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German Pages 250 Year 2015
Constanze Bausch Verkörperte Medien
Constanze Bausch (Dr. phil.) arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Historische Anthropologie an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Bild- und Körperanthropologie, Medien- und Ritualforschung und Qualitative Sozialforschung.
Constanze Bausch Verkörperte Medien. Die soziale Macht televisueller Inszenierungen
Die vorliegende Untersuchung ging aus der mehrjährigen Mitarbeit im Projekt »Die Hervorbringung des Sozialen in Ritualen und Ritualisierungen« des Sonderforschungsbereichs »kulturen des performativen« an der Freien Universität Berlin hervor. D 188
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© 2006 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © PhotoCase.com Lektorat und Satz: Constanze Bausch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-593-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT
BEDEUTENDE INSZENIERUNGEN. ZUR EINFÜHRUNG 9
MEDIALE GEMEINSINNIGKEIT 13 Inszenierung des Lebens 13 Gemeinschaftsbildung und Medien 17 Kohärenzeffekte des Fernsehens 19 Konsenseffekte der Massenmedien 22 Medienrituale 25 Rituelle Medieninszenierungen 27 Mediensozialisationsprozesse 31 Körper auf Entzug? 35 Gebildete Körper 35 Produktive Verkörperungen 40
SICHTBARKEITEN 45 Visuelle Alphabetisierung 45 Videoinszenierung als Methode 50 Materialanalyse: Befremden und Bestaunen 51 Materialerhebung: »und action!« 57
GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT 63 Abarbeitung: Schöne Körper 64 Erniedrigung 64 Ausgrenzung 94 Entgrenzung: Groteske Körper 121 Überschreitungen 121 Verwandlungen 143 Abgrenzung: Fremde Körper 153 Abwehr 153 Angriff 170 Annäherung: Sexuelle Körper 191 Leidenschaft 191 Missbrauch 199
ERSPIELTES FERNSEHEN. ZUR ORDNUNG DER GESCHLECHTER 211
MATERIAL 221 TRANSKRIPTION 223 LITERATUR 225
Die Einbildungskraft ist unablässig bemüht, alle Ritzen zu verstopfen, durch welche die Gnade eindringen könnte. Simone Weil
BEDEUTENDE INSZENIERUNGEN. ZUR EINFÜHRUNG Gemeinschaften bedürfen eines gebildeten und verkörperten Bedeutungskonsenses, um ihre Zusammengehörigkeit und Kontinuität ebenso zu imaginieren wie zu inszenieren. Dieser Bedeutungskonsens wird in neuer, in technischer Weise auch anhand der Bilder des Massenmediums Fernsehen hervorgebracht und dargestellt, indem die televisuell ausgestrahlten Bilder Lebenshaltungen und Überzeugungen verdichtet aufführen. In Prozessen mimetischer Einverleibung werden diese bedeutenden Bilder des Fernsehens bei ihren Zuschauenden für Vorstellungswelten wie für Handlungspraxen effektiv. In dem der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegenden Material zeigen spontane und eigenproduktive Inszenierungen sozialer Gruppen vor und mit einer Videokamera, wie Bilder des Fernsehens auf der körperlichen Handlungsebene bearbeitet werden, und wie Gruppen televisuell vertraute Rollenmodelle und Formate für Prozesse der Aushandlung und Darstellung ihrer sozialen Ordnung nutzen. Darüber hinaus zeigen die Inszenierungen auch das, was in den ausgestrahlten Bildern der Sichtbarkeit entzogen ist: die Arbeit und die Abarbeitung an der Macht der Bilder als formende, normierende und kontrollierende Inkorporierung. Die Studie stellt ihre Frage in zwei Hinsichten: Erstens, wie Kinder im Übergang zum Jugendalter, die im Bundesdurchschnitt täglich bis zu 100 Minuten vor und mit Fernsehen verbringen, ferngesehene Bilder in ihren sozialen Interaktionspraxen sinnstiftend bearbeiten. Zweitens, wie die Handlungsmacht zwischen Körper, Bild und Gemeinschaft in konkreten Interaktionspraxen austariert wird, mit anderen Worten, welche Macht die Bilder über die Gruppen und welche Macht die Gruppen über die Bilder haben. Der Studie liegt ein Materialkorpus von 80 vorrangig spontanen Videoinszenierungen verschiedener Gleichaltrigengruppen vor, der mit der hierfür entwickelten qualitativen Methode der Videoinszenierung erhoben wurde. Anhand der Inszenierungen kann die kreative Bearbeitung medial vermittelter und dem Körperlichen eingewöhnter ›innerer Bilder‹ als präreflexives Medienwissen auf dessen gemeinschaftskonstitutive Effekte in der sozialen Praxis hin untersucht werden.
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Denn die von den Gleichaltrigengruppen selbst geführte Kamera provoziert die inszenatorische Bearbeitung eben der Bilder, die den Gruppen sowohl aus dem Fernsehen vertraut wie für sie thematisch relevant sind. Wenngleich davon auszugehen ist, dass soziale Gruppen sich auch in bezug auf medial transportierte Bilder vergemeinschaften, ist ungeklärt, wie sie als »kreative Konsumenten« im Sinne der Cultural Studies mit den massenhaft televisuell transportierten Bildern handlungspraktisch umgehen. Die Mikroanalysen der Inszenierungen verdeutlichen die vielschichtigen sozialen Techniken der Bearbeitung audiovisueller Bilder in sozialen Gruppen, die zugleich aus Aneignungs- und aus Distanzierungsstrategien geformt sind: Die Gruppen spielen mit den Bildern des Fernsehens ebenso, wie sie sich an ihren normativen Vorgaben abarbeiten, sie schlüpfen in deren Formen, die sie gleichzeitig persiflieren. Darüber hinaus zeigen die Inszenierungen auffallende geschlechtsdifferente Vorlieben bezüglich der gewählten Formate, der thematischen Bearbeitungen und der aufgeführten Körperbilder. Dies ist insofern überraschend, als die Frage der kulturellen Kodierung der Geschlechter nicht im Fokus der Untersuchung lag. Sehr viel weniger erstaunlich allerdings ist es, wenn man bedenkt, dass die Gesetze, die über das Verhältnis der Geschlechter bestimmen, für jede Gemeinschaftsordnung zentral sind. Die Methode der Videoinszenierung ermöglicht die Analyse des Vergemeinschaftungspotentials sozialer Bilder speziell im Rahmen fernsehmedialer Sendeformate. Die Inszenierungen sind und zeigen Formen mimetischer Einübung und kreativer Bearbeitung televisueller Darstellungsstile, die in ihrem performativen und symbolischen Gehalt zu entziffern sind. Mit Blick auf die reziproken Ermächtigungs- und Bemächtigungsstrategien verkörperter Bilder und gebildeter Körper in den Inszenierungen, in der die Bilder des Fernsehens als Spur erscheinen und wiederum über Videobilder zugänglich sind, wird deutlich, dass die Gruppen in ihren Inszenierungen die televisuell vermittelten Audiobilder in ihrer doppelten Potenz nutzen: einerseits als Bildungskräfte, andererseits als Reibungsflächen. Fernsehemdial transportierte Bilder werden in der Handlungspraxis folglich sowohl in einer beengenden wie in einer Form gebenden Dynamik wirkmächtig. Die Videoinszenierungen führen hierbei im Medium des Bildes facettenreich die Differenz von Bild und Körper vor. Eine Differenz, die thematisiert und kommentiert werden kann, und zwar sowohl leidend wie lustvoll, eine konstitutive Differenz gleichwohl, die in rituellen Medieninszenierungen bearbeitet und gebunden, jedoch weder behoben noch aufgehoben werden kann. Die Inszenierungen der Gleichaltrigengruppen führen komplexe Bearbeitungen televisuell vertrauter Darstellungsstrategien auf. Dabei haben
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die technisch produzierten Bilder – im Gegensatz zur Schrift, die sich dem Körperlichen als berechenbare und berechnende Ordnung einschreibt – Körperformen in ihre bewegten Flächen sichtlich aufgenommen. Die auf kulturhistorischen Abstraktionsleistungen gründenden technischen Bilder bilden sich, so die These, in den Prozessen ihrer Wahrnehmung in Körper ein, die sie in ihrem Aufgreifen als technisch reproduzierte Körperbilder fremd machen – und zwar sichtbar, nicht nur denkbar fremd. Die Untersuchung stellt somit einerseits die Frage, wie die in mimetischen Prozessen inkorporierten technischen Bilder als aneignende Einverleibungen körperlich wirksam und sozial effektiv werden, andererseits, inwiefern im Rahmen von körperhandelnden Interaktionspraxen Momente des Entzugs aus Ordnungs- und Bemächtigungsversuchen deutlich werden. Der Begriff des Körpers ist hierbei in verschiedenen Perspektiven angelegt: der soziale Körper als imaginärer Körper des Kollektivs, der eng mit dem Verständnis des individuellen Körpers korrespondiert, der, eingewoben in soziale Konstruktionsprozesse, gesellschaftliche Diskurse und Normen sinnlich fühlbar werden lässt. Mit einem ›medial‹ angelegten Körperbegriff differieren Kulturen, die sich in ihren zentralen Medien unterscheiden, in ihrem Körperverständnis, in ihrem Körpererleben und in ihrer Gemeinschaftskonstitution. Die drei diesbezüglich zentralen Medien, die historisch gesehen das jeweils vorgehende Medium eingemeinden und erweitern, sind grob die mündliche Sprache, die volle Alphabetschrift und die moderne, technisch produzierte Bildkultur, die zur Zeit in den Cyberspace mündet. Die Wirkmächtigkeit einer spät- und nachmodernen Bildkultur lässt sich in den Videoinszenierungen sowohl auf der Ebene der Gemeinschaftskonstitution in der grundsätzlichen Vertrautheit televisueller Darstellungsstrategien, wie auf der Ebene der Körperlichkeit als Ort der distanzierenden Aneignung gebildeter und bildhafter Ordnungen aufzeigen. Hierbei werden die Inszenierungen der Gleichaltrigengruppen immer sowohl als Teil der Kultur wie als Stellungnahme zur Kultur gelesen. Die Untersuchung setzt in ihrem ersten Kapitel Mediale Gemeinsinnigkeit mit der Darstellung des Fernsehens als sozialeffektive Bühne der Inszenierung des Lebens und den damit verbundenen verstärkten und verstärkenden präsentativen Elementen der sozialen Praxis ein. Daraufhin werden die Zusammenhänge von Gemeinschaftsbildung und Medien in den Blick genommen, dies in Hinsicht sowohl auf spezifische Vergemeinschaftungseffekte des Mediums Fernsehen als auch allgemein auf die Bedeutung der medialen Situiertheit einer Epoche. Dies leitet zum Fokus der Studie: Medienrituale und speziell ›rituelle Medieninszenierungen‹ im Sinne eines sinnstiftenden und gemeinschaftskonstitutiven Medienhandelns im Spannungsfeld von sozialer Handlungspraxis und te-
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levisueller Bildbotschaft. Hierfür wird, Körper auf Entzug?, explizit auf die Bedeutung der menschlichen Körperlichkeit als sozialer Handlungsort, sozialhistorisches Feld von Bemächtigungsstrategien und dynamische Verkörperung sozialer Ordnungen aufmerksam gemacht. Das zweite Kapitel Sichtbarkeiten stellt eine Skizze der sozialen Effekte technogener Bilder vor, zu verstehen als Visuelle Alphabetisierung, und anschließend die Vorgehensweise der Studie, die hierfür die Videoinszenierung als Methode entwickelt hat. Dem folgen im dritten Kapitel Gestalten von Gemeinschaft die Materialanalysen der Studie, die entlang der von den Gruppen inszenierten Körperbilder vorgestellt werden. Körperbilder verdichten, wie die Analysen zeigen, normative Vorstellungen und werden hierin zum thematischen Aushandlungsort der Gruppen – und zwar in frappierender Geschlechterdifferenz: Abarbeitung: Schöne Körper, Entgrenzung: Groteske Körper, Abgrenzung: Fremde Körper, Annäherung: Sexuelle Körper. Der abschließende Ausblick Erspieltes Fernsehen. Zur Ordnung der Geschlechter bündelt die Analysen zusammenfassend und schlägt Deutungen für einige Überraschungen vor, die das Material bereithält, und die über medienspezifische Fragestellungen hinausweisen. Mein besonderer Dank gilt den vielfältigen Begleitungen durch die forschenden Jahre, insbesondere Prof. Dr. Christoph Wulf, Dr. PD Birgit Althans, Dr. Kathrin Audehm, Dr. Benjamin Jörissen, Dr. Anja Tervooren und Dr. Monika Wagner-Willi für die freudvolle und fruchtbare Zusammenarbeit im Rahmen des Sonderforschungsbereichs kulturen des performativen an der Freien Universität Berlin, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Ermöglichung der Untersuchung und von Herzen meinen Familien für die wundervolle Unterstützung in allen Lebenslagen.
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Fernsehen ›ist‹ nicht, sondern es geschieht; es geschieht tagtäglich mit uns. Klaus Kreimeier Aus dem Fernsehmedium kann man genauso wenig aussteigen wie aus seinem Körper. Hubert Winkels
Inszenierung des Lebens Fernsehinszenierungen sind mit der Lust und der Last ihrer Gemachtheit verbunden, eine Lust und eine Last, von der die Mediengeschichte allgemein geprägt ist: »Die ambivalente Haltung der Menschen zu der von ihnen selbst hervorgebrachten medialen Umwelt ist nicht erst Produkt des elektronisch telematischen Zeitalters, das in diesem Jahrzehnt angebrochen ist. Vielmehr lässt sich der Gefühlswiderspruch von Medienfurcht und -faszination – in je eigentümlichen Brechungen – in unserer gesamten Kulturgeschichte aufweisen. Die Ambivalenz gegenüber den Medien ist ein Moment unserer conditio humana.« (Scarbath 1986: 15)
Dass mit Film und Fernsehen in ihrer artifiziellen Erschaffung von Welten, mit zugeschriebenen Entwirklichungstendenzen und Realitätsverlusten, ein auch lustvoll besetztes kulturelles Unbehagen einhergeht, zeigen verschiedene Auswüchse televisueller Produktivität. RTL2 sendet im Jahr 2000 die erste Staffel der Reality-Soap Big Brother, eines der illustren Beispiele für einen Mentalitätenwandel qua Medienkultur, die neue Strategien lust- und leidvoller Erfahrung von Selbstdarstellungs-, Distanzierungs- und Identifizierungstechniken hervorbringt: 10 junge Menschen leben bis zu 100 Tage in einem artifiziellen und von Kameras
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durchfleuchten Arrangement, um den Zuschauermassen ihre drehbuchfreie Unterhaltungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Diese merkwürdige panoptische Unterhaltungstechnik gewährt Einzelnen televisuelles Lebensrecht qua Kamerablick und Tedentscheidung, um sie bei ebenso langweiligen wie belanglosen Alltagsaktivitäten zu beobachten. Die Einschaltquoten bescheiden dem öffentlich kontrovers diskutierten Projekt großen Erfolg, und eine Vielzahl an Folgeprojekten schließt sich an. Dies begründet sich weniger in einer sonderlich spannungsreichen Unterhaltung der Rezipienten, als vielmehr in dem scheinbar intimen Einblick in private Welten. Der Reiz der simulierten Intimität wird durch einen vor den Bildschirmen kollektiv-anonymen Voyeurismus in der ungehinderten Einsicht ins inszenierte Private hervorgebracht. Das, was sich zunächst dem Blick entzieht, die mediale Schnittstelle selber: der Kamerablick in seiner Potenz, die Selbstausstellung anzuheizen und öffentlich zugänglich zu machen, bildet einen kaum zu unterschätzenden Stimulus für die Erblickenden wie für die Erblickten. Der Kamerablick als allmächtige Beobachtung wird auch in dem Spielfilm The Truman Show inszeniert, der 1998 von Peter Weir produziert und mit Jim Carrey in der Hauptrolle in den USA in die Kinos kommt. Truman, der wahre Mann, ist bereits pränatal ein SerienFernsehstar wider Wissen. Es ist der Reiz der Serie im Film, dass ›alle‹ von Trumans Allroundbeobachtung wissen – bis auf Truman selbst. Die Welt, in der Truman lebt, ist dreißig Jahre lang eine von seinem Publikum mit Spannung und Anteilnahme verfolgte Reality-TV-Serie in einem Riesenstudio, 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche. Mit etwa 30 Jahren wird Truman diese Welt, die in ihrer Glattheit wie eine einzige Rama-Reklame aussieht und deren Inszeniertheit er zu durchschauen beginnt, zu eng. Er träumt von Ausbruch, vom anderen Ende der Welt, von den Fidji-Inseln. Als er schließendlich nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen mit einem Boot zu fliehen versucht, stößt er an das Ende seiner Welt, eine riesige Leinwand, auf die ein leichtblauer Himmel projiziert ist. Seine irritiert-verzweifelte Frage an den Mann im Mond, der die Schaltzentrale seines bisherigen Lebens hergibt, den Schöpfer seiner Geschichte und seines Universums, seine Frage, ob denn gar nichts echt war, beantwortet der Regisseur seines Lebens mit den Worten: »Doch, du warst echt.« Truman verlässt diese begrenzte Welt, die bislang sein Leben war, mit einem Slapstick und zur Begeisterung seiner Fans, die vielleicht selber nie den Ausbruch aus ihren Welten wagten. Die Geschichte erinnert überraschend an den Prinzen Siddartha Gautama, später als der Buddha bekannt, den sein Vater, um ihn vor der Welt und seinem Schicksal zu bewahren, eine künstliche Welt baute, aus der Alter, Krankheit, Tod und
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Spiritualität verbannt waren. Gautama verlässt die artifizielle Welt, als er ihre Grenzen erkennt, und begibt sich auf die Suche nach Grenzenlosigkeit und Erlösung vom Leiden. Truman sucht zunächst einmal Erlösung aus den Leiden seines durchinszenierten Panoptikums, dessen Begrenztheit er mit dem Bug seines Schiffes durchstößt. Seit Beginn des 21. Jahrtausends blühen gerade auf dem amerikanischen Markt eine Vielzahl von »Reality Shows«. Ihre Teilnehmenden leben in ständiger Kamerapräsenz zusammen und treten in Gruppen für wöchentliche Aufgabenbewältigungen gegeneinander an. Die Aufgaben entsprechen thematisch der jeweiligen Show: The Apprentice inszeniert in fünf Staffeln seit 2004 die nordamerikanische Welt des Business mit Donald Trump in der Hauptrolle. 16 Kandidaten, aufgeteilt in zwei Gruppen, haben 15 Wochen Verkaufs-, Organisations- und Präsentationsherausforderungen zu bewältigen. Nachdem Donald Tump einen nach dem anderen des Verliererteams jeder Aufgabe ›gefeuert‹ hat – ein Satz, dem, verbunden mit einer entsprechenden Armbewegung, im amerikanischen Fernsehen inzwischen Kultcharakter zukommt: »You are fired!« – bleibt der ultimative »Apprentice« übrig, auf den ein Job mit Millionengehalt im Trump-Imperium wartet. In Survivor werden in neun Staffeln seit 2000 ganz im Gegenteil die Herausforderungen der Natur in Szene gesetzt. Auf einer sprichwörtlichen einsamen Insel leben 16 Kandidaten 40 Tage frei jedes Komforts, dem Gewinner oder der Gewinnerin der wöchentlichen Sport- und Geschicklichkeitsübungen winkt zum Lohn eine Million US-Dollar. Hier wählen sich die Kandidaten selber aus der Schau, bis die Rausgewählten eine/n der beiden letzten ›Überlebenden‹ zum letzten »Survivor« erwählen. Und bei Married by America in einer Staffel im Jahre 2003 werden 5 handverlesene Singles unter Kameradauerbeobachtung gestellt, das amerikanische TV-Publikum wählt das Siegerpaar, dem nach einem rechtsgültigen Ja-Wort vor dem Traualtar ein Preis von einer halben Million US-Dollar winkt und das Traumhaus auch. Inzwischen werden Idole, Stars und Traummodels, Comedians und Erfinder in solcherart Shows gekürt, begleitet von einer Vielzahl an Internetforen und privaten Wettlisten wie bei Pferderennen. Für die Showgewinner folgt ein Taumel durch den wiederum massenmedial aufbereiteten Repräsentationsmarkt. Oder auch die Show Reality Stars von Fear Factor, in der in einer eigenen Form televisueller Zitatkombination wiederum Mitspieler verschiedener Reality Shows gegeneinander antreten. Die zu bewältigenden ›stunts‹ entsprechen hier den Themen der ›teilnehmenden‹ Shows (outdoor, race, fear, business etc.). Reality Shows machen soziale Konkurrenz als amerikanisches Erfolgsmodell zum medialen Happening, gekürt mit dem Lockvogel voll-
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kommen irreal erscheinender Gewinne. Sie erzählen die Geschichte des American Dream als tele-realer Showerfolg, und sie erzählen sie in der internationalen Vermarktung weltweit. Sie stellen, wie bereits Produktionen wie The Truman Show und Big Brother zeigen, darüber hinaus die reale Hybridität medialer Inszenierung und sozialer Lebenswelt zur Schau, indem sie die Macht der Kamera vorführen und die Lust am panoptischen Voyeurismus und an der Selbstausstellung ebenso produzieren wie bedienen. In der lukrativen Vermarktung der Selbstausstellung verwischen derweil tradierte Grenzziehungen zwischen Privatem und Öffentlichem. Verschiebungen der Wahrnehmungs- und Darstellungsgewohnheiten gehen hiermit ebenso einher wie Verunsicherungen tradierter Welt- und Wirklichkeitsvorstellungen, die auf den zugrunde liegenden gesellschaftskonstitutiven Unterscheidungen von »Authentiztät«//»Inszenierung«, »Realität«//»Fiktion« und »Wirklichkeit«//»Unwirklichkeit« beruhen. Wolfgang Welsch führt aus, dass diese Veränderungen Effekte für das Denken selber haben: »Wo Wirklichkeit aus weichen Mäandern und ununterscheidbaren Übergängen von Schein und Realität oder Fiktion und Konstruktion besteht, da braucht es, um solchen Prozessen auf die Spur zu kommen und einigermaßen gewachsen zu sein, ein ähnlich bewegliches und geschmeidiges Denken, da ist nur noch ästhetisches Denken navigationsfähig.« (Welsch 1993: 56)
Anzumerken hierbei ist, dass es sowohl ein geschmeidiges wie insbesondere ein kritisches Denken braucht, um die Spur der Verschiebungen und Ästhetisierungsprozesse aufzunehmen. Dem Begriff der Inszenierung wird in diesem Zusammenhang neue Aktualität zugeschrieben. Gegenüber einer Gegenüberstellung der Begriffe Sein, Wahrheit, Authentizität auf der einen und Schein, Simulation, Simulakrum auf der anderen Seite greift Erika Fischer-Lichte den Begriff der Inszenierung auf, um die Begriffsbereiche zu verbinden. Denn erst in der Inszenierung gewinnt, so die These Fischer-Lichtes, das, was wahr und authentisch genannt wird, seine Gestalt: »Es handelt sich bei ihr [der Inszenierung, CB] jedoch um einen Schein, eine Simulation, ein Simulakrum, die allein fähig sind, Sein, Wahrheit, Authentizität zur Erscheinung zu bringen. Nur in und durch Inszenierung vermögen sie uns gegenwärtig zu werden.« (Fischer-Lichte 1998: 89)
Der Begriff der Inszenierung ist der Sozialwissenschaft bereits seit seiner Einführung durch Erving Goffman in den 1960er Jahren vertraut, insbesondere durch sein Werk Wir alle spielen Theater von 1959, und wird im
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Sinne der Inszenierung sozialer Wirklichkeit in alltäglichen Interaktionsverhältnissen und als geregelte Technik der Selbstdarstellung verstanden. Im Gegensatz zu dem Begriff der Konstruktion betont der der Inszenierung stärker die körperliche Bindung und den im praktischen Wissen wurzelnden Darstellungsimpetus sozialer Handlungen. Da der durchaus modische Begriff der Inszenierung im Feld des Sozialen ein Wissen um den inszenatorischen Charakter einer Darstellung oder Interaktion, das heißt den bewussten Einsatz von Gesten, Betonungen, Mimik etc. vermuten lassen könnte, sei betont, dass dies keineswegs der Fall sein muss. Als habitualisierte Darstellungs- und Interaktionsweisen, die oftmals mehr unterlaufen und widerfahren, als dass soziale Akteure über diese bewusst verfügen würden, muss bei dem für die Beschreibung sozialer Handlungspraxen verwendeten Inszenierungsbegriff seine potentielle Doppelseitigkeit: des intentionalen und aktiven »Selbstdarstellungsmanagements« (Goffman) und des eingewöhnten und gar unwilligen Widerfahrens hervorgehoben werden (Bausch 2001). Die verschieden bewusst verfügbaren Inszenierungsrepertoires, die verschiedenen Ebenen des Ausdrucks und der Darstellung, die Schichten der Prägungen treten in sozialen Inszenierungen in komplexen Relationen in Erscheinung und sind auch mit einem Skalpell von kaum trennbaren Anteilen bewussten und/oder gewohnheitsmäßigen Einsatzes, ungewollten Unterlaufens und beiläufigen Widerfahrens geformt. In der Schauspieltheorie lassen sich für diesen Komplex zwei entsprechende und konträre Modelle finden: Der Ansatz des ›Einfühlens‹ der Schauspielenden in eine Rolle als identifizierende Inszenierung, und der des ›Einsetzens‹ einer Rolle als distanzierte Inszenierung (Fischer-Lichte 2004).
Gemeinschaftsbildung und Medien Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist von einem vehementen Prozess der Durchsetzung technischer Kommunikationsmedien geprägt, der Weltbilder und Realitätswahrnehmungen ebenso prägt wie verändert. Massenkommunikationsmedien, unabhängig davon, ob sie als ›das apparative Andere‹ oder als Ausweitungen des Körpers im Sinne McLuhans verstanden werden, bringen eine eigene Logik hervor und stellen eine eigene Logik dar. Zudem scheinen sie als Medium um so unsichtbarer zu werden, je mehr sie Sichtbarkeit transportieren. Vilem Flusser macht die mediale Veränderungsdynamik in einem kleinen Gedankenexperiment plastisch:
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»Angenommen, man würde einem [prähominiden, CB] Menschen in Lascaux und einem im Florenz der Medici zu erklären versuchen, dass sich manche der gegenwärtigen Bilder bewegen. Das würde zu Missverständnissen führen. Der Lascaux-Mensch würde meinen, dass solche Bilder von Höhle zu Höhle wandern. Und der Florentiner würde behaupten, dass sich auch seine Bilder bewegen, seit man begonnen hat, auf Leinwand statt auf Zimmerwand zu malen.« (Flusser 1997: 69ff.)
Flusser spielt das Gedankenexperiment auf mehreren Ebenen durch, um aus der Perspektive des Lascaux- und Florentiner-Menschen zu dem Schluss zu kommen: »Das ist entsetzlich: dass alle diese Leute die gleiche Ansicht haben und gerade deshalb füreinander blind sind. Angesichts einer derartigen höllischen Schraube, die zu derartiger Blindheit führt, würden wohl beide Besucher aus der Vergangenheit nicht länger bei uns bleiben wollen.«
Im Interesse dieser rasanten Veränderungen können die produktiven Effekte der Massenkommunikationsmedien auf verschiedenen Ebenen ausgewiesen werden, die allerdings nicht per se mit der Gefahr der Blindheit verbunden werden sollen, wohl aber mit Verschiebungen sozial-kultureller Wahrnehmungs- und Darstellungsgewohnheiten. Audiovisuelle Kommunikationsmedien • erschaffen künstliche Welten, die, eingebettet in die soziale Lebenswelt, dieser ebenso entspringen wie sie auf diese zurückwirken. • haben eine manipulative Kraft, die kann zur Durchsetzung von partikularen Interessen eingesetzt werden kann. • bringen neue Gemeinschaftskonzepte wie die Idee des »global village« (McLuhan) hervor. • verändern und formieren Wahrnehmungsgewohnheiten und Wirklichkeitskonzeptionen. Die sozialen Effekte der Massenkommunikationsmedien werden wiederholt in der Erosion der sozialen Bindekraft kulturell-normativer Überlieferungen gesehen, mit der zugleich eine neue Freiheit der Selbsterfindung einher geht. Massenmedien sollen maßgeblich an den desintegrativen Tendenzen der sozialen Lebenswelt beteiligt sein, die Gemeinschaften vor Bildschirme zersplittert und durch das umfassende Angebot an Privatsendern – in Deutschland seit 1984 – auch kein vergemeinschaftendes Gesprächsangebot mehr liefert. Stefan Münker beschreibt die Fragmentierung der Fernsehgemeinde durch die Ausdifferenzierung der Kanäle: »das Lagerfeuer [der Television, CB] brennt keineswegs selte-
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ner; auf diejenigen, die sich darum sammeln, strahlt jedoch nicht mehr die Wärme der Gemeinsamkeit zurück« (Münker 1999: 221). Doch die Herausstellung einer sozialen Entwicklung, die mit Schlagworten wie Isolation, Dezentrierung und Pluralisierung charakterisiert wird, und für die den Massenkommunikationsmedien, gerade dem Fernsehen, eine relevante Rolle zugewiesen wird, ist in die kulturanalytische Perspektive der globalen Vernetzungsleistung dieser Medien einzubetten. Hiermit werden nicht nur qualitative Veränderungen der sozialen Lebenswelt wie Vermischung von sozialen Situationen (Meyrowitz 1987) und Veränderung von Raum- und Zeitwahrnehmungen (Virillio 1992, 1996) herausgestellt, sondern auch der Sinn der Gemeinschaft erscheint als gemeinsinnige Vernetzungsleistung. Das Fernsehen in seiner ›kollektiven Bildgebung‹ kann für diesen Prozess als Übergangsmedium gekennzeichnet werden, die computerbasierte Internetkommunikation hingegen als Aufführung einer zentrumslosen Vernetzungsgemeinschaft par excellence.
Kohärenzeffekte des Fernsehens Die Kohärenzeffekte des Fernsehens können in ihre Synchronisationsund ihre Homogenisierungsleistungen ausdifferenziert werden. Die Synchronisationsleistungen des Fernsehens bestehen in den herausragenden Ereignismeldungen rund um den Globus, den Nachrichten, die Geschichte machen: die Tsunamiwelle in Südasien, der Sturz des World Trade Center in New York, der Sturz der Mauer in Berlin, das Begräbnis von Lady Di, vom Papst, die erste Mondlandung. Bilder wie der Sturz der Tower entziehen sich bis zu ihrem Eintritt in die Fernsehöffentlichkeit ihrer Vorstellbarkeit, gleichwohl sie, wie in diesem Fall, oftmals filmisch inszenierte Vorläufer haben. Umso entschiedener werden sie dann allerdings der televisionären Endlosschleife anheim gestellt und als soziale Realität vorgeführt, die sich gleichwohl dem Bilde ständig entzieht: In einer Form medialer Traumabearbeitung wird das Ereignis in seiner beständigen Wiederholung ebenso bildlich festgezurrt wie sozial aufgelöst, in seiner Repetition wird es erst recht zum Bild – wie es gleichzeitig Millionen vor den gleichen Bildern versammelt. Die explizite Schockwirkung weltumspannender Medienereignisse bildet für den rhythmisierten Zusammenhalt der »Erregungsgemeinschaft« (Sloterdijk) – die sich als Bild in einer ›dauerorgastischen‹ 24 Stunden am Tag bespielbaren Börse verdichtet – nur die Wellenspitzen im allgemeinen ›flow‹ televisueller Bilder. Denn neben den unvorhergesehenen und hierin ›einzigartigen‹ Medienereignissen erinnern wohl nur noch Fußballweltmeisterschaften an die ›Straßenfeger‹ aus den Anfangs-
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jahren des Fernsehens. Die Erfahrung eines ›normalen‹ Fernsehalltages ist eher vom Gegenteil geprägt, von der Vorhersehbarkeit des endlosen Stroms (Williams 2001) an Soaps und Serien, Nachrichten und Filmen, wieder und immer wieder gebrochen durch Werbeblöcke. Durch Aufmerksamkeitsstimulation: viel Blut!, viel Feuer!!, viel Drama!!!, viele Schnitte!!!! wird das Bildmaterial zu authentifizieren und die Zuschauenden ›bei Laune‹, das heißt, beim Sender zu halten versucht. Es gilt das Paradox, dass die kollektive Erfahrung Fernsehen die Gleichzeitigkeit eines gleichförmig dahin fließenden Bilderstroms und einer schockartig aufgeheizten Aufmerksamkeitsstimulation aufweist. Die gemeinschaftskonstitutiven Effekte der Homogenisierungsleistung des Fernsehens können hingegen wie folgt ausdifferenziert werden: • Mit der apparativen Ebene des Fernsehens gehen spezifische Sichtweisen der Welt einher, insbesondere erzählt sie den Mythos der (apparativen) Selbst- und Neuerschaffung der Welt. • Auf der technischen Ebene sind die Zwänge der Apparatur mit seinen Forderungen an spezifische Wahrnehmens-, Verhaltens- und Erlebnisweisen wie Stillsitzen, passive Erregung und nonduale Kommunikationsstruktur ausgewiesen. Auf der Ebene der Wahrnehmung ist von Relevanz, dass bereits die Dekodierung filmischer Darstellung ein spezifisches kulturelles Kapital voraussetzt, das die westliche Bildgeschichte vorbereitet hat. Es ist in Kulturen und Zeiten jenseits medialer Visualisierungsstrategien kaum möglich, in Industrienationen vertraut und ›eindeutig‹ erscheinendes Bildmaterial zu ›lesen‹. Béla Balàz bspw. berichtet in den 1920er Jahren von einem sibirischen Mädchen, das nach einem Kinobesuch in Moskau ›entgeistert‹ von den auseinander gerissenen Körpern berichtet, die es sah: Sie ergänzte die sichtbaren Körperteile nicht um die im Bild abwesenden, sondern sah ›nur‹ fragmentierte Körper (vgl. Schneider 2000: 22). In diesem Sinne ist mit durchaus kritischer Implikation von einer Form visueller Alphabetisierung qua Medieneinsatz zu sprechen, die sich ähnlich wie die Schrift dem Körper ›einschreibt‹, indem sie einerseits Wahrnehmungsgewohnheiten formiert, sich andererseits der reflexiven Distanzierung immer auch entzieht. • Auf der mediensozialisatorischen Ebene zeigt sich eine Form hybrider Gedoppeltheit sozialer Erfahrung, indem mit verschiedenen motivationalen Hintergründen die medial inszenierten Welten als »parasoziale Interaktion« (Horton/Wohl 1956; vgl. auch Vorderer 1996) in die soziale Lebenswelt hereingeschaltet werden können, bzw. soziale und parasoziale Lebensbereiche ineinander übergehen. In der wechselseitigen Verbundenheit, Bezogenheit und gegebenenfalls auch Verwirrung beider Bereiche sind die Rezipienten heimisch. Spezi-
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fisch ist hier die hauptsächlich einseitige Kommunikationsform der Medien. Auf der inhaltlichen Ebene gilt die Vertrautheit mit medial inszenierten Darstellungs- und Rollenmodellen, denen in der mimetischen Macht der Wahrnehmungsprozesse im Sinne der ›Bildgebung‹ qua ›medialer Autorität‹ normative Effekte zugerechnet werden können. Auf der synchron-sozialen Ebene findet Fernsehen als gemeinsame Erfahrung statt, oft von verbalen Kommentaren durchzogen. Auf der diachron-sozialen Ebene zeigt sich die soziale Anschlussfähigkeit und Effektivität fernsehmedialer Rahmungs- und Rollenmodelle in einer orientierenden Funktion in der sozialen Handlungspraxis. Diese Ebene bildet die Untersuchungsebene der vorliegenden Studie.
Dem televisuell Kommunizierten sind seine technosozialen Implikationen eingeschrieben, die genannten Ebenen bilden sozusagen das Material der Bilder. Gleichzeitig entzieht sich das Medium seiner direkten Beobachtung. »The medium is the message«, konstatiert der berühmt gewordene Slogan Marshall McLuhans (wobei er damit wohl auch spielerisch die taktile Massage der Retina durch den Lichtstrahl meinte, vgl. de Kerckhove 1999: 196f.). Sybille Krämer differenziert diese immer wieder neu interpretierte Aussage, indem sie betont, dass eine vermittelte Botschaft immer sinnprägend das Medium als Spur eines Abwesenden in sich trägt: »Das Medium ist nicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrt sich an der Botschaft die Spur des Mediums« (Krämer 2000: 81). Daraus ergibt sich wiederum das Paradox, dass das Fernsehen als Medium unsichtbar bleibt, andererseits als sinnprägende Spur des Mediums und prädiskursiver Bedeutungsüberschuss der Apparatur immer schon in die Botschaft eingelassen ist. Medium und Botschaft – wie Stimme und Sprache, Körper und Bewegung, Fernsehen und Sendung – sind voneinander durchdrungen und bedingen einander, sie bilden ein reziprokes und interdependentes Wechselverhältnis, in dessen kommunikativen Ausdrucksfeldern sich die sozialen Akteure ebenso bewegen, wie sie in sie eingelassen sind, die ihnen ebenso widerfahren, wie sie mit ihnen umgehen, und die gerade insofern produktiv sind, wie sie sich dem Blick entziehen: »Medien sind die historische Grammatik unserer Interpretationsverhältnisse; sie sind Bedingung nicht nur der Möglichkeit von Sinn, sondern auch seiner Durchkreuzung, Verschiebung, eben Subversion.« (Krämer 2000: 90)
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Konsenseffekte der Massenmedien Mit dem Einzug des ›Geflimmers‹ in den privaten und den öffentlichen Raum kann von einer Form ›realer Fiktionalisierung‹ sozialer Lebenswelten gesprochen werden, die Vorstellungs- und Wahrnehmungsweisen von Welt ebenso prägen wie soziale Handlungspraxen. Gleichwohl sie in dem Truman-Film in einer Form Mediengefängnis figuriert werden, ist die mediale Kultur mit ihren spezifischen Visualisierungspraktiken kein homogenes Gebäude, sondern unterliegt ›ihren‹ lokalen Aneignungsprozessen. Entsprechend erlauben dieselben Medien, die die Globalisierung fördern, auch Prozesse der Lokalisierung und Hybridisierung. Dennoch ist die Internationalisierung des Fernsehens eines der Musterbeispiele für eine neue Form medialer Gemeinschaftsstiftung. Die globale Vernetzungsleistung besteht in der Vertrautheit televisueller Darstellungsstrategien und massenmedialen »Infotainments« (Postman), sie besteht in dem orientierenden Glauben an den weltumspannenden Fluss der bewegenden Bilder. Das heißt auch, dass wesentliche Leistungen der kollektiven kulturellen Verständigung im Zeitalter massenmedialer Kommunikationsformen an technisch erzeugte Bilder übergegangen sind. Dies geht mit Machteffekten einher, wie Götz Großklaus herausstellt: »In der Macht der Bild-Regie steht es, welches Ereignis auf der Bühne der Sichtbarkeiten als Spektakel oder Event seine Inszenierung erfährt und welches nicht, welches eine Rolle spielen wird in den institutionellen Diskursen und welches nicht.« (Großklaus 2004: 10)
Mit der Frage der Machteffekte televisueller Inszenierungen ist die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt postindustrieller Gesellschaften mit ihrer zunehmenden sozialen Komplexität und Dezentrierung virulent. Peter Sloterdijk konstatiert: »Weil aber auch Großgesellschaften für ihre Angehörigen als Innenwelten erfahrbar sein müssen, stellt sich in den Hochkulturen wie in den anschließenden Massengesellschaften das Problem, symbolisch strukturierte Großinnenräume zu erzeugen, die von den unzähligen Mitgliedern der Gesellschaft als eine Art von bewohnbaren Welthaus erfahren werden können.« (Sloterdijk 1994: 84)
Für die Hervorbringung medial strukturierter Wohnverhältnisse als Innenräume des Sozialen macht er die Idee globaler Vernetzung geltend, die qua Einbildungskraft Effekte der Kohärenz produziert:
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»Eine Gesellschaft ist so lange eine Gesellschaft, wie sie sich erfolgreich einbildet, eine Gesellschaft zu sein. Nun hat aber […] der Prozess der Selbsteinbildung von Gesellschaften sein Erfolgsprinzip nicht so sehr in der Hervorbringung eines effektiven gemeinsamen Bildes von der Gesellschaft in jedem einzelnen ihrer Mitglieder, sondern mehr noch in de Erzeugung von sonosphärischer Kohärenz.« (Sloterdijk 1994: 85)
Ebenso stellt Christina von Braun epochale Medienkonfigurationen in ihren ›behausenden‹ Eigenschaften heraus und bestimmt die moderne Konstruktion von Gemeinschaft als einen medial bedingten Kollektivkörper: Ein Artefakt, mit dem das Kollektiv sein Selbstbild entwirft, der »das Individuum bis in den Leib, die Psyche, die Gefühlswelt hinein« (von Braun 2001: 333) prägt. Der soziale Entwurf eines medial bedingten Kollektivkörpers hat sich in einen umfassenden gesellschaftlichen Prozess massenmedialer Vernetzung seit der Industrialisierung durchgesetzt und vertraut auf die Vorstellung einer auf Kommunikationsmitteln beruhenden Gemeinschaftskohärenz, die sich nicht nur auf Massenkommunikationsmittel, sondern ebenso auf Transportmittel und den Fluss des Geldes bezieht. Von Braun führt aus: »Mit dem ausgehenden zweiten Jahrtausend prägt das Bild einer ›globalen Vernetzung‹ zunehmend die Vorstellung des Kollektivkörpers. Vor allem die Datenflüsse sind zum Symbolbild eines zeitgenössischen ›Lebenssaftes‹ geworden, der nicht nur einzelne Gemeinschaften bildet, sondern auch die Gemeinschaften untereinander verbindet.« (von Braun 2000: 39)
Der technische »Lebenssaft« der Gemeinschaft: das verbindende Netzwerk bringt Konsens stiftende Homogenisierungsprozesse hervor, die moderne Gemeinschaften – gerade in ihrer Vielfalt – auszeichnen. Als Gemeinschaftskonstituens ist es nicht verwunderlich, dass dieser »›Lebenssaft‹« emotional hoch aufgeladen ist, denn er suggeriert Nähe – gleichwohl eine künstlich generierte, eine simulierte Nähe. Es ist demzufolge weniger das, mit dem eingangs erwähnten Bild, wärmende Lagerfeuer der Television, das qua verbindender Inhalte gemeinschaftskonstitutiv wirkt (das Bild des Feuers ist ja schon ein Bild des Zentrums), sondern der alle mit allen verbindende »Lebenssaft«, der Glaube an den verbindenden Fluss der Bilder, Daten, Informationen etc., der Gemeinschaften erschafft und erhält: »In Wirklichkeit ist der Konsens aber nicht den Strukturen der modernen Industriestaaten zum Trotz, sondern wegen ihnen entstanden. Anders ausge-
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drückt: Der moderne Gemeinschaftssinn ist das Produkt der Kommunikationsgesellschaft, ihrer Strukturen und Vernetzungen.« (von Braun 1999: 4)
In diesem Sinne ist die Konsens stiftende Funktion der Massenmedien allgemein und des Fernsehens im besonderen zu verstehen: Es steht, weit über das einzelne Fernsehbild hinaus, für Gemeinschaftlichkeit qua Gemeinsinnigkeit, es steht für die kollektive Verbindung und Verbundenheit qua gemeinsamen Anschlusses an den weltweiten Strom eines bebilderten »Infotainment«. Dies in sicherer Distanz, denn selbstredend liegt die Fernbedienung in der Rezipienten Hand, und die Welt bleibt, fernsehmedial übertragen, gleichzeitig außen vor. Der prädiskursive Bedeutungsüberschuss der »magischen Kanäle« (McLuhan) kommt somit einer weltweiten Kommunikation in sicherer Distanz zugute: Ein scheinbares Paradox, das in seinen sozialen Effekten kaum zu unterschätzen ist. Denn während einerseits das Medium in seinem sozialen Gebrauch eine Form der Distanznahme zur Welt aufführt, werden die medial kommunizierten Inhalte gleichzeitig in Prozessen der mimetischen Eingewöhnung nach innen genommen und, dies ist anzunehmen, für Vorstellungswelten wie für Handlungspraxen in dieser oder jener Weise effektiv. Mit der Vorstellung der Gemeinschaft als eines medial bedingten und vernetzt-fließenden »Kollektivkörpers« gehen Konzepte einher, in denen sich sowohl Geschlechtergrenzen und die Vorstellung eines begrenzten Körpers verflüssigen, in denen die Vorstellung eines intentionalen Subjekts zunehmend in die Krise gerät und die Betonung des Hybriden, Vernetzen und Performativen von Gemeinschaften zur Blüte kommt. Das simulierte »Welthaus« formiert hierbei Gemeinschaften gleichermaßen, wie es wiederum Eingrenzungen und Ausgrenzungen schafft. Dies liegt nicht nur an den Bewohnern und den Nicht-Bewohnern der »telekommunikativen Glocke« (Sloterdijk 1998: 28), an einem freiwilligen Entzug oder einem mangelnden Anschluss, es liegt an der Bewohnbarkeit des Glockenhauses selber, der Bewohnbarkeit einer glokalen Vereinheitlichung, mit der unausweichlich Kosten des Bezuges verbunden sind. Trotz der medialen Formierung gemeinschaftskonstitutiver konsensueller Übereinstimmungen gewährleistet die gesellschaftsweite Ausbreitung und Diversifizierung von Massenmedien und medialen Produkten keine Gleichförmigkeit medialer Erfahrungs- und Handlungsweisen von Einzelnen und Gruppen. Denn während Gemeinsamkeit und Gemeinsinnigkeit auf der Ebene epochaler medialer Konfigurationen formiert wird, bedarf es immer noch der konkreten sozialen Handlungspraxis, diese aktualisierend zu stabilisieren – oder eben zu unterlaufen und zu verschieben.
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Medienrituale Marshall McLuhan führt aus, wie sich technosoziale Gemeinsinnigkeit in Medienritualen verdichtet: »Der Vorteil bei der Sportberichterstattung ist, dass die Ereignisse rituell sind. Die Gruppe, die sich dafür versammelt, nimmt an einem Ritual teil. Die Olympischen Spiele waren sogar noch mehr als das Gruppenritual bei einem gewöhnlichen Wettbewerbsereignis in einem Ballspiel oder ein einzelnes Ballspiel, ein Einzelereignis, denn es hatte eine Gemeinschaftsbedeutung. Es war nicht einfach örtlich. Es hatte eine weltweite Bedeutung. Das ist selbst die rituelle Teilnahme in einem großen Vorgang. Das Fernsehen verstärkt und begünstigt eine Welt der Gemeinschaftsbeteiligung in der ritualistischen Programmgestaltung. Das meine ich, wenn ich sage, es ist ein kühles Medium. Es ist kein heißes Medium. Ein heißes Medium wie die Zeitung kann über Einzelereignisse mit hoher Intensität berichten. Das Fernsehen ist nicht gut für Berichte über Einzelereignisse. Es benötigt ein Ritual, einen Rhythmus, ein Muster. Deshalb ist eine Menge von der Werbung im Fernsehen zu heiß, zu spezialisiert, zu bruchstückhaft. Sie haben nicht diesen rituellen Fluss. […] Ich denke, es ist das große Geheimnis einer Sache wie die Olympischen Spiele. Die Menschen haben das Gefühl, dass sie als Gruppe an einem großen, bedeutsamen Ritual teilnehmen. Und es war nicht so wichtig, wer gewonnen hat. Das war nicht der Punkt. Aber ich glaube, das Fernsehen neigt dazu, solch eine Art Muster in den Ereignissen zu verstärken.« (McLuhan 1980)
McLuhan weist auf ineinander greifende Ebenen des Fernsehens hin, die er in ihrer rituellen Funktion kennzeichnet: die weltweite Berichterstattung von rituellen Großereignissen von »Gemeinschaftsbedeutung« wie die Olympischen Spiele, die »ritualistische Programmgestaltung« und den »rituellen Fluss« des Mediums, sein rhythmisches Muster. Diese Zuordnungen entsprechen in etwa den Ausdifferenzierungen im Bereich der Medienritualforschung. In diesem wird das Fernsehen als soziales Leitmedium betrachtet, das den Übertritt vom Alltag in rituell vorgeformte Erlebnisräume ermöglicht. Die durch das Medium Fernsehen formierten Erlebnisräume etablieren in ihrer sozialen Funktion zeitlich begrenzte, imaginäre oder virtuelle Gemeinschaften. Die bisherige Medienritualforschung kann in die folgenden vier Bereiche unterteilt werden (vgl. Bausch/Sting 2001): • Das Fernsehen ritualisiert soziale Kommunikation durch die Bereitstellung eines Kohärenz und Kontinuität erzeugenden Rahmens. Standardisierte Merkmale der Darstellung im Medium, zum Beispiel der immer wiederkehrende Sprecher und Hintergrund bei Nachrich-
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tensendungen, regulieren die Wahrnehmung des Gesendeten beim Zuschauer. (Carey 1989, Fürsich 1994) Mediale Inszenierungen stiften ritualisierte, gemeinschaftsbildende Großereignisse. Außermediale Ereignisse wie Kriege, Katastrophen oder Sportveranstaltungen werden in rituellen Inszenierungen präsentiert, die in exemplarischen Ereignissen verdichtete, transitorische Erfahrungen von gesellschaftsweiter Gemeinschaftlichkeit eröffnen. (Real 1989, Dayan/Katz 1992) Das Fernsehen führt zu einer Ritualisierung des Alltagshandelns. In der Verzahnung mit dem Alltagshandeln wird Fernsehen zu einem alltäglichen Ritual, das mit Hilfe seiner Zeit- und Programmstruktur zur Strukturierung und Fokussierung des Tagesablaufs dient. (Bausinger 1983, Doelker 1998, Morley/Silverstone 1990) Als eine »kosmisch-liturgische Ordnung« (Thomas 1998) ritualisiert das Fernsehen die Wahrnehmung der Wirklichkeit insgesamt. Der Programmfluss stellt ein permanentes ›potentielles‹ Ritual dar, das den Eintritt in den Wahrnehmungs- und Erlebnisraum der Gemeinschaft der Fernsehenden ermöglicht und auf diese Weise eine gemeinschaftliche Symbol- und Sinnwelt hervorbringt. (Silverstone 1993, Thomas 1998, 459ff.)
Diesen Ansätzen ist gemein, dass sie Medienrituale rezipientenunabhängig analysieren: Sie werden der Ebene des medialen Angebots, der kulturellen Form oder der sozialen Struktur von Medien zugeordnet, und einzelne Medienprodukte werden durch Merkmale wie Wiederholbarkeit, Formalisierung, Inszenierung und Rahmung als Rituale ausgewiesen. »Die einzelnen Sendungen performieren in ihrer relativen Abgeschlossenheit und Einheit einzelne Rituale. Als Organisationsformen der einzelnen Rituale haben sich differenzierte Form/Inhalt-Gestalten herausgebildet, die gemeinhin als Gattungen und Genres bezeichnet werden und eine Vielzahl von Koordinierungsfunktionen haben.« (Thomas 1998: 504)
Eine nur auf das mediale Angebot beschränkte Untersuchung von Medienritualen entkoppelt diese allerdings von konkreten Praxen sozialer Gruppen. Im Hinblick auf Gemeinschaftsbildungsprozesse handelt es sich bei den auf das Medium beschränkten rituellen Aspekten um ›sekundäre‹ Rituale und Ritualisierungen, die virtuelle Gemeinschaften im apräsenten Rahmen medialer Gegenwart konstituieren. Aspekte der Gemeinschaftsbildung qua Massenmedium bleiben in dieser Hinsicht auf der Ebene des Potentiellen, des rituellen Angebots, dessen Vollzug in der kopräsenten sozialen Interaktion durch nichts gesichert ist.
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Rituelle Medieninszenierungen Demgegenüber liegt es im Interesse der vorliegenden Studie, medienbezogene Ritualisierungsprozesse als elementaren Teilbereich der Mediensozialisation am Beispiel der Übergangsphase vom Kindheits- zum Jugendalter zu kennzeichnen. Für die biographisch zentrale Übergangsphase in die Adoleszenz gibt es, verglichen mit dem sozialkonstitutiven Initiationsritus in traditional organisierten Gemeinschaften, kaum institutionalisierte Rituale (Wulf et al. 2004). Diesem Tatbestand werden mitunter rudimentär entwickelte soziale Kompetenzen wie Selbst- und Fremdverantwortung zugeschrieben (Klosinski 1991). Zudem boomen die Publikationen, die auf die Notwendigkeit des pädagogischen Einsatzes von Ritualen für Kinder und, seltener, Jugendliche zwecks Orientierung und Strukturierung des Alltags hinweisen (Kunze/Salamander 2000; Diekemper/Reimann-Höhn 2001; Kaufmann-Huber 2001). Im Bereich medienbezogener Ritualisierungsprozesse bedeutet dies keine präsentische Aktualisierung einer apräsenten Fernsehgemeinde, sondern die soziale und gemeinschaftskonstitutive Praxis, in der vorstrukturierte mediale Sinn- und Orientierungsangebote verwendet und bearbeitet werden. Die Forschungsperspektiven des Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham, der in den USA entwickelten Ethnomethodologie und der Dokumentarischen Methode aus Berlin zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Blick auf das produktive Wechselverhältnis von produzierter und angeeigneter Kultur in der alltäglichen Handlungspraxis sozialer Akteure zu lenken. Das Augenmerk gilt hier nicht kulturellen Werken als herauszuhebenden Leistungen, sondern subjektiven und intersubjektiven Sinnbildungsprozessen sozialer Gruppen. In diesem Interesse fokussiert die vorliegende Studie Gemeinschaftsbildungsprozesse mit Medienbezug, um anhand konkreter Prozesse der Aneignung und Bearbeitung fernsehmedial vermittelter Bildbotschaften die Hervorbringung interner Bindungen sozialer Gruppen in Bezug zu allgemeinen Verhaltens- und Deutungsmustern zu untersuchen, die massenmedial figuriert und verbreitet werden. Fernsehen bildet allgemein einen ausgewiesenen Pool an in Geschichten und Bildern geformten Wirklichkeits- und Handlungsmodellen, die ein anschlussfähiges Bezugsfeld tradierter kollektiver Darstellungs- und Deutungsmuster eröffnen. Dabei ist die fernsehmediale Vermittlung insofern spezifisch, als dass das Dargestellte medial ›autorisiert‹ ist und sich als immer schon gerahmtes Bild der Wahrnehmung schärfer einprägt als eine face-to-face Situation. Die Altersgruppe der vorliegenden Untersuchung, die Zehn- bis Dreizehnjährigen, befindet sich an der Schnittstelle von Kindheit und Jugend. Hier zeigen sich erste soziokulturelle Verselbständigungstendenzen
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gegenüber den Herkunftsfamilien, und die sozialen Zusammenhänge der Gleichaltrigengruppen und die stilbildenden Bezugnahmen auf Medien und medial vermittelte Rollen- und Darstellungsmodelle gewinnen an Bedeutung (Barthelmes/Sander 1997: 75ff.). Dies kann durchaus auch zu einer ›Komplizenschaft‹ von Jugend- und Medienkultur in Abgrenzung zur Kultur der Erwachsenen führen (Sting 1992; Hengst 1994). Auch die Gleichaltrigengruppen, die sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung anhand der eigenproduktiven Methode der Videoinszenierung präsentieren und hierbei fernsehmedial vertraute Rollen und Formate kreativ bearbeiten, verbinden sich in der handlungsorientierenden Vertrautheit und gemeinschaftskonstitutiven ›normativen Normalität‹ televisueller Bilder. Fernsehen kann in dieser Hinsicht als liminale Zone verstanden werden, die in der Bearbeitung in Peergroup-Praxen gesellschaftliche Integration ermöglicht. Franz Joseph Röll führt diesbezüglich aus: In unserer Gesellschaft »übernehmen die Medien die Aufgabe, die Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren. In telematischen Gesellschaften erhalten die Medien die Rolle der Transmitter im Übergang von räumlichen und sozialen Übergangszuständen. Sie bilden nicht nur die Basis und den Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Kommunikation, sie sind gleichzeitig Träger der für die Sinnorientierung bedeutsamen symbolischen und mythischen Botschaften. […] Im Unterschied zu traditionalen Gesellschaften verhelfen die Medienmythen […] zu einer Stabilisierung der eigenständigen Kultur der Gleichaltrigen, die in Konkurrenz mit der Welt der Erwachsenen steht. Für Jugendliche ist die Peer-group der Bereich, wo unterschiedliche Lebensformen erfahren und ausprobiert werden können.« (Röll 1998: 416ff.)
Die medialen »Transmitter« ebnen in diesem Verständnis den Weg ins Jugend- und Erwachsenenalter. Gleichzeitig führen die Gleichaltrigengruppen der Untersuchung in ihren Videoinszenierungen vor, wie sie sich in dem medial konstituierten Körper der Gemeinschaft, in den sie eingelassen sind, behaust, mit anderen Worten: heimisch fühlen. Zentrales Thema der Bearbeitungen und Abarbeitungen der Gleichaltrigengruppen, wie die Mikroanalysen der Videoinszenierungen aufzeigen, sind medial vermittelte geschlechtsspezifische Körperbilder. Anhand dieser Körperbilder werden die medialen ›Behausungsgefühle‹ der sozialen Akteure plastisch, indem sie die medial vermittelten Bilder der Gemeinschaft als Körperbilder inszenieren und hierbei zugleich kommentieren. Hierin vergemeinschaften sich die Kinder über religiöse und ethnische Unterschiede hinweg. Mary Douglas führt bezüglich der Interdependenz von Körper- und Gesellschaftsvorstellungen aus:
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»All die kulturell geprägten Kategorien, die die Wahrnehmung des Körpers determinieren, müssen den Kategorien, in denen die Gesellschaft wahrgenommen wird, eng korrespondieren, weil und insofern auch diese sich aus den kulturell verarbeiteten Körpervorstellungen ableiten.« (Douglas 1998: 99) Der insbesondere Initiationsritualen eigentümliche Schwellencharakter (van Gennep 2005; Turner 2005) ist in den Videoinszenierungen gleichwohl nicht im Sinne einer biographischen, sondern eher im Sinne einer technogenen Schwelle präsent. These ist, dass in medial vernetzten Gesellschaften die Schwelle zwischen massenmedialer und direkter Kommunikation zumindest implizit in sozialen Praxen bearbeitet wird bzw. sich in diesen aufzeigen lässt. Dieser für medial konstituierte Gemeinschaften durchaus wichtige handlungspraktische Vollzug ist empirisch weitgehend unerforscht. Erstens zeigt sich, dass technogene Schwellen, wie sie im Wahrnehmungsprozess massenkommunizierte Bilder sind, keinen Übergang im Sinne des transitorischen Raums der Medienrezeption darstellen, sondern vielmehr ein technisches und durchaus auch produktives (Zerr-)Spiegelverhältnis der Gesellschaft zu sich selber. Zweitens: Selbst wenn, allgemein gesprochen, technische Maschinen als Ausweitungen des Körpers verstanden werden, wie es McLuhan vorgeschlagen hat, stellen sie in gleicher Weise das per se Andere des Körpers dar. In dieser Doppelsinnigkeit technischer Medien – Spiegel und Differenz – ist die Bearbeitung der technogenen Schwelle in konkreten sozialen Praxen als der Handlungskontext zu betrachten, in dem die Differenz zwischen massenkommunizierten Bildern und körperlichen Handlungsvollzügen sinnstiftend verhandelt wird. Für die Verortung dieser sozialen Integrationsleistung wird der Begriff der rituellen Medieninszenierung eingeführt, der die explizite inszenatorische Bezugnahme auf massenkommunizierte Bilder in ihrem potentiellen Vergemeinschaftungsangebot und somit die implizite Bearbeitung der Schwelle zwischen Körper und technischem Bild thematisiert. Diese Schwelle wird in rituellen Bearbeitungen gebunden, ist als konstitutionelles Spannungsverhältnis gleichwohl nicht überwindbar. Der Begriff der rituellen Medieninszenierung richtet sich somit auf konkrete körperliche Interaktionspraxen in ihren prozesshaften, dynamischen, temporären und gemeinschaftskonstitutiven Aspekten und in ihrem Bezugsverhältnis auf mediale Vermittlungsangebote. Körperinszenatorische Bearbeitungen medienpraktischen präreflexiven Handlungswissens in sozialen Gruppen können auf diese Weise begrifflich und ritualtheoretisch verortet werden. Grundlage der Untersuchung ist hierbei ein den Massenmedien angemessener, offener und dynamischer Ritualbegriff, wie er in der Ethnographie,
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in der Sozialforschung und in der Medienritualforschung Verwendung findet. Die Untersuchung fokussiert jugendliches Medienhandeln als sinnstiftende kulturelle Praxis, die in rituellen Medieninszenierungen verdichtet zur Aufführung kommt. Hierbei gilt bereits, dass Medien mit Hilfe ritualisierter Darstellungs- und Präsentationsweisen soziale Wirklichkeit inszenieren, die in rituellen Medieninszenierungen aufgegriffen und gruppenkonstitutiv bedeutend verdichtet wird. Somit führen rituelle Medieninszenierungen vor, wie sich der mediale Inszenierungscharakter auf alltägliche Gesellungspraktiken und Praktiken der Selbstdarstellung auswirkt (vgl. Hahn/Willems 1998; Willems/Jurga 1998a). Zudem können sie als der soziale Rahmen ausgewiesen werden, anhand dessen Identifizierungs- und Distanzierungstechniken bezüglich eines medienbezogenen gemeinsamen praktischen Wissens und »angemessenen Handelns« (Jennings 1998) verhandelt, aufgeführt und dargestellt werden. Rituelle Medieninszenierungen werden nicht auf die Teilnahme am ›medialen flow‹ einer apräsenten Kollektivität bezogen, sondern an die kopräsente soziale Praxis konkreter Gruppen geknüpft, die in diesem Rahmen geschlechts-, milieu- und altersspezifische Orientierungen, Deutungsmuster, Interessen und Abgrenzungen aufführen. In dieser Perspektive bringt sich Gemeinschaft im angemessenen Akt körperlichen und sprachlichen Handelns, in actu, hervor, und wird hierbei gleichzeitig als Gemeinschaft erfahren (Jennings 1998: 162ff.). Oder mit dem berühmten Satz von Martin Buber: »Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht« (Buber 1997: 185). Dabei ist nicht davon auszugehen, dass medienbezogene Ritualisierungsprozesse bewusst im Sinne einer intentionalen Verfügbarkeit ritueller Gesten eingesetzt werden. Mediengebrauch ist bereits von einem tendenziell geringen Grad an Bewusstheit und Reflexivität geprägt, und auch die Aktivitäten von Peergroups zeichnen sich durch eine Spontaneität und Informalität des Handelns aus. Entsprechend fokussiert die methodische Vorgehensweise die körperliche Inszenierungsebene sozialer Interaktionsprozesse. Vertraute, medial vermittelte Handlungsmuster erzeugen hier einen experimentellen Orientierungsrahmen für gemeinschaftskonstitutive Sinnbildungsprozesse. Die Ebene des mimetisch einverleibten, präreflexiven und praktischen Inszenierungswissens, das soziale Gruppen in der Gestaltung ihrer sozialen Praxis aufgreifen und bearbeiten, steht somit im Zentrum des Forschungsinteresses. Die kreativen Bearbeitungen medial vermittelter Rahmungs-, Handlungs- und Rollenmodelle, sind hierbei immer zugleich Aushandlungen der Ordnung der Gruppe in ihrer internen Differenziertheit und ihrer thematischen Orientierung.
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Rituelle Medieninszenierungen sind durch die Verknüpfung von thematischen Aushandlungen und medialen Rahmungsmodellen gekennzeichnet. In den vorliegenden rituellen Medieninszenierungen der Untersuchung zeigt sich der vordergründig formale Charakter gemeinschaftlicher Aushandlungen deutlich im Medium der Sendeformate: fast alle Inszenierungen sind als Fernsehformate gerahmt. Hierbei ist herauszustellen, dass mit formalen Aspekten einer Darstellung notwendigerweise inhaltliche und somit normative Implikationen einhergehen. Wenngleich die analytische Trennung von Form und Inhalt heuristisch sinnvoll ist, ist sowohl ihr Bezugsverhältnis und ihre kulturelle Konstruktion zu betonen. Entsprechend zeigen die Materialanalysen die normative Aufladung und geschlechtliche Konnotation auf der Ebene der Sendeformate, die spezifische Aushandlungs- und Darstellungsmodelle inszenieren, und die eng mit ihrem Inhalt, den spezifischen Themen der Inszenierungen, korrelieren.
