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German Pages 186 [224] Year 1968
Vergleichende Geschichte der slavischen Literaturen i
Einführung Anfänge des slavischen Schrifttums bis zum Klassizismus
von
Dr. Dmitrij Tschizewskij P r o f . an der Universität Heidelberg
Sammlung Göschen Band 1222/1222 a
Walter de Gruyter & Co • Berlin 1968 vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung * J. G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • K a r l J . Trübner • Veit & Comp.
© C o p y r i g h t 1968 by W a l t e r de G r u y t e r & C o . , v o r m a l s G. J . Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g — J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung — Georg R e i m e r — K a r l J . Trübner — Veit & C o m p . , Berlin 30. — A l l e Rechte, einschl. der Rechte der H e r s t e l l u n g von Photokopien und M i k r o f i l m e n , v o m V e r l a g v o r behalten. — A r c h i v - N r . 73 80 679. S a t z und Druck: S a l a d r u d c Steinkopf & Sohn, Berlin 36. — P r i n t e d in G e r m a n y
Vorrede Dieses Buch ist ein Versuch, die slavischen Literaturen in ihrer Entwicklung als Einheit darzustellen. Zum Unterschied von meinem 1952 erschienenen englischen Buch über dasselbe Thema („Outline of Comparative Slavic Literature", Boston/Mass., Verlag der „American Academy") wurde die Darstellung nicht nur etwas erweitert (und meinen Vorlesungen an den Universitäten Halle, Marburg, Harvard, Heidelberg und Köln angepaßt), sondern vor allem durch Beispiele illustriert. — Abgesehen von den rein wissenschaftlichen Motiven, die mich zur Arbeit an diesem Thema geführt haben, betrachte ich die Darstellung der „Vergleichenden Geschichte der slavischen Literaturen" als eine wichtige pädagogische Aufgabe, denn die Studierenden der „slavischen Philologie" sollen nicht nur eine einzige (meist ist es die russische) Literatur kennenlernen, sondern mindestens einen Überblick über alle slavischen Literaturen erhalten. Ich bin mir durchaus im klaren, daß meine Darstellung nur eine erste Bekanntschaft mit den slavischen Literaturen vermitteln kann und daß die nähere Kenntnis des konkreten Stoffes erst durch eine Beschäftigung mit den einzelnen Literaturen erworben werden kann. Zunächst mag der Leser weitere Texte der in diesem Buch erwähnten Dichter kennenlernen. Anleitung dazu geben die Literaturhinweise. Meinen Hörern und den Teilnehmern an meinen Seminaren danke ich für zahlreiche Anregungen, die ich von ihnen erhalten habe; nicht zu Unrecht bemerkt Comenius, daß er „vieles bei seinen Lehrern, mehr bei seinen Studienkollegen und noch mehr von seinen Schülern" gelernt habe. Für die Mitarbeit bei der Vorbereitung des hier gebotenen Textes möchte ich vor allem Fräulein Katrin Henrichs sowie meinen Kollegen, Assistenten und Schülern an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Der Verfasser
Inhalt des 1. Bandes Vorrede
3
Vorbemerkung
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I. Einführung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
Vergleichende Geschichte der slavischen Literaturen D i e slavischen Sprachen und f r e m d e Entlehnungen in ihnen . Zentrifugale und zentripetale Entwicklung der Lexik D i e slavische Folklore Parallelentwidtlung des Stils „Slavisches Bewußtsein" Methodologische Probleme Grundtendenzen der Entwicklung Schwierigkeiten ihrer Erforschung Typologie Ubergangsstufen der Entwicklung Gemeinsamkeiten der K u n s t m i t t e l : „Kataloge", Metaphern . Besonderheiten gegenüber den westeuropäischen Literaturen . Vorurteile der Methode Vorurteile der T r a d i t i o n Balkanslaven
II. Anfänge des slavischen Schrifttums 1. 2. 3. 4. 5.
Slavenmission Sprache Texte Stil Literatursprache vor der Mission?
III. Das frühe Mittelalter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Ende der Mission Sprache und Schrift des slavischen Frühmittelalters D i e kirchenslavische Literatur der Westslaven D i e Literatur Bulgariens Die Literatur der Ostslaven. Sprache Die Literatur der Ostslaven. Werke Stil Ideologische Eigenart
12 12 12 16 20 22 23 24 25 28 29 30 32 36 38 39 41
42 42 44 44 45 47
48 48 49 50 52 54 55 57 60
Inhalt
5
IV. Das späte Mittelalter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
V. Die Moskauer Literatur des 16.—17. Jahrhunderts 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
61
Sprachliche Entwicklung Stil Literaturwerke und Verfasser Kompilationen Der stilistische Schmuck Metaphorik Reden der handelnden Personen Euphonie Inhalt Ideologie Gegenseitige Beziehungen der slavischen Literaturen
62 64 65 68 69 70 73 76 78 81 85
...
Moskaus Trennung von "Westeuropa Verbindungen mit dem Westen Enzyklopädische Literatur Religiöse K ä m p f e Neue Verbindungen m i t dem Westen Stilistische Eigenart der Literatur Ideologische Eigenart der Literatur
VI. Hussitentum 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Johannes H u s Grundtendenzen des Hussitentums Stilistische Eigenart der Literatur Überblick über die Hussitenliteratur Stil der Literatur Liederdichtung Bibelübersetzungen P e t r Cheliidty Einwirkungen des Hussitentums auf die slavische Welt . . . .
VII. Renaissance 1. 2. 3. 4.
Begriff der Renaissance K u n s t a u f f a s s u n g der Renaissance E i n w i r k u n g auf die Slaven D i e Renaissance bei den slavischen Völkern
5. D i e Renaissance bei den Cechen 6. D i e Renaissance bei den K r o a t e n
86 86 88 88 89 90 91 93
94 94 94 96 97 98 98 100 100 101
102 103 104 105 106 106 110
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Inhalt 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Die Renaissance bei den Polen Renaissance und R e f o r m a t i o n Die Renaissancewissenschaft bei den Slaven Slavische Renaissance in Ungarn Sprachentwicklung D i e Renaissance bei den Ostslaven Die Krise der Renaissance
V I I I . Barock 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Erforschung der slavischen Barockdichtung Westliche Einwirkungen der Barockdichtung bei den Slaven . Barockdichtung bei einzelnen slavischen Völkern Wissenschaft im slavischen Barock Stellung des Barock zwischen Mittelalter und Renaissance . . . Stil der Barockdichtung Symbolik im Barock Ideologie der slavischen Barockdichtung Krise des Barock Weitere Wirkungen des Barock Bedeutung des Barock bei den Slaven
I X . Klassizismus 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Barock und Klassizismus Provinzielle slavische Kulturen Höfischer Klassizismus Der polnische Klassizismus Der russische Klassizismus Ideologie. A u f k l ä r u n g und Mystik D i e Karamzinsche R e f o r m Poetik „Unvollständige" Literaturen Sprache Ende des Klassizismus
113 116 117 118 118 118 120
121 121 123 124 127 128 133 138 139 141 142 143
144 145 146 146 147 149 152 152 154 156 159 160
Literaturverzeichnis
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Register
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I n h a l t des 2, Bandes X. Romantik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
Begriff der R o m a n t i k Opposition gegen den Klassizismus Weltanschauung Anthropologie Die Natur Erkenntnis Poetik. Versdichtung Thematik Sprache Stil Ideologische Themen Spätromantik. Biedermeier Die Natürliche Schule Die Krise der R o m a n t i k Gegenseitige Beziehungen der slavischen Literaturen der Romantik
XI. Realismus
8 9 10 10 11 14 17 18 21 27 31 35 39 42 42 44
48
1. Realismus 2. Abgrenzung gegenüber der R o m a n t i k
49 49
3. 4. 5. 6. 7. 8.
51 52 53 58 63 66
Realismus in den slavischen Literaturen Traditionelle Gattungen Neue Gattungen Versdiditung Prosagattungen. Der R o m a n Die Helden
9. D i e Novelle
68
10. Typisierung 11. Schilderung der Grenzfälle
69 71
12. 13. 14. 15. 16. 17.
72 75 76 76 78 80
Impressionismus Kausalität Außerliterarische Werte Theater Krise und Weiterleben des Realismus Sprache
8
Inhalt
XII. Die Moderne 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Impressionismus Aktualisierung des Wortes N e u e Strömungen Neue Formen Thematik Andere Welten Pessimismus K o n k r e t e Wirklichkeit N a t u r l y r i k . „Dunkle Gedichte" Positive Ideale Thematik Sprache Andere Strömungen. Spätrealisten Futurismus und anderes
Zum Abschluß 1. 2. 3. 4. 5.
Lage der Forschung Westliche Quellen der slavischen Dichtung Forschungsprobleme Entwiddungsschema Gegenseitige Verbindungen der slavischen Literaturen
81 82 83 85 87 94 95 97 98 99 101 102 104 105 106
107 107 109 110 III 113
Literaturverzeichnis
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Register
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Vorbemerkungen In einem jeden Kapitel gebe ich. einige Beispiele, die z. T. nur in Ubersetzung, z. T. auch im Originaltext geboten werden. Sie sind so gewählt, daß sie eine erste Vorstellung von der stilistischen Eigenart der Werke einer jeden Epoche vermitteln können; manche sind wohl auch inhaltlich von Interesse. Die Texte vertreten natürlich nicht in gleichem Maße alle slavischen Literaturen. Die kleineren Literaturen (die weißrussische, sorbische und mazedonische) sind sogar stiefmütterlich behandelt; dafür ist aber auch der zu kleine Umfang dieses Buches verantwortlich. Prosawerke, vor allem solche aus der modernen Literatur, hätten auch durch zu lange Zitate vertreten sein müssen, und ich mußte damit rechnen, daß der interessierte Leser doch zu Übersetzungen greifen würde, deren Zahl sich immer mehr vergrößert. Größerer Raum wurden den Fragen eingeräumt, denen bis jetzt m. E. nur ungenügende Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. — Die Daten über die Dichter sind z. T. in den den einzelnen Kapiteln beigegebenen Tabellen zusammengestellt. Die Zahl der Namen zu vergrößern wagte ich nicht, da dies eine ungeheure Belastung der Aufnahmefähigkeit und des Gedächtnisses der Leser bedeuten würde. Die Daten über diejenigen Dichter, deren Name nur gelegentlich im Text erwähnt ist, findet man im Namenindex. Das Literaturverzeichnis enthält nur ausgewählte Arbeiten, vor allem solche neueren Werke, die auch weitere bibliographischen Hinweise geben können. Nur die Liste der Abrisse der einzelnen Literaturen und das Verzeichnis der Aufsätze, die die Grundproblematik dieses Buches behandeln, wurden etwas ausführlicher gehalten. Da die Literaturgeschichten, vor allem diejenigen älteren Datums, Fragen des Stils oft nur ungenügend beleuchten, sind Hinweise auf diese Werke nur gegeben worden, damit der Leser mit ihrer Hilfe bibliographische Hinweise auf speziellere Arbeiten erhalten konnte. Die Aufnahme eines Werkes in das Literaturverzeichnis bedeutet keinesfalls, daß ich mit
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Vorbemerkungen
den Meinungen von dessen Verfasser einverstanden bin. Manche Arbeiten neueren Datums wurden vor allem deshalb in das Literaturverzeichnis aufgenommen, weil sie auf bisher wenig beachtete Tatsachen hinweisen oder neue Probleme aufwerfen und zu lösen versuchen. Der Entwicklung der Literatursprachen konnte nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auch hier sollen Hinweise auf die neueren Arbeiten dem Leser, der weiterkommen will, helfen. Hinweise auf die Aussprache der in den slavischen Sprachen gebrauchten Buchstaben findet der Leser vor allem bei H. Bräuer (Slavische Sprachwissenschaft. I. Sammlung Göschen 1191/1191 a, S. 8 f.). Hier gebe ich die für die Lektüre der in diesem Buch vorkommenden Texte nötigen Hinweise. ' über einem Vokal bezeichnet die betonte Silbe, im Cechischen und Slovakischen aber bezeichnet es die Länge des Vokals. ' oder v über einem Konsonanten und ' hinter dem Konsonanten bezeichnet die Palatalität des Konsonanten (vgl. franz. gn). y = bi ist ein dunkler mit weit zurückgezogener Zunge gesprochener ¿-Laut, im Cechischen und Slovakischen jedoch = i. c ist ts, z ist stimmhaftes s, c ist tsch, s ist sch, z ist stimmhaftes sch (wie g in Genie). Besonderheiten der einzelnen Sprachen: Russisch: e im Anlaut oder nach Vokalen = je, sonst den vorhergehenden Konsonant palatalisierend. -b bezeichnet die Palatalität des vorhergehenden Konsonanten. Ukrainisch: n = y (s. oben), r = h, s = je. Bulgarisch: ä — ein dunkler Vokal. Serbokroatisch: c ist ein palatales tschi, d oder dz ein palatales dschh Polnisch: 4 ist ein Nasal vokal ähnlich dem franz. on, e ein Nasalvokal ähnlich dem franz. in; o = u; i zwischen einem Konsonanten und einem Vokal bedeutet die Palatalität des vorhergehenden Konsonanten, z = 2 (s. oben),
Vorbemerkungen
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cz = tsch, sz = sch, rz = z oder s (je nach der phonetischen Umgebung); l ist ein „hartes l" nahe dem bilabialen u. Cechisch: e ist je ('e); u ist langes u\ n, U, l oder n, n', d, t sind palatale n, d,t;r ist ein eigenartiger Laut — rz. Slovakisch palatalisiert e den vorhergehenden Konsonant, von e wird ein ä unterschieden, o ist ein »o-Diphtong, das Zeichen ' bedeutet Länge des Vokals und auch der vokalischen r und 1.
I Einführung 1. Die vergleichende Geschichte der slavischen Literaturen zieht erst seit einigen Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich. Zu früh — noch vor Bearbeitung der konkreten Probleme — begann man mit grundsätzlichen Erörterungen über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen Wissenschaft. In der Diskussion wurden aber nicht nur rein wissenschaftliche, sondern auch ganz heterogene Standpunkte zur Geltung gebracht. Die Anhänger einer vergleichenden Behandlung der slavischen Wortkunstwerke haben bisweilen die Einheit der slavischen Völker und die Enge ihrer gegenseitigen Verbindungen zu stark betont. Für die Notwendigkeit unserer Wissenschaft sprechen allerdings auch wirksame pädagogische und praktische Motive, während gegen ihre Möglichkeit begründete Zweifel nicht belanglose Argumente zur Geltung gebracht werden. 2. „Slavistik" oder „slavische Philologie" gewinnt als Studium und Forschungsfach immer mehr Bedeutung an den Universitäten Europas und in Ubersee. Es ist aber Gefahr vorhanden, daß man statt der weiten und mannigfaltigen „slavischen Welt" die „russische Welt" studiert und von ihr aus unberechtigte Schlußfolgerungen auf die Kultur anderer slavischer Völker, die vielfach in ganz anderen Traditionen stehen, zieht. Es entfalten sich bei allen slavischen Völkern fast zu allen Zeiten gewisse parallellaufende Prozesse, die auch in der großen geistigen Einheit, die Europa bildete, vor sich gehen. Mögen gewisse Teile der slavischen Welt nur am Rande dieser großen geistigen Einheit liegen — die Verbindungen mit dem Westen sind immerhin ungemein gewichtiger als die mit dem Osten. Das zeigt sich auch in den Sprachen aller slavischen Völker, die wohl zahlreiche Entlehnungen aus orientalischen Sprachen haben; diese Entlehnungen gehören jedoch vorwiegend dem Gebiet der materiellen
I. Einführung
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K u l t u r u n d nur ausnahmsweise dem der geistigen K u l t u r u n d der Staatsorganisation an. Dagegen h a t das gemeinsame geistige Schicksal der slavischen Völker, die fast gleichzeitig christianisiert w o r d e n sind (im 9. bis 10. J a h r hundert), sie aufs engste mit dem Christentum v e r b u n d e n ; die christliche Literatur — mit der Bibel angefangen — trug im wesentlichen zur Ausbildung eines Wortschatzes der slavischen Sprachen auf dem Gebiete des seelischen u n d geistigen Lebens bei. Als Beispiel d ü r f e n wir das Russische nehmen, die Sprache des am weitesten im Osten beheimateten slavischen Volkes, das jahrhundertelang v o n einem orientalischen Reich abhängig w a r . N e h m e n wir W ö r t e r , die sehr oft im Alltag gebraucht werden (wir nehmen hier W ö r t e r aus t u r k o t a t a rischen, ugrofinnischen u n d aus indogermanischen, doch „orientalischen" — wie etwa der persischen — Sprachen usf.); dazu gehören z . B . : Matratze — tjufjak, Schuh — basmak, Gürtel — kusak, Morgenmantel — chalat, Divan (wie deutsch), Tee — caj, Porzellan — farfor, Speisekammer — culan, Pelzmantel — suba, Winterkappe aus Kamelhaar — baslyk, Kleidungsstücke verschiedener Art, die vor allem von Bauern getragen werden — kaftan, armjak, tulup, Frauenkleid — sarafan, Kopfbedeckungen — kolpak, papacha, landwirtschaftliche Bauten — saraj, ambar, Zelt — kuren, Markt — bazar, verschiedene Stoffe: Samt — barchat, Damast — kamka, roter Baumwollstoff — kumac; die Namen von Pferdefarben, von verschiedenen Edelsteinen und von veralteten Waffenarten: Köcher — kolcan, Dolch — kinzal, Säbel — saska, Keule — kisten, Peitsche — nagajka; Wörter verschiedener Bedeutung wie Faust — kulak, Hund — sobaka, Fesseln — kandaly, Pest — cuma, einige Speisenamen; aber wenig Wörter, die Gegenstände der geistigen Kultur und der Staatsorganisation bezeichnen: Geld — dengi, auch altyn — Dreikopekenstück, Postwesen — jam (veraltet, aber noch lebendig in jamscik — Kutscher), Zollamt — tamoznja, Dolmetscher — tolmac, eventuell tovarisc — Genosse; einige Wörter dieser Gruppe haben negative Färbung: Menschenmenge — vataga, Nomadenlager— tabor, Horde — orda, einige sind sogar Schimpfwörter:
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I. E i n f ü h r u n g l.-.arga — alte Vettel, halbes -— D u m m k o p f , busurman — U n gläubiger . . .
A n d e r e slavische S p r a c h e n h a b e n w e n i g e r u n d andere orientalische E n t l e h n u n g e n .
vielfach
Aber z. B. das W o r t tovarisc (bzw. c. tovarys, p. towarzysz, sloven. tovaris usf.) ist in allen slavischen Sprachgruppen gemeinsam. Viele E n t l e h n u n g e n aus d e m Germanischen gehören zu d e n s e l b e n W o r t g r u p p e n , a b e r d i e W ö r t e r , d i e B e g r i f f e des Staatslebens betreffen, sind weitgehend wichtiger, d a z u gehören z.B.: k n j a z ' — Fürst, k r a l ' oder korol' — König (das W o r t ist einfach der N a m e Karls des Großen), m y t o — Zoll; noch vor A n n a h m e des Christentums entlehnten die Slaven bei den Germanen solche Wörter, wie (ich f ü h r e im Weiteren die modernen russischen Formen a n ; näheres über die einzelnen Entlehnungen bei M. Vasmer) cerkov' •— Kirche, p o p — P f a f f e , krest — K r e u z ; daneben stehen die N a m e n der W a f f e n : mec — Schwert, slem — Helm, bronja — Panzer, und zahlreiche Begriffe der materiellen K u l t u r : chudoznik — Künstler (ursprünglich H a n d w e r k e r ) , steklo — Glas, plug — Pflug, bljudo — Schüssel, kotel — Kessel, und sogar chleb — Brot (gemeint Laibbrot im Gegensatz zum wohl früher bekannten Brot in Form von Fladen), izba — Stube, jetzt Bauernhaus poln. auch „Kammer"-izba h a n d l o w a — Handelskammer), chyza (jetzt meist chizina) — H a u s usf. Es gab auch Mißverständnisse, so d a ß das gotische Wort, das den Elefanten bezeichnete, bei den Slaven die Bedeutung „Kamel" erhielt. Doch bedeutend zahlreicher u n d kulturell wichtiger sind die E n t l e h n u n g e n aus d e n b e i d e n a l t e n S p r a c h e n , je n a c h d e r K o n f e s s i o n d e r e n t l e h n e n d e n V o l k s g r u p p e . S o z. B. russische E n t l e h n u n g e n a u s d e m G r i e c h i s c h e n : Monatsnamen, solche Wörter wie arap — Neger, aromat — Aroma, k r o v a t ' — Bett, f o n a r ' — Laterne, korabl' — Schiff, k a d ' (jetzt auch kadka) — Faß, visnja — Kirsche; besonders zahlreich sind Wörter aus dem kirchlichen Gebiet: ierej — Priester, angel — Engel, apostol — Apostel, evangelie —
I. E i n f ü h r u n g
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Evangelium, episkop — Bischof, monach — Mönch, ad — Hölle, demon — Teufel, pascha — Ostern, ikona — Heiligenbild, monastyr' — Kloster, gramota — die Kunst zu lesen und zu schreiben, dann auch U r k u n d e . Es gibt auch sog. „Lehnübersetzungen", d. h. Wörter, die auf eine gleiche Weise aus den slavischen Stämmen gebildet sind, wie das entsprechende griechische Wort aus den griechischen Stämmen: dazu gehört z . B . pravo-slavnyj — orthodox (slava = , mleko beregt, moloko 4. -omb, -emb - t m b , -bmb Bogom-b, mecemb Bog"bmb, mecbmb (vgl. Kap. I und Bräuer op. cit.).
Zu beachten ist jedenfalls, daß man häufig bestrebt war, echtes Ksl. zu schreiben, und sich nach Möglichkeit des Gebrauchs ostslavischer Formen enthielt. 6. Was die ostslavischen Übersetzungen betrifft, so kann man zu ihnen vor allem zahlreiche Heiligenlegenden, Kommentare zur Heiligen Schrift, das Statut vom Studionkloster in Byzanz, mehrere Apokryphen, die sog. 2. Fassung des „Physiologus", die Geschichte der jüdischen Kriege von Josephus Flavius und einige Florilegien rechnen. Des weiteren die Romane, wie die beiden didaktischen Romane „Varlaam i Iosaf" (Barlaam und Iosaphat) und „Premudryj Akir" (Der weise Achikar*) und das heldische „Devgenievo dejanie" (Digenis-Roman, dessen Inhalt uns griechisch aus der viel späteren epischen byzantinischen Überlieferung bekannt ist). Die genaue Datierung der Übersetzungszeit ist nicht immer möglich: die Übersetzungstätigkeit aus dem Griechischen dauerte noch bis zum 13. Jh. Wir kennen aber auch Originalwerke ostslavischer Verfasser. Zunächst ist das die sog. Nestor-Chronik, die bis zum Anfang des 12. Jhs. reicht und von dem Mönch Nestor nur überarbeitet wurde. Die Entstehung der Chronik, die ihren Bericht mit dem 9. Jh. beginnt, liegt wohl um 1036, die Verfasser nahmen aber in sie verschiedene ältere Erzäh* Es ist nicht s i d i e r , d a ß d i e Ü b e r s e t z u n g osl. H e r k u n f t i s t ; es ist m ö g l i c h , d a ß d i e U b e r s e t z u n g nicht v o m griechischen, s o n d e r n v o m syrischen O r i g i n a l gemacht ist.
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III. Das frühe Mittelalter
lungen auf (auch Sagen), die vielleicht bis dahin mündlich überliefert wurden. Nestor war auch Verfasser von zwei Heiligenlegenden: nämlich der 1015 meuchelmörderisch getöteten und später heilig gesprochenen Fürsten Boris und Gleb, über deren Martyrium (Ermordung) außerdem noch eine sehr dichterisch geprägte Erzählung („Skazanie") bestand und der Heiligenlegende des ersten Abtes des Kiever Höhlenklosters, des hl. Feodosij (gest. 1073). Gerade die Werke Nestors zeugen von der Kenntnis der westslavischen Literatur (der 1., 2. und der Gumpoldschen WenzelsLegende und einer uns unbekannten historischen Schrift!). Der hl. Feodosij selbst verfaßte einige f ü r Mönche bestimmte Predigten. Zwei katechetische kurze Predigten schrieb der Novgoroder Bischof Luka Zidjata. Der erste einheimische Kiever Metropolit Ilarion ist der Verfasser der um 1050 gehaltenen Predigt (oder festlichen Rede) über „Das Gesetz Moses und die Gnade Christi". An der Wende des Jhs. schrieb der Kiever Fürst Vladimir Monomach einige Werke, die als Ganzes (mit mancher Lücke) erhalten sind; es sind: die Belehrung (Poucenie) f ü r seine Kinder, ein politisch zugespitzter Brief an einen feindlichen Fürsten, eine Autobiographie (die vielleicht ein Teil der Belehrung war) und drei Gebete. Unter den hier nicht erwähnten meist anonymen Schriften befinden sich auch weitere formell oder inhaltlich bedeutende. Einige von ihnen sind nur aus der Chronik, in die allerlei Werke hineinkompiliert wurden, oder auch aus den Kompilationen der späteren Zeit bekannt. Auch aus übersetzten Werken hat man Kompilationen hergestellt: dazu gehört die wohl in Kiev zusammengestellte Sammelschrift aus dem Jahre 1076 (Izbornik 1076 goda), f ü r die meist aus dem Griechischen übersetzte kleinere Werke (so I. Sevcenko) benutzt wurden. D a ß man manche Werke nicht einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Entstehungsraum zuschreiben kann, erklärt sich aus den oben dargelegten Umständen. Bezeichnend ist der sprachliche Charakter der umfangreichen Chronik von Georg Hamartolos (slav. Amartoli.), in der man nicht
III. Das frühe Mittelalter
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nur süd- und ostslavische, sondern auch westslavische Züge glaubt feststellen zu können. Die Vermutung liegt nahe, daß die Übersetzung eine kollektive Arbeit war: entweder innerhalb der bereits erwähnten Übersetzungskommission des Fürsten Jaroslav oder vielleicht in Byzanz bestellt und unter Anteilnahme der Vertreter verschiedener slavischer Stämme bearbeitet. Fraglich ist es, ob in den ersten Zeilen des ältesten polnischen geistlichen Liedes „Bogurodzica" (Gottesmutter) Spuren des Altkirchenslavischen oder der ostkirchlichen Terminologie zu finden sind. — Nicht ganz geklärt ist auch die Herkunft eines Teils des ältesten slovenischen Denkmals, der sog. „Freisinger Denkmäler", nämlich dreier aus dem 10. Jh. stammender und in althochdeutscher Orthographie geschriebener Predigten. Es wurde die Vermutung ausgesprochen, daß die Texte aus den glagolitischen Werken der Missionszeit stammen (A. Isacenko), was aber wieder angezweifelt wird. 7. Stilistisch sind die Werke des slavischen Frühmittelalters nicht gleich. Die Übersetzungen sind fast alle komplizierter als die Originalwerke; aber auch sie und vor allem ihre späteren Abschriften sind stilistisch durchaus nicht immer auf der Höhe. So ist z. B. die Übersetzung der Heiligenlegende Veits (des Prager Patrons) schlecht. Doch die Übersetzungen der Predigten des Johannes Chrysostomos, der Gumpold-Legende vom hl. Wenzel, des DigenisRomans (dessen Vorlage leider unbekannt ist*), zeigen eine stilistische Höhe, die der der byzantinischen Werke jener Zeit fast gleichkommt. Ein Beispiel aus einer Predigt der Predigtsammlung des Johannes Chrysostomos (Kiever Handschrift des 12. Jhs.): Die Rede ist von verschiedenen Menschentypen: Während die Seele des in weltliche Dinge verstrickten Menschen mit einem lärmenden Jahrmarkt verglichen wird, erinnert die Seele eines Frommen an eine schöne Landschaft: . . . Auf der Anhöhe weht der reine Wind, leuchten helle Strahlen; hier gibt es reine Quellen und allerlei wohlriechende * Bekannt sind nur die späten griechischen Fassungen.
