühlsäußerung gibt Auskunft über den hohen Fremdheitsgrad der Aufgabe und könnte als Lisas Schwierigkeit gedeutet werden, mit der Fremdartigkeit von Nathalies Bewegungsverhalten umzugehen.
Mit Gefühlsäußerungen Auskünfte geben Mit Gesten, Mimik, Blicken und Körperverhalten wird stumm Vermitteltes „zur Anschauung gebracht“ (Schindler 2011a: 8). Sie geben vielschichtige Auskünfte und „können, müssen aber im Gegensatz zu verbalen Äußerungen nicht adressiert werden“ (ebd.: 151). Dem Grad an Eindeutig- bzw. Mehrdeutigkeit kommt hier besondere Bedeutung zu. Nach Anjas Ankündigung der „Guided Tour“ murmeln einige etwas Undeutliches, Georgia senkt ihren Blick, niemand schaut Anja an, Franziska dreht sich weg, Nathalies Gesichtsausdruck wirkt fragend, Franziskas eher unentschlossen, Georgias unsicher.
Die Mitwirkenden vermitteln nonverbal mehrdeutige Auskünfte, sie meiden den Kontakt zu Anja, vielleicht, weil sie die Aufgabe nicht verstanden haben oder damit nichts anfangen können. Die speziellen Funktionen nonverbaler Kommunikation sind „im Wesentlichen in der Vermittlung emotionaler Zustände oder Einstellungen und Bewertungen zu sehen“ (Bentele 2013: 245). Sie lassen sich zur verbalen Kommunikation „hinsichtlich der Intentionalität der vermittelten Reize unterscheiden. Hierunter fallen (1) Unmittelbarkeitsreize, die Sym- bzw. Antipathie vermitteln, etwa durch Berührungen, geringe räumliche Distanz, positiven Gesichtsausdruck oder Kopfnicken im Gespräch.“ (Ebd.)
Vermittlung wird von Bentele also als eine beabsichtigte Kommunikation beschrieben. Gefühlsäußerungen sind ebenfalls Bestandteile der Verständigungspraxis, oszilieren zwischen Ein- und Mehdeutigkeit und provozieren gegebenenfalls Missverständnisse, Irritationen und Widersprüche. Wie werden sie als Vermittlungspraktiken in der choreografisches Praxis adressiert und verwertet? Lachen und Kichern sind die am Häufigsten zu hörenden Gefühlsäußerungen in den beiden Projekten und sie vermitteln sehr unterschiedliche Informationen. Es gibt zustimmendes, freudiges, ausgelassenes Lachen sowie Lachen
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als eine Form der Entschuldigung, betretenes Lachen als Reaktion auf Kritik, verblüfftes oder erschrockenes Lachen bei unerwarteten Situationen, Lachen über Missverständnisse und aus Nervosität oder Angst. Lachen zeigt variierende Grade von Unsicherheit, zum Beispiel wenn die Beteiligten nach Ideen ringen für die Umsetzung einer Aufgabe oder als Nathalie Anja ihre Bewegungsversion zeigt, mit der sie zu Boden hinunter dreht. Ihr Körperverhalten zeigt, wie ungewohnt es für sie ist, Anja ihre Bewegungsausführung vor zu machen, denn meistens ist es umgekehrt. Als Gruppe A für Gruppe B ein Hörstück erzeugt, schauen Iris und Karin immer wieder unsicher zueinander hin und machen auffordernde Gesten, die so aussehen, als wollten sie sagen ‚na los, mach’ du doch mal was!‘ Diese Auskünfte sind eindeutig adressiert und die Vermittlungspraxis findet hier körperlich, visuell und akustisch statt. Lachen kann die Zeit des Nachdenkens über eine Idee überbrücken, Äußerungen kommentieren und Zustimmung bekunden. Gefühlsäußerungen kommen mitunter Meinungsäußerungen und Wertungen gleich und beeinflussen die Vermittlungspraxis. In der folgenden Situation vermittelt Lachen in unterschiedlichen Nuancen eine affirmative Meinung: Als alle für den Start der Szene im Kreis bereit stehen, bindet sich Judith ihre Haare zu einem Knoten hoch. Anja meint ruhig: „Mach deine Frisur noch zu Ende“, Judith schaut lächelnd zu Anja, manche im Kreis lachen und beobachten Judith und dann geht es los. Während der Szene kommentiert Anja einige Aktionen, lacht, als es Unsicherheiten gibt und endet ebenfalls lachend mit einem „Okay, gut, Danke.“
Lachen und Lächeln können legitimieren, danken, akzeptieren und bestätigen. Lachen in der choreografischen Praxis lässt sich vom Lachen über jemand als Meinungsäußerung schwierig unterscheiden: Als Anja eine „Guided Tour“ ankündigt, fragt Olivia Anja ungläubig „Eine geile Tour?“ und Olivia sowie einige andere lachen. Olivias Lachen ist nicht eindeutig interpretierbar, es klingt verwundert und unsicher und vielleicht schämt sie sich auch über ihr Missverständnis, geil verstanden zu haben. Gefühlsäußerungen vermitteln oftmals nicht eindeutige und ausschließliche Informationen und lassen Raum für vielfältige Interpretationen.
Körperbefinden äußern und auswerten Auch im Äußern des Körperbefindens vermitteln die Beteiligten einander wichtige Informationen und beeinflussen die Vermittlungspraxis. Körperliche Routinen wie das Arrangieren von Kleidungsstücken, Zurechtrücken von Schals, Hochziehen von Hosen, Wegstreichen von Haaren vermitteln Befindlichkeiten und diese Informationen können ausgewertet werden. Mit Gefühlsäußerungen schützen sich Beteiligte gegebenenfalls vor negativen Erfahrun-
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gen. Zum Beispiel verweigert Elisabeth das Durchführen einer Drehung am Boden, durch die sie Schmerzen an den Knien bekam. Anja reagiert auf das Stöhnen und Protestieren der Gruppe nach einer anstrengenden Aufgabe mit einem Aktionswechsel und fügt eine entspannende Übung im Liegen ein. Dabei senden auch akustische Äußerungen Signale über Befindlichkeiten, Gefühle und Meinungen und vermitteln mannigfaltige Informationen. Zum Beispiel gähnt Andreas demonstrativ laut bei der Ankündigung einer Übung. Da alle liegen, wird er nur gehört, nicht gesehen. Seine Äußerung kann kundtun, dass er müde ist, sich entspannt oder sich langweilt. Die übertriebene Lautstärke lässt die Vermutung zu, dass er auf sich aufmerksam machen möchte und hier gerade eine Vermittlungsabsicht am Laufen ist. Hier zeigt sich ein Grundmoment von Praktiken, die sich nicht durch direktes Verstehen von Äußerungen erschließen. „Das implizite Wissen muss zwangsläufig indirekt erschlossen werden, das heißt, aus expliziten Äußerungen, Handlungen, Umgangsweisen mit Dingen usw. muß auf die impliziten Schemata rückgeschlossen werden“ (Reckwitz 2008a: 196). Die „Doppelstruktur als materiale Körperbewegungen und als implizite Sinnstruktur“ (ebd.), die Praktiken ausmacht, zeigt sich in vielen Situationen. Oftmals keuchen, husten, seufzen, lachen und unterhalten sich die Beteiligten nach Beendigung einer anstrengenden Übung. Diese Befindlichkeiten geben Rückmeldungen, die auswertet werden können und sind somit auch Teil der Praktik Auswerten. Als Birgit ruft: „Schluss mit der Aufregung jetzt, sofort!“, lachen alle, denn sie können aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen von Birgits sozialer Umgangsweise sofort einschätzen, dass sie einen derartigen Ausruf nicht ernst meint. Auch ihr Tonfall zeigt an, dass sie Spaß macht und ihre Empörung spielt.
Gemeinsame Sprache aufbauen Der Beginn der Arbeit mit einem neuen Praxisthema findet häufig auf die gleiche Art und Weise statt: das Thema wird angekündigt, betitelt und es folgen Aufgaben, manchmal auch Erläuterungen von Ideen oder Bildern für die Umsetzung und den inhaltlichen Bezug zum Stück. Die Basis für den Sprachschatz eines choreografischen Projektes bildet die Alltagssprache der Beteiligten, zu der im Laufe der Praxis ‚indexikalische‘ (Garfinkel 1967; Garfinkel/ Sachs 1976)16 Bezeichnungen hinzukommen, die im Feld entstehen und nur von den Beteiligten verstanden werden. Sprachliche und körperliche Äußerungen können als Hinweise verstanden werden und müssen in ihrem Verweisungszusammenhang gelesen werden, wie die Übungs- und Szenenbezeich16 | Garfinkel/Sacks zufolge steht alles, was gesagt und getan wird, immer in Bezug zur jeweiligen Situation und wird im Laufe des Geschehens von den Beteiligten unaufhörlich verändert (Garfinkel/Sacks 1976).
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nungen 5-Punkte, Guided Tour, Langer Arm, Traktor/Motor, Where I am is what I need, Dreiblättriges Kleeblatt, Große Maschinen und Cellular migration bestätigen. Im folgenden Auszug aus einem Beobachtungsprotokoll sind diejenigen Begriffe kursiv gesetzt, die im Laufe des Prozesses zum Bestandteil der choreografischen Sprache werden. Auf dem Boden liegen Zettel mit den Titeln der Szenen, die bisher erarbeitet wurden. Anja gleitet mit ihrem Stift über einen der Zettel und kündigt dann an, dass diejenigen, die vorher die 5-Punkte gemacht haben, gleich ein Unisono entwickeln sollen. Anja zeigt mit dem Stift Worte auf dem Zettel und geht sie durch: „Ich hab’ hier stehen: drehen, hüpfen, krabbeln, Po schieben, gehen, rollen, rennen, liegen“. Anja überlegt, wendet sich dann Bruno zu und meint zu ihm, dass sie auch noch Bewegungen von ihm dazu nehmen würden: „Und den Kick mit dem Knie, dann bauen wir dich da auch noch mit rein in die 5-Punkte“. Bruno und Anja zählen zusammen auf, welche Bewegungen Bruno schon hat: „Kick mit Knie, Schwimmen, Hocke“. Anja nennt eine Bewegung fliegen, die Bruno als Superman bezeichnet, sagt zu Bruno, sie habe das ‚als eine Art Vogel gesehen‘, übernimmt dann aber Brunos Titel Supermann und schreibt ihn auf den Zettel zu den anderen dazu.
Ankündigen; Betiteln Im Ankündigen und Betiteln der Bewegungen zeigt sich Vermitteln in seiner Bedeutung als ‚festlegen und entwerfen‘. Die vorangegangene Situation bildet einen typischen Prozess ab, bei dem die Beteiligten eine gemeinsame Sprache ermitteln, aushandeln, vereinbaren und verankern. Superman ist ja kein neues Wort, doch können nur die Beteiligten verstehen, welche Bewegung damit in diesem Kontext gemeint ist. Der Begriff gehört inzwischen zum gemeinsamen Wissensbestand der Gruppe.
Fachausdrücke einbringen Auch Fachausdrücke werden in die gemeinsame Sprache eines Projektes eingebracht. Im Laufe des Prozesses werden sie wiederholt, verankert und zum Bestandteil der gemeinsamen Sprache. Zum Beispiel spricht Birgit immer wieder von den „descending tracks“, einem Fachausdruck aus der Embryologie. In der folgenden Beschreibung bezieht er sich auf eine Partnerübung, bei der eine Personen hinter eine andere geht und dieser mit den Händen an der Rückseite des Körpers herunter streicht, sodass dieser dabei zu Boden sinkt. Birgit: „Das ist schön! (5) Wenn ihr dann mal kurz Pause macht und guckt, da ist jetzt jemand in meiner Nähe, wie das ist, wenn ich mich da abstütze und abwärts gehe mit den descending tracks und wie das wäre – also vielleicht, wir probieren das mal so mit ’nem anderen Aspekt als das nur technisch zu lösen, ’ne, mehr physiologisch, also dieses, das Potential der Nähe und des abwärts, kannst du hier nochmal näher kommen und
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Bernadette beschreibt, wie im Projekt 2 ein gemeinsames „Vokabular“ zur Embryologie entsteht und die Kommunikation sowie das gegenseitige Verstehen unterstützt: Bernadette: „Ich fand auch schön, weil‘s halt- als wir dann die Begrifflichkeiten nämlich hatten, konnten wir auch ganz anders darüber reden. Irgendwie wusste jeder man hatte dieses Vokabular, man wusste sofort um was es geht. ‚Unisono‘, also wenn wir dann irgend was besprochen haben, konnte man anders damit- es war ’n anderes Werkzeug, was man hatte, mit dem man dann umgehen konnte auch im Besprechen und Experimentieren oder im Prozess noch.“
In beiden Beispielen wird der explorative Charakter der Verständigungsarbeit deutlich, bei dem Benennen und Wiederholen von Bezeichnungen dazu beitragen, eine gemeinsame Sprache aufzubauen und zu verankern. Klären ist hier mit Aufrechterhalten verbunden.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden, emergente Anteile: Der Bekanntheits- bzw. der Fremdheitsgrad eines Themas, einer Aufgabe, Übung oder Bewegung steht in Beziehung zum Klärungsbedarf. Der Klärungsbedarf steht in Beziehung zur Gewichtung gewohnter und ungewohnter Bewegungen, die Übertragungs- und Abstraktionsprozesse benötigen. Der Bekanntheitsbzw. Fremdheitsgrad einer Bewegung kann zwar ermittelt, eingeschätzt, geplant und reflektiert werden, obliegt dann aber der Emergenz des Vollzugsgeschehens und hängt von den Anwesenden ab. • Erfahrungspraxis: Im Zusammenspiel von Ausprobieren, Klären, Auswerten und Aushandeln wird Vermitteln als Erfahrungspraxis explizit. • Adressierte und nicht-adressierte Auskünfte: Die gleiche Ethnomethode kann je nach Moment und Kontext adressiert oder nicht adressiert in Erscheinung treten. • Reflexive Anteile: Bei nicht-adressierten Auskünften besteht die Vermittlungspraxis darin, diese als Mitteilungen wahrzunehmen und auszuwerten. Sie sind somit Teil einer reflexiven Vermittlungsarbeit und machen das Er- und Vermitteln einer Aufgabe als immanenten Teil der choreografischen Praxis sichtbar. Der Grad an Eindeutig- bzw. Mehrdeutigkeit variiert je nach Thema und Situation und Vermittlungsmethode.
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4.3 Ausprobieren Das Ausprobieren von Praxisthemen wurde bereits vielfach beschrieben und soll hier nun in den Fokus kommen. Der Begriff „Ausprobieren“ wird im Feld oft verwendet und wurde deswegen als Titel dieser Praktik gewählt. Birgit leitet zum Beispiel eine Arbeitsphase mit den Worten ein „es gibt eine Idee, die ich gerne ausprobieren möchte“ oder bittet eine Teilgruppe „Könnt ihr mal diese zwei Kreise ausprobieren?“ und fügt später hinzu „Probiert doch mal ’n bisschen aus, wenn ihr mit Körperteilen oder Händen in Kontakt seid, mit den Zweigen diese liegenden Achten oder Kreise zu machen“. Eva erzählt, „ich fand‘s jetzt aber schon so, dass es unterschiedliches Lehnen war bei allen von uns. Also des scheint so ’n Ausprobieren zu sein: Wie viel bin ich auf den eigenen Füßen?“ Die gesamte Vermittlungspraxis kann als Ausprobieren angesehen werden. Sie besteht zu einem großen Teil in den Versuchen, die choreografischen Aufgaben, Regelwerke, Prinzipien und Strategien umzusetzen. In diesen Prozessen probieren, üben, proben und ermitteln die Beteiligten ihre choreografische Vermittlungspraxis. Dies geschieht immer im Ensemble mit anderen Praktiken und ihren Ethnomethoden, so gehören Einbringen und Ausprobieren von Aufgaben wie zwei Seiten einer Medaille zusammen und verbinden Aufgabenstellen und Ausprobieren.
Verzahnen Sich zu Eigen Machen Vorgegebenes Material mit inkorporiertem Bewegungshabitus verzahnen Performatives Umdeuten Bewegungserfahrung mit Fachausdrücken und theoretischen Bezügen verzahnen Warm-up mit Bewegungsqualitäten und Szenenabfolge verzahnen Anpassen Praxis an Befindlichkeiten, Fähigkeiten und Erfahrungsgrade, materielle und wetterbedingte Gegebenheiten, diskontinuierliche Anwesenheit anpassen Prioritäten anpassen Abb. 11: Vermittlungsmethoden beim Ausprobieren
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Verzahnen Im Verzahnen zeigt sich eine der grundlegendsten Bedeutungsvarianten von Vermitteln, die in den etymologischen Wörterbüchern und Lexika zu finden ist und als ‚zugänglich machen, vereinen, ausgleichen, zusammenbringen‘ sowie als ‚verbinden von Gegensätzen und auflösen von Widersprüchen‘ beschrieben wird. Das zentrale Element dabei ist das Zusammenbringen zweier Teile, die gegebenenfalls zusammenhanglos und auch widersprüchlich sein können. Im intermedialen Beispielgeben werden unter anderem visuelle und verbale Informationen miteinander verzahnt, wie bereits beim Klären thematisiert wurde. Des Weiteren kann vorgegebenes Material mit dem inkorporierten Bewegungshabitus der Anwesenden verzahnt werden oder eine Bewegungserfahrung mit Fachausdrücken und theoretischen Bezügen.
Sich zu Eigen Machen Der Terminus „Sich zu Eigen Machen“ stammt von Birgit aus dem Forschungsfeld. Ein Sich zu Eigen Machen von vorgegebenem Bewegungsmaterial ist zwangsläufig an das Einbringen von Bewegungsmaterial einer anderen Person gekoppelt, beides gehört zusammen wie zwei Seiten einer Medaille. Dabei führt eine beispielgebende Person meistens die Bewegungsfolge zuerst zusammen mit denjenigen aus, die sich die Bewegung zu Eigen machen möchten und beobachtet gleichzeitig die Agierenden. Alternativ wechselt sie in den Beobachtungsmodus und wertet ihre eigenen Erfahrungen sowie das beobachtete Geschehen aus. Sie leitet den Aneignungprozess an, gibt Hinweise und leitet Erkenntnisse aus dem Bewegungsgeschehen ab. Alle sieben Vermittlungspraktiken werden dabei aufgerufen, ihre Gewichtung und Kombination ist in ständiger Veränderung begriffen. Wie das geschieht, veranschaulicht Birgit beim „Warm-up“, in dem sie Übungen zur Körperwahrnehmung anleitet. Wir sitzen alle im Kreis mit leicht angewinkelten und auswärts rotierten Beinen und streichen mit unseren Händen erst an den Außen- und dann an den Innenseiten der Beine entlang. Birgit verbalisiert gleichzeitig, was sie tut. Einige schauen zu Birgit herüber, beobachten sie und integrieren Bewegungselemente in ihr eigenes Bewegungsverhalten. Dann meint Birgit „Niere 1 kneten“ und massiert diesen Punkt selbst auf ihrer Fußsohle. Sie beschreibt gleichzeitig, dass man den Punkt finde, indem man den Fuß zusammenziehe, sodass sich auf der Fußsohle eine Mulde bilde, in deren Mitte Niere 1 liege. Diese Bewegungen führen wir alle zeitgleich mit ihr aus.
Hier zeigt sich ein Beispiel für Schindlers Feststellung, „dass Praktiken sich nicht nur erkennbar machen, sondern immer auch (mehr oder weniger ausführlich) Hinweise über ihre eigene Funktionsweise transportieren, sich also
Choreografie vermitteln beobachtbar und prinzipiell nachmachbar präsentieren und damit ‚implizite‘ Wissensdimensionen vermitteln.“ (Schindler 2011a: 6)
Birgit bringt Expertenwissen von asiatischer Medizin und asiatischen Kampfkünsten in die Praxis ein und gibt es an die Anwesenden weiter. Es trägt dazu bei, den Meridianpunkt lokalisieren und spüren zu können. Die Nachmachbarkeit wird durch direktive Aufgabenformulierungen, intermediales Beispielgeben und eine gute Sichtbarkeit im Kreis unterstützt. Später fügt Birgit hinzu: „Was relativ wichtig ist, ist die Handrichtung, das Scharnier, ja, man kann auch mal bei den anderen gucken, bei sich selbst fühlt sich das anders an“. Birgits Hinweis macht das Ausprobieren als implizites Zeigen und als Beispielgeben aller Beteiligten explizit und zeigt, dass choreografische Praxis als Vermittlungspraxis am Laufen ist. Bei Übungen im „Warm-up“ kommen meistens keine Rückfragen der Personen, die die Übungen ausführen. Die Erfahrung steht im Vordergund, wie zum Beispiel, als Madeleine Georgia eine Bewegungsfolge zeigt, die bei der letzten Probe festgelegt wurde, an der Georgia nicht anwesend war: Madeleine kündigt erst an, alle würden zur Wand rennen und startet dann los. „Wir klatschen so an die Wand ((lacht))“. Sie klatscht ihre Hände seitlich neben ihrem Rumpf an die Wand und lehnt sich mit dem Rumpf an die Wand. Georgia schaut ihr erst zu, steht dann auf, geht zur Wand und macht links neben Madeleine deren Körperhaltung nach. Madeleine: „So, das ist der Anfang“. Dann zeigt Madeleine einige Schritte und zählt „Eins, zwei, drei, vier, über rechts drehn“. Georgia schaut auf Madeleines Füße und versucht, zeitgleich die Schritte mit ihr mitzumachen. Madeleine bewegt sich langsamer als die Musik und erklärt, dass dann der rechte Fuß vorne sei, setzt diesen noch einmal betont nach vorne ab und wartet, bis auch Georgia ihren rechten Fuß vorne hat. Madeleine: „Fünf“, dabei geht sie einen Schritt vor, „sechs“ und setzt den Fuß neben den anderen. „Dann steh’n wir so“. Madeleine und Georgia gehen zusammen die Bewegungsfolge nach und nach durch. Georgia übernimmt sehr schnell Madeleines Bewegungen und das Ganze geht ohne jegliche Nachfragen von Georgias Seite vonstatten. Madeleine verfolgt Georgias Bewegungen mit ihrem Blick genau mit. Dann lacht sie sichtbar zufrieden, bevor sie sich hinsetzt.
In den meisten Fällen lösen Bewegungsaneignungsprozesse verbale Absprachen aus und bestehen aus variierenden Vermittlungsmethoden wie Fragen, Antworten, Raum strukturieren, Hinweise geben, Details klären, sich mit Gesten verständigen, Gefühle und Körperbefinden äußern, mit körperlichen Routinen Auskünfte geben, körperliche Routinen auswerten, Zeit strukturieren: verlangsamen, zergliedern, das Bewegungstempo körperlich veranschaulichen, Counts der Musik während der Bewegung mitzählen usw.
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Birgit sagt nach einem Durchlauf des gesamten Stückes zu den Darsteller/ innen: „Findet eure Substanz in dem Material, das ist das Wichtigste“. Sie betont immer wieder, wie wichtig es sei, dass „es euer Material wird“ und ihr Feedback, „da war das richtig euer Material. Das sah so toll aus, weil ihr so drin ward im Körper“ legen den Schwerpunkt auf eine aktive Teilhabe am Sich zu Eigen Machen: „Die ganzen Sachen, die ihr jetzt persönlich für euch findet, das ist das A und O, dass ihr nicht am Ende irgendwie einen Score abtanzt, so, dann kriegt man, dann spürt man nichts, aber ihr fangt jetzt an ((eh)) dass ihr euch das (1) zu Eigen macht, sodass man dann auch sieht, wie jeder einzelne dann stark wird- also dass das Potential schon kommt, also dass das da ist.“
Sich zu Eigen Machen kann auch das Übernehmen einer Einstellung und das Anwenden dieser Einstellung meinen. Nach einer Probe merkt Edwin an, dass man ‚gerade bei den Übergängen merke, ob man raus falle oder da bleibe‘ und bittet dann alle, ‚zu versuchen, konzentriert zu bleiben‘. Birgit meint zu ihm, das sei ‚ein subjektiver Fokus, den man sich zu Eigen Machen könne‘ und Edwin ergänzt, ‚dass sich das verbinde‘. Beim sich zu Eigen Machen bleibt also die Heterogenität der individuellen Ausprägungen erhalten: Birgit: „Dass ihr euch so selber organisieren musstet und das (1) eine Aufgabe wurde, ’ne, sich das zu Eigen zu machen (3) weiter in die Richtung würde ich sagen. (2) Subjektivierung, sich das zu Eigen machen. (2) Das Material ist toll, jetzt gab es noch einige Momente, wo es noch nicht eurer Material war, z.B. Ektoderm Nagel ((äh)) Fingernägel, und das Aufstehen, dieses normale Aufstehen.“
Für Birgit beinhaltet Subjektivierung somit ein sich zu Eigen Machen des Materials. Dabei bilden Individualität und Kollektiv keine Dichotomie, sondern ergänzen einander.
Vorgegebenes Material mit inkorporiertem Bewegungshabitus verzahnen; Performatives Umdeuten
Aushandeln A A Aufgabenstellen A Auswerten
Ausprobieren
Dem Wunsch der Mitwirkenden entsprechend, hatte Anja am vorangegangenen Termin erstmalig eine vorgegebene Bewegungsfolge auf Musik in die Praxis eingebracht. Der Bewegungsverlauf, seine raum-zeitliche Struktur und
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die Wiederholungen weichen vom lebensalltäglichen Bewegungsverhalten der Gruppe ab. Heute wird die Folge das zweite Mal geübt und alle versuchen, sie zeitgleich mit Anja auszuführen. Anja ‚übermittelt‘ ihr Erfahrungswissen an die Gruppe, gibt Hinweise, beschreibt Details. Im Bewegungsverhalten einiger Gruppenmitglider wird deutlich, dass die Bodenpassage ihnen Schwierigkeiten bereitet, einige zögern, sich überhaupt auf den Boden zu setzen. Anja: „Sagt mal, wenn ihr so sitzt- sitzt ihr manchmal so?“ und richtet damit ihr Interesse auf das Bewegungsverhalten der Mitwirkenden. Franziska: „Ja“, aber Elisabeth wehrt sofort ab und meint, sie habe große blaue Flecken gehabt vom letzten Mal und das mache sie nicht wieder. Mit Elisabeths Ablehnung des Bewegungsvollzugs und ihrer Begründung beginnt ein Aushandlungsprozess. Anja atmet tief ein und aus, scheint nachzudenken und meint dann: „Du sollst dich ja nicht aufs Knie setzen, guck mal, mein Knie-“ Elisabeth: „Ja aber trotzdem, das geht nicht“. Anja: „Ja, aber guck mal - vielleicht könnt ihr euch so hinsetzen“. Bei diesen Worten begibt sie sich in eine andere Sitzhaltung, den Fersensitz, „setzt euch mal bitte, ich will mal sehen-“, daraufhin begeben sich einige (außer Elisabeth) problemlos in den Fersensitz und veranschaulichen, dass diese Sitzhaltung ihrem gewohnten Bewegungsverhalten und impliziten Wissen entspricht.
In Anjas darauffolgender Frage „Und wie sitzt ihr noch so?“ fragt sie weiter den inkorporierten Bewegungshabitus der Agierenden ab und Vermitteln zeigt sich als Ermitteln. Madeleine, Luzie und Nathalie nehmen verschiedene Sitzhaltungen ein und als Luzie Madeleines Haltung sieht, wechselt sie ihre. Madeleine, Luzie und Nathalie praktizieren nun ebenso wie Anja ein Beispielgeben und Veranschaulichen. Anja: „Okay, von hier“, sie nimmt den Fersensitz ein, „nach hier“, sie setzt sich in Luzies Sitzhaltung „nach hier ist nicht so’n Problem, oder?“ und dreht sich auf dem Gesäß genauso weiter, wie es in ihrer Bewegungsabfolge vorgesehen ist.
In diesem Vorgang verzahnt Anja ihre Sitzhaltung mit der von Luzie und es wird deutlich, dass beide einander ganz ähnlich sind und einfach hintereinander ausgeführt werden können. Im Anschluss fordert sie Nathalie mit einem „Mach mal?“ zum Ausprobieren auf und diese führt den Bewegungsablauf in der gleichen Art und Weise wie Anja durch. Es zeigt sich, dass er auch für sie einfach zu bewältigen ist. Dann probieren alle diese Version aus, mit Ausnahme von Elisabeth, die bei ihrer Verweigerung bleibt und die Praktik des Aushandelns am Laufen hält. Elisabeth ist somit die Einzige, die den Ermittlungsprozess nicht körperlich erfahren, sondern nur beobachtet hat. Mit einem „Okay, dann guck mal wie du ’ne Alternative dazu findest“ akzeptiert Anja
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Elisabeths Verweigerung und stellt das Ermitteln einer individuellen Lösung der Bewegungsausführung als Aufgabe an Elisabeth. Diese wechselt wenig später in eine aktive Teilhabe am Bewegungsgeschehen über.
Zwischenergebnisse • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Bei Aneignungsprozessen von vorgegebenem Bewegungsmaterial hat das ‚Übermitteln von Wissen‘ zu keiner erfolgreichen Vermittlungspraxis geführt. Erst im Verzahnen des vorgegebenen Materials mit dem inkorporierten Bewegungshabitus der Nachahmenden entsteht eine gelingende Vermittlungspraxis. Sie wird als ‚Zusammenbringen bzw. Vereinen zweier Teile, Zugänglich machen, Ausgleichen der heterogenen Erfahrungswerte der Beteiligten, Verbinden von Gegensätzen und Auflösen von Widersprüchen‘ praktiziert. • Multidirektionale, emergente Anteile: In den Blicken und im Körperverhalten ist mehr Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern beobachtbar als zwischen ihnen und Anja. Eine multidirektionale Vermittlungspraxis ist nicht zwangsweise an einen ‚gemeinschaftlichen‘ Prozess gebunden. In ihr können Hierarchieverhältnisse aufrechterhalten und bestätigt werden. • Praktiken und Methoden: Das simultane Zusammenwirken von Ausprobieren und Auswerten zeigt sich als situative Notwendigkeit dieser Vermittlungspraxis: Ausprobieren findet als Auswerten statt. Für Anja entsteht der Bedarf, zu ermitteln, wie es den Mitwirkenden möglich wird, das von ihr vorgegebene Bewegungsmaterial auszuführen. In der Folge interessiert sie sich für deren inkorporierten Bewegungshabitus und verzahnt ihre Sitzhaltung mit der von Luzie. Dabei wird performativ nachvollziehbar, wie einfach sich diese miteinander verbinden lassen. Die Wiederholung von Nathalie beglaubigt performativ ein Umdeuten von schwierig zu einfach. Ein rein verbales Auswerten ohne die wechselseitige Beobachtung und Durchführung der Bewegungen hätte für den Aneignungsprozess nicht ausgereicht.17
17 | Bei Aneignungsprozessen, in der tanzpädagogischen Literatur auch als „Nachahmung“ (Klinge 2004: 7) bezeichnet, ist das „mimetische Vermögen“ (ebd.: 6) der Beteiligten gefragt. Klinge differenziert „drei Herstellungspraxen und damit drei sich vonein ander unterscheidende Qualitäten tänzerischer Mimesis“ (ebd.: 7). Eine imitierende, nachgestaltende Nachahmung, eine verändernde, umgestaltende Nachahmung und eine sich von der Vorlage entfernende Neugestaltung (ebd.: 7f.). In der beschriebenen Situation wird sichtbar, dass eine imitierende, nachgestaltende Nachahmung zum Ausführen der Bewegung nicht ausreicht, sondern ein Umgestalten als explorative Praktik notwendig ist. Sie zeigt ebenfalls, dass das Verzahnen eines vorgegebenen Materials
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• Gelingen und Scheitern, explorative, reflexive Anteile: Vermittlungspraxis von Personengruppen mit unterschiedlichen Erfahrungswerten von Tanz und Choreografie beinhalten Bestandteile, für deren Bewältigung noch keine „routinisierten Verstehensmuster“ (Reckwitz: 2008b: 122) und keine „konventionalisierten Motiv/Emotions-Komplexe“ (ebd.) existieren. Beim performativen Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen performen die Mitwirkenden im Ausprobieren das potenzielle Scheitern und Gelingen ihrer Praxis. Nathalies Ausprobieren wird zur performativen Beglaubigung potenzieller Veränderungen. Anja und Nathalie gehen beide das Risiko ein, dass ihr Versuch misslingt. Sie präsentieren kein Positivbeispiel als Endergebnis.
Bewegungserfahrung mit Fachausdrücken und theoretischen Bezügen verzahnen In Projekt 2 verzahnt Birgit Fachausdrücke wie descending tracks, Hara, Ki, Thymusdrüse aus asiatischen Körperwegen, dem Qi-Gong, Methoden der Energiearbeit, Kampfkünsten, der Embryologie und dem Body-Mind-Centering mit Bewegungserfahrungen. Sie geht davon aus, „dass wenn hier Begriffe fallen und wenn man‘s im Tun ausprobiert und macht, dass es sich dann klärt. Und komischer Weise is‘ das auch so.“ Beim praktischen Vollzug entsteht ein Verständnis der Fachausdrücke und ihrer theoretischen Hintergründe als Erfahrungswissen, in dem sich knowing how und knowing that verbinden, wie einige Aussagen der Performer/innen belegen: Angelika: „Also ich hab‘ ein Gespür glaub‘ ich dafür- so im Mitmachen ((em)) wenn Birgit des sprachlich begleitet und gleichzeitig ich ihre Bewegung sehe oder spüre neben mir. Irgendwie dann kann ich das, ich glaube ich nehm’ das auf, und dann spürt mein Körper, was sie meint irgendwie.“18
Bei einer Probe im Studio liegt ein Buch mit dem Titel „Netters Atlas of Human Embryology“ auf dem Tisch. An diesem Tag zeigt Birgit bei einer Übung, die sie „cellular migration“ nennt, einige von ihr mitgebrachte Kopien, auf denen die Stadien der Embryonalentwicklung bildlich dargestellt sind. Birgit: „Ich zeig‘ die Tafel zum Veranschaulichen und dann auch zum Verstehen zwischendurch. Manchmal dazwischen, manchmal danach, manchmal am Anfang des Tages. Also ich hab rausgefunden, dass, wenn die Worte im Raum stehen und egal ob man mit dem inkorporierten Bewegungshabitus nicht nur von der Gruppe gefordert ist, sondern auch von Anja (Vgl. Barthel 2017). 18 | Diese Äußerung stammt aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung das jetzt verstanden hat oder nicht, aber wenn man‘s dann macht, dass es sich dann klärt. Und dass die Leute da rein gehen, eigentlich alle, als Gruppendynamik und als individueller Prozess, beides.“19
In einer Szene der Choreografie vollziehen die Performer/innen Prozesse der „cellular migration“ körperlich nach und verbinden die theoretischen Erläuterungen mit ihrem Bewegungsempfinden: Kordula: „Also bei der Embryologie. Also sie hatte ja da immer ihre Bücher auch dabei und ((em)). Also ich fand das eigentlich ganz schön, da auch zu merken, okay ich hab‘ jetzt da so ’n Körpergefühl für gekriegt, aber jetzt kommt der Kopf noch dazu- Also da verbindet sich noch mal was. Das fand ich ganz schön. Also dass man so Theorie auch noch mal erleben kann, so. Und dann wieder ’ne andere Verbindung dazu kriegt und auch noch mal sich das alles tiefer setzt irgendwie, das Verstehen der ganzen Materie.“20
Zwischenergebnisse • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Verzahnen der Bewegungserfahrung mit Fachausdrücken und theoretischen Bezügen wird ‚feldextern gewonnenes Wissen weiter gegeben‘. Birgit stellt mit den Kopien zur Embryonalentwicklung und ihren Erklärungen ‚Mittel zum Integrieren dieser Informationen zur Verfügung‘. Auch die Prinzipien infinit, abgeben und lehnen, nicht binär aktiv–passiv, sondern verkettet und push–pull, die sie in die Arbeit einbringt, ‚stellen Mittel zur Verfügung‘, um Bewegungsqualitäten herauszuarbeiten und die Funktionsweise einer Praxis zu verstehen. • Praktiken und Methoden: Ausprobieren und Auswerten greifen ineinander und tragen zum Klären der Bewegung bei.
