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German Pages 215 Year 1997
NORBERT BERTHOLD I BERNHARD SPEYER (Hrsg.)
Vergessene Dimensionen der Außenwirtschaft: Raum, technischer Fortschritt und Entwicklung
Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen Band 24
Vergessene Dimensionen der Außenwirtschaft: Raum, technischer Fortschritt und Entwicklung Festschrift für Detlef Lorenz
Herausgegeben von
Norbert Berthold Bemhard Speyer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Vergessene Dimensionen der Außenwirtschaft: Raum, technischer Fortschritt und Entwicklung; Festschrift für Detlef Lorenz / hrsg. von Norbert Berthold ; Bernhard Speyer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen ; Bd. 24) ISBN 3-428-09056-X
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6984 ISBN 3-428-09056-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0
Vorwort Mit dem Ende des Wintersemesters 1996/97 wurde Professor Dr. Detlef Lorenz von der Freien Universität Berlin emeritiert. Aus diesem Anlaß veranstaltete der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin am 24. Januar 1997 zu Ehren von Professor Lorenz ein Colloquium, um seine mehrere Jahrzehnte umfassende Lehr- und Forschungstätigkeit zu würdigen. Das Forschungsinteresse von Professor Lorenz ist spätestens seit seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1967 von dem Bemühen geprägt, die Grundlagen einer dynamischen Außenwirtschaftstheorie zu entwickeln. Im Vordergrund steht dabei die explizite Berücksichtigung des technischen Fortschritts in Schumpeter'scher Tradition und seine Wirkung auf die Außenhandelsstruktur einer Volkswirtschaft. Neben diesen theoretischen Überlegungen forderte Detlef Lorenz immer wieder dazu auf, die wirtschaftspolitischen Konsequenzen hinsichtlich der Gestaltung der Liberalisierungspolitik zu berücksichtigen, die sich aus einer sich unter diesen Bedingungen vollziehenden Integration ergeben. Ein weiterer Schwerpunkt der Forschungen von Detlef Lorenz ist die Untersuchung von Regionalisierung und Regionalismus in der Weitwirtschaft. Neben der theoretischen Dimension, Regionalismus als integrationspolitische Strategie zu verstehen, standen hierbei empirisch insbesondere die Regionen Süd-Ostasien und Ostasien im Mittelpunkt des Interesses von Detlef Lorenz; nicht zuletzt auch, weil sich in dieser Region die raumwirtschaftlichen Effekte einer Liberalisierung mit dem Phänomen dynamischer, außen wirtschaftlich dominierter Entwicklungsprozesse verbinden. Der vorliegende Band faßt die im Rahmen des Colloquiums präsentierten Referate zusammen, die aktuelle Fragen aus den Gebieten dieser Forschungsschwerpunkte zum Gegenstand hatten. Die Herausgeber danken den Referenten für Ihre Teilnahme am Colloquium sowie die rasche Fertigstellung der schriftlichen Versionen. Dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin sowie der Forschung Gesellschaft und Technik, DaimlerBenz AG, insbesondere Herrn Professor Dr. Eckard Minx, danken wir für die großzügige finanzielle und logistische Unterstützung, ohne die die Durchführung des Colloquiums nicht möglich gewesen wäre. Ein besonderer Dank gebührt Frau Heike Joebges für ihren unermüdlichen, kompetenten und engagierten Einsatz bei der Gestaltung des Layouts dieses Bandes. Berlin, im Sommer 1997
Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Norbert Berthold und Bemhard Speyer Vergessene Dimensionen der Außenwirtschaft: Raum, technischer Fortschritt und Entwicklung ....................................................................................... 9 Dieler Bender Technologische Potentiale, internationale Arbeitsteilung und Entwicklung ........ 23 Norbert Berthold und Martin Donges Regionalismus und Multinationale Unternehmungen: Wird der Protektion Einhalt geboten? ................................................................................................ 41 Thomas Straubhaar Globalisierung und Nationalökonomie: Neue Schläuche für neuen Wein! .......... 79 Rolf J. Langhanvner The 'Fallacy of Composition' Revisited: Wie autonom ist der wirtschaftliche Entwicklungsprozeß in Ost- und Südostasien? ............................................. 93 Wolfgang Klenner Japan und China im Rahmen internationaler Entwicklungsformationen Konkurrenz, Kooperation, Führungsanspruch ................................................... 111 Hanns W. Maull Regionalismus im asiatisch-pazifischen Raum ................................................. 141 EUre Thiel Die Besonderheiten heterogener Integration in der EU ..................................... 169 Wolfgang Harbrecht Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung ....... 187 Schriften verzeichnis Detlef Lorenz ........................................................................ 207 Verzeichnis der Autoren ......................................................................................... 213