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III. Das frühe Mittelalter und schöne Blumen und Gärten mit guten Früchten . . . Hier sitzen Singvögel auf den Gipfeln der Eichen: Nachtigallen und Schwalben und Amseln und sie singen einstimmig. Und der Wind vom Osten läßt leicht wehend die Blätter erzittern und rauscht im Eichenwald. Und der Gipfel des Berges ist mit Blumen bedeckt: mit purpurnen und roten, mit weißen und grünen (sie!). Und wenn der Wind darüberstreicht, bilden sich Wellen, und wer daneben steht, kann nicht genug von dem Wohlgeruch haben und nicht genug das bunte Bild genießen und es will ihm scheinen, als sei er im Himmel und nicht auf Erden. Und das Wasser fließt und flutet um die Steine und plätschert süß . . .
Die Originalwerke sind keinesfalls der dichterischen Ausschmückung bar. Sie haben u. a. vielfach den f ü r die spätere Folklore typischen Schmuck: euphonische Elemente (so z.B. Alliterationen in der Nestorchronik!), Epitheta, oft von der A r t der sog. „Epitheta ornantia", Verwendung von Sprichwörtern und festen Redewendungen. A m kennzeichnendsten sind immerhin die einfache „monothematische" und „monumentale" Komposition. A b weichungen sind im Text unmittelbar gekennzeichnet, z. B. durch die Schluß Wendung „kehren w i r zu dem Vorhergehenden zurück". Aber man vermochte auch eigene Gedanken klar und systematisch darlegen und vermögen auch ihre Pointen anzubringen. Nehmen wir als Beispiel eine sagenhafte Erzählung aus der Nestorchronik (unter dem J . 912), die vom Tod des Fürsten Oleg handelt. Die Erzählung hat ein traditionelles Motiv (die mißverstandene Prophezeiung) und hat zahlreiche Parallelen, z. B. die viel kompliziertere und weniger konzentrierte skandinavische Sage von Odd und seinem Pferd Faxi. Und der Herbst kam und Oleg gedachte seines Rosses, das er füttern ließ ohne es zu besteigen. Denn er hatte Zauberer und Wahrsager gefragt, wovon ihm der Tod kommen sollte. Und ein Wahrsager sagte zu ihm: „Fürst, das Roß, das du liebst und auf dem du reitest, von dem mußt du sterben." Oleg nahm das in seinen Sinn und sagte: „Ich will es niemals mehr besteigen und es nicht mehr sehen. Und er befahl es zu füttern, aber niemals zu ihm zu f ü h r e n . . .
III. Das frühe Mittelalter
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Vier Jahre, nachdem Oleg von dem Feldzug gegen Byzanz zurückgekehrt war, vergingen. Im fünften Jahr dachte er an sein Roß, das ihm nach den Worten des Wahrsagers den Tod bringen sollte, und er rief den Obermarschall und sprach: „Wo ist mein Roß, das ich zu füttern und zu hüten befahl?" Der aber antwortete: „Es ist tot." Oleg lachte und schalt auf die Wahrsager und sprach: „Es ist unwahr, was die Zauberer sagen; alles ist Lüge: das Roß ist tot, und ich lebe." Und er befahl ein Roß zu satteln: „Denn ich möchte seine Gebeine sehen." Und er kam an den Ort, wo die Gebeine nackt dalagen und der nackte Schädel. Und er stieg vom Roß und sprach lachend: „Soll ich von diesem Schädel den Tod haben?" Und er trat mit dem Fuß auf den Schädel — da fuhr eine Schlange aus dem Schädel und biß ihn in den Fuß. Und davon erkrankte er und s t a r b . . . Zu beachten ist einerseits die Kürze der Sätze, die parataktisch nebeneinander stehen, und anderseits die Kunst der Erzählung, die Zerlegung der Handlung in Gespräche und das geschickte Aufsparen der Pointe, die Lösung der Erzählung im letzten Satz. Auffällig ist an dieser Stelle, wie auch an mancher anderen die Alliteration (die nicht mit Stabreim zu verwechseln ist!). Der Verfasser spielt mit Wörtern, die mit „k" beginnen: knjazi. (Fürst), konl» (Ross), kudesnikt (Zauberer, der sonst „volchvfe" genannt wird) und „Kievfc". Als Beispiel klarer und einfacher Gedankenführung kann man eine der zahlreichen Predigten nehmen, hier ein Beispiel von Kozma Presviter: Es handelt sich darum, daß die Besitzer von Büchern (gemeint ist natürlich die damalige christliche Literatur) diese auch anderen Menschen zur Verfügung stellen sollen: . . . Du bist ja reich und hast alle Dinge in Hülle und Fülle, das Alte wie das Neue Testament und andere Bücher, die angefüllt sind mit trefflichen Werken und Worten jeglicher A r t . . . Weshalb versperrst du aber den Menschen den Weg zur Rettung (der Seele), da du die göttlichen Worte vor deinen Brüdern verbirgst? Hast du aber jemals in Büchern gelesen, man solle die göttlichen Worte vor seinen Brüdern verhehlen, dann sind diese Bücher wahrlich nicht allein des Vermoderns und des Wurmfraßes wert, sondern verdienen mit Feuer verbrannt zu werden . . . Nein, o Mensch, verbirg nicht die Worte Gottes vor denen, die sie lesen und abschreiben wollen, sondern sei froh, daß deine Brüder durch sie gerettet werden. Denn nicht deshalb sind sie geschrieben worden, daß wir sie ver-
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I I I . D a s f r ü h e Mittelalter bergen in unserem H e r z e n oder in der Kammer. Versperre nicht das Reich Gottes vor denen, die da eintreten wollen. Vergrabe nicht die Perle Gottes in deinem Geiz und deiner H a b sucht. Stelle nicht das brennende Licht unter die Bank und unter den Scheffel. Denn der H e r r h a t uns geheißen sie in einen Leuchter zu setzen, damit alle das Licht Gottes s e h e n . . .
Vielfach werden feste Formeln gebraucht, die oft aus der übersetzten Literatur entlehnt sind (von der Bibel bis zu den Schlachtszenen bei Josephus Flavius und der malerischen Schilderung der Heldenkämpfe im Digenis-Roman). Man übernimmt sie meist in crudo und wie bei allem Kompilieren jener Zeit setzt man die entlehnten Fragmente vollständig in das eigene Werk ein, um später wieder zum „Vorhergehenden" zurückzukehren. Im slavischen Frühmittelalter begegnen uns vielfach einzelne Werke von überdurchschnittlicher Kunst des Ausdrucks und der Komposition: sie ahmen entweder geschickt ihre griechischen oder (bei den Cechen) lateinischen Vorbilder nach oder bieten uns die Reflexe der „Frühreifezeit" der slavischen Literatur (s. Kap. II, § 3). 8. Will man eine ideologische Charakteristik dieser Literatur geben, so kann man nur auf weitgehenden Optimismus hinweisen: man empfindet keinesfalls einen Gegensatz oder eine Kluft zwischen dem neuangenommenen christlichen Glauben und dem Leben der Welt. Man freut sich, daß man sich noch „in letzter Stunde" der christlichen Welt angeschlossen hat. Auch in der religiösen Literatur scheinen die weltfeindlichen und asketischen Töne zu fehlen. Die Möglichkeit sich innerhalb der Welt zu erretten, betont Vladimir Monomach in seiner „Belehrung": „Unser H e r r zeigte uns, wie man über den Feind (Teufel) siegen k a n n : mit dreierlei guten Werken k a n n man von ihm loskommen und ihn betrügen durdh Reue, Tränen und Almosengeben; so ist, meine Kinder, das Gebot Gottes nicht schwer, denn mit diesen dreierlei guten Werken kann man seine Sünden ablösen und das Himmelreich nicht verlieren . . . diese Werke sind nicht schwer: nicht durch Einsiedelei, nicht durch Mönchtum, nicht durch Fasten, wie sie manche Frommen er-
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dulden, sondern auch durch kleine Werke kann man die G n a d e Gottes gewinnen." Auch in der religiösen Literatur findet man ähnliche Gedanken, sogar Warnungen vor übermäßiger Askese und vor dem „asketischen Stolz" auf vollbrachte asketische „gute T a t e n " : so etwa in der Erzählung von einem Mönch des Kiever Höhlenklosters, Isaakij (sie ist unter dem J. 1074 in die NestorChronik aufgenommen).
Ideologisch ist es sehr wichtig, daß die durch die Umdeutung des vorchristlichen Wortschatzes, durch Neologismen (besonders Lehnübersetzungen aus dem Griechischen) und durch Entlehnungen von Fremdwörtern (ebenfalls vorwiegend aus dem Griechischen) bereicherte Sprache zu einem geeigneten Werkzeug wurde, das die Wiedergabe der neuen Begriffe und Ideen ermöglichte. Es wurde allerdings auch gefragt, ob es für die kulturelle Entwicklung der zur Ostkirche gehörenden Slaven nicht besser gewesen wäre, das Griechische als Sprache des Gottesdienstes anzunehmen und auf diese' Weise mindestens einem beschränkten Kreis (der Geistlichkeit) den unmittelbaren Zugang zur byzantinischen Kultur und durch diese zur Kultur der Antike zu ermöglichen (A. Brückner). Wir können in einer rein historischen Darstellung diese Frage nicht behandeln, sondern die Entscheidung, die in der Slavenmission getroffen wurde nur als eine Tatsache darstellen.
IV Das späte Mittelalter Ostslaven Kirill von T u r o v : Predigten, Gebete, Erzählungen (12. Jh.) Paterikon des Kiever Höhlenklosters (Anfang des 13. Jhs.) Epifanij der Weise: Heiligenlegenden des hl. Stefan von Perm und des hl. Sergij von Radonez (14./15. Jh.) Chroniken: Kiever (innerhalb der sog. H y p a t i u s - C h r o n i k — 12. Jh.), Laurentius-Chronik (nord-östl. Fürstentümer — 12. bis 13. Jh.), N o v g o r o d e r und Pleskauer Chroniken
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Fürstenviten: Daniii von Galic (innerhalb der sog. HypatiusChronik — 13. Jh.), Alexander Nevskij (Novgorod 13. Jh.) Epische Werke: das Igor-Lied (1185—1187), Erzählung über die Zerstörung von Rjazan (13. Jh.) Nil Sorskij (f 1506), Josif Volockij (f 1516) Bulgaren Metropolit Evfimij von Trnovo (gest. 1393): Orthographie- und Stilreform Übersetzungen: Chronik von Manasses Grigorij Camblak (14.—15. Jh., auch in Serbien und Kiev tätig) Konstantin von Kostenec (15. Jh., auch in Serbien tätig) Pachomij Logofet (15. Jh., in Rußland tätig): Verfasserschaft und Bearbeitung von zahlreichen Heiligenlegenden und and. Werke Serben Viten: als Heiligenlegenden abgefaßte Viten von königlichen Männern — Symeon, Sava, Stefan, z. T. von bulgarischen Verfassern Nonne Evfimija: Lobpreisung des Königs Lazar (um 1399) Kroaten Marko Marulic (1450—1524): Lat. Werke, kroatisch „Judita" Cechen Heiligenlegenden in Versen (nach 1274) Religiöse und weltliche Lyrik, belehrende und satirische Versdichtung Epen: Alexandreis, Katharinen-Legende Dialoge: Mastickar und andere Übersetzungen: Marco Polo, Mandeville, usf. Tkadlecek (Anfang des 15. Jhs.) Tomas Stitny (1325—1400): Mehrere religiöse Schriften und Übersetzungen Polen Lateinische Chroniken (14./15. Jh.) Anfänge des religiösen Schrifttums (15. Jh.) 1. A m A n f a n g des slavischen Spätmittelalters entsteht ein neuer Stil u n d zugleich entwickeln sich die einzelnen slavischen Sprachen auseinander. Zunächst geschah das durch lautliche Entwicklung der Sprachen: I m 12. J h . er-
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fuhren die beiden überkurzen Vokale t, und b eine lautliche Veränderung: sie schwanden im Auslaut und in „schwacher Stellung", in manchen Fällen dagegen wurden sie zu Vollvokalen. In den ursprünglich vokalreichen altslavischen Sprachen entstanden zahlreiche neue Konsonantengruppen, die eine jede Sprache auf ihre eigene Weise behandelte. So entstanden verschieden lautende Wörter. Einem eine slavische Sprache sprechenden Menschen war es nun ohne weiteres nicht mehr möglich, eine andere slavische Sprache zu verstehen. Uns genügt hier ein Beispiel (weiteres siehe Bräuer, I, S. 108ff.), das Wort für „Biene": Aksl. b t c e l a ; nach dem Schwund von t klingt dieses Wort: russ. pcela (regressive Assimilation) ukr. bdzola (progressive Assimilation) pol. pszczola (ergänzende Artikulation und regressive Assimilation) cech. vcela (Erleichterung der Artikulation) skr. cela (Vereinfachung der Lautgruppe) slov. cebela (Vokalisation, eher aber sekundäre Entwicklung eines Vokals und Metathese) bulg. pcela (wie russisch) obersorb. pcolka (wie russ. Diminutiv) nsorb. colka (Vereinfachung und Veränderung der Aussprache).
Die verschiedenen kulturellen Schicksale der slavischen Völker führten dazu, daß für denselben Begriff verschiedene Wörter (entweder bereits vorhandene oder neugebildete) gebraucht wurden, die im Lauf der Geschichte vielfach verändert wurden. Als Beispiel kann man den Begriff „Staat" nehmen. Für aksl. russ. bulg. skr. cech. poln.
ihn wurden folgende Wörter gebraudit: cartstvo, carbstvije, k t n ^ z t s t v o , ktn^^enije; knjazbstvo, knjazenie, carstvo, gosudarstvo; carstvo, caroviste, carstina; carstvo, drzava; mocnarstvi, stat, riiSe; panstwo, cesarstwo, krolewstwo, rzecz pospolita.
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2. Viel wichtiger war aber die ins 12. Jh. zu datierende Entwicklung des Stils zu einem „schwer geschmückten". Die stilistische Untersuchung der altslavischen Literaturwerke ist bis heute leider noch nicht weit fortgeschritten. Dazu trägt auch die alte slavistische Tradition bei, die Literatur oft bis ins 17. Jh. hinein als „altrussisch", „altcechisch" usf. zu bezeichnen, ohne die stilistischen Veränderungen zu beachten. Auch innerhalb der von uns als „spätmittelalterlich" bezeichneten Literatur, die vom 12. bis zum 14./15. Jh. reicht, wird man eine weitere stilistische Entwicklung bemerken können. Für diese Periodisierung fehlen leider die Vorarbeiten. Die stilistische Schulung erfolgte wohl auch durch die Bekanntschaft mit fremden theoretischen Schriften (vgl. das auch später abgeschriebene Traktat von Choiroboskos, Kap. II, 7; für die Westslaven kommen hier die lateinischen Poetiken in Frage); daneben war wichtig die Nachahmung guter Vorbilder (übersetzter oder fremdsprachiger); auch die Briefsteller etwa (die bei den Ostslaven noch nicht genügend erforscht sind) waren entschieden von Bedeutung. Der „schwere Schmuck" der spätmittelalterlichen Werke erlaubt uns, diesen Stil, bei welchem der rhetorische Schmuck als gleichbedeutend mit dem Inhalt angesehen wurde, vielleicht als „dekorativ" oder „ornamental" zu bezeichnen. Diese Bezeichnung gebrauche ich, weil die Elemente der stilistischen Ausschmückung jetzt einen selbständigen Wert gewinnen und manchmal so üppig wuchern, daß sie den Inhalt fast völlig verdecken. Neue Stilelemente finden wir vor allem in der oft systematisch durchgeführten Symbolik: die Meinung, „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" begegnet uns in den slavischen Literaturen jetzt zum ersten Male. Es ist dabei von Bedeutung, daß die gleichen Bilder, Sinnbilder und Redewendungen bei ihrem neuerlichen Auftreten nicht in identischer Gestalt erscheinen, sondern oft sehr stark variiert werden. Endlich scheuen sich die Verfasser dieser Zeit keineswegs, einzelne Stüdce aus fremden Werken zu über-
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nehmen; sie überarbeiten und überholen die entlehnten Stücke so gründlich, daß man immer ein einheitliches Werk vor sich hat, aus dem man die entlehnten Stücke kaum je mit Sicherheit aussondern kann. Zu den "Werten dieses Stils gehört auch die Neuheit und Originalität des Dargebotenen. Ein alter, entlehnter Text wird daher „verbessert", dem Stil der Zeit angepaßt. Bei manchen Überarbeitungen wird die Struktur des fremden Werkes gänzlich verändert, gebrochen, und der Text erhält vielfach eine neue Tendenz. Häufig tritt an die Stelle der Überarbeitung des Textes die Wiedergabe seines Inhalts mit eigenen Worten, d. h. die Nacherzählung. Die hohe Einschätzung der Originalität verlangt auch die Entstehung neuer Gattungen und deren Mischung, was zu einer außerordentlichen Buntheit des literarischen Bildes führt. Die individuelle Färbung von Inhalt und Stil wird hier viel eher als früher zu beobachten sein. Daher haben die Werke dieser Zeit für die slavische Geistesgeschichte besondere Bedeutung. 3. Zahlreiche literarische Werke dieser Zeit besitzen wir von den Ostslaven und Cechen; aber auch die bulgarische Literatur, vor allem ihre Sprach- und Stilreform gewinnt einen besonderen Einfluß auf die ost- und südslavischen Literaturen. Es regt sich das literarische Leben bei den Serben und Kroaten, während bei den Polen vor allem der erstmalige Gebrauch der slavischen Literatursprache (der vom Cechischen stark beeinflußten Muttersprache) festzustellen ist. Bei den Ostslaven finden die Chroniken ihre Fortsetzung im neuen Stil; daneben treten weltliche Viten auf (etwa die des Fürsten Daniii vonGalizien und des Aleksandr Nevskij von Novgorod — beide im 13. Jh.). Die religiöse Literatur findet ihre Vertreter in der Predigt (Kirill von Turov, 12. Jh.), in der Hagiographie (das „Paterikon" des Kiever Höhlen-Klosters, Anfang des 13. Jhs.) und in den Heiligenlegenden, als deren bedeutendster Verfasser Epifanij der Weise, ein glänzender Stilist am Ende des 14. Jhs. zu nennen ist. Im 15. Jh. entstehen wiederum Viten weltlicher 5 Tsdiiiewskij I
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Herrscher, vor allem in der damaligen Rivalin Moskaus, in Tver. Dieser Periode gehören auch die einzigen handschriftlich erhaltenen Beispiele der altrussischen epischen Werke an: das sog. „Igor-Lied" (um 1185—1187, Zweifel an seiner Echtheit können nicht aufrechterhalten werden) und die „Erzählung von der Zerstörung Rjazans" (nach 1240). Nur eine Nachahmung des Igor-Liedes bietet die „Zadonscina", die den ersten großen Sieg des Moskauer Fürsten Dmitrij Donskoj über die Tataren (1380) besingt. Eine weitere Bedeutung für alle cyrillisch schreibenden Slaven erhielt im 14. Jh. die bulgarische Literatur: Der Patriarch Evfimij von Trnovo führte im neuen bulgarischen Reich der Sisman-Dynastie eine Reform der Orthographie durch, die unter Beibehaltung des alten Buchstabenbestandes z. B. recht willkürlich dessen Gebrauch für das lautlich veränderte Bulgarisch jener Zeit regelte. Diese Reform wurde auch von anderen cyrillisch schreibenden Slaven übernommen, obwohl ihre Regeln für die anderen südslavischen, besonders aber für die ostslavischen Sprachen nicht paßten. Wichtig w a r die willkürliche Verteilung der Buchstaben i> und b : innerhalb des Wortes sollte man a m Wortende b schreiben, w a s weder historisch noch f ü r die ostslavischen Sprachen phonetisch richtig w a r ; außerdem w u r d e die Jotierung der V o k a l e vielfach beseitigt, so d a ß m a n etwa sil'naa, m n o g a a , r a b o t a a schrieb, w ä h r e n d O s t s l a v e n sil'naja, m n o g a j a , r a b o t a j a aussprachen. Nicht ohne stilistischen Einfluß der „ T r n o v e r Schule" begann man zahlreiche K o m p o s i t a neu zu schaffen (wie chrabropobednyj, krasnosmotritel'nyj u s f . ) ; . k s l . Elemente erhielten mehr Rechte und so wurden auch im Russischen die ostslavischen Formen oft durch die ksl. zurückg e d r ä n g t (man schreibt nur noch n u z d a statt n u z a , junosa statt unosa, b l a g o statt bologo usf.), bis dahin w u r d e n oft die osl. Formen gebraucht.
Noch wichtiger war die Reform des Stils, d. h. die konsequente Anwendung der modernen Poetik des „schwer geschmückten" Stils, der sich seinem Wesen nach besonders für Heiligenlegenden und Panegyrika eignete.
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Grigorij Camblak (gest. um 1419) wirkte im Sinne Evfimijs in Serbien (nach 1393) dann in Kiev. Die anderen Bulgaren, Konstantin von Kostenec und Vladislav „der Grammatiker", wirkten in Serbien, Pachomij, genannt „Logofet", in Großrußland. In Serbien entstehen die Viten (Biographien) der serbischen Könige und Kirchenfürsten: in beiden Fällen sind die Elemente des weltlichen und geistlichen Stils vermischt (vgl. besonders die Biographie des Erzbischofs Sava (gest. 1233) und die des Königs Stefan des Erstgekrönten (gest. um 1277), beide aus dem königlichen Geschlecht der Nemanjiden). Auf cechischem Gebiet entstand die volkssprachliche Literatur nach einer „lateinischen Pause", während derer die literarischen Werke ausschließlich in lateinischer Sprache verfaßt wurden,im letzten Drittel des 13. Jhs. und erreichte ihre höchste Blüte im 14. Jh. zur Zeit Karls IV. Den ersten, in umfangreichen Fragmenten erhaltenen Heiligenlegenden in Versen (meist von der „Legenda aurea" beeinflußt) folgten zahlreiche geistliche und weltliche Lieder (letztere z. T. als Nachahmungen der westlichen Lyrik) und umfangreiche Werke: die Vers-Alexandreis (ebenfalls Fragmente, die allerdings über 3300 Zeilen, fast die H ä l f t e des Werkes, umfassen; vermutlich von der Alexandreis des Ulrich von Eschenbach beeinflußt), später die umfangreiche in mehreren Hss. erhaltene Verschronik (der mehrere lateinische vorangingen), welche im 17. Jh. irrtümlich einem „Dalimil" zugeschrieben wurde. Von den Legendendichtungen verdient besondere Aufmerksamkeit die Katharinen-Legende als ein besonders typisches Beispiel f ü r den hohen Stil. Erwähnt sei noch eine Gruppe allegorischer und satirischer Versdichtungen, welch letztere mit Smil Flaska von Pardubic (1348—1403) zusammenhängen . . . Der U m f a n g der cechischen Versdichtung ist f ü r dieses relativ kleine Land geradezu erstaunlich. Beachtung verdient auch die Entwicklung der Prosaliteratur: es entstanden zahlreiche Ubersetzungen der Bibel (von denen viele handschriftlich erhalten sind), gleichzeitig 5*
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wurden übertragen die Apokryphen, Novellen, die Autobiographie Karls IV. und — aus der wissenschaftlichen Literatur — Marco Polos Reisebeschreibung. Neben den Übersetzungen fordern unsere Aufmerksamkeit die grammatikalischen Arbeiten und der Dialog „Tkadlecek" (nadi 1407) als Nachahmung des deutschen Streitgesprächs „Der Ackermann aus Böhmen""', vor allem aber die theologischphilosophischen Werke eines Adligen, Tomas ze Stitneho (um 1335—1409), der für seine Kinder zahlreiche Werke aus der kirchenväterlichen und mittelalterlichen Literatur kompilierte oder nacherzählte und dadurch die cechische Literatursprache auf eine hohe Stufe gehoben hat, was für die darauf folgende Epoche der „cechischen Vorreformation" von größter Bedeutung war. Wie bereits erwähnt, wirkte die cechische Sprache stark auf die Anfänge der polnischen Umgangs- und Literatursprache (s.u. 11). Fragmentarisch erhaltene Predigten und Verse sind die volkssprachlichen Denkmäler jener Zeit. Ebenfalls in diese Epoche gehören die ersten Anfänge der kroatischen Dichtung. Bedeutendere Werke werden aber erst im 15. Jh. von den ersten lateinisch schreibenden Liederdichtern hervorgebracht. Ein bemerkenswerter Autor auch des 15. Jhs. ist der lateinisch und kroatisch schreibende Marko Marulic (1450—1524), dessen lateinische „Davidias" und kroatische „ J u d i t a " (1501) allerdings kaum dieGrenzen mittelalterlicher Stilistik und Weltanschauung überschreiten. Auch die Übersetzungen mit dem gewöhnlichen Repertoire des M A gehören meist erst dem 15. Jh. an. 4. Kennzeichnend für diese Zeit ist zunächst das den Verfassern bewußt gewordene Recht, bei ihren Kompilationen den übernommenen Stoff völlig zu adaptieren, d. h. so zu überarbeiten, daß die „ N ä h t e " nicht mehr sichtbar sind (vgl. III, § 7). Daher können bei einer Analyse die entlehnten Stücke meist nur ihrem Inhalt nach ausgesondert D i e F o r m der b e i d e n W e r k e ist doch so e i g e n a r t i g , d a ß m a n keine p a s s e n d e Bezeichnung in der T e r m i n o l o g i e der heutigen P o e t i k d a f ü r finden k a n n . D i e neuere cechische Literaturgeschichte gebraucht d a s u n b e s t i m m t e W o r t „Komposition".
