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German Pages 214 Year 2013
JOrgen LOdlcke (Hrsg.) Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen
Forum der Internationalen Besteuerung
Band 42
Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen Herausgegeben von
Prof. Dr. jürgen Lüdlcke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Harnburg mit Beill'ägen von
Prof Dr. Jens Blumenberg Dr. xaver Ditz Prof Dr. Klaus-Dieter Drüen Prof Dr. Dietmar Gosch Prof Dr. Alexander Rust, LLM. Diskussionsteilnehmer
Hans-Henning Bernharctt Martin Kreienbaum Prof Dr. JOrgen LOdlcke und die Beitragsverfasser
2013
Verl~
Dr.OftoSchmidt Köln
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 3738-01, Fax 02211937 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61542-0 ©2013 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervieltältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfihnungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: A. Quednau, Haan Druck: Betz, Darmstadt Printed in Germany
Vorwort Fragen der internationalen Doppelbesteuerung und ihrer Vermeidung sind seit jeher eines der zentralen Themen für jeden, der sich in der Praxis oder wissenschaftlich mit der Besteuerung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen oder Personen befasst. Internationale Entwicklungen und Diskussionen, namentlich die Arbeiten der OECD, aber auch die Aktivitäten des deutschen Gesetzgebers verleihen der Thematik stets von Neuem hohe Aktualität. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der unter dem Generalthema „Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen“ stehenden 29. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung am 7. Dezember 2012 des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) der Universität Hamburg. Jens Peter Breitengroß, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, hebt in seinem Grußwort die Bedeutung verlässlicher steuerlicher Regelungen für die international orientierte deutsche Wirtschaft unter besonderem Hinweis auf das fehlende Doppelbesteuerungsabkommen mit Brasilien hervor. Peter Tschentscher, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, greift in seinem Grußwort die politisch aktuelle Diskussion um Steuerehrlichkeit und das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz auf. Dietmar Gosch beleuchtet grundsätzliche Fragen der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen in der deutschen Rechtspraxis unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Alexander Rust untersucht das Phänomen der Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung, deren unterschiedliche Ursachen sowie die Notwendigkeiten und Grenzen für ihre Vermeidung. Klaus-Dieter Drüen erläutert die aktuellen, durch die internationale Diskussion geprägten Bestrebungen einer Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen und misst sie an rechtlichen Maßstäben. Xaver Ditz befasst sich kritisch mit der – bis zum Redaktionsschluss dieses Tagungsbandes noch ausstehenden, wenngleich noch für die laufende Legislaturperiode geplanten – Umsetzung des Authorised OECD Approach in das deutsche Steuerrecht. V
Vorwort Prof. Dr. Jürgen Lüdicke
Jens Blumenberg unterzieht die jüngsten Regelungen gegen Treaty Shopping im innerstaatlichen Recht und in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen einer kritischen Würdigung. Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die sich daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Hans-Henning Bernhardt, Dietmar Gosch, Martin Kreienbaum und den Referenten. Hamburg, im Mai 2013 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke
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Grußwort Vielen Dank Herr Professor Lüdicke, sehr geehrter Herr Senator, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der Handelskammer begrüße ich Sie herzlich zu dieser 29. Tagung zur Internationalen Besteuerung. Es ist eine gut gelebte Tradition, Herr Professor Lüdicke hatte schon darauf verwiesen, dass diese Tagung bei uns in der Kammer stattfindet. Wir freuen uns darüber und sind gerne bereit, diese Tradition noch lange Zeit fortzusetzen. Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, Sie sind mit Ihren Fachleuten hier stets willkommen. Die meisten von Ihnen wissen es bereits: Da diese Tagung traditionell am ersten Freitag im Dezember stattfindet, fällt dieser Freitag ja auch hier und da auf den Nikolaustag – heute ist das ein Tag danach – und insofern hat diese sogenannte „Hamburger Nikolaustagung“ in der Börse (das ist der alte Name für unser Kammergebäude) seit nunmehr fast drei Jahrzehnten einen festen Platz im Kalender der Steuerwelt. Und ich kann Herrn Professor Lüdicke nur beglückwünschen, dass er es jedes Mal wieder schafft, eine so hochrangige Teilnehmerzahl hier zu versammeln. Eigentlich sind alle anwesend, die mit diesem Thema etwas zu tun haben. Da ergibt es sich von selbst, dass man sich in Gesprächen näherkommt und auch bestimmte Meinungsunterschiede in einzelnen Bereichen ausräumen kann. Ich bin wohl der einzige „NichtSteuerfachmann“ hier im Raum, ich bin nämlich Außenhändler durch und durch, also Betroffener vieler Ihrer Themen. Erlauben Sie mir, auch als Nicht-Fachmann einige allgemeine Bemerkungen: Sie wissen, Deutschland ist Exportvizeweltmeister – seit zwei Jahren und auch in diesem Jahr wieder wird China deutlich stärker sein – aber nicht nur in Deutschland nimmt der Trend zur Internationalisierung der unternehmerischen Aktivitäten weiter zu. Der Welthandel wächst doppelt so schnell wie die Weltwirtschaftsleistung und das geht nur, wenn die hiesigen Firmen auch im Ausland in verschiedensten Formen aktiv sind. Nach Veröffentlichungen eines Instituts für Mittelstandsforschung (wie auch immer man Mittelstand definiert) haben allein im letzten Jahr rund 300.000 deutsche Firmen erstmals den Schritt in internationale Aktivitäten gewagt. VII
Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß
Ein Drittel von diesen 300.000 ist sogar schon weiter gegangen, hat Beteiligungen, ist Joint Ventures eingegangen, entsendet Mitarbeiter ins Ausland oder verfügt über Niederlassungen im Ausland. Um erfolgreich in diesem internationalen Geschäft agieren zu können, und Hamburg spielt da bekanntermaßen eine ganz besondere Rolle, ist eine gründliche und effiziente Begleitung der Auslandsaktivitäten erforderlich. Unterschiedliche rechtliche und besonders steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten sind im Auge zu behalten. Damit gilt: Wer sich im internationalen Geschäft behaupten will, braucht Beratung und Information, um Fehler zu vermeiden und die sich bietenden Chancen zu nutzen. Wer erst durch böse Erfahrungen klug wird, hat sicherlich etwas falsch gemacht, hat Zeit, Geld und Möglichkeiten verschenkt. Besonders wichtig zu wissen ist, mit welchen Steuerthemen, Stolpersteinen und Fallen Unternehmen im Auslandsgeschäft rechnen müssen, wie sie damit umgehen und wo sie die dafür nötige Beratung erhalten. Und dafür brauchen wir die hier anwesenden sachkundigen Berater. Deutsche Unternehmen sind auf eine Präsenz in den Standorten in aller Welt angewiesen. Die Kompliziertheit des Steuerrechts und die damit verbundene überbordende Bürokratie macht es gerade mittelständischen Unternehmen schwer, sich in dem Steuerdickicht zu orientieren. Großkonzerne haben dafür ihre eigenen Fachabteilungen. Das ist für den Mittelstand nicht denkbar. Und leider wird das internationale Steuerrecht nicht einfacher und übersichtlicher, sondern immer komplizierter. Sehr geehrter Herr Senator, das deutsche Steuerrecht darf die hiesigen Unternehmen nicht aus den internationalen Märkten heraus katapultieren. Erlauben Sie mir beispielhaft das Thema „Treaty Override“ anzusprechen, bei dem dieser Grundsatz in letzter Zeit nicht immer beachtet wurde. Im internationalen Steuerrecht ist „Treaty Override“ die gängige Bezeichnung für eine Regelung, mit der sich ein Steuergesetzgeber über die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem Doppelbesteuerungsabkommen oder einem anderweitigen internationalen Vertrag hinwegsetzt. Grundsätzlich gilt: Erzielen Steuerpflichtige Einkünfte, die nicht ausschließlich dem deutschen Besteuerungsrecht unterliegen, sondern auch dem eines anderen Landes, so ist zu klären, nach welchem Recht VIII
Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß
die Besteuerung vorzunehmen ist. Das geschieht, und das ist sehr sinnvoll, durch die berühmten DBA, also durch völkerrechtliche Verträge. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch in einigen Fällen Regelungen geschaffen, die eine Besteuerung in Deutschland trotz anderslautender DBA vorsehen. Der Fiskus setzt sich damit einseitig über völkerrechtliche Vereinbarungen hinweg, wenn sich aus diesen Verträgen für ihn unerwünschte Ergebnisse ergeben könnten. Das, meine Damen und Herren, ist meiner Meinung nach nicht richtig. Verträge sind einzuhalten und dieser Grundsatz ist der wichtigste des deutschen öffentlichen und privaten Vertragsrechts. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der BFH jüngst dem Bundesverfassungsgericht die umstrittene Frage vorgelegt hat, ob ein solcher „Treaty Override“ verfassungskonform ist. Meine Damen und Herren, aber auch das Fehlen derartiger internationaler Verträge beeinträchtigt und erschwert die internationale Tagesarbeit vor Ort. Das zeigt das Beispiel Brasilien, um nur mal einen Fall zu nennen, ganz deutlich. Seit 2006, also seit über sechs Jahren, haben wir kein gültiges DBA mehr mit Brasilien. Das erschwert die Zusammenarbeit mit einem der wichtigsten aufstrebenden Länder dieser Welt, einem der BRICStaaten, ganz erheblich. Es verhindert die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Investitionstätigkeit und den verstärkten Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Technologien. Es sollte somit auch im Interesse von Politik, Verwaltung und Wirtschaft beider Länder sein, ein solches Abkommen relativ schnell zu formulieren und zu ratifizieren. Die betroffenen Firmen in beiden Ländern sind ziemlich verzweifelt und ratlos. Sie hoffen, seit Jahren allerdings vergeblich, dass hier endlich eine Lösung erfolgt. Ausgangspunkt sollte natürlich sein, dass bestimmte Geschäftstransaktionen oder Wirtschaftsaktivitäten keiner doppelten Besteuerung unterliegen dürfen, auch keiner doppelten Nichtbesteuerung, um Herrn Professor Lüdicke zu zitieren. Die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Deutschland und Brasilien ist daher längst überfällig. Weitere Hürden für internationale Aktivitäten baut das Jahressteuergesetz 2013 auf. Mit der Implementierung des AOA – Authorised OECD Approach – ergeben sich weitgehende neue Probleme. Die Fragen der Einkünfteabgrenzung von Betriebsstätten im Rahmen der Rechtsverordnung müssten neu geregelt werden. Dies ist auch heute Nachmittag ein Thema dieser Tagung. IX
Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß
Viele mit dieser Bestimmung verbundene Anschlussfragen sind aus meiner Sicht noch nicht einmal richtig angedacht, während die Betriebsprüfung diese neuen Ideen heute schon bei einigen Steuerpflichtigen „ausprobiert“. Der Gesetzgeber hat damit ein steuerliches Minenfeld gelegt, auf dem sich Steuerpflichtige und Finanzverwaltungen bald um die Besteuerung nicht realisierter Gewinne und die Zurechnung daraus resultierender Verluste heftig streiten werden. Das alles geschieht eigentlich ohne Not, da die bestehende Abgabenordnung eine geeignete Plattform bietet, die Aufschiebung der Besteuerung von Gewinnen an die Erfüllung von Dokumentationsanforderungen zu knüpfen. Meine Damen und Herren, Sie haben noch eine ganze Reihe anderer Themen, ich will darauf nicht eingehen. Ich bin nicht der Fachmann. Ich freue mich nur, dass Sie, lieber Herr Professor Lüdicke, mit Ihren Mitstreitern im International Tax Institute der Universität Hamburg wieder einmal diese Tagung in dieser hochkarätigen Besetzung zustande gebracht haben. Es bleibt mir nur noch, meine Damen und Herren, Ihnen allen einen informativen Tag zu wünschen. Ich möchte Sie ausdrücklich ermuntern, die Gelegenheit zu nutzen, auch in Kaffee- und Essenspausen mit den Experten des internationalen Steuerrechts die vielfältigen Aspekte und ihre ganz speziellen Probleme zu diskutieren. Ich wünsche Ihnen aufschlussreiche Informationen, wertvolle Erkenntnisse, aber auch neue Kontakte, gute Begegnungen und Gespräche am Rande dieser Steuertagung. Vielen Dank! Dr. Jens Peter Breitengroß Vizepräses der Handelskammer Hamburg
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Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg heiße ich Sie herzlich willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands. Sie haben ein interessantes und hoch aktuelles Thema gewählt. Die Vermeidung von Doppelbesteuerung ist ein berechtigtes Anliegen vieler steuerpflichtiger Bürger und Unternehmen – keine Frage. Für einen Finanzsenator ebenso spannend ist das Thema eines Vortrags, das auch in Ihrem Programm steht: die doppelte Nichtbesteuerung. Insbesondere dann, wenn die Nichtbesteuerung vorsätzlich und gegen das Gesetz erfolgt. Das nennt man gemeinhin Steuerhinterziehung, von der wir immer sagen, es sei kein Kavaliersdelikt, sondern eine ernste Straftat. Nun werden Sie sich heute vermutlich vor allem um Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung kümmern, die sich aus einer vorschriftsmäßigen Rechtsanwendung ergeben oder aufgrund von Abkommen, die zwischen Staaten geschlossen werden. Solche Abkommen werden aber manchmal durchaus auch von Nichtjuristen beurteilt, zum Beispiel, wenn sie mit einer Alpenrepublik geschlossen werden, die hierzulande in Angelegenheiten der sauberen Geldanlage nicht den besten Ruf hat. Ich will ausdrücklich offenlassen, ob dieser Ruf gerechtfertigt ist. Die langfristigen Interessen des Finanzplatzes Schweiz sprechen aus meiner Sicht eher dafür, dass die Weißgeldstrategie der Schweizer Regierung und Behörden ernst gemeint ist. Als Mitglied des Finanzausschusses des Bundesrates habe ich das Abkommen sehr genau gelesen und festgestellt, dass sich die Schweiz und Deutschland durchaus beide in einem Dilemma befinden. Viele Menschen in Deutschland wollen keine nachträgliche Regularisierung – wie es die Schweizer nennen – von Geld, das möglicherweise illegal erworben und unversteuert in die Schweiz gebracht wurde. Sie wollen stattdessen, dass die Steuerfahndung ihren Job macht, damit nicht die Ehrlichen die Dummen sind und die anderen anonym bleiben. Andererseits besteht ohne Abkommen genau diese Gefahr, dass die Ehrlichen zahlen und alle anderen über die Verjährung davonkommen.
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Grußwort Dr. Peter Tschentscher
Ich könnte jetzt einen längeren Beitrag halten über die politischen, moralischen, rechtlichen und finanziellen Erwägungen, die im vergangenen Jahr unter den Länderfinanzministern besprochen wurden. Das will ich aber unterlassen, weil es den Rahmen eines Grußwortes übersteigen und vermutlich nicht zu der Tagung passen würde, die Sie heute als Fachleute, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Wissenschaftler durchführen. Ihre Beratung ist aber in dem komplexen Feld der internationalen Besteuerung außerordentlich sinnvoll und hilfreich. Unabhängig von einem Steuerabkommen mit der Schweiz – das vermutlich leider nicht zustande kommt, weil es in dieser Form nicht geht und weil beide Seiten nicht mehr zu einer Verständigung bereit sind – hat Deutschland mit über hundert anderen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen zur Einkommen-, Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer. Es ist im Interesse der nationalen und lokalen Steuerverwaltungen, Verfahren zu entwickeln, die es für alle Beteiligten einfacher machen, Steuern ordnungsgemäß abzuführen und die Steuerprüfung vorzunehmen. Deshalb wünsche ich Ihnen eine gute Tagung mit interessanten Vorträgen und einen schönen Aufenthalt in Hamburg. Kommen Sie gerne wieder, auch wenn nicht gerade Tagungen zur Internationalen Besteuerung stattfinden. Vielen Dank! Dr. Peter Tschentscher Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg
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Inhaltsverzeichnis* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Dietmar Gosch Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . .
1
A. B. C. D.
Einige einleitende, aber grundlegende Worte . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenständige Regelungen und Regelungsbereiche von DBA . . . Nationales Recht und DBA-Qualifikationsverkettungen . . . . . . Verbleibende Bedeutung der Lex-Fori-Klausel, insbesondere bei Qualifikationskonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Schlusssentenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 16 19 22
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Prof. Dr. Alexander Rust Internationale Doppelte Nichtbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge divergierender nationaler Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge der Anwendung von DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Deutsche Abkommenspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 43 45 48 49
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Internationale Doppelte Nichtbesteuerung Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
_____________ * Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.
XIII
Inhaltsverzeichnis
Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Enhanced Relationship – Modell für den (inter-)nationalen Steuervollzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung: Internationale Entwicklungen beim Steuervollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das OECD-Modell der „Basic Relationship“ . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das OECD-Gegenmodell einer „Enhanced Relationship“ . . . . . D. Chancen und Risiken der „Enhanced Relationship“ . . . . . . . . . . E. Schluss aus deutscher Sicht: Rechtlich eingehegte Steuerkooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 64 70 74 82 94
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Enhanced Relationship – Modell für den (inter-)nationalen Steuervollzug? Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Dr. Xaver Ditz Umsetzung des „Authorised OECD Approach“ in deutsches Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG bei Personengesellschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Neudefinition der Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG-E) . . . . D. Implementierung des AOA in § 1 AStG (§ 1 Abs. 5 AStG-E) . . . E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 112 121 125 139
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
141
Inhaltsverzeichnis
Prof. Dr. Jens Blumenberg Abwehr von Treaty Shopping – § 50d Abs. 3 EStG und DBA-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
A. B. C. D.
155 156 172 179
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwehr nach nationalem Recht (§ 50d Abs. 3 EStG) . . . . . . . . . . Abwehr nach DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Abwehr von Treaty Shopping – § 50d Abs. 3 EStG und DBA-Klauseln Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XV
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Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof Bundesfinanzhof, München/Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Inhaltsübersicht A. Einige einleitende, aber grundlegende Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerrechtsverträge und deren Auslegung nach Maßgabe der WÜRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Lex-Fori-Klausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und der „anderweitige Zusammenhang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Dinge . . . . . . . . . . . . .
1
2
V. OECD-Musterabkommen und OECD-Musterkommentar . . . . 12 VI. Konsultationsabkommen . . . . . 14 VII. Unionsrechtliche „Beeinflussungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 C. Nationales Recht und DBAQualifikationsverkettungen . . . . . 16
4 5
B. Eigenständige Regelungen und Regelungsbereiche von DBA . . . . . . 5 I. Grammatisch, teleologisch und systematisch . . . . . . . . . . . . 6 II. Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . 7 III. „Fremdländische“ Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . 9 IV. Entscheidungsharmonie . . . . . . 11
D. Verbleibende Bedeutung der Lex-Fori-Klausel, insbesondere bei Qualifikationskonflikten . . . . . 19 I. Nationales Recht als Auslegungssubstitut . . . . . . . . . . . . 19 II. Treaty Overriding als nationales „Gegenmittel“? . . . . . . . . 20 E. Schlusssentenzen . . . . . . . . . . . . . . 22
A. Einige einleitende, aber grundlegende Worte „Die (…) geringe Internationalität des ganzen IStR bringt die einzigartige Lage mit sich, daß für die Fragen, die am ehesten zu Differenzen bei der Auslegung von zweiseitigen Verträgen Anlaß geben könnten, nämlich die nach der Auslegung und Anwendung der gebrauchten Begriffe – das besondere Qualifikationsproblem des IStR also –, noch immer der regelrechte Verzicht auf Erzielung einer Einheitlichkeit in den Auffassungen der Vertragsparteien die beherrschende Norm ist: Jeder der beiden Staaten soll die Begriffe nach seinem nationalen Recht auslegen – so lautet diese Norm, die sich in bereits stereotyp gewordenen Wendungen in fast allen neueren DBA findet.“ So hört sich das an, was Ottmar Bühler im Jahre 1964 zu dem Problem der Auslegung von
1
Gosch – Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
DBA zu sagen hatte.1 Und gewiss hat er damit das Kernproblem der DBA-Auslegung umschrieben: Das DBA als völkerrechtliches und nationalrechtliches Hybrid. Nun sind mittlerweile nahezu 50 Jahre ins Land gegangen und die Dinge haben sich weiterentwickelt. Dass seitdem vieles zum Thema geschrieben worden ist, erhellt die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Problematik. Wohin der Weg gegangen ist – und er ist in der deutschen Rechtspraxis recht weit gegangen – und wie sich die gegenwärtige Rechtspraxis darstellt, davon soll hier die Rede sein. I. Völkerrechtsverträge und deren Auslegung nach Maßgabe der WÜRV Ausgangspunkt der Auslegung von DBA ist deren Charakter als Völkerrechtsverträge. Als solche mögen sie nach den jeweiligen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten in nationales einfaches Recht umgesetzt werden, sei es durch einen sog. Transformationsakt, sei es durch einen sog. Vollzugsbefehl („Rechtsanwendungsbefehl“).2 Derart umgesetzt mögen sie sodann als immerhin spezielleres nationales Recht „fortleben“. Das ändert indes nichts daran, dass DBA und „normales“ nationales Recht in zwei prinzipiell voneinander gelösten, selbstständigen Rechtskreisen mit jeweils eigenen Begriffswelten und eigenen Auslegungsmodi nebeneinanderstehen. Es gelten – und das bestimmt seit vielen Jahren die einschlägige Spruchpraxis des BFH3 – im Kern völkerrechtliche Auslegungsregeln, wie sie insbesondere im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (WÜRV) in dessen Art. 28 ff. niedergelegt sind. Art. 31 Abs. 1 WÜRV stellt die Grundregel auf. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der ge_____________ 1 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1964, 60 f. 2 So z. B. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 – Görgülü; v. 3.7.2007 – 2 BvE 2/07, BVerfGE 118, 244 – ISAF-Mandat; v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 – Sicherungsverwahrung I und II; vgl. umfassend und zum Diskussionsstand Rauschning im Bonner Kommentar zum GG, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rz. 137 ff., 144 f., m. w. N. 3 Für die Vergangenheit mag eine Detailanalyse der Rechtsprechung Gegenteiliges ergeben. Im Einzelnen wird auf die unterschiedlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen von Wassermeyer, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – Haltung des BFH, in Mössner/Blumenwitz u. a., Doppelbesteuerungsrecht und nationales Recht, 1995, 19 f., sowie von Mössner in Lang/Mössner/Waldburger, Die Auslegung von DBA in der Rspr. der Höchstgerichte Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, 1998, 19 ff. verwiesen.
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Gosch – Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
wöhnlichen Bedeutung der im Vertrag verwendeten Worte in ihrem „Zusammenhang“ und im Lichte des Vertragsziels auszulegen. Der Vertragswille der beteiligten Staaten, eine authentische Interpretation, das Telos der Norm, all das tritt hierbei zurück. Es bedarf der konkreten „verbegrifflichten“ Abbildung im Abkommen selbst, um als Leitschnur auslegungsrelevant sein zu können. Allein ein derartiges, ein sozusagen objektives Auslegungsverständnis gewährleistet das nicht zuletzt auch Art. 31 Abs. 1 WÜRV zu entnehmende Auslegungsziel, nämlich das eines möglichst weitgehenden Konsenses, einer Auslegungsübereinstimmung zwischen beiden Vertragsstaaten, um disharmonische Auslegungen nach Möglichkeit schon im Ansatz zu vermeiden. Aus diesen Gründen ist auch von herkömmlichen Auslegungsregeln, wie dies die teleologische Reduktion und Extension oder gar die lückenfüllende Analogie darstellen, ein äußerst behutsamer Gebrauch zu machen.4 Ausgeschlossen oder verboten sind derartige Auslegungsgrundsätze zwar nicht.5 Sie müssen allerdings in abkommensrechtlichen Vorgaben wurzeln, unbeeinflusst von nationalen Vorstellungen oder Rechtsprinzipien. Da Gesetze, auch DBA, aber just von den nationalen Staaten angewandt werden – nicht zuletzt deshalb heißen diese ja Anwenderstaaten –, ist der Grat, auf dem hier gearbeitet wird, ein notgedrungen schmaler. Dieser schmale Grat bestimmt dann zugleich darüber, an welcher Stelle der eine und zunächst maßgebende Rechtskreis – derjenige des Abkommensrechts – „aufhört“ und an welcher Stelle der andere Rechtskreis – der des nationalen Rechts – beginnt. Den „Schalter“ dafür haben die Vertragsstaaten in gewisser Weise selbst in der Hand. Sie können bei der Vertragsvereinbarung freihändig darüber entscheiden, ob sie einem Abkommensbegriff ein nationales Verständnis unterlegen, indem sie auf das nationale Recht zurückverweisen.6
_____________ 4 BFH v. 27.10.2011 – I R 26/11, BStBl. II 2012, 457 = FR 2012, 738, mit krit. Begleitung von Hahn, jurisPR-SteuerR 24/2012 Anm. 2. 5 S. z. B. BFH v. 14.3.2011 – I R 23/10, FR 2011, 969 = IStR 2011, 693 zur (vom BFH bejahten) Einbeziehung des „Delegierten“ einer Schweizer Kapitalgesellschaft in den Regelungsbereich von Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992: „Eine solche Auslegung ist nicht zuletzt deshalb sachgerecht, weil im Zweifel davon auszugehen ist, dass sich die Parteien eines (…) DBA wechselseitig gleich weitreichende Besteuerungsrechte einräumen wollen.“ S. auch BFH v. 5.3.2008 – I R 54, 55/07, BFH/NV 2008, 1487. 6 Umfassend mit Beisp. Lang, IWB 2011, 281 (289 ff.).
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Gosch – Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
II. Die Lex-Fori-Klausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und der „anderweitige Zusammenhang“ Wird eine derartige Inbezugnahme des nationalen Rechts jedoch unterlassen – und das ist der Regelfall –, dann ist es Sache des Interpreten festzulegen, wie weit sich das DBA eigenständig nach völkerrechtlichen Grundsätzen auslegen lässt. Nur dann, wenn diese Möglichkeiten sämtlich ausgelotet sind oder wenn eine definitorische Vorgabe im Abkommen selbst gänzlich fehlt und wenn überdies keine abkommenseigenen Vorgaben dafür erkennbar sind, dass zwar Hilfe bei einem nationalen Rechtsverständnis eingeholt, diesem sodann aber Vorrang vor dem nationalen Verständnis des anderen Vertragspartners eingeräumt wird, dann und nur dann schlägt die Stunde des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, also der sog. Lex-Fori-Klausel. Allerdings ist diese Schrittfolge nach wie vor hochumstritten, gewissermaßen vermintes Gebiet. Gegenüber stehen sich prominente Namen: Klaus Vogel7 und John Avery Jones8 (und schon Ottmar Bühler im Jahre 1964)9 hier, Franz Wassermeyer,10 Jörg Manfred Mössner11 und Michael Lang12 dort. Grund ist die Kontroverse darüber, wie die Lex-Fori-Klausel in ihrer tatbestandlichen Begrenzung zu verstehen ist. Sie wird danach nämlich erst dann aktiviert, wenn bei „der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat … der Zusammenhang nichts anderes erfordert“. Teilweise wird vertreten, daraus lasse sich der Vorrang einer landesrechtlichen Abkommensauslegung ablesen. Andere sehen in dem Vorbehalt genau umgekehrt gerade die Basis für die völkerrechtsorientierte Auslegung. Das alles kann hier nicht en détail vertieft werden. _____________ 7 K. Vogel, Auslegung von DBA, in Haarmann, Auslegung und Anwendung von DBA, 2004, 1 (18 ff.) = IStR 2003, 523 (528); K. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 3 OECD-MA Rz. 65 f. 8 Zu den Nachw. s. Lang, IWB 2011, 281 (288 f.). 9 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1964, 59 ff. 10 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 31, Art. 3 OECDMA Rz. 76 ff. und passim. 11 Umfassend Mössner in Lang/Mössner/Waldburger, Die Auslegung von DBA in der Rspr. der Höchstgerichte Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, 1998, 19 ff., sowie Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 1988, 403, der sogar zur Streichung des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA auffordert, nicht zuletzt deswegen, weil sie „den nationalen Rechtsanwendern Skrupel bei der Zugrundelegung nationaler Bedeutungen“ nimmt (S. 426); ebenso Lang, IWB 2011, 281 (293). 12 Z. B. M. Lang in FS Vogel, 2000, 907; M. Lang in FS Debatin, 1997, 283; sowie Lang, IWB 2011, 281.
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Ich will aber klar Position beziehen: „Zusammenhang“ in diesem Sinne weist, richtig verstanden, den Weg zum Vorrang des originären Abkommenszusammenhangs in seiner Eigenbegrifflichkeit.13 Nur das entspricht der Zielsetzung von DBA, doppelten Besteuerungszugriffen ex ovo durch eine möglichst einheitliche, den „Zusammenhang“ des Abkommens betreffende Auslegung entgegenzutreten. Das schließt es nicht aus, diese Eigenbegrifflichkeit im Kontext der „Absichten der Vertragsparteien bei der Unterzeichnung und der Bedeutung des betreffenden Ausdrucks im Recht des jeweils anderen Vertragsstaates“14 zu verstehen. Dennoch verbleibt kein Zweifel: Das Landesrecht ist allenfalls auslegungskomplementär, eher auslegungssekundär, jedenfalls nicht auslegungsprimär. III. Gang der Dinge Das alles legt nun zugleich den weiteren Gang der Dinge fest: Erstens die abkommenseigenen Regelungen als Gegenstand der Auslegung anhand konkreter Beispielsfälle und verschiedener Auslegungsaspekte (s. B.), zweitens die Frage der abkommensrechtlich angeordneten sog. Qualifikationsverkettungen (s. C.) und drittens die verbleibenden Anwendungsbereiche des nationalen Rechts nach der besagten Lex-ForiKlausel (s. D.).
B. Eigenständige Regelungen und Regelungsbereiche von DBA DBA sind in nationales „einfaches“ Recht transformierte oder vollzogene Gesetze. Als solche unterfallen sie zunächst dem „normalen“ hermeneutischen Auslegungskanon, nicht anders als andere Gesetze auch. Allerdings verschieben sich die Gewichte: In weitgehender Ermangelung von Regelungsmaterialien und einschlägigen Verlautbarungen des Gesetzgebers wird die Bedeutung der historischen Auslegung zwar nicht ignoriert – immerhin wird sie in Art. 32 WÜRV als „ergänzendes Auslegungsmittel“ angesprochen –, doch wird sie stark zurückgedrängt. An deren Stelle kommt dem Abkommenstext, dem Wortlaut eine besonders starke, ja eine überragende Bedeutung bei der Auslegung zu. Daneben spielen auch teleologische und systematische Gesichtspunkte ihre Rolle, und mit Beispielen dafür sei denn auch begonnen. _____________ 13 K. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 3 OECD-MA Rz. 117 ff., der selbst allerdings einen anderen Standpunkt vertritt. 14 OECD-MK zu Art. 3, Tz. 13.
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I. Grammatisch, teleologisch und systematisch Sie zeigen sich insbesondere im Zusammenwirken der Zuordnungsartikel einerseits und des Methodenartikels andererseits. Der BFH hat dazu wiederholt die „Sachzusammenhänge und systematischen Verknüpfungen“ hervorgehoben, um das inhaltlich gleichlaufende Verständnis eines hier wie dort gleichermaßen verwendeten Begriffs zu begründen. Im Urteil vom 4.4.2008 – I R 62/0615 waren das die „Gewinnanteile“ aus stillen Beteiligungen nach dem DBA Luxemburg a. F., im Urteil vom 19.5.2010 – I R 75/0916 die „Dividenden“ nach Maßgabe des DBA USA 1989 a. F. und im Urteil vom 27.10.2011 – I R 26/1117 die „Betriebsstätten“ im DBA Spanien. In all diesen Fällen litt das einheitliche Verständnis nicht darunter, dass sich der Verteilungsartikel in erster Linie an den jeweiligen Quellenstaat, der Methodenartikel hingegen an den Wohnsitzstaat richtet. Zugleich lassen sich in all diesen Fällen aber auch die Grenzen dieses systematischen Gleichlaufs aufzeigen: Gibt der Abkommenswortlaut zu erkennen, dass unbeschadet des einheitlichen Begriffsgebrauchs Unterschiede angelegt sind, die eine voneinander abweichende Einschätzung rechtfertigen können, dann wird dieser Weg konsequent beschritten. Der systematische Gleichlauf tritt dann zurück. Offenbar wurde das für die besagten „Gewinnanteile“ aus stillen Beteiligungen nach dem DBA Luxemburg für die Gewährung des Schachtelprivilegs. Im Verteilungsartikel fingiert das DBA Luxemburg a. F. solche Gewinnanteile zu Dividenden, die einen schachtelsteuerprivilegierten niedrigeren Quellensteuersatz bedingen, im Methodenartikel wird diese Fiktion indessen nicht konsequent durchgehalten. Konsequenz: Das Schachtelprivileg nach Art. 23 DBA Luxemburg a. F. wurde deswegen vom BFH nicht gewährt. Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt war, dass damit auch ein für den Steuerpflichtigen angenehmer Steuervorteil vermieden werden konnte, nämlich der Abzug der Gewinnanteile als Betriebsausgaben in Luxemburg und die Steuerfreistellung in Deutschland, im Ergebnis also sog. weiße oder zumindest graue Einkünfte. Aber wie gesagt: lediglich ein Nebeneffekt. Denn umgekehrt ist es wiederum der Wortlaut, der die Oberhand behält, auch wenn dadurch eine doppelte Nichtbesteuerung – die berüchtigte sog. Keinmalbesteuerung – oder eine Doppelbesteuerung ausgelöst _____________ 15 BFH v. 4.6.2008 – I R 62/06, BStBl. II 2008, 793. 16 BFH v. 19.5.2010 – I R 75/09, BStBl. II 2011, 208 = FR 2011, 40. 17 BFH v. 27.10.2011 – I R 26/11, BStBl. II 2012, 457 = FR 2012, 738.
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wird oder jedenfalls werden kann. So wurde in dem schon angesprochenen Dividendenfall betreffend das DBA USA 1989 für Zinseinkünfte aus einem gewinnabhängigen Darlehen in Deutschland die Freistellung gewährt; das Anrechnungsverfahren blieb unangewandt, weil es für die Anrechnung an „echten“ Dividenden fehlte. Die doppelte Nichtbesteuerung ändert daran nichts; ohne Vereinbarung sog. Rückfallklauseln bewahrt die Freistellungsmethode uneingeschränkt vor der „virtuellen“ Doppelbesteuerung und auf die Tatsächlichkeit der Doppelbesteuerung kommt es nicht an.18 Die Einkünfte aus einem in Spanien belegenen land- und fortwirtschaftlichen Betrieb wurden demgegenüber im Urteil I R 26/11 nicht freigestellt, vielmehr blieb es bei der bloßen Anrechnung der spanischen Steuern. Grund: Das DBA Spanien ordnet landund forstwirtschaftliche Betriebe dem unbeweglichen Vermögen zu und behandelt deren Gewinne nicht als solche einer in Spanien belegenen Betriebsstätte, für welche die Freistellungsmethode anzuwenden gewesen wäre. Eine etwaige Doppelbesteuerung wird in Kauf genommen. Wiederum gilt: Der „Text“ gibt bei der eigengesetzlichen Abkommensauslegung im Zusammenwirken mit den anderen Auslegungsmethoden im Zweifel den Ausschlag. Weder ein Primärtelos der Vermeidung der doppelten Besteuerung noch ein Sekundärtelos der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung vermögen dagegen etwas auszurichten. Will man das ändern, dann gehört das in das DBA hineingeschrieben – und das soll das angedachte deutsche DBA-Musterabkommen denn ja jetzt auch tatsächlich so vorsehen.19 II. Mehrsprachigkeit Es liegt in der Natur der Sache: DBA pflegen im Allgemeinen zwei-, gelegentlich sogar mehrsprachig abgefasst zu werden. Zuweilen wird einer Vertragssprache für den Fall von Auslegungszweifeln das „Verbindlichkeits-Prä“ zuerkannt. Oftmals stehen beide Sprachen aber gleichberechtigt als authentische Vertragssprachen nebeneinander und sie sind bei der DBA-Auslegung folglich – Art. 33 WÜRV bringt das klar zum Ausdruck – auch gleichberechtigt heranzuziehen.20 Die Auslegung des Abkommens darf sich dann nicht auf die Fassung in der Sprache des _____________ 18 BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, FR 2012, 819 mit Anm. Hagena/Wagner = DStR 2012, 949 (955) (Az. BVerfG: 2 BvL 1/12) m. w. N.; a. A. Czakert, IStR 2012, 703 (705 f.); Schulz-Trieglaff, IStR 2012, 577. 19 Müller-Gatermann, FR 2012, 1032 (1033 f.). 20 Allg. M. Lang, IStR 2011, 403 (405).
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Anwenderstaates beschränken.21 Sie darf dies allenfalls solange, als sich kein konkreter Hinweis auf eine Abweichung zwischen den verschiedenen Fassungen ergibt. Letzteres entspricht der Geltungsvermutung in Art. 33 Abs. 3 WÜRV. Dem möglichen Erkenntnisgewinn, der daraus zu ziehen ist, ist für den gemeinen Rechtsanwender allerdings die natürliche Grenze der Sprachunkenntnis gesetzt.22 Und so tun sich auch die deutschen Gerichte und tut sich der BFH schwer damit, die fremdsprachigen Fassungen deutend heranzuziehen. Die Ausnahmen davon sind eher spärlich: So wurde der „president“ einer kanadischen Kapitalgesellschaft nicht zuletzt wegen der deutschen und der französischen Textfassung mangels entsprechender Kontrollbefugnisse nicht der Besteuerungszuordnung des Art. 16 DBA Kanada unterworfen.23 Das Besteuerungsrecht für den Anteil eines Mitunternehmers an den gewerblichen Gewinnen des Unternehmens wurde an der englischsprachigen Fassung des DBA Großbritannien gemessen.24 Und die Einkünfte aus Dividenden nach dem alten DBA Irland blieben nach dem berühmt gewordenen Urteil „Dublin Docks II“25 auch dann von der deutschen Steuer freigestellt, wenn sie von einer irischen „unlimited having a share capital“ ausgeschüttet wurden. Die Exegese sowohl der englischen als auch der gälischen Abkommensfassungen26 konnte zwar der gegenteiligen Deutung fürsprechen. Doch sah der BFH im zweiten Anlauf dann doch das innerstaatliche und damit das deutsche Recht im konkreten Zusammenhang als ausschlaggebend an, weil insoweit spezifisch der Begriff der „Kapitalgesellschaft“ in Bezug genommen wurde, und damit unter_____________ 21 BFH v. 3.2.1988 – I R 369/83, BStBl. II 1988, 486 = FR 1988, 284; vgl. auch BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4 zum Begriff des „Arbeitgebers“ bzw. des „empleo“ in Art. 15 DBA Spanien. 22 S. aber auch (und immerhin) das Schweizer BVG v. 8.12.2011 – Zwischenverfügung, A-6118/2011, abrufbar unter www.bvger.ch (in italienischer Sprache): „Der Umstand, dass der Prozess in einer Sprache geführt wird, welche für keinen der involvierten Richter die Muttersprache ist, macht die mit dem Fall befassten Richterinnen und Richter noch nicht befangen.“ (sic!). 23 BFH v. 5.10.1994 – I R 67/93, BStBl. II 1995, 95 = FR 1995, 156 mit Anm. Kempermann. 24 BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 = FR 2011, 683. 25 BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14 = FR 2004, 1064 mit Anm. Fischer. 26 Die „in Irland ansässige Kapitalgesellschaft“ wurde hiernach in Englisch mit „a company limited by shares being a resident of Ireland“ und in Gälisch „cuideachta faoi theorainn scaireanna is cónaitheoir in Éirinn“ übersetzt. – Zum Problem der Mehrsprachigkeit und der sog. Zweifelsfallregelung s. auch Clausen, DB 2001, 2515.
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fiel die besagte „unlimited“ dem abkommensbegünstigten Typus einer Kapitalgesellschaft.27 Festzuhalten ist erneut: Die primäre Orientierung der abkommensautonomen Auslegung am Abkommenstext darf nicht an sprachlichen Hindernissen und Unkenntnissen scheitern. Die Autonomie des Abkommens verlangt dem Exegeten ab, alles zu tun, um die Eigensprachlichkeit des Abkommens im wahrsten Worte zunächst auch sprachlich zu fundieren. Erst wenn es hier kein Weiterkommen mehr gibt, bleibt Raum für Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und das nationale Rechtsverständnis, sonst nicht. III. „Fremdländische“ Gerichtsentscheidungen Das Problem der Sprachenvielfalt stellt sich ebenso und sogar verstärkt bei ausländischen Gerichtsentscheidungen als völkerrechtliche Rechtsquellen oder Auslegungshilfen. Verstärkt deswegen, weil Gerichtentscheidungen im Ausland bei Weitem nicht so dicht dokumentiert sind, wie dies in Deutschland üblich ist. Dieser Umstand und der für jegliche Jurisdiktion generelle Umstand, dass aufkommende Fragen die Gerichtspraxis gemeinhin nach Art eines „Zufallsgenerators“28 zu beschäftigen pflegen, lässt den Zugriff auf Gerichtsentscheidungen in aller Regel in seiner Bedeutung deutlich zurücktreten. Wird vom BFH hier und dort denn doch einmal eine ausländische Entscheidung unterstützend herangezogen, dann sind dies zumeist Entscheidungen des österreichischen VwGH29 oder des Schweizer Bundes_____________ 27 Um damit einhergehenden Sprachverwirrnissen zu entgehen, schlägt Lang, IStR 2011, 403 ff., vor, für das OECD-MA oder für Abkommensfassungen, die damit übereinstimmen, stets oder zumindest vorrangig auf den englischen oder den französischen Ursprungstext als den einzig authentischen zurückzugreifen, selbst dann, wenn solches nicht vorgesehen ist. Die Deutungsvorgaben in Art. 33 WÜRV seien entsprechend zu relativieren. Diese These unterschiebt den Vertragspartnern aber ein Sprachverständnis, das diese nicht gewollt haben, sie ist deshalb im Ergebnis abzulehnen. 28 S. auch Reimer, IStR 2008, 551 (554). 29 Z. B. BFH v. 14.3.2011 – I R 23/10, FR 2011, 969 = IStR 2011, 693 (zur Frage des „delegierten Verwaltungsrats“ als geschäftsleitende Person i. S. v. Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz); v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920 (zur beschränkten Steuerpflicht bei Überlassung von Persönlichkeitsrechten); v. 28.6.2006 – I R 92/05, BStBl. II 2007, 100 = FR 2007, 395 mit Anm. Kempermann (zur Frage des „festen Mittelpunkts“ für eine „feste Einrichtung“); v. 6.10.1982 – I R 121/79, BStBl. II 1983, 34 = FR 1983, 70 (Progressionsvorbehalt bei Zusammenveranlagung).
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gerichts30, also solche aus dem vertrauten und überdies deutschsprachigen Rechtskreis. Beim Sprung in fremdere Rechtswelten erleidet eine solche Orientierung hingegen häufig Schiffbruch oder wird überaus kritisch begleitet. Ein Beispiel dafür stellt das vieldiskutierte Urteil des BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/1031 zu der grenzüberschreitenden Organschaft dar. Der BFH hat sich bemüht, einen ihm aus der Literatur zugeworfenen „Ball“ aufzugreifen, nämlich den von Mössner32 zunächst (vor-)gegebenen und eingeforderten (und von selbigem später zurückgewiesenen33) Querverweis auf eine Entscheidung des First-Tier Tribunal in London34 – und schon hagelte es Einwände: Bemängelt wird, der BFH habe die englische Entscheidung schlicht missverstanden.35 Ob das zutrifft, das soll an dieser Stelle unkommentiert bleiben.36 Es ist aber geradezu exemplarisch für die immensen Schwierigkeiten, welche sich hier auftun. Solche Versuche lassen sich deswegen schön mit den Worten von Reimer37 bewerten: Die ausländischen „Entscheidungen haben (…) zumeist nur den Charakter einer Inspirationsquelle.“ Schon gar nicht erwächst daraus für den BFH jedenfalls irgendeine Verbindlichkeit. Beleg dafür mag das Schlussurteil38 in der Rechtssache „Lidl Belgium“ leisten, in welchem es um die sog. Symmetriethese ging, also das Aussperren sowohl positiver wie negativer Unternehmensergebnisse bei Vereinbarung der Freistellungsmethode. Hier hatte der luxemburgische Tribunal administratif39 exakt gegen-
_____________ 30 Z. B. BFH v. 16.3.1994 – I B 186/93, BStBl. II 1994, 696 = FR 1994, 580 mit Anm. Kempermann (Grenzgänger). 31 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106. 32 Mössner, IStR 2010, 778. 33 Mössner, IStR 2011, 349 f. 34 First-Tier Tribunal Tax (Tribunal Judges John Avery Jones CBE and Edward Sadler), Appeal number TC/2009/12324 v. 1.4.2010 in der Sache FCE Bank plc vs. The Commissioners For Her Majesty’s Revenue And Customs, (2010) UKFTT 136 (TC), mitgeteilt unter http://tax.uk.ey.com/UKTaxLibrary/Case+law/2010/FCE +Bank+plc+v+HMRC+(First+Tier+Tribunal).htm. 35 Mössner, IStR 2010, 778; Behrens, BB 2012, 485 (487 ff.). 36 S. Gosch, BFH/PR 2011, 266; Gosch, BFH/PR 2011, 163; Gosch, JbStB 2011/12, 9 (17 ff.). 37 Reimer, IStR 2008, 554. 38 BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630 = FR 2007, 86 mit Anm. Pezzer. 39 Tribunal administratif Luxemburg, Urt. v. 19.1.2005 – No. 17.820; s. Winandy, IStR 2005, 594.
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teilig zum BFH entschieden. Gleiches galt für die Spruchpraxis des österreichischen VwGH.40 Beeindruckt hat den BFH das nicht.41 IV. Entscheidungsharmonie Ein weiterer Rechtsauslegungsmodus setzt bei einem etwas mystisch klingenden Merkmal an, jenem der „Entscheidungsharmonie“. Der Begriff ist im Internationalen Privatrecht beheimatet und man versteht darunter gängigerweise die Orientierung der jeweiligen Rechtsanwender an der Begriffsbildung des anderen Vertragsstaats. Letzten Endes geht es um eine Auslegungs- und Qualifikationsverkettung mit entsprechender Annäherung oder gar Bindung für den jeweils anderen Staat. Wenn ein Vertragsstaat der Auslegungspraxis des anderen Vertragsstaates folgt, kommt es jedenfalls im bilateralen Verhältnis der beiden Vertragsstaaten zueinander weder zu Doppel- noch zu Doppelnichtbesteuerungen. Für einen allgemeingültigen Grundsatz, gar ein Gebot der Entscheidungsharmonie, ist im Abkommensrecht allerdings keine Rechtsgrundlage erkennbar.42 Eher handelt es sich hierbei um eine Zielvorgabe, einen weiteren Orientierungspunkt, und als einen derartigen methodischen Auslegungsparameter hat die Entscheidungsharmonie denn auch durchaus Eingang in die Rechtspraxis des BFH gefunden. Das aber eben stets nur auf einer sekundären Auslegungsebene, um ein schon bestimmtes Auslegungsergebnis zu stützen und zu verifizieren, nicht aber, um ein Ergebnis solitär zu begründen.43 So erwies sich eine Entscheidungsharmonie jüngst als unbehilflich, um ein staatenübergreifendes Korrespondenzprinzip zwischen steuerwirksamer Vereinnahmung auf der Ebene des Gesellschafters und einer steuerwirksamen Verausgabung auf der Ebene der Gesellschaft bei „hybriden“ Gewinnausschüttungen zu begründen.44 Auch scheiterte die entscheidungsharmonische Auslegung trotz einschlägig getroffener zwischenstaatlicher Konsultationsvereinbarungen an dem auszulegenden Regelungstext, etwa bei der Qualifizierung von Abfindungen als _____________ 40 S. BFH v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 149 = FR 2007, 757. 41 S. auch BFH v. 11.10.2000 – I R 44-51/99, BStBl. II 2002, 271 (zur Besteuerung von Berufssportlern). 42 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 3 OECD-MA Rz. 78; Hahn in FS Wassermeyer, 2005, 631; Hahn, IStR 2012, 941 (949); a. A. (aber auch zurückhaltend) Vogel, StuW 1982, 111 (122). 43 BFH v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605 = FR 2000, 619. 44 BFH v. 6.6.2012 – I R 6, 8/11, ISR 2012, 91 mit Anm. Kammeter = IStR 2012, 766.
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Einkünfte aus unselbständiger Arbeit oder aber als sonstige Einkünfte.45 Auf der anderen Seite half die Entscheidungsharmonie, um als unternehmerische Einkünfte auch unter Beachtung des nationalen Rechts des Anwenderstaats nur solche Einkünfte zu qualifizieren, die nach jenem Recht auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb „sind“, nicht aber solche, die nur nach dem nationalen Recht des sog. Anwenderstaates als solche „gelten“.46 Einmal mehr ist festzuhalten: Ein entscheidungsharmonisches Verständnis kann gut und u. U. auch nottun, wenn es sich bei Auslegung des Abkommens herbeiführen lässt. Methodischer Sockel für ein solches Interpretieren bilden aber andere Merkmale. Die Entscheidungsharmonie flankiert nur, sie trägt nicht.47 V. OECD-Musterabkommen und OECD-Musterkommentar Um ein bedeutsameres Mittel der Auslegung von DBA handelt es sich gewiss bei dem OECD-Musterabkommen und bei den diesen begleitenden OECD-Musterkommentierungen. Allerdings, in der Spruchpraxis insbesondere des BFH48 kommt dies immer wieder zum Ausdruck: Sie sind lediglich ein (ergänzendes) Auslegungshilfsmittel (i. S. v. Art. 32 WÜRV).49 Denn ausschlaggebend ist abermals allein der individual vereinbarte Abkommenstext. Eröffnet dieser die Möglichkeit einer Abkommensauslegung in Übereinstimmung mit dem Kommentar, dann steht nichts entgegen, den Kommentar als bekräftigend und als erläuternd in Position zu bringen.50 Gleiches gilt für das Musterabkommen.51 Für Weiteres taugen beide nicht. Und die Bedeutung der OECD-Musterkommentierung relativiert sich denn sogleich noch mehr, beleuchtet man die zeitlichen Zusammen-
_____________ 45 BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394 = FR 2010, 244. 46 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, DStR 2010, 1220. 47 Zu recht zurückhaltend deshalb Hahn in FS Wassermeyer, 2005, 631; a. A. z. B. Vogel in FS Flick, 1997, 1043; Strobl in FS Döllerer, 1988, 635. 48 Z. B. BFH v. 23.9.2008 – I R 57/07, BFH/NV 2009, 390; v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553; v. 22.6.2011 – I R 103/10, BStBl. II 2012, 115 = FR 2011, 1180. 49 So wohl auch die Spruchpraxis des Schweizer BVG, s. dazu M. Lang, SWI 2012, 226 (227 ff.). 50 Z. B. BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 = FR 2011, 683. 51 BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127.
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hänge. Der BFH52 belässt letztlich keinen Deutungszweifel: Eine automatische Dynamisierung der Kommentierungen ist ebenso abzulehnen wie eine irgendwie geartete Verbindlichkeit der OECD-Verlautbarungen, und das aus rechtsstaatlichen Gründen völlig zu Recht. Wer anderes meint,53 hat das innerstaatliche regulatorische Normengefüge kaum verstanden. Entgegenstehendes kann auch nicht aus dem WÜRV und dort Art. 31 Abs. 3 Buchst. a abgeleitet werden. Dieser misst zwar durchaus jeder „späteren Übereinkunft“ zwischen den Vertragsparteien und „jeder zwischenstaatlichen Übung“ maßgebende Auslegungsrelevanz bei. Doch sind OECD-Musterkommentierungen weit davon entfernt, eine derartige zwischenstaatliche Verwaltungsübung zu reflektieren. Es handelt sich lediglich um das Meinungsbild der beteiligten Fisci, nicht um irgendwelche „Übungen“ der DBA-Vertragsstaaten. Das Demokratiedefizit, dem DBA ohnehin ausgesetzt sind, kann nicht dadurch auf die Spitze getrieben werden, dass die besagten Administrationen dann auch noch die Auslegungs- und Deutungshoheit über den gesetzten Abkommenstext gewinnen. Spätestens an dieser Stelle erweist sich der Dreiklang der Gewalten, das Prinzip des Balance of power. Kurzum: Steuerrecht ist Eingriffsrecht. Gerichte sind nach dem Gesetzesvorbehalt nur dem Gesetz – hier dem DBA-Zustimmungsgesetz – verpflichtet, nicht dem Musterkommentar, der sich auf dieses Gesetz nicht bezieht oder beziehen kann. Es ist zu mutmaßen, dass der BFH diese Rechtslage auch dann nicht anders einschätzen wird, sollte ein zuweilen angedachtes DBA-Anwendungsgesetz versuchen, eine „dynamische Auslegung“ rechtsverbindlich festzuschreiben.54 Eine solche Festschreibung müsste dann schon im DBA selbst erfolgen; entsprechende Absichten sind offenbar vorhanden55 und das mag dann der konkreten Umsetzung harren. Daran, dass _____________ 52 Ständige Rspr., z. B. BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BFHE 232, 476; v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553; v. 8.12.2010 – I R 92/09, BStBl. II 2011, 488 = FR 2011, 723; v. 23.9.2008 – I R 57/07, BFH/NV 2009, 390; ebenso Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rz. 108; Schnitger, IStR 2002, 407; Lang, IStR 2007, 606 und passim; Lang, IWB 2011, 281 (291 ff.); Lampert, IStR 2012, 513. 53 Czakert, IStR 2012, 703 (705). 54 Pohl, RIW 2012, 677 (679); demgegenüber allg. krit. und weiterführend Roser, Ubg 2013, 37. 55 In Art. 3 des nunmehr entworfenen deutschen Muster-DBA, s. Müller-Gatermann, FR 2012, 1032 (1033).
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auch solche Umsetzungen mit dem in nationales Recht transformierten oder vollzogenen Abkommenstext übereinstimmen müssen, ändert das nichts. Mangelt es auch daran, wird das Abkommen überschrieben, man ist im Bereich des Treaty Overriding. Dessen Zukunft ist bekanntlich ungewiss. Nichts anderes gilt im Übrigen, das bleibt angemerkt, nicht nur für den OECD-Musterkommentar, es gilt gleichermaßen für den Partnership Report ebenso wie für die zahlreichen anderweitigen OECD-Berichte und -Empfehlungen56, auch für einschlägige Anweisungen des anderen Vertragsstaats, wie beispielsweise die US-Technical Explanations57. In all diesen Fällen bedarf es einer innerstaatlichen Umsetzung in positives Recht. VI. Konsultationsabkommen Ein damit verwandtes Kapitel unseres Themas eröffnen die schon erwähnten sog. Konsultationsabkommen, zumeist solche, welche auf Basis von Art. 25 Abs. 3 OECD-MA zwischen den Vertragsstaaten vereinbart werden, und das in dem Bemühen, „Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen“. Was deren instrumentelle Bedeutung für die DBA-Auslegung angeht, verhält es sich aus Sicht des BFH ähnlich wie bei den Verlautbarungen der OECD und auch rein innerstaatlichen Verwaltungsanweisungen: Konsultationsvereinbarungen mögen den Abkommenstext erläutern und spezifizieren. In sein Gegenteil verkehren oder uminterpretieren können ihn derartige Vereinbarungen jedoch erneut nicht. Eine bloß administrative Vereinbarung genügt wiederum nicht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG, und zwar auch dann nicht, wenn sie die Vertragsstaaten und die Finanzverwaltungen in völkerrechtlich verbindlicher Weise bindet. _____________ 56 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553; konkret für den Partnership Report z. B. Weggenmann in Wassermeyer/ Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.42 f., 8.67; Kempermann in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 3.15; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, 138 ff. (143 ff.); Gosch in Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 2004, 103 (112); Wassermeyer, IStR 2007, 413; Lang, IStR 2007, 606. 57 S. z. B. BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = FR 2008, 729; v. 20.8.2008 – I R 39/07, BStBl. II 2009, 234 = FR 2009, 344.
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Als ein konkretes Rechtsprechungsbeispiel dazu sollen noch einmal die Abfindungen herhalten, welche ein Arbeitnehmer aus Anlass des Ausscheidens aus seinem Dienstverhältnis empfängt. Sind solche, wie das Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA einfordert, „für“ die geleistete Arbeit gezahlt worden und damit aus abkommensrechtlicher Sicht Arbeitslohn, dessen Besteuerung dem Quellenstaat überantwortet wird? Oder handelt es sich zwar um Arbeitslohn, aber um solchen i. S. v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA, der im Ansässigkeitsstaat besteuert werden kann? Der BFH hat bekanntlich Letzteres angenommen, übrigens abweichend von der Beurteilung durch den belgischen Tribunal administratif.58 Er hat die gegenteilig lautende deutsch-belgische Verständigung59 folglich nicht beachtet. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich versucht, rechtsstaatlichen Defiziten abzuhelfen, nämlich durch die Verordnungsermächtigung des neuen § 2 Abs. 2 Satz 1 AO i. d. F. des JStG 2010. Offen bleibt, ob dieser Versuch gelungen ist und die neue Verordnungsermächtigung in § 2 Abs. 2 AO nunmehr allen Verfassungsvorbehalten Rechnung trägt. Es gilt nach wie vor, die Grenzlinie zwischen „Auslegung“ und „Anwendung“ einerseits und „Änderung“ des jeweiligen Abkommens andererseits zu beachten. Soll diese Linie durch Konsultationsabkommen überwunden werden, dann muss die Ermächtigung solches auch hergeben. Das verlangt Art. 80 GG. Es gibt begründete Zweifel daran, dass das bei § 2 Abs. 2 AO der Fall ist.60 Erneut will hier, wie man hört, ein deutsches DBA-MA aber vermittels einer „flankierenden Auslegungsregel“ eine tragfähige Abhilfe schaffen.61 VII. Unionsrechtliche „Beeinflussungen“ Auch das Unionsrecht nimmt schließlich mittlerweile Einfluss auf die Abkommensauslegung. In der Rechtspraxis spiegelt sich das bislang durchweg in Entscheidungen wider, bei denen es um das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot geht. Als ein probates Beispiel mag die Umqualifikation von Zinsen in vGA nach § 8a KStG a. F. dienen. Danach wurde im Ergebnis danach unterschieden, ob es sich um eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft mit einem nicht _____________ 58 59 60 61
Vgl. BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394 = FR 2010, 244. S. BMF v. 10.1.2007 – IV B 6 - S 1301 BEL - 1/07, BStBl. I 2007, 261. Z. B. Hummel, IStR 2011, 397; Drüen, IWB 2011, 360. Müller-Gatermann, FR 2012, 1032 (1033 f.).