Mediensozialisationsprozesse In der Sozialisationsforschung und in der Jugendmedienforschung wird seit geraumer Zeit einhellig auf den von anderen Sozialisationsfeldern unterscheidbaren Bereich der Mediensozialisation hingewiesen (Hurrelmann/Ulich 1999; Schorb 1997; Hurrelmann 1994). Zugleich stellt der Gebrauch von Medien keine klar abgrenzbare soziale Praxis dar, sondern ist in konkrete soziale Felder wie das der Familie oder der Gleichaltrigengruppe eingebettet. Vor allem hinsichtlich des ›klassischen‹ Mediums Fernsehen gibt es eine Vielzahl detaillierter Studien, die medienbezogene Sozialisationsprozesse im Kontext von Familie und Peergroup analysieren. Es liegen u.a. Untersuchungen vor zur geschlechtsspezifischen Medienrezeption (Heining-Wirth 2004; Götz 1999 ), zu Talk-Shows (Göttlich/Krotz/Paus-Haase 2001; Paus-Haase/Hasebrink/ Mattusch/Keuneke/ Krotz 1999), zum Beziehungsfeld Familie und Medien (B.Hurrelmann/ Hammer/Stelberg 1996; Keppler 1995), zur Mediensozialisation (Vogelgesang 1997; Vollbrecht 1997; Barthelmes/Sander 1997), zu Werbung und Kindern (Aufenanger/Neuß 1999; Mayer 1998), zu fernsehbegleitenden Gesprächen (Klemm 2000; Püschel 1993) – und auch über das »Leben ohne Fernsehen« (Sicking 1998). Insbesondere die Jugendmedienforschung weist seit längerem auf die Bedeutung von Medienproduktion und peergroupbezogener Rezeption hin. Gegen lineare Wirkungsannahmen (Postman 1988, 1983; Glogauer 1994) wird die Figur des »aktiven Rezipienten« gestellt, der entsprechend seinen biographischen und sozialen Voraussetzungen relativ frei über Medien als plurales Konsumtions- und Aktivitätsangebot verfügt
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(Schorb 1995; Baacke 1999). Medienbezogenes Handeln wird in dieser Sichtweise den subjektiven Aneignungsprozessen der Rezipienten untergeordnet und in deren soziale Handlungspraxis eingebettet. Die Annahme einer voraussetzungslosen Übernahme und Umsetzung televisueller Bildbotschaften in der sozialen Handlungspraxis wird durch die Rückbindung an primäre Sozialisationskontexte wie Familie und Schule abgeschwächt. Fernsehkritische Positionen weisen auf verdummende Massenmanipulation durch die »Kulturindustrie« (Horkheimer/Adorno 1947/1989), auf eine Superideologie des Showbusiness, in der alles zur Unterhaltung wird (Postman 1988), auf unsichtbare Mechanismen der Zensur, auf die Logik der Quote, auf symbolische Gewalt (Bourdieu 1998) hin. Gerade pädagogisch motivierte Ratschläge warnen im Sinne eines: Je später, je weniger, je begleiteter, desto besser vor Effekten der Massenmedien. Kritisch gegenüber einseitiger Medienschelte wird im Zusammenhang der an der Birminghamer Schule der Cultural Studies orientierten Forschung dem Bild des der Manipulation ausgelieferten Rezipierenden das der aktiv Konsumierenden entgegengesetzt (Fiske 1996; Willis 1990; für die deutsche Rezeption Hepp/Winter 2006; Hepp 2004; Winter 2003, 2001; Bromley/Göttlich/Winter 1999; Barthelmes/Sander 1997). Angesichts der Pluralisierung und Multiplizierung der Medienlandschaft dominieren auch in Deutschland inzwischen medienpädagogische Ansätze, die unter dem Stichwort »Medienkompetenz« (Schell/Stolzenburg/Theunert 1999), jüngst auch »Medienbildung« (Marotzki 2004), auf die Befähigung des Individuums zu einem zweck- und zielgerichteten Mediengebrauch setzen und bildende Funktionen des Mediums betonen. Die Fähigkeit, Medien bestimmungsgemäß zu nutzen, wird allerdings meist zur Entwicklungs- und Bildungsaufgabe erklärt, die medienbezogenes Handeln auf pädagogisch akzeptierte Praktiken beschränkt. Trotz der Herausstellung aktiven Rezeptionsverhaltens bleiben Deutungsmuster an ›ihre‹ massenmedial vermittelten televisuellen Codes gekoppelt, und es ist von einem komplexen Verhältnis von Rezeptionsvorgaben und Rezeptionsweisen auszugehen, die in einem Prozess der Bedeutungsproduktion und -zirkulation stehen. Die Rezeptionsweisen sind in primäre (Familie) und sekundäre (Peergoup) Sozialisationskontexte eingebettet und werden hier sinnstiftend bedeutet. Eine einseitige Betonung kreativer Rezeption, die sich gegen einen medien- oder ideologiekritischen Manipulationsvorwurf stellt, wie er von der Kritischen Theorie vorgebracht wurde, läuft wiederum in Gefahr, Medienvorgaben kontrollierende und normative Effekte abzusprechen. Heinz Hengst hebt entsprechend hervor:
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»Wie aktiv das Publikum auch ist, es bleibt die Frage, womit es sich wann auseinandersetzt, wie ihm das Angebot zugänglich gemacht wird, unter welchen Bedingungen es zirkuliert. Was die Machtbeziehungen angeht, so ist vor allem zu berücksichtigen: Bei den Scripttransaktionen handelt es sich um Beziehungen zwischen natürlichen Personen und korporativen Akteuren, Beziehungen, die eine ›strukturelle Asymmetrie‹ (Coleman 1986: 140) aufweisen.« (Hengst 1994: 253f.)
Auch John Fiske betont das Zusammenspiel von »medialen Texten«, wie er sie nennt, und Rezeptionsprozessen, wobei er diese nicht als Gegenüber konzipiert, sondern als Prozess: »Es gibt keinen Text, es gibt kein Publikum, es gibt nur noch Prozesse des Fernsehens (Fiske 1999: 235). Sein Interesse gilt den Prozessen der Herstellung von Bedeutungen und Vergnügen, die Fernsehen sind, wobei er deren methodische Erforschung als »entmutigendes Projekt« (Fiske 1999: 252) veranschlagt. Wohlauf, diese Studie gilt genau den Prozessen medienbezogener Bedeutungsstiftungen in sozialen Interaktionspraxen. Die konkrete Einbettung kindlichen und jugendlichen Medienhandelns in lebensweltlichen Kontexten ist noch weitgehend unbeleuchtet, gleichwohl Medien wie ausgeführt in Peergroup-Interaktionen eine wichtige soziale Orientierungsfunktion insbesondere auf der Ebene der Lebensstilangebote zugewiesen wird, die der Konstitution von Gemeinsamkeiten im Alltagshandeln und der Signalisierung von Zugehörigkeiten an kollektiven Lebens- und Werthaltungen dienen (Vogelgesang 1997; Vollbrecht 1997). Die Übernahme kollektiv lesbarer Stilelemente steht dabei im Spannungsverhältnis mit ihrer je individuell zu erscheinenden Inszenierung – ein fragiler Balanceakt. Auf dieses Spannungsverhältnis von Individuellem und Allgemeinen weist auch Hans-Georg Soeffner hin: »Die Darstellungsmuster, Arrangements und Inszenierungen müssen immer wieder neu im Handeln umgesetzt werden. Sie sind an diese Realisierung im Handeln gebunden und binden es ihrerseits an vorgegebene, tradierte Muster. Sie unterwerfen das Handeln ihrem ›Eigensinn‹. Und da unser Wissen um Herkunft, Ordnungsleistungen und ursprünglichem Handlungssinn der von uns im Handeln aufgegriffenen Darstellungsformen nicht besonders stark ausgeprägt ist, zwingt sich den Handelnden in den darstellungszugehörigen Deutungsmustern ebenso oft ein fremder Wille auf. Die Wahl eines Lebensstiles ist unter dem herrschenden Individualisierungsdruck also einerseits notwenig, andererseits auch nicht völlig frei.« (Soeffner 1992: 24)
In einer solchen gesetzten Opposition von Freiheit und Zwang ist allerdings schwerlich klärbar, wie medienbezogene Bedeutungsstiftungspro-
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zesse in der sozialen Praxis verlaufen. Die vorliegende Studie geht demgegenüber davon aus, dass diese als Ermächtigungstechnik im sozialen Bezugsfeld der Akteure realisiert werden. Dann ist weniger von einem erzwungenem fremden Willen die Rede, als vielmehr von mehr und weniger kreativ genutzten Orientierungsangeboten. Dabei sind nicht nur die rituellen Aspekte des Medienangebots und der Medienrezeption in Betracht zu ziehen, sondern gerade die medienbezogenen Ritualisierungsprozesse in der Peergroup-Praxis. Denn erst, wenn sich das rituelle Angebot der Medien über deren Rezeption in der sozialen Interaktion realisiert, treten aus der apräsenten Telegemeinschaft konkrete medienbezogene Gemeinschaftsbildungsprozesse hervor. Massenmedien stellen Konjunktionsangebote für Kinder- und Jugendkulturen bereit, die auch unter anderem auf diese Zielgruppe ausgerichtet sind und von diesen geteilt wird. Dies zeigt sich insbesondere anhand der rund um den Globus stilbildenden Musikkulturszenen, die mit spezifischen Mode-, Bewegungs-, Gesten- und Sprachrepertoires einhergehen. In der Perspektive, dass fernsehmedial vermittelte Stilbildungsangebote und Darstellungsmuster weder, mit Karl Mannheim1, als ›rein‹ kommunikatives, das heißt erworbenes Wissen, noch als ›rein‹ konjunktives Wissen, das qua geteilter Handlungspraxis erzeugte Wissen, gelten können, hat Burkhard Schäffer den Begriff des »transkonjunktiven Erfahrungsraumes« (Schäffer 1998; vgl. allg. Bohnsack/Schäffer 2002) geprägt, um zu kennzeichnen, dass dieser transversal zu anderen sozialen Räumen steht. Fernsehen verstanden als »transkonjunktiver Erfahrungsraum« vermag entsprechend stilbildende Handlungsorientierungen zu vermitteln, die in der sozialen Handlungspraxis aufgegriffen und aktualisiert werden. Er ermöglicht hierin die Inszenierung medienbezogener Distinktions- und Konjunktionsprozesse, wie sie in rituellen Medieninszenierungen aufgeführt werden.
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Karl Mannheim unterstreicht die existentielle Verankerung des Denkens und Handelns: »Das menschliche Denken konstituiert sich nicht freischwebend im sozialen freien Raume, sondern ist im Gegenteil stets an einen bestimmten Ort in diesem verwurzelt. Diese Verwurzelung wird aber keineswegs als eine Fehlerquelle betrachtet werden dürfen.« (zit. nach Bohnsack 1999: 100) Während dieser die »Verwurzelung« noch als potentielles Gefahrenfeld thematisiert und argumentativ gegensteuert, hebt Simone Weil 1943 die soziale Notwendigkeit der »Verwurzelung« deutlich hervor: »Die Entwurzelung ist bei weitem die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft. Wer entwurzelt ist, entwurzelt. Wer verwurzelt ist, entwurzelt nicht. Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste und meistverkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.« (Weil 2003: 100)
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Körper auf Entzug? Bilder des Fernsehens werden über Prozesse mimetischer Anähnlichung und sinnstiftender Handlungsvollzüge in der sozialen Handlungspraxis auf der körperlichen Ebene effektiv. Die spezifische Verkörperungsform im Rahmen der Untersuchung ist der menschliche Körper selber, und somit eine Kategorie, die seit nunmehr drei Jahrzehnten im Fokus wissenschaftlicher Forschung steht – und inzwischen repräsentationskritisch als neue kulturwissenschaftliche Leitkategorie ausgerufen wird (FischerLichte 2001). Ist der Körper ein ausführender Apparat, den Ort seines geistigen Besitzers feststellend und seinen Befehlen nach seinem Vermögen Rechnung tragend? Ist die leichtere Materialität des menschlichen Denkens, Verstehens und Fühlens geformt entsprechend der ungeschriebenen kulturellen Gesetze, die wiederum die trägere Materialität des Körpers in inneren und äußeren Wahrnehmungs- und Handlungsformen prägen? Oder wäre es sinnvoller, von einem interdependenten Zusammenspiel zu sprechen, in dem sich das physische, psychische, mentale und soziale Sein des Menschen ohne einseitige Vorgängigkeit ineinander und miteinander entwickeln, bewirken und sich gegenseitig spiegeln, entsprechend struktureller Gewohnheiten und Muster, aber auch in immer neuen Verschiebungen? Ist die ebenso unterscheidende wie mit Bedeutungen aufgeladene Gegenüberstellung von Körper und Geist ›nur‹ Konstruktion insofern, als sich diese Gegensätze selbst kulturell tradiert sind und in der Arbeit mit diesen Kategorien Grenzen konstruiert und festgezurrt werden, die es eher zu verflüssigen gilt? Diese Fragen sind bereits Ausdruck verschiedener Denkmöglichkeiten über die ›innere Natur‹ des Menschen, vor allem aber Ausdruck dessen, dass er überhaupt gedacht wird. Vorstellungen über den Körper sind Teil der wechselseitig miteinander verbundenen, historisch hervorgebrachten und sich epochal verändernden Vorstellungen über die innere, die äußere und die soziale ›Natur des Menschen‹. Ohne eine Historisierung der eigenen Perspektive kommen die geschichtlich hervorgebrachten und wirkmächtigen Vorstellungen nicht in den Blick – und auch die dem Blick ›eingeschriebenen‹ ordnenden und grenzziehenden Vorstellungen bleiben unbesehen.
Gebildete Körper Die Geschichte des modernen Körpers ist eine Geschichte sowohl seiner Hervorbringung wie seiner Erziehung. In soziogenetischer Perspektive wird die Vorstellung eines begrenzten, berechenbaren, funktionalen und
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anatomisierten, eines kontrollierten, disziplinierten, dressierten und distinkten Körpers erst als Objekt und Effekt des ›dringlichen‹ wissenschaftlichen Interesses der ›Entschleierung der Natur‹ im Rahmen tief greifender sozioökonomischer und mentalitätsgeschichtlicher Umwälzungen hervorgebracht. Im Laufe des 18. Jh. wird durch die säkularisierten und durch ihr Systematisierungsanliegen ausgezeichneten Wissenschaften auch der Bereich des ›Natürlichen‹ geordnet: Körper und Geist, Kultur und Natur werden als sich gegenseitig ausschließende Bereiche beschrieben, geschlechtlich kodiert und hierarchisiert. Insbesondere die mit der Industrialisierung einhergehenden neuen Arbeitsmethoden und das sich zunehmend durchsetzende Schulsystem tun das ihrige zwecks Einübung neuer Körperpraktiken. Die mit dem Körperlichen einhergehenden Momente von Unberechenbarkeit, Unverfügbarkeit, Unvollkommenheit und Unbeherrschbarkeit laufen den definitorischen und körperpraktischen Bemächtigungsbestrebungen zuwider und folgsam wird versucht, ihm diese Momente auszutreiben. Die »neuen epistemologischen Gestaltungskräfte« (Duden 1991: 12) als beschreibende und objektivierende Aneignung des Körpers werden im Laufe des 19. Jh. in Deutschland auf breiterer Ebene wirksam – dem Jahrhundert, in dem auch die Alphabetisierung der Bevölkerung maßgeblich durchgesetzt wurde. Mit dem Ende des 20. Jh. wiederum beginnt ein Prozess, der die kulturelle Gewordenheit des Körperlichen in den Blick zu nehmen und dichotom geordnete und naturalisierte Eindeutigkeiten und Zuschreibungen zugunsten der Herausstellung heterogener Praxen aufzuweichen beginnt: Körperlichkeit wird zunehmend als uneindeutig und undefinierbar beschrieben. So betont Judith Butler die performative Konstitution von Identität, speziell von Geschlechtsidentität, in der Iteration von Identitätsperformanzen. Ihr Konzept stellt die Prozessualität der Subjektkonstitution heraus mit einem nicht über den aktuellen Moment hinaus zu fixierenden Charakter, da in der ständigen Wiederholung eines Musters unter je frischen kontextuellen Bedingungen unzählige Veränderungspotentiale geborgen sind (Butler 1991, 1997). Spätmoderne Körperkonzepte wie im Falle Butlers weisen eine ›Verflüssigungstendenz‹ oder ein ›Verflüssigungsbestreben‹ bezüglich der ordnenden und vor allem zuordnenden Grenzziehungen der Welt auf. Sowohl eine soziale Differenz der Geschlechter wie die Vorstellung eines geschlossenen Körperobjekts stehen zur Disposition. Die ›neue Unordnung‹ entspringt der Heraushebung einer kulturell hervorgebrachten Definition von Geschlecht – im Gegensatz zu der Idee eines ›natürlichen‹ Geschlechts. Christina von Braun begründet diese neue Perspektivmöglichkeit in der Trennung der Reproduktion vom weiblichen Körper und den neuen Visualisierungstechniken gerade des Films (von Braun 2000).
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Mit der Differenzierung zwischen sex und gender, zwischen sozialem und biologischem Geschlecht, werden die sich bislang überlagernd gedachten Kategorien begrifflich getrennt. Somit wird es einerseits möglich, das soziale Geschlecht als kulturelle Konstruktion in den Blick zu nehmen, andererseits, Foucault sei dank, den Blick selber als strukturierende und definitorische Macht mitzureflektieren. Wenngleich der Körper nun im Hinblick auf seine kulturelle Gewordenheit in den Blick gerät und sich in sozialen Gleichberechtigungsbestrebungen der Geschlechter wie in so genannten freien sexuellen Aktivitäten äußert, ist ihm seine kulturelle Geschichte gleichsam eingeschrieben: »Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man uns einlädt, ist bereits in sich ein Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er« (Foucault 1977, 42). Diese eingeschriebene Geschichte, die im individuellen wie kollektiven Körper sedimentiert ist, ist insbesondere eine Geschichte der Schrift (vgl. Goody 1986), die die distanzierende und normative Betrachtung des Körpers erst ermöglicht, indem sie die Distanz zwischen Körper und Wort und somit die Grundlage seiner schriftlichen-beschreibenden Aneignung schafft, die einer geistigen Neuschöpfung im Fleische gleichkommt. In ihrer Untersuchung der Entstehung und Verbreitung von Schrift geprägter Denkformen hat von Braun Abstraktion, Homogenisierung und Kontrollierbarkeit als deren zentrale Eigenschaften herausgearbeitet (von Braun 2001: 73ff.). Die Schriftsprache zerschneidet, wie sie schreibt, das orale Gemeinschaften »einigende Band der Mündlichkeit« (von Braun 2000: 22) durch das geschriebene Wort, das die gesprochene Sprache in phonetische Einzelteile zerstückelt und eine vormals unbekannte Distanz zwischen Wort und Körper und Körper und Gemeinschaft schafft. Die Strukturierung des Denkens qua berechenbarer Grammatik der Schriftsprache hat die Strukturierung des Körpers durch das Denken zur Folge, wie gleichzeitig Denken und Körper, Kultur und Natur als Gegensätze konstruiert und geschlechtlich kodiert werden. Mit dieser Neuordnung verbindet sich ebenfalls eine Verschiebung von einer zyklischen zu einer konsekutiven Zeitvorstellung, mit der die Idee eines linearen Fortschreitens der Zeit und hiermit die Idee des Fortschritts einsetzt. Demgegenüber zeigt die kulturelle Geschichte des Körpers, dass eine in eine mündliche Kultur eingebettete Leiblichkeit noch keinen rechten Begriff von sich zu haben scheint. (zur Lippe 1988; Snell 1946) »Die Wahrnehmung der Wirklichkeit unter Bedingungen der voralphabetischen Mündlichkeit lässt sich nicht mit einer be-schreibenden Wahrnehmungsweise vergleichen. […] Ohne die Vorstellung vom Gedächtnis als Ablagerungsort wiederauffindbarer Sätze, wort-wörtlich zitierbare Sätze, gerinnt die Wirklich-
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keit nicht zu der Art beschreibender Begriffe, die uns Selbstverständlichkeit geworden sind. Es bleibt etwas Fließendes und Unfassbares an der Wahrnehmung des Körpers, das in scharfem Kontrast steht zu der Klarheit der Grenzziehung, die sich in der griechischen Klassik entwickelt.« (Duden 1991: 49)
So schreibt Barbara Duden in ihrer sozialhistorischen Studie über das Körpererleben von Eisenacher Frauen um 1730. Sie stellt die Grenzziehung zwischen einer als ursprünglich vorgestellten Körperlichkeit gegenüber der Wandelbarkeit des geschichtlichen Feldes als kulturelles Vorurteil heraus und entwickelt exemplarisch, wie ›unvorstellbar‹ different eine vormoderne Körperwahrnehmung von einem modernen und spätmodernen Körperverständnis sein muss. Wenn Duden Körperlichkeit hierbei weniger als kulturelles Konstrukt denn als »epochales Sozialprodukt« kennzeichnet, ist es ihr Anliegen, die körperlich wirkmächtig werdende Produktivität gesamtgesellschaftlicher Themen zu kennzeichnen. Mit Gaston Bachelard argumentierend stellt sie dabei auch die aristotelische Gegenüberstellung von Stoff und Form insofern in Frage, als dass das eine gar nicht ohne das andere aufzutreten vermag, und die Annahme einer ungeformten, ihre (sic!) Formung empfangende Stofflichkeit bereits auf kulturellen Konstruktionen beruht. Demgegenüber favorisiert sie die Möglichkeit der Materialisierung, die im Rahmen epochaler Denkmuster wirkmächtig wird. Duden führt eine in ein vielschichtiges Beziehungsgefüge der MikroMakrokosmosanalogien eingeflochtene, vormoderne Körperlichkeit als fließende Leiblichkeit vor, die durch die neuen diskursiven Ordnungen zunehmend überlagert und verdrängt wird. Gegenüber einem Körperobjekt, das im 18. und 19. Jh. insbesondere durch medizinische und ökonomische Logiken hervorgebracht wird, hat eine vormoderne Leibhaftigkeit »keine Norm, ist nie etwas ›an sich‹, nie fertig, nie ganz da« (Duden 1991: 86). Es ist die »Gegenwart eines nach innen ungeteilten und nach außen grenzenlosen Körpers« (Duden 1991: 25). Die fließend erlebte Körperlichkeit begründet Duden anhand der untersuchten Frauenberichte in ihrer »Verwurzelung in einer älteren Schicht mündlich und holistisch vermittelter Motive« (Duden 1991: 50). Diese mündliche, rätselhafte Volkskultur, wie sie auch bei Bachtin erscheint, in der alles mit allem in fließender Verbindung erscheint, alles einander wechselseitig auf diese oder jene Weise entspricht und aufeinander bezogen ist, und dessen zumindest weibliche Körperlichkeit (noch) nicht von den modernen, trennenden Grenzziehungen durchzogen, zerteilt, geformt, hergestellt ist und von Duden entsprechend als »grenzenlos«, »unzerteilt« und ohne Norm beschrieben wird, dieser »Kosmos der Verkörperung« (Duden 1991: 57) wurde in einem als Fortschritts-, Entzaube-
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rungs-, Disziplinierungs-, Rationalisierungs-, Kontroll- oder Abstraktionsprozess gekennzeichneten und ebenso langwierigen wie wirkmächtigen und komplexen Vorgang von einer Kultur des Textes, der Distanzierung, der Strukturierung überlagert und geformt, in dem Grenzziehungen auch die Ebene des Körperlichen sowohl bildeten wie treffen. Eine Kultur mit wirkmächtig werdenden, trennenden und geschlechtlich kodierten Grenzziehungen bildet sich heraus – und eine Kultur, in deren Schriften Körper inzwischen als Schnittpunkte von Diskursen auftreten und auf diskursiven Diagonalen angeordnet werden. Die diskursive Aufdeckung der Grenzziehungen, die zwischen Körpern und durch Körper verlaufen, gehört inzwischen zu den Hauptanliegen ›körperbewegter‹ Studien. Sie eröffnet einerseits die Möglichkeit, die verschiedenen Facetten der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit in ihren normativen Formgebungen, andererseits das ›Zwischen‹ der Ordnungen, die Grauzonen und Hybridformen der sozialen Praxis zu beleuchten. Dabei ist das Bestreben kategorialer Verflüssigungen nicht mit der Beschreibung fließender Körperlichkeiten zu verwechseln, die in kulturhistorischen Untersuchungen zu tage treten. Die methodische Praxis eines Doppelblicks ist auch die Herausforderung, die das Material der Videoinszenierungen stellt. Da die Studie körperliche Inszenierungen und nicht primär Texte analysiert (wenngleich die Analysen textlich dargestellt werden), ist ein weiterer Doppelblick von Interesse: Wird die moderne Körperlichkeit mit und aus den Gesetzen der Schrift und des in der Schrift gründenden technischen Bildes geformt, stellt sich die Frage, ob und wenn ja, an welchen Stellen und auf welche Weisen sie sich diesen Formgebungen auch immer wieder zu entziehen vermag, inwieweit die historischen Formungen auch immer stückweit ›äußerlich‹ bleiben, gleichwohl sie paradoxerweise durch die Körper gehen. Kann ein solcher Entzug auf ›ältere Schichten‹ der Körperlichkeit (und damit der Gemeinschaft) weisen, die ›eigenwilligerweise‹ in ihm geborgen sind? An welchen Stellen ist ein solcher Entzug als Kommentar bezüglich der geltenden Ordnung zu lesen? Es stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wie und inwieweit es möglich ist, sich den Bild-Sedimenten des Kollektivs, die das Kollektiv als Gemeinschaftskörper gründen, zu entziehen. Und es stellt sich natürlich die Frage, ob die Möglichkeit, eine Position zu beziehen, als gemeinschaftskonstitutives Außen zu denken ist, oder ob es sich auf der Schwelle abspielt, die zwischen innen und außen der Gemeinschaft gezogen wird, und somit die Konstitution der Gemeinschaft, die auf einer gesetzten Differenz von Innen und Außen beruht, in Frage stellt, indem mit dieser Schwelle spielerisch umgegangen wird.
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Produktive Verkörperungen Die Objektivierung des Körpers und der noch manchmal verlautende Versuch einer ›Rückgewinnung‹ wird in den Sozialwissenschaften unter anderem als Paradoxie der Gleichzeitigkeit von Körperaufwertung und Körperverdrängung diskutiert (vgl. Klein 2002). Karl-Heinz Bette hebt die »Paradoxie und Semantik der Körperlichkeit in der Moderne« als Gleichzeitigkeit seiner Ausgrenzung und Aufwertung schon Ende der 1980er Jahre heraus (Bette 1989/2005). Die »Körperaufwertung«, für die der verstärkte soziale Einsatz von Extremsportarten und von asiatischen Körpertechniken ebenso geltend gemacht wird wie der boomende Wellnessbereich, wird als Aufbegehren gegen das körperliche Unbehagen im Hause der Abstraktion gewertet. Zu Beginn der 1980er Jahre wird »Die Wiederkehr des Körpers« (Kamper/Wulf 1982) im Rahmen der allgemeinen Vernunftkritik proklamiert, die einen mit Hoffnungsschimmern umgebenen Körper wie einen Rettungsanker in die Weiten geistiger Entmaterialisierungsstrategien wirft: »Von einer Wiederkehr des Körpers zu sprechen, unterstellt bereits ein Verschwinden, eine Spaltung, eine verlorene Einheit. Es geht mithin um die Trennung von Körper und Geist, um den Abstraktionsprozess des Lebens mit seiner Distanzierung, Disziplinierung, Instrumentalisierung des Körperlichen als Grundlage des historischen Fortschritts, um die damit einhergehende Entfernung und Ersetzung der menschlichen Natur durch ein vermitteltes gesellschaftliches Konstrukt, mit einem Wort: um Rationalisierung im weitesten Sinne – also um zivilisationstheoretische und geschichtsphilosophische Prämissen. Gleichzeitig mit der Unterstellung wird eine Bewertung vorgenommen: Die Wiederkehr gilt als Chance einer neuen authentischen Erfahrung oder als zu verwerfende Fiktion, als lang erwartete Blockade des Zivilisationsprozesses oder als kleine Atempause vor der endgültigen Eliminierung des Körpers in seinen Unvollkommenheiten, die – vom Anfang der Geschichte an – Quellen des Elends waren, als unüberwindbare Grenze ökonomischer Verwertungsinteressen oder als bloße Illusion, die den Vorwand für neuartige, noch intensivere Ausbeutung des Menschen biete.« (Kamper/Wulf 1982: 9)
Gilt hier die Hoffnung noch einer »neuen authentischen Erfahrung«, kristallisiert sich seit den 1990er Jahren eine zunehmend ›handelsüblich‹ werdende Denkfigur heraus, die die kulturelle Konstruktion des Körpers und die produktive Kraft des Abstraktionsprozesses betont, die ebenso Körperkonzepte wie Körpererfahrungen hervorbringt. Während der Prozess der Hervorbringung als Überformung eines ›körperlichen Grundma-
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terials‹ verstanden werden könnte, ist wie ausgeführt eher davon auszugehen, dass sich die Formung nicht auf eine Körperhülle bezieht, die eine Differenz von Leib und seiner soziokulturellen Überformung impliziert, sondern dass Körperformung immer auch als Körperhervorbringung zu verstehen ist, die sich auf der Ebene der Materialität selber abspielt. Körperlichkeit – wie auch Fernsehen – kann in diesem Sinne als offenvorstrukturierter Interpretationsrahmen verstanden werden, der epochal verschieden gelebt und ausgedeutet wird. Es handelt sich um Möglichkeiten, die je in ihrer prozessualen Aktualisierung hervorgebracht werden und so zur Realität gelangen. Das Soziale im Materiellen betont Michel Foucault in den produktiven Aneignungs- und Formungsstrategien der Disziplinar- und Normalisierungsmacht als konkrete historische Machtformen. Mit den berühmt gewordenen Worten Foucaults: »Das Individuum ist zweifellos das fiktive Atom einer ›ideologischen‹ Vorstellung der Gesellschaft; es ist aber auch eine Realität, die von der spezifischen Machttechnologie der ›Disziplin‹ produziert worden ist. Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ›ausschließen‹, ›unterdrücken‹, ›verdrängen‹, ›zensieren‹, ›abstrahieren‹, ›maskieren‹, ›verschleiern‹ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: Das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.« (Foucault 1975: 249f.)
Die These der gleichzeitigen Körperaufwertung und Köperverdrängung ist vor dem historischen Hintergrund der kulturellen Kodierung des Körpers zu lesen. Vor diesem Hintergrund kehrt nicht der Körper wieder, sondern seine kulturelle Bewertung verschiebt sich. Dies ist eines der deutlichen Zeichen für den Paradigmenwechsel, der sich sowohl in der sozialen Lebenswelt wie in den wissenschaftlichen Fragestellungen vollzieht. Er steht im Kontext der Repräsentationskritik, wobei die Idee der Repräsentation wiederum aufs Engste mit der Idee der Schrift verknüpft ist. Die Bedeutung körperlicher Handlungen, situativer und kontextueller Bezogenheiten, spontaner und sprunghafter Ereignisse, bedeutender Verschiebungen, prozessualer Entwicklungen, ritueller Vollzüge, materieller Gegebenheiten: Die performative Hervorbringung sozialer Praxis rückt zunehmend ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses (Praktiken des Performativen 2004; Hörning/Reuter 2004; Fischer-Lichte 2004, 2001; Theorien des Performativen 2001; Rao/Köpping 2000; Performative Praxis 2000). Bezogen auf den vorliegenden Lesestoff heißt dies bspw., weniger dieses Buch als schriftliche Versammlung der Forschungsergebnisse zu verstehen, als vielmehr deren Effekt bei den werten Lesenden. Im
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Zusammenhang mit der Erkenntnis der Bedeutung des Perfomativen sozialer Praxen wird sogar das Paradigma sozialer Disziplinierung im Sinne Webers und Foucaults zugunsten eines Paradigmas der Inszenierung verschoben (McKenzie 2001; Gebauer 1997). Das Soziale wird in der Perspektive des Performativen nicht in Kategorien der Kausalität gedacht, als eher in Kategorien der Verdichtung, indem es die individuellen und soziokulturellen Muster in ihrer spezifischen Aktualisierung hervorbringend, darstellend und aufführend verschiebt, aus denen es zugleich geformt ist, und zwar entlang der Gesetze, die historisch vertraut und als einverleibtes individuelles und kollektives kulturelles Gedächtnis im Fleisch sedimentiert sind. Dies ist nur scheinbar paradox: Das im Fleisch sedimentierte Gedächtnis ist als Potential gedacht, das seiner jeweiligen Aktualisierung bedarf, also des gewärtigen Augenblicks, um zur Erscheinung zu kommen. Ein dialektisches Verhältnis von Komponenten, die in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit den Prozess des Werdens ausmachen. Dies kann im Rahmen der angelegten Potentiale und Sedimente auf individueller und kollektiver Ebene verschieden variantenreich verlaufen, weder ganz determiniert noch ganz frei, sondern entlang habitualisierter und hierin immer auch offener Muster. Das Medium Fernsehen, insbesondere in der von den Peergroups der Videoarbeitsgemeinschaften aufgegriffenen Form, steht demgegenüber kaum in der Tradition, nicht-disziplinierende und nicht-normalisierende Körperdiskurse aufzuführen. Es steht auch nicht in der Tradition, mit einer Ereignishaftigkeit aufzuwarten, die nicht bereits zum Ereignis der Darstellung gehört. Es steht vielmehr im Verdacht, genau dies zu tun: Das Fernsehen vermittelt normative Muster, so die Kritik, die über mimetische Prozesse für die individuellen und kollektiven Handlungspraxis vereinheitlichend wirkmächtig werden. Wie differenziert allerdings Inszenierungs-, Ironisierungs- und Distanzierungsprozesse verlaufen können, welche soziale Funktionen sie in kollektiven Aushandlungsprozessen haben, kann anhand des vorliegenden Materials herausgearbeitet werden. Die Untersuchung legt hierfür ein Körperverständnis zugrunde, das einen kulturell geformten Körper im Rahmen der konkreten Handlungspraxis als Produkt und Produzent von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata versteht und von einer Wechselbeziehung von Denkmustern und sozialer Realität ausgeht, wobei die soziale Realität sowohl die Konstitution des individuellen Körpers wie des Gemeinschaftskörpers betrifft. Die Kategorie des Körpers als geschichtlicher Handlungsort ist hierbei mit Machteffekten verknüpft. Elisabeth Bronfen betont:
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»Der Körper dient als doppeldeutiges Medium in der Beziehung zwischen Sprache und materieller Welt. Der reale Körper steht vor und jenseits aller Semiosis. Als das durch Zeichen und Bilder ersetzte kann er als Medium dienen, durch das Sprache sich wieder an die Welt heftet, durch das sie zum Referentiellen zurückkehrt. Weil aber der Körper einen Ort des realen Eingreifens in die Welt bezeichnet, dient er auch dazu, soziale Gesetze zu etablieren, und ermöglicht es der Kultur, Ideen zu materialisieren. Das fleischgewordene Wort kann dazu dienen, einen politischen, theologischen und ästhetischen Diskurs zu legitimieren.« (Bronfen 2004: 80)
In dieser Perspektive nimmt der Körper immer eine Mittlerrolle ein, ist selber Medium, und zwar zwischen den Zeichen der Welt und ihrem Fleisch. Darüber hinaus wird Kulturation immer als körperliche gefasst. Pierre Bourdieu hebt im Vergleich dazu die körperliche Situiertheit des Menschen heraus: »Als Körper und biologisches Individuum bin ich ebenso wie die Dinge an einem Ort situiert: Ich nehme einen Platz im physischen und sozialen Raum ein« (Bourdieu 2001: 168). Er betont die konkreten Prozesse der Einverleibung gesellschaftlicher Strukturen. Um erstens Variationen und Transformationen der symbolischen Ordnung fassen zu können, zweitens gegenüber der Betonung der Kreativität von Handlungen nicht ihre Konditionierung zu unterschlagen, und drittens den Fallen eines strukturalistischen Objektivismus und eines idealistischen Subjektivismus zu entkommen, hat Bourdieu das Konzept des Habitus entwickelt. Es betont die Einverleibung gesellschaftlicher Strukturen als Praxisformen und ihre Umsetzung in individuelle Dispositionen. Seine »Theorie der Praxis« betont das dialektische Verhältnis von »objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Praxis, von Strukturen und Habitusformen« (Bourdieu 1999: 98). Dies bedeutet die Konstruktion eines Systems von strukturierten und strukturierenden Dispositionen, das sowohl in der Praxis gebildet wird wie auf diese hin ausgerichtet ist. Bourdieu liest Körperpraktiken als somatisierte Symbolisierungen des Sozialen und hat den Prozess der habitualisierten Einverleibung von Praxisstrukturen als gemeinschaftskonstitutive Anerkennung einer Gesamtheit von (geschlechtlich klassifizierten) Gegensätzen bekanntlich anhand der Kabylei in Nordalgerien untersucht. Der Begriff des Habitus bezeichnet eine ›innere‹, nicht beobachtbare, sowohl generative wie determinierte Tiefenstruktur, die in der Interaktion mit dem Feld aktualisiert wird: Der Habitus gilt als Produzent wie Produkt von Praktiken, die als verkörperte kreative Gewohnheiten bereit stehen, als System von Erzeugungsschemata, das sowohl unendlich kreativ wie gleichzeitig begrenzt, das heißt auf den Rahmen ihrer eigenen Erzeugung beschränkt ist:
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eine »konditionierte und bedingte Freiheit« (Bourdieu 1999: 103). Seine Betonung gilt somit dem aktiven, Bedeutung produzierenden Potential des Habitus als habituelle Einverleibung, indem er den Körper sowohl als Einschreibefläche ideologischer Normen als auch als Agent ihrer Umgestaltung versteht. Mit dem Begriff der Hexis bezeichnet er – im Gegensatz zum Habitus, der sich der direkten Beobachtung entzieht – die Schnittfläche von Habitus und Feld. Der Begriff gilt den äußerlich wahrnehmbaren, auf Dauer erworbenen Körperhaltungen und -bewegungen. Kultur als Verkörperung zu denken heißt in diesem Verständnis, die materielle Ebene sozialer Praxen als realitätserzeugende und bedeutungsvolle Hervorbringungen in den Blick zu nehmen und körperliche Handlungsvollzüge im sowohl offenen wie formativen Aushandlungsfeld von Anähnlichung, Nachspiel und Vorgabe, von Verpflichtung und Zwang, von Verschiebung, Wiederholung und Subversion zu analysieren: im Spannungsfeld von aktualisierender und tradierender Bedeutungsstiftung, die in bedeutungsstiftenden sozialen Praxen je realisiert werden. Ein Zusammenspiel, das sich materiell ebenso niederschlägt wie aufführt. Diffizile soziale Prozesse, denn die performative Wirksamkeit sozialer Interaktionen kann auch in einer Betonung der körperlichen Materialität auf keine stabilitätsgenerierende Sicherheit jenseits ihrer soziokulturellen Konstituiertheit verweisen: »If behind the turn to the body lay the implicit hope that it would bet the stable center in a world of decentered meanings, it has only led to the discovery that the essential characteristic of embodiment is existential indeterminacy.« (Csordas 1994: xi)
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Living is easy with eyes closed, misunderstanding all you see… John Lennon Lebendig hält den Willen nur das vorgestellte Bild. Walter Benjamin
Vi s u e l l e A l p h a b e t i s i e r u n g Kinder und Jugendliche wachsen im Zeitalter der technischen Bildkommunikation in mehrfach kodierten Symbolwelten auf, mit deren visuellen Inszenierungen zu erlernende Dekodierungsverfahren einhergehen (vgl. Baake 1999). Bspw. wird in dem Film Le ventre de Juliette von Martin Provost (2002) über die Schwangerschaft eines jungen Mädchens der Moment der Empfängnis durch einen Windhauch angezeigt, der das Fenster sanft öffnet, aus dem das Mädchen auf dem Bett liegend blickt – ein Bild der Ruhe, das in seiner Vieldeutigkeit den Moment zukunftsträchtiger Öffnung in der Bewegung des Windes als Kommen des Kindes und der Richtung des Blicks zum Fenster als Gang in die Veränderung versinnbildlichend zusammenfasst. Für die Dekodierungsarbeit medialer Visualisierungsstrategien führt auch Paul Messaris ein plastisches Beispiel an, als er Studenten einen kurzen Film vorspielt: Eine Frau öffnet von außen die Tür eines Geschäftes und betritt von innen einen Kirchenraum. Während nicht filmisch geschulte Studenten dies als einen einfachen Ortswechsel interpretierten und den analogen Einsatz der Bildgehalte somit nicht ›sehen‹, war den filmisch geschulten Studenten die bildlich-analoge Vorgehensweise sogar zu ›platt‹ (Messaris 1996). Visuelle Codes als komplexe vorstrukturierte Interpretationsspielräume und verdichtete Sinnvermittlung sind mehr und weniger offen angelegt und appellieren als ›naturalisierte‹ Codes (Hall 2002) an ›unmittelbares‹ Verstehen. Gleichwohl muss ihr Entziffern, wie das wie das aller anderen sozial eingesetzten Codes auch, erlernt werden. Dabei ist die 45
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visuelle Alphabetisierung nur die eine Seite der Medaille filmischer Visualisierungsstrategien. Die andere liegt darin, dass sich Bilder in ihrem wahrnehmenden und mimetischen Mitvollzug ›direkter‹ dem Bewusstsein einprägen als bspw. beschriebene Bilder, die noch den ›Umweg‹ über die Einbildungskraft zu gehen haben. Darüber hinaus gilt allgemein, wie auch Hans Belting hervorhebt, die Bild-ung des Wirklichkeitsverständnisses: »Wir sehen nicht nur Bilder der Welt, sondern die Welt in Bildern, in solchen Bildern, die wir uns selber machen« (Belting 1998: 34). In ihrer Ansehnlichkeit und inneren Verkopplung haben Bilder eine effektive Wirkmächtigkeit, denn das Bild ›verkörpert‹ in seinem Zeigegestus eine Evidenz, die dem Sagegestus der Sprache nicht zukommt (vgl. Mersch 2005). Dabei gilt für Bilder allgemein, was Gaston Bachelard schon für die poetischen Bilder festhält: »Die Bilder üben Wirkung aus – nachträglich –, doch sie sind nicht Erzeugnisse einer Auswirkung« (Bachelard 1987: 8). Der Zeigegestus des technischen Bildes ist hierbei von dem Zeigegestus eines, wie es Vilem Flusser nennt, »traditionellen Bildes« zu unterscheiden. Flusser entwirft ein kulturgeschichtliches Modell zunehmender Abstraktion und abnehmender Dimensionalität, ein Modell der »Entfremdung des Menschen vom Konkreten« (Flusser 1997: 10). Es führt von dem vierdimensionalen Raum konkreten Erlebens über den dreidimensionalen Raum der Herstellung und Verwendung von Gegenständen zum zweidimensionalen Raum traditioneller Bilder, die sich als anschauliche und imaginäre Bilder bereits zwischen Mensch und Objekt schieben. Dieser ersten Abstraktionsstufe, die für Höhlenbilder ebenso zutrifft wie für Ölgemälde, folgt als zweite mit der Erfindung der linearen Schrift die Eindimensionalität, bis uns Flusser in die dritte Abstraktionsstufe führt: die Nulldimension im Universum technischer Bilder. Auf dieser dritten Abstraktionsstufe, auf den vorangegangenen fußend, bedeuten Bilder Texte: »Technobilder sind Flächen, die mit Symbolen bedeckt sind, welche Symbole linearer Texte bedeuten« (Flusser 1998: 139). Während die soziokulturelle Durchsetzung der Systeme der Schrift mit Prozessen der Entkörperung und Entsinnlichung einhergehen, sucht die eingesetzte Anschaulichkeit der technischen Bilder die mangelnde Sinnlichkeit der Schrift auszugleichen. Dennoch oder gerade deshalb wird das technische Bild als Bild gewordene Schrift beschrieben, eine Form sichtbar gewordener Abstraktion, die in Prozessen der Mimesis wiederum körperlich wirkmächtig wird. In ihrer heutigen ›Allgegenwart‹ vermitteln Medienbildwelten in diesem Verständnis somit in der Logik der Schrift gründende Wahrnehmungsmuster, Darstellungsschemata und ein mit dem Bilddesign verkoppeltes Ästhetisierungs- und Inszenie-
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rungsbewusstsein. Hiermit werden im Sinne einer mimetisch eingewöhnten ›Bildkompetenz‹ Formen des Denkens und Verstehens in, im Sinne Flussers, technischen Bildern spezifisch geprägt. Um gleichzeitig Bildkompetenz als spezifische Form des Denkens zu verorten, kann dem sprachlichen Denken als logisches Denken ein bildliches als analoges Denken zur Seite gestellt werden. Hiermit wird der Rationalität keine Irrationalität entgegengesetzt, sondern eine Analogik zur Seite gestellt. Ein wissenschaftlich noch wenig kartographiertes Gebiet allerdings, ganz im Gegensatz zur Sprachwissenschaft und trotz der sich vehement entwickelnden Bildwissenschaft, wie die Vielzahl aktueller Publikationen aufzeigt (Belting 2005a; Sachs-Hombach 2005; Wulf/Zirfas 2005; Maar/Burda 2004; Schäfer/Wulf 1999; Spielmann/Winter 1999; Kravagna 1997; Mitchell 1997, 1994; Boehm 1995). Das wissentschaftlich relative Neuland gilt insbesondere für den Bereich der »inneren Bilder« (Hüther 2005; Piaget/Inhelder 1990), deren Ausdifferenzierung (wie mentale Bilder/Vorstellungsbilder, Bilder des Unbewussten/Traumbilder, zu Bildern geronnene Erfahrungsmuster, visionäre Bilder, Bilder der Intuition etc.), Bezogenheit und soziale Effektivität noch viel Forschungsraum eröffnet. Auf Formen aisthetischer lebenskultureller Lernprozesse in der Kinder- und Jugendkultur, die wie keine Generation vor ihnen in einer medialen Bildkultur aufwächst, wird zunehmend hingewiesen, entsprechende Prozesse der Theoriebildung werden eingefordert und vorangetrieben (Niesyto 2003, 2001; Doelker 2002; Röll 1998). Mit seinem wahrnehmungs- und symbolorientierten Ansatz hebt bspw. Franz Josef Röll neben reflexiven Lernprozessen die Bedeutung sinnlich-ästhetischer Lernprozesse heraus und plädiert für eine dem sprachlichen Denken äquivalente Berücksichtigung des bildlichen Denkens, das gerade in einer Kinder- und Jugendmedienkultur von zunehmender Relevanz ist. Er spricht sich für ein Kommunikationsmodell aus, das besondere Rücksicht auf nonverbale Kommunikationsprozesse »in Form von Bildern, Geräuschen, Musik, Gesten und Gebärden« legt, ohne diese der sprachlichen Kommunikation unterzuordnen oder Kommunikation auf Sprachlogik zu reduzieren (Röll 1998: 21f.). Röll vermutet, dass das verstärkte Denken in Bildern mit einer erhöhten Verarbeitungskapazität medial ausgestrahlter Bilder und einer erhöhten Kompetenz im Umgang mit Bildern in der von ihrem medialen Lebensumfeld geprägten Kinder- und Jugendkultur einher geht (Röll 1998: 41) – die auch ganz neue Formen der Generationendifferenz hervorbringt: »In der medienpädagogischen Praxis lässt sich in den letzten Jahren deutlich beobachten, wie die Relevanz des Wortes (z.B. Erstellung eines Drehbuches,
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Exposés, serielle und logisch-strukturelle Denkweise) schwindet. Demgegenüber erhält die sequentielle, assoziative, symbolische und prozessuale Logik des Bildes, die präsentative Logik (vgl. Langer 1987 [Susanne Langer differenziert zwischen diskursiver/repräsentativer und präsentativer Logik, CB]) immer mehr an Gewicht.« (Röll 1998: 64)
Die Betonung der Bedeutung bildlichen Denkens und nonverbaler Kommunikationsprozesse wird mitunter kritisch betrachtet, steht sie doch im Verdacht, dass mit einer prognostizierten Wortlosigkeit eine Abkehr von einer mit dem Sprachlichen verknüpften (moralisch konnotierten) Reflexionstätigkeit einsetzen könne. Es geht gleichwohl nicht darum, verschiedene Formen oder Ebenen des mentalen Bereiches gegeneinander auszuspielen, als vielmehr in ihrer Bezogenheit, in ihren sozialen Effekten und in ihren historischen Verschiebungen zu reflektieren. Dies heißt auch, logisches (Sprache) und analoges Denken (Bilder) als verschränkte Bereiche produktiver Wahrnehmungs- und Denkprozesse in den Blick zu nehmen, wie ebenfalls den kreativen und produktiven Bereich sprachlicher, parasprachlicher und körperlicher Kommunikationselemente in Interaktionszusammenhängen. Hierbei ist die hohe Komplexität und multidimensionale Verknüpfungsbereitschaft innerer Bilder zu bedenken, die nicht notwendigerweise von einer ›strategischen‹ Linearität der Text- und sprachlichen Denklogik geprägt ist. Gleichzeitig ist es pädagogische Aufgabe, ›Übersetzungsstrategien‹ des Gesehenen in eine sprachliche Form vice versa zu fördern. Medial vermittelte Bilder stehen in einem intensiven Austauschverhältnis mit gebildeten lebensweltbezogenen Vorstellungen und halten Orientierungs-, Mitteilungs- und Deutungsfunktionen für die Alltagwirklichkeit bereit. Indem Massenkommunikationsmedien weltweit ein zentrales soziales Referenzsystem für alltägliche Handlungs- und Deutungsmuster zur Verfügung stellen, kommt es zu komplexen symbolischen Vermittlungsprozessen zwischen Medienerfahrung, inneren Bildern und der alltäglichen Handlungswirklichkeit der Rezipienten. »Die Rezipienten denken und fühlen mit inneren Bildern. Bei jedem visuellen Vorgang (Außen-Bild) erfolgt ein Update (Abgleich) mit den inneren BildWelten (ohne dass sich die Rezipienten dessen bewusst werden). Entsprechend der Präferenzen wird die Bildbotschaft dekodiert und in das Handlungsgefüge integriert. Da dies vor allem auch ein visueller Vorgang ist, ist es sinnvoll, die Auseinandersetzung mit der Ästhetisierung der Lebenswelt am Bild anzusetzen.« (Röll 1998: 65)
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Entsprechend fordert wegweisend Horst Niesyto, auf die Veränderungen der Art und Weise der Wahrnehmung und Aneignung von Wirklichkeit gerade in der Kinder- und Jugendkultur auch methodisch zu reagieren und insbesondere den eigenproduktiven »Selbstausdruck mit Medien« (2001a) zur Dokumentation und Interpretation von ästhetisch geprägten Aneignungs- und Kommunikationsprozessen zu nutzen. Denn: »Wer in der heutigen ›Mediengesellschaft‹ etwas über die Vorstellungen, die Lebensgefühle, das Welterleben von Kindern und Jugendlichen erfahren möchte, sollte ihnen die Chance bieten, sich – ergänzend zu wort- und schriftsprachlichen Formen – auch mittels eigener, selbst produzierter Medien und damit verbundener präsentativ-symbolischer Formen auszudrücken.« (Niesyto 2001b: 2f.)
In diesem Sinne liegen Forschungen zu Video-Eigenproduktionen vor, die jugendliche Selbstbilder untersuchen (Witzke 2003), interkulturelle Kommunikationsformen (Niesyto 2003) und weibliche Identitätsbildung (Luca 1998). In diesen Untersuchungen bildet das Medium des Videos selbst, oftmals ergänzt durch alternative methodische Zugänge, das Analysematerial: Video wird als Ausdrucksmedium der Jugendkultur verstanden und als solches interpretiert. Im Gegensatz dazu fokussiert die vorliegende Studie auf die medienbezogenen spontanen körperlichen Inszenierungen vor und für die Kamera ohne ein eigenständiges Produktinteresse Video. Es geht somit weniger um die Inszenierung eines Videos als um die Inszenierungen vor einer Videokamera. Die Produktivität der Methode der Videoinszenierung liegt sogar ganz gegenteilig in genau dieser fehlenden Produktorientierung, in einem fehlenden ›Auftrag‹ an die inszenierenden Gruppen (vgl. Stern 1996). In diesem ›Mangel‹ gilt das Interesse der Studie den körperlich zu tage tretenden Bildspuren des Fernsehens in der sozialen Interaktionspraxis, den kreativen Aneignungs- und Bearbeitungsprozessen im Schnittfeld von öffentlichen und privaten Repräsentationen, Orientierungen und Interessen. Die Videoinszenierungen der Gleichaltrigengruppen führen Aneignungs- und Distanzierungsprozesse bezüglich massenmedial bereitgestellter Deutungsmuster vor, und sie zeigen, wie das öffentliche Erzeugnis in der alltäglichen Handlungspraxis zum Gegenstand privater Weltdeutung wird. Wie auch Angela Keppler hervorhebt: »Im Guten wie im Bösen können Medien ihre Moral nur entfalten, indem sie auf die alltägliche Moral von Menschen treffen, die sich in kommunikativen Formen einen Reim auf den Unterschied zwischen ihrer Wirklichkeit und derjenigen der massenmedialen Darbietungen machen.« (Keppler 1994: 262)
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Videoinszenierung als Methode In einer unbestritten von Bildmedien geprägten Kultur wird mit dem ausgerufenen »iconic turn« (Mitchell 1997) eine kulturelle Selbstbetrachtung eingefordert, die sich von der Anziehungskraft der Texte löst und den Fragen des Bildlichen zuwendet. Im Rahmen der Erziehungswissenschaft ist die methodische und produktive Erarbeitung dieses Bereiches deutlich (Theunert 2006; Bausch/Jörissen 2005a; Niesyto/Marotzki 2005; Ehrenspeck/Schäffer 2003; Bohnsack 2001): Analyseverfahren werden anhand von präexistenten Bildmedien wie Fotos (Mietzner/Pilarczyk 2005, 2003; Fuhs 2003; Beck 2003; Wittpoth 2003) und Filmen (Mikos 2003; Winter 2003; Nolda 2003; Möller/Sander 2003) entwickelt, und bildorientierte methodisch-analytische Verfahren stehen im Begriff ihrer Ausarbeitung und Anwendungserprobung, die mit der Ausdifferenzierung des Bilddiskurses entsprechend der zunehmend bildgeprägten Massenmedienkultur einhergeht. Auf die Erhebung von Bildmaterial wird, mit Ausnahme der oben erwähnten eigenproduktiven Vorgehensweisen, hauptsächlich im Rahmen der videographisch gestützten, das heißt technisch erweiterten Form der teilnehmenden Beobachtung verwiesen (Wagner-Willi 2001b, 2004; Knoblauch 2005). Dies mag sich einerseits in der wissenschaftlichen Textgewohnheit begründen, andererseits in den anders strukturierten Herausforderungen, die mit der Komplexität, Offenheit und Polysemie des Bildmaterials und dem technischen Aufwand sowohl für die Erhebung wie für die Analyse einhergehen. Die Methode der Videoinszenierung2 ist demgegenüber ein eigenproduktives Erhebungsverfahren, das mit dem sozialen Angebot von Video-Arbeitsgemeinschaften arbeitet. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Kameraeinsatz als bildgebendes Verfahren in seiner Analogie zum Fernsehen medienbezogene Inszenierungsprozesse provoziert. Das heißt, dass bereits methodisch direkt auf der Ebene der körperlichen Handlungspraxis angesetzt wird. Ausgehend von der These, dass die inszenatorischen Bedeutungsprozesse der Bildbotschaften des Fernsehens in Interaktionszusammenhängen hervorgebracht und dargestellt werden, diese allerdings zu verstreut in der sozialen Praxis auftauchen, um sie empirisch untersuchen zu können, werden sie mit der Erhebungsmethode der Videoinszenierung einerseits provoziert, andererseits zeitgleich aufgezeichnet. Hierbei liegen Themenfindung, Inszenierung und Kameraführung ganz in der Hand der Gruppen: Die Fragen stellt sozusagen die technische Anwesenheit der selbst geführten Kamera. Die Gruppen2
Die Methode der Videoinszenierung wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereichs kulturen des performativen an der Freien Universität Berlin von Anja Tervooren, Stephan Sting und Constanze Bausch entwickelt.
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selbstdarstellungen im Schnittfeld von jugendlicher Handlungspraxis und massenmedial vermittelter Bildbotschaft sind hierbei immer gleichzeitig von verschiedenen Interessen getragen, die Roland Barthes bereits in seinem Werk über die Photographie aus der Perspektive der Selbstdarstellung anschaulich heraushebt: »Vor dem Objektiv bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der, für den der Photograph mich hält, und der, dessen er sich bedient, um sein Können vorzuzeigen« (Barthes 1989a: 22). Die offene methodische Anlage erzeugt die hier angedeuteten komplexen und medienbezogenen Sinnstiftungsprozesse spielerisch aus dem Gruppengeschehen heraus, indem sie den Gruppen ermöglicht, ihre Relevanzsysteme inszenatorisch aufzugreifen, zu bearbeiten und darzustellen. Die Entwicklung und Gestaltung der Inszenierungen ist somit in keiner Weise durch Hinweise oder Orientierungen von Seite der Forschenden gerichtet, es gibt keinerlei inhaltliche oder formale Vorgaben. Das Forschungsinteresse und entsprechend die methodische Anlage der Untersuchung besteht in dieser Provokation impliziten körperpraktischen Medienwissens im Blick der Kamera als ›Zeugin‹ der Aushandlungs- und Selbstdarstellungsprozesse der Gleichaltrigengruppen. Die Arbeitsgemeinschaften sind hierbei von einem doppelten technischen Blick gezeichnet. Mit der selbst geführten Kamera der Gruppen kann deren gewählte Fokussierung der Thematik anhand der Ausrichtung des ›technischen Blicks‹ nachvollzogen werden. Darüber hinaus wird mittels einer Standkamera – als »videographisch gestützte Beobachtung« – der Verlauf des Gruppengeschehens aufgezeichnet, um auch die Entwicklungen zu und zwischen einzelnen Inszenierungen am Material nachvollziehen zu können – und im Falle eines technischen Ausfalls der Gruppenkamera auszuhelfen.
Materialanalyse: Befremden und Bestaunen Als audiovisuelles Erhebungsverfahren im Kontext der visuellen Sozialforschung fokussiert die Methode der Videoinszenierung nicht die sprachlich-diskursive, sondern die körperlich-performative Seite sozialer Sinnbildungsprozesse. Die Erhebung reagiert methodisch auf das medial gestützte Inszenierungswissen sozialer Gruppen und entwickelt auch für die Analyse eine Herangehensweise, die dem audiovisuellen Material als ›beobachtete Inszenierung und inszenierte Beobachtung‹ im Schnittfeld von Interaktion und Inszenierung entspricht. Für die Analyse des erhobenen Bildmaterials ist die Orientierung an der Dokumentarischen Methode in ihrer Betonung der dynamischen Prozessstruktur sozialen Handelns hilfreich. Das analytische Interesse der
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Dokumentarischen Methode, in der Tradition der Wissenssoziologie und der Ethnomethodologie stehend, gilt nicht dem reflexivem, sondern dem handlungsleitenden Wissen der Akteure. Über die Rekonstruktion der Handlungspraxis wird das zugrunde liegende Orientierungswissen in Habitualisierungen aufgespürt, das Handlungen auch relativ unabhängig von einem subjektiv gemeinten Sinn strukturiert (Bohnsack 2001; Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2001; Bohnsack/Schäffer 2002). Ralf Bohnsack fasst das grundlegende Verständnis der konstruktivistischen Analyse wie folgt zusammen: »Die ›Welt selbst‹ oder ›die Realität‹, also das ›Was‹ bleibt unbeobachtbar. Beobachtbar sind lediglich die Prozesse der Herstellung von ›Welt‹ oder ›Realität‹, also das ›Wie‹« (Bohnsack 2001: 68). Die Vorgehensweise der Materialanalyse der rekonstruktiven Sozialforschung, die bislang vorrangig mit Texten arbeitet, wurde für die filmischen Inszenierungen der Gleichaltrigengruppen angepasst und erweitert. Die Analyse des Materials bezieht sich auf das von den Gruppen erstellte Bildmaterial (»Videoinszenierungen«), ergänzend wurde das von der Standkamera aufgezeichnete Material aufgegriffen (»videographisch gestützte Beobachtung«). Die Materialanalyse wird in einem vierschrittigen Verfahren durchgeführt: • Thematische Gliederung des Bildmaterials und Auswahl der Inszenierungen: In einem ersten ›Grobdurchlauf‹ werden die prozessualen thematischen Entwicklungen der einzelnen Sitzungen herausgearbeitet und akzentuierte Inszenierungen anhand ihrer Interaktionsdichte und meist den Formatrahmungen folgend ausgewählt. • Verschriftlichung der ausgewählten Inszenierungen: Bei der Verschriftlichung werden die sprachlichen, parasprachlichen, mimischen, gestischen und weiteren körperlichen Interaktionselemente sowie Maske, Verkleidung und Bühnenbild einbezogen und zudem auf die Lesbarkeit des verschriftlichten hochkomplexen Materials geachtet. • Metaphern- und interaktionsanalytische Mikrointerpretation: Auf Grundlage der Verschriftlichung und in ständigem Rückbezug auf das Bildmaterial werden die ausgewählten Inszenierungen interpretiert. Die Feinanalyse besteht in der produktiven Verknüpfung von Metaphern- und Interaktionsanalyse: In dem wechselseitigen Bezug von metaphorischem Gehalt und Interaktionsdynamik der Inszenierungen werden die prozessualen Sinnbildungsprozesse der Gruppen aufgespürt. • Komparative Analyse: In einer abschließenden Interpretation werden die Homologien und Kontraste der analysierten Inszenierungen anhand der kategorialen Felder Format, Gruppe, Gemeinschaft, Geschlecht und Körper herausgearbeitet.
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Die spezifische methodische Herausforderung liegt in dem von hoher Dichte und Komplexität ausgezeichnetem Bildmaterial. Hierbei kann dem Material keine noch so bemühte Transkription gerecht werden. Um der Überdeterminiertheit des Materials zu begegnen, wird es in den gesamten Analyseprozess einbezogen. Grundlage der Analysen ist somit immer ebenso das inszenierte wie das verschriftlichte Material. Hier zeigt sich, dass die inszenierten Bilder mit ihrer eigenen Verschriftlichung in einem kreativen Verhältnis stehen, denn vermeintliche Rückversicherungen am Material regen zu immer neuem Hinsehen an. Bei dieser Vorgehensweise springen gerade auch die medialen Verschiebungen deutlich ins Auge: Von der situativ-spontanen Lebendigkeit interagierender Körper in der Tiefe des Raums und dem Strom der Zeit über ihre Bannung in die reproduzierbare Fläche des zweidimensionalen Bildes bis zur – an dieser Stelle präsenten – Linearität, Abstraktion und Farblosigkeit der Zeichen der Schrift, die an die imaginative Kraft ihrer Leser appelliert, die Beschreibungen wiederum in Bilder zu übersetzen. Monika Wagner-Willi stellt die hohe Komplexität audiovisuellen Materials unter dem Aspekt der Verschränkung von Sequentialität und Simultaneität heraus (bei Knoblauch 2005: Sequentialität und Synchronizität), indem sie neben dem sequentiellen auf den simultanen Strukturierungsmodus sozialer Wirklichkeit hinweist, der bei textfokussierten Verfahren wie dem der Objektiven Hermeneutik zu wenig bzw. gar nicht beleuchtet wird. Demgegenüber stellt sie heraus: »Während das idealtypische Grundmodell für Sequentialität der in einem Nacheinander geordnete Text liefert, kann als idealtypisches Grundmodell für Simultaneität das Bild gelten« (Wagner-Willi 2004: 187). Im Fokus auf die körperlich, räumlich und zeitlich strukturierte Handlungspraxis wird hiermit die Ergänzung einer sich am Textmodell und somit an (zeitlicher) Linearität orientierenden Methodik um das multidimensionale (räumliche) Neben-, In- und Miteinander methodisch eingefordert. Diese methodische Fokussierung steht einerseits implizit im Kontext der Schriftkritik, die als Gestaltungsprinzip auf der Ebene der Handlungspraxis ebenso wirkmächtig ist wie auf der Ebene ihrer methodischen ›Erfassung‹, andererseits im Kontext des wissenschaftlichen Novität des »Performativen«, das auch als Gegen- oder Balancierungsbewegung einer als zu einseitig verstandesorientierten, entkörperlichten, produktorientierten Handlungs- und Denkpraxis zu verstehen ist. Der bestechende Vorteil des Bildmaterials liegt in der technischen Fixierung und entsprechenden Reproduzierbarkeit flüchtiger sozialer Handlungen und komplexer dynamischer Prozesse für ihre Detailanalyse. Darüber hinaus ermöglicht die Erstellung von Bildmaterial einen Verfremdungseffekt der im Bild ausgestellten sozialen Praktiken durch die
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Distanznahme dem Bild als Bild gegenüber, mit dem per se eine Distanzierung gegenüber der körperlich-präsenten Wahrnehmung der Forschenden im Raum des sozialen Geschehens einher geht. Die Distanznahme unterstützt die »Befremdung der eigenen Kultur« (Hirschauer/ Amann 1997) in der Überprüfung der eigenen Deutungsmuster. Hiermit wird die analytisch notwendige Hinterfragung und Aufhebung eines ›natürlichen‹ Materialzugangs gefördert. Dies wird im Rahmen dieser Untersuchung einerseits in der steten Konfrontation der Interpretationshypothesen durch angenommene und geprüfte Gegenhypothesen realisiert, andererseits durch die kontrastierenden Gegenhorizonte, die das Material selber bietet: innerhalb der Gruppen, zwischen den Gruppen, zwischen einzelnen Akteuren, zwischen den eingesetzten Formaten und zwischen den thematischen Bearbeitungen. Es ist somit vor allen Dingen das Material der Studie selber, das sich gegenseitig verdeutlicht, und hierbei sowohl Bilder und Assoziationen, um die das Material im Forschungsprozess wie ›automatisch‹ deutend erweitert wird, als auch blinde Flecken des Sehens aufdeckt. Zusätzlich zur bildlichen Distanznahme kann der technische Verfremdungseffekt durch die verschiedenen Abspielfunktionen der Aufnahmen gesteigert werden, indem die Zeit im bewegten Bild gestreckt, gerafft oder still gestellt wird: Über den Zeitraffer können die Gruppenbewegungen im Raum verdichtet und über die Zeitlupe und das Standbild können kleinteilige gestische und mimische Aktionen und Interaktionen rekonstruiert werden. Darüber hinaus kann die audiovisuelle Grundlage des Materials genutzt werden, um nur die Tonspur zu fahren oder das Bild ohne den Ton zu betrachten. Interaktionselemente, die sich in sozialen Vollzügen ›verschleifen‹ würden, treten in einem technisch gestützten Vorgehen der Trennung, Verlangsamung und Beschleunigung in neuer Kontur in den Vordergrund. Die technischen Verschiebungseffekte sind hierbei insbesondere auf folgenden Ebenen auszuweisen: • die räumliche Tiefe ist auf eine zweidimensionale Fläche gebannt, • das Geschehen ist als sichtbar ins Bild gesetztes rechtwinklig-apparativ gerahmt, • die Unmittelbarkeit sozialen Geschehens wird technisch reproduziert, • der Blick ist durch Kameraführung, Einstellungen und Schnitte beschränkt und ausgerichtet, • es kommt zu technischen Verzerrungen der aufgenommenen Farben, Formen und Töne. Dennoch unterliegt audiovisuelles Datenmaterial noch eher als schriftliches Material einem ›Realismusvorurteil‹, indem der dokumentarische Charakter des Materials im Sinne eines positivistisch verstandenen Ab-
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bildens betont wird, womit die inszenierte Ebene des Bildlichen mit ›vermeintlichen Gewissheiten‹ überdeckt wird. Demgegenüber wird in der Vorgehensweise der Methode der Videoinszenierung einerseits der Blick der Kamera von den Gruppen selber gerichtet, andererseits werden anhand der Analyse des Materials die sozialen Bilder, die die Gruppen inszenatorisch aufrufen, die sie bearbeiten und an denen sie sich abarbeiten, herausgearbeitet, und zwar nicht als ›reale‹ Bilder, sondern als soziale und kulturelle Konstruktionen: Soziale Bilder sind verstanden als bildlich geronnene, sozialkulturell tradierte und hierin gemeinschaftskonstitutive Vorstellungen. Mit der analytischen Herausarbeitung der sozialen Bilder, die in den Videoinszenierungen deutlich werden, wurde auch der bereits erwähnte spezifische Fokus der Materialanalysen immer deutlicher: die verschiedenen Körperbilder, die die Gruppen in ihren Inszenierungen bearbeiten, und mit denen wiederum die Gestaltung verschiedener Gemeinschaftsmodelle verknüpft ist. Diese Körperbilder als ›verkörperte Orientierungsfiguren‹ der Gruppen strukturieren entsprechend die folgende Darstellung des Materials, was auch dem analytischen Interesse an körperlichen Handlungsvollzügen und dem theoretischen Interesse an der Gewordenheit der menschlichen Körperlichkeit »zwischen Natur und Kultur« (Macha/Fahrenwald 2003) entgegenkommt. Für die Herausarbeitung der sozialen Bilder, mit denen die Gleichaltrigengruppen arbeiten, und die sich in Körperbildern verdichten, die wiederum auf Gemeinschaftsmodelle verweisen, werden wie ausgeführt interaktionsanalytische und metaphernanalytische Vorgehensweisen produktiv miteinander verbunden. Der ›inszenatorische Einsatz‹ kultureller Metaphern geht über deren bewusste Verfügung weit hinaus und eröffnet der Analyse Tiefenschichten der Inszenierungen im Sinne körperlich sedimentierter soziokultureller Vorstellungen. Daher wird auch während der Materialanalysen immer wieder auf entsprechende Theoriebildungen zurückgegriffen. Zudem gilt mit dem Ansatz der Metaphernanalyse, dass die vielfältigen Interaktionselemente, dramturgischen Entwicklungen, mimischen Kommentierungen etc. nicht als Zufälle zu werten, sondern von ›zutiefst‹ aussagekräftigen Gehalt sind. Kulturelle Metaphern, szenische Choreographie und soziale Positionsverhandlungen öffnen den Raum, innerhalb dessen die Gruppen die Wirklichkeit herstellen, in der sie sich verstehen. Immer wieder bin ich dabei staunend, wie sich zentrale sozial- und kulturtheoretische Themenstränge in den Inszenierungen zeigen, auf welch’ leichtfüßige, auch bestürzende, oft schlichte, manchmal groteske Art diese in den Gleichaltrigengruppen aufgeführt sind. Im Verlauf der Materialanalysen kristallisieren sich folgende Fragestellungen als relevant heraus:
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Wie werden welche televisuellen Sendeformate inszeniert? Wie werden welche Rollenmodelle in Szene gesetzt? Wie stehen diese im Bezug zu den realsozialen Positionsverteilungen in der Gruppe? Wie werden welche Themen bearbeitet? Was für eine Gruppendynamik und welche dramaturgischen Elemente zeigen sich? Wie kommen welche Gemeinschaftsmodelle zur Aufführung? Welcher Bezug besteht zu den gewählten Sendeformaten? Wie wird wann die Kategorie Geschlecht relevant? Wie werden welche Körperbilder inszeniert? Wie stehen diese im Zusammenhang mit den vorgenannten Kategorien?