Vergessene Dimensionen der Außenwirtschaft: Raum, technischer Fortschritt und Entwicklung Norbert Berthold und Bernhard Speyer
Die traditionelle Außenhandelstheorie hat bemerkenswerte Beiträge zur Erklärung der Struktur der internationalen Arbeitsteilung geleistet. Gleichzeitig bildete die aus dieser theoretischen Basis abgeleitete handelspolitische Empfehlung - das Plädoyer für einen liberalen Welthandel - und deren Umsetzung im Rahmen der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Weltwirtschaftsordnung einen wichtigen Pfeiler für das beispiellose Wachstum weiter Teile der Weltwirtschaft nach 1945. Gleichwohl zeigte sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr, daß wichtige empirische Merkmale dieser Weltwirtschaft jenseits der Erklärungskraft der traditionellen Außenhandelstheorie liegen bzw. von dieser gar nicht berücksichtigt werden. Das vielleicht gravierendste Defizit ist, daß die traditionelle Außenhandelstheorie letztlich immer eine statische Reallokationstheorie geblieben ist - eine Eigenschaft, an der letztlich auch die vielfältigen Bemühungen um eine Dynamisierung des Heckscher-Ohlin-Modells durch die Berücksichtigung von Änderungen in der Faktorausstattung nichts haben ändern können. Diese Beschränkung auf bloße Faktorvermehrung ignorierte die wichtigste Quelle des Wachstums, den technischen Fortschritt. Was der Außenhandelstheorie mithin fehlte, war eine explizite ModelIierung der Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die internationale Arbeitsteilung und damit die Außenhandelsstruktur eines Landes. I. Technischer Fortschritt und Entwicklung
Einer der ersten Beiträge, diese Lücke zu schließen, war die "Dynamische Theorie der internationalen Arbeitsteilung" von Lorenz (1967). Explizit auf Schumpeter rekurrierend plädiert Lorenz dafür, die Struktur der internationalen Arbeitsteilung als Ergebnis des dynamischen Prozesses von Innovation und Imitation zu begreifen. Der Außenhandel ist damit bestimmt von tempo-
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rären monopolistischen Verfügbarkeiten, "deren Dauer und Potential von der Natur und Stärke des dynamischen Wettbewerbs sowie dem Tempo und der Veränderungsintensität der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt werden.'" Komparative Vorteile beruhen in diesem Fall nicht auf der Existenz von Faktorausstattungen, sondern auf der Fähigkeit von Ländern, technologisch neue Produktionsverfahren anzuwenden bzw. neue Güter zu produzieren. Im Gegensatz zu Unterschieden in der Faktorausstattung verschwindet diese Quelle komparativer Vorteile, wenn das Ausland im Zuge der Diffusion des technologischen Wissens die technologische Lücke geschlossen hat. Jede theoretische Erklärung der Struktur internationaler Arbeitsteilung muß daher auf einer Analyse der untrennbar miteinander verbundenen Phänomene von Innovation und Imitation beruhen; gleichzeitig ergeben sich die Konsequenzen der Integration einer Volkswirtschaft in die internationale Arbeitsteilung als Resultat ihrer Innovations- und Imitationsfähigkeit. Krugman (1979) war ein erster Versuch, diese Dynamik zu erfassen, wobei in diesem Modell jedoch sowohl das Auftreten neuer Güter als auch deren Diffusion noch exogen waren. Mittlerweile liegen Modelle vor, in denen dieses Defizit beseitigt ist, die Innovations- und Imitationsentscheidung also endogenisiert wurde. 2 Innovation und Imitation werden damit zu einem Investitionskalkül, dessen explizite Modellierung es erlaubt, den Einfluß von Parameteränderungen auf die Innovations- und Imitationsraten von Unternehmen zu untersuchen, womit die Außenhandelstheorie erstmals ein Instrument besitzt, die immer vermuteten und empirisch ja auch nachweisbaren dynamischen Effekte einer Außenhandelsliberalisierung zu analysieren. Für den Innovator endet der Strom von Innovationsrenten im Moment der Imitation. Die Investitionsentscheidung ist mithin abhängig vom Verhältnis der erwarteten diskontierten Erträge im Verhältnis zu den Innovationskosten. Aus Sicht des Innovators beeinflußt eine Liberalisierung einerseits das erwartete Absatzvolumen, andererseits die Erwartung über die Zeitspanne, innerhalb derer der Innovator die monopolistische Verfügbarkeit besitzt. Ebenso müssen für den Imitator die erwarteten diskontierten Einnahmen groß genug sein, um die Investitionskosten in das Erlernen einer neuen Technologie zu rechtfertigen. Die Fortschritte bei der Endogenisierung der Dynamik komparativer Vorteile korrespondiert dabei mit den Fortschritten in der Wachstumstheorie. Diese erfuhr nach einer langen Phase der Stagnation eine Renaissance, die ebenfalls von dem Bestreben ausgelöst wurde, das Erklärungsdefizit des traditionellen (Solow-) Modells hinsichtlich der Rolle des technischen Fortschritts zu , Vgl.: Lorenz (1967), S. 91. Vgl. insb.: Grossmann / Helpman (1991).