K Klären
Ausprobieren A Auswerten
19 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. 20 | Diese Äußerung stammt aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Anpassen Beim Anpassen zeigen sich die Relationalität und Unabgeschlossenheit des Vermittlungsgeschehens besonders deutlich. Die Notwendigkeit, geplante sowie emergente Anteile situationsadäquat zu kombinieren sind hier zentral. Zum Beispiel werden Übungen an das aktuelle Befinden der Gruppe angepasst: Als einige stöhnen, seufzen, schwer atmen und einen hohen Anstrengungsgrad rückmelden, wechselt Anja zu Wahrnehmungsübungen und strukturiert ruhige, körperlich entspannende Erfahrungsgelegenheiten. Gleichzeitig wechselt sie von Gruppen- zu Einzelaufgaben und passt so den Anstrengungs- und Komplexitätsgrad der Übung an. Als Birgit wieder einmal zwischen den Agierenden durch den Raum geht und diese beobachtet, greift sie Penelopes Befindlichkeit auf und formuliert sie als Aufgabe für die ganze Gruppe: „Wenn’s euch schwindelig wird, langsamer machen“. Bei einer Pendelbewegung der Arme meint Birgit: „Ganz bequem, je bequemer desto besser, adaptiert, wenn ihr nicht ganz bequem seid, sucht nach dem, wo es euch leicht fällt, wo es euch mehr Energie gibt als Energie raubt ((lacht))“. Später fügt sie hinzu: „dass es bequem ist für euch ist die Basis für alles, deswegen adaptieren, immer adaptieren.“ Bei einer Auf- und Ab-Bewegung springen manche lustvoll immer höher und jauchzen, manche springen nur bei der Aufwärtsbewegung, andere erheben sich nur leicht wippend auf die Vorderfüße. Es ist heiß im Raum und Birgit ruft: „Es ist völlig richtig, dass ihrs adaptiert, Leute, wir haben nicht das selbe- ((husten von Lisa)), das heißt, adaptiert zu euren Bedürfnissen, so wie ihrs macht, die Eigenverantwortung ((lacht)), (2) vielen Dank ((lacht)).“
Als alle draußen im Garten eine Übung im Liegen ausführen, bei der man vorund rückschaukeln soll, fragt Penelope, „wie das denn geht“ und beantwortet ihre Frage gleich selbst, sie ruft „adaptieren ist das Zauberwort“ und legt sich dabei lang und entspannt auf den Rasen, seufzt genüsslich und macht eine Pause. Das Anpassen ist in der gemeinsamen Vermittlungspraxis verankert. Inzwischen finden die Proben von Projekt 2 auf der Industriebrache, dem Ort der Performance, statt. Dort sorgt das Wetter als Partizipand der choreografischen Praxis (vgl. Barthel 2015) für ein durchnässtes Gelände, kalte Temperaturen und unwirtliche Aufwärm-, Proben-, Pausen- und Aufführungssituationen. Birgit passt das gleiche Qi-Gong-Warm-up je nach Wetterlage an: bei Regen findet es im Stehen, anstatt im Sitzen statt, beim Regen an der Generalprobe verlagert es Birgit spontan unter das Zelt, welches für die Zuschauer direkt vor dem Eingang zur Brache aufgebaut wurde. Dort sitzen alle dicht gedrängt auf den Holzbänken, der Stromaggregator stinkt und brummt neben-
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an und Birgit passt die Übungen an die Enge des Raums an. Es wurden also situationsgebunden mehrere Varianten des „Warm-ups“ erzeugt. Emergenz zeigt sich auch in dem situationsbedingten Umgang mit der jeweiligen Konstellation der An- bzw. Abwesenden, zum Beispiel als Anja nicht vor Ort ist und die Gruppe alleine arbeitet oder wenn Gruppenmitglieder einander in bereits bestehende Szenenstrukturen integrieren.21
Prioritäten anpassen Die Relationalität von Vermittlungspraxis kommt bei einem Fangspiel besonders prägnant zum Vorschein und wirft die Frage auf, wann und warum eine Vermittlungspraxis gegebenenfalls als ‚gescheitert‘ oder ‚gelungen‘ eingestuft werden könnte und wer diese Zuweisung vornimmt. Um das Fangspiel von letztem Mal zu wiederholen, versuchen die Anwesenden gerade, die Regeln zu erinnern. Alle stehen verstreut im Raum und reden durcheinander. Bruno, der letztes Mal nicht dabei war, wird von mehreren gleichzeitig instruiert. Dann schreitet Anja ein und erklärt Bruno, wie das Spiel geht, Georgia fällt ihr ins Wort und erklärt es anders. Letztlich meint Anja, ‚das Spiel sei kompliziert, aber das solle ja auch so sein‘ und beendet damit die Diskussion, die mehrere Minuten gedauert hat. Damit kommt es endlich zum Praxisvollzug des Fangspiels. Nach einer Weile rennen alle durch den Raum, weichen einander aus, springen aufeinander zu, rollen und krabbeln. Es wird gestöhnt, geächzt, gelacht und Kommentare sind zu hören: „Oh, ist das anstrengend, das tut weh, ah, meine Hose, meine Knie“ oder „ganz schön fies, wenn sich die eigenen Freundinnen von einem entfernen!“ Viele Aktionen laufen gleichzeitig, lautes Zurufen von Namen, Diskussionen darüber, wer dran sei und Kreischen verursachen einen hohen Geräusch pegel. Kettenreaktionen gehen durch den Raum: Elisabeth schreit, als Andreas sie fängt, weicht ihm körperlich aus, wird aber trotzdem berührt, fällt dabei hin und in ihre Nachbarin hinein. Einige sind aktiver dabei, andere passiver und beobachten die Situation zwischendurch vom Rand aus. Als Anja das Spiel beendet, atmen einige schnell und schwer, manche schwitzen stark, haben rote Gesichter und zupfen an ihrer Kleidung. Langsam nimmt der Geräuschpegel ab, manche stehen herum, viele setzen sich.
Den Anwesenden gelingt es auf einer thematischen Ebene nicht, eine Einigung der Regeln zu erzeugen. Diesbezüglich kann Vermitteln in seiner Bedeutungsvariante als ‚sich verständigen und Vereinbarungen treffen‘ als gescheitert eingestuft werden. In einer sozialen Ebene der Beteiligung und der Stimmung könnte sie als ‚gelungen‘ eingestuft werden, denn im Laufe der verbalen und körperlichen Verständigungsprozesse verändert sich das Engagement von einem Minimum mit Stöhnen und Widerständen gegen das anstrengende Spiel 21 | Vgl. Kap. 4.6. Teilhaben/Teilnehmen: Kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden: Eigenständige Gruppenaktionen; Verantwortung übernehmen in dieser Studie.
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auf allen Vieren bis zu einem extrem hohen Körpereinsatz bei der Mehrzahl, heterogenem Bewegungsverhalten und einer ausgelassenen Stimmung. Im Entwickeln und Aufrechterhalten dieser Veränderung während einer langen Phase stellen die Teilnehmenden die Erfahrung der spielerischen Aktivität und ihre Interaktion in den Vordergrund. In der vorangegangenen Probe war bei einem ähnlichen Spiel die Regelbefolgung das wichtigste Relat, heute nicht.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Praktiken können als Relate eher themen- oder interaktionsadäquat gewichtet sein. Das Anpassen der Anstrengungs- und Komplexitätsgrade von Aufgaben/Übungen kann individuelle Bedürfnisse als vorrangige Komponente setzen und Initiative und Eigenverantwortung als aktive Teilhabe wertschätzen. Dabei greifen Ausprobieren, Aufgabenstellen, Teilhaben/Teilnehmen, Auswerten und Aufrechterhalten ineinander.
A Auswerten
Aufgabenstellen A A Aufrechterhalten T Teilhaben/Teilnehmen
Ausprobieren
• Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Praktizieren und Bestätigen von Individualität und Eigenverantwortung verwirklicht sich eine Vermittlungspraxis als aktive Teilhabe und als ‚wechselseitige Anerkennung‘. Im Anpassen der Praxis an die örtlichen und wetterbedingten Gegebenheiten zeigt sich Vermitteln als konstruktiver ‚Umgang mit Konflikten‘ und nicht als ‚Auflösen von Widersprüchen‘. • Multidirektionale, emergente Anteile: Die ortsbezogene Vermittlungspraxis von Projekt 2 besteht im multidirektionalen und emergenten Zusammenwirken vielgestaltiger Partizipanden wie dem Ort und dem Wetter. • Kombination der Relate: Die Priorität von Relaten wird themen- und interaktionsadäquat erzeugt, ist also perspektivenabhängig. Vorgeprägte bzw. vorkonzipierte Maßstäbe oder Kriterien werden eingebracht und an die Situation wertend angelegt, müssen aber in actu von den Anwesenden überprüft und beglaubigt, angepasst oder verworfen werden. • Temporalität, Unabgeschlossenheit: Relationalität und Unabgeschlossenheit von Vermittlungspraxis gehen miteinander her, Vereinbarungen und das Einhalten von Vereinbarungen müssen gegebenenfalls neu verhandelt werden. • Gelingen und Scheitern: Beides sind relationale Einschätzungen, die in verbalen und körperlichen Verständigungsprozessen feldintern ausgehandelt werden.
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4.4 Auswerten Beim Auswerten beschreiben die Beteiligten ihre Erfahrungen, geben einander Hinweise, setzen Prioritäten, werten Arbeitsweisen und Aufgabenumsetzungen aus, benennen Probleme und reflektieren ihre Vermittlungspraxis. Sie beobachten, melden Eindrücke oder Veränderungen rück, führen Feedbackgespräche, äußern Meinungen und nehmen Bewertungen vor. In diesen Auswertungsprozessen variiert der Reflexionsgrad je nach Vermittlungsmethode, Person und Situation. Beobachten Rückmelden Hinweise geben: Auf Bewegungsausführung, Zeit-, Raumstrukturierung, Interaktion, Vorrangigkeit einer Komponente hinweisen Sich ereignende und anberaumte Feedbackgespräche führen Aufmerksamkeit umlenken Reflektieren Kriterien und Regelwerke für Feedbackgespräche erstellen; Feedbackgespräche fokussieren Vermittlungspraxis reflektieren; Verständnis von Vermittlung reflektieren Abb. 12: Vermittlungsmethoden beim Auswerten
Beobachten Während der gesamten choreografischen Vermittlungspraxis beobachten die Beteiligten einander: wenn sie sich bewegen, sich im Gespräch austauschen, Aufgaben ausprobieren, jemand beim Veranschaulichen eines Beispiels zuschauen, sich vorgegebenes Bewegungsmaterial zu Eigen machen oder sich die Ergebnisse von Kleingruppen anschauen. Der geringe Prozentsatz, in dem Beobachten keine Rolle spielt, beschränkt sich auf Übungen der Körperwahrnehmung und der akustischen Wahrnehmung sowie des Körperkontaktes, bei denen die visuelle Kommunikation keine oder eine geringe Rolle spielt und gegebenenfalls auch die Augen geschlossen sind. Die Wichtigkeit, die dem Beobachten als Vermittlungsmethode zukommt, variiert beträchtlich. Beim Veranschaulichen kommt dem Beobachten die maximale Aufmerksamkeit zu, beide bedingen einander wie zwei Seiten einer Medaille. Beispielhafte Praxissituationen folgen im Abschnitt zum Ausprobieren und Auswerten.
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Rückmelden Unter Rückmelden werden in der vorliegenden Studie viele verschiedene Arten von Bezugnahmen auf etwas Vorangegangenes gefasst. Besonders häufig sind Hinweise, die von einem Prozess des Auswertens zeugen, bei dem Informationen ‚weitergegeben werden‘ und die zum Klären beitragen möchten. Je nach Situation betreffen Hinweise die Koordination einer Bewegung, ihre zeitliche und räumliche Komponente, den Umgang mit dem Blick sowie Abstimmungsprozesse in Interaktionen, sind Bestandteil einer Ankündigung oder benennen vorrangige Komponenten. Sie werden vor, während und nach dem Ausprobieren von den Agierenden sowie von Beobachtenden formuliert. Hinweise können Anregungen geben: bei einer vor- und rückrollenden Bewegung merkt Birgit an, dass ‚es leichter gehe, wenn man sich ganz klein mache‘. Hinweise wie „die Bewegung geht nach rechts los, nicht nach links“ oder „nicht die Arme hoch reißen, sondern nach hinten führen“ weisen einen korrigierenden Charakter auf. Oftmals stellen Hinweise Aufgaben, wie in den Abstimmungsprozessen von Gruppenbewegungen bei den „Maschinen“, in denen Berührungen Kettenreaktionen erzeugen. Alizia, die gerade die Bewegung beobachtet, meint zu den Agierenden: „Jetzt geht es aber nur in eine Richtung, ihr müsst warten, bis der Impuls kommt“, Birgit fügt später hinzu: „mehr übertragen als tragen“. Anja: „Es ist glaub ich wichtiger, dass ihr mit der Gruppe zusammen seid, als dass ihr genau auf die Counts achtet. Bei der Aufführung nachher mein’ ich, wenn ihr nachher aufführt, ist es wichtiger, dass wir die Gruppe als Ganzes sehen als dass ihr dann auf den Counts besteht. Ich würds gern noch mal machen mit dieser inneren Haltung, ja? Mal gucken, ob das was verändert.“
Hier wird auf die Vorrangigkeit einer Komponente hingewiesen. Anjas Fokusverschiebung marginalisiert eine rhythmische Genauigkeit und stellt den Gruppenzusammenhalt in den Vordergrund. Hinweise können prozessorientierte Aufmerksamkeitslenkungen sowie Prioritätsverschiebungen vermitteln oder Implizites explizit machen: Eine Kleingruppe arbeitet selbständig an der Praxis „Traktor“, bei der mehrere Personen durch Ziehen an der Kleidung den sogenannten „Motor“ in Bewegung bringen. 22 Helene (Beobachtende): „Jetzt fällt mir auf, ich denk, dass ihr mit eurem Zentrum nicht verbunden seid. Ich hab’ das Gefühl, ihr arbeitet- jeder arbeitet so für sich [mit ihr]“ Falk (Agierender): „[Ja. Jetzt] war ich mit ihr nich‘ verbunden]. Mit dir auch nich‘“. Falk wendet sich zu Fiona. 22 | Vgl. Kap. 4.2. Klären: Fragen und Antworten in dieser Studie.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung Helene (Beobachtende): „[Aber nich‘, dass es-]“ Fiona: „[Wir haben ja noch gar nich‘] - wir fangen ja grad erst an“. Helene (Beobachtende): „Nein. Ist okay so. Dann macht erstmal weiter ((lachen))“. Christian (Agierender): „Ja, du hast recht“. Helene (Beobachtende): „Und einfach noch mal am Zentrum zu arbeiten.“
Die Rückmeldungen bilden hier implizite Aufgabenstellungen, werden als solche aber nicht ausgesprochen und es entstehen keine sichtbaren Veränderungen. Birgit (Beobachtende): Und Josephine, wenn du Motor bist würd’ ich sagen, ((äh)), funktional arbeiten, wenn da ein Bein hochkommt ist es-“ Josephine (Agierende): „Des is‘ nich‘ einfach, ’ne“. Gerold (Agierender): „So viele Sachen“. Josephine (Agierende): „Aber ich merk, also für mich als Bewegende ist das auch blöd, wenn da keine Spannung drin is’“. Christian (Agierender): „Dann is‘ des so labbrig“. Helene (Beobachtende): „Ja“. Gerold (Agierender): „Wir spielen Zeitlupe-“ Josephine (Agierende): „Da is‘ einfach so wenig-“ Helene (Beobachtende): „[funktional]“ Josephine (Agierende): „[Impuls] da. Also mit dem ich dann auch arbeiten kann. Also das ist dann irgendwie wie Brei ((lachen)) und nicht wie Masse.“
In diesem Gesprächsteil befördern die Rückmeldungen bisher unbenannte Probleme zutage, Josephines Problem der mangelnden Spannung und Masse wird benannt und die daraus resultierende Aufgabe an die anderen, mehr Spannung und Masse anzubieten, wird auch ausgesprochen. Es wird offensichtlich, wie Rückmeldungen aus dem Beobachtungs- sowie dem Aktionsmodus dazu beitragen, die Interaktionslogik der Praxis aufzudecken. Verbaler Austausch in Form von Feedbackgesprächen bildet eine konstante Praktik des Vermittlungsgeschehens. Mit dem Begriff „Feedback“ kündigen Anja und Birgit ihren Bedarf an, eine verbale „Rückmeldung, Rückkoppelung“ (Duden 2015: 345) an die Gruppe zu geben und/oder Rückmeldungen von der Gruppe einzuholen: „Okay, gebt mal kurz Feedback“ oder „Gut, lasst uns zusammen kommen, Feedback, Austausch“ oder „Wie wars? Wie hat sichs angefühlt?“ Anja fordert die Gruppe mit weiteren Fragen gleichzeitig zur Reflexion ihrer Aufgabenumsetzungen auf und benennt das Reflektieren als notwendigen Bestandteil zum Klären der Aufgabe. Ein spontan entstehender Austausch aus dem Bedürfnis der Gruppenmitglieder heraus findet oft in Kleingruppen und Paaren statt und ist mit einer losen Verteilung im Raum und der Gleichzeitigkeit vieler Äußerungen verbunden. Die Charakteristik anberaumter
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Feedbackgespräche, die oft im Kreis stattfinden, besteht darin, dass die ganze Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf den verbalen Austausch gelenkt ist. Gruppenmitglieder beteiligen sich an Feedbackgesprächen der gesamten Gruppe aktiver als beim Auswerten während des Ausprobierens, welches meist von Anja und Birgit geschieht. Anberaumte Feedbackgespräche der gesamten Gruppe fördern somit einen größeren Grad an einer gleichberechtigten Teilhabe am Auswerten.23 Gruppenmitglieder von Projekt 1 hinterfragen zum Beispiel die Inhalte, Arbeitsweisen, den Sinn und die Zielorientierung der choreografischen Werkstatt, Gruppenmitglieder aus Projekt 2 hinterfragen zum Beispiel die Wirkung des Stückes auf die Zuschauer/innen oder die Möglichkeiten eines passiven Widerstandes gegen die Vereinnahmung des öffentlichen Raums in Form einer Performance. Reflexionsprozesse gehen meistens mit Aushandlungsprozessen einher und bedürfen gemeinsamer Regeln für den Austausch. Die Beteiligten von Projekt 1 erarbeiten sich im Laufe der „Guided Tour” beim fünfmaligen Wechsel von praktischen Phasen und Feedbackgesprächen Kriterien für Meinungsäußerungen, erstellen Regelwerke für Feedbackgespräche und fokussieren sie. Beim ersten Gespräch lässt Anja noch völlig offen, worauf sich das Feedback beziehen kann oder soll und führt nicht aus, was sie darunter versteht und die Teilnehmenden starten sofort mit Wertungen: Elisabeth: „Also ich fands nicht so gut, euch beiden hab ich verstanden aber den Rest nicht. (1) Ihr habt nicht geredet“. Anja fragt Elisabeth, ob sie sich eingeladen gefühlt habe, diese antwortet, „nein, die haben für sich geredet und wir sind hinter her gegangen“. Von den Angesprochenen ist betretenes Lachen und Kichern zu hören. Anja gibt zu bedenken, dass die Aufgabe ‚nicht leicht sei und sie das ja zum ersten Mal gemacht hätten.‘
Meinungen und Kritiken werden geäußert, Wertungen vorgenommen und Anjas letzte Bemerkung kann als Abmildern der starken Kritik von Elisabeth gedeutet werden. Sie vermittelt auch, dass Anja sich der Komplexität der Her ausforderung der Aufgabenstellung bewusst ist und ihre Vermittlungspraxis reflektiert.
Reflektieren Rückmelden und Reflektieren liegen dicht beieinander. Dennoch lassen sich zwischen dem Rückmelden von Erfahrungen und einem Reflektieren der Vermittlungspraxis Unterschiede ausmachen, letzteres zeugt von einer größeren 23 | Vgl. Kap. 4.5. Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement: Auswerten nach dem Ausprobieren in dieser Studie.
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Distanz zum betrachteten Gegenstand und der Blickwinkel geht über die eigene Erfahrung hinaus. Beim zweiten Feedbackgespräch lenkt Anja die Aufmerksamkeit von Heikes Wertung „ich fand Elisabeth richtig gut“ auf das Äußern und Begründen der eigenen Wahrnehmung um. Sie schlägt vor „kannst du sagen warum, nicht nur einfach gut oder schlecht, sondern, dir hats gefallen, weil ...“. Damit reflektiert sie die Vermittlungspraxis der Gruppenmitglieder und fordert diese ebenfalls zum Reflektieren ihrer Vermittlungspraxis auf. Mit einem „Ach so, okay“ akzeptiert und bestätigt Heike Anjas Hinweis. Beim nächsten Feedback werden Veränderungen des Gesprächsverhaltens beobachtbar, dieses Mal beziehen sich die Rückmeldungen auf die choreografische Praxis und weniger auf Personen und die Meinungsäußerungen werden begründet. Die Rückmeldungen zeigen, dass die Gruppenmitglieder versuchen, die Funktionsweise der „Guided Tour“ zu verstehen und erzeugen eine gemeinsame Errungenschaft. Dass diese noch nicht verankert und stabilisiert ist, zeigt das darauffolgende Feedbackgespräch, in dem wieder Negativbewertungen wie „doof, blöd, nicht richtig“ ohne Begründung erfolgen. Beim Erzeugen von Regeln für Feedbackgespräche zeigt sich die Ambivalenz von Praktiken „im Spannungsfeld zweier grundsätzlicher Strukturmerkmale: der Routinisiertheit einerseits, der Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheiten andererseits“ (Reckwitz: 2008b: 120) als Bestandteil der Logik der Vermittlungspraxis. Daraufhin schlägt Anja vor, „nicht schlecht, blöd, doof“, sondern „beschreiben was passiert ist“ und hebt nochmals den Prozesscharakter hervor. Sie fügt hinzu: „ich weiß, das geht total schnell und „das ist schwieriger, aber das ist eine gute Übung“. Wieder reflektiert sie die Vermittlungspraxis. Am darauffolgenden Termin erzeugt eine Hälfte der Gruppe für die andere Hälfte ein „Hörstück“. Für das anschließende Feedbackgespräch gibt Anja der ersten Gruppe ein Regelwerk für die Reihenfolge der Redner/innen und den Gesprächsablauf vor und fokussiert das Gespräch auf die Eigenwahrnehmung. Diese Vermittlungsmethoden verhindern einen direkten Dialog zwischen Mitgliedern der beiden Gruppen und die Äußerungen werden von den Angesprochenen nicht kommentiert. Die wertenden Meinungsäußerungen von der „Guided Tour“ tauchen hier nicht auf.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Bei Feedbackgesprächen wird reflektieren als nachdenken, betrachten und vergleichendes, prüfendes Denken sowie als Vertiefung in einen Gedankengang (Duden 2015: 915) praktiziert. Regeln können zu einer differenzierten Explorations- und Reflexionspraxis beitragen. Bei Personengruppen, die bisher keine gemeinsame Gesprächspraxis besitzen, kann gegebenenfalls eine geschlossene Aufgabenstellung das Gespräch fokussieren. Alternativ kann die Person, die das Feedbackgespräch einberuft, ihr Verständnis von Feedbackgesprächen erklären, alternativ
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handeln alle Beteiligten Regeln für das Feedbacks aus. Auswerten, Ausprobieren, Aushandeln, Klären und Teilhaben/Teilnehmen greifen ineinander. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Rückmelden wird Vermitteln als ‚sich verständigen‘ praktiziert. Beim Hinweise geben zeigt es sich als ‚verursachen bzw. als zur Verfügung stellen von Mitteln‘ für die Aufgabenumsetzung sowie als ‚zugänglich machen durch Einschieben eines Mittelstückes‘. Im Umlenken der Aufmerksamkeit vom Bewerten zum Mitteilen von Wahrnehmungen sowie beim Entwickeln von Regeln für Feedbackgespräche wird Vermitteln als Versuch deutlich, ‚gegensätzliche Vorstellungen aus zu gleichen und aufzulösen‘ sowie als ‚befreunden, ausgleichen, ebnen, Streit schlichten und versöhnen‘.
Vermittlungspraxis reflektieren Bisher wurden ausschließlich Auswertungsprozesse in der Vermittlungssituation beschrieben. Bei den Interviews mit den Choreografinnen, die außerhalb der Probensituation geführt wurden, fand eine Selbstreflexion der Choreografinnen bezüglich ihrer Vermittlungspraxis statt, die mit Mörsch als Reflexivität erster Ordnung bzw. professionelle Reflexivität (Mörsch 2012: 57) angesehen werden kann.24 Anja reflektiert unter anderem die Unterschiedlichkeit des Verständnisvermögens der verschiedenen Altersstufen zwischen 14 und 16 Jahren, die sich aus der Tatsache ergibt, dass die Schüler/innen in der Reformschule nicht im Klassenverband arbeiten, sondern aus drei verschiedenen Jahrgängen kommen und sich untereinander nicht alle kennen. Sie kann ‚nicht zu einer einheitlichen Gruppe sprechen, sondern nur zu einzelnen Personen‘ und es ‚existiert kein Zusammenhalt als Gesamtgruppe, was die Kommunikation für sie ‚schwieriger mache‘. Anja beschreibt, dass sie im Laufe des Projektes die Bedürfnisse der Schüler/innen mehr kennenlernt, ihnen folgt und eine Verlagerung ihrer künstlerischen Prioritäten vornimmt. Sie stellt rückblickend fest, dass die „Metaebene von Choreografie, also hinter die choreografische Praxis zu gucken“25 dem Alter der Schüler/innen der achten bis zehnten Klasse nicht entspricht und reflektiert damit ihre Vermittlungspraxis in Bezug auf eine adressaten- und altersadäquate Ausrichtung. Anja akzeptiert den Wunsch der Gruppe, lässt von ihrem Konzept der Diversität ab und arbeitet letztlich kontinuierlich auf das Endprodukt hin, obwohl dies nicht ihrem künstlerischen Selbstverständnis entspricht, dass „am Schluss das Ergebnis bleibt als einziges Ergebnis“. Sie stellt fest, wie schwierig es für die Schüler/innen ist, „mit die-
24 | Vgl. Kap. 3.9. in dieser Studie. 25 | Die Äußerungen dieses Abschnittes stammen aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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sem nicht-Wissen vom Endprodukt zu leben“. Anjas explorative Arbeitsweise benötigt Vertrauen und eine Freiwilligkeit. Deshalb „muss man sich für diese Arbeit auch entscheiden können, find‘ ich. Über Disziplin ist das nicht herzustellen, weil das ist ein Prozess, den kann man gar nich‘ erzwingen. Das ist aber für mich der eigentlich künstlerische Prozess.“
Eigeninitiative ist für Anja zentral in der choreografischen Arbeit: „Also selbst was in die Hand nehmen ist total wichtig und ich glaub’, ich versuch auch so zu sprechen, dass etwas selbst in die Hand genommen wird ab ’nem gewissen Punkt.“ „Aber was ich nicht mache, ist ihnen etwas servieren und sie, sie machen das dann einfach nur, oder so. Ich glaub, dass der künstlerische Prozess da anfängt, wo man sich total wackelig fühlt und unsicher und eben gar nicht weiß, was da jetzt draus wird oder auch nicht weiß, wie man sich verhalten soll oder handeln soll. Und das find ich sehr interessant und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es schwer ist und ich denke trotzdem, dass man da nicht durchgetragen werden kann.“
Auf die Frage der Forscherin an Anja und Birgit nach einem Vergleich ihrer Arbeitsweisen mit Laien und Professionellen, beschreiben beide, dass sie ihre aktuellen künstlerischen Interessen in die Vermittlungsprojekte einbringen. Anja erzählt, „Ich würde durchweg mit Profis auch so arbeiten, also so ist es nicht, ich würde vielleicht sogar ähnliche Übungen auswählen um irgendwas einzuführen thematisch oder so. Aber ich würd‘s anders vermitteln, weil ich eben auf andere Erfahrungswerte aufbauen kann, ist ja logisch.“
Einen Unterschied zwischen der Arbeit mit Professionellen und Laien sieht sie darin, dass in ihrer professionellen Arbeit ihre Ästhetik im Vordergrund steht, aber nicht in der Arbeit mit den Schüler/innen. Im Rückblick reflektiert Anja ihre Anteile und die der Schüler/innen in der Erarbeitung des Stückes für die Aufführung so: „Ich habe ja selber am Ende gesagt, ich würd’ gern einen Schritt zurück machen und fragen, wie viel hab’ ich denn noch zu tun mit dem, was hier passiert. Das fand ich schon interessant. Wie viel hab ich losgetreten und wie viel ist wirklich deren Initiative. [...] Und trotzdem zu wissen, hätte ich den Raum nicht aufgemacht und die Fragen nicht aufgebracht, wär’ das nicht entstanden.“
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Das „Lostreten“ eines Prozesses und das „Zurücktreten aus dem Prozess“ kann als eine Kernaussage zu ihrer Vermittlerfunktion angesehen werden. Den „Output“ der Arbeit sieht Anja vor allem in einer „Art Gruppenbildung“, in der sie sich „als Gruppe gefunden haben“ und gemeinsame Erfahrungen gemacht haben „und dass sie dann geschafft haben auch was selbst in die Hand zu nehmen“. Für Birgit gibt es „nicht viele Unterschiede“ in der Arbeitsweise mit Laien und Professionellen, „im Prinzip ändert sich nicht grundsätzlich was. [...] Also wenn, dann würde ich noch differenzierter an den choreografischen Bildern arbeiten, dass die teilweise vom Vokabular noch ein bisschen differenzierter sind und weniger flächig“ und da „in der Formsprache teilweise mehr fordern“. Sie würde „mit einer Profi- also Tänzergruppe“ bei den energetischen Prinzipien „eher noch die Herausforderung in einem hohen Energiefeld suchen“, was sie mit der heterogenen Gruppe nicht weiter verfolgt.
Verständnis von Vermittlung reflektieren Auf die Frage der Forscherin an die beiden Projektleiterinnen, was für sie Vermittlung sei, thematisieren beide die Teilhabe als zentrales Element. Anja: „Vermittlung ist einfach erstmal so Teilhabe, würd‘ ich sagen, ganz grob gesprochen. Weil das ja auf so viel verschiedenen Ebenen stattfinden kann, je nachdem was jemand mitbringt, wenn er schaut oder wenn er mitmacht. In so ’nem Raum, wo choreografisch gearbeitet wird, ((em)) kann man ja unterschiedlich viel verstehen oder nicht verstehen. Von den Prozessen, die da ablaufen oder dem was er damit machen kann. Weil letzten Endes ja auch noch so ’n Bereich für denjenigen, der teilhat offen ist, der eigentlich gar nicht definiert wird von der choreografischen Arbeit, sondern den der Mensch dann sozusagen selber bearbeiten kann.“
Im Laufe des Gespräches weist sie darauf hin, dass die Frage, ‚was denn Vermittlung wirklich ist‘, jedes Mal wieder neu zu beantworten sei. Zur Teilhabe meint Anja: „Man muss wahrscheinlich einfach immer wieder Situationen kreieren, um Menschen einzuladen, irgendwie teil zu haben in irgend einer Form. So simpel muss man‘s wahrscheinlich ((em)) formulieren. Und vielleicht auch inszenieren, dass das ((em)) funktionieren kann. Ja.“
Teilhabe geschieht nach Anjas Ansicht also von zwei Seiten, zum einen lädt der Künstler/die Künstlerin dazu ein und inszeniert diese Einladung, zum anderen ist Teilhabe Sache der Teilhabenden, die diesen Prozess und den Grad ihrer Teilhabe selbst erzeugen. Sie versteht hiermit Vermitteln sowohl in seiner Bedeutungsvariante als ‚weitergeben, jemand zu etwas verhelfen‘ sowie als
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eigeninitiative Selbstgestaltung. Vermittlung ist die Einladung zur Teilhabe, lassen sich Anjas Aussagen zusammenfassen. Für Birgit ist vermitteln teilen, was sie an anderer Stelle auch als „Sharing“ bezeichnet. Das Sammeln von Erfahrungen wird für sie zum ständigen Lernprozess. Sie beschreibt Vermitteln als aktives Tun und etwas, was sich vollzieht: Birgit: „Vermittlung ist dieses Teilen der Praxis für mich. Und da vermittelt sich was. Ich vermittle da was. Und ((em)) lass- und teile da eine Form und da ein Wissen und teile da das Was- was ich lernen möchte als Lernstoff mit andern. Das ist es. Ja.“
Zwischenergebnisse • Machtverhältnisse: In der institutionellen Dimension agiert Anja in ihrer Funktion als Choreografin im Rahmen einer künstlerischen Institution „aus einer machtvollen Position heraus“ (Mörsch 2012: 75). In der inhaltlichen Dimension der Vermittlungspraxis bringt sie intermediale Arbeitsweisen ein, die bei den Mitwirkenden auf Unverständnsis treffen. Anja folgt im Projektverlauf mehr und mehr den Wünschen der Gruppe und die Grade der Einflussnahme verschieben sich. • Praktiken und Methoden: Durch die Heterogenität der Erfahrungswerte der Beteiligten vollziehen sich Anpassungsprozesse in Bezug auf die Komplexität der Aufgabenstellungen, bewegungstechnische Fähigkeiten, Verstehensmuster, Herausforderungen an den körperlich-energetischen Einsatz und die Detailliertheit der ästhetischen Formensprache. Anja stellt ihre ästhetische Formensprache in den Hintergrund, sie konstatiert eine Priorität des Sozialen im Vergleich zum Künstlerischen. Als positiven Output formuliert Anja eine Gruppenbildung und soziales Lernen in den gemeinsamen Erfahrungen der Gruppenmitglieder. Bei beiden Choreografinnen kreist die Reflexion ihrer Vermittlungspraxis und ihr Verständnis von Vermittlung um die Themen der Gruppenbildung und der Teilhabe.
4.5 Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement In beiden Projekten hat sich das Zusammenspiel von Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement der choreografischen Vermittlungspraxis erwiesen. Die Vielfalt und Variabilität der zirkulären und simultanen Verwobenheit von Ausprobieren und Auswerten prägt, durchsetzt von den restlichen Praktiken, die Vermittlungsprozesse. Ausprobieren und Auswerten treten in jedem Probentermin sowohl in mehrmaligem Wechsel als auch gleichzeitig
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auf. Jede der zeitlichen Kombinationen strukturiert die Erfahrungsgelegenheiten auf andere Art und Weise und birgt unterschiedliche Charakteristiken der Vermittlungspraxis. Auswerten beim Ausprobieren Aufgaben, Hinweise, Strategien und Erkenntnisse ableiten; Funktionsweise verstehen; Eigene Erfahrungen auswerten; Erfahrungen für andere nachvollziehbar machen Haptisches Fragen und Rückmelden Auswerten nach dem Ausprobieren Strategien und Erkenntnisse formulieren; Teilhabe an Reflexionsprozessen erleichtern Ausprobieren nach dem Auswerten Ausprobieren als performatives Antworten; Strategien und Erkenntnisse überprüfen Ausprobieren beim Auswerten Strategien und Erkenntnisse bestätigen oder verwerfen, veranschaulichen und nachvollziehbar machen Abb. 13: Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement
Die Praxis des „Langen Arms“ bei Projekt 2 dient in diesem Abschnitt als Beispiel. Dabei stehen mehrere Personen mit der gleichen Raumausrichtung so dicht hintereinander, dass jeder mit seiner linken Hand an den linken Ellenbogen der vorderen Person und mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen der vorderen Person fassen kann, wenn die Unterarme ungefähr horizontal sind. Alle Personen einer Gruppe verketten sich auf diese Art und Weise miteinander. Diese Interaktion mit Körperkontakt wird heute das dritte Mal praktiziert.
Auswerten beim Ausprobieren Mehrere Kleingruppen üben gerade den „Langen Arm“. Sie stehen kreuz und quer im Raum verteilt. In allen Gruppen bewegt der/die Vorderste beide Arme zeitversetzt und asymmetrisch vor und rück und dabei gleichzeitig auch unterschiedlich stark auf und ab. Jede Person der Kette folgt der Bewegung der vor und der hinter ihr stehenden Person und kommuniziert die Bewegung durch den Hand-Ellenbogenkontakt weiter, was einer Maschine ähnelt. Die Oberkörper folgen den Armbewegungen. Bei Gruppe A geht die Bewegung
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung gerade in einem horizontalen Vor-Rück-Schieben der Unterarme vonstatten und es hat sich ein gleichmäßiger zügiger Rhythmus eingestellt. Bei Gruppe B laufen die Armbewegungen wie eine Welle stark auf und ab und sind langsamer. Birgit: „Genau, nehmt eure eigene Dynamik und eure eigene Geschwindigkeit als Kette auf“. Etwas später fügt sie hinzu: „es muss jetzt nicht alles ein Rhythmus sein.“
Birgit beobachtet die Gruppe, wertet ihre Beobachtungen aus und meldet ihre Erkenntnisse zu Zeit und Interaktion an die Bewegenden rück. Birgit: „Das kann langsamer sein irgendwo (2) das kann sich (1) mehr verschachteln diese unterschiedlichen Wellen oder auch Verlangsamungen oder so, dass wir nicht einfach nur über das Machen in einen Mechanismus rein kommen.“
Sie beschreibt unterschiedliche Ausprägungen, legitimiert deren Verschiedenartigkeit, verstärkt das Vorhandene und erweitert den Aktionsspielraum. Dann präzisiert sie die Qualität der Bewegungsausführung. Ausprobieren und Auswerten verbinden sich mit dem Aufgabenstellen. Birgit wertet das Geschehen in einer choreografischen Perspektive aus und bewertet, was aus ihrer Sicht erwünscht ist und was unerwünscht ist. Eva: „Nur der Vordere ist der Antrieb jetzt, oder (1)?“ Birgit: „Von vorne nach hinten, ich würd’ sagen, nicht binär aktiv – passiv, sondern verkettet.“
Die Frage und ihre Antwort tragen zum Klären der Interaktion bei und das Prinzip ‚nicht binär aktiv – passiv, sondern verkettet‘ stellt dafür ‚Mittel zur Verfügung‘. Mit diesem Prinzip greift Birgit auf bereits akquirierte Errungenschaften zurück, da es schon mehrfach angewendet wurde.