Doch vor der verfremdenden und befremdenden Materialanalyse, der Entwicklung ausdifferenzierter Fragen und ›erfolgreichen‹ Sehens taucht der Blick in das Material ein, ohne ›Ausschau‹ zu halten. In der wiederholten Betrachtung kristallisieren sich die Elemente heraus, deren Relevanz sich für die Analyse zu verdeutlichen beginnt. In der Auseinandersetzung mit dem Material geschieht der Lernprozess des Bilderlesens. Der anfängliche Blick braucht Zeit, um Übung in der Dekodierung der Interaktionseinheiten und der genutzten Metaphern zu erlangen, die an die Bildsprache des Mediums Fernsehen anschließen und gleichzeitig eigenständige Kreationen der Gruppen in ihrem sozialkulturellen Kontext sind. Dabei können zwei Ebenen des Interaktionsgeschehens voneinander unterschieden werden: Der ›flow‹: spielerische Momente des Gruppengeschehens, in denen oft die relevanten Impulse für spätere Inszenierungen entstehen; und die Inszenierung: Interaktionsprozesse, in denen gruppenrelevante Themen in televisuell vertrauten Rahmungs-, Darstellungs- und Rollenmodellen bearbeitet werden. Wie sich im Verlauf eines Sehens als Prozess zeigt, verändert sich mit jedem Betrachten das Betrachtete, es treten neue Elemente hervor, andere erscheinen weniger wichtig: Das Bildmaterial der Inszenierungen eröffnet immer neue Sichtweisen. Stephen Greenblatt insistiert für den Neuen Historismus auf einen Forschungsstil, der kulturelle Ausdrucksformen als »›gekochtes‹ Material – als komplexe symbolische und materielle Artikulationen der imaginativen und ideologischen Strukturen jener Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat« (Greenblatt 1995: 14), in den Blick nimmt, und der sich gleichwohl Staunen und Resonanz bewahrt: »während die Philosophie das Staunen durch sichere Erkenntnis zu ersetzen sucht, sieht der Neue Historismus seine Aufgabe darin, im Herzen der Resonanz stets von neuem das Wunderbare zu beleben.« (Greenblatt 1995: 28)
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Oder, mit Stefan Hirschauer und Klaus Amann im Forschungskontext der Ethnographie: »Es geht in der Ethnographie gewissermaßen darum, sich – nachdem man etwas verstanden hat – noch mehr zu wundern. Die verständnisvolle Vertrautheit ist kein Telos, sondern ein immer neu zu überwindender Durchgangspunkt. Zu dieser ›empirischen Disziplin‹ bedarf es der genannten Techniken zur Unterbindung der ›Verselbständlichung‹, der unbemerkten Ablagerung von Sinnschichten. Dieser Prozess des Befremdens ist im Prinzip unabschließbar: er entspricht der Bodenlosigkeit kultureller Phänomene.« (Hirschauer/Amann 1997: 29)
Das »›gekochte‹« Material im Sinne Greenblatts ist weich und hochkomplex, was eine Vielgestaltigkeit der Analyse nicht nur zulässt, sondern erforderlich macht. Dabei sind die Materialanalysen von zwei Bestrebungen getragen: Erstens von dem Bestreben einer nachvollziehbaren und dem Prinzip der Vergleichbarkeit gerecht werdenden Analyse, zweitens von dem Bestreben einer den einzelnen Inszenierungen der Gleichaltrigengruppen in ihrer Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit gerecht werdenden Analyse in dem Staunen über die vielen ›Verrücktheiten‹ – aus denen sich gleichwohl in der komparativen Analyse eine interessante Ordnung herstellt.
Materialerhebung: »und action!« Die Methode der Videoinszenierung wird an einer reformpädagogisch orientierten Grundschule in einem multi-ethnischen Berliner Innenstadtund Arbeiterbezirk realisiert. Es finden insgesamt vier Video-Arbeitsgemeinschaften mit je drei bis dreizehn Teilnehmenden statt. Die teilnehmenden Kinder kommen fast ausschließlich aus den fünften und sechsten Klassen und sind zwischen zehn und dreizehn Jahren alt. Die Länge der Arbeitsgemeinschaften mit einer Dauer von etwa drei Stunden pro Nachmittag wurde nach der Pilotphase von zehn auf vier Sitzungen reduziert. Die erste Arbeitsgemeinschaft wird als Pilotphase lanciert, um die Effektivität der Methode zu testen, und als offenes Angebot an alle interessierten Kinder der fünften und sechsten Klassen angekündigt. Wir berichten der Gruppe in der ersten Sitzung kurz von unserem Forschungshintergrund, was auf keinerlei Interesse stößt: Die Kinder wollen ›loslegen‹. Im Laufe der ersten beiden Nachmittage dieser Arbeitsgemeinschaft bildet sich entlang zweier in sich homosozialer Peergroups eine entsprechende Binnendifferenzierung in der Gruppe heraus. Die folgenden Arbeitsgemeinschaften werden daher nach Abschluss der erfolgrei-
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chen Pilotphase in Folge von Schulhofbeobachtungen konstituiert, bei denen Gleichaltrigengruppen aus den entsprechenden Klassen, die im übrigen ausschließlich geschlechtshomogen auftreten, direkt angesprochen werden. Alle angesprochenen Peergroups sind von der Teilnahme an einer Videoarbeitsgemeinschaft begeistert und die Anwesenheit der Teilnehmenden ist in allen Arbeitsgemeinschaften regelmäßig, teilweise mit leichten Verschiebungen in der Gruppenzusammenstellung. Alle Arbeitsgemeinschaften werden mit den gleichen Requisiten Schminke, Maske, Tücher, Schmuck, Kleider ausgestattet, zuzüglich der im Raum vorhandenen Requisiten (Musikinstrumente und Körpermodelle für den Biologieunterricht). Darüber hinaus finden die in der ersten Gruppensitzung als Pausenerfrischung mitgebrachten Coca-Cola- und Spritebüchsen rege inszenatorische Verwendung – eine Tradition, die für die ganze Erhebungszeit beibehalten wird. Zur Einführung beginnen alle vier Arbeitsgemeinschaften mit einer Vorstellung der einzelnen Gruppenmitglieder, die bereits von den Kindern selber gefilmt wird und der Eingewöhnung an die verschiedenen Kamerafunktionen wie an die Selbstdarstellung vor laufender Kamera gilt. Sodann wird die Regie der Gruppe übergeben, während sich die Gruppenleitung im Sinne der medienethnographischen Forschung so weit wie möglich zurückhält. In einigen Fällen kommt es hierbei zu Kollisionen in der Doppelrolle der Distanz der Forschenden, die sich aus den Prozessen der Gruppen heraushalten, und der pädagogischen Empathie der Leitenden, die mit mehr oder weniger expliziten Anforderungen meist einzelner, weniger gut integrierter Kinder konfrontiert werden. In Momenten umfassenderer Kreativitätsflauten einzelner Nachmittage wird versucht, die Gruppenaktivität durch leichte Reize wieder in Fluss zu bringen, indem auf Gruppenimpulse verwiesen oder durch Nachfragen entsprechende entwickelt werden. Dabei wird entsprechend dem genannten Forschungsinteresse versucht, so behutsam wie möglich voranzugehen. Es zeigt sich allerdings, dass die Gruppen in den meisten Fällen ohne pädagogischen Eingriff auskommen. Dies benötigt Geduld und Vertrauen auf Seiten der Leitenden, die ihrer Rolle am besten nachkommen, indem sie keine Rolle spielen und den Gruppen die Nachmittage als eigenen Raum der Gestaltung übergeben, der ohne Leitung auskommt, doch der Aufsichtspflicht nachkommt. Dabei ist davon auszugehen, dass der Ort der Schule und die Anwesenheit der Leitenden und der Standkamera leichte ›Unschärferelationen‹ in den Inszenierungen der Arbeitsgemeinschaften hervorrufen. Diese können einerseits nicht vermieden werden, werden andererseits in jedem sozialen Kontext erzeugt. Zudem wird davon ausgegangen, dass ein bestimmter Leitungsstil einer Arbeitsgemeinschaft keine dominanten grup-
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penspezifischen Inszenierungsthemen und Bearbeitungsweisen bestimmen kann. Die offene Anlage der Methode bringt vielmehr einen kreativ nutzbaren Handlungsrahmen hervor, der von den Gruppen als solcher verstanden und genutzt wird. Die Standkamera wird von den Gruppen nicht für Selbstdarstellungen genutzt. Dies mag vor allem daran liegen, dass sie sich bereits anhand ›ihrer‹ Kamera inszenieren können. Gegenüber der Vermutung, dass die Gleichaltrigengruppen an eine technisch gestützte und ggf. kontrollierende Beobachtung in der Institution Schule und im öffentlichen Raum bereits gewöhnt sind, zeigt die parallel durchgeführte Untersuchung über schulische Rituale an derselben Grundschule, das die für diesen Zweck eingesetzte Kamera sehr wohl zum Anlass von Selbstdarstellungen wird. Der einzige Fall eines Standkamerakommentars im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften bildet ein – nicht erfolgreicher – Versuch sozialer Aufmerksamkeitswerbung. Für ihre Inszenierungen schlüpfen die Gruppenmitglieder mit Leichtigkeit in selbstgewählte Rollenmuster wie das der Moderatorin oder des Gangsters, verständigen sich schnell über Plot und Dramaturgie und haben im Allgemeinen keine Schwierigkeiten in der Handhabung der Kamera und der Präsentation vor der Kamera. Jede Gruppe zeichnet sich durch die Spezifik ihrer Gruppensituation, ihrer thematischen Fokussierungen und ihres Bearbeitungsstils aus: Die erste Arbeitsgemeinschaft besteht aus einer vierköpfigen Jungengruppe, einer siebenköpfigen Mädchengruppe und zwei weiteren, weniger gut integrierten Mädchen, die im Laufe der Zeit die Arbeitsgemeinschaft verlassen. Etwa die Hälfte der Kinder hat zumindest einen deutschen Elternteil. Im Verlauf der Arbeitsgemeinschaft wird für die Jungen- und die Mädchengruppe parallel gearbeitet. Die Gruppensituation der Jungen, Gruppe Groteske, ist homogen. Ihre teilweise etwas schwerfällig in Gang kommenden Inszenierungen sind, sobald der ›Funke springt‹, von großer Lebendigkeit und der Verwendung grotesker und obszöner Inszenierungselemente gekennzeichnet. Die Gruppensituation der Mädchengruppe, Gruppe Intrige, gestaltet sich als ein homogener und auffallend modisch ausgerichteter ›inner circle‹ und einem davon leicht differenzierbaren peripheren Bereich. Die Gruppe inszeniert über die Hälfte der Gesamtdauer der Arbeitsgemeinschaft in Eigenregie das epochale Soap-Drama Mord im Mädchenklo. In der ersten und den letzten Sitzungen arbeiten die Gruppen gemeinsam: Gruppe Mix. Die Gruppensituation der zweiten Arbeitsgemeinschaft, Gruppe Schönheit, ist inhomogen, was auch in den Inszenierungen zum Ausdruck kommt. Die Gruppe setzt sich aus drei deutschen Mädchen zusammen, von denen eines sowohl die Gruppenregie in der Hand hält und wie durch
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eine Fülle an Inszenierungsideen auffällt. Die Thematik weiblicher Schönheit ist vordergründig. Die Gruppensituation der dritten Arbeitsgemeinschaft, Gruppe Lust, ist relativ homogen. Die Gruppe besteht aus fünf nicht-deutschen und einem deutschen Jungen. Die Entwicklung von Inszenierungsideen gestaltet sich eher schwerfällig, deren Umsetzung ist dann allerdings von lustvoll-spielerischer Aktionsdichte geprägt. Die Thematik männlicher Potenz ist vordergründig. Die Gruppensituation der vierten Arbeitsgemeinschaft, Gruppe Model, ist von einer relativen Homogenität mit leichten Spannungen geprägt, die sich auch in den Inszenierungen zeigen. Die Gruppe besteht aus vier deutschen und vier nicht-deutschen Mädchen, alle aus den sechsten Klassen und somit mit dem höchsten Altersdurchschnitt der Gruppen. Die Inszenierungen zeichnen sich ansatzweise durch einen sozialkritischem Impetus aus. Im Laufe der Untersuchung werden etwa 50 Stunden audiovisuellen Datenmaterials in den vier Video-Arbeitsgemeinschaften erhoben. Die Kinder nutzen für ihre Inszenierungen fast ausschließlich televisuelle Formatrahmungen, und es werden vorrangig Werbungen, Nachrichten, Talk-Shows und Krimis aufgeführt, daneben einige Songs und SoapNachspiele. Eine Übersicht über das Material befindet sich im Anhang der Studie. Dass von den 80 meist spontanen Inszenierungen 73 als televisuelles Format gerahmt sind, das heißt über 90%, führt in der methodischen Provokation die gemeinschaftskonstitutive Wirkmacht des Fernsehens gerade in seinem formalen Darstellungsgestus vor Augen. Die Inszenierungen sind nicht immer klar vom spielerischen Gruppengeschehen und voneinander abzugrenzen, wie bei der Nachrichtensendung »sexualkunde«, die thematisch in zwei Werbungen ihre Gestalt findet, oder bei dem Krimi »warum du?«, in dem eine sehr lange Modenschau inszeniert wird, die in sich abgeschlossen ist und auch in ihrer Länge nicht im Verhältnis zu dem inszenierten Krimi steht. In diesen Fällen werden die ›Unterinszenierungen‹ als eigenständige Inszenierungen gewertet. Von den so insgesamt 80 geordneten und gezählten Inszenierungen sind 22 Werbungen, 15 Shows, 16 Nachrichten, 7 Krimis, 7 Gesangs- und Tanzdarbietungen, 6 Seriennachspiele und 7 freie Inszenierungen von sehr unterschiedlichen Längen. Die freien Inszenierungen erzählen bis auf zwei Verwandlungsszenarien Witze. Nachrichten werden ausschließlich von den Jungengruppen, Talk-Shows ausschließlich von den Mädchengruppen inszeniert. Von den 80 Inszenierungen werden im Folgenden 30 mikroanalytische Interpretationen vorgestellt. Hierfür sind die Namen der Kinder kodiert, und die Wiedergabe der sprachlichen Interaktionen ist zur Markierung des medialen Transformationsprozesses
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aus der gesprochenen und gehörten in die geschriebene und gelesene Sprache durchgängig in kleinbuchstaben gehalten. Hinweise zur Transkription befinden sich im Anhang der Studie. Im nächsten Kapitel Gestalten von Gemeinschaft werden folgende Materialanalysen vorgestellt: Abarbeitung: Schöne Körper Erniedrigung »mein freund sagt ich bin zu dick« Talk-Show, Gruppe Schönheit »alle lachen mich wegen meinen klamotten aus« Talk-Show, Gruppe Schönheit »eure schönheit ist rekordverdächtig« Talk-Show, Gruppe Schönheit »schön mit basic!« Werbung, Gruppe Schönheit
Ausgrenzung »sehr schwerer job« Talk-Show, Gruppe Model »warum du?« Krimi, Auszug Modenschau, Gruppe Model »warum du?« Krimi, Gruppe Model »von otto!« Werbung, Gruppe Model »slim fast« Werbung, Gruppe Model »schick was?« Werbung, Gruppe Intrige »du – kannst nie eine von uns werden!« Krimi, Gruppe Intrige »das reicht mir jetzt!« Talk-Show, Gruppe Mix
Entgrenzung: Groteske Körper Überschreitungen »das ist das parfum fürs arsch!« Werbung, Gruppe Mix »warum haben sie ihre frau ermordet?« Nachrichten, Gruppe Groteske »viele köpfe liegen unten« Nachrichten, Gruppe Groteske »eine million grad!« Nachrichten, Gruppe Groteske »russische nachrichten« Nachrichten, Gruppe Groteske »alle werden schterben« Nachrichten, Gruppe Lust »rumlaufen auf tote« Nachrichten, Gruppe Lust
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Verwandlungen »bin ich eine puppe?« Frei, Gruppe Lust »wir haben die teletubbies noch nicht töten können« Frei, Gruppe Lust
Abgrenzung: Fremde Körper Abwehr »die neue tee von tschai« Werbung, Gruppe Model »dönerwerbung für ali« Werbung, Gruppe Schönheit »die armen kinder in afrika« Talk-Show, Gruppe Schönheit
Angriff »her mit der kohle!« Krimi, Gruppe Lust »mir torkeln alle sinne…« Krimi, Gruppe Schönheit
Annäherung: Sexuelle Körper Leidenschaft »ruf mich an« Werbung, Gruppe Mix »dis is werbung!« Werbung, Gruppe Lust »ruf mich an« Werbung, Gruppe Lust
Missbrauch »mein schwarm!« Werbung, Gruppe Intrige »ich wurde von meinem mann missbraucht« Talk-Show, Gruppe Model
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GESTALTEN
VON
GEMEINSCHAFT
ich bin ein mädchen! Wladimir im Vorlauf einer Werbeinszenierung ich weiß das, ich bin ein mann. Dursum zu Constanze, die auf die Kameraführung hinweist
Bei den Videoinszenierungen der Gleichaltrigengruppen handelt es sich nicht um ›einfache‹ Reinszenierungen fernsehmedial verbreiteter Stereotypen und Klischees, sondern um hochkomplexe soziale Arrangements, in deren medienbezogenen Gestalten von Gemeinschaft televisuelle Darstellungsformen immer zugleich – und auf sehr unterschiedliche Weisen – auf- und vorgeführt werden. Die inszenatorischen Aushandlungsprozesse der Gruppen entwickeln sich entlang spezifischer Körperbilder, die als Orientierungs-, Distanzierungs- und Abarbeitungsfiguren in den Inszenierungen ihre kreative Bearbeitung und inszenatorische Kommentierung erfahren. Hierbei treten Vorbild und Nachspiel als stetes Verweisungsverhältnis in Erscheinung: ebenso aufeinander bezogen wie sich voneinander distanzierend. Die Ordnung des vorliegenden Kapitels entspricht den thematischen Verdichtungen der Inszenierungen der Gleichaltrigengruppen in Form der vier Körperbilder, die im Laufe der Materialinterpretationen immer deutlicher in den Vordergrund traten. Zunächst ist die Thematik der schönen weiblichen Körperoberfläche in den Inszenierungen der Mädchengruppen mehr als augenfällig (Abarbeitung: Schöne Körper). Demgegenüber zeigen sich in den Inszenierungen der Jungengruppen Darstellungsfiguren der Obszönität und Potenz (Entgrenzung: Groteske Körper). Des Weiteren wird immer wieder die Thematik des und der ›Anderen‹ virulent (Abgrenzung: Fremde Körper) wie auch die – wiederum auffällig geschlechtsdifferent inszenierte – Thematik der Sexualität (Annäherung: Sexuelle Körper).
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VERKÖRPERTE MEDIEN
Abarbeitung: Schöne Körper Erniedrigung Robin Dunbar stellt den sozialen Small Talk als eine moderne Form ›sozialen Lausens‹ dar, die sowohl soziale Begegnung wie soziale Kohärenz sichergestellt – ein Gedankengang entliehen der Primatenforschung zum intensiven gegenseitigem Lausen und Kraulen dieser Tiere (Dunbar 2002). Televisuelle Talk-Shows führen in dieser Überlegung eine mediale Steigerung des Small Talks als massentaugliche Show des Fernsehtalks auf. Die körperliche Nähe der sozialen Aktivität des Lausend verschiebt sich in eine eher passive und distante Form massenmedialer Sozialintegration, die statt von Entlausung auch eher von steter Dramatisierung getragen ist. Nur ein anständiges Drama, so scheint es, unterhält Zuschauer in einem quotengerechten Maße. Die folgenden vier Inszenierungen der Mädchengruppe Schönheit (Tanja, Dunja und Claudia) führen entsprechende Dramen vor, die soziale Anpassungstechniken par excellence vorführen. In den aufeinander folgenden Inszenierungen werden die äußerlichen Erscheinungsmerkmale Gewicht, Kleidung, Schönheit (Talk-Shows) und Make-up (Werbung) als zentrale Elemente sozialer Degradierungs- und Integrationsprozesse vorgeführt. Die je szenenspezifische Gruppendynamik weist verschieden widerständige, aneignende und unterwerfende Figuren bezüglich der inszenatorisch eingeforderten Sozialanpassung auf, die anhand und auf der weiblichen Körperoberfläche ausgehandelt werden, gleichwohl nicht an dieser halt zu machen gedenken. Jeweils zwei Mädchen, Moderatorin und Studiogast, spielen nach kurzen Absprachen spontan vor der laufenden Kamera, geführt von dem je dritten Mädchen. Auf der ›Bühne‹ steht ein Stuhl für den Studiogast. »mein freund sagt ich bin zu dick« Talk-Show, Gruppe Schönheit Tanja steht in der Mitte des Bildes mit einer gelben Spitzenbluse verkleidet, geht auf die Kamera zu, grosse ausladende Armbewegungen: und heute unser thema (1) mein freund sagt, ich bin zu dick; könnt ihr mir nicht helfen (geht kurz in die Knie) dass ich abnehmen kann? (.) und unsere erste kandidatin ist, (geht einen Schritt zurück, beugt kurz die Knie) christina! (1) herzlich willkommen! Claudia kommt mit viel Wangenrouge und mehreren Kissen unter dem Pulli ins Bild, setzt sich, schlägt die Beine übereinander, rückt die Kissen zurecht, grinst. Applaus aus dem Off. Tanja geht um Claudia herum, holt sich eine Stiftebox als Mikrophon, stellt sich vor Claudia:
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT hallo christina. na? (hält Claudia die Stiftebox vor den Mund) Claudia: >hallo< Tanja, die Stiftebox wieder zu sich gerichtet [im folgenden entsprechend]: hat dein freund gesagt, dass du zu dick bist, oder findest dus auch? Claudia: ich findes auch. (hält zwei Fäuste vor den Bauch, guckt kurz an sich herunter, dann zu Tanja)
Macht der Moderation Die Einführung des Talk-Show-Themas zum weiblichen Körpergewicht weist den Entwurf einer komplexen Dreiecksbeziehung auf: Die Rede des Mannes urteilt über den Körper der Frau, die sich Hilfe suchend an das Talk-Show-Team wendet, womit die Moderatorin wiederum selbst stilisierend einsetzt: »mein freund sagt, ich bin zu dick. könnt ihr mir nicht helfen, dass ich abnehmen kann?« Die urteilende Rede des Freundes gleitet ohne Zwischenschritt in die reagierende Suche nach Hilfe, formuliert als körperliches Änderungsvorhaben der Frau, und lässt diese ebenso als notwendige Selbstverständlichkeit erscheinen, wie sie sie in der Angebotsform der Talk-Show verankert. Mit der selbstgefälligen Themenstellung der Moderatorin wird das Sendeformat als Ort sozialer Rettung inszeniert, und aus der Rede des Mannes wird postwendend das massenmedial ausgestrahlte Hilfsprogramm für die Frau gezaubert. Hier wird ein Bündnis der Moderatorin, die die ›Öffentlichkeit‹ vertritt, mit dem Mann aufgeführt, das der Frau Bedürftigkeit und ein Zuviel an Körperraum zuschreibt. Ein Bündnis zudem, dessen erfolgreiche Durchsetzung anhand der Körperreduzierung der Frau aufgeführt wird. Mit anderen Worten wird der Körper der Frau wird als der Ort hergestellt, der das Bündnis gegen sie realisiert. Es geht somit weniger um ihr Körperwohlgefühl als um ihre öffentlich ausgestellte machteffektive Inbesitznahme. Der Titel der Sendung ist emotional geladen, aus der Perspektive der Betroffenen formuliert und bietet durch das vorgeformte Interpretationsmuster, das von der Rede des Mannes direkt in die Hilfe der Sendung übergeht, wenig Möglichkeit einer eigenständigen Darstellung der ›Betroffenen‹, der bereits in der Titelgebung der Sendung keine Positionsmöglichkeit außerhalb der Rede des Mannes oder der Sendung eingeräumt wird. Nach der Themeneinführung wird nach der Meinung der »kandidatin« gefragt. Diese zunächst überraschende Wortwahl weist auf das Statusverständnis der geladenen Frau und entspricht der Titelgebung der Sendung. Sie ist kein Studiogast, dem Raum gewährt wird, um aus einer affektiven Betroffenenperspektive zu berichten. Als Kandidatin einer Show muss sie sich unter Beweis stellen. Sie kandidiert für die Position derer, denen im Rahmen der Talk-Show generös Hilfe gewährt wird. Da65
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bei ist die ihr zugewiesene Rolle von Reaktivität und Abhängigkeit gekennzeichnet: eine Kandidatin auf Hilfe. »hat dein freund gesagt, dass du zu dick bist oder findest du das auch?« – die Fragestellung der Moderatorin ist rhetorisch. Sie richtet sich zunächst nach der Körperbeurteilung des Freundes entsprechend des Showthemas, anschließend nach der Selbstbeurteilung der Frau. Beide Nachfragen werden inhaltlich durch das »oder« voneinander getrennt und durch das abschließende »auch« wiederum miteinander verbunden. Es ergibt sich eine paradoxe Fragekonstellation: Mit dem »oder« erscheinen die beiden Beurteilungspositionen als Gegensatz, die ein »und« je eigenständig verbinden würde, und werden abschließend durch ein »auch« verkoppelt. Die paradoxe Rhetorik der Disjunktion unterbindet als subtiles Widerspruchsverbot eine eigenständige Positionierung der Frau und bringt ein getrenntes Paar in gleicher Beurteilung hervor. Anders formuliert gemeindet das »oder« die Rede der Frau der des Freundes ein und grenzt sie gleichzeitig aus. Die Reaktionsmöglichkeiten auf paradox formulierte Manipulationsversuche entsprechen in der produzierten Irritation häufig der implizierten Forderung, und Christina spricht erwartungsgemäß: »ich finde es auch«. Nach der Beurteilung folgt die Frage nach dem Grund: Tanja: Claudia:
Tanja: Claudia: Tanja: Claudia, Tanja: Claudia:
u::nd (.) wie bist du zu (.) wie bist du dazu gekommen, dass du zu dick bist? ja; das war in der schwa:ngerschaft. (Kamera fährt kurz den Körper runter und wieder rauf) also da bin ich dicker geworden, und da wollte ich >eigentlich? wieder abnehmen, aber das< ging (schlägt kurz mit den Händen auf den Bauch) nicht mehr (zuckt kurz mit den Schultern) also jetzt bin ich so dick. ja und, warum bist du dann hier? ja weil ich mich zu fett fühle (schlägt kurz auf den Bauch) ach so etwas lauter: und mein freund sagt das auch. aha und wir sollen dir tipps geben. genau.
Ihre Schwangerschaft beschreibt die »kandidatin« als passiv erfahrende Körperzunahme, dem die Erfahrung eines aktiven Scheiterns der Körperabnahme folgt. Diese Darstellung ist von Inaktivität geprägt. Die körperliche Last wird mit der Schwangerschaft begründet, mit der Zeit, in der die Frau die biologische Differenz zum Mann in markanter Sichtbarkeit austrägt. Da im Kontext der Inszenierung die Rede des Mannes dominant gesetzt ist, kann vermutet werden, dass die körpergewichtige Abwertung
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der Frau mit diesem folgenreichen biologischen Geschlechtsunterschied im Zusammenhang steht. Moderatorin Tanja reagiert wenig beeindruckt auf die Körpergeschichte, die in der nüchternen Tatsachenbeschreibung endet und den Studiogast nicht für die Notwendigkeit einer professionellen Körpermodellierung zu qualifizieren scheint, denn die Moderatorin fordert die Anwesenheitslegitimation: »ja und, warum bist du dann hier?«. Christina rechtfertigt sich sogleich mit einer dramatisierenden Steigerung der Selbstbeurteilung: Das feststellende »so dick« wird in ein verurteilendes »zu fett« verschoben, das selbstpositionierende »ich bin« in ein vorsichtiges »ich fühle«. Die selbstdegradierende und empfindungsorientierte Steigerungsleistung wird mit dem Verweis auf den Freund gekrönt, der diesmal nicht als Wertmaßstab, sondern zur Bestätigung herangezogen wird: »mein freund sagt das auch«. Wendig und spielerisch reagiert Claudia in ihrer Rolleninszenierung der Kandidatin Christina auf die subtilen Verhaltensaufforderungen von Moderatorin Tanja. Die Moderatorin weist der Rede des Freundes Gesetzesmacht zu, doch die Kandidatin zieht in einem sublimen Versuch der Selbstbehauptung die Rede des Freundes zur eigenen Urteilsunterstützung heran. Trotz der negativen Selbstbeurteilung und der Annahme der zugewiesenen Hilfsbedürftigkeit in Form von Selbstdegradierung bietet die Moderatorin keineswegs zufrieden gestellt ein Programm für die Körperreduktion der Frau an. Vielmehr stabilisiert sie die hierarchisierte Rollenverteilung der Talk-Show mit der Frage an die »kandidatin«, ob diese nun helfende »tipps« erwartet – zu verstehen als Gegengabe für die soziale Leistung der Selbstdegradierung, die die Kandidatin erfolgreich inszenierte. Die Themenstellung der Talk-Show: »könnt ihr mir nicht helfen, dass ich abnehmen kann?« impliziert tatsächlich nicht, wie an dieser Stelle deutlich wird, einen ›unterstützenden‹ Abnehmplan, sondern die beidseitige Inszenierung der Herstellung und Vorführung von Hilfsbedürftigkeit zwecks der Inszenierung sozialer Degradierung. Hierfür verstärkt die Moderatorin die Machtinszenierung anhand des Freundes, indem sie diesen erneut in das Zentrum des Interesses rückt und die Rede des Mannes in den Druck durch den Mann steigert: Tanja beugt sich zu Claudia mit der Stiftebox, lächelt: und ähm wer; setzt dein freund dich unter druck? Claudia: ähm (.) ja:; ja:, ja:. Tanja grinst, knickt mit den Knieen ein: okay na dann
Anfangs zögernd antwortet die Kandidatin auf die Unterwerfungsaufforderung in der für sie ungünstigen Hierarchisierung ihrer Beziehung. Das
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lustvoll-lächelnde Nachfragen der Moderatorin in der hervorgehobenen körperlichen Nähe unterstützt die weitere Subversion ihrer Beziehung. Die folgenden Fragen gelten der quantitativen Erfassung des Studiogasts. Ihr Gewicht bei »hundertfünfzig kilo« bei einem Alter von »siebenundzwanzig« wird als »ja das ist eigentlich ganz schön viel. aber du weißt es ja selbst« bewertet, womit der Körperumfang der Frau wiederum als Problemfall hergestellt und Christina verantwortet wird. Diese wird hierauf den »experten« übergeben, »die sich damit auskennen und du kannst dann nachher mal hingehen und die können dir ein paar tipps geben«. Die Körperdegradierung der Frau wird in der Talk Show durch die Expertenberatung als Fremdaneignung sowohl gesteigert wie stabilisiert, vorbereitet durch die Degradierungszeremonie der Talk-Show und die eingeforderte Einverständniserklärung der Kandidatin (»wir sollen dir tipps geben« »genau«).
Degradierung Sodann wird der nächste Studiogast begrüßt: Tanja, geht auf die Kamera zu: und und nun haben wir (1) die junge frau rausgeschickt und nun wieder ein=ein anderes (geht zurück) beispiel. hier ist barbara, und sie wird uns von ihrem kummer erzählen. Dunja tritt ins Bild mit mehreren Kissen unterm Pulli und einem grauen Rock über der Hose, setzt sich. Applaus aus dem Off. Tanja: okay. hallo barbara. Dunja: hallo. Tanja dreht sich, hält Ausschau, findet die Stiftebox: okay. also (1) hallo barbara und jetzt noch mal die gleiche frage wie bei der anderen. äm, setzt dein freund dich auch unter druck?
Barbara wird ebenfalls nicht als eigenständige Frau eingeführt, allerdings auch nicht als »kanidatin« auf Hilfe, sondern als »beispiel« für die Macht des Kummers, der ein als zu üppig bewerteter Frauenkörper verursacht. Die Moderatorin greift die letzte thematische Figur der vorangegangenen Interviewsituation auf und fragt wiederum nach der Macht des Mannes, womit sie die Themenstellung der Talk-Show entsprechend ihrer Entwicklung in der vorangegangenen Szene von der urteilenden Rede des Freundes in den Druck durch den Freund verschärft. Dunja:
Tanja: Dunja:
ich hab keinen freund. die leute auf der straße die sprechen mich an und sagen man, bist du fett und so. deswegen möchte ich dünner werden, weil mir gefällts langsam auch nicht mehr (umfasst mit den Händen ihren Bauch) und des verletzt dich sehr? ja; ist unangenehm
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Der erwartungsvollen Frage nach dem durch den Freund ausgeübten sozialen Druck pariert Barbara nicht, doch erweitert eigenständig das Feld sozialer Kontrolle um die Straßenöffentlichkeit. Der »fette« Körper ist in der Anonymität der Masse nicht vor seiner herausgehobenen Sichtbarkeit geschützt, sondern erregt Aufsehen. In der Rolle der umfangreichen Barbara thematisiert Dunja somit Schlanksein als soziale Norm in öffentlicher Einforderung und persönlicher Anerkennung. Die Motivation, dem sozialnormativen Anspruch der rechten Körperform nachzukommen, zeigt sich als distanziert-beschreibende Ablehnung der eigenen Körperlichkeit in einer zeitlichen Veränderungsbewegung: »mir gefällts langsam auch nicht mehr«. Im Vergleich zu dieser selbstpositionierenden Stellungnahme kam bei Christina die – eingeforderte – Selbstverurteilung. Während Barbara sich hier den Vorgaben der Moderation widersetzt, indem sie die Themenstellung der Sendung eigenständig vom (inexistenten) Freund in eine allgemeine Öffentlichkeit verschiebt, folgt Christina den durch die Moderation subtil vertretenen Verhaltensaufforderungen, was sich destabilisierend auf ihre eigene Position auswirkt.
Talk Show »zu dick«: »mir gefällts langsam auch nicht mehr« Auch bei Barbara fokussiert die Moderatorin Tanja auf die Fremdbeurteilung und räumt ihr emotionales Verletzungspotential ein. Der Akt verbalen Mitgefühls ist ambivalent, da er weniger Einfühlung formuliert als vielmehr die Zuschreibung einer Gefühlslage. Indem Barbara die Aussage bestätigend abschwächt: »ja, ist unangenehm,«, greift sie weder das 69
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implizite Angebot der Übernahme einer Opferrolle durch die verletzende Fremdbeurteilung noch die anvisierte Emotionalisierung der Situation auf. In dieser Nicht-Reaktion auf das Emotionalisierungsangebot der Moderatorin lehnt Barbara eine unterwerfende Rollenfestschreibung ab. So versucht die Moderation, die Machtverteilung der Sendung zu ihren Gunsten zu stabilisieren, indem sie auf die Funktion der Sendung und die Abhängigkeitssituation des Studiogasts von dem Hilfsangebot der Sendung erinnert: »also du möchtest dich heut auch beraten lassen«. Im Folgenden erkundigt sich die Moderatorin wieder quantifizierend nach Alter (»fünfundzwanzig«) und Größe (»ein meter fünfundzwanzig«), wobei in der Divergenz von Größe und Alter die Gleichzeitigkeit von faktischer Größe und gespielter Rolle angezeigt ist, deutliches Zeichen für die Betroffenheit der Mädchen jenseits des ›Spiels‹ der Sendung. Die Frage nach dem Gewicht ruft Sofortmaßnahmen auf den Plan: Tanja: Dunja: Tanja:
Dunja:
okay. und wie viel wiegst du? die entscheidende frage? also fast zweihundert kilo. hm. okay. dann möchte ich dich auch gleich mal rausschicken und nur noch eine frage. äh wir wollen erst mal gucken, ob du das bestehst, also wir haben hierzu ein sportrad hier, und ob du mindestens eine minute bestehst, das zu machen. möchtest willst du das gerne tun? ja.
Im Vergleich zu Christina kann die Moderatorin aus Barbara keine beeindruckenden Selbstdegradierungen hervorlocken. Doch bevor diese »rausgeschickt« und den »experten« der Kunst des Abnehmens übergeben wird, wird ihr eine kleine Fahrradtour angeboten: »wir wollen erst mal gucken, ob du das bestehst« – ob sie den Test der Selbstdegradierung, wenn schon nicht auf der verbalen, so doch wenigstens auf der körperlichen Ebene besteht. Hierfür wird die machtvolle Differenz des »wir« (Öffentlichkeit) und des »du« (Studiogast) aufgerufen, mit der das »du« angespornt wird, sich dem gemeinen »wir« – nach dessen Gesetzen – einzufügen. Eine Prozedur, die das Strampeln auf dem Sportrad versinnbildlicht. Die Radfahrvorführung stellt einen selbstdegradierenden Eignungstest für die folgende Fremdaneignung qua Tippangebot der »experten« dar: Hierfür muss der alte Zustand öffentlich verworfen werden, um den neuen nachhaltig einsetzen zu können. Für die Sozialforderung nach einem weiblichen Körperminimum wird die kaschierte Einwilligungserklärung über den Radtest erhandelt: »möchtest willst du das gerne tun?«. Mit der von »möchtest« auf »willst« ›verbesserten‹ Aufforderung wird dem Studiogast sein Willen, in dem beigefügten »gerne« seine Motivation zugewiesen. Die Vorführung beginnt:
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Tanja: okay. dann=dann kommst du mal mit, Rangieren des Raumes für ein imaginäres Sportrad. Tanja: jetzt setz dich mal hierhin Dunja steht im Raum mit erhobenen Armen und auf der Stelle tretend, Tanja neben ihr. Tanja: und und jetzt musst du radeln ganz lange, ein eine=eine minute ungefähr und immer schneller, schneller, schneller, und? (.) ist es gut so, oder, Dunja: @ja@ Tanja: ist es anstrengend? Dunja: nein. Tanja: nein? dann solltest du mal öfter sport machen. und immer weiter. ich guck auf die uhr, (guckt auf die Uhr) noch fünfzig sekunden Claudia: na toll (1) die kamera ist schwer. Tanja: noch dreißig sekunden. und, es ist schon schwerer geworden, nicht wahr? Dunja, weiterhin auf der Stelle tretend: ja. Tanja: okay, und los, komm runter. (fasst Dunja am Arm) man, das trimmrad (tat) doch mal wieder gut. okay. dann setz dich noch mal hin (zieht an einem Stuhl, auf den Dunja sich setzt) sind wir jetzt fertig? okay sie können jetzt auch mal rausgehen und können sich von unseren experten beraten lassen. okay. da gehts raus (zeigt mit dem Finger zur Tür, wedelt mit der Hand) Dunja steht auf und geht Richtung Tür. Tanja: die werden sie dann empfangen.
Die Inszenierung des harschen Zugriffs der Moderatorin auf ihre Studiogäste und ihre degradierende Vorführung vor dem imaginären Publikum ist in dieser Szene frappierend offensichtlich. Während die Moderatorin bislang über emotionale Zuschreibungsversuche über ihre Gäste verfügt, greift sie nun auf den Körper direkt zu, indem sie diesen räumlich situiert und zeitlich aktiviert: »jetzt musst du radeln ganz langsam, eine eine minute ungefähr und immer schneller, schneller, schneller«. Dem imperativen Zugriff auf den Körper weicht Barbara aus, indem sie die Nachfrage ob der Anstrengung des Radelns verneint. Mit dem sowohl unfreundlichen wie unlogischen »dann solltest du mal öfter sport machen« installiert die Moderatorin schleunigst ihre Macht über den Studiogast qua körperlicher Verfügung. Die Aufführung und Darstellung der hierarchisierten Beziehungsfigur zwischen Moderation und Studiogast wird in der Verschiebung von der verbalen auf die körperliche Degradierung intensiviert, die lustvoll aufgeladene Verfügungsgewalt über den fremden Körper durch verbale Unterwerfungsgesten gesteigert: »es ist schon schwerer geworden, nicht wahr«. Dunjas Bestätigung kommt schließendlich einer Selbstunterwer-
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fung gleich, womit die Moderatorin die Vorführung beenden kann, wobei sie den Erfolg ihrer Handlungen, die Degradierung ihres Studiogasts und die darauf aufbauende Stabilisierung ihrer Position anhand des Trimmrads expliziert: »das trimmrad (tat) doch mal wieder gut«. Kaschiert als televisuelle Hilfsleistung inszeniert die Talk-Show »mein freund sagt, ich bin zu dick« Degradierungszeremonien, in denen die (weibliche) Anerkennung der schlanken Körpernorm mit der (unterwerfenden) Anerkennung der machtvollen Position der Moderatorin einhergehen. Diese stützt sich auf die Rede des Mannes, der selber nicht in Erscheinung tritt. Demgegenüber wird das ›Antimodell‹ des dicken Frauenkörpers explizit ins Bild gesetzt und in vielfältigen Degradierungszeremonien sozial vorgeführt und verworfen. Anhand dieser deutlich konturierten Abgrenzungsfläche wird die weibliche Schlankheitsnorm eingesetzt, unterlegt mir dem subtilen Versprechen sozialer Anerkennung, spezieller: der Anerkennung des Mannes. Die Sendung gilt der vorführenden Degradierung und nicht der vorgeführten Veränderung, auf die jenseits des Bildes verwiesen ist. Anhand der umfangreichen Inszenierung der sozialen Folgen der Nichterfüllung des Schlankheitsdogmas wird das ungewichtige Modell anerkannter Frauenschönheit sozial abgesichert. Die wiederholten Degradierungszeremonien entsprechen der Aufforderung zur sozialen Anpassung, die in der Form des Körpers ihren sichtbaren Ausdruck findet. Diese wird als Expertenberatung auch gleich anwendungsorientiert in der Show verankert, der Körper der Frau somit seiner professionellen ›Kolonisierung‹ freigegeben. Die inszenierte Talk-Show zur Schlankheitsaufforderung kann in diesem Sinne auch als inszenierter Körperenteignungsversuch gefasst werden. Der bewertenden Rede des Mannes folgt die eingeforderte Selbstdegradierung der Frau und die Übergabe ihres Körpers in die Hände von Profis. Die Talk-Show inszeniert hiermit keineswegs Hilfe, als vielmehr die Produktion von Hilfsbedürftigkeit und Unterwerfung in der Herstellung von Abhängigkeiten, die im Selbstbild verankert und in der Aufforderung zur Einhaltung bestimmter Körperformen als materiell verdichtete Sozialnormen sichtbar gemacht werden. In ihrer folgenden Talk-Show führt die gleiche Mädchengruppe wiederum die Veränderungsnotwendigkeit des weiblichen Körpers ins Bild, die diesmal allerdings nicht die Körperform, sondern die Körperbekleidung betrifft. Auch hier wird soziale Degradierung dem Wunsch nach Veränderung motivational vorausgeschickt, darüber hinaus wird die sozialintegrative Veränderungsleistung qua Experteneinsatz ins Bild gebracht. Es kommt zu zwei diametral entgegengesetzten Reaktionsweisen auf die inszenierte Aufforderung zur Sozialanpassung:
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT »alle lachen mich wegen meinen klamotten aus« Talk-Show, Gruppe Schönheit Claudia spielt die Moderatorin, in einen gelben langen Mantel gekleidet und mit viel Wangenrouge, geht langsam und lächelnd auf die Kamera zu, einen Klangstab vor dem Mund: herzlich willkommen bei talktalktalk. heute gehts um das thema, alle lachen mich wegen meinen klamotten aus. und unsere erste unser erster gast i:st, clara:::! Applaus aus Off. Dunja tritt mit einem bunten Tuch über den Schultern und einer roten Mütze ins Bild, setzt sich. Claudia: clara, warum lachen dich denn alle aus? Dunja: weil ich sone (guckt an sich herunter) hübschen klamotten anhab. Claudia: aha. und du willst dich heute bei uns verändern lassen, ja? Dunja: ja.
Veränderung Clara, die aufgrund ihrer Kleidung ausgelacht wird, begibt sich in die Veränderungssendung. In deren Veränderungsangebot wird Konformität als soziales Sicherungssystem aufgerufen, das vor sozialen Ausgrenzungserfahrungen wie das der besonders perfiden Form des Ausgelacht Werdens zu schützen vorgibt. Perfide insofern, als dass das Auslachen doppelseitig wirkt: einerseits nach innen, indem sie den Kreis der Lachenden situativ miteinander verbündet, andererseits nach außen, als dass das lachende Bündnis auf Kosten des/der Ausgelachten geht und gleichzeitig jeden Versuch einer argumentativen Gegenwehr aushebelt. In dieser emotionalen Aufladung wird, ähnlich der vorangegangenen TalkShow, sozialer Konformitätsdruck anhand des Generators Angst produziert, beste Motivation für tief wurzelnden Anpassungserfolg. Die Titelgebung der Talk-Show formuliert keine direkte Anrufung um Hilfe, wenngleich später tatsächlich professionell verabreichte Veränderungen ins Bild gebracht werden, sondern betont den emotional stark aufgeladenen Tatbestand des Auslachens, der in der Inszenierung als motivationaler Veränderungsdruck fungiert. Wiederum ist das äußerliche Erscheinungsbild der Frau Zentrum der Inszenierung. Claudia als Moderatorin stellt ihren ersten Studiogast tatsächlich als »gast« und nicht als »kandidatin« oder als »beispiel« vor – wenngleich die beiden letzteren Bezeichnungen auf ihre Weise dem Umgangston entsprechend ehrlicher sind: Die Bezeichnung »kandidatin« weist auf Erfolg oder Misserfolg, Sieg oder Niederlage bezüglich der Kandidatur der Veränderung, die Bezeichnung »beispiel« auf etwas, wofür ein Studiogast steht: verkörpertes »beispiel« für sozial Unerwünschtes. Die Bezeichnung »gast« weist demgegenüber auf soziale Höflichkeitsregeln und auf Rollenzuschreibungen, die nicht notwendigerweise mit hierarchisierten Positionsverteilungen einhergehen. 73
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Die Vorstellungsszene entbehrt in ihrem Anliegen der Kennzeichnung eines Anti-Schönheitskörpers nicht einer grotesken Komik und deutet bereits die später in aller Deutlichkeit auftretende Spannung zwischen der Moderatorin und ihrem Studiogast an: Alles hat zwei Mark gekostet, bis auf den 500-Mark-Hut, und dies ist die tagtägliche Kleidung von Clara – »nur sonntags nich, da hab ich blaue klamotten an«. Bezüglich der Jacke von H&M unterstellt die Moderatorin Diebstahl, doch laut Clara waren sie »in kartons«. Diese wird dann in die Veränderung geschickt und ein neuer Gast hereingebeten: Claudia geht mit Klangstab auf die Kamera zu: okay, willkommen wieder bei talktalktalk. jetzt haben wir einen nächsten gast, der auch über sein aussehen ausgelacht wird. und das ist die (streckt den Arm mit nach oben gerichteter Handfläche aus) i::::::::ngrid! Tanja kommt mit einem bunten Tuch über Kopf und Oberkörper, mehreren Schichten an weiteren Tüchern und Kleidern und hochgezogenen Schultern ins Bild. Sie hält das Kopftuch mit der linken Hand vor der Brust zusammen, in der rechten hält sie einen Klangstab als Mikrophon. Claudia: klatschen jetzt. Applaus aus dem Off. Tanja, mit verstellter Stimme, näselnd und zu Claudia hochschauend, Klangstab vor dem Mund: hallo arabella, na? Claudia: hallo ingrid. wieso wirst du denn ausgelacht? Tanja: weil wegen meiner sachen.
Die Frage der Moderatorin nach der sozialen Ausgrenzungserfahrung wird, sendungsgemäß, direkt auf das Erscheinungsbild des Studiogasts bezogen. Ingrids Kleidung kommt »teilweise vom müll und manche habe ich geerbt [...] und geschenkt bekommen vom roten kreuz«. Mit diesen Angaben verknüpft Ingrid ihr ›lachhaftes‹ Erscheinungsbild mit Armut und Abhängigkeit und zeichnet hierin ein Anti-Bild sozialer Anerkennung, das sie noch anhand der Stimmverstellung steigert. Entsprechend wird ihr auch die Veränderung für das Sprechverhalten vorgeschlagen: »und wenn sie vielleicht aufhören könnten, durch die nase zu sprechen, dann wäre ihre stimme auch attraktiver«. Die Sendung fordert nicht die Entwicklung von Unabhängigkeit gegenüber sozialer Kritik oder die Entwicklung eines eigenständigen Kleidungsstils. Die Sendung fordert Veränderung des körperlichen Erscheinungsbildes, womit sie die soziale Kritik in Form des Auslachens durch die aufgerufene Veränderungsnotwendigkeit bestätigt wird und einen sozialkonformen Kleidungsstil als sozialnormative Erwartung in Szene setzt. Dabei geht es weniger darum, sich zu verändern, als vielmehr dar-
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um, »sich verändern zu lassen«: »dann würden sie ganz neu wieder reinkommen«. Dieses »ganz neu«-Werden entspricht den Vorstellungen derer, die die Veränderung einsetzen, ein Versprechen, dass als sozialintegrativ verkauftes Abhängigkeitsverhältnis von Kleidung und Bekleidern doppelt im Außen befindet.
Verweigerung Die Studiogäste werden nach der professionellen Veränderung wieder auf die Bühne geholt und führen zwei sehr unterschiedliche Verhaltensmodelle bezüglich des Veränderungsaufrufs auf: Claudia:
hallo:::. willkommen wieder bei talktalktalk nach der werbung. und jetzt kommt clara rein, die sich verändern lassen hat. okay. dann begrüßen wir jetzt alle (streckt den Arm aus) clara::! Aus Off Applaus. Dunja kommt mit einer offenen weißen Bluse, darunter eine farbige weitere, ins Bild, mit etwas Wangenrouge, Lippenstift und blauem Lidschatten geschminkt und gegelten Haaren. Sie setzt sich. Claudia: und clara, wie gefällt dir denn dein neues aussehen? Dunja, guckt an sich herunter, öffnet kurz die Bluse: nicht so gut (lächelt kurz) Claudia mit vorwurfsvollem Unterton: also du fühlst dich da drinne nicht wohl, ja? Dunja: nein. fühl ich mich nicht wohl.
Der Erfolg der professionellen Bekleidungshilfe wird von Clara nicht anerkannt: Ihr gefällt ihr neues Outfit nicht. Dies bezieht die Moderatorin auf das Wohlgefühl »da drinne« und versucht mit dem Einsatz von Argumenten, nun auch die Meinung der Veränderten zu ändern und nach »da drinne« vorzudringen: Claudia geht um Dunja herum: aber so würden sie vielleicht noch mal einen job? kriegen. Dunja, guckt an sich runter: ja, das da haben sie recht (lächelt gezwungen, nimmt die Hände zusammen) Claudia: ja, ich (.) also sie, gefallen mir so (fasst Dunja an die Schulter) und was meinen die zuschauergäste dazu? (2) sag gut. Tanja: oh ja, also ich finds wirklich super. also vorher sah sie wirklich sehr schlimm aus.
Der Umstimmungsversuch qua sozialintegrativer Anpassungsmoral wird in dem argumentativen Einsatz der Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der öffentlichen Meinung realisiert. Doch Clara widersetzt sich dem so75
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zialen Zufriedenheitsdruck bezüglich ihrer Neumodellierung und die Situation beginnt zu eskalieren: Dunja: Claudia:
ähm darf ich auch noch was sagen? ja. (hält Dunja den Klangstab hin) Dunja: zu ihnen möchte ich (1) ich hab da ein mikrophon (holt einen Klangstab aus der Bluse) ähm zu ihnen möchte ich mal was sagen. Claudia: ja Dunja: so sehen ein bisschen verloddert aus. (guckt an Claudia rauf und runter) Claudia: verloddert? Dunja: ich würde sagen, sie sollen sich mal verändern lassen. Tanja: das ist ja eine unverschämtheit. ja das ist wirklich eine unverschämtheit. Claudia: Dunja: das find ich überhaupt nicht@ Tanja: sie gehen jetzt bitte raus, ja? sie werden nicht zugelassen. Dunja steht auf und geht Richtung Tür. Claudia: das war clara::: Dunja dreht sich um: darf ich meine kleidung wiederhaben?@ Tanja: nein, die dürfen sie natürlich wiederhaben. Claudia: die kriegen sie draußen wieder. Tanja: okay auf wiedersehen, ein sehr unverschämter gast. Claudia: das war clara:: Tanja: raus.
Clara bringt eine Umkehrsituation hervor, indem nun sie die Moderatorin als »verloddert« bezeichnet und ihr die Veränderung vorschlägt. Der Vorschlag der Veränderung, den die Moderatorin gerade noch intensiv verfolgte, wird, sie selber betreffend, vehement als »unverschämtheit« abgewehrt. Tanja als Kamerafrau weitet ihre Rolle deutlich aus und schickt Clara in einem überraschenden Ausschließungsakt hinaus: »sie werden nicht zugelassen«, womit sie ihre vorhergehende Rolle der Moderatorin aufgreift. Die Veränderungsnotwendigkeit der Studiogäste, Basis der Inszenierung, kann aufgrund der asymmetrischen Beziehungsfigur nicht auf die Moderatorin übertragen werden, die ja gerade die Einhaltung und Aufführung sozialer Normen überwacht und ihre dominante Position qua Zuweisungs- und Entscheidungsgewalt vertritt, die keine abweichende Meinung, das heißt: keine Veränderung zulässt. Clara findet ihr Verhalten, das der Dankbarkeitserwartung bezüglich der Veränderungsgabe zuwiderläuft, durchaus keine Unverschämtheit. Sie widersetzt sich der verändernden Zurichtung, die sich die Sendung zur Aufgabe gemacht hat: der professionell eingefädelten Kleidung sozialer Anpassung im Sinne eines sozialnormativen Korsetts. Hierfür fordert sie auch »meine kleidung« zurück. Für ihren eigenen Stil ist innerhalb der Sendung, Aufführungs- und Darstellungsfeld sozialer Normie-
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rung, allerdings kein Platz, und so kriegt Dunja ihre Sachen auch erst »draußen wieder«. Die Ausgrenzungssituation, deren Veränderung die Talk-Show motivierte, wird nun selber Teil der Sendung.
Anpassung Ganz im Gegensatz zu Claras Verweigerungshaltung inszeniert Ingrid, der zweite Gast der Talk-Show (zudem Tanja, die sich soeben vehement gegen rebellisches Verhalten ausgesprochen hat) die erfolgreiche Sozialanpassung: Claudia:
und jetzt gehts weiter mit unserem zweiten gast. sie hat sich auch verändern lassen und wir holen sie rein. (1) ähm jetzt kommt (streckt den Arm aus) i::ngrid! Tanja kommt mit Klangstab, mit schwarzem Mantel und weißer Bluse über einem rotem langen Kleid gekleidet und mit Lippenstift geschminkt ins Bild, strahlt, dreht sich mehrmals vor der Kamera, setzt sich. Claudia: und ingrid, wie fühlst du dich so? Tanja: ja, ich fühle mich viel besser als vorher. Claudia: aha. ähm stehst du mal auf und ziehst deine jacke aus? Ingrid zieht die Jacke aus und dreht sich vor der Kamera, bleibt neben Claudia stehen. Claudia: und hast du dich erkundigt wie viel das kostet? Tanja: ja. Claudia: und wie viel? Tanja: dreihundertfünfzig mark Claudia: und so kriegst du bestimmt auch einen job und dann kannst du dir ja (2) einen job suchen und geld verdienen. dann kannst dus dir ja leisten. Tanja: ja danke schön. und auch danke schön auch an den therapeuten von mein sprache. ich hab sie endlich wieder gefunden. Claudia: aha. und das war ingrid. die sich verändern lassen hat. drehst du dich mal? Tanja dreht sich vor der Kamera. Claudia. ja, bravo (klatscht) Applaus aus dem Off. Claudia: uhu. okay. Tanja: tschü::ss. Claudia: das war ingrid. ingrid, deine jacke.
Im Gegensatz zu Claras unangepassten Verhalten und ihrem Boykott sozialer Normerfüllung führt Ingrid auf, dass sie den sozialen Erwartungen entspricht und dankt für die Möglichkeit der Veränderung von Kleidung und Sprache. Das nun dank der neuen Kleidung gleichberechtigte Auftreten Ingrids neben der Moderatorin zeigt sich insbesondere in ihrem Stehen bleiben und ›steht‹ ganz im Gegensatz zu der zum Sitzen verurteilten Position der bisherigen Studiogäste: Das aufrechte Stehen führt Ingrids sozialen Aufstieg auf.
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Talk Show »klamotten«: Ingrid vor...
... und nach der Veränderung. Der Hinweis auf das therapeutisch unterstützte Wiederfinden ihrer Sprache zeigt auf, dass die äußere Veränderung mit einer inneren einhergeht.
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Die Differenz von Innen (vgl. vorheriges »da drinne«) und Außen, die bei Clara unvereinbar war, vereinheitlicht sich in Ingrids Aufführung als eine sowohl das Innen wie das Außen betreffende Neugestaltung und kommt in ihrer Sprachfindung als beredtes Zeichen des neu erlangten Ausdrucks ihrer selbst verdichtet zum Ausdruck. Entsprechend fühlt sich Ingrid »viel besser als vorher«. Die erfolgreiche Sozialintegration ihres Gasts lässt die Moderatorin dem Publikum von allen Seiten vorführen. Ingrid bestätigt, dass sie um den finanziellen Wert ihrer neuen Kleidung weiss – zu verstehen im Sinne eines neuen Selbstwertgefühls, dass mit dem fianziellen Wert der Kleidung verkoppelt wird und hierin auch auf die nicht nur finanziellen Kosten der Sozialanpassung weist. Die neue, die sozialintegrative Kleidung sichert, so die Moral der Geschicht’, Berufschancen, die wiederum den Erwerb entsprechender Kleidung ermöglichen. Mit dem neuen »job« ist die soziale Eingliederung in die Gemeinschaft vollzogen, für die die anerkanntermaßen rechte Kleidung der Eintrittspreis ist. Doch als Ingrid die Bühne verlässt, vergisst sie ihre Jacke. Sie hat eine neue Sprache gefunden, doch die neue Kleidung ist ihr noch nicht zur zweiten Haut geworden: Ihr Vergessen zeigt, dass die neue Hülle (noch?) äußerlich bleibt. Clara hingegen vertritt ihr selbst gewähltes provokatives und widerständiges Sprechen unter zu Hilfenahme des Mikrophons. Nach den Inszenierungen sozialer Degradierung und sozialer Anpassungsaufforderung thematisiert die Gruppe Schönheit soziale Schönheitskonkurrenz als innerfamiliäre Wetkampfsituation. Im Laufe der Sendung werden Tochter Tatjana, Tochter Lina und Mutter Bärbel auf die Bühne geholt; der Vater und Stiefbruder Mark verbleiben im Off. Es handelt sich um die einzige Familienszenerie von allen Inszenierungen der Video-Arbeitsgemeinschaften. Auf der ›Bühne‹ stehen zwei Stühle. Moderatorin Dunja mit einer weißen Spitzenbluse bekleidet stellt begrüßend ihren Studiogast Tatjana und das Thema der Talk-Show: »eure schönheit ist rekordverdächtig« vor. Tatjana kommt herein mit einem langen gleben Mantel und einem roten Kleid, lächelt, verbeugt sich, dreht sich vor der Kamera und setzt sich auf einen Stuhl, Moderatorin Dunja bleibt stehen. Beide haben je einen Klangstab als Mikrophon. »eure schönheit ist rekordverdächtig« Talk-Show, Gruppe Schönheit Dunja: Tanja: Dunja: Tanja: Dunja: Tanja:
hallo tatjana. na, wie gehts dir? ja, mir gehts gut fühlst du dich überhaupt gut? ja du siehst auch gut aus danke
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Die schöne Tatjana Einleitend werden die Ebenen des gut Gehens, Fühlens und Aussehens als Entsprechungen aufgerufen, wobei das letztgenannte von außen, durch Moderatorin Dunja, zugeschrieben wird. Im weiteren Verlauf der Inszenierung wird das gute Aussehen nur noch als Komparativ oder Superlativ relevant, wobei nur die weiblichen Familienmitglieder für die Vergleichsschau herangezogen werden. Die erstgeborene Tanja bezeichnet sich als hübscher sowohl als ihre Schwester wie als ihre Mutter und als »das schönste kind der familie«. Mit der Selbstbezeichnung »kind« differenziert Tatjana ihre Position innerhalb der Familie und bezieht die Konkurrenzsituation auf die Generationenebene der Geschwister. Indessen kündigt Moderatorin Dunja einen öffentlichen Vergleich mit der Mutter an und überschreitet die von Tatjana anvisierte Ebenendifferenzierung der Generationen: Dunja:
eure mutter ist aber heute hier; und will sich vorstellen. Tanja: was? Dunja: dass sie hübscher ist als du Tanja vorwursvoll: oh nein. warum bin ich überhaupt hierher gekommen bitte, he? Dunja: weil sie gucken möchte, ob du dich echt hübscher findest als (1) als deine mutter. Tanja: aber dann möchte ich bitte erst mal rausgehen, ja? Dunja: okay. du darfst erst mal rausgehen. Tanja bestimmt und während des Hinausgehens: okay. und ich möchte (nichts mehr) mit meiner mutter zu tun haben. Dunja: okay Tanja: wiedersehen Dunja: bis gleich
Gegenüber den allmächtig erscheinenden Schönheitsideen der Tochter möchte sich die Mutter in den Worten der Moderatorin »vorstellen«, was anklingen lässt, ob sich Tatjana ein Wanken ihrer absoluten und selbst verordneten Schönheitsposition im Vergleich zur Mutter »vorstellen« kann. Die Vorstellung des Vergleichs mit der eigenen Mutter lässt diese allerdings die Szene verlassen. Während sie vor allem die Bestätigung ihrer Schönheit erwartet und nicht gewillt ist, in die durch die Moderatorin aufgerufene Vergleichssituation mit der Mutter zu treten, kommt die Mutter laut Dunja, »weil sie gucken möchte, ob du dich echt hübscher findest«. Dabei geht es weniger darum, wer, nach welchem Maßstab auch immer, hübscher ist, sondern darum, ob sich die Tochter »echt« in eine Konkurrenzsituation mit der Mutter stellt, eine Situation, die Tanja in der generationendifferenzierenden Selbstbezeichnung »kind« ausschloss – und eine Situation, die die Moderatorin mit dem Beiwort »echt« als anmaßende Herausforderung konnotiert. 80
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Um dem »gucken« der konkurrierenden und hierin invasiv gezeichneten Mutter zu entgehen verlässt die Tochter den Raum. Dies deutet in der situativen Metaphorik auch an, den eigenen Weg in abgrenzender Distanz ›außerhalb‹ der Mutter zu gehen, wie Tatjana in der Herausstellung der gewünschten Distanz zur Mutter betont. Dies wird von der Moderatorin insofern akzeptiert, als dass sie Tatjana »erst mal rausgehen« lässt, wobei die zeitliche Einschränkung auf das (noch) nicht bewältigte Mutterthema hinweisen mag. Zudem ermöglicht das von der Moderatorin aufgerufene Drama eines innerfamiliären ›Zickenkrieges‹ eine hervorragende emotional-explosive Dichte für eine quotenorientierte Fernsehsendung.