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beseitigen. So unterschiedlich die Ansätze der "neuen Wachstumstheorie" dabei im einzelnen sein mögen, sind sie doch alle von dem Grundgedanken getragen, den Prozeß technischen Fortschritts zu endogenisieren. Durch die Erweiterung derartiger Modelle um einen externen Sektor kann eine Verbindung beider Ansätze erreicht werden: Akkumulation und Diffusion technologischen Wissens im Rahmen dynamischer Wettbewerbsprozesse sind das gemeinsame Erklärungsmodell sowohl für das Wachstum von Volkswirtschaften wie auch für die dynamische Struktur komparativer Vorteile; sie bilden das Fundament für eine sich abzeichnende "integrative Theorie weltwirtschaftlicher Wachstumsprozesse".3 Wenn das Wachstum einer Volkswirtschaft nun aber abhängig ist von ihrer Innovations- und Imitationsfähigkeit, dann deutet sich eine wichtige Implikation einer solchen integrativen Theorie ab: Die vom Solow-Modell prophezeite Konvergenz der p.c. Einkommen wird sich nicht als ein automatischer Prozeß einstellen, sondern abhängig von dem Potential einer Volkswirtschaft sein, an der auf der Verarbeitung technologischer Impulse beruhenden Wettbewerbsdynamik teilzunehmen. Nur wenn und insoweit die Offenheit einer Volkswirtschaft Investitionen der heimischen Unternehmen anregt, geht von der Liberalisierung ein Wachstumsimpuls aus: Insofern überrascht es auch nicht, daß sich im Gegensatz zur Voraussage des Solow-Modell realiter keine weltweite Konvergenz beobachten läßt, sondern nur eine partielle Konvergenz jener Länder, die an der weltwirtschaftlichen Wettbewerbsdynamik von Innovation und Imitation zu partizipieren in der Lage sind. Das Fehlen einer weltweiten Konvergenz zeigt, daß technologisches Wissen kein öffentliches Gut und schon gar kein "free lunch" ist - die Nutzung dieses Wissens auch als Imitator setzt Investitionen voraus. Die Endogenisierung des technischen Fortschritts als Funktion der Wettbewerbsdynamik von Innovation und Imitation ist daher nur ein Zwischenschritt auf dem Weg, das Wachstum und die Dynamik der komparativen Vorteile offener Volkswirtschaften zu erklären. Die eigentliche Herausforderung an die Theoriebildung bleibt dagegen weiter ungelöst: Es gilt, die Determinanten der Innovations- und ImitationsHihigkeit einer Volkswirtschaft sowie die Gründe für die Veränderung dieser Determinanten im Zeitablauf zu identifizieren. Erst wenn dies gelungen ist, wird das Phänomen des "catching-up, forging ahead and falling behind" einzelner Länder im Rahmen der Weltwirtschaft erklärt werden können.
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Vgl. den Beitrag von Bender in diesem Band. Vgl.: Rivera-Batiz (1996). S. 38.
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Elemente einer solchen "Meta-Theorie" sind dabei durchaus schon vorhanden, wobei deutlich wird, daß der Analyserahmen deutlich erweitert werden muß: Raumwirtschaftliche und sozio-ökonomische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie solche der politischen Ökonomie und der Institutionenlehre. 5 Innovation und Imitation sind zwar primär das Ergebnis gezielter Investitionsentscheidungen von Unternehmen; diese Entscheidungen finden jedoch nicht in Isolation statt, sondern sind eingebunden in sog. "Innovationssysteme", die definiert sind "by a specific pattern of technological accumulation, industrial structure, and by a peculiar set of institutions supporting and regulating technological change. ,,6 Die Quelle der Innovations- und Imitationsfähigkeit eines Unternehmens liegt nicht nur bei ihm selbst, sondern ist darüberhinaus geprägt von den Charakteristika der Strukturen, innerhalb derer es operiert. Die Ausstattung eines Landes mit Humankapital und R&D-Ressourcen zählt dazu ebenso wie die Gestaltung der Beziehungen der Unternehmen zueinander, die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Wachstum und technischem Fortschritt sowie die Gestaltung der politischen und ökonomischen Institutionen eines Landes. Der Begriff "Institutionen" ist dabei in einem weiten Sinn zu verstehen als die Gesamtheit der Organisationen, Normen und Regeln, die sich eine Gesellschaft gibt, um das Zusammenleben ihrer Mitglieder zu gestalten; er schließt also z.B. das Außenwirtschaftsregime und die Währungsordnung ein. Es ist die Tatsache, daß einige dieser Merkmale länderspezifisch und immobil sind, die die Existenz einer eigenständigen Disziplin der Außenwirtschaftslehre rechtfertigt. Unterschiede in Faktorausstattungen und Produktivität sind kein Spezifikum inter-nationalen Handels, sondern erklären z.B. ebenso gut inter-regionalen Handel. Was Staaten aus ökonomischer Sicht ausmacht, ist hingegen ihr spezifischer Entwicklungspfad, der ihre gesellschaftlichen Institutionen geprägt und sie mit individuellen sozio-kulturellen Merkmalen und Entwicklungsniveaus ausgestattet hat. Angesichts einer permanenten Veränderungen unterworfenen Umwelt ist dabei für das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft entscheidend, daß diese Strukturen flexibel genug sind, auf Veränderungen reagieren zu können. Hier hat offenbar die politische Ökonomie einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der Frage zu leisten, durch weiche institutionellen Arrangements das Risiko einer Verkrustung der Strukturen verringert werden kann. Außenwirtschaftliche Liberalisierung hat in dieser Hinsicht gleich eine zweifache Funktion: Nicht nur erhöht sie die Zahl der wachstumsfördernden Impulse, der sich eine Volkswirtschaft ausgesetzt sieht, sie erleichtert auch das Erreichen der zentralen
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Vgl. auch: Findlay (1996). S. 47. Archibugi / Pianta (1992). S. 2.