Auswerten Ausprobieren Aufgabenstellen A K Klären
A Aufrechterhalten
Dann leitet Birgit einen Wechsel der Partizipationsmodi an, nur die Kette mit Edwin soll jetzt weitermachen und die anderen sollen zusammen mit ihr zuschauen. In der Folge beschreiben auch einige Mitwirkende ihre Beobachtungen und nehmen aktiver als vorher am Rückmelden bzw. Auswerten teil: lsolde meint: „Wie so eine Fahrradkette irgendwie“ und Falk kommentiert: „und Christian trägt ganz viel da in der Mitte dann bei“, andere stimmen mit einem „mhm“ zu,
Choreografie vermitteln jemand wertet einen Moment als „richtig gut“. Dann wendet sich Birgit explizit an die Ausprobierenden und überprüft, ob ihre Beobachtungen mit dem Erleben der Agierenden übereinstimmen: „Na, da passiert ja ganz viel dann überall, ’ne, (1) ist schon so bei euch, oder?“ Bernd meldet aus der Perspektive seiner körperlichen Erfahrung rück: „Hubert macht das total schön, der dreht den Arm“. Hubert steht vor Bernd in der Kette und Bernd bekommt somit direkt seine Bewegung zu spüren. Birgit meint noch: „Beim Gucken lernt man ganz viel was funktioniert.“
Auswerten im Beobachtungs- und Aktionsmodus ergänzen einander. Durch den Wechsel des Aktions- bzw. Beobachtungsmodus der Gruppen entstehen weitere Erkenntnisse in Bezug auf die Funktionsweise des Bewegungsablaufs. Diese Kombination von Ausprobieren und Auswerten wird als gewinnbringend erlebt: Josephine: „Das war eigentlich sehr lehrreich, weil es eine Verknüpfung war zwischen dem, man hat was gemacht und dann hat man ein Feedback gekriegt und hat das dann gleich umsetzen können. Das find‘ ich immer eine ganz schöne Arbeit. Also es bringt mir immer sehr viel.“26
Mit einem „ganz toll“ meint Birgit zu der Kleingruppe, die gerade den „Langen Arm“ ausprobiert hat, sie können nun auflösen und Pause machen. Sofort findet ein reger Austausch statt. Hubert hebt den Ellenbogen und erklärt dazu Falk etwas, der nickt, Regina schaut zu, nickt auch und macht daraufhin eine ähnliche Dreh- und Hebebewegung des Ellenbogens und nickt erneut. Ivo tippt sich mehrmals auf seinen Ellenbogen und demonstriert bekräftigend, wie wichtig dessen Beweglichkeit sei. Ich gehe zwischen den Leuten umher und schnappe Wortfetzen auf: „sich mitnehmen lassen [...] sich nicht hängen lassen und warten [...] ja ist doch egal [...] neenee [...] das find’ ich total irre, am Anfang kam nichts, aber dann [...] dann geht das so durch [...] ich seh’ nix [...] doch, jetzt seh’ ich’s [...] die ging gut durch.“
Die Gruppe der Agierenden und der Zuschauenden tauschen sich jeweils untereinander aus. Bei dieser Kombination von Ausprobieren und Auswerten liegt der Schwerpunkt im Auswerten der Erfahrungen und Beobachtungen. Beim Ausführen von Bewegungsfragmenten vollziehen einige ihre Erfahrungen noch einmal alleine nach und werten sie aus, manche veranschaulichen ihre Erfahrungen für andere und machen sie nachvollziehbar.
26 | Diese Äußerung stammt aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Haptisches Fragen und Rückmelden Dabei findet die Kommunikation vornehmlich über gegenseitiges Berühren statt. Als nächste Aufgabe sollen sich die Mitwirkenden aus dem Gehen heraus ‚zueinander lehnen, aneinander lehnen und voneinander ablösen‘. Birgit überholt Elsa, dreht sich um und steht ihr nun gegenüber. Birgit legt ihre linke Hand an den linken Hüftknochen von Elsa und ihre rechte Hand an deren rechten Hüftknochen. Auch Elsa lehnt sich frontal zu Birgit und fasst diese an deren Becken. Dann drückt sich Birgit von Elsa ab. Der Körperkontakt löst sich kurzzeitig auf und dann lässt Birgit ihr Gewicht wieder zurück zu Elsa pendeln und begibt sich wieder in die gleiche Berührung wie vorher. Birgit: „ich spür dich nicht“. Sie drückt mit ihrer Hand leicht gegen Elsas Hüfte und gibt wieder nach und wiederholt das mehrmals. Birgit: „Ich spür dich immer noch nicht“ und dreht nun Elsas Becken mehrmals mit ihren Händen hin und her und variiert währenddessen die Stärke des Druckes. Dann drückt sie sich deutlich von Elsa ab, sodass sich der Körperkontakt wieder für einen Moment löst und lässt sich wieder in das Anlehnen hinein sinken. Im mehrmaligen Wiederholen entwickeln nun beide einen gemeinsamen Bewegungsfluss und Rhythmus. Birgit fragt Elsa, ob sie den Unterschied merke, was Elsa nickend bejaht. Dann steigert Birgit das Wegdrücken. Elsa reagiert nicht mit der gleichen Druckstärke, wodurch Birgit Elsa von sich weg schiebt. Birgit sieht Elsa lachend an und fragt noch einmal, ‚ob sie spüre, was da passiere‘. Elsa nickt.
Anschließend öffnet Birgit den Dialog für die ganze Gruppe und lässt die anderen an ihren Erfahrungen teilhaben, was sie an anderer Stelle als „Sharing“ bezeichnet.27 Nun führt Birgit Elsa an der Hand in die Mitte des Raums und sagt für alle hörbar, ‚das sei interessant, sie mögen bitte alle mal schauen, was da passiere, im Zuschauen könne man sehr viel herausfinden‘. Nahtlos lassen sich beide wieder auf ihren körperlichen Austausch ein und praktizieren einen Wechsel von aneinander lehnen und voneinander weg drücken, den jetzt alle anderen beobachten. Birgit formuliert während ihrer Aktiion mit Elsa Hinweise in Bezug auf den Kontakt mit dem Boden und dem Zentrum.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden, explorative, reflexive, emergente Anteile: Wenn eine oder mehr Personen in den Bobachtungsmodus gehen während andere im Aktionsmodus sind, liegt das spezifische Potential darin, das Vorhandene erkennen und rückmelden zu können und aus dem aktuel27 | Vgl. Kap. 4.6. Teilhaben/Teilnehmen: Sharing in dieser Studie.
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len Bewegungs- und Interaktionsgeschehen personen- und gruppenspezifische Aufgabenstellungen, Hinweise und Erkenntnisse abzuleiten. Die Beobachterperspektive erlaubt einen Überblick, aus dem heraus andere Erkenntnisse generiert werden als beim eigenen Ausprobieren. Dabei wird ein Ermittlungsprozess ausgestellt, performativ nachvollziehbar gemacht, ausgewertet und als Teil der choreografischen Vermittlungspraxis legitimiert. Es entsteht eine Teilhabe an der Erfahrung der anderen. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Ausprobieren einer neuen Interaktion kann dessen Funktionsweise nur in und von der Gruppe herausgefunden werden. Eine choreografische Gruppenpraxis kann nicht als lineare Transferleistung von einer Künstlerin an die Mitwirkenden vermittelt werden, sondern ‚vermittelt sich‘ in der Interaktion der Beteiligten, die somit alle als Vermittelnde bezeichnet werden können.
Auswerten nach dem Ausprobieren Diese Abfolge intensiviert die reflexive, rückbezügliche (vgl. Duden 2015: 914f.) Ebene der Vermittlungspraxis. Dabei beschreiben auch Gruppenmitglieder Erfahrungen, äußern Meinungen, teilen Erkenntnisse mit und formulieren Strategien. Ein Auswerten nach dem Ausprobieren unterstützt also potenziell die Teilhabe aller an Reflexionsprozessen. Ein Auswerten während des Ausprobierens geschieht eher von Anja und Birgt, stärkt also die Singularität der Projektleitung. Birgit beendet mit einem „okay, verstanden“ die praktische Phase und leitet einen Aktionswechsel ein. Alle setzen sich, wobei die vorherige Raumverteilung beibehalten wird und somit alle im Raum verstreut sitzen. Elsa fragt, ‚wo man sich am Besten in der Kette hinstellen solle, lieber nach vorne oder-, weil es so unterschiedlich sei, je nach Armlänge‘. Birgit: „Lieber gar nicht drüber [nachdenken]“ Elsa: „[Jaja klar]“ Birgit: „[immer nur folgen lassen]“. Elsa: „Dass man sich dann an den Anfang vielleicht hinstellen kann, damit [man vielleicht irgendwie]“ Birgit: „[nein, nein nein]“ Elsa: „[auch nicht]“ Christian: „Aber ich finde schon, dass man-, als Bernd vorhin vorne stand, gesehen hat, dass er ähnlich lange [Arme hat]“ Elsa: „[genau]“ Christian: „und der hatte in der Schulter viel mehr Spiel“. Birgit: „Ja“. Elsa: „Ich hab’ ja so kurze Ärmchen“.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung Birgit: „Aber ich würde sagen für diese, ich hab’s ja jetzt selber nicht miterlebt, ich müsste mal an der Stelle sein, damit ich noch besser ausprobieren kann, aber mein Tipp, meine Intention wäre, dann passiver zu sein. Einfach dran zu hängen und die Bewegung halt kleiner zu machen“. Isolde: „Aber dann ist sie hinter mir halt abgerutscht, weil sie dann-“ Birgit: „nee, kriegen wir [bestimmt raus]“ Elsa: „[da hat es halt] mit der Armlänge zu tun“. Angelika: „Aber es gibt doch bestimmt mehrere solcher Konstellationen“. Birgit: „Ja, ich glaube-“ Isolde: „Im Ellenbogen ist das etwas günstiger.“
Elsa und Birgit teilen differente Meinungen zum Umgang mit den unterschiedlichen Armlängen mit. Daraufhin beteiligen sich mehrere Gruppenmitglieder, bringen Argumente und Gründe ein und stimmen Elsas Meinung zu, überzeugen Birgit aber offensichtlich nicht. Der verbale Aushandlungsprozess bringt keine Lösung des Problems und Birgit formuliert ihren Bedarf, ins Ausprobieren zu gehen, um Antworten zu finden.
Ausprobieren nach dem Auswerten Daraufhin steht Birgit auf, fragt Jérôme, „darf ich mal“ und bittet ein paar Leute mit der Anmerkung „kurz, lang, kurz, lang“ zu sich und lacht. Einige Freiwillige ordnen sich entsprechend ihrer Körpergröße in einer Kette an. Hinter Birgit (klein) steht Lisa (groß), vor Birgit steht Hubert (groß), vor ihm Margot (klein) und vor ihr Regina (groß). Alle beginnen den „Langen Arm“. Die restlichen Gruppenmitglieder beobachten sie.
Im Folgenden werden die Vermittlungsmethoden im Anschluss an die Beschreibung aus dem Beobachtungsprotokoll in Klammern genannt: Christian: „Birgit muss sich vielmehr bewegen“ (Beobachtung auswerten). Birgits Tipp, „einfach dran zu hängen und die Bewegung halt kleiner zu machen“ wird von Christians Hinweis nicht bestätigt. Birgit: „Ich weiß nicht, ob das mit den Akzenten so doll nötig ist“ (Schwierigkeit nicht mit der Körpergröße, sondern mit starken Akzenten begründen). Hubert vor ihr stoppt da raufhin seine Bewegung und dreht sich zu Birgit und lächelt sie an (sich mit Blick und Mimik verständigen). Einige der Zuschauenden lachen (Eindrücke akustisch rückmelden). Birgit: „Ob du nicht viel Spiel auch hast, ohne dass - also weil der Akzent, der-“ Birgit macht jetzt mehrere schnelle vor- und rückreißende Bewegungen (formulieren und veranschaulichen gleichzeitig).
Choreografie vermitteln Birgit: „Lasst uns noch mal gucken, weil ich wär’ jetzt auch vier, fünf mal abgerutscht“ (Ermittlungsprozess einfordern und begründen). Die Bewegung kommt neu in Gang, das Bewegungsverhalten verändert sich, wird langsamer und vorsichtiger. Einige Beobach tende rufen bestätigend: „Aaahhh!“ (Eindrücke akustisch rückmelden). Birgit: „Ich glaube, es hat wieder mit dem Spüren zu tun, dass ich einfach auch folgen kann, welche ((ooahh)) und dann kappier’ ich hier in welche Richtung es geht, und es geht immer noch nach vorne, jetzt kann ich push, jetzt kann ich pull machen (Erfahrungen beschreiben, situativ Erkenntnisse aus dem Bewegungs- und Interaktionsgeschehen ableiten, Prinzip betiteln). Mehrere Atemzüge lang sind alle still. Die Bewegung hält einen Moment lang an, bevor Margot den Hebel findet, wie ihr Arm nach oben gelangen kann und die Wellenbewegung weiter geht. Lisa gibt einen Impuls ganz steil nach oben und lacht verblüfft, als sie merkt, dass ihr Impuls nicht bei Birgit gelandet ist, weil sie ihr Handgelenk gebeugt hatte. Birgit bewegt sich nicht. Birgit: „Das ist gut! Also, solche Sachen glaub’ ich, ’ne? Dass der Rhythmus nicht einfach nur mechanisch dak,dak dak läuft“ (Ungeplantes als Teil der Praxis bestätigen, Strategie formulieren). Christian: „Da kann’s knirschen“ (Beobachtung auswerten, Möglichkeit des Scheiterns bestätigen). Birgit steht jetzt mit dem ganzen Körper ganz dicht an Hubert, zwischen den anderen ist jeweils etwas Abstand. Christian: „Jetzt würde’s ins Aus treffen“ (Beobachtung auswerten, situativ das potenzielle Scheitern der Praxis als Erkenntnis aus dem Bewegungs- und Interaktionsgeschehen ableiten). Josephine: „Nein“ (Meinung äußern: widersprechen). Birgit: „Also so ’ne bestimmte Passivität ist wichtig“ (aus körperlicher Erfahrung Erkenntnis ableiten). Dabei lässt sie den Kontakt zu Hubert los (Praxisphase beenden).
Ausprobieren K Aushandeln Klären Auswerten T Teilhaben/Teilnehmen In dieser Situation zeigt sich Ausprobieren als performatives Antworten. Darin verbinden sich explorative und reflexive Anteile, wie Kordula beschreibt: „Birgit war selber auch noch in Prozessen. Also sie hat ja auch mit uns zusammen experimentiert. Also wir waren alle irgendwie dran beteiligt und deswegen war‘s vielleichtging das auch so gut mit Vertrauen und Mut und jeder hat direkt, ’ne: Ich brauch zwei Freiwillige, zack, zack, zack, waren sechs da. Das is‘ ja auch einfach so, weil wir allealso ich fand immer dieser ganze Raum, dann bist du dabei gewesen, so ’n Blick auch, was passiert, Prozesse, das heißt wir waren alle in so ’nem- in so ’nem Kosmos von ((em)) ausprobieren. Und- So das war also dieser erste Prozess für mich. Ganz viel expe-
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung rimentieren, reflektieren, so, was is‘ geschehen, wie könnten wir‘s noch verändern. Wir durften raustreten, durften uns das Bild ansehen, was gefällt uns, wie könnte es noch anders sein. Das haben wir dann auch immer wieder besprochen.“
Ausprobieren beim Auswerten Die Charakteristik vom Ausprobieren beim Auswerten liegt darin, Strategien zu bestätigen oder zu verwerfen und Erkenntnisse zu veranschaulichen und nachvollziehbar zu machen. Nach dem „Traktor“ fragt Lisa aus der Gruppe: „Ist das eigentlich so, dass man die Bewegung verstärkt, dass die Bewegung da ist, man nimmt das auf, dass man sieht, es geht in die Richtung, und dann (1) merkt man’s noch mehr?“ Lisa probiert währenddessen selbst das Ziehen an ihrer eigenen Kleidung aus, indem sie mit ihren Fingerspitzen ihr Hosenbein am Knie nach oben und nach vorne lüpft. (Lisas Frage expliziert, dass sie die Interaktion beim Traktor reflektiert. Sie formuliert eine Strategie für die Interaktion als Fragestellung und überprüft auf diese Weise, ob sie stimmt. Die Funktion des Ausprobierens während des Auswertens liegt hier im Bestätigen einer Erkenntnis). Nun fasst Birgit mit ihrer ganzen Hand an das Hosenbein von Lisa und probiert ebenfalls das Ziehen an Lisas Knie aus. Birgit: „Ja, es geht schon in die Richtung und du siehst, dass es da weiter gehen kann, dann iss es-“, Birgit zieht dabei so stark, dass Lisa sich aus dem Sitzen heraus nach vorne bewegt und sich auf ihre Hände stützt. (Birgit bestätigt Lisas Strategie, praktiziert ein haptisches Auswerten, veranschaulicht dieses gleichzeitig und fügt den Aspekt des Raums hinzu). Lisa: „Hm, die zupfende Person hilft, dass es da weiter geht“. (Lisa wertet ihre körperliche Erfahrung aus und erweitert die Strategie um den Aspekt des Helfens). Margot: „Das hat auch ein Ziel dann“. (Margot erweitert die Strategie um die inhaltliche Komponente des Ziels).
In dieser Situation entsteht das Verständnis der Funktionsweise des „Traktors“ vor allem im Zusammenspiel von verbalen und haptischen Fragen und Rückmeldungen. Als Resultat formulieren mehrere Gruppenmitglieder Erkenntnisse und explizieren das Ergebnis des gemeinsamen Ermittlungsgeschehens in Strategien zur Interaktionsordnung, zur Raumordnung, zum Bewegungsablauf und zur inhaltlichen Ordnung (vgl. Barthel 2017).
Zwischenergebnisse • Gelingen und Scheitern, geplante, emergente, explorative, reflexive Anteile: Durch das Zusammenspiel von Ausprobieren und Auswerten wird offensichtlich, dass einige Beteiligte von einem idealtypisch ‚gut funktio nierenden‘ kontinuierlichen Bewegungsfluss beim „Langen Arm“ ausge-
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gangen waren. In der Praxis zeigt sich, dass auch das Durchbrechen des Bewegungsflusses dazu gehört. Diese Erkenntnis wird erfahrbar, für die Beobachtenden aufgeführt und somit performativ nachvollziehbar. Wieder zeigt sich im Umdeuten die wirklichkeitskonstituierende Kraft des Performativen. Eine mögliche Interpretation der Situation besteht auch darin, dass Birgit beim Ausprobieren nicht nur die Antwort auf die Auswirkung der Körpergröße ermittelt, sondern auch, wie sie die von ihr favorisierten Techniken den Gruppenmitgliedern vermitteln kann und diese von der Stimmigkeit ihrer Techniken überzeugen kann, was im vorangegangenen Gespräch nicht erreicht wurde. Birgit gelangt am Ende des Ausprobierens noch einmal zu dem gleichen Schluss wie vorher beim verbalen Austausch. Sie kennt ihre Lösung also schon vor dem körperlichen Ausprobieren und versucht, diese weiter zu geben. Das Ausprobieren wird dabei zum performativen Antworten und performativen Nachvollziehbarmachen ihrer Lösung und bestätigt sie. • Erfahrungspraxis: Birgit ermittelt eine gelingende Vermittlungspraxis in der und durch die choreografische Praxis. Die Situation expliziert damit besonders deutlich die Untrennbarkeit von choreografischer Praxis und Vermittlungspraxis. Ausprobieren zeigt sich als Auswerten. • Praktiken und Methoden: Das zirkuläre und simultane Zusammenspiel des Praktiken-Ensembles Ausprobieren und Auswerten wird als situative Notwendigkeit und als Spezifikum der choreografischen Vermittlungspraxis deutlich. • Bedeutungsvariante von Vermitteln, multidirektionale Anteile: Der Transfer eines individuellen Erfahrungswissens ‚an‘ Elsa scheitert, anstatt dessen geschieht multidirektionales ‚sich verständigen‘. Abermals wird bestätigt: Erst wenn aus individuellen Erfahrungen Gruppenerfahrungen werden und diese als Errungenschaft bestätigt und aufrechterhalten werden, entsteht eine gelungene Vermittlungspraxis. In Projekt 2 kristallisiert sich folgende Logik für das Verstehen einer Interak tion heraus: Auf die Beobachtung der choreografischen Praxis folgen feldintern erzeugte Hinweise für die Weiterentwicklung des Interaktionsgeschehens, die ausprobiert werden und feldinterne individuelle Bewegungs- und Interaktionserfahrungen bilden. Diese Erfahrungen führen zu Erkenntnissen, die im anschließenden Feedbackgespräch diskutiert werden. Die feldinterne Bewegungs- und Interaktionserfahrung erzeugt mehr Bewegungs- und Interaktionsverständnis der Beteiligten. Die Tatsache, dass sich Verstehen in den beiden untersuchten Projekten auf so unterschiedliche Art zeigt, bringt die Kontextgebundenheit von Vermittlungspraxis zum Ausdruck.
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4.6 Teilhaben/Teilnehmen In dieser Praktik zeigt sich, welche Personen zu welchem Grad am Vermittlungsgeschehen beteiligt sind, auf welche Art und Weise sie zusammen arbeiten, welche Machtverhältnisse in den Personengruppen wirken und wie Entscheidungsprozesse vonstatten gehen. In der vorliegenden Studie wird Teilhaben als Synonym von Partizipieren verwendet und vom Teilnehmen abgegrenzt. Als Teilhabe wird im Folgenden angesehen, wenn die Möglichkeit der Einflussnahme besteht und alle Beteiligten Beiträge zur choreografischen Praxis leisten können, wenn Mitbestimmung in kollektiven und kooperierenden Arbeitsweisen gegeben ist und Formen der Selbstbestimmung praktiziert werden, in denen die Beteiligten Verantwortung übernehmen und in eigenständigen Arbeitsweisen ihre Bewegungs-, Interaktions- und Choreografieerfahrungen einbringen. Auch das Mitwirken an Entscheidungsprozessen wird als Teilhabe eingestuft. Teilhaben geht über das bloße Dabeisein als Teilnahme hinaus, doch eine klare Trennung lässt sich nicht ziehen. Wenn ein wachsender Anteil an Fremdbestimmung einer Personengruppe über eine andere zu verzeichnen ist und Machtpositionen im Vordergrund stehen, dann liegt ein Indiz vor, dass keine Teilhabe gegeben ist. In diesen Fällen wird in der vorliegenden Studie vom Teilnehmen gesprochen. Diese Einstufungen sind an das Modell der politischen Partizipation von Schröder (1995: 16) angelehnt, welches Derecik/Kaufmann/Neuber (2013) für den Bereich der Erziehungs- und Sportwissenschaft aufgearbeitet haben. Kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden Eigenständige Gruppenaktionen; Verantwortung übernehmen Eigenständig Interaktionsordnungen in der Gruppe erzeugen Gemeinschaft bilden; Individuum und Kollektiv verbinden Kooperieren: Weitergeben von Aufgaben und Hinweisen; Weiterentwickeln einer Idee Involviert-Sein/Involvieren Sharing Entscheiden Interaktive Entscheidungsfindungen der Performer/innen Einzel-Entscheidungen, Vor-Entscheidungen treffen Anleiten Auffordern und Instruieren Abb. 14: Vermittlungsmethoden beim Teilhaben/Teilnehmen
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Kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden In der Vermittlungspraxis sind kollektive Formen der Zusammenarbeit unter den Mitwirkenden zu beobachten, die vielfältige Ausprägungen annehmen und im Folgenden spezifiziert werden.
Eigenständige Gruppenaktionen; Verantwortung übernehmen Heute wird die choreografische Praxis ausnahmsweise nicht von einer Aufgabenstellung durch Anja ausgelöst, da sie nicht anwesend ist. Die Koordinatorin des Zentrums schlägt vor, sich den Bühnenraum anzuschauen. Die sechs anwesenden Gruppenmitglieder stimmen begeistert zu und nehmen die Bühne aufgeregt in Besitz, anstatt zur Schule zurückzugehen und sich eine Pause zu verschaffen. Sie klären die Raumordnung für den Beginn der Choreografie, bringen wechselweise Vorschläge ein, was sie als Nächstes tun und tanzen Bestandteile der Choreografie durch. Sie finden eine Lösung für das Problem, keine Musik zu haben, denn Karin fällt ein, dass sie die Szene mit ihrem Smartphone aufgenommen hatte und damit nun die Musik abspielen kann.
Hier zeigt sich Teilhabe als Eigeninitiative und selbstorganisiertes Agieren. Die Anwesenden involvieren sich selbst und werden nicht involviert,28 übernehmen Verantwortung und passen sich gleichzeitig situativ an Anjas Abwesenheit an. Verantwortung zu übernehmen zeigt sich bei wechselnden Personen, zu unterschiedlichen Graden und auf unterschiedliche Art und Weise. Bei den „5-Punkten“ zum Beispiel bringen die Gruppenmitglieder, die die Szene weiterentwickelt haben, diejenigen, die nicht anwesend waren, auf den aktuellen Stand der Szene, auch Anja, die letztes Mal von Corinna vertreten wurde. Sie integrieren ihre Mitschüler/innen in die bestehende Szenenstruktur, verschiedene Personen übernehmen wechselweise die Initiative und sagen, was als nächstes getan werden soll, geben Hinweise, melden Unterschiede rück, erklären Details und probieren die Abfolge zusammen mit den Neuen aus. Mehrere Ethnomethoden entstehen situativ, mithilfe derer alle die Szene am Ende der Arbeitsphase ausführen und wiederholen können. Die Gruppenmitglieder übernehmen als Vermittelnde eigeninitiativ die Verantwortung für das Gelingen der Praxis, koordinieren sich eigenständig und erzeugen eine gemeinsame Errungenschaft. Dabei laufen alle sieben konstitutiven Vermittlungspraktiken.
28 | Vgl. Kap. 4.6. Teilhaben/Teilnehmen: Kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden: Involviert-Sein/Involvieren in dieser Studie.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Aufgabenstellen A K Klären A Ausprobieren Auswerten A Teilhaben/Teilnehmen Aushandeln A Aufrechterhalten Eigenständig Interaktionsordnungen in der Gruppe erzeugen In Projekt 1 finden eigenständige Arbeitsweisen auch an Terminen statt, in denen die Projektleitung anwesend ist, wenn Anja der Gruppe eine Gestaltungsaufgabe stellt und deren Umsetzung dann innerhalb eines vorgegebenen Rahmens vollständig der Gruppe überlässt. Da die Gruppenkonstellation von Probe zu Probe, oder von „Kurs“ zu „Kurs“, wie Anja sagt, nicht gleich bleibt, entwickelt die Gruppe an jedem Termin konstellationsbedingte Formen der Zusammenarbeit. Beim heutigen „Brainstorming“ ist ein Prozess zu beobachten, in dem zuerst einzelne Personen individuelle Problemlösungen ausprobieren und dann im gemeinsamen Tun eine Ordnungsbildung der ganzen Gruppe entsteht. Die Gruppe ermittelt selbstständig Interaktionsordnungen und erzeugt in situ eine kollektive Arbeitsweise. Während alle im Kreis sitzen, kündigt Anja an, dass sie heute ein „Brainstorming“ über die bisherigen Praxisthemen der choreografischen Werkstatt durchführen möchte. Sie hat gelbe Zettel mitgebracht, die sie nun mit der Bemerkung „und zwar hab ich die Begriffe aufgeschrieben, die wir- mit denen wir bisher gearbeitet haben“ aus ihrer Tasche holt und auf den Boden legt. „Und wenn euch jetzt noch Begriffe einfallen, die dazu kommen, dann würd’ ich die einfach noch mit aufschreiben und dann legen wir die auch in die Mitte“. Später fügt sie hinzu: „Lasst uns mal erinnern, was wir bisher gemacht haben. Wie ich es erinner‘ erzähl‘ ich jetzt einfach mal und ihr ((em)) ihr könnt mich nachher ergänzen, mit dem was wir vergessen haben. Okay?“
Dann legt sie jeweils einen Themenzettel auf den Boden und erzählt stichwortartig, was ihrer Ansicht nach zu diesem Thema erarbeitet wurde. Auf diese Art und Weise geht sie alle Zettel durch. Nun soll sich die Gruppe über die bisherigen Praxisthemen austauschen und von diesem Gespräch möchte Anja eine Tonbandaufnahme machen. Sie gibt die Regel vor, dass sich jeder am „Brainstorming“ beteiligen muss. Die Gruppe ermittelt daraufhin, wie sie sich organisieren kann, um diese Aufgabe umzusetzen. Es entwickelt sich ein Interaktionsgeschehen, welches vornehmlich aus Redezügen für die Tonbandaufnahme besteht. Bruno, der einzige männliche Anwesende, beginnt seine Gedanken zum Thema ‚Innen/Außen‘ zu erzählen und steigert sich in einen Redefluss hinein, den die Mädchen anfangs erleichtert mit aufmunternden
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Gesten bestätigen, da sie sichtlich froh sind, dass jemand akustische Beiträge für die Tonaufzeichnung liefert. Im Laufe der Zeit etabliert Bruno ein Redemonopol. Während Bruno erzählt, entspinnt sich eine Parallelaktion von Franziska und Olivia, die sich mit den Zetteln beschäftigen und miteinander flüstern. Dann fragt Franziska laut in die Runde: „Können wir mal irgendwas anderes machen, was ((irgendwie)) weiter geht ((was Interessantes)) was halt“, aber Bruno reagiert nicht auf sie und fährt fort. Olivia pickt sich nun den Zettel „Sinne“ heraus und meint: „Dann gibt’s noch: Sinne. Das ist wo ich drauf schaue die ganze Zeit. (1) Die Luft zu spüren- ((lachen))“. Olivia fächert sich mit dem Zettel genüsslich Luft in ihr Gesicht. Daraufhin integriert Bruno das Thema der Sinne in seinen Redefluss. Als Heike meint: „Ich find‘ in so ’ner großen Gruppe is’ auch sehr wichtig Vertrauen“, wendet sich Nathalie mit ihrem Blick und ihrer Körperfront sofort zu Heike und fragt: „Warum is‘ denn Vertrauen so wichtig?“. Als diese lange nachdenkt, schlägt Olivia vor „wir können ja ’ne Runde machen“. Bruno stimmt zu, schaut explizit zur nächsten Person neben sich im Kreis und wiederholt die Frage. Olivia bestätigt mit einem aufmunternden Blick diese Vorgehensweise und lädt mit der Frage „((äh)) willst du einfach mal?“ Luzie neben Bruno zum Redebeitrag ein.
Auf der Grundlage der Konversationsanalyse29 werden in der Auswertung der „Ablauforganisation der sprachlichen Interaktion“ (Bergmann 1981: 25) wichtige Veränderungen in der Interaktionsordnung der Redezüge kenntlich: Zuerst dominiert eine Person mit ihrer individuellen Aufgabenumsetzung das Geschehen. Dann wählen zwei Personen in einer Parallelaktion ein neues Thema aus und weichen Brunos Redemonopol auf. Erst lässt sich die Ethnomethode ‚neue Themen einbringen‘ beobachten, dann ‚jemand persönlich ansprechen‘, dann ‚fragen‘, ‚bestätigen‘ und ‚reihum im Kreis Sprechen‘. Damit erzeugen Franziska und Heike Methoden zur Organisation ihrer Aufgabenlösung und handeln gleichzeitig die Organisation der Beteiligung aus. Später greifen andere Gruppenmitglieder diese Methoden auf. Dann entsteht eine neue Ethnomethode ‚alle beantworten die gleiche Frage‘. Als Olivia zum nächsten Thema übergehen will, protestiert Nathalie sofort und fordert die Einhaltung der etablierten Regeln ein. Anja sitzt währenddessen weit ab von der Gruppe und überlässt sie sich selbst. Die Gruppe arbeitet eigenständig und ermittelt selbst organisiert ihre Ordnungsstrukturen für die Umsetzung der Aufgabe. In der nächsten Phase wird ein neues Kriterium für einen Redebeitrag erzeugt: ‚wer etwas zum Thema beizutragen hat, der redet‘. Nun übernehmen wechselweise verschiedene Gruppenmitglieder die Verantwortung für die Regeleinhaltung. Nach dem Auflösen von Brunos Redemonopol haben alle ein potenzielles Mitbestimmungs- und Entscheidungsrecht und können aktiv an der Praxis teilha29 | Vgl. Einleitung: Methodisches Vorgehen in dieser Studie.
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ben, manche involvieren sich eigeninitiativ, einige werden von Gruppenmitgliedern in die Praxis involviert.
Gemeinschaft bilden; Individuum und Kollektiv verbinden Später äußert Heike beim „Brainstorming“ die Meinung, sie seien eine vertraute Gruppe: Heike: „Also ich find‘ also, egal welche Partner wir haben oder so- wir halten ja letztendlich zusammen und wir vertrauen uns auch- da war ja öfters mal so was wie Vertrauen im Spiel, das haben wir ja alles nicht gebrochen, also sind wir ’ne vertraute Gruppe“. Sie begründet das damit, dass sie ‚alle inzwischen schon so viele Übungen miteinander gemacht hätten, obwohl sie sich teilweise vorher gar nicht kannten‘. Als Beispiel nennt sie den „Hör- und Spürspaziergang“, als man mit geschlossenen Augen von einer anderen Person geführt wurde. Dann fügt sie hinzu, ‚das sei doch der ganze Sinn dieser Aufgaben gewesen und das sei der Sinn dieser Choreografiewerkstatt‘. Einige klatschen und stimmen Heike zu. Bruno ergänzt, dass man wohl weniger in das Geschehen ‚reingebracht hätte, wenn nicht dieses Vertrauen da wäre‘. Heike meint noch, ‚man schäme sich nicht‘ und Nathalie fügt hinzu, ‚alle würden sich ja genauso blamieren und das sei jetzt okay‘, was von einigen mit Gelächter begleitet wird und Zustimmung bekommt. Olivia merkt an, ‚sie würden zwar lachen, aber sie würden sich nie auslachen‘.