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werden. So steht es mit den kompilierten ostslavischen Chroniken, vor allem der großartigen sog. HypatiusChronik, die die Kiever Chronik des 12. Jhs. und die galizisch-volynische des 13. Jhs. vereinigte und dazu noch drei Fürstenviten in sich aufnahm (von Izjaslav II. von Kiev aus dem 12. Jh., von Daniii von Galic und Vladimir von Volyn aus dem 13. Jh.). Auch im sog. Igor-Lied gibt es Reminiszenzen an frühere Zeiten: sie sind wohl aus den älteren epischen Werken entliehen. Ähnliche Entlehnungen finden wir in den Heiligenlegenden aus der Feder des Epifanij Premudryj oder der serbischen Vita von Stefan dem Erstgekrönten (hier ist eine lange addubitatio aus der Rede des Kiever Metropoliten Ilarion entlehnt). 5. Der wichtigste Zug ist der üppige Schmuck der Werke, die manchmal buchstäblich von Gold und Edelsteinen glänzen und an buntgewirkte Teppiche erinnern. So lesen wir z. B. in der Erzählung über Daniii, den Fürsten von Galic, der am Ende seiner Regierung den Titel „König" trug: In seinem Heere „waren Pferde in Masken und ledernen Pferdedecken, und seine Regimenter leuchteten sehr, denn die Waffen glänzten. Und er selbst r i t t . . . auf russische Art: das Pferd unter ihm war wie ein Wunder, und sein Sattel war aus gebranntem Gold und die Pfeile und Säbel waren mit Gold geschmückt... Und sein Mantel war aus griechischer goldgewirkter Seide und verbrämt mit flachen goldenen Spitzen und die Stiefel aus grünem Saffianleder mit Gold bestickt" (J-1152). Schmuckcharakter tragen auch die überall anzutreffenden hyperbolischen Formeln: Die Steine fielen von den Türmen, wie starker Regen . . . wie Regen fielen die Pfeile auf die Stadt nieder . . . Man warf mit Speeren und brennenden Holzscheiten wie mit Blitzen . . . und die Leichen fielen von der Schloßbrücke in den Graben wie Garben; die Gräben waren, wie es scheint, sehr tief und sie wurden von Leichen angefüllt, und man konnte über die Leichen hinübergehen, wie über eine Brücke (ebd.).
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O d e r auch die C h a r a k t e r i s t i k e n der (in Wirklichkeit recht machtlosen) F ü r s t e n : Einer „trat auf das Land der Polovzer, zertrat die Hügel und Schluchten, trübte die Flüsse und Seen, trocknete Bäche und Sümpfe aus" (Igor-Lied) — der Fürst ist hier beinahe eine Naturmacht. L a n g e A u f z ä h l u n g e n oder Wort- und F r a g e k e t t e n dienen gleichfalls als Schmuck: Dies sei Schutz, Sicherheit, Siegbringer und Hilfe in den Kämpfen gegen unsichtbare und sichtbare Feinde für dich und deine Nachkommen für ewige Zeiten, ein Heilmittel gegen die Krankheiten des Körpers und der Seele, für dein Land eine sichere Zuflucht und eine Mauer, für deine Fürsten eine scharfe Lanze, für deine Krieger ein Schild des Glaubens und ein kühner Sieg und ein Hort des Friedens in deinem Leben . . . , sagte Simeon, ein Kreuz an Stefan sendend (Vita Stefans des Erstgekrönten). Lange Wortketten lieben auch Epifanij Premudryj und der unbekannte Verfasser der „Dalimil-Chronik". 6. Eine besonders beliebte A r t des Schmuckes sind M e t a phern, die, seien sie traditionell oder neuerfunden, mannigf a l t i g e Funktionen ausüben. Zunächst gibt es einfache, eröffnete M e t a p h e r n — d . h . Vergleiche: So sind die Sinnbilder des Osterfestes in einer Predigt Kirills von Turov: er vergleicht Ostern mit dem Frühling: Heute scheint der Frühling in seiner Schönheit, das irdische Sein belebend, und die Winde vermehren leise wehend die Früchte der Erde. Und die Erde, die die Samen ernährt, bringt das grüne Gras hervor: der Frühling ist der schöne christliche Glaube, der durch die Taufe das menschliche Wesen wiedergebiert. Die stürmischen Winde sind die sündigen Gedanken, die durch die Reue sich zu Tugenden verwandeln und die seelenfördernden Früchte vermehren. Die Erde unseres Wesens nimmt das Wort Gottes auf wie den Samen und gebiert, durch Gottesfurcht ständig ihn vermehrend, den Geist der Rettung. A m typischsten sind die „nicht eröffneten M e t a p h e r n " . Sie sind zahlreich in den Predigten und Heiligenlegenden, kommen aber auch in den Chroniken nicht selten vor. Gerade-
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zu üppig sind sie in den epischen Werken. Im Igor-Lied ist die Schlacht •—• Gastmahl oder Ernte, sind die Gebeine der Gefallenen — die Saat. Auch die Predigt ist Saat und die Bekehrung der Heiden zum christlichen Glauben und zur Tugend ist die Ernte. Gold und Edelsteine sind (im Igor-Lied und in den Chroniken) Metaphern für Macht. Verschiedene Farben sind Metaphern für Gut und Böse. Vielfach sind die „Omina", Vorzeichen ohne weitere Erklärung, auch metaphorisch verwendet. Tiernamen (etwa der traditionelle Falke!) sind metaphorische Bezeichnungen der handelnden Personen. In den slavischen Sprachen können die Metaphern besonders leicht realisiert werden: der Instr. sg. ist polysemisch (mehrdeutig), einerseits kann er einen Vergleich ausdrücken „ w i e . . . " oder „ a l s . . . a n d e r e r s e i t s aber auch das reale Sein des metaphorisierten Objekts. Im Igor-Lied heißt es z.B.: Fürst Vseslav „ludemt sudjase, knjazemt grady rjadjase, a s a m t v t nocb v l t k o m b ryskase". Entweder heißt das: Fürst Vseslav hielt Gericht über Menschen, als Fürst regierte er Städte und selbst rannte er nachts als Wolf umher. Oder: in einen Wolf verwandelt rannte er des nachts umher. Und der Fürst Igor, aus der Gefangenschaft entkommen, „poskoci gornastaemt k t trostiju, i belymt gogolemi. na vodu . . . i polete sokolomt p o d t mbglami". Das bedeutet entweder: er sprang wie ein Hermelin ins Schilf und wie eine weiße Ente aufs W a s s e r . . . und flog wie ein Falke durch den Nebel. Oder aber: er sprang, sich in einen Hermelin verwandelnd, ins Schilf, in eine weiße Ente sich verwandelnd, aufs W a s s e r . . . zu einem Falken geworden, flog er durch den Nebel. Es gibt einzelne Werke, die ohne jede Erklärung eine ganze Kette von entfalteten Metaphern bringen. Dieser Art sind einige cechische geistliche Lieder, wohl aus dem 14. Jh. Wir nehmen das folgende als Beispiel: Mistr Lepic 1. Slychal-li kto prav pri viere take divy od hrnciere, jakoz tento mudry, jenito nazyva se Lepic? Vez to:
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IV. Das späte Mittelalter 2. Slepil velmi malu latku, dal z nie dosti vsemu snatku, anjelskemu i rajskemu, vedle toho i zemskemu. 3. Viz, kterym ji darera dari! Sestera vec v jednej tvari: vino s medem, mleko z stredem, a smetana s bielym chlebem. 6. Nemocne, trudne na stranu sazej, krmieci smetanu, biedne medem, slepe stredem, daj pocestnym vina s chlebem.
Das bedeutet: 1. Hat je ein Rechtgläubiger solche Wunder von einem Töpfer gehört, wie die des Weisen, der „Lepic" (Modellierer, Keramiker) heißt? Wisse: 2. Er klebte ein kleines Stück Materie zusammen, gab davon einem jeden Stand etwas, dem englischen, dem paradiesischen, daneben auch dem irdischen. 3. Siehe, mit welchen Gaben er sie beschenkt! Mit sechs Dingen in einer Gestalt: Wein mit Honig, Milch mit Honigseim und Rahm mit Weißbrot... 6. Die Kranken und Mühseligen setze bei Seite und nähre sie mit Rahm, die Armen mit Honig, die Blinden mit Honigseim, gibt den Wandernden Wein und Brot. Die nicht aufgedeckte, nicht entschlüsselte Metapher ist natürlich die Metapher für Gott, den Töpfer (vgl. Jes. 29, 16; Jer. 18, 6; 2. Kor. 4, 7; Römer 9, 20ff.). Die zweite und dritte Strophe sprechen sicherlich von den Gaben Gottes an die Kreatur — vor allem von Kommunion und Gottes Wort (vgl. die Speisen in l . K o r . 3, 2; Hebräer 5,12ff.; 1. Petrus 2,2). Die letzte Zeile spielt wohl auf die Kommunion unter beiderlei Gestalt für die Priester an*. Bei den Ostslaven begegnen uns auch solche Metaphern, die man vielleicht mit den skandinavischen „Kenningar" vergleichen könnte. * „Parochus" = „ P f a r r e r " entstand entweder aus dem gr. parochos — „Gastwirt, Postmeister" (auf G r u n d der Geheimspradie der ersten Christen, vgl. auch viaticum, ephodion — Kommunion u. a.) oder aus lat. paroecus (gr. paroikos = „Nachbar, Fremder") (J. Schröpfer).
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7. Eine g r o ß e R o l l e k o m m t den R e d e n der h a n d e l n d e n P e r s o n e n in v i e l e n W e r k e n dieser Z e i t zu. I n den P r e d i g t e n w e r d e n sie w o h l z u r B e l e b u n g der Schilderungen v e r w e n det, in der C h r o n i k , u m die pragmatischen Z u s a m m e n h ä n g e (die M o t i v e der H a n d l u n g e n ) z u b e t o n e n u n d z u erklären, in der hagiographischen Literatur, u m das innere L e b e n der H e i l i g e n o d e r ihrer G e g n e r z u m Ausdruck z u bringen. D e r A u f b a u der R e d e n ist m a n n i g f a l t i g , u. a. bedienen sich die Verfasser vieler F o r m e n der „erlebten R e d e " . A l s R e d e n sind auch G e b e t e stilisiert. G e r n e b e n u t z t e m a n Sprichw ö r t e r o d e r sprichwortähnliche R e d e w e n d u n g e n , w a s z u m Gebrauch der historischen A n e k d o t e führte. Als Beispiel f ü r eine Rede nehmen wir hier die Schilderung, die in einer Predigt des Kirill von T u r o v der Gelähmte am Bad Bethesda Christus von seinem Zustand gibt: Es gibt kein K r a u t , das die Strafe Gottes abändern k ö n n t e ; meine Bekannten verschmähen mich und der Gestank h a t mich jeder Freude beraubt: meine Nächsten schämen sich meiner; ich bin meinen Brüdern wegen meines Leidens e n t f r e m d e t ; alle tadeln midi; einen, der mich trösten würde, finde ich n i c h t . . . Soll ich mich als tot bezeichnen — aber mein Magen wünscht N a h r u n g , meine Zunge v e r d o r r t vor Durst. Ich denke, d a ß ich lebend bin, aber ich kann nicht nur von meinem Lager nicht aufstehen, sondern mich nicht einmal betasten. Ich bin, glaube ich, ein unbegrabener Leichnam; dieses Lager ist mein Sarg; ich bin ein Toter unter den Lebenden und ein Lebender unter den Toten . . . Ich stöhne und schluchze, gepeinigt durch die Schmerzen meiner Krankheit, und niemand kommt um mich zu besuchen . . . Ich habe keinen Besitz, um einen Menschen, der f ü r midi sorgen würde, zu bezahlen; ich habe keinen Menschen, der, mich nicht verschmähend, mir dienen w ü r d e . . . Darauf antwortet Christus: W a r u m sagst d u : ich habe keinen Menschen? Ich bin f ü r dich Mensch geworden, ich bin der Freigiebige u n d Barmherzige, u n d ich habe das Gebot meiner Menschwerdung nicht gebrochen . . . Ich verließ f ü r dich das Szepter des H o h e n Reiches und wandle in dem Unteren Reich, dienend . . . Für dich bin ich Unkörperlicher in einem Körper eingetreten, damit ich alle von den leiblichen und seelischen Gebrechen heilen kann . . . Ich w u r d e Mensch, um den Menschen zu Gott zu machen.
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Wer sonst dient dir treuer? U m dir zu dienen, habe ich die ganze K r e a t u r geschaffen . . . U n d du sagst: ich habe keinen Menschen! Wer ist denn w a h r h a f t i g e r Mensch (als ich), denn ich habe das Gebot meiner Menschwerdung nicht gebrochen! In derselben Predigt folgt noch ein weiterer Dialog: das Gespräch des geheilten Gelähmten mit den Schriftgelehrten. In den Predigten Kirills von T u r o v begegnen uns noch eine Klage der Muttergottes, eine Lobpreisung Christi aus dem M u n d des geheilten Blindgeborenen und Lobpreisungen der Auferstehung durch die Engel und Heiligen. Reden und Gespräche begegnen uns auch im Paterikon des Kiever Höhlen-Klosters, in den serbischen Viten, in den Heiligenlegenden des E p i f a n i j P r e m u d r y j usf. Diese Kunst der „Dramatisierung" ist in fast allen Gattungen heimisch. Auch in dem epischen Igor-Lied finden wie sie z. B. als Rede des Kiever Fürsten Svjatoslav, der andere Fürsten zum Kampf gegen die Polovzen anspornen will; dann das Klagelied der Frau des gefangenen Fürsten Igor mit Anrede an die Elemente der N a t u r , die ihren Gemahl schützen und zu ihr zurückbringen mögen, und die Rede, mit der sich der aus der Gefangenschaft entflohene Fürst dankend an den freundlichen Fluß D o n e z wendet. Die Form der Rede haben auch Gebete innerhalb der Heiligenlegenden und weltlichen Viten (Kirill von T u r o v hinterließ eine ganze Sammlung Gebete), sogar ganze Werke sind in Redeform abgefaßt. D e r altcechische „Tkadlecek" h a t durchgehend die Form einer Gerichtsverhandlung: der unglückliche Liebhaber klagt gegen das personifizierte Unheil, d a ß ihm seine Geliebte entfremdet h a t ; dadurch w i r d allerdings das tragische Pathos des deutschen Vorbildes des Romans („Ackermann aus Böhmen"), w o die Klage gegen den Tod geführt wird, abgeschwächt. Die drei Nachahmungen der Klagelieder in der Legende des hl. Stefan von Perm oder die Lobpreisung des hl. Sergij von Radonez (beide Werke von E p i f a n i j Premudryj) sind auch als lebendige, freilich schwer geschmückte Reden abgefaßt, wie auch andere Nachahmungen der Klagelieder in der altrussischen und altserbischen Literatur (z. B. der Abschluß der Lebensbeschreibung des Stefan N e m a n j a ) . Bezeichnend sind auch die panegyrischen Texte. Eine N o n n e Efimija (etwa 1349—1405), V e r w a n d t e des Zarengeschlechtes, schrieb nach der f ü r die Serben unglücklichen Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) einen Panegyrikus und ein Gebet an
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den serbischen Fürsten Lazar, der in dieser Schlacht 1389 gefallen war. Sie bezeichnet ihn als Märtyrer. Mit Goldfäden stickte sie ihr Werk in seine Sarghülle. Sie ist wohl die erste uns mit N a m e n bekannte slavische Dichterin. Hier sind einige Proben dieses kleinen Werkes: Unter den Schönen dieser Welt hast du dich eingeschrieben von deiner Jugend an, neuer Märtyrer, Fürst Lazar, und die starke H a n d des H e r r n hat dich unter allen Herrschern dieser Erde stark und ruhmreich gezeigt. D u herrschtest über das Land deines väterlichen Erbes und erfreutest mit allen Gütern die dir anvertrauten Christen. U n d mit m a n n h a f t e m H e r z e n u n d dem Begehren der Frömmigkeit zogst du aus wider den Drachen und Widersacher der Kirche Gottes, weil du es f ü r unerträglich hieltest, die Christen deines Vaterlandes beherrscht zu sehen v o n den Ismaeliten, entschlossen, wenn du dies nicht errängest, zu verlassen die vergängliche H ö h e irdischer Herrschaft, dich in den P u r p u r deines eigenen Blutes zu kleiden u n d dich zu vereinen mit den Scharen des himmlischen Königs ( . . . ) Jetzt aber vergiß nicht deiner geliebten Kinder, die du bei deinem Hingang als Waisen zurückgelassen ( . . . ) , denn es beherrschen sie die Ismaeliten, und wir alle bedürfen deiner H i l f e . D a r u m bitten wir flehentlich, bitte du zum Herrscher des Alls, f ü r deine geliebten Kinder und alle, die mit Liebe und Treue ihnen dienen (. ..) U n d da du als M ä r t y r e r auf den H e r r n traun darfst, so beuge deine Knie vor dem Herrscher, der dich krönt, und bitte um langes gesegnetes Leben f ü r deine geliebten Kinder Stefan und Vuk (. . .) Sammle den C h o r deiner heiligen Gefährten, der Märtyrer, und flehe mit allen zu Gott, der dich verherrlicht hat. K ü n d e es dem Heiligen Georg, sporne an den Heiligen Demetrius, überrede den Heiligen Theodor, nimm mit dir Merkurius und P r o k o p und die vierzig Märtyrer von Sebaste laß nicht zurück (. . .), komm uns zu Hilfe, w o immer du bist; sieh nieder auf meine kleinen Opfergaben und achte sie f ü r viel, denn nicht nach Gebühr habe ich dir meinen Lobpreis dargebracht, sondern nach der K r a f t meines geringen Verstandes ( . . . )
Eine besondere Art sind auch die Sprichwörter oder sprichwortartigen Sätze. Wir begegnen ihnen in den altrussischen Chroniken, in den Heiligenlegenden, im IgorLied und anderswo, so in altcechischen Werken, wo wir auch längere Sentenzen antreffen.
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IV. Das späte Mittelalter Der Ermüdete greift gern nach einem Getränk, dem vertrockneten Bogen ist Feuchtigkeit nützlich, die ehrwürdige Frau ist dem Mann über alles teuer (Alexandreis). Die Kohle wird oft zu Feuer, das dem Reichen den Besitz raubt; guter Ritter, bewache deinen Namen, denn es gibt nichts teureres als ihn; der Gute (Mensch) tut Gutes seinem Volk, der Untreue kümmert sich nicht um sein Volk (Dalimil-Chronik) usf.
8. Zum Schmuck der Texte gehören auch zahlreiche Euphonien, die jetzt in der geistlichen, aber besonders in der weltlichen Literatur oft auftreten. Wir finden Alliterationen, sowie andere Lautzusammenklänge. So im Igor-Lied, einem Werk, in welchem die Klänge der Natur (Vogelstimmen; für jede Stimme kennt das Werk eine besondere Bezeichnung: Geschrei, Gebrüll der Tiere, Donnern und „Dröhnen" der Erde usf.) und des menschlichen Lebens (Gesang, Glockenläuten, Kriegsgeschrei, Stöhnen und Schluchzen der Verwundeten, Klänge der Trompeten) besonders oft erwähnt werden. Hier begegnen uns auch zahlreiche onomatopoetische Wendungen. So der Klang der Trompeten: truby trubjatB tru-tru oder das Trampeln der Pferdehufe: sia zaranija v t p j a t o k t p-t-k potoptasa poganyja pot-pt-po polki poloveckija pol-ki-pol-ki (vgl. Vergils: quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum). „In der Früh am Freitag zertraten sie (die Krieger Igors) die heidnischen Heere der Polovzen." Im Igor-Lied finden wir auch eine Anhäufung von Wörtern mit den dunklen Vokalen „u" und „y" (bi) zusammen mit anderen euphonischen Elementen: „Ne t a k o - l i . . . reka Stugna, chudu struju imeja, p o z r t s i cuzi rucw i strugi prostre na kustu. Hier wiederholen sich die Laute: stu-u-u-stru-ju-uru-stru-str-u-u. Es handelt sich um die Überschwemmung des Flusses Stugna im J. 1093: „Nicht so war es mit dem Fluß Stugna, der (sonst) wenig Wasser führt, der aber andere Bäche verschlang und warf die Boote (des Heeres) auf das Gebüsch (am Ufer)." Der junge Fürst Rostislav ist dabei ertrunken, so lesen wir weiter: „Unosi knjazju Rostislavu zatvori Dneprc>", „dem jungen Fürsten Rostislav versperrte die Stugna den Dnepr", d. h. ließ ihn den Dnepr nicht er-
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reichen. Ähnlich lesen wir z.B. im Tkadlecek: „Slysav smrt synov svych, trp ty take, Tkadlecku!" (s-y-s-rt-sy-s-y-tr-t-t-ktk-k u. ähnl.) D e r natürliche Boden der E u p h o n i e ist selbstverständlich die Versdichtung. Sie ist aber bei den O s t - u n d w e i t g e h e n d auch bei den Südslaven erloschen. V o n den Volksliedern wissen w i r nichts, w i r besitzen aber recht zahlreiche a l t cechische geistliche u n d weltliche Gedichte. H i e r begegnet uns dieselbe Fülle der E u p h o n i e n , wie in einem der ältesten erhaltenen religiösen Gedichte, das den „ L o g o s " - C h r i s t u s z u m T h e m a h a t (das sog. O s t r o v e r L i e d ) : Neben den Zeilen vermerken wir die sich wiederholenden Einzellaute (vor allem alliterierende) und Silben. 1. Slovo do sveta stvorenie v bozstvi schovano, jez pro Evino z(h)resenie na svet posläno.
s-ov-s-s-vo-enie s-ov-ano no-enie s-äno
2. Dievce dreve porozenie jest zvestovano, z Davidova pokolenie bozsky vzchovano,
d-d-po-enie ov-ano d-ov-po-enie ov-ano
3. ot neho2e nase krscenie jmenem nazvano, pro drahe nase spasenie 2idöm prodano,
n-na-enie na-ano pro-nd-enie pro-dno
4. a pro nase vykupenie na smrt prodano, jehoz näm slavne vzkriesenie vesele dano.
pro-na-enie na-pro-ano na-enie ano
Mit unseren Randbemerkungen haben wir nicht einmal alle euphonischen Elemente hervorgehoben. (Übersetzung: 1. Das Wort war bis zur Erschaffung der Welt in der Gottheit verborgen. Wegen Evas Sündenfall ward es auf die Welt gesandt. 2. Der Jungfrau ward zuvor seine Geburt verkündet. Aus Davids Geschlecht wurde es auf göttliche Art aufgezogen. 3. Vom Ihm ist unsere Taufe mit Namen genannt, es ward um unserer teueren Rettung willen
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I V . D a s späte M i t t e l a l t e r an die Juden v e r k a u f t , 4. und um unserer Erlösung w i l l e n zum Tode hingegeben. Doch seine glorreiche A u f e r s t e h u n g ist uns zur Freude geschenkt worden.) Auch serbische Gedichte (wenige allerdings) haben denselben Zug, w i e z . B . ein lobpreisendes Epigramm aus dem 1 4 . J h . : S l a v i otbegnuv, slavu obrete, S a v o tamo otjudu slava j a v i se r o d u R o d a svetlost v e r i svetlost prezre tem ze rodu svetilo j a v i se vsemu. U m a visota Sana visotu sverze tem ubo uma vise dobrotu stize. [ S l a v u ] slavi S a v e splete Siluan.
slav-ot-slav-o-t-s-avo t-ot-slav-av-se-rod rod-svetlost-v-svetlost t-rod-svet-javi-se-v uma-visot-s-visot-s t-u-uma-vi-s sl-v-sl-v-s-v-s-s
(Übersetzung: D e m R u h m entfliehend hast du den Ruhm gefunden, o S a v a , dort, w o h e r die G l o r i e dem Menschengeschlecht erschienen ist. D e r Menschheit Licht hat des G l a u bens Licht verachtet. Deshalb ist aber ein Licht allen Menschen erschienen. Des Geistes Höhe h a t des Standes Höhe überw u n d e n , dadurch nämlich hast du des Geistes G ü t e erlangt. Einen Ruhmeskranz h a t f ü r S a v a Siluan geflochten.)