Die schöne Mutter Die Talk-Show bietet das Spieglein, Spieglein an der Wand für Mutter Bärbel. Sie wird ebenfalls von Tanja gespielt, was die Verflechtung von Mutter und Tochter auf eigene Weise verkörpert: Dunja: hallo bärbel. Tanja kommt herein mit einem blauen Kleid und einem schwarzen Mantel, breitet die Arme aus: tata::, tata::, @hallo@ Dunja: sie sieht genauso aus wie ihre tochter, bloß noch hübscher (.) °möchten sie sich setzen?° Tanja: danke sehr Dunja: also ich hab noch nie so ne hübschheit, so ne hübsche schönheit gesehen Tanja: danke sehr
Wie bereits in der Szene mit der Tochter spricht die Moderatorin auch der Mutter ein attraktives Äußeres zu, das sie als »genauso [...] bloß noch hübscher« bezeichnet. Ehrfurchtsvoll, fast sprachlos scheint Dunja angesichts der »noch nie« gesehenen »hübschheit, so ne hübsche schönheit« der Mutter. Ihre überwältigte Bekundung spricht die Anerkennung der Mutter als machtvolle Autoritätsperson, die sich anhand eines attraktiven Äußeren aufführt und hierbei gegen die Tochter gerichtet ist. Diese Form der Anerkennung druch die Moderation zeichnet eine Geste der Unterwerfung, die sowohl Dunjas Realsituation der Tochter als auch ihr Rollenspiel als Moderatorin betrifft. Diese Beziehungsfigur wird durch eine weitere Abwertung der Tochter noch verstärkt: Dunja:
ihre tochter, ist so knochig wie der mann da hinten @okay@
Dieser Vergleich richtet sich nicht nur gegen die Äußerlichkeit der Tochter, der ein »knochiger« Körper zugeschrieben wird, sondern gegen ihre Geschlechtlichkeit, die ihr als »knochig wie der mann« abgesprochen wird. Die Inszenierung der generationsübergreifenden weiblichen Schön81
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heitskonkurrenz wird in eine metaphorisch zugeschriebene Geschlechterdifferenz überführt, und das »schönste kind der familie« steht als ›knochiger Mann‹ außerhalb der Konkurrenz. Nicht nur, dass Mutter und Tochter überhaupt in dem inszenierten Schönheitswettkampf gegeneinander anzutreten haben, die Moderatorin unterstreicht die Ausgrenzung der bereits geschlechtlich ›ausrangierten‹ Tochter noch durch die räumliche Positionierung »da hinten« – ganz im Gegensatz zu der Mutter, die im Zentrum der Szene quasi im Rampenlicht sitzt. Die Anerkennung der Mutter wird hiermit einerseits an ihrem Erscheinungsbild festgemacht, andererseits muss hierfür die Tochter konkurrenzunfähig gemacht werden. Tanja: Dunja: Tanja: Dunja: Tanja: Dunja: Tanja:
@also also jetzt (aber) nichts gegen meine tochter; ja?@ nein, aber sie ist wirklich so dünn wie der mann (2) (und sie sind es auch) meine tochter wiegt achtzig und wie viel wiegen sie? fünfzig. das ist ja bedeutend weniger als ihre tochter ja. das finde ich auch.
Die Mutter nimmt ihre Tochter verbal in Schutz, eine Aussage, von der sie sich zugleich lachend distanziert. Dass die Moderatorin auf den Vorwurf der Mutter nicht reagiert, unterstreicht die dominante Position der Mutter, die in der situativen Positionsverteilung der Talk-Show ›über‹ der Moderatorin rangiert. Der Schutz der Tochter reduziert sich auf eine Höflichkeitsfloskel, denn sobald das deutlich pejorative »knochig« in ein »dünn« abgemildert wird, wird der Gewichtsunterschied zwischen Mutter und Tochter als deutliches Distinktionsmerkmal heraufbeschworen, wobei die Tochter plötzlich nicht mehr untergewichtig, sondern übergewichtig wird. Die von der Mutter aufgeführten Gewichtsunterschiede erweitern die Konkurrenzsituation von äußerer Schönheit um körperliches Gewicht, wiederholt inszeniert als soziale Anerkennungsnotwendigkeit von Frauen und Mädchen. Die Mutter, die ihre Tochter gerade noch gegenüber dem Männlichkeitsvergleich in Schutz genommen hat, betont nun die gewichtige Differenz der Körper. Das »bedeutend weniger« ist bedeutungsvoll, als dass das Weniger an Gewicht ein Mehr an sozialer Anerkennung bedeutet. Wenngleich die Mutter den Vergleich zwischen den Geschlechtern lachend abwehrt, so fordert sie ihn innerhalb des eigenen Geschlechts generationenindifferent ein und bietet mit ihren Ausführungen eine quantifizierbare Basis des Körpervergleichs, die sie in der frei erfundenen Gewichtsverteilung zu ihren Gunsten entscheidet. Wiederum schlägt Moderatorin Dunja einen sichtbaren Vergleich von Mutter und Tochter vor, wiederum wird dieser abgeschlagen: 82
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Dunja: Tanja: Dunja:
[…] Tanja:
und sollen wir sie reinholen, oder nicht so? nein lieber nicht. ich habe zuviel stress gehabt mit ihr ihre tochter, ihre tochter hat gesagt, sie will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. stimmt das? aber was das betrifft, also ich möchte auch nichts mir ihr zu tun haben, wir hatten am anfang (auch schon) stress, und ja, jetzt wollen wir nichts mehr miteinander zu tun haben.
Mutter und Tochter möchten nichts mehr miteinander zu tun haben, diesbezüglich sind sie einer Meinung. Entsprechend wandelt sich das »ich« in der Aussage der Mutter in ein vergemeinschaftendes, in der Differenz einvernehmliches »wir«. Die Distanznahme voneinander erscheint im Rahmen der inszenierten, an Äußerlichkeiten festgemachten und durch die Moderatorin in ihrer symbolischen Rolle der ›Öffentlichkeit‹ deutlich provozierten Konkurrenzsituation der beiden Familienmitglieder wenig überraschend. Gleichzeitig zeigt sie allerdings an, dass sich Mutter und Tochter nicht aus den Klammern des weiblichen Schönheitsmarathons befreien können, dass dieser gerade auch in diese sensible Beziehung vordringt.
Die schöne Lina In einer Zwischenszene wird die Mutter von der Moderatorin als Sängerin vorgestellt, was diese mit einem Verweis auf ihre Bekanntheit und einem quietschenden Vorsingen von »alle meine entchen« ironisiert unter Beweis stellt. Dann wird als nächste Vergleichsperson Schwester Lina, gespielt von Claudia, in die Show geholt und ihre vergleichende Schönheits-Selbsteinschätzung zu ihrer Schwester eingefordert. Lina stellt fest: »wir sind beide hübsch, aber ich bin natürlich die hübschere, das sieht man doch«. Sie distanziert sich von der Schwester auf der Ebene der Ähnlichkeit und lehnt ebenfalls einen vorführenden Vergleich im Rahmen der Sendung ab. Die Moderatorin spricht sie auf ein gemeinsam mit ihrer Schwester komponiertes Lied an, und Lina singt: »meine schönheit ist rekordreich, ja das weiß ich, ja ja«, um mit den Worten zu schließen »ja und weiter weiß ich nicht«. Sehr schön ist an dieser Stelle die Unklarheit darüber, wohin das ganze Schönheitsrekordverhalten führt, als zentrale Leerstelle der Talk-Shows thematisiert. Während die Mutter noch soziale Bekanntheit als Movens angeben kann, weiß Lina nach der wissenden Selbstzuschreibung rekordreicher Schönheit nicht mehr weiter.
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Der abwesende Vater In der Erläuterung der Familiensituation wird deutlich, dass die Eltern getrennt leben getrennt, Lina lebt bei beiden Elternteilen, und Stiefbruder Mark ist in der Berufsschule. Die Moderatorin kündigt spontan den Vater an. Lina reagiert abwehrend: Dunja: Claudia: Dunja: Claudia: Dunja: Claudia: Dunja: Claudia: Dunja: Claudia:
aber dafür ist dein vater da. willst du mit ihm sprechen? nee, nein aber er will unbedingt mit dir sprechen aber nicht im fernsehen doch, aber er möchte mit dir sprechen das ist mir aber peinlich okay, dann willst du draußen mit ihm sprechen ja, gerne okay, du darfst jetzt raus gehen aber gleich komm ich noch mal rein, ich sag ich sag ihnen, was ich mit ihm beredet habe. tschü::ss,
Während die Mutter »gucken« wollte, will der Vater »sprechen«. Die Tochter wehrt das Gespräch vor laufender Kamera ab, willigt einem Gespräch »draußen« hingegen ein. Während Tatjana das Weite vor ihrer Mutter sucht und das Bild verlässt, sucht Lina ihren Vater, indem sie das Bild verlässt. Will erstere »(nichts mehr) mit meiner mutter zu tun haben«, will zweitere Bericht erstatten, »was ich mit ihm beredet habe«. Will erstere »erst mal raus«, will zweitere »gleich […] noch mal rein«. Suchte erstere Anerkennung jenseits der Mutter, sucht diese Anerkennung beim Vater. Die inszenierte Beziehungssituation der Familie ist alles andere als ausgeglichen: Der Übermutter steht der abwesende Vater gegenüber, und die Anerkennungsbestrebungen der weiblichen Mitglieder der Familie sind als kampfeslustige Schönheitskonkurrenz inszeniert. Dunja: Claudia: Dunja: Claudia: Dunja:
und, ist ihr vater da? nein, mein vater scheint abgehauen zu sein. das ist ja er ist weggegangen. deshalb frag ich wieder mal so, dass er immer abhaut. er hat nämlich wieder mal angst er hat doch ganz keine angst. er ist abgehauen, weil er dachte,
Lina trifft ihren Vater nicht, ein Wiederholungsfaktum, wie sie deutlich macht: »das ist ja wieder mal so, dass er immer abhaut«. Als Begründung gibt sie die Angst des Vaters an, möglicherweise die Angst vor Begegnung. Die Moderatorin versucht, die Situation zu beschwichtigen, und die Thematisierung des »abgehauenen« Vaters wird durch einen Einwurf aus dem ›Publikum‹ (Tanja) abgebrochen, die fragt, ob die sängerischen Qualitäten Linas auf ein »naturtalent« schließen lassen und ihr ein Aus-
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bildungsangebot eröffnet. Nach dieser längeren Zwischenszene greift Claudia das Thema des abwesenden Vaters wieder auf: Claudia:
aber dass mein vater abgehauen ist, das ist natürlich mal wieder klar Dunja: er ist glaube ich nur auf toilette gegangen, oder? Claudia: ja, dann geh ich jetzt noch mal gucken (geht aus dem Zimmer) vater, (2) ja ja, erst ist hier. ich rede jetzt mal mit ihm Dunja: okay (2) wir werden gleich erfahren, was mit lina los ist und ihrem vater Klopfen. Dunja öffnet die Tür. Claudia kommt herein. Claudia: ja also, ich habe mit ihm geredet. ich hab mit ihm geredet Dunja: er möchte noch mal kurz mit ihnen sprechen Claudia: oh oh. ja, papa Dunja und Claudia gehen aus dem Zimmer und kommen gleich darauf wieder herein. Dunja: sie kommt jetzt wieder, da ist sie Claudia kommt weinend ins Zimmer. Dunja: was ist denn passiert lina? Claudia: ja mein vater findet natürlich meine schwester hübscher als mich. Dunja: das weiß doch jeder, dass er das natürlich findet (2) aber ich find, sie sind hübscher. Claudia grinst: danke. aber mein (zunehmend pronounciert sprechend) vater ist so ein i-di-ot. (wieder etwas ruhiger) das muss ich jetzt mal sagen, ja? Dunja: okay, lina. oh, unsere sendezeit ist fast, fast um. wir müssen jetzt aufhören, okay? lina, gehst du ?: °werbung, (1) werbung° Claudia: ich geh jetzt raus zu mein papa und rede mit ihm, Dunja: ja aber wir machen, wir machen jetzt erst mal werbung, weil unsere sendezeit ist jetzt um. weil wir müssen erst mal werbung machen, dann gehts weiter. okay? Claudia: okay
Das sich schwierig angehende Gespräch mit dem Vater endet in Tränen: Die Schönheitsbeurteilung des Vaters ist zugunsten der Schwester ausgefallen. Lina schreibt selber diesen Fortgang der Geschichte und lässt ihr die Dramatisierung zukommen, die ihren Platz auf der Schönheitsskala nach unten rutschen lässt. Die Schönheitsbeurteilung der Moderatorin verwandelt dann ihr Weinen in ein Grinsen und lässt sie den Vorwurf gegen den Vater formulieren. Die emotionale Steigerung der Situation ist durch dieses aus ihr hervorbrechende »mein vater ist so ein i-di-ot« gekennzeichnet, dem das fast überraschte »dass muss ich jetzt mal sagen, ja?« wie entschuldigend folgt. Die Aussage zeigt die Frustration und Enttäuschung über die mangelnde Anerkennung des Vaters, die an die Äußerlichkeit der Tochter gebunden wird. 85
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Die Unsicherheit gegenüber der heftigen Beurteilung der Autorität des Vaters gibt wiederum Anlass zum Abbruch der Szene, die Moderatorin erklärt die Sendezeit für beendet. Doch während bereits der folgende Werbeblock angekündigt wird, kündigt Lina ein erneutes Gespräch mit ihrem Vater an. Die Vehemenz und Zielgerichtetheit ihrer Forderung stehen im deutlichen Gegensatz zur väterlichen Absenz, die sie nicht länger zu akzeptieren bereit ist. Die Inszenierung führt in der überkonturiert gezeichneten Mutter- und Vaterfigur die generelle Abhängigkeitsproblematik vor, in der eine nach Anerkennung suchende »hübsche« Weiblichkeitsinszenierung tendenziell immer steckt, solange sie als identitätsstiftende Selbstdarstellung im Spannungsfeld von Konkurrenzkampf (Bild der übergriffigen Mutter) und Anerkennungsverweigerung (Bild des abwesenden Vaters) gefangen ist. In den drei Talk-Shows der Mädchengruppe wird anhand der Themenbereiche Schlankheit, Kleidung und Schönheit die weibliche Körperlichkeit als Feld sozialnormativer Verhaltensaufforderungen im Anerkennungsverlangen aufgeführt. Der normative Druck der anerkanntermaßen ›rechten‹ Erscheinungsform äußert sich in der Lust an Degradierungszeremonien, in der Frustration mangelnder Anerkennung, im Widerstand gegen die Zurichtung und in der erfolgreich inszenierten Sozialanpassung. Hiermit bleiben die Inszenierungen zur Schönheitsaufforderung nicht an der Körperoberfläche stehen, vielmehr bringen sie über die körperliche Ebene ein tiefenwirksames Weiblichkeitsbild in massenmedialer Multiplizierung hervor. Doch noch ist der Schönheitszyklus der Mädchengruppe nicht abgeschlossen: Sie findet ihren Höhepunkt in einer Werbeszene, die über Herstellungsverfahren »wunderschöner« Frauen Auskunft gibt, indem der Lidschatten »basic« in einer Werbeszene angepriesen wird. »schön mit basic!« Werbung, Gruppe Schönheit Kamerafrau Dunja: drei vier fünf los! Tanja, links, und Claudia, rechts, sitzen auf zwei Stühlen, halb einander, halb der Kamera zugewandt. Claudia ist noch vom letzten Stück mit großflächigem Wangenrouge. Tanja: und hier haben wir das neue modell? korinna kannbie! (Körper und Blick sind auf Claudia gerichtet, große offene Armbewegungen in ihre Richtung, Claudia sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen, über den Knieen veschränkten Armen und schräger Kopfhaltung) und=und=und sie nimmt natürlich das neue basic (Blick und Körper zur Kamera gerichtet, hält das Produkt der Kamera entgegen)
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT das=das=das:: das ist gut auf der Haut aufzutragen (trägt weitersprechend das Produkt mit einem Applikator auf den Lidern von Claudia auf) juckt nicht und ist schön pudrig das mans überall verteilen kann (.) na, wie fühlen sie sich damit? Claudia: gut dami=gut fühle ich mich damit (spricht mit geschlossenen Augen, während Tanja weiterpudert) Tanja: ja (.) das ist das neue basic! (.) da=da das müssen sie weiterempfehlen (.) so (beendet das Pudern) sie sehen wunderschön aus! (zur Kamera gewand) nicht wahr? Claudia öffnet die Augen, steht auf und spricht deutlich in die Kamera: natürlich! schön mit basic! merken sie sich das! (schließt grinsend die Augen und schwenkt ihren Kopf einmal nach rechts, einmal nach links) Tanja: und wenn wenn sie das auch finden (hält Produkt zur Kamera) dann kaufen sie das neue basic! (liest Preisschild) nur nur vier mark neunundvierzig! (hält Produkt der Kamera entgegen) °falsch° (liest Preisschild erneut) nur drei mark neunundneunzig! (mit werfender Handbewegung wird das Produkt kurz zur Kamera gehalten und dann zunehmend lachend) unvrrerbindliche preisempfehlung solange der vorrat reicht! (die der Kamera entgegengehaltenen Arme fallen mit dem Versprecher und dem glucksenden Lachen nach unten, der Körper zieht sich nach hinten) Claudia nimmt die Puderdose aus Tanjas Händen: also früher, früher; da hat des nämlich zehn mark gekostet (.) aber jetzt drei mark neunundneunzig! (hält Produkt mit beiden Händen der Kamera entgegen) Tanja nimmt Produkt aus Claudias Händen: ja:, wir wolln ja kein- gegenwerbung machen (.) aber das hatte sie früher (zeigt der Kamera ein anderes Augenpuder) es ist abgegangen sehr schnell und wo sie wo=ho=ho sie einmal da is es sofort abegangen (zeigt das andere Produkt abwechselnd sich selbst und der Kamera) also ha=hat sie das neue basic (zeigt das neue Basic der Kamera) probieren sies auch aus! (hält das neue Basic wiederholt der Kamera entgegen) jetzt? in ihrem kosmetikladen Claudia singend und kraftvoll in die Kamera blickend: bä:::::::::i:::::::::si::c! Tanja mit den Armen winkend: stop stop stop!
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Werbende Präsentation Mit großer Selbstverständlichkeit führen die Mädchen anhand der Schminkwerbung vor, dass sie die Clipästhetik von Fernsehwerbungen quasi perfekt beherrschen. Sie inszenieren weibliche Schönheit qua Kosmetikprodukte und üben gleichzeitig einen werbenden Gestus der Präsentation ein. Die Einübung des Gestus der Präsentation bezieht sich an dieser Stelle sowohl auf die Selbstpräsentation wie auf die Produktpräsentation: Werbung für das Produkt, Selbstpräsentation als Werbung für den Körper und Inszenierung einer affektiv besetzten Rolle greifen in der Werbeinszenierung ineinander. Die Mädchen führen eine Reihe ritualisierter Elemente von Werbeinszenierungen auf: günstiger Anschaffungspreis, Preisempfehlung, Angebotsknappheit, Angabe des Kaufortes, preisliche und qualitative Differenzen verschiedener Produkte, Abschlusstrailer. Die ganze Inszenierung ist durchzogen von Imperativen, die den in vielen Werbesendungen nur latenten Sinngehalt explizit machen: »probieren sie’s auch aus!«, »kaufen sie das neue basic!«, »das müssen sie weiterempfehlen!«. Mit den verbalen Imperativen gehen gestische einher: Der Kamera strecken sich die Hände entschieden entgegen, die das angepriesene Produkt halten. Die Inszenierung setzt die kleine Puderdose aufmerksamkeitsheischend durchgehend in das Zentrum des Bildes, in das Zentrum des Blicks. Die Kameraführung folgt stets den Bewegungen des Puders, hinter dem die beiden anpreisenden Mädchen zurücktreten: Das blaue Puder bildet verbal, räumlich und visuell den Mittelpunkt der Inszenierung. Die zuschreibende Einsetzung der Wunderschönheit durch die Visagistin und Moderatorin wird verbal vollzogen und erfährt in der körperlich-expressiven Reaktion des Models seine aufführende Anerkennung: aufrecht auf beiden Füßen stehend, die Hände an der Knopfleiste wie Napoleon und den Kopf mit den blauen Lidern stolz hin und her schwenkend. Korinna präsentiert den Effekt des Puders als ausdrucksstarkes Selbstbewusstsein und ›beweist‹ hiermit – als Model nicht nur kompetente Vertreterin, sondern Verkörperung weiblicher Schönheit – den erfolgreichen Einsatz des Puders. Dies wird auch verbal hervorgehoben: »schön mit basic! merken sie sich das!«. Der Effekt des Puders wird in der Anerkennung seiner Beschwörung hervorgebracht, aufgeführt und dargestellt. Inszenatorische Gestaltungsmöglichkeiten Die Inszenierung der Mädchen basiert auf »basic«, »basic« bildet die Basis, das Fundament weiblicher Schönheit. Der Name des Basic-Models Korinna Kannbie ist eine durch die verwendete Alliteration eingängige formelhafte Titulierung des Schönheit, Erfolg und Reichtum verkörpern-
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den Models. Doch darüber hinaus birgt die Namensgabe eine formelhafte Verdichtung der inszenatorischen Möglichkeiten der Selbstdarstellung: »korinna kannbie«, gehört als eine Mischung aus ›Korinna Kann-sein‹ und ›Korinna Can-be‹: Korinna ist, was sie sein kann (potentialis), sie kann sich inszenatorisch selbst entwerfen, kann sich qua Selbstgestaltung Form verleihen, sich selbst erschaffen. In dem gewählten Nachnamen des Models liegen die Möglichkeiten einer Inszenierung, in diesem Fall einer Inszenierung von schöner und anerkannter Weiblichkeit, in einer überraschenden verbalen Konzentration. Ein ›Can-be‹ ist kein ›Must-be‹, die inszenatorische Gestaltung ist möglich, nicht zwingend, sie beinhaltet die Wahl, etwas zu sein oder nicht zu sein, die Wahl zu entscheiden, die Wahl zu gestalten. Demgegenüber impliziert das ›Cannot-be‹, die andere Seite des ›Can-be‹, das, was nicht möglich ist, was nicht entworfen wird und nicht an Realität gewinnt. Die Offenheit der Identifikationsangebote durch das, was inszeniert wird, verweist immer auch auf das, was nicht inszeniert wird, und somit auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Selbst.
Schminken als Übergang Die Werbeinszenierung führt den Gestus der Präsentation für kosmetische Produkte und den Gestus der Einsetzung sozialnormativer Schönheitsvorstellungen vor. Als ›Werk‹ der Mädchengruppe zeigt sie darüber hinaus eine inszenierte Mikro-Initiation vom Mädchen zur Frau, indem die Mädchen Frauen spielen, die sich schminken, und hiermit den Übergang vom Mädchen- zum Frausein als spielerische und anähnlichende Schminkeinübung thematisieren – die sich im Rahmen fernsehmedial ästhetisierter Werbevorstellungen bewegt. Der Vollzug des Schminkens als liminaler Akt in der Zeit, als Übergang von einem Zustand zu einem anderen, und als konnektiver Akt im Raum, als körperliche Berührung, markiert den inszenierten Übergang vom Mädchen zur Frau. Die Bemalung der körperlichen Oberfläche markiert eine soziale Statusveränderung, mit der Effekte verbunden werden, die auf die Haltung und Gestaltung eines psychischen Innenraumes bezogen werden. Die Mädchen inszenieren den Übergang von einem ungeschminkten in einen geschminkten, von einem unberührten in einen berührten Zustand, von einem unbeschrieben in einen beschriebenen. Hiermit initiieren sie sich inszenatorisch vom Mädchen zur Frau. Das Model Korinna Kannbie führt, indem sie ihre Augen schließt und ihren Kopf der sie berührenden und bemalenden – verstanden als beschreibenden, einschreibenden – Visagistin zuwendet, eine generelle Zustimmung ihrer Gestaltung auf, stärker: eine vertrauensvolle körperliche Disziplinierung und Unterwerfung unter das Produkt und die anpreisende
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Autorität der Visagistin. Während in der Phase des Schminkens die eher verschlossene, leicht vornüber gebeugte Körperhaltung auf Unsicherheit schließen lassen und somit auf die Schwelle, die Transformationsphase im Sinne Arnold van Genneps (2005) und Victor Turners (2005), zeigt sich Korinna Kannbie nach dem Schminkvorgang sicher und entspannt. Es ist nicht mehr die geduckte Unterwerfung unter ein normierendes Produkt, die Verunsicherung, die mit dem Übergang einhergeht, es ist eine stolze und stehende Selbstdarstellung in einer offenen, gestreckten Körperhaltung. Dabei impliziert der Akt des Aufstehens als Akt der ›Auferstehung‹ aus der alten Position den körperlichen Disziplinierungsakt, der der Zustandsveränderung vorausgeht. Hajo Eickhoff (1993) interpretiert in einer historischen Analyse die Entstehung des Stuhles als zivilisatorisch eingesetzte Brechung des Aggressionstriebes. Das Aufstehen Korinnas aus der sitzenden Geknicktheit in die körperliche Streckung und aufrechte Haltung zeigt das Aufstehen in die eigene Kraft. In dem körperlichen Disziplinierungsvorgang des Schminkens und dem anerkennenden Blick der Kamera wird die selbstbewusste, auf ihren beiden Füßen stehende und den Kopf aufrecht haltende Frau hervorgebracht. Korinna verkörpert die erwartete und zugesprochene Schönheit, sie ist schön, »schön mit basic!«, und sie ist stolz darauf, sie ›steht drauf‹, wie sie in ihrem spontanen Akt des Aufstehens aufführt, stolz auf die initiierende Macht des Schminkens. Das Schminken erhebt sie und sie erhebt sich, und dabei lächelt sie nicht mehr gefällig, sie grinst: Claudia weiß um ihr Spiel, führt es auf und distanziert sich gleichzeitig. Sie inszeniert lustvoll ihre Rolle, von der sie weiß, dass sie sie spielt. Disziplinierung durch das Schminkprodukt, Gestaltung als körperlich markierte Zustandsveränderung und Distanzierung von der Rollenaufführung zeigen sich in dem Schminkritual als komplexes und wirkmächtiges Gefüge, als produktive Macht.
Produktion von Innen- und Außenraum Interessanterweise gilt die erste Bemerkung der Visagistin dem Wohlgefühl des Models, gefolgt von der zuschreibenden Einsetzung der ›Wunderschönheit‹ der körperlichen Oberfläche. Erstere ist als Frage formuliert, die gleichwohl keiner Antwort Raum lässt, zweitere als imperative Zuschreibung. Weist die Frage nach der Befindlichkeit darauf, dass sich der psychische Innenraum seiner Anschauung von außen entzieht und unter der Obhut des Subjekts steht? Weist die Frage darauf, dass zur überzeugenden Attraktion des Körperlichen auch das »wunderschöne« Wohlgefühl gehört? Mit der These, dass die Hervorbringung eines psychischen Innenraums und eines körperlichen Außenraums (in diesem Kontext bezogen
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auf die sichtbare körperliche Oberfläche, allgemeiner auch auf körperliche Handlungen) wechselseitig aufeinander bezogen ist, dass weder Innen- noch Außenraum getrennt voneinander betrachtbar sind, zeigen die Handlungen der Visagistin das diffizile Feld, in dem eine Außenwahrnehmung als eingeforderte Innenwahrnehmung produktiv wird. Tanja ›gründet‹ ihre Einsetzung in der rhetorischen Frage, mit der sie das Feld der reziproken Produktion von Innenraum und Außenraum und somit den Erfolg ihrer Handlungen absichert. Dieser Erfolg wird erst sichtbar, wenn die Zuschreibung der Visagistin ›nach innen fällt‹ und von Korinna als Selbstbeschreibung übernommen und entsprechend aufgeführt wird. Dieser Übernahmevorgang wird mit der Frage der Visagistin eröffnet und abgesichert, und das Model wird von vornherein in den einsetzenden Zuschreibungszyklus der Moderatorin hineingenommen. Die Frage gilt der Einbindung in die soziale Pflicht, ist Vorbereitung und Grundlage der (verbalen) Zuschreibung.
Weiblichkeit zwischen Darstellung und Ausstellung Die von Tanja und Claudia in Form einer Werbung präsentierte Norm eines attraktiven und gefälligen Körpers ist nicht irgendeine Norm. Das konstitutive wie phantasmatische Bild weiblicher Schönheit, das die Mädchen in der Figur des geschminkten Models aufgreifen, thematisiert Naomie Wolf als naturalisierten »Schönheitsmythos«. Diskurskritisch analysiert sie die wirkmächtige Norm, dass frau schön sein muss, um Frau zu sein: »Der Schönheitsmythos hat nichts mit Frauen und Weiblichkeit zu tun, sondern mit Institutionen und Macht. […] Der Schönheitsmythos schreibt in Wahrheit Verhaltensmuster vor und nicht äußere Qualitäten. […] Am vordringlichsten ist aber, dass die Frauen ihre Identität auf ›Schönheit‹ gründen, damit sie von äußerer Anerkennung abhängig bleiben und die Sensoren, die ihr Selbstwertgefühl regulieren, immer hübsch nach außen richten.« (Wolf 1993: 16)
In dieser Perspektive werden Schönheitsvorstellungen als soziales Kontrollorgan deutlich, qua Massenmedien erfolgreich verbreitet durch millionenfach ausgestrahlte Bilder normschöner Frauen. Ein Ansatz, der mit Blick auf die Inszenierungen der Mädchen nicht von der Hand zu weisen ist: Der Themenbereich körperlicher Schönheit ist das unter den Mädchen inszenatorisch verhandelte Thema Nummer eins. Gleichwohl zeigen sich keine glatten Übernahmeprozesse sozialnormativer Schönheitsvorstellungen, sondern komplexe Aneignungs- und Distanzierungsprozesse. Die Mädchen inszenieren Körperschönheit als sozialnormativen Anspruch, zu dem sie sich verhalten. Der Sozialisationseffekt der schönen
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Bilderfrauen ist die vergleichende Orientierung an standardisierten und ästhetisierten Bildern mit dem impliziten Versprechen sozialer Anerkennung. Models verkörpern diesen Mythos der Schönheit par excellence. Das aktuelle Phänomen des Modelstarkultes führt ›märchenhafte‹ Weiblichkeitsmythen von Schönheit und Makellosigkeit auf, wie Gertrud Lehnert herausstellt: »Sie sind Objekte der Neugier und der Begierde von Männern und Frauen, sie sind anschaubar, aber nicht berührbar; sie verkörpern die märchenhafte Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten der Menschen; sie sind Märchengestalten in zeitgemäßer Gewandung, Aschenputtel als Prinzessin. Sie stellen ein vielgesichtiges, zutiefst zeitgemäßes Phänomen dar, sind Inbegriff der postmodernen Bilderwelt, in der wir leben, und zugleich ein Phänomen, das auf archetypische Muster zurückgreift.« (Lehnert 1996: 12)
Die Basic-Inszenierung ruht in der Vertrautheit der »Märchengestalten« des »Schönheitsmythos«, den sich die Mädchen mimetisch einverleiben, in dem sie sich vergemeinschaften und von dessen angedrillter Mimesis sie sich gleichzeitig distanzieren. Denn die Inszenierung ist immer wieder von einer subtilen Übertreibung getragen: ein Überschlagen der Stimme der Moderatorin, eine Überkonturierung der Rolleninszenierung des Models. In der inszenatorischen Verdichtung der Klischees werden Prozesse der Distanzierung deutlich, mit der auch die Bilder als Bilder vorgeführt werden. Somit changieren die Bilder, mit denen und anhand derer die Inszenierung arbeitet, zwischen Ausstellung und Darstellung, zwischen stolzer Präsentation und ironischer Überspannung. Das Spiel mit den Bildern bleibt in deren Übersteigerung gleichwohl verhalten, unentschieden, wächst sich nicht in eine Groteske von Weiblichkeitsinszenierungen aus. Weiblichkeitskonzepte als imaginäre, polymorphe und ambivalente Konzepte bedürfen ihrer wiederholenden Inszenierung, die ihnen als kulturelle Norm wirkmächtige Gestalt verleiht. Schönheit als tradierte kulturelle Kategorie der Inszenierung von Weiblichkeit wird im werbenden Schminkritual in seiner Übersteigerung als Maskerade (Riviere 1929/ 1994; Weissberg 1994) offen gelegt, andererseits als Norm aktualisiert. Während die Mädchen das im weiblichen Schönheitsdogma verdichtete und massenmedial stetig wiederholte normative Konzept bildschöner Weiblichkeit mimetisch antizipieren und über das »basic« der Herstellung von Weiblichkeit erwerbbar erscheinen lassen, versuchen sie in der Übersteigerung der Bilder körperlich von ihm abzurücken. Zusammenfassend wird in der Werbeinszenierung »basic« das ritualisierte Präsentationsformat des Fernsehens beliehen und der werbende
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Gestus der Präsentation vorgeführt und eingeübt, in dem Einsetzungsakt der Wunderschönheit wird weibliche Körperschönheit als Instrument sozialer Anerkennung aufgeführt, in dem Schminkritual als Mikro-Initiation wird der Übergang vom Mädchen zur Frau inszeniert, und in der Übersteigerung der Darstellung zeigt sich eine subtile Distanznahme zur normativen Schönheitsideologie des weiblichen Körpers.
Zusammenfassung Der weibliche Körper in rechter Formschönheit wird von der Mädchengruppe als Instrument und Notwendigkeit sozialer Anerkennung inszeniert. Die Vehemenz, mit der die Mädchen das Thema weiblicher Körperschönheit zur Aufführung bringen, weist auf die eklatante Engführung von Frausein und Körpersein in der medienbezogenen Wahrnehmung der Gruppe hin. Die analytische Zusammenschau der vier aufeinander folgenden spontanen Inszenierungen liest sich dabei wie eine Anleitung der sozialen Einforderung der Einpassung, die wiederum die normgerechte Körperinszenierung der Frau zur Anschauung bringt. In der ersten Talk-Show »ich bin zu dick« wird die soziale Norm der Schlankheit der Frau anhand der dominant gesetzten Rede des Mannes autorisiert und anhand der Abgrenzungsfolie dicker ungeliebter Frauenkörper verdeutlicht. Die zweite Talk-Show »alle lachen mich wegen meinen klamotten aus« verspricht Rettung in der Not anhand der normgerechten Veränderung qua sozialintegrativer Kleidung. Quasi in einem Exkurs weist dann »eure schönheit ist rekordverdächtig« auf die Kosten weiblicher Schönheitskonkurrenz in ihrer Verwobenheit von sozialer Anerkennung und sozialer Abhängigkeit hin, die im ›Dampfkessel‹ innerfamiliärer Beziehungen zu vielfältigen Frustrationen führen. Auch hier werden wiederum nur die Frauen der Familie ins Bild gesetzt, die Männer bleiben ungesehen. Abschließend wird die Normstabilisierung qua »basic« aufgeführt, die anerkannte, erfolgreiche Wunderschönheit, die als soziale Konstruktion ihrer steten Aktualisierung bedarf, um dem Schönheitsphantasma seine soziale Wirkmächtigkeit zu verleihen. Diese beruht, wie die vorangegangenen Inszenierungen explizit vorführen, in der Angst vor sozialem Ausschluss und der Hoffnung auf soziale Anerkennung. Somit vollzieht diese Inszenierungsentwicklung folgendes Programm der Einforderung und Durchsetzung sozialer Anpassungsleistungen: Demontage: Vorführung: Positionszuweisung Degradierung: Positionsdestabilisierung
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Wiederaufbau: Hilfsangebot: Neuausrichtung Veränderung: Normeinsetzung Exkurs: Anerkennungsdilemma Einsetzung: Normstabilisierung Für die erfolgreiche Einsetzung der Schönheitsnorm, ihrer ›Verankerung‹ in den ›Tiefen‹ der Akteure, müssen ihre einzelnen Schritte anerkannt werden. Die Einverständniserklärung für den jeweils nächsten normgerechten Einpassungsschritt wird von den Studiogästen entsprechend je eingefordert. Deren sehr unterschiedliche Reaktionen allerdings führen die selbstverantwortlichen Handlungsmöglichkeiten der Akteure im sozialen Spannungsfeld von Unterwerfung, Widerstand und Selbstermächtigung vor und auf. Soziale Integrationsleistungen sind hierbei selbstredend nicht als negativ zu beurteilen. Der Zyklus der Mädchen gründet allerdings bereits in der öffentlichen Vorführung und Degradierung der unerfüllten Körpernorm. Hier ist weniger von einem gelungenen Integrationsakt qua aktualisierter Weiblichkeitsinszenierung zu sprechen, als vielmehr von der Abarbeitung an einer ins Perfide abrutschenden sozialen Aufforderung zur Unterwerfung unter eine normative Schönheitsdoktrin. Diese beschränkt Weiblichkeitsinszenierungen auf ein bestimmtes Erscheinungsbild und baut einen enormen sozialen Druck für Mädchen/Frauen auf, indem ihre sozial anerkannte Geschlechtsidentität direkt an körperliche Ansehnlichkeit geknüpft wird. Die Moderatorin als Aufforderungsfigur der subtilen Unterwerfungsgesten wie die mehr und minder folgsamen Studiogäste inszenieren die Dominanz eines Schönheitssystems, das in der aberkennenden Rede des Mannes gründet. Hiermit steht zur Debatte, ob in einer (weiblichen) Anerkennung der Schönheitsnorm immer bereits eine asymmetrische Beziehungsfigur der Geschlechter geborgen ist, die im weiblichen Schönheitsmarathon stabilisiert wird.
Ausgrenzung Dem Bezugsverhältnis von Frauenkörper und Frauenbild gelten auch die folgenden Inszenierungen der Mädchengruppe Model (Bianca, Emina, Jasmin, Mia, Nofra, Sirin, Susanna und Tizia). Weniger liegt hier allerdings das Gewicht auf erniedrigenden Anpassungsaufforderungen, als auf der Thematisierung sozialer Ausgrenzungsprozesse qua (a)sozialer Schönheitsmacht:
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT »sehr schwerer job« Talk-Show, Gruppe Model Jasmine, angekündigt als Naomi Campbell, betritt das Bild, langsam zu ihrem Platz schreitend, setzt sich neben Mia als Cher und wird von der Moderatorin gefragt, ob sie etwas sagen möchte. Jasmine guckt ernsthaft in die Kamera und spricht mit etwas gedecktem Ton: also ich wollt nur sagen dass; model ein sehr schwerer, beruf ist und an alle mädchen die draußen gerne model werden wollen ich möchte nur sagen dass es wirklich ei:n sehr schwerer; job ist (1) und manche werden davon sogar magersüchtig oder geraten @an die falschen leute@ Mia: @zeigen!@ Jasmine schlägt mit einer Hand lachend Richtung Meda und guckt weiter in die Kamera: oder geraten an die @falschen@ Mia: @zeigen!@ Jasmine schlägt wiederum lachend Richtung Mia: oder geraten an die falschen Leute und müssen dann nacktphotos machen (1) @das sollten sie nicht machen@ Mia: @zeigen!@ Sirin: mach mal so vor wie du; läufst äh wie du läufst Mia: außerdem hast du mal nacktphotos gemacht du idi Jasmine: aber nicht am anfang und wenn man was bezahlen muss dann ist es (auch nicht gut) ich hab dein heft gesehen Mia: Alle lachen. Jasmine: ( ) Sirin: los ( ) Jasmine läuft sehr langsam und sehr aufrecht durch den Raum wie auf einer Linie beide Füße aussetzend, den Hintern sorgfältig hin- und herschwingend. Sirin: ja:: (klatscht in die Hände) Mia: u:::::hu:::::! wir wollen nacktphotos! Jasmine setzt sich wieder.
In der Rolle des Top-Models Naomi Campbell führt Jasmine ein moralisierendes Modelselbstverständnis auf, indem sie das Gefahrenfeld des Berufes zwischen Magersucht und dem Kontakt zu »falschen leuten« mit den Folgen von Nacktphotos und Geldgaben kennzeichnet. Das zunehmende Lachen während der überzeichnet ernsthaften Darstellung zeigt Jasmines Amüsement über die klischeehafte Rolleninszenierung. Dass es dieser moralischen Intervention zudem an Glaubwürdigkeit mangelt, zeigen die Einwürfe Mias. Sie weist auf den biographischen Widerspruch hin, dass sich gerade Naomi Campbell durchaus nicht an ein Nacktphotoverbot gehalten hat, und führt als Beweis den Zeitschriftenverweis an. Die Mädchen lachen: über den aufgedeckten Widerspruch, das Unterlaufen der Autorität, die Thematik der Nacktheit, den Verweis auf die Bilder selbst.
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Talk Show mit Naomi Campbell: »mach mal so vor wie du läufst« Die photographisch festgehaltene nackte Wahrheit zeigt nicht nur den Körper des Models, sondern entblößt auch die Doppelmoral der Warnung. Bereits einleitend zentralisiert das Model seine Position gegenüber den »mädchen [...] draußen«. Die ironische Gefahrenbeschwörung des Modelberufes gilt vor diesem Hintergrund der Stabilisierung der Grenze, die das Model zwischen innen und außen, zwischen Zentrum und Peripherie zieht: zwischen Models und Nicht-Models. Eine Grenzziehung, die in ihrem Ausgrenzungsvorgang das Begehren nach Eintritt vor allen Dingen anheizt. In der Taktik der Ausgrenzung zeigt sich ein kaschierter, subtiler und effektiver Anreizmechanismus, mit dem körperliche Normschönheit als Orientierungsmarke für weibliche Sozialisationsprozesse hochgehalten und gleichzeitig als unerreichbar inszeniert wird. Die wiederholten ironisch-lachenden Rufe Mias gelten in der üblichen Wortnutzung dem »zeigen!« nackter Haut. Die Rufe greifen dem Themenbereich der Nacktheit voraus, den Jasmine als letzten Joker in ihrer Abgrenzungskampagne einsetzt: die Gefahr der »nacktphotos«. Das bedrohlich-lustvoll inszenierte Themenfeld aus Nacktphotos, falschen Leute und »zeigen« weist eine deutliche inszenatorische Verdichtung auf: Nachdem Magersucht als Gefahrenquelle des Modelgewerbes angeführt wird, thematisiert die Inszenierung zumindest in ihrem Zitatcharakter deutlich lustvoll aufgeladen die »falschen leute« und die damit zusammenhängenden Nacktphotos. Die Lust der Inszenierung gilt hier nicht der Magersucht als krankhafter Steigerung des werbevisuell unterstützten 96
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Schlankheitsdogmas, sondern der Nacktheit als lustvoll-anrüchiger und ausstellender Inszenierung nackter Frauenkörper. Magersucht wird gemeinhin interpretiert als ein auf den Körper projizierter Versuch des Entschwindens von und aus der Weiblichkeit mit Hilfe der Reduktion der körperlichen Zeichen des Frauseins wie der Mensis und der Brust, die mit der Magersucht einhergehen. Hiermit stellt Magersucht genau das Gegenteil zu dem dar, was Nacktphotos bedeuten: Die Entblößung des nackten Frauenkörpers vor der Kamera, für die Kamera und durch die Kamera in der inszenatorischen Produktion und Ausstellung weiblicher Reize, ins rechte Licht gerückter Formen. Es ist das Festhalten und Festsetzen, das ›Festschießen‹ dessen, was unter Weiblichkeit als körperliche Oberfläche verstanden wird und werden soll – und zwar entsprechend eines männlichen Blicks. Die nackte Ausstellung des weiblichen Körpers durch »nacktphotos« ist von der Sexualisierung des Körperbildes der Frau durchdrungen. Das Gefahrenfeld des Modelberufes, die Verkörperung von Weiblichkeit als aufregender Körper, wird zwischen Magersucht als Entweiblichung und Nacktphotos als Sexualisierung des Frauenkörpers aufgespannt. Die Gefahren des »sehr schweren berufes« der Weiblichkeitsaufführung, -darstellung und -vorführung bestehen somit in einem Zuviel oder Zuwenig an körperlichen Weiblichkeitsattributen. Als Negativfolie weisen diese Gefahren des Modelberufes auf eine Weiblichkeitskodierung als nackte Wahrheit der Körperausstellung hin – die sich trotz Nacktphotos nicht verführen lässt (siehe Naomis Heft, in dem sie ihren Körper ausstellt, ohne dafür mit Geld oder anderen Gaben zu zahlen, wie sie sagt), und deren Schlankheit nicht krankhaft ist. Ein überaus heikler Balanceakt zwischen unberührbar-sexy, unknochig-gertenschlank und androgyn-weiblich. Auch Sirin fordert Körper, doch nicht wie Mias provokatives »zeigen!«. Sie bittet in einer Art zurückhaltender Ehrfurcht das Model um die Vorführung ihres Laufstils. Dieses kommt dem Wunsch nach und mimt den Laufsteggang gekonnt. In der Geziertheit des ständigen Kreuzens der Schritte hebt sich dieser nicht aus dem Bild, es formt vielmehr gar die Bewegung in ein Bild von Bewegung. Die Zuschauerinnen sind begeistert und Mia gibt sich dem Spiel des Steigerungsversuches hin, indem sie abschließend weiterhin »nacktphotos« fordert. Sie fordert grinsend das Bild vom Model als nackte Ausstellung von Weiblichkeit, wobei ihr Grinsen genau das Spiel mit dem Klischee markiert. Weder Mia noch Sirin fordern Modelmoral, sondern die Erfüllung und Präsentation des Körper- und Bewegungsbildes, für die das Model steht; Mia lustvoll, Sirin demütig. Sie führen die Erwartungshaltung an ein Model auf, perfektionierte Inszenierung von Weiblichkeit,
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wobei sie lachend und in überbetonter Dramatik der Modeleigefahren die verruchte Glanz und Glorie der Modelimperien ›auf die Schippe‹ nehmen. Die in der Modelselbstdarstellung karikierte Inszenierung von Weiblichkeit ist stark an Bildern orientiert, an perfektionierten Bildern. Weiblichkeit als kulturelle Konstruktion unterliegt einer Festzurrung auf das unerreichbare Bild, sie erliegt der steten Differenz von Bild und Körper. Die Bilder haben Effekte tiefenwirksamer Oberflächen, indem mit ihnen die Lust und die Last der Befriedigung des Bildbedürfnisses verknüpft ist. Als Identitätstiftungsangebote oder, wie die Gruppe Schönheit in den vorangegangenen Inszenierungen ausführlich inszenierte, als Identitätsstiftungsaufforderung wird die Bildwerdung von Frauenkörpern vorangetrieben. Dass die Mädchen der Gruppe Model diese gebildeten Identifizierungsangebote lachend überkonturieren, weist eine gesunde Distanzierung zum Bild auf, zu den Gefahren des Berufsbildes der Weiblichkeit. Die Gruppe Model konzipiert ebenfalls einen Krimi, in dem die Ausgrenzungsstrategien der Normschönheit allerdings auf ganz andere Weise bearbeitet werden. Der Krimi beginnt mit einer Modenschau »für den alltäglichen alltag«, die bezeichnenderweise »modelschau« genannt wird: Die Zur-Schau-Stellung von Mode, Körper und Bewegung fällt in diesem Kommentar in eins, es handelt sich ebenso um eine Schau der Mode wie um eine Schau der Models, es geht ebenso um Kleidung wie um Körper. Wie die Mädchen in der Inszenierung das Verhältnis von modelndem Vorbild und ihrer eigenen Performance sehen, zeigt die Verabschiedungsszene der Modenschau: »warum du?« Krimi, Auszug Modenschau, Gruppe Model Nofra, Sirin und Tizia stehen im Bild, vor ihnen Jasmine mit einem Holzstab in der Hand und George, der kleine Bruder von Tizia. Alle schauen in die Kamera. Nofra hält sich kurz beide Hände vors Gesicht. Jasmine mit dem Holzstab vor ihrem Mund: hallo::, und das wars leider auch schon mit unserer modenschau, aber hier sehen Sie noch mal alle drei models, und noch einen kleinen (beugt sich zu George hinunter) George formt mit der Hand ein V, streckt es vor und ruft: peace Jasmine: und ich glaube die stellen sich mal selber vor (hält Nofra den Holzstab hin) Nofra verzieht das Gesicht und zeigt nach links. Jasmine geht nach links und hält den Holzstab vor Tizias Mund. Tizia hält ein aus Zeige- und Mittelfinger geformtes V über Brusthöhe: ich heiße in echt tizia und habe nur baby (.) also; fürs für die modelshow kopiert. (lässt die Arme sinken)
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Jasmine geht hinter Tizia zu Sirin und hält den Holzstab vor ihren Mund. Sirin steht seitlich, blickt angespannt nach oben: ich bin (.) in echt (.) siri::n; (lächelt etwas) °und ansonsten hab ich nichts zu sa:gen;° (dreht sich ein Stück zur Kamera) Jasmine geht hinter Sirin zu Nofra und hält den Holzstab vor ihren Mund. Nofra lacht, steht seitlich zur Kamera: mein name ist nofra und naomi campbell ist mein vorbild.@ (rümpft die Nase, lässt kurz ihren Oberkörper fallen und hält sich eine Hand vors Gesicht) Jasmine stößt den Holzstab kurz gegen Nofras Schulter, geht hinter Nofra zu George, bleibt hinter ihm stehen und hält den Holzstab vor seinen Mund, spricht sehr freundlich: und du? George: ich heiß ich heiße in echt george::: und ich habe nur so getan als wär ich:: (.) ähm de:r? komiker.
Überraschend da unüblich werden die Models aus ihrer schönen Sprachlosigkeit gehoben. Nach dem verbal markierten Ende der Modenschau fordert die Moderatorin spontan die Selbstvorstellung der Models. Diese Idee wird durch »ich glaube« eingeleitet, ein Glaube an die Sprachfähigkeit der Models: Dem Bild wird eine Sprache gegeben, ein sprechendes im Sinne von selbstverantwortliches Subjekt wird aufgerufen, indem ihm Raum für die Selbstvorstellung ohne inhaltliche Vorgaben eröffnet wird. Ein Novum in den bisher vorgestellten Inszenierungen. Tizia reagiert schnell und setzt die Differenz zwischen der inszenierten Rolle und ihr. Sie erweitert das Rollenspiel nicht über den Laufsteg hinaus, sondern interpretiert den Aufruf der Moderatorin auf persönlicher Ebene und nutzt die Möglichkeit der abgrenzenden Selbstvorstellung. Hierbei weist sich selbst Echtheitsstatus zu (»ich heiße in echt«), dem Model hingegen den Status der Kopiervorlage (»nur […] kopiert«). Diese klare Differenzierung zeigt das bewusste Spiel mit der Rolle an. Gegenüber der Kopie des Models bürgt der eigene Name für Authentizität, und dieser gegenüber wird die kopierende Performance deutlich abgrenzend mit einem pejorativen »nur« belegt. Tizia stellt sich als das Zentrum ihrer Inszenierung her, von dem aus kopiert wird. Sie ist und bleibt hierbei, auch im Vollzug des Kopierens, das Original. Der Sieg des Ich über die Kopie wird noch mit dem Siegeszeichen vor ihrem Körper unterstrichen, eine Zeichensetzung, mit der Tizia (und auch ihr jüngerer Bruder George, der an diesem Nachmittag an der Arbeitsgemeinschaft teilnimmt) immer wieder ins Bild tritt. Die Selbstvorstellung Sirins ist demgegenüber sprachlich von Rückzug gekennzeichnet. Sie orientiert sich beginnend an der Vorstellung Tizias, wenngleich sie deren Namensdistanz nicht übernimmt, sondern die 99
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Identifikation mit ihrem Namen als Halt in der Offenheit der Situation formuliert: Während Tizia Tizia heißt, ist Sirin Sirin (»ich bin«). Auf der sprachlichen Ebene versucht sie sich ihrer Zur-Schau-Stellung zu entwinden, indem sie immer leiser wird und auch sagt, dass sie nichts zu sagen hat, also nicht sprechen will. Der Blick gen Himmel, das unsichere Lächeln bei ihrer Namensnennung, die Unbewegtheit ihres Körpers, die zunehmend leiser gesprochenen Worte zeigen auf die hemmende Spannung, unter der sie steht. Während sie sprachlich und stimmlich aus dem Bild zu verschwinden versucht, zeigt eine leichte Drehung zur Kamera gegen Ende ihrer kurzen Vorstellung gleichwohl den Versuch an, sich dem Kamerablick zu stellen. Die Selbstdarstellung vor der Kamera zeigt sich im Falle Sirins als effektiver sozialer Druck, den die Kamera als Projektionsfläche sozialer Öffentlichkeit für sie hervorruft. Sirin versucht sich zu stellen, ohne sich in einer Rolleninszenierung verstecken zu können. Auch Nofra beginnt mit ihrer Namensnennung. Diese ist in der zuweisenden Passiv-Formulierung von Distanznahme geprägt (»mein name ist«). Sie, angolanischer Herkunft, erklärt Naomi Campbell, seit Jahren eines der gefragtesten Models auf dem Weltmarkt mit jamaikanischchinesischer Herkunft zu ihrem »vorbild«. Die Hautfarbe wird implizit als Konnex angeführt, der von Nofra selbstzuschreibend wie von der Gruppe fremdzuschreibend wiederholt vorgenommen wird. Nofra entspricht einer (antizipierten) sozialen Erwartung und geht eine hochambivalente Vorbildbeziehung ein. Während sie klar und direkt spricht, distanziert sie sich durch Lachen, Gesichtsgrimassen und dem Zusammenschlagen der Hände während der gesamten Sequenz von ihrer Darstellung. Hierbei wird keine Differenz zwischen Vorbild und Nachspiel markiert, sondern die Ambivalenz, in der Nofra zu ihrer Rolleninszenierung steht. Die Rollenübernahme der Naomi wird im Gruppenkontext von Nofra immer wieder gefordert. Auch in dieser Modenschau gibt die Moderatorin die Namen der Models vor. Nofra übernimmt die Rolle der ›schwarzen Schönheit‹ – mit den einhergehenden Implikationen: schön und farbig. Nofra übernimmt die Rolle, sie muss die Rolle auch irgendwie spielen, sie kann nicht aus ihrer Haut. Sie benennt ein Vorbild und distanziert sich von ihm, was der Rolle eines Vorbildes vollkommen widerspricht. Hierbei markiert sie keine klare sprachliche Differenz zu einer Kopiervorlage wie in der Distanznahme zur Modelkopie Baby durch Tizia, sie verschwindet nicht als Sprechende im Blick der Kamera, der bei Sirin eine so sprachhemmende Anspannung hervorbringt. Nofra führt in der Inszenierung die Ambivalenz der körperlichen Markierung vor, in der sie festgeschrieben ist, indem sie die Markierung als »vorbild« annimmt und
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die Hände lachend vors Gesicht schlägt. Die Distanz, die sich auch in ihrer Namensnennung zeigt (»mein name ist«), wiederholt sich in der Rolleninszenierung, von der sie auf der Ebene der körperlichen Markierung ungetrennt bleibt. Models als Kopiervorlage, in Sprachlosigkeit, als ambivalente Vorbilder – George stellt eine weitere Position vor. Sich an der Performance der großen Mädchen orientierend beginnt auch er mit der Namensnennung. Dies weder in distanzierender noch in identifizierender Form, sondern ganz ähnlich seiner großen Schwester nennt er in frischer Distanz seinen Namen als Namen (»ich heiße«), sein Spiel als »nur so getan«, und seine Rolle spontan als »komiker«. Die Rollenformulierung als Komiker ist insofern bemerkenswert, als es die Inszenierungsform ist, unter der die meisten Inszenierungen der Jungengruppen subsumiert werden können, kaum aber Inszenierungen der Mädchengruppen. George hat auch kein Model gespielt, sondern mit seiner Schwester eine Werbung für ein gelbes Plüschtier für die Werbepause der Modenschau. Dabei hat er die Ernsthaftigkeit der Werbeinszenierung in Eigenregie und sehr zum Ärger seiner Schwester lachend unterlaufen. Ein Verhalten, das sich in den Inszenierungen der Jungengruppen immer wieder zeigt. Dass die Thematik von Kopie und Original durchaus nicht auf der Ebene der ›äußerlichen‹ Inszenierung verbleiben muss und die Grenzen zwischen Kopie und Original nicht selbststabilisierend gezogen werden wie bei Tizia oder eine Vorbilddistanzierung vorgenommen wird wie bei Nofra, zeigen merkwürdige Blüten auf dem globalen Markt televisuell inszenierten Schönheitswahns: Im Juli 2004 sendet MTV-Deutschland nach amerikanischem Vorbild die Schönheitsoperationsserie I Want A Famous Face. Ihre Protagonisten sind Jugendliche, die weder Kosten noch Schmerzen scheuen, sich Gesicht und Körper nach Vorbild prominenter Stars wie Britney Spears, J. Lo oder Brad Pitt operieren lassen. PRO7 sendet Ende 2004 eine ähnliche Show: The Swan – Endlich schön!, ebenfalls nach amerikanischem Vorbild. Sechzehn Kandidatinnen treten gegeneinander an, um von einer Jury und TV-Zuschauern zum erfolgreichsten ›Schwan‹ gewählt zu werden, begleitet von plastischästhetischen Chirurgen, Fitnesstrainern, Psychologen und Ernährungsberatern. Eine Produktion übrigens mit grandios schlechter Quote. Beide Serien führen die Folgen der Schönheitsmacht der Oberfläche durch Schnitte in den Körper in einer beeindruckenden Fusion televisueller Ausstellungsbereitschaft und der Inszenierung chirurgischer Potenz auf. Einerseits in Verbindung mit dem aktuellen Starkult, andererseits als sozialer Konkurrenzkampf. Gerade vor dem Hintergrund der Inszenierungen der Gruppe Schönheit liegt die Vermutung nahe, dass auch die Veränderungswünsche der Teilnehmenden dieser Reality-Shows in der
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Hoffnung auf soziale Anerkennung und Integration gründen, für die die nun ansehnlich verschönte körperliche Oberfläche als Instrument und Ausdruck einzusetzen versucht wird. Nach einem »anstrengenden tag«, wie die Gruppe Model nach der Modenschau inszeniert, entspannen die Models Naomi (Nofra), Baby (Tizia) und Rattini (Sirin) in einem Café (mehrere Stühle sind um einen kleinen Tisch gruppiert). Hier erhält Tizia einen überraschenden Anruf: »warum du?« Krimi, Gruppe Model Tizia nimmt einen Klangstab aus der Jacke, bewegt ihn hin und her und hält ihn ans Ohr: hallo? (3) Kamera schwenkt näher auf die drei Mädchen und dann auf Tizia. Tizia wirft den Klangstab auf den Boden und zieht die rechte Hand schnell zum Körper. Nofra: wer war das? Sirin: wer war das? Tizia: oh mein gott (schaut auf den Stab und führt die linke Hand auf die linke Brust) da hat grad jemand angerufen und hat gesagt, dass er mich umbringen will. Nofra schaut Tizia an, grinst: e::u::, (schaut zu Sirin) Sirin: ach, (fährt mit der linken Hand durch die Haare) das war bestimmt nur ein streich. Tizia fährt sich mit der Hand durchs Gesicht: ja, jemand der das im fernsehen gesehn hat. ach. (beugt sich und hebt den Stab auf)
Trotz der Verunsicherung beschließen die Models, noch etwas zu trinken, lesen in der mitgebrachten Jugendzeitschrift Bravo, entdecken Stefan Raab und bewundern die Frisur von Britney Spears. Dann taucht Mia auf, die Hilfskraft der Models, geht auf Model Baby zu und sticht ihr mit einem Klangstab in die linke Seite. Baby verschwindet unbemerkt. Als die anderen beiden Mädchen den Verlust bemerken, verlassen sie schnell den Schauplatz des Geschehens, Model Nofra ruft die Polizei. Der Kommissar (Bianca) inspiziert den Tatort und entdeckt eine Spritze. In diesem Moment nähert sich Mia, um das Indiz zu entfernen. Der Kommissar versteckt sich hinter einem Vorhang und verfolgt Mia dann unauffällig. Bianca steht an der Tür und hält die linke Hand vor den Mund. Tizia sitzt auf einem Stuhl, den Mund mit einem Schal verbunden und die Hände sind hinter der Stuhllehne zusammengebunden. Mia reisst ihr den Schal vom Mund. Tizia: h:::, warum du? Mia: ich hab es nicht mehr ausgehalten; ihr und eure bescheuerten angeberei. da, du musst jetzt viel für die anderen
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT (geht durch in den Raum und hebt den Klangstab vom Boden auf, geht wieder zu Tizia, die sie mit den Augen verfolgt hat) Tizia: was hast du da in der hand? Mia steht neben Tizia und grinst, atmet tief aus, dann stellt sie sich seitlich zu Tizia und sticht den Holzstab kurz in Tizias Bauch. Tizia: a:::::::: (kippt mit dem Oberkörper nach rechts) Mia sticht Tizia mit dem Stock rechts in die Seite, grinst. Tizia: ua:::, (richtet sich wieder auf) a:::h (fällt wieder nach rechts mit dem Oberkörper, so dass die Stirn auf dem Stuhltisch liegt, grinst) ?: °das ist ein stock, damit schlägst du doch zu° Mia schlägt grinsend mit dem Stock mehrmals auf Tizias Schulter. Tizia: a:::. au. (grinst, kippt auf dem Stuhl nach links, dass sie fast ganz vom Stuhl fällt) ? flüstert etwas. Mia schlägt Tizia mit dem Stock mehrmals in ihre rechte Seite. Tizia: au. Mia geht wenige Schritte nach rechts und bückt sich leicht zu Tizia. Dann richtet sie sich wieder auf und schaut auf Tizia. Tizia lachend: au. hilfe, ich komm nicht mehr hoch. Mia bückt sich zu Tizia und schiebt sie nach oben, so dass sie wieder im Stuhl sitzt, lacht. Tizia: aaah, aaah. ich krieg keine luft (fällt nach vorne über den Stuhltisch) Mia zieht Tizia am Schal nach oben. Tizia: wä::::, hör auf Mia zieht an die Enden des Schals. Tizia: i:::h; quäl mich nicht (ihr Kopf fällt nach hinten) Mia zieht den Enden des Schals, grinst. Tizia: er::::::: Kommissar Bianca schleicht sich von der Tür her an, mit gebeugtem Oberkörper, stellt sich aufrecht, rechten Arm, Zeigefinger und Klangstab Richtung Mia ausgestreckt: hände hoch oder ich schieße!
Der Kommissar fordert nun die Freilassung der Geisel, doch Mia antwortet bestimmt: »niemals«. Es entbrennt ein eifriger und langwieriger Kampf zwischen Kommissar und Entführerin, während dessen sich die Geisel befreien kann. Die Szene endet, indem Mia den Kommissar verfolgt und diesem mit einem Klangstab in den Bauch sticht. Abschließend kündigt Bianca die »fortsetzung folgt (.) vom krimi« an. Mia, die als ›Mädchen für alles‹ in einer Modelagentur arbeitet, entführt Baby, um sich zu rächen. Die Motivation der Geiselnahme ist eindeutig formuliert: »ihr und euren bescheuerte angeberei«. Dafür muss das Model stellvertretend büßen und wird durch Stiche und Hiebe gequält, was ihren Körper in verschiedene Positionen bewegt. Mia begründet ih103
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ren Akt der Rache nicht mit der Körperschönheit der Models, sondern mit dem Sozialverhalten der Angeberei. Mit dem Motiv des Neides liegt es nahe zu vermuten, dass sich die qua Geiselnahme und -folter inszenierte Aggression gegen die weibliche Schönheitsnorm richtet, die das Model verkörpert. Denn dass die Mädchen nicht irgendeine Geiselnahme inszenieren (und auch keine Angeberei), sondern ein Modelkidnapping, weist weniger auf den Ärger bezüglich eines spezifischen Sozialverhaltens, als eher auf die inszenatorische Bearbeitung des »Schönheitsmythos«, der als normativer Anspruch in der Inszenierung ›gekidnappt und gefoltert‹ wird. Der Verweis auf die Angeberei weist auf den sozialnormativen Anspruch weiblicher Körperschönheit als ›Folterinstrument‹, wie die Folterszene in dem thematischen Spiegelverhältnis auch deutlich herausstellt. Die lachende Rollendistanz zu den inszenierten Klischees und der produktive Umgang mit dem sozialnormativen Schönheitsdruck in einer humorvollen Inszenierung der Aggression sind gleichwohl erfrischend.
Krimi mit Modelfolter Im Vergleich zu den Inszenierungen der Gruppe Schönheit kommt in dieser Inszenierung der Gruppe Model die Aggression gegen die Dogmen des Bildes weiblicher Körperschönheit sehr viel deutlicher zum Ausdruck und wird auch von mehr Gelächter begleitet, insbesondere von Mia, die auch sonst zu grotesken Inszenierungselementen neigt. Sie gibt der thematischen Bearbeitung eine leichte Note und geht gleichzeitig mit 104
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einer gewissen Unerschütterlichkeit sowohl gegen die Models wie gegen den Kommissar vor. Model Baby verkörpert par excellence die Schönheitsnorm, die Mia zum Akt der Geiselnahme inklusive strafender Folter motiviert. Eine humorvoll-vitale Bearbeitung der Thematik, nicht unterwürfig, sondern in der Gestaltung der Aggression kraftvoll. Darüber hinaus wird nicht nur das normative Bild weiblicher Körperschönheit ›entwendet‹, auch wird der Kommissar als Wächter der Normeinhaltung durch die Rächerin der Unschönen handlungsunfähig gemacht. Das Model hingegen kann sich befreien. Hierin inszeniert der Krimi eine lustvolle Befreiung vom Sozialdruck des Bildes, indem sich die Endszene die Aggression nicht gegen das Model als Verkörperung der Norm, sondern gegen den Kommissar als Wächter ihrer Einhaltung richtet. Während die weibliche Schönheitsnorm an dieser Stelle spielerisch bearbeitet wird, zeigt eine weitere Inszenierung der gleichen Gruppe eine ernste Revanche, die wiederum auf dem Feld des Frauenkörpers ausgetragen wird: Eine Werbung für ein Diätprodukt wird als moralischer Kommentar gegen eine Werbung für ein Bekleidungs-Versandkaufhaus eingesetzt, die sich als Diffamierung eines nicht anwesenden Gruppenmitglieds entpuppt. »von otto!« Werbung, Gruppe Model Emina hält ein Tuch hoch für den Hintergrund, hinter dem sie fast verschwindet. Bianca kommt mit einem hellroten Kleid ins Bild: ich bin naomi campbell Sirin: das ist doch schon nofra Bianca: das ist doch nur spaß. ich zeig ihnen heut (.) ein paar werbungen von otto:! sehr begehrt von susanna ka zum beispiel. sie bestellt fast jeden monat etwas. wenn man sie fragt? was hast du denn neu bekommen? eine schöne hose? r:: lass mich raten (.) (mit sehr hoher Stimme, äffend) von otto:::::::? (mit normaler, pointierte Stimme) richtig geraten! der kandidat hat zehn punkte!