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zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigten Anteilseigner handelt. Steuerlich benachteiligt wurden davon in erster Linie die ausländerbeherrschten Unternehmen gegenüber entsprechenden Unternehmen mit im Inland ansässigen Anteilseignern. Auf diesen „Belastungsmengen-Maßstab“ hatte der EuGH abgestellt, als er in der Rs. „Lankhorst-Hohorst“62 einen Verstoß gegen die EU-Niederlassungsfreiheit konstatierte. Und das hat der BFH63 sich denn auch für die Auslegung von Art. 24 OECD-MA zu eigen gemacht: Er überträgt die unionsrechtliche Sicht wertungsmäßig eins zu eins auf das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot. In ähnlicher Weise hat der BFH64 es ebenfalls als Verstoß gegen das DBADiskriminierungsverbot angesehen, dass einer Delaware-Corp. nach früherer Fassung des § 14 Nr. 3 KStG die Organträgereigenschaft versagt wurde, obschon die Corp. unbeschadet ihres verbleibenden statutarischen Sitzes in den USA ihre tatsächliche Geschäftsleitung nach Deutschland verlegt hatte. Ursächlich dafür war nicht zuletzt die unionsrechtliche Wertung von Zuzugsfällen nach der „Überseering“-Entscheidung des EuGH.65 Aber um Missverständnissen vorzubeugen: Das Unionsrecht und dessen Wertungen mögen hier und da die DBA-Auslegung beeinflussen. Raumgreifend im Sinne einer gewissermaßen beliebigen Meistbegünstigung wirken solche Beeinflussungen indes nicht. Der BFH hat sich dem jedenfalls eindeutig widersetzt.66 Es handelt sich – in diesem Punkt ist Hahn beizupflichten – im Kern um „zwei Paar Schuhe“.67
C. Nationales Recht und DBA-Qualifikationsverkettungen Jenseits der eigenständigen Regelungen und Regelungsbereiche in DBA beginnt der Bereich des nationalen Rechts. Doch heißt das keineswegs, dass sich damit automatisch die Frage nach der Eigenständigkeit der _____________ 62 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-11779. 63 BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127. 64 BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, BStBl. II 2004, 1043; dagegen BMF v. 8.12.2004 – IV B 4 - S 1301 USA - 12/04, BStBl. I 2004, 1181; s. bereits Gosch, DStR 2007, 1553 (1560); Gosch, FS Spindler, 2011, 379 (406 ff.). 65 EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919. 66 Z. B. BFH v. 26.5.2004 – I R 54/03, BStBl. II 2004, 767; v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2009, 510 = FR 2008, 724 mit Anm. Lohmann/Rengier. 67 Hahn, BB 2005, 521.
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DBA für deren Auslegung erübrigt. Zuvor gilt es noch, eine Zwischenstufe zu identifizieren, die eingangs bereits vorskizziert worden ist. Diese Zwischenstufe setzt zwar auf dem nationalen Recht auf, sie erhebt dieses Recht jedoch ihrerseits abkommensautonom als maßgeblich auch für den anderen Vertragsstaat. Das nationale Recht des einen Staates ist danach für beide verbindlich. Es wird gewissermaßen der Zustand einer zwangsweisen Entscheidungsharmonie herbeigeführt.68 Auf diesen methodischen Weg setzt beispielsweise der Partnership Report auf. Qualifikationsdifferenzen zwischen transparenter und intransparenter Betrachtung sollen von vornherein dadurch unterbunden werden, dass der Ansässigkeitsstaat sich der Bewertung im Quellenstaat zu beugen hat. Der sog. Anwenderstaat ist danach stets der Quellenstaat. Orientiert an der Schablone des OECD-MA lässt sich das aber kaum tragfähig begründen: Gerade die Zweiteilung in den Methodenund die Verteilungsartikel erhellt, dass es zwei Regelungsadressaten und damit auch zwei Anwenderstaaten gibt. Und dass der Methodenartikel tatbestandlich auf die Verteilungsartikel Bezug nimmt, liegt in der Natur der Abkommenssystematik und lässt sich nicht für eine Qualifikationsverkettung dienstbar machen. Auch dass der Methodenartikel des Art. 23A OECD-MA zwischenzeitlich um einen Abs. 4 ergänzt worden ist, ändert nichts, weil die Ergänzung zu kurz greift. Sie betrifft nämlich allein Qualifikationsunterschiede im nationalen Recht, nicht bei Auslegung von Abkommensvorschriften.69 Der BFH hat sich im Urteil vom 25.5.2011 – I R 95/1070 dieser Sichtweise der OECD denn auch konsequent widersetzt. So befürwortet er entgegen dem OECD-Musterkommentar ein anwenderstaatsorientiertes, kein abkommensorientiertes Verständnis, um für die Entlastung von Quellensteuern das „richtige“ entlastungsberechtigte Steuersubjekt zu finden, wenn dieses Subjekt in dem einen Staat als transparent und in dem anderen als intransparent behandelt wird. Das Amtshilfericht-
_____________ 68 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 3 OECD-MA Rz. 78 ff. 69 S. Gosch in Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 2004, 103 (112). 70 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553; krit. Chr. Schmidt, IStR 2011, 691; Chr. Schmidt, IWB 2011, 696 (699); Gosch in Kirchhof, 12. Aufl. 2013, § 50d EStG Rz. 10.
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linie-Umsetzungsgesetz sieht nunmehr vor, dieser Rechtsprechung mit Hilfe eines neuen § 50d Abs. 1 Satz 11 EStG entgegenzutreten.71 Ein zweites Beispiel: Bestimmte Gesellschaften, die nach deutschem Verständnis strukturell einer KG entsprechen, werden in Ungarn steuerlich als Körperschaft behandelt. Ist der in Deutschland ansässige Gesellschafter einer solchen Gesellschaft Mitunternehmer mit der Konsequenz entsprechender, im Inland freizustellender Betriebsstätteneinkünfte? Oder erwirtschaftete er Kapitaleinkünfte, die in Deutschland zu besteuern sind? Der BFH hat sich – wiederum im Urteil vom 25.5.2011 – I R 95/10 – zu der ersteren Auslegung bekannt. Den Ausschlag für das anzuwendende „Besteuerungsregime“ gab dem BFH auch hier das nationale deutsche Recht. Für die Verbindung zum ungarischen Recht fehlte die notwendige Rechtsgrundlage im DBA.72 Ein drittes Beispiel offeriert schließlich die Entscheidung des BFH v. 6.6.2012 – I R 6, 8/11:73 Es ging dort einmal mehr um die Gewährung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs. Dieses Mal ging es aber nicht um die Frage danach, welchem Steuersubjekt dieses Privileg zu gewähren ist, sondern darum, ob es sich um Dividenden handelt, die abkommensbegünstigt sind. Konkret waren das Eigenkapitalzinsen, auf die nach brasilianischem Steuerrecht unter bestimmten Voraussetzungen alternativ zu einer Gewinnausschüttung optiert werden kann. Stellen derartige Zinsen Dividenden dar? Der BFH hat das bejaht. Den Ausgangspunkt setzt Art. 10 Abs. 3 OECD-MA und die dort gegebene Dividendendefinition. Das OECD-MA unterscheidet danach drei Untergruppen: Erstens Einkünfte (u. a.) aus Aktien, zweitens aus anderen Rechten mit Gewinnbeteiligung und drittens aus sonstigen Gesellschaftsanteilen, die nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats der Gesellschaft den Aktieneinkünften steuerlich gleichgestellt sind. Der Dividendenbegriff bestimmt sich also abkommensspezifisch kraft eigener _____________ 71 Das JStG 2013 ist zwar im Gesetzgebungsverfahren gescheitert – wohl aus Gründen der politischen Machtkonstellation. Das inzwischen beschlossene Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809) hat jedoch die wesentlichen, ursprünglich im E-JStG 2013 vorgesehenen Änderungen doch noch übernommen, so auch den neuen § 50d Abs. 1 Satz 11 EStG. Die neue Vorschrift ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 30.6.2013 erfolgen, § 52 Abs. 59a Satz 7 EStG i. d. F. des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes. 72 A. A. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. 2011, 539; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 1 OECD-MA Rz. 38; das aufgreifend Tischbirek in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 10 OECD-MA Rz. 191. 73 BFH v. 6.6.2012 – I R 6, 8/11, ISR 2012, 91 mit Anm. Kammeter = IStR 2012, 766.
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Definition, das aber nur, soweit es um die Konturen, die Reichweite des Begriffs geht. Um den Dividendenbegriff abschließend zu formen, muss das nationale Recht des jeweiligen Anwenderstaats aushelfen, in Deutschland also § 20 EStG. Eine Ausnahme davon macht nur die dritte Untergruppe, die – wie beschrieben – dem Recht des Quellenstaats die Deutungshoheit einräumt. Das hat der BFH beim Wort genommen und die Annahme einer Qualifikationsverkettung auf jene dritte Untergruppe verengt. Ausschlaggebend ist ihm der, wie er selbst betont, „unmissverständliche Regelungstext“ und auch der Systemzusammenhang. Dass sich damit disharmonische Lösungen ergeben können, wird hingenommen. Ein Auslegungsgrundsatz der Entscheidungsharmonie, eine „den DBA immanente Regelungshomogenität“,74 solches konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen.
D. Verbleibende Bedeutung der Lex-Fori-Klausel, insbesondere bei Qualifikationskonflikten I. Nationales Recht als Auslegungssubstitut Welche Bedeutung, welcher Anwendungsbereich verbleibt angesichts all dessen dem nationalen Recht noch? Die Antwort gibt, und hier schließt sich der Kreis wieder, die Lex-Fori-Klausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA. Das soll erneut an ein, zwei Beispielen illustriert werden und paradigmatisch gelingt dies bei den Sondervergütungen, den gewerblichen Prägungen und bei den hybriden Gesellschaftsformen. Sondervergütungen sind nach innerstaatlichem deutschem Recht bekanntermaßen Teil der gewerblichen Einkünfte. Dass das so ist, verdankt die Rechtserkenntnis einer regulatorischen Fiktion, jener des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Die Frage geht dahin, ob diese Fiktion ihren Niederschlag auch in den abkommenseigenen Unternehmensgewinnen des Art. 7 OECD-MA finden kann. Die Finanzverwaltung75 bejaht das und verweist auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA. Der BFH76 gelangt zu dem gegenteiligen Ergebnis, wobei er den systematischen Weg letzten Endes offenlässt: Entweder die betreffende Sondervergütung wird derjenigen Einkunftsart zugeordnet, der sie originär entspricht, also _____________ 74 So Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 16.331; s. a. Tischbirek in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 10 OECD-MA Rz. 186. 75 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354. 76 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 mit Anm. Mitschke = IStR 2011, 32; v. 7.12.2011 – I R 5/11, IStR 2012, 222; v. 8.11.2010 – I R 106/09, FR 2011, 290 = DStR 2011, 14.
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Zinsen bei Art. 10 OECD-MA, Arbeitslohn bei Art. 15 OECD-MA. Oder man geht alternativ den Umweg über Art. 7 Abs. 7 OECD-MA und gelangt auf diese Weise zu der abkommensspezielleren Einkunftsart. Nationale Regelungsfiktionen treten jedenfalls zurück. Nicht anders liegt es bezogen auf den Unternehmensbegriff. Auch hier scheitert die Reichweite der nationalen Fiktion in § 15 Abs. 3 EStG an der vorrangigen Abkommensdefinition. Der Anwendungsbereich des nationalen Rechts ist darauf reduziert, die „originäre“ Gewerblichkeit zu justieren.77 Und schließlich ist noch einmal auf den Outbound-Fall des in Deutschland ansässigen Gesellschafters der ungarischen Hybrid-KG zurückzukommen. Der BFH78 bestimmte hier die Frage der Zurechnung bestimmter Einkünfte zu einer Person und wandte dafür nationales Recht an, und zwar gleichviel, ob der Regelungsbefehl den Ansässigkeits- oder den Quellenstaat betrifft. Denn Art. 3 Abs. 2 OECD-MA unterscheidet nicht zwischen einem dieser Staaten; Maßstab ist allein der jeweils abkommensanwendende Vertragsstaat.79 Qualifikationskonflikte nimmt das DBA insoweit in Kauf. Sie sind abkommensimmanent, weil das Abkommensrecht zwar ein Konflikt- oder Kollisionsrecht ist, aber eben „aus sich heraus“ kein kollisionsauflösendes „Dachrecht“ darstellt, wie es das Internationale Privatrecht repräsentiert.80 II. Treaty Overriding als nationales „Gegenmittel“? Aus alledem können nun einmal mehr Doppel- wie Keinmalbesteuerungen folgen und das leitet abschließend dazu über, welche Möglichkeiten dem nationalen Recht verbleiben und welchen Grenzen es ausgesetzt ist, um hier gegenzusteuern, insbesondere durch Treaty Overriding. Erneut setzt der abkommensrechtliche Regelungsgegenstand die Grenzmarken. Denn von einem Treaty Override lässt sich immer nur dann sprechen, wenn in ein vorrangig abkommensautonomes Rechtsverständnis unilateral eingegriffen wird. Rechtsbereiche, welche von vornherein dem abkommensrechtlichen Rechtskreis entzogen sind, bleiben davon ausgespart; sie können nicht „überschrieben“ werden. _____________ 77 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 mit Anm. Buciek = DStR 2010, 1220 (1222). 78 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553. 79 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553 (1554). 80 Erhellend zu dieser Unterscheidung einmal mehr Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1964, 70 ff. (72 f.).
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An dieser Stelle verschränken sich Abkommensauslegung einerseits und nationale Gegenwehr andererseits.81 Belegen lässt sich das an dem Beispiel der Einkommenszurechnung und hierbei an § 50d Abs. 3 EStG.82 Die Vorschrift entzieht einer an sich abkommensberechtigten ausländischen Gesellschaft aus Gründen der Missbrauchsvermeidung den ihr abkommensrechtlich an sich zustehenden Anspruch auf Entlastung von Quellensteuern. „Getroffen“ werden soll hierdurch das Treaty Shopping. Welche Gründe den Missbrauchsvorwurf hierbei rechtfertigen sollen, wird in überaus komplizierter Weise festgelegt. Das soll hier im Einzelnen dahinstehen. Ausschlaggebend für die Frage der Auslegung ist allein, dass der nationale Gesetzgeber im Kern nicht gehindert ist, diesen Weg zu beschreiten. Denn DBA entziehen dem jeweiligen Vertragsstaat nicht die im Territorialen wurzelnde Kompetenz, über die personale Zurechnung der betreffenden Einkünfte zu entscheiden. Das bleibt in aller Regel Sache des nationalen Rechts, nicht anders als Fragen der Einkünftequalifikation und der Einkünfteermittlung.83 Ein zweites Beispiel – allerdings mit umgekehrtem Ergebnis – liefert der jüngst ebenfalls in § 50d EStG „angehängte“ Abs. 11: Danach wird das DBA-Schachtelprivileg nur dann gewährt, wenn die Dividenden nach deutschem Steuerrecht nicht einer anderen Person zuzurechnen sind. Regelungsziel sind in erster Linie KGaA, die infolge ihrer hybriden Struktur nicht vollen Umfangs in den Genuss der Abkommensvergünstigung gelangen sollen, wenn persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft ist. Abermals gilt, dass Zurechnungsfragen dem nationalen und nicht dem Abkommensrecht überantwortet sind. Das findet jedoch seine Grenzen, wenn das DBA Kapitalgesellschaften als „bloße“ Zahlungsempfänger von Dividenden „schachtelprivilegiert“, nicht aber diejenigen Personen, welche die Dividenden als sog. Nutzungsberechtigte, als „Beneficial Owner“, vereinnahmen. § 50d Abs. 11 EStG setzt sich darüber eigenmächtig hinweg.84 _____________ 81 Auf den abkommensrechtlichen Regelungsbereich als „Vorstufe“ jeder Auslegung stellt namentlich und zu Recht Wassermeyer ab, s. Wassermeyer in Mössner/ Blumenwitz u. a., Doppelbesteuerungsrecht und nationales Recht, 1995, 21. 82 Allg. Gosch in Kirchhof, 12. Aufl. 2013, § 50d EStG Rz. 24 ff. m. w. N. 83 BFH v. 24.3.1999 – I R 114/97, BStBl. II 2000, 399 = FR 1999, 753; v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 mit Anm. Kempermann = DStR 2011, 1553; v. 19.5.2010 – I R 62/09, FR 2010, 809 mit Anm. Wassermeyer = DStR 2010, 1712. 84 S. im Ergebnis Gosch in Kirchhof, 12. Aufl. 2013, § 50d EStG Rz. 50 f.
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Und Gewissheit sollte schließlich darüber bestehen, dass sich die landesrechtliche Auslegung, also der Auslegungsvorrang der Lex-Fori-Klausel, schwerlich mittels einer nationalen Regelung anordnen lässt. Beispiel dafür liefert § 50d Abs. 10 EStG, durch welchen Sondervergütungen als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne fingiert werden sollen. Der Gesetzgeber meint, dadurch lediglich eine bestimmte „Interpretation“ zu befördern.85 Auch ein solcher rechtsmethodischer Anwendungsund Auslegungsbefehl setzt sich indes über den Völkerrechtsvertrag hinweg, auch ein solcherart erzwungenes Auslegungsergebnis ist deshalb wiederum ein Treaty Override.86
E. Schlusssentenzen Abkommensauslegung bleibt ein „heißes Pflaster“. Viele Versatzstücke, viele Detailfragen und -antworten greifen ineinander. Zweierlei ist noch einmal hervorzuheben: Zum ersten: Der BFH nimmt seinen Auslegungsauftrag ernst. Er exegiert das DBA unbeschadet seiner völkerrechtlichen Verankerung als Gesetz. Es gilt der unbedingte Gesetzesvorbehalt. Die Letztinterpretation obliegt den Gerichten, sie kann nicht, auch nicht aus „praktischen“ oder zielgerichteten Gründen, ausgelagert und im Sinne einer authentischen Interpretation den Vertragsbeteiligten oder den Fisci als Deutungsträger überantwortet werden, auch dann nicht, wenn deren Interessen in der OECD gebündelt werden. Zweitens: Doppelbesteuerungen ebenso wie Keinmalbesteuerungen sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Gerade deswegen gilt zuvörderst das Gebot einer völkerrechtsorientierten Abkommensauslegung, die methodisch aufbauend auf dem „hermeneutischen Kanon“ durch verschiedene Auslegungsfacetten ergänzt wird. Nur dann – notabene: nur dann –, wenn das Abkommen keine Antwort gibt, verweist der Weg auf das nationale Recht. Kommt es dadurch zu unvermeidbaren Qualifikationsdivergenzen, dann ist dem mit den Mitteln der zwischenbehördlichen Verständigung zu begegnen. Punktuell mag zwar auch ein Treaty Overriding die geeignete Gegenwehr liefern, namentlich in Fällen des Missbrauchs, der allerdings nicht – wie aber die jüngste „Empfehlung der Kommission vom 6.12.2012 betreffend aggressive _____________ 85 BT-Drucks. 16/11108, 29. 86 Gosch in Kirchhof, 12. Aufl. 2013, § 50d EStG Rz. 44a.
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Steuerplanung“87 sowie der gleichlaufende „Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung“ suggerieren mögen – ohne Weiteres mit der Bekämpfung und der Vermeidung von Steuerdumping oder Keinmalbesteuerung gleichgesetzt werden kann und darf. Sich jedoch über abkommensrechtliche Unabgestimmtheiten und Unzulänglichkeiten nationalstaatlich flächendeckend hinwegzusetzen, ist jedenfalls mit Gewissheit der falsche Weg. Er sprengt die Idee des völkerrechtlich verbindlich Vereinbarten.
_____________ 87 ABl. EU L 338 v. 12.12.2012, 41.
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Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München/ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel Martin Kreienbaum Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Lüdicke Herr Gosch, vielen Dank für Ihren umfassenden und im besten Sinne erschöpfenden Überblick über die Facetten der DBA-Auslegung und -Anwendung. Die Rechtsprechung Ihres und auch anderer Senate kam sehr schön heraus. Herr Bernhardt, sind Sie als Vertreter der Wirtschaft mit dieser Art der Anwendung und Auslegung von DBA zufrieden? Bernhardt Ich glaube, es war wirklich ein Hochreckturnen und danach fragt man sich als Vertreter eines Unternehmens: Was heißt das eigentlich für die Praxis? Wo kann man Hilfe bekommen und wo sind die Grenzen? Mir gefällt Ihr Bild, Herr Gosch, von den zwei parallelen Kreisen und dem Schalter in der Mitte, mit dem am Ende von völkerrechtlichen Verträgen wieder zurückgeschaltet wird in den nationalen Rechtskreis. Das ist das Gebiet, das uns im Unternehmen letztlich belastet, denn wir behandeln die Themen ja nicht als isolierte akademische Fragen, sondern als Umsetzung von unternehmerischen Strukturen in steuerrecht25
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liche Gestaltungen. Ich hatte zwischendurch die Hoffnung, es gibt eine deutlichere Hilfe durch die Rechtsprechung, aber die Möglichkeiten des Treaty Overriding sind offensichtlich doch von Ihnen weiter gesteckt, als ich es bislang vermutet hatte. Prof. Dr. Lüdicke Wir wollen jetzt nicht über Treaty Overriding reden. Hatten Sie denn insgesamt den Eindruck, dass die Linie der Auslegung der DBA, wie sie vom BFH ja in langjähriger Rechtsprechung vertreten wird, in gewisser Weise vorhersehbar ist? Bernhardt Also den Eindruck hatte ich nicht so ganz, kann mich aber darauf einstellen. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man die Linien dann auch beibehält und ich glaube, dann kann man damit auch ganz gut operieren. Die Beispiele, die Sie genannt haben, sind ja sehr plastisch. Und in der Praxis sind gerade letztlich die Qualifikationsunterschiede in den jeweiligen Rechtsordnungen die interessanten Fälle. Man erlebt das z. B. in Vertragsverhandlungen mit ausländischen Vertragspartnern. Man redet dann oft lange aneinander vorbei, weil letztlich die eigene Betrachtung und Wertung immer geprägt ist von der eigenen Sprache und der eigenen Rechtsordnung. Das geht Behörden letztlich auch nicht anders und es zieht sich bis in die Auslegung der DBA hinein. Sprache und eigener Rechtskreis prägen am Ende doch und sind letztlich die großen Fallstricke, weil die unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen eben gewachsene Rechtsordnungen sind. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, sind Sie im BMF mit der Auslegungslinie glücklich? Erst das DBA und nur hilfsweise das nationale Recht, oder hätten Sie es gerne umgekehrt? Kreienbaum Die Struktur dieser Veranstaltung ist ja so angelegt, dass Widerspruch hervorgerufen wird, und ich glaube, Herr Prof. Gosch, in verschiedenen Punkten wird Ihnen das auch gelingen. Ich kann Ihnen zwar in vielen Teilen beipflichten, will aber auch in einigen Punkten nicht nur pflichtgemäß, sondern auch aus Überzeugung widersprechen. Ich möchte konkret zwei Punkte herausgreifen, die Sie angesprochen haben. Einmal 26
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die Frage des Auslegungsziels der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung. Sie hatten angedeutet, dass es möglicherweise in unserem Muster, wir nennen es konsolidierte Verhandlungsgrundlage, ich komme darauf später nochmal zurück, enthalten sein könnte. Die Frage ist für mich tatsächlich, ob eine solche Zielbeschreibung in dieser Ausdrücklichkeit, Sie hatten Art. 3 OECD-MA angedeutet, notwendig ist, oder ob es nicht vielmehr ein unausgesprochenes gemeinsames Verständnis der vertragsschließenden Parteien ist. Ein Grundverständnis, dass man in der Auslegung der Norm und des Normgefüges verhindern will, dass bei der Anwendung der Kollateralschaden „Nichtbesteuerung“ entsteht. Ein autonomes Abkommensziel der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung kann nicht bestehen. Es ist nicht der Zweck eines DBA, einzelne Staaten zu verpflichten, Dinge zu besteuern, die sie nach nationalem Recht unabhängig von der Anwendung des DBA nicht besteuern. Aber wenn Staaten sich zusammensetzen und im Kern über die Vermeidung der Doppelbesteuerung reden und zu diesem Zweck ein Abkommen schließen und es dann in der Durchführung der dafür gefundenen Regeln und des dafür gefundenen Regelungsgefüges dazu kommt, dass einem Staat die Besteuerung verwehrt ist, der nur in dem Bewusstsein auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, mit seinem Verzicht eine doppelte Besteuerung zu vermeiden, dann glaube ich, dass wir auch als Abkommensziel in der Interpretation des Abkommens selbst – also ohne explizite Regelung – allein aus der abkommensautonomen Interpretation dazu kommen, dass wir diesen Kollateralschaden „doppelte Nichtbesteuerung“ vermeiden müssen. Zu den zwei Rechtskreisen: Was macht der Gesetzgeber? Im Zustimmungsgesetz stimmt der Gesetzgeber dem völkerrechtlichen Vertrag unter eben dieser Zielsetzung zu. Es sind lediglich formal zwei Rechtskreise, der völkerrechtliche Rechtskreis und der nationale, aber in der Sache setzt der Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz auch die Intention und den Regelungszweck des völkerrechtlichen Vertrags um und verknüpft dadurch beide Rechtskreise. Insoweit glaube ich, dass ich der Vorstellung, dass es sich um zwei Rechtskreise handelt, die miteinander nichts oder nur wenig zu tun haben, nicht zustimmen könnte. Der Gesetzgeber setzt schließlich als Organ des abkommensschließenden Völkerrechtssubjekts den völkerrechtlichen Vertrag um. Der letzte Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, ist etwas schwieriger, weil Sie die Messlatte so hoch gesetzt haben, Herr Prof. Gosch, weil diejenigen das innerstaatliche regulatorische Normgefüge, so habe ich es mir aufgeschrieben, nicht verstanden hät27
Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
ten, die behaupten, dass man zur dynamischen Auslegung oder Hinzuziehung des OECD-MK kommen könne. Ich bin Ihnen aber ganz dankbar, dass Sie mir eine Hintertür offengelassen haben. Sie haben „automatische Dynamisierung“ gesagt und das auch in den Zusammenhang mit der Verbindlichkeit des OECD-MK gestellt, immer vor dem Hintergrund, dass die Kommentierung später erfolgt als die Ratifizierung. Ich stimme Ihnen vollständig zu, der OECD-MK hat aus sich heraus keine autonome Normsetzungsfunktion. Das ist völlig klar, er entfaltet aus sich heraus keine Verbindlichkeit. Ich sehe auch nicht, dass Vertreter der Finanzverwaltung bisher je behauptet hätten, dass es so wäre. Sie haben von „automatischer Dynamisierung“ gesprochen. Der Begriff „Automatik“ oder „automatisch“ enthält auch ein Verbindlichkeitselement. Wenn ich den Begriff „automatisch“ weglasse, wenn Sie mir das erlauben, dann würde ich schon davon reden, dass die dynamische Anwendung ermöglicht und gebietet, die nach Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrags erfolgte OECD-Kommentierung bei der Interpretation einer DBA-Vorschrift hinzuzuziehen, und zwar aus folgendem Grund: Der Gesetzgeber und auch die völkerrechtlich vertragsschließenden Parteien bedienen sich einer abstrakten Normensprache. Sie sind sich bei der Formulierung der Normen bewusst, dass diese Normen wertausfüllungsbedürftig sind. Diese Ausfüllungsbedürftigkeit kann aus meiner Sicht nicht statisch sein. Die vertragsschließenden Parteien und auch der Gesetzgeber im Zustimmungsgesetz wollen, dass die Normen für die Zukunft, für in der Regel sehr lange Zeit, anwendbar sind – bis auf Weiteres, bis sich der Gesetzgeber oder die vertragsschließenden Parteien anders entscheiden. D. h., sie wollen Sachverhalte abdecken, die weit in der Zukunft liegen, konkrete Sachverhalte, durch welche die abstrakt-generelle Norm praktisch ausgefüllt wird. In der Ausführung der abstrakt-generellen Norm kann weder die vertragsschließende Partei noch der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Ratifizierung an alle Sachverhalte für die Zukunft gedacht haben. Wir sehen es, meine ich, sehr deutlich im Bereich des E-Commerce, einem Bereich wirtschaftlicher Aktivität, den es vor 30 Jahren noch nicht gab. Plötzlich stellt sich die Frage, was ich mit Geschäftsvorfällen mache, die komplett übers Internet abgewickelt werden. Also die typischen Fragen: Ist die Website eine Betriebsstätte? Ist der Server eine Betriebsstätte? Welche Funktion haben bestimmte Werbemechanismen auf Websites? Dies sind zum Teil Dinge, die z. B. die Substanzerfordernisse von Betriebsstätten nicht erfüllen. An diese Sachverhalte kann der Gesetzgeber, wenn er vor 30 oder 40 Jahren ein DBA ratifiziert hat, nicht gedacht haben, ebenso 28
Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
wenig wie die Vertragsverhandler. Insoweit bin ich davon überzeugt, dass in jeder abstrakt-generellen Norm eine Dynamik angelegt sein muss, um auch zukünftige Sachverhalte dem Normzweck entsprechend auslegen zu können. Und das ist für mich der entscheidende Grund zu sagen, dass ich den OECD-MK auch in einer später erfolgten abgeänderten Fassung als Auslegungshilfe heranziehe. Immer natürlich unter der Voraussetzung, dass sich diese Auslegung innerhalb der Wortbedeutung der Norm, des Normzwecks und des Regelungszusammenhangs bewegt. Das ist ganz entscheidend. Wenn sich die Interpretation der OECD über die Wortbedeutung der Norm hinwegsetzt, dann habe ich in der Tat ein Problem. Dann überdehnt der nachträgliche OECD-MK den Auslegungsrahmen der Norm, wie er vom Gesetzgeber und den vertragsschließenden Parteien gewollt ist, und dann wäre die Musterkommentierung nicht heranzuziehen. Aber das Überschreiten des Auslegungsrahmens entspricht nicht dem Verständnis des OECD-MK. Der OECD-MK spricht ausdrücklich in seiner Einleitung von Interpretation der Norm. Ich meine, da bestünde ein gewisser Widerspruch, wenn man grundsätzlich annähme, dass sich die OECD-Kommentatoren nicht um den Auslegungsrahmen der Norm scherten. Ich will überhaupt nicht ausschließen, dass es vorkommen kann, dass die OECD kommentiert und im Ergebnis die Rechtsprechung dazu kommt, zu sagen, hier bewegt sich die OECD außerhalb der Wortbedeutung der Norm, meinetwegen auch außerhalb des Abkommenszwecks oder anderer Kriterien, die bei der Ermittlung des Auslegungsrahmens hinzuzuziehen sind. Aber als Hilfskriterium, meine ich, dass wir den OECD-Musterkommentar auch in nachträglichen Fassungen hinzuziehen müssen, weil oder, wenn Sie wollen, wenn er den Willen der Vertragsparteien nachträglich innerhalb der Wortbedeutung der Norm konkretisiert. Und Zweck eines DBA ist es schließlich auch, einen gemeinsamen Willen der Vertragsparteien auch für die Zukunft herzustellen, unter den in der Zukunft liegende Sachverhalte subsumiert werden können. Und genau das macht der OECD-Kommentar. Der sagt: Innerhalb des Normzwecks versuche ich auch, für zukünftige Fälle den gemeinsamen Willen der Vertragsparteien zu identifizieren und klarzustellen. Ich glaube, dass das – auch vom Normzweck her gedacht – der entscheidende Punkt ist, denn außerhalb dieses Mechanismus der Verständigung innerhalb der OECD bekommen Vertragsparteien den gemeinsam gewollten Vertragszweck nicht mehr erfüllt. Sie können den Willen der Vertragsparteien ja nicht nachträglich im Einzelfall über den Gesetzgeber ermitteln.
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Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Kreienbaum. Ich denke, da waren für die Praxis und für die wissenschaftliche Diskussion in Deutschland einige wichtige Aussagen dabei. So etwa die Aussage, dass jedenfalls dann, wenn der OECD-MK mit dem Wortlaut nicht vereinbar ist, er dann auch selbstverständlich nicht den Wortlaut sozusagen überschreiben kann. Letztlich geht es aber ja um die Fälle, in denen er mit dem Wortlaut vereinbar ist und eine der Auslegungsmöglichkeiten darstellt. Dazu möchte ich doch noch mal nachfragen: Sollen Ihre Ausführungen so verstanden werden, dass im Rahmen dieser mehreren Auslegungsmöglichkeiten – beispielsweise bei neuen Entwicklungen, aber auch allgemein – das, was im OECD-MK als übereinstimmende OECD-Auffassung, immer öfter aber auch nur als Mehrheitsmeinung der OECD niedergelegt ist, dann sozusagen die Rechtsprechung binden soll als die einzig maßgebliche der mehreren möglichen Auslegungen? Oder ist das dann letztlich – mit allem Respekt vor der OECD – doch nur eine Meinung, welche die Rechtsprechung natürlich berücksichtigen, aber auch ablehnen kann? Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Wir haben letztlich – zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen – das deutsche Gesetz anzuwenden. Das ist nicht der völkerrechtliche Vertrag. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Auch andere Gesetze können möglicherweise durch Zeitablauf oder neue Entwicklungen überholt sein. Wenn es bei anderen Gesetzen mehrere Auslegungsmöglichkeiten gibt, ist es doch schwerlich das Verständnis in einem Rechtstaat, dass dann die Verwaltung, etwa in Einkommensteuerrichtlinien, einseitig eine zwingende Auslegung vorgeben kann, sondern nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist letztlich die Rechtsprechung zur Letztentscheidung berufen. Soll das bei den Vertragsgesetzen – also bei den DBA-Zustimmungsgesetzen – anders sein, nur weil sich die Verwaltung in der OECD bei der Abfassung des OECD-MK mit einigen anderen Verwaltungen zusammentut? Kreienbaum Ja, vielen Dank. Das ist eine wichtige Komponente: der OECD-MK als Interpretation der Staatenpraxis. Die Staatenpraxis der OECD-Mitgliedstaaten manifestiert sich auch in der Festlegung im OECD-MK. Das ist auch, glaube ich, unbestritten und das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge sagt ja ausdrücklich, dass nachträgliche Staatenpraxis für die Auslegung von Bedeutung ist. Aus meiner Sicht entfaltet die nachträgliche Änderung oder die nachträgliche Version des OECD30
Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
MK keine willkürliche weitere Auslegungsmöglichkeit unter vielen, sondern sie ist ein starkes Indiz, ein überragendes Hilfskriterium, das in der Auslegung heranzuziehen ist. Natürlich ist in der Frage der Interpretation entlang der beschriebenen Auslegungshierarchie vorzugehen. Aber innerhalb des dann ermittelten Rahmens stellt der OECD-MK in seiner dynamischen nachträglichen Fassung nicht bloß eine wahlweise heranzuziehende Auslegungshilfe dar, nicht nur eines unter vielen gleichwertigen Kriterien, das man zur Illustration heranziehen kann, sondern das überragende Hilfskriterium. Darüber hinaus manifestiert sich im nachträglichen OECD-MK der Wille der Vertragsstaaten, zur Erreichung des Normzwecks ein einheitliches, international akzeptiertes Normverständnis herzustellen. Auch im Zustimmungsgesetz will der Gesetzgeber ein gemeinsames Normverständnis mit anderen Vertragspartnern herstellen. Insofern ist eine neue, nachträgliche Fassung des OECD-MK kein willkürliches weiteres Auslegungskriterium, sondern sie entfaltet eine starke Indizwirkung für die Staatenpraxis und ist somit innerhalb der Auslegungshierarchie heranzuziehen, ohne eine unmittelbare rechtliche Bindung zu entfalten. Prof. Dr. Lüdicke Man mag sich aber schon fragen, ob sich der Gesetzgeber, als er vor 40 oder 50 Jahren dem DBA mit Frankreich zugestimmt hat, vorgestellt hat, dass dessen Inhalt später durch Mehrheiten in der OECD, die dann womöglich noch Gaststaaten umfassen, mit beeinflusst werden kann. Prof. Dr. Drüen Herr Gosch hat uns die Probleme und Auslegungsfragen des Zusammenwirkens von völkerrechtlichen Verträgen und einfachem gesetzlichem Eingriffsrecht dargestellt. Herr Kreienbaum, vielleicht kommen Sie weiter mit der von Ihnen erstrebten Auslegungshierarchie, wenn Sie das Problem etwas grundsätzlicher angehen und nicht nur bei einem deutschen Vertragsmuster als konsolidierter Verhandlungsgrundlage ansetzen. Was Ihnen vor Augen schwebt mit einem Mustervertrag, könnte vielleicht auf eine auch die parlamentarische Verantwortung besser abbildende Weise geregelt werden. In Betracht kommt ein deutsches „DBA-Mustergesetz“. Ein vor die Klammer des DBA-Zustimmungsgesetzes gezogenes, allgemeines Gesetz. Das Parlament könnte mit einer übergeordneten Systembindung die allgemeine Praxis von DBA und völkerrechtlichen Verträgen selber festlegen. Das schließt die Ab31
Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
weichungsmöglichkeit im Einzelfall ein, würde aber transparent hinsichtlich der Gründe, aus denen abgewichen wird. Das Ziel der zukunftsbezogenen Anwendungsaktualisierung nach Maßgabe von internationalen Entwicklungen könnte man behutsamer angehen, das hat Herr Gosch zu Recht gesagt. Steuerrecht ist Eingriffsrecht und der Eingriff muss auf das Gesetz zurückführbar sein. Vielleicht wäre ein solcher allgemeiner Teil eine bessere Lösung. Bedenken Sie, dass bei der Konsultationsvereinbarung und § 2 Abs. 2 Satz 1 AO offensichtlich über flankierende Auslegungsregeln nachgedacht wird, so hat Herr Gosch das treffend formuliert. Herr Gosch, mich hat natürlich auch gefreut, dass Sie den kritischen Stimmen durchaus eine Berechtigung eingeräumt haben. Es könnte aber wiederum zu kurz gesprungen sein, nur untergesetzliche Auslegungsregeln zu schaffen. Ein übergeordnetes Vertragsgesetz könnte dagegen zumindest einen allgemeinen Rahmen für die Auslegung von DBA vorgeben. Prof. Dr. Lüdicke Würden Sie denn in einem solchen Vertragsgesetz nicht eventuell die Gefahr der Delegation von Rechtssetzungsmacht auf untergesetzliche Rechtssetzer sehen? Wie weit kann der Gesetzgeber sich der Herrschaft über den Inhalt seiner Gesetze da überhaupt entäußern? Prof. Dr. Drüen Das ist ein berechtigter Einwand. Ich wollte nicht einer Formulierung das Wort reden, dass deutsche DBA dynamisch stets nach dem Auslegungsstand der OECD auszulegen sind. Das soll es nicht sein. Die Auslegung muss zurückführbar sein auf das Vertragsgesetz und der allgemeine Teil dient nur als Rahmen und zugleich der Konkretisierung. Eingriffsrechte muss das Parlament schaffen, daran ändert auch ein Mustergesetz nichts. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Herr Kreienbaum, es war ja schon mehrfach von diesem deutschen Abkommensmuster die Rede, seit einiger Zeit wird darüber auch öffentlich diskutiert. Vielleicht können Sie im jetzigen Stadium schon etwas dazu sagen, was da gemacht und geplant ist.
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Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
Kreienbaum Ja, das mache ich gern. Ich hatte ja schon den Begriff „konsolidierte Verhandlungsgrundlage“ erwähnt. „DBA-Muster“ schien mir und meinen Kollegen einen etwas zu hohen Anspruch zu suggerieren. Die konsolidierte Verhandlungsgrundlage, die wir in den vergangenen achtzehn Monaten im BMF erarbeitet haben, richtet sich weitgehend, wie auch unsere bisherige DBA-Praxis, am OECD-MA aus. Die Erwartung, dass sich die DBA-Politik der Bundesregierung dadurch ändern würde, die muss ich enttäuschen. Deswegen sage ich Ihnen gerne etwas zum Zweck unserer konsolidierten Verhandlungsgrundlage. Wir haben in der Steuerabteilung des BMF vier Verhandlungsreferate und es gibt Stimmen, die behaupten, dass man einem DBA ansehen könne, wer es verhandelt hat. Das ist im Ergebnis nicht besonders überzeugend. Das Ziel ist, eine einheitliche Verhandlungs- und Ausgangsfassung zu schaffen, mit der diejenigen Kollegen, die für das BMF DBA verhandeln, als Ausgangsbasis in die Verhandlungen gehen. Dieses Ziel soll mit dieser konsolidierten Verhandlungsgrundlage erfüllt werden. Wir werden künftig einheitliche Formulierungen, Sprachfassungen, Strukturen und Verweise haben für die Industrieländer, mit leichten Abweichungen für die Entwicklungsländer, aber nicht in der Struktur und der Verweisstruktur. In der bisherigen Praxis gab es das so nicht. Wir werden das im Laufe des Tages vermutlich noch häufiger als Vorwurf an das BMF hören, dass beispielsweise unsere Subject-to-tax-Klauseln in unterschiedlichster Form in Abkommen enthalten sind und sich möglicherweise daraus unterschiedliche Rechtsfolgen ableiten sollen. Das soll in Zukunft mit dieser konsolidierten Fassung möglichst vermieden werden. Denn der Rechtsanwender darf sich zu Recht fragen, warum der Gesetzgeber in zeitlicher Nähe gleiche Regelungsinhalte in unterschiedlichen Sprachfassungen ausdrückt. Das ist für mich ein wichtiger Punkt, hier eine Einheitlichkeit der Formulierungen herzustellen und auch die Vertragsverhandler als Ausgangspunkt für die Vertragsverhandlungen auf diese einheitlichen Formulierungen zu verpflichten. Wir haben auch eine Reihe von materiell-rechtlichen Vereinheitlichungen im DBA-Bereich geschaffen. Man muss ganz klar sagen, die DBA-politische Ausrichtung hat sich nicht geändert. Sie ist auch in weiten Teilen vorgegeben und immer transparent gewesen. Auch ohne offizielles DBA-Muster und ohne konsolidierte Verhandlungsgrundlage ist unsere Abkommenspolitik immer sichtbar an den Abkommen, die wir abschließen und die ratifiziert werden. Das ist die Abkommenspolitik der Bundesregierung. Und natürlich sind wir gebunden, beispiels33
Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
weise in der Frage des Methodenartikels, der im Koalitionsvertrag explizit genannt ist. In der Frage der grenzüberschreitenden Rentenbesteuerung gibt es einen klaren Auftrag des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, die nachgelagerte Rentenbesteuerung auch im grenzüberschreitenden Verhältnis sicherzustellen. Das versuchen wir seit einigen Jahren abzubilden. Wir haben – je nach Verhandlungsergebnis – unterschiedliche Formulierungen und auch unterschiedliche materiell-rechtliche Regelungen in den jüngst geschlossenen Abkommen und wollen für die Zukunft einheitlichere Formulierungen und einen einheitlicheren Ansatz haben. Zu den einzelnen Punkten, Herr Prof. Gosch, Sie hatten ja schon einiges angesprochen: Ich möchte zu diesem Zeitpunkt zu den Inhalten nicht zu viel sagen, weil wir unsere konsolidierte Verhandlungsgrundlage dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zwar angekündigt, aber noch nicht vorgestellt haben. Und deswegen würde ich es ungern in der Öffentlichkeit im Detail diskutieren. Wir haben den Entwurf den Ländern übersandt mit der Bitte zu kommentieren, werden ihn dann weiter, auch unter Einbeziehung der Länder, diskutieren, es ist ja ein Bereich auch der Länderverantwortung. Dann soll der Entwurf im Frühjahr im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages vorgestellt werden und wir werden zudem eine öffentliche Fachveranstaltung im BMF durchführen,1 wo wir einzelne Elemente und Punkte unserer konsolidierten Verhandlungsgrundlage vorstellen werden. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Kreienbaum. Herr Bernhardt möchte noch etwas zu einem möglichen Abkommensgesetz sagen und danach hat Herr Gosch das Schlusswort. Bernhardt Ich wollte das jetzt nicht von der systematischen rechtlichen Seite her kommentieren. Den Ansatz kann ich sehr wohl verstehen. Ich sehe es einfach von der politischen Seite. So wie derzeit Steuerpolitik diskutiert wird, habe ich die Befürchtung, dass eine derartig komplexe Materie überhaupt nicht regelbar ist, weil die Argumente der Politik nicht _____________ 1 Das BMF-Symposium zur deutschen Verhandlungsgrundlage fand am 18.4.2013 im BMF statt. Die Verhandlungsgrundlage ist abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de → Themen → Steuern → Internationales Steuerrecht → Allgemeine Informationen.
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Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
auf der sachlichen Ebene ausgetauscht werden, sondern wie in einer Talkshow im Fernsehen. Ich sehe vor diesem Hintergrund die Gefahr, dass ein Abkommensgesetz als Rohrkrepierer endet. Prof. Dr. Gosch In der Linie bin ich dankbar über die kritische und kenntnisreiche Begleitung von Herrn Kreienbaum, die wir, wie Sie eingangs hervorgehoben haben, Ihrer tiefen Überzeugung und nicht nur einer Pflicht verdanken, und ich habe gar nicht so viel Gegensätzliches zu den von mir eingenommenen Positionen ausmachen können. Herr Kreienbaum hat im Gegenteil viel Verbindendes geäußert. Sie sind mit mir den Pfad gegangen, dass wir uns mit dem Abkommensrecht und dem nationalen Recht in verschiedenen und ex ante voneinander zu unterscheidenden Rechtskreisen bewegen, die im Kern jeweils eigenen Auslegungsregeln unterworfen sind. Unbeschadet dessen ist es sicher richtig, dass es wechselseitige Schnittstellen gibt und dass wir das Abkommensrecht mit dem nationalen Recht verbinden müssen. Den Weg dazu weist uns Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, das allerdings erklärtermaßen unter dem Abkommensvorbehalt, dass das nationale Recht zurückzutreten hat, wenn und soweit der Abkommenszusammenhang eine abkommenseigene Auslegung ermöglicht. Das völkerrechtlich Überdachende des DBA führt gegenüber dem nationalen Recht gewissermaßen ein Eigenleben. Daran und an den völkerrechtlichen Grundsätzen hat sich die Abkommensauslegung in erster Linie auszurichten. Wir müssen uns weiterhin vor Augen halten, dass jeder Staat, der Vertragspartner ist, sein eigenes spezifisches Verfassungsfundament hat, das es auch bei der Abkommensauslegung strikt zu beachten gilt. In Deutschland ist das vor allem der Gesetzesvorbehalt. Das betrifft namentlich die Frage der OECD-Musterkommentierung und deren Bedeutung für die Abkommensauslegung. Ich habe keinen Zweifel daran, dass uns die Kommentierung wichtige Hinweise zur Abkommensdeutung gibt, aber das immer nur als Hinweis, als Indiz. Gesetzesgleiche Deutungskraft kommt den OECD-Verlautbarungen nicht zu. Ausschlaggebende Orientierung bietet allein der Abkommenstext. Solange die Musterkommentierung sich mit diesem Text vereinbaren lässt, verdient sie Beachtung. Zieht sie eine Änderung des Textes nach sich, bleibt sie „außen vor“. Das gebietet eben Art. 20 Abs. 3 GG, das Primat des Gesetzesvorbehalts. Die OECD bündelt jedenfalls nur die Rechtsauffassung der beteiligten Fisci, sie kann dem Richter keine ver-
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Podiumsdiskussion: Auslegung von DBA in der deutschen Rechtspraxis
bindlichen Vorgaben machen und nicht die „Deutungshoheit“ übernehmen. Was die sog. Keinmalbesteuerung anbelangt, darüber werden wir sicher später noch diskutieren, im Anschluss an den Vortrag von Herrn Rust. Deswegen dazu jetzt nur ganz kurz: Kollateralschaden hin, Kollateralschaden her, es ist so, dass bei Vereinbarung der Freistellungsmethode ein Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung mit dem anderen Staat verabredet worden ist, und vor diesem Hintergrund ist es ja gerade der Sinn jener Methode, dass man sich nicht um das nationale Recht des anderen Vertragsstaat kümmert und auch nicht kümmern muss. Es geht nicht darum, die doppelte Nichtbesteuerung zu befördern. Bei Verständigung auf die Freistellungsmethode ist die Gefahr der Keinmalbesteuerung aber sozusagen immanent und deswegen hinzunehmen. Will man das verhindern, muss man Rückfallklauseln vereinbaren, und zwar im Abkommen selbst, nicht unilateral im Wege des Treaty Override. Die neuerlich in Verwaltungskreisen vertretene These, dass das Abkommen lediglich der Vermeidung der doppelten Besteuerung diene und dass die Vertragsstaaten deshalb im Falle einer doppelten Nichtbesteuerung „freie Hand“ zu nationalen Alleingängen hätten, halte ich eindeutig für falsch. Sie blendet das abkommensrechtlich Vereinbarte schlicht aus. Was mich bekümmert hat, Herr Bernhardt, ist, dass Sie die Rechtsprechung des BFH für nicht berechenbar halten. Es mag sein, dass ein DBA-MA oder ein nationales DBA-Auslegungs- und -Anwendungsgesetz die Berechenbarkeit der Abkommensauslegung fördern könnte. Ich denke aber doch, dass die Grundkoordinaten der Auslegung, wie sie vom BFH seit vielen Jahren einigermaßen konsistent aufgestellt und gehandhabt werden, dem Rechtsanwender einen sicheren Rechtsboden bieten und ihn in vielen Fragen ein verlässliches Ergebnis erwarten lassen: Zuvörderst gilt ein völkerrechtliches Abkommensverständnis und nur sekundär, nämlich dann, wenn das Abkommen schweigt, erfolgt der Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Wir haben also auch für künftige Tagungen auf jeden Fall noch viel zu besprechen. Nicht nur die deutsche konsolidierte Verhandlungsgrundlage, vulgo Musterabkommen, sondern möglicherweise auch eine konsolidierte Rechtsprechung. Ich denke, die eine oder andere Überraschung wird uns trotzdem noch bevorstehen. 36
Internationale Doppelte Nichtbesteuerung Prof. Dr. Alexander Rust, LL.M. (NYU) Universität Luxemburg
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge divergierender nationaler Regelungen . . . . . . I. Abzug in einem Staat und Befreiung im anderen Staat . . . 1. Hybride Finanzinstrumente und hybride Gesellschaften . 2. Gleichheitsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . II. Abzug von Aufwendungen in mehreren Staaten . . . . . . . . . . .
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C. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge der Anwendung von DBA . . . . . . . . . . 43 D. Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel . . . 45 E. Deutsche Abkommenspraxis . . . . 48 F. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . 49
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A. Einführung Der Begriff der Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung ist nicht gesetzlich definiert. Als Gegenbegriff zur Internationalen Doppelbesteuerung wird darunter grundsätzlich ein Sachverhalt verstanden, bei dem die Einkünfte eines Steuerpflichtigen in zwei Staaten unbesteuert bleiben (sog. weiße Einkünfte) oder nur einer geringen Besteuerung unterliegen (sog. graue Einkünfte).1 Die Internationale Doppelte Nichtbesteuerung kann auf drei verschiedenen Ursachen beruhen: Zum einen können beide Staaten nach nationalem Steuerrecht von einer Besteuerung der Einkünfte absehen; zum anderen kann ein Staat aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens an einer Besteuerung der Einkünfte gehindert sein, während der andere Staat die Einkünfte schon nach nationalem Steuerrecht nicht der Besteuerung unterwirft. Schließlich kann auch das Doppelbesteuerungsabkommen beiden Staaten eine Besteuerung der Einkünfte versagen. _____________ 1 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, 21; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 12.10.
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Rust - Internationale Doppelte Nichtbesteuerung
In den letzten Jahren hat sowohl die OECD als auch die EU eine Vielzahl von Maßnahmen zur Bekämpfung der Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung vorgeschlagen.2 Diese Empfehlungen richten sich zum einen an Gerichte und Behörden, die nationalen Steuergesetze und Doppelbesteuerungsabkommen so auszulegen, dass es nicht zu einer Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung kommt. Zum anderen wird der Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert, um weiße Einkünfte zu verhindern. Als Generalberichterstatter für den IFA Kongress 2004 in Wien hat sich zuletzt Michael Lang umfassend mit dem Thema der Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung auseinandergesetzt und aufgezeigt, dass die Vermeidung der Doppelten Nichtbesteuerung nicht durchweg als Auslegungsziel von Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen werden kann.3 In vielen Fällen ist eine doppelte Nichtbesteuerung sogar intendiert, häufig wird sie zumindest in Kauf genommen. Dieser Beitrag erläutert zunächst einige Fallkonstellationen, in denen es zu einer Internationalen Doppelten Nichtbesteuerung durch Ausnutzung von unterschiedlichen Steuerregelungen in zwei Staaten kommt. Anschließend wird erörtert, inwieweit kompensatorische Maßnahmen aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen geboten erscheinen. Schließlich wird die Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen untersucht.
B. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge divergierender nationaler Regelungen Von wenigen Harmonisierungsmaßnahmen auf der Ebene der EU abgesehen, gestaltet jeder Staat sein Steuerrecht nach eigenen Vorstellungen. Dadurch divergieren die Steuersysteme der einzelnen Staaten in
_____________ 2 Für die OECD s. Corporate Loss Utilization through Aggressive Tax Planning, 2011; Hybrid Mismatch Arrangements, 2012; Addressing Base Erosion and Profit Shifting 2013; für die EU s. Commission Consultation Document, The internal market: factual examples of double non-taxation cases, 2012; Commission Communication, An Action Plan to strengthen the fight against tax fraud and tax evasion, 6.12.2012, COM(2012) 722 final; für Deutschland s. etwa § 50d EStG und §§ 7 ff. AStG. 3 M. Lang, Generalbericht, IFA Cahier Vol. LXXXIXa, 2004, 21 ff.; s. a. Rust in M. Lang, Avoidance of Double Non-Taxation, Linde, 2003, 111 f.; s. a. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, 58 ff., 69 ff. und 82 f.
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erheblichem Maße. Steuerpflichtige können sich die Unterschiede in den Steuerrechtsordnungen für ihre Steuerplanung zunutze machen.4 I. Abzug in einem Staat und Befreiung im anderen Staat 1. Hybride Finanzinstrumente und hybride Gesellschaften Gesellschafter können ihre Gesellschaft mit weiterem Eigenkapital oder mit Fremdkapital finanzieren. Steuerrechtlich ist diese Entscheidung von großer Bedeutung. Während Fremdkapitalzinsen grundsätzlich als Betriebsausgaben von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden können, mindern Gewinnausschüttungen die Steuerpflicht der Gesellschaft dagegen nicht. Umgekehrt unterliegen Zinszahlungen beim Empfänger der vollen Steuerpflicht, wogegen Gewinnausschüttungen unter Umständen vollständig steuerbefreit sind. Da die Einordnung als Fremd- oder Eigenkapital in jedem Staat nach unterschiedlichen Maßstäben erfolgt,5 kann ein Finanzinstrument in einem Staat als Fremdkapital und im anderen Staat als Eigenkapital qualifiziert werden. Dadurch ist es möglich, die Zahlungen bei der Gesellschaft zum Abzug zu bringen, während sie beim Empfänger in den Genuss einer Steuerbefreiung kommen.6 Ein vergleichbares Ergebnis kann auch durch den Einsatz hybrider Gesellschaften erreicht werden. Personengesellschaften werden in manchen Staaten als intransparent, also als eigene Steuersubjekte behandelt. Andere Staaten betrachten Personengesellschaften dagegen als transparente Gebilde und rechnen die von der Personengesellschaft erzielten Gewinne den Gesellschaftern zu. Wird nun einer Personengesellschaft von einem ihrer Gesellschafter ein Darlehen gewährt, so sind die Zinszahlungen bei der Personengesellschaft abzugsfähig, wenn der Staat der Personengesellschaft diese als intransparent behandelt. Bei einer Transparenzbetrachtung der Personengesellschaft handelt es sich dagegen um eine nicht steuerbare Innentransaktion zwischen zwei unselbstständigen Teilen desselben Steuerpflichtigen. Ist nun der Gesellschafter in einem Staat ansässig, der Personengesellschaften als trans_____________ 4 Rosenbloom, International Tax Arbitrage and the „International Tax System“, Tax Law Review 199, 137 ff.; zu beachten ist allerdings auch, dass die Unterschiede in den Steuersystemen in anderen Konstellationen zu einer Doppelbesteuerung für den Steuerpflichtigen führen können. 5 Für die einzelnen Differenzierungsmaßstäbe s. W. Schön, The Distinct Equity of the Debt-Equity Distinction, BIT 2012, 490 ff. 6 S. a. OECD, Hybrid Mismatch Arrangements, 2012, Ziff. 16.
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parent behandelt, die Personengesellschaft aber in einem Staat errichtet, der diese als intransparent betrachtet, so kann die Darlehensgewährung zu einem Zinsabzug bei der Personengesellschaft führen, ohne dass die Zinszahlungen beim Empfänger einer Steuerpflicht unterliegen.7 2. Gleichheitsrechtliche Würdigung In diesen Konstellationen stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit das Steuerrecht eines Staates die Steuerfolgen im anderen Staat berücksichtigen sollte. Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Ausländische Finanzinstrumente sollten daher nach gleichen Maßstäben beurteilt werden wie inländische Finanzinstrumente, ausländische Gesellschaften sollten so behandelt werden wie vergleichbare inländische Gesellschaften.8 Art. 3 Abs. 1 GG gebietet daher einen Typenvergleich, die Qualifikation nach ausländischem Steuerrecht ist gerade nicht maßgeblich für das deutsche Steuerrecht. Würde das ausländische Finanzinstrument oder die ausländische Gesellschaft nach Maßgabe des ausländischen Rechts beurteilt, so käme es zu einer unterschiedlichen Behandlung von vergleichbaren Finanzinstrumenten oder vergleichbaren Gesellschaften, nur weil sich der Sachverhalt im Ausland abspielt. Auch im Rahmen des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG ist die Frage, ob es sich um Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG handelt, ausschließlich nach den Maßstäben des deutschen Steuerrechts zu beurteilen. Die Steuerbefreiung in Deutschland ist daher unabhängig davon, ob der ausländische Staat die Bezüge als nicht abzugsfähige Gewinnausschüttungen oder als abzugsfähige Zinszahlungen behandelt. Grund für die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG ist die Vermeidung einer Doppelbelastung bei ausschüttender Gesellschaft und Anteilseigner. Fällt dagegen die Vorbelastung auf der Ebene der Gesellschaft aufgrund der Abzugsfähigkeit der Zahlungen weg, erscheint eine Steuerbefreiung nicht sachgerecht. Einzig Gründe der Verwaltungsvereinfachung können hier die Befreiung noch rechtfertigen, müsste die Steuerverwaltung doch jeweils die Steuervorschriften des anderen Staates prüfen. Sachgerechter _____________ 7 OECD, Hybrid Mismatch Arrangements, 2012, Ziff. 17. Durch den AOA kann es nun aber zu einer Steuerpflicht beim Gesellschafter kommen. 8 Grundlegend hierzu die Venezuela-Entscheidung des Reichsfinanzhofs v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RStBl. 1930, 444 = RFHE 27, 73.