Ungefähr die Hälfte der Anwesenden vermittelt sich in diesem Austausch, wie sie durch die gemeinsame choreografische Praxis und die Art und Weise ihrer Beteiligung eine Gruppe erzeugt haben und dass sie diese Gruppe als Gemeinschaft erleben. Gemeinschaft macht für sie in diesem Kontext aus, alle gleich zu sein und alles machen zu können, sich zu zeigen, zu blamieren, zu lachen, aber nicht auszulachen, denn Lachen wird als Gefühlsäußerung legitimiert, weil es als respektvoll eingestuft wird und zum Gemeinschaftsgefühl beiträgt. Heike, Nathalie, Bruno und Olivia machen ihre Gefühle nachvollziehbar und reflektieren sie. Heikes Aussage, Vertrauensbildung sei der Sinn vom „Hörund Spürspaziergang“ gewesen und sei der Sinn der ganzen Werkstatt, zeugt davon, dass sie die Vermittlungspraxis reflektiert. Heike wertet damit auch die Beweggründe und Zielsetzung der Projektleitung, und damit deren Vermittlungspraxis, aus. Eine ganz andere Form der Gemeinschaftsbildung entsteht in Projekt 2 durch Besetzen des öffentlichen Raums als passivem Widerstand (vgl. Barthel 2015). Birgit sagt dazu: „Wir schreiben mit der Form des Choreografischen und der körperlichen Praxis, aus der diese Form entsteht, einen passiven Widerstand in den öffentlichen Raum“. Für sie entsteht eine Form des Widerstandes „durch das Bilden einer Gemeinschaft, in der Kollektivität und Subjektivität gemeinsam Platz haben“. In einer Probe bei strömendem Regen auf dem durchnässten Gelände meint sie: „Durch das Gemeinsame, was in der Praxis
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verankert ist, können wir diesen Ort besetzen“ und bezeichnet die Herausforderung bei der Choreografieentwicklung und bei den Aufführungen der site specific performance auf der Industriebrache als „krasse Art der Auseinandersetzung mit der Natur“. Einige Gruppenmitglieder beschreiben ihre Erfahrungen von Gemeinschaft in dem Projekt. Lisa erzählt zu einem Durchlauf des Stückes: „Ich wusste manchmal nicht was kommt, aber das ist so schön, weil man sich irgendwie so auf alle anderen, also auf die Gruppe und auf den anderen verlassen kann“. Diese Äußerung entspricht der Bedeutung von collectivus, angesammelt, gemeinschaftlich, etwas, das alle betrifft bzw. erfasst (Duden 2011: 1017). Josephine berichtet, es habe sich ‚ein Kollektiv entwickelt, in dem sich einzelne Personen heraus kristallisiert hätten und gleichzeitig ein Gemeinsamkeitsgefühl existiert habe‘. Die Verbindung zwischen Individuum und Kollektiv wird von vielen Beteiligten als zentraler Faktor beschrieben: Helene: „Also dieses offen sein und dieses ja, sich anschauen oder berühren [...] dieses miteinander umgehen und das Tanzen und also wirklich so ’n- so ’n ganz schönes Gemeinschaftsgefühl zu haben, ’ne. Und trotzdem ist man ja auch immer noch das Individuum. Mich so offen zu fühlen, ohne dass ich aufpassen muss oder so. Also das fand ich schon sehr schön“. Bernadette: „Man ist einerseits total bei sich die ganze Zeit aber verschwimmt wirklich mit dem Ganzen. Und dann aber- die ((em)) Bewegung führt jeder auf seine Weise- Also die Individualität war ja doch erhalten. Jeder hat seine Sachen auf seine Art gemacht, nach seinem Rhythmus. Jeder hat entschieden wann er dann geht bei dem Song Bella Ciao. Also da war trotzdem in diesem Kollektiven noch der Raum und die Freiheit, das auf die eigene Art zu machen und das fand’ ich echt- ich weiß nich’, ich frag mich, wie sie das hingekriegt hat, also es war wirklich beides da, so, ich fand’s echt schön.“30
Kooperieren Bei kooperativen Arbeitsweisen müssen mehrere Personen auf ein Ziel hin zusammenwirken, um eine Aufgabe umzusetzen (vgl. Duden 2011: 1040). Zum Beispiel erfordert das „Gärtnern“ in Projekt 2, bei dem Blumentöpfe wiederholt zu temporären Formationen umgegeordnet werden, die Kooperation der Performer/innen. Birgit bezeichnet das Gärtnern als einen „Arbeitseinsatz, der organisiert sein will“ (vgl. Barthel 2015). Alle müssen einander beobachten und sich situativ aufeinander abstimmen. Wenn mehrere Personen ihre Blumentöpfe nebeneinander stellen und eine diagonale Linie durch den Garten beginnen, so gilt für alle anderen, diese fortzusetzen. Wer wann eine Formation einleitet, bleibt der spontanen Entscheidung überlassen. 30 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Gruppen- und Interaktionsaufgaben, bei denen es kooperativer Prozesse bedarf, können Sprech- sowie Textaufgaben betreffen, wie beim „Brainstorming“ in Projekt 1. In Projekt 2 laufen spontane Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse während der Bewegungspraxis zeitweise rein körperlich ab, ohne verbale Verabredungen: Als die Performer/innen in den Bäumen sitzen und die Äste in Bewegung bringen, entsteht eine Kettenreaktion zwischen den Gruppen der verschiedenen Bäume, die Birgit beobachtet und rückmeldet: „Ja, es ist auch toll, wenn ihr kooperiert in den einzelnen Bäumen, die Kommunikation untereinander ist jetzt gerade ganz toll hier, wie sich die Balance verändert“. Beim „Warm-up“ im Kreis auf der Industriebrache findet oftmals ein Weitergeben von Informationen mittels der Bewegungen statt, da sich nicht alle sehen. Die Informationen übertragen sich dabei von Körper zu Körper durch die ganze Gruppe hindurch. Angelika: „Also was ich auch noch ’n wichtigen Vermittlungsmoment in der Arbeit von Birgit finde, dass sie die Gruppe sehr einbezieht. Also, wenn ich das Gefühl hab’, ah was is’ des eigentlich, dann kann ich mich auch sozusagen so ’n bisschen rechts und links orientieren, ich seh’ ja nich‘ immer Birgit. Die Gruppe ist ja groß, aber irgendwie dann guck ich so ’n bisschen und hab’ auch das Gefühl, ach is’ okay, is’ jetzt nich’ schlimm, wenn du des nich’ gleich hast, ‘ne. Und so kann ich das mitkriegen, was auch bei den andern ist und- und mich da so langsam annähern. Und dann guck’ ich vielleicht auch noch mal zu Birgit und mach da so ’n Abgleich. Also- also die Gruppe, finde ich, ist da auch noch mal ein sehr wichtiger Moment dabei.“
Birgit beobachtet die von Angelika beschriebene Praktik bei der Probe und formuliert sie als Aufgabe: „Was ihr nicht mitbekommt, einfach aufnehmen indem sichs überträgt im Kreis“. Mit dieser Aufgabenstellung gibt sie ihre Funktion als Referenz ab und überlässt sie der körperlichen Kommunikation aller Anwesenden. Auch das gemeinsame Weiterentwickeln einer Idee ist Teil einer kooperierenden Vermittlungspraxis. Christa macht den Vorschlag, festzulegen, welche Formen sie mit den Blumentöpfen im Garten erzeugen, was auf allgemeine Zustimmung trifft. Bisher wurden die Blumen töpfe immer in gerade Linien gestellt. Nora fragt, ob sie auch etwas „Weicheres“ machen könnten, Bernd nimmt das auf und meint, ‚vielleicht ergebe sich ja auch so was wie ‚eine Welle‘ und erweitert Christas Vorschlag, den Birgit mit „oder einen Kreis“ ergänzt. Daraufhin macht Bernd einen Vorschlag für die Reihenfolge der Formationen. Birgit entscheidet sich letztendlich für eine andere und legt diese dann fest.
Teilhabe besteht hier darin, dass Mitwirkende Vorschläge einbringen und kooperativ miteinander weiterentwickeln. Der Grad der Mitbestimmung in der
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Zusammenarbeit mit der Projektleitung ist in dieser Situation jedoch gering, da Birgit letztendlich ihrer Priorität folgend entscheidet.
Involviert-Sein/Involvieren Die Praktik Teilhaben/Teilnehmen ist durch variierende Grade des Involviert-Seins gekennzeichnet. „Wann immer der Anspruch zu partizipieren beschworen wird, formuliert sich das Versprechen: Dabeisein! Mitwirken! Mitgestalten! Dazugehören!“ (Brenne/Sabisch/Schnurr 2012: 12). Diese überspitzte Anrufung aus dem Feld der Kulturellen Bildung stellt aber auch die Frage, ob ein Involvieren bzw. Involviert-Sein im Sinne von „[a]n etwas beteiligen, in etwas verwickeln“ (Duden 2015: 507) ermöglicht werden muss oder kann oder ob es eigenständig vollzogen wird. In den Praxisbeispielen der vorliegenden Untersuchung wurde sich involvieren bereits als eigeninitiatives Tun sowie als Akt, jemand anderen zu involvieren beschrieben. In die Produktion Hinter den Gärten sind immer alle aktiv involviert, denn sie besteht ausschließlich aus Gruppenszenen. Innerhalb der Gesamtgruppe bilden sich im Stück zwischenzeitlich wechselnde Paarkonstellationen oder Kleingruppen, Soli gibt es keine. Die Gruppenszenen sind künstlerisch und inhaltlich, und nicht pädagogisch motiviert, wie Birgits Aussage, „ich habe die Gruppe als Gesamtkörper, als Verstärker benutzt, sodass ich gar nicht mehr so interessiert war jetzt noch mal Einzelaufgaben zu geben“ deutlich macht.31 Ein Involvieren aller Mitwirkenden zeigt sich in Projekt 1 unter anderem in Anjas wiederkehrender Regel, dass sich alle an der jeweiligen choreografischen Praxis beteiligen müssen. Diese Regel formuliert sie oft als Teil der Aufgabenstellung, zum Beispiel beim „Brainstorming“ oder der „Guided Tour“: Bei einer Probe weist sie darauf hin, dass ‚es nicht darum gehe, dass sich zwei oder drei beteiligen, sondern alle sollen sich beteiligen‘. Auch bei Feedbackgesprächen fordert sie alle zu Beiträgen auf: „ich brauch noch ein bisschen Feedback von den anderen, es haben immer die gleichen Leute geantwortet“. Temporär kritisieren auch Elisabeth und Heike eine mangelnde Beteiligung ihrer Mitschüler/innen und fordern sie zur aktiven Teilhabe auf. Als klar wird, dass nicht alle aus Gruppe 1 zum Termin der Aufführung anwesend sein können, möchte Anja, dass trotzdem jede/r einen Beitrag zur Aufführung leisten soll, unabhängig davon, ob er oder sie in der Aufführung „performt“ oder nicht. Sie schlägt multiple Beitragsmöglichkeiten zur Aufführung vor: Anja: „Zum Beispiel eine Art Coaching, sodass ihr, wenn wir hier zusammen üben sozusagen die Gruppe von außen begleitet, also dass ihr helft zum Beispiel Schritte einzu31 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Später konkretisiert Anja ihren Vorschlag mit der Möglichkeit der „choreografischen Assistenz“ und beschreibt die Funktionen und Aufgaben dieser Arbeit damit, dass sie Szenenabläufe aufschreiben können, die Reihenfolge von Aktionen und Interaktionen notieren, den anderen beim Erinnern helfen und Wichtiges dokumentieren. Sie vermittelt hiermit den Gruppenmitgliedern gleichzeitig das breite Spektrum choreografischer Praxis. Karin und Judith stimmen dem Vorschlag zu und fungieren als choreografische Assistentinnen.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Arbeitsweisen der Gruppenmitglieder werden dann als kollektiv eingestuft, wenn wechselnde Personen die Verantwortung übernehmen, methodische Aufgabenlösungen entwickeln, bestätigen und am Laufen halten und eine Zusammenarbeit in einer eher flachen Hierarchie stattfindet. Eigenständige Gruppenaktionen, eigenständiges Erzeugen von Interaktionsordnungen und Gemeinschaft bilden sind Beispiele dafür. Sie explizieren die potenzielle Teilhabe aller Beteiligten am Vermittlungsgeschehen. Damit ist Vermittlungspraxis nachweislich nicht an die Projektleitung bzw. Choreografin gebunden, sondern kann situationsadäquat je nach Kontext potenziell von allen Beteiligten übernommen werden, die temporär und partiell zu Vermittelnden werden. Eine Teilhabe im Sinne von Involviert-Sein und Involvieren wird von den Beteiligten sowohl gewünscht, eigeninitiativ vollzogen, eingefordert und initiiert. Die Art und Weise und die Grade der Beteiligung werden situativ ausgehandelt. Beim Teilhaben/Teilnehmen erhöhen Gestaltungsprozesse mit offenen Gruppenaufgaben die Wahrscheinlichkeit für Aushandlungsprozesse. • Multidirektionale, explorative und emergente Anteile sind bei kollektiven Arbeitsweisen zwangsweise am Laufen und zeigen besonders deutlich die Unberechenbarkeit des Vermittlungsgeschehens. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: In kollektiven Arbeitsweisen zeigt sich Vermitteln bei den Mitwirkenden als ‚Weitergeben von Erfahrungsbeständen‘. Im Besetzen eines öffentlichen Raums als Form des passiven Widerstandes zeigt sich Vermitteln als ‚Arbeiten mit Widersprüchen‘. Dabei kann Gemeinschaft entstehen, in der Individuum und Kollektiv nicht als gegensätzlich, sondern als verbindend erlebt werden.
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Sharing In Projekt 2 bringt Birgit eine von ihr als „Sharing“ bezeichnete Arbeitsweise ein. Sie besteht in einem Praktiken-Komplex aus Ausprobieren und Auswerten und zeichnet sich durch die Vermittlungsmethoden Beobachten und performatives Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen aus. Dadurch können Erfahrungen und Erkenntnisse erzeugt und ausgetauscht werden. Es vollzieht sich meist in drei Phasen, zuerst stellt Birgit eine Aufgabe, die in Kleingruppen ausprobiert wird. Birgit nimmt in einer der Kleingruppen am Ausprobieren teil und meldet währenddessen Erkenntnisse aus dem praktischen Vollzug an ihre Kleingruppe rück. Dann gibt sie Erkenntnisse aus ihrer Kleingruppe an die gesamte Gruppe weiter, indem ihre Kleingruppe die Aufgabe noch einmal praktiziert und von allen anderen beobachtet wird. Birgit formuliert währenddessen für alle hörbar Erkenntnisse aus dem laufenden Geschehen. In einer dritten Phase teilen die Beobachtenden und die Agierenden ihre Erkenntnisse aus beiden Beteiligungsmodi aus.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Beim Sharing wird das Praktiken-Ensemble Ausprobieren und Auswerten als Ermittlungsprozess aufgeführt und legitimiert. Dadurch, dass die Anwesenden in verschiendenen Beteiligungsmodi am Ermittlungsgeschehen teilhaben, läuft das Erzeugen und Weitergeben von Erkenntnissen zeitgleich ab. Beim Sharing wird choreografische Praxis besonders deutlich als Vermittlungspraxis erkennbar. • Multidirektionale, explorative, reflexive Anteile kennzeichnen das Sharing als Form der Teilhabe.
Entscheiden Im Verlauf der Vermittlungspraxis treffen unterschiedliche Personen in verschiedenen Zeitlichkeiten Einzel-Entscheidungen, Vor-Entscheidungen und interaktive Entscheidungen. Diese werden im Interaktionsgeschehen immer wieder überprüft, modifiziert, bestätigt oder verworfen. Bei den Gruppenszenen in Projekt 2 nehmen interaktive Entscheidungsprozesse einen zentralen Stellenwert ein. Angelika: „Es mussten in zehntel Sekunden Entscheidungen getroffen werden und das ist natürlich immer was, wo man sich so und so entscheiden kann und sich so und so zeigen kann oder nich’ oder [wie oder was]“. Bernadette: „[und] wenn viele auch schnell ’ne Entscheidung treffen, also, ’ne, kam auch vor.“
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Mit ihren Entscheidungen übernehmen die Performer/innen im Rahmen des vorgegebenen Scores Verantwortung und bestimmen das choreografische Geschehen mit. Während der Probenphase klären Gruppenmitglieder und Projektleitung in Verständigungs- und Aushandlungsprozessen den potenziellen Aktionsspielraum der Szenen und treffen Verabredungen zum Interaktionsrahmen jeder Szene. Wenn die Performer/innen Birgit zur Interpretation einer Aktion oder zur Gestaltung der Übergänge befragen, weist diese meistens den spontanen Entscheidungen der Performer/innen die Priorität zu, überlässt ihnen Raum für Eigenverantwortung und ermuntert sie, ihrem Gefühl zu folgen. Auf die Frage nach dem Ende einer Szene sagt Birgit, ‚da gebe es viel Spielraum drin und Ausbaumöglichkeit, wie es sich gut anfühle, das werde unter den Leuten in einem Abstimmungsprozess bestimmt‘. Birgit: „Da habt ihr Zeit, euch so zu organisieren, dass es passt. Von außen war das echt in Ordnung, aber wenn’s nicht passt, dann hast du einen Grund, das anders zu machen, ja, zu gucken, oder alle drum herum ((lacht)). Jeder nach seiner Art, à sa façon, nach seiner Art, und was ihm liegt. Das ist eben toll gewesen.“
Die Performer/innen von Projekt 2 entscheiden nicht vornehmlich das ‚Was‘ sondern das ‚Wie‘. Im ‚Wie‘ vollzieht sich ihre Teilhabe an der Performance, was ein hohes Maß an Flexibilität, Bereitschaft zur Gruppenwahrnehmung und zum Kooperieren erfordert und den Ereignischarakter ins Zentrum rückt. Sie fühlen sich beteiligt, wie Angelikas Aussage beschreibt: „Mir ist zum Beispiel wichtig, dass ich wirklich das Gefühl habe ich- dass ich mich richtig einbringen kann, ’ne, dass ich mich voll in diese- in die Bewegung einbringen kann. Und ((em)) das ist- das ist für mich irgendwie was- demokratisches oder so. Also ich darf sein. Ich bring‘ mich ein, ich darf mich einbringen.“
Das ‚Was‘ wird zum Teil auch in Einzel- und Vor-Entscheidungen bestimmt. Das interdisziplinäre Team von Projekt 2, bestehend aus einer Choreografin, einem Sounddesigner und einem Landschaftsarchitekt, hat mit dem Expertenwissen ihrer jeweiligen Disziplinen bereits vor Probenbeginn ohne die Performer/innen künstlerische Setzungen vorgenommen. Birgit hat aufgrund ihres ortsbezogenen inhaltlichen Interesses an dem Verhältnis zwischen Organismus und Maschine bereits Ideen für dessen Umsetzung entwickelt und in Bewegungsordnungen sowie Bilder übersetzt, zum Beispiel als „Traktor und Motor“ oder als Bewegungskette beim „Langen Arm“. Auch die Artefakte der Blumentöpfe und Rollrasen wurden ausgewählt, ohne die Gruppe der Performer/innen einzubeziehen. Birgit erstellt auch die Komposition der Szenenreihenfolge allein und bringt dabei ihre Expertise als Choreografin in das Projekt
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ein. Ihre Entscheidungen werden allgemein von den Beteiligten als stabilisierend und vertrauenstiftend und nicht als einengend erlebt: Angelika: „Ich wusste einfach da kann ich drauf vertrauen, dass- ((em)) sie führt uns dahin, wo sie uns hinhaben möchte und man kann da bedenkenlos mitgehen ((em)). Ja, das is‘ irgendwie auch ’n schönes Gefühl gewesen ((em)) sich da so drauf verlassen zu können.“32
Wie Entscheidungen getroffen werden, von wem und in welchen Hierarchieverhältnissen, hängt zu einem großen Teil von der Arbeitsweise ab und geht mit Aushandlungsprozessen einher. Bei Gruppengestaltungsaufgaben des Projektes 1 treffen die Gruppenmitglieder ihre Entscheidungen, bei angeleiteten Arbeitsphasen entscheiden die Projektleiterinnen, manchmal stellen sie Optionen zur Wahl oder es entsteht ein Fluktuieren der Personen, die entscheiden.33
Anleiten Der Begriff „Anleiten“ ist dem Feld entnommen und zeichnet sich durch einen relativ großen Grad an Vorgaben aus. Anleiten geschieht immer von einer Person, ist also ein Alleinstellungsmerkmal. Eine anleitende Person bringt Aufgaben ein, die einen geringen Aktionsspielraum lassen und trifft Entscheidungen, die in diesem Moment durch ihre Funktion legitimiert sind. Beim Anleiten ist für die Mitwirkenden die Möglichkeit der Einflussnahme gegeben, sie steht aber nicht im Vordergrund, was sich auch in dem zumeist direktiven Formulierungsmodus spiegelt. Der Grad des Anleitens variiert je nach Person, Arbeitsphase und Ausrichtung der choreografischen Arbeit. Das Anleiten kann situationsdedingt die Personenzahl, die Art der Beteiligung (Aktions- oder Beobachtungsmodus), den Aktionsspielraum oder andere Komponenten betreffen. Es geht oftmals in ein Aufgreifen und Ableiten über, wie zum Beispiel beim Sich zu Eigen Machen der festgelegten Bewegungsfolge. Dass das Anleiten als einzige Vermittlungsmethode für die Bewältigung von Kreationsprozessen bei Gestaltungsaufgaben nicht ausreicht, zeigen die „Guided Tour“ und viele andere Situationen. Beim eigenständigen Erarbeiten von Gestaltungsaufgaben wechseln die anleitenden Personen in den erforschten Praxisfällen meistens temporär. Madeleine leitet zum Beispiel Georgias Aneignungsprozess einer bereits festgelegten Bewegungsfolge an, indem sie ihr Schritt für Schritt das Material zeigt und zusammen mit ihr ausführt. Ihr 32 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion. 33 | Vgl. Kap. 4.7. Aushandeln: Fluktuieren von Funktionen in dieser Studie.
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Vorgehen wird deswegen als Anleiten eingestuft, weil sie Georgia in kurzen Abständen direktiv formulierte Aufgaben stellt und einen geringen Aktionsspielraum lässt. Eine anleitende Funktion wird nicht zwangsläufig als Einschränkung und Machtausübung erlebt, sondern kann den Beteiligten Vertrauen und Sicherheit geben, wie in Projekt 2. Für das Gefühl, beteiligt zu sein und sich einbringen zu können ist nicht unbedingt eine eigenständige oder angeleitete Arbeitsweise entscheidend, sondern ein zur Exploration einladender Formulierungsmodus und der Freiraum für Mitbestimmung. Dies bestätigt sich im Projekt 1, denn erst als sich die Gruppe ihrer Möglichkeit an Mitbestimmung versichert hat, fühlen sie sich beteiligt. Anleiten und Mitbestimmen schließen einander also nicht aus, es kommt darauf an, in welchen Modi sie formuliert werden und auf welche Praxisthemen sie sich beziehen.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Es lässt sich keine wiederkehrende Kausalität zwischen Anleiten, Mitbestimmen, sich beteiligt fühlen und aufeinander eingehen herstellen, ihr Zusammenspiel entsteht situationsgebunden. Ein situationsadäquates Gewichten und Kombinieren von direktiven und explorativen Arbeitsweisen ist zentral in der Vermittlungspraxis. Die Adäquatheit des Anleitens ist themenbedingt: Beim Sich zu Eigen Machen von vorgegebenem Bewegungsmaterial kann es für die Bewältigung gegebenenfalls sinnvoll sein, bei einer Gruppen- und Gestaltungsaufgabe reicht es als Methode nicht aus, sondern bedarf der Kombination mit explorativen Anteilen. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Beim Anleiten zeigt sich Vermitteln als ‚verursachen einer Aktion‘ und als ‚zur Verfügung stellen von Mitteln für eine Aktion‘.
Auffordern und Instruieren Schröders Modell zufolge liegt beim Teilnehmen keine oder nur sehr geringfügige Mitbestimmung und Einflussnahme vor. In der choreografischen Vermittlungspraxis zeigt sich dies im Auffordern und Instruieren. Ein Auffordern geschieht meistens als Reaktion auf Verhaltensweisen anderer und bildet den Versuch, die Aufgeforderten zum aktiven Mitmachen zu bewegen oder zu einer bestimmten Art der Beteiligung zu bewegen und in die Praxis zu involvieren. Es ist geradlinig auf das Erreichen eines Ziels ausgerichtet und öffnet keinen Ermittlungsprozess und unternimmt kein ‚zugänglich machen‘, kein ‚vereinen, ausgleichen, ebnen‘. Als Folge ist entweder eine Abwehr zu beobachten oder ein Aushandlungsprozess, in dem Möglichkeiten der Veränderung
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eruiert werden. Eine auffordernde Ansprache ist beim Strukturieren von Zeit und Raum sowie in Bezug auf die Beteiligungsgrade zu beobachten. Instruieren in seiner Bedeutung von instruere als „herrichten, ausrüsten, jmdm. Verhaltensmaßregeln, Anweisungen geben“ (Duden 2011: 922) ist in der Vermittlungspraxis der beiden empirisch begleiten Projekte sehr selten zu beobachten. Es zeichnet sich durch einen direktiven Formulierungsmodus aus und vollzieht sich zum Beispiel in der Generalprobe auf der Bühne von Projekt 1. Anja leitet die kurze Probe an, geht instruktiv vor und lässt den Darsteller/ innen keinerlei Mitbestimmung, macht die Beweggründe ihrer Entscheidungen nicht nachvollziehbar und lässt sie nicht an ihrer Kommunikation mit dem Technikteam des Aufführungsortes teilhaben. Sie setzt ihr choreografisches knowing that professionell und effektiv ein und verschafft der Gruppe einen professionellen Rahmen für deren Choreografie. Die Vermittlungspraxis ist in dieser Situation vornehmlich produkt- und wenig adressatenorientiert.
Zwischenergebnisse • Machtverhältnisse: Teilhaben/Teilnehmen geschieht immer in einem vorgeprägten Feld, in dem bereits Hierarchieverhältnisse und Funktionszuweisungen angelegt sind. Die Hierarchiegrade der choreografischen Vermittlungspraxis reichen von großen Anteilen der Selbstbestimmung bei kollektiven, eigeninitiativen, eigenständigen Vermittlungssituationen über variable Grade der Mitbestimmung beim Kooperieren, Weitergeben, Weiterentwickeln, Involviert-Sein/Involvieren, interaktiven Entscheiden und beim Sharing bis zu einem hohen Grad an Fremdbestimmung bei Vor-Entscheidungen von Einzelpersonen sowie beim Anleiten, Auffordern und Instruieren.
4.7 Aushandeln Aushandlungsprozesse kennzeichnen sich dadurch, dass Meinungen, Vorschläge, Wünsche und Funktionen zur Diskussion gestellt werden. Sie können Praxisthemen, Arbeitsweisen, Aktionsspielräume, Regelwerke, die Wiederholung einer Szene oder den Sinn und Inhalt einer Choreografie betreffen. Sie hängen von den Mitbestimmungsgraden der Beteiligten ab und gehen oftmals fließend in Klärungs- und Auswertungsprozesse über. Ob ein Klärungsprozess als Aushandlungsprozess wahrgenommen wird, kann von Person zu Person und von Situation zu Situation variieren. Verständnisfragen, die ohne Aushandlungsprozesse beantwortet und nicht von anderen Personen hinterfragt werden, bilden in dieser Studie einen Teil der Praktik des Klärens.
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Meinungen äußern Argumente austauschen; Verständnisweisen abgleichen Bewerten: bestätigen, loben, kritisieren usw. Fluktuieren von Funktionen Hinterfragen, Zuweisen, Abgeben von Funktionen Vorschlagen Ideen, Themen, Aufgabenumsetzungen vorschlagen Wünsche äußern, annehmen, ablehnen Abb. 15: Vermittlungsmethoden beim Aushandeln
Meinungen äußern In der Vermittlungspraxis laufen viele Gespräche, in denen Argumente ausgetauscht und Verständnisweisen abgeglichen werden, wie in einer Probe vom „Traktor“: Fiona: „Aber das was sie meinte, mit ein Bein kommt hoch, weil jemand dran zieht und nicht weil du‘s anbietest, dass bitte jemand dran ziehen kann-“ Helene: „Ja, ich- ich hab des ’n bisschen falsch verstanden [die Ansage]“ Fiona: „[macht nichts]- also- können wir auch gern-“ Helene: „also weil das ((em)) ich hab eher verstanden, das der Motor der aktive Part is‘. Und das verhält sich für mich eher passiv dann. Also dann warte ich sozusagen darauf, dass ihr was für mich macht“. Eva: „Du gibst sozusagen ’ne Richtung vor. Aber du machst dann noch Schnörkel drauf. Also du sagst, ich geh’ in die Richtung, aber du brauchst sozusagen nich’ extra das Bein hochheben-“ Helene: „aber es is’ auch noch nich’ so ganz klar“. Fiona: „Also ich find des so ziemlich klar. Weil man weiß wo’s hingehen soll, denjenigen der rollt. So, du hast deine Richtung. Da will ich hin und das mit möglichst wenig Schnörkel“. Helene: „Ja“. Fiona: „So. Und dann guckst du mal, wie wir dich auch unterstützen darin“. Helene: „Ja, wenn du’s so sagst, is’ mir das auch klar“. Christa: „Ja“. Helene: „Vorher war mir das, war mir vorher nich’ so klar.“
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In diesem Austausch unterscheidet Fiona zwischen dem, wie sich Helene als Traktor verhalten sollte (eine Richtung vorgeben) und dem, wie sie sich ihrer Meinung nach nicht verhalten sollte (extra Schnörkel machen). Sie bewertet Helenes Bewegungsverhalten, gleicht es mit ihrem Verständnis von der Aufgabe des Motors ab und versucht dieses Helene zu vermitteln, man könnte auch sagen, sie davon zu überzeugen. Es kommt zu einer Einigung, weil Helene Fionas Verständnis an- und übernimmt. Meinungsäußerungen wurden bereits beim Auswerten sowie beim Zusammenspiel von Ausprobieren und Auswerten geschildert. Sie laufen zwar zum Großteil verbal ab, sind aber oft von visuellen und akustischen Mitteilungen begleitet. Zum Beispiel teilt Stöhnen, Ächzen, Jammern und Seufzen bei anstrengenden Aufgaben Mühe oder Unwillen mit, diese auszuführen. Ebenso geben Gesten, Mimik, Blicke und Körperverhalten Auskünfte, die als Meinungsäußerungen wahrgenommen werden können.34
Fluktuieren von Funktionen Die Funktionen der Beteiligten können in einem künstlerischen Bezugssystem als Choreograf/innen und Darsteller/innen bezeichnet werden und in einem schulischen als Lehrer/innen und Schüler/innen. Diese heterogenen Zuweisungen werden in die Zusammenarbeit mitgebracht, im Vermittlungskontext zur Diskussion gestellt und können in der Vermittlungspraxis fluktuieren. Das Verhandeln von Funktionen ist eine spezifische Erscheinung von Projekt 1 und bekommt durch die Tatsache Relevanz, dass die Vermittlungspraxis als Teil des Schulunterrichtes in einem choreografischen Zentrum stattfindet und heterogene Beteiligtengruppen in heterogenen Aktionsfeldern zusammentreffen. Anja stellt heute die Aufgabe, ein „Unisono“ zu entwickeln: „So wie ihr das Duett bzw. das Trio gemacht habt, baut ihr jetzt einfach alle Bewegungen aneinander, so wie ihr denkt, dass es gut passt und baut daraus eine Choreografie“. Anja gibt den Mitwirkenden einen gelben Zettel, auf dem steht: drehen, hüpfen, krabbeln, Po schieben, gehen, rollen, rennen, liegen, Kick mit Knie, Superman, Schwimmen, Hocke. „Ich hab euch hier alles aufgeschrieben, ihr könnt die alle benutzen, die sind aus der Szene mit den 5 Punkten“. Dann stellt Anja noch einmal ihre Kompositionsaufgabe und überlässt die Gruppe sich selbst.
Daraufhin entstehen Praktiken- und Methodenkomplexe, in denen die Funktionen der Vermittler/innen verhandelt werden und ein fortwährendes Fluktu-
34 | Vgl. 4.2. Klären: Mit Gefühlsäußerungen Auskünfte geben in dieser Studie.
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ieren als „schwanken, wechseln, sich ändern“ (Duden 2011: 620) von Funktionen stattfindet: Bruno möchte, dass Anja ihnen erst einmal Bewegungen „ansagt“, sodass sie wissen, welche als nächstes kommen. Franziska meint zu Bruno, die Bewegungen seien doch auf dem Zettel, Elisabeth begibt sich daraufhin zur Anfangsaufstellung und die anderen Mädchen folgen ihr. Elisabeth wirft den Kopf nach hinten und bewegt sich ungeduldig von einem Bein auf das andere. Alle außer Bruno stehen startbereit im Raum während Anja Bruno antwortet, sie wolle ja ihnen überlassen, welche Bewegungen sie machen und sie würde ihnen helfen, sich zu erinnern, aber vorher sollten sie die Bewegungen erst einmal festlegen. Elisabeth ruft mit einem „Okay“ zum Bewegungsstart auf und Bruno begibt sich zögerlich zu ihr.
In dieser Situation widerspricht Brunos Wunsch nach Anjas Mithilfe dem von Elisabeth, die darauf brennt, selbst Bewegungen auszuwählen. Anja lehnt Brunos Wunsch ab, begründet ihre Ablehnung und verschiebt das Erfüllen seiner Anfrage auf später. Am Ende lässt Bruno von seinem Wunsch ab und fügt sich dem Drang der Mädchen zur eigenständigen Umsetzung. Franziska: „Sollen wir mit springen anfangen?“ Elisabeth: „Ja okay. Dann müssen wir alle in eine Reihe“. Daraufhin springen alle zusammen weit nach vorne, Luzie lächelt etwas verschämt und hält sich die Hand dabei vor den Mund. Dann macht Elisabeth eine Drehbewegung. Ohne zu diskutieren probieren alle Elisabeths Vorschlag aus. Jetzt stellt Anja eine Musik an. Bruno hat inzwischen den gelben Zettel in die Hand genommen und trägt ihn während der Aktion mit sich. Er schlägt eine nächste Bewegung vor und stimmt sich mit Nathalie und Elisabeth ab, wie sie ausgeführt werden soll.
In diesem Prozess sind einige Ethnomethoden, die in vorangegangenen Proben bei Anja auftraten, bei Franziska und Elisabeth zu beobachten und zeigen ein Fluktuieren der Vermittlerfunktion an: vorschlagen, Vorschlag annehmen, Raum strukturieren, Gefühle äußern, veranschaulichen, Zettel als Artefakt verwenden. Im weiteren Verlauf leiten Elisabeth, Bruno und Nathalie phasenweise an, fordern auf, weisen hin, unterstützen und haben aktiv am Kompositionsprozess teil. Sie übernehmen Verantwortung für das Umsetzen der Aufgabe und praktizieren eine kollektive Arbeitsweise. Anja hatte mit den Formulierungen „so wie ihr denkt“ und „das baut ihr jetzt“ sowie „entscheidet das zusammen“ die Verwirklichung der Aufgabenumsetzung an die Gruppe abgegeben. Bei der Beinbewegung des „Superman“ mischt sie sich dann in das Geschehen ein:
Choreografie vermitteln Anja möchte wissen, wie sie das denn genau machen. Luzie fragt nach, ob sie das Bisherige nicht lieber erst einmal alles wiederholen wollen. Anja meint „okay, dann macht das nochmal durch“ und alle wiederholen das gesamte bisherige Material.
Mit der Zeit wird die Organisation in der Gruppe zäh und manchmal dauert es lange, bis jemand eine Initiative übernimmt und den Prozess voranbringt. Immer wieder wird gewartet, mit verschränkten Armen und überkreuzt aufgestellten Beinen unsicher herum gestanden, unsicher umhergeschaut. Etwas später bittet Elisabeth Anja um Hilfe, und sie kommt der Bitte nach. Sie involviert sich phasenweise aktiv in das Geschehen und lässt sich auch von Gruppenmitgliedern in das Geschehen involvieren. Es läuft ein Ermittlungsprozess der Funktionen und des Grades der Beteiligung von Anja in der Zusammenarbeit mit der Gruppe. Anja fragt nach einer Variante für das Herunterkommen, „bei der man sich nicht so hart auf die Knie knallt“. Sie begibt sich in den Raum neben Nathalie und macht eine Bewegung vor, bei der sie beim zu Boden kommen auf die Unterschenkel gleitet und die sie als „leichter“ bezeichnet: „Dann könnt ihr euch mit den Knien und den Händen auffangen“. Nathalie stimmt zu und meint, das mache sie doch und zeigt noch einmal ihren Ablauf vor. Anja: „Okay, (1) das war ja gut, wenn das so hinhaut (1) mach nochmal, sodass ich das nachvollziehen kann.“ Daraufhin zeigt Nathalie nochmal ihre Version und stützt sich nach ihrer Drehung auf eine Hand und dann setzt sie die Knie sanft auf den Boden ab. Nathalie: „Ich geh direkt, ich fall direkt“. Dabei macht sie mehrere sehr schnelle Aufund Ab Bewegungen mit den Händen, lacht unsicher, schaut kurz nach hinten zu Franziska und wischt sich dann mit den Fingern an der Nase herum und lacht. Anja: „Okay, habt ihr das? Habt ihr das verstanden, ja?“ Elisabeth: „Ja“. Anja: „Okay, dann macht mal“. Daraufhin probiert die ganze Gruppe Nathalies Bewegungsversion aus.