Bianca, die selber Schönheit: Naomi Campbell spielen möchte, wird dies versagt mit dem Hinweis, die Rolle sei bereits vergeben. Sie pariert, indem sie auf den spielerischen Charakter der Inszenierung verweist, um dann allerdings einen durchaus ernsten Affront gegen Susanna im Rahmen einer Werbeszene zu inszenieren. In dieser tritt das Versandkaufhaus Otto als Instanz der Wunscherfüllung in Erscheinung, »sehr begehrt« bei dem nicht anwesenden Gruppenmitglied Sabrina. Sabrina bekommt »von otto« regelmäßig neue Kleidung, eine Selbstverständlichkeit, die Bianca in der kurzen Quiz-Show-Parodie unterstreicht. Die qua 105
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Otto erfüllten Wünsche der Anderen werden lächerlich gemacht, wie hier bereits in dem äffenden Ton angedeutet ist. Diese Form der Herabwürdigung der Anderen weist auf das Defizit an erfüllten Wünschen auf Seiten Biancas: auf Neid, klassisches Motiv der Kränkung. Bianca:
und hier habe ich mal ein ganz spezielles kleid von susanna ka: (hält das Kleid hoch) Mehrere Mädchen im Hintergrund lachen. Bianca: zieht sie oft an (.) zieht sie sehr oft an (.) ist ihr lieblingskleid (.) und sie sehen ja (.) dass ist vor allem in rot und mit äh dings (1) also ich find des des ist en lappen (.) aber (.) sie findet das des sie (.) gucken sie doch mal Emina schaut nach links zu den anderen Mädchen, lässt das Tuch ein wenig sinken, dreht sich nach links um und nimmt das Tuch an den Enden zusammen. Bianca, das Kleid umdrehend: mit ner schleife (.) hier (.) und das trägt sie dann immer so (hält sich das Kleid vor den Oberkörper) und dann vor allem noch rote kniestrümpfe dazu (.) nich? Emina hat sich wieder frontal zur Kamera gedreht und hält das Tuch ausgebreitet. Bianca: vor allem (1) und dann fragt man (mit kreischender Stimme) woher hat du das schöne kleid denn? Emina steigt vom Stuhl. Bianca, kreischend: von otto::::! oh, schön nich? viele grüße an susanna ka (streckt den Oberkörper nach vorne, winkelt die Arme an und bewegt sie wie flatternde Flügel, fängt an sich im Kreis zu drehen und laut zu gackern wie ein Huhn) bo::a::k bo:a:k bo:::a::k (kichernd mit Blick in die Kamera) tschau::::
Bianca richtet ihre Diffamierungsstrategie zunächst allgemein gegen Susannas Kleidungsmarke, dann speziell gegen ihren Kleidungsstil und ihr Lieblingskleid. Hierbei gehen ihr allerdings die Argumente verloren, und ihre immer unverständlicher werdende Sprache führt auf, wie unverständlich ihr eine positive Bewertung der Kleidung Susannas ist. Dieses Unverständnis kulminiert in dem an den ›objektiven Blick‹ der Kamera gerichteten »gucken sie doch mal«, mit dem das imaginierte Publikum als Bündnispartner für die nicht verbalisierbare Offensichtlichkeit ihrer Bewertung angesprochen wird. Dass die Mädchen die ›message‹ Biancas verstehen, zeigt zunächst Emina, die das Hintergrundtuch der Inszenierung hält und als Teilhaberin an der Szene zu einer Stellungnahme eher genötigt ist als die anderen Mädchen. Zunächst lässt Emina das Tuch etwas sinken und stellt einen rückversichernden Blickkontakt zu den anderen Mädchen ob des Um106
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gangs mit Biancas Inszenierung her. Doch die Diffamierung provoziert noch kein Einschreiten, und Emina hält das Tuch wieder gerade. Bianca setzt während dessen ihre ›Vorstellung‹ mit immer kreischenderer Stimme fort, und Emina steigt eigenständig und ohne Rückversicherung vom Stuhl. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, der Eminas Handlung ohne weitere Überlegung veranlasst, scheint hierbei nicht primär der Inhalt der Worte, sondern ihr ›sound‹ zu sein, die aggressive Stimmlage, aus deren Reichweite sich Emina instinktiv begibt. Abschließend unterstreicht Bianca mit einem Gruß an Susanna, dass die Rede wirklich ihr galt, und fängt an, ein Huhn zu spielen. Hier steigert sich der aggressiv-äffende Charakter ihrer Inszenierung in ein schrilles »bo::a::k« nach Aufmerksamkeit. Als ihr die Sprache abhanden kommt, meldet sie sich mit aggressiven Lauten, bis sie sich über ihren ›Witz‹ kichernd verabschiedet. Daraufhin betritt Jasmin die ›Bühne‹ und inszeniert eine Revanche für das diffamierte nicht anwesende Gruppenmitglied. Ihre Reaktion setzt formal das gleiche Mittel ein wie Bianca, eine Fernsehwerbung: »slim fast« Werbung, Gruppe Model Jasmin läuft ins Bild und fängt im Laufen an zu sprechen: hallo, ich bin bianca müller (schaut kurz nach links zu den anderen Mädchen, schlägt sich langsam an die Stirn) Lachen aus dem Off. Jasmin guckt in die Kamera: nein! tschuldigung!, oh, ich bin jasmin kleiber. und seit ich slim fast ausprobiert habe (guckt grinsend zu den anderen Mädchen) bin ich so::: gut geworden (streicht mit beiden Händen über den Bauch) früher war ich mal so (stellt sich seitlich zur Kamera und deutet mit beiden Händen einen dicken Bauch an) aber durch slim fast nimmt echt ab. (.) slim fast! Bianca läuft schnell ins Bild, spricht parallel zu Jasmin: das heißt; früher war sie so::: (.) gucken sie mal (stellt sich hinter Jasmin ebenfalls seitlich zur Kamera, mit nach vorn gezogenen Schultern, Händen an den Hüften und vorgestrecktem Bauch) Jasmin: das einzig! gute! (1) gegen (1) fett! (.) tschüss (streckt den Arm mit erhobenen Daumen aus) und es schmeckt noch super! Beide stehen wieder frontal zur Kamera. Jasmin zwinkert mit einem Auge und verlässt das Bild. Bianca verharrt in hängender Körperstellung mit ausgestrecktem Arm und erhobenen Daumen, hochgezogene Augenbrauen.
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Werbung für Diätmittel: »früher war ich mal so« Jasmin richtet mit der ersten Namensnennung die Inszenierung direkt an Bianca. Indem sie dann ihren eigenen Namen nennt, authentifiziert sie die Aussage der Werbung, was in diesem Fall heißt, daß sie explizit in eigener Autorität Stellung bezieht. So wie Jasmin den falschen Namen schnell korrigiert, hat sie in der Werbeszene auch ihren Körperumfang schnell korrigiert – »slim fast«: schnell abnehmen. Der Wechsel der Namen wiederholt sich im Wechsel der Körper, der gestisch dargestellte früher runde Bauch ist nun rank und schlank. Mit der erfolgreichen Präsentation des Fettverlustes distanziert sie sich von Bianca, wobei als Ort der Abgrenzung der Körper Biancas aufgerufen wird. (Bianca ist etwas rundlich.) Der Weg zum guten, schlanken Körper, ergo der gute, schlanke Körper »schmeckt noch super!«: Der gute Geschmack des Diätmittels entspricht dem guten Geschmack der Einhaltung der Körpernorm, der schlanke Körper, der den sozialen Geschmack verkörpert (»so::: gut!«) und soziale Integration versichert. Mit dem schlanken Körper trifft man den Geschmack der Gemeinschaft, man verleibt sich Slim Fast ein, um nicht ausgegrenzt, nicht überflüssig zu sein, indem man überflüssige Pfunde bei sich trägt. Jasmins Revanche thematisiert in überflüssigen Körperpfunden den Überfluss der sozialen Diffamierung, indem sie den guten da schlanken Körper gegen den dicken abhebt und den guten Geschmack des Diätmittels gegen das geschmacklose Verhalten in der vor108
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herigen Inszenierung. In dieser Parallelität wird soziales Verhalten im Spielfeld weiblicher Körpernorm verhandelt und Körperform und Formen des Sozialverhaltens als Entsprechungen inszeniert. Bianca nutzt (ich darf hinzufügen: erstaunlicherweise) die Thematisierung ihres Körpers, diesen sogleich ins Bild zu bringen. Sie unterstreicht selber die Differenz zwischen dem guten schlanken Körper und dem ihrem, auf deren gewichtigere Sichtbarkeit sie sogar explizit hinweist: »gucken sie mal«. Sie führt sich selber als Gegenbeispiel an, dem Status vor der Schlankheit, vor dem guten Geschmack, vor der sozialen Integration, obgleich die Slim-Fast-Werbung die inszenatorische Reaktion auf ihre Werbung ist. Ob sie den Akt der Distanzierung zwecks Revanchierung Susannas und Balancierung des Gruppengleichgewichts erfasst, erscheint angesichts der franken Vorführung ihres Körpers, der das Objekt der Distanzierung bildet, unklar. Das auffordernde »gucken sie mal« (wie bereits in der Kaufhauswerbung) deutet eher auf ein eklatantes Bedürfnis nach Gesehenwerden, das sie gegen den von Jasmin inszenierten sozialen Akt der Distanzierung zu immunisieren scheint. Das sozial anstößige Verhalten Biancas kann als ›Gruppenverschmutzung‹ gelesen, gesehen, verstanden werden, denn in den Akten der gegenseitigen Identifizierung als Gruppe fällt die Diffamierung eines Gruppenmitglieds auf alle Mitglieder zurück. Susanna kann sich nicht selber verteidigen, sie ist nicht da, und so ist die Gruppe selber aufgerufen. Jasmin übernimmt diese Verantwortung als ebenso spontane wie notwendige Form einer ›rituellen Reinigung der Gemeinschaft‹ und stellt mit ihrer Inszenierung das Gruppengleichgewicht wieder her. Die hierbei als soziale Verhaltensnorm vorgeführte Körperform ist ein »gut gewordener« Körper, ein machbarer Körper. Es ist kein werdender Körper, ein überbordender Leib, sondern ein »gewordener« Körper, flach, gut, anerkannt, dessen Üppigkeiten durch Diätmittelprodukte unter Kontrolle gebracht werden, so wie auch die ›Auswüchse‹ der Gruppensituation durch die Reglementierung der Diffamierung kontrolliert werden. Die Gruppe Model thematisiert Mechanismen der Ausgrenzung durch den Schönheitswahn, die in der Trennung zwischen der Welt der Models und den Mädchen »draußen« liegen: Model Naomi Campbell (»sehr schwerer job«) warnt vor den Gefahren des Modelns in Form von Magersucht und, zunehmend grinsend, Verführung und Nacktheit; die schöne Baby (»warum du?«) wird als Verkörperung der Schönheitsnorm gekidnappt und gefoltert, dann allerdings wird der Hüter von Recht und Ordnung stellvertretend für die Norm selber umgebracht; und in der das Gruppengleichgewicht wieder herstellenden Revanche (»slim fast«) werden der gute da schlanke Körper und das gute Sozialverhalten als Entsprechungen aufgeführt. Während Nofra das Model Naomi spielen
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›muss‹ (Modenschau), darf Jasmin (»sehr schwerer job«) und darf Bianca nicht (»von otto!«) Naomi spielen. Diese Rollenverteilung folgt sozial und körperlich markierten Statuspositionen in der Gruppe und wird entsprechend verteidigt. Die Thematik sozialer Ausgrenzung wird in der Gruppe Model somit durchaus entlang der weiblichen Schönheitsnorm entfaltet, die zugleich wiederholt ironisiert wird. Das Spiel mit der Schönheit ist den Mädchen durchweg vertraut, und sie distanzieren sich, ohne sich durch Nichtthematisierung lösen zu können. In der Gruppe Intrige, der dritten Mädchengruppe (Gyza, Janine, Kyra, Maria, Maya, Nadia und Sonja), zeigt sich die Thematik sozialer Ausgrenzung als wiederkehrendes Motiv der Inszenierungen, allerdings weniger eng verkoppelt mit dem Druck der Schönheitsnorm. Als inszenatorisches Motiv ist das Ausgrenzungsthema bereits in folgender kurzer Schuhwerbung angezeigt: Der ›inner circle‹ der Gruppe trägt an diesem Tag die gleichen Schuhe, mittelblau mit dicker weißer Plateausohle. Diese werden spontan mit einem entsprechenden Werbesong der Kamera vorgeführt und zusätzlich gegen einen schwarzen Wildlederturnschuh – »schick was?«, »billig« – abgegrenzt. Über die Markierung des ›anderen‹ Schuhs wird die Aufführung der Gruppeneinheit qua Einheitsschuh unterstrichen, wobei bemerkenswerter Weise die abgrenzende Vorführung des Wildlederturnschuhs nicht ausgrenzend auf seine Trägerin zurückfällt. Die in dieser Werbeszene noch freudige aufgeführte Gruppeneinheit qua einheitlicher Schuhmode wird einige Sitzungen später verwerfend abgelehnt, da eine identische Mode zu wenig interne Gruppendifferenzierung ermöglicht. Vom Motiv der Ausgrenzung ähnlich, in der inszenatorischen Ausgestaltung ungemein imposanter, ist das Soap-Drama Mord im Mädchenklo. Es handelt von einer angesagten Mädchenschulclique, zu der Klassenkameradin Chrizzy (zudem das Mädchen mit dem Wildlederturnschuh) dringlich gehören möchte. Sie sucht sich mit einem Caféhausbesuch einzukaufen, und die Cliquenmädchen lassen sich gerne die Cola bezahlen, doch haben von Anfang an nur vor, Chrizzy auszunutzen. Für die vorgegaukelte Mitgliedschaft trennt sich Chrizzy von ihrer besten Freundin und, auf Empfehlung der Cliquenmitglieder, von ihrem Freund. Die Gruppenmitgliedschaft der Clique ist habituell organisiert und körperlich markiert. So wird Chrizzy vor dem ersten gemeinsamen Partybesuch unfreundlich mitgeteilt, die »albernen zöpfe« raus zu nehmen und sich auch ansonsten zu benehmen. Chrizzy verspricht, den Anforderungen zu genügen, doch die soziale Forderung nach habitueller Übereinstimmung entzieht sich ihrer Explizierbarkeit, und Chrizzys Bemühen ist zum Scheitern verurteilt:
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Sie hat keinen Zugang zu dem die Clique verbindenden Habitus. Auf der Party erlebt sie die herbe Enttäuschung: Die Cliquenmitglieder ›kassieren‹ den ehemaligen Freund als Siegestrophäe und weisen unmissverständlich auf die Illusion ihrer Zugehörigkeit hin: »du – kannst nie eine von uns werden!«.
Krimi »Mord im Mädchenklo«: »du – kannst nie eine von uns werden!« Diese Ausgrenzung wird von der ehemaligen Freundin mit dem Mord der Cliquenchefin auf der Mädchentoilette gerächt, dem ein weiterer Rachemord folgt. Die Mädchen sind sich über die Gestaltung des Filmendes nicht im Klaren, und in einem gemeinsamen Gespräch entwickelt sich die ›pädagogische‹ Idee eines allgemeinen Friedensschlusses auf dem Friedhof. Der versuchte Gruppeneintritt zeigt in dem sozialen Eklat, zu dem er führt, die Grenzziehung der Cliquengemeinschaft nach außen, die als vergemeinschaftende Verschwörung zwecks Ausnutzung zunächst nicht öffentlich gemacht wird. Der Eintritt in die Gemeinschaft kann nicht erkauft werden. Die Mitglieder der angesagten Clique sind einander habituell verbunden, was sich in entsprechendem Benehmen, in Mode, Gesten etc. aufführt und die Einzelnen wie ein ›Geheimwissen‹ zusammen bringt, ohne hierbei expliziert werden zu können oder zu müssen. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit widerspricht bereits den impliziten Regeln der habituell organisierten Gemeinschaft, die sich gerade in der ›Selbstverständlichkeit‹ ihrer Zusammengehörigkeit formiert, in dem gemeinsamen und gegenseitigen Gespür für das, was ›angesagt‹ ist. In diesem 111
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trendweisenden Gespür organisiert die nach außen reizvolle Gemeinschaft ihren habituellen Zusammenschluss nach innen, was in vorführenden Ausgrenzungen vorgeführt und verstärkt wird. Eklatante Deutlichkeit gewinnt die Thematik sozialer Ausgrenzung in Verbindung auf das körperbezogene Aushandlungsfeld weiblicher Anerkennung wiederum in einer Stars-Talk-Show der Gruppe Mix, die aus der Mädchengruppe Intrige und der Jungengruppe Groteske (hier: Binol und Murat) besteht. Die Show selbst ist von den Mädchen initiiert, und die nacheinander hereingebetenen Stars der Show sitzen sich auf schräg auseinander laufenden Sitzreihen halb gegenüber, halb der Kamera zugewandt. In der Mitte ist die Moderatorin mit Mikrophon und einem kleinen Hocker mit Getränkedosen, an den Enden der beiden Stuhlreihen die beiden Jungen. Im Laufe der Inszenierung kommt es zu zwei Verdichtungen der Auseinandersetzung: die Anerkennung des Popstars Emilia und die Echtheit der Raplegende 2PAC. Die Moderatorin (Sonja) der Talk-Show bittet zunächst die englischen Spice-Girls Mel C (Janine) und Emma (Maria) herein, die zur wohl bekanntesten Girl-Group der 1990er Jahre gehören, dann Missy Elliott (Nadia), Verkörperung der Frauenpower in der männlich dominierten Rap- und Hip-Hop-Szene, dann Emilia (Gyza), schwedische Sängerin äthiopischer Abstammung, die in der Zeit der Talk-Show ihren (einzigen) Riesenhit feierte. Sie gibt der Moderatorin Begrüßungsküsschen und setzt sich zwischen diese und Missy Elliott, gegenüber den Spice-Girls. Nach der Begrüßung wendet sich die Moderatorin den Spice-Girls zu: »das reicht mir jetzt!« Talk-Show, Gruppe Mix
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Moderatorin: was haltet ihr denn von emilia? Emma: na ja, ich find emilia nicht so gut sie ist ein wen- na (.) h(wirft den Kopf zurück) Emilia nimmt das Mikro. Mel C: also, ich finde ich finde ( ) emma ich ( ) dich ja: (.) mel Emilia: c ( ) Emma greift nach dem Mikrophon: also ich finde dich echt scheiße weißt du das Moderatorin greift nach dem Mikrophon, eskalierender Streit, durcheinander Reden und Schreien, längerer Tumult. Moderatorin gibt nach einigem hin und her Mel C grinsend das Wort.
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Für diese Talk-Show wurden als Rednernamen die inszenierten Rollen gewählt, um aufgrund der vermutlich nicht druchgängig bekannten Starnamen die Nachvollziehbarkeit der Transkription zu gewährleisten.
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Mel C:
also, ich find emilia nicht gut; ihre lieder ey; ihr neues lied, na; da ist sie total albern, (1) wo sie am strand so da rum; (.) also nee Emilia ergreift Mikro: ihr seid nur (spricht ins Mikro) neidisch auf meine beine
Die Moderatorin moderiert den Starsstreit mit höflichen Nachfragen, wobei sich die Ablehnung Emilias erst affektiv, dann argumentativ ausdrückt. Emilia vermutet in der Ablehnung das Motiv des Neides »auf meine beine«, woraufhin die Szene in einen allgemeinen Tumult ausartet, bis die Moderatorin Tarkan hereinholt: »wir holen jetzt einen jungen rein, der kennt sich ja wohl damit aus (.) und zwar tarkan! (.) tarkan«. Jubelnde Begrüßung wie bei allen Stars. Tarkan (Binol), ein in New York lebender türksicher Popsänger, setzt sich breitbeinig neben Mel C und steckt seine Sonnenbrille in die Haare. Moderatorin: wir sprechen hier grad über emilia, ob sie wirklich so schöne beine hat. was meinst du, tarkan? Tarkan: also, sie würde (.) sehr passen (hebt den Arm und lässt die Finger tanzen) Allgemeines Gelächter. Emma: tarkan, du kennst dich ja wirklich nicht gut aus (.) verstehste Tarkan: also, ich kenn nur die türkinnen Missy Elliott: ey, tarkan, guckst du auch mal ab und zu mal viva oder mtv? Tarkan, langsam: ja, manchmal (hält Sonnenbrille in der Hand) Moderatorin: das ist missy elliott ( ) (zeigt auf Missy Elliott) Mel C: also das ist die emilia (zeigt auf Emilia) Emma: die da, also (.) die hässliche da (zeigt auf Emilia) Emilia schaut theatralisch zur Seite.
Bewertung Emilias Tarkan missversteht die Frage nach den schönen Beinen, die er auf die geschlechtliche Ebene bezieht und nicht kontextgerecht beantwortet. Auf den Vorwurf des Kompetenzmangels reagiert er mit Rückzug und verweist sowohl auf seine Lebenswelt wie auf seine beschränkte Frauenkenntnis: »ich kenn nur türkinnen«. In die sich von Emilia abgrenzenden Vergemeinschaftung der Stars Mel C, Emma und Missy Elliott kann er sich (noch) nicht einfügen, und sein mangelndes Starwissen wird mit der Nachfrage bezüglich seiner Fernsehgewohnheiten gerügt. Ihm werden daraufhin ansatzweise die anwesenden Protagonisten der Welt des Pop 113
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und HipHop vorgestellt, er wird also in die Lebenswelt der Mädchen, die, wie sie in ihrem differenzierten Wissen aufführen, bestens in die Lebenswelt der Stars eingeweiht sind, eingeführt. Emilia wird hierbei wiederum nicht positiv dargestellt, was äußerlich festgemacht wird: »die hässliche«. Dann wird Foxy Brown, »das kommerziell verwertbarste Rollenmodell des Rap« (Weber 2002: 22), begrüßt und ebenfalls befragt: Moderatorin: was hältst du von emilia? Foxy Brown: also, ich muss schon zugeben, die musik, die sie macht, ist geschmacklos Moderatorin: ah, geschmacklos, emilia, (wendet sich Emilia zu, umarmt sie) sei nicht traurig, komm, nicht weinen Tarkan: also, das hat sie auch verdient find ich Gelächter, Tumult. Missy Elliott: ey ey ich hab eine frage an emilia@ (zunehmend schrill lachend) @sag mal wann hast du dich das letzte mal gebadet?@ Große Erheiterung, alle lachen ausgiebig, außer Emilia, die nichts verstanden hat und sich fragend an Emma wendet. Emma: sie hat gefragt wann hast du das letzte mal geba:det hast Allgemeines Klatschen. Mehrere: @(gute frage)@ Tarkan: gute frage ( ) Allgemeines Lachen und Klatschen und Rufen. Emilia steht auf, nimmt das Mikro, streckt Kopf und Nase nach oben, akzentuiert: kein kommentar! Emma: also, also, ich finde, emilia, du stinkst echt bis hier hin, und ja (.) ähm Tumult. Moderatorin: stopp stopp (klatscht in die hände) dürfte ich jetzt um ruhe bitten hier wir sind hier auf einer live-show Missy Elliott: @( ) stinkt@ Emma: was hast du gesagt? (hält Missy Elliott das Mikro hin) Missy Elliott: @sie stinkst@
Die Gesprächsrunde der illustren Starversammlung wächst sich zu einer aktiven Ausgrenzungszeremonie Emilias aus. Die Kommentare sind hierbei von Emma persönlich formuliert, während sich Mel C eingangs auf die Selbstdarstellung der Sängerin in ihrem Video und Foxy Brown allgemein auf ihre Lieder bezieht. Mit der ironischen Frage von Missy Elliott, wann Emilia das letzte mal gebadet hätte, ist der Bann gebrochen, und der Versuch, die Ausgrenzung argumentativ zu begründen, wird mit 114
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der »guten frage« nach dem Baderhythmus der Sängerin zu einer körpermarkierenden Diffamierung, die keine weiteren Argumente benötigt: Der zugewiesene Körpergeruch ›spricht‹ für sich. Dabei war es zunächst Emilia selber, die auf ihren Körper verweist, um die Ablehnung der Spice-Girls emotional zu begründen (»ihr seid nur neidisch auf meine beine«). In beiden Fällen wird der Verweis auf den Körper als unhintergehbares Argument eingesetzt.
Tod 2PACs Wiederum nach einem lauten Tumult wird 2PAC (Murat) hereingeholt, der sich mit Silberkette und nach hinten gedrehter Baseballkappe im Rap-Stil auch den Stuhl herumdreht und sich sitzend auf der Rückenlehne aufstützt: Moderatorin: 2pac du sollst angeblich tot sein, warum lebst du wieder? 2pac: naja Emilia: (ich glaub dir nicht) Moderatorin: sei ruhig bitte emilia wir wollen nichts von dir wissen 2pac nuschelnd: wo die mich mit=nem ding töten wollten mit=nem streichholz (.) da bin ich aus=ner u-bahn ausgestiegen und (bin) abgehauen Moderatorin: das war cool Emilia ergreift das Mikro: ich bin dran (zu 2pac) und was sind diese fotos? Moderatorin: ja, was ist mit diesen leichenfotos? man hat bewiesen, dass du tot bist! 2pac: ( ) Emma: ( ) Moderatorin: und was ist mit foxy brown, die ist heute hier (zeigt auf Foxy Brown) 2pac: na ja erstens; ist die wie behindert Lachen. Foxy Brown ergreift Mikro: ich will mir das jetzt nicht gefallen lassen, 2pac, was ist mit dir los? (>sag!ich bin die wettaansagä jetzt sag ich die wettär an < Allgemeines Gelächter. Murat steht auf, schaut in die Kamera, energisch: hier, im westen (zeigt nach oben) 180 grad (.) und hier, im süden, ähm, momen(guckt genau auf das grüne Tuch, zeigt nach rechts) neunhundertachtundzwanzig grad (.) und hier im norden (zeigt nach unten) achtundvierzig grad (.) und hier im westen (zeigt nach links) eine million grad@ (schaut in die Kamera, grinst, setzt sich lässig auf den Stuhl, leiser werdend) ja (.) alje amigos, jetzt mach ich=s nur noch mal (dreht sich auf dem Stuhl nach rechts, so dass er seitlich im Bild ist) ?: sport, sport, sport, du musst sport machen Murat dreht sich frontal zur Kamera: ja, sport können sie vergessen, weil alle gestorben sind Lachen aus dem Off. Murat: es war en kleener (aus ), der hat sich eingestürzt@ ?: eingestürzt Murat: da waren allet zu ende. ja, tut mir leid; michael jordon ist aus dem fenster herunter gesprungen; wegen einer frau (.) hat ba:tsch gemacht (.) ja::, ja okay, tschüss, ( zieht sie ja nicht), tschü:::ss
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Anschließend inszeniert Wladi Nachrichten: »russische nachrichten« Nachrichten, Gruppe Groteske Wladi sitzt hinter dem Tisch, auf dem zusätzlich zu den Papieren nun auch eine Cola-Dose steht, aus der er trinkt. Klaviermusik im Hintergrund. Wladi: hallo, ich hier: i:st i:hr:e r:ussische nachrichten und sp::ort: und wetta (2) (wischt mit der rechten Hand über Mund und Nase) es wird heute sehr: dr:amatisch fier: die bayern, die haben verloren; in das manchester-spiel. sie haben (.) in der neunzigsten minute ein tor gemacht, und in der zweiundneunzigsten eine nachspielzeit das zwei zu eins gemacht. basler hat ein tor in der fünften minute für bayern gemacht und jetzt das wetter (.) in russland (steht auf und zeichnet mit seinem Finger rechts ein kreisförmiges Gebilde auf das Tuch) wird es heute einundzwanzig grad, und in deutschland (zeichnet links ein ähnliches Gebilde) ist es heute einunddreißig grad (.) und, im norden (zeichnet unten ein ähnliches Gebilde) ist es zwei
Sport Die Jungengruppe setzt im Format der objektivierten Berichterstattung Sportnachrichten und Wettervorhersagen in Szene. Hierbei beziehen sie sich das in den Vortagen stattgefundene Fußballfinale der Champions League zwischen Manchester United und dem FC Bayern München, das Bayern in der Nachspielzeit mit einem golden goal verlor. Ein aus der Sicht der Jungen betrübliches Ereignis, wie Stephan in verbalisierter Körpersprache ausdrückt: »viele köpfe (.) liegen unten also gucken nach unten«. Das europaweite Fußballspiel als mediales Großereignis und sportliche Inszenierung von Rivalität wird von den Jungen in Form der Berichterstattung darstellend bearbeitet und – dem spektakulären Spielverlauf entsprechend – der zweite Platz Deutschlands als »tragisch« (Stephan) und »sehr dr:amatisch« (Wladi) bewertet. Im Gegensatz zu Stephan und Wladi greift Murat die Niederlage Bayerns nicht auf. Auf die Aufforderung hin, Sportnachrichten zu inszenieren, spricht er dem Sport insgesamt sein Ableben aus: »ja, sport können sie vergessen, weil alle gestorben sind«. Ebenso spontan begründet er die Idee, Sport und Tod zu verknüpfen, indem er die Basketballlegende Michael Jordan »wegen einer frau« aus dem Fenster springen lässt. Zur Zeit der Inszenierung sind von Michael Jordan weder Frauenaffären noch Fenstersprünge bekannt. Murat greift somit keine konkreten Sportnews wie das vor genannte Fußballspiel auf, sondern entwickelt einen ei136
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genständigen Handlungskurzgang, in der er das entworfene Ende des Sportes mit dem Sprung des Sportidols personifiziert und mit einer Frau begründet. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Form der Bearbeitung des Rücktritts Jordans aus dem professionellen Basketball ein Jahr vor der Inszenierung, der nachträglich durch Murat mit einer Frauengeschichte belegt wird. In dem von Murat typischerweise grotesk gemalten Bild ist das Reich des lebendigen und sportlichen Mannes durch eine Frau ernsthaft gefährdet. Während in der vorherigen Inszenierung der Frauenmord gerade die Macht des Mannes offenbarte, ist hier auf die Frau als Gefahr für den Mann verwiesen, eine todbringende Gefahr und ein gewaltvolles Bild, wie auch Murat anmerkt: »hat ba:tsch gemacht«.
Wetter Während die Sportnachrichten Rivalität und Tod thematisieren, thematisieren die übertriebenen Wetteransagen der drei Jungen Raumvorstellungen. Indem sie das Bild der Landkarte in ihren Wetteransagen aufgreifen, führen sie eine Vorstellung des Planeten als Choreographie der Fläche auf, die den Standpunkt des/der Betrachtenden in der überschauenden Vogelperspektive zentralisiert. Wetteransagen visualisieren Raum- und Zeitvorstellungen und versuchen sich in wissenschaftlich fundierten Zukunftsvorhersagen durch Windberechnungen. Die Vergemeinschaftungsleistung der Wettervorhersage betrifft einerseits die gemeinsame Erfahrung des Wetters, andererseits jedoch vor allen Dingen die verbindenden Visualisierungsstrategien der Wettertafel. In ihren Analysen der räumlichen Dimension von Kultur und Kulturen hebt Birgit Wagner (2003) heraus, dass die kartographische Repräsentation von Raum unter anderem in den strukturierenden Pfeilen der Windrose als Grund legendes Ordnungsschemata symbolisch aufgeladen ist. Mit der Zuordnung von Himmelsrichtungen wird komplexes kulturelles Wissen tradiert, da Himmelsrichtungen räumliche Ordnungsprinzipien ebenso herstellen wie darstellen: In diese ist die symbolische Bekräftigung bestehender geopolitischer Machtverhältnisse eingetragen. Die gängige Konvention der Kartographie richtet die Karten nach ›oben‹ nach Norden aus, Im Mittelalter gab es ebenso Karten, die den Osten ›oben‹ ansetzten und somit die Kartengestaltung nach der aufgehenden Sonne ausrichteten. Dieser galt die Orient-ierung, wie auch die Ausrichtung der Altarräume christlicher Kirchen, wie auch dem Orient, der ja bekanntlich im Osten liegt. Die Einnordung der Karten ist somit eine konventionalisierte kartographische Sicht auf die Welt, die kulturelle Werte und kulturelle und politische Hierarchien darstellt.
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»So wie das Subjekt in den letzten Jahren vielfach als verknotetes beschrieben worden ist, als ein Selbst, in dem sich die Diskurse der anderen kreuzen und das sich die Diskurse der anderen aneignen kann, so ist auch die Kategorie ›Ort‹ ein Knoten im Netz von Räumen, die ihrerseits Produkte kultureller Konstruktionen sind. Nicht nur Meridiane laufen über den Globus, sondern auch die kulturellen Bedeutungsnetze, die sich mit den Himmelsrichtungen verbinden. Sie prägen sowohl unsere je individuelle Erfahrung von Orten als auch die konkretmaterielle Gestaltung von Lebensräumen.« (Wagner 2003: 12)
Indem die Jungen Wettervorhersagen als Wetteransagen inszenieren, orientieren sie sich an einem Modell, dass die Vorstellung räumlicher wie zeitlicher Berechenbarkeit aufführt, eine naturwissenschaftlich geprägte Visualisierung von Raum und Zeit, in die die Typologien kultureller Werte eingetragen sind. Dass die Jungen in der Degradierung des Nordens nach »unten« alternative Modelle der Windrose implizieren, kann mit einem Schmunzeln als subversiver Akt gedeutet werden, der herrschende Bedeutungsschemata unterläuft. Vielmehr kann die mimetische Anähnlichung an die Wetteransage in den Szenen der Jungen als Darstellungsgeste inszeniert werden, nicht aber inhaltlich im Sinne des ›rechten‹ Einsatzes konventionalisierter Himmelsrichtungen. Dies weist auch darauf hin, das die gestische Einübung kulturell konnotierter Körperzeichen ihrem inhaltlichen Verstehen sozialisatorisch vorgeht.
Wetterbericht: »im norden ist es zwei«
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Bei Stephan liegt der Westen oben, darunter der Süden und darunter der Norden. Seine Darstellung der Himmelsrichtungen entwickelt sich entlang einer Linie nach unten, ein punktuell-lineares Raummodell. Bei Murat dehnt sich der Raum bereits ansatzweise aus, indem der Westen oben und links, der Süden rechts und den Norden unten liegt. Wladi stellt noch ein alternatives Raummodell vor, indem er Russland als Fläche im rechten Teil des Tuches einzeichnet, Deutschland im linken Teil und den Norden wiederum unten. In dieser räumlichen Kennzeichnung der Länder wird die Verknüpfung von Lebensraum und kartographischer Visualisierung am deutlichsten – bei beibehaltener Verlegung des Nordens in den Süden. Auch in den Nachrichteninszenierungen der Jungengruppe Lust (David, Dursum, Mehmed, Pierro, Timar, Ulak und Yavas) werden Übertreibungen als parodistisches Element eingesetzt. Die einzelnen Nachrichtensendungen werden durch ihre Sprecher Ulak und Timar eingeleitet. Sie sitzen hinter einem Tisch mit Standmikrophon, vor ihnen mehrere Blätter und neben ihnen eine Tafel, anhand der der nun folgende Wetterbericht vorgestellt wird: »alle werden schterben« Nachrichten, Gruppe Lust Dursum geht mit Deckelhut und Tuch bekleidet langsam auf die Tafel zu. Auf der Tafel ist mittig eine Deutschlandkarte gemalt mit locker verteilten Zahlen, Punkten und Namen: Köln, Berlin, Bayern und Hamburg. Rechts und links davon sind die Tage Montag bis Freitag verzeichnet, je mit Symbolen versehen: Montag Regensymbol, Dienstag Sonnensymbol, Mittwoch Blitzsymbol, Donnerstag Sonnensymbol, Freitag Tornadosymbol. Über allem steht mittig rtl 3 news. Dursum dreht sich zur Kamera, er trägt einen über die Mundwinkel hinauslaufenden Kajalschnauzer und hat eine Kette über die rechte Hand gehängt. Dursums Blick wechselt zwischen der Tafel und der Kamera, seine Hände begleiten den Rhythmus der Sprache, er zeigt, wenn nicht anders angegeben, je locker mit der rechten Hand auf die Tafelsymbole, auf die er sich bezieht. Dursum: hallo, mein name ist li jang fang tang wang li chi (.) heutel beil del wettel (in kölläne) (.) in kölläne [kölln] is=es fünfzisch grad, und in bä:li hihin [berlin] is es plus fünfundsiebsisch nein; siebenundfünfsisch nein; diese sieben fünf da (zeigt auf die 75 auf der Tafel) und in beyän [bayern] is es plus zweihundert grad (.) end er °dededede° (geht zur anderen Tafelseite) montag is regen; wird alles nass sein, re gen man tel an ziehn. (.) dienstag wird sehr heiss nackt rumlaufen niemand guckt °schiese° [scheiße] (guckt nach unten) Auflachen im Hintergrund
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VERKÖRPERTE MEDIEN Dursum:
middwoch, donner blitz (wie schlecht mütze auf sonst nisch) gut (.) donnerstag, auch wenn äh (wolgen [wolken]) schwimm=gehn äh (.) freitag, tornado, alle werden schterben, aber keine angst (.) samstag, sonntag, ihr seid sowieso tot (.) braucht nicht (Hände nach unten offen bewegend) Während der ganzen Passage Gelächter.
Dursum inszeniert als Chinese verkleidet und mit verstellter Stimme und Xenolekt einen Wetterbericht nach dem Vorbild von RTL, wobei der auf der Tafel vermerkte Sender »rtl3news« eine eigenmächtige Erweiterung der RTL-Gruppe ist. Wiederum werden die anhand der angezeichneten Landkarte Wärmegrade übersteigert, zudem anhand der Wochenvorschau die extrem veranschlagten Klimabedingungen durch Bekleidungshinweise ergänzt: Regentag Sonntag verlangt nach einem Regenmantel, die Hitze des Dienstags hingegen Nacktheit. Nacktheit wird mit Sichtbarkeit verbunden und bewertet, denn dem fordernd gesprochenen »nackt rumlaufen« folgt sogleich der Hinweis: »niemand guckt °schiese°«. Dursums Blick nach unten deutet den Verzicht an, und das Lachen der Jungen reagiert auf sein Spiel mit Nacktheit und Sichtbarkeit. Das Bezugsfeld Nacktheit und Sichtbarkeit ist als Erkenntnisprozess in der biblischen Genesis in dem Sturz aus dem Paradies figuriert: In dem Moment, als Adam und Eva ihre Nacktheit erkennen, fallen sie aus dem Garten der Einheit in die raue Welt der Unterscheidung, der Biss in den Apfel vom Baum der Erkenntnis bringt das Wissen um die Differenz, in der alttestamentlichen Darstellung figuriert als körperliche Differenz. Mit diesem kommt es zu dem so genannten und bekannten Sündenfall. Der Notwendigkeit von Feigenblättern, die die erkannte Unterschiedenheit der nackten Körper verstecken, beugt Dursum mit dem Kommentar »niemand guckt« vor. Doch ebenso wie Nacktheit mit der ›Gefahr‹ ihrer Sichtbarkeit verbunden wird, wird sie mit der Lust verbunden, worauf das folgende »schiese« aufmerksam macht. Es ›antwortet‹ auf die unterbundene Sichtbarkeit als unterbundener Lustgewinn. Es handelt sich bei Dursum nicht wie in der Schöpfungsgeschichte um eine in der körperlichen Figuration sichtbar werdende Differenz, mit der Erkenntnis einsetzt, sondern um eine wohl eher profane Thematisierung von Nacktheit, aufgrund der die Jungen im ›Off‹ deutlich auflachen. Ob es sich um imaginäre weibliche oder männliche Körper handelt, bleibt an dieser Stelle offen. Die Wettervorhersage steigert sich sodann mit einem Tornado am Freitag zur Apokalypse: »alle werden schterben, aber keine angst (.) samstag, sonntag, ihr seid sowieso tot«. Die Beschwichtigung Dursums, die er mit Handbewegungen unterstreicht, gilt der Todesangst, die mit dem Tod vergeht, dem wiederum nicht zu entgehen ist.
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Die Jungengruppe inszeniert die Wetternachrichten in einer Gleichzeitigkeit von Dramatisierung der Ereignisse und entemotionalisierter Darstellung, wobei das Gelächter der Gruppe die lustvollen Effekt der Parodie aufzeigt, die mit den vertrauten televisuellen Dramatisierungseffekten karikierend spielt. Um den Ernst kriegerischer Auseinandersetzungen geht es hingegen in einem folgenden Beitrag: »rumlaufen auf tote« Nachrichten, Gruppe Lust Timar und Ulak sitzen hinter dem Tisch, Ulak mit einem Heft in der Hand. Timar: scheiß fuck (haut mit der Faust andeutend auf den Tisch) wir haben @was vergessen@ ab zu tschetschenien Ulak: okay; im krieg; ab zu tschetschenien Mehmed hält eine etwa 80 cm große Pappröhre für Poster als Mikro in den Händen und hat viele schwarze Kajalstriche im Gesicht: tschetschenien gefährlich; ma ich wollte fragen; wieviel tote gibt. haben sie mich fast umgebracht (zieht die Augenbrauen nach oben) (.) nicht hingehen (schaut zur Seite) (.) russland sehr stark (sehr kurzes Auflächeln) gegen tschetschenien (.) sehr gefährlich (2) sehr viele tote (.) rumlaufen auf tote; nicht auf gras (1) und (.) das war=s dann mit tschetschenien; ich muss abhauen
In abgehackten Bruchstücksätzen spricht Mehmed als Kriegsberichterstatter die Sprache des Schocks, die den Fluss des Sprechens bricht. Die situative Dunkelheit ist wohl auch in den schwarzen Strichen im Gesicht versinnbildlicht, die im Krimimodus die Gefahr mit einem gezeichneten Körper veranschaulicht. Mehmed beginnt mit dem eindringlichen Verweis auf die Gefahr im Lande: »nicht hingehen«, stellt das unausgewogene Verhältnis eines »sehr starken« und »sehr gefährlichen« Russlands gegen Tschetschenien dar, und unterstreicht mit der Erwähnung der flächendeckenden Unzahl an Toten und der Herausstellung der eigenen Todesgefahr (»haben sie mich fast umgebracht«, »ich muss abhauen«) die Dramatik der Situation. Das abschließende »ich muss abhauen« entspricht dieser Darstellung ständiger Gefahr und Bedrohung und lässt den Bericht zudem offen enden: Aus dem einleitenden »ab zu tschetschenien« wird das Aus für Tschetschenien. Der Bericht endet mit dem doppeldeutigen Kommentar
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»das wars dann mit tschetschenien«, was sich sowohl auf das Ende des Fernsehberichtes wie auf die Situation des Landes beziehen kann. Die Kriegsberichterstattung stellt neben den vielen Toten und dem ungleichen Kampf der Kontrahenten insbesondere die Bedrohung des Lebens des Berichterstatters selber heraus, die Kommunikationsschnittstelle zwischen Krieg und Fernsehgemeinde. Die dargestellte Gefahr verbleibt auf diese Weise nicht in den Grenzen des fremden Landes, sondern wird qua Berichterstattung in die Wohnzimmer der Welt projiziert. Erst diese radikale Form der Emotionalisierung scheint den immer wieder gesehenen Bildern eine gewisse Realität zu verleihen. Carolin Emcke, Auslandsredakteurin des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, macht darauf aufmerksam, wie Fernsehbilder des Grauens blind machen können: »Die Zuschauer oder Leser, die jeden Tag von Berichten aus Krisenregionen in der ganzen Welt überflutet werden, sehen zwar die Bilder des Grauens – aber mit der Zeit stumpfen sie ab, sie können die Nachrichten nicht in einen für sie anschaulichen Zusammenhang bringen, und am Ende glauben sie nicht, dass sie wirklich einer Realität entsprechen.« (Emcke 2004: 13)
Dieser Aussage entspricht das von Mehmed aufgerufene Bild des Rumlaufens auf Toten insofern, als das er an dieser Stelle hart an der Grenze zwischen Dramatik und Klamauk fährt – wenngleich in Mehmeds Darstellungsstil weniger drastisch als in dem anderer Jungen in anderen Inszenierungen. Die Einleitung der fast vergessenen Berichterstattung, wie Timar ausruft, weist auf die Üblichkeit televisueller Kriegsdarstellungen, die in den allgemeinen Fluss der Nachrichten gehört und entsprechend eingereiht wird. In ihrer thematischen Dringlichkeit für die Jungen tritt sie allerdings hinter den Sport- und Wetteransagen zurück: Es ist die einzige Thematisierung von Krieg in der gesamten Studie und steht im Kontext der Nachrichteninszenierungen der Gruppe Lust zwischen vier Wetterberichten und drei Sportnachrichten. Die Sportnachrichten werden anhand der auf der Tafel markierten Tore dargestellt, und Ulak fasst in einem spielerischen Kommentar zwischen den Inszenierungen den erfolgsorientierten Darstellungsstil der Sportnachrichten als quantitativ messbare Leistungsorientiertheit ironisch zusammen: »was ist mit sport? wer wurde sieger? wer am weitesten gesprungen? 3 cm gesprungen«. Neben Wetter, Sport und Krieg wird ein Erdbeben in Jugoslawien mit 500 Toten, der Bankraub eines Psychopathen und der Straßenkampf von zwei Jungen erwähnt, keines dieser Themen entwickelt sich zu einem eigenständigen Inszenierungsteil. Eine längere Nachrichteninszenierung »sexual-
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kunde« wird in dem Unterkapitel Annäherung: Sexuelle Körper behandelt. Die Inszenierung von Sport- und Wetterberichten in beiden Jungengruppen (und wie gesagt nur hier) zeigt das gegenderte Interesse an der Darstellungsform objektivierter Berichterstattung: sitzend oder stehend hinter einem Tisch voller Papiere – ein Bild, das in keiner Mädcheninszenierung vorkommt. Die Jungen üben sich in Darstellungsmodelle räumlicher und zeitlicher Berechenbarkeit ein und beziehen sich auf Handlungsmodelle sportlicher und auch kriegerischer Auseinandersetzung. In ihrer Übersteigerung werden diese Darstellungs- und Handlungsmodelle gleichzeitig karikiert.
Verwandlungen In der Gruppe Lust kommt es zu zwei Verkleidungsszenen ohne formale Rahmung, was sich in der Inszenierung als ihre dramaturgische und sich auf die Gruppendynamik rückwirkende Schwäche auszeichnet. Die Jungengruppe finden keine anstiftenden inszenatorischen Ideen, die sich im Allgemeinen aus dem spontanen Gruppengeschehen heraus entwickeln. Relevante thematische Bearbeitungen, formale Rahmungen und emotionale Aufladungen finden aus Gruppenimpulsen heraus ihre inszenatorische Gestalt. Dieses Zusammenspiel gewährleistet ›dichte‹ Inszenierungen, die sich durch aktive Gruppendynamik auszeichnen und Aufschluss über gruppenrelevante Themenbereiche und ihre kommentierende Bearbeitung geben. Die Gruppe Lust zeichnet sich immer wieder durch Leerlaufphasen aus, in denen die kreativen Elemente nicht zu einer dramaturgischen Gestalt finden. Im Folgenden greifen die Jungen auf die in allen Arbeitsgemeinschaften vorliegenden mitgebrachten und im Raum vorhandenen Requisiten zurück. Drei Jungen beginnen sich mit Kleid und Ohrring (Timar), Tuch und Maske (Mehmed) und langem Mantel mit Kapuze (David) zu verkleiden. Während sich keine weitere soziale Reaktion auf die Verkleidung der beiden Erstgenannten zeigt, gibt die Verkleidung des dritten Anlass zu einer ›Verpackungsszene‹, die Yakup filmt. »bin ich eine puppe?« Frei, Gruppe Lust Yakup: david! David, auf einem Stuhl sitzend, guckt unter seiner Mantelkapuze auf, grinst kurz in die Kamera. Dursum kommt und verklebt unter den Kommentaren der Gruppe und mit ihrer Hilfe David in seinem Mantel Arme und Hände, Kopf und Augen und Beine mit Kreppband. Durchgängig unverständliche Kommentare. David liegt auf dem Boden, verklebt, Dursum kommt. Dursum: geht=s dir gut? ( )
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VERKÖRPERTE MEDIEN du köpfst ihn (.) köpft ihn! köpft ihn! Dursum: du armer du du armer du du (.) armer du (greift nach Davids Verklebungen, drückt sie im Kopfbereich fest). David lacht unter Kreppband. David setzt sich auf, heftig den Kopf schüttelnd. ?: ja:::! lasst ihn uns (.) ey! halt ihn fest! halt ihn fest! ?: ja:::! Mehmed: ulak du musst mir helfen (ihn festzuhalten) Allgemeines fortwährendes Gemurmel und Gekicher, David kreischt und lacht unter dem Kreppband. Ulak hält ihn am Kopf fest. Dursum, begleitet von Kommentaren der anderen Jungen, fängt an zu schminken, malt mit schwarzem Kajal einen Schnauzer, zieht die Augenbrauen nach, zeichnet einen Lidstrich. ?: er ist chinese@ Dursum malt Wangen und Lippen rot, wofür er das Kreppband nach unten schiebt, und das Gesicht weiß. David kreischt, schüttelt den Kopf, den Ümit hält. Allgemeines Gekicher, Wortdurcheinander. David: bin ich eine puppe? Dursum: du bist japanerin@ David: a:::h:::! Timar: zieht ihn aus! zieht ihn aus! ausziehn! ?: abhaun! David rollt auf dem Boden weg, Ulak fängt ihn auf dem Boden rollend ein, hält ihn fest. David: ( ) Timar guckt in Davids Gesicht, springt schreiend weg. Gekichere auf dem Boden, Ümit halb auf David. Timar: befreit ihn! David: a::h::! a::h::! Ümit: guck man ey er ist außer kontrolle David wird von Dursum entklebt, Gelächter. Mehmed: du musst dich sofort waschen! Dursum: nicht waschen wir brauchen dich noch morgen weiß es die ganze schule ( ) schulfest David: ich bin morgen sowieso nicht da Mehmed: da sind voll vieleTimar: in die kamera gucken bitte Mehmed: mach die tür zu! David zieht den Mantel aus, steht auf und verdeckt sein geschminktes Gesicht mit dem Mantel, Mehmed will den Mantel wegnehmen, David rennt weg, Mehmed fängt David, rechts und links kommen Ümit und Timar hinzu, halten David unter anderem an den Haaren fest, Kamerafrontalbild von David, der stumm in die Kamera guckt. Mehmed:
Anhand Davids wird das ›Andere‹ thematisiert und in Szene gesetzt. Dass gerade Davids Körper zu dem Feld wird, auf dem die Thematik des ›Anderen‹ verhandelt wird, ist kein Zufall. David ist der einzige in der Gruppe mit deutscher Herkunft, blond und blauäugig, hat die Schule gewechselt, gehört gleichwohl in diese Jungenclique, wie die Freundesaufzählungen der Jungen zeigen. Diese Jungenclique hat ein Jahr Hausverbot in einem Media Markt, weil einer der Jungen David eine Playstation von hinten in den Pullover steckte. David nimmt somit auch in anderen sozialen Kontexten der Jungenclique eine besondere Rolle ein. Gleich-
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wohl ist aus dem Gruppenkontext erkennbar, dass David in der sozialen Rolle des ›Anderen‹ ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe ist. Die maskierende Markierung greift die soziale Position des Jungen in der Gruppe auf und belegt sie inszenatorisch mit verschiedenen Bildern. Nachdem die körperliche Handlungsfähigkeit Davids durch seine Verklebung minimiert ist, kann seine fremd bestimmte Markierung beginnen. Doch bevor die Inszenierung diese Richtung nimmt, ist in dem offenen Moment, in dem David einfach verpackt auf dem Boden liegt, die Situation von zwei Bemerkungen gekennzeichnet: der ironische Einsatz Dursums »du armer du«, und Mehmeds Ausruf »köpft ihn«, auf die David heftig kopfschüttelnd reagiert. In diesen Ausrufen scheint die Entwicklung der Inszenierung im Nachhinein wie vorgezeichnet, indem David zwar nicht geköpft, doch sein Kopf der Kamera präsentiert wird. Zudem sagt Timar in einem späteren Teil der Inszenierung, als David wiederum der Kamera präsentiert wird, dass David ihm Leid tut, was der Bemerkung Dursums entspricht. Doch während David hier noch heftig mit dem Kopf schüttelt, ist sein späteres Spiel und Mitspielen von deutlich weniger Abwehr gekennzeichnet. Seine Reaktion ist während der Verkleidungs- und Schminkszenen wenngleich ambivalent, so doch zunehmend mitspielend, denn mit der Bemächtigung seiner Person durch die Gruppe geht auch eine Ermächtigung seiner Person in der Gruppe einher. Insbesondere Davids anfängliche und auch später noch einmal wiederholte Frage »bin ich eine puppe?« zeigt sein Mitspiel zwischen Bemächtigung und Ermächtigung. Er wird auch tatsächlich zur Puppe der Gruppe, mit der die anderen Jungen spielen. Hierbei weisen nicht nur Maskerade, Fremdbezeichnungen und Kommentare auf die Thematisierung von Geschlechtlichkeit. Mit seiner Frage stellt sich David selber in einen weiblichen Kontext, nachdem er von der Gruppe zunächst männlich inszeniert wird. In dem Bezeichnungssystem aus Maske, Kostümierung und Zuschreibung ist der Junge kein Junge, und die Puppe handelt nicht. Die Idee einer Inszenierung von Weiblichkeit wird im Folgenden von der Gruppe aufgegriffen: »er ist japanerin«. Die Jungen inszenieren und markieren mit Davids Maskerade das ›Andere‹ anhand des Bildes der japanischen Geisha mit dem traditionell rot-weiß-schwarz gemalten Gesicht. Die Darstellung des ›Anderen‹ entwickelt sich in der Inszenierung, und so hat die Geisha hat einen Schnauzer. Der Beginn der Bemalung greift mit dem Schnauzer noch Davids Geschlechtlichkeit auf, die dann maskierend überschritten wird. Mit den Bezeichnungen wird der Junge, noch ohne Bartwuchs, zum Mann, zum Chinesen, zur Japanerin, in späteren und hier nicht aufgeführten Inszenie-
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rungsteilen auch zu Nina Hagen, zum Penner, zu Schneewittchen, zu Verona Feldbusch. Körperliche Bemalungen und verbale Bezeichnungen inspirieren sich gegenseitig, und die Jungen rufen eine ganze Palette von Frauenbildern auf, die sie auf David projizieren, gebrochen nur durch das Bild des Obdachlosen und auch nur in seiner geschlechtlichen, keineswegs in seiner sozialen Konnotation des ›Anderen‹. Die Differenz, die der oder das ›Andere‹ markiert, wird hier nicht über die Kategorie Geschlecht, sondern Milieu hergestellt. Die Szene auf dem Boden nach Abschluss des Schminkens, als sich David wegrollt, ist von den Kommentaren »befreit ihn« und »guck mal (der ist echt) außer kontrolle« begleitet. Die Befreiung bezieht sich auf die körperliche Ebene als Befreiung aus der fesselnden Verklebung, auf die inszenatorische Ebene als Befreiung aus der geschlechtlichen Uneindeutigkeit. Wie Davids selbst bestimmte Handlungsfähigkeit ist auch eine kontrollierte Grenzziehung zwischen den Geschlechtern »außer kontrolle«. Doch Dursum verhindert das sofortige Abschminken Davids: »wir brauchen dich noch«. Die ausgerufene Befreiung verzögert sich, um die Markierung Davids in geschlechtlicher Uneindeutigkeit vorher noch explizit ins Bild zu setzen. Hiermit wird der indifferente ›Andere‹ als Spielpuppe und Abgrenzungsfläche der Gruppe vorgeführt und das Ereignis auf der Ebene der Inszenierung öffentlich festgehalten. Mit der somit imaginär ins Bild gesetzten Öffentlichkeit geht ein Autoritätsgewinn des Bildes einher, der für die Geschlechtsinszenierung der Jungen als Stabilitätsgewinn effektiv wird. In der Inszenierung und Vorführung des uneindeutigen Körpers werden die Unsicherheiten der Geschlechtsinszenierung an den markierten ›Anderen‹ als Projektionsfläche abgegeben und eigene, gleichwohl imaginär verbleibende Sicherheiten abgrenzend hervorgebracht. Der Kommentar Dursums steht im Gegensatz zu der Bemerkung Mehmeds, nach dem sich David »sofort waschen« muss, und einer späteren von Timar, die auf das notwendige Umziehen Davids hinweist. Die Aussprüche insistieren auf die Rückverwandlung Davids in einen ›eindeutigen‹ Jungen, die das Unbehagen bezüglich der verwischten Grenze und des Fließenden der (Un-)Position Davids aufzeigen. Timar, der bereits während der Szene, in der sich David auf dem Boden wegrollt, die Uneindeutigkeit des maskierten Jungen in seinem entsetzt-gespielten Zurückschrecken als abschreckend inszeniert, präsentiert später als positives Gegenbild (s)einen erigierten Aluphallus, den er sich in den Reißverschluss seiner Hose steckt. Er stellt geschlechtliche Eindeutigkeit anhand der Inszenierung einer potenten Männlichkeit her und kommentiert entsprechend Davids ins Bild gehaltene geschlechtliche Uneindeutigkeit abfällig mit »mein gott der junge tut mir leid«.
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Hier zeigen sich zwei verschiedene Interessenmodelle bezüglich der Maskerade Stephans. Während Dursum die öffentliche Vorführung der Grenzverwischung zur Stabilisierung von Männlichkeitsinszenierungen über ihre Negativfolie einfordert und durchsetzt, versuchen Mehmed und Timar die Gefahr einer fluiden Grenze durch die Inexistenz ihrer Verkörperung zu kontrollieren und abzuwehren. Dies weist auf den Reiz des Fluiden, dem Mehmed und Timar im Gesamtkontext der Inszenierungen deutlich näher stehen als Dursum, und der im Interesse einer geglückten, das heißt: eindeutigen Männlichkeitsinszenierung um so vehementer abgewehrt werden muss. Gegen Ende des Inszenierungsausschnitts verdeckt David sein Gesicht vor der Kamera, wenn er ohne den Mantel, der sein Rollenspiel markiert, in das Blickfeld der Kamera gerät. Ohne die mit diesem ›Schutzmantel‹ gekennzeichnete Verkleidung verschiebt sich die Inszenierung geschlechtlicher Uneindeutigkeit aus dem Feld des Spiels in das faktische Feld des Sozialen, eine Verschiebung, deren ins Bild Setzung David mit dem Verdecken seines Gesichtes aus dem Weg zu gehen versucht. Doch die Klarheit einer geschlechtlichen Zugehörigkeit erfolgt nicht mit dem Abschminken, das Gesicht ist weiterhin gezeichnet. Dursums Bemerkung: »morgen weiß es die ganze schule« unterstreicht darüber hinaus die Wirkmacht des Bildes im Feld des Sozialen. (Im weiteren Verlauf der Arbeitsgemeinschaft wird, soweit anhand der Videoaufzeichnungen nachvollziehbar, die Maskerade nicht mehr erwähnt.) Diesem Maskeradenspiel folgend wird ein weiteres Objekt für eine fremd bestimmte Verkleidung gefunden: das im Schrank verwahrte Plastikskelett. Es wird mit eben dem Mantel ausstaffiert, den bislang David trug, das Tuch umgelegt, eine Pappröhre muss für einen erigierten Penis standhalten, Augen aus Krepppapier werden eingelegt. Die Jungen variieren die Verkleidung mehrmals (Hut auf, Pappröhre weg), sprechen das Skelett als Autoritätsperson an: »guten tag meister«, »guten tag mein herr«, »boss«, und lassen es mit dem Kiefer klappernd immer wieder singen. Keines dieser Elemente führt, trotz verschiedener Rahmungsvorschläge und kreativer Einfälle, zu einer dramaturgisch durchgängigen Inszenierung, die die Gruppe in ihren Bann zieht: Das halbstündige Spiel mit dem Skelett bleibt insgesamt orientierungslos. Erst gegen Ende des Inszenierungsversuchs kommt es zu einem dichten inszenatorischen Moment, als Mehmed und David, dann Mehmed und Ulak zum Skelett treten, das von Dursum gesprochen und von Timar bewegt wird; beide stehen hinter dem Skelett:
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VERKÖRPERTE MEDIEN »wir haben die teletubbies noch nicht töten können« Frei, Gruppe Lust Das Skelett ist mit Mantel, Kreppbandaugen und einem Kreppbandjoint in der rechten Hand ausgestattet. Hinter ihm sind Dursum, Timar und Yakup versteckt. Dursum: a::h? heute; ist wieder ein kifftag? haha los? leute, zieht euch aus! heute ist ein toller ta:g. wiederma::l. los, eine kleine welle (bernd) yoh! Mehmed und Ulak nähern sich. Dursum: (meldet) euch an (du ) shit. steps! wer seid ihr? Mehmed: wir sind eure diener Ulak: °ihre° wer bist du? wie heißt Dursum: du? Mehmed: mehmed Dursum: du? Ulak: ulak (zeigt kurz mit einem Arm auf) Mehemd: wir haben die teletubbies noch nicht töten können ja. Ulak: Dursum: shit! Mehmed: sie, waren weg (1) und zu viele fans da (.) zu viele zeugen wo warst du? Dursum: piss dich! los! weg! verzeihen Mehmed: sie uns (entfernt sich) Dursum: du, komm her, komm her! Ulak: °was=is° Dursum: komm her! kriegst=ne schelle von mir Gekichere. Dursum: los! Timar schlenkert mit der Skeletthand mit dem Joint: pfusch::::: Dursum: nimm diesen joint hier und kiff dis! (.) los! Ulak nimmt den Joint und raucht. Yakup: ein tritt@ Dursum: los! Timar: ein tritt man! (schlackert mit dem Skelettfuß) Dursum: guck nach vorne zu die kamera Yakup: setz dich hin. Ulak kniet nieder. Dursum: los! Yakup: du idiot du! [Schnitt:Dursum als Skelett zu Mehmed: »mehmed, komm her. kopfnuss! schwein du;«, und an Mehmed und Ulak gerichtet: »tanz für mich? tanz, tanz, ihr tanzt zusammen! los; beide tanzen!«.] Dursum: was=n sonst. (.) lambada! Mehmed, Ulak und das Skelett tanzen zu dem Lambadarhythmus, den das Skelett, vor allem Dursum, singt: dujeah lalalala. lalalalalala:. dadadadada. dadadadada: Mehmed greift mit der Hand Richtung Mund des Skeletts: wir müssen wieder (.) auf die jagd gehen (verstehste?°) Dursum: was? verpiss dich!
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Ulak:
ja (wir müssen wieder) (tätschelt die Wange vom Skelett) kumpel Mehmed: tschüss Ulak: tschau Mehmed und Ulak entfernen sich.
Es folgt eine floskelhafte Thematisierung von Joints, Shit und Gras. Die Diener versorgen das Skelett mit »shit«, »is sowieso nur gras«, das sie ihm in den klapprigen Plastikkiefer legen, und Dursum in seiner Rolle des Skeletts bezeichnet die Umstehenden als »shit«. Die Jungen führen insgesamt einen eher sachkundigen Umgang der Thematik vor, die Timar wie folgt gestisch zusammenfasst: Er zieht mit fachmännischer Handhaltung an einem Papierjoint und lässt sich die Augen verdrehend zu Boden fallen.