9. Der Gehalt der Werke ist sehr verschieden. Immerhin kann man im Gegensatz zu der Literatur des Frühmittelalters feststellen, daß eine Kluft zwischen der „Welt" und der sakralen Sphäre besteht, und daß die Dichtung auf beiden Seiten der Trennungslinie diese Trennung sieht und manchmal schmerzlich empfindet. Daher finden wir auf der einen Seite die Darstellung der „Welt" in übertrieben prächtigen und üppigen Farben, die häufig den tatsächlichen Zuständen nicht entsprachen (so z.B. die Schilderung des Lebens der wirtschaftlich und politisch verfallenen Kleinfürstentümer in den ostslavischen Chroniken), auf der anderen Seite die streng asketischen Ideale der Flucht vor der Welt und die völlige Verurteilung der in der Welt herrschenden moralischen Verkommenheit. Einen starken Anteil an der Entwicklung des Pessimismus der „Welt" gegenüber hatten die Erfolge der Tataren in Osteuropa und die der Türken auf dem Balkan, nicht nur, weil die slavischen Völker unter das fremde Joch gerieten, sondern auch, weil das Zentrum der griechisch-orthodoxen Kirche, Konstantinopel, in die Hände der Ungläubigen gefallen war.
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Bei den Cechen bemerken wir zunächst ein wesentliches Anwachsen des Nationalbewußtseins und auch des N a t i o nalismus (vgl. besonders die sog. ,,Dalimil"-Chronik). In der religiösen Versdichtung sehen wir die Beschäftigung mit ernsten theologischen Problemen. Diesen ist auch die lateinisch geschriebene theologische Literatur gewidmet. D a s altcechische „ K u n i g u n d e n - L i e d " enthält in dichterischer Form eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen. Daneben beschäftigen sich die altcechischen Lieder mit der historischen Problematik: die zwei Lieder „ V o n der Wahrheit" (o pravde) bringen Bilder der „veritas exul", die auf dieser Welt keine Stätte für sich finden kann — die sozialen Gegensätze und der kirchliche Verfall. Die zwei Päpste bieten genug Stoff zu pessimistischen lyrischen Betrachtungen. Daneben stehen die altcechischen Liebeslieder, die mit einer Fülle von schönen Bildern an den Minnesang des 14. Jhs. anklingen (V. Cerny). D e r oft v o r k o m m e n d e Ausdruck „ F r a u e n d i e n s t " (sluzba) läßt uns an die höfische Minne denken. D a n e b e n finden w i r die hyperbolische Schilderung der Liebe (die höher als d a s K a i s e r t u m stehe), dann Bilder der Hindernisse der Liebe in dieser Welt, die Feinde und Feindinnen der Liebenden, die dem Liebenden das Leben zur Q u a l machen; besonders geschildert w i r d die Trennung oder gar der Verlust der G e liebten: M a m t ' j a jednu p a n i , tet' s veru sluzim, pro nit' v tühach v a d n u , sve srdce m a r i m . . . Milost jine nenie nezli smrt druha, k r ä t k e utesenie a vecnä tuha . . .
Ich habe eine F r a u , der ich im Treuen diene, für sie schmachte ich in Sehnsucht, ich q u ä l e mein H e r z . . . D i e Minne ist nichts anderes denn ein andrer T o d , k u r z ist ihr Trost und ewig die S e h n s u c h t . . .
O d e r : T a j n a zalost p r i mne bydli k d y z i mi jie nelze v i d a t i . . . Geheimer K u m m e r weilt bei mir, wenn ich sie nicht d a r f sehen ( . . . )
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oder: Zvolil sem sobe milü, ta tre me srdce p i l u . . . Eine Liebste habe ich mir erwählt, die mein H e r z mit einer Feile reibt ( . . . ) oder: a m i t ' smutku prielis dosti pro to smutne rozlucenie, ze s tebu byti lze nenie . . . man hat der Traurigkeit gar zuviel ob dieses traurigen Scheidens, weil ich mit dir nicht sein darf (...) D e r Erforscher der altcechischen Liebeslyrik, V. Ccrny, findet auch auffällige Parallelen zu den Formen der Minnelyrik: zu „Canzone", „Pastorale", Liebesbrief, Romanze, Tanzlied und „Alba" — Abschied von der Geliebten bei der Morgenröte, wie e t w a : 1. O d vychodu slunce vetrik povevuje, pres hory dma horami se chveje. Lesni jek, zvuk, lom se tisi, zver ustüpa, p t a c t v o krici, znamennajic, ukazujic, zet' noc odstupuje pryc. 2. Vysoko jest vzesla dennice jasna, dalekot' jest v piano odesla, kvapic, pospichajic od hör. Vse stvoreni i lidsky sbor nespi a chtie vzhuoru vstati Cas nama, mila, rozzehnati. (Ubersetzung: 1. Von der Sonne A u f g a n g weht leicht ein Lüftchen, über die Berge blasend, zittert es auf den Bergen. Im Walde verstummt das Geräusch, der Klang, das Knistern, das Wild entweicht, die Vögel schreien laut, anzeigend, verkündend, d a ß die Nacht entschwindet.
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2 . Hoch w a r der helle Morgenstern aufgegangen, weit in der Ferne ist er ins Leere gewichen, eilend, hastend v o n den Bergen. Alle Geschöpfe und der C h o r der Menschen schlafen nicht mehr und wollen sich erheben. Es ist Zeit für uns zu scheiden, meine Liebste.) V . C e r n y versuchte auch die Verbindungen mit der westlichen M i n n e l y r i k festzustellen und glaubt, d a ß hier möglicherweise ein Einfluß aus Süddeutschland und Österreich besteht. Audi die altcechische P r o s a machte einen wesentlichen Schritt. Besonders zu beachten sind die für seine K i n d e r bestimmten theologischen Schriften v o n T o m á s ze Stítného (s. oben § 3). E r begann mit der Übersetzung theologischer W e r k e (Kirchenväter und B o n a v e n t u r a ) und ging dann zu eigenen kleineren T r a k t a t e n und den in P r e d i g t f o r m abgefaßten g r ö ß e ren „Büchern über die allgemeinen Fragen des Christentums", den „Predigten für S o n n - und Feiertage" und den „Büchern der christlichen Belehrungen" über. Fast sein gesamtes W e r k ist eine K o m p i l a t i o n aus den lateinischen Kirchenvätern und den mittelalterlichen Theologen. W i e es um diese Zeit meist der F a l l ist, sind auch hier die Quellen zu einer organischen E i n heit verarbeitet. E i n e besondere Bedeutung hat die Sprachgestaltung Stitnys, der die cechische Sprache auf eine H ö h e hob, die den Ausdruck der kommenden theologischen, moralischen und philosophischen G e d a n k e n möglich machte. Gewisse mystische Neigungen S t i t nys können vermerkt werden. 10. O s t - und Südslaven standen v o r ernsten ideologischen A u f g a b e n . E s h a n d e l t e sich n i c h t n u r u m die E n t w i c k l u n g des n e u e n l i t e r a r i s c h e n Stils ( v g l . § § 2 — 3 ) , s o n d e r n a u c h u m die A u f n a h m e d e r in B y z a n z e n t s t a n d e n e n m y s t i s c h e n L e h r e d e r sog. „ H e s y c h a s t e n " , die f ü r d a s E r reichen d e r h ö h e r e n S t u f e n des m y s t i s c h e n W e g e s e i n e b e sondere A r t der Askese empfahlen: Einsamkeit, u n a u f h ö r liches G e b e t u n d s o g a r eine b e s o n d e r e K ö r p e r h a l t u n g m i t g e s e n k t e m K o p f u n d a n g e h a l t e n e m A t e m . D i e griechische L i t e r a t u r d e r H e s y c h a s t e n , die auch eine n e u e H ö h e d e r p h i l o s o p h i s c h e n S p e k u l a t i o n erreichte, f a n d A n k l a n g a u f d e m B a l k a n u n d in O s t e u r o p a . 6 Tschizcwskij I
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Mehr Beachtung fanden bei den Slaven die psychologischen Schilderungen der Hesychasten, die die Voraussetzungen des Aufstiegs auf dem mystischen Wege angeben. Im Dienste der hesychastischen Ideologie stehen jetzt viele Werke der religiösen Literatur. Die Werke der Theoretiker des Hesychasmus, Gregors des Sinaiten und Gregors Palamas und ihre Heiligenlegenden, sowie die älteren Werke der kirchenväterlichen Literatur wurden übersetzt und fanden lebhaften Anklang bei den slavischen Asketen. Der Boden war d a f ü r vorbereitet durch die eigenartige ostslavische Einsiedlerbewegung, die zahlreiche Fromme ergriffen hatte und sie in die Einöde des Nordens führte. Auf dem Balkan wurde das slavische Zentrum des Hesychasmus ein von Gregor dem Sinaiten gegründetes Kloster mit seinen zahlreichen bulgarischen und serbischen Mönchen. Bei den Großrussen wurde das von dem letzten großen Vertreter der Einsiedlerbewegung, dem hl. Sergij von Radonez, gegründete Kloster (z. Z. Zagorsk) eine Pflegestätte des Hesychasmus. Auch das Kiever Höhlenkloster empfing hesychastische Einwirkungen vom Athos. Die großen Leistungen der ostslavischen Literatur, die Werke von Epifanij dem Weisen und die der Kunst, z. B. die Ikonen des Andrej Rublev, sind die Produkte der Hesychastenbewegung. Literarisch schwächer sind die Werke der Balkanliteraturen, wenn sie auch inhaltlich mehr konkrete Daten aus der Lehre der Hesychasten bringen (Heiligenlegenden jener Zeit). Ein bedeutender, wenn auch vorwiegend kompilierender großrussischer Vertreter der slavischen Hesychasten-Literatur war Nil Sorskij (von Sorka, dem Fluß, an dessen Ufer seine Einsiedelei sich befand). Seine „Predanie i ustav" (Tradition und [Kloster]Statut) gibt eine klare Darstellung des mystischen Weges mit besonderer Betonung der psychologischen Aufgaben der Askese, die frei von strenger Reglementierung sein soll. Gleichfalls eine Kompilation ist die Schrift eines Gegners der genannten Bewegung, Josif Volockij (von Volokolamsk), der die Aufgabe des Klosterlebens in strenger Askese und die Aufgabe der Kirche in der Zusammenarbeit mit dem
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Staat sieht. Sie entstand zur selben Zeit und führte die Literatur auf einen Weg, auf dem die Moskauer Literatur bereits im 16. Jh. weiterschritt. Josif Volockij konnte seine Ansichten in der Polemik gegen die Häretiker erhärten, die er „Verjudete" (zidovstvujuscie) nannte und die im 15. Jh. eine beträchtliche Verbreitung in Novgorod und Moskau fanden. Von seinen Werken sind uns nur die Übersetzungen der wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Literatur aus dem Hebräischen bekannt (philosophische Werke der Araber und des Moses Maimonides, sowie die pseudoaristotelischen „Secreta secretorum"). Diese ganze Entwicklung stand stilistisch in der Tradition der bulgarischen Schule von Trnovo mit ihrem reichgeschmückten Stil, dessen höchste Stufe wohl die Werke Epifanijs des Weisen vertreten. Die Schriften jener Zeit bringen in dichterischer (so in den Heiligenlegenden), wie auch in theoretischer (so in Predigten und in den Schriften Nil Sorskijs) Gestalt neue Gedanken; leider sind uns Tiefe und Dauer ihrer Wirkung nicht immer ganz klar. In den kleineren Legenden der nordrussischen Einsiedler und auch in der großen des hl. Sergij von Radonez haben wir die Darstellung des mystischen Weges, von der Reinigung der Seele (Katharsis) über die Erleuchtung (Photismos), bis zur mystischen Vereinigung mit Gott (Henosis). Bezeichnend ist das Zurücktreten der Wundererzählungen und anthropomorphen Visionen. Statt dessen begegnen uns die f ü r die Hesychasten, die im „göttlichen Licht" eine besondere Substanz sehen, typischen Lichtvisionen. Statt der äußeren Askese und der Erfüllung gewisser Gebetsnormen begegnet uns die Lehre vom „inneren Weg" der Vervollkommnung. Die Rolle der christlichen Lehre und der Mission tritt in den V o r d e r g r u n d : die große Legende des hl. Stefan von Perm' stellt (mit Benutzung der älteren Literatur) die Bedeutung der Slavenmission dar und stellt bei der Behandlung der Tätigkeit Stefans, der bei den Finnen (Syriänen) missionierte, Betrachtungen über die Christianisierung der Völker an. Bezeichnend sind vor allem in den Werken der Schule von T r n o v o und denen Epifanijs die Elemente der religiösen Lyrik, die ja bereits in den Gebeten des Kirill von Turov festzustellen 6;:"
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IV. Das späte Mittelalter sind. Jetzt werden sie durch die neuen stilistischen Mittel, vor allem durch Neologismen wie durch reiche Synonymik noch wesentlich verstärkt. — Die Schilderung des inneren Lebens des Menschen blieb trotzdem noch vielfach im Rahmen der traditionellen Phraseologie stecken, die allerdings durch den Hesydiasmus bereichert worden ist. (Die Wendungen, Ableitungen vom Stamm „svet" — Licht und die Epitheta „seelisch", „geistig" — dudhovnyj, dusevnyj, die Rede vom „inneren Menschen" sowie die mannigfaltige neue Metaphorik sind die Elemente dieser Bereicherung.)
Bemerkenswert sind die Werke, in denen uns die tief pessimistische Beurteilung der Zustände dieser Welt begegnet, die Meinung, es sei unmöglich in ihr gerecht zu sein: der Gerechte wird vertrieben oder gar getötet. Dieses Thema begegnet uns in den altcechischen Liedern von der vertriebenen Wahrheit und Gerechtigkeit; diese Lieder sind gewissermaßen Vorzeichen der aufkommenden hussitischen „Vorreformation" (s. Kap. VI). Bemerkenswert ist formell und inhaltlich ein altkroatisches Rügelied aus der 2. Hälfte des 14. Jhs. Wir bringen einige Strophen (nach der Ausgabe von J. Hamm): i. Das Licht ist zu Ende, schon geht die Sonne unter, Wahrheit vergeht, Liebe erkältet, Dunkel bricht ein. Schon führt der Teufel sein Heer zuhauf. Der Tag kommt, da die hl. Schrift sich erfüllt. 6. ( . . . ) Doch keiner denkt daran, er ißt, trinkt und tanzt. Wer zu ihnen spräche: „Ihr tut übel", dem werden sie übel [mitspielen. 10. Wer da Gottes Wahrheit halten und seinem Sohn Jesus folgen wollte und in Demut und Frömmigkeit seine Sünde beweinen, den lassen sie in ihrem Zorne arg verfolgen. 11. Sie sagen: „Du bist ein Heuchler und Betrüger! (...) Schleppt ihn zum Verhör zum Inquisitor! 12. Heiliger Vater, dieser ist ein Ketzer: hungrig, durstig, nackt und barfuß geht er umher und hält [Gericht über uns. Wir bitten dich, daß dieser Heuchler verbrannt werde!" Der Vers ist zwölfsilbig, syllabisch, die Zeilen einer jeden Strophe haben gleiche Reime. — Hier begegnet uns ein oft ver-
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wertetes Motiv — die Hinrichtung eines Gerechten (vgl. schon bei Plato, Respublica II, 5, 362 A).
11. Gerade die Zeit des Spätmittelalters zeugt von den mannigfaltigen, wenn auch uns nicht immer ganz klaren literarischen Beziehungen zwischen den verschiedenen slavischen Völkern. Am bekanntesten ist der oben vielfach hervorgehobene weitere Einfluß der bulgarischen Literatur, die vor der Zeit der Türkenherrschaft geradezu eine führende Rolle unter den süd- und ostslavischen Literaturen gespielt hat. Vertreter der Schule von Trnovo waren bei den serbokroatischen Nachbarn tätig und kamen auch zu den Ostslaven, nach Moskau und Kiev. Zu nennen sind hier die Metropoliten und Schriftsteller Kiprian und Grigorij Camblak und, als Nachfolger des stilistisch so hervorragenden Epifanij, der serbische Berufsliterat Pachomij Logofet (oder Serb). Aus dem slavischen Süden kommen auch wichtige neuübersetzte Werke, wie die Areopagitica (wohl im 13. Jh. in Serbien übersetzt). Die traditionelle Bezeichnung dieser Beziehungen als „zweiter südslavischer Einfluß" auf die ostslavische Literatur versucht man jetzt durch die Hervorhebung des originalen russischen Schaffens als „russische Vorrenaissance" (D. Lichacev) zu ersetzen. Leider folgte dieser „Vorrenaissance" keine „Renaissance", zumindest auf literarischem Gebiet nicht. Zur gleichen Zeit hat das Cechische, das immer mehr Bedeutung — zunächst als Umgangs-, dann als Literatursprache — gewinnt, einen bedeutenden Einfluß auf Polen: die mannigfaltigen Elemente der polnischen Lexik der folgenden Jahrhunderte, die z. T. bis heute erhalten sind, zeugen von diesen engen kulturellen Beziehungen. Der Wortschatz jener Zeit (viele Wörter sind noch erhalten) zeigt viele Lautgestalten, die dem Cechischen und nicht dem Polnischen eigen sind. So: 1. Die Silben -la, -ra statt -lo, ro: wladac, wlasny, straza, brana (-brama), der N a m e Wladyslaw.
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V. Die Moskauer Literatur des 16.—17. Jahrhunderts 2. Der Laut h statt des poln. g: hanba, hardy, hojny, hotota, ohydny (altcech. ohyzdny), biahy, hrabja. 3. u statt des alten Nasals, im heutigen Polnisch sonst 4 oder q: lug, kusy, okrutny, der N a m e W a c l a w : a statt 4. i statt des poln. ' u : litowac, litosc. 5. Das Fehlen der poln. Palatalisierung: obywatel, rzetelny, wesele, serce.
Von dieser Zeit an geriet die polnische Orthographie unter den Einfluß der cechischen. Dabei blieb es im großen und ganzen bis jetzt, während die Cechen bereits im 15. J h . eine neue (wohl von J a n Hus vorgeschlagene) Orthographie einzuführen begannen. Unter Kaiser Karl IV., der seine H a u p t s t a d t Prag zu einem europäischen Zentrum machte, erschienen dort auch kroatische Mönche und brachten sogar ihre glagolitische Schrift mit. Bei den katholischen Westslaven, bei denen die lateinische Sprache zu den obligatorischen Bildungselementen gehört, ist diese allerdings auch kirchliche und wissenschaftliche Grundlage (es gibt bereits Universitäten in Prag und Krakau), und auch das einigende Band, das vielleicht nicht weniger stark ist, als die kirchenslavische Grundlage der griechisch-orthodoxen Slaven. Man hätte eigentlich die letzte Zeit, das 15. Jh., von der vorhergehenden Epoche trennen können: der neue ideologische Gehalt scheint eine neue Zeit anzukündigen. N u n trennen sich hier f ü r einige Zeit die Wege der slavischen Literaturen...
V Die Moskauer Literatur des 16.—17. Jhs. 1. Die Moskauer Literatur des 16. und die der ersten H ä l f t e des 17. Jhs. ist eine recht eigenartige Erscheinung. Diese Zeit bedeutet eine A r t literarischer Autarkie, eine fast völlige Isolierung der Moskauer von den Literaturen des Westens und denen der übrigen slavischen Völker (die
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Literaturen der anderen ostslavischen Völker gingen bereits ihre eigenen Wege). Dieser Zustand trat ein nach den letzten politischen und ideologischen Kämpfen, die einerseits mit dem Sieg Moskaus über die bis dahin ( z . T . freilich nur noch illusorische) Selbständigkeit genießenden Teilfürstentümer und mit der Abschüttelung des allerdings zuletzt auch nur noch scheinbaren „tatarischen Joches" endeten, andererseits mit dem Sieg der den Moskauer Staat bejahenden und verherrlichenden Anschauungen der Partei Josif Volockijs (s. I V , § 10) über das „innere Christentum" Nil Sorskijs und seiner Anhänger (ibid.). Im 16. J h . kam dazu noch die Eroberung der beiden tatarischen Reiche Kazan und Astrachan (was zu der Aufnahme deren tatarischer Bevölkerung in den Moskauer Staat und zu einer gewissen Verstärkung des tatarischen Kultureinflusses führte). Die Selbsterhebung des Moskauer Zarenreiches (denn so nannte sich Moskau nun, das bis dahin „Großfürstentum" hieß) und die kulturellen Autarkiebestrebungen fanden für sich Unterstützung auch in der Tatsache, daß Moskau sich nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken als das einzige christliche Reich betrachtete — denn sowohl die römischen Katholiken als auch die Wittenberger und Genfer Protestanten erschienen den orthodoxen Moskauern — in eigentlicher Unkenntnis der theologischen Grundfragen — als „Häretiker" oder gar „Ungläubige". Typisch ist die Vorstellung „Moskau — das dritte R o m " . Diese recht zufällig aus der Feder eines obskuren Pleskauer Mönches, Filofej, geflossene Formel, spielte damals allerdings eine weniger bedeutende Rolle als später in der Vorstellung der modernen westeuropäischen Forscher, wenn auch Ivan der Schreckliche sich diese Auffassung zu eigen machte und sie sogar in seinen diplomatischen Beziehungen zur Geltung zu bringen suchte. Treffender noch als das Wort von Moskau als Nachfolgerin Roms und Konstantinopels ist ein Schlagwort, das auch erst um diese Zeit auftauchte und der Wirklichkeit ebenso wenig entsprach wie die erste Formel, nämlich — „das heilige Rußland".
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2. Dennoch wurden auch in dieser Zeit einige Verbindungen mit dem Westen geknüpft. Sie erstrecken sich aber vorwiegend auf Errungenschaften der materiellen Kultur, können sich vereinzelt in der Kunst auswirken und wegen der diplomatischen Verbindungen mit dem Westen (von Polen angefangen) zur Aneignung der lateinischen Sprache führen. Die Einwirkungen auf die ideologische Sphäre sind schwach. Sie wurden meist als Ketzereien und strafbare Abweichungen von der hergebrachten Tradition betrachtet. Moskaus Beziehungen zu Byzanz, die eine fortschreitende Abschwächung erfuhren, sind fast nur noch durch die Erfordernisse des kirchlichen Lebens bestimmt. Als ein gebildeter griechischer Mönch, Maxim (genannt „der Grieche": Maxim Grek), als Übersetzer nach Moskau eingeladen wird, zeigt es sich, daß er auf der Seite der Anhänger Nil Sorskijs steht (IV, § 10). Er wird in Rußland zurückgehalten und verbringt lange Jahre in Gefangenschaft. Maxim hat in Italien studiert, wo er auch die Vertreter des Humanismus kennenlernte. Doch gehörten seine Sympathien eher dem Antihumanismus Savonarolas. 3. Moskau mußte seinen eigenen Weg gehen. Aus seiner Selbsterhebung entstand folgerichtig das Bemühen um eine Literatur, die der Größe und Machtstellung des Reiches entsprechen sollte. Eine bedeutende Rolle bei diesen literarischen Unternehmungen spielte der Metropolit Makarij (1482—1563, seit 1542 Metropolit von Moskau). Auf seine Initiative hin entstanden die „Cet'i-Minei" (Lese-Menäen), eine riesengroße Sammlung der gesamten altrussischen Literatur, zu der zunächst alle Heiligenlegenden gehörten, dann aber auch umfangreiche theologische Schriften, wie die „Klimax" von Johannes Klimakos oder die „Areopagitica" des Pseudo-Dionysios mit dem Kommentar von Máximos Confessor, aber sogar auch weltliche Werke. Hierzu mußte man vielfach die noch nicht vorhandenen Legenden der in Rußland verehrten Heiligen einfach erdichten. Einer noch stärkeren historischen Korrektur bedurfte die dynastisch aufgefaßte russische Geschichte in der umfangreichen „Stepennaja kniga", in welcher die Gene-
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alogie der angeblich immer rechtmäßigen Großfürsten von Rjurik bis zu den Zaren von Moskau stufenweise aufgebaut wurde. — Demselben enzyklopädischen Bemühen entsprang die zwölfbändige kompilatorische Weltgeschichte „Carstvennaja kniga". Die erhaltenen 11 Bände enthalten u. a. etwa 11 000 Miniaturen, die unter dem merklichen Einfluß westlicher Kunst entstanden sind. Auch chronistische russische Werke, z. B. die sog. Nikon-Chronik, gehören zu dieser Art Literatur und weisen ebenfalls Züge einer ungehemmten Phantasie auf. Die Beschlüsse des Kirchenkonzils vom Jahre 1555, in 100 Kapiteln zusammengefaßt („Stoglav"), und auch ein „Oikonomikos" („Domostroj", der ohne zwingenden Grund dem Priester Sil'vester zugeschrieben wird) gehören zu der typischen Moskauer Literatur jener Zeit mit ihrer Vernachlässigung, ja Verachtung alles Fremden und dem festen Glauben an den echt christlichen Charakter der altrussischen Tradition, d. h. der Anschauungen, die die Verfasser dieser Werke für „altrussisch" halten. 4. Das Vorhandensein dieser umfangreichen und großartigen Literatur würde leicht den Eindruck von Ruhe, sozialer Stetigkeit und allgemeiner Anerkennung der politischen und sozialen Grundlagen des Moskauer Staates erwecken, wenn nicht daneben auch eine ganz anders gestaltete Literatur existierte. Dies war die polemische Literatur, die in intensiver und scharfer Form die ideologische Auseinandersetzung zwischen Nil Sorskij (dem geistigen Christentum) und Josif Volockij (der politisierenden Kirche) weiterführte (s. IV, § 10). Die Hauptfragen dieser Polemik waren sozialpolitisch: das Recht der Klöster, von Bauern bewohnte Dörfer zu besitzen, und das aus verschiedenen Blickrichtungen gesehene Problem des Absolutismus (vor allem die moralische Verantwortung des absoluten Herrschers, die Gerechtigkeit als Grundstütze des Staatslebens, die Gehorsamspflicht der Untertanen und die Pflicht, auch die Ungerechtigkeit und Härte der Regierung mit Geduld zu ertragen — russ. dolgoterpenie). Als Schriftsteller traten Vertreter der feudalen Opposition auf: der
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Fürst Andrej Kurbskij, der in den polnisch-litauischen Staat emigrierte und von dort einige Briefe an den Zaren richtete; gewisse unerbetene Ratgeber des Zaren, z. B. der uns als Persönlichkeit nicht näher bekannte Ivan Peresvetov, wohl ein Einwanderer aus dem Westen; Geistliche, die Anhänger Nil Sorskijs, z. B. der Fürst Yasian Patrikeev, der Mönch geworden war, und der vom Athos berufene Mönch Maxim Grek; der rein theoretisch seine Gedanken begründende Diplomat Fedor Karpov (der u. a. antike Autoren kannte und zitierte); weiter — wirkliche oder vermeintliche „Ketzer", deren religiöse Zweifel in manchen Fällen vom Westen angeregt waren. Als Verteidiger eigener Ideale trat der Zar selbst in seinen Briefen, vor allem an den Fürsten Kurbskij, auf. 5. Nach dem Tod des Sohns Ivans des Schrecklichen, des Zaren Fedor (1598) und der kurzen Regierung des gewählten Zaren Boris Goduno'v begann das Interregnum, das erst 1613 mit der Wahl eines Zaren aus der neuen Dynastie Romanov endete. Während der kurzen Regierung des sog. „Falschen Demetrius" und der militärischen Interventionen Polens (an denen ukrainische Truppen teilnahmen) und Schwedens, und bei den Versuchen, einen polnischen Kandidaten auf den Zarenthron zu berufen, haben manche Kreise Rußlands mindestens schwache Reflexe des westlichen Geistes kennengelernt. Der geistige Einfluß war im ganzen aber doch zu schwach, und die interessanten Werke, die von den Zeiten des Interregnums und in Verbindung damit auch über die Ereignisse des 16. Jhs. berichten, zeugen von diesen Einflüssen. — In der Literatur beginnt die Versdichtung (rhythmische Sprache) sich ihre Rechte zu erobern. Unter den beiden ersten Romanovs (Michail, 1613—1629 und Aleksej, 1629—1674) wurden zahlreiche Versuche unternommen, meist mit Hilfe ukrainischer und polnischer Mitarbeiter, die literarische Welt des Westens den Russen in Ubersetzungen zugänglich zu machen. Von diesen zahlreichen Ubersetzungen wurde aber sehr wenig gedruckt, so daß die übertragenen Werke nur einem engen Kreis in Abschriften zugänglich waren. Erst in der zweiten Hälfte
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des 17. Jhs. kann man von einem neuen Anschluß der russischen Literatur an die Entwicklung des europäischen Westens und der anderen slavischen Literaturen sprechen —und zwar an die Literatur des Barock. 6. Der Stil der Werke jener Zeit ist nicht sehr einheitlich: sie gehören auch nicht der schönen Literatur an, wenn auch einzelne Seiten dichterischen, vor allem aber rhetorischen Wert besitzen. Die Kunst des Ausdrucks schwankt zwischen rhetorischem Können (A. Kurbskij, Fedor Karpov, z. T. der Zar Ivan) und dem fast zum Selbstzweck übersteigerten schwer geschmückten Stil, der den Gehalt völlig zurückdrängt und gar absichtlich verdeckt (Chroniken, manche Teile der Lese-Menäen, Heiligenlegenden usf.). U m jene Zeit beginnen allmählich echt russische W ö r t e r und syntaktische Wendungen in die Literatursprache einzudringen, vor allem dort, w o mit ihnen keine althergebrachten ksl. Wendungen rivalisieren. Es steigt auch die Anzahl der aus dem Tatarischen entlehnten Wörter (nach der Eroberung der Kazanschen und Astrachanschen tatarischen Reiche). Zu den echt russischen Wörtern, die nun Eingang in die literarischen Werke finden, gehören z. B.: obrok, pobor, die Formen: tvoevo, nicevo usf., zu den neuentlehnten tatarischen: altyn, denga, jam, jamscik usf. (vgl. Kap. I, § 2).