Zwischen Anja und Nathalie läuft die Praktik des Klärens und des Aushandelns. Der Austausch über die Bewegungsausführung sowie die Entscheidungsfindung, welche Version zur Anwendung kommt stellt Machtverhältnisse in Frage. Anjas Funktion als Anleitende und Nathalies Funktion als Gruppenmitglied stehen zur Disposition. Dass diese Situation von der Norm abweicht, zeigt sich in Nathalies Gesten und Lachen, die ihre Unsicherheit in der Rolle des Vorzeigens zum Ausdruck bringen. Anja akzeptiert Nathalies Version und die Grade der Einflussnahme verlagern sich. Bei der Komposition des Unisonos hält die Gruppe alle sieben konstitutiven Vermittlungspraktiken am Laufen. Der Grad der Teilhabe und Teilnahme variiert innerhalb der Gruppe und je nach Arbeitsphase. Am Ende dieser Einheit ruft Anja begeistert
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„Find ich gut, find ich richtig gut!“ und bezeugt ein Gelingen der Vermittlungspraxis aus ihrer Sicht.
A Klären Aufrechterhalten A Aufgabenstellen Aushandeln A Teilhaben/Teilnehmen Auswerten Ausprobieren Funktionen können auch auf implizite Weise zugewiesen werden, wie sich bei der „Guided Tour“ zeigt. Mit ihren vielen Fragen weisen die Gruppenmitglieder Anja die Aufgabe zu, ihnen mehr Informationen für die Aufgabenlösung mitzuteilen und fordern Anjas Vermittlerfunktion ein. Auch die unregelmäßige Anwesenheit kann zum Fluktuieren von Funktionen führen, wie beim Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten sowie beim Anleiten von Aneignungsprozessen bereits beschrieben wurde. Die Tatsache, dass Anja an mehreren Terminen von Corinna vertreten wurde, führt dazu, dass sich Anja bei Madeleine und Luzie informiert, die zwischenzeitlich mehr Erfahrungswissen vom aktuellen Stand der choreografischen Praxis haben als sie. Madeleine und Luzie berichten Anja, dass die Szenenabfolge verändert wurde und Teile heraus geschmissen wurden, weil Personen in der Aufführung nicht dabei seien. Auf den verbalen Austausch folgt das praktische Zeigen des Bewegungsmaterials. Anja sitzt am Rand des Raums und schaut zu und macht sich Notizen. Dann stellt Anja den beiden die Aufgabe, Georgia als Neue in die Praxis zu integrieren, was vornehmlich Madeleine übernimmt und bereits beschrieben wurde.35 Bei Madeleines eigenständigem Vermittlungsprozess treten die gleichen Vermittlungsmethoden wie bei Anja auf. Als Anja Madeleine bittet, den Anfang noch einmal mit Georgia mitzutanzen, sodass „diese das lernt“, gibt sie explizit ihre Vermittlerfunktion ab. Die Bereitschaft dazu begründet Anja so: „Wenn ich will, dass sie was preisgeben von sich, also diesen Schritt nach außen machen, dann muss ich das für mich auch tun. Dann muss ich auch meine Rolle mal verlassen können. Fand’ ich interessant als ein kommunikatives Mittel.“36
35 | Vgl. Kap. 4.3. Ausprobieren: Verzahnen: Sich zu Eigen Machen in dieser Studie. 36 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Vorschlagen Vorschläge leiten einen Austausch und eine gemeinsame Auseinandersetzung ein. In vielen Situationen entwickelt sich daraus ein Aushandeln, ob der Vorschlag angenommen oder abgelehnt oder modifiziert wird, es findet also ein multidirektionales Vermittlungsgeschehen statt. Oftmals entstehen Vorschläge spontan aus der Situation heraus und grenzen sich insofern vom Einbringen bereits existierender Ideen ab. Vorschlagen findet meistens verbal statt, kann aber auch visuell geschehen. Die Teilnehmenden erzeugen mit ihren Vorschlägen Verständigungs- und Aushandlungsprozesse, aus denen sich Veränderungen ergeben, Entscheidungen getroffen und bestätigt oder revidiert werden können. In dieses Geschehen bringen sie ihr implizites Wissen von sozialen Aushandlungsprozessen ein. Bei der Gestaltungsaufgabe des „Unisonos“ schlägt Bruno vor, sich nach dem Hinsetzen über den Boden zu rollen. Elisabeth sagt, sie will das nicht und Nathalie meint, sie kann das heute nicht machen, weil ihr sonst schwindlig wird. Nach einigen Diskussionen einigen sie sich, das Rollen trotzdem einzubauen. Anschließend schlägt Elisabeth vor, sich aufzusetzen und nach vorne zu rutschen. Franziska fragt nach, wie oft sie das wiederholen. Als Anja vormacht, wie man die Hände absetzt, macht Luzie einen Gegenvorschlag, auf den Anja eingeht.
In Wünschen äußern sich im Unterschied zum Vorschlagen Bedürfnisse oder Ideen weniger offensiv. Auch sie werden manchmal direkt angenommen oder abgelehnt, machmal bedarf es eines Aushandlungsprozesses.
Zwischenergebnissse • Praktiken und Methoden: Aushandlungsprozesse rufen die Praktiken Teilhaben/Teilnehmen, Klären, Ausprobieren und Auswerten auf. Wenn Vermittlungsmethoden, die vornehmlich von den Choreografinnen praktiziert werden wie Anleiten, Auffordern und Hinweisen, auch bei Gruppenmitgliedern auftreten, fluktuieren Funktionen. Letztere können situativ hinterfragt, zugewiesen, abgegeben oder bestätigt werden. Dabei treten unterschiedliche Erwartungshaltungen von Gruppenmitgliedern an die Projektleitung und umgekehrt sowie innerhalb der Gruppenmitglieder zutage, die verhandelt werden. • Machtverhältnisse: Auf diese Weise können vorgeprägte Machtverhältnisse wie die Leitungsfunktion der Choreografin temporär und partiell verändert oder auch aufrechterhalten werden. Dabei variieren die Grade der Einflussnahme.
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• Erfahrungspraxis: Beim Fluktuieren von Funktionen durch unregelmäßige Anwesenheit zeigt sich choreografische Vermittlungspraxis nicht als Machthierarchie sondern als Erfahrungshierarchie. • Multidirektionale Anteile der Vermittlungspraxis sind nicht zwangsweise an eine kollektive Arbeitsweise gebunden. Bei der Gestaltung des Unisonos in Projekt 1 ist kein kollektives Arbeiten von Anja und der Gruppe zu beobachten, jedoch eine multidirektionale Auseinandersetzung. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: Das ‚Weitergeben von Informationen‘ kann eigeninitiativ geschehen, eingefordert oder an eine andere Person abgegeben werden. Beim Aushandeln kann Vermitteln zum ‚Auflösen von gegensätzlichen Verständnisweisen‘ beitragen, bei Meinungsäußerungen vollzieht es sich als ‚Übermitteln‘ einer Verstehensweise.
4.8 Aufrechterhalten Erst wenn die Praktiken Aufgabenstellen, Ausprobieren, Klären, Aushandeln und Auswerten für den Großteil der Beteiligten zu einem für sie ausreichenden Maß vollzogen wurden, womit auch die Praktik Teilhaben/Teilnehmen läuft, können bereits akquirierte Errungenschaften nachhaltig aufrechterhalten werden. Dazu tragen die Vermittlungsmethoden Verankern und Notieren in besonderem Maße bei. Verankern Wiederholen; Erinnern; Vorangegangene Erfahrungen mit aktuellen verzahnen Rekapitulieren Notieren Artefakte als Partizipanden: Themen- und Szenenübersicht; Score als Erinnerungsstütze; Eigene Aufzeichnungsform erfinden Abb. 16: Vermittlungsmethoden beim Aufrechterhalten
Verankern Prozesse des Verankerns beziehen sich auf vorangegangene Übungen, Aufgaben, Bewegungsfolgen, Interaktionen und Praxisthemen und können dewegen als eine Form des Aufgreifens angesehen werden. Beim Verankern werden vor angegangene Erfahrungen mit aktuellen verzahnt. Im Wiederholen und Erinnern reaktualisieren die Beteiligten ihre Erfahrungs- und Materialbestände.
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Während der gesamten Choreografieentwicklung finden Wiederholungen von Prinzipien, Strategien, der gemeinsamen Sprache, von Szenen und Szenenfolgen statt, um nur Beispiele zu nennen. In terminübergreifenden Aufgabenreihungen zeigt sich besonders deutlich, wie Wiederholungen Erinnerungsprozesse strukturieren: Als Anja den Hinweis gibt, die Jugendlichen sollen sich in zwei Gruppen aufteilen, fügt sie gleich hinzu, ‚damit wüssten sie ja schon, was jetzt komme‘. Das trifft zu, denn alle verteilen sich sofort ohne weitere Absprachen in zwei gegenüber liegende Ecken. Offensichtlich wissen alle, dass nun die „Gänge“ wiederholt werden und eine Detailfrage von Elisabeth greift auf bereits vorhandene Erfahrungen zurück. Die „Gänge“ werden heute das dritte Mal praktiziert.
Für das nachhaltige Verankern einer Errungenschaft reicht ein einmaliges Erinnern nicht aus, sondern bedarf meistens mehrmaliger Wiederholungen. Während einer Übung mit dem Prinzip ‚anlehnen und abdrücken‘ erwähnt Birgit, die Anwesenden sollen beim Kontakt auch ‚an die zelluläre Migration denken, so wie im Warm-up von heute, und das Begleiten und Ankommen spüren‘. Die Bezugnahme auf Vorangegangenes strukturiert eine Gelegenheit, bereits vorhandene Erfahrungswerte mit der aktuellen Situation zu verzahnen. Gleichzeitig macht Birgits Hinweis den Auf bau ihres Vorgehens explizit. Neben dem Erinnern besteht die Praktik des Aufrechterhaltens auch im Reaktualisieren des in Veränderung begriffenen Choreografiebestandes. Birgit meint nach einem Durchlauf in Bezug zum „Traktor“, dass diejenigen, die gestern nicht da waren, sich bitte bei denen, die dabei waren, erkundigen sollen, weil sie gestern sehr intensiv daran gearbeitet hätten. Sie könnten sich ‚vielleicht jemand von denen schnappen und etwas mehr erfahren‘. Birgit weist damit erstens denen, die nicht da waren, die Verantwortung zu, sich zu informieren, zweitens bestätigt sie die Erfahrungswerte der Anwesenden als Weiterentwicklung und drittens gibt sie ihre Vermittlerfunktion an die Gruppenmitglieder ab. Indem die Beteiligten die Szenenreihenfolge „wiederholen, noch einmal zusammenfassen“ bzw. „in Gedanken durchgehen, sich noch einmal vergegenwärtigen“ (Duden 2015: 920), rekapitulieren sie den Verlauf des Stückes. Das Erinnern ohne körperliche Ausführung kann eine reflexive Praxis in den Vordergrund stellen und eine Ruhepause nach einer Anstrengung verschaffen. Vor einer Aktion bildet es eine spezifische Form der Ankündigung und Vorbereitung sowie nach einer Aktion eine spezifische Form der Auswertung, in beiden Fällen strukturiert es eine Möglichkeit zum Verankern von Errungenschaften. Birgit rekapituliert zum Beispiel mit den Worten „vom drücken ins peitschen, vom peitschen ins flattern und dann vom flattern ins schweben, vom schweben ins stoßen“ nach der praktischen Probe noch einmal die Reihenfolge der Antriebskräfte, mit denen die Bäume bewegt werden. Christian
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zählt auf, sie würden ‚nach dem Räumen zum ersten Traktor übergehen, sie hätten dann ja eingerollt, ausgerollt und wenn das beendet sei, beginne der Traktor‘, aber Isolde korrigiert, ‚nein, das würde ja ineinander übergehen‘. In Auswertungsgesprächen werden unter anderem Szenenabfolgen, Vereinbarungen, Anschlussregeln für Übergänge reflektiert und gleichzeitig verankert. Dabei zeigt sich ein wiederkehrendes Ensemble an Vermittlungsmethoden: Verschiedene Personen beschreiben Aktionen oder Interaktionen, Momente, bei denen es noch Klärungsbedarf gibt, verwenden dafür die Titel der Szenen, verankern sie in der gemeinsamen Sprache, formulieren die Vorrangigkeit bestimmter Komponenten, geben Hinweise zu Übergängen, zur Bewegungsausführung oder erinnern an die Anwendung von Prinzipien oder Regeln. Erklärungen und Fragen wechseln einander meistens ab, manchmal übernehmen Birgit bzw. Anja die Gesprächsleitung, manchmal lenken Kommentare der Gruppenmitglieder die Aufmerksamkeit auf besonders gelungene oder problematische Passagen, manchmal finden gleichzeitig Parallelgespräche der Gruppenmitglieder untereinander statt. Im Ineinandergreifen von Rekapitulieren, Erinnern, Klären, Erklären und Überprüfen werden Errungenschaften expliziert und reflektiert. Aufrechterhalten geht also mit einem Klären und Auswerten einher.
K Klären
Aufrechterhalten A Auswerten
Auch das Aufführen vollzieht sich als Aufrechterhalten erarbeiteter Errungenschaften. Die Grundlage bilden Vereinbarungen mit Regelwerken für Bewegungsthemen und Interaktions-, Raum- und Zeitstrukturen sowie Festlegungen von choreografischem Material.
Notieren Verbale, visuelle und haptische Vermittlungsmethoden wurden bereits ausführlich thematisiert. Innerhalb dessen war von schriftlichen Artefakten die Rede, denn Anja und Birgit arbeiten mit Notationsformen als Partizipanden der Vermittlungspraxis. Beide notieren auf Zetteln Titel der Szenen, kombinieren sie mit Stichworten und Zeichnungen aus Raumwegen und Richtungspfeilen und bringen diese in die gemeinsame Arbeit ein. Themen- und Szenenübersichten dokumentieren den Materialbestand und bilden materialisierte Erinnerungsstützen. Die Artefakte haben ebenso wie die Mitwirkenden an der Praktik des Aufrechterhaltens teil und unterlaufen aus einer praxistheoretischen Perspektive „die Dichotomie von Subjekt- und Objektwelt“ (Klein 2014b:
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110). Beim „Brainstorming“ wurden von Anja Zettel als Vermittlungsformat verwendet. Beim ersten Mal geht es dabei um eine Sammlung der Erfahrungen und Themen, beim zweiten Mal liegt der Schwerpunkt im Rekapitulieren und Dokumentieren des Materialbestandes. Das „Brainstorming“ ist in allen Praktiken zu finden und somit eine praktikübergreifende Vermittlungsmethode. In einer Probe kündigt Birgit einen Score als Artefakt an: Birgit: „Ich werd‘ dann auch irgendwann den Score aufmalen und aufschreiben und die Stichpunkte ((äh)) benennen was des Zentrale ist. Und wenn dann da Vibration steht erinnert man sich mit ’nem Stichwort nochmal dran, weil‘s physiologisch ((äh)) der springende Punkt ist. Und Lehnen is‘ dann in ’nem anderen Abschnitt der springende Punkt, ’ne. Oder der- der zentrale. Sodass wir die Key- die Schlüsselworte in dem Zusammenhang erinnern.“
Der Score materialisiert, visualisiert, expliziert und konkretisiert die Verbindung der Schlüsselworte mit der Szenenabfolge und trägt zum Erinnern und nachhaltigen Verankern bei. Birgit: „Das sind dann auch kognitive Hilfestellungen, die eben über die Grafik und das Erinnern von der Grafik her laufen. Und teilweise die Schlüsselworte dann noch maldann liest man‘s noch mal, da erinnert man sich noch mal im Körper dran.“37
A Ausprobieren T Auswerten Teilhaben/Teilnehmen A
Aufrechterhalten
K Klären Aufgabenstellen A
In der nächsten Probe bringt Birgit dann den bereits angekündigten Score mit. Sie hält zwei Zettel in der Hand und erzählt, ‚sie habe heute mal ein Brainstorming gemacht und versucht, eine Ordnung zu schaffen und grobe Ideen und Materialien aneinander gereiht. Sie wolle da nicht vorweg greifen, aber im Großen und Ganzen seien es im Moment drei Teile, die sich heraus kristallisieren würden‘. Mit diesen Erläuterungen macht Birgit ihre Überlegungen zur choreografischen Ordnung der Performance für die Gruppe nachvollziehbar und hebt gleichzeitig das Bewahren eines Prozesscharakters hervor. „Energie und Materie, Arbeit, große Maschinen und Organisieren (1) und im Prinzip geht es natürlich sehr stark bei der Arbeit um ((äh)) das Verhältnis und die Komplexität, 37 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung die nicht-binären Verhältnisse zwischen natürlich – künstlich (2) die Übergänge vom Biologischen zum Mechanischen, was vielleicht ((lacht)) in Verbindung steht (2), so didaktisch wollen wir’s nicht ausdrücken, sondern das ist auf jeden Fall ’ne assoziative Geschichte ((ehm)) wie auch bei der letzten Arbeit, dass Inhalte sich über Bilder und Anordnungen herstellen für den Zuschauer.“
Später geht sie genauer auf den Teil bei den „großen Maschinen“ ein und erklärt, „dass da mit Arbeit begonnen wird, weil es eigentlich auch viel um Geometrie des Arbeitens auch geht, ’ne, also nicht um ‚illustrieren von Arbeit‘“, (sie macht eine Geste, als würde sie Anführungsstriche in den Raum zeichnen), „auch wenn diese Idee von Bewegungen, Arbeitsbewegungen und natürlichen Bewegung zum Visuellen dann auch zum Anordnen, zum (2) Choreografieren von Umgebung auch hinführen kann.“
Birgit grenzt sich von einer intentionalen Ausrichtung der Performance ab und formuliert ein Verständnis von Choreografie als assoziative Angebote, deren Deutung dem Zuschauer obliegt. Die Aussagen einiger Beteiligten bestätigen das Gelingen von Scores als Vermittlungsinstrumentarien: Josephine: „Dann haben wir den Score bekommen und das war ja dann wirklich auch mit diesen Überschriften, ’ne. Das fand ich für mich auch ganz stark. Dass auch die Bewegungen mit Bildern, mit Assoziationen bei mir persönlich jetzt verbunden waren. Ne, also so mit Materie, Arbeit und Organismen. Da hatte ich dann so ’n bisschen diesen Background noch mal stärker“. Simone: „Also ich brauch das auch. Erstmal die Reihenfolge auch ein bisschen zu sehen. Da war‘s mal schwarz auf weiß. Noch mal ’n Sinn aufgeschrieben. Und dann muss ich auch meine eigenen Notizen dazu machen“. Helene: „Also ich muss Stichworte für mich dann aufschreiben, damit ich das mehr verinnerlichen kann. Also ((em)) dass ich einfach das noch ergänzen kann.“ Fiona: „Also ich fand das auch schön so einen Score zu haben. Für mich waren die Zeichnungen wichtig ((lachen)). Darüber hab‘ ich ganz viel irgendwie ((em)) also so entstanden so Körperbilder in mir – und die Überschriften – also dass das halt so ’ne dreigeteilte Geschichte ist.“38
Notationen können auch die Probenarbeit strukturieren, zum Beispiel nutzt Anja die Themen- und Szenenübersicht zu Beginn einer Probe, um auszuwählen, welche Szenen heute geprobt werden. In Projekt 1 bekommen die choreografischen Assistentinnen die Aufgabe, die Bewegungsfolge aufzuschreiben, 38 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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die Zählzeiten der Bewegungsfolge zur Musik und die Bewegung zu notieren, während die Performer/innen ihr festgelegtes Bewegungsmaterial üben. Auf diese Weise sollen sie beim Erinnern der Bewegungen helfen. Karin probiert daraufhin eigenständig verschiedene Aufzeichnungsmöglichkeiten aus und entwickelt eine eigene Notationsform, die Anja begeistert lobt. In Projekt 1 werden Smartphone und Computer als weitere Artefakte zum Dokumentieren des Materials verwendet. Anja und Karin filmen mehrmals einzelne Szenen, die als Erinnerungsstütze dienen sowie dazu beitragen, alle auf den aktuellen Stand des Materials zu bringen.
Zwischenergebnisse • Praktiken und Methoden: Beim Aufrechterhalten greifen alle sieben Praktiken ineinander. Im Notieren von Scores zeigt sich Vermittlungspraxis als integrativer Bestandteil choreografischer Praxis. • Temporalität: Mit dem Näherrücken der Aufführungstermine nimmt der Bedarf, Erfahrungs- und Materialbestände aufrecht zu erhalten, zu. Gleichzeitig bleibt die Praktik des Ausprobierens auch beim Aufführen relevant, da in den Stücken Interaktionen stattfinden, die der spontanen Koopera tion der Performer/innen bedürfen, vor allem in Projekt 2. • Bedeutungsvarianten von Vermitteln: In Scores zeigt sich Vermitteln als ‚zur Verfügung stellen eines Mittels‘ zur Erinnerung und im Verzahnen von vorangegangenen mit aktuellen Erfahrungen als ‚Verbinden zweier Teile‘. Scores können auch als ‚Einschieben eines Mittelstückes‘ zwischen die Erfahrung und deren Erinnerung angesehen werden.
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5. Relationale Vermittlungspraxis
Als Ergebnis der empirischen Studie wurden sieben Vermittlungspraktiken und ihre vielfältigen Methoden als konstitutiv für die Choreografievermittlung heraus destilliert. Das Zusammenspiel der Praktiken Ausprobieren und Auswerten zeigte sich darin als strukturbildendes Element. Die Erkenntnisse explizieren die beobachtete Vermittlungspraxis als multidirektional, emergent, explorativ und reflexiv und diese Anteile sind „stets relational, also voneinander in Abhängigkeit befindlich und nicht isoliert zu betrachten“ (Mörsch 2014: 2). Eine relationale Vermittlungspraxis schließt an Henschels Verständnis von Vermittlung als offenem Prozess an. Das Relationale der Vermittlungspraxis zeigt sich in den variierenden Praktiken-Komplexen und innerhalb dessen besonders in den Vermittlungsmethoden, in denen die Kombinationen und Prioritäten der Relate situativ angepasst und ausgehandelt werden. Der erste Teil dieses Kapitels fasst die Anteile von Vermittlungspraxis zusammen, die in den Zwischenergebnissen im vierten Kapitel expliziert wurden und differenziert sie aus. Im Anschluss werden die heterogenen Bedeutungsvarianten von Vermitteln in der choreografischen Praxis gebündelt dargestellt. Die Schlussfolgerungen aus der Gewichtung der Bedeutungsvarianten weisen Vermitteln als multidirektionale Praxis aus, in der alle Beteiligten zu Vermittelnden werden können. Aus den Ergebnissen der Empirie lassen sich des Weiteren zentrale Komponenten für das Zusammenspiel der Vermittlungspraktiken und -methoden extrahieren und führen zu der Kernaussage, dass Vermittlungspraxis im situationsadäquaten Kombinieren und Gewichten ihrer Relate entsteht. Der Umgang mit diesen Gewichtungen und Kombinationen nimmt somit einen besonderen Stellenwert ein und mündet abschließend in optionalen Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde in Form eines offenen Fragenkataloges.
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5.1 Multidirektionale, explorative, emergente, reflexive Vermittlungspraxis Im Folgenden werden die Vermittlungsmethoden und -praktiken aufgeführt, welche sich als zentral für die Ausdifferenzierung der relationalen Vermittlungspraxis heraus gestellt haben.
Multidirektionale Vermittlungspraxis In den untersuchten Prozessen laufen beim Einbringen, Aufgreifen und Ableiten von Aufgaben und beim Verstärken des Vorhandenen multidirektionale Prozesse, in denen das Erfahrungswissen aller Beteiligten zirkuliert. Alle Beteiligten können auf unterschiedliche Weise ihr knowing that und knowing how von Bewegung, Interaktion und Choreografie in variierenden Graden in die Praxis einbringen. Sie erzeugen feldinterne individuelle sowie kollektive Erfahrungen, die sich aus ihren feldextern gewonnenen Vorprägungen zusammensetzen und ihre gemeinsame Vermittlungspraxis prägen. Wie dabei alle Beteiligten potenziell zu Vermittelnden werden können, wird besonders augenscheinlich, wenn Gruppenmitglieder sich eigenständig in die Praxis involvieren, Verantwortung übernehmen, Neue in eine existierende Szenenstruktur integrieren, ihre Erfahrungsbestände weitergeben, sich Aufgaben stellen, sie ausprobieren, klären, Einigungen aushandeln, Beteiligungsgrade verhandeln, Errungenschaften reflektieren und aufrechterhalten. Auch beim Kooperieren und beim Sharing als kollektiven Formen der Teilhabe wird choreografische Praxis als Vermittlungspraxis multidirektional erzeugt. Wenn die Gruppe in Gestaltungsaufgaben eigenständig Interaktionsregeln generiert, sind multidirektionale Such- und Aushandlungsprozesse, in denen die Anwesenden ihre Mitbestimmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten ermitteln und einander vermitteln, unabdingbar. Die Funktionsweise von Gruppenbewegungen kann nur in und von der Gruppe interaktiv entwickelt werden. Die Verbindung von Individuum und Kollektiv bildet eine fortwährende Herausforderung. Choreografin und Gruppe lassen sich im Laufe des Prozesses mehr aufeinander ein. Das soziale Gefüge verändert sich beim Fluktuieren von Funktionen, die situativ verhandelt, bestätigt, abgegeben, zugewiesen oder auch abgewiesen werden können. Sie irritieren gegebenenfalls temporär und partiell bestehende Machtverhältnisse wie die Leitungsfunktion der Choreografin. Doch Interaktionsgeflechte gehen nicht zwangsweise mit kollektiven Prozessen einher. In Projekt 1 findet keine kollektive Zusammenarbeit zwischen Projektleitung und Schüler/innen statt, jedoch eine Folge von Aktionen und Reaktionen verschiedenster Personen. Im Projekt 2 tritt eine Kombination der anleitenden Funktion der Choreografin mit Formen des kollektiven Zusammenarbeitens mit den Erwachsenen in flachen Hierarchien auf, ohne einander zu widerspre-
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chen, sondern generiert Vertrauen und Sicherheit. Beim Anpassen der Praxis an die ortsspezifischen Bedingungen wurde eine Form des multidirektionalen Zusammenwirkens vielgestaltiger Partizipanden beobachtbar: der Choreografin, dem Landschaftsarchitekten, dem Sounddesigner, den dreißig Performer/ innen, der Industriebrache mit ihrer Bodenbeschaffenheit und ihren Bäumen, den Zügen der Strecke Hamburg – Bremen am Rande des Aufführungsortes sowie dem lokalen Wetter.
E xporative Vermittlungspraxis: Vermitteln als Ermitteln Der explorative und prozessorientierte Charakter der Vermittlungsarbeit zeigt sich in der Praktik Ausprobieren in vielfältigen Formulierungen, von denen hier beispielhaft einige aneinander gereiht sind: „Es spielt sich schon ein, wir müssen’s rauskriegen [...] versucht vielleicht so’n bisschen, was wir auch beim Lehnen eingesetzt haben [...] vielleicht könnt ihr auch das Bild von einer Maschine benutzen [...] da gibt es viel rauszufinden, lasst euch ruhig Zeit, damit ihr versteht, was auf euch zukommt [...] das war schon ganz gut, aber nicht zu stark das Endergebnis schon sehen, sondern einfach in die Begegnung gehen (3) den Prozess da hin sehen (2) mehr am Weg als am Endergebnis [...] mal versuchen zu gucken, was der Spielraum innerhalb dessen sein und kann, was man gerade innerhalb dessen beeinflussen kann [...] ihr könnt gerne damit experimentieren und vielleicht ein bisschen mehr Zeitraum geben, zu probieren, wie es dann am Ende ist, sodass ihr das spüren könnt und euch zu Eigen Machen könnt [...] ich kann da grad keine Antwort- Ich glaub es spielt sich ein. Wir kriegen das raus. Ich würde jetzt grade nicht festlegen wollen, ob das entweder oder ist [...].“
Die Beschreibungen aus der Empirie zeigen auf prägnante Weise, dass eine Vermittlungspraxis, in der Personengruppen mit unterschiedlichen Erfahrungswerten von Tanz und Choreografie zusammentreffen, nicht selbstverständlicherweise routinisiert bewältigt wird, sondern kontextbedingt auch Bestandteile wie Ereignisse, Personen, Handlungen, Artefakte usw. beinhaltet, für deren Bewältigung noch keine routinisierten Verstehensmuster und keine „konventionalisierten Motiv/Emotions-Komplexe“ (Reckwitz: 2008b: 122) existieren. Wie sehr der Vermittlungsprozess an einen Ermittlungsprozess gekoppelt ist, zeigt sich darin, dass verbale Fragen als häufigste Vermittlungsmethode auftreten und expliziert den explorativen Charakter der Verständigungsarbeit. Die Tatsache, dass die Mitwirkenden einen für sie adäquaten Grad der Klärung einer Aufgabe benötigen, um diese auszuprobieren, die Aufgabe sich zum Teil aber erst beim Ausprobieren klärt, macht deutlich, dass die Vermittlungspraxis des Choreografierens von einer situationsadäquaten Kombination und Gewichtung der Praktiken Aufgabenstellen, Klären und Ausprobieren geprägt,
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und damit explorativ angelegt ist. Keiner der Beteiligten kann Antworten auf sämtliche mögliche Eigenschaften des Kontextes, in dem die Praktik vollzogen wird, bereithalten (vgl. ebd.). Beim performativen Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen performen die Mitwirkenden im Ausprobieren das potenzielle Scheitern und Gelingen und vermitteln dem beobachtenden Teil der Gruppe implizit, wie sie ermitteln. Das Veranschaulichen wird hier zur performativen Beglaubigung potenzieller Veränderungen. Die Verwobenheit von Er- und Vermittlungsprozessen hängt mit den prozess- und explorationsorientierten Arbeitsweisen von Gruppenaufgaben zusammen, wie sie in beiden Projekten in großem Maß zur Anwendung kommen. Die Vermittlungspraxis explorativer choreografischer Praktiken enthält zwangsweise Unberechenbarkeiten und lässt sich zwar vorplanen und vorausdenken, unterliegt aber im praktischen Vollzug der Interaktion der Beteiligten und wird beständig in situ, also unmittelbar, erzeugt. Aus diesem Grund sind Gruppen- und Gestaltungsaufgaben zur eigenständigen Umsetzung per se an eine explorative Ermittlung des Vermittlungsgeschehens gebunden, da die Beteiligten ihr notwendiges Erfahrungswissen erst situations- und kontextbezogen erzeugen.
Emergente Vermittlungspraxis Explorative Vermittlungsprozesse bedingen emergente, wie im Anpassen der Praxis an die An- bzw. Abwesenheit deutlich wird, in der die personelle Konstellation Veränderungen der Gruppenorganisation erzeugt und die Dynamik des Vermittlungsgeschehens beeinflusst. Das bedeutet, dass die choreografische Vermittlungspraxis als Erfahrungspraxis an ihre Teilnehmerschaft gebunden ist. Dies wird besonders offensichtlich, als ein Gruppenmitglied das notwendige Erfahrungswissen vom aktuellen Stand der Choreografie besitzt und die Choreografin deswegen ihre Leitungsfunktion an sie abgibt. Die choreografische Vermittlungspraxis wird hier temporär als Erfahrungshierarchie hervorgebracht und nicht als Machthierarchie vorgeprägter Leitungsfunktionen. Das situationsgebundene Erfahrungswissen steht im Vordergrund und nicht der Status des professionellen Expertenwissens der Choreografin, worin sich die Relationalität der Vermittlungspraxis zeigt. Das Anpassen der Praxis an die Befindlichkeit der Beteiligten, an individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten, an die materiellen und wetterbedingten Gegebenheiten, an den Komplexitätsgrad von Aufgaben sowie an die Erfahrungsgrade der Anwesenden sind Resultate von emergenten Prozessen. Inzwischen sollte deutlich geworden sein, dass alle Beteiligten potenziell als Partizipanden der choreografischen Praxis zu Vermittelnden werden können und auf welche Art und Weise dies geschehen kann. Sieht man alle Beteiligten als Partizipanden des Vermittlungsgeschehens an, auch wenn diese daran in unterschiedlichen Gewichtungen und Funktionen teilhaben und teilnehmen, so wirken ihre Erfah-
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rungsbestände auf-, mit- und ineinander. Die Tatsache, dass dabei zum Teil auch neue Vermittlungsmethoden ermittelt und einander vermittelt werden, weist die Vermittlungspraxis ebenfalls als emergent aus. Beim performativen Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen, beim performativen Umdeuten oder beim Verzahnen von vorgegebenem Material mit dem inkorporierten Bewegungshabitus oder wenn unvorhersehbare Probleme in der Bewegungsausführung auftauchen oder Gruppenmitglieder das Mitmachen verweigern, dann artikuliert sich das Vermitteln „im Wechselspiel von Planung und Emergenz“ (Fischer-Lichte 2012: 77) als performatives Ereignis und weist nicht nur die choreografische Praxis als prozesshaft und flüchtig aus, sondern auch das Vermitteln. Fischer-Lichtes Aussage: „Die Aufführung entsteht als Resultat der Interaktion zwischen Darstellern und Zuschauern“ (Fischer-Lichte 2004: 47) wird beim Choreografieren zu der Aussage, Vermittlung entsteht als Resultat der Interaktion zwischen Darsteller/innen und Choreograf/in. Die Unberechenbarkeit und Unabschließbarkeit des Vermittlungsgeschehens erzeugt eine Notwendigkeit, planbare sowie emergente Anteile situationsadäquat zu kombinieren und zu gewichten. Wenn Mersch konstatiert, die Kunst „verschiebt sich, wird zur Praxis, zum evolutiven Prozess, zum Akt, zum einmaligen Geschehen“ (Mersch 2002: 223), so lassen sich diese Zuschreibungen den vorangegangenen Ausführungen zufolge auch auf die Vermittlungspraxis beim Choreografieren anwenden.
Temporalität Neben der Kontext- und Personengebundenheit ist auch die Zeitlichkeit von entscheidendem Einfluss. Das Zusammenspiel zwischen dem, was stattgefunden hat, dem, was sich gerade ereignet, und dem was folgen wird, ist in der Vermittlungspraxis zentral. Alle Beteiligten sind ständig herausgefordert, diese drei Zeiten zueinander in Beziehung zu setzen: sie hinterfragen das Gewesene, verorten es im Gegenwärtigen, versuchen, das Zukünftige zu planen, trotz des Wissens, dass ihre Praxis fortwährend der Unabgeschlossenheit ausgesetzt ist. Dies zeigt sich besonders in den terminübergreifenden Aufgabenreihungen, die auf den bereits akquirierten Errungenschaften auf bauen. Ob die laufende Vermittlungspraxis aufrechterhalten und weiterentwickelt oder abgebrochen und fallengelassen wird, bestimmt auf entscheidende Weise dieses Zusammenspiel. Der Umgang mit der Beziehung dieser drei Zeitlichkeiten prägt die Veränderung der Praktiken-Komplexe, so nimmt der Bedarf des Aufrechterhaltens im Laufe der Choreografieentwicklung proportional zu und der des Klärens nimmt ab. Das Aufgabenstellen ist zu Beginn der Praxis häufig an das Klären gebunden und später mehr an das Ausprobieren, Aushandeln und Reflektieren. Die Temporalität bekommt unter anderem beim Ermitteln des Bekanntheits- bzw. Fremdheitsgrades einer Übung Relevanz sowie beim
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung
Einschätzen einer eventuellen Über- oder Unterforderung sowie einer gegebenenfalls damit einhergehenden Aufmerksamkeitsbindung. Sie zeigt sich im Strukturieren der Zeit als Vermittlungsmethode sowie im Versuch, Vergängliches in Artefakten zu verankern und zu notieren.
Reflexive Vermittlungspraxis Verarbeitungsprozesse laufen unter anderem bei Feedbackgesprächen, die als notwendiger Bestandteil zum Klären der Aufgabe, zum Verstehen der Logik eines Praxisthemas oder zum Reflektieren des Vermittlungsgeschehens entstehen. Gemeinsame Auswertungsgespräche nach dem Ausprobieren können gegebenenfalls die Teilhabe aller an Reflexionsprozessen begünstigen, ein Auswerten während des Ausprobierens stärkt eher die Singularität der Projektleitung. Besonders das Auswerten nach dem Ausprobieren intensiviert eine reflexive Ebene der Vermittlungspraxis. Deren Charakteristika liegen darin, einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch zu strukturieren, in Feedbackgesprächen beim Ausprobieren entstandene Arbeitsweisen und Strategien zu benennen und auf ihre Wirkungen zu überprüfen. Es können Aktionsspielräume präzisiert oder Errungenschaften beschrieben, bestätigt, modifiziert oder verworfen werden. Auch das Fragen als meistverwendete Vermittlungsmethode spiegelt Reflexionsprozesse ebenso wie der reflexive Formulierungsmodus. Bei Projekt 2 nehmen wiederkehrende Verstehensprozesse der Funktionsweise einer Praxis einen großen Stellenwert ein: Auf die Beobachtung der choreografischen Praxis folgen feldintern erzeugte Hinweise für die Weiterentwicklung des Interaktionsgeschehens, die ausprobiert werden und feldinterne individuelle Bewegungs- und Interaktionserfahrungen herausbilden. Diese Erfahrungen führen zu Erkenntnissen, die im anschließenden Feedbackgespräch formuliert und expliziert werden. Die feldinterne Bewegungs- und Interaktionserfahrung erzeugt ein vertieftes Bewegungs- und Interaktionsverständnis der Funktionsweise einer Praxis. Zentral ist auch die Reflexion der Vermittlungspraxis selbst, zum Beispiel expliziert und reflektiert eine Bezugnahme auf Vorangegangenes den Auf bau der Vermittlungspraxis. Auch die Komplexität und der Herausforderungsgrad von Aufgabenstellungen oder der Sinn der Choreografiewerkstatt werden reflektiert. Die Beteiligten werten temporär und partiell ihre eigene Vermittlungspraxis und die der anderen aus.