Bandenkrieg: »wir haben die teletubies noch nicht töten können« Während David in seiner Lebendigkeit noch verklebt werden musste, um ihn zu schminken und in Akten der Benennung und Bemalung einen geschlechtlichen Zwischenraum zu gestalten, der für die Benennenden in der abgrenzenden ins Bild Setzung des ›Anderen‹ eine imaginäre Sicherheit der eigenen Geschlechtsinszenierung hervorbringt, ist dem Skelett die Lebendigkeit per se entzogen. Somit haben die Kinder großen gestalterischen Freiraum im Umgang mit der Requisite. Mit dem gleichen zentralen Kostümierungselement inszenieren die Jungen diesmal allerdings – ganz gegenteilig – eine schillernde und autoritäre Überfigur, zu der sie in einem sich wandelnden Bezugsverhältnis stehen. Der knöcherne Patri149
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arch ohne Eigenleben wird über die fehlgeschlagene Tötung der Teletubbies informiert, Protagonisten der aus Amerika importierten und seit 1999 täglich auf dem Kinderkanal laufenden Kleinkindersoap. Wenngleich die Inszenierung sich mit der Abwesenheit eines nachhaltigen Inszenierungsimpulses auszeichnet, ist ihr metaphorischer Gehalt in dieser Szene erstaunlich. Die Tötung der Teletubbies trifft die für ihre massenmediale Ausstrahlung erfundenen bunten Teddyplüschbären, die in einem immer währenden Frühling immergrüner Wiesenhügel wohnen, in Babysprache miteinander sprechen und sich immerzu umarmen. Die ungetöteten Teletubbies treten als lächerliches und groteskes Element gegenüber der Autorität des Skeletts an, die als ›Drogendealerboss‹ seine Diener für den unterlassenen Mord bestraft. Die Jungen spielen hier vermutlich mit inszenatorischen Elementen mafiöser Bandenkriege im Drogenmilieu, das heißt sie inszenieren deren groteske Verzerrung. Doch bezeichnenderweise können die Teletubbies als symbolisch aufgeladene televisuelle Verkörperung von Kindheit »noch nicht« getötet werden, denn es waren »zu viele fans da (.) zu viele zeugen«: Die Jungen befinden sich in dem biographischen Zwischenraum von Kindheit und Jugend, in dem der Abschluss der Kindheit »noch nicht« bezeugt werden kann. Die das Skelett spielenden und hinter diesem stehenden und hockenden Dursum, Timar und Yakup verfolgen unterschiedliche Reglementierungsstrategien für das Versagen der Diener. Yakup und im Gefolge Timar strafen körperlich, Dursum verpflichtet zusätzlich zum Drogenkonsum. Dieser soll explizit der Kamera präsentiert werden: »guck nach vorne zu die kamera«. Damit fordert er, vergleichbar mit der Kameraaufnahme der Maskerade Stephans, eine mediale Aufnahme, die in diesem Fall den Übergang von der Kindheits- in die Jugendphase (die bislang im metaphorischen Gehalt der Inszenierung scheiterte) als Grenzüberschreitung, die illegaler Drogenkonsum ist, (öffentlich) festhält. Ulak dreht sich allerdings nicht zur Kamera, sondern befolgt den anderen, ebenfalls von dem Skelett erteilten Befehl, indem er niederkniet und seine Unterwerfung unter die Autorität des Skeletts aufführt. Damit wählt er die untertänige Geste, anstatt vor der Kamera als ›Auge‹ der Gemeinschaft offensiv eine Regelverletzung qua Drogenkonsum zu inszenieren, die ihn aus der Sphäre der Kindheit herausheben würde. Die Inszenierung der Jungen zeigt ein präadoleszentes Entwicklungsstadium in Aufbruchstimmung, doch noch scheitern sowohl die Beendigung der Phase der Kindheit in der nicht realisierten Teletubbietötung wie auch die Einkehr in die Jugendphase qua öffentlichkeitswirksamer Aufführung erweiterter Handlungskompetenzen wie Drogenkonsum. Hierbei ist in der – sehr offen strukturierten – Inszenierung eines hierar-
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chisch organisierten Bandenspiels bereits inszenatorisch die jugendliche Ablösung aus den Herkunftsfamilien angedeutet. Die hierarchisierte Rollenverteilung der Interagierenden zeigt sich nach der gemeinschaftlichen Erfahrung des Lambadatanzes, zu dem das Skelett gegen Ende der Intervention bittet, egalisiert. Wenngleich die fleischlose Hauptfigur den gemeinsamen Tanz »für mich?« fordert, verändert sich nach der bewegenden Rhythmisierung der Gruppe das Kommunikationsverhalten deutlich: Die Verabschiedung wird im Vergleich zu dem Verweis auf den Dienerstatus, mit dem die Begegnung einsetzt, gegenteilig inszeniert. Anfangs weist Mehmed Ulak und sich begrüßend Dienerstatus zu, was Ulaks Hinweis auf das Siezen der Skelettautorität und sein spontanes Armaufzeigen bei seiner Namensnennung entsprechend einer asymmetrischen Beziehungsfigur Schüler-Lehrer auch aufführt. Mehmed inszeniert demgegenüber am Szenenende einen exemplarischen Emanzipationsakt, indem er sich von dem Skelett verabschiedet und dabei jovial in den Bannkreis des Skeletts tritt und in seine Richtung fasst, worin ihm Ulak folgt. Die locker gehaltene Verabschiedung (»kumpel«) mit dem Jagdverweis steht in Analogie zu der Begrüßung mit dem Teletubbieverweis, wobei die (bis heute zeitgemäße?) männliche Konnotation der Jagd, hier im Kontext des Bandenkriegs, wiederum auf die Thematisierung von Männlichkeit hinweist. Diese fordert die Ablösung von den Teletubbies für den Übergang in die – nicht drogenfrei inszenierte – Jugendphase, gleichzeitig inszeniert in der Ablösung von der karnevalesk waltenden Autorität des Skeletts. Ob die beiden Diener jetzt noch auf die Jagd auf die Teletubbies gehen?
Zusammenfassung Die Inszenierungen der Jungengruppen heben sich deutlich auf thematischer wie auf dramaturgischer Ebene von den Inszenierungen der Mädchengruppen ab. Während diese sich vorrangig an einem auf Körperschönheit reduzierten Weiblichkeitsbild abarbeiten, gelten die Inszenierungen der Jungengruppen der versichernden Thematisierung ihrer Geschlechtsidentität. Dies wird anhand herausgehobener und teilweise übertretener Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern und anhand der männlich konnotierten televisuellen Genres des Actionfilms und der Nachrichtensendung gestaltet. Anhand von Verfahren der Komisierung stellen die Jungen deutliche spielerische Distanznahmen zu den inszenierten Darstellungsmodellen her, und analog hierzu werden immer wieder groteske Körper inszeniert, anhand der entweder das Unterlaufen von tradierten Ordnungen inszenatorisch vollzogen wird (Arschparfum, Mörderinterview), oder die als Projektionsfläche genutzt werden, um gesteigerte und gegebenenfalls veraltete (Skelett) oder uneindeutige (Puppe)
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Männlichkeitsinszenierungen vorzuführen. Die grotesken Inszenierungen des Körpers sind in den Inszenierungen der Jungen in drei Bereiche differenzierbar, die Peter Fuß (2001) als die drei Hauptkategorien grotesker Körperinszenierungen kennzeichnet: • Die Inszenierungen des Arschparfums und des Mörderinterviews zeigen das Monströse in der Inszenierung eines überbordenden Leibes, seiner Körperöffnungen und Ausscheidung, • Die Verwandlungsinszenierung der »puppe« Stephan spielt mit der Inversion von Geschlechterrollen. • Die Verwandlungsinszenierung des Skeletts führt eine Chimäre der Verkehrung und Vermischung vor. Fuß betont das Groteske als Grenzphänomen und Medium der Transformation mit dem Kernparadox, dass es sowohl zur wie nicht zur sozialen Ordnung gehört: »Jede Kulturordnung markiert selbst einen ›Ort‹, der zugleich eines ihrer Elemente und ihr Fremdes ist: ihre Grenze, ihren Rand, der in ihrem Inneren abgebildet werden muss, damit sie sich selbst gegenständlich werden und sich fixieren kann, indem sie sich von möglichen anderen Ordnungsstrukturen abgrenzt.« (Fuß 2001: 73)
Die Inszenierungen der Jungen sind in ihren sich fast durchgängig durchziehenden Übertreibungen und grotesken Elementen von diesem Kernparadox geprägt und spielen mit Ordnungsstrukturen, ohne sich außerhalb der Ordnung zu stellen. Vor allem jedoch führen sie das Vermögen vor, und zwar gerade im Vergleich mit den Mädchengruppen, mit Körperund Darstellungsmodellen überhaupt in dieser offenen, entgrenzenden und lustvoll-unernsten Weise spielen zu können. Dies entspricht ›natürlich‹ keiner ›natürlichen‹ Disposition der Geschlechter, sondern einer kulturell gewordenen Ordnung, die sich im Rahmen der bislang vorgestellten Inszenierungen insbesondere als symbolische Ordnung der Geschlechter aufführt. Mit anderen Worten hält die symbolische Ordnung der Geschlechter für Jungen und für Mädchen verschiedene thematische Herausforderungen bis in die Verkörperung hinein bereit, die als hochgradig prozessualer Ort die symbolische Ordnung der Geschlechter verdichtet zur Aufführung bringt. Massenkommunikationsmedien bieten eine erfolgreiche Bühne der visuellen Verbreitung sedimentierter geschlechtsdifferenter Körperbilder, und rituelle Medieninszenierungen einen Ort sowohl der Aufführung wie der Abarbeitung an solcherart kommunizierten Geschlechterbildern.
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Abgrenzung: Fremde Körper Abwehr Bislang führen die Inszenierungen der Gruppen entlang der Geschlechterdifferenz entsprechend ihrer homosozialen Organisiertheit zwei grundverschiedene Körpermodelle vor: das eines schönen und begrenzten und das eines grotesken und entgrenzenden Körpers. Wie bereits die Thematisierungen des ›Anderen‹ der Gruppe Lust andeuten, führen auch die im Folgenden vorgestellten Inszenierungen die abwehrende Kennzeichnung fremder Körper vor. Julia Kristeva hebt hervor, dass diese gerade in ihrem Vereindeutigungsinteresse ambivalent bleibt: »Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zunichte macht, die Zeit, in der das Einverständnis und die Sympathie zugrunde gehen. Wenn wir ihn in uns erkennen, verhindern wir, dass wir ihn selbst verabscheuen. Als Symptom, das gerade das ›wir‹ problematisch, vielleicht sogar unmöglich macht, entsteht der Fremde, wenn in mir das Bewusstsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen, widerspenstig gegen Bindungen und Gemeinschaften.« (Kristeva 1990: 11)
Dies wird anhand der folgenden Inszenierung ausnehmend deutlich: »die neue tee von tschai« Werbung, Gruppe Model Nofra mit einem rot-gelben Deckelhut hält eine Tasse in beiden Händen und blickt in die Kamera: guten tag ich (trinke) (Blick auf die Tasse) die neue tee von tschai von lipton (hält mit der rechten Hand kurz und leicht die Tasse der Kamera entgegen, nimmt sie dann wieder in beide Hände) wenns sies trinken des schmeckt sehr sehr lecker (grinst, immer wieder mit dem Kopf nickend, die Tasse in der rechten Hand haltend und mit der linken den wackelnden Hut) aber des is nich gesund (lacht, hebt die Tasse, senkt sie wieder, wechselt die Hände, hebt die Tasse zum Mund, als ob sie trinken würde, blickt grinsend in die Kamera, verzieht das Gesicht und spuckt sich vornüberbeugend lachend aus)
Nofras köstlicher Tee ist ungesund. Die verbale Konterkarierung absatzorientierter Produktanpreisung wird durch das lachende Ausspucken des Getränks noch gesteigert. Nofra stellt Geschmack und Gesundheit als Oppositionspaar her, und statt der Vergemeinschaftung über den guten 153
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Geschmack wird der Vergemeinschaftung über die Gesundheitsfürsorge zugesprochen. Nofras Inszenierung anerkennt hiermit ein Körpermodell, das sich sozialnormativer Gesundheitsvorstellungen verpflichtet fühlt – und hierbei keinen Genuss verspricht. Mit dem aggressiven Akt des Spuckens wehrt Nofra die Einverleibung des Tees und damit die Inkorporierung von Ungesundem vehement ab. Der Akt des Spuckens führt allerdings eine ›unzivilisierte‹ im Sinne von aufbegehrender Körperlichkeit auf, die gerade in dem Moment eingesetzt wird, in dem ihr Abtritt zugunsten der Erfüllung sozialnormativer Ansprüche in Form zivilisierender Gesundheitsfürsorge formuliert wird. Allgemein thematisiert die Inszenierung die Kosten des körperdistanzierenden Zivilisationsprozesses, der statt auf körperlichen Genuss auf Körperdisziplin setzt. Ein Blick auf die verwendeten Elemente Tee, Hut und Xenolekt weist auf einen weiteren Themenbereich der Inszenierung hin. Der Tee ist »von tschai«, einer im asiatischen und arabischen Raum gängigen Bezeichnung für Tee, darüber hinaus »von lipton«, der englischen Teemarke, die wiederum Tee aus China und Indien für Europa vermarktet. Und auch das Wort »tee« ist eine sprachliche Adaption aus dem chinesischen Raum, die die Holländer im 16. Jh. nach Europa brachten. (Grösser 2000) Der verwendete breitkrempige rot-gelbe Hut wird im Rahmen der Gruppe und auch direkt vor diesem Werbeblock von Nofra als zentrale Requisite zur Rollenkennzeichnung einer Chinesin verwendet. Zudem setzt sie die Verwendung eines Xenolekts ein. Alle drei Elemente belangen den Themenbereich kultureller Fremdheit. Über das Tragen des Hutes und die Verwendung des Xenolekts inszeniert sich Nofra als Zugehörige eines fremden Kulturkreises, der ›seinen‹ wohlschmeckenden doch ungesunden Tee präsentiert. In dieser Perspektive führt das Spucken die Abwehr gegen die Fremde auf, die Nofra selber verkörpert. In dem somit ambivalenten Spiel zwischen Aufwertung und Abwertung, in dem Zuspruch der Gesundheitssorge zuungunsten des Wohlgeschmacks, hierarchisiert Nofra einerseits das Verhältnis der Kulturen, verortet sich andererseits, wie für diesen speziellen Fall zu vermuten ist, als schwarze Deutsche zwischen diesen. Julia Kristeva kennzeichnet mit dem Begriff der Abjektion ihres nicht ins Deutsche übertragenen Werkes Pouvoirs de l’Horreur. Essais sur l’abjection (1980) das Zusammenspiel von Verwerfung, Selbstabwehr und Selbstschutz. Sie koppelt das Abject, das Verworfene, mit dem Körper der Mutter, denn es ist laut Kristeva der Körper der Mutter, den das Kind verwerfen muss, um die eigene Sprache zu finden: »Der Ekel lässt mich vor der Milch zurückweichen, trennt mich von Mutter und Vater, die sie mir anbieten. ›ich‹ will nichts von diesem Element, Zeichen ihres
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Begehrens; ›ich‹ will nichts davon wissen, ›ich‹ will es nicht in mich aufnehmen, ›ich‹ stoße es aus. Da das Essen aber ›für mich‹, der/die ich nur in ihrem Begehren bin, kein ›Anderes‹ ist, stoße ich mich selbst aus, speie ich mich selbst aus, verwerfe ich mich selbst in derselben Bewegung, durch die ›ich‹ behaupte, mich zu begründen.« (Kristeva zit. nach Butler 1991: 196)
Judith Butler weist darauf hin, dass das Spucken in diesem Beispiel der Ekelerfahrung eines Auszustoßenden, Auszutreibenden Körpergrenzen markiert. Darüber hinaus zeigt das Spucken »als Zeichen ihres Begehrens« ein Übermaß an: das Übermaß an der mit elterlichem Begehren übersättigten Milch. Erst aus dieser Übersättigung entsteht die Notwendigkeit der abwehrenden Verwerfung. Die Verwerfungen richten sich dabei immer gegen »mich selbst« und sind nach Kristeva gleichzeitig »Krämpfe und Brechanfälle, die mich schützen« (Kristeva zit. nach Menninghaus 2002: 529), indem sie Grenzen ziehen, die hervorgebracht und bis zu einem gewissen Punkt auch gewahrt werden müssen. In Nofras Inszenierung richtet sich die Geste lachend angedeuteten Ausspuckens gegen den kulturellen Kontext des Tees, stärker: sie verwirft ihn, indem sie nicht dem ungenießbaren Tee, sondern dem geschmacklosen Körper zuspricht. Die Abwehr richtet sich hier nicht gegen den Tee selbst, sondern gegen den Akt seiner Inkorporierung im Sinne einer ›ekelerregenden‹ Vermischung. Zudem deutet Nofra den Schluck aus der Tasse nur an: Sogar auf der spielerischen Ebene der Inszenierung wird der Inhalt der ungefüllten Tasse nicht einverleibt! Gleichzeitig wird das Objekt der Abwehr mit Wohlgeschmack verknüpft, dem Gegenteil von Ekel also. In der positiven Bewertung des Geschmacks und der Gesundheit und der gleichzeitigen Opposition von Geschmack und Gesundheit werden die in der Inszenierung aufgestellten Zuordnungen verkreuzt. Gleichwohl das körperlich geführte Argument des Ausspuckens zur sozialnormativen Pflichterfüllung der Gesundheitspflege des eigenen Körpers auffordert, ist diese immer bereits durch den Wohlgeschmack des verworfenen Tees konterkariert. Ebenso ist die Sorge um den gesunden Körper durch den Wohlgeschmack des verworfenen Tees immer negativ konnotiert. Nofras Antiwerbung inszeniert hiermit die sozialkulturellen Kosten des Gesundheitsanspruches als ungenießbaren Körper gleich mit. Die Position des Abwehrenden und des Abgewehrten weden in folgender Inszenierung der Gruppe Schönheit hingegen personal unterschieden: »dönnerwerbung für ali« Werbung, Gruppe Schönheit Dunja mit Holzschlegel als Mikrophon: gleich kommt fatima. die frau von mehmed und ali . fatma döner werbung.
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VERKÖRPERTE MEDIEN Kamera schwenkt auf Claudia (Fatima), ein hellrotes Tuch über Kopf, Nase und Mund und gesamten Oberkörper, in jeder Hand eine Rassel. Kamerafrau Tanja streckt ihr linke Hand in das Kamerabild. Claudia: hallo::: . i:::ch mache: werbung für unser dön:erladen (singt mit eintöniger Stimme und mit den Rasseln rasselnd) dön:er dön:er dön:er Kamerafrau Tanja mit sich zunehmend verstellender Stimme: wie heißt ihr dön:erleidm; neueä::r? Claudia: dürrenbenner express spezial (nähert sich der Kamera und blinckert in die Kamera blickend mit den Augenlidern) Tanja: oh ja::. gibts da auch wirklich dön:er, ja:? Claudia: ja:, (.) dön:er (1) und börek; (nähert sich der Kamera und blinckert wiederum in die Kamera blickend mit den Augenlidern) Tanja: co::::l ( ) wo liegts denn? Claudia: ja: in der johannisthaler chaussee nä (singend) na, na, na Tanja: @( ) dann geh ich lieber zu mäcdonalds@ Claudia singt rasselnd: döner, döner, döner, döner, döner, das, döner, döner, döner, döner, döner (2) (sprechend) ich bin fatima, und habe euch präsentiert, dön:erwerbung für ali (geht aus dem Bild) Tanja: in der johannisthaler chaussee. Dunja kommt mit dem Holzschlegel vorm Mund ins Bild: das war fatma! (schaut nach links und richtet ihren Arm auf Claudia) und das war der leckre dön:er von fatima
Fatima Namensgebung, Sprachverwenduzung, Bekleidungs- und Essgewohnheiten werden im Bezeichnungssystem kultureller, religiöser und geschlechtlicher Zugehörigkeiten verwendet, um Fatimas Körper als fremden Körper zu kennzeichnen (während der Ankleideszene: »die sind immer so eingepackt bis hier oben hin«). Der mit Rasseln untermalte Werbegesang für »unser dönnerladen« erinnert in der melodischen Eintönigkeit an Ritualtänze, das Augenblinkern in die Kamera bei der Namensnennung spielt mit der erotischen Aufladung von Objekten zur Steigerung der Kaufkraft. Während Fatima durch den rasselnden Gesang um Aufmerksamkeit wirbt, ohne dem beworbenen Produkt spezielle Eigenschaften zuzuschreiben, stellt Kamerafrau Tanja Talk-Show-ähnlich Nachfragen zu Namen und Adresse des Dönerladens und der dortigen Realexistenz von Dönern (»wirklich«). Als Fatima den Straßennamen nennt, zieht die moderierende Kamerafrau lachend einen anderen Anbieter in der gleichen Straße vor: McDonalds. Auf die explizite Ablehnung ihres Produktangebots reagiert Fatima mit Rückzug. Während sie zunächst aktiv formuliert »i:::ch mache: werbung für unser dönnerladen«, 156
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beendet sie nun zurückhaltender die Szene: »ich bin fatima und habe euch präsentiert, dönnerwerbung für ali«.
Dönerwerbung: »der leckre dönner von fatima« Kamerafrau Tanja als diejenige, die das Bild setzt, ohne selbst in ihm zu erscheinen (eine merkwürdige Verkörperung unmarkierter Norm) verstellt für den Kontakt mit der Fremden ihre Sprache, womit die markierte Fremde aus dem eigenen Sprachraum herausgehalten und gleichzeitig vorgeführt wird. Tanjas Anähnlichung an den fremden Sprachgebrauch wechselt mit dem ausgesprochenen Vorzug McDonalds’ ins Hochdeutsche, was die Geste der Distanzierung in der Sprachverstellung im Moment der expliziten Abgrenzung deutlich zu Tage treten lässt. Burger statt Döner – in dem orientierenden Blick nach fremden Kulturen wird nach Westen, nicht nach Osten geschaut. Das Dönerinteresse führt weder zur nährenden Ausweitung der ›eigenen‹ Kultur, noch zur Einverleibung der ›fremden‹, sondern zu ihrer vorführenden Ausgrenzung. Ähnlich dem leckeren doch ungesunden Tee ist auch hier der Döner lecker, und dennoch wird ihm die Kultur der Burger vorgezogen. Die Inszenierung weist eine deutliche Hierarchisierung der genannten Kulturen auf, indem die Kamerafrau, ungesehen und grenzziehend, für die Grenzsicherung des ›eigenen‹ Kulturraums eintritt. Darüber hinaus wird der als fremd markierte Körper sexuell aufgeladen: Einleitend wird Fatima als »frau von mehmed und ali« vorgestellt,
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und mit den Worten verabschiedet: »das war der leckre dönner von fatima«. Das die hier angeführte polygame Beziehung der Fatima zu Mehmed und Ali eine übliche Geschlechterverteilung in polygamen Ehen im arabischen Raum verkehrt, weist wohl nicht auf eine zunehmende soziale Macht der Frau hin, sondern entspringt eher der Idee einer mehrfachen männlichen Verfügungsmöglichkeit über den weiblichen Körper. Darauf deutet auch die Verabschiedungsszene, in der das Produkt mit seiner Anbieterin enggeführt wird: Fatima hat zwei Männer, die zubeißen können. Die Dönerinszenierung zeigt folgende Beziehungskonstellation: Fatima verkörpert vergleichbar mit dem Puppenspiel der Jungengruppe Lust das ›Andere‹ in einer doppelten Konnotation: fremd und weiblich. Dunja als Moderatorin weist den fremden Körper als sexuellen Körper aus, und die interviewende Kamerafrau sichert in machtvoller Unsichtbarkeit die die Grenzen des ›eigenen‹ Kulturraums qua kulinarischer Grenzziehung. Doch die Mädchen sind mit der Kennzeichnung des fremden Körpers noch nicht zu Ende. Links im Bild Dunja mit Holzschlegel in der Hand, rechts Claudia wie oben mit den Tüchern bedeckt. Dunja lacht, fasst mit der linken Hand an Claudias rechte Schulter. Claudia: doch. Dunja lachend und Claudia leicht schubsend: dann kommt dann gleich ali rausgesprungen Claudia wirft sich zu Boden: a::::::::::::::h Tanja eilt herbei: oh, ein missgeschick. darf ich ihnen vielleicht helfen? Claudia: najetä
Ali Der fremde Mann, der türkische Mann Ali wird mit überwältigender Sprungkraft ausgestattet, vor dem oder von dem Claudia, halb sich werfend (Claudia lässt sich stürzen), halb geworfen (Dunja schubst), auf dem Boden landet. Anhand des Videomaterials ist nicht aufzeigbar, ob sich Claudia noch in der Rolle der Fatima befindet oder als deutsches Mädchen angesprochen ist. Der fremde männliche Körper ist hierbei, wie bereits der fremde weibliche Körper, sexuell aufgeladen, worauf die soziale Reaktion auf seinen Überraschungssprung, das halbfreiwillige Fallen Claudias und das Lachen Dunjas hinweisen, vor allem aber der Sprung selber. In diesem Sprung ist der fremde männliche Körper ebenso ein Körper der Gefahr wie des Reizes und der Lust. Tanja wehrt die sexuellaggressive Implikation der Szene ab, indem sie den Fall als »missgeschick« bezeichnet und mit einem Hilfsangebot reagiert. Doch ob Claudia diese Hilfe annimmt, ob sie sich an Tanja oder an Ali orientiert, an
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sozialnormativer Sicherheit oder am lust- und gefahrvollen Unbekannten, ist in der Szene (»najetä«) nicht entschieden. Die Abwehr des fremden Körpers wird in folgender Talk-Show der gleichen Gruppe nun par excellence ausbuchstabiert: »die armen kinder in afrika«. Die Mädchen greifen die Thematik der medial kommunizierten Elendskrisen des Kontinentes weniger zugunsten der Inszenierung sozialer Solidarität auf, als sie vielmehr die Herstellung von Abhängigkeitsbeziehungen in dem strategischen Einsatz einseitiger Gabenversprechungen vorführen. Von Seiten der Moderation wird mit ausgrenzenden Rollenzuweisungen gearbeitet, verkoppelt mit emotionaler Betroffenheitsproduktion. Wie gehen die eingeladenen Gäste, die »armen kinder« Tascha und Ruah, mit dieser Situation um? »die armen kinder in afrika« Talk-Show, Gruppe Schönheit Tanja kommt lächelnd auf die Kamera zu, mit Klangstab als Mikrophon, schwingt die Arme und blickt in die Kamera: willkommen. ich bin simone giesmann. ich (winkt mit der Hand, schaut von der Kamera weg, knickt die Kniee ein) noch mal noch mal noch mal [Schnitt] Tanja kommt ernst guckend auf die Kamera zu: guten tag. ich bin simone griesmann. ich@ (guckt zur Seite, geht in die Kniee, schlägt sich auf den Oberschenkel, lacht) ich weiß gar nicht was ich sagen ja (schüttelt sich) @ich weiß gar nicht was ich sagen soll@ ähm ich begrüße sie heute herzlich, dass sie eingeschaltet haben. denn hier geht es um ein sehr ernstes thema (.) (senkt die Lider) um die armen kinder in afrika. sie müssen hungern (hebt und senkt den Arm, guckt zur Seite) und ihre familien haben nicht sehr viel zum essen (.) und hier kommt unser erstes kind. ein=ein=ein applaus fü:r tascha!
Die Talk-Show thematisiert Armut und Hunger in Afrika, wobei sie ihr spezifisches Interesse auf die Kinder des Kontinents in ihrer familiären Einbindung richtet. Moderatorin Tanja benötigt zwei Versuche der Begrüßungsansage, um sich in die Rolle und das Thema der Sendung einzustimmen und hiermit eine thematisch angemessenen Kontakt zum Publikum herzustellen. Die Unmöglichkeit zu sprechen wird durch den Schlag auf den Oberschenkel gebrochen, und sich nunmehr lachend zitierend stellt die Moderatorin Distanz zu eigenen Sprachlosigkeit her und begrüßt die Zuschauenden persönlich und thematisch. Während die erste Ankündigung einen freudigen Duktus hat (Lächeln, ›empfangende‹
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Armbewegungen), scheint Tanja das nun körperlich zurückhaltendere Auftreten dem »sehr ernsten thema« angemessener zu sein.
Gaben und Gegengaben Zunächst kommt Studiogast Tascha (Claudia) auf die Bühne, in bunte Tücher gehüllt und mit einer Kürbisrassel in der Hand. Studiogast und Moderatorin setzen sich auf zwei Stühle halb einander, halb der Kamera zugewandt. Die Moderatorin stellt das Hilfsinteresse der Show vor: »wir haben gehört deiner familie ginge es, die sind am hungern und am dursten und deshalb haben wir dich hier eingeladen, um dir ein bisschen zu helfen; ist das okay?«. Bereits hier klingt die abhängigkeitsorientierte Differenzherstellung zwischen dem helfenden ›wir‹ der Show und der hungernden Familie in Afrika an: Es soll nur ihm und nur »ein bisschen« geholfen werden soll. Die afrikanische Familie wird auf ihre Not reduziert, gleichzeitig wird das Kind qua Einladung und Hilfsversprechen aus seiner familiären Gemeinschaft herausgehoben und dem Fernsehpublikum beispielhaft vorgeführt. Tascha findet das Helfen »(okay)«, willigt somit in die Rollenzuschreibung der »ein bisschen« Hilfsbedürftigen ein und stellt ihre Familienverhältnisse vor: vier Schwestern, drei Brüder und eine auf Nachfrage einjährig verhungerte Schwester. Claudia erfüllt ihre Rolle des »armen kindes« pflichtgemäß, indem sie ein Opfer der Not vorweisen kann, das zudem durch Alter und Geschlechtlichkeit als schutzbedürftig, abhängig, hilflos und schwach figuriert wird. Aus den Bildern hungernder und dürstender Massen in Afrika kristallisiert sich so ein Familienschicksal heraus, mit dem das »ernste thema« der Sendung, existentielle Not in Afrika, durch die Zeugenschaft Taschas personifiziert und authentifiziert wird. Doch nun dreht Studiogast Tascha die anvisierte einseitighilfsorientierte Gabenverteilung der Sendung überraschend um: Claudia bewegt die Rassel hin und her: und jetzt möchte ich ihnen noch was schenken liebe simone (wendet sich zu Tanja und streckt ihr die Rassel entgegen) Tanja greift mit beiden Händen nach der Rassel: oh danke. aber das kann ich=n=annehmen, das ist doch so (.) (schön) (hält die Rassel Claudia entgegen) Claudia: das ist zwar mein glücksbringer, aber doch, sie sollen es annehmen Tanja: nein. niemals, ich kann doch nicht Claudia: doch ich kann mir immer wieder doch, das können sie Tanja: danke (schaut auf die Rassel in ihrer Hand) sehr, das ist sehr nett von Ihnen (schaut lange auf die Rassel) Claudia: ja ja Tanja: okay
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT (steht auf, legt die Rassel auf einen entfernten Stuhl und setzt sich wieder zu Claudia)
Tascha überreicht spontan der Moderatorin ihre Rassel. Durch das Geschenk wird die durch die einseitige Richtung der Hilfe hergestellte Machtverteilung der Sendung umgewichtet, wobei die emotionale Aufladung des Geschenkes als »glücksbringer« die Positionsstabilisierung der Schenkenden noch verstärkt. Das Verhalten der Moderatorin, die die Gabe spontan annimmt, doch dann über das Maß der Höflichkeit hinaus in Frage stellt und aus dem körperlichen Nahbereich ausgrenzt, führt erst ihre Ambivalenz, dann ihre Abwehr gegenüber der Neustrukturierung der Beziehungsfigur auf.
Talk Show »die armen kinder in afrika«: Rasselgabe Die Erwiderungspflicht der Gabe als wechselseitige moralische Transaktion, die soziale und moralische Beziehungen in sozialen Systemen herstellt und absichert, beschreibt Marcel Mauss anhand seiner Untersuchung von segmentierten Gesellschaften als »Potlatsch«. Er hebt hervor: »Die nicht erwiderte Gabe erniedrigt auch heute noch denjenigen, der sie angenommen hat, vor allem, wenn er sie ohne den Gedanken an eine Erwiderung annimmt. […] Milde Gaben verletzen den, der sie empfängt, und all unsere moralischen Bemühungen zielen darauf ab, die unbewusste schimpfliche Gönnerhaftigkeit des reichen ›Almosengebers‹ zu vermeiden.« (Mauss 1990: 157)
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Auch Wolfgang Schivelbusch unterstreicht, »dass mit jedem Geschenk im Grunde ein Angriff auf die Autonomie des Beschenkten enthalten ist« (Schivelbusch 1997: 186). Die Moderatorin inszeniert sich in der beschriebenen »Gönnerhaftigkeit«, doch Tascha durchkreuzt ihre Machtdarstellung, indem sie die Selbsterniedrigung einer unerwiderten Gabenannahme vorsorglich abwehrt. Zudem balanciert sie ihre immaterielle ›Gabe‹ des Schwesterntodes mit der Rasselgabe aus: Erstere kann in der sozialen Situation als negative Gabe im Sinne einer erwartungserfüllenden Rollenübernahme gekennzeichnet werden, die durch die positive Gabe der Rassel wieder ins Gleichgewicht gebracht wird. So unterläuft Tascha die Rollenzuweisung des ausschließlich hilfsbedürftigen Kindes und hebelt die Position einer gönnerhaften Gabenverteilung von Seiten der Moderation aus.
Unerfüllte Wünsche Die Moderatorin versucht sogleich, ihre Position wieder zu stabilisieren, indem sie an die Gabenmacht der Sendung erinnert: Tanja setzt sich auf den Stuhl, sitzt seitlich zur Kamera, den Körper Claudia zugewandt: also wir haben dich ja heute hergerufen um sie ein bisschen zu helfen und deiner familie und deswegen frage ich dich jetzt (beginnt mit linker Hand am Ohrläppchen zu reiben) was dein größter wunsch ist und wie wir dir helfen können Claudia: also (blickt nach unten) ich möchte gerne mal dass meine familie genug essen hat und dass ich sie. ernährn kann
Die Moderatorin weist darauf hin, dass das arme Kind »hergerufen« wurde, eine Formulierung, die einer feudalen Verfügung über Dienstboten entspricht, und verwandelt das familiäre Hilfsangebot in eine Wunschaufforderung an Tascha. Der Restabilisierungsversuch der Position der Moderation erfolgt in dem Hinweis auf die machtvolle Wunscherfüllungspotenz der Sendung. Die Individualisierung der Hilfe macht zudem televisuell Sinn, indem gnadenreiche Sender ihre Macht anhand von Hilfsangeboten inszenieren können. Im Rahmen der vorliegenden Talk-Show wird die Inszenierung der Macht mit der Verpflichtung zu dankbarer Hilfsbedürftigkeit verknüpft, eine spezielle Form der Gegengabe, anhand derer Abhängigkeitsbeziehungen und hiermit kulturelle Hierarchien in ihrer televisuellen Vorführung mimetisch eingewöhnt und kollektiv stabilisiert werden. Taschas Antwort bleibt dem Motiv des Hungers treu und richtet sich auf die Ernährung ihrer Familie. Während sie zunächst familiäre Sattheit 162
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wünscht, erweitert sie die Aussage betonend um ihre diesbezügliche Verantwortungsübernahme im Dienste der Gemeinschaft. Sie inszeniert auch hier die Rolle des »armen kindes« erwartungsgemäß im strategischen Einsatz der Betroffenheitsproduktion, im Falle des Schwesterntodes mit kindlicher Unschuld, nun mit selbstloser Kindesverantwortung. Diese wird von der Moderatorin aufgegriffen: Tanja:
ja, das ist schon sehr (.) sehr gut dass du nicht nur an dich denkst. und was wünschst du dir noch (reibt sich am Ohrläppchen) für dich alleine?
Die Moderatorin lobt die Selbstlosigkeit des Kindes, um es endlich von dieser abzuhalten: Sie fordert einen Wunsch »für dich alleine«. Hiermit verlangt sie im szenischen Kontext die Lösung des Kindes aus seinem familiären Zusammenhalt: »alleine«, was dessen Position deutlich destabilisiert und hiermit die Voraussetzung für dessen Neuausrichtung bildet. Was wünscht sich das arme Kind aus Afrika? Claudia:
Tanja:
ja ein tourist (blickt nach unten) der kam mal mit einer so komischen er hat gesagt das ist schokolade aber der wollte mir nix abgeben und der hat gesagt in deutschland gibts davon ganz viel und jetzt möcht ich dis mal probieren ja schokolade, ja?
Tascha wünscht Schokolade, dessen Gabe der Tourist in Afrika ihr vorenthielt, doch es nicht unterließ, auf den Schokoladenreichtum in Deutschland aufmerksam zu machen. In das gelobte Land der Wunscherfüllung, Deutschland, ist das »arme kind aus afrika«, wie der Zufall es will, nun eingeladen, um das Begehren nach der Süße des Reichtums zu formulieren. Als Konsumartikel, der nicht wirklich zu den Grundnahrungsmitteln gehört, symbolisiert Schokolade nicht nur Sattheit, sondern Überfluss an Sattheit. Dem Bild der Hungernden und Durstenden wird das Bild der im schokoladigen Überfluss Lebenden gegenübergestellt, dem Bild der aufopferungsbereiten Hilfsbedürftigkeit des afrikanischen Kindes das des zurückhaltenden Geizes des deutschen Touristen. Der Kontrastreichtum der eingesetzten Bilder ist in dem überfließenden Geiz des Touristen nicht nur stark moralisiert, sondern geradezu pervertiert: Der Tourist dringt in den fremden Kontinent, präsentiert sich in überfließender Sattheit und verweist die elend Begehrenden in das unerreichbare Deutschland. Das »arme kind« formuliert nach wiederholter Aufforderung vorsichtig ein sattes Assimilierungsbegehren in Form der Einverleibung der 163
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deutschen Reichtum symbolisierenden Schokolade. Wird sein Begehren nach Süße und materiellem Überfluss in der helfenden Wunscherfüllungs-Talk-Show gesättigt? Tanja:
aha. okay das werden wir jetzt mal gucken wie die jury arbeitet erst mal daran und wir gucken ma ob sichs machen lässt ja?
Die der Bedürfnisproduktion des Touristen folgende Erfüllungsverweigerung mit Deutschlandverweis wiederholt sich in der Verantwortungsabgabe der Moderatorin an die Jury, die »erst mal« an der Möglichkeit der Wunscherfüllung »arbeitet«. Das »wir«, das Hilfe versprach, wird zu einem »wir«, das (zu-)guckt (»wir gucken ma«), das nicht handelt. Von Schokolade ist in der Talk-Show nie wieder die Rede. Die Wunschaufforderung ohne Erfüllung zeigt das Anliegen, das »arme kind« als hilflos und abhängig vorzuführen, um die eigene Position als machtvoll und unabhängig herauszustellen. Mit doppelzüngiger Bedürfnisproduktion in einem angereizten und unerfüllten Begehren wird die grenzzstabilisierende Abhängigkeitsbeziehung vorgeführt, und in der vereindeutigenden Zuweisung der Armut nach Afrika kann sich Deutschland in der Rolle des Reichtums inszenieren. In der Talk-Show wird diese Rollenverteilung als performativ hergestelltes Bezeichnungssystem mit sicherheitsstiftenden Gewinn in die (deutsche) Welt gestrahlt und der Genuss des Reichtums in der vorführenden Ausgrenzung fremden Elends und in der Produktion begehrender Abhängigkeit sicher gestellt. Die Bilder, mit denen die Mädchen in der Inszenierung arbeiten, sind kontrastreich: Materieller Wohlstand wird mit Geiz (nicht erwiderte Rasselgabe, nicht geteilte Schokolade) und Verantwortungsabgabe (Deutschland, Jury), existentielles Elend hingegen mit Großzügigkeit (Rasselgabe) und Solidarität (Familienverantwortung) verknüpft. Zudem ist in der Belobigung der Selbstlosigkeit des Kindes durch die Moderatorin und in dem Deutschlandverweis durch den Touristen der nicht geteilte Wohlstand mit bemerkenswerter Arroganz gekennzeichnet. Und die Moral von der Geschicht’: In der Sattheit geht Solidarität und Mitgefühl verloren, die in der Armut bewahrt werden. Die Talk-Show zeigt, wie die Begegnung von Arm und Reich, in Afrika oder in der Talk-Show, zu keiner gegenseitigen Bereicherung führt, die Schokolade wird weder in Afrika noch in Deutschland geteilt. Vergemeinschaftung qua gemeinsamer Speise über kulturelle Grenzen hinweg findet ebenso wenig statt wie beim fremden Tee oder beim fremden Döner. Denn mit der geteilten Speise ist die Gefahr von Grenzverwischungen verbunden, so wie mit der Trennung kulinarischer Sphären und in der Ablehnung fremder Speise die Hierarchie kultureller Verhältnisse 164
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aufgeführt wird: In ihrer wiederholten Inszenierung werden die Sphären von reich und arm, von fremd und nicht fremd als Oppositionsverhältnis sozialeffektiv hervorgebracht und auf Dauer gestellt. Die Notwendigkeit der aufgeführten Grenzziehung beruht gleichwohl in der potentiellen Unsicherheit der Grenzverhältnisse, in ihrer Konstruktion. Entsprechend figuriert die nicht geteilte Schokolade die Stabilisierung kultureller Grenzen gegen die Gefahr ihrer Aufweichung, die der Akt der geteilten Speise aufführen könnte. Mary Douglas diskutiert die Thematik sozialer Gefährdung qua Grenzverwischung anhand der Speisegesetze bei Moses, in deren Achtung, so ihre Analyse, die göttliche Ordnung des Irdischen bestätigt wird. Die Zuschreibung von Reinheit von tierischen Nahrungsmitteln entspricht der Möglichkeit ihrer klaren Einordnung in geltende Klassifikationssysteme. Als unrein gelten entsprechend die Tiere des Wassers, die keine Schuppen und Flossen haben, oder die Tiere der Luft, die dennoch vier Beine haben, die allerdings Kennzeichen der Klasse der Tiere der Erde sind, oder die Tiere der Erde, die kriechen oder wimmeln und nicht auf ihren vier Beinen gehen (Douglas 1985: 52ff.). Die Interpretation Douglas’ macht auf die Verknüpfung von Speise und Reinheit deutlich, auf die auch die Inszenierungen der Kinder verweisen. Hier allerdings wird nicht eine Speise als rein oder unrein klassifiziert, sondern als Zeichen der Abgrenzung eingesetzt, das die ›Reinerhaltung‹ eines Kulturraums in der kulinarischen Abgrenzung inszeniert. Indem die fremde Speise in den Inszenierungen abgewehrt (Tee, Döner) bzw. die eigene Speise nicht geteilt wird (Schokolade), werden Grenzenlinien gezogen, Körper markiert und kulturelle Differenz als hierarchisiertes Verhältnis aufgeführt. Mit Douglas wird anhand der in den Inszenierungen zur Aufführung kommenden »Speisegesetze« die ›Reinerhaltung‹ des Kollektivkörpers sichergestellt. Der Körper wird zum Agenten der Differenz, anhand dessen die Gemeinschaftserhaltung als Abgrenzungsverhältnis vorgeführt wird.
Gabenverweigerung Ruah, das nächste »arme kind« (Dunja) sitzt auf ihrem Stuhl, die Hände unter den Oberschenkeln. Moderatorin Tanja sitzt ihr zugewandt, das Klangstab-Mikrophon hin- und herschwenkend. Auch sie wird nach ihrem Wunsch gefragt und antwortet: Dunja:
Tanja:
Dunja:
ich möchte @10 millionen mark@ (2) um eine um eine ähm helfgruppe=hilfgruppe zu (.) gründen, für=ä für die kinder in afrika wissen sie was was was mein=meinen sie was wir hier machen? aber ich bin ja schon ruhig also, haben sie geschwister? nein.
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VERKÖRPERTE MEDIEN Tanja: Dunja: Tanja: Dunja:
wie alt bist du? oder sind sie warum sind sie. ich bin doch ein kind ja deswegen frage ich sie doch auch müssen sie doch wissen wenn sie mich einladen Tanja sticht mit dem Klangstab-Mikro in Dunjas Mund, Dunja weicht lachend zurück, lacht. Dunja: @(fünfzehn)@ Tanja: @( )@ Dunja: zwölf Tanja: zwölf, okay zwölf (5) und welchen besonderen wunsch ha=hast du noch für dich alleine? Dunja: gar keinen (schüttelt den Kopf) nur dass es meine familie gut geht Tanja: also ich muss mal sagen, eine million können wir ihnen leider nicht geben (.) müssen sie schon einen anderen (.) denn wi=wir helfen ihnen hier grade und wir machen ( ) Dunja: ich hab zehn millionen gesagt Tanja: zehn millionen ist ja noch besser Dunja: also das können sie nich machen ( )@ Tanja nimmt sehr langsam das Mikro zurück.
Der Kommunikationsfluss zeigt sich stockend und beidseitig widerwillig. Ruah weist die Rollenzuschreibung der dankbar-untertänig Empfangenden in ihrer üppigen Geldforderung zurück und kennzeichnet sich durch Wunschlosigkeit – bis auf den Wunsch des Wohlergehens ihrer Familie (nicht nur deren Ernährung wie bei Tascha), der wie in vorheriger Szene nicht aufgegriffen wird. Wohl selber überrascht über die eigene Courage der groß angelegten Geldverlangens fügt sich Dunja wieder in die im Kontext der Sendung erwartete Rollenaufführung ein und begründet ihren Wunsch in der Gründung einer »hilf=helfgruppe [...] für=ä für die kinder in afrika«. Wie vordem Claudia wünscht nun auch Dunja, Verantwortung für ihren Kontinent zu übernehmen. Doch Moderatorin Tanja schlägt Dunjas Wunsch als Missverständnis ab: »wissen sie was was was mein=meinen sie was wir hier machen?«. Sie formuliert nun explizit die Verweigerung der Wunscherfüllung, wobei sie die eigene Hilfe zwar angibt: »denn wi=wir helfen ihnen hier grade und wir machen«, es allerdings in keiner Weise deutlich wird, worin dieses »machen« besteht. Im Gesamtkontext der Inszenierung zeigt sich dieses »machen« als ermächtigende Verfügungskontrolle in der Produktion und Verweigerung von Wünschen: Die Hilfe, die »wir machen«, besteht in ausgrenzender Bedürfniskontrolle. Während Tascha auf den individualisierten Wunsch in Form des (abgelehnten) Schokoladen-Assimilationsgesuches eingeht, verweist Ruah auf ihr familiäres Zugehörigkeitssystem und verortet sich hiermit im Paria-Status bezüglich der dominanten Kultur, die die Moderatorin vertritt. Während Ruah der Erwartungshaltung der Moderatorin nicht Folge leistet und die vertikale Positionsverteilung der Rollen in ihrem Verweigern 166
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und Überreizen ablehnt, löst sie in ihrem folgenden Kommentar die selbst gewählte widerständige Rolleninterpretation als Paria auf: Dunja:
@ich hab so eine krankheit, ich muss immer lachen@
Ruah versucht sich gegen die Moderatorin zu behaupten, doch indem sie ihre Anpassungsverweigerung als Krankheit kennzeichnet, weist sie ihre widerständige Haltung als (sozial) krankhaft aus und gibt die Verantwortung für ihre (lachende) Selbstpositionierung ab. Hannah Arendt stellt anhand der Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik Rahel Varnhagen dem verhaltensanpassenden Assimilationsversuch in die deutsche Kultur die Figur des Parias entgegen, den sie in seiner gesellschaftlichen Außenseiterrolle mit Urteilsfähigkeit, Unabhängigkeit und aufbegehrender Freiheitsliebe verknüpft. (Arendt 1997) Indem Ruah ihre Pariapositionierung in der Krankheitsbeschreibung zurücknimmt, greift sie das von Arendt in dieser Position verortete Kraftpotential der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit nicht auf und legitimiert in dieser nachträglichen Fügsamkeit die Position der Moderatorin und die asymmetrische Machtbeziehung.
Integrationsversuch Abschließend führt die Inszenierung doch noch einen Integrationsversuch vor. In der folgenden Szene, Claudia spielt die Moderatorin und Dunja weiterhin das arme Kind, wird ein geteiltes Getränk als Aufnahmeversuch in die Gemeinschaft eingesetzt. Dieses kann als Reaktion auf die Zurücknahme der Pariaposition Ruahs in vorheriger Szene gelesen werden. Die Szene beginnt wiederum mit der Frage nach dem »persönlichem wunsch«, dann wird die Thematik der Talk-Show inhaltlich etwas von der einseitigen Mangelbeschreibung des afrikanischen Kontinentes befreit, indem nicht mehr Hunger und Durst, sondern kulturelle Trinkgewohnheiten in den Blick genommen werden: Claudia schaut zu Dunja: aha (.) was trinkt ihr denn bei euch in afrika? (führt Mikrophon zu Dunjas Mund) Dunja schaut nach unten, schlenkert ihre Unterbeine: >wasser< (grinst, schaut nach rechts und dann wieder zu Claudia) Claudia führt das Mikrophon zum Mund: hast du schon mal so was so was ähm ähm was bei uns cola heißt getrunken? (führt Mikrophon zu Dunjas Mund) Dunja schaut Claudia an: was ist das?@ Claudia führt das Mikrophon langsam zu ihrem Mund: ja, also dis=is
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VERKÖRPERTE MEDIEN Tanja läuft aus dem Off zu Claudia, hält beide Hände seitlich an ihren Mund und an Claudias linkes Ohr, flüstert etwas. Claudia: ja ja ja (.) ja, Tanja läuft aus dem Bild. Claudia wendet sich zu Dunja: und jetzt wollen wir dich gerne mal was kosten lassen (schaut gerade aus) und du (machs ding ab) und jetzt kommt simone und bringt uns eine dose sprite (schaut Dunja an) und die darfst du höchstpersönlich probieren und we- und wenn Tanja öffnet im Hintergrund die Spritebüchse und geht sehr aufrecht auf Claudia zu: daa Claudia: und we- und wenn Tanja: bitte sehr (hält die Büchse vor Dunjas Gesicht, steht mit dem Rücken zur Kamera) Dunja greift nach der Büchse, die Tanja weiterhin festhält. Claudia: da=das nimmt man in die Hand so Tanja zeigt auf die Öffnung: und da trinkst du (führt die Dose an Dunjas Mund) Claudia: und da trinkst du draus Dunja übernimmt die Dose, trinkt mit zurückgelegtem Kopf und lacht dann prustend sich vornüberbeugend.
Ruah wünscht nicht Brause, wie vordem Tascha Schokolade wünschte, doch sie erhält Brause ungewünscht samt vorgeführter Bedienungsanleitung. Die Szene inszeniert kein unerfülltes Hilfsangebot, keine Wunschproduktion, sondern möglicherweise eine Integrationsaufforderung. Die Erkundigung nach Trinkgewohnheiten in Afrika beantwortet Ruah asketisch-knapp mit »wasser«, woraufhin sie nach ihrer Kenntnis westlicher Brausegetränke befragt wird. Sie fragt lachend »was ist das?«. Einfachheit (»wasser«) und Nichtwissen werden hiermit als Darstellungselemente des armen Kindes deutlich. Nun gilt es Moderatorin Claudia und ExModeratorin Tanja, das »arme kind« in die Kultur der Brausegetränke einzuführen. Ruah trinkt. Claudia und Tanja schauen andächtig zu. Ruah prustet lachend und beendet das Trinken. Der Vorgang erinnert an einen Akt der Initiation in die Welt sprudelnder Süße, von der Ruah »kosten« und »probieren« darf und die inszenatorisch ganz in den Gegensatz zur kargen Welt des Wassers gestellt ist. Die Büchse wird gemeinschaftskonstitutiv und friedenspfeifengleich herumgereicht, doch die körperliche Handlung reicht für die gültige Aufnahme in die Gemeinschaft nicht aus, die Initiandin muss sich zu dem Geschmack der Gemeinschaft bekennen: Tanja beugt ihren Oberkörper kurz nach vorne, lacht, führt die rechte Hand kurz an den Mund: und schmeckts dir, oder ist es viel zu süß? Tanja nimmt die Büchse und trinkt mit abgespreiztem kleinen Finger, dann nimmt Claudia diese und trinkt.
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Dunja:
was ist süß?@ (schaut zu Tanja)
Tanja fragt skeptisch, ob Ruah auf den Gemeinschaftsgeschmack gekommen ist. An ihrem Bekenntnis hängt die Mitgliedschaft an der Brausegemeinschaft. Ruah bleibt ihrem bereits vorher inszenierten Motiv des Nichtwissens treu. Sie, die soeben erst eine mögliche Rolleninterpretation des armen Kindes im Mittel des Nichtwissens gefunden hat (das wiederholte Lachen zeigt ihre Unsicherheit), kann diese nicht so schnell in eine um den gemeinsamen Geschmack der Gemeinschaft wissenden Kindes uminterpretieren. Tanja und Claudia reagieren mit genervter Empörung und Tanja verlässt das Bild. Das »arme kind« darf die süße Brausegemeinschaft »kosten« und »probieren«, doch ihr mangelndes situatives Verständnis (»was ist süß?@«) verwehrt ihr die Aufnahme in die Gemeinschaft. In der Inszenierung »die armen kinder in afrika« kommt es weder zu einem interkulturellen Prozess, einer geglückten und bereichernden Begegnung unterschiedlicher Kulturen und sozialer Verhältnisse, noch zur Unterstützung des von Armut gekennzeichneten Kontinents, noch zur wunscherfüllenden Hilfe der Kinder. Vielmehr kommt in der asymmetrischen Beziehung von Moderatorin und Studiogast die Produktion von kulturellen Differenz- und Abhängigkeitsverhältnissen zur Aufführung. Die Inszenierung setzt je mit der Destabilisierung der Position der Kinder ein und führt zu dem Assimilationsgesuch des ersten Kindes, Tascha, der abgelehnt wird: Ihr wird die Schokolade verwehrt, die die Aufnahme in die Gemeinschaft der Reichen als Genuss versinnbildlicht und in dem körperlichen Akt des Schokoladenverzehrs vollzogen werden würde. Die Szene ist durch die widerständige Pariapositionierung des zweiten Kindes Ruah kontrastiert, die diese Selbstverortung dann allerdings als krankhaft zurücknimmt. Die Inszenierungen der Destabilisierung der Position der »armen kinder« durch Bedürfniskontrolle in der unerfüllten Wunschproduktion bereiten das Feld vor, auf dem der missglückte Akkulturationsversuch qua Initiation in den Brausegeschmack der Gemeinschaft vorgenommen wird. Der Integrationsversuch scheitert an dem situativen Unverständnis des »armen kindes«. Dieses allerdings gründet wiederum in den vorangegangenen Destabilisierungsversuchen ihrer Position, die verunsichernde Effekte auf ihre Rolleninszenierung haben, auf die sie mit der Inszenierung von Unwissenheit reagiert. Die Strukturnähe der Inszenierung zu den Schönheits-Talk-Shows der gleichen Gruppe ist deutlich. Die Inszenierungen des fremden Körpers der Gruppe Schönheit sind im Gegensatz zu der ein-Frau-Inszenierung Nofras aus der Gruppe Model von vereindeutigenden Abgrenzungsstrategien des fremden Körpers getragen, die kulinarisch gezogen und 169
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mit überpointierten und klischeehaften Bildern gezeichnet werden. Die inszenierte Übersteigerung vereindeutigender Bilder tritt auch in den Schönheitsinszenierungen auf: die hässlichen Frauenkörper, die durch groteske Verkleidungen inszeniert und markiert werden – zu dicke Leiber und verwahrloste Kleidung – und von den schönen schlanken recht gekleideten Frauen mit Job und Geld und Anerkennung abgegrenzt werden. In allen drei Inszenierungen (Abnehmen, Klamotten, Afrika) fällt Dunja wiederholt aus dem Spiel mit den Bildern: Sie fällt aus dem Rollenspiel, was zu Eskalationen in der Gruppe führt. Tanja hingegen treibt das vereindeutende Spiel mit den Bildern voran und reagiert unwillig auf Dunja, die dieses Spiel wohl weder mitspielen will noch mitspielen kann. Die Inszenierung übersteigerter Bilder steht im Kontrast zu den Inszenierungen der grotesken Körper der Jungengruppen: In der Mädchengruppe Schönheit werden übersteigerte Bilder inszeniert, die grotesk anmuten mögen, doch kein grotesker Körper als hyperbolischer, entgrenzender Leib sind. Vielmehr werden die überzeichneten Bilder kontrastiv gegeneinander gestellt und gerade keine Entgrenzungen, sondern ganz im Gegenteil die Stabilisierung vereindeutigender sozialer und kultureller Grenzziehungen inszeniert.
Angriff In den Gruppen Schönheit und Lust werden Banküberfälle inszeniert, und die Jungengruppe Lust markiert die Körper der »räuber« als fremde Körper. Wie wird in den beiden Inszenierungen die Bedrohung der Ordnung der Gemeinschaft durch das Eindringen in ihr symbolisches Zentrum mit welchen auch geschlechtsdifferenten Implikationen in Szene gesetzt? Die Banküberfallinszenierung der Gruppe Lust ist von großer affektiver Involviertheit der Jungen in die Spannung ihres Spiels gekennzeichnet, und die im Raum vorhandenen Pappröhren kommen diesmal nicht mehr für die Inszenierung von Megagenitalien zum Einsatz, sondern als Schusswaffen, unterstützt von einer von den Jungen mitgebrachten Plastikpistole. Die einzelnen Szenen erfahren eine fortwährende Dynamisierung, und es kommt zu mehreren Banküberfallexzessen. Es besteht kein vorab besprochener Handlungsablauf, sondern sein fortwährendes Entstehen, Verwerfen, Kommentieren und Neuerfinden. Der Krimi besteht aus verschiedenen Szenen, die im Laufe seines Fortgangs kurz besprochen werden, wobei einige Schlüsselwörter für den jeweiligen Fortgang ausreichen und es nie zu einer detailreichen Vorabsprache kommt.
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT »her mit der kohle!« Krimi, Gruppe Lust Pierro, der Bankangestellte, sitzt vor einer Schrankwand, die die Bank darstellt, einige Stühle markieren deren Eingangsbereich. Yavas und Dursum spielen die Räuber, Dursum mit einer Maske vor dem Gesicht. Die Räuber rennen auf die ›Bank‹ zu, Dursum hält Pierro eine Pistole vors Gesicht, Pierro geht in Schräglage und lacht. Dursum: los her mit der kohle, los. aufstehen. Pierro steht auf, geht eine Leiter hoch, wühlt in im obersten Fach der Schrankwand. Dursum schmeißt einige Stühle um: hier (er wühlt in den Sachen, die auf einem Stuhl liegen, neben dem Pierro gesessen hat, hebt ein Schulheft hoch und geht auf Pierro zu) idiot du. ( ) runter auf den boden. hinlegen. runter auf den boden. hinlegen. los runter; runter (drückt Pierro zu Boden) Yavas hält, sich der Situation nähernd, die Pistole auf Pierro gerichtet: soll ich ihn schon erschießen? Dursum stellt einen Stuhl über Pierro, dieser liegt nun zwischen den Stuhlbeinen: nein, noch nicht (dreht sich zum Stuhl und nimmt die dortliegenden Sachen) Yavas schaut zur Kamera, die Unterlippe bewegend. Dursum: los, abhauen. Dursum geht schnell aus dem Bild, Yavas dreht sich um. Dursum: shit, die bullen kommen. Dursum und Yavas laufen zur Tür.
Banküberfall: Macht der Vertikalen In der Szene wird die Inszenierung von Macht und Ohnmacht räumlich geordnet. Pierro sucht das mit Waffeneinsatz geforderte Geld in den Höhen des Schrankes, doch Dursum findet zu seiner Befriedigung ein Schulheft unter den Papieren auf Pierros angedeutetem Schreibtisch. Pierros Handeln verbindet spontan Geld mit Höhe, Dursum hingegen zwingt in der gegenteiligen Bewegungsrichtung den Bankangestellten zu Boden, begleitet von einem viermaligen »runter«. Die Macht des begehrten Geldes in der Höhe des Schrankes steht im Spannungsverhältnis zu der Ohnmacht des in der Stuhlkonstruktion verkeilten Bankangestellten und die körperliche Unfreiheit des Bankangestellten gegenüber der Vision finanzieller Freiheit. Räuber Dursum folgt dem Bankangestellten nicht in die Höhe, er findet eigenmächtig ein scheinbar gesuchtes Schulheft: Sein Handeln führt die ertragreiche Skeptik eines Räubers auf, die nicht auf das Handeln anderer vertraut. Er inszeniert sich im Selbstermächtigungsprinzip, das eigenen Gesetzen folgt. Er verbindet in seiner Handlung Macht weniger mit Höhe als mit Selbsttätigkeit, die sich in der Niederzwingung des Bankangestellten zeigt, nicht aber dieser erwächst.
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Banküberfall: »her mit der kohle« Die Jungen spielen mit körperlicher Unterwerfung, die keineswegs anschlusslogisch den gespielten Schüssen und Kämpfen folgt, doch sie spielen nicht das Erschießen des Bankangestellten: Die Notwendigkeit der Tötung wird abgelehnt, während die körperliche Handlungsunfähigkeit des Bankangestellten sichergestellt wird. Hier mag Respekt vor dem Leben sprechen, doch sowohl die Frage von Yavas »soll ich ihn schon erschießen« wie die Antwort von Dursum »nein, noch nicht« zeigen, dass eine Tötung als Verfügungsgewalt über die körperliche Niederwerfung hinaus durchaus in der Macht der Räuber steht. Dursum führt sich als Walter über Leben und Tod auf, doch dass die Tötung des Bankangestellten in ihrem symbolischen Gehalt dem Entwurf des inszenierten Banküberfalls widersprechen würde, zeigt das Ende der Inszenierung. Sowohl der Aufruf zur Flucht wie, selbstindiziert, der Ausruf des Nahens der Polizei erfolgt durch die Bankräuber. In der Szene sind die Rollen der Räuber und der Regie nicht getrennt, die Jungen folgen einem längst verinnerlichten Skript, in dessen gemeinsamer Vertrautheit sie inszenieren. Sie legen den Hüter des Geldes unter den Stühlen still und flüchten dramatisierungsnotwendig vor den Hütern des Gesetzes. Alsbald erscheint Timar der Kommissar auf dem Schauplatz des Geschehens: »wo sind die räuber? was ist passiert?« und beginnt eifrig, nach Fingerabdrücken zu suchen.
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Reportage: Potenzverlust Spontan wird eine Berichterstattung in Nachrichtenformat und in einem gleitenden Rollenwechsel Dursums inszeniert, die den bisherigen Stand der Dinge zusammenfasst: Dursum:
so, ich bin der reporter, (1) hallo:, wir sind bei dem tatort hier, (geht ein Stück zu Seite, nickt leicht mit dem Kopf nach links) bei der schwanzbank. wir sehen, was für ein schaden dort ist (2) Lachen aus dem Off. Dursum: hier ischt peter joachim, ahmed, schabur, (1) bin hier mit meinem kolläche michaelanus sviriano. der hauptmafiaboss moräne dorada miäde italia, der wurde nicht erwischt, schade. schalten sie wieder ein bei (1) panol sieke. dankeschön (geht aus dem Bild)
Reporter Dursum befindet sich am Tatort der »schwanzbank«. Mit dieser Wortschöpfung verknüpft er männliche Genitalität mit dem Ort des Geldes, eine Verbindung von Geld und Genital, die auch in sozial- und geisteswissenschaftlichen Theoriebildungen üblich ist. Die Verknüpfung kann an dieser Stelle auf zwei Arten interpretiert werden: • entweder als symbolische Äquivalenz von finanzieller und genitaler Potenz, eine Annahme, mit der sowohl Geld wie Genital Männlichkeit symbolisiert, • oder als symbolische Verschiebung von einer genitalen auf eine finanzielle Inszenierung von Männlichkeit mit der These, dass mit der Geldwirtschaft nicht mehr das Genital, sondern das Geld für Potenz steht. Der Überfall auf die Bank trifft im Modell der Verschiebung das symbolische Zentrum potenter Männlichkeitsinszenierung, und die Gefahr des Banküberfalls besteht weder darin, dass materielle Werte entwendet werden, noch dass die Bank als ›Stellvertreter‹ männlicher Potenz betroffen ist (Äquivalenzmodell), sondern der Banküberfall trifft das ›Herzblut‹ der Inszenierung von Männlichkeit, deren Symbolisierung sich mit der Geldwirtschaft von körperlichen auf finanzielle Zeichen verlagert hat, wie Sabine Grenz in ihrer Studie über Prostitution aufzeigt. Sie weist mit von Braun auf den Zusammenhang zwischen der Prostitution und der Geldwirtschaft hin und stellt heraus: »Dem abstrakten Zeichen Geld, das historisch mit Fruchtbarkeitskulten in Verbindung steht, in denen die Kastrierung von Stieren eine große Rolle spielte, wurde durch die Prostitution erneut Materialität verliehen. Es wurde (und wird)
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also versucht, die durch die (symbolische) Kastration bedingte Aufgabe sexueller Fruchtbarkeit an anderer Stelle wieder einzuholen, so dass in Phasen extensiver Geldwirtschaft auch die Prostitution zunahm bzw. -nimmt.« (Grenz 2005: 31f.)
In dieser kulturhistorischen Argumentation wird eine symbolische Verschiebung von einer genitalen auf eine finanzielle Fruchtbarkeit festgestellt, die einer symbolischen Kastration gleichkommt. Dieser Interpretation würde in der Inszenierung des Banküberfalls gerade die Abwesenheit inszenierter Phalli entsprechen, die sonst in und von der Gruppe so lustvoll in Szene gesetzt werden, und über die Interaktionsebene hinaus erklären, warum es zu keinen Genitalinszenierungen kommt: Genitale Potenz ist in Form des Geldes in der Bank verkörpert und darin aufgehoben (im doppelten Sinne des Wortes), und der Banküberfall führt den »schaden« der »schwanzbank« als symbolische Kastration auf. Die televisuelle Inszenierung von Banküberfällen ist in dieser Perspektive die ständige Wiederholung des symbolischen Traumas des genitalen Potenzraubs. Während die Aufführung und Darstellung von Weiblichkeit (als Konstruktion), wie die Inszenierungen der Mädchengruppen zeigen, direkt als Körperinszenierung verhandelt wird und die Inszenierungen sich an den in Deckung gebrachten Kategorien Weiblichkeit, Schönheit und Körperlichkeit abarbeiten, ist den Betroffenen des Banküberfalls der Körper als potentes Zeichen verlustig gegangen. Der Reporter, der am »tatort hier« berichtet, weist auf den »schaden dort«. In seinem Abrücken aus dem Bildzentrum macht er Platz für die imaginierte Aufnahme des Schadenfalls, zu dem er mit dem Kopf nickend weist. Mit dem nachgestellten »dort« scheint er nicht nur auf den Schaden zu weisen, sondern sich von diesem (als Junge) auch zu distanzieren. Er gibt keine weiteren Hinweise bezüglich des Schadens, der als zu imaginierendes Bild die Evidenz sichtbar macht – »wir sehen, was für ein schaden dort ist«, doch als Trauma nicht verbalisierbar ist. Der Reporter erweitert sodann seine Berichterstattung um den nicht erwischten »hauptmafiaboss [...] italia«. Mit dieser Figur wird eine Inszenierung von Männlichkeit aufgerufen, die sich als Befehlshaber in eigener Gesetzgebung aufführt – und mit der das Geld entwischt ist... Da Dursum selbst einen der beiden Räuber spielt, führt er die entwischte genitalpotente Männlichkeit mit der eigenen Rolle zusammen, was dem Abrücken von dem Schaden der »schwanzbank« in dem Bild der Berichterstattung wiederum entspricht. In dem Dokumentarfilm Das Phantom von Corleone. Dem letzten Mafia-Paten auf der Spur von Marco Amenta über den realen und seit über vierzig Jahren gesuchten »hauptmafiaboss« Italiens Bernardo Pro-
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venzano zeigen sich anhand der Aussagen des Hauptermittlers und des Staatsanwaltes zwei diametral entgegengesetzte Sichtweisen in der Verfolgung der Mafia. Der Hauptermittler vertritt das Differenzmodell, in dem die Mafiosi das Böse verkörpern, dem die Polizisten die strahlende Reinheit ihrer Seele entgegenhalten sollen. Der Staatsanwalt hingegen spricht von dem Mafiosi als »mitten unter uns«, der, psychoanalytisch gesprochen, den unerlösten Teil in uns verkörpert, und der von der Gesellschaft ebenso gesucht wie geschützt wird. Die Verwendung des Xenolekts durch den Reporter verweist nicht nur auf die multiethnischen Hintergründe der Gruppe, sondern wird zudem in ›brenzligen‹ Situationen als verbal-spielerische Distanzierung von einem kommentierten Geschehen eingesetzt. Dies kann als ironischdistanzierendes Rollenspiel auf die unangenehme Situation des Potenzverlustes »hier« bezogen sein, auf den Einbruch des Genitalzeichens potenter Männlichkeitsinszenierung. Indem Dursum gleichzeitig den Hauptmafiaboss, sich selbst und seinen Kollegen mit den ähnlich klingenden wundersamen Namen ausstattet (»peter joachim, ahmed, schabur«, »kolläche michaelanus sviriano« und »hauptmafiaboss moräne dorada miäde italia«) und auch gleich alle spielt (wobei Kollege »siriano« nicht auftritt), ist deren Verbundenheit ausgewiesen. Dursums Rolleninszenierungen sind allgemein von vereindeutigenden Männlichkeitsinszenierungen geprägt, wie insbesondere in der abgrenzenden Vorführung der uneindeutigen Puppe David deutlich wird. Seine spontane Inszenierung einer Berichterstattung weist somit noch einmal auf die männliche Konnotation dieses Sendeformates.