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sind dagegen die Regelungen des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG und einzelner Doppelbesteuerungsabkommen,9 welche die Steuerbefreiung davon abhängig machen, dass die Bezüge das Einkommen der leistenden Gesellschaft nicht gemindert haben. II. Abzug von Aufwendungen in mehreren Staaten Der Hybrid-Mismatch-Arrangements-Bericht der OECD wendet sich auch gegen eine gleichzeitige Verlustnutzung in zwei Staaten. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass eine doppelte Verlustnutzung durchaus systembedingt sein kann und eine Versagung des Abzugs in einem der beiden Staaten zu einer Übermaßbesteuerung führen würde. Entsteht einem grenzüberschreitend tätigen Steuerpflichtigen etwa im Tätigkeitsstaat ein Verlust, so kann dieser Verlust aufgrund des Zusammenwirkens von unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht sowohl im Ansässigkeitsstaat durch Ausgleich mit inländischen positiven Einkünften als auch im Tätigkeitsstaat durch einen Verlustvortrag genutzt werden. Im Ansässigkeitsstaat reduziert sich das zu versteuernde Einkommen durch die Verlustberücksichtigung. Würde nun der Tätigkeitsstaat im Folgejahr einen Verlustvortrag mit der Begründung versagen, dass der Verlust ja bereits im Ansässigkeitsstaat genutzt worden ist, so könnten entweder die Steuern des Tätigkeitsstaates im Folgejahr nicht vollständig angerechnet werden, was zu einer Übermaßbesteuerung führte, oder der Ansässigkeitsstaat müsste dauerhaft zugunsten des Tätigkeitsstaates auf Steuern auf inländische Einkünfte verzichten.10 _____________ 9 Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Art. 23 Rz. 106, der die DBA auflistet, welche die Gewährung des Schachtelprivilegs von der Nichtabzugsfähigkeit der Zahlungen im Staat der Tochtergesellschaft abhängig machen. Auch Art. 22 Abs. 1 Buchst. a der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen versagt eine Freistellung der Dividenden, wenn diese von einer steuerbefreiten Körperschaft ausgeschüttet wurden oder die Ausschüttungen steuerlich abzugsfähig waren. 10 Folgendes Zahlenbeispiel veranschaulicht diese Schlussfolgerungen: Der Steuersatz im Ansässigkeitsstaat und im Tätigkeitsstaat soll 20 % betragen. Der Ansässigkeitsstaat besteuert das Welteinkommen des Steuerpflichtigen und gewährt für ausländische Steuern eine Steueranrechnung. Erzielt der Steuerpflichtige im VZ 1 im Ansässigkeitsstaat einen Gewinn von 100 und im Tätigkeitsstaat einen Verlust von 100, so beträgt die Steuerlast in beiden Staaten 0. Erzielt der Steuerpflichtige im VZ 2 sowohl im Ansässigkeitsstaat als auch im Tätigkeitsstaat einen Gewinn von 100, so unterliegen die 200 einer Besteuerung im Ansässigkeitsstaat. Erlaubt der Tätigkeitsstaat einen Verlustvortrag, so ist das Steueraufkommen zwischen den beiden Staaten gerecht aufgeteilt. Der Ansässigkeitsstaat kann den auf seinem Territorium erwirtschafteten Gewinn von 200 besteuern. Versagt aller-
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Der Hybrid-Mismatch-Arrangements-Bericht verurteilt dagegen Gestaltungen, bei denen Aufwendungen in zwei Staaten zum Abzug zugelassen werden. Als Beispiele führt der Bericht doppelt ansässige Gesellschaften oder die Einschaltung hybrider Gesellschaften an.11 Einige Staaten haben Missbrauchsvorschriften erlassen, die eine doppelte Verlustverrechnung in diesen Fällen ausschließt. Auch hier stellt sich wiederum die Frage, inwieweit ein Staat bei der Durchführung eigener Maßnahmen gleichartige Maßnahmen anderer Staaten berücksichtigen sollte. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es auf Ziel und Zweck der jeweiligen Maßnahme an. So soll etwa die Sozialhilfe das soziokulturelle Existenzminimum sichern.12 Ist dieses Existenzminimum bereits durch Fürsorgemaßnahmen eines anderen Staates gesichert, so entfällt die Bedürftigkeit des Empfängers und Sozialhilfe ist nicht weiter notwendig. Strafmaßnahmen eines anderen Staates können genauso wie inländische Strafmaßnahmen der Sühne und der Resozialisierung des Täters dienen. Nach § 51 Abs. 3 StGB ist daher eine im Ausland vollstreckte Strafe auf die inländische Strafe anzurechnen. Die Besteuerung ist an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten. Grundsätzlich erhöht sich aber die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nicht dadurch, dass Verluste auch im Ausland zum Abzug zugelassen werden. Zumindest diejenigen Verluste, die im Inland entstanden sind, sollten unabhängig davon zum Abzug zugelassen werden, ob sie auch im Ausland berücksichtigt werden können.13 _____________ dings der Tätigkeitsstaat einen Verlustvortrag, so steht der Ansässigkeitsstaat vor der Wahl, die Anrechnung zu versagen, was zu einer Übermaßbesteuerung führt, oder auf Steuern zu verzichten. 11 OECD, Hybrid Mismatch Arrangements, 2012, Ziff. 13–15. Verluste doppelt ansässiger Gesellschaften können u. U. in beiden Ansässigkeitsstaaten im Rahmen einer Gruppenbesteuerung (Organschaft) mit positiven Einkünften anderer Gesellschaften verrechnet werden. Eine hybride Gesellschaft kann im Falle einer Transparenzbetrachtung als Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft angesehen werden, wodurch u. U. eine Verrechnung von Betriebsstättenverlusten mit positiven Einkünften des Stammhauses möglich ist. Gleichzeitig können die Verluste aber auch im Errichtungsstaat der hybriden Gesellschaft genutzt werden, wenn dieser die Gesellschaft als intransparent betrachtet und eine Gruppenbesteuerung zulässt. 12 S. § 1 SGB XII. 13 S. hierzu auch die klaren Worte des EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-18/11 – Philips, IStR 2012, 847 (849) Rz. 27: „Hieraus folgt, dass der Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die für die Verluste der Betriebsstätte ursächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, sich … nicht auf das Ziel der Wahrung der Aufteilung der
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C. Internationale Doppelte Nichtbesteuerung als Folge der Anwendung von DBA Bestimmte Abkommensvorschriften eines Doppelbesteuerungsabkommens können auch gerade eine Doppelte Internationale Nichtbesteuerung bezwecken. So rechnet etwa der Ansässigkeitsstaat beim Tax Sparing/Matching Credit eine fiktive Steuer des Quellenstaates an.14 Die Nichterhebung einer Steuer im Quellenstaat korrespondiert hier mit einer Reduzierung der Steuerlast im Ansässigkeitsstaat. Auch die internationalen Schachtelprivilegien verbinden eine Quellensteuerreduzierung oder gar eine vollständige Aufhebung der Quellensteuer bei Dividendeneinkünften mit einer Freistellung im Ansässigkeitsstaat.15 Dadurch werden die Dividenden in beiden Staaten nicht besteuert oder unterliegen ausschließlich im Quellenstaat einer geringen Besteuerung.16 Überdies sind in einigen Doppelbesteuerungsabkommen auch Kriegsrenten von einer Besteuerung in beiden Vertragsstaaten ausgenommen.17 Aber auch das OECD-MA nimmt im Falle von Zahlungen an Studenten eine doppelte Nichtbesteuerung zumindest billigend in Kauf. Nach Art. 20 OECD-MA dürfen Unterhaltszahlungen an einen Studenten in dem Staat, in dem er sich zum Studium aufhält, nicht besteuert werden. Ist der Student in diesem Staat ansässig geworden, so ist eine Besteuerung im früheren Heimatstaat zumeist auch nicht möglich, was zu einer doppelten Nichtbesteuerung führt. _____________
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Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten berufen kann, um zu rechtfertigen, dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Verluste nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.“ Daher ist die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG unter unionsrechtlichen Aspekten als sehr bedenklich einzustufen. Zum Tax Sparing und Matching Credit s. Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Art. 23 Rz. 194 ff.; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, 69. Zu den internationalen Schachtelprivilegien s. Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Art. 23 Rz. 87 ff. Die den Dividendenausschüttungen zugrunde liegenden Einkünfte haben aber zumeist bereits einer Körperschaftsteuer auf der Ebene der Tochtergesellschaft unterlegen. M. Lang, Generalbericht, IFA Cahier Vol. LXXXIXa, 2004, 21 (31).
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Unbestritten ist des Weiteren, dass die abkommensrechtliche Freistellung in einem Vertragsstaat im Zusammenwirken mit einer Steuerbefreiung nach nationalem Recht im anderen Vertragsstaat zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen kann. Die Tatsache, dass ein Staat von seiner Besteuerungsbefugnis keinen Gebrauch macht, führt nicht dazu, dass der andere Staat an die abkommensrechtliche Freistellung nicht weiter gebunden ist.18 Auch wenn ein Vertragsstaat nachträglich Steuerbefreiungen im nationalen Recht einführt, so werden dadurch die abkommensrechtlichen Beschränkungen nicht wieder aufgehoben.19 Das Verbot einer virtuellen Doppelbesteuerung wurde bereits vom Reichsfinanzhof aufgestellt und seitdem vom Bundesfinanzhof in zahlreichen Entscheidungen bestätigt.20 Die abkommensrechtliche Freistellungsverpflichtung kann dabei sowohl den Quellenstaat als auch den Ansässigkeitsstaat betreffen. So ist dem Ansässigkeitsstaat nach Art. 23A Abs. 1 OECD-MA eine Besteuerung auch dann untersagt, wenn der Quellenstaat die Einkünfte nach nationalem Steuerrecht nicht besteuert. Gleiches gilt aber etwa auch nach Art. 12 Abs. 1 OECD-MA für den Quellenstaat, wenn der Ansässigkeitsstaat seine Besteuerungsbefugnis für die Lizenzgebühren nicht wahrnimmt. Auch die Wahl der Anrechnungsmethode nach Art. 23B OECD-MA kann somit eine _____________ 18 Ziff. 34 OECD-MK zu Art. 23 OECD-MA: „The State of residence must accodingly exempt income … which may be taxed by the other state in accordance with the Convention whether or not the right to tax is in effect exercised by the other State. This method is regarded as the most practical one since it relieves the State of residence from undertaking investigations of the actual taxation position in the other State.“ S. a. Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Einl. Rz. 74 f. 19 M. Lang, Generalbericht, IFA Cahier Vol. LXXXIXa, 2004, 21 (34); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, 73. 20 S. RFH v. 29.2.1940 – III 206/39, RStBl. 1940, 532: „Durch das Doppelbesteuerungsabkommen wird dem anderen Staat ein bestimmtes Wirtschaftsgut oder eine bestimmte Steuerquelle zur Besteuerung überlassen. Es ist irrelevant, ob und wie dieser Staat sein Recht ausnützt. Ausnahmen bedürfen besonderer vertraglicher Regelungen.“; BFH v. 13.9.1972 – I R 130/70, BStBl. II 1973, 57: „Die Steuerbefreiung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens hängt nicht davon ab, ob der andere Staat von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch macht. Ausnahmen bedürfen der besonderen vertraglichen Regelung.“; BFH v. 31.7.1974 – I R 27/73, BStBl. II 1975, 61: „Der Bundesrepublik Deutschland steht im Streitfall das Besteuerungsrecht nicht schon deshalb zu, weil die Vereinigten Staaten – aus welchen Gründen auch immer – von ihrem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch gemacht haben. Der Verzicht eines Vertragsstaats auf das Besteuerungsrecht gilt, soweit in einem Abkommen nichts Gegenteiliges bestimmt ist, zwingend und ausnahmslos. Dies folgt aus dem Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung.“
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doppelte Nichtbesteuerung nicht immer verhindern, da diese für den Vertragsstaat nur in seiner Eigenschaft als Ansässigkeitsstaat, nicht aber als Quellenstaat gilt. Will ein Staat vermeiden, dass durch die Anwendung der Freistellungsmethode eine doppelte Nichtbesteuerung entsteht, so kann er entweder eine Subject-to-tax-Klausel oder eine Switch-over-Klausel im Doppelbesteuerungsabkommen vereinbaren.21 Ist der andere Vertragsstaat zu einer solchen Änderung nicht bereit, so bleibt als letztes Mittel die Kündigung des Abkommens, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. So kündigte beispielsweise Dänemark seine Abkommen mit Portugal und Spanien, um eine doppelte Nichtbesteuerung dänischer Pensionäre zu verhindern, die ihren Lebensabend im warmen Süden verbrachten und in diesen Ländern in den Genuss einer Vorzugsbesteuerung kamen.22
D. Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel Auch auf Ebene der OECD wurde vor dem Jahr 2000 die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung nicht als eines der Auslegungsziele der Doppelbesteuerungsabkommen angesehen. Wie aus der Überschrift des Musterabkommens hervorging, war allein die Vermeidung der Doppelbesteuerung Ziel des Abkommens, ab 1992 wurde auch die Vermeidung der Steuerhinterziehung als weiterer Abkommenszweck mit aufgenommen. Ebenfalls im Musterkommentar 1992 wurde bei Art. 17 der Hinweis aufgenommen, dass eine Freistellung der Einkünfte von Künstlern und Sportlern im Ansässigkeitsstaat zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen kann, wenn der Tätigkeitsstaat von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch macht, und dass eine solche Situation besser durch Wahl der Anrechnungsmethode vermieden werden sollte.23 Dagegen nennt der Partnership Report aus dem Jahre 1999 erstmals _____________ 21 S. hierzu den Gliederungspunkt E. 22 Singer/Delaurière, News Analysis: Why is Denmark Terminating Tax Treaties?, TNI July 2008, 13. Portugal befreit mit Wirkung vom 1.1.2013 alle Pensionszahlungen zugezogener Rentner von der Steuer, s. www.portugaldailyview.com/ whats-new/foreign-investment-attracted-amid-debt-crisis; s. a. Neves, Portuguese Taxation of Inward Expatriates and Pensioners: A Sunny Welcome, ET 2010, 220 ff. 23 S. nun Ziff. 12 OECD-MK zu Art. 17 OECD-MA.
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die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel.24 Die Schlussfolgerungen des Reports wurden dann für den Fall der Qualifikationskonflikte in den Kommentar zum OECD-Musterabkommen aufgenommen.25 Über eine innovative Auslegung des Artikels 23A Abs. 1 OECD-MA kann so eine doppelte Nichtbesteuerung (sowie eine Doppelbesteuerung) bei Qualifikationskonflikten vermieden werden:26 Legt der Quellenstaat einen Abkommensbegriff nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA im Lichte seines eigenen Steuerrechts so aus, dass eine Abkommensbestimmung zur Anwendung kommt, die ihm eine Besteuerung der Einkünfte versagt, so „können diese Einkünfte … nach diesem Abkommen [nicht] im anderen Vertragsstaat besteuert werden“. Daher ist der Ansässigkeitsstaat auch dann nicht zur Freistellung der Einkünfte verpflichtet, wenn er die Abkommensbestimmungen im Lichte seines eigenen nationalen Steuerrechts so ausgelegt hat, dass der Quellenstaat die Einkünfte nach dem Abkommen besteuern dürfte. Der Bundesfinanzhof hat sich bislang gegen die neue Auslegung des Art. 23A Abs. 1 OECD-MA ausgesprochen.27 Seiner Ansicht nach lässt sich aus dem Abkommen eine Bindung des Ansässigkeitsstaates an die Sichtweise des Quellenstaates nicht ableiten. Auch im Rahmen des Art. 23A Abs. 1 OECD-MA hat der Ansässigkeitsstaat nach eigenen Maßstäben zu entscheiden, ob der Quellenstaat die Einkünfte nach Maßgabe des Abkommens besteuern kann. In einigen Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel anerkannt, in anderen jedoch dagegen abgelehnt. So sprach sich der Bundesfinanzhof etwa in einer Entscheidung aus dem Jahre 2000 zur Besteuerung eines in Öster_____________ 24 OECD Partnership Report, Paris, 1999, Rz. 52: „The Committee views the outcome in the above examples as resulting from the application of the Convention that takes account of the basic purposes of the Convention: to eliminate double taxation and to prevent double non-taxation.“ 25 S. Ziff. 32.1–32.7 OECD-MK zu Art. 23 OECD-MA. 26 Zur Entwicklung des „New Approach“ s. Déry/Ward, Nationalbericht Kanada, IFA Cahier LXXVIIIa (1993) Deventer, 259 (281 ff.); Ward, Interpretation of Tax Treaties, Bulletin for International Fiscal Documentation 1986, 75 (77 ff.); Avery Jones et al., Credit and Exemption under Tax Treaties in Cases of Differing Income Characterization, European Taxation 1996, 116 (133); Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Einl. Rz. 157 und Art. 3 Rz. 112 ff. 27 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, IStR 2011, 688 (690). Der Bundesfinanzhof sah den Partnership Report und die entsprechende Änderung des OECD-Musterkommentars zumindest für Abkommen, die vor dem Jahr 2000 abgeschlossen wurden, nicht als relevante Auslegungshilfen an.
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reich ansässigen Berufssportlers gegen eine bestimmte Abkommensauslegung aus, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden: „Wäre die Auslegung des Art. 8 Abs. 2 S. 2 DBA-Österreich durch das BfF zutreffend, dann hätten [die Einkünfte] wegen Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich in Österreich ebenfalls nicht besteuert werden dürfen, da sie abkommensrechtlich Deutschland zur Besteuerung zugewiesen wären. Auf diese Weise wären vollständig unbesteuerte Einkünfte entstanden. Dass die Vertragsstaaten ein solches Ergebnis gewollt oder in Kauf genommen haben, kann nicht unterstellt werden.“28
In einer neueren Entscheidung aus dem Jahre 2011 war der Bundesfinanzhof dagegen nicht bereit, den Anwendungsbereich eines abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbots einzuschränken, um so eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden: „Auch wenn es dadurch im Ergebnis für die betreffenden Einkünfte zu einer „Keinmalbesteuerung“ in beiden Vertragsstaaten kommen kann, rechtfertigt das vor dem Hintergrund des absolut wirkenden abkommensrechtlichen Verbots von Diskriminierungen in Art. 24 Abs. 5 OECD-MA hiernach nicht die steuerliche Andersbehandlung des ausländerbeherrschten … Inlandsunternehmens.“29
Auch der österreichische Verwaltungsgerichtshof sah in einem Erkenntnis aus dem Jahre 2001 die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsziel von Doppelbesteuerungsabkommen an: „Art. 1 Abs. 1 DBA-Deutschland[-Österreich] legt das Ziel und den Zweck des Abkommens fest. Das Abkommen bezweckt ausschließlich die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Es richtet sich daher gegen die überhöhte Besteuerung durch mehrfache Erfassung der Einkünfte. Dies schließt aber auch den Zweck der Vermeidung einer begünstigenden Wettbewerbsverzerrung durch Nichtbesteuerung bestimmter Einkünfte ein.“30
Im Jahre 2000 wurde in das OECD-Musterabkommen auch der Artikel 23A Abs. 4 aufgenommen, der eine Freistellung im Ansässigkeitsstaat nach Art. 23A Abs. 1 OECD-MA vermeidet, wenn sich beide Vertragsstaaten über den Steuersachverhalt oder die Auslegung des Doppelbesteuerungsabkommens nicht einigen können und es sonst zu einer Doppelfreistellung kommen würde.31 _____________ 28 29 30 31
BFH v. 11.10.2000 – I R 44-51/99, IStR 2001, 182 (184). BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, IStR 2011, 345 (349). ÖstVerwGH v. 25.9.2001 – 99/14/0217 E, IStR 2001, 754 (754). Zur Bedeutung des Art. 23A Abs. 4 OECD-MA s. Ziff. 56.1–56.3 OECD-MK zu Art. 23A OECD-MA und Vogel in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, Art. 23 Rz. 243 ff. Vogel kritisiert, dass Art. 23A Abs. 4 OECD-MA
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Die deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen führt jedoch nun in der Präambel die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Abkommenszweck an. Zukünftige Doppelbesteuerungsabkommen, die diese Formulierung übernehmen, werden daher im Zweifel teleologisch32 so auszulegen sein, dass derjenigen Auslegung der Vorrang einzuräumen ist, die nicht beiden Vertragsstaaten eine Besteuerung der Einkünfte untersagt.
E. Deutsche Abkommenspraxis Zur Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung werden Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen in einigen Doppelbesteuerungsabkommen davon abhängig gemacht, dass die Einkünfte im anderen Staat tatsächlich einer Besteuerung unterliegen. Nach diesen Subjectto-tax-Klauseln kann der Quellenstaat oder der Ansässigkeitsstaat Abkommensvergünstigungen versagen, wenn die Einkünfte sonst gar nicht oder nur unverhältnismäßig niedrig besteuert würden. Wechselt der Ansässigkeitsstaat bei Nicht- oder Geringbesteuerung durch den Quellenstaat von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode, spricht man von einer „Switch-over-Klausel“. Durch diese Klauseln wird nicht mehr die virtuelle, sondern nur noch die tatsächliche Doppelbesteuerung beseitigt.33 Es ist noch nicht abschließend geklärt, wann Einkünfte als tatsächlich der Besteuerung unterliegend anzusehen sind.34 Eine Steuerpflicht kann nicht nur deswegen entfallen, weil die Einkünfte nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen werden, sondern auch bei Vorliegen hoher Aufwendungen, bei einem Verlustausgleich mit anderen Einkünften, bei einem Verlustvor- bzw. -rücktrag oder _____________ das Gleichgewicht zwischen Bürger und Steuerverwaltung einseitig zugunsten der Verwaltung verschiebt, solange das jeweilige Abkommen nicht auch ein verpflichtendes Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA enthält. Überdies begünstigt diese Vorschrift auch den Ansässigkeitsstaat gegenüber dem Quellenstaat. Mit gleichen Argumenten hätte man auch die Besteuerungsbefugnis des Quellenstaates aufleben lassen können, wenn sich der Ansässigkeitsstaat zu einer Freistellung der Einkünfte nach Art. 23A Abs. 1 OECD-MA gezwungen sieht. 32 S. Art. 31 Abs. 1 Wiener Vertragsrechtskonvention: „A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose.“ 33 BFH v. 19.5.1993 – I R 64/92, BFH/NV 1994, 11. 34 Die einzelnen Abkommen verwenden nicht immer die gleichen Ausdrücke, teilweise wird davon gesprochen, dass die Einkünfte „steuerpflichtig sind“, „der Besteuerung unterliegen“ oder „besteuert werden“.
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wenn eine Besteuerung aufgrund von Freibeträgen entfällt. Es erscheint überzeugend, die Subject-to-tax-Klauseln nur in den Fällen anzuwenden, in denen die Einkünfte nicht bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage einbezogen werden.35 Subject-to-tax-Klauseln nehmen zumeist in Kauf, dass die Abkommensvorteile schon bei einer geringen Besteuerung im anderen Vertragsstaat gewährt werden müssen;36 allerdings kann in dem jeweiligen Abkommen auch eine Mindestbesteuerungsschwelle für die Gewährung von Abkommensvorteilen festgeschrieben werden.37 Der Kommentar zum OECD-MA erwähnt die Möglichkeit, eine Subject-to-tax-Klausel in das jeweilige Abkommen aufzunehmen, spricht sich aber generell gegen die Aufnahme einer solchen Bestimmung aus.38 Dagegen sieht nun die deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen in Art. 22 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. bb eine Switch-over-Klausel für den Ansässigkeitsstaat vor.39
F. Schlussfolgerungen Auf der Ebene der OECD und der Europäische Union wurden Maßnahmen zur Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung ergriffen. Gerade aufgrund der Finanzkrise wird doppelte Nichtbesteuerung als unerwünscht angesehen. Dabei wird aber häufig übersehen, dass einige Bestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen explizit eine doppelte Nichtbesteuerung bezwecken und Doppelbesteuerungsabkommen grundsätzlich die doppelte Nichtbesteuerung zumindest tolerieren. Die _____________ 35 Frotscher, Internationales Steuerrecht, 2001, 113; Hahn, Deutscher Nationalbericht, IFA Cahier LXXXIXa, 2004, 325 (328 f.); s. nun auch das Protokoll Nr. 5 zur deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen; so auch die UK First-Tier Tribunal Tax Chamber v. 3.8.2012 – TC/2010/3902, www.bailii. org/uk/cases/UKFTT/TC/2012/TC02178.html, Rz. 34: „chargeability to tax of the specific income“. 36 M. Lang, Generalbericht, IFA Cahier LXXXIXa, 2004, 21 (55). 37 So werden etwa nach Art. 28 Abs. 5 DBA Deutschland–USA 1989/2006 Abkommensvorteile nur bei einer Belastung der Einkünfte gewährt, die zumindest 60 % des Steuerniveaus im Ansässigkeitsstaat entspricht. 38 S. Ziff. 15 f. OECD-MK zu Art. 1 OECD-MA und Ziff. 35 OECD-MK zu Art. 23 OECD-MA. 39 Die Switch-over-Klausel hat den folgenden Wortlaut: „Ungeachtet des Buchstabens a wird die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung nach Buchstabe c vermieden, wenn … der andere Vertragsstaat Einkünfte oder Einkunftsteile oder Vermögen oder Vermögensteile nach dem Abkommen besteuern kann, tatsächlich aber nicht besteuert.“
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deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen enthält nun eine Switch-over-Klausel für Deutschland als Ansässigkeitsstaat; Abkommensvorteile, die Deutschland als Quellenstaat gewährt, werden allerdings auch in der Verhandlungsgrundlage nicht von einer effektiven Besteuerung im Ansässigkeitsstaat abhängig gemacht. Mit der Einfügung des Art. 23A Abs. 4 OECD-MA und der Ziffern 32.1– 32.7 im OECD-MK zu Art. 23A OECD-MA hat die OECD deutlich gemacht, dass die Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht dazu führen soll, dass das Abkommen beide Vertragsstaaten gleichzeitig an der Besteuerung von Einkünften hindert. Für Deutschland gilt diese Auslegungsmaxime für alle Abkommen, die nach dem Jahr 2000 abgeschlossen wurden. Die bloße Tatsache, dass der andere Vertragsstaat die Einkünfte nach nationalem Steuerrecht nicht besteuert und dass daher die Anwendung einer Abkommensvorschrift zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen würde, darf dagegen die Abkommensauslegung nicht beeinflussen. Auch bereits nach nationalem Recht zweier Staaten kann es zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen. So können zwei Staaten einen bestimmten Sachverhalt nicht der Besteuerung unterwerfen oder denselben Verlust bei der Besteuerung berücksichtigen. Aufgrund des Leistungsfähigkeitsprinzips darf die Berücksichtigung von Verlusten jedoch nicht deswegen ausgeschlossen werden, weil die Verluste auch in einem anderen Staat zum Abzug zugelassen werden. Auch das Unionsrecht begrenzt nationale Verlustabzugsbeschränkungen: Ein Mitgliedstaat, auf dessen Territorium ein Verlust wirtschaftlich entstanden ist, darf die Abzugsfähigkeit dieses Verlustes nicht mit der Begründung versagen, dass der Verlust sich auch in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich ausgewirkt hat. Den Bemühungen zur Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung sind daher Grenzen gesetzt. Überdies sollten die Anstrengungen zur Vermeidung nach wie vor bestehender Doppelbesteuerung erhöht werden.40
_____________ 40 S. EuGH v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerkhaert/Morres, Slg. 2006, I-10967; v. 16.7.2009 – Rs. C-128/08 – Damseaux, Slg. 2009, I-6823; v. 12.2.2009 – Rs. 67/08 – Block, Slg. 2009, I-6823; grundlegend Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2007, 1 ff.
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Internationale Doppelte Nichtbesteuerung Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg
Martin Kreienbaum Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München/ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel
Prof. Dr. Alexander Rust Universität Luxemburg
Prof. Dr. Lüdicke Herr Rust, vielen Dank. Sie haben die doppelte Nichtbesteuerung sehr schön in einen großen Zusammenhang gestellt und das sollte man gelegentlich auch tun. Denn wenn man nur sieht, dass im Einzelfall etwas doppelt nicht besteuert ist, dann kann das natürlich sehr schnell unangemessen klingen. Sie haben zu Recht betont, dass auch die Frage der Steuergerechtigkeit berührt ist, wenn sozusagen völlig sinn- und zweckwidrig doppelt nicht besteuert wird. Aber man muss das in der Tat in einem etwas größeren Zusammenhang sehen und den sollten wir hier auch diskutieren. Herr Kreienbaum, es ist ja einerseits von Herrn Rust angesprochen worden, dass die doppelte Nichtbesteuerung schon nach nationalem Recht unabhängig von den DBA entstehen kann, zum Beispiel durch Qualifikationskonflikte. Sie hatten eben schon in einem Beitrag gesagt, es könne wohl nicht der Sinn und Zweck der DBA sein, etwas daran zu ändern, aber das wäre eine deutliche Klarstellung wert. Zum anderen sind dann die DBA-bezogenen Fragen im nationalen Rahmen noch interessant. Herr Rust hatte den § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG angespro51
Podiumsdiskussion: Internationale Doppelte Nichtbesteuerung
chen. Je nachdem, was am nächsten Mittwoch im Vermittlungsausschuss in Sachen Unternehmenssteuerreform1 passiert, wird diese von Herrn Rust besprochene Fassung2 rückwirkend geändert. Hierzu hatte zunächst das BMF eine sehr weitreichende Formulierung vorgeschlagen, die vom Finanzausschuss des Bundestags entschärft worden ist; nun fordert der Bundesrat aber wieder die ursprüngliche scharfe Fassung. Diese Fassung würde genau zu dem führen, was Herr Rust vorgeführt hat, nämlich dass deutsche Verluste in Deutschland nicht nur in ihrer Verrechenbarkeit begrenzt werden, sondern endgültig untergehen, nur weil sie in irgendeinem ausländischen Staat berücksichtigt werden. Herr Kreienbaum, wie stehen Sie zu dieser Problematik? Kreienbaum Zunächst möchte ich sagen, dass ich viele der Ausführungen, die Herr Rust zur doppelten Nichtbesteuerung gemacht hat, teile. Insbesondere glaube ich, dass wir tatsächlich in unseren Abkommen Normen finden, in denen die doppelte Nichtbesteuerung intendiert, ganz bewusst von den Vertragsparteien so angelegt ist. Ich habe es auch selbst in Vertragsverhandlungen schon so verhandelt, dass z. B., wenn Entschädigungen aus bestimmten öffentlichen Kassen aus Deutschland ins Ausland gezahlt werden, man Regelungen findet, durch die der ausländische Staat an diesen Zahlungen steuerlich nicht partizipiert, obwohl eine Besteuerung an der Quelle ebenfalls nicht stattfindet. Das sind Regelungen, die ganz bewusst in den Abkommen angelegt sind. Augenfällig ist dies auch bei der fiktiven Anrechnung, die wir in wenigen älteren Abkommen noch haben, bei der als Subventionselement dem anderen Staat zugebilligt wird, dass – obwohl er sein Besteuerungsrecht tatsächlich nicht ausübt – dennoch bei uns fiktiv eine dort nicht gezahlte Steuer angerechnet wird. In diesen Fällen ist es klar dem Normzweck zu ent_____________ 1 Vgl. Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses v. 12.12.2012 zu dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts, BT-Drucks. 17/11841. Danach sollte § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG wie folgt gefasst werden: „Negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bleiben bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden.“ Diese Neufassung ist inzwischen durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013, BGBl. I 2013, 285, in Kraft getreten. 2 Vgl. Fassung des Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 25.10.2012, BRDrucks. 633/12, 7.
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Podiumsdiskussion: Internationale Doppelte Nichtbesteuerung
nehmen, dass die beiden Vertragsparteien sich darauf geeinigt haben, dass keiner dieser Staaten besteuern wird. Daraus lässt sich aber keine allgemeine Regelung herleiten. Man muss jede Norm für sich aus dem Regelungszusammenhang und dem Regelungszweck ansehen, wobei es durchaus zu der bereits erwähnten Vermeidung des Kollateralschadens kommen kann, indem man die durch Anwendung des Abkommens bewirkte doppelte Nichtbesteuerung eliminiert. Insgesamt ist das Thema doppelte Nichtbesteuerung, Subject-to-tax-Klauseln sind auch angesprochen worden, ein sehr komplexes Thema. Man muss sich beispielsweise auch fragen, was die Frage, ob in dem anderen Staat nicht besteuert wird, bedeutet. Was passiert, wenn im anderen Staat das zunächst unberücksichtigte steuerliche Ergebnis später in irgendeiner Weise noch genutzt werden kann? Was passiert, wenn es zu einer Nichtbesteuerung kommt, weil Verluste im anderen Staat mit diesen Einkünften verrechnet wurden? Was passiert, wenn Tax Credits gegengerechnet wurden? Das sind Fragen, über die wir uns Gedanken machen müssen und auch gemeinsam mit den Ländern Gedanken machen. Prof. Dr. Lüdicke Darf ich da noch einmal zwischenhaken? Werden diese Gedanken dann auch auf den derzeitigen, auch von Herrn Rust erwähnten § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG erstreckt, das Korrespondenzprinzip bei verdeckten Gewinnausschüttungen, das ja grenzüberschreitend unglaublich viele Schwierigkeiten macht und in den allermeisten Fällen eigentlich zu völlig unangemessenen Ergebnissen führt? Kreienbaum Zunächst einmal geht es um die Frage der abkommensrechtlichen Rückfallklausel. Und in § 8b KStG haben wir ein gesetzlich schon implementiertes Korrespondenzprinzip, das jetzt auf weitere Fälle ausgeweitet werden soll, aber es trägt dem gleichen Gedanken Rechnung. In der Diskussion, die wir derzeit mit den Ländern führen, geht es um die Rückfallklauseln, die im Abkommensrecht vereinbart sind. Prof. Dr. Lüdicke Es ist bei dieser Tagung eine gute Tradition, gelegentlich Wünsche mitzugeben, dieses Mal zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG.
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Kreienbaum Ich kann da schwer vorgreifen. Sie kennen die Formulierung des Bundesrats und die ursprüngliche Version. Ich glaube, da müssen wir tatsächlich bis zur nächsten Woche warten, bis wir da nähere Ergebnisse haben. Prof. Dr. Lüdicke Ich sehe hier auch mehrere Ländervertreter im Saal. Ich kann wirklich nur appellieren, die ursprüngliche Fassung nicht in Kraft zu setzen. Sie ist europarechtswidrig. Das hat Herr Rust eben begründet. Über Verfassungsrecht ist nicht gesprochen worden, aber auch da ergeben sich erhebliche Bedenken, weil das BVerfG den kompletten Ausschluss und Wegfall von Verlusten vor gut zehn Jahren in seiner Rechtsprechung nicht goutiert hat.3 Es wäre für mich sehr erstaunlich, wenn diese neue Regelung hier passieren würde. Wir sollten uns nicht gerade in diesem sensiblen internationalen Unternehmensbereich hervortun, solche Regelungen in Kraft zu setzen. Bernhardt Dem letzten Petitum von Ihnen kann ich mich nur uneingeschränkt anschließen. Ich würde aber noch einmal gerne auf den Anfang zurückblenden. Zunächst möchte ich betonen, dass es Herrn Rust sehr gut gelungen ist, dieses Gebiet der doppelten Nichtbesteuerung so darzustellen, dass deutlich sichtbar wurde, dass es eine klare Grenze zum Missbrauch und Steuerstraftatbeständen gibt. Die Äußerungen des Finanzsenators heute Morgen zeigten aber, dass Missbrauchsüberlegungen in der Politik im Augenblick mitschwingen. Und wenn man das Ganze aus der Sicht des Unternehmens betrachtet, muss man natürlich ganz deutlich sagen, das Grundbedürfnis der Unternehmen heißt zunächst einmal, nicht doppelt belastet zu werden und Verluste voll und zeitnah nutzen zu können. Dann kommt der Teil dazu, der geprägt wird durch volkswirtschaftliche oder politische Entscheidungen der Staaten, bestimmte Bereiche nicht oder niedriger zu besteuern. Hier setzen dann die Gestaltungsüberlegungen der Unternehmen an, z. B. gerade in grenzüberschreiten_____________ 3 BVerfG v. 30.9.1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 = FR 1998, 1028, zum früheren vollständigen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände nach § 22 Abs. 3 Satz 3 EStG.
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den Finanzierungen. Auch das hat noch nichts mit Missbrauch zu tun. Die Staaten stehen im Wettbewerb und diesen Wettbewerb nutzen auch die Unternehmen. Ich habe Verständnis dafür, dass die doppelte Verlustnutzung ein Thema ist, das Staaten dazu anregt, hier einen Riegel vorzuschieben. Es kann auch nicht das Ziel der Industrie sein, von der Steuerpolitik doppelte Verlustnutzungspotenziale zu erwarten. Prof. Dr. Lüdicke Wobei aber das Zahlenbeispiel, das Herr Rust gebracht hat, ja sehr beeindruckend gezeigt hat, dass es ohne diese doppelte Verlustnutzung oder Verlustberücksichtigung nicht geht, wenn es eine doppelte Gewinnberücksichtigung gibt. Bernhardt Das ist richtig. Aber das steht natürlich in einer Korrelation zueinander und wir sind wieder bei dem Grundbedürfnis, das ich eingangs geschildert habe. Prof. Dr. Lüdicke Herr Rust hatte ja am Anfang erwähnt, dass insbesondere die OECD und auch die EU sich mit dem Thema der doppelten Nichtbesteuerung im weitesten Sinne sehr intensiv beschäftigen. Übrigens ist in dem Maßnahmenpaket, das die EU gestern auf den Weg gebracht hat,4 auch eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten enthalten, doppelte Nichtbesteuerung durch eine einschlägige Klausel zu vermeiden.5 Die Klausel geht in Richtung unserer üblichen Subject-to-tax-Klauseln. Ich wollte unabhängig von dieser jüngsten Entwicklung aber Herrn Kreienbaum bitten, etwas zur Arbeit der OECD zu sagen. Die OECD beschäftigt sich mit Base Erosion and Profit Shifting, inzwischen international schon als „BEPS“ gehandelt. Herr Kreienbaum, vielleicht könnten Sie sagen, was das ist und auch was das nicht ist.
_____________ 4 Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, COM(2012) 722 final, vom 6.12.2012; vgl. Pressemitteilung IP/12/1325. 5 Vgl. COM(2012) 722 final, unter „8. Empfehlung betreffend aggressive Steuerplanung“; ferner Empfehlung der Kommission vom 6.12.2012 betreffend aggressive Steuerplanung, C(2012) 8806 final, Rz. 3.2.
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Kreienbaum Gern. Ich kann das gleich verknüpfen mit einer Eingangsbemerkung von Herrn Prof. Rust. Sie haben gesagt, die Freistellungsmethode habe gerade den Vorteil, dass wir uns nicht darum kümmern müssen, was im anderen Staat passiert. Ich wage die Gegenthese: Sie hat gerade den Nachteil, dass wir uns besonders darum kümmern müssen, was im anderen Staat passiert. Und das ist einer der Ausgangspunkte, aus dem heraus die OECD dieses Projekt Base Erosion and Profit Shifting, oder kurz BEPS, geschaffen hat, nämlich der Befund, dass im Wesentlichen multinational operierende Unternehmen in der Lage sind, ihre weltweit generierten Gewinne mit einem insgesamt weltweit relativ niedrigen effektiven Unternehmenssteuersatz zu besteuern. Das ist zunächst nur ein Befund, der sicher auch damit zusammenhängt, dass Kapital heute mobiler geworden ist, dass Gewinne tendenziell über die letzten zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre mehr und mehr aus immateriellen Wirtschaftsgütern generiert werden, die aus der Natur der Sache heraus leichter verlagerbar sind. Das hat in einigen Staaten doch zu stärkeren Diskussionen geführt. Sie haben wahrscheinlich die Diskussion in Großbritannien mitbekommen, die öffentliche Anhörung im Parlament vor drei Wochen mit den üblichen verdächtigen Multinationals. Dort waren allen voran Google und Starbucks vertreten, die Steuerquoten von teilweise unter zwei Prozent auf ihre weltweit generierten Unternehmensgewinne erreichen. Zu diesem schlichten Befund hat die OECD gesagt, wir wollen kein Unternehmens-Bashing betreiben, weil darin primär kein Problem der Unternehmen gesehen wird. Die Planungen bewegen sich im Bereich legaler Strukturen und weil es legale Strukturen sind, die zu aus öffentlicher Sicht unerwünschten Ergebnissen führen, sind wir als OECD-Staaten aufgerufen, uns anzusehen, was da passiert. Schaffen wir in unseren Rechtsregimes Möglichkeiten für entsprechende Verlagerungen, die zwar legal, aber vielleicht von den Regierungen so nicht gewünscht sind? Und wie können wir dann in der Folge möglicherweise solche Verlagerungen vermeiden? Dieses Vorhaben hat politisch ein sehr starkes Momentum entwickelt, nachdem sich auch der Bundesfinanzminister zusammen mit dem britischen Schatzkanzler vor vier Wochen in Mexiko beim G20-Gipfel in einem deutlichen Pressestatement dazu geäußert hat. Der Punkt hat dann Eingang in das G20-Communiqué in Mexiko gefunden, sodass wir eine sehr starke politische Erwartungshaltung sehen, diese Bereiche anzusehen. Die Arbeiten innerhalb der OECD haben mit einem sehr starken Analyseanteil begonnen, einem Feststellungsteil, was im Bereich von 56
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Gewinnverlagerungen stattfindet. Ist das lediglich ein Phantomschmerz, den wir alle fühlen, oder ist es etwas, was wirklich vorangeht, was wirklich stattfindet? Und dann wird man sicherlich sehr vorsichtig ermitteln müssen, welche Maßnahmen ergriffen werden können, entsprechende Gewinnverlagerungen zu vermeiden. Denn wenn man in die herkömmlichen Strukturen der Gewinnabgrenzung eingreift, dann kann einem sehr schnell das Ergebnis dieses Eingriffs auch entgegenschlagen. Wir verstehen uns ja immer noch als Kapitalexportland, wie viele andere OECD-Staaten auch. Und wir müssen sehr aufpassen, wenn wir uns darüber beschweren, dass beispielsweise bei Unternehmen, die sehr hohe Umsätze im Internet generieren, Werbeausgaben, die in Deutschland steuerlich abgezogen werden, nicht in irgendeinem Industriestaat als steuerpflichtiges Einkommen versteuert, sondern beispielsweise auf den Bermudas sehr niedrig besteuert werden. Wenn man sich darüber beschwert, kommt man auch schnell zu dem Ergebnis, dass man sich über den Umstand beschwert, einen Markt zur Verfügung zu stellen und an dem dort generierten Gewinn nicht adäquat zu partizipieren. Dann sind wir sehr schnell in einer Entwicklungslanddiskussion. Ich glaube nicht, dass wir diese Diskussion haben wollen, dass vielleicht China uns sagt, auch an den Gewinnen der deutschen Automobilhersteller, die in China Autos vertreiben, stärker partizipieren zu wollen. Wir befinden uns auf einem insgesamt komplexen Gebiet, mit dem wir uns zwar mit großer Entschlossenheit und mit großem politischem Momentum beschäftigen. Gleichzeitig müssen wir aber auch sehr vorsichtig sein in der Frage, mit welchen Empfehlungen wir am Ende aus der Diskussion kommen wollen, was letztendlich unser Ziel sein soll. Konkret sehen wir eine ganze Reihe von Punkten, welche die OECD bereits in einem noch nicht veröffentlichten und auch noch nicht vollständig abgestimmten Papier angesprochen hat. Da sind konkrete Bereiche genannt, die aus unserer Sicht Anlass zur Sorge geben. Darunter fallen auch die Fragen der doppelten Nichtbesteuerung und der Ausnutzung von Qualifikationskonflikten. Für diese Teilbereiche kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir schon bald Empfehlungen der OECD finden. Ich halte das für sinnvoll und richtig. Man muss es nur vom Ende her bedenken. Wenn wir diese Diskussion für unseren Staat, für unsere Gesellschaft nutzen wollen, müssen wir mit Entschlossenheit und gleichzeitig mit der nötigen Vorsicht an die Dinge herangehen.
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Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Das lässt zumindest hoffen, dass die fachliche Arbeit an diesen Themen doch mit etwas mehr Augenmaß geführt wird als die plakative politische Diskussion. Denn da hat man ja manchmal den Eindruck, dass nicht ganz auseinandergehalten wird, ob in einem Staat, in dem sich ein Markt befindet, etwas als Aufwand wirtschaftlich zu Recht abziehbar ist – und ob auf der anderen Seite der Ertrag dort, wo z. B. die gute Idee entwickelt worden ist, dann auch als steuerpflichtiges Einkommen ankommt. Das sind ja zwei durchaus unterschiedliche Fragen. Prof. Dr. Gosch Es ist ja von mir zu diesem Thema heute Morgen schon einiges gesagt worden. Gerade die Ausführung von Herrn Kreienbaum, auch von Herrn Rust, zu den vielen Vorhaben und Initiativen der OECD und der Kommission, zeigen deutlich: Es besteht Handlungsbedarf. Allerorten will man die doppelte Nichtbesteuerung bekämpfen. De lege lata sieht die Welt aber ganz anders aus. Und das genau bewegt den Richter, der Blick in das Gesetz. De lege lata fehlt zumeist die Handhabe, um die doppelte Nichtbesteuerung einzudämmen, ihr zu begegnen. Anders sieht es nur vereinzelt aus, etwa in Gestalt von Rückfallklauseln, die zwischenzeitlich vermehrt abkommensrechtlich verankert werden. Dadurch hebelt man zwar die Methode der Freistellung aus, mit steuerlichen Vorteilen, möglicherweise aber auch zum Nachteil, denn Deutschland ist ein Exportland. Überwiegend bleibt es dabei: Der Grundsatz der virtuellen Freistellung ist im OECD-Musterabkommen und in vielen deutscherseits geschlossenen Abkommen manifestiert. In Anbetracht dessen mag es aus Sicht des Fiskus vielleicht schön sein, wenn der deutsche Fiskus sich unter dem „Regime“ des kanadischen Höchsten Gerichts bewegen würde, wie wir gerade gehört haben. Der BFH nimmt jedenfalls in ständiger Rechtsprechung genau den gegenteiligen Standpunkt ein. Ich darf dazu auf die Private-Equity-Entscheidung aus dem letzten Jahr6 hinweisen. Die Vorinstanz, das FG Baden-Württemberg, hatte gemeint, eine Keinmalsteuer komme nicht in Betracht, sie widerspreche einer „abkommensrechtlichen Werteentscheidung“, wo immer diese nun zu verorten sein mag. Der BFH hält klar dagegen und meint, die Auffassung des FG bezeuge ein „ausgesprochenes Unverständnis gegenüber _____________ 6 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 = IStR 2011, 925 (Vorinstanz: FG BadenWürttemberg v. 11.5.2010 – 6 K 285/06, juris).
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der Methode der Freistellung“ von Quelleneinkünften. Er äußert sich also genauso dezidiert, wie es die Kanadier gemacht haben, nur eben mit anderem Ergebnis. Und Herr Rust, selbstverständlich stimmen wir überein, die Keinmalbesteuerung gilt es zu verhindern. Einer der Wege, auf dem das gelingen kann, ist gewiss: der Weg der Qualifikationsverkettung. Aber auch da sage ich wieder: Eine solche Verkettung muss im Gesetz angeordnet sein, sie muss sich aus dem Musterabkommen oder eben aus dem konkret in Anwendung befindlichen Abkommen ergeben. Mangelt es daran, ist dieser Weg de lege lata wiederum nicht gangbar. Prof. Dr. Lüdicke Sie würden also dem Vorschlag des Partnership Reports, der sich in den Textziffern 32.1 ff. des OECD-MK zu Art. 23A OECD-MA niedergeschlagen hat, nicht folgen, dass in Deutschland von der Freistellung abgewichen werden kann? Die Finanzverwaltung vertritt ja diese Auffassung, wird damit möglicherweise beim BFH scheitern, aber sie vertritt sie auch nur etwas halbherzig. Denn für den umgekehrten Fall, dass der Quellenstaat ein Besteuerungsrecht zu Recht annimmt, möchte man ja die Doppelbesteuerung nicht gleich vermeiden, sondern lieber erst einmal ein Verständigungsverfahren betreiben. Wie man so schön sagt, manchmal sind wir in der Aufstellung unserer Grundsätze halt stringenter als in ihrer Durchführung. Herr Rust hat das Schlusswort. Prof. Dr. Rust Vielleicht ein kurzes Wort zum Partnership Report der OECD: Nach der neuen Auslegung des Art. 23A Abs. 1 OECD-MA kann bei Qualifikationskonflikten sowohl eine Doppelbesteuerung als auch eine doppelte Nichtbesteuerung vermieden werden. Sieht sich etwa der Quellenstaat zu einer Besteuerung berechtigt, da er einen Abkommensbegriff nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA im Lichte seines nationalen Steuerrechts so ausgelegt hat, dass eine Verteilungsnorm zur Anwendung kommt, die dem Quellenstaat das Besteuerungsrecht belässt, so „können diese Einkünfte … im anderen Vertragsstaat [nach dem Abkommen] besteuert werden“. In diesem Fall hat der Ansässigkeitsstaat die Einkünfte freizustellen – auch wenn er selbst nach Auslegung im Lichte seines nationalen Steuerrechts zu einem anderen Ergebnis kommen und dem Quellenstaat kein Besteuerungsrecht einräumen würde. Natürlich gibt es auch gute Gründe dafür, dass der Ansässigkeitsstaat nicht an die Sichtweise des Quellenstaates gebunden ist. Die neue Aus59
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legung der Begriffe „können besteuert werden“ hält sich aber noch im Rahmen des möglichen Wortlauts. Betrachtet man seit dem Jahr 2000 die Vermeidung der Doppelbesteuerung und der doppelten Nichtbesteuerung als Abkommenszweck, so sollte bei neueren Abkommen auch dieser neuen Auslegung gefolgt werden. Wichtig bei meinem Vortrag war mir allerdings zu zeigen, dass die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung nicht generell als Abkommenszweck angesehen werden kann. Viele Abkommensbestimmungen verfolgen gerade den umgekehrten Zweck. Sie wollen eine doppelte Nichtbesteuerung erreichen. Grundsätzlich nehmen die Doppelbesteuerungsabkommen eine doppelte Nichtbesteuerung zumindest billigend in Kauf. Ist der Gesetzgeber nicht bereit, eine doppelte Nichtbesteuerung hinzunehmen, so muss er den Inhalt der Doppelbesteuerungsabkommen ändern und zur Anrechnungsmethode wechseln oder eine Subject-to-tax-Klausel einführen oder – falls der andere Vertragsstaat dazu nicht bereit sein sollte – als ultima ratio das jeweilige Abkommen kündigen. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Rust. Jetzt unterliegen wir der Gewaltenteilung. Das letzte Wort hat Herr Gosch erbeten. Prof. Dr. Gosch Ich wollte nur noch eines loswerden, nämlich einen Verfassungs-, einen Gleichheitsaspekt, der mir bislang ein wenig zu kurz kommt. Sie finden diesen Aspekt in dem Normenkontrollersuchen des BFH zum Treaty Override und dort in Abgrenzung zur Spruchpraxis des EuGH: Der EuGH stellt die Freistellungsmethode und die Anrechnungsmethode auf eine gleichwertige Stufe, wobei aus seiner Sicht die Anrechnungsmethode die Gleichbehandlung von In- und Ausländern am besten verwirklicht und sie damit zugleich am ehesten geeignet ist, eine Keinmalbesteuerung leistungsfähigkeitsgerecht zu vermeiden. Sie finden diese These beispielsweise in der Entscheidung Columbus Container7. Aus Verfassungssicht kann man das auch anders sehen, und das tut der BFH: Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich einen Steuerpflichtigen betrachte, der nur mit inländischen Einkünften operiert, oder einen Steuer_____________ 7 EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container Services BVBA & Co. ./. FA Bielefeld-Innenstadt, Slg. 2007, I-10451, IStR 2008, 63.
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pflichtigen, der auch ausländische Einkünfte hat und damit der Freistellungsmethode unterfällt. Wir haben es hier mit verschiedenen Vergleichsgruppen zu tun, die auch unterschiedlich zu beurteilen sind. Das Welteinkommensprinzip lässt sich so gesehen nicht allgemein und gleichsam saldierend instrumentalisieren, um dem Leistungsfähigkeitsgesichtspunkt Rechnung zu tragen, sondern man muss dann auch das Territorialprinzip über die Freistellungsmethode, die ja bilateral verbindlich vereinbart ist, in den Vergleichsbetrachtungen mit einbeziehen. Ähnlich verfährt man ja übrigens auch bei unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen; auch diese Personenkreise werden nicht miteinander auf eine Vergleichsstufe gestellt, auch nicht vom BVerfG. Prof. Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich geworden, die Problemlage ist jedenfalls deutlich komplexer, als sie in manchen Zeitungsartikeln und politischen Diskussionen dargestellt wird, und es wird noch einige Arbeit erfordern, entsprechende differenzierte Lösungen zu finden.
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Enhanced Relationship – Modell für den (inter-)nationalen Steuervollzug? Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Lehrstuhl für Unternehmenssteuerrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf/ Richter am Finanzgericht Düsseldorf
Inhaltsübersicht A. Einleitung: Internationale Entwicklungen beim Steuervollzug . . 64 I. Grenzüberschreitende Vollzugsprobleme und Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Enhanced Relationship als kultureller Wendepunkt beim internationalen Steuervollzug? 68 B. Das OECD-Modell der „Basic Relationship“ . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Ausgangspunkt: Study into the Role of Tax Intermediaries (OECD 2008) . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Steuervollzug als pflichtgebundener Interessenwiderstreit zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen . . . . . . . . 72 C. Das OECD-Gegenmodell einer „Enhanced Relationship“ . . . . . . . 74 I. Terminologie: „Enhanced Relationship“ und Kooperation . . 74 II. Modell einer interaktiven Steuerkooperation mit den Schlagworten Freiwilligkeit, Konsens und Dialog . . . . . . . . . 76
III. Quid pro quo: Offenlegung und Transparenz gegen frühzeitige Planungssicherheit . . . . . . . . . . 77 IV. Referenzprojekte verstärkter Beziehungen zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D. Chancen und Risiken der „Enhanced Relationship“ . . . . . . . I. „Enhanced Relationship“ als Impuls zum Übergang zur staatlich kontrollierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefahren für Gleichmäßigkeit der Besteuerung und Gesetzesbindung der Verwaltung . . . . . . III. Drohende Verkürzung gerichtlichen Rechtsschutzes bei Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rollenwandel für den steuerlichen Berater durch „Enhanced Relationship“? . . . . . . . . . . . . .
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E. Schluss aus deutscher Sicht: Rechtlich eingehegte Steuerkooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
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A. Einleitung: Internationale Entwicklungen beim Steuervollzug Diese traditionsreiche Tagung ist nicht auf das „Internationale Steuerrecht“1 beschränkt, sondern spannt mit ihrem Titel „Internationale Besteuerung“ bereits den Bogen zum internationalen Steuervollzug. Der Steuervollzug2 im internationalen Kontext ist häufig nur ein Randaspekt,3 er verdient aber aufgrund jüngerer Entwicklungen die Aufmerksamkeit der betroffenen grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, ihrer Berater und auch der Wissenschaft. I. Grenzüberschreitende Vollzugsprobleme und Gegenmaßnahmen Der Steuervollzug im internationalen Raum stößt bekanntermaßen auf verschiedene Schwierigkeiten.4 Das Grundproblem lässt sich formelhaft mit der Divergenz zwischen „materieller Universalität“ und „formeller Territorialität“ umschreiben.5 Die materielle Steuerpflicht greift aufgrund des Welteinkommensprinzips über die Grenzen des Nationalstaats hinaus,6 seine hoheitlichen Kontroll- und Zwangsmaßnahmenbefugnisse enden völkerrechtlich indes an seinen Staatsgrenzen. Der Steuervollzug macht in grenzüberschreitenden Fällen im Ausgangspunkt „an der Grenze halt“.7 Diese formelle Territorialität setzt der nationalen Finanzverwaltung trotz ihres materiell universalen Besteue-
_____________ 1 Definiert als Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die sich auf Auslandssachverhalte, insbesondere grenzüberschreitende Sachverhalte, beziehen (vgl. nur Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 1.5 m. w. N.). 2 Zum Begriff Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1403 f. 3 Zum Verfahrensrecht etwa Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. 2011, 876 ff., sowie die nachfolgend Zitierten. 4 Zusammenfassend zuletzt Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Handbuch der Besteuerung von Auslandsaktivitäten inländischer Unternehmen und von Inlandsaktivitäten ausländischer Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.2. 5 Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte, Festschrift Schaumburg, 2009, 151 f.; Staringer, Steuervollzug bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, DStJG 31 (2008), 135 (136); Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1425. 6 Zuletzt Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. 2013, § 1 Rz. 87 f. 7 So durchaus im Wortsinne Staringer, DStJG 31 (2008), 135.
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rungsauftrags Grenzen.8 Bereits dieses „Missverhältnis“9 zwischen Sollen und Dürfen zwingt zur zwischenstaatlichen Kooperation beim Steuervollzug. Zudem sind internationale Verhältnisse für die Finanzverwaltung auch erschwert aufklärbar. Bei global tätigen Unternehmen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen kommt zum materiellen Problem der Gewinnabgrenzung10 der Abstimmungsbedarf mit anderen Steuerverwaltungen und die Kontrolle von Gestaltungen zur internationalen Belastungsminderung hinzu.11 Sobald ein besteuerungsrelevanter Vorgang die Grenzen überschreitet, wird im internationalen Raum überdies „der innerstaatliche Überwachungsteppich“ mit potenziell doppelter Kontrollmöglichkeit der nationalen Finanzbehörde verlassen.12 Während bei reinen Inlandsfällen sowohl der Zahlende als auch der Empfänger durch die nationale Finanzbehörde überprüft werden können, fehlt bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht nur die materielle Korrespondenz, vielmehr kann die Finanzbehörde nur das nationale Teilstück des Steuersachverhalts mit eigenen Mitteln überprüfen. Die auf das Inland beschränkte „Vollzugsgewalt“ führt insgesamt zu Vollzugsproblemen,13 Verifikationslücken14 oder gar zu einem völkerrechtlich begründeten Vollzugsdefizit15 beim internationalen Steuervollzug. Bereits das deutsche Verfassungsrecht fordert darum vollzugssichernde Maßnahmen.16 Die Antworten zur „steuerverfahrensrechtlichen Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte“17 sind _____________ 8 Hendricks, OECD-Musterabkommen über den Informationsaustausch in Steuersachen, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Vor Art. MA-InfAust Rz. 1 (Stand: Oktober 2010); Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.2; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 19.1 f., 19.53. 9 Seer, Festschrift Schaumburg, 2009, 151 (152). 10 Zu den Schwierigkeiten der Gewinnaufteilung und Perspektiven Schön, Zur Zukunft des Internationalen Steuerrechts, StuW 2012, 213. 11 Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.2. 12 Plastisch Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.2, der aber andererseits auf belastende (potenzielle) Doppelkontrolle grenzüberschreitender Sachverhalte durch die Verwaltungen beider Staaten hinweist (ebenda, Rz. 12.6). 13 So Staringer, DStJG 31 (2008), 135 (136). 14 Allgemein Tipke, Über Deklarieren und Verifizieren, Festschrift Offerhaus, 1999, 819 (828, 833 f.). 15 Vgl. Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.3. 16 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 88 ff. 17 Treffend bereits im Titel Seer, Festschrift Schaumburg, 2009, 151.
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einerseits unilateral, andererseits bilateral. Nationale Maßnahmen stellen erweiterte Mitwirkungspflichten bei der Aufklärung von Auslandssachverhalten dar,18 wie sie § 90 Abs. 2 AO vorschreibt,19 oder aber die Einführung besonderer grenzüberschreitender Dokumentationspflichten, wie sie § 90 Abs. 3 AO hinsichtlich grenzüberschreitender Konzernverrechnungspreise normiert, woraus § 162 Abs. 3 und 4 AO die Konsequenzen auf Sanktionsebene ziehen.20 Diese nationalen Maßnahmen reichen indes nicht aus und müssen durch geeignete grenzüberschreitende Kontrollmaßnahmen ergänzt werden.21 Die internationalen Antworten zur Absicherung der „Achillesverse“ der internationalen Besteuerung22 liegen traditionell im grenzüberschreitenden Informationsaustausch. Der Motor, um drohenden Vollzugsdefiziten beim grenzüberschreitenden Steuervollzug entgegenzuwirken, ist seit Langem die Intensivierung des internationalen Informationsaustauschs. Die konventionelle Maßnahme zum Ausgleich des Spannungsverhältnisses von formeller Territorialität und materieller Universalität ist die internationale Amts- und Vollstreckungshilfe.23 Informationen sind die zentrale Grundlage der Verwaltungstätigkeit. Die moderne Verwaltungswissenschaft begreift Verwaltung als Informationsverarbeitung, bei der die Gewinnung, Auswertung und Vernetzung aller verwaltungsrelevanten Informationen zur Grundkategorie rationa-
_____________ 18 Zusammenfassend Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. 2011, 877 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 19.7 ff. 19 Dazu etwa Staringer, DStJG 31 (2008), 135 (140 f.), mit Vergleich zur Rechtslage in Österreich, wo eine ausdrückliche Rechtsgrundlage fehlt, aber vergleichbare Konsequenzen aus allgemeinen Grundsätzen des Ermittlungsverfahrens abgeleitet werden. 20 Zu Dokumentationspflichten und Sanktionen zuletzt Baumhoff in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 3.444 ff.; Seer, Verrechnungspreisdokumentation bei verbundenen Unternehmen, IWB 2012, 350; eingehend A. Jochum, Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in der Außenprüfung, 2011, 247 ff. 21 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 89 f. 22 Treffend Soler Roch, Tax Administration versus Taxpayer – A New Deal?, World Tax Journal 2012, 282 (290). 23 Staringer, DStJG 31 (2008), 135 (136 f.); ebenso Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (290); eingehend Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 7 ff., sowie Seer/Gabert, Der internationale Informationsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3 ff.