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5.2 Bedeutungsvarianten von Vermitteln beim Choreografieren In den Praktiken und Methoden der Choreografievermittlung kommen die vielfältigen etymologischen Bedeutungsvarianten von Vermitteln zum Ausdruck, deren Relevanz bereits im Kontext der Tanzvermittlung und der Kritischen Kunstvermittlung erörtert wurde. Sie sind im Folgenden zusammenfassend aufgelistet und werden anschließend in den Vermittlungspraktiken und -methoden verortet, um abschließend ihre Gewichtungen heraus zu arbeiten. • Mittel zu etwas geben und verursachen, Mittel zur Verfügung stellen • Zugänglich machen, ebnen, ausgleichen • Etwas weitergeben, jemandem etwas verschaffen, zu etwas verhelfen, übermitteln, überbringen, übertragen • Unterrichten und Lehren als Weitergeben von Wissen • Sich verständigen • Verbinden von Gegensätzen, vereinen, ausgleichen, zusammenbringen, auflösen von Widersprüchen • (Sinnliches) Verbinden zweier Teile, herstellen von Zusammenhängen • Einschieben eines Mittelstückes • Versöhnen, Streit schlichten • Vereinbarungen treffen • Einigung erzielen • Spiel wechselseitiger Anerkennung • Mit Konflikten, Brüchen und Widersprüchen arbeiten, anstatt sie aufzulösen • Mehrperspektivisches Kooperieren aus vielen Richtungen Vermitteln als ‚Mittel zu etwas geben und verursachen‘ zeigt sich, wenn Aufgaben und Übungen den Auslöser für Arbeitsprozesse oder angeleitete Arbeitsphasen den Einstieg in eine eigenständige Umsetzung bilden. Hinweise sowie Prinzipien ‚stellen‘ zu unterschiedlichen Graden ‚Mittel‘ zur Umsetzung von Aufgaben, Bewegungen und Übungen ‚zur Verfügung‘, Scores können als Erinnerungsstützen dienen. Unterschiedliche Formulierungsmodi können gegebenenfalls den Weg in unbekannte und komplexe Praxisthemen ‚zugänglich machen und ebnen‘. Die Choreografin von Projekt 2 ‚gibt‘ ihr Fachwissen von der Bewegungsanalyse von Rudolf von Laban ‚weiter‘ sowie von der Embryologie und asiatischen Körperwegen, ‚stellt damit Mittel für‘ die Spezifizierung bestimmter Bewegungsqualitäten ‚zur Verfügung‘ und ‚ebnet‘ den Weg zum Klären und Verstehen der Funktionsweise einer Interaktion. Dass alle hier aufgezählten Vermittlungsmethoden kein Garant für die Verwirklichung intendierter Pläne sind, sondern Erfahrungsgelegenheiten strukturieren, die
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gegebenenfalls stattfinden oder auch nicht, wurde bereits mehrfach expliziert. Auch in dieser Auflistung verstehen sich entsprechend alle Aussagen als optional. Ein ‚Übermitteln‘ von Informationen kann eigeninitiativ erfolgen oder eingefordert werden, zum Beispiel wenn eine Gruppe die Choreografievermittlerin mit mannigfaltigen Fragen herausfordert, ihr mehr ‚Mittel‘ für die Umsetzung der Aufgabe ‚zur Verfügung zu stellen‘. Auch die Bedeutungsvariante vom ‚Unterrichten und Lehren als Weitergeben von Wissen‘ wurde im empirischen Material identifiziert und zeugt von intentionalen und pädagogischen Vermittlungsanteilen. Absichtsvolles und geplantes Vorgehen tritt zum Beispiel im „Warm-up“ auf, indem Übungen gezielt die Bewegungsqualitäten für Szenen vorbereiten und dabei die Reihenfolge der Übungen bereits die Erinnerung der Szenenfolge des Stückes unterstützt. Die Intentionalität dieses Vorgehens ist eindeutig explizierbar und könnte sich somit auch als eine didaktische Methode lesen lassen. Auch beim Anpassen der Aufgaben und Übungen an die Befindlichkeiten, Fähigkeiten und Erfahrungsgrade der Beteiligten oder beim Anpassen des Komplexitätsgrades von Aufgaben zeigen sich Situationen, die als pädagogische Praxis interpretiert werden können. Pädagogische Intentionen sind im sukzessiven Durchgehen der Antriebskräfte von Laban für die Abfolge der Bewegungen mit den Ästen der Bäume nachweisbar sowie in der Frage, welche Lernergebnisse stattgefunden haben. Intentionalität zeigt sich, als eine Szene extra ausprobiert wird, um Antworten auf ungeklärte Details für eine Interaktion zu finden sowie in der Anfertigung eines Scores, um die physiologische Erfahrungserinnerung an zentrale Schlüsselworte zu koppeln. Wie, ob und zu welchem Grad dabei Lernprozesse und Wissenserwerb stattfinden, wird in der vorliegenden Studie nicht expliziert, da keine Wirkungsforschung vorgenommen wurde. Es kann aber festgehalten werden, dass sich choreografische Vermittlungspraxis vornehmlich als Erfahrungsvermittlung vollzieht und nicht als Fachwissensvermittlung. Beim Veranschaulichen von festgelegtem Bewegungsmaterial, welches sich andere zu Eigen Machen sowie beim Einarbeiten von Neuen in eine bestehende Szenenstruktur sind Choreograf/innen ebenso wie Mitwirkende die Vermittlerpersonen, die ihre Erfahrungsbestände an diejenigen, die nicht anwesend waren, ‚weitergeben‘, ebenso beim Sharing, beim ‚Weitergeben‘ von Aufgaben und Hinweisen, beim Weiterentwickeln einer Idee. Beim Ausprobieren in Kleingruppen verhelfen Gruppenmitglieder einander zu Bewegungsund Interaktionserfahrungen. ‚Jemandem etwas zu verschaffen‘ kann auch direktiv, ohne jegliche Mitbestimmung geschehen, wie zum Beispiel bei der Generalprobe von Projekt 1, als die Choreografin den Gruppenmitgliedern auf effiziente Weise mit ihrem knowing that einen professionellen Rahmen ihres Stückes im Aufführungs- und Bühnensetting ‚verschafft‘, sie aber nicht an diesem Prozess teilhaben. Das gilt ebenso für das Auffordern und Instruieren, bei denen kein Vereinen, Ausgleichen oder Ebnen geschieht und die keinen
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Ermittlungsprozess öffnen. Auch beim Erklären steht die ‚Übermittlung‘ als möglichst verlustfreier Informationstransfer auf einem unidirektionalen Weg im Vordergrund, bei der eine Person einer anderen ‚zu etwas verhilft‘. Mit Henschel lässt sich kritisch fragen, ob bei unidirektionalen Vorgehensweisen überhaupt sinnvoll von Vermittlung gesprochen werden kann. Das ‚sinnliche Verbinden zweier Teile‘ ist beim Berühren und im Besonderen beim haptischen Fragen und Rückmelden zu beobachten, wenn sich Informationen von Körper zu Körper vermitteln. Damit einhergehende Empfindungen und Gefühle wie zum Beispiel Lachen oder genüssliches Seufzen ‚geben‘ ihrerseits Informationen ‚weiter‘. Eine andere Form des Vermittelns zeigt sich beim ‚Verständigen‘, insbesondere in der Praktik des Klärens beim Auf bauen einer gemeinsamen Sprache, beim Betiteln von Übungen und Szenen, beim Formulieren, Umformulieren und Nachvollziehbarmachen, beim Einbringen von Fachausdrücken und Herstellen theoretischer Bezüge. Verständigungsprozesse kommen bei den vielen Varianten des Fragens, Nach-, Detail-, Gegen- und Pseudofragen, hinterfragen, überprüfen usw. besonders prägnant zum Vorschein sowie bei den verschiedenen Ausprägungen des Antwortens: Begründen, Rückmelden oder Nachvollziehbarmachen. Im Verzahnen zeigt sich eine der grundlegendsten Bedeutungsvarianten von Vermitteln, die in den etymologischen Wörterbüchern und Lexika zu finden ist und als ‚verbinden von Gegensätzen, vereinen, ausgleichen, zusammenbringen sowie Auflösen von Widersprüchen‘ beschrieben wird. Ihr zentrales Element liegt im ‚Verbinden von Teilen und Herstellen von Zusammenhängen‘, unter anderem wird vorgegebenes Material mit dem individuellen Bewegungshabitus zusammen gebracht. Im Verzahnen von Kunst- und Schulpraxis werden heterogene Funktionen von Personen und Orten verbunden, Bewegungserfahrungen werden an theoretische Bezüge und Fachausdrücke gekoppelt, die Reihenfolge der Übungen beim „Warm-up“ wird mit der Szenenabfolge des Stückes verzahnt. Scores mit Themen- und Szenenübersichten materialisieren, visualisieren, explizieren und konkretisieren als Artefakte das Verzahnen von Schlüsselworten mit der Szenenabfolge und tragen zum Verankern bei. Die Artefakte können auch als ‚Einschieben eines Mittelstückes‘ zwischen die Erfahrung und deren Erinnerung interpretiert werden. Beim performativen Umdeuten vollzieht sich eine Bedeutungsvariante von Vermitteln als ‚versöhnen‘ verschiedener Meinungen und als ‚Streit schlichten‘. Hier kommt zum Vorschein, wie der ‚Transfer‘ eines individuellen Erfahrungswissens ‚an jemand anderen‘ scheitert und anstatt dessen als eigene Erfahrung erzeugt werden muss. Unter anderem versucht die Anleitende eines Projektes die gegensätzlichen Verständnisweisen über den Sinn einer Aufgabe, die zwischen ihr und der Gruppe bestehen, aufzulösen. Ein ‚ausglei-
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chendes Element‘ zeigt sich im Anpassen der Praxis an die Befindlichkeiten, die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Beteiligten sowie im Anpassen des Komplexitätsgrades von Aufgaben an die Erfahrungsgrade. Beim Umlenken der Aufmerksamkeit sowie beim Entwickeln von Regeln für Feedbackgespräche zeigt sich Vermitteln als Versuch, ‚gegensätzliche Vorstellungen auszugleichen und aufzulösen‘, ebenso beim Austausch von Argumenten. Während der Feedbackgespräche, in denen Strategien und Erkenntnisse über die Bewegungs- und Interaktionslogik der Gruppenbewegung diskutiert werden, versuchen die Beteiligten eine ‚Einigung zu erzielen‘. Eine Bemerkung, die Aufgabe sei ja nicht leicht und sie hätten das ja zum ersten Mal gemacht kann als Abmildern der starken Kritik der Gruppenmitglieder und als ‚versöhnen‘ gedeutet werden. Die Praxis an die materiellen und wetterbedingten Gegebenheiten der Industriebrache anzupassen und selbst bei widrigen Wetterverhältnissen in die Auseinandersetzung mit der Natur zu gehen, den öffentlichen Raum performativ zu besetzen und eine passive Form des Widerstandes gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums zu setzen, arbeitet ‚mit Konflikten und Widersprüchen‘, anstatt zu versuchen, diese aufzulösen. Im Aufgreifen und Ableiten von Aufgaben aus den Bewegungsideen der Beteiligten, im Loben, im Abgeben der Vermittlerfunktion, um nur einige Beispiele zu nennen, verwirklicht sich Vermittlung als ‚Spiel wechselseitiger Anerkennung‘. In der multidirektionalen Vermittlungspraxis der vorliegenden Arbeit zeigt sich ‚mehrperspektivische Vermittlung‘ als Kooperation aus vielen Richtungen. Wenn ein Gruppenmitglied erst den Sinn der Aufgaben kritisch hinterfragt und später der Gruppe ihren Sinn vermittelt, den sie in der choreografischen Werkstatt im Laufe des Prozesses erkannt hat, dann lässt sich das als ein Reflektieren des Vermittlungs- und Bildungsprozesses ansehen und als Zeichen einer ‚mehrperspektivischen Vermittlungspraxis‘, da das Gruppenmitglied eine Distanz zu ihrer Erfahrung einnimmt und sie aus der Dimen sion der Bildungsinstitution Schule betrachtet. In Bezug auf die Gewichtung der uni- und multidirektionalen Vermittlungsvorgänge in den empirischen Praxissituationen ergibt die Untersuchung als Kernaussage, dass choreografische Praxis in künstlerisch-kulturellen Kontexten nicht vornehmlich als lineare Transferleistung von einer Künstlerin an die Mitwirkenden ‚vermittelt wird‘, sondern ‚sich vermittelt‘, und zwar als multidirektionales Geschehen der Beteiligten, die somit potenziell alle zu Vermittelnden werden können.
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5.3 Kombinieren und Gewichten der Relate In der Vermittlungssituation wirken den Ergebnissen der empirischen Forschung folgend mehrere Relate zusammen: • Praxisthema • In das Feld eingebrachte und im Feld erzeugte Aufgaben • Komplexitätsgrad von Aufgaben (Singuläre Aufgabe, Aufgabenreihung, -kombination, terminübergreifende Aufgabenreihung) • Bekanntheitsgrad (neue Aufgabe, Wiederholung durch Reihung und Kombination) • Formulierungsmodus (explorativ, fragend, reflexiv, direktiv, metaphorisch, optional) • Grad der Aufmerksamkeitsbindung • Medien (Unimediale, intermediale Bewegungs-, Sprech-, Schreib-, Hör-, Berührungsaufgaben) • Organisationsform (Einzel-, Partner-, Gruppen-, Interaktionsaufgaben) • Zusammensetzung der Arbeitsweisen (eigenständiges bis angeleitetes Arbeiten) • Beteiligte: Choreograf/in, Gruppe, Zusammensetzung, Alter, Vorkenntnisse • Gefühle, Körperbefinden, Stimmung/Atmosphäre • Beweggründe, Sinnzuschreibungen, Motivationen, Erwartungen der Beteiligten • Temporalität • Örtlichkeiten • Institutioneller, außer-institutioneller Rahmen • Geplante und emergente Anteile • Vermittlungspraktiken (routinisierte und neu erzeugte) • Vermittlungsmethoden (routinisierte und neu erzeugte) • situationsadäquate Kombinationen der Vermittlungspraktiken und -methoden • situationsadäquate Gewichtungen der Vermittlungspraktiken und -methoden • multidirektionale, explorative, emergente und reflexive Anteile Vermitteln besteht aus dem Kombinieren und Gewichten variierender Relate, die in fortlaufender Veränderung begriffen sind. Auswirkungen der Relationalität von Vermittlungspraxis zeigen sich im sozialen Gefüge und dem Verhältnis von Choreografin und Gruppe sowie den Gruppenmitgliedern untereinander. Zum Beispiel bewirken die Schüler/innen mit ihren Gefühlsund Meinungsäußerungen, Fragen, Wünschen und Verweigerungen eine
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Verlagerung zu mehr tänzerischen Arbeitsweisen. Als die Choreografin ihre künstlerischen Prioritäten zurückstellt, sind Veränderungen des Verhältnisses zwischen ihr und der Gruppe zu beobachten, sie verstehen einander mehr und gehen mehr aufeinander ein. Auch innerhalb der Gruppe verändern sich Beziehungen, als wechselnde Personen Verantwortung übernehmen und zu Ansprechpartnern werden und sich mit der Zeit einige Gruppenmitglieder aktiv involvieren, die dies anfangs kaum getan haben. Beim Formulieren von Aufgabenstellungen bilden das Praxisthema, der Komplexitäts- und Bekanntheitsgrad, der Formulierungsmodus und die Beteiligten die entscheidenden Komponenten. Ein situationsadäquates Kombinieren dieser Relate hat sich als bedeutsam erwiesen, um die Aufgabe verständlich zu formulieren, auf die Beteiligten abzustimmen, in ihrem Komplexitätsgrad zu variieren, einzugrenzen oder zu erweitern. Auch beim Anpassen kommt es darauf an, die relevanten Relate ausfindig zu machen und aufeinander abzustimmen. Die Priorität von Relaten wird themen- und interaktionsadäquat erzeugt, ist also auch perspektivenabhängig, wie sich besonders in der Vermittlungsmethode Prioritäten anpassen zeigt. Bei einem Fangspiel stehen mal die Erfahrungen der spielerischen Aktivität und der Spaß am körperlichen Einsatz im Vordergrund und damit die Interaktion. Mal ist das Verstehen des Spiels im Sinne einer Regelbefolgung wichtiger. Vorgeprägte bzw. vorkonzipierte Maßstäbe oder Kriterien für Prioritäten werden zwar ein- bzw. mitgebracht und an die Situation wertend angelegt, sie müssen aber in actu von den Anwesenden überprüft, beglaubigt oder verworfen werden. Relationalität geht mit einer Unabgeschlossenheit von Vermittlungspraxis einher, Vereinbarungen und das Einhalten von Vereinbarungen müssen gegebenenfalls neu verhandelt werden. Auch die Einschätzungen vom Gelingen oder Scheitern eines Verständigungsprozesses sind personengebunden und fallen bei der Choreografin und Gruppenmitgliedern gegebenenfalls unterschiedlich aus.
5.4 Optionale Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde Aus der relationalen Vermittlungspraxis lassen sich Schlussfolgerungen für den Umgang mit der Unvorhersehbarkeit und Unabgeschlossenheit des Vermittelns extrahieren. Die projektbedingten Ausprägungen bzw. Erscheinungsformen sind nicht gegeben und der Praxis vorgelagert und können nicht vorkonzipiert werden, wie die empirischen Ergebnisse bescheinigen. Die situationsbedingten Praktiken-Komplexe lassen sich mithin nicht als Kontrollin strumentarium für Gelingensbedingungen von Vermittlung gebrauchen bzw. missbrauchen. Dementsprechend verstehen sich die folgenden optionalen
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Aufmerksamkeitslenkungen in Form eines offenen Fragenkataloges im Sinne von Mörsch als Handreichung, Diskussionsgrundlage und Orientierung (Mörsch 2014: 2). Das bedeutet für die Vermittelnden temporäre und partielle Prozesse des Loslassens der Kontrollfunktion zugunsten einer Offenheit für ein situationsadäquates Gewichten optionaler Relate auf der Grundlage des Wissens um diese. Zur besseren Übersichtlichkeit sind die Fragen nach Praktiken gruppiert.
Aufgabenstellen • Wie lassen sich geplante und in das Feld eingebrachte Praxisthemen/Aufgaben/Übungen an das Vermittlungsgeschehen anpassen • Wie lassen sich Praxisthemen, Aufgabenstellungen und ihre Formulierungsmodi situationsadäquat aufeinander abstimmen und wie verändert sich deren Zusammenspiel gegebenenfalls in der Interaktion • Wie können Beweggründe für die Auswahl eines Praxisthemas, einer Aufgabe oder Übung für andere nachvollziehbar werden und sinnstiftend zum Verstehen der Praxis beitragen • Wie lässt sich der Spielraum einer Aufgabenstellung ermitteln und der Vollzugsrahmen von Lösungsmöglichkeiten situativ erweitern oder eingrenzen • Wie lässt sich der Komplexitätsgrad einer singulären Aufgabe, einer Aufgabenkombination, Aufgabenreihung sowie einer Einzel-, Partner- oder Gruppenaufgabe oder Übung aufgrund von Erfahrungswerten, die bereits im Kontext erzeugt wurden, einschätzen, ohne ihn als Wissen zu verstehen. Wie lässt er sich in der Interaktion überprüfen und gegebenenfalls verändern • Welche Konsequenzen ergeben sich daraus in Bezug zu Vorbereitungsübungen und -aufgaben • In welchem Verhältnis steht der Grad der Aufmerksamkeitsbindung und die Kapazität für andere Wahrnehmungs- und Aktionsfelder und Parallel aktionen zueinander • Welche Hinweise lassen sich in Parallelaktionen erkennen und was zeigen sie gegebenenfalls für die Weiterarbeit an
Klären • Welcher Modus der Aufgabenformulierung kann zum Klären der Aufgabe beitragen • Wie lässt sich eine Einigung über die Aktionsregeln als Startbedingung für den praktischen Vollzug einer Aufgabe/Übung herstellen • Welche Kombination und Gewichtung zwischen Aufgabenstellen, Klären und Ausprobieren ist situationsadäquat. Entsteht sie beim Klären der Aufgabe vor, nach oder/und während des Ausprobierens
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• Steht die inhaltliche Umsetzung einer Praxis im Vordergrund, die Interaktion oder die Befindlichkeiten der Anwesenden? Wie stehen diese im Verhältnis zu einer adäquaten Gewichtung zwischen Klären und Ausprobieren • Wie können vorgeprägte und vorkonzipierte Maßstäbe und Kriterien in der Praxis erkannt, genutzt und als perspektivgebunden hinterfragt werden • Wie lassen sich der Grad der Planbarkeit und der Emergenz situationsadäquat ausbalancieren • Wie können implizite ebenso wie explizite Auskünfte als Mitteilungen wahrgenommen und verwertet werden • Wie ergänzen adressierte und nicht adressierte Mitteilungen einander • Wie lässt sich der Bekanntheits- bzw. Fremdheitsgrad von Aufgaben/ Übungen herausfinden und in Beziehung zum potenziellen Klärungs- und Aushandlungsbedarf setzen • In welcher Beziehung steht dieser zum potenziellen Klärungsbedarf und ist dafür eher eine anleitende oder eine explorative Arbeitsweise adäquat • Wie lassen sich Ein- bzw. Mehrdeutigkeit von Aufgaben, Übungen, Hinweisen, Beispielen usw. je nach Thema und Situation graduell anpassen
Ausprobieren • Wie lässt sich eine Information formulieren, veranschaulichen und/oder haptisch vermitteln • Wie lässt sich von einer Person festgelegtes Bewegungsmaterial mit dem inkorporierten Bewegungshabitus derjenigen verzahnen, die versuchen, sich dieses Material anzueignen • Wie lässt sich eine Vermittlungspraxis an die Befindlichkeiten, Fähigkeiten und Erfahrungsgrade sowie an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen (z.B. materielle und wetterbedingte Gegebenheiten oder diskontinuierliche Anwesenheit) • Wie lassen sich explorative und angeleitete Anteile miteinander verzahnen
Auswerten • Welche Vorüberlegungen können Anhaltspunkte für eine kontext-, alters-, erfahrungs- und situationsadäquate Auswahl von Themen/Bewegungen/ Aufgaben/Übungen bilden, die gegebenenfalls in die Praxis eingebracht, dort ausprobiert, ausgewertet, geklärt und ausgehandelt werden • Welche Vorüberlegungen zu potenziellen alters-, adressaten- und erfahrungsspezifischen Empfindungen bei Aufgaben und Übungen lassen sich anstellen und in welchem Verhältnis stehen diese gegebenenfalls zu Motivationsschwierigkeiten und Widerständen der Beteiligten • Wie lässt sich eine Offenheit bewahren, Vorüberlegungen als Potenzialitäten zu verstehen und ungeplante Veränderungen zuzulassen anstatt sie als Verhinderungsstrategien von Schwierigkeiten zu missbrauchen
Relationale Vermittlungspraxis
• Welche Auskünfte lassen sich aus Phantasielosigkeit, Motivationsschwierigkeiten, Widerständen und Verweigerungen der Teilnahme herauslesen? Was zeigen sie für die Weiterarbeit an • Welche Überlegungen und Annahmen zum Gewohnheits- bzw. Bekanntheitsgrad einer Aufgabe/Übung lassen sich für das Strukturieren von Erfahrungsgelegenheiten anstellen • Wie kann die eigene Vermittlungspraxis vor, während und nach der Proben- bzw. Unterrichtssituation reflektiert werden und wie kann diese Reflexion in die Interaktionssituation einfließen • Wie können Fokussierungen die Inhalte von Feedbackgesprächen lenken • Welcher Grad der Fokussierung eines Feedbackgespräches ist konstruktiv für den Kontext. Zielt das Gespräch zum Beispiel auf den Austausch von Erfahrungen oder Erkenntnissen ab oder auf andere Faktoren • Wie können die Vermittelnden mit bestehenden Machtverhältnissen in der Vermittlungssituation reflexiv umgehen und sie als Prozess betrachten und verhandeln • Wie können individuelle Erfahrungen und Gruppenerfahrungen einander befruchten • Wie kann aus der Bewegungserfahrung ein Bewegungsverständnis entstehen und wie kann ein implizites Bewegungsverständnis explizit werden
Ausprobieren und Auswerten • Welches Zusammenspiel von Ausprobieren und Auswerten könnte dem Vermittlungsprozess adäquat sein: vor, nach oder während • Wie kann das Ausprobieren beim Auswerten gegebenenfalls helfen, um Aufgaben, Hinweise und Erkenntnisse abzuleiten, eine Funktionsweise zu verstehen, eigene Erfahrungen auszuwerten oder eigene Erfahrungen anderen nachvollziehbar zu machen • Welcher Partizipationsmodus könnte gerade für das Praxisthema und die Anwesenden adäquat sein • Lassen sich Erkenntnisse eher aus dem Aktions- oder dem Beobachtungsmodus generieren, überprüfen oder bestätigen • Wann und wie kann ein Feedbackgespräch nach einer praktischen Phase zur Teilhabe an Reflexionsprozessen beitragen • Wann und wie kann bei Praxen mit Berührung ein haptisches Fragen und Rückmelden zum Klären beitragen
Teilhaben/Teilnehmen • Mit welchen Formulierungsmodi kann ein situationsadäquates Zusammenspiel von Anleiten und Mitbestimmen erzeugt werden und in welchem Zusammenhang könnte dieses dazu stehen, sich beteiligt zu fühlen und aufeinander einzugehen
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• Wann ist eine anleitende Vermittlungsweise themenadäquat und wie lange und wann bedarf es einer Kombination mit explorativen Vermittlungsweisen und in welcher Gewichtung • Werden beim Anleiten und Entscheiden gegebenenfalls Machtverhältnisse aufrecht erhalten, erzeugt oder umgewichtet, werden diese von den Anwesenden legitimiert oder hinterfragt und was folgt daraus für die weitere Vermittlungspraxis • Ist eine Kausalität zwischen selbstorganisierten Gruppengestaltungsprozessen und einer Zunahme an verbalen Aushandlungsprozessen zu beobachten und wie können diese konstruktiv praktiziert werden • Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass Kreationsprozesse für Gruppen- und Gestaltungsaufgaben, die eigenständig umgesetzt werden, nicht als Wissenstransfer einer Person an andere vermittelt werden können, sondern situationsgebundenes, notwendiges Erfahrungswissen von den Beteiligten in situ erzeugt werden muss • Welcher Grad und welche Art der Intervention ist angemessen: vorschlagen, wünschen, anleiten oder sich heraus halten • Wie kann die Leitungsfunktion eines Projektes mit dem partiellen und temporären Loslassen von Kontrolle einher gehen
Aushandeln • Wie können Aushandlungsprozesse als unabgeschlossene Bestandteile einer Vermittlungsdynamik mit dem Aufrechterhalten von Errungenschaften zusammengehen • Wie werden Funktionen der Beteiligten situativ erzeugt, bestätigt, verändert, zugewiesen oder auch abgewiesen oder irritiert • Ist folgende Kausalität zu beobachten: Je mehr Beteiligte und je kollektiver die Arbeitsweise und je mehr Partizipation, desto wahrscheinlicher sind die Aushandlungsprozesse und was lässt sich daraus ableiten • Ist folgende Kausalität zu beobachten: Je mehr Aushandlungsprozesse, desto mehr verbale Vermittlungspraxis • Ist ein Bedarf wahrnehmbar, sich über Beweggründe und Sinnzuschreibungen der laufenden Praxisthemen/Aufgaben/Übungen auszutauschen und/oder diese auszuhandeln • Wie kann mit dem Grad der Kontrolle beim Einbringen von offenen Gestaltungsaufgaben, die viel Eigeninitiative und Selbstorganisation benötigen, und den gegebenenfalls stattfindenden Klärungs- und Aushandlungsprozessen umgegangen werden • Wie lässt sich das ‚Gelingen‘ oder ‚Scheitern‘ eines Vermittlungsgeschehens als relationale Einschätzung und als Prozess praktizieren und feldintern aushandeln
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Aufrechterhalten • Welche Art von Aufzeichnung kann einen hilfreichen Beitrag zum Erinnern leisten • Wie können beim Wiederholen und Erinnern oder beim Verzahnen von vorangegangenen Erfahrungen mit aktuellen Erfahrungen Materialbestände verankert werden • Wann kann ein Rekapitulieren von Erfahrungen oder Szenen als Kraft sparende Art der Reflexion situationsadäquat sein • Auf welche Art und Weise können Artefakte als Partizipanden zum Aufrechterhalten von Errungenschaften beitragen • Wann können Themen- und Szenenübersichten bzw. Scores als Erinnerungsstützen dienen Diese Fragensammlung hegt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchte zur individuellen und fortwährenden Erweiterung einladen.
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6. Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis
Die vorliegenden Analyseergebnisse weisen Vermittlungsprozesse als immanenten Bestandteil der choreografischen Praxis der untersuchten Projekte aus. Sie bestätigen damit die Arbeitshypothese. Wie sich die Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis beim Choreografieren artikuliert, soll im Folgenden detailliert dargestellt werden. Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse an die forschungsrelevanten Diskurse rückgebunden. Zuerst steht die Frage im Mittelpunkt auf welche Art und Weise der erweiterte Choreografiebegriff in den untersuchten Beispielen praktiziert wird. Danach gilt das Interesse den Schnittmengen bzw. Divergenzen zwischen den Praktiken des Choreografierens in künstlerischen Kontexten und den Praktiken des Vermittelns in künstlerisch-kulturellen Kontexten. Abschließend möchte die Studie Choreografievermittlung als selbstreferenzielle Erfahrungspraxis positionieren, in der Tanzvermittlung, Kulturellen Bildung, Kritischen Kunstvermittlung und dem Kreativitätsdispositiv verorten und in die Debatte über Teilhabe einbinden.
6.1 Erweiterter Choreografiebegriff in künstlerisch-kulturellen Kontexten In beiden untersuchten choreografischen Prozessen finden sich mehrere Merkmale des erweiterten Choreografiebegriffes. Bereits die Ankündigung der Produktion Hinter den Gärten als ‚Choreografie als urbane Landart‘ (Tanzinitiative Hamburg 2016) weist auf eine Marginalisierung des Tanzes zugunsten von Choreografie hin. Eine Bemerkung der Choreografin Isabelle Schad1 an eine 1 | Bei der Auswertung des Vermittlungsgeschehens in der Mikroebene im Kap. 4. dieser Studie wurden die beiden Choreografinnen ebenso wie die Gruppenmitglieder zum Zweck der Neutralisierung vorgeprägter Funktionszuweisungen anonymisiert. Im Kap. 6. und 7. werden die Ergebnisse der Studie in den Kontext der Kunst und der Kulturellen
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Performerin bei den Proben beschreibt die Loslösung von einer tänzerischen Bewegungsausführung: „Du kannst das sehr tänzerisch machen und du kannst das eher im arbeitenden Körper ausdrücken, [...] es ist eine Adaption, es ist das Selbe in der Energie und es ist natürlich auf eine Art Tanz, aber nicht stilisiert, sondern in der Funktion.“
Schad spricht in den Proben nicht vom ‚tanzen‘, sondern vom ‚performen‘. Es geht ihr nicht um die Darstellung und Interpretation einer Handlung, sondern um den Vorgang des Herstellens als solchen im performativen Akt (Meyer 2006), wie ihr Statement zum Stück verdeutlicht: „[...] zwischen Material und Bewegung suchen wir in der Arbeit nach alternativen Möglichkeiten zu bestehenden (Re)-Präsentationsformen und Realitäten. [...] Das Bild (und die Bewegung) wird zum Organ des/der Körper/s und nicht seine Repräsentation.“ (Schad 2016)
Diese Ausführungen lassen sich an die tanzwissenschaftlichen Reflexionen über Repräsentation (Lepecki 2006) sowie an Choreografie als performatives Konzept (Klein 2011) anschließen und finden sich unter anderem in den Vermittlungsmethoden ‚performatives Nachvollziehbarmachen von Ermittlungsprozessen‘ sowie ‚performatives Umdeuten‘ wieder. Schads Rechercheinteresse liegt darin, die „Prozesse und Bewegungsmuster der Embryologie als Choreografie anzusehen. Also Bewegungen, die schon da sind, existent sind, weniger erfunden werden, sondern die da sind, zu erforschen und sichtbar zu machen. Und da mit der Frage des Sichtbaren und der Form umzugehen.“2
Sie bezieht das Choreografische als „Anordnen des Materials“ und als „Sichtbarmachung“3 ebenso auf die Körper der Performer/innen wie auf die Bewegungsordnung von Artefakten der Brache.4 So obliegt es der Wahrnehmung jedes Zuschauers, ob die Darsteller/innen eine Choreografie der Bäume erzeuBildung eingebunden. Zu diesem Zweck wird die Anonymisierung der Choreografinnen aufgehoben. 2 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. 3 | Diese Äußerungen stammen aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. 4 | Schad arbeitet auch in anderen Produktionen mit der Praktik des Verstärkens und beschreibt dies in Bezug auf das Stück Form und Masse: „Mit Styroporkügelchen gefüll-
Ver wobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis
gen oder die Bäume eine Choreografie erzeugen, an der die Darsteller/innen teilhaben (Barthel 2015). Die Zuweisung, was als Choreografie ‚gelesen‘ wird, entscheiden die Wahrnehmenden, worin sich ein weiteres Moment des erweiterten Choreografiebegriffes findet (Dempster 2008). Im Umgang mit den Bäumen, Rollrasen und Blumentöpfen sowie in der ‚Antriebskräftechoreografie‘ der Bäume stellt Schad Fragen zum Verhältnis von Kunst- und
Alltagsobjekten und vom Ästhetischen und Profanen (Klein 2012; Evert 2005). Choreografieren besteht bei den intermedialen Arbeitsweisen des interdisziplinären Teams im Organisieren heterogener Materialien und neben den Performer/ innen sind auch Objekte und Klänge Trägermedien von Bewegung. Wie sehr Schads praktische Arbeit und ihr Diskurs5 ineinandergreifen sowie ihre Kunstund Vermittlungspraxis ineinandergreifen, wird in der Beschreibung einer Mitwirkenden offensichtlich: Angelika: „Also ich fand das – ich hab so zwei Ebenen von Choreografie irgendwie wahrgenommen. Und zwar die Grundchoreografie, die Choreografie von unserem Körper, unsrer Embryologie, die sich irgendwie abspult. Und da rein geht Isabells ((em)) Choreografie und das fand ich total spannend. Also ich hab‘ meinen Körper, so wie er sich entwickelt hat, embryologisch, konnt‘ ich als Choreografie auch wahrnehmen. Also wie sich das irgendwie verbindet und was da zuerst kommt und was danach folgt und so weiter. Das hab‘ ich als ((em)), meine Entwicklungs- oder die menschliche Entwicklungschoreografie wahrgenommen und- also so gefühlt irgendwie so. Und ((em)) das, was dann Isabelle daraus gemacht hat, dass sie dann einzelne Fassetten so zusammengesetzt hat und- also insofern fand ich das so doppelbödig und insofern auch super spannend.“6
Bei der Choreografin Ursina Tossi zeigt sich ein erweiterter Choreografiebegriff am Prägnantesten in den intermedialen Arbeitsansätzen. Auch für sie kann Choreografie Tanz sein, muss aber nicht und umfasst das Ordnen von Zeit und Raum. Tossi: „Wenn ich Choreografie meine, dann geht‘s für mich vielleicht gar nicht unbedingt um Tanz selber, sondern da geht es für mich in erster Linie um Bewegung, um Raumfragen, um Zeitfragen – und vielleicht auch um Architektur. Und dann kann es passieren, dass da herzlich wenig getanzt wird und dann wird da vielleicht wird auch ganz viel gete Sitzsäcke dienen hier als Verstärker des Sichtbaren: Sie erweitern den Körper in den ihn umgebenden Raum“ (Schad 2016). 5 | In ihrem Artikel zur „Choreografie als Embryologie“ (Schad 2013) theoretisiert Schad ihre künstlerische Praxis. Ihre Ausführungen finden sich in den Analyseergebnissen der vorliegenden Untersuchung wieder. 6 | Diese Äußerung stammt aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Choreografische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung tanzt, das kommt drauf an, wo ich anfange. Und das ist – ja – so schlicht eigentlich ist der Unterschied für mich.“7
Während der Proben antwortet Tossi auf Fragen der Schüler/innen, „wenn euch daran liegt, ’ne Choreografie als Tanz zu machen, dann können wir darüber reden“. Hier zeigt sich, dass Tossi Tanz nicht als einzige Möglichkeit versteht, um eine Choreografie zu erzeugen. Den Begriff ‚tanzen‘ verwendet sie in der ganzen Werkstatt nur ein einziges Mal, ansonsten spricht sie vom Choreografieren. Die Frage der Forscherin an die Schüler/innen, was für sie Choreografie sei, beantworten diese folgendermaßen: Luzie: „Choreografie ist für mich eigentlich nur Tanz [...] Ich war von Choreografie was anderes gewöhnt. Choreografie war für mich eigentlich immer so ’n Tanz. Also wie der Tanz abläuft und so was. [...] Und dann hat sie versucht mir des – also sie hat plötzlich gesagt, dass Choreografie total anders is’ wie ich das kannte und dann dacht’ ich, hä – Ja is’ halt total anders als ich mir vorgestellt hab. War ich erstmal ’n bisschen verwirrt, dass des jetzt ’ne Choreografie ist.“ Bruno: „Also – Ich fand des ganz interessant, dass ((em)) – unter Choreografie hab ich mir was ganz anderes drunter vorgestellt. Insgesamt unter Choreografie halt. So ’n bissc hen mit Bewegung und Tanz halt schon in Verbindung gebracht, aber ich hätte – ich wusste nicht und ich hatte auch ehrlich gesagt gar nich’ so ’n Plan von Choreografie, dass das ((em)) auch so viel mit ((em)) inneren Gedanken und so zu tun haben kann und so. Das hab’ ich da halt jetzt gelernt und find ich auch echt interessant. Hab ich jetzt einen andern Bezug zu. Also davor fand ich‘s nich’ so- ehrlich gesagt, Choreografie nich’ so interessant, aber jetzt ((em)) mit meinen Erfahrungen ((em)) find ich das auf jeden Fall ’ne interessante Sache. Kann man auf jeden Fall was draus machen und so. Also ich hab auf jeden Fall was über Choreografie gelernt so. [...] Also ich würd’ sagen ((em)) Bewegung oder Tanz in Verbindung gebracht mit den eigenen Gefühlen und Gedanken. Einfach so halt.“ Nathalie fügt noch hinzu: „Wenn man die dann umsetzt, wird irgendwas draus.“8
Im Probenprozess hatten die Schülerinnen den Wunsch nach einem ‚Tanz auf Musik‘ geäußert, was dem ursprünglichen Choreografieverständnis vom Finden, Festlegen und Komponieren von Bewegungen zu Musik entspricht (Siegmund 2010). Tossis differentes Angebot hat zu Beginn eher zu Verwirrung und teilweise auch zu Frustration geführt. Brunos und Nathalies Äußerungen lassen eine Veränderung ihres Verständnisses erkennen sowie eine positive 7 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. 8 | Diese Äußerungen stammen aus einer im Rahmen der Forschung durchgeführten Gruppendiskussion.