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Aufgabe der Wirtschaftspolitik, nämlich die heimische Volkswirtschaft flexibel für die Reaktion auf und die Verarbeitung von neuen Impulsen zu halten.' Ein letztes Element einer "Meta-Theorie" sollte nicht vergessen werden: Es ist nicht zu leugnen, daß der Entwicklungspfad einer Volkswirtschaft auch stochastischen Ereignissen unterworfen ist. Schumpetersche Dynamik ist eine evolutorische Dynamik, der eine quasi-mechanische Modellierung, so reiche Einsichten sie auch produzieren mag, nie vollständig gerecht werden kann. 8 Ein Ansatz, derartige diskontinuierliche Entwicklungspfade zu modellieren, sind die sog. "leapfrogging" Modelle. 9 Gerade die Tatsache, daß das jeweilige Innovationssysteme einer Volkswirtschaft durch die kumulativen Effekte einer bestimmten Spezialisierung geprägt ist, kann im Fall radikaler technologischer Veränderungen, sog. "Paradigmenwechsel", dazu führen, daß sich die Strukturen nicht an das neue Paradigma anpassen und die Volkswirtschaft überholt wird. Wie Brezis et al. zeigen, kann die Entscheidung, nicht zum neuen Paradigma zu wechseln, im Kalkül individueller Akteure durchaus rational sein kann; aufgrund eines Koordinationsproblems kann die individuelle Rationalität jedoch dazu führen, daß ein pareto-effizienteres Ergebnis verfehlt wird. 11. Raumwirtschaftliche Aspekte der Liberalisierung
Die stilisierten Fakten der Weltwirtschaft deuten, wie erwähnt, auf eine nur bedingte Konvergenz der Volkswirtschaften hin. Als Grund dafür muß gelten, daß sich die positive Wirkung des technischen Fortschritts offenbar nur zwischen Volkswirtschaften entfaltet, die ähnliche Strukturen aufweisen. Nun gibt es theoretisch einen engen Zusammenhang zwischen divergierenden Wachstumsprozessen und räumlichen Konzentrationsprozessen. Die Ungleichverteilung wirtschaftlicher Aktivität im Raum ist nur zu erklären, wenn man sich von den Annahmen konstanter Skalenerträge und vollkommenen Wettbewerbs löst und stattdessen die Existenz steigender Skalenerträge, von Transportkosten, externer Effekte und / oder räumlich differenzierter Faktormobilität berücksichtigt. Raumwirtschaftliche Phänomene beruhen mithin auf der Tatsache, daß Faktoren, die für die wirtschaftliche Entwicklung relevant , Schon Mancur Olson (1985) weist ja der außenwirtschaftlichen Liberalisierung explizit eine zentrale Rolle bei der Zerschlagung wachstumshemmender Verteilungskoalitionen zu. Lorenz (1995b) sieht in der Flexibilität der ostasiatischen NIes eine der Grundlagen für ihren Wachstumserfolg und stellt dies der Verkrustung der reifen Industriestaaten gegenüber. 8 So auch schon Lorenz (1967), S. 6l. 9 Vgl. das Modell von Brezis et al. (1993).