Kampf: Verfügungsgewalt über Körper Einem aufgrund preislicher Differenzen nicht erfolgreichen Versuch, das Geld in Drogen anzulegen, und einem erfolgreichen Waffengeschäft – die Polizei interessiert sich hierbei weder für Waffen- noch für Drogenhändler, was anzeigt, dass im Kontext der Inszenierung nicht der Handel als ahndungsnotwendig gilt, sondern der Grenzübertritt, der Diebstahl, die Räuberei ohne Gegengabe – folgt eine dramatische Verfolgungsjagd zwischen den Bankräubern und der Polizei: Timar zieht die Pistole aus der Hose: hände hoch, sie sind verhaftet (er zieht Yavas am Arm) auf den boden, auf den boden! (er versucht, Yavas auf den Boden zu ziehen) Ulak: auf den rücken (er kämpft mit Dursum, fällt dabei auf den Boden und stößt sich den Kopf) Constanze: h::::, Dursum: ihr schweine, Yavas greift sich den Koffer mit Waffen und eine Posterpappröhre und läuft zur Tür, schaut sich nach Dursum
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VERKÖRPERTE MEDIEN um, der kommt hinterher, greift ebenfalls eine Pappröhre. Timar feuert seine Pistole ab. Yavas rennt aus der Tür, Dursum stürzt hinterher und feuert sein Pappröhre auf Timar ab. Der schießt zurück und Dursum fällt zu Boden. Timar steigt über ihn, schaut in den Flur. Dursum: komm her los, (1) du schwein du (hält sich seinen Kopf, stöhnt ein wenig, Timar feuert seine Pistole auf ihn und dann in den Flur ab) Constanze: das war ganz schön heftig, oder? Timar: ich hab dich getroffen, Dursum bewegt sich am Boden: du schwein du. Timar feuert wieder auf Dursum und dann in den Flur. Dursum: okay, okay (hält sich den Kopf mit beiden Händen) Mehmed kommt mit der Kamera, steigt über Dursum und filmt zur Tür hinaus. In diesem Moment kommt Yavas zur Tür hinein, Dursum schützt seinen Kopf und hat sich auf den Bauch gedreht, Yavas greift Timar an den Schultern, der über Dursum läuft. Die Tür fällt zu, Mehmed öffnet sie wieder und kommt zur Tür hinein. Dursum: hau ab Timar schießt weiter auf Yavas und Dursum. Dursum steht auf, den Arm und die Hand erhoben: stop stop bleib stehen okay okay (nimmt seine Hände hoch) Timar: auf den boden Dursum legt sich langsam auf den Boden. Yavas beugt sich Richtung Boden. Timar: auf den boden! (greift Yavas am Rücken und drückt ihn zu Boden) Dursum: was soll das, wir habe nichts getan. Timar: boden. hände auf den rücken. Dursum: ich bin unschuldig, Timar steht zwischen Dursum und Yavas, zielt auf Dursum: hände auf den boden Dursum: was willst du von mir, du? Timar: aufstehn (zieht Dursum an der Jacke nach oben) du auch aufstehn Yavas steht auf. Timar hält beide an den Jacken fest: wir gehen in meinen wagen. Dursum greift Timar am Hals und zerrt ihn zu Boden. Yavas befreit sich von Timars Griff. Dursum legt sich auf Timar, der sich versucht zu wehren. Die Pistole fällt zur Seite, Yavas greift sie sich und stellt sich vor Timar und Dursum. Dursum: ah daneben Timar: aaah (greift sich an den Kopf) Dursum: meine schulter. lass, stop. okay okay, das spiel ist vorbei (liegt auf Timar und schaut zu Yavas) Timar: sie sind verhaftet (zeigt mit dem Finger auf Dursum und Yavas) Dursum: wir sind umzingelt. Timar: jetzt hab ich euch (löst sich aus der Klammerung von Dursum) (scheiße, er hat meine waffe) Yavas läuft aus dem Zimmer. Timar läuft hinterher. Dursum liegt auf dem Boden, seine Schulter haltend: du hast keine munition bleib hier boss (stößt mit dem Fuß gegen einen Stuhl) du idiot du
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Timar kommt wieder ins Zimmer, hält die Tür zu, hat das Handy ans Ohr gedrückt: yo, ( ) bin unterwegs in der brighteverin-straße, okay? Yavas kommt zur Tür hinein, hält die Pistole auf Timar gerichtet, es beginnt ein Verfolgungsjagd um den Projektor, durchs Zimmer, zur Tür hinaus, Yavas kann Timar fangen, hält ihm die Pistole an den Hals und den Arm um den Hals. Dursum kommt hinzu: nein, johnny, big boss, tu es nicht, wir sind umzingelt. wir müssen rein, lass ihn Timar: also, gib die knarre her Dursum nimmt den Koffer und gefolgt von Yavas gehen sie ins Zimmer. Timar zielt mit der Pistole auf die Beiden und geht hinter ihnen: jetzt habt ihr keine chance mehr. eine bewegung und ihr seid fällig. ab in den wagen. ab in den wagen. Dursum und Yavas setzen sich an der linken Wand auf Stühle. Timar steht vor ihnen, mit der Pistole in der Hand, lacht. Dursum: was willst du?
In dem wilden Wechsel von Verhaftungen, Schießereien und Verfolgungsjagden führen die Kontrahenten in einer Art ›Handlungsfloskelei‹ ihre Auseinandersetzung auf, deren Intensität die Forscherin dennoch erschrocken reagieren lässt. Dabei ist die in Szene gesetzte Differenz der Kontrahenten, Polizei und Räuber, in dem gemeinsamen Interesse der Verhaftung der Räuber aufgehoben: Während Timar immer wieder die Verhaftung ausruft, unterstützt ihn Dursum, indem er Yavas zur Raison ruft, der die Position der Räuber zu stärken versucht. Die Ausrufe Dursums betreffen einerseits die Umzingelung, andererseits den Munitionsmangel von Yavas. In dem Bild der Umzingelung wird auf die situative Ausweglosigkeit der Räuber hingewiesen, die durch den Munitionsmangel als Reduktion der Wehrhaftigkeit noch verschärft wird. Die die Kämpfe auszeichnenden Schusswechsel setzen demgegenüber die wehrhafte Verteidigung der Kontrahenten in Szene, die ihren Aktionsradius zu sichern versuchen, indem sie den der anderen eindämmen. Ein Vollzug, den Peter Sloterdijk in der Terrain sichernden und Abstand und Abgrenzung produzierenden Wurfaktivität des prähistorischen Menschen verankert, die heute im schusswechselwütigen Actionfilm reinszeniert wird: »Wenn wir bedenken, dass die ersten ›Grenzen‹ nicht gezogen, sondern geworfen wurden […], dann wird die archaische Suggestivkraft von Schusswaffen im allgemeinen und der Feuergefechte im Aktions-Kino im besonderen sehr plausibel« (Sloterdijk 1994: 23). Der Kampf ist von einem verbalen Konglomerat aneinander gereihter Floskeln begleitet, die im Eifer des Gefechts mitunter neue Kombinationsmöglichkeiten erfahren: »auf den rücken« (Ulak) oder »hände auf den boden« (Timar). Es geht um die Verfügung über die Körper der Räuber, 177
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wie auch die Auf-forderungen: »auf den boden«, »auf den rücken«, »aufstehen«, »hände auf den rücken«, »hände auf den boden« deutlich machen. Die inszenierte vertikale Machtverteilung ist in der herausgehobenen Positionierung der Hände verdichtet, denn die mit dem aufrechten Gang freigestellten menschlichen Körperwerkzeuge zeigen in ihrer unterbundenen selbständigen Verfügungsmöglichkeit die ›Schach matt‹Stellung des Gegners an. In der Verfügungsgewalt über Körper wird die skulpturale Markierung von Recht und Unrecht ins Bild gesetzt. Die körperliche Erniedrigung ist als soziale Degradierung Voraussetzung für die Ab-führung, erst »ab in den wagen«, später »ab in die zelle«. Die Symbolkraft ist deutlich: In der aufgeführten Holzschnittkonstruktion von ›Gut‹ und ›Böse‹ führt ein erniedrigend zu Boden gezwungener und abgeführter Räuber eine sich siegreich durchsetzende und verlässliche Polizeigewalt und die dingfest gemachte und personifizierte Gefahr sozialer Unordnung auf. Die inszenierte Verteidigung und Absicherung sozialer Ordnung beruht in der Fragilität sozialer Gefüge, deren Verteidigungs- und Sicherungssysteme auf stete Bedrohung hinweisen, die in einem Banküberfall als Bankräuber figuriert werden, und konstruiert und stabilisiert hierbei eine Ordnung des Sozialen, die sich von einer (konstitutiven) Unordnung (= das ›Böse‹) kämpferisch abgrenzt. Die Jungen inszenieren männlich konnotierte kämpferische Auseinandersetzung, ohne dass sich in den Gruppensituationen Momente der Rivalität zeigen würden. Hiermit gilt der Banküberfall insbesondere in den exzessiven Verfolgungsjagden der stabilisierenden Inszenierung einer männlichen Geschlechtsidentität. Der Kampf der Kontrahenten führt in dieser Perspektive die immer unvollendet bleibende und sich daher auch stets wiederholende Selbstbehauptung eines, mit Sloterdijk, werfenden Subjekts auf, ohne den Wurf notwendigerweise als eine auf Konstruktionen und Identifikationen beruhende Hervorbringung eines sich grenzziehend absichernden Subjekts zu erkennen. Die mit dem Hauptmafiaboss entkommene genital symbolisierte Männlichkeit wird in dem siegreichen Kampf der Polizei auf die Staatsgewalt verschoben. Insofern ist es inhaltlich nachvollziehbar, dass sich gerade Dursum, der wie erwähnt wiederholt eindeutige Männlichkeitsinszenierungen vorantreibt, sich auch als Räuber für den Sieg des Polizisten einsetzt.
Verurteilung: Monarchische Gesten Der Identifizierung der Räuber, anschlusslogisch anhand der bei dem Banküberfall getragenen Teufelsmaske, folgt die Urteilsverkündung: Timar geht zu Yavas: okay, sie sind verhaftet, alles was sie sagen kann vor gericht gegen (greift nach Yavass Händen)
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Yavas: ey yo mann, yo mann, ich will meinen anwalt. Timar lacht: sie können sich @ sie können sich (winkt zu Mehmed) Dursum: @ah, lacht sich über den kaputt man, Timar greift Yavas an der Jacke und zerrt ihn nach vorne: sie können sich einen anwalt suchen Yavas stupst Timar weg, der stolpert etwas nach hinten: fassen sie mich nicht an, Timar: oh, wow, wow, wow, (greift Yavas an der Jacke) kommen sie (zieht Yavas vom Stuhl) hau ab, ab in die zelle Dursum ist aufgestanden und Timar stupst beide in den hinteren Raum. Timar: okay, sie können sich einen anwalt besorgen. Dursum: ich fick dich (bewegt seine Arme zuerst auf sich, dann auf Timar) Timar hält sein Handy ans Ohr, zunächst leise: psychiatrische anstalt, okay, jeden tag (1) jede stunde (1) wasser und brot (zeigt auf Yavas, dann auf Dursum) für euch beide. (1) mehr nicht! schnitt, und jetzt zehn jahre später.
Der wiederum verkündeten Verhaftung in Übergehung der angedeuteten Rechtssprechung folgt die Absonderung aus der Gemeinschaft. Für die Räuber gilt ab nun »psychiatrische anstalt« bei »wasser und brot«. Yavas und Dursum inszenieren sich als widerspenstige doch geschlagene Räuber, und Timar setzt sich mit dem monarchischen Gestus dessen in Szene, der das Gewaltenmonopol innehat. Die explizite Zurschaustellung der exekutiven Gewalt stellt Timars Männlichkeitsinszenierung aus. Trotz der Genehmigung von Yavas’ Anwaltsforderung spricht Timar das Urteil, als sich Yakub dessen körperliche Nähe qua Jackengriff verbal und handgreiflich verbittet. Das anfangs noch angedeutete ordnungsgemäße Verfahren kondensiert sich kurzerhand zu Timars autoritärem – und unwidersprochenem – Zellenverweis, der sich nicht nur auf die Tat des Banküberfalls bezieht, sondern auch Yavas Ungehorsam ahndet. Die Wiederherstellung der in Timars Sinne verstandenen Ordnung unterstreicht er mit dem wiederholten Griff nach Yakups Jacke, und die Genehmigung des Anwalts (1.: Lachen, 2.: »sie können sich einen anwalt suchen«, 3.: »okay, sie können sich einen anwalt besorgen«) zeigt neben der wahrscheinlich altersgemäß noch nicht verstandenen historischen Bedeutung der Gewaltenteilung die Verfügung über die eingeforderten Rechte der Räuber, mit anderen Worten, das inszenierte Verständnis der siegreichen Macht als herrschende Allmacht. Als Vertreter von Recht und Ordnung kann sich Timar im Gegensatz zu den Beschuldigten körperliche Übergriffe leisten und Recht sprechen. Die Höflichkeitsform der Anrede »sie« entspricht einem formalen Aufgreifen der Rechte der Räuber und verschiebt sich der Machtinszenie179
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rung Timars entsprechend in Laufe der Szene in dem Zellenverweis (»hau ab«) und der Verkündigung des Strafmasses (»für euch beide«) in eine degradierende Verwendung des Du. Nach der Verhaftung scheint es in der Logik der Inszenierung keine Notwendigkeit einer Verteidigung zu geben. Die Beweislage scheint klar, wie auch Timars absolute Gewalt, die den Verweis auf rechtliche Möglichkeiten nur pro forma aufgreift. Die Lust der Inszenierung gilt der Allmacht auf Seiten der Polizei und der Ohnmacht auf Seiten der Räuber, sie gilt der Verfügung über die Beschuldigten, die sich von der körperlichen Ebene (Verhaftung) auf die räumlich-zeitliche Ebene (Verurteilung) ausdehnt. Dursum scheint es sich in seiner Räuberrolle zur Aufgabe gestellt zu haben, sich nicht an bürgerlichen Rechts-, Geschmacks- oder Höflichkeitsvorstellungen zu orientieren: Die Anwaltsgenehmigung wird mit »ich fick dich« kommentiert, später wird er bei einem Cafébesuch Kaffee mit Salz trinken wollen (und doch Kaffee mit Zucker serviert bekommen), und bei der widerwilligen Identifizierung der Räuber qua Teufelsmaske fordert er wiederholt seine Erschießung. Yakup hingegen fordert den Anwalt, wie er auch schon während des Kampfes mit der Polizei nicht an seiner Verhaftung arbeitet. Während Yakup selbsterhaltende Räuberinteressen vertritt, spielt Dursum konfrontative Räubermanieren vor, indem er normative Verhaltens- und Geschmacksvorstellungen unterläuft. Dies mag durchaus eine lustvolle Übersteigerung seiner Vorstellung von Männlichkeit als Inszenierung von Autonomie und Unabhängigkeit sein. Die Verwendung altmodischer Begriffe wie »räuber«, die Kerkerbedingungen »wasser und brot« und der monarchische Herrschergestus Timars (und auch der Jagdverweis der Inszenierung Skelett) weisen weniger auf die Inszenierung eines modernen Banküberfalls, als mehr auf die Inszenierung eines ›Historienschinkens‹. Hierzu steht im Kontrast das eingesetzte Handy, an dem konspirativ das Strafmass ausgehandelt wird, das jedweden kulinarischen Genuss in der Zeit der Strafe verweigert (wobei eine nur täglich verabreichte Ration von Wasser und Brot Timar wohl doch zu drastisch erscheint und auf »stündlich« hochgesetzt wird, was aber auch einen misslungenen Versuch der Verstärkung des Strafmasses darstellen kann: »mehr nicht!«). Als Ort der Strafe wird die »psychiatrische anstalt« benannt, in der Bestrafungslogik Timars die wohl dramatischste Raumzuweisungsoption, die nicht durch ein psychisch auffälliges Verhalten der Räuber motiviert ist. Die Räuber werden an den Ort der Wider-norm gebannt. Die Folgenlosigkeit der zehnjährigen Strafe ist gleichwohl unangefochten: Die Räuber räubern nach zehn Kerkerjah-
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ren unverzüglich weiter, mit die körperliche Vergänglichkeit markierenden Kajalfalten in den Gesichtern. Michel Foucault stellt in seinem berühmt gewordenen Bild aus Überwachen und Strafen (1977) zwei Machtinszenierungen gegenüber, das die historische Transformation der Besetzung des Körpers qua Strafpraktiken verdeutlicht: Der Monarch stellt seine Macht aus, indem er sich selber anhand der malträtierten Körper der Bestraften ins Rampenlicht setzt. Diese Form der personifizierten Zurschaustellung von Macht verschiebt sich in der Zeit der Aufklärung, indem moderne Straftechniken mit Unsichtbarkeit operieren, die als potentiell ständige Beobachtung von den Beobachteten antizipiert und zur Selbstbeobachtung wird: das Panoptikum. Die Macht des Monarchen wird nicht mehr über die blutige Bestrafung der Körper zur Schau gestellt, und die Objekte und Ziele des Strafens verschieben sich, indem sie in komplexe Wissensnetze verflochten werden: »Die alten Mitspieler des Straf-Festes, der Leib und das Blut, räumen den Platz. Auf die Bühne tritt eine neue Person – verschleiert. Eine gewisse Tragödie ist zu Ende, es beginnt eine Komödie mit schattenhaften Silhouetten, gesichtslosen Stimmen, unbetastbaren Wesen. Der Apparat der Strafjustiz hat es nun mit dieser körperlosen Realität zu tun.« (Foucault 1977: 26)
Der Beobachter, der Scharfrichter werden in ihrer sozialen Funktion verinnerlicht, und die Strafgewalt als körperliche Zurschaustellung ihrer Macht an den Körpern der Bestraften braucht nicht mehr in vorgenannter Weise aufzutreten, da sie bereits auf der inneren Bühne der Akteure anwesend ist, die durch die Verschiebung der Strafpraktiken mit hervorgebracht wird. Die plastische monarchische Strafjustiz trifft sich in Timars Handykommunikation mit ihrer Entkörperung. Denn wenngleich Timar mit monarchischem Gestus auftritt und die Inszenierung insgesamt eher das Modell des Rampenlichts als das des Panoptikums zur Schau stellt, bringt er das Urteil in Absprache mit dem medial vernetzten Kollektiv hervor, das als machtvoller Richter unsichtbar und entkörpert waltet. Er überantwortet die Entscheidung in einer Ausdehnung der Foucaultschen These dem unsichtbar-vernetzten Kollektiv.
Identifikation: Symbolische Farbwahl Aufgrund der wiederum flüchtigen Räuber sammelt der zum »polizeioffizieragent dici« avancierte Timar Beschreibungsmerkmale der Beschuldigten. In dem selbsternannten Namen »dici« verdichtet sich ein noch körperlich gebundenes und Sieg verkündendes ›veni vidi vici‹ entspre-
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chend der Handykommunikation zu einem ›er sprach‹. Der »polizeioffizieragent dici« verkörpert die Macht des gesprochenen Wortes, wie der »hauptmafiaboss« die flüchtige Männlichkeitsinszenierung potenter Genitalität. Diese Sprachgewalt – Recht und Ordnung – muss gegen die Genitalgewalt – Raub und Unordnung – durchgesetzt werden. In der Entwicklung der Inszenierung werden die Elemente einer Männlichkeitskonstruktion von einer körperlich-genitalen über eine finanzielle auf eine sprachliche Ebene verschoben, wobei letztere immer noch auf der Suche nach ersterer ist: Timar: David: Timar: David: Timar: David:
[…] Timar: David: Timar: David: Timar: David: Timar: David:
@keke können sie die leute be- also beschreiben?@ ja, und haarfarbe? haarfarbe, beide schwarz, ähm weiter, ähm einer hatte, hier son schnurrbart, (greift mit der linken Hand an seine Oberlippe) und hier unten son bisschen, (greift an sein Kinn) (2) und der andre, und was hatte er noch an, also jeans, oder so, ja er hatte, weiße schuhe, weiße schuhe, hm, und der andre, hose aus, und der andre, (2) hatte schwarze schuhe, hm hm, weiter der andere hatte son bisschen hellere hose, farbe dunkel, dunkelwas? dunkelschwarz? dunkelblau, so.
Im Kontext der Namensgebung Timars ist die nun sprachliche Orientierung der Szene nicht überraschend. Täterbeschreibung: Haare schwarz, Schnurr- und Ziegenbart, schwarze und weiße Schuhe, »hellere hose, farbe dunkel,« schwarze »knarre« aus Titan, Kaliber neun Millimeter. Die erwähnten Farben zeichnen sich insbesondere durch Farblosigkeit aus und befinden sich fast ausschließlich im Bereich dunkel und schwarz, inklusive der Schusswaffe, die bekanntlich gerne für das männliche und potente, das heißt schussbereite Genital steht. Metaphorisch gilt der Steckbrief nicht der Suche nach den Bankräubern, die für den Verlust einer Männlichkeitsinszenierung qua Genitalpotenz haftbar gemacht werden, sondern dieser Inszenierung von Männlichkeit selber, der sich nun qua sprachlicher Erfassung anzunähern versucht wird. Die Beschreibung gilt den Körpern der Beschuldigten, die gleichwohl nicht zur Ergreifung der Täter führt, sondern, wie sich gleich zeigen wird, in den nächsten Banküberfall mündet.
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Zudem spricht die Symbolik der Farbwahl eine eigene Sprache: Der Einsatz des Dunklen gilt nicht nur filmisch gemeinhin der Darstellung der Schattenbereiche, des Undurchsichtigen und Ungeklärten, des Reichs der Gefahr und des Todes, wie das Helle der Darstellung des Reinen, Schönen, Guten. (Finlay 2002: 129ff.) Entsprechend wird die »son bisschen hellere hose« in der Täterbeschreibung schnellstmöglich in die »farbe dunkel« verwandelt, was noch einmal farbspezifizierend abgesichert wird. Schwarz ist zudem im physikalischen Sinne nicht als Farbe verstanden, sondern als Abwesenheit von Licht; Licht, Metapher für Bewusstheit. Das einzige, was bei der Täterbeschreibung nicht dem Bereich des Dunklen zugesprochen wird, sind die weißen Schuhe. In ihrer Erdnähe führen sie Distanz zum Schmutz der Erde auf, Unabhängigkeit von den Niederungen der Arbeit, und suchen den unbefleckten Reichtum zu symbolisieren, für den Mafiosi gerade nicht stehen.
Banküberfall: Auferstehung von den Toten Nach der Aufnahme der Zeugenaussagen kommt es zum nun wirklich letzten Banküberfall. Laut Vorbesprechung der Jungen sollen die Räuber erschossen werden: Dursum:
ey boss, diesmal unser letzter banküberfall, ohne maske (stupst Yavas leicht mit dem Arm) ja, wir nehmen eine geisel mit. damit sie uns nichts tun. Yavas: hm, komm. Dursum: los, wir gehen jetzt los. Yavas und Dursum gehen auf Pierro zu, der auf einem Stuhl in der Bank sitzt. Dursum: guten tag, wir hätten hier gern ein konto. Pierro: ja? Dursum: ja. Pierro: mit zinsen oder ohne? Dursum legt einen Chip vor Pierro auf den Tisch: nein, never good Pierro nimmt den Chip und schaut ihn sich an. Dursum beugt seinen Oberkörper leicht zu Pierro und legt seine linke Hand auf dessen Schulter: wer will eine auskunft bitte. stehen sie auf (zieht Pierro am Pullover nach oben) los. Pierro steht auf und geht mit Dursum an die rechte Wand, Yavas geht hinter ihnen. Dursum: °tun sie ganz unauffällig° (drückt Pierro auf einen Stuhl) banküberfall und auf den boden. los, (sch ) geh zu denen rüber. ich bleib hier (nimmt Klebeband aus der Tasche) Yavas geht ein Stück nach links in den Raum. Dursum klebt Pierros Hände und Beine an dem Stuhl fest. Pierro grinst. Dursum klebt Pierro den Mund zu. Timar steht mit der gezogenen Pistole hinter einen Schrank und lädt seine Pistole. Yavas geht zu Pierro und Dursum. Dursum: ja guck, dass sie keine scheiße bauen man. Timar läuft in den Raum:
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VERKÖRPERTE MEDIEN keine bewegung oder ich schieße. stop, ich hab=ne geisel. ich brech ihm das genick (hat die Hände um Pierros Hals gelegt, zieht Pierros Kopf zu sich) Pierro: hm, hm, Timar: auf den boden. angreifen (er läuft auf Dursum zu) auf den boden Dursum hat Pierro losgelassen und kommt ein Stück auf Timar zu, das Klebeband in der Hand: nein man, du wichser du (geht auf Timar) Timar schießt auf Dursum, geht einige Schritte zurück: auf den boden Dursum: nein. Timar schießt weiter auf Dursum. Mehmed versteckt sich hinter einem Stuhl und zielt mit einem Pappröhregewehr auf der Schulter in Richtung Dursum und Timar. Dursum: wa, wa, (fällt zu Boden) Timar schießt noch zweimal auf Dursum. Yavas stürmt auf Timar zu. Timar schießt mehrmals auf Yavas, geht einige Schritte zurück. Yavas fällt auf den Boden. Dursum steht wieder auf und stürzt auf Timar zu. Timar läuft einige Schritte nach links. Dursum läuft hinter Timar her und greift seinen Hals mit der rechten Hand. Dursum:
Nach dem fingierten Kontoeröffnungswunsch, bei dem Dursum Pierros Zinsangebot ablehnt: »nein, never good«, ähnlich der Szene mit dem verzuckerten Kaffee oder dem Geld in der Höhe wohl auch in der Vermutung eines Hinterhalts, wird der Banküberfall eröffnet. Doch auch wenn Pierro diesmal keine Polizei alarmiert, springt Timar in die von Räubern bevölkerte Szene: »keine bewegung oder ich schieße«. Die Geiselnahme Pierros durch Dursum beeindruckt ihn wenig, woraufhin Dursum die Geisel loslässt und erschossen wird. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Überfällen strahlt dieser vor inhaltlicher Stringenz. Sein zentrales Element gleichwohl wiederholt sich: Vielgestaltige Verfügungsversuche über Körper. Räuber Dursum verfügt über den Bankangestellten Pierro, »auf den boden«, und verklebt diesen bis zur Bewegungsunfähigkeit. Timar verfügt über die Räuber »auf den boden. auf den boden«. Räuber Dursum sieht die Notwendigkeit dieser Aussage nicht wirklich ein: »nein man, du wichser du«, woraufhin er und sein Kollege Yavas erschossen werden, doch Dursum wieder aufersteht und nach Timar greift. Bezeichnenderweise endet an dieser Stelle das Videoband, doch es kann vermutet werden, dass die endlose Spirale von Angriff und Verteidigung auch in dieser Gruppe kein abschließendes Ende gefunden hätte. Der Banküberfall geschieht nicht, die Polizei siegt über die Räuber, die Gefahr kann abgewendet werden, und der Bankangestellte überlebt, während die Räuber getötet werden. Doch Dursum ersteht auf von den Toten und vergreift sich an dem Polizisten. Die hergestellte Sicherheit ist nur eine scheinbare. Die Inszenierung von Männ184
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lichkeit kann sich nicht allein auf ihre sprachliche Erschaffung verlassen, die Ebene des Körperlichen holt sie wieder ein, die Dursums Auferstehung als Räuber der »schwanzbank« aufführt. In der Inszenierung der Banküberfälle mit zweifelhaftem Happy End werden zwei soziokulturelle Bereiche thematisiert: Erstens die Bedrohung der Gemeinschaft und ihr erfolgreiches Überleben, zweitens der symbolische Verlust einer an körperliche Potenz gekoppelten Inszenierung von Männlichkeit. Bedrohung und Sieg der Gemeinschaft: Anhand der siegreichen Polizeigewalt wird die erfolgreiche Wiederherstellung und Absicherung der sozialen Ordnung dargestellt. Die Ordnung fußt unter anderem auf der Verfolgung und dem Ausschluss derer, die sich nicht an die Regeln der Gemeinschaft halten und ihren Zusammenhalt hierdurch bedrohen. Die Bank verwahrt und akkumuliert Geld und eignet sich trefflich als Repräsentations- und Präsentationsinstanz der Gemeinschaft, ihren Reichtum darzustellen und ihren Zusammenhalt zu symbolisieren. Es liegt nahe, an diesem symbolischem Zentrum der Gemeinschaft die Grenzziehung zu verhandeln, die über die Mitgliedschaft an und die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft bestimmt, wobei zudem die Prinzipien und Techniken der Ausgrenzung gruppenstabilisierende Effekte haben (wie auch die plastischen Szenarien der Bedrohung, wenn sich der gemeinschaftliche Zusammenhalt angesichts der Gefahr verdichtet und nicht zerfällt). Für die Hervorbringung, Aufführung und Darstellung sozialer Ordnungsmechanismen und speziell der sozialkonstitutiven Dualität von ›Gut‹ und ›Böse‹ bedarf es der steten inszenatorischen Wiederholung und Absicherung dieser Konstruktion, die ihre mediale Darstellung unter anderem in der Inszenierung von Banküberfällen findet. Symbolischer Verlust genitaler Körperlichkeit: In dem Raubüberfall auf die Bank wird die Verschiebung potenter Männlichkeitsinszenierung vom Genitalen auf das Finanzielle symbolisch in Szene gesetzt. In der Allmacht des »polizeioffizieragent dici« wird als neue Macht der Männlichkeit die Sprache ganz im Sinne des zivilisatorischen Abstraktionsprozesses eingesetzt: geistige Fruchtbarkeit. Der Krimi der Jungen thematisiert die ›dunkle‹ Seite der Konstruktion von Männlichkeit, das Trauma des »schadens« der »schwanzbank«, das weder durch die Bestrafung der Beschuldigten, noch in ihrem Tod, noch in einer sich siegreich einsetzenden Männlichkeitsinszenierung behoben werden kann. Im Bild der Inszenierung: der »hauptmafiaboss« bleibt flüchtig. Der Fluss des Gelds und der Sprache sind die neuen Samen potenter Männlichkeitsinszenierung, doch diese sind von der Körperlichkeit selber entkoppelt. Die ständige televisuelle Wiederholung des Traumas hält den Verlust genitaler Männlichkeitsinszenierung der Erinnerung wach und inszeniert als Ge-
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winn in der Unterwerfung der Körper der »räuber« die Macht der Sprache. Verallgemeinert formuliert führen die Jungen den Zivilisationsprozess als Kastrationsprozess auf. In und durch die Inszenierung drücken sie ein kulturelles Entwicklungsschema in erstaunlicher Präzision aus, das in seiner Aufführung und Darstellung wiederholt und aktualisiert wird. Die aktualisierende Besonderheit dieser Inszenierung liegt in der Handykommunikation, die den monarchischen Gestus als kollektive Abstimmung in Szene setzt und eine entkörperte Männlichkeitsinszenierung in einer entkörperten Rechtssprechung – Rationalität, Sprache, Beweisführung – unterstützt und diese zugleich spiegelt. Wie inszeniert die Mädchengruppe einen Banküberfall? »mir torkeln alle sinne…« Krimi, Gruppe Schönheit Tanja steht links im Bild, ein schwarzes Tuch über dem Kopf, ein buntes über den Schultern, in der rechten erhobenen Faust ein Messer. Claudia sitzt unverkleidet rechts im Bild auf einem Stuhl und hinter einem Stuhl, auf dem Papiere liegen. Tanja rennt mit dem auf Claudia gerichteten Messer auf diese zu. Tanja: geben sie mir ihr geld! Claudia zieht den Kopf ein und hält ihr die Papiere hin: hier. Tanja: ne::j: (beugt sich zu Claudia und flüstert ihr etwas ins Ohr) Claudia: hä? Tanja tritt einen Schritt zurück, trampelt mehrmals auf: @oh ma:::n@ Dunja: macht mal nochmal einfach Claudia steht auf, geht zu Tanja, kurze geflüsterte Zwischenbesprechung. Claudia: ach so ja genau (hebt die Hände, geht wieder zu ihrem Stuhl und setzt sich) warte, jetzt komm, jetzt komm angerannt. du musst doch nochmal zurückgehen. Dunja: okay jetzt Tanja geht zurück: nee, nee und dann schnappen sie mich dann Claudia: ja:. Tanja läuft mit auf Claudia gerichteten Messer auf diese zu: geben sie mir ihr geld! Claudia lässt die Papiere unter den Stuhl fallen und schaut Tanja an. Tanja singend: nö.nö? nö.nö?@ nö.nö?@ [simulierte Polizeisirene] (schüttelt die Arme in der Luft, dreht sich um) @aaaah hilfe@ (beginnt zu laufen, lässt sich zu Boden fallen, dreht sich zu Claudia) du musst jetzt die polizei
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Claudia:
okay. (steht auf, geht auf Tanja zu) im namen (klatscht dabei in die Hände) des gesetzes, sie sind fest@genommen Tanja: @okay@ (krabbelt auf allen Vieren über den Boden) Claudia folgt ihr, versucht die Arme zu greifen: ºhände auf den rückenº Tanja streckt das linke Bein hoch. Claudia greift nach dem linken Arm, Tanja legt beide Arme auf den Rücken, Claudia ergreift die Hände, zieht Tanja hoch. Claudia: okay, sie sind festgenommen Tanja: ja: Claudia: ja, toll, des ( ) Tanja steht auf, geht leicht vornübergebeugt und guckt grinsend-leidend in die Kamera guckt, während sie mit den Armen auf dem Rücken von Claudia durch den Raum geschoben und in einen Stuhl geschubst wird. Claudia: also, also, sie legen sich hier hin (drückt Tanja auf den Rücken, dass sie mit dem Oberkörper auf der Sitzfläche des Stuhles liegt) Tanja quietscht. Claudia geht um den Stuhl, steht schräg vor Tanja. Tanja: @ºbei mir torkeln alle sinneº@
Der Raubüberfall auf die Bank wird in zwei Anläufen mit der Tatwaffe Messer (im Gegensatz zu den vielfältigen genitalsymbolischen Schusswaffeneinsätzen der vorherigen Inszenierung) und verbalen Geldforderungen durchgeführt. Allerdings ist Räuberin Tanja eher daran interessiert, überführt zu werden, denn an Geld zu kommen – ein Geldaustausch kommt überhaupt nicht vor. Auch hier geht es weniger um die Inszenierung des Verbrechens, als um die inszenierte Aufrechterhaltung der Ordnung in der Überführung der Täter. Tanja arbeitet eifrig an ihrer Ergreifung, indem sie unangetastet zu Boden fällt und die Bank daran erinnert, die Polizei zu rufen. Bei ihrer Festnahme bewegt sie sich krabbelnd vorwärts und wird dann in die Horizontale verlagert. Daraufhin torkeln der Täterin »alle sinne«. Auch hier findet sich die Inszenierung von Recht und Unrecht als räumliche und körperliche Positionierung. Dabei führt Tanja in der selbstgewählten kleinkindlichen Krabbelposition die Selbstunterwerfung zunächst als Regression auf, noch bevor sie festgenommen wird: Sie begibt sich in eine Altersstufe, in der sie für ihre Handlungen strafrechtlich nicht belangt werden kann. (Widerwilliger war die unterwerfende Positionierung der Hände und Körper in der Ergreifungsszene der Jungeninszenierung, die die Handlungsunfähigkeit körperlich markiert, ähnlich allerdings Dursums Engagement an der Ergreifung der Räuber.) Das engagierte Vorantreiben ihrer Ergreifung und insbesondere die kleinkindliche Krabbelei auf dem Boden weist auf ein lustvolles Potential der Unterwerfung, das noch in dem verbalen Ausruf der torkelnden Sinne gesteigert
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wird. Diese steht viel deutlicher im Zentrum der Inszenierung als die vielfältigen Verfolgungsjagden der Jungeninszenierung. Jessica Benjamin begründet eine Disposition zu willfähriger Unterordnung und zur Unfähigkeit, eigene Wünsche und Selbsttätigkeit auszuleben, psychoanalytisch in der nicht eindeutigen Möglichkeit von Mädchen, sich mit der Mutter zu des-identifizieren, da es, im Gegensatz zu Jungen, kein äußeres Merkmal der Ablösung gibt (was thematisch bereits in der Konkurrenzsituation der schönen Tochter Tatjana und der noch schöneren Mutter Bärbel auftrat). Weiblicher »Masochismus ist Ausdruck der Unfähigkeit, die eigenen Wünsche und die eigene Selbsttätigkeit auszuleben. In der Unterwerfung soll auch noch die Erfüllung des eigenen Wunsches als Ausdruck eines fremden Willens erscheinen. Die Masochistin verzichtet auf ihren eigenen Willen, weil sie Unabhängigkeit als gefährlich erlebt.« (Benjamin 1999: 79)
Diese ›Entwillung‹, die sich mit Benjamin im weiblichen Masochismus ausdrückt, fasst Tamara Musfeld als »Fesselung weiblicher Kraft und Potenz durch das Tabu der Aggression«: »Abgrenzung, Stärke und das Zeigen eigener Kraft scheinen aufgrund spezifischer Konfliktkonstellationen und der gesellschaftlichen Bilder von Weiblichkeit mit destruktivem Hass und zerstörerischen Formen der Aggression verwechselt zu werden. Das führt dazu, dass selbst das Erleben und Qualifizieren eigener Aggression und Wut als Destruktion erlebt werden. Beides, aggressive wütende Gefühle oder Handlungen der Selbstbehauptung führen dann zu tiefen verunsichernden Schuldgefühlen.« (Musfeld 2001: 11)
Die Unterwerfung Tanjas unter die selbst aufgerufene Autorität der Polizei mag einen weiblichen Masochismus inszenieren, der freiwillig auf eine kleinkindliche Entwicklungsstufe regrediert, um der Verantwortung einer grenz- und normüberschreitenden Selbsttätigkeit und Selbstbehauptung zu entgehen. Das verwendete Messer steht in der Traumsymbolik für Aggressionsstau (Vollmar 2000: 186f.), Pistolen hingegen werden als männliches Sexual- und Aggressionssymbol gelesen, das »immer mit Macht und Durchsetzungsvermögen zu tun hat« (Vollmar 2000: 211). In dieser Perspektive führt die Pose der Regression verbunden mit dem die Szene einläutenden Einsatz des Messers kraftunterbindende Selbsttätigkeit und die Abgabe von Verantwortung auf. Der inszenatorische Einsatz der Mittel wird durch das mehrmalige Lachen und Grinsen distanzierend markiert. Gleichwohl steht es im Kontrast zu der expliziten Inszenierung
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von Selbsttätigkeit in der Jungeninszenierung (die für ihre Inszenierung die Pistole sogar schon mitbrachten). Die thematisierte nicht ausgelebte Kraft hat körperliche Effekte: Die Wahrnehmungsklarheit gerät in der Torkelei der Sinne durcheinander, und die klare Sicht auf die Dinge geht verloren. Der gemimte Schwindelanfall kann in Analogie zu der »psychiatrischen anstalt« als Ort der Strafe in der Inszenierung der Jungen gesehen werden. Doch während dort die Körper der Täter an den Ort der Widernorm gebracht werden, wird der Körper des Mädchens selbst zu einem solchen Ort! Die Hysterie gilt als der ›Antiort‹ des Weiblichen, das a-logische Aufbäumen gegen die körperdesintegrierende Logik des Verstandes, gegen die symbolische Ordnung (von Braun 1994), sie zeigt die fließenden Grenzen zum Unbewussten. Die sinnliche Torkelei ist der Ort der Strafe, den sich das Mädchen selber wählt.
Zusammenfassung Mit der Markierung fremder Körper werden verschiedene Formen der Gemeinschaftskonstitution inszeniert, die in dem subjektiv-sinnhaften Gemeinschaftshandeln deutlich gezeichnet sind. Modell der vorführenden Abwehr: In den Inszenierungen der Gruppe Schönheit werden die armen afrikanischen Kinder und die Dönerverkäuferin Fatima abgrenzend vorgeführt, um sich des ›eigenen‹ satten Reichtums zu vergewissern. Gleichzeitig wird in den Prozessen der Ausgrenzung des ›Anderen‹ das ›Eigene‹ hervorgebracht und stabilisiert. Die soziale Funktion der Vorführung dient der degradierenden und stigmatisierenden Hervorhebung sozialkultureller Unterschiede, anhand derer sich die ›eigene‹ Kultur als machtvoll und überlegen inszenieren kann, ohne explizit auf sich selbst zu verweisen. In beiden Inszenierungen wird die Abgrenzung kulinarisch gezogen, indem symbolische ›Vermischungen‹, die eine geteilte Speise aufführen würde, unterbunden werden. Wie anhand der geteilten Speise der Gemeinschaftskörper versammelt und inszeniert wird, werden anhand der nicht geteilten Speise in der Analogie von individuellem und kollektivem Körper die Grenzen der Gemeinschaft sehr anschaulich gezogen. Ganz im Gegenteil zu einer geteilten Speise werden auf die ›fremde‹ Gemeinschaft ungewollte oder verdrängte Momente der ›eigenen‹ – wie Armut und Sexualität – projiziert. Strukturgleich führt die Gruppe Stigmatisierungen bereits anhand dicker, unschöner Frauenkörper vor, Frauen ohne Arbeit und Anerkennung, die ebenfalls als Abgrenzungsfolie herhalten müssen, um auf die ›gute‹ da sozial erfolgreiche und hierin gemeinschaftskonstitutive Körpernorm zu verweisen. Während hier allerdings der normgerechte schöne Körper als Orientierungsmodell selbst inszeniert wird, werden fremde Körper aus-
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grenzend vorgeführt, ohne dass ihr ›Gegenmodell‹ ins Bild gesetzt wird. Hier orientiert sich die Gemeinschaftsbildung nicht an einem ebenso normativen wie phantasmatischen Bild des schönen Frauenkörpers, sondern formiert sich in den ritualisierten Praxen der ›Bezeichnung‹ des Fremden. Da hierbei weniger die Verfahren der Zuschreibung in den Blick geraten, als vielmehr markierte Körper, liegt die Macht der Zuschreibung gerade in ihrer Unsichtbarkeit und den auf die ›eigene‹ Gemeinschaft rückwirkenden gemeinschaftskonstitutiven Effekten. Dass Tanja in der Dönerwerbung die Markierung als Kamerafrau vornimmt und zugleich aufnimmt, veranschaulicht diesen Prozess auf ganz besondere Weise: Die Rolle der Moderation verkörpert ein öffentlichkeitswirksame Position der Macht, von der aus Zuschreibungen vorgenommen werden können, ohne hierdurch ›angreifbar‹ zu werden. Modell der ambivalenten Abwehr: Demgegenüber zeigt Nofras Teewerbung die Selbstbezüglichkeit gemeinschaftskonstitutiver Ausgrenzungsprozesse. Hier gilt die Inszenierung nicht einer vereindeutigenden und die eigene Position stabilisierenden Vorführung der Fremden. Vielmehr werden die Ambivalenzen und Widersprüche der wechselseitig aufeinander bezogenen Konstruktionsprozesse des Fremden und des Eigenen deutlich. Die Elemente des Konstruktionsprozesses lassen sich nicht trennen und eindeutig zuordnen. Zwar wird auch hier das ›vermischende‹ Getränk ausspuckend abgewehrt, was eine Inkorporierung des ›Fremden‹ als Gefahr inszeniert und gleichzeitig ironisch bricht. Doch die Inszenierung führt in ihrem gekreuzten Bezugsverhältnissen vor, dass das, was getrennt werden soll, schon immer auf eine ›Vermischung‹ hinweist. Modell der lustvollen Abwehr: In der Banküberfallinszenierung der Gruppe Lust ist hingegen das Bild des ›Fremden‹ als Räuberbande rund um den »hauptmafiaboss […] italia« mit einer durchaus reizvollen da körperlich durchsetzungsfähigen Männlichkeitsinszenierung verknüpft, der gegenüber die Macht des Gesetzes, was ebenso heißt: die Macht des Wortes als siegreich inszeniert wird bzw. werden muss. Die kämpferische Auseinandersetzung zwischen ›Gut‹ und ›Böse‹, dem alten Modell der Dualität, ist ebenso lustvoll aufgeladen wie männlich konnotiert. Es geht es um männliche Geschlechtsidentität, die dynamisch in den Überfällen und Verfolgungsjagden, personal in der Gegenüberstellung der Kontrahenten dargestellt wird. Diese entsprechen zwei sehr unterschiedlichen Männlichkeitsmodellen: dem ›Körpermann‹ mit Faustrecht (Räuber), und dem ›Kopfmann‹ mit Gesetzesrecht (Polizei). Der ›Körpermann‹ als Gesetz brechende und hierin ›böse‹ Männlichkeit wird als fremder Körper inszeniert, was in der tradierten Vernetzung der Konstruktion des Bösen und des Fremden gründet. Diesem gegenüber ist die
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Inszenierung einer ›guten‹ Männlichkeit von der Macht des Wortes getragen, an die sie allerdings ihre ›Körpermacht‹ abgegeben hat. Die Inszenierung der Figur des Fremden hat hier ebenso wie in der Gruppe Schönheit die Funktion der Verkörperung des Abgewehrten. Doch gegenüber den dortigen moralisch verdrehten Stigmatisierungsprozessen ist hier die Verkörperung durchaus lustvoll. Dies begründet sich in den unterschiedlichen sozialen Funktionen der Inszenierungen: einerseits geht es um vorführende Abwehr als fremd oder unschön markierter Körper zwecks eigener Machtstabilisierung, andererseits um aktualisierende und legitimierende Erinnerung der Abgabe und, sagen wir, Transzendierung der ›Körpermacht‹ an als fremd markierte Körper. Im Vergleich hierzu ist auch der Banküberfall der Gruppe Schönheit in der inszenierten Geste der Unterwerfung durchaus lustvoll, eine Geste allerdings, die in den anderen Inszenierungen der Gruppe in Degradierungszeremonien und Ausgrenzungsverfahren auf Unschöne und Fremde übertragen wird.
Annäherung: Sexuelle Körper Leidenschaft Sexualität ist im (Nacht-)Fernsehen ausführlich und bildreich thematisiert – eher im Gegensatz zu dem realen Erfahrungsschatz der Kinder. An der Schwelle zum Jugendalter zeichnen sich in der kindlichen Interaktion im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften unterschiedlich offensive Annäherungsversuche an das Feld der Erotik und Sexualität ab. Sie machen den vierten thematischen Inszenierungsbereich der Gruppen aus. »ruf mich an« Werbung, Gruppe Mix Binol steht links im Bild mit erhobenem Arm, besprayt die Achsel mit einem Deodorant und grinst. Güley, mit einer schwarz-weißen Federboa um den Hals, läuft auf die Achsel Binols zu: hm:::, stinkt gu:::t! (entfernt sich von Binol, zur Seite schauend, spricht, den Kopf weich hin- und herschwenkend, rhythmisch, betont und mit der Tonlage nach oben gehend) ruf, (.) mich, (.) an? Im Hintergrund Maria am Klavier singend: null-hundert-neun-zig
Die Produktwerbung für das ›gut stinkende‹ Deodorant verschiebt sich in ein Werbezitat für telesexuelle Dienstleistungen. Güley reagiert auf Binols Sprayen, indem sie sich dem intimen Ort seiner ›geöffneten‹ Achsel nähert (die Inszenierung entwickelt sich ein wenig nach der Werbung für 191
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das degradierte Deodorant Arschparfum in Groteske Körper). Nach der mit dem Riechen aufgebauten Nähe zu Binol und der kokett zweideutigen Unterstreichung seiner geruchlichen Anziehungskraft entfernt sich Güley aus dem geteilten Geruchsraum und spricht singend und sich körperlich wiegend »ruf, (.) mich, (.) an?«. Dass den Kindern das Zitat wohlbekannt ist, zeigt Marias spontane ›Einblendung‹ der entsprechenden Telefonnummer am Klavier. Während im ersten Teil der Inszenierung der Junge das Objekt des Begehrens darstellt, spielt Güley im zweiten Teil mit einem Zitat, mit dem Frauenkörper als Begehrensobjekte beworben werden, und zwar in eindeutiger Zielrichtung. Indem Güley die komprimierte Aufforderung televisueller Sexwerbungen beleiht, spielt sie im Einsatz eines sexualisierten Körpers mit Imaginationen sexuellen Begehrens. In der Verknüpfung von Zitat, wiegenden Körperbewegungen und der eingesetzten Federboa inszeniert Güley einen verführerischen und begehrenswerten Frauenkörper. In der Verwendung des eindeutig sexuell konnotierten Zitats setzt Güley ein starkes Mittel sozialer Aufmerksamkeitswerbung ein, die von der körperlichen Distanznahme zu dem Jungen begleitet ist und in ihrer Ausrichtung ohne Fokus bleibt: Güley schaut niemanden an, weder die anderen Gruppenmitglieder noch die Kamera. In der Niederwerfung des Blicks mag eine kokettierende Scham liegen. Doch der als begehrenswert inszenierte Körper, der das Angesehen-Werden fordert, öffnet seinen Blick keiner Begegnung. Güleys Einsatz des werbenden Zitates widerspricht dem gesenktem Blick – und unbedingt den fernsehmedialen Vorbildern, in denen der Blick der Frauen als Strategie der Aufmerksamkeitswerbung inszeniert wird, die in einem drastischen Machtgefälle den Blick der Betrachtenden bindet und in Kombination mit spezifischen Körper-, Hand- und Zungenbewegungen auf die entsprechenden, ›ansprechenden‹ Körperteile lenkt. Der stimulierende Blick wird von Güley nicht aufgegriffen, ein leichtes Lächeln nur deutet eine Distanzierung zum eingesetzten Zitat an. Das Zitat fungiert als Provokation und als Schutzraum, es bringt das im ersten Teil der Werbung eingeführte Thema einerseits auf den Punkt (oder auf einen Punkt), andererseits lenkt es von der Intimität der konkreten Situation ab: Anhand der inszenierten Telesexualität verdeckt die Protagonistin der kurzen Werbung reale Beziehungen und Wünsche. Denn Güley setzt das Zitat, das sie ›zitatgetreu‹ mit einem verführenden Körper ausstattet, in dem Moment ein, in dem sie sich von dem grinsenden und seine Achsel darbietenden Jungen entfernt. Das heißt, dass der riechenden Annäherung sowohl der körperliche Rückzug wie der Aufruf zum Anruf folgt. Dabei scheint Güley die tabunahe Verlaufsfigur der Inszenierung
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an dieser Stelle eher zu unterlaufen, als dass sie sie führt. Die Annäherung an den Jungen scheint wie ›zwangsläufig‹ in eine Inszenierung von Verführung und sexualisierter Aufmerksamkeitswerbung zu gleiten. Möglicherweise distanziert sie sich mit dem gesenkten Blick von der Inszenierung, in die sie driftet. Aus dieser Perspektive würde der zurückgezogene Blick eine Form körperlicher Abwehr bedeuten, aus Scham oder Angst oder Unverständnis mit dem von ihr gewählten Spiel. Güley setzt einen begehrenswerten Körper ein, den sie nur mimt; sie kann einen Jungen gut riechen, fordert ihn auf und entzieht sich. Sie spielt nicht mit der Rolle, sie schützt sich durch die Rolle. Anhand des Zitats kann Güley die Attraktion formulieren, wobei sie sich spielend in die Rolle eines sexualisierten Frauenklischees begibt, dass in ihrer inszenatorischen Einbettung sicherheitsstiftende Effekte hat. Und während sie sich in der Rolle der verführenden Frau versucht, versucht sich die Rolle an ihr. Güleys Inszenierung erscheint merkwürdig enteignet, ist nicht von einem intentional-souveränen Spiel mit der Rolle getragen, sondern erscheint ebenso maskenhaft wie distanzlos. Güley setzt den begehrenswerten Frauenkörper zur Aufmerksamkeitslenkung ein und führt vor, wie die Kategorien Frauenkörper, Objektkörper und Warenkörper zur Deckung gebracht werden, wenn sie sich ›ihrer‹ Aufgabe des Lockens und Verführens hingeben. Die Werbung gilt nicht einem mit nackter Haut erotisch aufgeladenen Objekt, ein Auto, ein Parfum, eine Eiscreme, sondern dem erotisch aufgeladenen Frauenkörper selbst. Die Inszenierung des weiblichen Körpers als Aufforderung arbeitet mit sexuellen Imaginationen, die sowohl evoziert wie produziert werden. Dabei fällt die werbende Anrufung mit der Produktion und der Konsumption als Ware zusammen. In der Verwendung des Motivs führt Güley einen sexuellen Körper und ein sexuelles Begehren vor, das sie in der praktischen Wiederholung des zitierenden »ruf mich an!« gleichzeitig anruft wie sie von ihm angerufen wird. Dabei ist es gerade der Einsatz und die Perfektion, in der Güley das Zitat prosodisch und körperlich aufführt, die das Motiv weiblicher Aufmerksamkeitslenkung hervortreten lässt. Die Theoriebildungen von Judith Butler betonen in Anschluss an Althusser das Subjekt-Werden durch wiederholte, normkonstituierte und normkonstituierende Anrufungen. Diese werden gerade in der steten Wiederholung mit Gesetzescharakter als Selbst- und Weltverständnis internalisiert: Sie konstituieren das Selbstverständnis des Individuums als Subjekt. Auch Fernsehsendungen können Anrufungen sein, die Kinder mimetisch antizipieren, in ihr Weltverstehen integrieren und in sozialen Kontexten bearbeiten. In diesem Verständnis handelt es sich bei der »ruf mich an«-Werbung um eine explizite Anrufung zur Anrufung als begeh-
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renswerter Körper, die von Güley in subtiler Ambivalenz in Szene gesetzt wird. In der Gruppe Lust findet das gleiche Zitat Verwendung. Die Jungen inszenieren die bereits vorgestellten Nachrichtensendungen, und während der zukunftsweisenden Wetterberichte wird ein »bumstag« (Yakup) und ein »ficktag« (Timar) angekündigt. Die so eingeführte Thematik wird aufgegriffen: Ümit kündigt »unser nächstes thema, sexualkunde (.) was alles mit sex zu tun hat« an. Sofort stürzt sich Timar lachend auf seinen Partner Ümit (Timar und Ümit sind weiterhin die Nachrichtensprecher), operiert mit eindeutigen Zungen- und Handbewegungen und ruft: »okay; und das (.) betrifft auch sex«. Ümit reagiert lachend und fordert »cut!«. Nun soll »was alles mit sex zu tun hat« aufgeführt werden, doch keiner der Jungen möchte oder kann spielen, jeder verweist auf den nächsten. Timar setzt sich derweil explizit breitbeinig auf einen Tisch hinter dem Tisch der Nachrichtensprecher und öffnet die Beine, indem er sie wie in einer Bauchmuskelübung gestreckt in die Höhe hält. Mehmed bringt ihm eine große armlange Pappröhre, die Yakup gegen eine aufrecht gehaltene Kürbisrassel austauscht. Timar fängt gackernd an zu rasseln, und Mehmed fordert lachend, die Rassel »andersrum« zu halten, damit sie den erwünschten Phallus darstellt und eben keine Rassel, mit der Timar sofort und auf seine Weise folgsam die Simulation einer Onanie vorführt.. Es entwickelt sich die Idee, die vorbereitete Masturbationsszene als oder mit »erotikmusik« aufzuführen, für die sich Dursum als Musiker vorschlägt, der mit einer Trommel ankommt. Da ruft Mehmed: »dis is werbung« Werbung, Gruppe Lust Mehemd:
äh jetzt kommt werbung (zeigt mit dem Arm Richtung Timar und Ümit) werbung werbung. ja werbung dis, is werbung (springt vom Tisch, hüpft und dreht sich durch den Raum, in jeder Hand eine Rassel, rasselt, lacht, guckt immer Richtung Kamera) Dursum trommelt. Timar: werbung! werbung! (tanzt und dreht sich weiter) mach aus mach aus (winkt mit den Armen, Bewegungen werden langsamer, geht zu Dursum, setzt sich wieder auf den Tisch) nächste werbung! noch, eine, werbung,! (.) los noch eine werbung! Ümit: Timar:
Und es folgt die nächste Werbung:
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT »ruf mich an« Werbung, Gruppe Lust Timar sitzt auf dem Tisch, Beine baumeln herunter, er hält die Rassel erst zwischen die Beine, dann in einer Hand: nullhunderneunzig (grinst, verführerischer Ton, stellt ein Bein auf den Tisch) Dursum kommt schreiend mit einer Gitarre angerannt, kniet sich vor dem Tisch nieder: a:h:::, a::gr::: Timar: ruf mich an (verführerischer Ton) Dursum springt auf, stößt den Gitarrenhals andeutungsweise zwischen Timars Beine: ah:: (entfernt sich etwas mit der Gitarre) Timar schließt die Beine, hält Arme drum, geht in Schräglage: @man du penner@ (geht vom Tisch runter Richtung Dursum) Ümit kommt von hinten: man was macht ihr denn
Im Folgenden kommt es noch zu den szenischen Inszenierungen »erotikblues«, »erotikmacher«, »sexnews« und »ein richtiges porno«, bei denen vorrangig Timar zunächst tanzt und rasselt, dann die Rassel masturbiert, und dann mit dem Plastikkorsett aus dem Biologieunterricht kopuliert, dem dabei alle Gedärme entfallen. Die Jungengruppe spielt mit Darstellungs- und Aktivitätsformen genitaler Potenz, bei denen sich insbesondere Timar durch praktische Vorführungen hervortut. Die Rahmung, zunächst noch als Nachrichtensendung, erweist sich hierbei als Schutzrahmung, in der das Themenfeld bearbeitet werden kann. Dieses ist anscheinend mit Scham belegt, so dass weder David noch Mehmed oder Yakup spielen möchten. Gleichzeitig ist das Thema für die Jungen derart interessant, dass Mehmed und Yakup für die notwendige Requisite sorgen, den Phallus, und so Timar in seiner Inszenierung unterstützen. Trotz des deutlich emotional aufgeladenen Themas und des tätigen Engagements der Jungen fehlt die zündende Idee, wie »was alles mit sex zu tun hat« dargestellt werden kann. Der spontane Rahmungsvorschlag Mehmeds gibt dem thematischen Inszenierungsbedürfnis eine Form und Timar inszeniert »sex« als Werbung, indem er tanzt und rasselt und grinst. In der ersten Inszenierung (»dis is werbung«) wird Werbung als rhythmische Vorführung und sich drehende Verführung aufgeführt, die im Inszenierungskontext der Sexualnachrichten erotisch aufgeladen ist. Timars lustvolles Grinsen in die Kamera, eine Blickrichtung, die er trotz der vielen Drehungen immer wieder aufnimmt, bietet sich selbstdarstellend dem Blick der imaginär Zuschauenden an. Mit musikalischer Verstärkung preist sich Timar selbst als das Produkt an, das beworben wird. Es eine Werbung um Aufmerksamkeit, für die er seinen Körpertanz einsetzt und vorführt, wobei nicht klar ist, was genau beworben wird. Der 195
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tanzende Körper und die Musik scheinen sich als objektfreie Darstellung von Werbung eines Verweissystems entledigt zu haben.
Werbung: »dis is werbung« (Standkamera)
Werbung: »ruf mich an« (Standkamera)
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In der zweiten Inszenierung wird die Thematik ausdifferenziert. Der vage Tanz der Selbstdarstellung wird zur expliziten Werbung für den eigenen Körper, indem Timar das Zitat der Erotikarbeit einsetzt (»ruf mich an«). Timar öffnet die Beine, raunt die Worte. Er tanzt nicht mehr rasselnd um Aufmerksamkeit, er setzt ein Zitat ein, das in dem sozialen Kontext auf jeden Fall Aufmerksamkeit produziert. Timar wirbt für den Anruf, eine Handlung, die Dursum sofort zu seinem inszenierten körperlichen Übergriff verleitet: Er spielt zunächst einen Gitarrenspieler, der wie ein werbender Barde zu Timars Füßen sitzt, dann verwandelt er das Instrument in einen Phallus, mit dem er in eindeutiger Richtung zustößt, nämlich zwischen Timars Beine, ohne diesen allerdings zu berühren (und auch, dies sei angemerkt, ohne ihn diesbezüglich zu befragen). Er reagiert auf die von Timar inszenierte Thematik des sexuellen Körpers, den er in seinem inszenierten Penetrationsakt als weiblichen Körper definiert, und sich selber hierbei als potenten Jungen. (Vor den beiden Werbeszenen stößt Yakup dem Kameramann von hinten mit einem Stab leicht an den Hintern. Mit der Zielrichtung von Yakups Stabphallus ist männliche Homosexualität thematisiert, in der Zielrichtung von Dursums Gitarrenphallus hingegen klar Heterosexualität. In beiden Fällen geht es um prekäre Körperöffnungen.) Timar geht in Schutzhaltung, steht dann auf und geht in Dursums Richtung. Wenn er dessen Vorstoß ahnden will, geschieht es ohne besondere emotionale Aufladung. Dies deutet weniger seine Reaktion bezüglich der Umkodierung seines Körpers als auf die Unterbrechung seiner Werbeinszenierung hin. Ümit reagiert angespannt auf die kurze Verfolgung, was sich wohl in der seiner Meinung nach mangelnden inszenatorischen Ernsthaftigkeit der Verhandlung des Themas »sexualkunde« begründet. Die Werbungen der Jungengruppe führen einen sexuellen Körper auf, der um Aufmerksamkeit tanzt und anhand des telesexuellen Zitates pornographisch konturiert wird. Der Einsatz des Zitates ist mit der Inszenierung eines weiblichen Körpers und weiblich konnotierter Verführung verkoppelt. Das zeigt sich erstens daran, dass Timar keine Masturbationsgesten vorführt und auch die Rassel beim Öffnen der Beine nicht als Phallus zwischen die Beine setzt, sondern in der Hand behält; zweitens an den schon im Vorfeld vorgeführten Beinöffnungen, die in einer heterosexuellen Begegnung vorrangig auf Seiten der Frau Sinn machen: Timar führt »was alles mit sex zu tun hat« als gespreizte Frauenbeine vor; drittens an der Reaktion Dursums, die für eine heterosexuelle Anrufung folgerichtig ist, wenngleich er den Akt des Anrufs nur in seinem motivischen Gehalt aufgreift und zielstrebig in der Inszenierung der Penetrationsgeste umsetzt.
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Die Inszenierung des potenten Körpers, auf den qua phallischer Rassel (die Rassel, die nicht geschwungen wird, sondern aufrecht gehalten) und Gitarrenstoß verwiesen ist, der penetriert und masturbiert, wird im Gegensatz zu dem verführenden weiblichen Körper inszeniert, der sich darbietet. Dies zeigt sich sowohl bei Güley wie bei Timar, die beide mit der Inszenierung von Verführung spielen. Das Bewegungsrepertoire ist hierbei bewegt: Güley wiegt ihren Körper und Timar dreht sich tanzend. Gegenüber der schwingenden Verführung ist die penetrierende Bewegungsrichtung des Gitarrenhalses klar, eindeutig, gradlinig. Wird der weibliche Körper in werbender Verführung inszeniert, so der männliche als offensiver phallischer Körper, der seine Potenz zur Schau stellt (ständiger vorführender Einsatz von Phalli) und befriedigt werden will (ständiges Vorführen der Masturbation). Timar spielt mit der Inszenierung eines sexuellen Körpers, der verführt, der wirbt: Er inszeniert einen weiblichen Körper, in beiden Inszenierungen. In dem Tanz spielt er ein werbendes Mädchen oder eine werbende Frau, die Kürbisrassel wird nicht als Phallussymbol eingesetzt, sondern als Rhythmusinstrument, das die inszenierte werbende Verführung untermalt und anheizt. Der Tanz ist eine Werbung als und für den Frauenkörper. Dabei werden Frauenkörper und Werbung als Entsprechungen aufgeführt: der Frauenkörper wird als werbender Körper dargestellt und Werbung weiblich konnotiert. Zudem ist der Bereich sexuell aufgeladen, worauf die zweite Werbung explizit verweist, indem die Körperwerbung zu einer expliziten sexuellen Aufforderung wird und in der zweiten Werbung Timars explizit für Sexualität geworben wird. Während Güleys Inszenierung sich vom schnuppernden zum verführenden und als begehrenswert anzurufenden Körper fortentwickelt, führt Timar den tanzenden als verführenden Körper auf, der in der Verwendung des Zitates sexualisiert wird. In beiden Inszenierungen tasten sich die Kinder zitierend in telesexuelle Welten vor, deren Zielgruppe sie nicht bilden, setzen das Zitat durchaus sozialprovokant ein, spielen mit Tabus, erregen Aufmerksamkeit. Die deutlichste Unterscheidung der beiden Inszenierungen des verführerischen Körpers ist im ersten Fall der niedergeschlagene, im zweiten Fall der aktive Blick in die Kamera. Hier zeigt sich die geschlechtsdifferente Aufführung des verführenden und weiblich konnotierten Körpers. Ist es bei Timar ein Spiel, bei dem er geradewegs in die Kamera gucken kann, und das auch die Blickaufforderung der ›Vorbilder‹ aufgreift, ist die Realität, die dieses Spiel bedeutet, Güley sehr viel näher und mit Scham verbunden, wie ihr niedergeschlagener Blick andeutet. Beide, Güley und Timar, üben sexuelle Darstellungspraktiken und orientieren ihr präadoleszentes sexuelles Begehren an massenmedial ver-
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mittelten, pornographischen Präsentationsformen. In der wiederholenden Mimesis aktualisiert die Zitataufführung in der Gesellschaft kursierende Vorstellungen über geschlechtsdifferent sexualisierte Körpermodelle (Verführung//Penetration). Die Inszenierung von geschlechtlichen Körpern geht nicht mit den inszenierenden biologischen Körpern einher. Güley und Timar führen Imaginationen von Sexualität auf, die in ihrem realkörperlichen Vollzug einen wesentlichen Teil des Übergangsfeldes in die Welt der Jugendlichen und Erwachsenen darstellen. Die Szene nährt sich gerade aus der Spannung zwischen imaginierter und real-körperlicher Performanz. Die telegene Präsentation von Sexualität wird zu einem Modell für das kindliche Spiel mit sexuellem Begehren, das in der Bezugnahme auf Sexwerbungen eine ambivalente und gesellschaftlich aktuelle Ausdrucksform erfährt.