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Auswertung der bisher unbekannten Ausrichtung. Ihre Äußerungen ‚da kann man was draus machen‘ und ‚da wird etwas draus‘ beschreiben Kreationsprozesse. Bruno formuliert ein Zusammenspiel von Exploration und Reflexion und erfasst damit ein zentrales Strukturelement choreografischer Arbeit, denn er bezieht Choreografie nicht mehr nur auf Bewegung, sondern auch auf Gedanken, was einem erweiterten Choreografiebegriff entspricht.
6.2 Schnittmengen und Divergenzen von Vermittlungspraktiken und choreografischen Praktiken Die Vermittlungspraktiken aus den künstlerisch-kulturellen Kontexten entsprechen zu großen Teilen den choreografischen Praktiken in professionellen Kontexten. Genauer gesagt zeigen sich deutliche Schnittmengen zwischen den Praktiken des Vermittelns Ausprobieren, Auswerten, Teilhaben/Teilnehmen, Aushandeln und Aufrechterhalten mit den choreografischen Praktiken Explorieren/Improvisieren, Reflektieren, Partizipieren, Kollaborieren und Notieren/Erinnern, die im tanzwissenschaftlichen Diskurs als prägend für die Kunstpraxis ausgewiesen wurden. Die bedeutsamste Übereinstimmung findet sich zwischen dem Praktiken-Komplex Ausprobieren – Auswerten und dem Praktiken-Komplex Explorieren/Improvisieren – Reflektieren. Damit wird offensichtlich, dass das Vermittelnde im Künstlerischen enthalten ist. Die Arbeit mit Aufgabenstellungen wird von den zitierten Tanzwissenschaftler/innen als Teil der Explorations- und Improvisationsarbeit behandelt. Das Klären als Verständigungsprozess zeigt sich als wichtige Vermittlungspraktik, bleibt als künstlerische Praktik bei den zitierten Tanzwissenschaftler/innen aber randständig und wird von ihnen als Teil der Aushandlungsprozesse thematisiert. Die einzige Kunstpraktik, die nicht als Vermittlungspraktik in Erscheinung tritt, ist das Dekonstruieren.
Ausprobieren Explorieren/Improvisieren Auswerten Aufgabenstellen Dekonstruieren Reflektieren Klären Teilhaben/Teilnehmen Aufrechterhalten Notieren/Erinnern Partizipieren Kollaborieren Aushandeln Abb.17: Praktiken des Choreografierens (kursiv) und des Vermittelns
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Zur weiteren Ausdifferenzierung des Verhältnisses von Kunst- und Vermittlungspraxis wird auf die Erkenntnisse aus dem vierten Kapitel zurückgegriffen, die um Äußerungen der Choreografinnen aus den Interviews mit der Forscherin und Literaturfundstellen ergänzt werden.
E xplorieren/Improvisieren als Kunst- und Ausprobieren als Vermittlungspraktik Das Explorieren/Improvisieren als choreografische Praktik entspricht in weiten Teilen dem Ausprobieren als Vermittlungspraktik. Beide Begriffe sind dem jeweiligen Feld entnommen und werden in der vorliegenden Studie als Synonyme angesehen. Die explorativen Anteile der Vermittlungspraxis wurden bereits im fünften Kapitel ausformuliert. Zentral sind hier der Modus des Ermittelns sowie das Verhältnis zwischen Planbarkeit und Emergenz. Die Darlegungen der Tanzwissenschaftler/innen (Foster 2011; Klein 2011; Siegmund 2010; Brandstetter 2010a; Husemann 2009) zum Zusammenspiel von explorativen und improvisatorischen Arbeitsweisen und der Notwendigkeit von Regelwerken entsprechen mehreren Vermittlungsmethoden: dem Erweitern oder Eingrenzen von Aktionsspielräumen, dem Erstellen von Regelwerken, der Spannbreite vom explorativen bis zum direktiven Formulierungsmodus beim Aufgabenstellen und Ausprobieren sowie dem Sich zu Eigen Machen eines Scores. Eine explorativ angelegte choreografische Erfahrungspraxis geht mit einer explorativen Vermittlungspraxis einher. Zum Beispiel verwendet Tossi das „Yes-anding“ (Eikels 2013: 356) auch im Vermittlungskontext, welches Eikels im professionellen Kontext als Teil der Ethik des Improvisierens beschreibt, weil es mithilfe der Technik des Anschließens eine affirmative Beziehung der Anerkennung garantiert. In den untersuchten Projekten werden die Termini ‚Improvisation‘ und ‚improvisieren‘, die im erweiterten Choreografiebegriff konstitutiv sind, nicht verwendet. Anstatt dessen tritt der Terminus ‚ausprobieren‘ auf. Schad bezeichnet offene Aufgaben als „free-style“, sie werden aber nur sehr selten praktiziert, denn in ihrer Arbeitsweise steht nicht das Spiel mit dem Unvorhersehbaren im Vordergrund, welches das Charakteristikum des Improvisierens bildet. Ihr Interesse liegt vielmehr in den individuellen Entscheidungen, mit denen die Performer/innen sich einen vorgegebenen Score zu Eigen machen. Sowohl in der Kunst- als auch in der Vermittlungspraxis ist von Wichtigkeit, den Grad der Unvorhersehbarkeit im Verhältnis zur Planbarkeit themen- und situationsadäquat zu gewichten und die Emergenz dieser Gewichtung als Teil der Praxis anzusehen. Für Tossi „muss man da genau den Mittelweg finden. Den Freiraum, also man hat ein Viertel um den Raum aufzuschließen. Hier ist euer Raum. Macht etwas, aber das auch nicht ganz
Ver wobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis ungefähr lassen, aber auch nicht zu viel vorbestimmen – das ist wahrscheinlich so die Dosis, sodass die sich irgendwie ganz gut drin bewegen können.“
Schad grenzt sich von der Praktik des Improvisierens ab und favorisiert das Zusammenspiel von klaren Ansagen und Anweisungen, da diese für sie spannender sind als offene Improvisationen, die „nach der Kreativität des Eigenen fragen“. Sie können für die Mitwirkenden gegebenenfalls zu Überforderungen führen und für Schad stellt sich auch die Frage, wie die improvisatorisch generierten heterogenen Materialien dann zusammen gebracht werden können. „Man muss ja irgendwie auch einen Formvorschlag geben. Innerhalb dessen hat dann wiederum jeder so viel mehr Freiheit, weil es klar ist, zu was man gebeten ist und wie man dann da irgendwie das selber füllt. Das ist eine große Aufgabe. Das ist eine große Aufgabe, sonst verschwimmen die Sachen.“
Ein kritischer Blick auf offene Aufgaben, die zur Erfahrung von Ohnmacht und einem Ausgesetzt sein führen können, wurde bereits von Eikels (2013) im professionellen Kontext formuliert. Schad: „Meine Erfahrung ist eben auch, je mehr ich angefangen hab‘ wirklich klare Anweisungen zu geben, klare Scorevorlagen und innerhalb dessen die Leute sich verhalten konnten, desto freier wurden die Menschen, desto mehr Eigenes wurde sichtbar, desto mehr waren wir zusammen, desto mehr Spaß, desto weniger Querelen und so weiter. Desto mehr kann ich so ein non-hierarchical, kann ich eben so ohne Hierarchien mit den Leuten arbeiten. Und mich mehr auf der Augenhöhe mit – mit den andern auch verhalten, mehr auf gleicher Augenhöhe sein. Also das ist tatsächlich jetzt eine Methode geworden, die ich sehr stark anwende.“
Schad knüpft damit die Einschränkung des Handlungsspielraums an eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die sie als unhierarchisch ansieht, was die Beteiligten in den Gruppendiskussionen bestätigen. Hier zeigt sich eine Entsprechung zu den Arbeitsweisen in flachen Hierarchien, die in der Kunstpraxis als zentral gehandelt werden.9 Der Zusammenhang zwischen Anweisungen und Vorlagen, dem Sichtbarwerden des Eigenen, einer gewinnbringenden Zusammenarbeit und dem Zusammenkommen heterogener Materialien ist in der Vermittlungs- ebenso wie in der Kunstpraxis von Relevanz. Das Zusammenspiel zwischen dem Offenheitsgrad von Aufgabenstellungen, der Aufmerksamkeitslenkung und ihrem Verhältnis zur Über- oder Unterforderung knüpft hier an. Die Erwachsenen in Projekt 2 sehen sich ebenso wie professionelle 9 | Als Beispiel für das Erproben von horizontalen Arbeitsstrukturen sei hier das Projekt practicable (2006) genannt, an dem Schad beteiligt war.
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Tänzer/innen der Herausforderung ausgesetzt, im Moment der Aufführung die Kunst der Kombinatorik (Lampert 2007) sowie zentrale Komponenten des kollektiven Improvisierens (Eikels 2013) zu praktizieren: sie strukturieren das Mögliche vor, greifen auf bereits konzipiertes Material zurück, halten Verabredungen für Bewegungs- und Interaktionsordnungen ein und wählen innerhalb des vorgegebenen Scores zwischen verschiedenen Handlungsweisen. Dabei ist ein kooperierendes Miteinander sowie gleichzeitiges Ausprobieren und Auswerten bzw. Reflektieren des Bewegungs- und Interaktionsgeschehens und der individuellen Entscheidungen vonnöten (Siegmund 2010; Foster 2002; Hardt 2008). Auch das Strukturieren bzw. das Organisieren der Zeit und des Raums (Klein 2012; Siegmund 2010; Evert 2005) zeigt sich in der Kunst- und der Vermittlungspraxis. Das Relationale des Raums (Stamer 2007) und des Ortes (Certeau 1988) findet sich in den Vermittlungsmethoden zum Beispiel als platzieren, sich räumlich differenzieren, dem temporären Bilden von Anordnungen und dem Anpassen der Praxis an die örtlichen Gegebenheiten.
Reflektieren als Kunst- und Auswerten als Vermittlungspraktik Worin das Reflexive der Vermittlungspraxis besteht, wurde bereits ausgearbeitet und zusammengefasst. Aus künstlerischer Sicht zeigen sich in beiden Projekten ortsbezogene Arbeitsweisen (Lange 2010) als Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen Gegebenheiten (Hunter 2009). In Projekt 2 führen diese zu einer site specific performance. Ortsbezogene choreografische Praktiken wie das Aufgreifen des Vorhandenen, Ableiten von Gestaltungsstrukturen, Umordnen und Verstärken (Barthel 2015) stellen die Hybridität des Ortes zwischen Garten und Brache, zwischen Kunst und Natur, zwischen Biologischem und Mechanischem zur Diskussion. Die choreografierten Eingriffe reflektieren die Örtlichkeit der Industriebrache, die sich inmitten eines Kreativquartiers den Konzeptautorinnen zufolge aktuell im kulturpolitischen Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kunst befindet und aus diesem Grund für die Performance ausgewählt wurde. So lässt sich die Performance gesellschaftspolitisch als eine künstlerische Form des Widerstandes gegen die kommerzielle Vereinnahmung des öffentlichen Raums lesen (Primavesi 2010; Mersch 2002). Das Aufgreifen, Ableiten und Verstärken finden sich ebenfalls als Vermittlungspraktiken wieder. Beide Choreografinnen leiten aus dem Bewegungs- und Interaktionsverhalten der Beteiligten Aufgaben ab, verstärken damit das Vorhandene und greifen Ideen der Beteiligten auf. Schad leitet ebenfalls Aufgaben und Bewegungsqualitäten aus den materiellen Gegebenheiten der Brache ab. Große Differenzen zwischen der Kunst- und der Vermittlungspraxis finden sich in den Themen, die bei der Selbstreflexivität und bei der Kultur des Fragens von Belang sind sowie im Reflexionsgrad und der Detailliertheit der
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Auseinandersetzungen. Während die Choreograf/innen in der Kunstpraxis Dispositive wie Körper, Repräsentation und Identität verhandeln, die für ihr Metier konstitutiv sind, steht das Auswerten der eigenen Erfahrungen und der Austausch über diese Erfahrungen im Vordergrund der Vermittlungspraxis. Eine Selbstreflexivität tritt besonders deutlich in den Feedbackgesprächen, dem reflexiven Formulierungsmodus und dem Auswerten nach dem Ausprobieren auf, wenn Strategien benannt, Funktionsweisen überprüft, Aktionsspielräume präzisiert oder Errungenschaften beschrieben, bestätigt, modifiziert oder verworfen werden. Die in der Kunstpraxis aufgetretenen Praktiken des Beschreibens und Beobachtens (Klein 2014b) finden sich als Vermittlungspraktiken wieder.
E xplorieren und Reflektieren als Kunst-, Ausprobieren und Auswerten als Vermittlungspraktiken In der Entsprechung dieser beiden Praktiken-Komplexe wird die Verwobenheit der Kunst- und Vermittlungspraxis besonders offensichtlich. Als Grund für die Verquickung eines erfahrungsorientierten Ansatzes mit reflexiven Formen des Austausches nennt Schad „das Partizipatorische, dass jeder sich damit identifiziert, dass jeder auch mitteilt wie er sich gefühlt hat oder – wie er daran gearbeitet hat oder was er gefunden hat, was er erlebt hat. Also wenn es um einen experiential approach, um Erfahrungsansätze geht.“10
Erfahrungsansätze, reflexive und partizipative Praktiken bedingen einander für Schad, was dem Praktiken-Komplex Ausprobieren, Auswerten und Teilhaben/Teilnehmen entspricht. Dabei geben Gespräche Raum, um Erfahrungen zu formulieren, sich „mitzuteilen“, wobei auch der Kollektivgedanke bedeutsam ist: „Wenn sich da jeder angesprochen fühlt, kommt da natürlich ein ganz andres Potenzial danach zustande, dass da jeder an diesen Sachen arbeitet, oder dass man sich sagt, unter diesem Motto machen wir jetzt noch mal einen Durchlauf, weil das und das für viele nicht so gut funktioniert hat.“
Auf welche Arten und Weisen explorative und reflexive Anteile die restlichen choreografischen Praktiken durchziehen und die gesamte Vermittlungspraxis prägt, wurde bereits dargestellt.
10 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Partizipieren als Kunst- und Teilhaben/Teilnehmen als Vermittlungspraktik; Aushandeln als Kunstund Vermittlungspraktik Eine weitere markante Schnittmenge zwischen Kunst- und Vermittlungspraktiken findet sich in der Entsprechung von Partizipieren und Teilhaben/Teilnehmen11 in kollektiven Arbeitsweisen, zum Beispiel beim Kooperieren, beim Fluktuieren von Funktionen und beim Bilden von Gemeinschaft. Sie sind aus der künstlerischen Perspektive ebenso zentral wie aus der Perspektive der Vermittlungspraxis und unterliegen Aushandlungsprozessen, die ebenfalls als Kunst- und Vermittlungspraktik auftreten. Da diese Praktiken stark ineinandergreifen, werden sie hier zusammen behandelt. Das selbstinitiierte Abgeben der Autorschaft seitens der Künstler/innen, welches von der Tanzwissenschaft als dehierarchisierend eingestuft wird (Brandstetter 2010b; Husemann 2006), findet sich in Projekt 1 eher als Reaktion denn als Aktion. Es ist dort nicht Ausdruck einer kollektiven Zusammenarbeit zwischen Choreografin und Schüler/ innen, aber bezeugt eine temporäre Irritation und die mögliche Veränderbarkeit existierender Machtverhältnisse. Innerhalb der Gruppe der Mitwirkenden von Projekt 1 und 2 finden sich kollektive Arbeitsweisen mit einer geteilten und multiplen Autorschaft (Brandstetter 2010b) in der Vermittlungspraxis immer dann, wenn eigenständig Interaktionsordnungen erzeugt werden, Verantwortung für das Gelingen der Praxis übernommen wird, die Kommunikation von verschiedenen Personen angeleitet oder moderiert wird und Entscheidungen ausgehandelt werden. Hier wird das Mit-Teilen zur Basis von Entscheidungen, wie es Brandstetter im Kunstkontext formuliert. Diese komplexen Abstimmungsprozesse sind nicht nur Bestandteil der choreografischen Praxis, sondern auch ihrer Vermittlungspraxis. Schad versteht ihre Methode, mit klaren Anweisungen zu arbeiten, in deren Rahmen die Gruppenmitglieder ihr Eigenes einbringen können, als eine „collaboration, also Zusammenarbeit. Also da hab’ ich echt des Gefühl, dass das eine Co-Autorenschaft ist, aber ich weiß auch ganz genau, dass ich für‘s Konzept unterschreiben muss, Choreografie, weil es eigentlich von mir kommt, aber dann ist da trotzdem so ganz viel Autorenschaft auch da von den anderen.“12
11 | Die Vermittlungspraktik Teilhaben/Teilnehmen wurde von der Verfasserin deswegen nicht genauso wie die choreografischen Praktik als ‚Partizipieren‘ bezeichnet, um auf der Grundlage des Stufenmodells von Schröder (1995) die variierenden Grade der Selbst-, Mit- und Fremdbestimmung zu transportieren. 12 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Die fluktuierenden Funktionen der Choreograf/innen, die in den Kunstkontexten beschrieben werden (Klein/Barthel/Wagner 2011c; Foster 2011; Leeker 2003; Husemann 2009), finden sich ebenso in den Vermittlungskontexten wieder. Tossi und Schad werden in den Vermittlungsprojekten ebenso zu Initiierenden, Leitenden, Beratenden, Fragenden und Vorschlagenden. Das Hinterfragen dieser Funktionen ist in der Kunstpraxis Teil der Selbstreflexion der Formen der Zusammenarbeit. In den Vermittlungsprojekten liegt das Aushandeln der Funktionen zum einen im Verzahnen von Kunst und Schule begründet, also in einer institutionellen Dimension. Zum anderen befördern die heterogenen Aktionsfelder und Beteiligtengruppen das Fluktuieren von Funktionen, innerhalb dessen die Aushandlungs- und Verständigungsprozesse weniger aus einem künstlerischen Interesse herzurühren scheinen, sondern aus einer situationsbedingten Notwendigkeit. In jedem Falle hinterfragen sie Machtverhältnisse. Wenn Choreografie als Akt einer gemeinsamen Erfahrung von Künstler/in und Zuschauer/innen erzeugt wird, so zeigt sich in beiden Projekten, wie ebenfalls die Vermittlung als Akt der gemeinsamen Erfahrung von Künstler/in und Mitwirkenden erzeugt wird. Der für die Kunstpraxis äußerst virulente, aber auch kontrovers diskutierte Bereich der aktiven Publikumsbeteiligung in Form einer Mitbestimmung des Performanceverlaufes oder von partizipativen Rundgängen und Parcours (Primavesi 2008) wurden von Tossi und Schad zwar unabhängig voneinander zu Beginn der Choreografieentwicklungen angedacht, im Laufe beider Prozesse aber fallen gelassen. Bei Tossi bestand eine Option darin, dass die Jugendlichen für die Zuschauer/innen bei der Aufführung Hör- und Spürerlebnisse gestalten, letztendlich kam es nicht dazu, weil die Mehrzahl der Mitwirkenden eine tanzorientierte Gestaltung vorzog. Schad hatte vorgesehen, dass sich die Zuschauer/innen auf der Industriebrache zwischen den Performer/innen bewegen, entschied sich dann aber für ein Setting mit einem frontalen Verhältnis von Performer/innen und Zuschauer/innen als sie merkte, dass das Gelände zu klein war und die Anwesenheit der Zuschauer/innen ‚das Bild kaputt gemacht hätte‘ und man so ‚die choreografische Arbeit nicht verstehen würde‘. Um das Verhältnis der Kunst- und Vermittlungspraxis weiter zu spezifizieren, seien einige Vergleiche angestellt: Ebenso wie die „Vollzugsform“ (Mersch 2002: 238) der performativen Kunst „die Inter-Aktion“ (ebd.) ist, ist die Vollzugsform der Vermittlung die Interaktion, die in der vorliegenden Arbeit als ‚multidirektional‘ bezeichnet wird. Ebenso wie es Mersch zufolge in der performativen Kunst „nur Beteiligte“ (ebd.) auf der Bühne des Ereignisses gibt, sind auch im Vermittlungsereignis immer alle als ‚Beteiligte‘ und somit als Vermittelnde anzusehen. So wie es nach Mersch keine Rezipienten oder Zuschauer gibt, sondern diese immer als ‚Beteiligte‘ in das Geschehen verwickelt sind und dieses gemeinsam verantworten, so verantworten alle Beteiligten die von ihnen erzeugte Vermittlungspraxis. Ebenso wie an die Stelle der Intentio-
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nalität für Mersch eine Responsivität tritt und es „keine Nicht-Teilnahme, kein Nichtverhalten zum Ereignis“ (ebd.: 239) gibt, haben alle an der Vermittlungspraxis teil, unabhängig davon, ob sie in expliziter Weise ‚aktiv‘ werden oder in impliziter Weise Auskünfte geben, wie durch Abwesenheit, Mimik, Gesten, Blicke, Körperverhalten oder Gefühlsäußerungen. Eine weitere Schnittmenge bildet die Reflexion der Beziehung des Individuums zum Kollektiv (Siegmund 2010). Sie kommt in den Erfahrungsbeschreibungen der Mitwirkenden der untersuchten Projekte zum Ausdruck und kommt auch in Schads Vermittlungspraxis immer wieder zur Sprache: Schad: „Es ist schönes Material und ich seh’ euch jetzt auch wirklich zusammen im Material – dass das Vokabular bei den einzelnen Leuten verstanden ist und bei jedem. [...] Und das ist tatsächlich Einzelarbeit und kollektive Arbeit. Das ist jeder, der bei sich selber gucken muss und gleichzeitig das Verständnis, dass es von hier nach dort weiter geht. [...] Wie toll das kommuniziert in der ganzen Gruppe und trotzdem macht jeder sein Eigenes.“
Die Wichtigkeit jedes Einzelnen und dessen Einbindung in die gesamte Gruppe zeigt sich in der Vermittlungspraktik Teilhaben/Teilnehmen unter anderem beim Involvieren und Involviert-Sein, beim Weitergeben von Aufgaben und Hinweisen oder beim Sharing. Das Gemeinsame und Kollektive steht nicht im Widerspruch zur Individualität, vielmehr befördern sie einander und lassen das Erfahrungswissen und Fachwissen aller zirkulieren. Jede/r ist im Rahmen der gemeinsam ermittelten Vereinbarungen für seine/ihre Entscheidungen verantwortlich und wenn jede/r diese Verantwortung ernst nimmt, dann entsteht daraus etwas Gemeinsames. Für Schad ist community ein gruppeninternes Geschehen und entsteht in der gemeinsamen Praxis: „Ich will nicht eine community schaffen. Das will ich nicht. Das stellt sich her über die Praxis. Das ist ein Unterschied. [...] Die Gemeinschaft liegt in der Praxis drin.“13 Dieses Verständnis entspricht, erstens, der Argumentation von Eikels, für den das Kollektive zur Wirklichkeit gehört und eine politische Praxis nicht hervorbringt, sondern in ihrer Verwirklichungsbewegung selbst besteht (Eikels 2013). Zweitens entspricht es der Aussage von Bojana Kunst, Choreografie inszeniere nicht Gemeinschaften, sondern erzeuge sie und diese Art der Mobilisierung von Körpern könne ein Teil der demokratischen und politischen Praxis sein (Kunst 2014). Für Schad entsteht diese in besonderem Maße bei der Arbeit mit Bildern und Zuständen von Entwicklungsphasen aus der Embryologie, da am Anfang unserer Entwicklungsgeschichte noch keine Hierarchien bestehen. Wenn die Performer/innen mit Bildern aus der Em13 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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bryonalentwicklung arbeiten, wie das in Hinter den Gärten der Fall war, sich in diese Zustände hinein versetzen und diese Entwicklungsstufen gleichzeitig auch von Schad verbalisiert werden, so entsteht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Schad stellt die These auf, dass bei der Arbeit an embryonalen Zuständen, also dem Zurückgehen zu dem „wo wir herkommen, dass da ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Gleichwertigkeit in der Anlage drin ist“,14 was die Erzählungen der Performer/innen bestätigen. Diese Gemeinschaftsbildung erfährt durch das Besetzen der Industriebrache im öffentlichen Raum noch eine Weiterentwicklung und Intensivierung, denn alle proben und performen trotz Nässe, Wind und Kälte weiter. Die Intensität der körperlichen Auseinandersetzung, die auf dem matschigen Gelände gefordert ist, wird zum „Widerstand gegen die Natur“, wie Schad in der Probe sagt und stärkt das Gemeinschaftsgefühl, wie die Erzählungen der Performer/innen zeigen. Das kommt der Zuschreibung von Bojana Kunst nahe, körperliche Praktiken besäßen die Möglichkeit der politischen Partizipation und Solidarität. Ebenso scheint sich hier Siegmunds Aussage zu verwirklichen, Choreografie könne einen gesellschaftlichen Körper herstellen, indem sie einzelne Körper in eine Gesamtstruktur einbinde und damit Körper und Gesetz zu ‚temporären Gemeinschaften‘ verbinde (Siegmund 2010). Gleichzeitig stelle sie deren Funktionieren auf die Probe, worin Siegmund ein politisches Moment sieht. Schad sagt zu der Gemeinschaftsbildung, die in der Praxis von Hinter den Gärten entsteht: „Das ist Politik für mich, political implication. So, und dass ich da eben auch einen Widerstand sehe. [...] Da, wo man was verteidigt, ’ne Art und Weise zu arbeiten zum Beispiel“. Hierin lässt sich bereits eine Antwort auf Kleins Frage sehen, wie Choreografie als kritische Praxis eine Form des Widerstands leisten könne (Klein 2011). In einem Gespräch mit den Performer/innen konkretisiert Schad ihre Position: „Wir schreiben mit der Form des Choreografischen und der körperlichen Praxis, aus der diese Form entsteht, einen passiven Widerstand in den öffentlichen Raum“.15 Passiv zeigt sich in Hinter den Gärten 14 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. 15 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview. Schad führt ihre Argumentation in einem Statement zur Produktion Hinter den Gärten noch weiter aus: „Gemeinschaft bedeutet Praxis und findet Form in der Choreografie. [...] Diese Praxis ist ein Lernorgan, gemeinschaftsbildend, und erlaubt uns, den Körper – wie die Realität – wieder neu zu denken; sie ist eine Suche nach dem Potential des (tanzenden) Körpers als Ort des Widerstands und des Zusammen-Seins; oder sie ist der Entwurf eines utopischen Gesellschaftsmodells, welches Subjektivität innerhalb von Kollektivität zulässt“ (Schad 2016). Das Thema des Widerstandes behandelt sie ebenfalls in Bezug zur „Embryology as Choreography“: „[…] sharing experience-based work and knowledge of the body/dance with all kinds of people was one thing. Realizing
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aus Sicht der vorliegenden Studie als künstlerische und pazifistische choreografische Praxis des temporären Einschreibens von Bewegung in den urbanen Raum. Schad hinterfragt mit ihrem Begriff des ‚passiven Widerstandes‘, wie sich dieser von einem ‚kämpfenden‘ abgrenzen lässt. In den Proben wird unter anderem diskutiert, wie sich die Kraft des kollektiven Zusammenhaltes dieser Gruppe, die im Einvernehmen aller ihre choreografische Praxis fortsetzt, von der Kraft einer Militärparade unterscheide. Schad grenzt diese als eine „übergestülpte Einheit“ von dem absoluten Gegenpol „einer Utopie, die an etwas Gemeinsamem arbeitet“ ab. Die temporäre künstlerische Transformation des urbanen Raums schreibt sich als Protest gegen die kommerzielle Vereinnahmung dieses Raums in ihn ein und nimmt damit eine politische Dimension an. In Anlehnung an Eikels ließe sich sagen, diese choreografische Praxis verhandelt eine kollektive Praxis als politische Praxis (Eikels 2013). Auch die besondere Bedeutung des Vertrauens (Ploebst 2007; Eikels 2007) im Zusammenhang mit Gemeinschaftsbildung wird in beiden Kontexten thematisiert.
Kollaborieren und intermediales Arbeiten als Kunst- und Vermittlungspraktiken Die intermedialen Arbeitsweisen wurden als Schnittmenge der Kunst- und Vermittlungspraxis zu Beginn dieses Kapitels bereits als Merkmal des erweiterten Choreografiebegriffes erwähnt. Durch ihre interdisziplinäre Kollaboration hinterfragen die Choreografin, der Landschaftsarchitekt, der Sounddesigner und die Gruppe der Performer/innen in Projekt 2, wie Bewegung in den verschiedenen Medien erfahrbar wird. Erstens ordnen sich die ununterbrochen interagierenden Körper der dreißig Performer/innen immer wieder in ihrem Verhältnis zueinander um und bilden Gruppenkörper. Zweitens untergliedern die Rollrasen und Blumentöpfe choreografierend den Raum und ordnen ihn um. Drittens verfremdet und sampelt der Sound-Designer Geräusche des Aufführungsortes wie das Rauschen der Bäume, das Prasseln des Regens und den Lärm vorbeifahrender Züge und mischt diese im Moment der Aufführung mit Life-Geräuschen. Die Lautsprecher sind, unsichtbar, rund um die Brache und das Publikum verteilt. Der Sound „wandert“ und erzeugt eine „Verräumlichung“16 des Klangerlebnisses. Diese Verquickung von realen und eingespielten Soundfragmenten irritiert die zeitliche Einordnung und räumliche that this way of working from body to consciousness and vice versa brings back the potential for the body/dance to be a site of resistance, as much as for an emerging community (to be a site for resistance) was another“ (ebd. 2013: 282). 16 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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Verortung (Barthel 2015). Auch Projekt 1 ist von intermedialen Arbeitsweisen geprägt, in diesem Fall von Sprech- und Bewegungsaufgaben sowie Schreib aufgaben. Die Gruppenmitglieder kreieren Hörstücke, schreiben Hörprotokolle, verschaffen sich gegenseitig Tast- und Hörerlebnisse und verarbeiten diese verbal und schriftlich. In der Aufführung dominiert eine Kombination aus Text- und Bewegungsfragmenten. Ebenso findet die Vermittlungspraxis zu einem Großteil intermedial statt, sowohl im Wechsel von formulieren, veranschaulichen und berühren als auch in der Gleichzeitigkeit beim intermedialen Beispielgeben sowie in den Notationsformen.
Notieren/Erinnern als Kunst- und Aufrechterhalten als Vermittlungspraktik In dieser Praktik entsprechen Kunst- der Vermittlungspraxis einander in besonderem Maße. Wenn Tanzwissenschaftler/innen Choreografie unter anderem als Raumschrift in Bewegung, als Kunst des Dokumentierens (Klein 2011; Siegmund 2010) und als Versuch der Sichtbarmachung (Haitzinger 2008) verstehen, so zeigt sich diese Verknüpfung in Schads Score und Tossis Themen- und Szenenzetteln ebenso wie bei einer Schülerin, die ihre eigene Form der Notation entwickelt. Sie bewahren Vereinbarungen und entfalten sie als Artefakte zugleich (Brandstetter 2010c) und bestehen aus Textfragmenten, narrativer Zeichnung, bildlicher Darstellung und räumlichen sowie zeitlichen Informationen. Sie können als Verbildlichung von choreografischem Denken angesehen werden (Brandstetter/Hofmann/Maar 2010) und sind gleichermaßen Choreografie- und Vermittlungsmethoden.
Dekonstruieren als Kunstpraktik Dekonstruktive Verfahren der künstlerischen Praxis stellen Sinnzusammenhänge zur Disposition und verlagern die Bedeutungszuweisung auf den Zuschauer (Jeschke 2000). Ebenso sind die Mitwirkwenden der in der vorliegenden Studie behandelten Projekte aufgefordert, ihre eigenen Bedeutungs- und Sinnzuweisungen vorzunehmen. Das bezieht sich sowohl auf den Sinn der choreografischen Praxis als auch auf die Interpretation des Stückes. Dekonstruktion auf der Ebene der Materialgenerierung zeigt sich in Projekt 1 im Umgang mit realen, öffentlichen, privaten und imaginierten Räumen, in denen Bewegungsgewohnheiten unterlaufen und neu kombiniert werden. Die Verflechtung des Textes mit dem Bewegungsmaterial entsteht auf aleatorische Weise (Klein 2011), da der Text erst am Aufführungstag zur Verfügung steht. Das Stück lässt keine erzählerische Kontinuität erkennen, sondern stellt Bewegungs- und Textfragmente assoziativ nebeneinander (Thurner 2007). Die Dramaturgie von Projekt 2 folgt der Embryonalentwicklung, wie bereits aus-
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geführt wurde, zielt aber nicht darauf ab, dass sich diese den Zuschauer/innen erschließt, sondern ist Schads Aussagen zufolge assoziativ angelegt und stellt Inhalte über Bilder und Anordnungen her. Schad geht es nicht um „Eindeutigkeit“, sondern um ein Angebot, „in dem Freiräume sind, Räume freigesetzt werden“.17 Im Erzeugen der Soundcollage, die bereits beschrieben wurde, findet sich eine weitere Praktik der Dekonstruktion (Mühlemann 2007), indem Zeit und Raum neu kombiniert und damit Wahrnehmung hinterfragt wird. Das Dekonstruieren ist die einzige Praktik des Choreografierens, die nicht als Praktik des Vermittelns in Erscheinung tritt.