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ler Entscheidungsfindung zählen.24 Informationsgewinnung, Informationsverarbeitung und Informationsverknüpfung25 bilden den Kern der Steuerverwaltung26 als Verifikationsverwaltung.27 Sie ist eine informationsbasierte Verwaltung und muss zur Erfüllung ihres Verifikationsauftrags (§§ 85, 88 AO) besteuerungsrelevante Informationen generieren, auswerten und abgleichen. Gerade zur Bewältigung struktureller Verifikationsschwierigkeiten bei grenzüberschreitenden Vorgängen bedarf der Steuervollzug des Austausches von Informationen, für die es eine Vielfalt an Rechtsgrundlagen gibt.28 Im europäischen Verwaltungsraum sind als Beispiele die Zusammenarbeitsverordnung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer,29 die Zusammenarbeitsrichtlinie auf dem Gebiet der sonstigen Steuern30 und die Beitreibungsrichtlinie31 zu nennen. Auf internationaler Ebene haben intensive Bemühungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in den letzten Jahren um einen „internationalen Steuerraum“ ohne verzerrende Möglichkeiten der Steuerhinterziehung32 zu einem substanziellen Ausbau bestehender und zur Etablierung neuer Instrumente des Informationsaustauschs geführt. Nachdem das OECD Global Forum on Transparency and Exchange of Information im Jahr 2009 eine neue Ära des Informationsaustauschs ausgerufen hatte,33 sind neben den Amtshilfeklauseln in einer Vielzahl bilateraler Doppelbesteuerungsabkom_____________ 24 Stellvertretend Vesting, Die Bedeutung von Information und Kommunikation für die verwaltungsrechtliche Systembildung, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 20 Rz. 1 ff., 5 m. w. N. 25 Zur staatlichen Informationsgewinnung, -verarbeitung, -verwendung, aber auch zur Wissenssicherung und -vernichtung allgemein Spiecker gen. Döhmann, Wissensverarbeitung im Öffentlichen Recht, Rechtswissenschaft 2010, 247. 26 Speziell zu diesem Konnex Schmehl, Staatswissen und Steuerverwaltung, in Spiecker gen. Döhmann/Collin, Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 2008, 270 (273 ff.). 27 Drüen, Die Zukunft des Steuerverfahrens, in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, 1 (8). 28 Hendricks, OECD-Musterabkommen über den Informationsaustausch in Steuersachen, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Vor Art. MA-InfAust Rz. 7 ff. (Stand: Oktober 2010); zuletzt Seer, Das Besteuerungsverfahren im 21. Jahrhundert, FR 2012, 1000 (1007 f.) m. w. N. 29 Verordnung/EU Nr. 904/2010 v. 7.10.2010, ABl. EU Nr. L 268, 1. 30 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU Nr. L 64, 1. 31 Richtlinie 2010/24/EU v. 16.3.2010, ABl. EU Nr. L 84, 1. 32 Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.3. 33 OECD, Tax Co-operation 2010, Towards A Level Playing Field, 2010, 9 f. m. w. N.
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men entsprechend dem Vorbild des Art. 26 OECD-MA in jüngerer Zeit zahlreiche spezielle bilaterale Abkommen zum Steuerinformationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement, T.I.E.A.) abgeschlossen worden.34 Der Druck der OECD zum Ausbau des Informationsaustauschs kennzeichnet zugleich eine allgemeine internationale Entwicklung: Die Abkehr von den strikten Bahnen des rechtlich Regulierten und den Aufbau eines internationalen Zwangs mithilfe von soft law,35 einschließlich diverser „naming-and-shaming-Kampagnen“.36 II. Enhanced Relationship als kultureller Wendepunkt beim internationalen Steuervollzug? Das Thema der Enhanced Relationship (zu Deutsch: verstärkte Beziehung oder verbessertes Verhältnis)37 gehört zu den jüngeren zentralen Entwicklungen beim internationalen Steuervollzug.38 Auftakt für die aktuelle Diskussion über Enhanced Relationship war der Vorstoß der OECD, für den die Erklärungen der Jahre 2006 und 2008 Wegmarken sind (dazu B.). Die International Fiscal Association (IFA) hat die Diskussion über verstärkte/intensivierte und somit verbesserte Zusammenarbeit zwischen Steuerzahlern und Finanzbehörde unlängst aufgegriffen. Am Rande und zunächst noch hinter verschlossenen Türen wurde das Thema anlässlich der Tagungen in Rom und Paris angesprochen.39 In einem besonderen Forum stand „Enhanced Relationship“ bei der Jahres_____________ 34 Hendricks, OECD-Musterabkommen über den Informationsaustausch in Steuersachen, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Vor Art. MA-InfAust Rz. 8, 16 ff. (Stand: Oktober 2010) m. w. N. 35 Zur wachsenden Bedeutung von soft law beim internationalen Steuervollzug vgl. Brodzka/Garufi, The Era of Exchange of Information and Fiscal Transparency: The Use of Soft Law Instruments and the Enhancement of Good Governance in Tax Matters, European Taxation, 2012, 394 (400 ff.); speziell zur Enhanced Relationship Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (292). 36 Winner, Der Kampf gegen „Steueroasen“, StuW 2010, 101 (103). 37 Die Verwendung von Anglizismen und die Sprachmischung zum „Denglisch“ (zu Recht kritisch für den nationalen Kontext Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1474) sind misslich, lassen sich aber bei der Nachzeichnung und Analyse der internationalen Diskussion nicht gänzlich vermeiden. 38 Owens, Thoughts on the Forum on Tax Administration, Buenos Aires, January 2012, Bulletin for International Taxation, 2012, 178 f. 39 IFA, Initiative on the Enhanced Relationship, Key Issues Report, Version 3.3 (Stand: 31.8.2012), abrufbar unter http://www.ifa.nl/publications/enchancedrel project/pages/default.aspx, 4 ff. (zitiert im Folgenden IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012).
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tagung der IFA im Jahr 2012 in Boston offiziell auf dem Programm.40 Jüngste Impulse entspringen einer Mitteilung der EU-Kommission vom 6.12.2012:41 Die EU-Kommission hat auf ihrer Agenda für das Jahr 2013 einen Kodex für die Steuerpflichtigen zu entwickeln, in dem bewährte Verfahren des Steuervollzugs erläutert werden. Durch diesen Kodex soll die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen verbessert werden. Er soll die Transparenz bezüglich der Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen erhöhen und ein dienstleistungsorientiertes Konzept für den Steuervollzug etablieren.42 Ziel ist es, die Fehlerrisiken für die Steuerpflichtigen zu senken und die Einhaltung von Steuervorschriften zu fördern. Ein zentrales Motiv dieser verstärkten Zusammenarbeit ist die wirksamere Vereinnahmung von Steuern.43 Allerdings geht es zugleich um effektiveren Einsatz der begrenzten Kapazitäten der Finanzverwaltung.44 Der letzte Punkt sollte bei der Diskussion immer als mithandlungsleitend bedacht werden. Enhanced Relationship soll einen Wendepunkt innerhalb der wechselhaften Beziehung zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen markieren.45 Dabei ist der Grundbefund nicht neu: Das grundsätzliche Bedürfnis der Zusammenarbeit von global tätigen Unternehmen mit den einzelnen Steuerverwaltungen ist bereits eine alte Erkenntnis.46 Die OECD hat dieses Kooperationserfordernis bereits in den „Leitsätzen für multinationale Unternehmen“ im Jahre 1976 bekräftigt.47 Eine neue Qualität beim internationalen Steuervollzug könnte indes in der Form der Kooperation zwischen den Steuerverwaltungen und den Steuerpflichtigen liegen (s. C.). Dabei geht es nicht um ein neues rechtliches Instrumentarium. Enhanced Relationship ist vielmehr auf der Metaebene realer Vollzugsmodalitäten bei Auslandssachverhalten jenseits konkreter Rechtsvorschriften des internationalen Steuerrechts angesie_____________ 40 IFA, Enhanced Relationship Project, 2.10.2012. 41 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 6.12.2012, Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, KOM (2012) 722. 42 KOM (2012) 722, 11. 43 KOM (2012) 722, 11. 44 KOM (2012) 722, 2. 45 So jüngst Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (292). 46 Ebenso Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.1. 47 OECD, Leitsätze für multinationale Unternehmen, verabschiedet vom OECDMinisterrat am 21./22.6.1976, Abschn. „Besteuerung (1)“ (Neufassung Oktober 2011, I.11.).
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delt. Im Fokus der Diskussion und auch dieses Beitrags liegen weniger die Analyse der rechtlichen Vorgaben eines rechtsnormbasierten Besteuerungsverfahrens als vielmehr der geforderte Wechsel der Mentalität48 und des Verhaltens49 und damit politische und soziokulturelle Prägungen, die hinter dem (internationalen) Steuervollzug stehen. Bezeichnenderweise spricht die OECD von einer anzustrebenden institutionellen Kultur der Offenheit.50 Jeffrey Owens, der frühere Direktor ihres Zentrums für Steuerpolitik und Steuerverwaltung, tritt für einen Wechsel der Beziehungen ein, betont aber zugleich, dass ein Wechsel der Verhaltensmuster schwerer falle als eine bloße Änderung des Gesetzesrechts.51 Ziel der Zusammenarbeit sei es aber, den Mangel an Vertrauen zu überwinden und den Wandel von der traditionellen Steuerkultur der Konfrontation hin zu einer „Kultur des konstruktiven Engagements“ einzuleiten.52 Liegt der Schwerpunkt der internationalen Entwicklungen insoweit erkennbar auf dem Feld der Steuerkultur und der (spiegelbildlichen) Besteuerungskultur, so will ich als Steuerjurist versuchen, sie gleichwohl am Ende in verfassungsrechtliche und verfahrensrechtliche Bahnen zu lenken (s. D. und E.).
B. Das OECD-Modell der „Basic Relationship“ Der Schlüssel zum Verständnis der Überlegungen und Vorschläge der OECD, die nicht auf konkreten Rechtsänderungen beim Steuervollzug, sondern auf die Arbeit namentlich ihres Forum on Tax Administration (FTA) zurückgehen,53 liegt in der Entwicklung der sog. Enhanced Relationship als Gegenmodell zur sog. Basic Relationship. Diese basiert auf der Studie über die Rolle der Tax Intermediaries aus dem Jahre 2008.54
_____________ 48 So ist vom „change of the mindmap“ oder vom „change of attitude“ die Rede (zu Letzterem Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 [294]). 49 Nachdrücklich Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (293). 50 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 42. 51 Owens, Tax Administrators, Taxpayers and Their Advisors: Can the Dynamics of the Relationship be changed?, Bulletin for International Taxation 2012, 516 (517). 52 So Owens, Bulletin for International Taxation 2012, 516 (518). 53 Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (292). 54 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 39 ff.
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I. Ausgangspunkt: Study into the Role of Tax Intermediaries (OECD 2008) Ein kurzer Rückblick erhellt das Vorgehen der OECD. Die Erklärung des Forum on Tax Administration der OECD von Seoul aus dem Jahre 200655 adressierte insbesondere Tax Intermediaries, mithin diejenigen, die als Steuerberater und Finanzinstitutionen56 beim Steuervollzug zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigen stehen. Diese Erklärung war namentlich gegen Steuergestaltungsmodelle als inakzeptable Steuerminimierung gerichtet, deren sich insbesondere große Unternehmen bedienen sollen. Unter dem Stichwort Compliance forderte das Forum stattdessen die Einhaltung von Rechtsvorschriften als Teil von Corporate Governance mittels unternehmensinterner Steuerabteilungen ein, wobei externe Steuerberater eher außen vor blieben. Das Forum on Tax Administration schlug neue Sanktionen gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen vor, die beim Steuervollzug nicht mitwirkten, wobei der Ton der Erklärung durchaus als Drohung verstanden werden konnte. So überrascht es nicht, dass die „Erklärung von Seoul“ zum Teil als Kriegserklärung gegen Steuerberater und Steuergestalter aufgefasst wurde. Greifbar war der Einwand, die OECD differenziere nicht hinreichend zwischen Steuergestaltung, Steuerminimierung und Steuerhinterziehung. Infolge der terminologischen Vermengung sahen manche die gesamte Branche unter Generalverdacht gestellt. Jedenfalls führte diese Erklärung zu Irritationen und regte weitere Diskussionen an. Die IFA fasste das sensible Thema zunächst nur mit spitzen Fingern an.57 Das Forum on Tax Administration der OECD zog aus den negativen Reaktionen eine Lehre und hielt die Begrifflichkeiten in späteren Erklärungen vage. Der Begriff der „Enhanced Relationship“, der – soweit ersichtlich – erstmals offiziell im Kapstadt Communiqué von 2008 verwendet wird,58 ist offenkundig der Versuch, das als veränderungsbedürftig identifizierte Dreiecksverhältnis zwischen Steuerbehörde, Steuerpflichtigem und Tax Intermediaries unter einem unbelasteten Begriff weiterzu-
_____________ 55 OECD, Final Seoul Declaration, 2006. 56 Vgl. Glossar bei OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 88, mit den Beispielen „investment and retail banks, insurers, asset managers“ für Finanzinstitute. 57 Vgl. den einleitenden Rückblick aus der Sicht des Präsidenten M. Tron, wiedergegeben in IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 2 ff. 58 OECD, FTA, Cape Town Communiqué, 2008, 2.
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denken und mit den positiv besetzten Begriffen „co-operation and trust“ zu verbinden.59 Das OECD-Modell baut auf der zu verbessernden Basic Relationship, der Basisbeziehung zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung, auf. Dieser liegt eine typisierte Bestandsaufnahme des derzeit bestehenden Verhältnisses beim Steuervollzug zugrunde. Um Ziele und Erscheinungsformen der anzustrebenden, auf Kooperation und Vertrauen zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden aufbauenden Enhanced Relationship darzustellen, definiert die OECD sie aufbauend und in Abgrenzung zur Basic Relationship.60 II. Steuervollzug als pflichtgebundener Interessenwiderstreit zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen Die Basisbeziehung beschreibt die OECD als eine pflichtbasierte Beziehung, in der jede Seite nur das Notwendige tut, was eben das Gesetz von ihr verlangt. Informationen des Steuerpflichtigen, so die Kurzcharakterisierung, werden nur ausschnitthaft, zurückhaltend und mit Zeitverzögerung der Finanzverwaltung übermittelt.61 Kennzeichen dieser Basisbeziehung ist damit der pflichtgebundene Interessenwiderstreit des Steuervollzugs zwischen der Steuerverwaltung und dem Steuerpflichtigen. Während für die Behörden die möglichst umfassende und wahrheitsgemäße Erhebung steuerrelevanter Informationen an oberster Stelle steht, soll für den Steuerpflichtigen aus Sorge einer übermäßigen Besteuerung nur ein geringer Anreiz bestehen, erweiterte Informationen aus Eigeninitiative offenzulegen. Dies führt zu einem Versteckspiel zwischen ihm und der Finanzverwaltung, im angloamerikanischen Raum ist von „hide and seek games“ als Methode der Steuerminimierung die Rede.62 Da in Deutschland beim Verstecken und Suchen Assoziationen an den Osterbrauch naheliegen, könnte man von einem „Ostereier-Vollzug“ sprechen. Zwischen Steuerentstehung und Steuererhebung liegen dabei regelmäßig erhebliche Zeitabstände, die die Aufklärung erschweren und zusätzliche Kosten auf beiden Seiten verur_____________ 59 Vgl. OECD, FTA, Cape Town Communiqué, 2008, 2 f. 60 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 39 ff.; vorbereitend OECD, Tax Intermediaries Study, Working Paper 6 – The Enhanced Relationship, 2007, 1 ff. 61 Dazu und zum Folgenden OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 39 f. 62 So auch IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 20.
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sachen. Überdies sind mit einer minimalen und zögerlichen Preisgabe von Informationen hohe Unsicherheiten und Risiken verbunden, insbesondere das der Aufdeckung von Mehrergebnissen bei der Außenprüfung einschließlich gravierender Zinsfolgen. Aus deutscher Perspektive eskaliert die Situation, weil die sechsprozentige Vollverzinsung (§ 233a i. V. m. § 238 AO) inzwischen eklatant außer Verhältnis zum Marktzinsniveau steht. Überdies verschärft die asymmetrische steuerrechtliche Behandlung, wonach Erstattungszinsen (jedenfalls bei Kapitalgesellschaften)63 zu versteuern, Nachzahlungszinsen auf Steuern vom Einkommen aber nicht (mehr) abzugsfähig sind, die Belastungswirkung. Allerdings entstehen durch langwierige und erschwerte Aufklärungsprozesse spiegelbildlich auch auf der Seite des Fiskus erhöhte Kosten beim Steuervollzug. Dies mag als vergröbernde Skizzierung der Basic Relationship und ihrer greifbaren Nachteile ausreichen. Allerdings räumt auch die OECD erhebliche Unterschiede in den einzelnen Staaten ein.64 Eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Enhanced Relationship fußt auf der Ausgangsthese, bei der Basic Relationship existiere „no trust and cooperation between the parties“.65 Das erscheint innerhalb der OECDMitgliedstaaten als zugespitzte Beschreibung der Basisbeziehung, mag aber für andere Staaten zutreffen. Insbesondere in manchen Entwicklungsländern wird eine faktische „Nicht-Beziehung“ der am Steuervollzug beteiligten Parteien beklagt.66 Aus deutscher Sicht erscheint die Gegenüberstellung von Basic und Enhanced Relationship, also zwischen einfacher und intensivierter Zusammenarbeit, wie ein dramaturgischer Akt. Die Methodenwahl und -beschreibung der OECD ist erkennbar von der Motivation getragen, Modelle typologisch gegenüberzustellen, um ihre gegensätzlichen Eigenschaften deutlicher hervorzuheben.67 Es geht weniger darum Realmodelle zu beschreiben, als vielmehr Entwicklungsoptionen aufzuzeigen. Die jüngste Stellungnahme der IFA aus dem Jahre 2012 ist ebenso dieser Ansicht: Sie sieht in der Normalisierung der Beziehungen zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen, _____________ 63 Vgl. den Streit um § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG einerseits und die fehlende außerbetriebliche Sphäre einer Kapitalgesellschaft andererseits. 64 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 65 Bronzewska, The Enhanced Relationship, www.eatlp.org/uploads/public/poster_ enhanced_relationship.pdf. 66 Dazu IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 16, wonach auch das UN Tax Committee eher abwartend am Rande die Entwicklung verfolgt. 67 Deutlich OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40.
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deren Intensivierung und der anschließenden Überlegung zu einer Verbesserung Entwicklungsoptionen und auch zeitliche Entwicklungsstufen.68 Insgesamt hat die Zugrundelegung und Beschreibung der Basic Relationship keinen Eigenwert, sondern fungiert als gedankliche Folie zur Fortentwicklung.
C. Das OECD-Gegenmodell einer „Enhanced Relationship“ I. Terminologie: „Enhanced Relationship“ und Kooperation Unter den vagen und neutralen Begriff einer „Enhanced Relationship“ lässt sich vieles fassen. „To enhance“ bedeutet auf Deutsch „steigern, vergrößern, erhöhen“, „Relationship“ als „Beziehung, Verhältnis“ schließt selbst Verwandtschaftsverhältnisse ein. Das ist kein Zufall, sondern dem Verlauf der Diskussionen geschuldet (s. B. I.). Begriffsjuristische Erwartungen, aus dem Begriff Gegenstand und Grenzen ableiten zu können, werden indes enttäuscht. Der Begriff „Enhanced Relationship“ erlaubt weder eine trennscharfe Definition der Vollzugsformen noch steht er für einen eigenständigen wissenschaftlichen Gehalt. Er soll vielmehr inhaltsoffen sein und euphemistisch klingen. Denn der OECD ging es darum, mit seiner Hilfe Zielvorgaben für den Steuervollzug einzufangen und induktiv ein gemeinsames Dach für im internationalen Vergleich als „best practices“ identifizierte kooperative Handlungsbeispiele wie das Horizontal Monitoring in den Niederlanden oder das real time audit in den Vereinigten Staaten von Amerika (dazu C. IV.) zu finden. Das Kind brauchte halt einen (neuen) Namen. Trotz der Möglichkeit einer induktiven Begriffskonkretisierung aus Anwendungsbeispielen erscheint „Enhanced Relationship“ immer noch als blasser Verlegenheitsbegriff, unter dem durchaus heterogene Vorstellungen diskutiert werden.69 Das könnte in der OECD ähnlich gesehen werden. Immerhin suchte Grace Perez-Navarro von der OECD auf der IFA-Tagung in Boston im Rahmen des Enhanced-Relationship-Projekts freimütig nach einem besseren Namen und schlug „Cooperative Compliance“, wohlgemerkt mit einem Fragezeichen versehen, vor.70 Der Begriff „Compliance“ hat international und auch in Deutschland in den _____________ 68 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 16. 69 Zur Kritik wegen der nicht konsentierten Definition vgl. IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 7. 70 Perez-Navarro, IFA Enhanced Relationship Project, 2.10.2012, Folie 5: „transparency is key and we need a better name – cooperative compliance?“.
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letzten Jahren einen Siegeszug angetreten,71 ist aber deutungsoffen und daher naturgemäß umstritten.72 Soweit er in Deutschland mit Rechtsbefolgung, als Einhaltung gesetzesabhängiger Rechtspflichten oder -obliegenheiten in Abgrenzung von bloß ethischen oder freiwilligen Handlungen verstanden wird,73 bietet er sich als Oberbegriff für den erstrebten Kulturwandel abseits rechtlicher Änderungen (s. A. II.) kaum an. Der Begriff der „Kooperation“ scheint beim internationalen Steuervollzug sowohl im internationalen Raum74 als auch in Deutschland als Oberbegriff für die Kooperation unter den einzelnen Steuerverwaltungen besetzt zu sein.75 Enhanced Relationship zielt indes auf die Verbesserung der Kooperation zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltungen. Allerdings ist der deutungsoffene Kooperationsbegriff so weit, dass er beide Kooperationsebenen beim Steuervollzug umfasst.76 Aus deutscher Sicht gehört die aktuelle Diskussion über Enhanced Relationship damit zum Themenfeld der Kooperationsformen beim Steuervollzug, das unlängst auch Gegenstand der Berliner Steuergespräche war.77 Hinterfragt man die internationale Terminologie, so stolpert man aus deutscher Sicht bereits über das verwendete Sprachbild „carrot and stick“ zur Veranschaulichung der Bestrebungen der Enhanced-Relationship-Initiative,78 was sich im Deutschen mit Zuckerbrot und Peitsche79 übersetzen lässt. Dahinter stehen belohnende Erleichterungen für Steuerpflichtige, die „compliant“ sind, und Sanktionen nebst intensiveren Prüfungen für solche, die „non-compliant“ sind. Rechtliche Beden_____________ 71 Kritisch zur „Compliance“ als Zauberwort wiederum Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1474 f. 72 Vgl. nur Seer, Tax Compliance und Außenprüfung, Festschrift Streck, 2011, 403 (404 ff.); Streck in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 2010, Rz. 1.1 ff., 1.13 ff. 73 Dafür Bock, Criminal Compliance, Habil. Kiel, 2011, 19 f. m. w. N. 74 Vgl. OECD, Tax Co-operation 2010, Towards A Level Playing Field, 2010. 75 Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.6: „Kooperation der Steuerverwaltungen“. 76 Drüen, Kooperation im Besteuerungsverfahren, FR 2011, 101 (103). 77 Richter/Welling, Diskussionsbericht zum 37. Berliner Steuergespräch „Kooperationsformen im Besteuerungsverfahren“, FR 2011, 123; zur Gesamtwürdigung jüngst Seer, FR 2012, 1000 (1001 f.). 78 OECD, Tax Intermediaries Study, Working Paper 6 – The Enhanced Relationship, 2007, 3: „‚carrot and stick‘ approach to tax compliance“; dies zitierend IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 8. 79 Dazu im Kontext der Kooperation beim Steuervollzug auch Drüen, Die Zukunft des Steuerverfahrens, in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, 1 (22).
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ken wegen der Besteuerungsgleichheit hat die IFA in ihrem jüngsten Report aufgeworfen80 (dazu noch D. II.). Aber schon die Metapher von „carrot and stick“ gilt es zu überdenken. Immerhin steht dahinter die Vorstellung von einem mürrischen Esel, der entweder durch eine Möhre oder aber durch den Stock zum Tragen von Lasten angetrieben wird. Statt die Akzeptanz durch eine Gleichsetzung des Steuerzahlers mit einem Esel zu gefährden, sollte unter dem neutralen Begriff der Kooperationsanreize über Möglichkeiten und Grenzen diskutiert werden, um die für den Steuervollzug unabdingbare Kooperationsbereitschaft der Steuerpflichtigen zu steigern.81 II. Modell einer interaktiven Steuerkooperation mit den Schlagworten Freiwilligkeit, Konsens und Dialog Ist der Begriff der „Enhanced Relationship“ als solcher wenig erkenntnisfördernd, so sollen im Folgenden Kennzeichen des neuen OECDModells beleuchtet werden. Die anzustrebende Enhanced Relationship als Gegenmodell zur Basic Relationship soll primär aus Kooperation und Vertrauen zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden speisen.82 Grundlage ist der Aufbau und Ausbau gegenseitigen Vertrauens.83 Aufseiten der Finanzverwaltung soll Enhanced Relationship durch das Bewusstsein eines unternehmerischen Handelns, durch Unparteilichkeit, Verhältnismäßigkeit, Offenheit, Offenlegung, Transparenz und Verantwortung gekennzeichnet werden.84 Diese Begriffe sind alle positiv besetzt, erscheinen unwiderstehlich, sind aber freilich bedeutungsoffen. Insbesondere der konturenlose und wertungsbedürftige Begriff der Verantwortung ist rechtlich problematisch,85 weil er implizite Wertungen nicht offenlegt und die Wertungskriterien nicht selbst bereitstellt, sondern voraussetzt.86 Allerdings ist der gezieltere Einsatz behördlicher Kontrollressourcen auch ein zentraler Punkt.87 Unverblümt bezeichnet _____________ 80 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 7 (22 f.). 81 Dazu Drüen, Die Zukunft des Steuerverfahrens, in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, 1 (22 ff.). 82 So bereits OECD, FTA, Cape Town Communiqué, 2008, 3. 83 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 84 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 85 Grundsätzlich ablehnend für das Steuerverfahren Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, 161 (173). 86 Darum kritisch zur Verantwortung als Zurechnungsbegriff H. C. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff?, Die Verwaltung, Beiheft 2/1999, 33 (37 f.). 87 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40.
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Gerard Meussen die neue niederländische Kooperationsform der Horizontaal Toezicht, die ein Referenzprojekt der Enhanced Relationship ist (dazu noch C. IV.), auch als „Sparmodell, um Steuerbeamte einzusparen“.88 Die jüngste IFA-Stellungnahme spricht damit verbundene Bedenken zu Recht an.89 Mit diesen Einwendungen sei der Blick auf die Gegenseite der Kooperation gerichtet: Aufseiten des Steuerzahlers, wobei vor allem „large corporate taxpayers“, also große Unternehmen und in der Regel sog. Multi-Nationals gemeint sind, werden Offenlegung und Transparenz im Umgang mit den Steuerbehörden eingefordert.90 Diese verstärkte, intensivierte Beziehung lässt sich dahin umschreiben, dass Finanzbehörde und Steuerzahler im Procedere um die Aufklärung und Festsetzung von Steuern nicht bloß rechtliche Regelungen befolgen, sondern darüber hinausgehen und idealiter in Echtzeit zusammenarbeiten. Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge soll parallel zur Steuerentstehung eine Offenlegung aller relevanten Daten erfolgen, die im transparenten Dialog arbeitsteilig zur zeitnahen Festsetzung der Steuer führen soll. Enhanced Relationship soll dabei auf freiwilliger Offenlegung und Kooperation basieren und keine Quelle neuer rechtlicher Pflichten und Sanktionsmöglichkeiten sein.91 Grundsätzlich soll die Implementierung von Enhanced Relationship keine signifikanten Änderungen der Gesetzgebung erfordern.92 Insgesamt soll Enhanced Relationship als solche nicht das Ende sein, sondern vielmehr den Boden eines weiter gehenden Steuerklimas („tax environment“) bereiten, in dem sich Beziehungen – getragen von Vertrauen und Kooperation – entfalten können.93 III. Quid pro quo: Offenlegung und Transparenz gegen frühzeitige Planungssicherheit Im Kern von Enhanced Relationship steht, auch wenn rechtliche Bindungen negiert werden, ein Austausch im Sinne eines do ut des: Von den Steuerpflichtigen werden Offenlegung und Transparenz als doppelte _____________ 88 Meussen, Horizontaal toezicht, eine neue Kooperationsform im Besteuerungsverfahren in den Niederlanden, FR 2011, 114. 89 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 26. 90 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 91 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 25. 92 Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (294). 93 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 42.
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Erwartung gefordert, geboten wird ihnen dafür im Gegenzug frühzeitige steuerliche Planungssicherheit.94 Formelhaft lautet das Angebot der Steuerverwaltungen auf Englisch: „Increased timeliness and certainty in return for full, voluntary disclosure“.95 Damit verbunden ist freilich auch die Reduzierung von Steuerbefolgungskosten („lower compliance costs“). Dieses Angebot könnte insbesondere große Unternehmen, die kapitalmarktorientiert oder gar börsennotiert sind, ansprechen, weil für sie Planungssicherheit und der Abschluss offener Sachverhalte angesichts von Berichtspflichten einen besonderen Stellenwert haben. Im Rahmen der Beratungen der OECD zu Enhanced Relationship hat der Wunsch nach „early certainty“ gerade für „large corporate taxpayers“ zentrale Bedeutung.96 Auf der Prioritätenliste dieser Unternehmen mag Steuersicherheit als Ziel einen höheren Rang haben als eine übersteigerte Steuerminimierung, insbesondere, soweit im Unternehmen Steuerzahlungen als Teil einer „corporate social responsibility“ verbucht werden. Auf jeden Fall werden die Unternehmen im Rahmen ihres (obligatorischen oder freiwilligen) Tax Risk Managements97 das mit der Enhanced Relationship verbundene quid pro quo zu erwägen haben: Zeitnahe Steuerfestsetzungen vermeiden die Risiken späterer Steuerprüfungen und -prozesse. Lösen die Beteiligten die auftretenden Steuerfragen zeitnah, vermeiden sie nicht nur Rechtsunsicherheiten, sondern sie senken zugleich die Steuerverfolgungskosten, weil keine Kosten für die spätere Vertretung in der Betriebsprüfung und etwaige Anschlussrechtsstreitigkeiten mehr anfallen. Dem Zeitfaktor kommt beim Steuervollzug eine entscheidende Bedeutung zu. Mit Blick auf die Realität des deutschen Steuervollzugs ist leider – und nicht nur in Einzelfällen – eine strukturelle Zeitferne der Besteuerung festzustellen,98 die nicht nur wegen der Zinsfolgen eine (verfassungs-)rechtliche Dimension angenommen hat.99 Die Aussicht, frühzeitig eine verbindliche Beurteilung der Steuerfolgen durch die Finanzbehörde ohne das Risiko einer Nachforderung zu erhalten, übt darum insgesamt eine starke Anziehungs_____________ 94 95 96 97
OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 42. Vgl. Owens, Bulletin for International Taxation 2012, 516 (517). OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 41. Dazu aus Unternehmenssicht Risse, Steuerliches Risikomanagement, Ubg 2012, 169. 98 Rechtsvergleichend für Betriebsprüfungen jüngst Spengel/Ortmann-Babel/ Matenaer, Tax Risk Management der Finanzverwaltung: Hat Deutschland den Anschluss an die internationale Entwicklung verpasst?, Ubg 2012, 466 (471 f.). 99 Näher Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 7 ff., 54 ff.
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kraft auf die Unternehmen aus, wie die nachfolgenden Beispiele aus dem Ausland belegen (dazu C. IV.). Dahinter steckt das allgemeine unternehmerische Desiderat der Planungssicherheit, das sich vor allem auf Steuern erstreckt, die es ohne staatliche Gegenleistung zu zahlen gilt. IV. Referenzprojekte verstärkter Beziehungen zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen Die OECD hat durch induktives Vorgehen Referenzprojekte verschiedener Länder herausgegriffen und versucht, für diese Modelle unter dem Titel „Enhanced Relationship“ einen gemeinsamen Überbau zu liefern.100 Der jüngste IFA-Bericht zur Enhanced Relationship stellt diskussionsleitende Beispiele aus verschiedenen Staaten zusammen.101 Zur Illustration seien im Folgenden exemplarisch Referenzprojekte aus den Niederlanden, Österreich und den USA als Modelle der Kooperation beim Steuervollzug angeführt, deren gemeinsames Ziel die kooperativ ausgestaltete, zeitnahe Betriebsprüfung ist. Allein schon wegen der räumlichen Nähe und der engen wirtschaftlichen Beziehungen lohnt der Blick über die Grenze zu den Nachbarn: Das niederländische Horizontaal Toezicht-Programm102 als Form des Horizontal Monitorings103 erfolgt in zwei Schritten: Zunächst werden alle steuerrelevanten Sachverhalte innerhalb eines Unternehmens arbeitsteilig mit der Finanzbehörde identifiziert, diskutiert und – wenn möglich – gelöst. Dem schließt sich eine zweite Phase an, in der ein Vertrag aufgesetzt wird, in dem sich die Parteien zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bekennen und sich gegenseitig Vertrauen, Transparenz und Verständnis für gegenseitige Belange zusichern. Anhand dieser Abrede legen die Parteien eine Vorgehensweise fest, wie das Unternehmen für künftige Steuerfragen die Position der Finanzbehörde einholen kann, damit diese die Entstehung des Steuertatbestands begleitet. Dabei sind die steuerpflichtigen Unternehmen verpflichtet, einen _____________ 100 Vgl. bereits OECD, Tax Intermediaries Study, Working Paper 6 – The Enhanced Relationship, 2007, 3 f. zu „21st century ‚enhanced relationship‘ models“. 101 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 9 ff. 102 Dazu näher bereits Meussen, FR 2011, 114; kurz zusammengefasst bei Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 21 f. 103 Nähere Beschreibung bei IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 9 f.
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Tax Control Framework104 einzurichten, der zu großen Teilen die Betriebsprüfung ersetzt. Die Unternehmen nehmen die Prüfungsarbeit mit ihrer betriebsinternen Steuerabteilung und durch Wirtschaftsprüfer vorweg, die Außenprüfung beschränkt sich auf Struktur- und Stichprobenprüfungen.105 Während sich die Unternehmen verpflichten, die Behörde über geplante steuerwirksame Umstrukturierungen zu unterrichten, liefert die Behörde die rechtlich verbindliche Einschätzung unter Wahrung von wirtschaftlich sinnvollen Fristen. Etwaig notwendige Betriebsprüfungen werden angekündigt und begründet. Auf diesem Wege wird eine schnellere Festsetzung durch Steuerbescheid erreicht, weil die problematischen Sachverhalte schon während ihrer Entstehung gewürdigt wurden. Dieser Vertrag wird jährlich evaluiert und gegebenenfalls nachgebessert. Neben der Möglichkeit, sich nach Absprache mit der Gegenseite vom Vertrag zu lösen, steht den Parteien grundsätzlich der Dialog offen, ohne dass dadurch Nachteile befürchtet werden müssen. Das Horizontaal Toezicht-Programm ist selbst bereits von einem unabhängigen Komitee evaluiert worden und weist unterschiedliche Ergebnisse auf.106 Während es für große Unternehmen Erfolge im Sinne eines besseren gegenseitigen Verständnisses verzeichnen kann, führt es bei mittleren und kleineren Unternehmen zu zusätzlichen Befolgungskosten durch die Einstellung von geschultem Personal. Schließlich schlug die Kommission zur Rechtfertigung des Vertrauens eine bestätigende Betriebsprüfung vor.107 In Österreich ist das Bundesministerium für Finanzen auf den Zug der Enhanced-Relationship-Initiative aufgesprungen, indem es seit Frühjahr 2011 ein Projekt für die Betriebsprüfung nach niederländischem Vorbild ins Leben gerufen hat.108 Ohne gesetzliche Änderungen soll durch stan_____________ 104 Eine Broschüre des niederländischen Finanzministeriums zum Tax Control Framework ist abrufbar unter http://download.belastingdienst.nl/belastingdienst/docs/ tax_control_framework_dv4011z1pleng.pdf. 105 Meussen, FR 2011, 114 (116); Seer, FR 2012, 1000 (1001 f.). 106 In niederländischer Sprache: Commissie Horizontaal Toezicht Belastingdienst, Fiscaal toezicht op maat; www.rijksoverheid.nl/documenten-en-publicaties/rap porten/2012/06/20/rapport-van-de-commissie-stevens-over-horizontaal-toezichtbij-de-belastingdienst.html. 107 Ausschnittsweise übersetzt nach IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 10. 108 BMF v. 2.3.2011 – BMF-010103/0035-VI/2011, Initiative Fair Play; Geschäftsbericht 2011 der österreichischen Steuer- und Zollverwaltung, 17, abrufbar unter www.bmf.gv.at/Publikationen/Downloads/BerichteBilanzen/Geschaeftsbericht_ 2011_fin.pdf.
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dardisierte Kurzprüfungen aufgrund von Verwaltungsvorschriften die Umsetzung der Enhanced-Relationship-Initiative vorangetrieben werden. Arbeitsgruppen mit Mitgliedern verschiedener Interessen, darunter Betriebsprüfer, Wirtschaftsverbandsmitglieder, Steuerberater und Professoren, erarbeiteten ein Pilotprojekt, das zunächst nur an zehn bis fünfzehn Steuerpflichtigen erprobt werden soll, bevor es verbessert und ausgebaut wird.109 Modellcharakter für die weitere Diskussion gerade in Deutschland haben traditionell die Vereinigten Staaten von Amerika110 mit ihrem dreistufigen Compliance Assurance Process (CAP),111 welches nach sechsjähriger Erprobungszeit seit dem Jahr 2011 dauerhafte Anwendung findet.112 Die Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis. Ziel sind kürzere und engere Prüfungen der Steuererklärungen. Im pre-CAP-Programm wird interessierten Steuerpflichtigen die Möglichkeit geboten, einzelne, ungelöste Sachverhalte partnerschaftlich mit den Finanzbehörden zu lösen, ohne vorher ein verbindliches Vertrauensverhältnis einzugehen. Dieser erste Kontakt soll dazu genutzt werden, den Steuerpflichtigen Vorteile und Pflichten eines späteren CAP-Programms aufzuzeigen. Im CAP-Programm selbst werden anhand eines Vertrags verbindliche Rechte und Pflichten im Steuererhebungsprozess begründet, in dem Kommunikationsprozesse ebenso wie Ansprechpartner, Streitbeilegungsverfahren und Aufhebungsklauseln geregelt werden. Die dritte Stufe des CAP-maintenance-Programms ist Unternehmen vorbehalten, die bereits am CAP teilgenommen haben und neben ihrer grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft kein hohes Risiko aufweisen. Bei ihnen sind eine geringere Prüfung und der Einsatz weniger Prüfungsressourcen gerechtfertigt.
_____________ 109 Ausschnittsweise übersetzt nach IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 11. 110 Positiv Seer, FR 2012, 1000 (1001); zurückhaltender Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 20 (22). 111 Eine Übersicht zu den verschiedenen US-amerikanischen Programmen findet sich bei Freedman/Loomer/Vella, Analyzing the Enhanced Relationship between Corporate Taxpayers and Revenue Authorities: A U.K. Case Study, 110 f., www.irs.gov/pub/irs-soi/09resconenrelcorptaxuk.pdf. 112 Ausschnittsweise übersetzt nach IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 13.
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Weitere Referenzbeispiele aus Australien und Neuseeland,113 Slowenien114 und vielen anderen Staaten bestimmen die internationale Diskussion.115 Die deutsche IFA hat hingegen die Möglichkeit zur Stellungnahme nicht genutzt,116 sodass deutsche Beispiele für einen kooperativen Steuervollzug117 im aktuellen IFA-Bericht zur Enhanced Relationship fehlen. Das lässt auf eine gewisse deutsche Zurückhaltung gegenüber diesem Projekt schließen. Diese Reserve erscheint diskussionswürdig.
D. Chancen und Risiken der „Enhanced Relationship“ Wenngleich das Enhanced-Relationship-Modell auch aus deutscher Sicht beachtliche Ziele verfolgt, bedarf deren Gewichtung einer Bewertung nach Chancen und Risiken. Die konkrete Ausgestaltung der Kooperation zwischen Steuerpflichtigem und Steuerverwaltung ist zudem anhand verfassungs- und einfachrechtlicher Maßstäbe zu messen. Dabei sind Argumente und Bedenken aufzugreifen und zu vertiefen, die bereits in der IFA-Stellungnahme von 2012 angesprochen worden sind.118 I. „Enhanced Relationship“ als Impuls zum Übergang zur staatlich kontrollierten Selbstregulierung Aus rechtswissenschaftlicher Sicht beurteilt Roman Seer als besonders für den Steuervollzug profilierter Vertreter der deutschen Steuerrechtswissenschaft119 die verschiedenen Modelle der Enhanced Relationship, insbesondere den amerikanischen Ansatz des real time audit als positiv und richtungsweisend auch für Deutschland.120 Er sieht darin eine Abkehr von der Fremdregulierung durch den Staat hin zu einer staatlich _____________ 113 Dabner/Burton, Lessons for Tax Administration in Adopting the OECD’s „Enhanced Relationship“ Model – Australia’s and New Zealand’s Experience, Bulletin for International Taxation 2009, 316. 114 Vgl. Cok, Horizontal Monitoring in Slovenia, Wiener Tagungsbeitrag „Tax Governance“, 2012. 115 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 14 m. w. N. 116 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 107. 117 Z. B. Modelle einer zeitnahen Außenprüfung in Deutschland (dazu Seer, Zeitnahe Außenprüfung bei Groß- und Konzernbetrieben, Ubg 2009, 673; Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 24 ff.). 118 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 21 ff. 119 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1475: „Vordenker“. 120 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 193 AO Rz. 42 (Stand: September 2009); Seer, FR 2012, 1000 (1001 f.).
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kontrollierten Selbstregulierung, in der sich das Unternehmen selbst und mithilfe von Steuerberatern prüft.121 Er schlägt damit die Brücke vom Steuervollzug zur Dogmatik des allgemeinen Verwaltungsrechts,122 in der seit Längerem im Rahmen der Privatisierungsdebatte Selbstregulierung propagiert wird. Selbstregulierung lässt sich als Rücknahme der Eigenerfüllung von Aufgaben durch die Verwaltung und deren Rückzug auf Steuerung und Überwachung der gesellschaftlichen Aufgabenerfüllung begreifen.123 Die Vollzugsrealität mit dem faktischen Wandel vom Besteuerungsverfahren zum Selbstveranlagungsverfahren entspricht de facto steuerrechtlicher Selbstregulierung, die freilich staatlicher Kontrolle bedarf.124 Dem trägt der Begriff „Steuervollzug“ bereits Rechnung.125 Anstatt den Gedanken der Selbstregulierung unter Betonung eines nicht flächendeckend umsetzbaren hoheitlichen Vollzugsideals zurückzuweisen,126 gilt es ihn für das Steuerrecht unter einer wichtigen Modifikation fruchtbar zu machen127: Während bei freier gesellschaftlicher Selbstregulierung keine staatliche Letztverantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe mehr besteht,128 trägt der Staat trotz steuerrechtlicher Selbstregulierung die Verifikationsverantwortung. Anders als andere Felder der Selbstregulierung darf der Steuervollzug nicht unkontrolliert der gesellschaftlichen Handlungsrationalität und der (kollektiven) Verfolgung von Privatinteressen überlassen werden.129 Darum ist im Steuerrecht von rechtlich (oder staatlich) kontrollierter Selbstregulierung die Rede.130 Dies kommt der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Kategorie „hoheitlich regulierter gesellschaftlicher _____________ 121 Seer, FR 2012, 1000 (1002). 122 Ebenso Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, 458 ff. 123 Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl. 1996, 950 (953). 124 Seer, Der Vollzug von Steuergesetzen unter den Bedingungen einer Massenverwaltung, DStJG 31 (2008), 7 (31 ff.) m. w. N. 125 Vgl. demgegenüber Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.1: „Besteuerungsvollzug im internationalen Steuerrecht“. 126 So Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, 142 ff. 127 Dazu bereits Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, 2012, 175 ff. 128 Allgemein Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, 158 ff. (160). 129 Deutlich Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, 2001, 227. 130 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, 458; Seer, FR 2012, 1000 (1002).
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Selbstregulierung“ nahe, die staatliche Gewährleistungsverantwortung einschließt und auf dem Kooperationsprinzip aufbaut.131 Selbstregulierung beim internationalen Steuervollzug ist kein neues Phänomen. Dass eine unternehmensseitige Selbstregulierung der internationalen Steuerverhältnisse mit Blick auf die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Steuervollzugs stattfindet und die Steuerverwaltungen auch von dieser ausgehen und diese unterstützen, ist keine neue Erkenntnis.132 Die Unternehmen stellen sich auf erhöhte nationale Mitwirkungspflichten und einen internationalen Informationsaustausch ein und die Steuerverwaltungen mögen zum Teil Rücksicht auf unzureichende Kontrollmöglichkeiten bei Auslandsbeziehungen nehmen. Grundlegender sieht der Ansatz von Seer in der Vorverlagerung der Prüfungstätigkeit auf die Unternehmen (insbesondere durch unternehmensinterne Tax-Compliance-Strukturen) und ihre Steuerberater sowie in dem staatlichen Rückzug auf Struktur- und Stichprobenprüfungen133 ein neues rechtsrelevantes Stadium des Selbstregulierungsprozesses. Zwar können gesetzliche und freiwillige Instrumente der Tax Compliance im Unternehmen ebenso wenig wie die handelsrechtliche Abschlussprüfung die steuerliche Außenprüfung mit ihren spezifischen Kontrollbedürfnissen ersetzen, aber sie sollte zur Gewähr verhältnismäßiger Verfahrenslasten stärker auf Vorprüfungen und Sicherungen der Unternehmen aufbauen.134 Finanzbehördliche Verifikation hat sich allein nach dem konkreten Prüfungsbedürfnis zu richten.135 Darum sind staatliche Prüfungsaktivitäten ins Verhältnis zu eigenen oder fremden Vorprüfungen und Sicherungsmaßnahmen des Unternehmens zur Risikoerkennung, -vorsorge und -steuerung zu setzen.136 Dabei wurden die sog. Compliance- und Risikomanagementanforderungen an Unternehmen im Gesellschaftsrecht und insbesondere im Kapitalmarktrecht in den letzten Jahren erheblich intensiviert und erfassen auch das sog. steuerliche Risikomanagement der Unternehmen.137 Diese sollten die _____________ 131 Dazu nur Eifert, Regulierungsstrategien, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 19 Rz. 52 f. m. w. N. 132 Instruktiv bereits Menck in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 12.4. 133 Seer, FR 2012, 1000 (1002). 134 Dafür bereits Drüen, FR 2011, 101 (109). 135 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 193 AO Rz. 44 m. w. N. (Stand: September 2009). 136 Übereinstimmend Drüen, FR 2011, 101 (109 f.), und Kaiser, Tax Compliance in ausländischen Finanzverwaltungen, IWB 2010, 774 (777). 137 Dazu aus Unternehmenssicht Risse, Ubg 2012, 169.
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Basis für ergänzende, digitale Prüfungen der Steuerverwaltung bilden.138 Bedürfnis und Intensität der aufbauenden Struktur- und Stichprobenprüfung aus spezifisch steuerrechtlicher Sicht muss freilich die Finanzbehörde in pflichtgemäßem Ermessen festlegen. Die gewonnenen Freiräume sollten – im Einklang mit einem Ziel der Enhanced Relationship139 – der effektiven Allokation der Ressourcen der Finanzbehörden dienen, müssen aber aus deutscher Sicht vor allem zur Schließung greifbarer Verifikationsdefizite genutzt werden. Insgesamt ist darum die Forderung nach staatlich kontrollierter Selbstregulierung mit der Selbstprüfung der Unternehmen als erstem Schritt und der ergänzenden Prüfung durch die Finanzbehörde als Folgeschritt auch für Deutschland zukunftsweisend, sofern die nunmehr anzusprechenden „roten Linien“ des Verfassungsrechts gewahrt werden. II. Gefahren für Gleichmäßigkeit der Besteuerung und Gesetzesbindung der Verwaltung Gleichmäßigkeit der Besteuerung und Gesetzesbindung der Verwaltung sind die ersten Stichworte, die bei einer Enhanced Relationship aus deutscher Sicht unmittelbar infrage stehen. Sie bestimmen auch die deutsche Debatte über Zulässigkeit und Grenzen der Kooperation im Steuerverfahren.140 Die Frage der Vereinbarkeit einer Enhanced Relationship und seines „Carrot-and-stick“-Modells mit dem Gleichheitssatz hat erfreulicherweise offen bereits die IFA-Stellungnahme aus dem Jahre 2012 angesprochen.141 Sie hat zu Recht erkannt, dass die Frage der Gleichmäßigkeit dieses Projektes bisher nicht hinreichend beantwortet wurde und dass der pragmatische Ansatz, sie erst gar nicht zu stellen, sich langfristig als falsch herausstellen dürfte.142 Denn Gleichheitsfragen einer Enhanced Relationship sind mehr als ein Randproblem. Wenngleich Enhanced Relationship erklärtermaßen keine besonderen Vorteile für ausgesuchte Steuerpflichtige vorsehen soll,143 erscheint nicht nur aus deutscher Sicht fragwürdig, wie weit die Anreizwirkung
_____________ 138 Ebenso Spengel/Ortmann-Babel/Matenaer, Ubg 2012, 466 (473). 139 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 42. 140 Vgl. Kaiser, Chancen und Risiken von kooperativ ausgerichteten Finanzverwaltungen, StW 2011, 101 (102 f.); näher Drüen, FR 2011, 101 (106 ff.) m. w. N. 141 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 21 ff. 142 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 22. 143 So zumindest Rohatgi, IFA, Enhanced Relationship Project, 2.10.2012, Folie 10.
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zur Kooperation („carrot“) reichen darf.144 Aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland berichtet die IFA über öffentliche Debatten und anhängige Rechtsstreitigkeiten, ob frühzeitige und betriebsnahe Steuerbescheide für bestimmte kooperationswillige Unternehmen eine unzulässige Vorteilsgewährung durch die Behörden darstellen.145 Die Begrenzung der Enhanced Relationship auf ausgewählte Steuerpflichtige, insbesondere „large corporate taxpayers“,146 ist am Gleichheitssatz zu messen, weil auch die behördliche Auswahl von Kooperationspartnern sachangemessener Rechtfertigungskriterien bedarf.147 Die bisherige Außerachtlassung kleiner und mittelständischer Unternehmen wirkt diskriminierend.148 Die Kapazitäten für eine besondere Kooperation dürfen nicht willkürlich verteilt werden. In der Testphase neuer Vollzugsmodelle erscheint es sinnvoll, Erfahrungen mit ausgesuchten Steuerpflichtigen zu suchen, die wie große Unternehmen durch eigene Steuerabteilungen die (Über-)Erfüllung von Tax Compliance149 gewährleisten. Allerdings gebietet der Gleichheitssatz, dass nach einer solchen Testphase potenziell jeder kooperationswillige Steuerpflichtige Zugang zu den Kooperationsmodellen hat. Die Finanzverwaltung als Verifikationsverwaltung hat jede Prüfung am Verifikationsbedürfnis auszurichten und daran sind auch kooperative Elemente auszurichten.150 Dabei wäre eine schematische Ausrichtung an Betriebsgrößenklassen, wie die Betriebsprüfungsordnung sie vorsieht, auch bei der Kooperationsauswahl verfehlt. Gebieten Verifikationsprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrund, die staatlichen Prüfungsaktivitäten auch in Relation zu eigenen Vorprüfungen und Sicherungsmaßnahmen des Unternehmens zu setzen (s. bereits D. I.), so darf gleichwohl bei einer Enhanced Relationship die staatliche Prüfung nicht das gebotene Untermaß unterschreiten. Die Prüfung muss immer nach dem Verifikationsbedürfnis und der konkreten Verifikationslage erfolgen. Der Gleichheitssatz verlangt nicht, alle Unternehmen gleich zu behandeln, sondern der Art nach zu unterscheiden, wo sachliche Unterschiede bestehen. Greifbar wird es auf Englisch: „equal“ bedeutet nicht „same“. Darum kann und muss kleinen und mittleren Unternehmen im Koope_____________ 144 Zu (formellen) Vorteilen und ihrer „Verteilung“ auch Kaiser, IWB 2010, 774 (777 f.); Kaiser, StW 2011, 101 (102). 145 Vgl. IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 10. 146 Vgl. OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 147 Drüen, FR 2011, 101 (109). 148 Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (296). 149 Treffend Risse, Ubg 2012, 169 (173). 150 Vgl. bereits Drüen, FR 2011, 101 (106, 110) m. w. N.
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rationsmodell eine andere Behandlung zukommen als Großunternehmen, ohne dass ihnen Kooperationsvorteile a priori versagt werden dürfen. Auch wäre es gleichheitswidrig, verbindliche Auskünfte ohne Gebühr als Teil einer Enhanced Relationship einzelnen kooperativen Steuerpflichtigen extra legem zu erteilen, von den übrigen aber die gesetzlichen Gebühren zu erheben.151 Umgekehrt darf ein „Schlechtvollzug“ mit Rechtsunsicherheit und Zinsrisiko nicht als Strafe für Steuerpflichtige instrumentalisiert werden, die nicht kooperationswillig sind.152 Wenn der Regelvollzug außerhalb der Kooperationsmodelle so abschreckend wie der Stock im Bilde wirkt, geht es nicht allein um Fragen eines Kulturwechsels, sondern vielmehr muss dringend über die Änderung der Rechtsgrundlagen nachgedacht werden. In Deutschland krankt es trotz der neuen Verwaltungsanweisung des § 4a BpO an gesetzlichen Impulsen für einen zeitgerechten Steuervollzug.153 Die Ablaufhemmungen, insbesondere nach § 171 Abs. 4 AO, führen zu einer strukturellen Zeitferne154 und gravierenden Zinsfolgen. Ein Dialog über Vollzugskultur ist aber sinnlos, wenn die rechtlichen Voraussetzungen die mit ihm anvisierten Ziele nicht unterstützen, sondern sie konterkarieren. Zum Thema der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist im Zuge der OECD-Diskussionen über Enhanced Relationship bereits die Forderung erhoben worden, diese neue Form der Kooperation und speziell die Anforderungen der Offenlegung durch Rechtsvorschriften festzulegen. Die Arbeitsgruppe der OECD hat dem eine deutliche Absage erteilt, weil Enhanced Relationship nicht auf ein regelgesteuertes Rahmenwerk, sondern nur auf breite Prinzipien gegründet werden könne.155 Entsprechend den Erfahrungen aus den Referenzbeispielen sollen vielmehr die Parteien im Einzelfall das angemessene Niveau der Offenlegung selbst _____________ 151 Zur verbindlichen Auskunft und ihrer Gebührenpflicht zuletzt Stemplewski, Kooperation im Steuerverfahren am Beispiel der verbindlichen Auskunft, BB 2012, 2220 (2221 ff.), sowie Seer, FR 2012, 1000 (1005 f.). 152 So zum „Übel“ zeitferner Betriebsprüfung bereits Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 45. 153 Für einen gesetzlichen Änderungsbedarf hinsichtlich einer zeitnahen Außenprüfung vgl. bereits Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 51 ff.; Spengel/Ortmann-Babel/Matenaer, Ubg 2012, 466 (472); Wünnemann, Gesetzlicher Regelungsbedarf für eine zeitnahe Betriebsprüfung, Ubg 2011, 198. 154 Rechtsvergleichend Spengel/Ortmann-Babel/Matenaer, Ubg 2012, 466 (471 f.). 155 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 41.
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bestimmen. Diese pragmatische Antwort befriedigt aus deutscher Sicht nur bedingt. Gesetzliche Festlegungen und Rahmenwerke scheinen nur als lästige Fessel angesehen zu werden, wobei der Vorhersehbarkeit und Begrenzung durch das Gesetz nur ein geringer Stellenwert beigemessen wird. Für deutsche Juristen ist die Herrschaft des Gesetzes freilich eine zentrale Errungenschaft des Rechtsstaats und seiner Kontrolle durch Gerichte. Eine Volldetermination mittels gesetzlicher Vorschriften ist auch im Steuerrecht nicht möglich, weshalb auch Verständigungen im Rahmen des Gesetzes zulässig sind.156 Aber auch wenn man die Steuerungskraft durch abstrakte Rechtssätze nicht überschätzt, erscheint der planmäßige Verzicht auf einen gesetzlichen Rahmen als gefährlich. Das Ziel, die Enhanced Relationship gezielt außerhalb und neben dem Gesetzesrecht anzusiedeln, ist aus deutscher Sicht fragwürdig. Der Verzicht auf rechtliche Bahnen könnte in der Praxis dazu führen, dass die Relationship gegen das Recht ausgespielt wird und Kooperationsdruck aufgebaut wird. Dies gepaart mit einem intendierten Rechtsschutzverzicht (dazu noch D. III.) würde den Schutz der Steuerpflichtigen empfindlich schwächen. Bei der Wahrung des Gesetzes ist schließlich der Schutz von Steuerdaten trotz freiwilliger Offenlegung im Rahmen einer Enhanced Relationship ein offenes Problem. Die IFA-Stellungnahme spricht es angesichts des internationalen Informationsaustauschs an und sieht hierin im Falle von Kooperations- und Steuerlastgefällen eine potenzielle Schranke für den Eintritt multinationaler Unternehmen in die Enhanced Relationship.157 Dies ist berechtigt. Aus deutscher Sicht ist die Weitergabe von Informationen, die dem strafbewehrten Steuergeheimnis (§ 30 AO, § 355 StGB) unterfallen, überdies nicht allein eine Frage der außergesetzlichen, ausbalancierten Herangehensweise der Finanzverwaltung.158 Die Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO setzt eine gesetzliche Regelung voraus, aus der ausdrücklich und normenklar die Befugnis zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses hervorgeht, wobei zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Offenbarung verfassungsrechtliche Grenzen zieht.159 Die Abgabenordnung erlaubt allerdings die Offenbarung von Kenntnissen, die ohne Be_____________ 156 Zur Diskussion zusammenfassend Drüen, FR 2011, 101 (106 ff.); Seer, FR 2012, 1000 (1005 f.) m. w. N. 157 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 26 f. 158 So aber IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 27. 159 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 71, 62 m. w. N. (Stand: Januar 2012).
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stehen einer steuerlichen Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht des Betroffenen erlangt worden sind (§ 30 Abs. 4 Nr. 4b AO). Wer sich ohne rechtliche Verpflichtung äußert, gilt bisher als nicht schutzwürdig,160 sofern er die fehlende Verpflichtung kannte.161 Unter diese Offenbarungsbefugnis sollen auch Angaben des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren fallen, die für dessen Durchführung unerheblich waren,162 sodass freiwillige Angaben ohne Rücksicht auf ihre Relevanz regelmäßig nicht dem Steuergeheimnis unterfallen. In diesem „Schutzloch“ dürfte eine – bisher nicht erkannte – Gefahr für deutsche Unternehmen liegen, im Rahmen des kooperativen Steuerverfahrens der nationalen Steuerbehörde freiwillige Auskünfte zu erteilen. Der deutsche Gesetzgeber sollte eine Anpassung der Abgabenordnung erwägen, um eine Kooperationsbarriere abzubauen. Denn andernfalls könnten sich insbesondere global tätige Unternehmen aus Sorge vor einem für sie unabsehbaren Informationstransfer über die Grenze ohne Schutz des Steuergeheimnisses einer freiwilligen Informationspreisgabe verschließen. III. Drohende Verkürzung gerichtlichen Rechtsschutzes bei Kooperation Ein weiterer wunder Punkt des Modells der Enhanced Relationship erschließt sich aus der Rechtsschutzperspektive,163 die mir gerade als Finanzrichter besonders am Herzen liegt. Bei jeder Kooperation schwingt die bereits bei der Gesetzesbindung angesprochene Befürchtung mit, dass Kooperationsformen im Steuervollzug dazu führen, Arrangements abseits des Gesetzes und fern von gerichtlicher Überprüfung zu finden. Sowohl die Finanzverwaltung als auch die Steuerpflichtigen sind der Versuchung ausgesetzt, aus Zeit- und Ressourcengründen die Sache „pragmatisch“ zu beenden, ohne sich die Frage ernsthaft zu stellen, ob dadurch die gesetzlich geschuldete Steuer getroffen wird. Das Projekt der Enhanced Relationship soll den jeweiligen Rechtsrahmen der Streitaustragung und -beilegung zwar nicht verdrängen oder ändern, aber der eingeforderte kulturelle Wandel könnte stillschweigend dazu führen. _____________ 160 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 115 (Stand: Januar 2012); Intemann in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 30 Rz. 220. 161 Tormöhlen in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 30 AO Rz. 126 (Stand: Februar 2010). 162 So Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl. 2012, § 30 Rz. 179b. 163 Insoweit kritische Andeutungen auch bei Soler Roch, World Tax Journal 2012, 282 (291).