Schwerpunkte des reichgeschmückten Stils bilden der komplizierte syntaktische Bau und das Wuchern der Topoi (loci communes). Hier einige Beispiele dieses rhetorisch guten Stils. Fürst Kurbskij wendet sich an den Zaren Ivan den Schrecklichen: „Warum hast du, o Zar, . . . die H e e r f ü h r e r , die G o t t dir gegeben hat, auf verschiedene Todesarten gemordet und ihr siegreiches Blut in den Tempeln Gottes, frei der herrschaftlichen Willkür, vergossen und mit ihrem Blut die Stufen der Kirchen gerötet? (Weshalb) hast du gegen die, die dir Gutes wünschen und f ü r dich ihr Leben geben, unerhörte Foltern, Verfolgungen und Todesarten erfunden, in dem du sie wegen Verrat, Zaubereien und unter anderen falschen Beschuldigungen verleumdest und dich bemühtest, das Licht in Finsternis zu verwandeln u n d das Süße bitter zu nennen? . . . Bist du in eine noch nie d a -
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V. Die Moskauer Literatur des 16.—17. Jahrhunderts gewesene Häresie verfallen u n d willst nicht mehr vor dem unbestechlichen Richter erscheinen . . . der da ist mein Christus, der auf dem Thron der Cheruben sitzt und rechts von ihm stehen die Gewalten und die hohen Herrschaften* — er, der Richter zwischen dir und mir . . . Mein Blut, das ich wie Wasser f ü r dich vergossen habe, ruft gegen dich zu meinem Gott!" Aus der A n t w o r t des Zaren: „Verstehe, daß, wer sich der (irdischen) Macht widersetzt, sich Gott widersetzt, ein Abtrünniger ist, was die schwerste Sünde i s t . . . U n d wenn du gerecht und f r o m m bist, weshalb wolltest du von mir, dem widerspenstigen Herrscher, nicht Leiden und Lebensende annehmen? D u hast die Seelenfrömmigkeit samt dem christlichen Gesetz und Glauben und den vergänglichen R u h m aus Eigennutz und wegen der Genüsse dieser Welt zerstört und bist dem Samen gleichgeworden, der auf Stein gefallen war, aufwuchs, und als die Sonne mit ihrer Glut leuchtete, abfiel und keine Frucht gab." Die Erzählung Timofeevs (um 1619) über das Interregnum beginnt mit der Schilderung der letzten K ä m p f e gegen die fremden Truppen in R u ß l a n d : „Wir empfingen die plötzliche und unaussprechliche G n a d e Gottes, indem wir uns von der Sklaverei befreiten mit H i l f e des kleinen Restes der Männer, die sich bewaffneten und sich in dreifache Festigkeit des Heereskampfes gegen P h a r a o kleideten, und die Schlangen, die sich in unserem Land eingenistet hatten und gegen uns voll Zorn zischten, w u r d e n auf Gottes Wink ausgerottet aus allen Orten des Reiches und noch mehr durch Gottes menschenfreundlichen Schutz. . . Sie wurden plötzlich mit allen ihren Wurzeln hinausgeworfen, und wir wurden gleichsam zum zweitenmal aus dem Tode zum Leben gebracht, und Gott befahl uns, wieder zu leben, und gebot uns, gebracht, und Gott befahl uns, wieder zu leben und gebot uns, kleiden und bereitete den Besitz seinem Diener vor, dem großen Herren Zaren und G r o ß f ü r s t e n Michail Fedorovic des ganzen Rußland, die Worte eines Psalmes Davids erfüllend . . . " — das ist ein typischer, unendlich langer Satz der Schönschreiber jener Zeit, die alles Konkrete nur in allgemeinen Redewendungen (mit häufigen Anakoluthen) mitteilen können.
* „ G e w a l t e n " u n d ,,Herrschaften" sind w o h l die N a m e n der zwei G r u p p e n d e r E n g e l (nach d e r „ H i m m l i s c h e n H i e r a r c h i e " des P s e u d o - D i o n y s i o s A r c o pagita).
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7. Die Moskauer Literatur des 16.—17. Jhs. brachte zweifelsohne eine Reihe dichterisch und rhetorisch vollkommener Werke hervor. Andere wiederum sind bedeutende Zeugnisse der ideologischen Entwicklung, die nicht einheitstärker im Verlauf des 17. Jhs., das die sog. „Europäisierung" am Anfang des 18. Jhs. weitgehend vorbereitete und zu der ausgeprägten, aber keineswegs hochstehenden Barockliteratur führte. Diese konnte sich von dem seltsamen „Pathos der Wirklichkeit" kaum je völlig lösen und betrachtete die ganze Wortkunst als Information, als Berichterstattung. Die Reste der Folklore, die uns überliefert sind, zeugen nur von der tiefen Kluft zwischen ihr und dem, was damals als Literatur galt. Das Barock, das unter den meist mittelbaren Einflüssen der westlichen Dichtung stand (vermittelt durch die Ukrainer, Weißrussen und Polen, vgl. weiter Kap. V I I I ) , konnte sich erst bei den Epigonen (vor allem G. Derzavin, vgl. ibidem) zu einer wirklich dichterischen Höhe emporheben . . . Auch die „Europäisierung" unter Peter dem Großen ging an der Kunst vorbei — aus Gleichgültigkeit und Unverständnis, vielleicht aber auch aus Vorsicht. Ideologisch wurde ja bereits im 15. und 16. J h . (etwa von Nil Sorskij, Maxim Grek, Fedor Karpov) der Weg des totalen Absolutismus als Irrweg erkannt. Fedor Karpov deutet (mit mehrfacher Berufung auf antike Autoren, vor allem auf Aristoteles) in einem Brief an einen der radikalsten getreuen Diener des Moskauer Absolutismus, den Metropoliten Daniii (der allerdings für die Moskauer H e r r scher nicht treu genug gewesen zu sein scheint und als abgesetzter und verbannter Kirchenfürst endete) seine Ansichten an: der Staat kann nicht auf dem Prinzip uneingeschränkter Geduld (dolgoterpenie) der Untertanen aufgebaut sein, denn wenn diese alle Handlungen der Obrigkeit widerstandslos „ertragen" werden, sind Fürsten und Gesetze unnütz; wer nichts (keine Rechte) hat, habe auch nichts zu verlieren. „Geduld ohne Recht Gerechtigkeit) und ohne Gesetz zerstört alle Güter der Gesellschaft", dies „leistet den bösen Sitten Vorschub und schafft Menschen, die wegen ihrer Armut (gemeint ist auch die Rechtlosigkeit, D. T.) dem Herrscher ungehorsam werden". Die
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V I . Hussitentum dieses erfahrenen D i p l o m a t e n w u r d e nicht gehört. Genauso wenig das, w a s P e r e s v e t o v in einem seiner an den Zaren gerichteten Brief über die N o t w e n d i g k e i t der Gerechtigkeit im Staatsleben sagte. Die Folgen der damaligen Staatspraxis w a r e n die „Unordnung", das Interregnum am A n f a n g des 1 7 . Jhs. und die Spaltung der Kirche, „Raskol", an dessen Ende.
VI Hussitentum 1. Der Übergang der cechischen Literatur vom Mittelalter zur Renaissance w u r d e durch religiöse und soziale K ä m p f e gerade zu der Zeit unterbrochen, als die A n f ä n g e der Renaissance nach Böhmen eingedrungen w a r e n . Die religiöse Bewegung, die nach dem Namen ihres Anregers und Führers, Johann Hus, „Hussitentum" genannt w i r d , schuf eine umfangreiche und bemerkenswerte Literatur, die allerdings k a u m „schöne" Literatur sein wollte, aber schon durch die zwangsläufig immanente N o t w e n d i g k e i t der sprachlichen Praxis auch literarisch-ästhetische Werte erarbeiten. Die Hussiten wollten mit ihrer Literatur eine W a f f e für ihren religiösen und sozialpolitischen Kampf schmieden: w i e jede W a f f e w u r d e auch sie'zunächst sozusagen „kunstgewerbliches Erzeugnis" — später Kunstwerk. 2. Das Hussitentum w a r in seinem inneren Wesen zwiespältig: das Bestreben Hussens, seiner Vorgänger und Anhänger richtete sich auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, in der Gegenwart „verdorbenen und verkommenen" Zustandes der Kirche. Das zentrale K a m p f p r o b l e m der Bewegung — die Kommunion unter beiderlei Gestalt für alle Christen, nicht nur f ü r die Priester •— w a r f ü r sie die Wiedereinführung des alten Ritus, der in der Westkirche erst im Mittelalter abgeschafft worden w a r . — Die späteren Versuche der russischen Slavophilen, das Hussitentum als ein Bestreben nach der „Rückkehr" in den Schoß der einzig „orthodoxen" Kirche darzustellen, w a r e n natürlich nichts anderes als Mißinterpretationen. M a n darf aller-
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dings nicht vergessen, daß Hieronymus von Prag die ostslavischen Gebiete des Polnisch-Litauischen Staates (evtl. auch Pleskau) besuchte und in der dort üblichen Kommunion unter beiderlei Gestalt eine gewisse Bestätigung für die Berechtigung gerade dieser Forderungen der Hussiten fand. Immerhin waren die ideologischen Verbindungen zur Ostkirche sehr schwach und verloren sich bald in der damaligen Problematik des westlichen kirchlichen Lebens und der sozialpolitischen Nöte Böhmens. Zu den wichtigsten allgemeinen Motiven der Bewegung gehörte der Kampf gegen die „Verweltlichung" der Kirche, zu der die Renaissance entscheidend beitrug. Freilich hatte das Bewußtsein der Kirche durch das doppelte Papsttum schon vorher eine gewisse Erschütterung erfahren — vor diesem Hintergrund entstanden schon früher die cechischen Lieder von der „vertriebenen Wahrheit" ( = Gerechtigkeit) . . . Der Verfall der früheren Macht der Kirche im Westen führte in Verbindung mit dem Bestreben, den Zustand des kirchlichen Lebens zu „verbessern", zu neuen Ansichten über die Beziehungen zwischen der „erneuerten Kirche" und dem Staat; es entstanden bald verschiedene ideologische Schattierungen: von den „theokratischen" Vorstellungen vom Primat der Kirche über den Staat bis zu den gewissermaßen „anarchistischen", den Staat als im Wesentlichen unchristliche Machtorganisation ablehnenden. Diese Motive der hussitischen Ideologie zogen die mit den sozialpolitischen Zuständen unzufriedenen Elemente an — nach dem Adel auch das Bürgertum und sogar das „einfache Volk". Das zentrale theologische Problem des Hussitentums war genetisch mit den theoretischen Ansichten John Wyclifs verbunden, die auf dem philosophischen Realismus beruhten — und eigentlich auch zur Wiederbelebung der bereits durch die neuen philosophischen Strömungen (Nominalismus) erschütterten Theorien führen mußten. Mögen die Lehren Hussens auch in vielen Punkten vom Wyclifismus
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abweichen, inhaltlich neigten seine theologischen Ansichten wie die Wyclifs ihrem Wesen nach der Vergangenheit zu. Das Hussitentum im Ganzen war seinem inneren Wesen nach widerspruchsvoll: schon die Hegemonie der theologischen Problematik zeigt, daß diese neue Strömung in der alten mittelalterlichen Tradition wurzelt. Die Hussiten forder derten auf kirchlichem Gebiet die Wiederherstellung alten Riten, ihr soziales Programm aber enthielt entschiedene Neuerungen. Die Verbindung der theologischen Lehren mit sozialen, politischen und nationalen Forderungen war für die Neuzeit eigentlich ein Archaismus und beruhte auf der mittelalterlichen Vorstellung von der Einheit der Kultur innerhalb der religiösen Sphäre (R. Jakobson). Modo obliquo war die hussitische Bewegung gegen die bereits aufgekommene Renaissance gerichtet. Eine solche Verbindung des Neuen und Alten ist aber in der Kirchengeschichte keine seltene Paradoxie: eine Art „Pseudomorphose". Unter der Maske des Konservativismus verbergen sich radikale Bestrebungen, die direkt zu einer Revolution führen können. 3. Das Hussitentum bedeutete für die cechische Literatur eine Abkehr von dem bis dahin immer stärker gewordenen Element der Verweltlichung und eine Rückkehr zu den religiösen Problemen. Allerdings drangen durch die kirchlich-religiöse äußere Form immer wieder die schon erwähnten sozial-politischen Motive der „hussitischen Revolution", d. h. der Bewegung, die sich bald nicht mehr nur ideologischer, sondern auch militärischer Kampfmittel bediente. Die Literatur einer so gerichteten Bewegung mußte ein doppeltes Gesicht annehmen: einerseits bot sie immer neue theoretische Darstellungen, die sich zunächst der für die theologische Wissenschaft gefeilten lateinischen Sprache bedienten, andererseits standen neben diesen die cechisch abgefaßten Propaganda- und Agitationswerke, die der Bewegung die Unterstützung möglichst breiter Volksschichten sichern sollten. Unsere Aufmerksamkeit gilt diesem Zweig der hussitischen Literatur. Er schuf sich Formen und Stilmittel, die seinen Aufgaben entsprachen. Auch die Gegner
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der Hussiten mußten sich in ihrer polemischen Literatur den Regeln der ungeschriebenen „Poetik" der hussitischen Dichtung unterwerfen. 4. Der wichtigste Schriftsteller der Zeit war H u s selbst. Seine theologischen Ansichten legte er den Zeitnormen gemäß in lateinischen Schriften dar. Seine Predigttätigkeit führte ihn aber (erst nach 1410) zu den populären, zunächst aphoristischen, dann systematisch-katechetischen Darstellungen u n d vor allem zu den polemisch gegen die Zustände des kirchlichen und weltlichen Lebens gerichteten Schriften in Predigt- oder Briefform (diese auch meist lateinisch). Neben dem Problem der Kommunion stand in der Polemik Hussens die Frage der „Simonie" (Verkauf der geistlichen Güter, so der Kirchenämter) an erster Stelle. H u s hat der Literatursprache wesentliche neue Gebiete eröffnet. Sein Interesse f ü r das Cechische beweist das bereits um 1406 von ihm verfaßte oder in seiner Umgebung entstandene T r a k t a t „Orthographia Bohemica", das die Grundzüge der neuen, schon sehr vollkommenen cechischen Orthographie niederlegte. Die „Orthographia Bohemica" ist im großen und ganzen zur Grundlage der wissenschaftlichen slavistischen Transliteration geworden. Die cechischen Werke Hussens bedeuteten einen weiteren Schritt in der Behandlung wissenschaftlicher Fragen in der Volkssprache (sein Vorgänger war hier schon im 14. Jh. Thomas Stitny, vgl. Kap. IV). Auf derselben Entwicklungslinie standen die cechischen Schriften der frühen Hussiten. Nach der Verbrennung Hussens stand zunächst Jakubek (Jacobellus, gest. 1429) im Mittelpunkt der literarischen Bewegung des Hussitentums. Die Zerwürfnisse zwischen den verschiedenen Richtungen führten zur Entstehung der polemischen Literatur innerhalb des Hussitentums. Ein Vertreter der gemäßigten Richtung war J a n Rokycana (ca. 1395—1471), der wie Jacobellus hauptsächlich durch seine Predigten wirkte. Viele Werke jener Zeit sind verlorengegangen oder vernichtet, viele, so etwa die Predigten, sind schriftlich wohl nie festgehalten worden. 7 Tschizewskij I
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5. Der rhetorische Stil der Predigten durfte nur einfach sein, mit relativ knappem Gebrauch metaphorischer Stilmittel: die Sprache war vor allem Kommunikationsmittel, Träger und Überbringer des hussitischen Gedankengutes. Zahlreiche Bibelzitate und manche pathetische Stellen bringen gewisse Elemente des „hohen" geschmückten Stils in die Predigten. Vgl. dazu einige Zeilen aus Hussens Schriften. So aus einer „Darstellung des Glaubens": „Und es ist jedem Menschen gut, daß er nicht fürwitzig für wahr halte, sondern, so er die Wahrheit Gottes kennt, an ihr festhält bis in den Tod, denn die Wahrheit wird ihn am Ende b e f r e i e n . . . Darum, gläubiger Christ, suche die Wahrheit, höre die Wahrheit, liebe die Wahrheit, halte fest an der Wahrheit, stehe ein für die Wahrheit bis zum Tod . . . " (Kap. V D ) . Bereits vor der Abreise nach Konstanz, w o er vom Konzil ungeachtet des kaiserlichen Begleitbriefs verurteilt und verbrannt wurde, ahnte Hus sein Schicksal: „Nun seht ihr mich in Prag vor meinem Tode vielleicht nicht mehr wieder. Wenn es aber dem allmächtigen Gott gefällt, mich euch zurückzugeben, so wollen wir uns um so froher wiedersehen, und noch viel mehr, wenn wir uns zusammen in der himmlischen Freude erblicken werden" (Aus einem Brief vom Oktober 1414*).
6. Die zahlreichen Lieder der Hussiten überraschen uns durch ihre Ähnlichkeit untereinander. Ihre fast immer anonymen Verfasser legten Wert nicht auf Schönheit, sondern auf Genauigkeit des Ausdrucks. Ihre Lieder waren vor allem Mittel der „hussitischen Mission", d. h. der religiösen Propaganda. Der dichterische Schmuck war hier soweit verwendbar, wie er der Wirksamkeit der Gedanken dienen konnte. Man darf — ohne diese Dichtung negativ beurteilen zu wollen — von einem gewissen „Verfall" oder richtiger von einer Vereinfachung der formalen Seite der Lieder sprechen. Auch die antihussitische Dichtung läßt sich ähnlich charakterisieren. Eine Propagandaabsicht wird manchmal im Lied selbst angedeutet. * Im weiteren werden vor allem die Verse im Wortlaut zitiert, die Prosatexte nur, wenn sie stilistisch besonders kennzeichnend sind.
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Ke cti, k chvale napred buozi a hriechuom na otpusteni, zvlaste svatokupeckych, netoliko usty mluvme, ale take zpievajme pro vystrahu jinych! Dietky, nejprve pocnete, svatokupectvie oznamte otcom, matkam i knezim (...) Zur Ehre, zum Lobe Gottes zuvörderst, und zu der Sünden Vergebung, insonderheit derer der Simonie, sollen wir nicht allein mit dem Munde reden, sondern lasset uns auch singen zur Warnung für andre! Liebe Kinder, beginnet zuerst, kündet, was Simonie ist, den Vätern, den Müttern, den Priestern (...) Vgl. auch solche Liedanfänge, wie: „Diese Ordnung sollen wir uns merken, wollen wir recht zum Abendmahle g e h e n . . . ", oder: „Es muß verkündet werden, was neuerdings geschehen i s t . . . " usf. D a die Hussiten bald gezwungen wurden, zu militärischen Kampfmitteln zu greifen, findet sich in manchen Liedern das Bewußtsein, daß die treuen Christen „Gottes Krieger" seien. Auch die Polemik gegen die Hussiten, bzw. deren Gegensätze untereinander fanden ihren Ausdruck in der Versdichtung. D i e relativ große A n z a h l der erhaltenen L i e d e r beweist ihre d a m a l s weite V e r b r e i t u n g und den Schwung der hussitischen T r a d i t i o n v o r den politischen Siegen der G e g n e r . Viele Lieder sind nachher verschollen oder aber in A b schriften nur im A u s l a n d erhalten: so in Wien. G r ö ß e r e S a m m l u n g e n v o n T e x t e n bewahrten eine Handschrift in B a u t z e n und eine in einer katholischen P f a r r e i in B ö h m e n auf (die sog. B u d y s i n s k y rukopis und Jistebnicky k a n c i o n ä l ) . Als besonders bedeutend unter den Verswerken darf man wohl das „Lied von der Wahrheit = Gerechtigkeit" und das „Gespräch des Menschen mit dem T o d " nennen. 7»
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7. Eine große Rolle spielte die Bibel im Hussitentum. Es ist nur verständlich, daß damals die sog. 2., 3. und 4. Fassung auf der Grundlage der vorhussitischen cechischen Bibelübersetzung entstanden sind. Diese Fassungen sind in vielen Handschriften vertreten; die letzte Fassung wurde im 16. Jh. zur Grundlage der gedruckten „Kralitzer Bibel" (s. Kap. V I I , § 8). Neben den orthographischen und lexikalischen Veränderungen der neuen Fassungen ist besonders die morphologische, bereits von H u s eingeleitete Vereinfachung bemerkenswert (Beseitigung des in der Volkssprache ausgestorbenen Aorists und Imperfekts u. a.). 8. Von den Schriftstellern aus der Mitte des 15. jhs. muß man besonders Petr Chelcicky nennen, dessen Schriften wohl in den 30er und 40er Jahren entstanden sind (z. T. 1521 ff. gedruckt), über dessen Stand und Lebensumstände wir fast nichts wissen (nach F. M. Bartoss Meinung ca. 1380 geb.). Neben mehreren kleineren Traktaten verfaßte er eine zum Lesen bestimmte Postille und eine Schrift „Netz des Glaubens" („Sie£ viery", gedruckt 1521). Die Schriften Chelcickys sind ideologisch und stilistisch gleich bemerkenswert. Er war, wie Stitny, Autodidakt und Laie, eignete sich dann die Ideen Hussens an und spitzte sie zu zur Leugnung nicht nur der „argen Welt", sondern auch, vom christlich asketischen Standpunkt aus, der Grundgegebenheiten des weltlichen Lebens überhaupt: des Staates mit seinen unchristlichen Machtmitteln, vor allem dem Krieg, ja auch der Kirche, soweit sie weltliche Organisation wurde. Sein Gedankensystem ist ein seltenes Beispiel f ü r den konsequenten „christlichen Anarchismus" (er wurde später von L. N . Tolstoj besonders geschätzt). Der Stil Chelcickys ist einfach, aber nicht unbeholfen. Er schrieb im großen und ganzen sich an das Evangelium anschließend frei, ohne Benutzung solcher Vorlagen, wie sie Stitny verwandte. Sein Stil ist einfach und durchsichtig, wenn auch zu breit, nicht frei von Anakoluthen und syntaktischen Entgleisungen. Die Wirkungen seiner Schriften waren dauerhaft, sie wurden nach 80—90 Jahren wiederholt gedruckt.