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sind, in ihrer Wirkung geographisch begrenzt sind. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß gerade zu einer Zeit, in der die zunehmende Liberalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Begriff der "Globalisierung" den Eindruck suggeriert, wirtschaftliche Aktivität sei ortsungebunden, sich raum wirtschaftliche Faktoren als strukturbildend für die Weltwirtschaft erweisen und zu räumlichen Konzentrationsprozessen führen. Die Weltwirtschaft würde aber im Zuge der Liberalisierung nur dann zu einem wirklich einheitlichen Wirtschaftsraum zusammenwachsen, wenn mit dem Abbau der handelsbeschränkenden Barrieren auch die politischen, kulturellen und historischen Eigenheiten der Länder verschwänden. 10 Während nun nicht zu leugnen ist, daß sich die jeweiligen nationalen Strukturen und Institutionen im Zuge von Integrationsprozessen verändern und langfristig einander annähern, so kann doch nicht negiert werden, daß die bestehenden Unterschiede ein großes Beharrungsvermögen aufweisen und damit strukturbestimmend wirken. Die Tatsache, daß trotz mehrerer Jahrzehnte der Liberalisierung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl die Struktur des Außenhandels als auch die der Direktinvestitionen deutlich geographische "Cluster" aufweist, spiegelt letztlich genau dies wider. Der entscheidende Parameter für die Intensität räumlicher Konzentrationsprozesse ist die "economic proximity". "Economic proximity" bezeichnet die Inverse der Tauschkosten zwischen zwei Wirtschaftseinheiten. Diese Tauschkosten umfassen wesentlich mehr als die klassischen Raumüberwindungskosten (Transport- und Kommunikationskosten); sie schließen vielmehr auch die Kosten der Anbahnung der Transaktion und die Kosten der Überwachung und Durchsetzung des Vertrages ein. Diese Kosten sind offenbar um so höher, je komplexer die Transaktion ist. Insofern überrascht es nicht, daß die Determinanten raumwirtschaftlicher Phänomene an Gewicht gewonnen haben: Je weiter sich die Struktur der internationalen Wirtschaftsbeziehungen von dem klassischen Modell einer einmaligen, arms , -length Transaktion entfernt, desto wichtiger werden die Aspekte der "economic proximity". In einer Welt differenzierter, technologieintensiver Güter gehen die Tauschkosten weit über die klassischen Raumüberwindungskosten hinaus: Es ist angesichts stark gesunkener Transport- und Telekommunikationskosten ein geringes Problem, Güter auch über große Entfernungen zum Konsumenten zu transportieren. Es ist aber sehr wohl ein Problem, über große Entfernungen Marketing-Aktivitäten zu steuern und zu kontrollieren, um den lokalen Besonderheiten gerecht zu werden; und es ist ebenso ein Problem, das vertragskonforme Verhalten ausländischer Partner zu kontrollieren, mit denen kom-
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Vgl.: Lorenz (l995a), S. 102.
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plexe Beziehungen vereinbart wurden, wie sie z.B. langfristige Lieferverträge, Produktionsnetzwerke und Lizenzfertigung darstellen. Das empirische Phänomen der Clusterbildung bei Außenhandel und Direktinvestitionen belegt dabei, daß Konzentrationsräume natürlich nicht zwingend und automatisch mit den Staatsgrenzen zusammenfallen: Letztlich sind Staatsgrenzen ja stets politisch, nicht ökonomisch determiniert. Es kann daher apriori keineswegs als selbstverständlich unterstellt werden, daß diejenigen Kräfte, die zu einer Konzentration wirtschaftlicher Aktivität im Raum führen, gerade an Ländergrenzen haltrnachen - und ebenso wenig kann unterstellt werden, sie würden sich genau bis an die Ländergrenzen ausdehnen. In einer liberalisierten Weltwirtschaft sind Nationen zwar strukturbestimmend, doch nicht mehr exklusiv, weil die "economic proximity" dominant wird gegenüber der "economic nationality". Mit anderen Worten: "A nation is not a region or a single location" .11 Das Konzept der "economic proximity" erlaubt aber nicht nur die Erklärung raum wirtschaftlicher Strukturen der Weltwirtschaft, sondern bildet, wie bereits angedeutet, auch die Verbindung zur Erklärung der Tatsache, daß Konvergenzprozesse in nur begrenztem Maße zu beobachten sind. Die Übertragung der Wachstumsimpulse aus der außenwirtschaftlichen Liberalisierung bedarf der Existenz von Transmissionskanälen. Wie stark diese Impulse sind, hängt davon ab, wie intensiv diese Kanäle genutzt werden und wie leistungsfähig die Kanäle hinsichtlich der Übertragung sind. In Analogie zu den aus der Außenhandelstheorie bekannten "Transportkosten vom Eisberg-Typ" steht zu vermuten, daß von einem gegebenen Impuls (bspw. einer Innovation) um so weniger bei einem potentiellen Imitator ankommt, je weiter er räumlich, institutionell und bezüglich des Entwicklungsniveaus vom Innovator entfernt ist. Wenn also die Strukturen einer Volkswirtschaft relevant sind für ihre Innovations- und Imitationsfähigkeit, welche ihrerseits Grundlagen für das Wachstumspotential dieser Volkswirtschaft sind, und wenn gleichzeitig einzelne Elemente dieser Strukturen länderspezifisch und immobil sind, dann ist es offenbar nicht verwunderlich, daß Wachstumsprozesse in einer liberalisierten Weltwirtschaft einhergehen mit räumlichen Konzentrationsprozessen. Dabei gilt es jedoch zu betonen, daß die "economic proximity" eine dynamische Größe ist, deren Veränderung nicht zuletzt eine positive Funktion der Intensität der außenwirtschaftlichen Verflechtung zweier Volkswirtschaften ist. Je intensiver und weitreichender die Kontakte zwischen den Akteuren zweier nationaler Wirtschaftsräume, desto größer wird die "economic proximity" zwischen beiden. Noch wichtiger ist in unserem Kontext jedoch
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Krugman (1991), S. 70: vgl. auch den Beitrag von Straubhaar in diesem Band.