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Die OECD stellt zwar aufgrund von Einwendungen klar, ihr neues Modell achte sowohl die fundamentalen Rechte des Steuerpflichtigen als auch die gerichtliche Kontrolle durch unabhängige Gerichte.164 Erhellend wird indes in der IFA-Stellungnahme als gemeinsamer Faktor innerhalb des Projekts der Enhanced Relationship betont, dass Rechte und Pflichten unangetastet bleiben, aber in einer gut funktionierenden Enhanced Relationship kein Bedürfnis besteht, sie zu bemühen.165 Die eingeforderte gegenseitige Vertrauensbasis lässt sich als konkludenten Rechtsbehelfsverzicht missverstehen. So wurde bereits auf dem IFAPanel in Boston die These in den Raum gestellt, dass gehäufte Rechtsstreitigkeiten Beleg für fehlendes oder erodierendes Vertrauen seien. Sie mündet darin, den Weg zu den Gerichten als Aufkündigung der Vertrauensbeziehung und mithin als Ende der Enhanced Relationship zu begreifen. Dieser Beschneidung des Rechtsschutzes, die in Deutschland im Rahmen der Diskussion über das Osnabrücker Modell zeitnaher Betriebsprüfung166 als übereinstimmender Verzicht „auf formaljuristische Rechte“ diskutiert wurde,167 ist für Deutschland bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen nachdrücklich zu widersprechen. Die individuelle Rechtsschutzgarantie ist verfassungsrechtlich verbürgt (Art. 19 Abs. 4 GG) und sie ist „Eck- und Schlussstein der rechtsstaatlichen Ordnung“ des Grundgesetzes.168 Darum reicht es aus deutscher Sicht nicht aus, wenn die IFA klarstellt, dass grundlegende Rechtsfragen der Interpretation der Steuergesetze weiterhin von den Gerichten behandelt werden sollen, damit diese zum allgemeinen Nutzen von Steuerpflichtigen und Steuerbehörden „new case law“ entwickeln können.169 Die kollektivutilitaristische Sicht verschiebt die Rolle der Steuergerichte erheblich von ihrer elementaren, individuellen Rechtsschutzfunktion hin zur der damit einhergehenden, abgeleiteten allgemeinen Rechtskonkretisierungsfunktion. Aber auch diese international geschätzte Sekundärfunktion170 könnte verkümmern, wenn der Gang zum Finanzgericht allge_____________ 164 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40. 165 Explizit IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 17, sub 2.6 (i). 166 Zu Einzelheiten Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 26 ff. 167 Vgl. Richter/Welling, FR 2011, 123 (124). 168 Statt vieler Huber in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rz. 336 m. w. N. 169 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 25 f. 170 Auch die Revision durch den BFH dient ausweislich der Revisionszulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 FGO) neben dem Allgemeininteresse an der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit sowie der Kontrolle des BFH über die
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mein als kooperationsfeindlicher Akt diskreditiert würde. Die mitunter anzutreffende Prämisse, bei einer harmonischen Kooperation in Form einer Enhanced Relationship erübrige sich regelmäßig gerichtlicher Rechtsschutz, weil Steuerpflichtiger und Finanzbehörde Konsens erstreben und einvernehmlich aufgrund ihrer Vertrauensbasis zu einem Ergebnis kommen werden, geht fehl. Kooperation bedeutet nicht zwingend Konsens.171 Das Verhältnis zwischen Finanzverwaltung und dem Steuerpflichtigen wird selbst bei Erreichung einer „echten Partnerschaft“ nicht frei von Konflikten und Spannungen sein.172 Steuerpflichtigen, die sich nicht einigen wollen und ihr Recht auf Rechtsschutz einfordern, dürfen daraus keine Nachteile erwachsen.173 Darum muss jede Kooperation in rechtliche Bahnen gelenkt werden und der Rechtsweg muss immer offenstehen. Auch für den kooperativen Steuervollzug besteht ein dringendes Bedürfnis, Streitigkeiten verfahrensrechtlich abzuschichten und „kanalisiert“ gerichtlich auszufechten, ohne dass dadurch die Kooperationsgrundlagen gefährdet werden. IV. Rollenwandel für den steuerlichen Berater durch „Enhanced Relationship“? Ein „heißes Eisen“ ist die Rolle der steuerlichen Berater und insgesamt der sog. Tax Intermediaries innerhalb der Enhanced Relationship. Immerhin war die auf sie abzielende Erklärung der OECD von Seoul aus dem Jahre 2006174 Stein des Anstoßes und die Folgeuntersuchung aus dem Jahre 2008 zur Deeskalation war gerade ihnen gewidmet.175 Nachdem sich manche Steuerberater und Finanzinstitutionen vom Ton der OECD zunächst angefeindet sahen, sollte unter dem neutralen Dach der Enhanced Relationship eine sachliche Positionsbestimmung ermöglicht werden (s. B. I.). Die Sorge, dass sich die Notwendigkeit steuerlicher Berater bei der neuen Form der Kooperation der Steuerpflichtigen mit der Finanzverwaltung relativiert oder sogar erübrigt, versucht die OECD nunmehr durch eher globale Aussagen über Dialog und gegen_____________
171 172 173 174 175
Finanzgerichte primär dem Individualrechtsschutz des Steuerpflichtigen und der Einzelfallgerechtigkeit (Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. 2012, § 22 Rz. 232). Dazu und zum Folgenden bereits Drüen, FR 2011, 101 (112 f.). Zutreffend Owens, Bulletin for International Taxation 2012, 516 (517). Das gilt auch für unterschwellige Nachteile, wie etwa einen internen „Aufschlag“ bei der Risikoeinschätzung. OECD, Final Seoul Declaration, 2006. OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 39 ff.
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seitiges Verständnis zu zerstreuen.176 Die IFA-Stellungnahme betont abstrakt die legitime Rolle der Tax Intermediaries als Berater der Steuerpflichtigen und Vertreter ihrer Interessen, Aufbereiter der Rechtslage und Garant von Compliance, aber auch als „sparring partner“ für die Steuerpflichtigen sowie als deren fachkundige Sprecher in Diskussionen mit der Finanzverwaltung.177 In dieser Allgemeinheit ist dem kaum zu widersprechen. Eine Frontstellung gegen Steuerberater im Sinne eines Freund-Feind-Denkens, die anfangs auch bei der Enhanced Relationship anklang, wäre angesichts der Bedeutung steuerlicher Berater für die Ermöglichung und Gewähr des Massenvollzugs des Steuerrechts verfehlt.178 Das nationale Recht mit seiner Komplexität ist ohne sachkundige steuerliche Beratung kaum zu bewältigen. Das gilt umso mehr für die steuerliche Würdigung grenzüberschreitender Vorgänge. Auch der Entlastungseffekt durch steuerberaterliche Vorarbeit für den Fiskus darf nicht kleingeredet werden.179 Erkennt man – wie es allgemein auch OECD und IFA tun – die unverzichtbare Funktion steuerlicher Berater an, so ist gleichwohl zu befürchten, dass es zu einem faktischen Rollenwandel kommt, auch wenn in der Diskussion der IFA in Boston gefordert wurde, Enhanced Relationship dürfe die Rolle der Tax Intermediaries nicht unterminieren.180 Tieferer Grund zur Sorge ist, dass die Grenzlinie zwischen legitimer Steuervermeidung und aggressiver Steuergestaltung schwieriger zu ziehen ist, als es nach plastischen Kampfansagen auf internationaler und europäischer Ebene erscheint.181 Das belegen deutlich die Anwendungsfragen internationaler Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, die aufgrund eines (gescheiterten) jüngeren Gesetzesvorstoßes (§-138a-AO_____________ 176 OECD, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 44 f. 177 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 21. 178 Konkret Seer, Die Rolle des Steuerberaters im kooperativen Steuerstaat, Steuerberatung und Rechtsstaat: Symposium für Jürgen Pelka zum 65. Geburtstag, 2010, 34 (36 ff.); allgemein ebenso Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, 1448 ff. (1451). 179 Seer, Die Rolle des Steuerberaters im kooperativen Steuerstaat, Steuerberatung und Rechtsstaat: Symposium für Jürgen Pelka zum 65. Geburtstag, 2010, 34 (37), sieht (auch) in der Verlagerung des Steuervollzugs auf die steuerberatenden Berufe einen Akt der Selbstregulierung. 180 So Rohatgi, IFA, Enhanced Relationship Project, 2.10.2012, Folie 10. 181 So definiert die Empfehlung der Kommission v. 6.12.2012 betreffend aggressive Steuerplanung, K (2012) 8806 final, 2 sub (2): „Aggressive Steuerplanung besteht darin, die Feinheiten eines Steuersystems oder Unstimmigkeiten zwischen zwei oder mehr Steuersystemen auszunutzen, um die Steuerschuld zu senken.“
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Entwurf im Jahressteuergesetz 2008) auch in Deutschland diskutiert werden.182 Der IFA-Stellungnahme sind diese Abgrenzungsschwierigkeiten zunächst nur eine Fußnote wert,183 immerhin folgt später noch der zutreffende Hinweis auf einen verbleibenden Graubereich.184 Diese Abgrenzung ist jedoch gerade für die Beurteilung der Rolle von Tax Intermediaries essenziell. Denn bereits die Wahl eines bestimmten Berater(-typs) könnte als Bereitschaft des Steuerpflichtigen zu aggressiver Steuergestaltung gedeutet werden, was einer Stigmatisierung bestimmter Berater gleichkäme und auf die Risikobewertung des Steuerpflichtigen zurückschlagen könnte.185 Von der jeweiligen Definition der aggressiven Steuergestaltung hängt indes ab, ob jedwede unternehmerische Steuerplanung erfasst186 und verteufelt wird. Ein Recht auf Steuerplanung ist dem Steuerpflichtigen indes auch beim kooperativen Steuervollzug nicht abzusprechen. In Deutschland ist anerkannt, dass sich keiner so einrichten muss, dass er möglichst viele Steuern zahlt. Vielmehr steht es dem Steuerpflichtigen frei, Gestaltungen zu wählen, die eine möglichst geringe Steuerbelastung nach sich ziehen.187 Das sehen ausländische Gerichte auch so.188 Damit besteht das Recht zur Minimierung von Steuern, nicht aber verfassungsrechtlich ein „Grundrecht auf steueroptimale Gestaltung“.189 Wenngleich Enhanced Relationship dieses international breit anerkannte Recht nicht aushöhlen soll,190 erscheint es derzeit angesichts unscharfer Definitionen kaum gesichert. Dass die Gefahr einer substanziellen Verkürzung von Gestaltungsrechten im Raume steht, belegt in Deutschland wiederum die Diskussion über das Osnabrücker Modell zeitnaher Betriebsprüfung, wo die „Steuerloyalität“ des Unternehmens das zentrale Eintrittskriterium war. Zeitnah wurden danach nur solche (ausgewählten) Unternehmen geprüft, _____________ 182 Dazu umfassend und rechtsvergleichend Beuchert, Anzeigenpflichten bei Steuergestaltungen, 2012, 5 ff., 158 ff., 188 ff. 183 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 20, Fußnote 29. 184 IFA, Enhanced Relationship – Key Issues Report, 2012, 26. 185 Zur Verantwortung des Steuerpflichtigen für seinen Berater aus ausländischer Sicht bereits Kaiser, IWB 2010, 774 (778). 186 Zutreffend Risse, Ubg 2012, 169 (172 f.). 187 Statt vieler Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 3 m. w. N. (Stand: Oktober 2010). 188 Für den angelsächsischen Rechtsraum vgl. Richter Lord Clyde, Ayrshire Pullman Motor Services v. Inland Revenue, 1929, 14 Tax Case, 754 (763, 764). 189 Zutreffend Schön, Legalität, Gestaltungsfreiheit und Belastungsgleichheit als Grundlagen des Steuerrechts, DStJG 33 (2010), 39 (59). 190 Vgl. Rohatgi, IFA, Enhanced Relationship Project, 2.10.2012, Folie 1: ”ER should not undermine (the) right to minimize tax within the rule and spirit of the law.“
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die steuerloyal sind und insbesondere auf „fragwürdige Steuergestaltungen“ verzichten.191 Aufgrund dieses weichen Kooperationskriteriums hätte es aber – verbunden mit dem erwarteten Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz (s. D. III.) – allein die Finanzverwaltung in der Hand, über die Drohung des Entzugs von Kooperationsvorteilen ihr unerwünschte Gestaltungen zu unterbinden. Mittelbar hätte dies freilich negative Marktwirkungen für Tax Intermediaries, die von der Verwaltung als „kooperationsunwürdig“ eingestufte Gestaltungen konzipieren, vermarkten oder beraten. Der Rollenwandel zumindest für diejenigen Berater, die ihr Geschäftsfeld in der Vertretung kooperationswilliger und ggf. auch kooperationsabhängiger Unternehmen192 sehen, hin zur Deklarations- und Complianceberatung unter Hintanstellung der Gestaltungsberatung wäre absehbar. Die mögliche Neujustierung geduldeter Gestaltungsrechte zwingt allgemein zu hinterfragen, ob in Enhanced Relationship wirklich stets eine „Win-win-Situation“ für die Unternehmen liegt.193 Dies erscheint umso fragwürdiger, soweit aufgrund der Zurückdrängung gerichtlichen Rechtsschutzes allein der Steuerverwaltung die Definitionsmacht über unbotmäßige Steuergestaltungen zukommt.194 Die unter der Flagge der Enhanced Relationship segelnden Kooperationsformen verengen unzweifelhaft den Spielraum für Steuergestaltung und dieser Preis für Steuersicherheit könnte manchen Unternehmen letztendlich zu hoch sein.195
E. Schluss aus deutscher Sicht: Rechtlich eingehegte Steuerkooperation Unter dem Anglizismus „Enhanced Relationship“ werden verschiedene Kooperationsformen und Referenzbeispiele beim internationalen Steuervollzug gebündelt. Die OECD versucht unter diesem bewusst inhaltsoffenen und neutralen Oberbegriff einen Kulturwandel von der sog. Basic Relationship hin zur Kooperation und zu einer gemeinsamen Ver_____________ 191 Dazu Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 26 f. (43 ff.) m. w. N. 192 Denn Kehrseite materieller wie sonstiger Kooperationsvorteile ist der drohende Schaden (auch für das Renommee) beim Entzug des Kooperationsstatus. 193 So allgemein Meussen, FR 2011, 114 (117); Seer, FR 2012, 1000 (1002). 194 Ähnlich bereits Risse, Ubg 2012, 169 (173). 195 So zur Horizontaal Toezicht in den Niederlanden deutlich Meussen, FR 2011, 114 (117).
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trauensbeziehung zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden zu befördern. Der Steuerpflichtige soll seine steuerrelevanten Informationen frühzeitig und vollständig offenlegen und freiwillig Transparenz schaffen, im Gegenzug verschafft ihm die Finanzbehörde frühzeitig Steuersicherheit. Wenngleich das Projekt der Enhanced Relationship erklärtermaßen keine Änderung des Rechtsrahmens voraussetzt oder intendiert, gilt es abschließend aus deutscher Sicht, (verfassungs-)rechtliche Vorgaben und Grenzen für eine Enhanced Relationship in Erinnerung zu rufen. Der Steuervollzug ist auch nach der Abgabenordnung für Kooperationsformen offen. Kooperation beim Steuervollzug ist sogar zwingend und unabdingbar, im Wortsinne alternativlos. Das hängt mit der Grundentscheidung für eine leistungsgerechte Steuer vom Einkommen und mit dem Verzicht auf eine Kopfsteuer zusammen. Im heutigen modernen Steuerstaat bedarf ein effektiver Steuervollzug notwendigerweise der Mitwirkung des Steuerpflichtigen und seiner aktiven Aufbereitung durch Steuerdeklaration. Darum besteht zwingend ein Kooperationsverhältnis zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde, auch und gerade bei der steuerlichen Bewältigung grenzüberschreitender Aktivitäten. Trotz dieser generellen Kooperationsoffenheit gilt es aber, Gleichheit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung zu wahren und keinen Zwang zum Konsens aufzuoktroyieren. In Fällen, in denen kein Konsens gefunden wird, darf das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht als vertrauensgefährdend diskreditiert werden. Zwischen Kooperation und Kollaboration liegt andererseits nur ein schmaler Grat, wenn Aufsicht und Kontrolle strukturell ausscheiden. Darum muss insgesamt die Steuerkooperation durch rechtliche Rahmenbedingungen eingehegt werden. Dabei besteht punktueller gesetzlicher Verbesserungsbedarf. Die aktuelle Diskussion über das Projekt der Enhanced Relationship könnte dazu beitragen, diesen zu identifizieren und das deutsche Verfahrensrecht durch einzelne richtige Weichenstellungen (insbesondere bei der Verjährung und Verzinsung sowie bei Auskünften und Verständigungen) für einen zunehmenden internationalen Steuervollzugswettbewerb zu rüsten. Eine Wende hin zu einem neuen Vollzugsmodell erscheint in Deutschland dagegen nicht geboten.
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Enhanced Relationship – Modell für den (inter-)nationalen Steuervollzug? Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München/ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel Martin Kreienbaum Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Lüdicke Herr Drüen, vielen Dank für Ihren schönen Überblick über die neuen Entwicklungen beim Zusammenwirken von Finanzverwaltungen und Steuerpflichtigen, die Sie ja zu Recht als teilweise auch schon in der Vergangenheit liegende Entwicklung dargestellt haben. Die Dynamik scheint zugenommen zu haben. Mit Blick auf einige andere Themen, die wir heute Morgen besprachen, scheint, wie auch sonst im Leben häufig, vieles mit vielem zusammenzuhängen. Auch wenn Enhanced Relationship sich zurzeit noch als ein separates Projekt darstellt, spielt dies doch in viele andere Dinge mit hinein. Vielleicht kann Herr Kreienbaum da gleich noch etwas dazu sagen. Herr Bernhardt, Sie vertreten ja eins der großen Unternehmen, von denen Herr Drüen vermutete, dass sie eher etwas davon haben. Ihr Unternehmen ist in vielen Ländern dieser Welt mit Tochtergesellschaften präsent, sodass Sie gewisse praktische Erfahrungen haben dürften. Versprechen Sie sich – speziell für Deutschland – etwas von Enhanced Relationship? Oder sehen Sie eher Probleme?
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Bernhardt Ich will zunächst mit dem anfangen, was ich in anderen Ländern gesehen habe und gerne ganz kurz das Beispiel Niederlande ansprechen. Dort sind wir in der Tat mit unserer Tochtergesellschaft Teilnehmer an diesem Programm der sogenannten Horizontal Supervision, also einer, wie Sie treffend gesagt haben, relativ wenig am formalen Recht orientierten Aktivität. Es ist eher eine Sache von Treu und Glauben. Es wird auch kein schriftlicher Vertrag geschlossen, sondern am Ende steht ein mündliches Versprechen. Es wird faktisch gelebt. Es ist für deutsche Juristen, wenn man von der AO kommt, zunächst sehr erstaunlich, wie pragmatisch der Ansatzpunkt ist. In der Tat gibt es in den Niederlanden einen anderen Mind-Set in der Durchführung der Prüfung und auch in der Steuerverwaltung. Ausgangspunkt war in den Niederlanden, dass der Verwaltung rund 15 % der Stellen gestrichen wurden. Sie stand einfach unter dem Zwang, sich wie ein Unternehmen auf diese Situation einzustellen und am Ende auch ihre Prüfungsverfahren effektiver zu gestalten. Letztlich wurden zwei Gruppen von Steuerpflichtigen gebildet: solche, die am Ende an dem Verfahren mitwirken, und solche, die sich dazu nicht entschließen konnten. Die durch das Compliance-orientierte Selbstprüfungsverfahren freigesetzten Stellen werden auf die andere Fallgruppe verlagert, bei der vermutet wird, dass entweder die mangelnde Mitwirkung grundsätzlicher Art ist oder problembehaftet. Die Mitwirkung im Programm führt für die Unternehmen durchaus zu einem erheblichen internen Aufwand. Denn das, was an Compliance-Strukturen durch die Verwaltung verlangt wird, ist nicht ganz unerheblich. Es müssen Informationen geliefert werden, die nicht unbedingt aus den eigenen Reportingsystemen und den Zahlen der externen Rechnungslegung ableitbar sind. Die Frage ist also, ob man dieses zusätzliche Informationswerk erstellen will. Was vernünftig ist, was man sich auch durchaus anschauen sollte, ist, dass die Felder, die dann entsprechend aufbereitet werden müssen, auch vorweg abgestimmt sind. Damit kann sich das Unternehmen darauf einstellen. Und man muss letztlich rechnen und das haben wir auch getan. Am Ende ist unter Mitwirkung der Zentrale entschieden worden, dass wir teilnehmen. Die holländische Verwaltung ist flexibel, die haben ausdrücklich mich eingeladen, zu dem Gespräch dazuzukommen, weil sie von dem Shareholder eine aktive Einwirkung und Unterstützung der Tochtergesellschaft erwarten. Das ist ein pragmatischer Angang, allerdings, das muss man deutlich sagen, mit erheblichen Selbstverpflichtungen. Jetzt fragt man sich natürlich, wie weit ist das übertragbar auf eine wesentlich größere Organisation 98
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wie die Muttergesellschaft in Deutschland? Ich will nicht weiter auf andere Länder eingehen. Herr Prof. Drüen hat dies bereits sehr anschaulich vorgetragen. Es gibt viele Spielarten auf diesem Feld, aber die Niederländer als direkte Nachbarn sind für uns relativ pragmatisch nachvollziehbar. Hier stellt sich für uns natürlich die große Frage: Schaffen wir es in Deutschland wirklich, zu einem Wechsel des Mind-Sets in der Betriebsprüfung zu kommen? In Ihrem Vortrag haben Sie deutlich herausgearbeitet, dass ein Mind-Set-Wechsel erforderlich ist. Ich behaupte ja nicht, dass es in Deutschland konfliktär zugeht. Große Unternehmen pflegen im Allgemeinen ein vernünftiges Verhältnis zur Steuerverwaltung und zur Betriebsprüfung. Es ist ja nicht so, dass wir unsere Mitwirkung verweigern. Die Möglichkeiten der Verwaltung, z. B. durch den Datenzugriff, sind heute erheblich besser. Ich kann das, glaube ich, gut beurteilen. Ich bin am Anfang meiner Laufbahn auch in der Steuerverwaltung gewesen, war einmal Hauptsachgebietsleiter Betriebsprüfung. Es ist eben nur die Frage, wie weit kann sich die Betriebsprüfung wirklich aufraffen, Schwerpunkte zu setzen, und sich von dem Gedanken befreien, alles flächendeckend prüfen zu wollen. Wenn man das will oder insgeheim im Hinterkopf immer noch diesen Angang hat, dann wird man zu dem Weg, wie er für die Niederlande beschrieben worden ist, nicht kommen. Und meine Befürchtung ist, um eine ehrliche Antwort zu geben, dass letztlich in solchen Verfahren ein erheblicher Teil der Arbeitsbelastung auf die Unternehmen geschoben wird. Wir müssten dann einen erheblichen Aufwand für zusätzliche Ressourcen tragen, um das, was dort an Informations- und Dokumentationsmaterial vorgehalten werden müsste, regelmäßig zu erstellen. Und da habe ich die ganz starke Befürchtung, dass wir in Deutschland noch nicht so weit sind. Man kann auch sicherlich nicht von der jetzigen Konstellation gleich voll in eine neue Welt springen. Es wird einiger Zwischenstufen bedürfen. Einen Punkt würde ich gerne noch ergänzen. Das ist eine mögliche Rolle der Compliance-Abteilung. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und dann am Ende in den Unternehmen eine Monster-Compliance-Abteilung aufbauen, die letztlich dafür Sorge tragen müsste, dass das intern geprüft wird, was das Finanzamt gerne hätte. Schon heute sind Compliance-Abteilungen an ihren Grenzen. Und die Diskussion um die strafrechtliche Garantenstellung eines Compliance-Officers bekäme dann eine noch andere Dimension, wenn man erwartet, dass die Compliance-Abteilung für eine 99
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ordnungsmäßige Selbstprüfung des Unternehmens sorgen soll. Zum Thema Rollenverständnis des Steuerberaters in einem derartigen Verfahren könnten wir gegebenenfalls noch diskutieren. Ich glaube, das waren die wichtigsten Punkte für mich. Noch einmal zusammengefasst: Die Mind-Set-Veränderung wäre gewaltig und ich weiß nicht, inwieweit die Verwaltung diesen Spagat aushält, insbesondere vor dem Hintergrund, dass, wenn ich das richtig gehört habe, die Personaldecke in den nächsten zwei Jahrzehnten deutlich schrumpfen wird, einfach durch Abgänge von Personal, das nicht wieder ersetzt werden soll. Vielleicht ergibt das den Druck, etwas ändern zu müssen. Prof. Dr. Lüdicke Eine kurze Nachfrage: Sie haben die mögliche Erwartung, schneller Rechtssicherheit zu bekommen, überhaupt nicht erwähnt, einmal durch frühzeitige verbindliche Auskünfte, wie immer das dann heißt, und zum anderen dadurch, dass Veranlagung und Prüfung dann auch wirklich schnell beendet werden. Rechnen Sie damit für Deutschland oder sind Sie da eher skeptisch? Bernhardt Es hängt von der Konstellation ab, auf welche Schwerpunkte man sich in den Prüfungen konzentriert. Wenn es wirklich zu einer klaren Konzentration auf eine Handvoll Schwerpunktfelder führt, kann ich mir das vorstellen und dann würde ich auch damit rechnen, dass es zu einer frühzeitigen Klärung und auch zu einer schnellen Sicherheit kommt. Auch heute muss man fairerweise sagen, wenn wir in Einzelfällen anfragen, bekommen wir auch zeitnah eine entsprechende Auskunft. In den Fällen bedeutender Betriebsprüfungsthemen großer Unternehmen funktioniert das nach wie vor gut. Prof. Dr. Lüdicke Nun ist Ihr Unternehmen gerade für Hamburger Verhältnisse besonders groß. Herr Kreienbaum, ist es in Deutschland realistisch anzunehmen, dass der in der internationalen Diskussion als „carrot and stick approach“ bezeichnete Ansatz in beiden Richtungen funktionieren wird? Mit den „carrots“ ist unter anderem nämlich die frühzeitige Rechtssicherheit gemeint. Wenn man schon frühzeitig, vielleicht sogar schon bevor der Betriebsprüfer kommt, Informationen offenlegt, dann im Ge100
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genzug auch sehr schnell schon verbindliche Auskünfte bekommt – in den international zirkulierenden Papieren ist von „commercially acceptable deadlines“ die Rede. Sind wir in Deutschland so weit? Ist der MindSet in der Verwaltung da oder wird das noch eine Generation erfordern? Kreienbaum Lassen Sie mich bitte zum Wechsel des Mind-Sets fragen: Von wo nach wo soll dieser Wechsel denn stattfinden? Zunächst einmal entspricht die Vorstellung, dass die Verwaltung die Betriebsprüfung heute flächendeckend bis ins Detail intensiv prüfe, nicht der Realität. Auch heute werden Schwerpunkte gesetzt und auch heute wird verwaltungspragmatisch und effizient geprüft. Das ist jedenfalls der Anspruch und ich habe da sehr großes Vertrauen in die Länder, dass der Anspruch auch entsprechend umgesetzt wird. Entscheidender ist die Frage: Wechsel des Mind-Set nach wohin? Wir befinden uns immer noch in der Eingriffsverwaltung. Da gibt es nur einen Einzigen, der den Konsens zwischen staatlichen Einrichtungen und der Gesellschaft herstellt. Das ist der Gesetzgeber. Der Gesetzgeber formuliert die steuerrechtliche Norm und die Verwaltung vollzieht sie. Nur darüber wird der Konsens der Gesellschaft mit den staatlichen Einrichtungen, hier der Steuerverwaltung, hergestellt und einen anderen Konsens kann es in der Eingriffsverwaltung nach meinem Verständnis gar nicht geben. Dann stellt sich die weitere Frage: Wenn ich diesen so beschriebenen Konsens nicht infrage stelle, dann kann ich sagen, ich möchte eine Steuerverwaltung, die in diesem beschriebenen Verhältnis stärker auf Unternehmen zugeht. Ich möchte vor dem Hintergrund komplexer werdender Wirtschaftsvorgänge und länger dauernder Betriebsprüfungen erreichen, dass ich für den Steuerpflichtigen frühzeitige Rechtssicherheit herstelle. Auf diesem Weg ist die Steuerverwaltung. Ich glaube, dass die Betriebsprüfungen in den Ländern sehr stark diesen Gedanken aufgenommen haben, sehr stark mit den Steuerpflichtigen, auch mit den Beratern ins Gespräch kommen und kooperieren. Wir haben die Anzahl der APAVerfahren erhöht. Wir sind mehr und mehr im Begriff, über das Instrument APA Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen herzustellen. In Bezug auf Schiedsgerichtsvereinbarungen haben wir weite Schritte nach vorn gemacht in unseren moderneren DBA und auch in unserer konsolidierten Verhandlungsgrundlage sind entsprechende Regelungen enthalten. All das dient der Rechtssicherheit des Steuerpflichtigen. Vertrauen herzustellen zwischen Steuerpflichtigen und Verwaltung ist aus meiner Sicht das Kernelement. Das ist das Vertrauen in den Rechts101
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staat, dass die Verwaltung rechtmäßig Gesetze vollzieht. In der Art und Weise, wie die Verwaltung das tut, kann ich Verbesserungen vornehmen und da sehe ich die Verwaltung auf gutem Weg. Man muss immer dazu sehen: All das geschieht vor dem Hintergrund von Stellenkürzungen. Vor allem auch auf Ebene der Länder und vor dem Hintergrund komplexer und globaler werdender tatsächlicher Vorgänge, die dahinter stehen. Man muss realisieren, dass sich heute Betriebsprüfungen, anders als vor 30 Jahren, mehr mit beispielsweise internationalen Vorgängen beschäftigen und andere Rechtsregimes mit reflektieren müssen. All das ist zusätzlicher Aufwand für die Verwaltungen und wir sind auf einem guten Weg, dieses Ziel zu erreichen. Prof. Dr. Lüdicke Womit würden Sie denn gegenüber den Unternehmen in Deutschland werben? Herr Drüen hat ja schon gesagt, dieses Wort, Enhanced Relationship, ist schon im Englischen problematisch. Jeffrey Owens hat kürzlich geschrieben, man müsste einen neuen Ausdruck finden, denn in andere Sprachen sei er wohl überhaupt nicht sinnvoll zu übersetzen.1 Dem kann man nur zustimmen. Aber womit würden Sie werben? Dass die Unternehmen, was wohl die Vorstellungen jedenfalls der OECD und der IFA sind, sozusagen schon im Vorhinein der Verwaltung offenbaren, was man so macht, was man vorhat, und dafür dann frühzeitig Rechtssicherheit erhalten, Betriebsprüfungen erleichtert werden usw.? Kann man damit realistisch in der nächsten Zeit werben oder ist das eher ein langfristiges Projekt? Kreienbaum Sie haben es gerade selbst beschrieben. Der Grundansatz einer gewissen ehrlichen Offenheit der Unternehmen in der Darstellung der zugrunde liegenden Sachverhalte ist sicherlich ein entscheidender Schlüssel. Es gibt, wenn ich die internationale Diskussion sehe, auch andere Ansätze, die Erkenntnisgewinne für die Steuerverwaltung bringen würden, die aber vielleicht von Unternehmen so doch nicht gewollt sind. Denken Sie an das Country-by-Country-Reporting, bei dem Unternehmen offenlegen, welche Steuerlasten sie im Konzern weltweit haben. Ich will jetzt nicht dafür plädieren, das einzuführen. Es gibt auch aus Verwaltungssicht Argumente dagegen, das ist keine Frage. Aber da gibt es auch _____________ 1 Owens, Bulletin for International Taxation 2012, 516 (518).
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Interessen der Unternehmen, dieses nicht zu tun, möglicherweise auch Interessen, die außerhalb des steuerlichen Bereichs liegen. Prof. Dr. Lüdicke Herr Gosch, jetzt bleibt wohl die Frage von Herrn Bernhardt an uns beide. Werden wir beide überflüssig? Ich nicht in meiner Eigenschaft als Universitäts-Professor, sondern als Berater, und Sie als Richter, in der neuen Welt. Ich glaube, die Berater jedenfalls werden sicherlich nicht überflüssig, schon wegen der von Herrn Drüen genannten kleinen und mittleren Unternehmen, die sich ohne einen Berater im heutigen Steuerrecht gar nicht zurechtfinden können. Dabei geht es noch gar nicht um irgendwelche aggressive Steuerplanung, sondern da geht es zunächst ganz schlicht darum, die Rechtslage zu kennen. Bei den Großunternehmen mag das anders sein. Aber es ist weltweit ein gewisser Trend zu sehen, der weg von einer eher aggressiveren Beratung hin zu einer eher Compliance-orientierten Beratung führt. Prof. Dr. Gosch Wenn Sie als Berater nicht überflüssig werden, Herr Lüdicke, dann werde ich als Richter das gewiss auch nicht. Das versteht sich von selbst! Ansonsten sind für mich die Grundkoordinaten in der Tat der unverzichtbare Gesetzesvorbehalt und natürlich auch jene Mittel, um das Besteuerungsziel unter Beachtung dieses Vorbehalts dann auch gleichheitsgerecht und eben – wie es die Compliance-Regeln ja erfordern – „regelgetreu“ durchzusetzen, also Amtsermittlung und Kontrolle. Diese Grundkoordinaten setzen einem auf Mitwirkung basierenden Steuervollzug natürliche Grenzen. Sie lassen sich nicht „wegkomplementieren“. Von daher meine ich, dass man nur in sehr außergewöhnlichen Grenzen eine solche Mitwirkung, die Sie nahezu futuristisch beschrieben haben, Herr Drüen, einfordern kann. Das betrifft dann letztlich auch die Gerichte. Ein Compliance-Management haben wir dort zwar noch nicht, neuerdings aber immerhin eine Ethik-Kommission des Deutschen Richterbundes als eine Art Tugendrat der Richterschaft. Und gegenüber den „Gerichtskunden“ wird jetzt versucht, durch Mediation, durch Gütetermine, früher nannte man das schlicht Erörterungstermine, miteinander Dinge friedvoll und einvernehmlich zu klären. Das kann und muss aber immer vor dem Hintergrund jener Koordinaten erfolgen: Gesetzesvorbehalt, Amtsermittlung und Kontrolle. „Deals“ sollte es im Steuerrecht, im Eingriffsrecht nicht geben, sie sind prinzi103
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piell inakzeptabel. Kontrolle muss aber auch sein, genauso wie die Mitwirkung. Dabei, Herr Kreienbaum, muss der Gesetzgeber, muss die Verwaltung darauf hinwirken, dass wir Mitwirkungsinstrumente schaffen, die dann auch vernünftig sind, die Vertrauen schaffen können. Mitwirkungserfordernisse, wie sie jetzt § 18 AStG enthält, die nicht durchführbar sind, setzen das falsche Zeichen. Gleiches gilt für eine Vielzahl neuer Beuge- und Sanktionsmittel, wie die Dokumentationsanforderungen, die Strafgelder, die neue Verzögerungsgebühr usf., auch die Kostenpflicht für verbindliche Auskünfte und ebenso Beweislastumkehrungen, die wir neuerdings verstärkt finden. Falsch ist es auch, wenn man vor dem Hintergrund einer schwindenden Beamtenschaft in der Steuerverwaltung möglicherweise eine Art Steueroutsourcing praktiziert, wie wir es jetzt schon für Banken, Arbeitgeber und andere haben, die sozusagen als Steuer- oder Amtsbeliehene mit gewaltigen Aufwand im „Staatsauftrag“ tätig werden müssen. Auch das ist aus meiner Sicht sehr abträglich. Und zu guter Letzt, das ganze Szenario klingt für mich, ich bin ja naturgemäß nicht operativ tätig, so ein bisschen nach „schöner neuer Welt“, und vielleicht steht der Mensch auch hin und wieder dagegen. Denn er will Steuern sparen, der Staat will Steuern vereinnahmen. Es erinnert mich an den Witz des Tages. Im Hamburger Abendblatt gibt es den jeden Tag. Gestern ging er wie folgt: Ein Enkel kriegt von seiner Oma ein schönes Geschenk versprochen: „Du darfst Dir ein Buch aussuchen.“ Darauf der Junge: „Ich will Dein Sparbuch, Oma.“ Bernhardt Meine These war nie, dass ich die Steuerberater dann als überflüssig verstehe oder sie auf kleinere oder mittlere Mandate begrenzt sehe. Aber ich glaube, der Punkt, der vorhin angesprochen wurde, nämlich die Erwartungshaltung an die Unternehmen, bei solchen Kompromisslösungen im Vorwege auf jede Art aggressiver Steuerplanung zu verzichten und da gewissermaßen vorweg abzuschwören, ist natürlich auch eine Überspitzung, wie Sie es auch zu Recht schon gesagt haben. Dazu wird es sicherlich auch nicht kommen. Aber dieses Gleichgewicht zwischen Beratung und vernünftiger Gestaltungsberatung einerseits und dem stärker werdenden Compliance-Gedanken andererseits wird nicht so einfach herzustellen sein. Ich glaube, die Rolle der steuerlichen Berater wird da eher schwieriger als leichter.
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Prof. Dr. Lüdicke Das kann durchaus sein. Herr Drüen, Ihr Schlusswort. Vielleicht könnten Sie noch einen Punkt aus dem IFA-Bericht mit ansprechen, den Sie in Ihrem Referat nicht erwähnt haben: Wenn die Unternehmen in einzelnen Staaten, in denen Enhanced Relationship funktioniert, vielleicht demnächst ja auch in Deutschland, freiwillig der Finanzverwaltung sehr viele Informationen geben, im Gegenzug die erhofften Vorteile haben, sind ja etliche dieser Staaten inzwischen über die abgeschlossenen DBA oder TIEA2 zu Auskünften an andere Staaten verpflichtet, in denen aber genau diese Programme entweder nicht akzeptiert oder von dieser Unternehmensgruppe nicht wahrgenommen werden. Prof. Dr. Drüen Ich beginne vielleicht mit dem Letzten. Essenzialie der Verwaltung ist die Information. Diese Entwicklung, die ich am Anfang zum weltweiten Informationsaustausch geschildert habe, hat Konsequenzen: Freiwillige Informationen und Transparenz führen über bestehende und intensivierte Austauschmöglichkeiten zur Weitergabe der Informationen. Ich sehe einen gesetzlichen Regelungsbedarf beim Steuergeheimnis und hinsichtlich freiwilliger Offenlegung. Das zeigt, wie auch auf dem Podium anklang, dass wir das Modell einer Enhanced Relationship nicht einfach unbesehen einführen können, vielmehr besteht gesetzlicher Änderungsbedarf. Ich beginne nochmal einmal mit dem, was Herr Gosch gesagt hat, und kann dem nur nachdrücklich zustimmen. Wir dürfen nicht den Versuch machen, egal wie das Kind heißt, den Grundinteressenkonflikt zwischen den Parteien im Besteuerungsverfahren zu negieren. Ich meine, man muss den Interessengegensatz sogar besonders betonen. Das bedeutet nicht, dass man nicht zusammenarbeiten kann, aber bei dieser Zusammenarbeit kann es Grenzen und Reibungsflächen geben. Darum mein Petitum, dass Streitpunkte abgeschichtet und einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden. Die euphorischen Anklänge einer Kooperation dürfen dies am Ende nicht überspielen. Steuerrecht ist Eingriffsrecht, es ist letztlich Zwangsrecht, das vollstreckt werden kann. Das stimmt mich sehr skeptisch hinsichtlich des Dienstleistungsgedankens, der Steuerpflichtige sei Kunde der Finanzverwaltung. Das ist nicht das _____________ 2 Tax Information Exchange Agreement.
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Modell unseres Steuerrechts und wir sollten diesen Weg nicht beschreiten. Ich bin Herrn Bernhardt sehr dankbar, dass er das Modell der Enhanced Relationship aus der Sicht der Unternehmenspraxis mit Leben gefüllt hat. Sie haben natürlich die Erfahrung und uns deutlich gemacht, dass damit eine Verlagerung von Aufwand verbunden ist. Das ist eine Vorleistung der Unternehmen und Sie haben es auf den treffenden Begriff „vorgelagertes Finanzamt“ gebracht. Denn die Finanzverwaltung geht häufig davon aus, dass alle Informationen, die sie für ihre Beurteilung braucht, verwendungsfähig bei den Unternehmen präsent sind. Vielfach sind die Daten vorhanden, müssen aber erst besonders aufbereitet werden. Bereits das rein nationale Problem der E-Bilanz belegt den Aufwand, Gewinnermittlungsdaten für die Risikomanagementsoftware der Finanzverwaltung kompatibel zu machen. Dass irgendwo Informationen im Unternehmen vorhanden sind, heißt noch nicht, dass sie in verarbeitungsfähiger Form für den Fiskus verwertbar sind. Darin liegt ein großes Problem, das Sie zu Recht angesprochen haben. Es droht die Verlagerung von Vollzugslasten und damit bin ich bei dem Befund von Herrn Kreienbaum, dass Personal der Finanzverwaltung abgebaut wird. Ich denke nicht, dass das Programm der Enhanced Relationship wirklich dazu führt, effektiv Personal einzusparen. Da nach dem Kontrollbedürfnis abgeschichtet wird, benötigt die Finanzverwaltung sehr gut ausgebildete Mitarbeiter. Das Anforderungsprofil bei der Finanzverwaltung verschiebt sich. Herr Kreienbaum, ich stimme Ihnen gerne zu, dass die aktuelle Betriebsprüfung keine 100-Prozent-Prüfung ist. Es gibt zwar akademische Kollegen, die meinen, dass jeder Steuerfall 100-prozentig mit der Überzeugung eines Finanzrichters geprüft werden müsste. Dies ist jedoch illusorisch. Es ist kontrafaktisch und von der Verfassung nicht vorgeschrieben. Dass die Betriebsprüfung versucht, die Ressourcen einzuteilen und schwerpunktmäßig einzusetzen, ist richtig. Ich sehe dabei aber noch Optimierungsbedarf. Wenn im Bereich der Großbetriebsprüfung in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen eine erhebliche Zahl der Großbetriebe von der Prüfung abgesetzt wird, zeigt dies, dass das Größenschema allein nicht passt und die Prüfung am Kontrollbedürfnis auszurichten ist. Herr Bernhardt, meine Überlegung einer „Aufsetzung“ auf der Selbstprüfung der Unternehmen sollte nicht dahin missverstanden werden, dass die Compliance-Abteilung praktisch eine Steuervorprüfung macht. Ganz im Gegenteil sollten bestehende rechtliche Verpflichtungen zur Eigenüberwachung bei der Herausfilterung der Prüfungsschwerpunkte mehr beachtet werden. Bei 106
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Großunternehmen muss nicht die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung intensiv geprüft werden, wenn sie bereits durch Wirtschaftsprüfer testiert ist. Anders ist es bei manchen Kleinunternehmen, bei denen der Begriff Buchführung schon nicht angebracht ist. Das merkt die Finanzverwaltung gar nicht, weil nach der Prüfungshäufigkeit bei Kleinstbetrieben statistisch nur alle 100 Jahre geprüft wird. Hier liegt ein Vollzugsproblem. Ich möchte Ihnen nicht widersprechen, darum habe ich so deutlich gesagt, die Beschreibung der Modelle „Basic“ und „Enhanced Relationship“ passt nicht recht auf Deutschland. Wir befinden uns beim Steuervollzug irgendwo dazwischen. Ich meine auch nicht, dass ein Wechsel des sogenannten Mind-Sets, ein grundlegender Perspektivenwechsel beim Steuervollzug angebracht ist. Unser Weg liegt darin, die Vorschriften der Abgabenordnung auf den faktischen Selbstvollzug mit der strukturellen Kontrolle durch die Finanzverwaltung, die verfassungsgeboten ist, zu aktualisieren und zu verbessern. Ich sehe insoweit durchaus Möglichkeiten. Aber ein Quantensprung im Sinne eines Perspektivenwechsels ist aus meiner Sicht nicht erforderlich.
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Umsetzung des „Authorised OECD Approach“ in deutsches Steuerrecht Dr. Xaver Ditz Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG bei Personengesellschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E) . . . . . . I. Geplante Änderungen gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E . . . . II. Einordnung der Personengesellschaft als Steuerpflichtiger i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E) . . . . . . . . . . III. Einordnung der Personengesellschaft als nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu anderen Einkünftekorrekturvorschriften . . . . . . .
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C. Neudefinition der Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG-E) . . 121 I. Geplante Änderungen gem. § 1 Abs. 4 AStG-E . . . . . . . . . . 121
II. Kritische Würdigung . . . . . . . 123 D. Implementierung des AOA in § 1 AStG (§ 1 Abs. 5 AStG-E) . . . I. Geplante Änderungen in § 1 Abs. 5 AStG-E . . . . . . . . . . II. Kritische Würdigung . . . . . . . 1. Unzutreffende Platzierung in § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift . . . . . . . 2. Verhältnis zu den Entstrickungsregelungen . . . . . 3. Anwendungsvorrang der DBA/Risiko der internationalen Doppelbesteuerung . . 4. Europarechtliche Bedenken 5. Verkomplizierung der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung . . . . . . . 6. Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 6 AStG-E . . . . . . . .
125 125 128
128 131
133 135
137 139
E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
A. Einführung Der OECD-Rat hat am 22.7.2010 im Rahmen des „Update 2010“ weitreichende Änderungen der Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Art. 7 OECD-MA beschlossen.1 Im Kern betreffen die Änderungen – aufbau_____________ 1 Vgl. dazu Kußmaul/Ruiner/Delaber, Ubg 2011, 837 ff.; Kahle/Mödinger, IStR 2010, 757 ff.
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end auf den OECD-Betriebsstättenberichten 2008 und 20102 – eine uneingeschränkte Anwendung und Umsetzung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer Gewinnabgrenzung nach dem sog. „Authorised OECD Approach“ („AOA“). Der AOA ist auch Bestandteil der deutschen Grundlage für DBA-Verhandlungen.3 Nach dem AOA4 erfolgt die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in zwei Schritten.5 In einem ersten Schritt wird eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse des Stammhauses und der Betriebsstätte unter Berücksichtigung der spezifischen Funktions- und Risikoallokation durchgeführt. Dabei wird die Betriebsstätte als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt, das – entgegen der zivilrechtlichen Ausgangssituation – auch eigene Risiken tragen kann. Neu ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken nach den wesentlichen Personalfunktionen (sog. „significant people function“).6 In einem zweiten Schritt werden dann die für verbundene Unternehmen in den OECDLeitlinien 2010 niedergelegten Verrechnungspreisgrundsätze angewendet. Im Ergebnis soll es nach dem AOA zu einer weitgehend rechtsneutralen Gewinnabgrenzung kommen. De lege lata existiert keine Rechtsgrundlage im deutschen innerstaatlichen Recht, welche die Grundsätze des AOA regelt und in innerstaatliches Recht transformiert. Dies gilt insbesondere für die fremdübliche „Abrechnung“ unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Denn derzeit sehen lediglich § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG im Hinblick auf die Übertragung und Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern sowie § 16 Abs. 3a EStG in Bezug auf die Betriebsverlegung fingierte Liefer_____________ 2 Vgl. dazu im Einzelnen Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2010, Rz. 6 f. 3 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 ff. 4 Zur Entwicklung des AOA vgl. Ditz, IStR 2002, 210 ff.; Förster/Naumann, IWB 2004, F. 10 International Gr. 2, 1777 ff.; Bennett/Dunahoo, Intertax 2005, 51 ff.; Ditz, IStR 2005, 37 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1929 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1939 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1947 ff.; Bennett/Russo, ITPJ 2007, 279 ff. 5 Vgl. zu Einzelheiten des AOA Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kroppen in Festschrift Herzig, 1072 ff.; Kaeser, ISR 2012, 63 ff. 6 Vgl. dazu im Einzelnen Kaeser, ISR 2012, 63 (67 ff.); Ditz, ISR 2012, 48 (53).
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und Leistungsbeziehungen zwischen den betrieblichen Teileinheiten vor.7 Im Übrigen ist auch eine Rechtsgrundlage im Hinblick auf die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken nach den wesentlichen Personalfunktionen8 nicht erkennbar. Gleiches gilt für die Bestimmung einer angemessenen Kapitalausstattung der Betriebsstätte sowie für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Basis der OECD-Leitlinien 2010. Daher füllt das innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht das in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 vorgesehene Recht der Besteuerung von Unternehmensgewinnen (insbesondere im Hinblick auf unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen) nicht vollständig aus. Etwas anderes gilt de lege lata allenfalls im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen einem Unternehmen des Gesellschafters (Mitunternehmer) und seiner Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft). Denn in diesem Fall kann § 1 AStG einschlägig sein.9 De lege ferenda plant der Gesetzgeber im Rahmen des Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2013, in § 1 Abs. 4 und 5 AStG-E Regelungen in das innerstaatliche Recht aufzunehmen,10 welche den Anwendungsbereich des § 1 AStG auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung ausweiten und insoweit den AOA in innerstaatliches Recht transformieren sol_____________ 7 Vgl. auch Schnitger, IStR 2012, 633 (634). 8 Vgl. dazu Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kaeser, ISR 2012, 63 (67 f.). 9 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.19 ff. 10 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13. Der Deutsche Bundestag hatte bereits am 25.10.2012 den Entwurf eines JStG 2013 (BT-Drucks. 17/10000) i. d. F. der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 24.10.2012 (BT-Drucks. 17/11190) beschlossen. In dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags blieben Änderungen, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme v. 6.7.2012 (BR-Drucks. 302/12 (B)) vorgeschlagen hatte, weitgehend unberücksichtigt. Nachdem der Bundesrat am 23.11.2012 die Zustimmung zu dem Gesetz verweigerte (BR-Drucks. 632/12), rief die Bundesregierung am 28.11.2012 den Vermittlungsausschuss an (BR-Drucks. 632/12). In den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses konnte – bis auf die steuerliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe – ein Einvernehmen über das JStG 2013 erzielt werden. Der Deutsche Bundestag hat dennoch am 17.1.2013 den mehrheitlich vom Vermittlungsausschuss beschlossenen Einigungsvorschlag v. 13.12.2012 (BT-Drucks. 17/11844) insgesamt abgelehnt (BR-Drucks. 33/13). (Inzwischen sind die ursprünglich in dem E-JStG 2013 geplanten Änderungen des § 1 Abs. 4 und 5 AStG in dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809) vorgenommen worden [Anm. der Redaktion].)
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len.11 Dazu werden gem. § 1 Abs. 4 Satz 3 AStG-E unternehmensinterne Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte einer Geschäftsbeziehung zwischen nahestehenden Personen gleichgestellt („anzunehmende schuldrechtliche Beziehung“). Ferner ist angedacht, in § 1 Abs. 5 AStG-E Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung nach dem AOA zu regeln. Dies betrifft z. B. die Durchführung einer Funktionsanalyse, die Zuordnung von Wirtschaftsgütern sowie die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Hinblick auf „Geschäftsbeziehungen“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Im Zusammenhang mit der Transformation des AOA in § 1 AStG soll ferner in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E eine „Klarstellung“ im Hinblick auf die Anwendung der Vorschrift in Bezug auf Geschäftsbeziehungen mit Personengesellschaften aufgenommen werden. Nachfolgend werden die geplanten Änderungen des § 1 AStG hinsichtlich seiner Anwendung bei Personengesellschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E), der Neudefinition der Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG-E) und der Übernahme des AOA in § 1 Abs. 5 AStG-E im Einzelnen dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen.
B. Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG bei Personengesellschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E) I. Geplante Änderungen gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E Nach dem Entwurf des JStG 201312 war geplant, § 1 Abs. 1 AStG um einen weiteren Satz zu ergänzen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E). Dieser weitet den Anwendungsbereich des § 1 AStG auf Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften aus, sodass der Fremdvergleichsgrundsatz unmittelbar auch für diese gelten soll. Damit stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E Personengesellschaften für Zwecke ihrer Einkünfteabgrenzung mit Kapitalgesellschaften gleich. Nach dem Entwurf des JStG 201313 lautet § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E wie folgt: _____________ 11 Vgl. dazu auch Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2008 Rz. 42 ff.; von Goldacker, BB 2013, 87 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 ff.; Andresen/Busch, Ubg 2012, 451 ff.; Kahle, DStZ 2012, 691 (697 ff.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 ff. 12 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13. 13 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13.
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„Steuerpflichtiger im Sinne dieser Vorschrift ist auch eine Personengesellschaft oder eine Mitunternehmerschaft; eine Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft ist selbst nahestehende Person, wenn sie die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt.“
Der Gesetzgeber beabsichtigt vor dem Hintergrund der derzeit im Hinblick auf die Anwendung des § 1 AStG bei Personengesellschaften bestehenden Rechtsunsicherheit14 mit dieser Änderung, die Verrechnungspreisthematik bei internationalen Personengesellschaften „klarzustellen“ und folglich eine rechtsformneutrale Anwendung des § 1 AStG zu erzielen. So ist es die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers, „die Besteuerung grenzüberschreitender Vorgänge in Hinblick auf die Gewinnabgrenzung bzw. Gewinnverteilung klar und für alle Investitionsalternativen (Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften, Betriebsstätten) einheitlich zu regeln“.15 Soweit es die Eignung einer Personengesellschaft anbelangt, nahestehende Person i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG sein zu können, wird die langjährige Auffassung der Finanzverwaltung16 in das Gesetz aufgenommen. Infolgedessen geht der Gesetzgeber von einer lediglich klarstellenden Regelung aus, da bereits nach derzeitigem Recht eine ausländische Personengesellschaft „nahestehende Person“ i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG sein kann.17 Die Einordnung der Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft als „nahestehende Person“ soll auf alle noch offenen Veranlagungen Anwendung finden. Hingegen kommt es zu keiner Klarstellung hinsichtlich der Fiktion des ersten Halbsatzes, wonach Personengesellschaften oder Mitunternehmerschaften Steuerpflichtige i. S. v. § 1 AStG sind. Die Regelung soll daher erst ab dem Veranlagungszeitraum 2013 gelten. Der Gesetzgeber meint zwar, sich hierbei auf die Rechtsprechung des BFH stützen zu können, nach der bekanntlich eine Personengesellschaft partielles Steuerrechtssubjekt für Zwecke der Einkünfteerzielung, der Einkünftequalifikation und der Gewinnermittlung ist.18 Diese Rechtsprechung ist allerdings insoweit auf die Gewinnermittlung reduziert, als sie die partielle Steuerrechtsubjektivität im Kern darauf stützt, dass die Personengesellschaft in der „Einheit der Gesellschafter“ bzw. durch die Gesellschafter in ihrer ge_____________ 14 Vgl. dazu im Einzelnen Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.19 ff. 15 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 62. 16 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I Sondernr. 1/2004, 1 Tz. 1.4.3. 17 Zu Einzelheiten vgl. nachfolgenden Abschnitt B. III. 18 Vgl. BFH v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617.
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sellschaftsrechtlichen „Verbundenheit als Personengesellschaft“ verwirklicht wird.19 Für die zeitliche Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E sind also nach § 21 Abs. 20 AStG zwei Zeitpunkte zu berücksichtigen. Von der Neuregelung sind sowohl Personengesellschaften unternehmerschaften erfasst, die Einkünfte nach § 13, § 15 EStG erzielen, als auch Personengesellschaften, die keine nehmerschaften sind, weil sie z. B. ausschließlich Einkünfte EStG erzielen.20
und Mitoder § 18 Mitunternach § 21
II. Einordnung der Personengesellschaft als Steuerpflichtiger i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E) Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber die Einkünfteabgrenzung bei in- oder ausländischen Personengesellschaften ebenfalls an dem in § 1 AStG niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz ausrichten will. Vor diesem Hintergrund ist die Intention des Gesetzgebers, die Anwendung der Vorschrift bei Personengesellschaften klarzustellen, sachgerecht. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil im Schrifttum die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG in seiner derzeitigen Fassung bei Personengesellschaften umstritten ist.21 Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E soll „Steuerpflichtiger im Sinne dieser Vorschrift […] auch eine Personengesellschaft oder eine Mitunternehmerschaft“ sein. Die Vorschrift betrifft damit im Kern Sachverhalte, in denen eine inländische Personengesellschaft an einer ausländischen nahestehenden Person (z. B. ausländische Tochter-Kapitalgesellschaft) beteiligt ist und zwischen beiden Gesellschaften zulasten der inländischen Personengesellschaft unangemessene Verrechnungspreise vereinbart wurden. Bereits nach bisherigem Recht ging die Finanzverwaltung in diesem Zusammenhang davon aus, dass Geschäftsbezie_____________ 19 Vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 9/82, BStBl. II 1984, 751; v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617. Bekanntlich besteht im Gefolge der Konzeptionen „Einheit der Gesellschaft“ und „Vielheit der Gesellschafter“ die rechtsdogmatische Kontroverse darin, ob der Einkünfteerzielungstatbestand durch die Personengesellschaft (in der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit ihrer Gesellschafter) oder deren Gesellschafter verwirklicht wird; vgl. hierzu nur Pinkernell, Einkünftezurechnung bei Personengesellschaften, 85 ff. und 140 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, Köln 2010, 820 f. 20 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 62. 21 Vgl. nur Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.19 ff.
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hungen i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG zwischen der inländischen Personengesellschaft und der ausländischen nahestehenden Person bestehen können.22 Diese Auffassung ist insofern sachgerecht, als auch der BFH bei Rechtsgeschäften außerhalb des Regelungsbereichs von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die Rechtssubjekteigenschaft der Personengesellschaft betont, womit sich steuerlich anerkanntermaßen zwei Rechtssubjekte (Gesellschafter und Gesellschaft) einander gegenüberstehen;23 damit sind schuldrechtliche Beziehungen zwischen dem Mitunternehmer und seiner Personengesellschaft einerseits sowie einer Personengesellschaft und einer mit ihr verbundenen Unternehmung (z. B. ausländische Tochter-Kapitalgesellschaft) andererseits grundsätzlich möglich. Dies gilt auch dann, wenn die Geschäftsbeziehung mit dem ausländischen verbundenen Unternehmen ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens betrifft. Allerdings kann sich in diesem Fall die Frage stellen, ob eine Einkünfteminderung im Inland vorliegt.24 Beiträge des Mitunternehmers, die seine Mitunternehmerstellung begründen, können hingegen keine Geschäftsbeziehung sein. Solche liegen insbesondere vor, wenn sich der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag zur Erbringung von Sach- oder Dienstleistungen verpflichtet und diese Leistungen unentgeltlich oder gegen Beteiligung am Gewinn (sein „Gewinn vorab“) erbracht werden. Denn insofern liegt eine gesellschaftsrechtliche Gewinnverteilungsabrede besonderer Art vor, die nicht zu einer Geschäftsbeziehung i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG führen kann. Werden solche Gewinnverteilungsabreden mit einer ausländischen Personengesellschaft vereinbart, liegt keine Geschäftsbeziehung i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG oder des § 1 Abs. 4 AStG-E vor. Dies gilt im Übrigen auch für die Zuführung von Nominalkapital oder die Übertragung von Wirtschaftsgütern gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten durch einen Mitunternehmer in seine ausländische Personengesellschaft in Form einer gesellschaftsrechtlichen Einlage (Einbringungsvorgänge). Denn auch insofern liegt keine schuldrechtliche Beziehung, sondern eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung vor. Sind infolgedessen Geschäftsbeziehungen zwischen einem Gesellschafter und seiner (in- oder ausländischen) Personengesellschaft oder zwi_____________ 22 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I Sondernr. 1/2004, 1, Tz. 1.4.3. 23 Vgl. nur BFH v. 28.1.1976 – I R 84/74, BStBl. II 1976, 744. 24 Vgl. dazu Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.34.