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Typisch für ihn ist der weitschweifige, mit zahlreichen Wiederholungen fließende Gedankengang seiner Schriften. Um die evangelische Titelmetapher „Netz des Glaubens" (die hussitischen Werke beschränken sich meist auf die Metaphern der Heiligen Schrift) zu erklären, braucht er .mehrere Seiten! Allerdings kann er dieselben Gedanken auch knapp und prägnant darstellen: eine kurze Parallele zu dem „Netz des Glaubens" bietet ein kleiner Traktat „Von den dreierlei Menschen" (O trojim lidu).Die Breite der Darlegung bezeugt neben einer gewissen „Primitivität" des Stils die propagandistischen Absichten der Schrift, die auch dem einfachen Leser zugänglich sein will. 9. D i e Ideen H u s s e n s f a n d e n A u f n a h m e auch bei anderen S l a v e n , v o r allem bei den katholischen, die v o r denselben Problemen wie die Cechen standen. A m stärksten, wenn auch nicht d a u e r n d , w a r e n die E i n w i r k u n g e n in Polen, w o auch die ostslavischen U n t e r t a n e n v o m H u s s i t e n t u m berührt w u r d e n . D i e Vertreibung der radikalen H u s s i t e n aus den cechischen L ä n d e r n f ü h r t e sie u. a. nach U n g a r n . Auch bei den K r o a t e n k a n n ein gewisser hussitischer Einfluß festgestellt werden. E s ist durchaus möglich, d a ß die in ihrem Wesen nicht g a n z k l a r e ostslavische B e w e g u n g der sog. „ V e r j u d e t e n " ( K i e v , N o v g o r o d u n d M o s k a u ) , deren theologische Ansichten wir leider v o r allem aus den Schriften ihrer erbitterten Feinde kennen, a u f die E i n w i r k u n g e n des H u s s i t e n t u m s zurückgehen, d a sie s t a r k an die Ansichten des r a d i k a l e n Flügels der H u s s i t e n erinnern ( V . S t r o e v , D . Tschizewskij, R. Jakobson). Fragen aus der Kirchenpolitik, wie der Kampf gegen die Simonie, und solche der theologischen Dogmatik (Zweifel an den rational nicht faßbaren Lehren von der Dreifaltigkeit, der Menschwerdung Christi usf., Ablehnung der Heiligenverehrung) können bei den „Verjudeten" unter den Einwirkungen des Hussitentums entstanden sein. Kaum aber hängen mit diesem die wissenschaftlichen Interessen der „Verjudeten" zusammen. Die ganze Problematik dieser Häresie soll noch eingehend untersucht werden.
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VII. Renaissance
10. Obwohl das radikale Hussitentum unterdrückt wurde, behielten die Vertreter des gemäßigten Flügels (§ 4 und Kap. VII § 8) ihre Stellung im cechischen geistigen Leben auch noch im 16. Jh. und traten in die neue konfessionelle Organisation der sog. „Böhmischen Brüder" ein. Die Abschwächung des revolutionären Elans im Hussitentum schwächte allerdings auch ihren Widerstand gegen die verweltlichte Renaissance. Das 16. Jh. bedeutete bei den Cechen weitgehend das Zusammenleben der beiden ursprünglich entgegengesetzten geistigen Strömungen: der Nachfolge des Hussitentums und der vom Westen beeinflußten Renaissanceströmungen. Dazu gesellte sich noch der Einfluß des Luthertums, das allmählich besonders bei den Slovaken an Boden gewann. VII Renaissance Öechen Gelehrte Literatur — Übersetzungen und Kompilationen, Reisebeschreibungen Daniel Adam Veleslavin (1545—1599) Rehor Hruby z Jeleni (f 1514) Simon Lomnicky z Budce (1552—1622) Jan Blahoslav (1523—1571) — späthussitisch Kroaten Petar Hektorovic (1487—1572, aus Hvar): Ubersetzungen Ovids, Fischeridylle „Ribanje" Dinko Ranjina (1536—1607, Dubrovnik): Lyrik Dominko Zlataric (1558—1609, Dubrovnik): Übersetzungen aus dem Italienischen, Lyrik Polen Jan Kochanowski (1530—1583): Lyrik, Psalterübersetzung, Treny, Epigramme (fraszki) usf. Mikolaj Rej (1505—1569): moralistisch-satirische Versdichtung Marcin Bielski (1495—1575): Prosaiker, Verf. einer Weltchronik
VII. Renaissance Szymon
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Szymonowic
(1558—1629): lat. Schriften, polnische Idyllen (sielanki) Sebastian Klonowicz (1550—1602) — Übergang zum Barock Piotr Skarga (1536—1612): Heiligenlegenden, Predigten — Übergang zum Barock Ukrainer Volkssprachige NT-Übersetzungen Ivan Vysenskyj (f vor 1625) — Übergang zum Barock
1. Unter dem Begriff Renaissance versteht man traditionsgemäß die „Wiedergeburt" der Künste und Wissenschaften nach ihrem „Verfall" im Mittelalter. Wenn auch die Renaissance selbst sich so verstanden hat, so ist diese Auffassung von uns doch nicht ohne weiteres zu übernehmen. Man ist damals der antiken Kultur tatsächlich näher gekommen, wenn auch auf einem zu schmalen Wege; man hat vor allem Griechisch gelernt und den Stil der damaligen Literatursprache, des Lateins, wesentlich vervollkommnet („Humanismus"). Die Renaissance war aber nicht nur „Wiedergeburt" der Antike, sie brachte auch die „Neuentdeckung" des Menschen und der Natur. Es wäre hier allerdings angemessener, von einer „Umwertung" des Menschen zu sprechen, denn auch im Mittelalter stand ja der Mensch im Zentrum des Interesses: die religiöse Literatur behandelte ja vorwiegend menschliche Probleme. Sie sah jedoch den Menschen in seinem Verhältnis zu Gott und betrachtete ihn als „Bild und Gleichnis Gottes". Die Renaissance dagegen stellt den Menschen in den Rahmen der Natur. Verlangte das Mittelalter vom Menschen „Zerknirschung des Herzens" und die Unterordnung seines Willens unter den Willen Gottes, so wollte die Renaissance den Menschen von diesen Schranken befreien und dem Willen, ja der Willkür des natürlichen Menschen ein freies und unbeschränktes Betätigungsfeld eröffnen. Das bedeutete eine Befreiung vom mittelalterlichen Bewußtsein der Abhängigkeit von weltlichen und jenseitigen Mächten.
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Das Bild des Menschen wurde jetzt „verweltlicht", säkularisiert. Der Wille war vor allem auf seine Selbstbehauptung gerichtet und forderte so die höchstmögliche Entfaltung seiner eigenen Macht und eine reiche Entfaltung aller Seiten des menschlichen Wesens. Der allseitig entwickelte „höhere Mensch", der nun auch in N a t u r und Gesellschaft eine höhere Stellung f ü r sich beanspruchte, fühlte, sich keiner Autorität oder Tradition mehr unterworfen. Dieses neue Menschenideal steht in vollem Gegensatz zu dem des Mittelalters. Ebenso ist die „Neuentdeckung" der N a t u r vorwiegend nur eine Blickwendung. Nach manchen bereits im Mittelalter erreichten Erfolgen in der Naturbetrachtung (worauf bereits P. Duhem 1915 hingewiesen hat), geht die Renaissance über die alten Grenzen der methodischen Grundsätze hinaus und öffnet die Tore der naturphilosophischen Spekulation, die oft auf Abwege führte: Astrologie, Alchemie und Magie erobern sich in der Weltanschauung des Renaissancemenschen einen wichtigen Platz. Die Blickwendung bei der Betrachtung des Menschen und der N a t u r bedeutete eine konsequente Säkularisierung der Kultur: Der Mensch und die N a t u r werden aus der sakralen Sphäre herausgenommen und nicht mehr vom religiösen Standpunkt aus betrachtet, vielmehr versucht man sie aus sich selbst heraus zu verstehen. 2. Für die Künste, auch f ü r die Literatur, bedeutet die Renaissance besonders viel. Zunächst die Pflege des Stils in Anlehnung an die antike Tradition, vor allem der lateinischen Sprache. Die neue Ansicht über den Menschen und die N a t u r bringt neue ästhetische Grundsätze zur Geltung: es entsteht ein neues Schönheitsideal mit einer dem Mittelalter fremden Auffassung der „Schönheit". Grundlegend f ü r die Entwicklung der Literatur sind ebenfalls die Erfolge der neuen historischen Betrachtungsart. Sie weckt das Bestreben, die Vergangenheit durch deren zurückgelassene literarische Quellen zu erkennen, und fordert die Fähigkeit, diese Quellen lesen zu können: die Grundlage der Philologie als Kunst des Textlesens und der Textkritik wird
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geschaffen. Diese neue Einstellung zu literarischen Texten f ü h r t auch zur Entstehung einer Dichtung, die Kommentare und den Blick des Kenners verlangt. Hier lernt man von der Antike. Der rhetorische „ciceronianische" Stil wird besonders bevorzugt; vielfach macht die schöne Beredsamkeit den Gehalt vor allem der ideologischen Werke undurchsichtig, da die „Schönheit" der Genauigkeit des Ausdrucks vorgezogen wird. Die gegen herkömmliche Autoritäten und Traditionen kämpfende Renaissance gerät wiederum in die Macht neuer Autorität — und zwar in die des von ihr selbst geschaffenen Bildes der Antike. Die „Befreiung" des Menschen von der Enge der moralischen und religiösen Vorschriften f ü h r t zur Entdeckung neuer Darstellungsobjekte: vor allem die menschlichen Triebe und Leidenschaften, auch die „niederer" Art, werden Gegenstand der Darstellung, gegebenenfalls mit satirischer Absicht. Auch hier wird die Antike mit ihren Satiren zum Vorbild. Als Angriffsmittel gegen das Alte geht die Renaissancesatire allerdings oft weit über ihre antiken Vorbilder hinaus. — In Verbindung mit der Tradition der alten bukolischen Dichtung, aber auch auf neuen, eigenen Wegen, kommt es in der Renaissancedichtung zur Darstellung des „einfachen Volkes", zum Gebrauch der Volkssprache und zu einer, wenn auch beschränkten, Anlehnung an die Folklore. Bald entstanden systematische Darstellungen der Dichtkunsttheorie, deren Vorschriften als maßgebende Regeln dienten. Aristoteles, Horaz, Cicero und Quintilian genossen als Vorbilder hohes Ansehen. — Wie in der Renaissanceprosa finden wir auch in der Poesie die Neigung zur formalen Kompliziertheit: es entstehen schwierige „Figurengedichte" („versus echoici", „versus cancrini"), die ebenso wie die aufkommenden emblematischen Gedichte in der Barockdichtung weitere Verbreitung finden. Häufig findet man Euphonie und Wortspiele. 3. Zu den slavischen Völkern kam die Renaissance erst am Ende ihrer Entwicklung. Sie wurde hier oft vor allem
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durch die kirchlichen Bewegungen des Hussitentums und der Reformation umgeprägt. Reformatorische und weltliche Strömungen flössen nebeneinander her — bald einander unterstützend und anziehend, bald in Opposition zueinander. Aber einzelne Dichter haben vielfach ihre Einstellung zu der weltlichen Renaissance und der kirchlichen Reformation durch persönliche Entscheidungen bestimmt und begingen dann individuelle, von dem weiten Weg der Renaissance stark abweichenden Pfade (wir können hier solche Fälle nicht näher behandeln). 4. Der Einfluß der Renaissance bei den slavischen Völkern — und zwar bei denen, die zu der westeuropäischen Kultur im 15.—16. Jh. nähere Beziehungen hatten, begann mit der sorgsamen Pflege der lateinischen Sprache, die im Westen schon lange als Literatur- und Kanzleisprache verbreitet war. Bald begegnen uns bei diesen slavischen Völkern neulateinische Renaissancedichter, deren Einfluß auf die später entstandene Dichtung in der Volkssprache beträchtlich war. Neben der originellen Dichtung in der Volkssprache besorgte man zahlreiche Ubersetzungen antiker Dichter und der neueren westlichen Renaissanceliteratur. Eine besondere Rolle spielte dabei die romanische, zunächst die italienische, bei manchen Dichtern auch die französische Dichtung. Seines gepflegten Stils willen — auch im nicht dichterischen Schrifttum — gewann Erasmus besonderen Einfluß. Die beiden Universitäten Prag und Krakau lieferten Informationen über das neue Geistesleben des Westens. Wesentliche, unmittelbare Einwirkungen der westeuropäischen Renaissanceliteratur finden wir vor allem bei den Cechen, Kroaten und Polen. Durch polnische Vermittlung gelangten manche Ideen der Renaissance auch zu den Ostslaven (s. § 12). 5. Die ersten Berührungen mit dem Humanismus kann man bei den Cechen mit dem 14. Jh. datieren. Das Hussitentum wandte im 15. Jh. seine Aufmerksamkeit zu den religiösen Problemen hin, wenn auch damals bereits manche Beziehungen zu den Humanisten (z. B. Aeneas Sylvius Piccolomini) bestanden. Erst nach der Stabilisierung der poli-
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tischen und kirchlichen Verhältnisse an der Wende des 15. zum 16. Jh. entsteht die cechische Renaissanceliteratur, die nach der umfangreichen cechischen Versdichtung des Mittelalters vor allem die cechische Prosa entwickelte. Das Interesse für ideologische und wissenschaftliche Themen überwog. Studien im Ausland (Italien und z. T. Deutschland), Besuche der ausländischen Humanisten in Prag (z. B. des Deutschen Konrad Celtes) und eine lebendige Korrespondenz mit den westeuropäischen Humanisten (u. a. mit Erasmus) gaben den Cechen wichtige Anregungen. Einen großen Umfang nahmen bald die Übersetzungen der antiken und zeitgenössischen Literatur an, die z. T. gedruckt, z.T. auch handschriftlich verbreitet wurden. Neben cechischen Übertragungen von Cicero, Lukian, pseudolukianischen Schriften, Isokrates usf. übersetzte man in Böhmen die schwerer zugänglichen griechischen Schriften ins Lateinische. Ubersetzungen von Renaissanceliteratur ins Cechische und die Zeugnisse ihrer Lektüre besitzen wir für Petrarca, Boccacio, Pontanus, Aeneas Sylvius, Laurentius Valla, Marsilius Ficinus, hauptsächlich für Erasmus und für viele zweitrangige Schriftsteller der Renaissance. Die Einführungen und Nachworte zu solchen Übertragungen zeugen von der Hoffnung auf kulturelle und politische Veränderungen, die man von der Renaissance erwartete. Die Vereinigung von Antike und Christentum empfiehlt mit einer Spitze gegen die veralteten Aristoteliker Gregor Hruby z Jeleni in seiner Vorrede zur Übersetzung des Erasmus: „in aller Ordnung und soweit es sich schickt, soll jeder dazu Fähige auch bei den weltlichen Autoren lernen, wenn er jene guten Männer richtig und vollkommen allerorten verstehen will ( . . . ) Sie waren voll der Beschäftigung mit der antiken Bildung, nämlich mit den Poeten, Rednern und Historikern, zumeist aber mit der Lehre Piatos ( . . . ) Aber diesen Plato haben unsere Meister verworfen und lasen nur Aristoteles und folgten ihm, während dieser Plato der christlichen Wahrheit um vieles näher ist." — Für das Erlernen der politischen und sogar der militärischen Kunst empfiehlt er die Lektüre von Ciceros Schriften.
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Neben den auch im Ausland beachteten neulateinischen cechischen Schriftstellern kann man aus der Zahl der cechischen Humanisten mindestens solche Namen nennen, wie V. C. ze Vsehrd, den erwähnten Gregor Hruby z Jeleni und den Verfasser einer umfangreichen cechischen Chronik Vaclav Hajek z Libocan. Wie bereits gesagt, spielten zahlreiche Übersetzer, Kompilatoren und Verfasser origineller Prosawerke eine wesentliche Rolle in der Entwicklung des cechischen Prosastils. Eine große Bedeutung für die Entwicklung der Literatur hatte die Buchdruckerkunst, die auf einer hohen Stufe stand, und zwar nicht nur bei den Vertretern der Renaissance, sondern auch bei den Hussiten. Besonders hervorzuheben ist die T ä t i g k e i t von A d a m Daniel von Veleslavin ( 1 5 4 5 — 1 5 9 9 ) , der nicht nur Verleger, sondern auch V e r f a s s e r mehrerer, meist kompilativer W e r k e w a r , zu denen er auch interessante eigene Beiträge (auch in V e r s f o r m ) beisteuerte.
Die übersetzten Werke sind mannigfaltiger Art, auch kirchenväterliche Werke fehlen nicht. Unter den Originalschriften befinden sich juristische und historische Werke, Reisebeschreibungen sind weit verbreitet. Im Vergleich zum Mittelalter ist der Raum der Versdichtung wesentlich kleiner geworden. Lebendig bleibt das geistliche Lied, das aber an alte Traditionen anknüpft. In neuem Stil sind die anonymen moralisch-belehrenden Anleitungen zum echten Leben geschrieben. Sie haben zum Teil satirische Färbung. Erst spät tritt der von dem mächtigen Geschlecht der Rosenberge protegierte Simon Lomnicky z Budce auf, in dessen späteren Gedichten bereits Elemente des Barockstils zum Ausdruck kommen. Aus der Feder des Sohnes des Hussitenkönigs Georg von Podebrad, Hynek (Ignaz), stammen rein weltliche Gedichte, wie z. B. der „Maitraum" — „Majovy sen", in dem recht gewagte erotische Szenen geschildert werden, wie sie früher nur in Vagantenliedern möglich waren:
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Tu poce mi se ve snäch zdati ( . . . ) Ö ma najmilejsi, kräsna pani, j a sem zapalil v tvem milovani, ze horiem prave jako v peci! Prosim tve milosti, rac se svleci a lehnuti ke mne sem! Pustim te pryc prede dnem, a jeste dobre pred s v i t a n i m . . . usf. D a begann mir zu träumen ( . . . ) O meine holdeste schöne Frau, von deiner Liebe bin ich ganz entzündet, daß ich wie in einem Ofen brenne! Ich bitte deine Gnaden, daß du die Kleider abtun und zu mir dich legen wolltest! Ich will dich noch vor Tag entlassen und wohl noch vor dem Morgengrauen . . . Die „Kratke nauceni kazdemu Hospodari mlademu" („Kurze Belehrung für jeglichen jungen Hausherrn") von Simon Lomnicky beginnt mit der Feststellung, daß alle Menschen nach Glückseligkeit streben. Nach Ratschlägen zur Wirtschaft kommt der Dichter auch zu Bildungsfragen: Maudrost jest poklad velebny, a ode wsech c h v a l i t e b n y . . . Protoz hospodari mlady, uzij take teto rady: Nech Chytrosti, Kleef Maudrosti, pros za ni B o i i milosti! (Die Weisheit ist ein hoher Schatz / und preiswürdig vor allen Schätzen . . . / Darum, o junger Hausherr, / gebrauche gleichfalls diesen R a t : / laß Schlauheit, trachte nach Weisheit, / bitte Gottes Gnade um sie!) Einen Sohn muß man in die Lehre geben: Sver ho Mistru ucenemu, poboiinimu a pilnemu, kteryz by ho pekne ucil ( . . . ) a nejprve cisti, psati, potom grammatyki znäti,
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(Vertrau ihn einem gelehrten Meister an, / einem frommen und eifrigen, / der ihn gar schön lehren möge, / zuerst das Lesen und das Schreiben, / dann die Grammatik zu kennen / und auch die Dialektik, / Rhetorik und Musik; / diese sieben Künste, / vornehmer ist keine in der Welt.) . . . nemäm Pana zädneho, ani nestojim o neho. Malo i na Regenty dbam, neb jsem ja sobi volen säm ( . . . ) ja jsem svobodnym Mestianem... (Ich habe keinen Herrn über mir / und achte auf keinen. / Wenig achte ich auch auf die Regenten, / denn ich bin frei für mich ( . . . ) / ich bin ein freier Bürger . . .) Denn das Ziel der menschlichen Bestrebungen ist die Freiheit.
6. Die dalmatinische Küste war zum großen Teil kulturell, wirtschaftlich und politisch von Venedig abhängig, und das Italienische, allerdings ein mundartlich gefärbtes, war neben dem Latein im Geschäftsleben im Gebrauch. Die dalmatinischen reichen Bürgerrepubliken wurden früh in den Umkreis der neuen humanistischen Kultur Italiens hineingezogen. Viele junge Dalmatiner studierten an der Universität Padua. Von ebensolcher Bedeutung waren die lebendigen wirtschaftlichen Beziehungen zu den italienischen Städten. Die ersten dalmatinischen Dichter schrieben italienisch und lateinisch. Sie verloren sich oft gänzlich im italienischen Leben, um sich nur ab und an ihrer dalmatinischen Heimat zu erinnern. Geistig noch in den Grenzen der spätmittelalterlichen lateinischen Literatur standen Marko Marulic mit dem lateinischen Epos „Davidias" und geistlichen Werken, die auch im Westen nachgedruckt wurden, sowie Aelius Cervinus, der in seinen lateinischen Gedichten Slaven erwähnt. Marulic schrieb auch kroatisch
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ein E p o s „ J u d i t a " , das Z ü g e der R e n a i s s a n c e p o e t i k t r ä g t ( P . S k o k ) . B e d e u t e n d e kroatische W e r k e s t a m m e n a b e r erst aus d e m 1 6 . J h . v o n den D i c h t e r n der Insel H v a r , H a n n i b a l L u c i c u n d P e t a r H e k t o r o v i c . N e b e n Ü b e r s e t z u n g e n aus O v i d schrieb L u c i c lyrische Gedichte u n d ein V e r s d r a m a „ D i e S k l a v i n " ( R o b i n j a ) , w ä h r e n d H e k t o r o v i c die E k l o g e „ D e r F i s c h z u g " ( R i b a n j e ) v e r f a ß t e , in der neben z a h l reichen A n k l ä n g e n a n die a n t i k e n u n d italienischen I d y l l e n lokale N a t u r - u n d Lebensbilder z u finden sind. Hektorovic sieht als Begleiter der Fischer das einfache V o l k : D o k l e uzinaju, pojdoh posiditi pri moru na kraju, te se stah cuditi, da su ljudu mnozi viditi priprosti, zlorusni, ubozi, a imaju dosti. J e r s takimi ljudu budu pribivati razum, pravi sudi, i njih odivati. Kripost s njimi zato otajno pribiva kakono i zlato ko zemlja pokriva ( . . . ) E r denkt sofort an antike Beispiele: Cul si Diojena, ki blaga ne imise, bacva nezadnjena kojemu stan bise, ter mu zavijase Alezander cesar, jer u njem vijase kriposti velik dar ( . . . ) (Während sie vesperten, ging ich, ein wenig zu sitzen / am Rande des Meeres, und es faßte mich Staunen, / daß so viele Leute, einfach von Aussehen, / mit schlechtem Gewand, arm, doch genug haben. / Denn bei solchen Menschen pflegen / Verstand und rechtes Urteil zu weilen und sie zu schmücken. / Tugend weilt darum bei ihnen heimlich / wie das Gold, das durch die Erde bedeckt ist ( . . . ) D u hast j a von Diogenes gehört, der nicht H a b und Gut hatte / und dem ein bodenloses F a ß als Wohnung diente, / daß ihn aber König Alexander beneidete, / denn er sah in ihm der Tugend große Gabe ( . . . ) Schon a u f d e r Schwelle z u r Barockdichtung liegt P e t a r Z o r a n i c s I d y l l e „ D a s G e b i r g e " (Planine, erschienen 1 5 6 9 ) .
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Zoranics Liebesgedichte k l i n g e n a n V o l k s l i e d e r an. Erst die Dichter aus Z a d a r u n d D u b r o v n i k , B a r a k o v i c , D . D r z i c u n d D . Zlataric u n d andere, auch a n o n y m e Dichter (anon y m e L y r i k findet m a n in der aus d e m E n d e des 16. Jhs. s t a m m e n d e n S a m m l u n g , die den N a m e n D i n k o R a n j i n a trägt) v e r e i n i g e n v o l k s k u n d l i c h e u n d patriotische M o t i v e m i t den E l e m e n t e n der R e n a i s s a n c e p o e t i k . Sie f ü h r e n direkt zur Barockdichtung. Hier ein Beispiel f ü r die Liebesgedichte aus der Sammlung Ranjina (gekürzt): O zvizde ljuvene, gdi ljubav drzi sve strile ognijene, njiste Ii vi oni tatovi skroveni, ki srce ukrasti hotjeste jur meni? (. . .) p a k srce v r a i t e mi, ko ukrast nebogu htiste mi, bez njega er zivit nemogu. (O Sterne der Liebe, darin die Liebe immer alle ihre Feuerpfeile hält, seid ihr nicht jene heimlichen Diebe, die das H e r z mir schon stehlen wollten? (. . .) dann gebet mir das H e r z zurück, das ihr mir Armem stehlen wolltet, denn ich kann ohne es nicht leben.) Die Bilder des Gedichts kann man kaum auf die Folklore zurückführen! Ebenso gehören zur Kunstdichtung die zahlreichen Worstpiele, wie: O j , vilo, koj sluzu vernije neg suzan, (...) vaj, nestrican i tuzan, zac gore dvas goru neg gora, ka gori u moru, ku plavi, ke plovu, sve mori. (O Fee, der ich treuer diene als ein Sklave, (. . .) ach, unglücklich und traurig, denn ich brenne zweimal ärger als das H o l z , das im Meere schwimmend brennt, alle quält, die da segeln.) Bezeichnenderweise tragen alle dalmatinischen Dichter jener Zeit neben den slavischen auch italienische N a m e n . U n d neben den slavisch schreibenden, gibt es immer noch neulateinische kroatische Dichter.