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die Tatsache, daß Änderungen der "economic proximity" Einfluß auf die räumliche Verteilung wirtschaftlicher Aktivität haben. Dabei können insbesondere Konzentrationstendenzen, die durch die Relevanz von Tauschkosten ausgelöst wurden, abgeschwächt oder gar umgekehrt werden. 12 Ähnlich den "leapfrogging"-Modellen findet auch hier wieder ein ,,reversal of fortune" statt, welches zu einem Problem für die Gestaltung der Liberalisierungspolitik werden kann: War die Konzentration mit der Existenz von agglomerationsbedingten Renten verbunden, so werden sich die bisher von der Agglomeration begünstigten, immobilen Faktoren gegen eine weitere Liberalisierung wehren. Liberalisierungspolitik wird unter diesen Bedingungen zu einem intra- und internationalen Verteilungsproblem. ID. Konsequenzen für die Gestaltung der Liberalisierungspolitik Die Neufonnulierung der Außenhandelstheorie unter Berucksichtigung der Dynamik komparativer Vorteile und raumwirtschaftlicher Aspekte hat natürlich Konsequenzen für die Gestaltung der Liberalisierungspolitik. Knüpfen wir dabei zunächst an die Implikationen der Dynamik komparativer Vorteile an. Die zuvor beschriebene evolutorische Dynamik von Innovation und Imitation bedeutet, daß temporäre monopolistische Verfügbarkeiten durch die Diffusion bzw. den Innovationswettbewerb erodiert werden und durch neue Verfügbarkeiten ersetzt werden müssen. Der kritische Faktor für den Strukturwandel ist mithin die relative Geschwindigkeit von Innovations- und Imitationsprozessen. Erhöht sich die Veränderungsrate eines dieser Prozesse bei Konstanz der Geschwindigkeit des anderen, resultiert eine Anpassungsproblematik, deren Ausmaß abhängig ist von der Fähigkeit der betroffenen Region, ihre Innovations- bzw. Imitationsfähigkeit den neuen Bedingungen anzupassen. Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung sind nirgends mehr evident als am Beispiel des dramatischen Erfolgs der "Newly Industrializing Economies" (NIEs) in Südostasien beim Aufbau eines Exportpotentials sowie der Penetration der Märkte der alten Industrieländer. Dabei kann man sogar von einer simultanen, aber gegenläufigen Entwicklung beider Raten sprechen, i.e. die Imitationsfähigkeit dieser Länder ist angestiegen, während gleichzeitig die Innovationsfähigkeit der alten Industrieländer gesunken ist, was - wie Preuße feststellt - zu einer "Auszehrung der Wettbewerbs vorteile der alten Industrieländer" geführt hat. 13 Im Kern bestätigt Preuße damit empirisch die Voraussage des Krugman (1979) Modells, demzufolge aus Sicht des "Nordens" allein schon die Aufrechterhaltung des status quo eine Konstanz 12 13
Vgl.: Krugman / Venables (1995). Vgl.: Preuße (1991), S. 175.
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der Differenz von Innovations- und Imitationsrate erfordert; gelingt dies nicht, sind Wohlfahrtseinbußen die Folge. Die neoprotektionistischen Tendenzen, die seit den achtziger Jahren ein Kennzeichen des Weltwirtschaftssystems sind, reflektieren letztlich genau diese Entwicklung: Während einerseits versucht wird, die Diffusion neuen Wissens zu verhindern bzw. die Generierung von Innovationen in neo-merkantilistischer Manier durch staatliche Förderung zu beschleunigen, soll andererseits durch Protektion der Wettbewerbsdruck durch Imitatoren reduziert werden. Die Aussichtslosigkeit derartiger neoprotektionistischer Strategien ergibt sich logisch aus den obigen Überlegungen: Wenn die dynamischen Wohlfahrtseffekte der internationalen Arbeitsteilung das Ergebnis eines wettbewerbsinduzierten Prozesses von Innovation und Imitation sind, dann führt die Beseitigung dieses Wettbewerbsdruckes nicht nur zum Verzicht auf potentielle Wohlfahrtsgewinne, sondern durch die aus der Intervention resultierenden Verzerrungen zu statischen und dynamischen Wohlfahrtsverlusten. Der zweite wichtige Gesichtspunkt hinsichtlich der außenhandelspolitischen Konsequenzen ergibt sich in bezug auf die Entwicklungsproblematik. Das Aufholen weniger entwickelter Länder ist, wie gezeigt, kein automatischer Prozeß, sondern abhängig davon, daß eine Volkswirtschaft durch die Intensivierung der Wettbewerbsdynamik von den Wachstumsimpulsen der übrigen Volkswirtschaften profitieren kann. Ist die Lücke zwischen den Volkswirtschaften jedoch zu groß, wird der Wettbewerb nicht stimuliert, sondern eliminiert. In diesem Fall mag aus der