Missbrauch Mit der Thematisierung von Begehren eröffnet sich auch das in den vorangegangenen Inszenierungen bereits angedeutete Dirskursfeld des Missbrauchs, das in folgender Inszenierung seine Parodie erfährt. Maria und Kyra der Gruppe Intrige stehen im Sonnenschein im Park, Kyra mit einer Colabüchse in der Hand, Maria mit einer Spritebüchse: »mein schwarm!« Werbung, Gruppe Intrige Kyra in die Kamera: mein bruder hat mein tagebuch gelesen (beugt sich zu Maria und flüstert etwas in Marias Ohr) Maria mit sehr hoher Stimme, fast kreischend: und er weiß wer mein schwarm ist! Kyra hält in ruhiger Bewegung die Colabüchse mit rechter Hand der Kamera entgegen, spricht laut und deutlich: cola und sprite Maria, kreischend: cola:::::! (verzieht das Gesicht und streckt die Spritebüchse der Kamera entgegen) Kyra grinsend und halblaut in Richtung Marias Ohr: sprite
Maria und Kyra karikieren die zur Steigerung der Kaufkraft eingesetzte libidinöse Bindung an das Objekt. Cola und Sprite werden beschwärmt wie beworben, wobei Marias Verwechslung – ihre Büchse heißt Sprite, doch sie wirbt im Eifer des Gefechtes für Cola – die Beliebigkeit der Marke hervorhebt und die werbende Geste in ihrem Anrufungs- und Herstellungsakt libidinöser Bindungen unterstreicht. Maria und Kyra eröffnen mit der Ankündigungssequenz ein Spannungsfeld, den sie mit dem Überraschungsmoment der Bekanntgabe des 199
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Geheimnisses lösen. Das gelüftete Geheimnis als Büchsendiade spielt mit dem Bruch der aufgebauten Erwartungshaltung und offenbart das Geheime als immer schon im Zentrum des Bildes Sichtbares. Eine doppelte Parodie, insofern die Inszenierung die aufgebaute Erwartung an Liebe, Lust und Leidenschaft mit dem Hinweis auf hochgezuckerte Brausegetränke stillt, und in der Verknüpfung von Schwarm und Brause einerseits den Schwarm zum Konsumprodukt, andererseits die Brause in ihrer artifiziellen Süße zur Ersatzbefriedigung macht.
Werbung für den Schwarm: »cola und sprite« Mit dem Blick des Mannes in das geheime Buch der Frau spielen die Mädchen mit einer sexuellen Metapher und greifen auf Bilder der Geschichte der Geschlechter zurück, in welcher der Mann das weiblich kodierte ›Buch der Natur‹ zu lesen versucht, womit sowohl die Moderne eingeläutet wie eine spezifische, hierarchisierende und ausgrenzende Geschlechterordnung hergestellt wird. Der Bruder übertritt die Grenze des privaten Raums, den das Buch markiert, sein penetrierender Blick dringt in das Tagebuch der Mädchen, das deren Innerlichkeit symbolisiert, und er stellt sich in dem grenzübertretenden Aneignungsverfahren als Wissenssubjekt her. Während allerdings in der tradierten geschlechtlich kodierten Hierarchisierung von Natur und Kultur der Mann den Bereich der (als aktiv konstruierten) Kultur und damit der Schrift vertritt, die Frau hingegen den (als passiv konstruierten) Bereich der Natur (dem der nach innen ge200
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richtete Akt des Tagebuchschreibens entspricht), sind es hier die Mädchen, die in ihrer aktiven Kundgebung nicht zu verstummten Opfern der männlichen Tat werden, sondern selbstinitiativ agieren und den semiotisch gehaltenen Missbrauch als Werbeparodie in Szene setzen. Wenngleich die Mädchen mit der Offenbarung ihres geheimen semiotischen Doubles für den öffentlichen Raum spielen, bleibt auch in dieser Inszenierung das Geheime weiblich, der öffentliche Raum hingegen männlich konnotiert. In der Talk-Show »missbraucht« der Gruppe Model wird kein semiotischer Missbrauch ironisiert, sondern tatsächlich körperlicher Missbrauch thematisiert, wobei klar wird, dass den Mädchen nicht klar ist, was körperlicher Missbrauch ist oder wie er in der Form einer Talk-Show aufzutreten hat. Die Inszenierung findet im Park statt, und Moderatorin Bianca steht, durch eine Säule teilweise verborgen, vor einem großen Busch auf einer Rasenfläche: »ich wurde von meinem mann missbraucht« Talk-Show, Gruppe Model Bianca schreitet der Kamera entgegen, mit sicherem Schritt, angedeutetem Lächeln und klarer Stimme: bei nicole und heute haben wir wieder ein ganz besonderes thema missbraucht wissen sie eigentlich was missbraucht ist nein heute werde ich von meinen studiogästen
Die Szene wird aufgrund schlechter Tonqualität wiederholt: Bianca nähert sich der Kamera, lächelt leicht, spricht offen-ernsthaft: hallo meine damen und herren ich bin nicole meine sendung läuft von vier bis fünf (2) unser thema ist heute missbraucht; wissen sie eigentlich, was missbraucht ist? unsere studiogäste werden es ihnen heute sagen und da, ist schon unser erster gast. misses unbekannt. Jasmin tritt neben Bianca, die obere Hälfte des Gesichtes mit einem bunten Tuch umwickelt. Bianca: sie möchte ihren namen nicht sagen das ist ja auch selbstverständlich; (.) ihren mund können wir (.) sehen
Das besondere Thema Moderatorin Bianca eröffnet die Talk-Show mit der Frage: »wissen sie eigentlich, was missbraucht ist?« und verspricht Beantwortung durch ihre diesbezüglich (leider) kompetenten Studiogäste. »misses unbekannt« wird als erster Studiogast vorgestellt, und sowohl das verhüllte Gesicht wie der unbekannte/ungenannte Name konturieren das Feld, das der Grenzübertritt des Mannes hervorgebracht hat: Die Frau, die sich nicht 201
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mehr zeigt, zeigen darf, zeigen kann, die nichts mehr sieht, nichts mehr sehen kann, will, die keinen Namen, keine Identität mehr hat. Die Verhüllung und der »selbstverständlich« nicht genannte Name weisen einerseits auf die (verhüllte) Verletzung, der durch die Wahrung der Anonymität Respekt gezollt wird, andererseits auf die tätliche Gefahr, in die sich »misses unbekannt« mit ihrem öffentlichen Bekenntnis begibt. Diese steht im Gegensatz zur herausgestellten Sichtbarkeit des Mundes. Die Hervorhebung des Mundes gilt der körperlichen Authentifizierung der Rede des Studiogasts, fehlt es doch der identifikatorischen Symbolisierung in der Schrift qua Namensnennung. Zudem liegt es in seiner Möglichkeit als Ort des Sprechens und in diesem Zusammenhang makabererweise auch sinnlich konnotierter Körperöffnung, den Missbrauch zu bezeugen und die Zuschauer der Talk-Show mit dem Leid der verhüllten Frau zu unterhalten. Der Verweis auf die Sichtbarkeit des Mundes entspricht der Motivation der Show, über Missbrauch aufzuklären. Noch spiegelt sich das Nicht-Wissen in dem unbekannten Namen und dem verhüllten Körper der unbekannten und unkenntlichen misses.
Fall in die Wirklichkeit Diese führt aus: Jasmin spricht mit nasaler Stimme, schluchzend und krächzend: schönen guten tag also ich wurde von meinem mann missbraucht wir waren erst (.) na sagen wir so drei jahre zusammen ich dachte immer dass er so ein ganz lieber kerl wäre aber in wirklichkeit (2) dass kann ich jetzt hier nicht sagen
»misses unbekannt« wird von ihrem Ehemann nach »erst (.)« drei Ehejahren missbraucht. Der Missbrauch wird im Nahbereich des weiblichen Opfers verortet, in dem auch tatsächlich die meisten Missbrauchsdelikte stattfinden, und der Täter ist männlich, wie in fasst allen Missbrauchsdelikten. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden mit sexuellem, emotionalem oder körperlichem Missbrauch und mit Vernachlässigung Formen der gewalttätigen Machtausübung und des ungewollten Körperkontaktes gegen Kinder formuliert. Die Dunkelziffer sexuellen Missbrauchs wird in Deutschland auf bis zu 300.000 Fällen pro Jahr geschätzt. In der Schilderung von »misses unbekannt« geht es allerdings eigentlich um Vergewaltigung in der Ehe, seit 1997 strafrechtlich unter diesem Namen auch verfolgbar. Talk-Shows, in denen Betroffene zu Wort kommen, was die tendenzielle Lockerung der starken Tabuisierung der Thematik anzeigt und vorantreibt, gibt es seit etwa 20 Jahren. Angst vor den Tätern wie Schamund Schuldgefühle gelten als häufigste Gründe, dass innerfamiliäre Ge-
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walttaten geheim gehalten werden. Dieser Angst entspricht auch die Vermummung der »misses unbekannt«. In ihren Ausführungen schildert »misses unbekannt« weniger die Tat, als vielmehr die Desillusionierung, die mit ihr einhergeht. Diese bezieht sich auf das Bild, das sich die Ehefrau von ihrem Ehemann gemacht hat. Die ent-täuschte »wirklichkeit«, die die Tat zeigt, entzieht sich an dieser Stelle ihrer Verbalisierbarkeit. Dass Missbrauch auch weiterhin die Leerstelle der Talk-Show darstellt, zeigt ihr weiterer Verlauf.
Haus der Zuflucht Die Moderatorin versucht, das Gespräch auf die Tat selber zu lenken: Bianca: Jasmin:
wann ist es denn passiert es war ungefähr vor sieben monaten und dann bin ich in das haus von mia stella gegangen da wo missbrauchte frauen hin dürfen sie hat mir sehr geholfen ich kann es nur jeder frau empfehlen aber es fällt mir noch immer schwer darüber zu reden
Auf die Frage nach der Tatzeit, die sich explizit auf die Tat bezieht, antwortet »misses unbekannt« mit einem Bericht über die Zeit nach dem Missbrauch. Es setzt eine fließende Rede kurzer Sätze ohne Stocken ein, die sich kontrastiv von der vorherigen Verstummung abhebt. Das Haus von Mia Stella wird als empfangender Ort beschrieben: »da wo missbrauchte frauen hin dürfen«, eine Formulierung, die mit der impliziten Abgrenzung von gegenteiligen Orten einhergeht und die Besonderheit eines Hauses, in dem man hin darf, also sein darf, herausstellt. Die Verwendung des Verbs »dürfen« ist in seiner situativen Verwendung gerade kein zwangvolles ›müssen‹, kein pflichtschuldiges ›sollen‹, sondern Möglichkeit, Erlaubnis und Einladung. Nach der traumatisierenden sexuellen Handlung hat »misses unbekannt« Initiative ergriffen und Zuflucht gesucht, wo die Grenzen im Sinne eines respektvollen Umgangs gewahrt werden. Hierbei wird nicht auf eine nur räumlich gefasste Zuflucht aufmerksam gemacht, sondern die persönliche Zuflucht in die Hände Mia Stellas. Obwohl sie einen empfehlenswerten und geschützten Lebensraum gefunden hat, fehlen weiterhin die Worte für eine Beschreibung oder Erläuterung des Missbrauchs. Dieser bereits zweite explizite Abbruch der Rede des Studiogasts macht das inszenatorische Motiv deutlich, die den Missbrauch in der Sprachlosigkeit als traumatische Gewalterfahrung aufführt und dabei auch kaschieren mag, dass Jasmin nichts einfällt, was sie als »misses unbekannt« zu dem Thema sagen könnte; ähnlich wie die Moderatorin, als sie das Thema einführt.
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»misses unbekannt« hat Hilfe gesucht und gefunden, doch »noch« ist sie nicht erlöst vom Schock der gewalttätigen und desillusionierenden Erfahrung. Sie ist in traumatischen Erinnerungen gefangen, und die Sprachlosigkeit führt die momentane Ausweglosigkeit aus der inneren Gefangenschaft vor. Allerdings findet der Missbrauchs, der »misses unbekannt« aus den Worten fallen lässt, keine aufgreifenden Worte durch die Moderatorin. Diese interessiert sich weniger für die psychosozialen Folgen für das Opfer als vielmehr für den Namen des Täters: Bianca: Jasmin: Bianca: Jasmin: Bianca:
Jasmin: Bianca: Jasmin:
wollen sie den namen von ihrem mann sagen nein nachher verfäll- ver- ver- au ich kann gar nicht mehr reden beruhigen sie sich doch erstmal ja n=taschentuch, ach; nehm=sie mein pullover (streckt den Arm aus, Jasmin wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht) danke schön. also (.) haben sie noch irgendwas zu sagen, ich interessiere mich, nee ich würd erstmal die anderen gerne hören;
Die direkte Frage nach dem Namen des Mannes unterbindet jede Sprachmöglichkeit der »misses unbekannt«. Die durch die Frage hergestellte Nähe und Erinnerung an ihren gewalttätigen Ehemann lässt sie nicht mehr nur auf ihre Sprachlosigkeit verweisen, sondern sprachlos werden. Der sprachlose Schock steht im Gegensatz zum Redefluss über ihren Zufluchtsort und drückt auf seine Weise die sehr unterschiedlichen Beziehungsfiguren zur Moderatorin, zu ihrem Ehemann und zu Mia Stella aus. Die Moderatorin versucht die sichtliche Beunruhigung des Studiogasts angesichts ihrer Erwähnung des Ehemannes aufzufangen und bietet zur Hilfe ihren Pulloverärmel als Taschentuch an, womit sie eine distanzlose Nähe herstellt, die von dem Studiogast in der Taschentuchnutzung angenommen wird. Die folgende anklageähnliche Aufforderung »haben sie noch irgendwas zu sagen« unterbindet allerdings wiederum die Rede des Studiogasts. Die Fragen der Moderatorin lassen sie verstummen, nun möchte sie selber hören. Mia Stella wird vor die Kamera geholt: Bianca:
Mia:
Jasmin: Bianca:
und hier kommen wir schon zum nächsten gast wieder misses unbekannt (3) na gut sie ist heute ungewe- und hier kommt die gerettet die misses unbekannt gerettet hat mia stella (streckt die Arme aus) danke (tritt zu Jasmin vor die Kamera, hat sich ein Tuch um die Schultern geschwungen und wird sofort von Jasmin umarmt) danke sie haben ein missbrauchthaus was ist das
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT Mia: Jasmin:
das ist da wo den leuten geholfen werden und so ich enthülle misch
In der Szene ist das Vertrauensverhältnis von »misses unbekannt« zu Mia Stella deutlich inszeniert. Im Vergleich hierzu hat auch die Gabe des Pulloverärmels der Moderatorin keine vertrauensvolle Nähe zwischen dem Studiogast und der Moderatorin hergestellt. Nach der herzlichen Begrüßung der als Retterin eingeführten Mia Stella kündigt »misses unbekannt« überraschend ihre Enthüllung an: An dem Ort der Hilfe, der Mia Stella ist, kann »misses unbekannt« ihre Schutzhülle ablegen. Die sprachverstellend angezeigte Ironisierung der Enthüllung weist hierbei Jasmins Rollenspiel aus. Gegen die Beschreibung des Hauses der Zuflucht, »wo missbrauchte frauen hindürfen« und »wo den leuten geholfen wird«, setzt die Moderatorin die Bezeichnung »missbrauchthaus«. Während in dieser Namensgebung der Missbrauch herausgestellt wird, ist in den Formulierungen der Betroffenen gerade der Aspekt der Hilfe und des Empfangens akzentuiert. Hier gilt das Bemühen, den Missbrauch auch aus dem begrifflichen Terrain heraus zu halten und die Aufmerksamkeit auf die positiven Eigenschaften des Hauses zu richten.
Schreckliche Geschichten Die Moderatorin hingegen versucht weiterhin, das Drama des Missbrauchs für ihre Sendung deutlicher hervortreten zu lassen: Bianca:
erzählen sie doch mal gibt es auch ganz schreckliche geschichten erzählen sie doch mal eine bitte Kamera fährt an Mia herab und wieder hinauf. Mia: ja natürlich aber das möchte ich nicht sagen das ist sehr persönlich Bianca: wurden sie selber auch missbraucht? Mia: nein (5) nein @ Bianca: und ihre tochter haben sie überhaupt eine tochter Mia: ja Kamera zeigt Jasmin, die sich mittlerweile das Tuch vom Kopf genommen hat und in den Händen in Gesichtsnähe hält; Bianca legt Jasmin kurz einen Arm um die Schulter. Bianca: ah misses unbekannt hat sich also bekannt gegeben das ist misses unbekannt Jasmin: aber ich möchte meinen namen nicht sagen Bianca: ihren namen möchte sie nicht sagen erzählen sie uns doch einfach mal ihre geschichte Jasmin: also wie ich schon gesagt hatte wir hatten erst geheiratet und auf einmal Bianca: wann Jasmin: wir hatten vor zwei bis drei jahren geheiratet ich möcht mich da jetzt nicht mehr so genau daran erinnern und ja ich also am an-
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VERKÖRPERTE MEDIEN fang ging ja noch alles gut (3) aber dann nicht mehr Mia lacht, reibt sich mit ihrem Tuch die Augen und geht aus dem Bild. Jasmin: ja also jetzt meine liebenswerte freundin weggegangen da bin ich sehr traurig Kamera schwingt an Jasmin herunter und zeigt dann Bianca. Mia: sie war auf klo @ (tritt zurück ins Bild, die Kamera fährt an ihr herab und an Bianca wieder hinauf) Bianca: erzählen sie ruhig weiter wir hören ihnen alle zu; Jasmin: nein ich möchte jetzt nicht mehr reden
Die Moderatorin möchte »ganz schreckliche geschichten«, doch Mia verweigert diese – trotz der erwartungsvollen Pause – mit Hinweis auf die Privatsphäre, in die die Moderatorin vordringt. Auch die Frage nach der Tochter als Ausweitung der Mutter kommt zu keinem befriedigenden Ergebnis. So schwenkt die Moderatorin zu »misses unbekannt«, auf deren Enthüllung sie bislang noch nicht eingegangen ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen ihren beiden Studiogästen kopierend legt sie »misses unbekannt« den Arm um die Schulter. Doch im Gegensatz zu der überschwänglichen Begrüßung zwischen Mia und ihrer Schutzanempfohlenen bleibt diese Geste ohne Erwiderung. Entsprechend teilt ihr die nun im Angesicht Mia Stellas enthüllte »misses unbekannt« vorsorglich mit, dass sie ihren Namen nicht preisgibt. Sie behält diesen als eine Art intimen und identifikatorischen Rückzugsort für sich. Auf die körperliche Öffnung ihres Studiogasts reagierend versucht die Moderatorin weiterhin, in ihre Geschichte vorzudringen. Obwohl »misses unbekannt« zunächst mit einer Rekapitulation ihrer Geschichte beginnt, möchte sie sich bereits ab der Heiratsszene, mit der sie einsetzt, »nicht mehr so genau daran erinnern«, und verstummt mit dem Abtritt Mia Stellas ganz. Auch der Hinweis der Moderatorin, dass »alle« zuhören, animiert ihren Studiogast nicht zum Weiterreden. Mias Verlassen der Szene hat ihre situative Unsicherheit verstärkt und unterbindet ihre Bereitwilligkeit zu sprechen. Während die Moderatorin das Drama in ihre Sendung zu holen versucht, schützt Mia ihre Klientel einfach dadurch, das sie still ist, was den Effekt hat, das diese sich öffnen, wie »misses unbekannt« zeigt: »ich enthülle misch«. Die Inszenierung führt hiermit verschiedene Kommunikationsformen des Hörens vor: das stille Hören Mias, das zur Enthüllung, zur Öffnung einlädt, das auch Zuflucht ist, wo man »hin« darf; und das anklagende Hören der Moderatorin, ein Hören, das keine Einladung, sondern Erwartung ist, das Wissen und nicht Hören will, das keine Räume öffnet, kein Sprechen ermöglicht, und auf das »misses unbekannt« entsprechend reagiert: »nein ich möchte jetzt nicht mehr reden«.
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT
Entweihter Schutzraum Moderatorin Bianca sucht im Folgenden nach weiteren Kandidatinnen für ihre Sendung, fragt mehrere der anwesenden Mädchen nach ihrer Missbrauchsgeschichte. Dabei verschiebt sie die Themenbeschreibung von der Einführung als »ganz besonderes« in »eigentlich ein sehr schlechtes thema aber uns fiel eben nix anderes ein in der redaktion«: Ein »schlechtes thema«, das nicht zur Sprache kommen will, da niemand sprechen will, und da auch niemand so recht zu wissen scheint, was dazu gesagt werden kann. Bianca:
Emina: Bianca: ?: Emina: Bianca:
Emina: Bianca: Emina:
mia stella bitte möchte uns helfen sie wollen uns nicht sagen dass sie missbraucht wurden kann ich sehr gut nachvollziehen (2) und da gucken sie mal bitte zu meinen nächsten gästen in der garderobe können sie ja einfach mal gucken da sind sie (Bianca geht, gefolgt von der Kamera, Richtung eines Rasenplatzes, wo einige Mädchen und die gesamte abgelegte Kleidung und das gerade nicht verwendete Videomaterial liegen) ( ) kommen hier her nein das ist das ist betrug sie möchten sich natürlich auch nicht zeigen also sage ich misses und misses unbekannt @(5)@ ( ) wurden sie missbraucht (.) sie möchte ja also sie weint und es ist nicht so gut weil sie fühlt sich denn nicht so gu::t ist ja auch ein sehr schlimmes thema aber könnten sie mir vielleicht verraten wann (3) nein sie möchte es auch nicht verraten gehen wir zum zweiten (5) wurden sie missbraucht @nein@ warum sind sie dann eigentlich hier. um zu wissen was missbraucht ist? @nein um mir den gummi aufzusetzten@ (nestelt mit Haargummis an den Haaren, steht auf, geht mit Mia aus dem Bild)
Die Interviewmethoden der Moderatorin werden drastischer. Sie unterstellt Mia Missbrauchserfahrung und übergeht eindeutig ihre diesbezüglichen Aussagen. Gleichzeitig bittet sie Mia um Hilfe, Missbrauchte ausfindig zu machen, und schreitet hierfür mit ihr in die »garderobe«. Die Garderobe als Schutzraum, als liminaler Raum der Veränderung im Übergang zur Vorderbühne ist gerade nicht für die Öffentlichkeit gedacht, welche die Kamera und Bianca in ihrer Rolle der Moderatorin repräsentieren. Dieser Übertritt wird von Emina als »betrug« bezeichnet, was die Moderatorin zu deren Ungunsten uminterpretiert: »sie möchten sich natürlich auch nicht zeigen«.
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VERKÖRPERTE MEDIEN
Das Vorgehen der Moderatorin steht ganz im Gegensatz zu dem Haus, »wo frauen hindürfen«, wo Grenzen gewahrt werden. Die Szene expliziert, dass es nicht um emotionale Anteilnahme und thematische Aufklärung geht, sondern um unterhaltsame Entblößung. Insofern wird das Thema der Talk-Show aufgegriffen und inszeniert, nur dass nicht die Studiogäste »sagen«, was »missbraucht« ist, sondern das die Moderatorin das von ihr eingeführte Thema schließendlich selbst vorführt. Die »gäste« werden sowohl körperlich (»gucken sie mal bitte zu meinen nächsten gästen in der garderobe können sie ja einfach mal gucken da sind sie«) wie in ihrer Intimgeschichte ausgestellt (»ja also sie weint und es ist nicht so gut weil sie fühlt sich denn nicht so gu::t ist ja auch ein sehr schlimmes thema aber könnten sie mir vielleicht verraten wann«). Das »ganz besondere« wird zu einem »sehr schlechten« wird zu einem »sehr schlimmen thema«. Doch es entwickelt sich in der Mädchengruppe keine fortlaufende Inszenierungssituation. Dies mag einerseits dem Alter der Mädchen, der realen Unmöglichkeit zu sprechen und/oder der mangelnden thematischen Dringlichkeit in der Gruppe Model geschuldet sein; andererseits den Interviewstrategien der Moderatorin. Die Verweigerung der Mädchen wächst entsprechend des Vordringens der Moderatorin in ihre sozialen und biographischen Räume. So gilt die Talk-Show weniger, wie anfangs angekündigt, der Einführung in die Thematik (sexuellen) Missbrauchs, als dass vielmehr Missbrauchsstrategien qua Interviewführung zur Darstellung kommen. Das unbekannte Thema »missbraucht« verkörpert die verhüllte und namenlose Frau. Sprachlosigkeit, Verhüllung und Nichtnennung des Namens werden als Demarkierungs- und Desidentifizierungsverfahren mit dem Körpersubjekt, an der die Tat verübt wurde, eingesetzt. Hierin sind Körper, Name und Geschichte in ihrer Gegenwendung als die drei zentralen Identifikationsmerkmale des Subjekts thematisiert. Der Missbrauch wird somit als Negation des Subjekts inszeniert. Die Gewalt der Tat ist durch Mia Stella kontrastiert, die den empfangenden Raum, den sie vertritt, ebenfalls verkörpert. In ihrer Anwesenheit fallen die Schutzhüllen, können sie fallen, die mit dem gewaltsamen Grenzübertritt des Mannes als Selbstkaschierung notwendig wurden. Im Gegensatz zu der inszenatorischen Rollenerfüllung Mia Stellas führt die Moderatorin den Grenzübertritt, den sie als Missbraucht-Talk-Show thematisiert, selber auf, indem sie ihre Interviewstrategien von dem vorführenden Eindringen in die Geschichte der »misses unbekannt« bis in die Garderobe steigert. Diese Bewegung wird durch den Kamerablick unterstützt, der aufforderungsgemäß den intimen liminalen Raum der Garderobe von der Hinterbühne zur Vorderbühne verschiebt.
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GESTALTEN VON GEMEINSCHAFT
Zusammenfassung Sexuelle Körper werden als geschlechtsdifferente Körperinszenierungen in den beiden »ruf-mich-an«-Werbungen aufgeführt. Die Inszenierungen nähren sich aus sexuellen Imaginationen, die in kommerziellem Interesse zu massenmedial kommunizierten Werbungen verdichtet werden und anrufenden Charakter haben. Der weibliche Körper ist hierbei als Körper der wiegenden Verführung inszeniert, der männliche als Körper der vordringenden Penetration. Unabhängig davon, ob von einem Jungen oder von einem Mädchen gespielt, ist die Rolle der werbenden Aufforderung zum Anruf als weiblicher Körper aufgeführt. Deutlich zeigen die Inszenierungen, dass in der Jungeninszenierung das Spiel mit der Rolle leichter fällt als in der Mädcheninszenierung. Zudem ist das Interesse an der Inszenierung sexueller, speziell potenter Körper in der Jungengruppe Lust eklatant. Ihre inszenatorischen Zurschaustellungen von Megaphalli und Doppelphalli (unter Einsatz von einer oder mehreren Posterpaktstangen), die sich durch die gesamte Arbeitsgemeinschaft ziehen, führt sie den Phallus als Fetisch auf, der als Zeichen männlicher Macht inszeniert, verehrt und aufrecht erhalten wird. Als Konstruktion bedarf dieser Fetisch seiner fortwährenden diskursiven und inszenatorischen Reproduktion und Absicherung. Dies zeigt die Notwendigkeit der Gruppe, sich ihrer – potent und hierin machtvoll gezeichneten – Geschlechtsidentität inszenatorisch gegenseitig und vor der Kamera zu versichern bzw. den identifikatorischen Effekt qua Darstellung hervorzubringen: Diese Inszenierung sexueller Körper gilt der potenten Perfomanz einer männlichen Geschlechtsidentität. Ganz anders ist in den Mädchengruppen Sexualität eher als Grenzübertritt und Gefahr thematisiert, wie ihn (ironisch) der penetrierende Blick in das Tagebuch in der Schwarminszenierung der Gruppe Intrige und der Missbrauch der »misses unbekannt« durch ihren Ehemann in der Talk-Show der Gruppe Model darstellt. Eine Thematik, die auch in der Inszenierung des Mordes des Ehemannes an seiner eigenen Frau, über die die Jungengruppe Groteske in ihrer Nachrichtensendung vor dem Mörderinterview berichtet, und in der Gefahr von Nacktfotos und den falschen Leuten für Models, von denen in dem Modelinterview mit Naomi Campbell der Gruppe Model die Rede ist, auftritt. In der Talk-Show ist die Missbrauchserfahrung als traumatisierendes Erlebnis in dem Schock, der die Sprache verstummen lässt, inszeniert. Sie hat den sozialen Effekt des Rückzugs des Subjekts, das sich erst in geschützten Räumen wieder ›hervortraut‹, die mit sozialer Wärme und hörender Stille verknüpft sind. Darüber hinaus zeigt das übergriffige Verhalten der sensationslüsternen Moderatorin Missbrauchsstrukturen, unterstützt von Kamera und Mikrophon: zentrales Requisit, mit dem alle (somit potenten) Moderatorinnen
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in allen Talk-Shows ausgestattet sind. Während die Mädchen in der TalkShow-Garderobe realsituativ widerwillig und sich verweigernd auf den Übertritt der Moderatorin reagieren, spielen die Tagebuchmädchen mit der öffentlichen Bekanntgabe des Übergriffs als Werbegag. Die Thematik der Gefahr von Grenzübertritten bleibt gleichwohl bestehen und zeigt, ganz im Gegenteil zu den Jungeninszenierungen, die stete in den Mädcheninszenierungen ausgedrückte Notwendigkeit, sich der Wahrung ihrer Grenzen zu versichern.
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ZUR
ERSPIELTES FERNSEHEN. ORDNUNG DER GESCHLECHTER
Ich glaub’ an keine Wahrheit, aber an meine Klarheit. Ohrbooten Jeder Leser liest nur das, was in seinem Inneren ist. Marcel Proust
Der analytische Blick auf die Inszenierungen zeigt ebenso anschaulich wie eindringlich, in welcher Selbstverständlichkeit sich die Gleichaltrigengruppen in der gemeinsamen Vertrautheit fernsehmedialer Visualisierungsstrategien vergemeinschaften. Dies betrifft die gespielten Rollen ebenso wie die gewählten Sendeformate, die werbemedialen Anpreisungsgesten ebenso wie ihre Karikatur, die Nutzung der Aushandlungsstrategien der Talk-Shows ebenso wie die des Krimis, das übersteigernde Aufgreifen der Figur des Models ebenso wie der des Bankräubers. In der Nutzung der Figuren und Formate führen die Gleichaltrigengruppen ihr komplexes, längst mimetisch einverleibtes Inszenierungswissen sowohl in seinem Aspekt der kollektiven Prägung wie in seinem Aspekt der kreativen Bearbeitungsmöglichkeit vor: Sie führen vor, dass und wie sie televisuell kommunizierte Bilder inszenatorisch kommentieren und gleichzeitig für ihre gruppenbezogenen Aushandlungs- und Selbstdarstellungsprozesse nutzen. In den rituellen Medieninszenierungen von Nachrichten und Krimis, von Werbungen und Talk-Shows, von schönen, grotesken, fremden und sexuellen Körpern treten gruppen-, vor allem aber geschlechtsspezifische Differenzen zu Tage. Die sieben abschließenden Thesen, die die interaktions- und metaphernanalytisch ausgerichteten Interpretationen vorbereitet haben und die die Bezugs- und Bezeichnungssysteme des Materials zusammenfassen, stehen in dem Interesse, die inszenatorischen Sinnbildungsprozessen einer sozialen Handlungspraxis im Schnittfeld von massenmedialer Figuration und körperlicher Materialität aufzuspüren:
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VERKÖRPERTE MEDIEN
1. Rituelle Medieninszenierungen ermöglichen die gruppenkonstitutive Bearbeitung massenmedialer Bildbotschaften in einem oszillierenden Verhältnis von Distanzierung und Nachahmung. In rituellen Medieninszenierungen gehen das Moment der inszenatorischen Aushandlung und Vorführung der sozialen Ordnung der Gruppe und das Moment der inszenatorischen Kommentierung televisueller Bildbotschaften Hand in Hand. Denn die Inszenierungen führen in der überwiegenden Mehrzahl keine Wiederholungen (im Sinne von sehr eng an einem konkreten ›Vorbild‹ ausgerichteten Inszenierungen) massenmedial kommunizierter Sendungen auf, sondern deren kreative bis subversive Umarbeitungen entlang thematischer Interessenlinien der Gruppe. Hierbei werden ebenso Prozesse der Aneignung wie der Abgrenzung bezüglich der inszenierten Figuren und Formate deutlich, die die Handlungsspielräume der Protagonisten dieser Studie aufzeigen. Es ist allerdings nicht so, dass es entweder zu Momenten der anähnlichenden Aneignung oder der distanzierenden Abgrenzung kommt. Vielmehr stehen beide Momente in einem Oszillationsverhältnis zueinander, indem allgemein vertraute Figuren und Formate übersteigernd parodiert werden. Die soziale Funktion der Parodie ist die der gemeinschaftskonstitutiven Distanzierung von dem parodierten ›Vorbild‹ in einem versammelnden kollektiven Lachen jenseits von rationalen Argumenten – und gleichzeitig bildet hierdurch das ›Vorbild‹, demgegenüber die Distanzierung vorgenommen wird, scheinbar paradoxerweise das Zentrum der temporären Gemeinschaft. Die Verwobenheit von Ablehnung und Anähnlichung ist somit ebenso auf der Ebene der körperlichen Inszenierung wie auf der Ebene des darin geknüpften gemeinschaftskonstitutiven Bandes (oder Bundes) angezeigt. Anders formuliert grenzen sich die sozialen Gruppen in ihren Inszenierungen von bestimmten Rollenbildern, mit denen fernsehmediale Darstellungsstrategien auch stark manipulativ arbeiten, ab, ohne allerdings diese als Bezugspunkt – gerade in der Ablehnung – zu verlassen. In den rituellen Medieninszenierungen werden, ohne dass dies trennscharf voneinander differenziert werden könnte, Figuren ebenso wie Sendeformate parodiert, indem bspw. der penetrante Anpreisungsgestus der Werbung immer wieder karikiert wird, oder die Leistungsorientiertheit der Sportnachrichten, oder die exklusive soziale Anerkennung des traumschönen Models. Dabei zeigen die Inszenierungen verschiedene Ausdrucksformen der Parodie. Subtil bis explizit überzeichnete Bilder kommen eher in den Gruppen der Mädchen zum Einsatz, körperexzentrische Darstellungsweisen eher in den Gruppen der Jungen. Auch scheint es, dass in den Gruppen der Mädchen die Parodie tendenziell eher auf der
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ERSPIELTES FERNSEHEN
Ebene der Figuren, in den Gruppen Jungen tendenziell eher auf der Ebene der Formate gelagert ist. Die kreativen Gestaltungsprozesse zwischen Distanzierung und Nachahmung weisen rituelle Medieninszenierungen als sozialen Handlungsrahmen aus, der die Abarbeitung an televisuell kommunizierten Figuren und Formaten ebenso ermöglicht wie ihre Nutzung für die Ausstellung und Aushandlung gruppenspezifischer Themen: Rituelle Medieninszenierungen oszillieren zwischen der distanzierenden Parodie televisueller ›Vorbilder‹ und ihrer Nutzung als vorstrukturierte kreative Gestaltungsrahmen. 2. Rituelle Medieninszenierungen führen das produktive Zusammenspiel von spontanen Impulsen und formalen Rahmungen auf. Fernsehformate stellen für thematische Darstellungen eine formale Orientierung bereit, die auch als ›Schutzrahmen‹ für prekäre Themen wie bspw. das der Sexualität genutzt werden. Hier kommt den Inszenierungen der produktive Zusammenfluss von spontanen Impulsen und formaler Rahmung zugute, indem sich beide Inszenierungsmomente im inszenatorischen Gruppenprozess gegenseitig anregen. Orientierungslosigkeit im Gruppengeschehen stellt sich dann ein, wenn eine thematische Inszenierungsidee kein Format, keine Form der Darstellung findet; ebenso, wenn die Inszenierungsidee von einer Formatrahmung ausgeht, es für deren Inszenierung in der Gruppe aber keine inhaltliche Notwendigkeit gibt oder findet. Den produktiven Zusammenfluss von thematischer Dringlichkeit und gewähltem Sendeformat offenbart die Dynamik einer Inszenierung, mit der gleichzeitig der Handlungsrahmen erzeugt wird, der die Bearbeitung gruppenspezifischer Belange ermöglicht. Mit anwachsender formaler Organisation einer Inszenierung (Rollenverteilung, Regie, Dramaturgie) nimmt ihre Spontaneität ab, was zugleich ihre dramaturgische Durchgestaltung steigert und dem repräsentativen Interesse einer Gruppe entgegen kommt. Spontane und somit sehr viel offenere Inszenierungen mit schwacher Intendiertheit sind hingegen von einer weichen Rahmung im Fluss des Gruppengeschehens geprägt und dienen eher der spielerischen Gestaltung gruppenspezifischer Aushandlungsprozesse. Sich hier entwickelnde Inszenierungselemente können in spätere, stärker ausdifferenzierte Inszenierungen einfließen bzw. werden aus diesen gestaltet. In den Inszenierungen der Mädchengruppen tauchen wiederholt Momente verstärkter formaler Organisation auf, in den Jungengruppen sind diese höchstens rudimentär auszumachen. Unabhängig von dem Grad einer inszenatorisch ausgestalteten Intention sind die die Inszenierungen einer
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Gruppe durch ihre Strukturnähe auf der Ebene des Darstellungsstils wie auf der Ebene der Themenbearbeitung ausgezeichnet. 3. Rituelle Medieninszenierungen inszenieren Sendeformate als gegenderte Darstellungs- und Gemeinschaftsmodelle. Im Rahmen ritueller Medieninszenierungen werden immer auch Darstellungs- und Gemeinschaftsmodelle bearbeitet, die wie folgt zu charakterisieren sind: • Das Format der Nachrichten verkörpert das Darstellungsmodell der objektivierten Präsentation. • Das Format der Werbung verkörpert das Darstellungsmodell der verführenden Präsentation. • Das Format der Talk-Show arbeitet mit dem Unterhaltungswert des Dramas und verkörpert das Gemeinschaftsmodell der Grenzziehungen nach innen, anhand derer Positionen und Machtverteilungen ausgehandelt und ausgestellt werden können. • Das Format des Krimis arbeitet mit dem Unterhaltungswert der Spannung und verkörpert das Gemeinschaftsmodell der Grenzziehung nach außen, anhand derer sich eine Gemeinschaft als einheitlich imaginieren kann. Der zentrale Darstellungsgestus der Darstellungsmodelle Werbung und Nachrichten wird in den rituellen Medieninszenierungen recht durchgängig parodiert, wohingegen die Gemeinschaftsmodelle Talk-Show und Krimi primär für gruppeninterne Aushandlungsprozesse genutzt werden. Die Zusammenschau zeigt darüber hinaus, dass Sendeformate geschlechtlich aufgeladen sind, worauf bereits die Nutzung des Talk-ShowFormats nur in Mädchengruppen und die des Nachrichtenformats nur in Jungengruppen aufmerksam macht. Sendeformate haben auch hierin eine zentrale soziale Orientierungsfunktion. Werbungen und Talk-Shows werden weiblich, Nachrichten männlich konnotiert. Dass diese Konnotation unabhängig von dem je inszenierenden biologischen Geschlecht gilt, zeigen verschiedene Werbeinszenierungen (»das ist das parfum fürs arsch!«, »das ist werbung!«, »ruf mich an«). Krimis werden in allen Gruppen inszeniert, wobei die zur Inszenierung kommenden Formen der Durch- und der Auseinandersetzung in den Jungengruppen eher spielerischen Charakter hat, in den Mädchengruppen eher emotionalisiert ist. 4. Rituelle Medieninszenierungen stellen Zusammenhänge von Macht, Moderation und Markierungsprozessen aus.
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ERSPIELTES FERNSEHEN
Die Gemeinschaftsbildungsprozesse in rituellen Medieninszenierungen beruhen in der überwiegenden Mehrzahl in einem allgemeinen Darstellungswissen televisuell vertrauter und mimetisch einverleibter Rollenmodelle und Formatrahmungen. Etabliertes Medienwissen wie bspw. die Welt der Stars sichert ebenso wenig den Eintritt in eine sich in habitueller Gemeinsamkeit zusammenfindende Gruppengemeinschaft, wie Nichtwissen Ausschluss oder ›Antigration‹ bedeutet. Da die affektive Rollenwahl von subtilen Passungen in Bezug auf die soziale Rolle in der Gruppe geprägt ist, führen rituelle Medieninszenierungen die Ordnung der Gruppe verdichtet auf. Gleichzeitig inszenieren sie Vergemeinschaftungsprozesse in ausgrenzenden Markierungsverfahren von ›Fremden‹ und ›Anderen‹. Diesbezüglich zeigt sich, wie sich über Verfahren der Markierung von ›Fremden‹ (türkisch, arabisch, afrikanisch; nicht amerikanisch!) und ›Anderen‹ (dick, hässlich, ungehörig, unbeliebt, arm, weiblich) die Konstruktion des ›Eigenen‹ generiert und hierbei gerade dadurch abhebt, dass es sich selbstbezogener Markierungen enthält, wodurch auch der Vollzug der Zuschreibungen gemeinhin unsichtbar bleibt. Die markierende Position ist in den rituellen Medieninszenierungen wiederholt in der Position der Moderation in ihrer Handhabe des Mikrophons spezifiziert, wobei diese mit Macht verknüpfte Position seine Wirkung nur insoweit entfalten kann, wie sie im Interaktionsvollzug anerkannt wird. Der Erfolg rebellischen oder subversiven Verhaltens ist weniger an eine bestimmte Position im Rahmen der Inszenierung geknüpft, als vielmehr an sozialeffektive Verhaltensweisen, die meist mit der realsozialen Anerkennung der/des Agierenden einher gehen. Eine erfolgreiche Subversion der positionalen Machtverteilung ist von Murat (Gruppe Groteske) in dem Gerichtsverhör in Szene gesetzt, indem er die situativ vorgegebene Rollenverteilung inklusive ihrer impliziten Verhaltensaufforderung unterläuft; die widerständige Art und Weise hingegen, mit der Dunja (Gruppe Schönheit) auf die soziale Machtstruktur der Talk-Shows reagiert, die die Moderation verkörpert, stabilisiert ihre Außenseiterposition, ohne zu einer eigenständigen Positionierung zu gelangen. 5. Rituelle Medieninszenierungen zeigen zwei diametral entgegengesetzte Verknüpfungen von Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit. Die Mikroanalyse der rituellen Medieninszenierungen zeigt, wie sich die Mädchengruppen in hochkomplexen sozialen Auseinandersetzungsprozessen an dem normativen Bild des schönen Frauenkörpers in überzeichnender bis lustvoll aggressiver Weise abarbeiten. Die Jungengruppen hingegen stellen einen phallischen und obszönen Körper lustvoll aus.
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VERKÖRPERTE MEDIEN
Während sich die Mädchengruppen (insbesondere Gruppe Schönheit und Model) in ihrer inszenatorischen Themenwahl mit der Schönheitsnorm der Frau ›herumschlagen‹ und durch inszenatorische Distanznahmen die Lücke zwischen dem eigenen Körper und dem normativen Bild der Körperschönheit zu vergrößern suchen, zeigt sich in den Jungengruppen (insbesondere Gruppe Lust) ganz im Gegenteil die phallische Körperinszenierung in einer scheinbar ungebrochenen Beziehung zum männlichen Fetisch. Dabei steht die Inszenierung von Potenz im Kontrast zu dem symbolischen Potenzraub, den der Banküberfall thematisiert. Die Bindung der Weiblichkeitsinszenierung an den Körper steht hier gerade im Gegensatz zu der Entkopplung von Männlichkeitsinszenierung und Körperlichkeit, die in ihrer steten inszenatorischen Wiederholung gerade her und sicher zu stellen versucht wird. Hier zeigt sich eine fundamentale Differenz in dem Zusammenspiel von Geschlechtsinszenierung und Körperlichkeit: Wird im ersteren Fall gerade versucht, die beiden zur Deckung gebrachten Kategorien zu entzerren und das Ansehen der Frau zu entkörperlichen, indem die Körperfixiertheit entspannt wird, wird im zweiten Fall versucht, anhand der rückversichernden und körpergebundenen Inszenierung von Männlichkeit diese als Status- und Machtsymbol einzusetzen. Die Geschlechterdifferenz der eingesetzten Körperbilder zeigt sich so auf der Ebene körperidentifikatorischer bzw. -desidentifikatorischer Inszenierungsstrategien. In den Mädchengruppen geht es um die distanzierende Inszenierung einer beengenden weiblichen Körpernorm, in den Jungengruppen um die Inszenierung einer männlichen Geschlechtsidentität in der Form eines grenzüberschreitend-potenten Körpers. Hier schreibt sich in der Macht der Nachahmung die symbolische Ordnung der Geschlechter auf einer ebenso handlungspraktischen wie tendenziell unreflektierten Ebene fort und fest, die in den rituellen Medieninszenierungen so überraschend fokussiert zum Ausdruck kommt. Während die phallische Körperinszenierung das phantasmatische Zentrum potenter Männlichkeit aufzuführen sucht, wird der groteske Körper als Körper der Entgrenzung und Ambivalenz geführt. Schwer fassbar inszeniert er den geschickten Entzug aus Ordnungsstrukturen, ganz anders als der schöne Körper, der ja gerade soziale Ordnungsstrukturen aufführt. Der groteske Körper versammelt eine inszenatorische Abwehr der Zurichtung, inszeniert Selbstermächtigung und stellt gleichzeitig eine Verdichtung einer (männlichen) Grenzüberschreitung dar, die in den Mädchengruppen wiederholt als gefahrvoll thematisiert ist (Missbrauch). Demgegenüber bearbeiten die Mädchengruppen die Einverleibung des weiblichen Körpers durch den öffentlichen Blick und führen das kör-
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perliche Unbehagen im Hause einer gebildeten und immer auch Bild bleibenden weiblichen Schönheitsnorm vor. Es scheint der Präsentationsdruck der attraktiven körperlichen Oberfläche gemäß einer televisuell eingewöhnten normativen und reich bebilderten Vorstellung zu sein, innerhalb der sich zu bewegen und die zu bearbeiten sich die Mädchen in ihren verschiedenen Inszenierungen bemühen. In dem Spannungsfeld zwischen mimetischer Anähnlichung und dem Vorgaukeln der Verkörperung oszillieren die Inszenierungen zwischen der Prägung durch die ästhetisierten Bilderfluten und ihrer distanzierenden Inszenierung. Die Mädchen bearbeiten die Spannung eines globalisierten Fernsehbildes und des eigenen körperlichen Selbstentwurfs und beziehen durch die inszenatorische Kritik am Bild Stellung, ohne sich außerhalb des Bildes stellen zu können. Die Form der Kritik (im Wortsinn als Form der Trennung) ist in der Gruppe Schönheit in den Überspannungen der Bilder angezeigt, in der – älteren – Gruppe Model darüber hinaus in der dramaturgischen Gestaltung der Inszenierungen, womit die Distanzierungsstrategie deutlicher ausgewiesen ist. 6. Rituelle Medieninszenierungen führen die Ordnung der Geschlechter in einem Unterschied der Grenzziehungen auf. Die Inszenierungen der Mädchengruppen sind von der Thematisierung komplexer sozialer Binnendifferenzierungen ausgezeichnet. Demgegenüber ist in den Jungengruppen die Thematisierung interner Differenziertheit keineswegs vordergründig, es zeigt sich allerdings eine ganz andere Grenzziehung: die Grenze zum anderen Geschlecht. Wieder und wieder wird einerseits die Ausgrenzung, andererseits die lustvolle Aneignung weiblich konnotierter Gesten und Körperinszenierungen aufgeführt (Arschparfum, Sexualkunde, Verkleidung, Mord, Sport). Gerade in dieser Grenzziehung wird die zentrale Thematik der Jungengruppen deutlich: männliche Geschlechtsidentität, die sich allerdings nicht wie in den Inszenierungen der Mädchengruppen auf eine markierte Norm bezieht und sich an dieser distanzierend abarbeitet, sondern sich in der Abgrenzung zu einer markierten ›Weiblichkeit‹ hervorbringt und hierbei zur Leerstelle gerinnt. Der Bezug der Jungengruppen auf das andere Geschlecht ist gerade deswegen auffällig, weil keine Entsprechungen auf der Seite der Mädchen nachzuweisen sind. Hier zeigt sich eine Asymmetrie in der Geschlechterkonstruktion, da sich die Männlichkeitsinszenierungen über ihr Gegenbild einer markierten Weiblichkeit, die in wiederholten ritualisierten Praxen ›bezeichnet‹ wird, definieren und hierbei diffus bleiben. Dieser Asymmetrie entspricht eine entscheidende Differenz in den Anerken-
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VERKÖRPERTE MEDIEN
nungsverhältnissen, wenn sich Mädchen eher bezüglich Setzungen und Anpassungsaufforderungen zu verhalten haben, die sich auf der Ebene des Körperlichen (als Körperbild der schönen Frau) niederschlagen und hier Sichtbarkeit erlangen, von den Jungen hingegen eher erwartet wird, selber zu setzen, und die entsprechend auch wiederholt Nichtunterwerfung inszenieren. Diese Differenz begründet auch, warum in den Inszenierungen der Mädchengruppen die Thematik eines begrenzenden Weiblichkeitsbildes so deutlich zu Tage tritt, in den Inszenierungen der Jungengruppen hingegen Themen der Nichtunterwerfung und der geschlechtlich gezogenen Abgrenzung, ohne dass diese auf ein wie auch immer konsistentes Männlichkeitsbild zugreifen bzw. sich an einem solchen abarbeiten könnten. 7. Rituelle Medieninszenierungen verdichten Wert- und Weltvorstellungen in der Praxis der Verkörperung. Warum nun allerdings spielen die Jungen Mädchen und warum spielen die Mädchen nicht Jungen? Dass sich die markierten ›Anderen‹, die Mädchen, mit der komplexen Gestaltung interner Grenzziehungen auseinandersetzen, mag durchaus als Reaktion auf die verschieden deutliche Markierung und Ausgrenzung bezüglich einer dominant gesetzten ›Männlichkeit‹ verstanden werden, die sich entsprechend in den Ausgrenzungsprozessen der ›Fremden‹ und ›Anderen‹ wiederholt und spiegelt, wie sie in den Mädchengruppen in Szene gesetzt werden. Von der anderen Seite: Die Jungen als ›Vertreter der Norm‹ können von dieser Position aus spielerisch auf das ›Andere‹ (Weiblichkeit) zugreifen, ohne die eigene Position zu destabilisieren. Sie übertreten die Grenze, wie sie es in fast allen ihren Inszenierungen bereits auf der Ebene der Inszenierung der Körper tun, sie greifen von dieser Position aus und vollziehen vielfältige symbolische Penetrationsakte. Die Mädchen fokussieren (reagierend) ihre internen Beziehungskonstellationen und thematisieren das andere Geschlecht primär in seiner Gefahr des Grenzübertritts (»missbraucht«, »falsche leute«). Elisabeth Bronfen argumentiert diesbezüglich in ihrer Studie über die überraschende kulturhistorische Konstanz des Bildes des schönen toten Frauenkörpers: »Das männliche Subjekt versucht zwar, die Weiblichkeit als Grenze der Norm zu setzen, als Inbegriff dessen, was diese Norm ausschliesst, spiegelt sich aber auch gleichzeitig in ihr, so dass die Weiblichkeit diese Norm immer auch stützt, ihr regelrecht als extimer Kern innewohnt. [Daher …] kann sich das moderne ›männliche‹ Subjekt nur dadurch definieren, dass es zuerst Aspekte des Weibli-
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chen in sich aufnimmt, sich diese aneignet, bevor es sich in einem zweiten Schritt dieser inkorporierten Weiblichkeit entledigt.« (Bronfen 2004: V)
In den Videoinszenierungen wird eine in dieser Weise verstandene symbolische Ordnung der Geschlechter insofern augenscheinlich, als dass die Jungengruppen sowohl mit medial kommunizierten Bildern und Modellen spielen als sich auch die Gesten der ›Anderen‹ einverleibend aneignen können, um diese dann, mit der These Bronfens, umso erfolgreicher auszugrenzen. Die Mädchengruppen zeigen einen sowohl professionelleren als auch kritischeren und aggressiveren, mithin genarbteren Umgang mit dem normativen Gehalt der televisuellen Bilder, suchen inszenatorische Bewältigungsstrategien bezüglich der Zuschreibungen, Zubildungen, in denen sie stückweit immer gefangen bleiben, haben die Visualisierungsstrategien längst internalisiert, wie sie auch der eigene Körper immer schon ein Körperaußen ist, wie die andauernde Thematisierung des schönen Körpers vorführt. Eine andere Argumentationsmöglichkeit allerdings ist, dass sich die Mädchen schlichtweg nicht sonderlich für die Jungen als Jungen interessieren, dass sie sich in dem homosozialen Kontext der Gleichaltrigengruppe selbst genug sind, dass sie keine weitere Unterhaltung brauchen. In dieser Perspektive sind es die Jungen, die sich nach den Frauen ausrichten, indem sie mit weiblich konnotierten Gesten spielen, um sich dem ›Anderen‹ anzunähern, das gerade auch in seiner Unabhängigkeit so reizvoll erscheint. Da die Mädchengruppen hierfür verschiedene Bewältigungsmodelle anbieten, haben beide Interpretationsangebote fallspezifische Berechtigung und treten auch miteinander auf: Die Gruppe Schönheit orientiert sich an der Rede des Mannes, die in ihrem Schönheitszyklus zentral gesetzt ist und der bezüglich sich die vielfältig inszenierten Degradierungszeremonien entfalten. Im Kontrast hierzu setzt die Gruppe Intrige sich selber zentral, inszeniert sich jenseits von Markierungen, indem ihr zentrales Thema die Grenzmarkierung nach außen ist. Das andere Geschlecht ist hierbei von keinem eigenständigen Interesse. Gleichwohl bleibt in der Zusammenschau die deutliche Geschlechtsdifferenz der Inszenierungen auf den verschiedenen Ebenen bestehen: Während die Mädchengruppen das Drama der Talk-Show und der ›Zickenkriege‹ aufführen (gespickt mit verbalen und visuellen Penetrationsakten), setzen die Jungengruppen die Persiflage der faktenorientierten Berichterstattung in Szene. Während sich die Mädchengruppen an der körpermarkierenden und hierin begrenzenden Schönheitsnorm abarbeiten, inszenieren die Jungengruppen den entgrenzten Körper und den wiederholten Grenzübertritt. Und während die Mädchengruppen Gemein-
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VERKÖRPERTE MEDIEN
schaft in ihrer internen Differenziertheit aufführen, inszenieren die Jungengruppen das andere Geschlecht als zentrale Differenz der Gruppe. Es zeigt sich, dass rituelle Medieninszenierungen in der kreativen Bearbeitung televisuell kommunizierter Handlungs- und Gemeinschaftsmodelle Ordnungs- und Wirklichkeitsvorstellungen in kritischer Kommentierung produzieren und reproduzieren, Ordnungs- und Wirklichkeitsvorstellungen, die sich in einer bipolaren und asymmetrischen symbolischen Ordnung der Geschlechter verdichten und wiederum in körperdifferenten Inszenierungen wirkmächtig werden.
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MATERIAL
Gruppe
Teilnehmende
Sitzungen und Inszenierungen
Gruppe
Gyza, 12, kurdisch
1. Gruppe Mix
Intrige
Janine, 13, deutsch
Werbung: Arschparfum, Coca-Cola-Sprite-
Kyra, 11, deutsch/
Parfum, Sprite, Power-Rangers, Parfum, Ruf
türkisch
mich an
Maria, 11, yugoslawisch
Witze: Fritzchen, Flugzeug
Maya, 12, thailändisch
Song: Guildo Horn
Nadia, 12, deutsch/
2. Gruppe Intrige
philipinisch
Werbung: Schuhe, Lip-Gloss, Colaschwarm
Sonja, 12, deutsch/
Shows: Reportagen im Park
polnisch
Krimi: Rosenmörder 3.-6. Gruppe Intrige Krimi: Mord im Mädchenklo
Gruppe
Binol, 10, türkisch
4. Gruppe Groteske
Grotes-
Murat, 12, türkisch
Song: Hundedreck
ke
Stephan, deutsch
Krimi: Kloüberfall
Wladimir, 11, yugosla-
7. Gruppe Groteske
wisch
Nachrichten: Mord, Wetter, Sport Song: Verona Witz: Sandaletten
Gruppe
Güley, 10, türkisch
Song: Hundedreck
Mix
Lisa, 11, deutsch
8. Gruppe Mix
(alle)
Tanz: Break dance (Gruppe Groteske) Show: Musikstars inclusive: Song: Tarkan
Gruppe
Claudia, 11, deutsch
1.
Schön-
Dunja, 11, deutsch
Witz: Essen
heit
Tanja, 10, deutsch
Serie GZSZ: Drink, Schule Frei: Schminksalon für Party 2. Werbung: Nokia-Handy Krimi: Banküberfall Serie GZSZ: Schülerzeitung
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VERKÖRPERTE MEDIEN Shows: Dick, Klamotten, Schönheit Werbung: Lidschatten 3. Shows: Modenschau Hüte, Talenteschau Musik Werbung: Döner Show: Afrika Serie Teletubbies: Stuhl, Pudding 4. Serie GZSZ: Kartoon Gruppe
David, 13, deutsch
1.
Lust
Dursum, 13, türkisch
Krimi: Banküberfall
Mehmed
2.
Pierro, 12, litauisch
Frei: Verkleidung, Skelett
Timar, 11, syrisch
3.
Ulak, 12, türkisch
Krimi: Banküberfälle
Yavas, 13, türkisch
4. Nachrichten: Sport, Wetter, Krieg, Sexualkunde inklusive: Werbung: Tanz, Ruf mich an
Gruppe
Bianca, 12, deutsch
1.
Model
Emina
Shows: Stars und Sternchen mit Naomi Campbell
Jasmin, 12, deutsch
inklusive:
Mia, 11, rumänisch
Songs: Britney Spears, Herbert Grönemeyer
Nofra, 12, angolisch
2.
Sirin, 12, kurdisch
Shows: Missbraucht, Fremde Welten
Susanna, deutsch
Werbung: Coca Cola, Tee, Musik, Schäle, Kamm,
Tizia, 11, deutsch
Otto, Slim fast, Schuhe 3. Krimi: Modelfilm inklusive: Show: Modenschau und: Werbung: Pokemon
Die Angaben sind denen der Teilnehmenden entsprechend, die Namen sind kodiert. In den ›fehlenden‹ Sitzungen kommt es zu keinen selbstinitiierten Inszenierungen. Die Gesichter in den Videostills der Inszenierungen sind zum Personenschutz der Teilnehmenden verfremdet.
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TRANSKRIPTION (.) (3) ! ja ja °ja° >ja< @ja@ @ . ; ? , vielleioh=ja ja::: (ja) ( ) (guckt) […] [Schnitt]
überlappender oder direkter Anschluss bei Sprecherwechsel kurzes Absetzen während des Sprechens Pause während des Sprechens (Sekundenzahl) rufend gesprochen betont gesprochen laut gesprochen (in Relation) leise gesprochen (in Relation) schnell gesprochen lachend gesprochen kurzes Auflachen stark sinkende Intonation schwach sinkende Intonation stark steigende Intonation schwach steigende Intonation Abbruch eines Wortes Wortverschleifung Dehnung entsprechend der Häufigkeit der Doppelpunkte unsichere Transkription unverständliche Äußerungen entsprechend der Klammerlänge paraverbale und körperliche Handlungen in eigener Zeile Transkriptionsauslassungen im Rahmen der Darstellung Schnitt im Material der Kinderkamera, ggf. mit Ergänzungen aus der Perspektive der Standkamera
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LITERATUR Althans Birgit (2004): »Fehlende Übergangsrituale im Islam. Die produktive Leerstelle des Anderen«. In: Christoph Wulf/dies./Kathrin Audehm/Constanze Bausch/Benjamin Jörissen/Michael Göhlich/ Ruprecht Mattig/Anja Tervooren/Monika Wagner-Willi/Jörg Zirfas, Bildung im Ritual. Schule, Familie, Jugend, Medien, Wiesbaden: VS, S. 241-268. Althans, Birgit (2001): »Transformation des Individuums. Michel Foucault als Performer seines Diskurses und die Pädagogik der Selbstsorge«. In: Christoph Wulf/Michael Göhlich/Jörg Zirfas (Hg.), Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim/München: Juventa, S. 129-155. Ang, Ein (2001): »Zuschauer, verzweifelt gesucht!«. In: Ralf Adelmann/Jan O. Hesse/Judith Keilbach/Markus Stauff/Matthias Thiele (Hg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse, Konstanz: UTB, S. 454-483. Arendt, Hannah (1997): Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München: Piper. Audehm, Kathrin (2004): »Konfirmation: Familienfest zwischen Glauben, Wissen und Können«. In: Christoph Wulf/Birgit Althans/dies./ Constanze Bausch/Benjamin Jörissen/Michael Göhlich/Ruprecht Mattig/Anja Tervooren/Monika Wagner-Willi/Jörg Zirfas, Bildung im Ritual. Schule, Familie, Jugend, Medien, Wiesbaden: VS, S. 211240. Audehm, Kathrin (2001): »Die Macht der Sprache. Performative Magie bei Pierre Bourdieu«. In: Christoph Wulf/Michael Göhlich/Jörg Zirfas (Hg.), Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim/München: Juventa, S. 101-128. Aufenanger, Stefan/Neuß, Norbert (1999): Alles Werbung, oder was? Medienpädagogische Ansätze zur Vermittlung von Werbekompetenz im Kindergarten, Kiel: ULR. Austin, John L. (1985): Theorie der Sprechakte, Stuttgart: Reclam.
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LITERATUR
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Kultur- und Medientheorie Annett Zinsmeister (Hg.) welt[stadt]raum mediale inszenierungen Dezember 2006, ca. 160 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 16,80 €, ISBN: 3-89942-419-0
Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts Dezember 2006, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-420-4
Simone Dietz, Timo Skrandies (Hg.) Mediale Markierungen Studien zur Anatomie medienkultureller Praktiken Dezember 2006, ca. 270 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-482-4
Peter Rehberg lachen lesen Zur Komik der Moderne bei Kafka Dezember 2006, ca. 224 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-577-4
Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899) Dezember 2006, ca. 350 Seiten, kart., ca. 30,80 €, ISBN: 3-89942-596-0
Stefan Kramer Das chinesische Fernsehpublikum Zur Rezeption und Reproduktion eines neuen Mediums November 2006, 228 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-526-X
Constanze Bausch Verkörperte Medien Die soziale Macht televisueller Inszenierungen November 2006, 250 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-593-6
Georg Stauth, Faruk Birtek (Hg.) ›Istanbul‹ Geistige Wanderungen aus der ›Welt in Scherben‹ November 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-474-3
Karin Knop Comedy in Serie Medienwissenschaftliche Perspektiven auf ein TV-Format November 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-527-8
Arno Meteling Monster Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm November 2006, 390 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN: 3-89942-552-9
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Kultur- und Medientheorie Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium
Petra Missomelius Digitale Medienkultur Wahrnehmung – Konfiguration – Transformation
November 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 3-89942-563-4
September 2006, 234 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-548-0
Bettina Mathes Under Cover Das Geschlecht in den Medien
Helga Lutz, Jan-Friedrich Mißfelder, Tilo Renz (Hg.) Äpfel und Birnen Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften
Oktober 2006, 186 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-534-0
Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung Oktober 2006, 236 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 25,80 €, ISBN: 3-89942-591-X
Petra Leutner, Hans-Peter Niebuhr (Hg.) Bild und Eigensinn Über Modalitäten der Anverwandlung von Bildern Oktober 2006, 206 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-572-3
Ursula Link-Heer, Ursula Hennigfeld, Fernand Hörner (Hg.) Literarische Gendertheorie Eros und Gesellschaft bei Proust und Colette Oktober 2006, 288 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-557-X
September 2006, 262 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-498-0
Michael C. Frank Kulturelle Einflussangst Inszenierungen der Grenze in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts August 2006, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-535-9
Christian Wenger Jenseits der Sterne Gemeinschaft und Identität in Fankulturen. Zur Konstitution des Star Trek-Fandoms August 2006, 406 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-600-2
Martin Pfleiderer Rhythmus Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik August 2006, 390 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 3-89942-515-4
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Kultur- und Medientheorie Barbara Becker, Josef Wehner (Hg.) Kulturindustrie reviewed Ansätze zur kritischen Reflexion der Mediengesellschaft August 2006, 296 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-430-1
Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel, Serjoscha Wiemer (Hg.) Affekte Analysen ästhetisch-medialer Prozesse. Mit einer Einleitung von Mieke Bal August 2006, 196 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-459-X
Georg Mein (Hg.) Kerncurriculum BA-Germanistik Chancen und Grenzen des Bologna-Prozesses Juli 2006, 94 Seiten, kart., 11,80 €, ISBN: 3-89942-587-1
Petra Gropp Szenen der Schrift Medienästhetische Reflexionen in der literarischen Avantgarde nach 1945 Juli 2006, 450 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-404-2
Ralf Adelmann, Jan-Otmar Hesse, Judith Keilbach, Markus Stauff, Matthias Thiele (Hg.) Ökonomien des Medialen Tausch, Wert und Zirkulation in den Medien- und Kulturwissenschaften Juli 2006, 338 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-499-9
Regina Göckede, Alexandra Karentzos (Hg.) Der Orient, die Fremde Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur Juli 2006, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-487-5
Michael Treutler Die Ordnung der Sinne Zu den Grundlagen eines ›medienökonomischen Menschen‹ Juli 2006, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-514-6
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de