6.3 Choreografievermittlung als selbstreferenzielle Erfahrungspraxis Die Analyse des empirischen Datenmaterials macht deutlich, dass die multidirektionalen Vermittlungsprozesse gegenüber den unidirektionalen überwiegen. Dieses Ergebnis vergegenwärtigt, dass das Weitergeben von Wissen in den untersuchten Fallbeispielen nur einen marginalen Teil ausmacht und mit anderen Bedeutungsvarianten wie zugänglich machen, zur Verfügung stellen eines Mittels, sich verständigen, Vereinbarungen treffen, Einigungen erzielen, wechselseitige Anerkennung und der Arbeit mit Konflikten und Widersprüchen koexistiert. Daraus folgt, dass die Vermittlungspraxis der untersuchten Beispiele nicht vornehmlich als intentionaler Wissens- und Kompetenztransfer praktiziert wird, sondern in ihrer Selbstbezüglichkeit als Erfahrungspraxis besteht. Eine selbstreferenzielle Erfahrungspraxis zeichnet sich durch multidirektionale, explorative, emergente und reflexive Anteile aus. Die Erkenntnisse der Relationalität und der Erfahrungspraxis sollen nun in die gegenwärtige Tanzvermittlung, Kulturelle Bildung und die Kritische Kunstvermittlung eingebunden werden. Die Relevanz der Erfahrungspraxis sowie des Zusammenwirkens von Exploration und Reflexion schließt an ein Verständnis von Tanzvermittlung als offenem Prozess an (Klinge 2010) und wird von Vertreter/innen der Tanzpädagogik gefordert (Fleischle-Braun et al. 2006; Fleischle-Braun 2012; Stern 2012; Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012). In der Vermittlungspraxis der beiden untersuchten Projekte finden sich zentrale Themen der Tanzvermittlung verwirklicht: die Beteiligten haben an künstlerischen Kreationsprozessen auf der Grundlage von Verantwortlichkeit teil, eine Erfahrungspraxis stellt den Erlebnischarakter in den Vordergrund und es besteht eine Verbindung von prozess- und produktionsorientierten Arbeitsweisen. Sie generieren Sinneser17 | Diese Äußerung stammt aus einem im Rahmen der Forschung durchgeführten Interview.
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fahrungen, erleben Explorations-, Reflexions-, Festlegungs- und Aneignungsprozesse und erzeugen in Verständigungs- und Aushandlungsprozessen soziale Beziehungsgeflechte, die aus variierbaren Graden der Selbst-, Mit- und Fremdbestimmung bestehen. Eine derart ausgerichtete Choreografievermittlung erkennt ihre Unabgeschlossenheit, Kontext- und Personenbezogenheit an und schließt an Egers unabgeschlossenen Qualitätsbegriff an. Dieser bezieht verschiedene Dimensionen von Qualität sowie Veränderbarkeit ein und entsteht im Dialog zwischen den Beteiligten Partnern (Eger 2012). Multidirektionale Erfahrungspraxis mit explorativen, emergenten und reflexiven Anteilen weist ebenfalls Schnittmengen mit Klinges offenem Bildungsbegriff auf. Ihr zufolge ist Bildung konflikthaft, stellt Gewohnheiten in Frage und irritiert, kann gegebenenfalls zu Grenzüberschreitungen führen und in eine Um- oder Neuordnung und -deutung von Erfahrungen münden. Sie beinhaltet aktive sowie kritische Momente und ist unabgeschlossen (Klinge 2014a). Diese Zuschreibungen finden sich in den Vermittlungspraktiken und -methoden wieder, im Ausprobieren, Auswerten, Aushandeln, im Hinterfragen von Funktionen, im Umdeuten und Umlenken, um nur einige Beispiele zu nennen. Daraus lässt sich schlussfolgern: so wie Bildung nicht organisiert werden kann (ebd.; Bäcker 2008), lässt sich Vermittlungspraxis nicht organisieren – sie muss praktiziert werden. Bisher existieren in der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Tanzvermittlung Leitfäden mit Gelingensfaktoren (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012), methodische Arrangements (Freytag 2011), Handlungsempfehlungen und Gelingensfaktoren (Behrens 2012), Arbeitsprinzipien als Handreichung (Mörsch 2014)18 sowie Qualitätskriterien (Eger 2015). Die optionalen Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde der vorliegenden Untersuchung können diesen zur Seite gestellt werden. Sie verstehen sich parallel dazu, da sie losgelöst von Qualitätskriterien entwickelt wurden. Sie folgen keinem bildungspolitischen Interesse an der Steigerung der Rentabilität von Tanzvermittlungsprojekten zum Kompetenz- und Wissenserwerb. Wenn von den Vermittelnden der „flexible, variable Einsatz von verschiedenen Methoden“ (Fleischle-Braun et al. 2006: 56) gefordert wird und an sie der Anspruch formuliert wird, „den Umgang mit Ungewissem zu akzeptieren und sich Aufgeschlossenheit für Unerwartetes zu bewahren“ (ebd.), so geben die optionalen Aufmerksamkeitslenkungen hierfür differenzierte Anregungen. Sie führen Mörschs Ansatz aus der Kulturvermittlung (2014) weiter, der einen reflexiven, produktiven und professionellen Umgang mit den Spannungsverhältnissen der heterogenen Aktionsfelder als Qualitätsmerkmal von Vermittlerpersonen
18 | Diese sind nicht speziell für Tanzvermittler/innen konzipiert, sondern für Kulturschaffende allgemein, können aber gewinnbringend im Tanz angewendet werden.
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setzt und nicht ihre fachlichen, pädagogischen, didaktischen und methodischen Kompetenzen. Künstlerische Arbeit im Bildungskontext, die in der institutionellen Dimension ‚von Kunst aus‘ gedacht ist und in der inhaltlichen Dimension Vermittlung als relationales Geschehen praktiziert, beruht auf der Tatsache, dass die Beteiligten mit ihren jeweiligen Erfahrungs- und Wissensbeständen die ihnen adäquate Vermittlungspraxis in ihren Interaktionen erzeugen.19 Damit erkennt sie die Unterschiedlichkeit der Expertise der Beteiligten als Fakt an. Die situations-, personen- und kontextbezogene Konstellation multipler Kompetenzen ist gewollt und wird als Chance genutzt.20 Wenn die Expertise aller Beteiligten das spezifische Interaktionsgefüge der jeweiligen Zusammenarbeit prägt, in der die Grade der Teilhabe und Teilnahme, der Mit-, Selbst- und Fremdbestimmung situativ ausgehandelt werden, kann Vermitteln als ‚Spiel gegenseitiger Anerkennung‘ praktiziert werden. Die Beteiligten können sich mit Widersprüchen und Konflikten konstruktiv auseinandersetzen und sie als Bestandteil ihrer Vermittlungspraxis gestalten. Eine derart ausgerichtete Vermittlungspraxis sowie der Nachweis der Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis beim Choreografieren, den die Studie vorlegt, können Beiträge leisten, um die Differenz zwischen den Systemen Kunst und Schule (Bundesverband Tanz in Schulen e.V. 2012), Kunst und Bildung (Eger 2015) sowie Kunst und Pädagogik (Howahl/Tiedt 2008) nicht als Konflikt und Dilemma anzusehen, sondern als konstruktive Dynamik auf einem Weg zu mehr Verwobenheit.
19 | In Bezug auf den Tanz nehmen Bietz/Heusinger die Aufarbeitung eines ‚relationalen Bildungsbegriffes‘ in der ästhetischen Bildung vor. Sie gehen davon aus, „dass sich Bildung grundsätzlich in der tätigen Auseinandersetzung von Mensch und Welt realisiert“ (Bietz/Heusinger 2010: 58) und verstehen Bildung als Erzeugungsprozess und konstruktiven Vorgang. 20 | Ein multiperspektivischer Ansatz findet sich auch in Ingo Diehls Verständnis von Tanzbildung im Kontext des Studiengangs MA CoED Masterstudiengang Contemporary Dance Education in Frankfurt. Die Studienziele machen die Verbindung von künstlerischen und tanzpädagogischen Zielen stark. Wenn Diehls Aussage zufolge Studierende in einer Tanzausbildung als Forscher/innen, Künstler/innen und Vermittler/innen aktiv sind und als solche auch verstanden werden, dann entsteht eine „Tanzbildung, die jenseits einer direkten Wissensvermittlung durch Lehrende als Transmitter liegt“ (Diehl 2014: 209).
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Choreografievermittlung und Kreativität Wie im dritten Kapitel beschrieben, expandiert Kreativität im Zuge der Positivbewertung von Individualisierungs- und Ästhetisierungsprozessen zum psychologischen Lebensprogramm vieler Menschen, nicht nur der Künstler/ innen, und befördert den Wunsch nach Selbstverwirklichung (Reckwitz 2012, 2013a,b). Die ästhetische Sozialität stellt das Affiziertsein in sinnlich-ästhetischen, und damit selbstreferenziellen Ereignissen in den Mittelpunkt und trägt zum Interesse breiter Bevölkerungsschichten an der Teilhabe an Tanzprojekten als Kreationssubjekt, ästhetisch performatives Subjekt und Publikumssubjekt bei. Die Verbindung dieser Subjektpositionen weicht die Abgrenzung zwischen Professionellen und Laiendarsteller/innen sowie Laien- und Profikunst auf und schafft Raum für die Partizipation von Künstler/innen, einem interessierten Publikum und der am Kreativmarkt beteiligten Institutionen. Choreografische Praktiken finden sich im Lebensalltag, in der Freizeitbeschäftigung, der Schule, Bildungspraxis und der Kreativökonomie. Das Kunstereignis wird zum Einzigartigen, Neuen, Anderen und bildet hierin seinen speziellen Reiz. Aus dieser Gesamtsituation lässt sich schlussfolgern, dass Tanz- und Choreografieprojekte boomen, da sie einem zentralen Paradigma unserer „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 1992) entsprechen: sie ermöglichen eine auf körperlicher Erfahrung beruhende sinnlich-ästhetische Erlebniskultur. Wodurch zeichnet sich nun eine kreative Person im gesamtgesellschaftlichen Dispositiv, in der Tanzerziehung und in der Choreografievermittlung, die in der vorliegenden Studie expliziert wurde, aus? Seit der Tanzerziehung der 1970er Jahre liegen Ziele der Tanzpädagogik unter anderem darin, das kreative Potential jedes Individuums zum Zweck der Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und innere Empfindungen zum Ausdruck zu bringen und in eine darstellerische Form zu überführen. Im gegenwärtigen Kreativitätsdispositiv besteht Persönlichkeitsentfaltung in einer ständigen Selbsterneuerung als Selbstzweck. Kreativ zu sein ist Teil eines life-style und dient vor allem der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kreativen und weniger dem Ausdruck von Individualität. Denn, um zur community der Kreativen zu gehören, muss eine Person nicht zwangsweise selbst kreativ tätig sein, sondern kann daran teilhaben, indem sie von Kreativen produzierte Artefakte wie Accessoires, Kleidung oder Möbel in ihren life-style integriert. In der Vermittlungspraxis der in dieser Studie untersuchten Projekte sind beide Aspekte, das Individuelle und das Kollektive von Relevanz. In einer relationalen und damit multidirektionalen, emergenten, explorativen und reflexiven Vermittlungspraxis möchte und muss eine kreative Person bereit und fähig sein, Individualität einzubringen, Entscheidungen zu treffen und als Teil des Kollektivs zu kooperieren. Selbstentfaltung entsteht in der Herausforderung, fortwährend das Individuelle mit dem Kollektiven abzustimmen. Mehrere Vermittlungsmethoden der Praktik Teilhaben/Teilnehmen zeugen
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davon: Individuum und Kollektiv verbinden, Gemeinschaft bilden, kollektive Arbeitsweisen der Mitwirkenden, Sharing, Kooperieren. Ebenso seien das Verzahnen, Anpassen und Aufgreifen beim Ausprobieren genannt. Die Jugendlichen bringen eigenes Bewegungsmaterial ein und kooperieren unter anderem beim eigenständigen Erzeugen ihrer Interaktionsordnungen. Die Performance der Erwachsenen entsteht durch die individuellen Entscheidungen der Darsteller/innen bei gleichzeitigem Kooperieren in der Gruppe. Ob die Verbindung von Individuum und Kollektiv als Dichotomie erlebt wird oder nicht, ist wiederum relational und hängt vornehmlich von folgenden Komponenten ab: den Beteiligten, ihren Beweggründen, Sinnzuschreibungen, Motivationen und Erwartungen, der Temporalität, den situationsadäquaten Kombinationen und Gewichtungen der Vermittlungspraktiken und -methoden sowie den multidirektionalen, explorativen, emergenten und reflexiven Anteilen. Auch wenn in den beiden Projekten unterschiedliche Erscheinungsformen und Entwicklungen entstehen und Auseinandersetzungen zwischen individuellen und kollektiven Priotitäten mal konfliktreich ablaufen oder als ergänzend erlebt werden, bildet die Suche nach dem Erleben von Gemeinschaft ein wichtiges Element. In der untersuchten Vermittlungspraxis kommen mehrere „Eigenschaften einer kreativen Person“ (Kirchner/Peez 2009: 11) aus der Kreativitätsforschung zum Tragen: Fluktualität, Flexibilität, Elaboration, Sensitivität, Komplexitätspräferenz und Ambiguitätstoleranz. Die Originalität wurde in der Vermittlungspraxis der beiden Choreografieprojekte nicht als relevante Fähigkeit expliziert. Im Zuge des Kreativitätsimperativs gerät die choreografische Vermittlungspraxis vermehrt in Vermarktungskontexte und sieht sich Tendenzen der Instrumentalisierung des Kreativen und der Kreativen ausgesetzt: Durch die Interventionen von Künstler/innen im Bildungskontext entsteht eine Ausdehnung der Kunst in die Kulturelle Bildung und heterogenisiert das Vermittlungsfeld. Tanzförderprogramme nehmen institutionelle und politische Aufmerksamkeitslenkungen auf die Vernetzung der Kunst mit dem Bildungssystem vor und fördern damit die Verbreitung von Tanz, die Teilhabe an Kultureller Bildung, schaffen Arbeitsfelder und heterogenisieren den künstlerisch-edukativen Arbeitsmarkt. Der Teilhabe an Tanzprojekten werden seitens der Bildungspolitik positive Outputwirkungen zugesprochen. Die Steigerung kreativer Fähigkeiten sowie sozialer Kompetenzen und des Selbstvertrauens sowie die Unterstützung von Lernprozessen werden nicht nur gepriesen, sondern münden in einen Anspruch. Wenn Künstler/innen Vermittlung als selbstbezügliche Erfahrungspraxis ausüben und diese als solche auch reflektieren und diskursivieren, dann machen sie sich nach Ansicht der vorliegenden Studie weniger anfällig für Instrumentalisierungstendenzen und können sich existierenden Machtverhältnissen eher entziehen. Je mehr die Künstler/ innen in ihrer Vermittlungspraxis einem Kompetenz- und Wissenserwerb die-
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nen, desto mehr lassen sie sich von der Bildungspolitik instrumentalisieren und stärken deren Prioritäten. Vertreterinnen der Tanzpädagogik wehren sich bereits gegen eine Instrumentalisierung der Tanzvermittlung als Allheilmittel gegen Bildungsnotstände (Klinge 2014b). Wenn Tanz- und Choreografievermittlung verstärkt auch vom tanzpädagogischen Diskurs als selbstbezügliche Erfahrungspraxis ausgewiesen, propagiert und mitgetragen wird, dann befördert diese Reflexivität zweiter Ordnung eine kritische Tanz- und Choreografievermittlung.
Choreografievermittlung und Teilhabe Als prägnante Schnittmenge hat sich die Teilhabe erwiesen, denn sie findet sich als relevantes Thema in der Kunst, der Kulturellen Bildung, der Tanzvermittlung, der Kritischen Kunstvermittlung, der Vermittlungspraxis der untersuchten Projekte sowie der Reflexion der begleiteten Choreografinnen. Doch das Versprechen der Partizipation wird längst nicht mehr nur euphorisch, sondern auch kritisch betrachtet. Mörsch deckt die Unmöglichkeit einer Kooperation auf Augenhöhe auf (Mörsch 2012), da Institutionen wie Museen, Veranstalter von Tanzprojekten, Choreografische Zentren oder Theater von vorneherein aus Machtpositionen heraus agieren. Ebenso bringen die Beteiligtengruppen in ihren Funktionen als Choreografin/Projektleitung auf der einen Seite und Schüler/innen/Darsteller/innen auf der anderen Seite bestehende Hierarchieverhältnisse in die Vermittlungspraxis ein. Für die Veranstalter/ innen und Choreograf/innen bedeutet das, sich ihrer machtvollen Positionen bewusst zu sein und die Bereitschaft mitzubringen, diese in der inhaltlichen und institutionellen Dimension als verhandelbar zur Diskussion zu stellen. Das Beziehungsgefüge, in dem Choreografievermittlung stattfindet, ist durch ein Hierarchieverhältnis von einem Singular (Choreografievermittler/in) zu einem Plural (Gruppe von Kreationssubjekten und Darsteller/innen) geprägt. Der/die Choreografievermittler/in bringt erst einmal ein Alleinstellungsmerkmal in die Praxis mit und arbeitet aus einer machtvollen Position heraus. Wie der Ansatz der Kritischen Kunstvermittlung nahelegt, können und sollen die Vermittlerpersonen mit ihrer Reflexivität erster und zweiter Ordnung dazu beitragen, die Machtstrukturen des Vermittlungskontextes selbst zu hinterfragen. Mörsch deckt die Inklusions- und Exklusionsmechanismen beim ‚Ermöglichen‘ von Teilhabe von ‚benachteiligten‘ Personengruppen an Kunsterlebnissen als bildungsbürgerliches Missionsprojekt auf. Ebenso verweigert sich Eikels dem wohlwollenden Missionarsduktus von Vermittlungsprojekten, in denen die Mitwirkenden an einem Gemeinschaftsgefühl des Kollektivs teilhaben ‚dürfen‘. Die Erkenntnisse aus seiner Analyse von partizipativen Aufführungsformaten in der künstlerischen Praxis (Eikels 2013) können auf den Vermittlungskontext übertragen werden. Auch dort lässt sich das Konzept vom
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‚Ermöglichen‘ als Überheblichkeit deuten und geht über die kollektive Wirklichkeit des Vermittelns hinweg. Die Ergebnisse der Empirie der vorliegenden Studie bestätigen Eikels Aussage, dass sich Partizipation im Vollzugsgeschehen selbst organisiert. In einem relationalen Vermittlungsgeschehen agieren die Gruppenmitglieder partiell und temporär eigenständig und involvieren sich selbst, partiell werden sie involviert, sie befähigen sich partiell und temporär selbst, anstatt befähigt zu werden, sie erzeugen ihre eigenen Interaktionsordnungen und übernehmen Verantwortung. Die Schüler/innen ermöglichen sich mit ihren Beiträgen, körperlichen Verhaltensweisen, ihren Gefühls- und Meinungsäußerungen, mit ihren Fragen, Wünschen und Verweigerungen selbst ihre choreografische Praxis, wie sich in der Verlagerung der intermedialen zu tänzerischen Arbeitsweisen in Projekt 1 zeigt. In diesen Prozessen wird Vermitteln als relationales Geschehen kenntlich. Ebenso wie Partizipieren mit Eikels Worten so oder so stattfindet, findet Vermitteln statt, so oder so. Es geht nicht darum, den Raum für Partizipationsgelegenheiten von oben herab aus der institutionellen Dimension zu ermöglichen, sondern ihn mit verantwortlichen Entscheidungen im Vollzugs- und Interaktionsgeschehen zu strukturieren. Verantwortliche Entscheidungen sind den Ergebnissen der vorliegenden Studie zufolge situations-, personen- und kontextadäquate Entscheidungen, die in einer Mischung aus uni- und multidirektionalen Prozessen entstehen. Vermitteln als relationale Praxis bedeutet ein verantwortliches Kombinieren und Gewichten der Relate eines Vermittlungsgeschehens. Eine multidirektionale Vermittlungspraxis bedeutet in der personellen Dimension, die Funktionen des Künstlers und Vermittlers zusammen zu denken. Daraus folgt als entscheidende Erkenntnis: In einer relationalen Vermittlungspraxis obliegt nicht nur denjenigen, die Partizipation organisieren, sondern allen, die daran teilhaben, die Aufgabe, sie zu gestalten. Eine relationale Vermittlungspraxis erkennt an, dass sich lediglich Gelegenheiten von (und nicht für) Erfahrungen strukturieren (und nicht ermöglichen) lassen. Sie entziehen sich damit der Kontrolle der Initiierenden, denn sie ereignen sich in der Praxis beim Aufgabenstellen, Klären, Teilhaben/Teilnehmen, Aushandeln, Ausprobieren, Auswerten und Aufrechterhalten und den unzähligen Vermittlungsmethoden aller Beteiligten. In verantwortlichen Entscheidungsprozessen können alle Beteiligten ihr implizites sowie explizites Erfahrungs- und Fachwissen in ein veränderbares Interaktionsgeschehen einbringen – Teilhabe vollzieht sich als explorativer und reflexiver Prozess.
7. Zusammenfassung und Ausblick
Die vorliegende Studie hat sich zum Ziel gesetzt, die Anwendung eines erweiterten Choreografiebegriffes aus der Perspektive ihrer Vermittlungsprozesse zu betrachten. Ein praxeologischer Forschungsansatz ermöglichte, Vermittlungssituationen am Beispiel zweier Choreografieprojekte empirisch zu erforschen und das implizite Erfahrungswissen der Beteiligten von Vermittlung zu explizieren. Die Kombination eines Choreografieprojektes im Schul- und Bildungskontext mit einem Projekt außerhalb dieses Kontextes ermöglichte, übergreifende Vermittlungspraktiken heraus zu destillieren. Die Studie legt damit eine differenzierte Aufarbeitung der Mikroebene von Vermittlungspraxen in künstlerisch-kulturellen Kontexten vor und trägt Erkenntnisse zur Tanzkunst, -wissenschaft und -pädagogik sowie zur Kulturellen Bildung bei. Das Zusammenspiel von explorativen und reflexiven Praktiken bildet in künstlerischen ebenfalls wie in künstlerisch-kulturellen Kontexten ein zentrales Strukturelement. In dieser Entsprechung wird die Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis beim Choreografieren offensichtlich. Die Praktiken des Vermittelns Ausprobieren, Auswerten, Teilhaben/Teilnehmen, Aushandeln und Aufrechterhalten weisen deutliche Schnittmengen mit den Praktiken des Choreografierens Explorieren/Improvisieren, Reflektieren, Partizipieren, Kollaborieren und Notieren/Erinnern auf. Die Vermittlungspraktik des Aufgabenstellens findet sich in der künstlerischen Praxis als Teil des Explorierens/Improvisierens wieder und das Klären als Teil des Aushandelns. Mit diesem Befund wird choreografische Praxis als vermittelnde Praxis kenntlich und die Studie zeigt, auf welche Arten und Weisen das Vermittelnde im Künstlerischen enthalten sein kann. Der erweiterte Choreografiebegriff aus dem künstlerischen Kontext wurde auch in künstlerisch-kulturellen Kontexten praktiziert. Das Ordnen von Zeit und Raum wurde optional und nicht zwangsweise an eine tänzerische Umsetzung gebunden. Die Choreografinnen brachten intermediale Praktiken in die Zusammenarbeit ein, in denen es weder um eine Repräsentation noch um eine Narration ging, sondern sich den Zuschauer/innen Assoziationsräume für eigene Bedeutungszuweisungen öffnen. In den Arbeitsweisen bildeten
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choreografische Ordnungen und Improvisationen keine Dichotomien, sondern Potenzialitäten und zeigten sich ebenfalls im Schreiben als Notieren und Dokumentieren choreografischer Ordnungen. Bei den Schüler/innen wurde eine Veränderung in Bezug auf ihr Verständnis von Choreografie erkennbar. Sie brachten eine traditionelle Erwartung von Choreografie als tänzerischen Bewegungsvollzug zu Musik mit. Am Ende des Vermittlungsprozesses wurde Choreografie von einzelnen nicht nur auf tänzerische Bewegung, sondern auch auf Gedanken bezogen, wie beim erweiterten Choreografiebegriff. Tanz ist zwar in unserem Jahrzehnt bereits in der Kulturellen Bildung verankert, ein erweiterter Choreografiebegriff noch nicht – hierfür bedarf es weiterer Kunstals Vermittlungspraxis. Vermitteln wird den Ergebnissen zufolge in heterogenen Bedeutungsvarianten praktiziert, wenn Künstler/innen und Schüler/innen und Erwachsene in künstlerisch-kulturellen Kontexten choreografieren. Multidirektionale Vermittlungsprozesse überwiegen in beiden Fallbeispielen neben den unidirektio nalen Methoden zum Weitergeben von Fachwissen. Aus dieser Gewichtung ergibt sich, dass choreografische Praxis nicht vornehmlich als Transferleistung von einer Künstlerin an die Mitwirkenden vermittelt wird, sondern sich ver mittelt. Die Beteiligten praktizieren Vermitteln als multidirektionales Geschehen und können somit alle temporär, partiell und potenziell zu Vermittelnden werden. Vermittlung wird somit als Erfahrungspraxis der Projektleitung und Mitwirkenden erzeugt. Die Kenntlichmachung der Verwobenheit von Kunst- und Vermittlungspraxis möchte einen Beitrag leisten, um die in der tanzpädagogischen Debatte oftmals als Konflikt thematisierte Differenz zwischen Kunst und Vermittlung als Chance konstruktiv zu nutzen. Vermittlung als Erfahrungspraxis und relationales Geschehen, welches von den Beteiligten erzeugen wird, erkennt jede situations-, personen- und kontextbezogene Konstellation multipler Kompetenzen in ihrer Spezifik an. Auf diese Weise kann in der inhaltlichen Dimension die Expertise aller Beteiligten genutzt werden und Veränderungen in einer institutionellen Dimension der Systeme Kunst und Bildung anstoßen. Kritisch ist anzumerken, dass sich aus den Ergebnissen der Untersuchung von zwei Choreografieprojekten keine Verallgemeinerung ableiten lässt. Sie legen zwar einen empirischen Nachweis der Möglichkeit einer Immanenz von Kunst- und Vermittlungspraxis beim Choreografieren vor, stellen aber lediglich erste Hinweise bereit, die in weiteren Forschungen zu verifizieren, zu ergänzen oder zu widerlegen sind. In den beiden untersuchten Projekten haben sich Schnittmengen sowie Divergenzen gezeigt und legen die Vermutung nahe, dass dies auch in anderen Projekten der Fall sein könnte. Hier bestehen Möglichkeiten für Anschlussforschungen, um herauszuarbeiten, inwiefern bei anderen Choreografieprojekten gleiche, ähnliche oder zusätzliche Relate der Vermittlungspraxis auftreten und zu welchen Graden Praktiken und
Zusammenfassung und Ausblick
Ethnomethoden wiederkehren und/oder neue entstehen. Um eine spezifischere Validierung der Ergebnisse zu erzielen, könnten die Indikatoren Alter, institutioneller Rahmen und Vorkenntnisse der Mitwirkenden weiter operationalisiert und überprüft werden. Es wurde deutlich, dass die multidirektionalen Prozesse vornehmlich im situationsadäquaten Kombinieren und Gewichten ihrer Relate bestehen. Choreografische Vermittlungspraxis wurde damit als relationale Praxis identifiziert. Diese erkennt ihre Personen- und Kontextgebundenheit sowie Unabgeschlossenheit an. Sie akzeptiert ebenfalls, dass Vermitteln weder von oben herab noch im Vorhinein ‚organisiert werden‘ kann, sondern praktiziert wird, denn Erfahrungsgelegenheiten strukturieren sich in der Praxis. Sie entziehen sich damit zumindest zum Teil der Kontrolle der Initiierenden. Teilhabe vollzieht sich darin als explorativer und reflexiver Prozess. Als Konsequenz der Relationalität und Unabgeschlossenheit von Vermittlungspraxis wurden optionale Aufmerksamkeitslenkungen für Choreografievermittelnde heraus destilliert und als offener Fragenkatalog formuliert. Sie liefern Anregungen für die Herausforderungen an Choreografievermittelnde bei explorativen und emergenten Prozessen, unterstützen einen reflexiven und produktiven Umgang mit den heterogenen Aktionsfeldern und Personengruppen und spezifizieren damit Mörschs Ansatz der Kulturvermittlung in Bezug auf choreografische Praxis. Der Begriff der Tanzvermittlung hat sich als Label für ein Diskurs- und Praxisfeld mit heterogenen Ansprüchen, Konzepten, Aktionsfeldern und Personengruppen gezeigt, dessen Positionierungsbewegungen gegenwärtig noch andauern. Es wurde deutlich, wie sich Auswirkungen des Kreativitätsdispositivs in einer institutionellen, produktionsorientierten, personellen und inhaltlichen Dimension von Tanzvermittlung niederschlagen und einen Vermittlungsboom befördern. Im Zuge dessen sieht sich Tanz- und Choreografievermittlung aber auch Instrumentalisierungstendenzen ausgesetzt. Die Forschungsergebnisse der vorliegenden Studie stärken die Selbstbezüglichkeit künstlerischer Praxis im Rahmen Kultureller Bildung. Indem die Studie Choreografievermittlung als selbstreferenzielle Erfahrungspraxis aufzeigt, in der ein Wissens- und Kompetenzerwerb marginal bleibt, leistet sie einen Beitrag, um ihrer Instrumentalisierung entgegen zu wirken. Vertreter/innen der Tanzpädagogik nehmen eine kritische Reflexion der Machtstrukturen, in denen Vermittlungsprojekte stattfinden, vor und bringen sie in den Diskurs der Kulturellen Bildung ein. Ihre Beiträge sowie die Ergebnisse der vorliegenden Studie, die Choreografievermittlung als Zusammenspiel von Exploration und Reflexion ausweisen, bilden Bestandteile, um eine kritische Tanz- und Choreografievermittlung voranzubringen.
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Dank
Diese Dissertationsschrift wäre ohne die Unterstüzung vieler Menschen in meinem beruflichen und privaten Umfeld nicht realisierbar gewesen. Mein besonderer Dank gilt allen voran meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Gabriele Klein, die mir durch die Mitarbeit an dem Forschungsprojekt Der choreografische Baukasten. Entwicklung und Erprobung eines Vermittlungskonzeptes für Choreografie die Möglichkeit geschaffen hat, meine Faszination an der wissenschaftlichen Aufarbeitung choreografischer Praxis zu entdecken. Im Weiteren gab sie den Anstoß, eine Dissertation in Angriff zu nehmen und schenkte mir währenddessen fortwährend ihre Aufmerksamkeit. Ihr Vertrauen und ihre bestärkende Haltung haben mich immer wieder inspiriert und durch schwierige Phasen getragen. Ihre Hilfestellungen waren unersetzlich für das Vorankommen der Studie und die regelmäßigen Qualifikationskolloquien am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg unter ihrer Leitung wurden zu wegweisenden Schlüsselmomenten im Entstehungsprozess dieses Buches. Großer Dank gilt hier ebenfalls den Teilnehmer/innen des Kolloquiums, die mit ihren Rückmeldungen und kritischen Fragen wertvolle Anregungen gaben und mich während des gesamten Prozesses konstruktiv begleitet haben. Besonderen Dank möchte ich meinen Kolleg/innen Dr. Melanie Haller, Heike Lüken, Dr. Hanna K. Göbel, Katharina Kelter und Jonas Leifert vom Arbeitsbereich Kultur, Medien, Gesellschaft der Universität Hamburg aussprechen. Sie widmeten mir ihre Zeit und erzeugten eine offene Atmosphäre, in der ich immer nach Rat fragen konnte und hilfreiche Hinweise bekam. Die Arbeitstreffen mit ihnen sowie mit Dr. Lucia Rainer bildeten fruchtbare Wegetappen, der Austausch mit Dr. Larissa Schindler klärte methodologische Zusammenhänge. Melanie Hallers pointierte Kommentare in der Endphase sowie ihre Arbeit beim Korrekturlesen sind gesondert zu erwähnen. Intensiver Dank gebührt ebenfalls meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Wolfgang Sting für die Unterstützung, seine Hinweise lieferten wichtige Anregungen zur Verfeinerung der Argumentationslinie. Große Dankbarkeit gilt den beiden Choreografinnen: Ich danke Isabelle Schad und Ursina Tossi für die Zustimmung, ihre Projekte begleiten zu kön-
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nen. Von besonderer Bedeutung war ihre Offenheit, mit der mich beide an ihren Arbeitsprozessen teilhaben ließen – ohne ihre qualitätsvolle Choreografie- und Vermittlungspraxis wären die Ergebnisse der Studie nicht zustande gekommen. Mein Dank geht ebenfalls an die Mitwirkenden der Projekte, die mir Einblick in das Kreations- und Vermittlungsgeschehen gewährt haben und damit einen voraussetzungsvollen Beitrag geleistet haben. Eva Bernhard sei gedankt für Ihre Hilfe beim Transkribieren von Interviews, Probenmitschnitten und Gruppendiskussionen. Mein ausdrücklicher Dank gehört Sören Bachmann, dessen detailreiche und fundierte Arbeit bei der Erstellung der Druckvorlage unverzichtbar war. Als Ehemann hat er mich immer wieder aufgefangen und mir damit meinen Weg ermöglicht. Ohne seine Rückmeldungen, seine Toleranz und liebevolle Akzeptanz wäre es mir nicht gelungen, Arbeits- und Privatleben in dieser intensiven Zeit miteinander in Einklang zu bringen. Den Einstieg in eine theoretische Auseinandersetzung mit meiner Lehrpraxis und das Interesse an deren Systematisierung und Verschriftlichung bereitete mir Prof. Dr. Hans-Gerd Artus. Er ist seit vielen Jahren mein verlässlicher Begleiter und Freund, wofür ich ihm von Herzen danken möchte. Ohne ihn hätte ich sicher den Weg, der mich bis zu dieser Dissertationsschrift führte, nicht begonnen.
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Abbildungsverzeichnis1
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4:
Schnittmenge der forschungsrelevanten Themenkomplexe | 11 Methodologie der Studie | 17 Praktiken des Choreografierens | 45 Dimensionen von Tanzprojekten und Instanzen der ästhetischen Sozialität (nach Reckwitz 2012) | 81 Abb. 5: Künstler/innen als Schnittmenge der Instanzen und Subjektpositionen der ästhetischen Sozialität (nach Reckwitz 2012) und den Dimensionen von Tanzprojekten | 82 Abb. 6: Entsprechung der Subjektpositionen des Kreativitätsdispositivs (nach Reckwitz 2012) und der personellen Dimension von Tanzprojekten | 92 Abb. 7: Praktiken des Vermittelns | 109 Abb. 8: Vermittlungspraktiken und -methoden | 110–111 Abb. 9: Vermittlungsmethoden beim Aufgabenstellen | 113 Abb. 10: Vermittlungsmethoden beim Klären | 133 Abb. 11: Vermittlungsmethoden beim Ausprobieren | 147 Abb. 12: Vermittlungsmethoden beim Auswerten | 158 Abb. 13: Ausprobieren und Auswerten als zentrales Strukturelement | 167 Abb. 14: Vermittlungsmethoden beim Teilhaben/Teilnehmen | 176 Abb. 15: Vermittlungsmethoden beim Aushandeln | 190 Abb. 16: Vermittlungsmethoden beim Aufrechterhalten | 196 Abb. 17: Praktiken des Choreografierens (kursiv) und des Vermittelns | 225
1 | Alle Abbildungen stammen von der Verfasserin.
Theater- und Tanzwissenschaft Marc Wagenbach, Pina Bausch Foundation (Hg.) Tanz erben Pina lädt ein 2014, 192 S., kart., zahlr. Abb., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2771-8 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2771-2
Marc Wagenbach, Pina Bausch Foundation (eds.) Inheriting Dance An Invitation from Pina 2014, 192 p., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2785-5 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2785-9
Gabriele Klein (Hg.) Choreografischer Baukasten. Das Buch 2015, 280 S., kart., zahlr. Abb., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3186-9 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3186-3
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Theater- und Tanzwissenschaft Milena Cairo, Moritz Hannemann, Ulrike Haß, Judith Schäfer (Hg.) Episteme des Theaters Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit (unter Mitarbeit von Sarah Wessels) Oktober 2016, 664 S., kart., zahlr. Abb., 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3603-1 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3603-5
Katharina Kelter, Timo Skrandies (Hg.) Bewegungsmaterial Produktion und Materialität in Tanz und Performance Juni 2016, 396 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3420-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3420-8
Tania Meyer Gegenstimmbildung Strategien rassismuskritischer Theaterarbeit April 2016, 414 S., kart., zahlr. Abb., 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3520-1 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3520-5
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