Liberalisierung noch ein Niveaueffekt resultieren, weil der effizientere ausländische Anbieter den inländischen verdrängt; es findet jedoch keine Erhöhung der Wachstumsrate statt. Die erfolgreiche Integration weniger entwickelter Länder erfordert also, daß die Liberalisierung die Wettbewerbsdynamik aufrecht erhält. Dies bedeutet für die Gestaltung der Entwicklungspolitik, daß zum einen die Voraussetzungen für eine heimische Imitationsfähigkeit gegeben sein müssen und daß zum anderen eine marktbeherrschende Stellung eines ausländischen Anbieters verhindert werden muß. Soll die außenwirtschaftliche Liberalisierung dazu dienen, die Entwicklung des Landes zu ermöglichen, muß aber auch dafür gesorgt sein, daß die institutionellen Rahmenbedingen der jeweiligen Handeisordnung ein protektionistisches Verhalten der alten Industrieländer im o.g. Sinne verhindern. Profitierten die NIEs als "free-rider" noch von der halbwegs intakten Welthandelsordnung des GATT unter Führung der USA, so wird unter Umständen zukünftig der Erfolg aufholender Länder in der Absicherung ihres Zugangs zu Industrieländermärkten im Rahmen von regionalen Abkommen liegen. Die Europa-Abkommen und die NAFT A sind möglicherweise als Ausdruck einer derartigen "Verkürzung" der Nord-Süd-Problematik zu deuten. Durch die differenzierte Liberalisierung gegenüber einer kleinen Zahl aufholender Schwellenländer sinkt der Anpassungsdruck auf die alten Indu2 Festschrift Lorenz
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strieländer, wobei diese Strategie der selektiven Öffnung ergänzt wird durch den Aufbau einer weniger konfliktträchtigen komplementären Nord-SüdArbeitsteilung im Rahmen eines intra-regionalen Intra-firmen-Handels multinationaler Unternehmen. 14 Schließlich gilt es, Schlußfolgerungen aus der Existenz raumwirtschaftlicher Kräfte zu ziehen: Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß eine gewisse Regionalisierung der Weltwirtschaft im Zuge der fortschreitenden Liberalisierung offenbar eine logische Konsequenz der Existenz derartiger Kräfte ist und insoweit auch kein beunruhigendes Phänomen ist, welches die Grundlagen einer multilateralen Weltwirtschaftsordnung gefährdet. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der O.g. Sachverhalt, daß die Relevanz der "economic proximity" abhängig ist von der Natur, genauer dem Grad der Komplexität des Sachverhaltes, der Gegenstand der Integration ist. Zukünftige Liberalisierungspolitik wird sich bekanntermaßen mit Aspekten der sog. "deeper integration" zu befassen haben, also der Regelung von "behind the border" Politiken. Die Gestaltung nationaler (Wirtschafts-)Politik und nationaler Institutionen sind wichtige Determinanten für die Außenhandelsstruktur eines Landes. Sie bilden daher grundsätzlich eine weitere Quelle komparativer Vorteile eines Landes und ermöglichen - sofern unterschiedliche Systeme gegenseitig anerkannt werden -, die Vorteile des Wettbewerbs zwischen diesen Systemen auszunutzen. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, daß diese komparativen Vorteile das Ergebnis einer politischen Entscheidung sind, was potentiell die Gefahr impliziert, daß der Wettbewerb der Systeme unfair geführt wird bzw. als unfair empfunden wird. Im Gegensatz zu traditionellen Handelsbarrieren besteht bei Aspekten der "deeper integration" kein Konsens darüber, wo legitime Bereiche nationaler Politik und sozio-kulturelle Unterschiede enden und wo verzerrende, staatlich-induzierte Barrieren beginnen. Wenn sich daraus resultierende Konflikte als so gravierend herausstellen, daß sie die Aufrechterhaltung des liberalen Handels gefahrden, kann sich trotz aller Risiken eine Harmonisierung der nationalen Politiken als nötig erweisen. Diese zu erreichen, wird um so leichter fallen, je näher die Volkswirtschaften im Sinne der "economic proximity" beieinander liegen - hier mag ein weiterer Grund für eine künftige Superiorität regionaler Liberalisierungsstrategien liegen. 15 Es wäre jedoch fahrlässig, nicht auch das Konfliktpotential anzuerkennen, welches aus dem Wirken raumwirtschaftlicher Kräfte resultiert: Integration impliziert unter diesen Bedingungen die Gefahr, daß die Verteilung der Vgl.: Lorenz (l995a), S. 104; vgl. auch den Beitrag von Thiel in diesem Band. Vgl. aber den Beitrag von Berthold I Donges in diesem Band, die die potentielle Gefahr einer protektionistischen Wirkung des Regionalismus erörtern. 14