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schen einer inländischen Personengesellschaft und einer ausländischen, ihr nahestehenden Person (z. B. ausländisches verbundenes Unternehmen) möglich, war bislang umstritten, ob eine Personengesellschaft „Steuerpflichtiger“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sein kann. Der BFH hat dies in seiner Entscheidung v. 17.12.1997 verneint.25 Daraus allerdings die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Einkünftekorrekturen nach § 1 Abs. 1 AStG bei inländischen Personengesellschaften im Zusammenhang mit unangemessenen Verrechnungspreisen in Bezug auf Geschäftsbeziehungen mit ausländischen nahestehenden Personen nicht möglich seien, ist nicht sachgerecht.26 Dies zeigt auch der Beschluss des BFH v. 17.12.1997, wonach Steuerpflichtiger i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG der Gesellschafter (Mitunternehmer) der Personengesellschaft ist. Dies schließt jedoch – so der BFH – die Anwendung der Vorschrift auf die Gewinnanteile der Mitunternehmer, welche die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG erfüllen, nicht aus.27 Waren damit bereits de lege lata Einkünftekorrekturen bei inländischen Personengesellschaften in Bezug auf unangemessene Verrechnungspreise bei Geschäftsbeziehungen mit ausländischen nahestehenden Personen möglich, wird dies durch § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E nunmehr klargestellt. Die von Schnitger dargelegte Auffassung, dass die Erweiterung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E „ins Leere“ laufe,28 ist nicht sachgerecht. Denn dass § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E „allein“ auf die Personengesellschaft bzw. die Mitunternehmerschaft abstellt, ist durch den Wortlaut der neuen Vorschrift nicht gedeckt. Vielmehr ist eine doppelte Prüfung notwendig: Einerseits stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E klar, dass die Personengesellschaft selbst Steuerpflichtiger im Sinne der Vorschrift ist. Andererseits ist zu prüfen, ob die Gesellschafter bzw. Mitunternehmer im Inland der beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Die Rechtsfolge einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG tritt freilich nur ein, wenn die Gesellschafter bzw. Mitunternehmer in Deutschland der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unterliegen.
_____________ 25 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321. 26 Vgl. auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 864 ff.; Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14, 19 ff. 27 So bereits der Leitsatz des BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321. 28 Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 (636).
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Beispiel 1: Die A-GmbH & Co. KG mit Sitz in Köln hält 100 % der Anteile an der in Frankreich ansässigen B-S.A. An der A-GmbH & Co. KG sind die natürlichen Personen X und Y mit jeweils 50 % beteiligt. X unterliegt in Deutschland der unbeschränkten und Y der beschränkten Steuerpflicht. Die A-GmbH & Co. KG gewährt der B-S.A. ein zinsloses Darlehen. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG eröffnet. Sowohl die A-GmbH & Co. KG als auch X und Y sind Steuerpflichtige i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG, weshalb die Einkünftekorrektur die Gewinnanteile beider Gesellschafter (X und Y) betrifft. Allerdings ist die Gewinnkorrektur letztlich nur einmal durchzuführen (m. E. auf Ebene der A-GmbH & Co. KG). Beispiel 2: Der in Deutschland ansässige X ist mit 51 % an der A-GmbH & Co. KG mit Sitz in Köln und mit 50 % an der in Frankreich ansässigen B-S.A. beteiligt. Beide Beteiligungen erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG, weshalb die B-S.A. nahestehende Person im Verhältnis zu X und zur A-GmbH & Co. KG ist. Die A-GmbH & Co. KG gewährt der B-S.A. ein zinsloses Darlehen. Auch in diesem Fall greift § 1 Abs. 1 AStG auf Ebene der A-GmbH & Co. KG, sodass auch der neben X Minderheitsbeteiligte an der A-GmbH & Co. KG von der Einkünfteerhöhung gem. § 1 Abs. 1 AStG betroffen ist. Dies setzt freilich voraus, dass er in Deutschland der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Beispiel 3: Die A-GmbH & Co. KG mit Sitz in Köln hält 100 % der Anteile an einer in Frankreich ansässigen B-S.A. An der A-GmbH & Co. KG sind die natürlichen Personen X und Y mit jeweils 50 % beteiligt. X gewährt der B-S.A. ein zinsloses Darlehen, das dem Sonderbetriebsvermögen des X bei der A-GmbH & Co. KG zuzuordnen ist. Hier stellt sich die Frage, ob die Einkünftekorrektur auf Ebene der A-GmbH & Co. KG zulasten von X und Y oder im Sonderbetriebsvermögensbereich des X nur zulasten des X durchzuführen ist. Da insoweit Sonderbetriebseinnahmen des X bei der A-GmbH & Co. KG vorliegen, kann sich die Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG nur im Sonderbetriebsvermögensbereich des X auswirken. Eine Einkünftekorrektur im Gesamthandsbereich der A-GmbH & Co. KG scheidet hingegen aus. Die fiktiven Zinsen erhöhen nur den Gewinnanteil des X. Sie wirken sich allerdings auch auf den Gewerbeertrag der A-GmbH & Co. KG aus. Beispiel 4: Die A-GmbH & Co. KG mit Sitz in Köln hält nur 10 % der Anteile an der in Frankreich ansässigen B-S.A. An der A-GmbH & Co. KG sind die natürlichen Personen X und Y mit jeweils 50 % beteiligt. X ist ferner mit 24 % auch an der B-S.A. beteiligt. Die A-GmbH & Co. KG gewährt der B-S.A. ein zinsloses Darlehen. Im Verhältnis zwischen der A-GmbH & Co. KG und der B-S.A. fehlt es an einem Nahestehen i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. Allerdings ist X unmittelbar zu 24 % und mittelbar zu 5 % an der B-S.A. beteiligt. Insoweit sind die
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Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG erfüllt, was jedoch nur zu einer Korrektur des Gewinnanteils des X bei der A-GmbH & Co. KG in Höhe von 50 % der an sich angemessenen Zinsen führt. Dabei wird unterstellt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AStG nicht erfüllt sind.
III. Einordnung der Personengesellschaft als nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E) § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E sieht vor, dass eine (natürliche oder juristische) Person „einer Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft […] selbst nahestehende Person [ist], wenn sie die Voraussetzungen des [§ 1] Abs. 2 erfüllt.“ Insoweit handelt es sich – wie die Gesetzesbegründung zutreffend ausführt – um eine Klarstellung, da bereits nach bisherigem Recht Personengesellschaften aufgrund ihrer eigenen Rechtssubjektivität Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG sein konnten.29 Deshalb ist auch eine Beteiligung an einer Personengesellschaft i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG möglich. Von einem „Nahestehen“ ist grundsätzlich allerdings nur dann auszugehen, wenn eine wesentliche Beteiligung von mindestens 25 % an der Personengesellschaft besteht.30 Nach bisherigem Recht war zweifelhaft, ob auch vermögensverwaltende Personengesellschaften eine nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG sein können.31 Denn nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist das Vermögen der vermögensverwaltenden Personengesellschaft ihren Gesellschaftern zuzuordnen. Ferner werden die zwischen der vermögensverwaltenden Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern bestehenden Vertragsbeziehungen nicht anerkannt, soweit das Vermögen der Gesellschaft dem Gesellschafter zuzurechnen ist.32 Beide Argumente sprechen gegen die Einordnung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft als nahestehenden Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG. Darüber hinaus war nach bisheriger Rechtslage auch eine atypisch stille Gesellschaft nicht als nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG zu qualifizieren. Denn bei der atypisch stillen Gesellschaft handelt es sich um eine reine _____________ 29 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.21; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, § 1 AStG, Rz. 833; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2.2. 30 So auch Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG, Rz. 833. 31 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.21. 32 Vgl. BFH v. 18.5.2004 – IX R 83/00, BStBl. II 2004, 898.
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Innengesellschaft, die nach außen nicht auftritt. Daher kann der atypisch beteiligte Gesellschafter nur mit dem Geschäftsinhaber Geschäftsbeziehungen eingehen. Da auch eine vermögensverwaltende Personengesellschaft eine „Personengesellschaft“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E darstellt und ferner die atypisch stille Gesellschaft als Mitunternehmerschaft zu qualifizieren ist, können nach der Neuregelung beide Rechtsinstitute eine nahestehende Person sein. Insofern besteht eine Abweichung zur bisherigen Rechtslage. Im Hinblick auf die Qualifikation einer Personengesellschaft als nahestehende Person im Rahmen der Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E können sich ferner Rechtsunsicherheiten ergeben, wie das nachfolgende Beispiel zu zeigen vermag: Beispiel 5: Die A-GmbH & Co. KG mit Sitz in Köln ist i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG gewerblich tätig. Sie hält 100 % der Anteile an einer in Frankreich ansässigen B-S.A. An der A-GmbH & Co. KG sind die im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen X mit 50 %, Y mit 30 % und Z mit 20 % beteiligt. Z gewährt der B-S.A. ein zinsloses Darlehen. Es stellt sich die Frage, ob insoweit von einem „Nahestehen“ i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG des Z zur B-S.A. auszugehen ist. Diese Frage ist zu verneinen, da Z lediglich mit 20 % mittelbar über die A-GmbH & Co. KG an der B-S.A. beteiligt ist. Die Mindestbeteiligungsquote von 25 % gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG ist damit nicht erfüllt. Dabei wird unterstellt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AStG nicht erfüllt sind.
IV. Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu anderen Einkünftekorrekturvorschriften Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG tritt seine Rechtsfolge (auch nach den Anpassungen durch den Entwurf des JStG 2013) „unbeschadet anderer Vorschriften“ ein. Folglich schließt § 1 AStG bei Personengesellschaften die Rechtsfolgen anderer Einkünftekorrekturvorschriften (z. B. Entnahmen, Einlagen, fiktive Entnahmen i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, fiktive Veräußerungen i. S. d. § 12 Abs. 1 KStG, Buchwertverknüpfung i. S. d. § 6 Abs. 5 EStG, verdeckte Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen) nicht aus. In welchem Konkurrenzverhältnis § 1 AStG zu diesen Einkünftekorrekturvorschriften steht, ist umstritten. Die h. M. geht zutreffend davon aus, dass § 1 AStG subsidiär zu den weiteren Einkünftekorrekturvorschrif-
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ten anzuwenden ist (sog. Subsidiaritätstheorie).33 Vor diesem Hintergrund gehen die Einkünftekorrekturvorschriften der Entnahme, Einlage, fiktiven Entnahme, fiktiven Veräußerung, Buchwertverknüpfung des § 6 Abs. 5 EStG, verdeckten Einlage und verdeckten Gewinnausschüttung – auch nach seiner Ergänzung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E – dem § 1 AStG vor. Dies folgt auch aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 1 AStG eine Einkünfteminderung voraussetzt, was nur nach Anwendung der o. g. Vorschriften beurteilt werden kann. Die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweils einschlägigen Einkünftekorrekturvorschrift müssen allerdings erfüllt sein. Letztlich werden damit durch § 1 AStG nur die Bereiche abgedeckt, die bei Geschäftsbeziehungen ins Ausland durch die o. g. Einkünftekorrekturvorschriften nicht erfasst werden. Dies gilt z. B. für Einkünftekorrekturen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen eines im Inland ansässigen Mitunternehmers an seine ausländische Personengesellschaft.34 Denn in diesem Fall sind weder die Voraussetzungen der Entnahme noch die des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 KStG erfüllt. Folglich kann sich eine Einkünftekorrektur nur auf § 1 AStG erstrecken. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG i. d. F. des UntStRefG 200835 ist darüber hinaus ab dem Veranlagungszeitraum 200836 zu beachten, dass, soweit die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu weiter gehenden Berichtigungen als andere einschlägige Einkünftekorrekturvorschriften führt, die weiter gehenden Berichtigungen des § 1 Abs. 1 AStG neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen sind. Diese Regelung spielt insbesondere im Zusammenhang mit der Besteuerung von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen eine Rolle.37 Sind die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nach § 1 FVerlV erfüllt,38 _____________ 33 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 76 ff.; Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen, 241 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Auflage 2011, Rz. 18.81; Klein, BB 1995, 227; Günkel, WPg 1996, 849; Wörner, BB 1983, 849 f. 34 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.36. 35 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 36 Vgl. § 21 Abs. 16 AStG. 37 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG; Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i. S. d. § 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung – FVerlV), BGBl. I 2008, 1680. 38 Vgl. dazu im Einzelnen Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650 ff. m. w. N.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946 ff. m. w. N.; Ditz/Just, DB 2009, 141 ff.
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ist gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und §§ 2 ff. FVerlV die Bewertung eines Transferpakets „als Ganzes“ im Rahmen der Übertragung der Funktion durchzuführen.39 Die Entstrickungsregelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG sehen indessen eine solche Gesamtbewertung nicht vor; vielmehr erfolgt hier eine Einzelbewertung der ins Ausland übertragenen Wirtschaftsgüter. Die Frage geht dahin, ob dies die Annahme einer Einkünfteminderung i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG ausschließt. Die Finanzverwaltung wird dies voraussichtlich verneinen und gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG die weiter gehenden Rechtsfolgen des § 1 AStG gegenüber den Entstrickungsregelungen anwenden. Dies setzt freilich voraus, dass im Rahmen der Funktionsverlagerung die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG erfüllt sind.40
C. Neudefinition der Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG-E) I. Geplante Änderungen gem. § 1 Abs. 4 AStG-E § 1 Abs. 4 AStG-E definiert die Geschäftsbeziehung neu, sodass im Ergebnis eine schuldrechtliche Beziehung nach seinem Wortlaut nicht mehr notwendig ist. Dies erfolgt, indem in § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG-E nicht mehr von „schuldrechtlicher Beziehung“, sondern von einem „wirtschaftlichen Vorgang“ die Rede ist. § 1 Abs. 4 AStG-E ist wie folgt gefasst: „Geschäftsbeziehungen im Sinne dieser Vorschrift sind 1. einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person, a) die Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Falle einer ausländischen nahestehenden Person anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte, und b) denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt; 2. Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). Liegen einer Geschäftsbeziehung keine schuldrechtlichen Vereinbarungen zugrunde, ist davon auszugehen, dass voneinander unabhängige ordentliche
_____________ 39 Dazu kritisch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651 m. w. N. 40 Vgl. dazu Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.19 ff.
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und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen hätten oder bestehende Rechtspositionen geltend machen würden, die der Besteuerung zugrunde zu legen sind, es sei denn, der Steuerpflichtige macht im Einzelfall etwas anderes glaubhaft.“
Mit den Änderungen in § 1 Abs. 4 AStG-E will der Gesetzgeber die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um auch die Betriebsstättenfälle des § 1 Abs. 5 AStG-E zu erfassen. Daher ändert er den Begriff „schuldrechtliche Beziehung“ in „wirtschaftlicher Vorgang“, da schuldrechtliche Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte nicht möglich sind. Unabhängige Unternehmen würden vergleichbare wirtschaftliche Vorgänge untereinander durch schuldrechtliche Beziehungen ausgestalten. Da solche wirtschaftlichen Vorgänge auch zwischen Unternehmen und ihren Betriebsstätten vorliegen, sollen diese somit genauso Berücksichtigung finden wie bei unabhängigen Unternehmen. Vom Begriff „wirtschaftlicher Vorgang“ sind nach Ansicht des Gesetzgebers alle rechtlichen Beziehungen und tatsächlichen Handlungen erfasst. Darüber hinaus soll durch § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG-E verdeutlicht werden, dass Geschäftsbeziehungen sowohl aus einem als auch aus mehreren Geschäftsvorfällen bestehen können. Dies ermögliche – so die Gesetzesbegründung – eine bessere Vergleichbarkeit hinsichtlich des Fremdvergleichs, da zur Bestimmung des Verrechnungspreises eines einzelnen Geschäfts auch mehrere Geschäftsvorfälle berücksichtigt werden müssen. Schließlich wird in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG-E geregelt, dass wirtschaftliche Vorgänge zwischen einem Unternehmen und seiner im Ausland belegenen Betriebsstätte von § 1 AStG erfasst werden. Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und ihrer Betriebsstätte werden hierbei als „anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“ definiert. Diese Regelung gilt sowohl für inländische Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte wie auch für ausländische Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte.41 Mit Einführung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E stellt der Gesetzgeber die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und deren Betriebsstätten mit denen von unabhängigen Personen gleich, die in der Regel zur Bestimmung ihrer Geschäftsbeziehungen eine schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen haben. Damit wird die Geschäftsbeziehung zwischen einem Unternehmen und dessen Betriebsstätte auch ohne eine _____________ 41 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 63.
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schuldrechtliche Vereinbarung anerkannt.42 Jedoch kann der Steuerpflichtige die gesetzliche Vermutung im Einzelfall widerlegen.43 II. Kritische Würdigung Im Jahr 2003 hatte der Gesetzgeber den Begriff der „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 5 AStG als eine schuldrechtliche Beziehung definiert,44 die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist. Man muss die Gesetzesänderung als Reaktion des Gesetzgebers auf das BFH-Urteil vom 29.11.200045 sehen. Seine damals vertretene Auffassung bestätigte der BFH noch einmal durch Urteil vom 27.8.2008.46 Der BFH legte in den Entscheidungen den Begriff „Geschäftsbeziehung“ unter Abgrenzung einer betrieblichen Veranlassung von einer solchen durch das Gesellschaftsverhältnis aus. Die Gesetzesänderung in 2003 löste insoweit Rechtsunsicherheiten aus, als unklar war, inwieweit das allgemeine Veranlassungsprinzip zur Auslegung des Begriffs nach wie vor heranzuziehen war. Nunmehr unternimmt der Gesetzgeber eine erneute Kehrtwende. Mit Blick auf die in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG-E vorgesehene (fiktive) Behandlung unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen mit einer Betriebsstätte als Geschäftsbeziehung löst er sich von dem Begriff der schuldrechtlichen Beziehung und ersetzt ihn durch den Begriff des wirtschaftlichen Vorgangs. Damit bleibt die Unsicherheit bestehen, ob Veranlassungsgesichtspunkte bei der Auslegung des Begriffs keine Bedeutung haben und ob die Existenz von Geschäftsbeziehungen nur nach formellen Kriterien zu bestimmen ist. Die nach wie vor anwendbare Tz. 4.1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VWG 198347 belegt die Problematik. Die in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG-E vorgesehene (fiktive) Behandlung unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen mit einer Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) ist zur Umsetzung des AOA notwendig und sachgerecht, was allerdings noch nichts darüber aussagt, wann korrekturfähige Liefer- und Leistungsbeziehungen mit einer Betriebsstätte anzunehmen sind.48 Entgegen der Gesetzesbe_____________ 42 43 44 45 46 47 48
Dazu kritisch Andresen/Busch, Ubg 2012, 451 ff. Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 63. Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476 ff. m. w. N. Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2000, 720. Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218. Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2008, Rz. 151 ff.
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gründung enthält § 1 Abs. 4 AStG-E auch eine grundlegend neue Definition der Geschäftsbeziehung im Hinblick auf die Korrektur von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen. Eine solche Neudefinition der Geschäftsbeziehung ist weder systematisch korrekt noch praktisch sinnvoll. Im Einzelnen: Die bislang in § 1 Abs. 5 AStG genannte schuldrechtliche Beziehung wird als solche nicht mehr explizit erwähnt, sondern die Geschäftsbeziehung allgemein als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert. Diese Definition der Geschäftsbeziehung, welche im Hinblick auf die Verrechnungspreispraxis erhebliche Bedeutung hat, ist nicht praxistauglich.49 Denn weder der Begriff „wirtschaftliche Vorgänge“ noch „Geschäftsvorfälle“ sind geeignet, die Geschäftsbeziehung zu definieren. Die derzeit vorliegende Entwurfsfassung des § 1 Abs. 4 AStG-E hat demnach eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Praxis zur Folge, was unter einer Geschäftsbeziehung konkret zu verstehen ist. Letztendlich sind im wirtschaftlichen Leben auch verdeckte Gewinnausschüttungen und alle anderen Formen der Einkommensverwendung „wirtschaftliche Vorgänge“ und damit Geschäftsbeziehungen. Dies ist allerdings im Hinblick auf die Ermittlung und Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nicht sachgerecht, da hier – auch nach internationalen Grundsätzen – die betrieblich veranlasste Leistungsbeziehung von einem durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Vorgang zu trennen ist. Im Übrigen steht die sehr weite Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG-E nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Dieser bezieht sich in seinem Wortlaut auf „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“,50 welche nach Auffassung der OECD sowie der h. M. in Deutschland eine nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Beziehung voraussetzen. Der Anwendungsbereich des neuen § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG-E bleibt darüber hinaus völlig offen. Auch die Gesetzesbegründung gibt keine für die Praxis brauchbaren Hinweise. Im Übrigen ist die Vorschrift in sich unlogisch: So ist nicht verständlich, warum voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen treffen würden, wenn diese einer Geschäftsbeziehung gar nicht _____________ 49 Kritisch auch Schnitger, IStR 2013, 633 (636). 50 Vgl. dazu auch BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz.
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zugrunde liegen.51 Schließlich ist die (nicht verständliche) Vorschrift mit einer Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen verbunden und verstößt damit gegen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass die Finanzverwaltung die Beweislast für Einkünftekorrekturen trägt.
D. Implementierung des AOA in § 1 AStG (§ 1 Abs. 5 AStG-E) I. Geplante Änderungen in § 1 Abs. 5 AStG-E Mit Einführung der Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG-E hat der Gesetzgeber die Grundlage für § 1 Abs. 5 AStG-E gelegt. § 1 Abs. 5 AStG-E sieht eine Einkünftekorrektur vor, wenn der Fremdvergleichsgrundsatz für unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht beachtet wird. Dabei ist die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung. Daher betrifft § 1 Abs. 5 AStG-E nur rechtlich unselbstständige Betriebsstätten, unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens.52 In Satz 3 ff. der Vorschrift wird der AOA kurz beschrieben. Mit Einführung des § 1 Abs. 6 AStG-E soll darüber hinaus das BMF ermächtigt werden, mit Zustimmung des Bundesrates alle Einzelheiten in einer Rechtsverordnung zu regeln. Konkret sind § 1 Abs. 5 und Abs. 6 AStG-E wie folgt gefasst:53 „(5) Die Absätze 1, 3 und 4 sind entsprechend anzuwenden, wenn für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des Absatzes 4 Satz 1 Nummer 2 die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens steuerlich zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Be-
_____________ 51 Dies ist Tatbestandsvoraussetzung der Vorschrift. 52 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13. 53 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13.
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handlung. Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, sind ihr in einem ersten Schritt zuzuordnen: 1. die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen), 2. die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt, 3. die Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt, sowie 4. ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital). Auf der Grundlage dieser Zuordnung sind in einem zweiten Schritt die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehung zu bestimmen. Die Sätze 1 bis 4 sind entsprechend auf ständige Vertreter anzuwenden. Die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten nach § 4g des Einkommensteuergesetzes zu bilden, wird nicht eingeschränkt. Auf Geschäftsbeziehungen zwischen einem Mitunternehmer und seiner Mitunternehmerschaft sind die Sätze 1 bis 4 nicht anzuwenden, unabhängig davon, ob die Beteiligung unmittelbar besteht oder ob sie nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes mittelbar besteht; für diese Geschäftsbeziehungen gilt Absatz 1. Ist ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden und macht der Steuerpflichtige geltend, dass dessen Regelung den Sätzen 1 bis 7 widersprechen, so hat das Abkommen nur Vorrang, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend diesem Abkommen ausübt und deshalb die Anwendung der Sätze 1 bis 7 zu einer Doppelbesteuerung führen würde. (6) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes im Sinne der Absätze 1, 3 und 5 und Einzelheiten zu dessen einheitlicher Anwendung zu regeln sowie Grundsätze zur Bestimmung des Dotationskapitals im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 4 festzulegen.“
Der Gesetzgeber begründet die Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 und 6 AStG damit, dass dies in Übereinstimmung mit den Überlegungen der OECD steht. Somit ist nun der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz bei der Aufteilung von Gewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzuwenden. Dabei ist es möglich, dass die rechtlich unselbstständige Betriebsstätte einen Gewinn erzielt, obwohl das Gesamtunternehmen einen Verlust generiert oder umgekehrt die Betriebsstätte einen Verlust hinnehmen muss, obwohl das Unternehmen insgesamt Gewinne erzielt. Da es mit Ansatz des Fremdvergleichspreises zur Aufdeckung stiller Reserven kommen kann, soll dies nach Ansicht des Gesetzgebers durch Beibehaltung der Anwendbarkeit des § 4g EStG abgemildert werden. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber 126
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davon aus, dass sich Differenzen zwischen der Summe der Einzelergebnisse verschiedener Betriebsstätten und dem Gesamtergebnis des Unternehmens im Laufe der Zeit wieder ausgleichen. Als Nachweis für die fehlenden schuldrechtlichen Vereinbarungen werden Aufzeichnungen über die wirtschaftlichen Vorgänge und Protokolle als Ersatz anerkannt.54 Ebenfalls legt der Gesetzgeber fest, dass § 1 Abs. 5 AStG-E Vorrang vor DBA hat, die dem bisherigen Art. 7 OECD-MA oder dem Art. 7 UN-MA entsprechen.55 Damit soll das deutsche Steueraufkommen gewahrt werden und gleichzeitig sollen unbesteuerte Einkünfte vermieden werden, da ältere DBA noch nicht den AOA enthalten. Mit § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E werden die Fälle völkerrechtskonform gelöst, in denen es zu internationalen Besteuerungskonflikten kommt. Hierbei treten die Regelungen des § 1 Abs. 5 Sätze 1 bis 7 AStG-E zurück, wenn der andere Staat sein Besteuerungsrecht ausübt. Somit bleiben die Besteuerungsrechte des anderen Staates gewahrt und eine Doppelbesteuerung wird vermieden. Mit Einführung der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG-E will der Gesetzgeber klar erkennen lassen, dass die Regelungen für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für den gesamten § 1 AStG zählen. Im Ergebnis führt dies zu Regelungen, die auf den international anerkannten Grundsätzen für die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten basieren. Diese Regelungen sichern das deutsche Besteuerungsrecht und vermeiden darüber hinaus Besteuerungskonflikte. Eine umfassende Regelung hinsichtlich der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Gesetz wäre zum einen zu umfangreich und zum anderen erlaubt eine Rechtsverordnung eine kurzfristige Anpassung an internationale Entwicklungen.56
_____________ 54 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 55 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 56 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64.
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II. Kritische Würdigung 1. Unzutreffende Platzierung in § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift Die Begründung des Entwurfs des JStG 201357 beschreibt zutreffend die Tatsache, dass die OECD mit dem AOA die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten nunmehr stringent an dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz ausrichtet. Das insoweit durch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bzw. die darauf aufbauenden deutschen DBA vorgesehene Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne wird indessen durch innerstaatliches Recht de lege lata nicht vollständig ausgeschöpft. Daher ist es – auch aus fiskalischen Gründen – nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber eine innerstaatliche Rechtsgrundlage zu schaffen wünschte, welche das in Art. 7 OECD-MA 2010 vorgesehene Besteuerungsrecht in innerstaatliches Recht transformiert. Die Umsetzung (alleine) in § 1 AStG ist jedoch nicht sachgerecht; vielmehr handelt es sich bei der Gewinnermittlung der Betriebsstätte um einen Tatbestand der Gewinnbzw. Unterschiedsbetragsermittlung (sowohl für in- als auch ausländische Betriebsstätten), welcher im EStG hätte geregelt werden müssen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob Wirtschaftsgüter in der Gesamtunternehmensbilanz der Höhe nach anders als in der Stammhaus- bzw. Betriebsstättenbilanz bewertet werden können. § 1 AStG ist demgegenüber eine Einkünftekorrekturvorschrift,58 welche nur dann greift, wenn die deutsche Finanzverwaltung einkünfteerhöhende Korrekturen vornehmen möchte. Folgende Fragen hätten mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für die Gewinnermittlung durch Bilanzierung im EStG geregelt werden müssen: – Definition eines Ersatzrealisationstatbestands im Hinblick auf die „Abrechnung“ unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte („Durchbrechung“ des Realisationsprinzips); – Regelungen zur bilanziellen Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Stammhaus bzw. zur Betriebsstätte; – Regelungen zur bilanziellen Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte; _____________ 57 Vgl. Entwurf eines JStG 2013, Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen v. 22.2.2013, BR-Drucks. 139/13. 58 So auch die Idee des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E.
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– Anerkennung eines Betriebsausgabenabzugs fiktiver Leistungsentgelte bei in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstätten. Mit seiner Transformation in § 1 AStG setzt der deutsche Gesetzgeber den AOA nur einseitig zugunsten der deutschen Finanzverwaltung um.59 Die OECD geht hingegen von einer einheitlichen Anwendung des AOA sowohl im Stammhaus- als auch im Betriebsstättenstaat aus.60 Die einseitige Stoßrichtung des § 1 AStG wird insbesondere im Rahmen der Gewinnermittlung bei im Inland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstätten61 offensichtlich. Dies zeigt das nachfolgende Beispiel: Beispiel 6: Die in Frankreich ansässige Jeans S.A. ist auf dem Gebiet des Designs, der Herstellung und des Vertriebs von hochpreisigen Jeans tätig. Die Jeans werden im Stammhaus der Jeans S.A. in Paris entworfen, durch Lohnfertiger in Asien hergestellt und unter der Marke „TOP Jeans“ über Boutiquen der Jeans S.A. in Frankreich und im europäischen Ausland vertrieben. Im Zusammenhang mit der Marke „TOP Jeans“ investiert die Jeans S.A. jährlich Millionenbeträge in Marketing, Werbung und zahlreiche „Events“, um die Marke in den in- und ausländischen Verbraucherkreisen bekannt zu machen. Die Jeans S.A. betreibt auch in Deutschland mehrere Boutiquen. Die Boutiquen, die nach § 12 AO und auf Basis des Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 DBA Frankreich als Betriebsstätten behandelt werden, nutzen intensiv die Marke „TOP Jeans“ zur Vermarktung der Jeans in Deutschland. Da die Marke „TOP Jeans“ in den maßgeblichen Verbraucherkreisen in Deutschland überaus bekannt ist und eine herausragende absatzfördernde Wirkung entfaltet, verrechnet die Jeans S.A. eine fiktive Lizenzgebühr für die Marke in Höhe von 5 % an die inländischen Betriebsstätten. Damit stellt sich die Frage, ob die (fiktive) Lizenzgebühr in Höhe von 5 % gem. § 1 Abs. 5 AStG-E als Betriebsausgabe im Rahmen der Gewinnermittlung für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht der Jeans S.A. in Deutschland geltend gemacht werden kann. Dazu Folgendes:
Bei § 1 AStG handelt es sich um eine Einkünftekorrekturvorschrift, welche zugunsten der Finanzverwaltung eine Einkünftekorrektur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. § 1 AStG setzt dabei außerbilanziell an, d. h., mögliche Einkünftekorrekturen durch die Finanzverwaltung sind außerbilanziell hinzuzurechnen.62 Die Qualifikation des § 1 _____________ 59 Vgl. auch Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 ff.). 60 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2008 Rz. 12. 61 Vgl. § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG; § 2 KStG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG. 62 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 5; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 811 f.
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AStG als Einkünftekorrekturvorschrift geht auch aus § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E eindeutig hervor. Dort heißt es, dass § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG-E entsprechend anzuwenden sind, wenn für fingierte Geschäftsbeziehungen zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens Verrechnungspreise zum Ansatz gebracht wurden, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht wurden. Die Anwendung der Vorschrift setzt demnach eine Einkünfteminderung im Inland voraus. Im Ergebnis kann auf Basis des § 1 Abs. 5 AStG-E nicht gewährleistet werden, dass die vom französischen Stammhaus der Jeans S.A. an die inländischen Betriebsstätten verrechneten Lizenzgebühren im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der Jeans S.A. in Deutschland als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Im Übrigen kommt § 50 EStG als Rechtsgrundlage für einen Betriebsausgabenabzug infrage. Bei § 50 EStG handelt es sich um eine Sondervorschrift für beschränkt Steuerpflichtige. Im Hinblick auf die Bestimmung der Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger sieht in diesem Zusammenhang § 50 Abs. 1 EStG vor, dass beschränkt Steuerpflichtige Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4–8 EStG nur insoweit abziehen dürfen, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Nach § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Betriebsausgaben setzen damit „Aufwendungen“ voraus, die durch einen Wertabfluss i. S. v. „gezahlten Ausgaben“ oder einem „Wertabgang ohne Zahlungen“ gekennzeichnet sind.63 Der Abzug „fingierter“ Lizenzgebühren wird damit vom Aufwandsbegriff des § 4 Abs. 4 EStG nicht erfasst, sodass § 50 Abs. 1 EStG als Rechtsgrundlage zum Abzug der fingierten Lizenzgebühren, welche von der Jeans S.A. an die inländischen Betriebsstätten verrechnet werden, nicht geeignet ist.64 Sollten die inländischen Betriebsstätten allerdings über ein eigenes Bankkonto verfügen, welchem die entsprechenden Lizenzgebühren belastet werden, könnte argumentiert werden, dass insoweit eine „gezahlte Ausgabe“ in Geld vorliegt und demnach Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG vorliegen. _____________ 63 Vgl. Heinicke in Schmidt, 32. Aufl. 2012, § 4 EStG Rz. 472 f.; Crezelius in Kirchhof, 12. Aufl. 2013, § 4 EStG Rz. 168 f. 64 Vgl. auch Schnitger, IStR 2012, 633 (635).
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Schließlich stellt auch § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG lediglich auf die Begründung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns „aus der Veräußerung“, nicht aber des Gewinns „aus der Nutzung“ eines Wirtschaftsguts ab.65 Vor diesem Hintergrund kann auch § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG nicht als Rechtsgrundlage für den Betriebsausgabenabzug eines fiktiven Lizenzentgelts von der inländischen Betriebsstätte an die Jeans S.A. herangezogen werden.66 Der Gesetzgeber wollte es wohl nicht zulassen, dass durch die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern an eine inländische Betriebsstätte Aufwand durch den Ansatz eines fingierten Nutzungsentgelts generiert werden kann. Es stellt sich indessen die Frage, ob nicht das Abkommensrecht selbst insoweit als Rechtsgrundlage des Abzugs eines fingierten Lizenzentgeltes herangezogen werden kann. Denn nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA (bzw. im hier vorliegenden Sachverhalt Art. 4 Abs. 2 DBA Frankreich) besteht ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nur im Hinblick auf den Unternehmensgewinn, wie er durch das Stammhaus bzw. die Betriebsstätte als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen erwirtschaftet worden wäre.67 Wäre die Betriebsstätte indessen ein selbstständiges und unabhängiges Unternehmen gewesen, wäre ihr ein entsprechender Aufwand aus der Nutzung der Marke „TOP Jeans“ entstanden, welcher den Gewinn gemindert hätte. Infolgedessen kann abkommensrechtlich argumentiert werden, dass sich das Besteuerungsrecht Deutschlands auf den inländischen Betriebsstättengewinn nur insoweit beziehen kann, als hier (fingierte) Lizenzentgelte für die Überlassung der Marke „TOP Jeans“ zum Abzug zugelassen wurden. Diese Argumentation ist indessen systematisch insofern nicht ganz korrekt, als sich die Definition der Betriebsausgaben eigentlich aus dem innerstaatlichen Gewinnermittlungsrecht ergeben sollte. Im Übrigen würde insoweit der DBA-Fall anders behandelt werden als der Nicht-DBA-Fall. 2. Verhältnis zu den Entstrickungsregelungen Es ist zu beachten, dass de lege lata bereits mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG Ersatzrealisationstatbestände existieren, welche – zumindest aus Sicht der Finanzverwaltung68 – für die Überführung _____________ 65 66 67 68
So jedoch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG. Vgl. auch Benecke/Schnitger, IStR 2006, 767. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2008, Rz. 171. Vgl. BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005, BStBl. I 2009, 671; v. 18.11.2011– IV C 6 - S 2134/10/10004, BStBl. I 2011, 1278.
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von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte (DBA- und Nicht-DBA-Fall) eine Entstrickung der stillen Reserven vorsehen. Der Anwendungsbereich beider Entstrickungsvorschriften ist allerdings – insbesondere vor dem Hintergrund des BFH-Urteils v. 17.7.200869 – umstritten.70 Daran ändern auch die durch das JStG 201071 eingeführten Anwendungsbeispiele nichts.72 Hinsichtlich der Frage einer fingierten Nutzungsüberlassung des Stammhauses an die Betriebsstätte wird – auch nach der Klarstellung des JStG 2010 – die Auffassung vertreten, dass beide Vorschriften aufgrund ihres Wortlauts die ihnen zugedachte Funktion nicht erfüllen können.73 Es stellt sich die Frage des Verhältnisses des § 1 Abs. 5 AStG-E zu § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG. Beide Einkommensermittlungsvorschriften stehen unabhängig neben der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 Abs. 5 AStG-E. Daran ändert auch der Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG-E auf § 4g EStG nichts.74 Damit ergibt sich hinsichtlich der Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG-E Folgendes: Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG gilt seine Anwendung „unbeschadet anderer Vorschriften“. Dies hat zur Folge, dass der Anwendung der Vorschrift § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG vorgehen. Rechtsgrundlage für die Entstrickung stiller Reserven bei der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte sind damit zunächst – ihre Anwendbarkeit vorausgesetzt – die allgemeinen Entstrickungsregelungen. Erfolgt damit eine Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG oder § 16 Abs. 3a EStG auf der ersten Stufe der Unterschiedsbetragsermittlung, ist § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E nicht mehr anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG (bzw. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG-E) sind allerdings (außerbilanzielle) Einkünftekorrekturen neben den Rechtsfolgen der Entstrickungsvorschriften durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 AStG zu weiter gehenden Berichtigungen führt. Dieser Fall kann z. B. bei Funktionsverlagerungen eintreten, welche im Sinne der Besteuerung eines Transferpakets von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG nicht erfasst werden. Ein an_____________ 69 70 71 72
Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. Vgl. nur Ditz/Schneider, DStR 2010, 81 m. w. N. Vgl. JStG 2010 v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. Vgl. Gierlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (157); Richter/Heydt, Ubg 2011, 172 (174 ff.); Musil, FR 2011, 545 (550). 73 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (104). 74 Vgl. auch Gosch, IWB 2012, 779 (785).
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derer Fall kann sich ergeben, wenn die speziellen Bestimmungen des § 1 Abs. 1 und 3 AStG eine vom gemeinen Wert abweichende Verrechnungspreisermittlung anordnen (z. B. „Hellseher“-Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG a. F.). Nicht klar ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Kriterien einer Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu dem Stammhaus bzw. der Betriebsstätte. So ist nicht sichergestellt, dass nach den Entstrickungsregelungen einerseits und § 1 Abs. 5 AStG-E andererseits Wirtschaftsgüter nach den gleichen Kriterien dem Stammhaus und/oder der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Denn die Entstrickungsregelungen kennen eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach „Personalfunktionen“ nicht (so aber § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG-E). Vor diesem Hintergrund kann der Fall eintreten, dass in Anwendung der allgemeinen Enstrickungsregelungen ein Wirtschaftsgut weiterhin dem inländischen Stammhaus, nach § 1 Abs. 5 AStG-E allerdings der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die stillen Reserven aus der Überführung eines Wirtschaftsguts zunächst nach § 1 Abs. 5 AStG-E und zu einem späteren Zeitpunkt nach den Entstrickungsregelungen aufzudecken sind (oder umgekehrt). Beispiel 7: Im VZ 2013 wird ein zuvor dem Stammhaus zuzuordnendes Wirtschaftsgut aufgrund des Kriteriums der „Personalfunktionen“ nach § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG-E der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und § 12 Abs. 1 KStG kennen indessen keine Zuordnung nach dem Kriterium der „Personalfunktionen“. Vielmehr erfolgt hier nach h. M. eine Zuordnung nach dem Kriterium der „funktionalen Zugehörigkeit“.75 Ist dieses Wirtschaftsgut nach diesem Kriterium erst in 2014 der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen, erfolgt – zumindest nach dem Wortlaut der Vorschriften – eine erneute Realisierung der stillen Reserven, dann allerdings auf Basis der Entstrickungsregelungen. Dieses Ergebnis ist die Konsequenz der fehlenden Abstimmung des § 1 Abs. 5 AStG-E mit den Entstrickungsregelungen, kann allerdings nicht sachgerecht und auch nicht vom Gesetzgeber gewünscht sein.
3. Anwendungsvorrang der DBA/Risiko der internationalen Doppelbesteuerung Der AOA wurde durch die OECD im Rahmen des „Update 2010“ in Art. 7 OECD-MA 2010 aufgenommen. Wenngleich der AOA als „Standard“ in der deutschen Grundlage für DBA-Verhandlungen genannt _____________ 75 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA 2008 Rz. 126 ff.
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wird,76 existieren derzeit indessen lediglich drei deutsche DBA, welche dem Art. 7 OECD-MA 2010 entsprechen (das DBA Liechtenstein sowie die neuen DBA mit den Niederlanden und Luxemburg).77 Die übrigen deutschen DBA enthalten hinsichtlich der Auslegung ihrer Art. 7 OECD-MA 2008 nachgebildeten Abkommensnorm sehr unterschiedliche Regelungen: – So gibt es zahlreiche DBA, die dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA 2008 entsprechen und im Protokoll keine (wesentlichen) Aussagen zur Interpretation der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte enthalten (z. B. die DBA mit Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien, Spanien, Österreich, Belgien und Russland). – Darüber hinaus existieren DBA, die dem Wortlaut des Art. 7 OECDMA 2008 entsprechen und im Protokoll eine Einschränkung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte enthalten (z. B. die DBA mit China, Indien sowie die bisherigen DBA mit Luxemburg und den Niederlanden). – Schließlich existiert mit den USA ein DBA, welches dem Wortlaut des Art. 7 OECD-MA entspricht, im Protokoll jedoch eine uneingeschränkte Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und damit der AOA enthalten ist. § 1 Abs. 5 AStG-E differenziert hinsichtlich der Anwendung des AOA nicht zwischen den vorstehend dargestellten Abkommenstypen, sondern ist vielmehr in allen DBA- und Nicht-DBA-Fällen anzuwenden. Damit greift die Vorschrift auch in Bezug auf DBA, die nicht dem OECD-MA 2008 folgen. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als bei diesen sog. „Alt-Abkommen“ im Ausland eine korrespondierende Berücksichtigung der im Inland realisierten stillen Reserven als Aufwendungen nicht sichergestellt ist. Gerade in Bezug auf die dem OECD-MA 2008 folgenden deutschen DBA besteht damit das erhebliche Risiko, dass der andere Vertragsstaat die nach innerstaatlichem deutschem Recht nach § 1 Abs. 5 AStG-E vorgeschriebene Anwendung des AOA nicht anerkennt und infolgedessen eine internationale Doppelbesteuerung entsteht. Die Doppelbesteuerung kann dann nur über ein (oft zeitaufwendiges) Verständigungsverfahren vermieden werden. Der Gesetzgeber hat dieses Spannungsfeld wohl gesehen und infolgedessen in § 1 _____________ 76 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 (157 f.). 77 Das neue DBA mit den Niederlanden entspricht nicht der offiziellen deutschen Übersetzung des Art. 7 OECD-MA 2010.
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Abs. 5 Satz 8 AStG-E einen (eigentlich selbstverständlichen) Vorrang des Abkommensrechts definiert. Danach ist eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 AStG-E nur möglich, wenn – ein DBA anzuwenden ist – und der Steuerpflichtige geltend macht, – dass dessen Regelungen den Grundsätzen des § 1 Abs. 5 Sätze 1 bis 7 AStG-E widersprechen, – und der Steuerpflichtige nachweist, – dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend des DBA ausübt und deshalb die Anwendung der Sätze 1 bis 7 zu einer Doppelbesteuerung führen würde. Im Ergebnis enthält § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E ein treaty override, in dem die Schrankenwirkung des einschlägigen DBA an einen Nachweis geknüpft ist, dass der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt und infolgedessen die Anwendung des AOA gem. § 1 Abs. 5 AStG-E zu einer Doppelbesteuerung führt. Wie ein entsprechender Nachweis praktisch zu führen ist, ist indessen völlig offen. Ferner enthalten weder § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG noch § 12 Abs. 1 KStG entsprechende Nachweispflichten, sodass bei der Realisierung stiller Reserven im Zusammenhang mit diesen Entstrickungsregelungen ein solcher Nachweis entfällt. 4. Europarechtliche Bedenken § 1 Abs. 5 AStG-E sieht keine allgemeine Stundungsregelung im Hinblick auf die Gewinnrealisierung bei unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vor. Damit stellt sich die Frage, ob § 1 Abs. 5 AStG-E, der nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung findet, gegen die Diskriminierungsverbote des AEUV verstößt. In diesem Zusammenhang geht die h. M. davon aus, dass die sog. „Entstrickungsregeln“ des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG gegen die europarechtlichen Grundfreiheiten – konkret gegen die Niederlassungsfreiheit – verstoßen, weil vergleichbare inländische Vorgänge keiner Besteuerung unterliegen. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lässt sich allenfalls mit dem Argument der „Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ und damit mit der Sicherung des Besteuerungsrechts des Staates rechtfertigen, in welchem
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stille Reserven gebildet bzw. eine bestimmte Wertschöpfung erbracht wurde.78 Allerdings ist nach der aktuellen EuGH-Rechtsprechung – im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung – die sofortige Erhebung von Steuern auf noch nicht tatsächlich realisierte stille Reserven im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte unverhältnismäßig.79 Ferner kann aus der Entscheidung des EuGH in der Rs. National Grid Indus B.V.80 abgeleitet werden, dass auch die aufschiebende Besteuerung von im Stammhausstaat gebildeten stillen Reserven, welche im Zusammenhang mit der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte zu entstricken sind, dann unverhältnismäßig ist, wenn diese mit erhöhten Mitwirkungs- und Nachweispflichten hinsichtlich des Verbleibs des betroffenen Wirtschaftsguts im Unternehmensvermögen verbunden ist. Infolgedessen ist – so der EuGH in seinem Urteil in der Rs. National Grid Indus B.V.81 – dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zwischen einer Sofortbesteuerung und einer aufgeschobenen Besteuerung einzuräumen.82 Ein solches Wahlrecht sieht indessen § 1 Abs. 5 AStG-E nicht vor; vielmehr sieht § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E eine Einkünftekorrektur im Hinblick auf eine sofortige Gewinnrealisierung vor, wenn „fiktive“ Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen inländischem Stammhaus (bzw. einer inländischen Betriebsstätte) und ausländischer Betriebsstätte (bzw. ausländischem Stammhaus) nicht fremdvergleichskonform bepreist werden. Die daraus resultierende europarechtliche Problematik liegt auf der Hand.83
_____________ 78 So Gosch, IWB 2012, 779 (781). 79 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus B.V., DStR 2011, 2334; vgl. dazu auch Körner, IStR 2012, 1 (5 ff.); Brinkmann/Reiter, DB 2012, 16 (18 ff.); Prinz, GmbHR 2012, 195 (197 f.); a. A. Mitschke, IStR 2012, 6 (9 ff.); Hruschka, DStR 2011, 2334 (2334 f.). 80 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus B.V., DStR 2011, 2334. 81 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus B.V., DStR 2011, 2334. 82 Vgl. dazu auch Gosch, IWB 2012, 779 (782). 83 Vgl. auch Andresen/Busch, Ubg 2012, 451 (454); dagegen krit. Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281), nach dem der EuGH „die Problematik der Wegzugsbesteuerung gar nicht durchschaut hat“.
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5. Verkomplizierung der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung Die Implementierung des AOA in § 1 Abs. 4 und 5 AStG-E wird zu einer Verkomplizierung der internationalen Betriebsstättengewinnabgrenzung führen.84 Dies liegt einerseits daran, dass der AOA im Wesentlichen auf der Fiktion eines selbstständigen und unabhängigen Unternehmens aufbaut, welche Grundlage der Abrechnung von unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist. Neben der Frage, welche „schuldrechtliche Beziehung“ zu fingieren ist (z. B. Veräußerung, Nutzungsüberlassung, Aufwandsumlage, Dienstleistung), stellt sich die weitere Frage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Da auch insoweit eine Zuordnungsentscheidung nach rechtlichen Kriterien ausscheidet, verbleibt nur die Anwendung rein wirtschaftlicher Kriterien, welche der AOA in den „wesentlichen Personalfunktionen“ konkretisiert. Auch insoweit bestehen erhebliche Unsicherheiten.85 Andererseits verwendet § 1 Abs. 5 AStG-E unklare bzw. inkonsistente Begrifflichkeiten, die seine praktische Anwendung äußerst problematisch machen: – Während Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 von der Fiktion eines „selbstständigen“ Unternehmens spricht, wird in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E der Begriff des „eigenständigen“ Unternehmens verwandt. Worin der Unterschied liegt, bleibt unklar. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG-E spricht nur von „Personalfunktionen“, während die OECD von „wesentlichen Personalfunktionen“ („significant people functions“) ausgeht. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG-E verwendet den Begriff „Vermögenswerte“. Dies ist für das deutsche Ertragsteuerrecht ein völlig neuer Begriff, welcher die Anwendung und Auslegung der Vorschrift unnötig verkompliziert. – § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E regelt eine Selbstverständlichkeit, wonach der Vorrang eines Doppelbesteuerungsabkommens zu beachten ist. Dieser Abkommensvorrang wird allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, sodass es sich bei § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E im Ergebnis um ein sog. Treaty Override handelt. Ein solches ist verfas_____________ 84 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 281; Kahle, DStZ 2012, 691 (699). 85 Vgl. im Einzelnen Kaeser, ISR 2012, 63 (67 ff.); Ditz, ISR 2012, 48 (53).
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sungsrechtlich problematisch.86 Im Übrigen erfolgt durch die Nachweispflicht des Steuerpflichtigen eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten. Vor dem Hintergrund der praktischen Anwendungsprobleme des AOA kann es nicht überraschen, dass seine Anwendung international nicht unumstritten ist. So haben zahlreiche OECD-Staaten (Griechenland, Türkei, Chile, Neuseeland und Mexiko) einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen eine Umsetzung des AOA (bzw. des Art. 7 OECD-MA 2010) in ihrer Abkommenspolitik abgegeben. Darüber hinaus wurde der AOA vollends von der UN abgelehnt. Infolgedessen kann von einem etablierten, international anerkannten Standard keine Rede sein.87 Dies wird auch Auswirkungen auf die deutsche Abkommenspolitik haben, sodass – wie das neue DBA mit der Türkei zeigt – auch Deutschland weiterhin DBA auf Basis des (alten) Art. 7 OECD-MA 2008 abschließen wird. Diese Uneinheitlichkeit wird ebenfalls nicht zu einer Vereinfachung der internationalen Betriebsstättenbesteuerung führen.88 Schließlich ist auf die fortschreitende Tendenz der OECD zur „Aufweichung“ des Betriebsstättenbegriffs hinzuweisen.89 Diese bezieht sich insbesondere auf eine Etablierung der sog. Dienstleistungsbetriebsstätte,90 welche die Fiktion einer Betriebsstätte als alternativen und subsidiären Ersatztatbestand zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA definiert. Wird insoweit abkommensrechtlich eine Betriebsstätte „fingiert“, welche gerade nicht hinsichtlich ihres Wertschöpfungs- bzw. Tätigkeitsumfangs ein „eigenständiges und unabhängiges“ Unternehmen darstellen kann, wird im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung nach Art. 7 Abs. 2 OECDMA von diesem ausgegangen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Betriebsstätte als auch hinsichtlich ihrer Gewinnabgrenzung mit Fiktionen gearbeitet wird. Dass dies zu praktischen Anwendungsschwierigkeiten führt, liegt auf der Hand.
_____________ 86 Vgl. Vorlagebeschluss des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, DStR 2012, 949. 87 Vgl. Kahle, DStZ 2012, 691 (699). 88 Vgl. auch den Überblick über die Abkommenspraxis der Bundesrepublik Deutschland in Abschnitt D. II. 3. 89 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493 ff.; Reiser/Cortez, IStR 2013, 6 ff.; Hoor, IStR 2012, 17 ff.; Bendlinger, SWI 2011, 531 ff. 90 Vgl. auch Tz. 42.23 OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA.
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6. Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 6 AStG-E Einzelheiten der Einkünfteermittlung bei Betriebsstätten sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Es ist allerdings fraglich, ob der Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG-E im Hinblick auf die Konkretisierung der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG nicht durch die Regelung von Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung verlassen wird. Insoweit besteht das Risiko, dass die Rechtsverordnung rechtswidrig erlassen und infolgedessen unwirksam ist.
E. Fazit Mit dem JStG 2013 soll der in 2010 durch die OECD in Art. 7 OECDMA 2010 verankerte AOA in § 1 AStG transformiert werden. Während die Änderung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E im Hinblick auf die Anwendung der Vorschrift bei Personengesellschaften nachvollziehbar ist, kann die Neudefinition der „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 4 AStG-E genauso wenig überzeugen wie die detaillierte Manifestierung des AOA als Einkünftekorrekturtatbestand in § 1 Abs. 5 AStG-E. Vielmehr hätte es zur Implementierung des AOA ins innerstaatliche deutsche Recht einer Gewinnermittlungsvorschrift in § 4 EStG bedurft. Darüber hinaus macht die Verwendung unklarer und inkonsistenter Begrifflichkeiten die Anwendung des neuen § 1 Abs. 5 AStG-E in Bezug auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung sehr schwierig. Auch hat der Gesetzgeber die (aktuellen) Vorgaben des EuGH im Hinblick auf eine aufgeschobene Gewinnrealisierung bei grenzüberschreitenden Entstrickungstatbeständen übergangen, weshalb die Neuregelungen des § 1 Abs. 4 und 5 AStG-E gegen Europarecht verstoßen.
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Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn
Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München/ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel Martin Kreienbaum Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Lüdicke Herr Ditz, vielen Dank. Sie haben eindrucksvoll bestätigt, was ich heute Morgen orakelt hatte. § 1 AStG scheint für diese Tagung ein Segen, aber für die Unternehmen eher das Gegenteil zu sein. Jedenfalls haben Sie sehr deutlich gemacht, dass es bei der Vorschrift einige dogmatische Grundsatzfragen gibt, die nicht gelöst sind. Die werden wir sicherlich gleich diskutieren. Aus diesen Grundsatzfragen können sich aber auch diverse praktische Folgefragen ergeben, die dann durch Details der Gesetzesformulierung aufscheinen. Bevor wir aber damit anfangen, Herr Kreienbaum, ganz kurz, Herr Ditz hatte ja schon die Rechtsverordnung erwähnt. Gerüchteweise hört man, dass es inzwischen einen ersten Entwurf mit 38 Paragrafen geben soll, also eine Menge Lesestoff. Wie sieht der Zeitplan aus? Kreienbaum Es ist ja in Ansätzen schon beschrieben worden, wir sind derzeit mit den Bundesländern im Gespräch darüber und denken, dass wir in der ersten Bund-Länder-Außensteuersitzung kommenden Jahres einen ers141
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
ten Entwurf diskutieren werden. Dann gibt es auch Gelegenheit zur Stellungnahme dazu im Frühjahr und wir hoffen, etwa um die Sommerpause mit dem Verordnungsentwurf fertig zu sein. Danach wird aufbauend auf den Verordnungsentwurf noch ein BMF-Schreiben erfolgen. Sie hatten es schon genannt. Das BMF-Schreiben soll im Wesentlichen den Betriebsstättenerlass ersetzen oder renovieren, wie auch immer Sie das ausdrücken wollen. Dann hoffe ich, dass, wenn auch nicht alle, aber doch viele der jetzt noch offenen rechtstechnischen Details in diesen beiden Werken, in dem BMF-Schreiben und in der Verordnung, geregelt werden oder zumindest angesprochen werden können. Prof. Dr. Lüdicke Gibt es für das BMF-Schreiben auch schon einen Zeithorizont, was die Fertigstellung oder die Verbandsanhörung angeht? Kreienbaum Meine Ausführungen bezogen sich gerade auf das BMF-Schreiben. Ich denke, bis zum Ende des Jahres werden wir damit durch sein. Prof. Dr. Lüdicke Das wird möglicherweise deutlich umfangreicher werden als bisher der Betriebsstättenerlass. Der OECD-Bericht von 2010 zur Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten mit seinen 240 Seiten englischem Text wird ja sicherlich nicht amtlich übersetzt werden. Aber, Herr Kreienbaum, Sie müssen ja nahezu alles daraus irgendwie umsetzen. Kreienbaum Ja, eine Reihe der Probleme sind angesprochen worden und ich glaube, dass das Ganze nicht mit wenig Umfang zu leisten sein wird, das ist absehbar. Prof. Dr. Lüdicke Also „Umwandlungssteuererlass II“? Kreienbaum Warten wir es ab.