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7. Unter dem Einfluß der italienischen Renaissance entstand auch der polnische Humanismus, der bald durch Einwirkungen deutscher und französischer Herkunft erweitert wurde. Wieder fällt der Universität Padua eine bedeutende Rolle zu. Neben ihr stehen andere, auch deutsche Schulen. Nicht weniger wichtig war die unmittelbare Einwirkung der Humanisten, die nach Polen kamen; das waren Philipp Kallimach (Buonacorsi, in Polen seit 1470, dort auch 1496 gestorben), Konrad Celtes (in Polen in den 80—90er Jahren des 15. Jhs.), Heinrich Bebel (in Polen 1492—1495) und andere. Mit ihnen kamen die neuen Strömungen auch an die Krakauer Universität, und ihre Jünger waren die ersten bedeutenden Vertreter des polnischen Humanismus, der neulateinischen Dichtung und der wissenschaftlichen Literatur (s. weiter § 9). Zunächst wurden auch Werke der mittelalterlichen Literatur aus dem Lateinischen übersetzt. Aber bereits im 2. Drittel des 16. Jhs. entsteht eine originelle Literatur in der Volkssprache, die von beachtlicher dichterischer Qualität ist. Nikolaus Rej aus Naglovic, ein belesener und von der protestantischen Bewegung beeinflußter Vertreter des adligen Bürgertums, war ein vor allem satirischer Schilderer des vorwiegend bürgerlichen Lebens seiner Zeit. Seine Darstellungen sind vielfach im moralistischen Ton eines evangelischen Predigers gehalten. Die erstmalige Verwendung des Polnischen in solch umfangreichen Werken bedeutete natürlich einen erstaunlich großen Schritt auf dem Wege der jüngeren Literatur in der Volkssprache. Zur selben Zeit trat ein anderer Schriftsteller, Martin Bielski, auf. Er ist der Verfasser der umfangreichen „Weltchronik" (Kronika wszystkiego swiata), weiterer satirisch-moralistischer Prosaschriften und eines Bühnenstückes in Versen. Auch bei Bielski kann man den Einfluß der westlichen Renaissanceliteratur, des Erasmus und der cechischen Dichtung verfolgen, daneben auch Anklänge an den polnischen Protestantismus (s. § 9). 8 Tschizewskij I
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Auf einer ganz anderen Ebene stand die Kunst des jüngeren Vertreters der polnischen Renaissancedichtung, Jan Kochanowski, dessen Werke man wie nur wenige seiner slavischen Zeitgenossen auch jetzt noch als frisch und vollblütig empfindet. Seine fast 7jährigen Auslandsreisen, vor allem seine Studien an der Universität Padua, brachten ihn in unmittelbare Verbindung mit der Renaissance und der Antike. Eine Reise nach Frankreich machte ihn auch mit der französischen Renaissanceliteratur bekannt. Zu Hause, in den 60er Jahren, veröffentlichte er lateinische und polnische Versdichtungen: die Mannigfaltigkeit der Gattungen seiner Werke ist erstaunlich! Er schrieb Epigramme (Fraszki), eine Gattung, die in Polen besonders aufblühte, satirisch-didaktische Gedichte (Satyr), ein didaktisch-politisches Theaterstück, Lieder, lyrische Gedichte, eine Versübersetzung des Psalters, und endlich, ein Jahr vor seinem Tode (1584), Elegien (Threny), Klagelieder nach dem Tode seiner jungen Tochter Ursula. Alles ist in einer lebendigen, klaren und schönen Sprache geschrieben, die dem Verstand und dem Herzen seiner Zeitgenossen sicherlich nahe war. Mag in diesen Werken auch zunächst die technische Virtuosität auffallen, so treten doch auch politische Tendenzgedanken, ein mehr oder weniger scharfer Humor und in den „Threny" vor allem die Sprache des menschlichen Herzens hervor; sie werden durch die etwas kalte, an Petrarca und Ronsard geschulte äußere Vollkommenheit des Ausdrucks nicht zurückgedrängt. Diese ersten Schritte der polnischen Dichtung regten weitere Weggenossen der großen Dichter zur Tätigkeit an, die in Prosa und Versen, lateinisch und polnisch, ernst und humorvoll schrieben. Bei manchen jüngeren Zeitgenossen Kochanowskis, so bei S^p-Szarzynski, Klonowicz, Sz. Szymonowic zeigen sich bereits Züge des Barockstils (s. Kap. VIII), sie sind sogar schon in manchen Werken Kochanowskis selbst zu entdecken (W. Weintraub).
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Kochanowskis Lieder klingen oft an Horaz an, vgl. z. B. die Nachahmung von Horaz, Carmen I, 9: Patrzaj, jako snieg po görach si^ bieli, wiatry z polnocy wstaj^, jeziora si^ scinajq, zorawie, czuj^c zim^, przecz lecieli... (Siehe, wie weiß der Schnee auf den Bergen glänzt, / und Winde sich von Mitternacht erheben, / die Seen frieren zu, / die Kraniche, den Winter witternd, sind davon geflogen.) Und ein anderes Bild: 0 pi^kna nocy nad zwyczaj tych czas6w, patrz na nas jasno wposrzöd tych tu lasöw, gdzie jako pszczoly, wkolo swego pana straz dzierzem niec^c ognie az do r a n a . . . (O Nacht, du, schöner, als zu dieser Zeit gewohnt, / blicke hell nieder auf uns inmitten dieser Wälder, / wo wir wie Bienen rings um unseren Herrn / Wacht halten, die Feuer anfachend bis zum Morgen...) Oder das Sinnbild des Dichters: Kto mi dal skrzydia, kto mi? odzial piöry 1 tak wysoko postawil, ze z göry wszystek swiat widz?, a sam, jako trzeba tykam si? nieba? (Wer gab mir Flügel, wer ein Federkleid / und stellte mich so hoch, daß ich von oben / die ganze Welt schaue und selbst wie es nötig ist / den Himmel berühre?) Oder die Zeilen aus dem Thren VIII: Wielkies mi uczynila pustki w domu moim, moja droga Orszulo, tym zniknienim swoim! Pelno, nas, a jakoby nikogo ne bylo: jedn^ maluczk^ duszq tak wiele ubylo. Tys za wszytki möwila, za wszytki spiewala Teraz wszytko umilklo, szczere pustki w domu, nie masz zabawki, nie masz rosmiac si^ nikomu. Z kazdego k^ta zatosc czlowieka ujmuje, a serce swej pociechy darmo upatruje.
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V I I . Renaissance G r o ß e Ö d e hast du in meinem Hause bewirkt, meine liebe Ursula, durch dein Entschwinden! Unser sind viele, und doch ist's, als ob hier niemand w ä r e : durch eine kleine Seele ist so viel verloren. D u hast f ü r alle gesprochen, hast f ü r alle gesungen. J e t z t ist alles verstummt, völlige Ö d e ist im Hause, keine K u r z w e i l , kein A n l a ß zu lachen. A u s jedem W i n k e l packt jeden Traurigkeit, und das H e r z hält vergebens Ausschau nach seinem Trost.
Bezeichnend ist es, d a ß uns in den T h r e n y f o r t w ä h r e n d antike Reminiszenzen begegnen: H e r a k l i t , Simonides, Proserpina ( = Persephone), Niobe, Sappho, C h a r o n , Brutus, Orpheus, Pluto. Mythologische Anspielungen stehen neben dem christlichen G o t t (Bog, P a n usf.). M a n sieht, w i e v i e l Elemente der Renaissancepoetik selbst die persönlich gefärbten lyrischen Elegien schmücken m u ß t e n !
Der bedeutendste polnische Prediger des 16. Jhs., Piotr Skarga (gest. 1512), hat in seinen nur z. T. im Druck erschienenen Predigten bereits den Übergang zum Barockstil vollzogen. 8. Fast allgemein ist die Zweisprachigkeit der slavischen Renaissanceliteratur (slavisch, lateinisch, italienisch). Neben der weltlichen Dichtung steht auch religiöse und zwar oft reformatorische. Die Verbindungen zur Reformation wurden durch das Interesse, das die Wittenberger, vor allem Melanchthon, für die slavischen Länder zeigten, recht rege. Bei den Cechen ist das vor allem die hussitische Literatur verschiedener Richtungen, später auch die lutherische; in Polen spielen die Calvinisten und die theologisch und sozial radikalen Sozinianer (Antitrinitarier, in Polen auch „Arianer" genannt), ein große Rolle. Der Stil dieses Schrifttums vermag nicht immer Schritt mit der weltlichen Renaissanceliteratur zu halten, wenn auch die Beziehungen zu ihr oft eng sind. Es ist ernster, legt weniger Wert auf dichterischen Schmuck. Aber auch diese Literatur trägt Bedeutendes zur Sprachentwicklung bei.
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Besonders hervorzuheben ist bei den Cechen die Tätigkeit des vielseitigen Führers des gemäßigten Hussitenflügels, J a n Blahoslav, der neben seinen religiösen Schriften musikwissenschaftliche, homiletische und grammatikalische Werke verfaßte und einen bedeutenden Anteil an den neubearbeiteten Bibelübersetzungen hat (die sog. „Kralitzer Bibel", 1579 ff.). Blahoslav hat in seiner Anleitung zur Predigtkunst eine etwas skeptische Einstellung der Renaissancestilistik mit ihrem zu üppigen Schmuck gegenüber eingenommen; in diesem Sinn setzt er die Tradition des Hussitentums fort. Bei den Polen kann man als gutes Beispiel eines religiösen Schriftstellers jener Zeit Stanislaw Orzechowski (Orechovius oder Orichovius) nennen, der sich als „gente Ruthenus, natione Polonus" bezeichnete und dessen Ausbildung in Rom und Wittenberg seiner katholischen Religiosität nicht ganz gemäß war. Wichtig wurden die katholische Bibelausgabe Wujeks (vollständig 1599) und die Versuche der evangelischen Schriftsteller, die Heilige Schrift, vor allem das Neue Testament, in die einfache Volkssprache zu übertragen. Der slovenische Lutheraner Primus Trubar veranstaltete in Deutschland zahlreiche Drucke f ü r Slovenen und Kroaten. Ebenfalls in Deutschland veröffentlichte der Kroate Antun Dalmatin die kroatische Bibel (1584); sein Namensvetter J u r a j Dalmatin brachte die H l . Schrift slovenisch heraus (seit 1576, die ganze Bibel 1584). Diese Drucke hatten einige Bedeutung f ü r die Entwicklung der südslavischen Sprachen, besonders des Slovenisdien. 9. Die Renaissance erweckte bei den Slaven auch wissenschaftliche Bestrebungen. Sie begünstigte die Entwicklung der Volkssprache in der weltlichen und kirchlichen Literatur; noch stärker waren die Anregungen der reformatorischen Bewegungen, die das Wort Gottes jedem Volk in seiner eigenen Sprache verkündigt wissen wollten. Das gab Veranlassung zu den grammatikalischen und lexikalischen Arbeiten der Cechen (neben Blahoslav, s. § 9, sind zu erwähnen M. Benesovskys cechische Grammatik 1577, die lateinische Grammatik des Slovaken V. B. z Nudozer, die
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Wörterbücher von T. Resel und Daniel Adam z Veleslavina 1598), daneben stand die Sprichwörtersammlung von Jakub Srnec usf. Die historischen "Werke verbreiteten im Westen Kenntnisse über die slavische Welt. Auch im Ausland wurden die theologischen Werke der slavischen Vertreter der reformatorischen Bewegungen, besonders die der radikalen Sozinianer, stark beachtet (so von Spinoza, Locke, Milton, Newton, Hugo Grotius [s. auch VIII, 1]). In die Geschichte der deutschen Reformation ging der Kroate Flacius Illyricus (Vlacic) ein, der die Zeitgenossen durch seine radikalen theologischen Ansichten lange beunruhigte. Ein bedeutendes staatsrechtliches Werk stammt von dem Polen Andrzej Frycz Modrzewski (Modrevius): „De republica emendanda" (Basel 1554, deutsch gekürzt 1557). 10. Neuerdings wurde darauf hingewiesen, daß Ungarn, speziell der Hof des Königs Matthias Corvinus ein Zentrum bildete, an welchem Humanisten verschiedener slavischer Völker, Kroaten, Polen, Cechen und Slovaken mitarbeiteten und eine nicht unbedeutende Tradition der lateinischen und z. T. ungarischen Renaissanceliteratur schufen. Aber auch sonst waren die Beziehungen zwischen den slavischen Literaturen lebendig, wozu auch die gemeinsame lateinische Literatursprache und die Reisen slavischer Humanisten in andere slavische Länder beitrugen (I. Goleniscev-Kutuzov). 11. Die weitere Entfaltung der Literatur in der Volkssprache bewirkte die Vervollkommnung der Orthographie (hussitische Orthographie bei den Cechen, s. K a p . VI, § 4), vor allem aber schuf man einen in der Literatur anerkannten Wortschatz, in welchen auch zahlreiche, für den Ausdruck der neuen Begriffe und „weltlichen" (etwa der erotischen) Vorstellungen nötige Wörter eingingen. 12. Eine nur sekundäre Erscheinung war die Renaissance bei den Ostslaven, obwohl man auch hier umfangreichen Stoff zusammenstellen könnte.
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Hauptvermittlerin war die polnische Kultur, deren Einwirkungen besonders leicht zu den Weißrussen und Ukrainern, die polnische Untertanen waren, gelangen konnten. Vielfach geschah das aber erst nach der Verbreitung der Barockkultur. Schwächer und später erfolgten diese Einwirkungen in Großrußland, „Moskovien". Hier waren als Vermittler der polnischen Einflüsse gerade Weißrussen und Ukrainer tätig. Die Vertreter der weißrussischen und ukrainischen adligen und bürgerlichen Schichten waren im polnisch-litauischen Staat den Einflüssen der polnischen Kultur ausgesetzt. Alle Vertreter aus diesen Kreisen, die wir näher kennen, die etwa im Ausland studierten und lateinisch schrieben, wurden genauso Mitglieder der polnischen Kulturgemeinschaft, wie Orechovius oder Szymonovic (s. o.), der in seinen polnisch und lateinisch geschriebenen Idyllen auch das ukrainische Volksleben schildert. Älter scheinen die Einflüsse der Renaissance auf die Weißrussen zu sein. Bereits 1517, nach Studien in Krakau und Padua, gründete Franzisk Skorina in Prag, später in Wilna Druckereien, in denen eine ins Weißrussisch-kirchenslavische übersetzte Bibel gedruckt wurde. Nachdem sich dieses Unternehmen als Mißerfolg erwiesen hatte, wanderte Skorina endgültig nach Prag aus. In den 60er Jahren begann der weißrussische Protestant (Calvinist, später Sozinianer) Simon Budnyj slavische Drucke (Katechismus u. a.) zu veröffentlichen. Aber schon nach etwa 10 Jahren schrieb er nur noch polnisch. Daß auch damals bei den Weißrussen Versdichtung entstand, bezeugt eine (inzwischen verschollene) Handschrift, aus welcher Bodjanskyj einige aus dem Deutschen übersetzte geistliche Lieder veröffentlichte. Etwas später entstand die neue Literatur in der Ukraine, zunächst die aus der 2. Hälfte des 16. Jhs. stammenden Bearbeitungen der Hl. Schrift, vor allem des Evangeliums, mit starker Berücksichtigung der Volkssprache. Es entstanden in verschiedenen Städten die „Bürgerschulen", später sogar eine „Akademie" in Ostroh. Die 1581 in Ostroh ver-
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öffentlichte vollständige Bibel stellte die kirchenslavische Tradition der Bibelsprache wieder her. Zur Verteidigung der griechischen Orthodoxie entstand in den 90er Jahren eine interessante polemische Literatur gegen Katholiken und Sozinianer. Züge der neuen Ideologie waren hier kaum vorhanden, die des neuen rhetorischen Stils spärlich. In den Werken des bedeutendsten ukrainischen Polemisten jener Zeit, Ivan Vysenskyj (gest. vor 1625) künden sich schon erste Elemente des Barockstils an. Interessant ist, daß zu dieser Zeit die erste gedruckte G r a m m a t i k des Kirchenslavischen (Meletij Smotryckyj, 1619), ein knappes ksl, Wörterbuch (Zizanij, 1596) entstand, dem 1627 ein größeres von P. Berynda folgte. Wir besitzen Zeugnisse über die Lektüre antiker Autoren in diesen Kreisen und Zitate aus der Renaissanceliteratur (so Petrarca, Boccaccio, Aeneas Silvius, L. Valla, Machiavelli, Pico de la Mirandola, Cusanus, Cardanus, Erasmus usf.). Zitate können natürlich auch aus zweiter H a n d stammen. Ein ernsthaftes Interesse f ü r die Renaissanceliteratur in der Ukraine können wir (an H a n d der Beschreibungen der Privatbibliotheken) erst f ü r die Barockzeit beweisen. In Rußland wußte man bis zum 17. Jh. kaum etwas von der Renaissanceliteratur. Der griechische Mönch gen. Maxim Grek, der im 16. Jh. in Moskau als Übersetzer tätig war, studierte vorher in Italien, stand aber später der Renaissance ablehnend gegenüber. Seine Bekannten haben von ihm oder aus Polen einige Hinweise auf die Literatur der Renaissance erhalten. So zitierte der Diplomat Fedor K a r p o v (wohl vor 1660) in einem Brief Aristoteles, Ovid und Sallust; der nach Polen geflohene russische Fürst Andrej Kurbskij übersetzte dort Cicero ins Slavische und las Erasmus-Schriften; aber beide lernte er wohl erst in Polen kennen. Weitere nicht sehr ausgedehnte Kenntnisse der Renaissance erwarb man in Rußland erst im 17. Jh. Überzeugende Beweise f ü r die ältere Zeit kann man bis jetzt nicht erbringen (M.Alekseev, I. Goleniscev-Kutuzov). 13. Die Renaissance kam (in nicht mehr ursprünglicher Form) zu den Slaven erst in der letzten Phase ihrer Ent-
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wicklung. Wie schon hervorgehoben, w u r d e sie durch die reformatorischen Strömungenn u m g e f o r m t und oft zurückgedrängt. Vieles davon, was die Renaissance erstrebte u n d ankündigte, f a n d keine Erfüllung. D e r Enthusiasmus w u r d e durch kalte Rhetorik ersetzt, der universale, vielseitige Mensch zeigte sich allzuoft als egoistischer Abenteurer, der nur nach Macht strebte. Die erstrebte Freiheit e n t p u p p t e sich als Willkür, u n d die N a t u r k e n n t n i s erwies sich vielfach als illusorisch. Die satirische Literatur der Renaissance w i r k t e bei den Slaven stärker als die W e r k e von literarischer Schönheit. Das im Westen aufgekommene Barock drang jetzt auch in die slavischen Länder ein u n d eroberte sie fast ohne Widerstand.
VIII
Barock Kroaten (Dalmatien) I. Gundulic (1588—1638): Epos „Osman" J. Palmotic (1606—1657) : Bühnenwerke J. Bunic-Vucicevic (1594—1658): Lyrik, Epos „Magdalene, die Büßerin" Ignjat Djordji(c) (1675—1737) Polen M. Sçp-Szarzynski (um 1550—1581) Krzysztof Opalinski (um 1610—1656): Satiren Andrzej Morsztyn (1608—1693) K. Sarbiewski (1595—1640): lateinische Diditung Wespasian Kochowski (1633—1700) Waclaw Potocki (1635—1696) Samuel Twardowski (1660) Cechen J.A.Comenius (1592—1670) Friedrich Bridel (1619—1680) Adam Michna z Otradovic (1600—1676) de Waldt (Anfang des 18. Jhs.)
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VIII. Barock Slovaken J.Tranovsky (1591—1637): lat.Oden, luther. Gesangbuch Matthias Bei (1684—1749) H . Gavlovic (1712—1787)
Ukrainer Antonij Radyvylovskyj (1688): Predigten hl. Dmitrij von Rostov (Tuptalo, 1671—1709): Heiligenlegende, Predigten, Gedichte Ivan Velyckovskyj (1727) Hryhorij Skovoroda (1722—1794): philosophische Dialoge, Lyrik Großrussen Simeon Polockij (1629—1680, weißrussischer Herkunft) V. K. Trediakovskij (1703—1769) Antioch Kantemir (1709—1744) M.V.Lomonosov (1711—1765) G. R. Derzavin (1743—1816) (verspätete Nachklänge des Barock)
1. Die slavische Barockliteratur erweckte schon vor längerer Zeit das Interesse slavischer Literaturhistoriker. Bereits 1893 veröffentlichte E. Por^bowicz eine Arbeit über Jan Andrzej Morsztyn (1613—1693) als einen polnischen Dichter des Barock und wies auf den Einfluß hin, den die italienische Barockdichtung auf Morsztyn ausübte. Einen neuen Anstoß erhielt die Forschung, als um 1930 J. Vasica auf den bedeutenden, bis dahin aber kaum beachteten cechischen Barockdichter F. (B.) Bridel (1619—1680) aufmerksam machte und eine Reihe von Arbeiten über weitere cechische Barockdichter veröffentlichte. Neben Arbeiten anderer Forscher (Z. Kalista, V. Bitnar) über die cechische Barockdichtung erschienen bald auch solche über die ukrainische (D. Tschizewskij) und russische (I. Eremin, Tschizewskij) Barockliteratur. Auch die kroatische Dichtung wurde von demselben Standpunkt behandelt, bisher allerdings leider noch ungenügend. Früher behandelte man die slavischen Literaturen des 17. Jhs. (etwa der Zeit zwischen 1590 und 1740) — ohne ihre stilistische Einheit zu berücksichtigen — als Erzeugnis bunter Willkür und „ungesunden" Strebens nach Originali-
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tat um jeden Preis. U n d da man den Inhalt der Werke von dem damals (etwa 1850—1910) „modernen" ideologischen Standpunkt beurteilte und bewertete, empfand man die Werke jener Zeit als „lebensfremd" und „volksfremd" und betrachtete sie oft als ein verspätetes Epigonentum der „mittelalterlichen" Scholastik. Im Zeitalter der Vorherrschaft des philosophischen Positivismus und des literarischen Realismus konnte man (auch noch ohne den Einfluß des die italienische Barockdichtung scharf verurteilenden Benedetto Croce) nur zur völligen Verwerfung dieser ganzen Epoche kommen. Bald betrachtete man sie als eine Zeit des Niedergangs (im Vergleich zur vorhergegangenen Renaissanceliteratur), bald als eine Verirrung auf dem Weg zum nachfolgenden Klassizismus. In der neueren Zeit hat man oft die Bezeichnung „Barock" als eine pejorative empfunden, und so entfaltete sich eine unproduktive Polemik über die Existenz der slavischen Barockdichtung (obwohl man die Existenz des Barockstils in der Musik und den bildenden Künsten bei den Slaven anerkannte). Man hielt die Barockliteratur f ü r die „Literatur der Gegenreformation", obwohl auch die Vertreter der protestantischen (bei den Polen etwa die Antitrinitarier [ = Sozinianer], bei den Cechen J. A. Comenius) und der griechisch-orthodoxen Welt dieselbe Stilentwicklung mitmachten. Gelegentlich betrachtete man die Barockdichter (so bei den Großrussen) auch als zufällige Einzelgänger. 2. Wie die Literatur der Renaissance konnte auch die Barockliteratur nicht ohne einen starken Einfluß aus dem Westen entstehen. Gleichzeitig waren die Beziehungen der einzelnen slavischen Literaturen untereinander zur Barockzeit besonders eng. Die frühesten Impulse gingen wohl von Italien aus, und zwar zu den Völkern, die mit der Apenninenhalbinsel kulturell (italienische Universitäten als geistige Bildungsstätten) oder auch wirtschaftlich und politisch in engerer Verbindung standen. Das waren Kroaten, Polen und Cechen. So treten zumindest Spuren des Barockstils bei diesen Völkern schon recht f r ü h auf, im letzten Drittel des 16. Jhs.