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Prof. Dr. Lüdicke Dann jetzt zu den materiellen Fragen. Ich denke, der Hauptkritikpunkt gegen die Vorschrift – auch Herr Ditz hat das ja eben gesagt – ist ihre systematische Anordnung im Außensteuergesetz als Korrekturvorschrift. Nachdem die OECD sich – und Deutschland hat dem zugestimmt – auf eine neue Betriebsstättengewinnabgrenzung geeinigt hat, würde man doch vermuten, dass sie in alle Richtungen gleichmäßig verlaufen müsste. So etwas würde man eher im Einkommensteuergesetz erwarten. Kreienbaum Zunächst einmal möchte ich gerne feststellen, dass es unser Bestreben ist, mit dem AOA Erleichterungen für Unternehmen und für die Finanzverwaltung zu bringen. Ich bedaure es sehr, dass hier der gegenteilige Eindruck entsteht, aber lassen Sie mich doch ausdrücken, dass wir uns auf OECD-Ebene zu dem AOA entschlossen haben, um eine Vereinheitlichung erstmals in diesem Bereich hinzubekommen. Das ist ja ein ganz entscheidender Punkt. Und wenn Sie auf das deutsche Recht schauen, schaffen wir jetzt auch zum ersten Mal eine ausreichende Rechtsgrundlage für eine entsprechende Einkommensermittlung. Prof. Dr. Gosch Das ist Korrektur! Kreienbaum Ja, in Form einer Korrektur. Das ist richtig, aber das ist auch eine Wertentscheidung des Gesetzgebers oder es wird möglicherweise eine Wertentscheidung des Gesetzgebers sein, wenn ich mich korrekt ausdrücken soll, diese Vorschrift im AStG zu platzieren und damit als Einkünftekorrekturvorschrift auszugestalten. Es ist im Übrigen nicht nur eine Frage der Rechtsästhetik, sondern es hat ja materielle Hintergründe. Eine Gewinnermittlungsvorschrift wirkt, wie es bereits zum Ausdruck kam, möglicherweise auch von einigen gewünscht ist, aber vielleicht nicht vom Gesetzgeber, in beide Richtungen, während die Korrekturvorschrift, wie Sie zu Recht ausgeführt haben, nur in eine Richtung wirkt. Der zweite Punkt ist die Frage, wie wir in dieser Übergangszeit, in der viele Staaten den AOA noch nicht akzeptieren oder zumindest noch nicht implementiert haben, damit umgehen. Auch dieser Punkt 143
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
ist zutreffend beschrieben worden und ich sehe noch ein weiteres Argument dafür, dass die Vorschrift im AStG richtig aufgehoben ist. Denn eine Vorschrift zur Gegenberichtigung, wie wir sie jetzt im § 1 Abs. 5 AStG im letzten Satz haben, wäre im Einkommensteuerrecht genauso merkwürdig, wie Sie sie jetzt im AStG als Grundregel empfinden. Insofern sind wir mit der Platzierung der Regel im AStG richtig aufgehoben. Das Entscheidende ist, dass die Regel wirkt, und ich meine, da sind wir auf gutem Weg. Das Ziel ist, eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Und wir haben erstmals eine Rechtsgrundlage für die Ermittlung von Verrechnungspreisen geschaffen. Ganz so heterogen, Herr Ditz, wie Sie es beschrieben haben, ist die Situation vielleicht doch nicht. Wenn ich nochmal auf die Länder zu sprechen kommen darf, die Sie in einer Übersicht genannt hatten: Aus dem Umstand, dass sich in dem DBA USA ein entsprechender Hinweis im Protokoll findet, würde ich keine materiell-rechtliche Konsequenz ziehen. Er befindet sich schlicht da, weil wir in der Revision des DBA USA im Jahre 2006 die Vorschrift als solche nicht angetastet haben, und dann bringt man, wenn man am Rande etwas lösen will, noch etwas im Protokoll unter. Aber die Rechtswirkung ist die gleiche. Bei den OECDLändern wird man sagen müssen: Sicher, Sie haben Recht, einige haben Vorbehalte eingelegt, einige dieser Länder aber vor dem Hintergrund, dass sie den Vorbehalt so lange ausdrücken möchten, bis sie eine nationale Rechtsgrundlage für die Umsetzung geschaffen haben. Also auch da muss man sehen, dass die Zielrichtung hin zum AOA und einer einheitlichen Grundlage zur Gewinnabgrenzung erreicht werden kann. Wir befinden uns in einer Übergangsphase mit allen Schwierigkeiten, die beschrieben worden sind. Prof. Dr. Lüdicke Das heißt aber beispielsweise, dass man in dem Fall mit der französischen Jeans S.A., den Herr Ditz als vorletzten dargestellt hat,1 keine Rechtsgrundlage in Deutschland für den Abzug fiktiver Lizenzen hat. Der Gesetzgeber nimmt das sehenden Auges hin und sagt, dann dürfen die Franzosen eben diese Lizenzen nicht besteuern. Falls die Franzosen jetzt auch den AOA umsetzen, weil die genauso gute OECD-Bürger sind wie wir, würden Sie sagen, dann müssen die da zurücktreten?
_____________ 1 Siehe Beispiel 6 auf S. 129.
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Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
Kreienbaum Es soll in jedem Fall nicht zu einer doppelten Besteuerung kommen. Das ist entscheidend. Prof. Dr. Lüdicke Ja, aber wie kommt es denn nicht dazu? Wenn wir hier keine Rechtsgrundlage für den Abzug haben, dann ist das ja schwierig. Kreienbaum Dann wird man sich im Ergebnis auf eine Vermeidung der doppelten Besteuerung verständigen müssen, wenn Sie beim Steuerpflichtigen … [Unruhe] Prof. Dr. Lüdicke Ich weiß nicht, bei wem die Begeisterung auf dem Podium größer war. Bernhardt Fragt sich, wie man die Begeisterung jetzt nachweist. Beginnen wir zunächst einmal von einem ganz anderen Ende her. Für Unternehmenspraktiker, und ich meine jetzt nicht die in der Steuerabteilung, sondern Manager im Controlling und in Steuerungsfunktionen, ergibt sich die Frage, was ist am Themenbereich so problematisch. Man neigt ja in Konzernen dazu, mit Service Level Agreements und anderen Vereinbarungen auch innerhalb bestehender legaler Einheiten Leistungen zu verrechnen wie zwischen legalen Einheiten. Das ist ein Trend, der aus dem Controlling kommt. Wenn ich das so einfach einmal übertrage, dann könnte man auf den Gedanken kommen, die einheitliche Behandlung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften sei an sich ein lobenswerter Angang. Die Frage ist nur, wie man international dahinkommt. Hier habe ich in der Tat die Befürchtung, dass wir als Deutsche wieder zu schnell voranmarschieren, Maßstäbe setzen, die andere Staaten dann nicht entsprechend zeitnah oder auch nicht in dem Umfang umsetzen und wir dann zu den eben diskutierten Schieflagen kommen, d. h., dass die Regelungen nicht zueinanderpassen. Das beste Beispiel sind Lizenzen und fiktive Lizenzen, das kann ich auch für meinen Konzern im Markenartikelgeschäft bestätigen. Der Abzug fiktiver Lizenzen ist ein Riesenthema, auch gerade in den zu Recht erwähnten Regionen der Welt, in denen wir wachsen wollen, in denen die Musik 145
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
spielt, ob in Asien oder Süd-Amerika. Wenn man dort in der Abzugsfähigkeit von Lizenzen Probleme bekommt, wird es richtig schwierig und teuer. Sie sagten, Sie wollten sich um die Begrifflichkeiten kümmern. Bei der Frage, was dann am Ende Vermögenswerte sind, bin ich sehr gespannt, wie die Regelungen aussehen sollen. Ich glaube, da werden wir unter Umständen einen Regelungswust bekommen und am Ende auch nicht besser dastehen, als wenn Sie den Begriff so lassen, wie er jetzt hier steht. Hier droht ein riesiges Auseinandersetzungsthema in der Betriebsprüfung. Das hat Herr Ditz sehr eindringlich und sehr praxisorientiert dargestellt. Ich will daher nicht wiederholen, wo die Probleme in der Praxis liegen. Da ist richtig Sprengstoff für die Betriebsprüfung, weil beide Seiten am Ende ziemlich alleingelassen sind. Prof. Dr. Lüdicke Sie haben durch Ihre einleitenden Worte fast den Eindruck erweckt, als ob der AOA einfach dem Business folgt, etwa wenn Lizenzen möglicherweise aus Controllingzwecken vereinbart werden. Bernhardt Ein Unterschied besteht! Prof. Dr. Lüdicke Ja, ja, der Unterschied ist natürlich, dass Sie in Ihrer wirklichen Bilanz das wieder herauskonsolidieren. Bernhardt Das ist ja genau der Punkt. Prof. Dr. Lüdicke Steuerlich führt es hingegen zu einer vorgezogenen Besteuerung in einem Staat, während in dem anderen Staat der entsprechende Aufwand im Zweifel erst später kommt über Abschreibungen oder verminderte Veräußerungsgewinne. Bernhardt Ja, völlig richtig. Um nicht missverstanden zu werden, ich kam einfach nur von dem Gedanken, was passiert eigentlich im Unternehmen. Als 146
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
Steuerabteilung müssen Sie den übrigen Funktionen klarmachen, woher eigentlich die Komplexität kommt. In Entstrickungstatbeständen denkt da natürlich niemand. Controller denken in Kostenverrechnung. Dr. Ditz Dazu noch folgende Anmerkung. Ich sehe das Hauptproblem in der Zuordnung der immateriellen Wirtschaftsgüter nach dem Kriterium der Significant People Functions. Ich gebe Ihnen natürlich Recht, in Unternehmen gibt es die Kostenstellenrechnung, Profit Center Rechnung usw. Die fiktive Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu Betriebsstätten ist allerdings ein Thema, das in der unternehmerischen Praxis im Controlling, im Reporting keine Rolle spielt. Ein praktisches Beispiel mit Sprengstoff in den Betriebsprüfungen ist das folgende: Ein Geschäftsführer arbeitet im inländischen Stammhaus, ist öfters in der Betriebsstätte in Frankreich und weist dort die Mitarbeiter ein und sieht nach dem Rechten. Welchem Unternehmensteil ist in diesem Fall die Significant People Function dieses Geschäftsführers zuzuordnen? Gehört er zum deutschen Stammhaus oder gehört er zur Betriebsstätte? Gerade das sind die Themen, über die in der Praxis monatelang, teilweise jahrelang mit den Betriebsprüfern diskutiert wird. Hier sehe ich ein praktisches Hauptproblem des AOA. Prof. Dr. Lüdicke Ich würde sogar noch etwas vorher ansetzen und da ginge auch noch mal eine Frage an Sie, Herr Kreienbaum. Es gibt einerseits die Significant People Function, das haben wir jetzt alle dem OECD-Report entnommen, es gilt aber andererseits auch der Separate Entity Approach, d. h., an sich soll die Betriebsstätte wie ein selbstständiges Unternehmen behandelt werden. Wenn ich mit einem selbstständigen Unternehmen kontrahiere, auch im Konzern, kann ich mich sehr wohl entscheiden, ob ich ihm ein Wirtschaftsgut verkaufe oder ob ich ihm das in Lizenz überlasse. Das hat überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob die Leute, die näher dran sind, in der ursprünglichen Gesellschaft oder in der Zielgesellschaft tätig sind. Auf Significant People kommt es gar nicht an, sondern ich entscheide einfach, wie ich es zivilrechtlich haben will. Und das soll bei Betriebsstätten, wenn ich das richtig verstehe – wie Herr Gosch gerade [ohne Mikrofon] zu Recht bemerkt hat –, durch eine doppelte Fiktion ersetzt werden. Es wird nämlich erstens fingiert, dass diese Significant People jetzt sozusagen die Herrscher über die Wirt147
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schaftsgüter sind, was möglicherweise einen Transfer des Wirtschaftsgutes mit Gewinnrealisierung zur Folge hat, für den dann zweitens ein entsprechendes Dealing fingiert wird. Das ist eigentlich keine Gleichbehandlung, wenn ich bei unabhängigen Unternehmen auch genauso gut lizenzieren kann. Kreienbaum Das hängt mit dem Grundansatz zusammen. Ich will im Verhältnis Stammhaus zur Betriebstätte etwas ermitteln, was tatsächlich als schuldrechtliche Beziehung nicht vorhanden ist, was aber zwischen fremden dritten Unternehmen als schuldrechtliche Beziehung vorhanden wäre. Wenn Sie jetzt tatsächlich eine Preisbemessung innerhalb dieses Verhältnisses Stammhaus–Betriebsstätte vornehmen, dann entspricht das, was Sie mit Dritten vereinbart hätten, nicht zwingend Ihrer internen Rechnungslegung. Vielleicht hätten Sie dieses Geschäft mit Dritten gar nicht gemacht. Vielleicht hätten Sie Dritten gar nicht erlaubt, Ihre Marke zu nutzen. Deswegen ist ein neutraler Blick von außen, sozusagen unter der Fragestellung, wie hätten es Dritte untereinander vereinbart, aus meiner Sicht der richtige Ansatz. Prof. Dr. Lüdicke Ja, es ist unbestritten, dass der richtige Preis zum Schluss gefunden werden muss. Aber wie ersetzen Sie die Entscheidung des Kaufmanns, ob er verkauft oder lizenziert, die ich auch im Konzern selbst treffen kann? Die Entscheidung trifft nicht das Finanzamt für mich, die treffe ich und anschließend sagt das Finanzamt, du hast den richtigen oder falschen Preis genommen. Und diese Entscheidung wird mir hier jetzt weggenommen. Kreienbaum Aber zwischen Stammhaus und Betriebsstätte treffen Sie diese Entscheidung ja faktisch nicht, ob Sie verkaufen oder lizenzieren. Das genau ist doch der Punkt. Sie geben schlichtweg der Betriebsstätte die Möglichkeit, Ihr Patent, Ihr Verfahrensrecht, Ihre Marke zu nutzen. Und darauf aufbauend brauche ich einen Mechanismus, wie ich diesen Vorgang erfassen und bewerten will, und mein Ansatz ist, ihn so zu bewerten, wie er unter fremden Dritten bewertet worden wäre.
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Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
Dr. Ditz Herr Kreienbaum, gerade diese Differenzierung zwischen Überführung und Lizenzierung hat ganz erhebliche Folgen, weil bei der Überführung in einem Zuge alle stillen Reserven entstrickt, jedoch bei der Lizenzierung nur sukzessive eine „fiktive“ Lizenzgebühr vereinnahmt werden. Ich finde auch interessant, dass die OECD in dem Bereich fast alles zulässt. So ist es nach Auffassung der OECD möglich, das Wirtschaftsgut zu überführen, der ausländischen Betriebsstätte zur Nutzung zu überlassen („fiktive Lizenzierung“) oder sogar das Wirtschaftsgut anteilig dem Stammhaus und der Betriebsstätte zuzuordnen. D. h., letztendlich gibt es, was die Zuordnung von Wirtschaftsgütern betrifft, drei Alternativen und für die Praxis stellt sich die Frage, wie diese zu dokumentieren sind. Sind Sie damit einverstanden, dass für den Fall einer fiktiven Lizenzierung ein Dokument erstellt wird, wonach das inländische Stammhaus die Marke X fiktiv der ausländischen Betriebsstätte zur Nutzung überlässt? Ein schriftlicher Vertrag ist hier gerade nicht möglich, sodass ein fiktiver Vertrag – wie zwischen fremden Dritten – abzuschließen wäre. Wäre dies möglich? Ansonsten sehe ich die Frage der Abgrenzung, ob eine Überführung oder eine (fiktive) Lizenzierung vorliegt. Das ist für mich auch gar keinem Fremdvergleich zugänglich. Zwischen fremden Dritten können Sie verkaufen, Sie können aber auch zur Nutzung überlassen. Sie können auch einen Forschungspool bilden. Und was die Vertragsparteien dann machen, ist letztendlich Vertragsfreiheit, wie zwischen verbundenen Unternehmen ja auch. Nur wie dokumentiere ich das bei der Betriebsstätte? Hier wäre ich sehr dankbar, wenn die Rechtsverordnung praktische Linien vorgeben würde. Kreienbaum Ich will gern noch einmal verweisen, dass wir solche Fragen möglichst in der Rechtsverordnung und im BMF-Schreiben ansprechen und lösen wollen. Aber ich möchte dennoch, auch wenn ich nicht allzu sehr ins Detail gehen will, das so sagen: In der Frage, ob ich eine Lizenz verkaufe oder zur Nutzung überlasse, gibt es natürlich auch objektive Kriterien, aus denen ich ermitteln kann, ob ein fremder Dritter in diesem konkreten Fall vielleicht exklusiv seiner Betriebsstätte das Recht gibt, auf Dauer eine bestimmte Marke zu nutzen, oder er der Betriebsstätte nur erlaubt, bis auf Weiteres und nicht exklusiv diese Marke zu nutzen. Und das liefert ein Indiz dafür, ob ein fremder Dritter in diesem Fall, mit diesem Bestreben, die Marke verkauft oder auf Zeit zur Nutzung 149
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überlassen hätte. Ich meine schon, dass man Hilfskriterien entwickeln kann, die Antworten auf diese Fragen bringen. Diese Fragen wollen wir mit dem BMF-Schreiben lösen. Prof. Dr. Lüdicke Ein weiterer Punkt: Eine Verlustrealisation wird ja durch ein Dealing im Regelfall nicht eintreten können, weil vorher schon das Niederstwertprinzip gilt. Wir werden im Regelfall nur über Gewinnrealisation reden, d. h. Vorziehen von Besteuerung im Einheitsunternehmen. Auch in dem OECD-Bericht wird relativ deutlich gesagt, dass das die Konsequenz ist. Auf der anderen Seite geht diese Frage die OECD gewissermaßen nichts an, weil nämlich die Frage, wie Gewinne ermittelt werden, nationales Recht ist. Das hat an sich gar nichts mit dem OECD-MA und dem Artikel 7 zu tun. Warum besteht der Gesetzgeber bzw. das BMF darauf, grundsätzlich sofort zu realisieren? Was bedeutet der etwas eigenartig formulierte Satz 6 des § 1 Abs. 5 AStG, der sich auf § 4g EStG bezieht und dessen Reichweite niemand so richtig versteht? Warum lässt man nicht im Anschluss an die Rechtsprechung des ersten Senats zu, dass der Gewinn irgendwann im Inland versteuert wird? Aber irgendwann heißt eben möglicherweise auch erst im zweiten oder dritten oder vierten Folgejahr. Kreienbaum Gut, es ist letztendlich auch eine Wertentscheidung des Gesetzgebers, das so oder so zu machen. Wir müssen sehen, dass wir jetzt nur für Zwecke der Gewinnermittlung die Abgrenzung vornehmen. Prof. Dr. Lüdicke Aber schon für den Zweck, dass dann auch sofort Steuern fließen? Kreienbaum Ja. Prof. Dr. Lüdicke Aber es ist letztlich eine Belastung, das muss man, glaube ich, klar sehen. Was ist im umgekehrten Fall, wenn das Wirtschaftsgut ins Inland kommt?
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Kreienbaum Das sagt man ja von vielen Steuern, dass sie eine Belastung sind. Prof. Dr. Lüdicke Die Frage ist nur immer, ob sie in sich systematisch, symmetrisch und fair sind. Prof. Dr. Gosch Es ist schon vieles gesagt und ich will nur noch ergänzen: Wenn das alles denn so Gesetz wird wie geplant, und das scheint ja so zu sein, dann, Herr Kreienbaum, frage ich mich schon, ob es tatsächlich der Gesetzgeber war, dem das eingefallen ist. Vermutlich hatte er administrative Einflüsterer. Aber, wie dem auch sei: erstes Stichwort „Geschäftsbeziehung“. Der Begriff soll jetzt gewissermaßen raumgreifend, nicht nur für die Situation des AOA, modifiziert werden, weg vom bisherigen Schuldrechtlichen hin zum Gesellschaftsrechtlichen, Form over Substance wird zum Substance over Form. Die Prüfung geht also als Vorstufe zum eigentlichen Preisfremdvergleich dahin, ob sich ein fremder Dritter auf eine gesellschaftsrechtliche oder auf eine schuldrechtliche Vereinbarung eingelassen hätte. Ich frage mich, ob eine solche Überlegung sich nicht beißt mit einer „alten“ und eingefahrenen Rechtsprechung auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich dem Verhältnis zwischen Trägerkörperschaften und deren Betrieben gewerblicher Art. Auch dort sind Pro-forma-Verträge, fiktive Verträge, sehr wohl bekannt und niemand fragt auf einer Vorstufe danach, ob der eine oder der andere der Vertragsbeteiligten sich auf einen derartigen Vertrag eingelassen hätte. Letztlich arbeitet man hier im Fiktiven, was die Vereinbarung anbelangt; irgendeine Vorüberlegung dazu gibt es, soweit ich das auf die Schnelle einschätze, nicht. Eine solche Vorstufe verlangt, wenn ich das richtig verstehe, auch der AOA nicht. Weshalb soll eine solche dann aber im Rahmen der Umsetzung des AOA in nationales Recht in Deutschland geschaffen werden? Kollidiert ein derartiger gedanklicher VorFremdvergleich nicht auch mit den abkommensrechtlich vereinbarten Vorgaben, wie sie in Art. 9 Abs. 2 OECD-MA angelegt sind? Denn auch danach geht es allein um die kaufmännischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die dem Fremdvergleich, dem Dealing-at-arm’s-length im Rahmen der Preisbestimmung unterworfen werden. Mehr wird nicht verlangt und mehr kann denn auch nicht verlangt werden. Die Vergleichsvorstufe, wie sie jetzt angedacht ist, könnte also einer entspre151
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
chenden abkommensrechtlichen Sperrwirkung ausgesetzt sein. Darüber wird nachzudenken sein. Das gilt, Herr Ditz hat es gesagt, auch für den Betriebsstättenbegriff. Wir wissen im Augenblick noch nicht genau, wo in der OECD die Reise hingeht. Ich denke an die Dienstleistungsbetriebstätte, auch die Subunternehmerbetriebstätte, die ja kürzlich auch schon Gegenstand einer BFH-Entscheidung gewesen ist, nämlich des Urteils vom 24.8.2011.2 Eine ausgelagerte Managementfunktion durch eine Fremdgesellschaft kann durchaus eine Betriebsstätte des Auftraggebers darstellen, vorausgesetzt, der Auftragnehmer wird durch den Auftraggeber „geführt“. Aber es verbleiben natürlich viele und bislang nicht geklärte Ungewissheiten. Auch das Verhältnis zur Entstrickung scheint mir noch nicht völlig ausgelotet zu sein. Das betrifft § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ebenso wie § 12 Abs. 1 KStG. Diese Vorschriften sind geschaffen worden, um im Gesetz eine Rechtsgrundlage für die sog. finale Entnahme von Wirtschaftsgütern zu schaffen. Zeitlich kollidierten diese Neuregelungen eher zufällig mit den einschlägigen Entscheidungen des BFH, durch welche die bisher rechtsgrundlos gehandhabte Theorie der finalen Entnahme aufgegeben worden ist. Bei den Neuregelungen handelt es sich also nicht um reparierende, rechtsprechungsbrechende Vorschriften. Hätte man die Entscheidung des BFH beizeiten gekannt, wären die Voraussetzungen der Neuregelungen womöglich anders gefasst, als dies dann letztlich geschehen ist. Denn das Gesetz verlangt den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Diese Erfordernisse orientieren sich begrifflich an der Freistellungs- und der Anrechnungsmethode. Folgt man dem BFH, hat man es vor diesem Hintergrund aber gerade nicht mit einem solchen Ausschluss oder einer solchen Beschränkung zu tun. Und wenn wir es damit nicht zu tun haben, dann mangelt es unbeschadet der Nachbesserung in Satz 4 des § 4 Abs. 1 EStG aus meiner Sicht durchaus am Tatbestand für eine Entstrickung. Und zu den beiden Beispielen, die Sie, Herr Ditz, gebracht haben: Fiktive Betriebsausgaben, meine ich, bedürfen in der Tat wohl einer regulativen Grundlage, ob dann für den Geldabgang als solchen schon der bloße Buchungsvorgang ausreicht, erscheint mir als eher zweifelhaft. Es fehlt an dem notwendigen tatsächlichen Vorgang. Und die Möglichkeit, dies über _____________ 2 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFH/NV 2011, 2165 = FR 2012, 39.
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Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
den Unternehmensgewinn nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA laufen zu lassen, dürfte für eine innerstaatliche Vorschrift zu kurz greifen. Das gilt dann letztlich auch für das zweite Beispiel zum fiktiven Veräußerungsgewinn gemäß § 8b Abs. 2 KStG. Auch im Hinblick darauf muss der Tatbestand mit Gewissheit nachgebessert werden. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, Sie können auch gern zum Betriebsstättenbegriff noch etwas sagen. Kreienbaum Ich würde gern zum Betriebsstättenbegriff sagen – die meisten von Ihnen im Saal werden es wissen –, dass sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene sehr stark gegen Erweiterungstendenzen beim Betriebsstättenbegriff einsetzt. Wir sind da ziemlich allein, vielleicht mit unseren österreichischen Kollegen, und sind häufig auch auf Unterstützung aus der Wirtschaft angewiesen. Die Verbände unterstützen uns zum großen Teil, setzen sich auf OECD-Ebene gegenüber dem Steuerausschuss auch dafür ein, bringen Argumente gegen eine zu starke Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs. Und wir haben, wenn der Betriebsstättenbegriff weiter ausgeweitet wird, seit einigen Jahren das Problem, dass die Diskrepanz zwischen unserem nationalem Verständnis, dem AO-Verständnis der Betriebsstätte, und dem internationalen Verständnis oder abkommensrechtlichen Verständnis größer wird. Prof. Dr. Lüdicke Herr Ditz, Ihr Schlusswort. Dr. Ditz Ich meine, man kann dem Gesetzgeber keinen Vorwurf machen, dass er dieses Thema aufgreift und ein abkommensrechtlich vorgesehenes Besteuerungsrecht (zumindest nach Art. 7 OECD-MA 2010) innerstaatlich ausfüllt. Allerdings hat die Diskussion eindringlich gezeigt, dass der AOA in § 1 AStG völlig fehl platziert ist. Das ist das eine und das andere, was damit auch in einem unmittelbaren Zusammenhang steht: Im umgekehrten Fall, wenn es darum geht, nach dem AOA inländische Einkünfteminderungen zuzulassen, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber den AOA nur einseitig zugunsten der 153
Podiumsdiskussion: Umsetzung des AOA in deutsches Steuerrecht
deutschen Finanzverwaltung in § 1 AStG implementiert, den AOA zugunsten des Steuerpflichtigen dann aber nicht anerkennen will. Dies ist unfair, da der AOA damit nicht in beide Richtungen wirkt und damit Doppelbesteuerungen unmittelbar auf der Hand liegen. Stattdessen hätte der AOA korrespondierend zugunsten und zulasten der deutschen Finanzverwaltung in eine originäre Gewinnermittlungsvorschrift implementiert werden müssen.
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Abwehr von Treaty Shopping – § 50d Abs. 3 EStG und DBA-Klauseln Prof. Dr. Jens Blumenberg Steuerberater Linklaters LLP, Frankfurt a. M./Georg-August-Universität Göttingen
Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Abwehr nach nationalem Recht (§ 50d Abs. 3 EStG) . . . . . . . . . . . 156 I. Hintergrund und Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Ausgangsfall . . . . . . . . . . . . 156 2. Gesetzgeberische Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG a. F. . . . . . . 160 III. Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG n. F. . . . . . . 162 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . 162 2. Sachliche Entlastungsberechtigung . . . . . . . . . . . . 162 a) Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit . . . . 162 aa) Eigene Wirtschaftstätigkeit . . . . . . . . . . 163 bb) Maßgebender Zeitraum für Ertragsermittlung . . . . . . . . 164 cc) „Aufteilungsmethode“ statt „Alles-odernichts“-Regelung . . . 164
b) Beachtliche Gründe und angemessener Geschäftsbetrieb . . . . . . . aa) Wirtschaftliche und sonst beachtliche Gründe für Einschaltung . . . . . . . . . . . . . . bb) Teilnahme am Wirtschaftsverkehr mit angemessenem Geschäftsbetrieb . . . . . . c) Alternativverhältnis der sachlichen Entlastungsberechtigungen . . . . . . . . 3. Persönliche Entlastungsberechtigung . . . . . . . . . . . . 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . C. Abwehr nach DBA . . . . . . . . . . . . I. Abwehrmaßnahmen nach DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die Abkommenspraxis . . . . . . . . . . . . . . . III. DBA Niederlande (2012) . . . . . IV. DBA Großbritannien (2010) . . V. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . .
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168 168 170 172 173 175 176 178 179
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
A. Einleitung Maßnahmen zur Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme steuerlicher Entlastungen (insbesondere solche im Bereich der Quellensteuern) sind sowohl im nationalen Steuerrecht als auch in den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) anzutreffen. 155
Blumenberg – Abwehr von Treaty Shopping
Für das missbräuchliche „Einkaufen“ in den Anwendungsbereich von DBA hat sich der Begriff des „Treaty Shopping“ eingebürgert, das „Einkaufen“ in den Anwendungsbereich von EU-Richtlinien (insbesondere die Mutter-Tochter-Richtlinie1, „MT-RL“) ist unter dem Begriff des „Directive Shopping“ geläufig. Die entsprechenden gesetzgeberischen Abwehrmaßnahmen finden sich auf Ebene des nationalen Rechts insbesondere in Gestalt des § 50d Abs. 3 EStG und auf Ebene des internationalen Rechts durch Vereinbarung von Anti-Treaty-Shopping-Klauseln in DBA. Im folgenden Beitrag soll zum einen die ab 2012 neugefasste Regelung des § 50d Abs. 3 EStG analysiert und mit der Vorgängerregelung verglichen werden. Zum anderen werden die in DBA verbreitetsten AntiTreaty-Shopping-Klauseln kurz beschrieben und systematisiert sowie anschließend Beispiele aus der jüngeren deutschen Abkommenspraxis gegeben. Eine kritische Würdigung beider Typen von Abwehrmaßnahmen sowie ein kurzer Ausblick auf deren Bestand und Bewährung in der Praxis schließen den Beitrag ab.
B. Abwehr nach nationalem Recht (§ 50d Abs. 3 EStG) I. Hintergrund und Rechtsentwicklung 1. Ausgangsfall Der Hintergrund, vor dem die nationale Anti-Treaty- bzw. Anti-Directive-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG zu sehen ist, soll anhand des nachfolgenden Beispielsfalls 1 kurz illustriert werden: Beispiel 1: Die in Brasilien ansässige A-SA will sich zu je 10 % an der deutschen D-GmbH und an der deutschen D-AG beteiligen. Es werden pro Kalenderjahr jeweils 50 als Bruttodividende von D-GmbH und D-AG erwartet.
_____________ 1 Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG L 225 v. 20.8.1990, 6; letztmalig neu gefasst durch Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011, ABl. EU L 345 v. 29.12.2011, 8.
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Blumenberg – Abwehr von Treaty Shopping
Direktes Halten durch A-SA: Da zwischen Deutschland und Brasilien kein Doppelbesteuerungsabkommen (mehr) existiert2 und die A-SA auch nicht dem Anwendungsbereich der MT-RL unterfällt, würde Deutschland auf die Dividenden an die A-SA grds. 25 % Quellensteuer einbehalten (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Der Einbehalt wäre aber gemäß § 44a Abs. 9 EStG im Grundsatz auf 15 % reduziert bzw. reduzierbar. In Brasilien unterlägen die Dividendeneinkünfte der brasilianischen Körperschaftsteuer in Höhe von 34 %. Nach deutschen und brasilianischen Steuern würde damit der A-SA unter Annahme einer vollen Quellensteueranrechnung in Basilien ein Betrag von 66 verbleiben (100 ./. 15 ./. (100 x 0,34) + 15). Indirektes Halten über A-Holding-GmbH: Um die Gesamtsteuer- und deutsche Quellensteuerbelastung zu verringern, könnte die A-SA als Alleingesellschafterin eine österreichische A-Holding-GmbH gründen. Diese würde wiederum die Beteiligungen an der D-GmbH und der D-AG erwerben. In diesem Fall würden sich auf den verschiedenen Ebenen folgende Steuerfolgen ergeben: – Die Dividenden der D-GmbH und D-AG würden nicht mehr einer Quellensteuer von 15 %, sondern nach dem Art. 10 Abs. 2 Satz 1 _____________ 2 Das DBA Deutschland–Brasilien wurde am 7.4.2005 durch die deutsche Bundesregierung gekündigt und ist zum 1.1.2006 außer Kraft getreten, vgl. www. bundesfinanzministerium.de unter Themen / Steuern / Internationales Steuerrecht / Staatenbezogene Informationen / Brasilien (zuletzt abgerufen am 4.1.2013).
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Blumenberg – Abwehr von Treaty Shopping
lit. b DBA Deutschland–Österreich einer Quellensteuer von 5 % unterliegen bzw. die Quellensteuer dürfte nach der MT-RL grds. nicht erhoben werden. – Auf Ebene der A-Holding-GmbH wären die Dividenden nach nationalen Vorschriften in Verbindung mit der MT-RL steuerbefreit. Die Weiterausschüttung der Dividendenerträge unterläge in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 2 DBA Österreich–Brasilien3 einer Quellensteuer in Höhe von 15 % in Österreich. – Schließlich sind auf Ebene der A-SA die (weiter-)ausgeschütteten Dividenden der A-Holding-GmbH gem. Art. 23 Abs. 2 DBA Österreich–Brasilien in Brasilien von der Körperschaftsteuer befreit. Dementsprechend besteht auch kein Anspruch auf eine Anrechnung der österreichischen Quellensteuer in Brasilien. Nach deutschen, österreichischen und brasilianischen Steuern würde damit der A-SA ein Betrag von 85 verbleiben (100 ./. 0 ./. 0 ./. 15 + 0). Im Ergebnis könnte daher durch Einschaltung der A-Holding-GmbH zum einen die deutsche Quellensteuervorbelastung von 15 % auf 0 % abgesenkt werden (mittels Erstattung oder Freistellung gemäß § 50d Abs. 1 bzw. 2 EStG4) und zum anderen würde auch die Gesamtsteuerbelastung durch die Freistellung in Brasilien reduziert. Allerdings steht die Quellensteuerentlastung unter dem Vorbehalt der sog. Anti-Treatyund Anti-Directive-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG. Wie noch gezeigt wird, stellt diese erhebliche Anforderungen an eine solche Entlastung. 2. Gesetzgeberische Aktivitäten Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Aktivitäten zur Eindämmung des Treaty Shopping war die Rechtsprechung des BFH5, nach der § 42 AO a. F. auf die steuerlich motivierte Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften grds. keine Anwendung fand.6
_____________ 3 ÖBGBl. 431/1976, abrufbar unter www.bmf.gv.at unter Themen A–Z / Doppelbesteuerungsabkommen (zuletzt abgerufen am 4.1.2013). 4 Entsprechendes gilt für die Quellensteuerentlastung im Hinblick auf Zinsen und insbesondere Lizenzgebühren nach § 50g EStG. 5 Vgl. BFH v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150 – „Monaco-Rechtsprechung“ (seit BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235 [teilweise] aufgegeben). 6 Vgl. hierzu Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80.
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Um als missbräuchlich empfundene Steuergestaltungen einzuschränken, hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts 19947 mit § 50d Abs. 1a EStG a. F. erstmals eine spezielle Anti-Treaty-Shopping bzw. Anti-Directive-Shopping-Vorschrift geschaffen. Im Laufe der Jahre hat diese Vorschrift mehrere Änderungen erfahren. Sie war auch von Anfang an unionsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.8 Mit dem sog. „Hilversum II“-Urteil vom 31.5.2005 hat der BFH dann die Anforderungen des § 50d Abs. 1a EStG a. F. einschränkend ausgelegt und damit die Voraussetzungen für eine Reduktion der deutschen Quellensteuer erheblich herabgesetzt.9 Im Jahressteuergesetz 200710 hat der Gesetzgeber auf diese Rechtsprechung dadurch reagiert, dass er § 50d Abs. 1a EStG a. F. durch § 50d Abs. 3 EStG a. F. ersetzt hat. Er hat damit die Voraussetzungen für eine Reduktion der deutschen Quellensteuer wiederum erheblich angehoben (s. unter Ziffer II.). Auch die Neuregelung begegnete wieder von Anfang an unionsrechtlichen Bedenken.11 Die EU-Kommission hat sich diese Bedenken zu eigen gemacht und im Jahr 2010 ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet.12 Vor diesem Hintergrund hat sich der Gesetzgeber Ende 2011 im Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften13 veranlasst gesehen, § 50d Abs. 3 EStG zu ändern.14 Zeitnah zum Inkrafttreten des § 50d Abs. 3 EStG n. F. hat das BMF mit _____________ 7 Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG, BStBl. I 1994, 50 (58). 8 Vgl. etwa Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2161 f.); Ritzer/Stangl, FR 2005, 1063 (1067); Bron, DB 2007, 1273 (1275); weniger streng Musil, RIW 2006, 287 (293). 9 BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118. 10 BGBl. I 2006, 2878. 11 Vgl. Grotherr, IStR 2006, 361 (364); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); Kempf/ Meyer, DStZ 2007, 584 (589). 12 Vgl. das unter Az. 2007/4435 geführte Vertragsverletzungsverfahren der Kommission sowie deren Mitteilung v. 18.3.2010 (IP/10/298). Das Vertragsverletzungsverfahren wurde am 27.9.2012 (nach erfolgter Neuregelung) eingestellt, vgl. http:// ec.europa.eu/index_de.htm unter Abteilungen (Generaldirektionen) und Dienststellen / Steuern und Zollunion (TAXUD) / Vertragsverletzungen / Vertragsverletzungsverfahren nach Ländern / Deutschland (zuletzt abgerufen am 4.1.2013). 13 Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG) v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592. 14 Vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 50d Rz. 45; Birker, BB 2012, 1961.
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Schreiben vom 24.1.201215 („§ 50d Abs. 3 EStG-Schreiben“) zur Anwendung der Neuregelung Stellung genommen (s. unter Ziffer III.). II. Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG a. F. Der bis zum 31.12.201116 geltende § 50d Abs. 3 EStG a. F.17 lautete in Satz 1 wie folgt: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Abs. 1 oder Abs. 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und 1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder 3. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Maßgebend … [Sätze 2–4]“
Hiernach kam eine Quellensteuerentlastung konzeptionell nur bei Vorliegen der sog. persönlichen und der sog. sachlichen Entlastungsberechtigung infrage: – Persönliche Entlastungsberechtigung: Eine Quellensteuerentlastung der ausländischen Gesellschaft kam nur dann in Betracht, soweit ihren Gesellschaftern die Quellensteuerentlastung zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar selbst erzielen würden. – Sachliche Entlastungsberechtigung: Zusätzlich zur persönlichen Voraussetzung musste die ausländische Gesellschaft kumulativ die drei sachlichen Voraussetzungen in § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG a. F. erfüllen, namentlich – mehr als 10 % der Bruttoerträge der Gesellschaft mussten aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit stammen (10-%-Grenze),
_____________ 15 BStBl. I 2012, 171. 16 § 52 Abs. 1 EStG; vgl. auch Art. 2 Nr. 31 i. V. m. Art. 25 Abs. 1 des BeitrRLUmsG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592. 17 BGBl. I 2006, 2878.
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– die Gesellschaft musste in ihrem Sitzstaat am allgemeinen Verkehr über einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb teilnehmen, und – wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe mussten für die Einschaltung der Gesellschaft bestehen.18 Wegen der 10-%-Grenze hatte die Regelung eine „Alles-oder-nichts“Wirkung: Bei Überschreiten der 10-%-Grenze und Vorliegen der übrigen Voraussetzungen wurde eine vollständige Entlastung gewährt, unabhängig von der tatsächlichen Quote der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit. Hingegen wurde die Quellensteuerentlastung komplett versagt, wenn die 10-%-Grenze nicht überschritten war, selbst wenn die übrigen Anforderungen erfüllt waren.19 Genau die 10-%-Grenze war auch dafür verantwortlich, dass die Regelung von der EU-Kommission angegriffen wurde:20 Zum einen war sie im praktisch wichtigen Anwendungsfall von Holdinggesellschaften der Natur der Sache nach nur schwer zu erfüllen und stellte daher wohl von vornherein kein geeignetes Beurteilungskriterium dar.21 Zum anderen sah sie gerade keine Gegenbeweismöglichkeit dahingehend vor, dass die gewählte Gestaltung im Einzelfall keine missbräuchlichen Ziele verfolgt.22 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH23 stellen aber typisierende Missbrauchsbekämpfungsregeln unverhältnismäßige Beschränkungen der unionsrechtlichen Grundfreiheiten dar, wenn sie keinen Gegenbeweis zulassen. Bereits nach § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG a. F. galt eine Bereichsausnahme für bestimmte börsennotierte ausländische Gesellschaften und für solche, auf die das Investmentsteuergesetz Anwendung fand. Auf diese waren die Sätze 1 bis 3 des § 50d Abs. 3 EStG a. F. nicht anwendbar, sodass eine Quellensteuerentlastung unabhängig von der persönlichen und sachlichen Entlastungsberechtigung der Gesellschaft möglich war. _____________ 18 Vgl. Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80 (81); Richter, BB 2012, 1643 (1644). 19 Vgl. hierzu BT-Drucks. 17/7524, 14 („Umqualifikationsklausel“); vgl. auch Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). 20 Vgl. hierzu Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (975); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (589). 21 Vgl. Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80 (81). 22 Vgl. Mitteilung der Kommission v. 18.3.2010 (IP/10/298). 23 Vgl. EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-11779; v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409; v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995.
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III. Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG n. F. § 50d Abs. 3 EStG n. F. weist nunmehr folgenden Wortlaut auf: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Abs. 1 oder Abs. 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie 1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Maßgebend … [Sätze 2–5]“24
1. Grundsätzliches Bezüglich der Neuregelung ist zunächst festzustellen, dass sie weiterhin zwischen der sachlichen und der persönlichen Entlastungsberechtigung trennt. Auch die Bereichsausnahme für Börsenhandels- und Investmentgesellschaften blieb erhalten. Statt in § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG a. F. ist sie nunmehr in § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG n. F. geregelt. Wesentlicher Unterschied zwischen Alt- und Neufassung ist aber, dass die von der EU-Kommission inkriminierte „Alles-oder-nichts“-Regelung der 10-%-Grenze durch die Regelung einer quotalen Quellensteuerentlastung ersetzt wurde. Hierauf, auf weitere Änderung der sachlichen und persönlichen Entlastungsberechtigung und auf das Verhältnis der Kriterien untereinander wird nachfolgend eingegangen. Ausgangspunkt der Darstellung bildet dabei die von der Finanzverwaltung im § 50d Abs. 3 EStG-Schreiben verlautbarte Rechtsauffassung. 2. Sachliche Entlastungsberechtigung a) Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG n. F. gewährt einen Anspruch auf Quellensteuerentlastung nur insoweit, als die von der ausländischen Gesellschaft erzielten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen. _____________ 24 Hervorhebungen durch den Verfasser.
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aa) Eigene Wirtschaftstätigkeit Nach Tz. 5.1 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens setzen Bruttoerträge aus „eigener Wirtschaftstätigkeit“ eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus – eine „wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“. Zur weiteren Konkretisierung greift die Finanzverwaltung dann die vom EuGH in der Cadbury-Schweppes-Entscheidung25 aufgestellten Kriterien der aktiven, ständigen und nachhaltigen Teilnahme am Marktgeschehen im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auf. Ferner bezieht die Verwaltung folgende Tätigkeiten in den Kreis der eigenen Wirtschaftstätigkeit ein: – Funktionaler Zusammenhang und Wiederanlage: Zu den Bruttoerträgen aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit gehören auch Bruttoerträge, die mit solchen aus eigener Wirtschaftstätigkeit in wirtschaftlich funktionalem Zusammenhang stehen und Zinserträge, die aus der Anlage entlastungsberechtigter Gewinne stammen. – Konzerndienstleistungen: Zudem stellen Erträge aus Dienstleistungen gegenüber Konzerngesellschaften solche aus eigener Wirtschaftstätigkeit dar, wenn sie entgeltlich erbracht werden und die Abrechnung einem Fremdvergleich standhält.26 – Aktive Beteiligungsverwaltung: Hingegen ist das bloße Erwerben und Halten von Beteiligungen keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit; erforderlich hierfür ist vielmehr eine aktive Beteiligungsverwaltung. Gemäß Tz. 5.2 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens setzt dies voraus, dass Beteiligungen – d. h. mindestens zwei27 – von einigem Gewicht bestehen und die ausländische Gesellschaft gegenüber den Beteiligungsgesellschaften geschäftsleitende Funktionen28 wahrnimmt. Nach Tz. 5.4 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens setzt die eigene Wirtschaftstätigkeit schließlich auch voraus, dass diese von der ausländischen Gesellschaft selbst ausgeübt wird. Werden die wesentlichen Ge_____________ 25 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, Slg. 2006, I-07995. 26 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 5.1. 27 Zur Frage, ob beide Beteiligungen an inländischen Gesellschaften bestehen müssen, vgl. Dorfmueller, IStR 2012, 423 (424) m. w. N. 28 Nach Tz. 5.3 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens sind geschäftsleitende Funktionen solche, die durch Führungsentscheidungen ausgeübt werden und sich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und Bedeutung für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft auszeichnen.
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schäftstätigkeiten von Dritten im Namen und auf Rechnung der ausländischen Gesellschaft ausgeübt, fehlt es hingegen an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG n. F.29 bb) Maßgebender Zeitraum für Ertragsermittlung Bezüglich des Tatbestandsmerkmals des „betreffenden Wirtschaftsjahrs“, in dem die Bruttobeträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt werden müssen, unterscheidet Tz. 5 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens zwischen dem Erstattungsverfahren (§ 50d Abs. 1 EStG) und dem Freistellungsverfahren (§ 50d Abs. 2 EStG). Für Ersteres ist das Jahr des Ertragszuflusses und für Letzteres das Jahr der Antragstellung maßgeblich. Ferner ist im Fall, in dem bereits eine Freistellungsbescheinigung erteilt ist, das Entfallen der Voraussetzungen für die Freistellung gemäß Tz. 14 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens unverzüglich von der ausländischen Gesellschaft dem Bundeszentralamt für Steuern („BZSt“) anzuzeigen. Eine Ausnahme hiervon stellt die sog. de minimis-Regelung in Tz. 15 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens dar. Danach kann u. a. bei einer Verringerung des Verhältnisses der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit im Verhältnis zu den Gesamtbruttoerträgen der Gesellschaft um weniger als 30 % eine Anzeige an das BZSt unterbleiben; Gleiches gilt für eine nachträgliche Neuberechnung des prozentualen Anteils30 der entlastungsberechtigten Erträge der Gesellschaft. cc) „Aufteilungsmethode“ statt „Alles-oder-nichts“-Regelung Wesentliche Neuerung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. im Vergleich zur Altregelung stellt die „Aufteilungsmethode“ dar, d. h. die nunmehr bestehende Möglichkeit der anteiligen Aufteilung der Erträge der Gesellschaft in entlastungsberechtigte und nicht entlastungsberechtigte Erträge.31 Diese Aufteilungsmethode kann dabei sowohl zu einer Verbesserung als auch zu einer Verschlechterung gegenüber der Situation unter § 50d Abs. 3 EStG a. F. führen: _____________ 29 Diese Vorschrift richtet sich wiederum gegen die ständige Rechtsprechung des BFH, der Outsourcing grds. anerkennt, vgl. zuletzt BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249 m. w. N. 30 Vgl. hierzu Gliederungsebene cc). 31 Vgl. BT-Drucks. 17/7524, 14 („Aufteilungsklausel“ statt „Umqualifikationsklausel“); Lüdicke, IStR 2012, 148 (149).
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– Eine Verbesserung besteht darin, dass eine zumindest anteilige Quellensteuerentlastung auch dann möglich ist, wenn die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit die alte 10-%-Grenze nicht überschreiten. – Eine Verschlechterung bewirkt die Neuregelung allerdings insoweit, als bei einer Quote der Bruttoerträge von mehr als 10 %, aber weniger als 100 % keine vollständige, sondern nur noch eine anteilige Entlastung möglich ist.32 Die Ermittlung der Entlastungsquote nach der Aufteilungsmethode ist komplex. Sie soll deshalb auf Basis der Finanzverwaltungsansicht am Beispielsfall 2, der auf Beispielsfall 1 aufbaut, veranschaulicht werden: Beispiel 2: Die A-Holding-GmbH hält neben ihren 10-prozentigen Beteiligungen an der D-GmbH und der D-AG, hinsichtlich deren Dividenden (50.000 Euro) bzw. Lizenzgebührenzahlungen (29.000 Euro) die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG n. F. erfüllt sind, eine fünfprozentige Beteiligung an der NL-BV, die sie jedoch nicht aktiv verwaltet. Aus der Beteiligung an der NL-BV erzielt sie eine Dividende von 20.000 Euro. Aus der Reinvestition von Dividenden der D-GmbH erzielt die A-Holding-GmbH zudem Zinserträge in Höhe von 1.000 Euro.
_____________ 32 Vgl. zum Ganzen Lüdicke, IStR 2012, 148 (151); Birker, BB 2012, 1961 (1964); Richter, BB 2012, 1643 (1647).
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Die anteilige Quellensteuerentlastung errechnet sich dann wie folgt: unschädliche Gewinnausschüttung der D-GmbH (aktive Beteiligungsverwaltung)
50.000
unschädliche Lizenzzahlung der D-AG (aktive Beteiligungsverwaltung)
29.000
schädliche Gewinnausschüttung der NL-BV
20.000
unschädliche Zinsen aus Reinvestition von Dividenden der D-GmbH Summe Bruttoerträge
1.000 100.000
davon schädliche Erträge
20.000
davon unschädliche Erträge
80.000
sachliche Entlastungsberechtigung
80 %
Vorliegend könnte die A-Holding-GmbH also jeweils nur in Höhe von 80 % eine (vollständige) Quellensteuerentlastung für die Dividendenzahlungen33 der D-GmbH und für die Lizenzgebührenzahlungen34 der D-AG erreichen. b) Beachtliche Gründe und angemessener Geschäftsbetrieb Stammen Bruttoerträge nicht aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, scheidet eine Quellensteuerentlastung nicht automatisch aus. Liegen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft vor und nimmt die Gesellschaft mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil, enthält § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG n. F. nämlich einen eigenständigen sachlichen Entlastungsgrund. aa) Wirtschaftliche und sonst beachtliche Gründe für Einschaltung Nach Ansicht der Finanzverwaltung35 kommen als wirtschaftlicher Grund insbesondere die geplante Aufnahme einer eigenen Wirtschaftstätigkeit und die darauf gerichteten Handlungen der Gesellschaft in_____________ 33 Vgl. § 43b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG i. V. m. Art. 5 MT-RL. 34 Nach Art. 12 Abs. 1 DBA Österreich können Lizenzgebührenzahlungen nur im Ansässigkeitsstaat des Lizenzgebers besteuert werden. 35 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 6.
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frage. Sonst beachtliche Gründe können laut Finanzverwaltung36 Gründe rechtlicher, politischer oder religiöser Natur sein. Weder wirtschaftlich noch sonst beachtliche Gründe sollen hingegen solche Gründe sein, die sich aus Verhältnissen eines Konzernverbunds ergeben, wie etwa solche der Koordination oder Organisation der Konzernaktivitäten, vgl. auch § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n. F.37 bb) Teilnahme am Wirtschaftsverkehr mit angemessenem Geschäftsbetrieb Im Hinblick auf die Beurteilung der Angemessenheit der Einrichtung des Geschäftsbetriebs greift die Finanzverwaltung38 auf die vom BFH39 entwickelten Kriterien (qualifiziertes Personal, Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel) und auf das vom EuGH40 aufgestellte Kriterium des „greifbaren Vorhandenseins“ zurück. Indizien für ein solches Vorhandensein sind nach Auffassung der Finanzverwaltung41 beispielsweise dann gegeben, wenn – die Gesellschaft neben geschäftsleitendem auch anderes Personal beschäftigt, – das Personal der Gesellschaft über die erforderlichen Qualitäten verfügt, um die Aufgaben der Gesellschaft eigenverantwortlich wahrzunehmen, oder – die Geschäfte zwischen nahestehenden Personen i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG einem Geschäft zwischen fremden Dritten entsprechen. Mit dem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb muss die ausländische Gesellschaft ferner am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Die Finanzverwaltung äußert sich zu diesem Kriterium nicht. Fraglich ist daher insbesondere, ob eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr eine (aktive) Leistungserbringung der Gesellschaft voraussetzt oder ob auch der (passive) Leistungsbezug durch die Gesellschaft ausreicht.42 _____________ 36 37 38 39
Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 6. Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 6. Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 7. Vgl. BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819 (822) (Personal, Geschäftsräume, Geschäftsausstattung). 40 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-07995. 41 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 7. 42 Vgl. hierzu Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 156 m. w. N. (Stand: November 2007).
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c) Alternativverhältnis der sachlichen Entlastungsberechtigungen Eine weitere Neuerung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. im Vergleich zur Altregelung stellt damit auch das Verhältnis dar, in welchem die verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen der sachlichen Entlastungsberechtigungen zueinander stehen. Während nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG a. F. die Voraussetzungen der 10-%-Grenze, der beachtlichen Gründe und des angemessenen Geschäftsbetriebs kumulativ erfüllt werden mussten, stehen die Tatbestandsvoraussetzungen der sachlichen Entlastungsberechtigungen „unschädliche Bruttoerträge“ und „beachtliche Gründe und angemessener Geschäftsbetrieb“43 nunmehr alternativ zueinander.44 Eine ausländische Gesellschaft kann also bereits dann von einer Quellensteuerentlastung profitieren, wenn und soweit sie entweder über unschädliche Bruttoerträge verfügt oder für ihre Einschaltung beachtliche Gründe bestehen und sie mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.45 3. Persönliche Entlastungsberechtigung Voraussetzung für eine Reduzierung des Anspruchs der ausländischen Gesellschaft nach den Bestimmungen eines DBA, § 43b Abs. 2, § 44a Abs. 9 oder § 50g EStG ist neben der oben dargestellten sachlichen Entlastungsberechtigung die sog. persönliche Entlastungsberechtigung. Diese kann unmittelbar oder mittelbar bestehen. Soweit die ausländische Gesellschaft selbst kumulativ zu ihrer eigenen persönlichen Entlastungsberechtigung auch eines der zuvor erörterten (alternativen) sachlichen Entlastungskriterien des § 50d Abs. 3 EStG n. F. erfüllt, kann die (anteilige) Entlastungsberechtigung nicht mehr aufgrund von § 50d Abs. 3 EStG n. F. versagt werden. Soweit die ausländische Gesellschaft jedoch nicht eine der Voraussetzungen der sachlichen Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 EStG n. F. erfüllt, ist auf die Verhältnisse bzw. die mittelbare Entlastungsberechtigung der Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft nach DBA, § 43b Abs. 2, § 44a Abs. 9 oder § 50g EStG jeweils wiederum unter Berücksichtigung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. abzustellen. _____________ 43 Die Entlastungsvoraussetzungen der beachtlichen Gründe und des angemessenen Geschäftsbetriebs waren unter § 50d Abs. 3 EStG a. F. in zwei kumulativ zu verwirklichenden Nummern enthalten, vgl. Richter, BB 2012, 1643 (1644); Birker, BB 2012, 1961 (1962). 44 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 1. 45 Vgl. Birker, BB 2012, 1961 (1962).
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Dabei ist die Entlastungsberechtigung für jeden Gesellschafter gesondert zu prüfen. Handelt es sich bei dem Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft wiederum um eine Gesellschaft, ist auf deren Entlastungsberechtigung abzustellen (sog. „Durchschauen bzw. Durchrechnen“).46 Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen wirkt sich dabei das Fehlen der persönlichen bzw. sachlichen Entlastungsberechtigungen unterschiedlich aus: – Fehlt es an der persönlichen Entlastungsberechtigung der Gesellschafterin der ausländischen Gesellschaft, schließt dies die Entlastungsberechtigung der hinter ihr stehenden Gesellschafter aus.47 Mit anderen Worten endet das „Durchschauen bzw. Durchrechnen“ auf Ebene der Gesellschaft, die nicht persönlich entlastungsberechtigt ist. – Fehlt es hingegen an der sachlichen Entlastungsberechtigung der Gesellschafterin der ausländischen Gesellschaft, kann zwar noch auf die sachliche Entlastungsberechtigung des dahinter stehenden Gesellschafters abgestellt werden. Die anteilige Nichtberechtigung des Gesellschafters auf der vorangehenden Stufe ist jedoch bei der Berechnung der letztlichen Entlastungsquote zu berücksichtigen. Die komplexe Ermittlung der Entlastungsquote mittels „Durchschauen bzw. Durchrechnen“ über mehrere Beteiligungsstufen soll nachfolgend anhand des unter Tz. 12 des § 50d Abs. 3 EStG-Schreibens48 veröffentlichten Beispielsfalls dargestellt werden: Beispiel 3: Zum Sachverhalt s. die Grafik auf S. 170. In diesem Fall ergibt sich für die Entlastungsberechtigung in Bezug auf die deutsche KapESt (25 %) Folgendes: sachliche Entlastungsberechtigung der A persönliche Entlastungsberechtigung Gesellschaft B: Gesellschafter D: börsennotierte AG: 50 % x 40 % x 70 % Gesellschaft C: 20 % x 60 % x 70 % x 4/5 Gesellschafter E + F: 100 % x 80 % x 60 % x 70 % x 2/5 Entlastung insgesamt
30,00 % 0,00 % 0,00 % 14,00 % 6,72 % 13,44 % 64,16 %
_____________ 46 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 4.2. 47 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 4.3. 48 Vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171 Tz. 12.
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4. Würdigung Die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. weist in mehrerer Hinsicht Schwachstellen auf: – Hohe Komplexität und Praxisferne: Zunächst ist die Regelung in sich unklar, um nicht zu sagen unverständlich. Vor allem in Fällen, in denen sich nicht nur die Bruttoerträge, sondern auch die Beteiligungsverhältnisse jährlich ändern, wird die Regelung bei mehrstufigen Beteiligungsverhältnissen, mit unterschiedlicher quotaler sachlicher Entlastungsberechtigung auf den verschiedenen Stufen, in der praktischen Anwendung durch Steuerpflichtige und die Finanzverwaltung schnell an ihre Grenzen stoßen.49 Möglicherweise müssen zukünftig auch grds. sinnvolle Konzernstrukturen geändert werden, um Nachteile durch § 50d Abs. 3 EStG n. F. zu vermeiden.50 _____________ 49 Vgl. Lüdicke, IStR 2012, 148 (150); Birker, BB 2012, 1961 (1964); vgl. hierzu auch (mit einem eigenen Berechnungsmodell) Loschelder in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 50d Rz. 47. 50 Vgl. Lüdicke, IStR 2012, 148 (150); Birker, BB 2012, 1961 (1964); Fischer/ Dorfmueller, Ubg 2012, 162 (168); Kraft/Gebhardt, DStZ 2012, 398 (407).
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– Konflikt von Regelungszweck und -technik: Bei § 50d Abs. 3 EStG handelt es sich weiterhin um eine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift. Konzeptionell sieht der § 50d Abs. 3 EStG n. F. nunmehr allerdings die Aufteilungsmethode vor. Dies impliziert, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit eines „quotalen“ oder „graduellen“ Missbrauchs51 ausgeht; ein Konzept, das dem deutschen Steuerrecht bislang fremd war. Die Möglichkeit eines quotalen Missbrauchs birgt wegen der fehlenden Zielgenauigkeit der Aufteilungsmethode zudem die Gefahr, dass es auch in Fällen nicht missbräuchlicher Gestaltungen zu teilweisen Entlastungsversagungen kommt. Zielgenauer wäre es, für die Bestimmung der Missbräuchlichkeit nicht auf die Verhältnisse der Gesellschaft im Ganzen abzustellen, sondern dies nur in Bezug auf die konkreten inländischen Einkünfte zu tun (also einen „per item income approach“ anzuwenden).52 – Fortbestehen der verfassungsrechtlichen Problematik: Auch hat die Neuregelung keine Klarheit in Bezug auf das Verhältnis der Norm zum Abkommensrecht gebracht. Nach wie vor ist mit der (wohl) h. M. davon auszugehen, dass § 50d Abs. 3 EStG n. F. einen sog. „Treaty Override“ darstellt.53 Wollte man dies ablehnen, müsste man § 50d Abs. 3 EStG n. F. als Ausformung des den DBA immanenten Missbrauchsvorbehalts ansehen.54 Jedenfalls wird ein Treaty Override auch weiterhin mit Sicherheit nur in Bezug auf solche DBA ausgeschlossen werden können, die eine dahingehende ausdrückliche Öffnungsklausel enthalten.55 Im Übrigen besteht die verfassungsrechtliche Problematik fort.56 – Fortbestehen der unionsrechtlichen Problematik: Letztlich wurden mit der Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. keineswegs die gegen die Altregelung vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken ausge_____________ 51 Vgl. zu diesen Begrifflichkeiten Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). 52 In diese Richtung auch Lüdicke, IStR 2012, 148 (149 f.). Das Konzept ist auch international nicht kompatibel und führt in Fällen, in denen der ausländische Ansässigkeitsstaat eine quotal verbleibende deutsche Quellensteuer nicht anrechnet, zu Doppelbesteuerungseffekten. 53 Vgl. Musil, FR 2012, 149 (150); Birker, BB 2012, 1961 (1965); differenzierend Lehner, IStR 2012, 389 (392); vgl. hierzu auch Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). 54 Vgl. zu solchen Ansätzen Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einleitung Rz. 198 m. w. N. 55 Vgl. zu Beispielen unten C.II. und III. 56 Vgl. zur Frage der grds. Verfassungsmäßigkeit von Treaty Overrides BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056 (Vorlagebeschluss an BVerfG – 2 BvL 1/12).
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räumt. Die durch § 50d Abs. 3 EStG bewirkte Beschränkung der Entlastung von der Quellensteuer, der in den Fällen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgeltende Wirkung zukommt, greift in unionsrechtliche Grundfreiheiten57 ein. Zwar stellt die Verhinderung von missbräuchlichen Steuergestaltungen einen grds. anerkannten Rechtfertigungsgrund dar.58 Jedoch ist die nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig ist, insbesondere nicht über das zur Erreichung der Missbrauchsverhinderung Erforderliche hinausgeht. Dementsprechend verlangt der EuGH59 bei typisierenden Missbrauchsvermeidungsvorschriften, dass dem Steuerpflichtigen eine Möglichkeit offensteht, die aufgestellte Missbrauchsvermutung zu entkräften.60 § 50d Abs. 3 EStG n. F. sieht aber gerade auch für den Fall, dass die betreffenden inländischen Einkünfte der ausländischen Gesellschaft aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit stammen, keine vollständige, sondern ggf. nur eine anteilige Entlastung vor, wenn die ausländische Gesellschaft über weitere schädliche Einkünfte verfügt.61 Zudem ist bedenklich, dass gem. § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n. F. im Hinblick auf die Beurteilung der Erfüllung der Voraussetzungen der sachlichen Entlastungsberechtigungen nur auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft selbst abgestellt werden darf, Konzernverhältnisse hingegen keine Berücksichtigung finden dürfen.62
C. Abwehr nach DBA Neben den Anti-Treaty-Shopping-Vorschriften des nationalen Rechts sehen DBA häufig selbst Regelungen vor, um ihre missbräuchliche Inanspruchnahme zu verhindern. _____________ 57 Ob die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) oder die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) betroffen ist, richtet sich nach der Beteiligungshöhe und dem Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft. Zu einem Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit durch den abgeltenden Quellensteuerabzug bei Streubesitzdividenden vgl. EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-284/09 – Kommission/Deutschland. 58 Vgl. Birker, BB 2012, 1961 (1965). 59 Vgl. EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-11779; v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409; v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995. 60 Im Ergebnis dürfen nur „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen“ erfasst werden. 61 Vgl. Kraft/Gebhardt, DStZ 2012, 398 (400); Birker, BB 2012, 1961 (1965). 62 Vgl. Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80 (82).
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I. Abwehrmaßnahmen nach DBA Im Einzelnen finden sich in DBA verschiedene Regelungen mit unterschiedlichen normativen Anknüpfungspunkten und unterschiedlichen Rechtsfolgen. Die Gebräuchlichsten lassen sich wie folgt kategorisieren: – „Limitation-on-Benefits“-Klauseln („LOB“), zu Deutsch „Schranken für die Abkommensvergünstigungen“63, stellen über die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen in einem Vertragsstaat hinaus zusätzliche Voraussetzungen auf, die Steuerpflichtige erfüllen müssen, um die Vergünstigungen des jeweiligen DBA in Anspruch nehmen zu können.64 Insbesondere für Kapitalgesellschaften werden hiernach Anforderungen (sog. „tests“) für ihre Abkommensberechtigung aufgestellt.65 – „Subject-to-tax“-Klauseln66 finden sich meist im Methodenartikel des jeweiligen DBA und machen die Gewährung von Abkommensvorteilen (insbesondere die Freistellung bestimmter Einkünfte) durch einen Vertragsstaat davon abhängig, dass die jeweiligen Einkünfte im anderen Vertragsstaat tatsächlich einer Besteuerung unterlegen haben. Wird das nach einem DBA dem einen Vertragsstaat zugewiesene Besteuerungsrecht von diesem tatsächlich nicht wahrgenommen, lebt das Besteuerungsrecht des anderen Vertragsstaats, der diese Einkünfte unter dem Vorbehalt der Besteuerung im anderen Vertragsstaat von seiner Besteuerung freistellt, wieder auf. Je nach der konkreten Ausgestaltung im jeweiligen DBA kann die „Subject-totax“-Klausel so ausgestaltet sein, dass das Besteuerungsrecht an den Quellenstaat zurückfällt, wenn der Ansässigkeitsstaat sein Besteuerungsrecht nicht wahrnimmt.67 Daneben findet sich auch die Ausgestaltung, dass das Besteuerungsrecht an den Ansässigkeitsstaat zurückfällt, wenn der Quellenstaat sein Besteuerungsrecht tatsächlich nicht wahrnimmt; hierfür hat sich auch der Begriff „Rückfallklausel“ eingebürgert.68 _____________ 63 Vgl. Art. 28 DBA USA. 64 Vgl. Schnittker, IStR 2012, 720. 65 Vgl. Art. 1 Tz. 20 OECD-MK (2008); Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 1 Rn. 122 ff. 66 Vgl. Art. 1 Tz. 15 OECD-MK (2008). 67 Vgl. Art. 1 Tz. 15 OECD-MK (2008) („Allgemeine Subject-to-tax-Klauseln“); Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 6–22 Rz. 19 und 31 f. 68 Vgl. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 6–22 Rz. 20 und 33 f.
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– „Switch-over“-Klauseln, die sich ebenfalls (meist) im Methodenartikel der jeweiligen DBA finden, bewirken, dass der Ansässigkeitsstaat in Bezug auf bestimmte Einkünfte von der eigentlich nach DBA vorgesehenen Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode übergeht.69 Voraussetzung für einen solchen Wechsel ist i. d. R. ein Qualifikations-70 oder Zurechnungskonflikt71, der zu einer doppelten Nichtbesteuerung (Stichwort „weiße Einkünfte“, z. B. bei hybriden Finanzierungsinstrumenten72) oder zu einer niedrigen Besteuerung führt.73 Zusätzlich kann Voraussetzung sein, dass die Vertragsstaaten zuvor erfolglos ein Verständigungsverfahren angestrengt haben oder der eine Vertragsstaat dem anderen den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode notifiziert.74 Teilweise finden sich in DBA auch „Switch-over“-Klauseln für den Fall des Vorliegens ausländischer passiver Einkünfte.75 – Klausel in Bezug auf das „Remittance-base“-Prinzip: Einen Sonderfall bildet das DBA mit Großbritannien für bestimmte Einkünfte, die nach dem „Remittance-base“-Prinzip besteuert werden.76 Die einschlägigen DBA-Bestimmungen stellen der Sache nach eine spezielle Art von „Rückfallklauseln“ dar.77 Danach werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen, die in einem Vertragsstaat nur in der Höhe steuerpflichtig sind, in der sie in diesen Vertragsstaat transferiert oder dort bezogen werden, vom anderen Vertragsstaat nur in Höhe des Teils von der Besteuerung freigestellt, der im ersten Vertragsstaat besteuert (mithin dort bezogen oder dorthin transferiert) wurde.78 Die Privilegierung nach dem jeweiligen DBA ist bei einer solchen Be_____________ 69 Vgl. Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 1 Rz. 136a. 70 Dies ist etwa der Fall, wenn dieselben Einkünfte in den Vertragsstaaten unterschiedlichen Abkommensbestimmungen zugeordnet werden, vgl. OFD Frankfurt v. 19.7.2006 – S 1301 A - 55 - St 58. 71 Ein Zurechnungskonflikt ist gegeben, wenn dieselben Einkünfte in den Vertragsstaaten unterschiedlichen Personen zugeordnet werden, vgl. OFD Frankfurt v. 19.7.2006 – S 1301 A - 55 - St 58. 72 Vgl. hierzu etwa Kaltenberg, IStR 2012, 837. 73 Vgl. Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 1 Rz. 136b. 74 Vgl. Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Art. 1 Rz. 136d; OFD Frankfurt v. 19.7.2006 – S 1301 A - 55 - St 58. 75 So etwa Art. 22 Abs. 1 lit. c DBA Niederlande (2012) (noch nicht in Kraft). 76 Vgl. allgemein hierzu BFH v. 22.2.2006 – I R 14/05, BStBl. II 2006, 743; und zum DBA Großbritannien (2010) Häuselmann, Ubg 2010, 347 (349 f.). 77 Vgl. Bisle, PIStB 2011, 261 (264) (zum DBA Großbritannien [2010]). 78 Vgl. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 6–22 Rz. 30.
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stimmung daher auf die Höhe der tatsächlich überführten oder bezogenen Mittel beschränkt.79 – Beneficial-ownership-Doktrin: Eine weitere Art von DBA-Bestimmungen, welche die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBAVergünstigungen verhindern sollen, stellen Klauseln dar, die der „Beneficial-ownership“-Doktrin folgen. Nach dieser soll etwa bei Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren nicht eine „künstlich“ dazwischengeschaltete Person bzw. Gesellschaft von der DBA-Begünstigung begünstigt werden, sondern nur der wahre „Nutzungsberechtigte“.80 Eine einheitliche Handhabung dieser Doktrin ist bislang zwar nicht ersichtlich.81 Jedoch kann verallgemeinernd gesagt werden, dass „Nutzungsberechtigter“ derjenige ist, der die wirtschaftliche Aktivität entfaltet hat, die der Zahlung zugrunde liegt. – Öffnungsklauseln: Schließlich finden sich in DBA auch Bestimmungen, die keinen eigenen Ansatz zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen verfolgen, sondern ausdrücklich den Anwendungsbereich nationaler Missbrauchsvermeidungsvorschriften eröffnen bzw. diese unberührt lassen.82 In diesen Fällen stellt sich die Frage nach einem Treaty Override durch nationale Missbrauchsverhinderungsvorschriften nicht.83 II. Überblick über die Abkommenspraxis Nachdem vorstehend die verbreitetsten Arten von DBA-Bestimmungen zur Verhinderung von Missbräuchen kategorisiert wurden, sollen anschließend einige Beispiele zu deren Verbreitung in der neueren Abkommenspraxis dargestellt werden. Die nachfolgende Tabelle gibt zunächst einen Überblick über die Verbreitung der o. g. Arten von DBA-Missbrauchsvorschriften in den neueren deutschen DBA (nicht abschließend):
_____________ 79 80 81 82
Vgl. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 6–22 Rz. 30. Vgl. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 10–12 Rz. 11 ff. Vgl. Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Vor Art. 10–12 Rz. 15b. Vgl. zu § 50d Abs. 3 EStG etwa Art. 23 DBA Niederlande (2012) und dessen Protokoll Nr. XV. 83 Vgl. zur Diskussion bei § 50d Abs. 3 EStG etwa Gosch, IStR 2008, 513 (515) (Treaty Override), und Lehner, IStR 2012, 389 (392) (kein [genereller] Treaty Override).
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Blumenberg – Abwehr von Treaty Shopping „Limitation-onBenefits“Klausel
„Subject-to- „Switchtax“-Klausel over“Klausel
Art. 28 DBA Art. 23 USA (2008) Abs. 1 lit. a DBA Großbritannien (2010)
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA Großbritannien (2010)
Art. 23 DBA Art. 22 Kuwait Abs. 1 lit. a (1999) DBA Niederlande (2012)
Art. 22 Abs. 1 lit. c DBA Niederlande (2012)
Art. 21 DBA VAE (2010)
Klausel im „Beneficial- ÖffnungsBezug auf ownership“- klausel „RemitDoktrin tance-base“Prinzip Art. 24 DBA Art. 10 Großbritan- Abs. 2, 11 nien (2010) Abs. 1 und 12 Abs. 1 DBA Großbritannien (2010)
Art. 23 DBA Niederlande (2012) i. V. m. dessen Protokoll Nr. XV.
Art. 23 Abs. 1 DBA Schweiz (2010) i. V. m. dessen Protokoll zu Art. 23 Art. 27 Abs. 1 DBA Luxemburg 2012 Art. 31 Abs. 4 lit. a DBA Liechtenstein (2011)
Schließlich ist hinsichtlich der internationalen Abkommenspraxis insbesondere auf die „Limitation-on-Benefits“-Klauseln des Art. 22 U.S. Model Income Tax Convention (2006) und der Tz. 20 OECD-MK (2008) zu Art. 1 des OECD-MA hinzuweisen. III. DBA Niederlande (2012) Das DBA Niederlande (2012), welches unter Geltung des § 50d Abs. 3 EStG n. F. abgeschlossen und ratifiziert wurde, enthält in Art. 23 in Verbindung mit Nr. XV. des Protokolls eine oben bereits angesprochene Öffnungsklausel;84 diese lautet (auszugsweise) wie folgt:
_____________ 84 Vgl. zu dieser Benz/Kroon, IStR 2012, 910 (912 ff.); Eilers, ISR 2012, 10 (11 f.); Gebhardt/Moser, IStR 2012, 607 (608).
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1) Dieses Abkommen ist nicht so auszulegen, als hindere es die Vertragsstaaten, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden. 2) Auf Antrag des Steuerpflichtigen konsultieren die zuständigen Behörden einander …, wenn die innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Sinne des Absatzes 1 zu einer Doppelbesteuerung führen …
In Protokoll Nr. XV. zu Art. 23 DBA Niederlande (2012) heißt es dann: 1) Auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland umfassen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften … im Wesentlichen § 42 AO, § 50d Abs. 3 EStG, und den vierten, fünften und siebten Teil des AStG in ihrer jeweils gültigen Fassung … 2) … (fraus legis). 3) Hält eine in den Niederlanden ansässige natürliche Person durch eine oder mehrere in den Niederlanden ansässige Gesellschaften Anteile an einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft, finden die in Art. 23 genannten deutschen Rechtsvorschriften keine Anwendung, wenn die deutsche Steuerverwaltung nicht nachweisen kann, dass es sich bei der Zwischenschaltung … um eine aus steuerlichen Gründen gewählte Gestaltung handelt. Die Zwischenschaltung ist nicht aus steuerlichen Gründen gewählt, wenn Einkünfte bei ihrer Ausschüttung an die natürliche Person in den Niederlanden besteuert werden. 4) Für Zwecke der Anwendung des deutschen Steuerrechts auf eine niederländische Gesellschaft … behandelt die Bundesrepublik Deutschland verbundene Unternehmen in den Niederlanden auf konsolidierter Basis. 5) …
Die o. g. Regelungen des DBA Niederlande (2012) bedeuten einerseits, dass § 50d Abs. 3 EStG n. F. im Verhältnis Deutschland–Niederlande keinen Treaty Override (mehr) darstellt. Interessanterweise schränkt der Absatz 4 des Protokolls Nr. XV. zu Art. 23 DBA Niederlande (2012) allerdings § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n. F. teilweise ein:85 Nach der nationalen Regelung sind im Rahmen der sachlichen Entlastungsberechtigungen nur die Verhältnisse bei der Gesellschaft selbst zu berücksichtigen. Hingegen sieht die DBA-Regelung zugunsten von niederländischen Gesellschaften eine Berücksichtigung von Konzernverhältnissen vor.
_____________ 85 Vgl. hierzu Benz/Kroon, IStR 2012, 910 (914); Eilers, ISR 2012, 10 (12); Gebhardt/ Moser, IStR 2012, 607 (608).
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Diese einseitige Privilegierung niederländischer Gesellschaften kann beihilferelevant sein, vgl. Art. 107 ff. AEUV.86 IV. DBA Großbritannien (2010) Einen eigenständigen, speziellen Ansatz zur Versagung von Abkommensberechtigungen enthalten die Art. 10 Abs. 6, 11 Abs. 5 und 12 Abs. 5 des DBA Großbritannien (2010), sog. „main purpose clause“.87 Diese lautet verkürzt wie folgt: „Entlastungen nach diesem Artikel werden nicht gewährt, wenn der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke einer der Personen, die an der Begründung oder Übertragung – der Aktien oder anderen Rechte, für die die Dividende gezahlt wird [Art. 10 Abs. 6], – der Forderung, für die die Zinsen gezahlt werden [Art. 11 Abs. 5], – der Rechte, für die die Lizenzgebühren gezahlt werden [Art. 12 Abs. 5], beteiligt waren, darin bestand, diesen Artikel mithilfe dieser Begründung oder Übertragung in Anspruch zu nehmen.“
Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung von Deutschland und Großbritannien zum DBA Großbritannien (2010)88 enthält daneben (i) eine Öffnungsklausel und (ii) den Versuch, den Begriff des Abkommensmissbrauchs für Zwecke des DBA allgemein zu definieren: „Missbräuchliche Inanspruchnahme des Abkommens: Unter Berücksichtigung der Absätze 7 bis 12 des Kommentars zu Artikel 1 des OECD-Musterabkommens ist dieses Abkommen nicht so auszulegen, als hindere es einen Vertragsstaat, seine Bestimmungen nach innerstaatlichem Recht zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden, wenn diese Bestimmungen dazu dienen, Gestaltungen entgegenzutreten, die einen Abkommensmissbrauch darstellen. Ein Abkommensmissbrauch liegt vor, wenn ein Hauptzweck, bestimmte Transaktionen oder Gestaltungen zu verwirklichen, darin besteht, eine güns-
_____________ 86 Vgl. allgemein Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, IFSt-Schriftenreihe Nr. 473 (2011); die Gefahr einer „(europarechtswidrigen) Diskriminierung“ sieht Eilers, ISR 2012, 10 (12). 87 Vgl. Bahns/Sommer, IStR 2011, 201 (204). 88 Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland anlässlich der Unterzeichnung am 30.3.2010 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. II 2010, 1358.
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tigere Steuerposition zu erlangen, und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Abkommens widersprechen würde.“
V. Würdigung In der neueren Abkommenspraxis ist ein Trend feststellbar, vermehrt Missbrauchsregelungen zur Verhinderung von Treaty Shopping aufzunehmen. Soweit DBA-Bestimmungen Missbrauchstatbestände des nationalen Rechts, allgemein oder etwa speziell § 50d Abs. 3 EStG, für anwendbar erklären, wird damit zumindest die Problematik der Treaty Overrides behoben. Zu konstatieren ist aber, dass in der deutschen Abkommenspolitik keine konsistente Linie bei der Verwendung von Abkommensklauseln zur Missbrauchsbekämpfung feststellbar ist. Die Diversität der Missbrauchsbekämpfungsklauseln und deren unterschiedliche Auslegung von DBA zu DBA machen die Materie unübersichtlich und aus Sicht der Steuerpflichtigen schwer handhabbar. Grund hierfür dürfte sein, dass solche oft vor dem Hintergrund der Bekämpfung der von den Fisken identifizierten Strukturen und Einzelfälle eingefügt werden.
D. Fazit Abschließend bleibt festzuhalten, dass § 50d Abs. 3 EStG n. F. die Missstände des § 50d Abs. 3 EStG a. F. nicht beseitigt hat: Die Vorschrift stellt nach wie vor viel zu hohe Anforderungen an ausländische Gesellschaften. Sie ist zudem praktisch kaum handhabbar. Hierdurch bleibt die durch DBA bezweckte effektive Vermeidung der Doppelbesteuerung auf der Strecke. Des Weiteren bestehen die bereits gegen die Vorgängerregelung erhobenen verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bedenken fort, wenn auch ggf. in abgewandelter Form. Vor diesem Hintergrund ist wohl zu befürchten, dass die Vorschrift vielfach Anlass zu finanzgerichtlichen Verfahren geben wird. Hinsichtlich der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen fällt eine abschließende Bewertung etwas positiver aus. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA weisen eine Vielzahl von Missbrauchsbekämpfungsvorschiften auf, die sich sowohl hinsichtlich ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen als auch bezüglich ihrer Rechtsfolgen erheblich unterscheiden. Sie sind für multinational agierende Steuerpflichtige indes nur schwer zu überblicken und noch schwerer zu handhaben: Als all179
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gemeine Tendenz lässt sich allerdings feststellen, dass neuere DBA Öffnungsklauseln zugunsten der nationalen Missbrauchsvorschriften enthalten, was in Deutschland die Frage nach der Zulässigkeit eines Treaty Override obsolet macht. Soweit DBA Missbrauchsregelungen einseitig zugunsten bestimmter Steuerpflichtiger aufweisen, kann dies schließlich auch unionsrechtliche Implikationen haben.
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Abwehr von Treaty Shopping – § 50d Abs. 3 EStG und DBA-Klauseln Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg Prof. Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Linklaters LLP, Frankfurt a. M./Georg-AugustUniversität Göttingen
Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München/ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel Martin Kreienbaum Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Lüdicke Herr Blumenberg, vielen Dank. Ich vermute, dass Sie den einen oder anderen hier im Saal, der vielleicht mit § 50d Abs. 3 EStG noch nicht so viel zu tun hatte, davon überzeugt haben, dass die Vorschrift es an Komplexität locker mit der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem AStG aufnehmen kann. Ich möchte dazu den heute verhinderten Herrn Loschelder zitieren: „Die Erschließung des Sinns der neuen Regelung ist äußerst mühsam.“1 Er wollte an dieser Stelle aus dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit, das auf der Homepage des Bundesjustizministeriums verfügbar ist, vorlesen. Es heißt dort unter Teil B 1.1 „Juristische Fachsprache“: „Nur wer genau weiß, was er vermitteln will, kann sich kurz und verständlich ausdrücken! Klarer Inhalt und gute Sprache gehen Hand in Hand!“2 _____________ 1 Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Aufl. 2012, § 50d Rz. 47. 2 Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeiten – Empfehlungen zur Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen, 3. Aufl. 2008, 33.
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Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen ist, das gerade jetzt hier vorlesen zu wollen. Die Vorschrift trifft ausschließlich ausländische Unternehmen, die im Inland investieren oder allenfalls ins Inland Lizenzen oder Darlehen überlassen. Das Bild, das Deutschland abgibt, ist nicht gerade gut. Stellen Sie sich bitte eine ausländische Gesellschaft aus einem dieser beiden Beispiele von Herrn Blumenberg vor, deren Management der englischen, aber nicht der deutschen Sprache mächtig ist, und Sie müssen die Berechnung in Tz. 12 des BMF-Schreibens übersetzen. Das Hauptproblem dürfte darin liegen, dass der Zweck der Vorschrift, den Missbrauch zu erfassen, nicht wirklich erreicht wird. Herr Blumenberg hat das dargestellt: Wenn Sie nicht in Bezug auf konkrete deutsche Quelleneinkünfte missbrauchen, können Sie über die Aufteilungsklausel trotzdem pönalisiert werden. Auf der anderen Seite können Sie über die Aufteilungsklausel aber auch noch einen Teil der Entlastung bekommen, wenn Sie missbrauchen. Man fragt sich schon, ob das gesetzgeberisch der Weisheit letzter Schluss ist. Herr Gosch, Sie haben sich ja auch mit der Vorschrift näher beschäftigt und haben ähnliche Kritik an der Formulierungskunst geäußert wie Herr Loschelder. Wie schätzen Sie den materiellen Gehalt ein, von den Formulierungen ganz zu schweigen. Prof. Dr. Gosch Zunächst zum Ausgangspunkt, dem sog. Monaco-Urteil des BFH3 aus dem Jahr 1981. Man mag sich fragen, ob diese Entscheidung, in den Worten von Herrn Lüdicke eine Fehlentscheidung, überhaupt das trägt, was nun daraus geworden ist. Man muss sich nämlich vor Augen führen: Dort ging es um eine Zwischengesellschaft in der Schweiz, die im Inland beschränkt steuerpflichtig war. Der BFH meinte, § 42 AO bleibe hiervon unberührt, denn aus steuerlicher Sicht spiele sich alles in Monaco ab und nur von dort aus sei die Gesellschaft in der Schweiz zwischengeschaltet worden. Die Antwort, die der BFH auf die Frage danach gegeben hat, ob § 42 AO einschlägig ist, würde ich nach wie vor für richtig erachten: Es geht Deutschland schlicht nichts an, ob im Ausland eine Steuervergünstigung in gestaltungsmissbräuchlicher Weise „erschlichen“ wird. Deswegen hat der BFH auch in seinem Urteil vom _____________ 3 BFH v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150.
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7.9.20054 zutreffend entschieden: Dort ging es um die Zwischenschaltung einer belgischen Kapitalgesellschaft in eine konzerninterne Finanzierungskonzeption, um in den Genuss einer zusätzlichen Subvention nach Maßgabe des belgischen Steuerrechts zu gelangen. Voraussetzung hierfür war nach unwidersprochenem Vortrag der Klägerin die Gewinnausschüttung an eine belgische Kapitalgesellschaft. Der BFH hat geprüft, ob darin aus deutscher Sicht ein beachtlicher wirtschaftlicher Grund zu sehen war. Darüber, ob sich die Zwischenschaltung der belgischen Gesellschaft in Belgien als Rechtsmissbrauch darstellen könnte, war im Rahmen der deutschen Besteuerung nicht zu befinden. Das hat den deutschen Fiskus schlicht nicht zu interessieren. Wie gesagt: Vor diesem Hintergrund lässt sich also durchaus in Zweifel ziehen, ob die Monaco-Entscheidung das trägt, was dann in der Folgezeit zunächst § 50d Abs. 1a EStG und dann später dessen Abs. 3 ausgelöst hat. Aber nun ist diese Vorschrift in der Welt und wir müssen damit leben. Sie ist mehrfach geändert worden. Herr Blumenberg hat das verdienstvoll alles dargestellt und aufgezeigt, wo die vielen Mängel und Tücken der Regelung und die dadurch ausgelösten Fragen liegen. Die Antworten können nicht anders ausfallen, als Sie sie hier mit Ihrer schon stimmlich vermittelten Mokanz und einigem Sarkasmus vermittelt haben, Herr Blumenberg. Man hat gemerkt, ein innerer Widerwillen ging durch den Raum, und den kann man auch nur haben. Die bisherige Umqualifikationsvorschrift soll jetzt, das hat uns ja die Bundestagdrucksache wissen lassen, eine Aufteilungsvorschrift geworden sein. Das mag so sein, obwohl ich auch zuvor nicht so recht gesehen habe, worin das Umqualifizieren gelegen haben soll. Aber als Aufteilungsvorschrift nötigt sie zu den rechnerischen Konsequenzen, die uns hier schön bildhaft vor Augen geführt worden sind. „Schädliche“ Einkünfte „infizieren“ nunmehr „unschädliche“ Einkünfte. Es spricht einiges dafür, dass das aus unionsrechtlicher Sicht abermals unverträglich ist. Es soll deswegen bei der rechtspolitischen Einschätzung bleiben, die ich im EStGKommentar von Kirchhof gegeben habe:5 „Alles in allem: Ein wenig überzeugender gesetzgeberischer Handlungsversuch, der den Gesetzesexegeten weitgehend ratlos belässt, für ausländische Beteiligungsgesellschaften praktisch nicht umzusetzen ist, der deswegen dem ‚Standort Deutschland‘ schadet und jedenfalls mit dem von der Finanzverwaltung entwickelten Ergebnis kaum Bestand _____________ 4 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 557. 5 Gosch in Kirchhof, EStG, 12. Aufl. 2013, § 50d Rz. 29l.
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behalten dürfte; die angebotenen Gegenbeweismöglichkeiten stehen angesichts der Verifikationsprobleme weitgehend nur auf dem Papier. Jenseits der bisherigen Typisierungsgrenze von 10 % für ‚schädliche‘ Bruttoerträge drohen infolge der Quotierung des Entlastungsanspruchs beträchtliche Nachteile; die Eigenwirtschaftlichkeit beeinflusst nur den Entlastungsschlüssel, belässt es aber hinsichtlich der betroffenen ‚schädlichen‘ Erträge bei der Entlastungsversagung. Das aber genügt unionsrechtlichen Anforderungen nicht. Es ist infolgedessen nicht zu erwarten, dass die EU-Kommission, wenn sie sich des nunmehr Angeordneten bewusst wird, von dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren tatsächlich absehen wird.“ Was vielleicht noch anzufügen ist, Herr Blumenberg hat es genannt: Die „zweibändige“ Holding ist nach der Rechtsprechung des BFH derzeit immer noch das Maß der Dinge; eine „Untergesellschaft“ genügt insoweit nicht. Und was die Aktivitätserfordernisse anbelangt, sind diese bei typischen Kapitalanlagegesellschaften sicherlich reduziert. Dementsprechend soll die Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 AStG jetzt ja auch entsprechend ausgedehnt werden. Was bleibt sonst noch anzumerken? Vielleicht das Verhältnis zwischen § 50d Abs. 3 EStG einerseits und § 42 AO andererseits. Nach wie vor will die Finanzverwaltung der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsregel des § 42 AO einen zwar subsidiären, aber gleichwohl eigenständigen Anwendungsbereich neben § 50d Abs. 3 EStG belassen. Das ist zweifelhaft und widerspricht der vielfach bestätigten Spruchpraxis des BFH, zuerst im Urteil vom 29.1.20086. Denn danach setzt § 50d Abs. 3 EStG als spezielle Missbrauchsvermeidungsnorm die Grenzmarke, welche die allgemeine Missbrauchsvermeidungsnorm verdrängt, und dies abschließend, nicht nur primär unter Beibehaltung eines subsidiären Anwendungsbereichs. Und eine ähnliche Verdrängung findet sich dann auch im Verhältnis zu den allgemeinen Zurechnungsnormen. Ich habe schon heute Morgen gesagt, im Kern gehört die Frage der Einkünftezurechnung in den Regelungsbereich des nationalen Rechts. Erkennt dieses Recht aber die Zwischengesellschaft in ihrer Existenz an – und genau das geschieht in § 50d Abs. 3 EStG – und verweigert es ihr sodann die Abkommensvergünstigung für die erwirtschafteten Einkünfte, dann muss sich das nationale Recht auch an dieser Wertungsentscheidung festhalten lassen. _____________ 6 BFH v. 29.1.2008 – I R 26/06, BStBl. II 2008, 978.
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Raum für § 42 AO und eine anderweitige Einkünftezurechnung bleibt dann nicht mehr. So gesehen handelt es sich bei § 50d Abs. 3 EStG aber um ein lupenreines Treaty Override. Prof. Dr. Lüdicke Da möchte ich aber gerade noch einmal nachfragen, weil Sie gerade gesagt haben, dass ein lupenreines Treaty Override vorliegt. In jeder Gesetzesbegründung der drei Fassungen der Vorschrift, die wir über die Jahre erlebt haben, steht, dass es kein Treaty Override ist oder sein soll, sondern dass es den wie auch immer inhärenten Missbrauchsvorbehalt der DBA ausfüllen soll. Würde das den BFH in die Lage versetzen, in einem Fall, der nicht EU-rechtlich geprägt ist, die Vorschrift, ohne sie dem Bundesverfassungsgericht vorlegen zu müssen, so einschränkend auszulegen, dass sie materiell kein Treaty Override beinhaltet? Prof. Dr. Gosch Das meine ich nicht. Zwar lässt § 50d Abs. 3 EStG keinen entsprechenden Regelungsvorbehalt in Gestalt der sogenannten Melford-Klausel7 zu. Eine solche Klausel enthält aber § 50d Abs. 1 EStG, dass man nämlich ungeachtet eines Abkommens zunächst einmal an der Quelle „einkassieren“ kann. Das ist der Grundsatz. § 50d Abs. 3 EStG steht dazu im Zusammenhang und darf nicht isoliert verstanden werden. Er überschreibt die dem Quellensteuerabzug nachfolgende Steuererstattungsmöglichkeit und damit eben im Ergebnis auch das Abkommensrecht, und so verstanden und wie er technisch ausgestaltet ist, halte ich ihn in der Tat, ich habe es schon gesagt, für einen Treaty Override. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun aber die Frage, ob er lediglich einen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt abkommensrechtlicher Art konkretisiert, und bejahendenfalls, ob er sich im Rahmen eines solchen Vorbehalts hält. Falls nicht, kann man ihn dann unangewandt lassen? So verstehe ich Ihre Frage, Herr Lüdicke. Ich meine: nein. Erstens ergibt sich die Konkretisierung eines derartigen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalts nicht aus dem Tatbestand, Sie kennen die „Tatbestandstreue“ des ersten Senats. Ich meine, dass man da positivistisch herangehen muss und nicht sagen kann, es handelt sich um einen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt, den sehe ich nicht als erfüllt an und deswegen lasse ich alle weiteren Tatbestandsmerkmale einmal dahin_____________ 7 Supreme Court of Canada v. 28.9.1982 – 1982 CanLII 201 (SCC) – R. v. Melford Developments Inc., DTC 6281, 2 S.C.R. 504.
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stehen und wende die Vorschrift schlicht nicht an. Zum Zweiten: Verstehe ich § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Override, dann bliebe doch auch zu fragen, ob die Missbrauchsahndung nicht ausnahmsweise als Rechtfertigungsgrund taugt, um Abkommensrecht überschreiben zu dürfen. Eine differenzierende Sicht ist sicher angebracht. Nicht jedes Treaty Override ist aus verfassungsrechtlicher Perspektive gleich zu behandeln, man kann da nicht alles über einen Kamm scheren. Bei § 50d Abs. 3 EStG ließe sich durchaus vertreten, dass dieser von Ihnen benannte Missbrauchsgedanke tragend ist, um den Gesetzgeber zu autorisieren, dann doch einmal unter bestimmten Vorgaben ein sogenanntes Treaty Override in die Welt zu setzen. Prof. Dr. Lüdicke Auch dann, wenn eben diese Aufteilung, wie Herr Blumenberg dargestellt hat, über den Missbrauchsfall hinausschießt? Prof. Dr. Gosch Ja, auch dann. Den „Mut“, die Norm deswegen unangewandt zu lassen, hätte ich als Richter nicht, daher müsste wohl wegen der inkriminierten Detailfrage vorgelegt werden. Ich würde allerdings Bedenken haben, ob ich das tun würde. Also dann schon eher wegen „normativer Unverständlichkeit“, aber wir kennen die Antwort des Bundesverfassungsgerichts: Unverständliche Gesetze gibt es nicht.8 Kreienbaum Vielleicht kann ich es kurz machen. Zum abkommensrechtlichen Verständnis sehe ich es in der Tat so, dass vor dem Hintergrund des schon genannten, dem Abkommen inhärenten Gedankens des Umgehungsvorbehalts kein Treaty Override vorliegt. Zur unionsrechtlichen Bewertung vielleicht der Hinweis, was – glaube ich jedenfalls – in dieser Runde bekannt ist, dass das BMF den Entwurf mit der Kommission abgestimmt hat und die Kommission keine Einwände erhoben hat. Ob die Kommission auch künftig dabei bleibt, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe großes Vertrauen in das Verständnis und die Beurteilungskraft der Kommission. Zur quotalen Aufteilung kann man sich in der Tat fragen, ob es sachgerecht ist, nicht nur auf die aus Deutschland stam_____________ 8 BVerfG v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335, zu § 2 Abs. 3 EStG a. F.
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menden Einkünfte zu gucken, sondern auf die Gesamteinkünfte der beziehenden Gesellschaft. Wenn man allerdings in typisierender Form den Charakter der empfangenden Gesellschaft feststellen will, liegt der Gedanke nicht ganz fern, finde ich, alle Einkünfte dieser Gesellschaft anzugucken. Und das hat dann die entsprechenden Folgen, wie wir sie beschrieben haben, dass eigentlich gute Einkünfte aus Deutschland infiziert werden und im umgekehrten Fall eigentlich schlechte trotzdem mit den Abkommensvergünstigungen bedacht werden. Es unterliegt der Wertung des Gesetzgebers, sich auch in diese Richtung zu entscheiden und ich habe keine Zweifel an der Sachgerechtigkeit dieser durch den Gesetzgeber vorgenommenen Wertung. Prof. Dr. Lüdicke Die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft kann also „ein bisschen missbräuchlich“ sein. Prof. Dr. Gosch Das öffnet doch auch, wenn ich das noch anfügen darf, den Weg zu bestimmten Gestaltungsbemühungen. Wir kannten früher das Phänomen des Ballooning. Das hat etwas mit § 8b Abs. 1 KStG und § 3c EStG zu tun. Die Geschichte ist gestrig, aber sie kann ja jetzt wieder reaktiviert werden. Denn ich werde diese schädlichen Aktivitäten natürlich so steuern, dass sie nicht in den beschriebenen quotalen Infektionsbereich geraten. Ich meine, eine Norm, die schon aus „Notwehr“ der Akteure derart gestaltungsanfällig ist, erweist sich auch nicht als besonders hilfreich. Prof. Dr. Lüdicke Da kommt dann natürlich hinzu, dass Verfassungswidrigkeit, so die Karlsruher Erkenntnis,9 durch die Möglichkeit von „Ausweichoptionen“ ausgeschlossen sein kann. Bernhardt Ich kann es aus meiner Sicht so zusammenfassen: Es ist einfach schwer durchführbar. Es ist letztlich, das hatte Herr Gosch ja auch schon in seinen Ausführungen hervorgehoben, standortschädlich. Und am Ende _____________ 9 BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 Rz. 132 ff.
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forciert dieses ganze Thema der quotalen Aufteilung, wie haben Sie es so schön genannt, Herr Gosch, Notwehrmaßnahmen. Aber das zeigt auch, welche Ketten das auslöst. Und wenn man die Historie, die Herr Blumenberg so nett dargestellt hat, dieses Dramas in mehreren Akten anschaut, dann kann man sich vorstellen, was als Nächstes kommt. Prof. Dr. Lüdicke Lassen Sie uns jetzt noch auf die DBA-Klauseln eingehen. Herr Kreienbaum, können Sie schon sagen, ob die sehr unterschiedlichen Klauseln – nicht die aus dem DBA USA, die wohl einfach nur akzeptiert werden konnten –, die selbst verhandelten, also beispielsweise Luxemburg, Großbritannien, Niederlande, der Vereinheitlichungstendenz in der konsolidierten Verhandlungsgrundlage anheimfallen werden? Kreienbaum Selbst verhandelt sind sie alle, unsere Abkommen, die Verhandlungen vergeben wir ja nicht an Dritte. Im Grundsatz ist es richtig, wir haben uns über die Frage der Missbrauchsklauseln Gedanken gemacht, die wir in unsere konsolidierte Verhandlungsgrundlage aufgenommen haben. Die sind dann Ausgangspunkt, wie heute Morgen schon erwähnt, für zukünftige Verhandlungen. Aber man sieht auch in unserer Abkommenspraxis sehr deutlich, dass – wie viele Bestimmungen im Abkommen – diese Bestimmungen auch durch den jeweils anderen Vertragspartner beeinflusst werden. D. h., das Abkommen ist im Ergebnis natürlich immer ein Kompromiss und die Klausel zur Begrenzung der Abkommensvergünstigungen im DBA USA ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Diese lange LOB-Clause im DBA USA ist die übliche Klausel, welche die Amerikaner verwenden und ohne die die Amerikaner ein Abkommen nicht abschließen. Insofern wird es natürlich in Zukunft im Ergebnis nicht zu völligen Vereinheitlichungen kommen, aber vom Ansatz, der aus deutscher Verhandlungsperspektive in die Verhandlungen eingebracht wird, wird es zu stärkeren Vereinheitlichungstendenzen kommen. Prof. Dr. Lüdicke Was sicherlich ein Vorteil ist. Es zeigt ja an den von Herrn Blumenberg dargestellten Klauseln noch ein weiteres Problem. Sie verweisen teils auf § 50d Abs. 3 EStG in der jeweiligen Fassung. Darauf hätten sich die Vertragsstaaten möglicherweise nicht eingelassen, wenn sie gewusst 188
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hätten, was da jetzt hereingekommen ist. Da wird quasi die Katze im Sack gekauft. Ist das eigentlich eine sinnvolle DBA-Politik? Ich denke jetzt auch einmal an den umgekehrten Fall: Deutschland lässt sich auf entsprechende Klauseln ein, wonach wir ausländische Vorschriften in der jeweiligen Fassung akzeptieren. Kreienbaum Fragen Sie nach der Sachgerechtigkeit oder nach der Rechtmäßigkeit? Prof. Dr. Lüdicke Nach der Sachgerechtigkeit. Kreienbaum Vielleicht führt uns die Frage doch ein bisschen zurück zu dem, was wir heute Morgen diskutiert haben, nämlich zur Frage, wie ich den Willen der Vertragsparteien und damit auch des Gesetzgebers interpretiere. Wenn die Vertragsparteien der Auffassung sind, dass sie mit einem solchen Verweis, auch auf zukünftige Änderungen Bezug zu nehmen, den Vertragszweck am ehesten und am besten erreichen, dann halte ich das für sachgerecht. Man kann darüber diskutieren, welche Gefahren damit verbunden sind. Das ist eine andere Frage. Aber solange der Vertragszweck erreicht wird, halte ich das für sachgerecht. Sollte er nicht erreicht werden, könnte man sich auch noch einmal über die Frage Gedanken machen, ob ein entsprechender Verweis in einem solchen Fall wirksam ist. Prof. Dr. Gosch Wobei dann aber auch sichergestellt sein muss, dass die abkommensrechtlich vereinbarte Öffnung tatsächlich auch „dynamisieren“ will, also nicht nur den gegenwärtigen Bestand an nationalem Recht einschließt, sondern tatsächlich auch dessen spätere Veränderungen. Prof. Dr. Lüdicke Also jedenfalls dann, wenn da „in der jeweils gültigen Fassung“ steht. Prof. Dr. Gosch Wenn es da steht. Aber steht das da immer drin? 189
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Prof. Dr. Lüdicke Nicht immer, das ist unterschiedlich. Das ist mehr eine Frage an die zukünftige Politik, ob man das machen will, weil es ja dann im Ernstfall wohl auch zweiseitig so gehen müsste. Prof. Dr. Blumenberg Ich habe drei Punkte. Der erste Punkt: Von der Norm, wie sie momentan steht, geht eine erhebliche Abschreckungswirkung aus. Vielleicht ist ja auch in Wirklichkeit – aus rein fiskalischen Gründen – beabsichtigt, dass möglichst wenig Kapitalertragsteuer erstattet wird. Dieses Ziel würde erfüllt. Der zweite Punkt ist, dass die Norm, so wie Sie das eben auch gesagt haben, gestaltungsanfällig ist, sei es durch Ballooning oder durch geeignete Konzernaufbauten – und das kann dann vielleicht sogar erneute Anpassungsreaktionen des Gesetzgebers hervorrufen. Und drittens: Die Motivation des Gesetzgebers kann ich als Steuerbürger natürlich sehr gut verstehen, sie ist völlig legitim. Allerdings würde ich zwei Dinge anraten: Zum einen muss die Norm europarechtskompatibel gemacht werden. Insoweit halte ich den jüngsten Aktionsplan und die Empfehlungen der Kommission zur Bekämpfung der Steuerumgehung für einen richtigen Weg. Zum anderen würde ich raten, die Regelung – grundsätzlich wie bisher als Spezialregelung – noch einmal ganz neu aufzubauen, ohne irgendwelche Denkverbote, und nicht versuchen, am bestehenden Satzbau festzuhalten. Prof. Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, die Tagung ist an ihrem Ende angelangt. Ich danke den Referenten für hervorragende Referate und den Podiumsdiskutanten. Ohne sie wäre die Tagung allenfalls halb so schön. Auch im nächsten Jahr findet die Tagung wieder statt, und zwar tatsächlich als „Nikolaustagung“ am Freitag, dem 6. Dezember 2013.
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Stichwortverzeichnis § 50d Abs. 3 EStG 21, 156, 158 ff., 170 ff., 181, 188 – BMF-Schreiben 142 – Verhältnis zu § 42 AO 158, 177, 184 ff. 10 %-Grenze 160 ff., 165, 168 Abkommenspolitik 34, 138, 179 Abkommenswortlaut 5 f., 30 Abkommenszusammenhang 3 ff., 8, 19, 29, 35 Abwehrmaßnahmen 156, 173 ff. Advance Pricing Agreement, s. APA Alles-oder-nichts-Regelung 161 f., 164 Amtsermittlung 103 Anrechnung 7, 16, 42, 52, 157 f. – fiktive 52 Anrechnungsmethode 44 ff., 60, 152, 174 Ansässigkeitsstaat 6, 15, 17 f., 41 ff., 59, 166, 171 ff. Anti-Directive-Shopping 156 ff. Anti-Treaty-Shopping 156, 159, 172 f. Anwenderstaat 3, 8, 12, 17, 19 Anzeigepflichten 92 AOA 40, 110 ff., 123 ff., 133 ff., 141 ff., 151 ff. APA 101 Aufteilungsmethode 164 f., 171 Auskunft – verbindliche 87, 100 ff. Auslegung – abkommensautonome 9, 20, 27 – ausländische Gerichtsentscheidung 9 ff.
– Auslegungshoheit 13, 19, 35 – BFH-Rechtsprechung 2, 6, 8 ff., 11 ff., 22 – dynamische 13, 28, 31 f. – Extension 3 – landesrechtliche 4, 22 – Mehrsprachigkeit 7 ff. – Reduktion 3, 159 – Staatenpraxis, nachträgliche 30 f. – statische 28 – völkerrechtliche 2, 4, 9, 35 f. – Zusammenhang 3 ff., 8 Auslegungshierarchie 31 Authorised-OECD-Approach, s. AOA Ballooning 187, 190 Basic Relationship 70 ff., 94 Beachtliche Gründe 160 ff., 166 ff. Beitreibungsrichtlinie 67, 159 Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG) 159 f. Beneficial Owner 21 Beneficial-ownership-Doktrin 175 f. Besteuerungskonflikt 127 Betriebsausgaben – fiktive 152 Betriebsprüfung 78 ff., 86 f., 90 ff., 99 ff., 106, 146 f. – Osnabrücker Modell 90, 93 Betriebsstätte 6 f., 18, 121 – Begriff 28, 138, 152 f. – Dienstleistungs- 138, 152 – Gewinnabgrenzung 57, 65, 109 ff., 128, 137 ff., 142 f. 191
Stichwortverzeichnis
– Gewinnermittlung 112, 128 f., 139 – Subunternehmer- 152 – Verhältnis zu Stammhaus 42, 110 ff., 125 ff., 130 ff., 147 ff. – Verluste 42 Betriebsstättenerlass 142 BFH – Dublin Docks II 8 – Hilversum II 159 – Lidl Belgium 10 – Monaco-Urteil 158, 182 f. BMF-Schreiben – zu § 1 AStG 142, 149 f., 182 Bruttoerträge 160 ff., 170, 184 – unschädliche 166, 168, 183 carrot and stick approach 75 f., 85 f., 100 commercially acceptable deadlines 101 Compliance 71, 74 ff., 81 ff., 92, 94, 98 ff., 103 – Abteilung 99, 106 – Compliance Assurance Process (CAP) 81 – Cooperative 71 – Tax 75, 84 ff. Corporate Governance 71 Country-by-Country-Reporting 102 DBA – Brasilien 157 – Frankreich 129 ff. – Großbritannien 8, 134, 174, 176, 178 f., 188 – Irland 8 – Kanada 8 – Liechtenstein 134, 176 192
– Luxemburg 6, 134, 176 – Niederlande 134, 174 ff. – Österreich 47, 158, 166 – Schweiz 3, 9, 176 – Spanien 6 ff. – Türkei 138 – USA 6 f., 49, 144, 173, 176, 188 DBA-Mustergesetz, s. auch Verhandlungsgrundlage 27, 32 ff., 41, 48 ff., 101, 188 de minimis-Regelung 164 Deal 103, 148, 150 Dealing, s. Deal Dealing-at-Arm’s-Length 151 Directive Shopping 156 ff. Diskriminierungsverbot 15 f., 47, 135 Dividenden 6 ff., 18 ff., 41, 43, 157 ff., 165 ff., 172, 175 – Begriff 18 f. Dokumentationsanforderungen 104 Doppelbelastung 40 Doppelbesteuerung – virtuelle 7, 36, 44, 48 – Vermeidung 27, 45, 47, 50, 59 f., 126 f., 134, 179 Doppelbesteuerungsabkommen, s. auch DBA – Anwendungsvorrang 133 ff. – deutsches Muster 15, 27, 31 ff., 36 – Kündigung 45, 60 – Verständigungsverfahren 59, 134, 174 – Verteilungsartikel 6, 17 – Vertragssprache 7 ff., 26 Dotationskapital 126, 128 Dynamisierung 13, 31 f., 189 – automatische 28 f.
Stichwortverzeichnis
E-Bilanz 106 Eigenkapital 18, 39, 126 Eingriffsrecht, s. auch Eingriffsverwaltung 13, 31 f., 101, 103, 105 Eingriffsverwaltung 101 Einheit – legale 145 Einkünfte – graue 6, 37 – schädliche 172, 183 – weiße 6, 37 f., 174 Einkünfteermittlung, s. auch Gewinnermittlung 21, 139, 143 f., 150, 154 Einkünftekorrektur – § 1 AStG 112 ff., 120 ff., 130 ff., 143 – außerbilanziell 129, 132 – Einlagen, Entnahmen 119 – Entstrickung 121, 131 ff., 147, 152 – Personengesellschaften 112 ff., 139 – Subsidiaritätstheorie 120 Einkünftekorrekturvorschrift 119 f., 128 ff., 139, 143 – Konkurrenz der Einkünftekorrekturvorschriften 119 ff. Einkünftequalifikation 21, 113 Enhanced Relationship – Australien 82 – Begriff 71, 74 ff. – IFA-Bericht 79, 82, 105 – Neuseeland 82 – Niederlande 74, 77, 79, 94, 98 f., 134 – Österreich 66, 79 f. – Slowenien 82 – USA 79
Entlastungsberechtigung 160 ff. – persönliche 160, 162, 168 f. – sachliche 160 ff., 177 Entnahme – fiktive 119 f. – finale 152 Entscheidungsharmonie 11 ff., 17, 19 Entstrickung 121, 131 ff., 152 – Tatbestände 139, 147 Erklärung von Seoul 71 Escape-Klausel 184 Ethik-Kommission des Deutschen Richterbundes 103 EuGH – Cadbury-Schweppes 161, 163, 167, 172 – Columbus Container 60 – Lankhorst-Hohorst 16, 161, 172 – National Grid Indus 136 EU-Kommission 22, 58, 69, 159, 161 f., 184, 186, 190 Finanzinstrumente – ausländische 40 – hybride 39 ff. – inländische 40 Freistellungsmethode 7, 10, 36, 45, 48, 56, 60 f., 174 Fremdkapital 39 Fremdvergleich 122, 149, 161 – Grundsatz 111 ff.; 125 ff., 132 – Personengesellschaften 112 ff. – Preis 151 Funktionsanalyse 112 Funktionsverlagerung – Verordnung (FVerlV) 120 f., 132 Geschäftsbetrieb – angemessener 160 ff., 167 f. 193
Stichwortverzeichnis
Geschäftsbeziehung 65, 112 ff., 151 – Beweislastumkehr 125, 138 – Fiktion 125, 130 – formelle Kriterien 123 – Neudefinition 121 ff., 139, 151 – schuldrechtliche Beziehung 112, 115, 121 ff., 127, 148, 151 – wirtschaftlicher Vorgang 121 ff. Gesellschaften – doppelt ansässige 42 – hybride 19, 21, 39 ff. Gesetzesbindung der Verwaltung 85 ff. Gesetzesvorbehalt 13 f., 22, 35, 103 Gewinnabgrenzung 57, 65 ff., 138, 144 – Betriebsstätte 109 ff., 128, 137 ff. – Personengesellschaften 111, 113 Gewinnermittlung – Betriebsstätte 112, 128 ff., 139, 150 – Vorschrift 139, 143, 154 Gewinnrealisierung 135 ff., 148 Gewinnverteilungsabreden 115 Gleichheitssatz 40, 85 f. Gleichmäßigkeit der Besteuerung 85 ff. hide and seek games, auch „Ostereier-Vollzug“ 72 Holding – zweibändige 184 Horizontal Monitoring 74, 79, 82, 94 – Horizontal Supervision 98 Horizontal Toezicht, s. Horizontal Monitoring 194
Hybrid Mismatch Arrangements 38 ff. IFA, s. International Fiscal Association Informationsaustausch – grenzüberschreitender 66 – internationaler 66, 84, 88 – weltweiter 105 International Fiscal Association 38, 68 f., 71 ff., 82 ff., 90 ff.,102, 105 Jahressteuergesetz 2007 Jahressteuergesetz 2008 Jahressteuergesetz 2010 Jahressteuergesetz 2013 111 ff., 125, 139
159 93 15, 132 17 f.,
Keinmalbesteuerung, s. auch Nichtbesteuerung, doppelte 6, 20 ff., 36, 47, 59 f. Kollisionsrecht 20 Konsultationsabkommen 11, 14 f., 32 Konsultationsvereinbarung, s. Konsultationsabkommen Kooperation 65, 69, 72 ff., 81 ff., 94 f., 105 Korrespondenzprinzip – staatenübergreifend 11 – verdeckte Gewinnausschüttungen 53 large corporate taxpayers 77 f., 86 Lex-Fori-Klausel 4 f., 19 ff. Liefer- und Leistungsbeziehungen, s. auch Geschäftsbeziehung 65, 110 ff., 120 ff., 130, 139, 151
Stichwortverzeichnis
– Ersatzrealisationstatbestand 128, 131 – fingierte 136 – unternehmensintern 111, 123 ff., 135, 137 Limitation-on-Benefits-Klausel (LOB) 173, 176, 188 Lizenzen 146, 182 – Abzugsfähigkeit 146 – fiktive 129 ff., 131, 144 f., 149 Main purpose clause 178 Matching Credit 43 Melford-Klausel 185 Methodenartikel 6, 17, 34, 173 f. Mind-Set – Änderung, auch Wechsel, Mentalitätswechsel, Verhaltenswechsel 70, 98 ff., 107 Missbrauch – Abkommensmissbrauch 178 – Gestaltungsmissbrauch 159 ff., 171 ff., 182, 187 – Vorbehalt 171, 185 Missbrauchsvermeidungsnorm, Missbrauchsvorschrift 21, 42, 172 ff., 180 – allgemeine 184 – spezielle 184 Mitwirkung 95, 98, 103 f. – Erfordernisse 103 f., 116 Mitwirkungspflichten – erweiterte 66, 84, 95, 136 Multinationals 56 Mutter-Tochter-Richtlinie (MT-RL) 156 ff., 166 Nichtbesteuerung, internationale, s. auch Keinmalbesteuerung
– Auslegungsziel 27, 38, 45 ff. – doppelte 6 f., 27, 36, 37 ff., 43 ff., 51 ff. – Vermeidung 45 ff. Niederlassungsfreiheit 16, 135, 172 Normzweck – Normsetzungsfunktion 28 f., 31, 52 OECD – Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) 38, 55 f. – Betriebsstättenbericht 2008 und 2010 110 – Forum on Tax Administration (FTA) 68, 70 ff., 76 – Global Forum on Transparency and Exchange Information 67 – Hybrid Mismatch Arrangements 38 ff. – Leitsätze für multinationale Unternehmen 69 – Musterabkommen, auch MA 12 ff., 17 f., 33, 45 ff., 58 f., 65, 109 ff., 124, 128, 131, 133, 137 f., 150 f. – Musterkommentar, auch MK 12 ff., 28 ff., 45 f., 49 f., 59, 173, 176 – Partnership Report 14, 17, 45 f., 59 – Study into the Role of Tax Intermediaries 70 ff., 85 ff., 90 ff. – Update 2010 109, 133 Offenbarungsbefugnis 88 f. Öffnungsklausel 171 ff. Osnabrücker Modell 90, 93 195
Stichwortverzeichnis
Person, nahestehende – § 1 Abs. 2 AStG 113 ff. – atypisch stille Gesellschaft 118 f. – vermögensverwaltende Personengesellschaft 118 f. Personalfunktion 126, 133, 137 – wesentliche 110 f., 137 Personengesellschaften – Einkünftekorrektur 112 ff., 139 – nahestehende Person 112 ff., 118 f. – partielle Steuerrechtsubjektivität 113 ff. – transparente Besteuerung 39 f. Planungssicherheit, s. auch Rechtssicherheit 77 ff. Qualifikationsdifferenzen, s. Qualifikationskonflikt Qualifikationskonflikt 1, 17 ff., 46, 51, 57, 59 f. Qualifikationsproblem, s. Qualifikationskonflikt Qualifikationsverkettung 5, 11, 16 ff., 59 Quelleneinkünfte 59, 182 Quellenstaat 6, 15 ff., 43 ff., 59, 173 Quellensteuer 6, 43, 157 ff., 185 – Entlastung, auch Anrechnung 17 f., 21, 43, 155, 158 ff., 172 – fiktive 43 real time audit 74, 82 Realisationsprinzip – Durchbrechung 128 Rechtfertigungsgrund 172, 186 Rechtsbehelfsverzicht – konkludent 90 196
Rechtskreise – in Bezug auf nationales Recht und Völkerrecht 2, 27, 35 Rechtsschutz – Garantie 90 – Verkürzung 88 ff. Rechtssicherheit, s. auch Planungssicherheit 100 ff. Remittance-base-Prinzip – Klausel 174, 176 Rentenbesteuerung – grenzüberschreitende 34, 43 Reportingsystem 98 Reserven – stille 126, 132 ff., 149 Risikomanagement, Risikoanalyse, Tax Risk Management 78, 84, 106, 110 Rückfallklausel 7, 36, 53, 58, 173 f. Schachtelprivileg – abkommensrechtliches 6, 18, 21 – internationales 43 Schiedsgerichtsvereinbarung 101 Selbstständigkeitsfiktion 134 – uneingeschränkte 110 Selbstregulierung – kontrollierte 82 ff. Separate Entity Approach 147 Service Level Agreements 145 significant people function 110, 137, 147 soft law 68 Sondervergütungen 19 f., 22 Stammhaus 42, 110 ff., 125 ff., 130 ff., 147 ff. Steuer – fiktive 53
Stichwortverzeichnis
Steuerbefolgungskosten 78 Steuergeheimnis 88 f., 105 Steuergestaltungen 92 ff., 159, 172 Steuerplanung 39, 93 – aggressive 23, 103 f. Steuervollzug 63, 64 ff., 70 ff., 78 f., 82 ff., 87, 89, 91, 93 ff., 103, 107 Subject-to-tax-Klausel, s. auch Rückfallklausel 33, 45 ff., 53 ff., 173 Substance over Form 151 Switch-over-Klausel 45, 48 ff., 174 Tax Control Framework 80 Tax Information Exchange Agreement, auch T.I.E.A. 68, 105 Tax Intermediaries 70 ff., 91 ff. Tax Sparing 43 Teileinheit – betriebliche 110 Tochterkapitalgesellschaft 41, 97 f., 114 f., 145 Transformationsakt 2 Transparenz 39, 76 ff., 95, 105 Treaty Override 14, 20 ff., 36, 60, 135 ff., 171, 175 ff., 185 f. Treaty Overriding, s. Treaty Override Treaty Shopping 21, 155 ff., 172, 179, 181 Typenvergleich 40 Untergesellschaft 184 Unternehmen – Bashing 56 – eigenständig, unabhängig 110 ff., 122 f., 125, 131, 137 f., 147 f.
– verbundene 110 ff., 124, 149, 177 US-Technical Explanations 14 Veräußerungsgewinn – fiktiv 119, 153 Vereinheitlichung 33, 143, 188 Verhandlungsgrundlage – deutsche, konsolidierte 27, 31 ff., 41, 48 ff., 101, 188 Verlust – Realisation 150 – Vortrag, auch doppelte Berücksichtigung 41 ff., 50 ff. Verrechnungspreise 66, 122 ff., 130, 133, 144 – Grundsätze 110 – OECD-Leitlinien 2010 111 – unangemessene 114 ff. Vertrag – fiktiv 150 f. Verzögerungsgebühr 104 Vollstreckungshilfe 66 Vollzug – grenzüberschreitender 64 ff., 84, 94 – kooperativer 82, 89 ff., 95, 103 – Vollzugsprobleme, auch Vollzugsdefizit 64 ff., 87, 107 Vollzugsbefehl 2 Welteinkommensprinzip 61, 64 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, auch WÜRV oder WVK 2 ff., 12 f., 31 Wirtschaftsgut 44, 56, 121, 128, 131 ff., 147 ff. – Transfer 132, 136, 148 ff. – Zuordnung 110 ff., 121, 128, 133, 137, 147, 149 197
Stichwortverzeichnis
Wirtschaftstätigkeit, eigene 160 ff., 172 Wirtschaftsverkehr – Teilnahme am 167 Zinsen 15, 18, 20, 39, 73, 117 f., 158, 166, 175, 178 – Eigenkapital 18 – fiktive 117 f. – Fremdkapital 39
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– Umqualifizierung 15 Zusammenarbeitsrichtlinie, auf dem Gebiet der sonstigen Steuern 67 Zusammenarbeitsverordnung, auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer 67 Zustimmungsgesetz 13, 27 ff. Zwischengesellschaft 182 ff.