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VIII. Barock
Später gesellten sich dazu die Einflüsse Frankreichs, Spaniens und Deutschlands. Vornehmlich durch polnischen Einfluß wurden die ukrainische und weißrussische Literatur vom Barock erobert, und diese beiden wie auch die polnische Literatur unmittelbar gewannen — erst um die Mitte des 17. Jhs. — einen entscheidenden Einfluß auf die Moskauer Dichtung. Man muß beachten, daß die Entwicklung der Barockliteratur nicht in allen slavischen Ländern ohne Peripetien vor sich gehen konnte: bei den Cechen nud Polen wirkten störend verschiedene kirchliche und politische Kämpfe; in Rußland vollzog sich innerhalb des Barock eine wesentliche Umgestaltung der Literatursprache in Verbindung mit der sog. „Europäisierung", wodurch die Einheit der Barocktradition in der Dichtung entzweiriß; bei den Ukrainern und Weißrussen wirkte ungünstig der politische Niedergang. Die Entwicklung der slavischen Barockdichtung in ihrer Verbindung mit der westeuropäischen läßt sich mit folgendem Schema veranschaulichen:
Großrussen
Die sekundären Auswirkungen auf die kleineren slavischen Literaturen müssen hier unberücksichtigt bleiben. 3. Bei den Kroaten können wir gewisse Elemente des Barockstils schon bei einem Dichter des 16. Jhs., D.Zlataric
VIII. Barock
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(1558—1609) feststellen. Das 17. Jh. ist die Blütezeit der kroatischen (dalmatinischen) Dichtung: neben dem großen Epiker I. Gundulic (1588—1638), dessen nicht ganz abgeschlossenes Epos „Osman" zu den bedeutendsten slavischen Epen gehört, wirkten der Bühnendichter I. Palmotic (1606 bis 1657) und der Lyriker I. Bunic-Vucicevic (1594 bis 1658). ihre Werke zeigen beträchtliche Verbindungen mit der italienischen Literatur, da das literarische Zentrum der Zeit, die Adelsrepublik Dubrovnik (Ragusa), enge kulturelle Beziehungen mit Italien hatte. Gehörten die dalmatinischen Dichter zur Oberschicht ihrer Republik, so sind in der polnischen Dichtung alle gebildeten Stände und alle Konfessionen vertreten. Spuren des Barockstils erschienen bei dem früh verstorbenen jüngeren Zeitgenossen des großen Renaissancedichters J a n Kochanowski (s. Kap. V I I ) , M. S^p-Szarzynski (1550—1584). Deutlicher sind diese Züge schon zu erkennen bei S. Klonowicz (1545—1607), in dessen Werken satirische und didaktische Motive stark hervortreten, und bei Sz. Szymonowic (1558—1629) in dessen polnisch geschriebenen Idyllen (während er sonst vorwiegend lateinisch schrieb). Typische Vertreter des polnischen Barock sind J a n Andrzej Morsztyn (1613—1693, auch andere Mitglieder der Familie waren Barockdichter), der größte Meister der dichterischen Form, bei dem die Einflüsse Marinis beträchtlich sind; neben ihm der Epigrammatiker und Odendichter W. Kochowski (1633 bis 1700) und als dritter der ungeheuer produktive Waclaw Potocki (1625—1696), der, bei aller Ungleichheit seiner Werke, auf verschiedenen Gebieten Ausgezeichnetes leistete. Von zahlreichen anderen Dichtern seien noch genannt Samuel Twardowski (1600—1660), St. H. Lubomirski (1636—1702), der auch die Fragen der Dichtkunsttheorie behandelte, der Satirenschreiber K . Opalinski (um 1600 bis 1656) und, mit einer gewissen Einschränkung, der Prediger Piotr Skarga (1536—1612). Auch bei den Cechen klingen bereits Ende des 16. Jhs. Barockmotive an; die ersten repräsentativen Werke der Barockdichtung sind aber die frühen, moralistisch-satiri-
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sehen Werke des J a n Arnos Comenius (auch Komensky genannt, 1 5 9 2 — 1 6 7 0 ) , vor allem das berühmte „Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens" (1617). Als religiöse Lyriker dürfen vor allem Friedrich (Bedrich) Bridel ( 1 6 1 9 bis 1680) und Adam Michna z Otradovic ( 1 6 0 0 — 1 6 7 6 ) , der auch Komponist war, genannt werden. Aus der großen Zahl der Prediger, von denen gelegentlich nur einzelne, dichterisch hervorragende Predigten veröffentlicht wurden, kann man die durch ihre größeren Predigtsammlungen bekannten Fabian Vesely ( 1 6 4 8 — 1 7 2 9 ) und A. F. de W a l d t ( 1 6 8 3 — 1 7 5 2 ) hervorheben. Für die protestantischen Slovaken schrieb J . Tranovsky (lat. Tranoscius, 1 5 9 1 — 1 6 3 7 ) auch heute noch gebräuchliche Kirchenlieder; er war übrigens auch lateinischer Dichter und Komponist. Die Barockliteratur der Ukrainer ist in noch stärkerem M a ß als die cechische religiös. Aus den zahlreichen, z. T . begabten Predigern, erwähnen wir hier nur den hl. D m i t r i j von Rostov (Familienname Tuptalo, 1 6 7 1 — 1 7 0 9 ) , der Prediger, Versdichter und Hagiograph w a r und, wie manche anderen Ukrainer, auch in Moskau wirkte. Zu den weltlichen Dichtern kann man manche der zahlreichen Chronisten rechnen; zu ihnen gehört auch der Epigrammatiker und „Meister der kleinen F o r m " , der Priester Ivan Velyckovskyj (gest. ca. 1724), ein Nachahmer des neulat. Epigrammatikers Ovenus. Bedeutend war auch der spätere Vertreter der Barockmystik H . S. Skovoroda ( 1 7 2 2 — 1 7 9 4 ) . In der Sprache der meisten Dichter sind die kirchenslavischen Elemente noch sehr lebendig. Durch den weißrussischen Priester Simeon Polockij ( 1 6 2 9 bis 1680), der seine Ausbildung an der Kiever geistlichen Akademie erhielt, wurde die polnisch-ukrainische Barockdichtung nach Moskau verpflanzt, wo Polockij als Prediger und Lehrer tätig war. Seine Schüler waren nicht so bedeutend, wie die Dichter späterer Zeit, die ihre Werke nach der „Europäisierung" Rußlands durch Peter I. und nach der Verweltlichung der Sprache schrieben: das waren der Satiriker Fürst Antioch Kantemir (rumänischer Herkunft, 1 7 0 9 — 1 7 4 4 ) und die Gelehrten V . K . Trediakovskij ( 1 7 0 3
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bis 1769) und M. V. Lomonosov (1711—1765). Trediakovskij und Lomonosov befreiten das russische Verssystem von den Regeln des polnischen syllabischen Versmaßes und legten die Grundlage der tonisch-syllabischen Versdichtung. Noch auf den bedeutendsten russischen Dichter aus dem Ende des 18. Jhs., G. R. Derzavin (1743—1816), wirkten die Traditionen des Barock. 4. Man muß noch erwähnen, daß die Epoche bei allen slav. Völkern überaus zahlreiche anonyme Werke kannte; zu ihnen gehören viele Theaterstücke, die z. T. für Schultheater bestimmt waren, sowie oft recht interessante Gelegenheitsgedichte. Es ist interessant und unbedingt zu betonen, daß bei den Slaven zur Barockzeit so viele Werke wissenschaftlicher Art erschienen (meist lateinisch) wie nie zuvor. Sie gehören den verschiedensten Gebieten an: theologische Lehrbücher und Traktate, geschrieben von den polnischen Antitrinitariern (Sozinianern) und dem griechisch-orthodoxen Ukrainer Feofan Prokopovyc, naturwissenschaftliche, physikalische und astronomische Abhandlungen von M. V. Lomonosov, der sich mit russischer Grammatik und Rhetorik befaßte. Hagiographische Forschung betrieben Piotr Skarga und der hl. Dmitrij, die ihre Ergebnisse allerdings in slavischer Äawsiprosa darlegten. Hier ist auch hinzuweisen auf die kirchenslavische Grammatik des Weißrussen Meletij Smotryckyj (1577—1633), die auch auf dem Balkan ihre Wirkungen hatte. Der katholische Kroate J.Krizanic (1618 bis 1683) hinterließ neben seinen „slavophilen" politischen Schriften auch wertvolle Zeugnisse über die serbokroatische Intonation (musikalische Betonung). Auch die lexikalischen Beiträge jener Zeit sind von Bedeutung. Besonders wichtig waren die Arbeiten über den Sprachunterricht von J. A. Comenius, der auch als Theoretiker der Pädagogik, als Theologe und gar als Philosoph (D. Mahnke) Bedeutendes leistete. Der cechische Autor mehrerer historischer und hagiographischer Schriften, B. Baibin (1621—1688), verfaßte auch eine lateinisch geschriebene „Verteidigung" der cechischen Sprache. Ähnliche Schriften gab es auch sonst bei
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den Cechen u n d Polen. Historiker, die ihre chronikalischen A u f g a b e n mit politischen u n d nationalen Tendenzen verbanden, gab es bei verschiedenen slavischen Völkern. E r w ä h n e n s w e r t ist, d a ß der Slovake Matthias Bei (1684 bis 1749) topographische u n d historische Materialien über U n g a r n einschließlich der slavischen Gebiete gesammelt u n d z . T . veröffentlicht h a t . I m 18. J h . publizierte der K r o a t e R . Boskovic (1711—1787) bedeutende physikalische u n d astronomische Arbeiten. V o n den handschriftlich erhaltenen Vorlesungsnachschriften, die nicht nur von Slaven stammen, sondern auch slavistische Themen behandeln (etwa auf dem Gebiet der Poetik), weiß m a n bis jetzt leider nur wenig. Eine besondere u n d z w a r recht zahlreiche G r u p p e der slavischen Dichter bilden solche, die vorwiegend lateinisch oder n u r lateinisch schreiben. Comenius z. B. schrieb lateinische Stücke f ü r Schultheater manche seiner lateinische Werke, wie etwa „Angelus pacis" (1669) u n d „ U n u m Necessarium" (erst 1681 veröffentlicht) tragen dichterisches Gepräge. U n t e r den Neulateinern bedeutend w a r e n auch der cechische Bühnendichter K . K o l c a v a (1656—1717) u n d vor allem der polnische Lyriker K. Sarbiewski (Sarbevius, 1595—1640), dessen O d e n noch im 18. J h . im Schulunterricht neben den C a r m i n a des H o r a z gelesen w u r d e n . — Die lateinischen Werke slavischer Dichter u n d Schriftsteller w u r d e n oft auch in Westeuropa verlegt und nachgedruckt. 5. M a n m u ß v o n vornherein zugeben, d a ß eine einheitliche Charakteristik der Barockdichtung wirklich schwierig ist, u n d z w a r aus G r ü n d e n , die wir gleich kennenlernen werden. Vielleicht e r f a ß t m a n am leichtesten das Wesen dieses Stils, w e n n m a n beachtet, d a ß das Barock in gewissem Sinne eine Rückkehr z u m Mittelalter anstrebte, andererseits aber auf manche Errungenschaften der Renaissance (bei den Protestanten auch auf solche der R e f o r m a t i o n ) nicht verzichten wollte. So sind im Barockstil verschiedene Elemente des spätmittelalterlichen u n d des Renaissancestils vereinigt. W i r d eine solche Charakteristik auch nicht ganz
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erschöpfend sein, so w i r d sie doch wichtige Wesenszüge des Barock kennzeichnen. Worin bestand nun die Rückkehr z u m Mittelalter oder das Bestreben eine solche Rückkehr z u vollziehen? E i n e W i e d e r a u f n a h m e spätmittelalterlicher Tendenzen finden wir z. B . bei einigen F r a g e n der Kunsttheorie. S t a t t der harmonischen Durchsichtigkeit der Renaissance treffen wir im Barock die verwickelte M a n n i g f a l t i g k e i t , die v o r allem die S p ä t g o t i k kennzeichnete; statt der weitgehenden E i n fachheit der R e n a i s s a n c e finden wir im Barock die K o m p l i ziertheit, die jede einfache L i n i e durch unzählige (und oft nur anscheinend) a u f die Seite ablenkende Schmuckfiguren überdeckt; statt des A n t h r o p o z e n t r i s m u s der R e n a i s s a n c e — und das ist vielleicht das wichtigste — steht f ü r das Barock im Z e n t r u m des Alls nicht der Mensch, sondern G o t t ; das bedeutet eine W e n d u n g z u m „ T h e o z e n t r i s m u s " , die uns deutlich ans M i t t e l a l t e r erinnert; statt des weltlichen C h a r a k t e r s der weitgehend „ s ä k u l a r i s i e r t e n " K u l t u r , nimmt diese nun w i e d e r u m religiöse F ä r b u n g a n ; statt des v o n allen B i n d u n g e n (manchmal nur vermeintlich) befreiten Menschen, begegnet uns jetzt der Mensch, der soziale u n d religiöse N o r m e n anerkennt, die die R e n a i s s a n c e als „ F e s s e l n " e m p f a n d : d a s bedeutet, d a ß die R o l l e v o n Kirche und S t a a t wieder w ä c h s t . . . A b e r das Barock nimmt, wie gesagt, in vielem auch d a s E r b e der R e n a i s s a n c e a u f : es bleibt bei der „ W i e d e r g e b u r t " der A n t i k e ; freilich f a ß t d a s B a r o c k die A n t i k e anders auf u n d macht v o r allem Versuche, das antike E r b e mit dem Christentum zu vereinigen u n d z u versöhnen. Als Folge davon finden wir in der Literatur N a m e n antiker Helden und Götter, selbst in den religiösen Schriften. Die antike Mythologie (damals mit traditionsgemäß durcheinandergeworfenen griechischen und römischen Elementen) liefert den Dichtern auch Bilder und Sinnbilder. Grotesk mutet die nicht seltene Verflechtung von christlichen Vorstellungen mit solchen der Antike a n : Die hl. J u n g f r a u M a r i a z. B. ist D i a n a ,
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der Dreizack N e p t u n s w i r d als Sinnbild des christlichen K r e u z e s a u f g e f a ß t , neben H e i l i g e n w e r d e n v o n den Dichtern Musen angerufen usf.
Aber auch die besondere Achtung vor der Natur lehnte das Barock nicht ab — bekanntlich sind die größten Entdeckungen der modernen Naturwissenschaft (von Galilei und Kepler bis Harvey und Linné) Ergebnisse der Barockzeit! Allerdings ist die Natur vielfach nur der Weg zu Gott; wer innerhalb der Natur stehenbleibt, hat sich darin verirrt. Enzyklopädische Bestrebungen, die auch die N a t u r w i s s e n schaften berücksichtigen, sind f ü r die slavischen D e n k e r , auch Theologen, kennzeichnend (z. B . bei dem protestantischen Comenius wie beim katholischen B o s k o v i c ) .
Auch das Renaissance-Ideal des „höheren Menschen" ist keinesfalls verschwunden, nur trägt der höhere Mensch nicht mehr die Maske eines Condottiere, sondern wird zum Dienste Gottes oder gar für das künftige Leben erzogen. S o verlangt C o m e n i u s : „die g a n z e Menschheit soll dem Bilde Gottes, zu dem sie j a erschaffen ist, so ähnlich wie möglich gemacht werden, das heißt w a h r h a f t v e r n ü n f t i g und weise, w a h r h a f t tätig und eifrig, w a h r h a f t beständig und ehrenhaft, w a h r h a f t f r o m m u n d heilig u n d dadurch glücklich u n d selig — hier und in E w i g k e i t " (sic!) ( P a m p a e d i a I, 8).
Was aber für die Barockkultur besonders kennzeichnend ist und ihr ihren individuellen Charakter verleiht, ist der „Dynamismus" des Barock. In der bildenden Kunst ist das die Vorliebe für die „dynamischen" Kurven statt der geraden Linien und des Halbkreises der Renaissance und statt der scharfen Winkel und Parallellinien der Gotik. Im Leben und in der Literatur ist das Sehnsucht nach Veränderung, nach Wandlung, ja man nimmt sogar die Gefahr der Katastrophe dabei in Kauf, denn man liebt tragische Spannung, kühne Kombinationen, Abenteuer.
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D a s Wanderleben mancher Vertreter der Barockdichtung hing allerdings nicht immer von deren eigenen Wünschen a b : Comenius durchwandert Europa als Student, dann als Verbannter, reist auf Einladungen nach England, Schweden und Ungarn; auch polnische Antitrinitarier gehen als Flüchtlinge ins Ausland. Krizanic reiste mit utopischen Missionsabsichten nach Moskau, von wo er nach Sibirien verbannt wurde. Erst nach Jahren gelang es ihm, nach Hause zurückzukehren. Aber wir sehen auch Menschen, die die Heimat freiwillig für immer verlassen, wie A. Morsztyn, der sein Leben als „ G r a f de C h a teauvillain" in Frankreich endete. Das Studium im Ausland war für die Slaven im 17. J h . schon zur Tradition geworden. A u c h in der N a t u r sieht m a n W a n d l u n g , S p a n n u n g , B e w e g u n g . U n d das B a r o c k scheute sich auch v o r einem entschiedenen „ N a t u r a l i s m u s " nicht: m a n w a g t es, die N a t u r m i t ihren h a r t e n , strengen, finsteren, oft u n ä s t h e tischen Z ü g e n darzustellen — neben den Schilderungen des intensiven, b l u t v o l l e n bunten Lebens (die E r o t i k der B a r o c k l i t e r a t u r t r ä g t allzuoft einen recht „ m a s s i v e n " C h a r a k t e r ) sind die erschreckenden u n d schaudererregenden B i l d e r des T o d e s ein spezifisches T h e m a des B a r o c k . Eine Gedichtreihe A. Morsztyns erhielt den Namen „Swinska plebanija" (etwa „Die schweinische P f a r r e " ) , dies ist nicht das schlimmste Beispiel dieser Gattung. W . Potocki riß nach seiner religiösen Bekehrung zahlreiche obszöne Epigramme aus seinem „Ogrod fraszek" (Garten der Epigramme) h e r a u s . . . D i e Verfasser der volkstümlichen Scherzgedichte meinen offensichtlich „naturalia non sunt turpia". Am Ende des Jahrhunderts kommt der „Antipetrarkismus" auf, der die Dichter veranlaßt, die Erotik auf die sexuelle Sphäre zu beschränken. Beliebt sind Gedichte und Prosawerke über die „Vier letzten Dinge des Menschen": Tod, Jüngstes Gericht, Paradies und Hölle, vgl. ein cech. Buch, Olmütz 1626, ein ukr. „Buch vom T o d e " 1622, ein ukr. Gedicht in der „Kostbaren Perle" von Kirill Trankvillion Stavroveckyj 1646, verschiedene „Totentänze" und ähnl. Eingehende und oft die Wirklichkeit übersteigende Schilderungen von grausamen Kriegsszenen sind in der historischen Dichtung wie in den Chroniken üblich. 9*
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D a s Barock sieht die A u f g a b e der K u n s t nicht im E r w e c k e n eines r u h i g e n ä s t h e t i s c h e n o d e r r e l i g i ö s e n G e f ü h l s , s o n d e r n es w i l l r ü h r e n , a u f r e g e n , e r s c h ü t t e r n . M i t diesem Bestreben, den Menschen zu b e u n r u h i g e n , sind die wichtigsten stilistischen Z ü g e d e r B a r o c k k u n s t , a u c h d e r L i t e r a t u r , e n g v e r b u n d e n . D a r a u s e n t s t e h t die S e h n s u c h t n a c h S t ä r k e , nach Ü b e r t r e i b u n g e n , nach H y p e r b e l n , die Vorliebe f ü r P a r a d o x u n d O x y m o r o n , die N e i g u n g zu „Seltsamkeiten", zur Groteske, zu der S p a n n u n g erzeugenden Antithese und w o h l auch d i e N e i g u n g z u d e n g r o ß e n F o r m e n , z u A l l umfassendem, Universalem. Auf Antithesen sind natürlich alle Gegenüberstellungen der irdischen und himmlischen Welt in Bridels großem Werk „Co Buh? clovek?" („Was ist Gott? was ist Mensch?") aufgebaut. Genauso in den religiösen Dichtungen Gundulics, Bunics und anderer. Aber auch vom antithetischen C h a r a k t e r irdischer und göttlicher Welt in sich lesen wir bei Bridel, und das Epos „Osman" von Gundulic beginnt mit den W o r t e n : Sve sto vise steres krila, sve ces paka nize pasti! (I, 3 f.), (Je höher du die Flügel breitest, desto tiefer wirst du f a l l e n . . . ) und: tko bi gori, eto je doli, a kto doli, gori ostaje (I, 15 f.), (Wer hoch gestanden, ist nun unten, und wer unten war, erhebt sich in die H ö h e . . . ) P a r a d o x a und O x y m o r a gehören zu den beliebtesten spielerischen Formen: eine Reihe von Gedichten erinnert an sog. „Lügenmärchen", andere stellen phantastische „Menüs" aus uneßbaren und z. T. nichtmateriellen Objekten zusammen. A. Morsztyn besang häßliche Frauen. Grotesk sind vielfach schon die Themen der Gedichte: Schönheitspflästerchen, Tabak (A. Morsztyn), Epigramme über Nasen (W. Kochowski), über verschiedene Arten des Todes, über Katzen, über alle möglichen Gewerbe (der ukr. Priestermöndi Klementij), über die H u n d e der geliebten Damen. Auch in der religiösen Dichtung finden wir die kühnsten Umkehrungen der Metaphern und Topoi (der
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„locus horribilis" in den Heiligenlegenden ist die U m k e h r u n g des traditionellen „locus amoenus"). Grotesk sind weiter verschiedene „concetti" (s. u.) und häufige doppelsinnige „Rätsel", deren Meister A. Morsztyn ist. In der Reihe der großen Dichtungen stehen neben den epischen (mehrere kroatische über biblische Themen) die didaktischen Gedichte: neben der erwähnten Dichtung Bridels auch seine „Betrachtungen", in welchen eine bekannte Metapher — die Welt als Buch —• bis in alle Einzelheiten „entwickelt" wird. Einen wichtigen P l a t z beanspruchen auch die Epigramme — meist in großen Zyklen geschrieben —, wie z. B. von W. Kochowski, aber vor allem von W. Potocki, der hunderte von Epigrammen verfaßte. In der ukrainischen Dichtung heißen die meist kleineren Zyklen „Kränze". 6. F ü r d i e D i c h t u n g des B a r o c k ist nicht n u r eine „schwere" Ausschmückung, s o n d e r n auch die M a n n i g f a l t i g k e i t des Schmuckes k e n n z e i c h n e n d . D a z u g e h ö r e n z u n ä c h s t e u p h o n i s c h e M i t t e l : n e b e n A n a p h o r e n u n d E p i p h o r e n (eine A b w a n d l u n g d e r l e t z t e r e n b i l d e n die sog. „ E c h o - G e d i c h t e " —• c a r m i n a echoica) f i n d e n w i r noch v e r s c h i e d e n e w e i t e r e L a u t z u s a m m e n k l ä n g e i n n e r h a l b d e r G e d i c h t e u n d a u c h in der Kunstprosa. Der cechische Dichter J. Korinek schreibt, wohl angeregt durch die „Musurgia" von Athanasius Kircher, seine „Nachtigallensonetten", die nur aus Nachtigallgesang nachahmenden Klängen ohne semantische Seite bestehen; Alliterationen, Wiederholungen von einzelnen Wortstämmen oder auch nur Silben, euphonische Wortspiele sind in der slavischen Barockdichtung gang und gäbe. Diesen Wortwiederholungen, die im allgemeinen in der Dichtung doch vermieden werden, begegnen wir besonders häufig in den Epigrammen. W. Kochowski und I. Velyckovskyj übersetzten ein auf Wortwiederholungen aufgebautes Epigramm aus Ovenus, beide vergrößerten dabei die Anzahl der wiederholten Wörter. So Kochowski: Nago siq wszyscy na swiat ten mizerny rodzim, z tego swiata strojniejszy w koszuli odchodzim. Wi^cej w r a c a m y matce nezeli nam dala, ktora nago na ten swiat rodzic siq kazala. (die sich wiederholenden Wörter sind von uns hervorgehoben.)
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(Nackt werden wir alle in diese Elendswelt geboren, / aus dieser Welt gehen wir besser bekleidet im (Toten)hemde fort. / Mehr geben wir der Mutter (Natur), als sie uns gegeben, zurück, / die uns nackt in diese Welt kommen ließ.)
Ein weiteres Kunstmittel ist die Rhythmik. Sie führt zu einer komplizierten Strophik, die gelegentlich durch enjambements z. T. zerstört, z. T. unterstrichen wird. Die Reimtechnik zeigt das Bestreben ungewöhnliche, überraschende (oft zusammengesetzte) Reime zu gebraudien; durch die inneren Reime (d. h. Reime innerhalb der Verszeile) wird die euphonische Wirkung noch verstärkt. Alle diese Stilmittel werden nicht etwa bescheiden verborgen, sondern dem Leser offen vor Augen geführt. Auserlesene Reime auf seltene Endungen begegnen uns oft: Bei A. Morsztyn z. B. in 21 Zeilen 12 Wörter, die auf ,,-odze" enden; bei Zbigniew Morsztyn in einem 304 Zeilen langen Gedicht über die Belagerung Krakaus 88 Reime auf ,,-aku". Hier einige Beispiele zusammengesetzter Reime bei W . Potocki: Marija :: i ja; ja cie :: bracie; po tem :: ziotem; co ma :: lakoma; bei Velyckovskyj: tätja :: na tja; na to :: zlato usf. Selbst identische Reime werden geschickt gebraucht. Man schreibt Gedichte auf angegebene Reime („bouts rimes"). Innere Reime sind z . B . in den sog. „versus leonini" verbreitet: Cysta ptycja, / holubycja / svojstvo to imiei, / ze de misto / jij ne cysto, / tamo ne pociei. (Der reine Vogel, die Taube, hat solche Eigenart, daß, wo der O r t ihr unrein (zu sein scheint), dort ruht sie nicht) (ein ukr. Anonymus, 17. Jh.)
Die Metaphorik der Barockdichtung ist auffällig, oft seltsam, häufig wird die Bedeutung einer Metapher ins Gegenteil verkehrt — ein Bild, das sonst positive Bedeutung hat, bekommt pejorativen Sinn und ähnl. Gemeinplätze erhalten einen variablen Gehalt oder eine vollkommene Umkehrung. Metapher, Hyperbel und andere Stilmittel treten oft in langen Ketten auf, aber auch für gewöhnliche Aufzählungen, „Kataloge", hat man eine große Vorliebe. Die Kataloge des Barock kann man von denen der Renaissance meistens durch ihre Buntheit und Zusammenhangslosigkeit unterscheiden — auch hier erzielt man
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Überraschungen und groteske Wirkungen. Ja, selbst in religiösen Gedichten enthält man sich nicht kühnster Paradoxien: In A. Michna z Otradovic's Gedicht „Geistliche Jagd" ist das Herz der Muttergottes Jagdobjekt! Skovoroda findet als Metapher f ü r die Kommunion das Brechmittel: es soll die Seele reinigen. In den schon erwähnten „Betrachtungen" Bridels wird die Grundmetapher „Welt gleich Buch" in eine Unmenge von Teilmetaphern zerlegt. In einem langen Gedicht A. Morsztyns werden auf geistreiche A r t über 100 verschiedene Getränke vom Wein bis zum schmutzigen Wasser epigrammatisch charakterisiert.
Die Komposition der Barockdichtung kennt, wie aus dem oben Gesagten schon ersichtlich, die große (Epos) und die kleine (Epigramm) Form. Verbreitet waren auch spielerische Formen verschiedenster A r t : von den bereits erwähnten euphonisch wirkenden Werken bis zu den eher für das Auge bestimmten Gedichten, wie z. B. die Figurengedichte (in Form eines Eies, Bechers, Kreuzes, sogar des griechischorthodoxen Kreuzes mit acht Enden, der Mondsichel usf.), die „chronologischen Gedichte", in denen besonders hervorgehobene Buchstaben ein Datum ergaben, die „versus cancrini", deren Zeilen von rechts nach links und von links nach rechts Wort für Wort oder Buchstabe für Buchstabe gelesen werden konnten (wodurch der Sinn sich manchmal ins Gegenteil verkehrte!); die alphabetischen Gedichte, deren Strophen, manchmal sogar die einzelnen Wörter (so bei Velyckovskyj) mit den Buchstaben in der Reihenfolge des Alphabets begannen. Auch die Akrostichen können nur vom Auge und nicht vom Ohr als solche wahrgenommen werden . . . In einer gewissen, nur fürs Auge sichtbaren Ordnung, ergaben verschiedene zerstreute Buchstaben in manchen Gedichten allerlei Wörter oder Sätze. Die Lust an dieser Art zu dichten wurde ernst genommen und scheint dem Dichter wie dem Leser echte Freude gebracht zu haben. Sogar die seltsamen „maccaronischen Gedichte", in miteinander vermischten Sprachen geschrieben, waren gern gelesen und abgeschrieben.
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H i e r die ersten Zeilen aus einem M o r s z t y n s an eine D a m e :
„versus cancrinus"
A.
C n o t a ci