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Integrationsgewinne auf die einzelnen Teile des Integrationsraumes stark divergiert bzw. in extremis einzelne Teilregionen Integrationsverluste realisieren. Beides gefährdet langfristig den Bestand der Integrationsgemeinschaft und der liberalen Ordnung. Die Integrationspolitik ist daher aufgefordert, Mechanismen zu entwickeln, die eine zu starke Ungleichverteilung der Integrationsgewinne verhindern bzw. korrigieren. Die Aufforderung, distributive Aspekte bei der Formulierung der Liberalisierungspolitik zu berücksichtigen, ist dabei kein Plädoyer für eine simple Transfergemeinschaft, bei der der Streit über distributive Aspekte das Ziel der allokativen Effizienz in den Hintergrund treten läßt. Die Etablierung eines Transfersystems impliziert stets das Risiko einer Gewöhnung der Akteure an den Empfang von Transferleistungen und führt zu einer Verzerrung der Anreizstrukturen, der sich diese Akteure gegenübersehen. Transfers können nie ein Ersatz sein für die notwendige Flexibilität einer Volkswirtschaft, sich den veränderten Parametern einer dynamischen Weltwirtschaft anzupassen. Der Gefahr möglicher negativer Effekte durch unvollkommene Transferelemente ist jedoch in der Tat die Gefahr neoprotektionistischer Maßnahmen gegenüberzustellen, mit denen Staaten anderenfalls ihre - realiter nun einmal vorhandenen - distributiven Interessen zu schützen suchen würden. IV. Überblick über die Beiträge
Viele der oben aufgeworfenen Fragen sind sowohl aus theoretischer wie auch aus empirischer Sicht Gegenstand des vorliegenden Bandes. Ausgehend von der partiellen Unvereinbarkeit empirischer Fakten mit Grundaussagen der neoklassischen Außenhandels- und Wachstumstheorie entwirft Dieter Bender die Grundzüge eines "integrativen Modells weltwirtschaftlichen Wachstums" als Fusion von Außenhandels-, Wachstums- und Entwicklungstheorie. Dieses basiert zum einen auf dynamischen Außenhandelsmodellen, die ein Ergebnis Schumpeterscher Wettbewerbsprozesse sind, zum anderen auf den Erkenntnissen der neuen Wachstumstheorie. Bender identifiziert konsequenterweise die Investitionsquote, die F&E / BIP-Quote sowie den Humankapitalbestand einer Volkswirtschaft als die entscheidenden Parameter für die Erklärung von Innovations- und Imitationsprozessen. Eine wichtige Konsequenz seiner Überlegungen ist die Ablösung der traditionellen Differenzierung in Industrieund Entwicklungsländer, an deren Stelle die Differenzierung zwischen Technologieführungs-, Aufhol- und Armutsländer tritt. Diese neue Klassifizierung ist mit den empirischen Phänomenen nur bedingter Konvergenz und dynamischen Verschiebungen komparativer Vorteile offenbar besser zu vereinbaren als die grob vereinfachende Nord-Süd-Perspektive der traditionellen Theorie.
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Norbert Berthold und Martfn Donges untersuchen aus Sicht der politischen Ökonomie, ob Regionalismus zu mehr oder weniger Protektion führen wird. Dabei bereichern sie die traditionelle Debatte über diese Frage durch die explizite Berücksichtigung des durch private Akteure, genauer: die multinationalen Unternehmen, vorangetriebenen Prozesses der Globalisierung, der sich simultan zur Bildung regionaler Abkommen vollzieht. Nach Berthold / Donges führt regionale Integration nicht zwingend zu einem höheren Protektionsniveau, eine Tendenz dazu ist jedoch latent vorhanden. Die Berücksichtigung multinationaler Unternehmen bildet keine Garantie für ein liberales Ergebnis, macht dieses in der Tendenz jedoch wahrscheinlicher. Thomas Straubhaar befaßt sich in seinem Beitrag mit der Frage, welche Bedeutung die Auflösung des Nationalstaates im Zuge der Globalisierung aus außenwirtschaftstheoretischer und -politischer Sicht hat. Besondere Beachtung gilt dabei der Unterscheidung der Konsequenzen der Globalisierung für mobile und immobile Akteure, wobei der Unterschied im Mobilitätsgrad an die Stelle der traditionellen Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Akteuren tritt. Die Beiträge von Langhammer, Klenner und Maull befassen sich speziell mit der Region (Süd-)Ostasien. Rolf J. Langhammer greift die alte Debatte um die "fallacy of composition" auf und verleiht ihr vor dem Hintergrund des Wachstumserfolges der (süd-)ostasiatischen Schwellenländer einen neuen Fokus: Ist dieser Erfolg auf die Weltrnarktorientierung dieser Länder zurückzuführen oder war die bloße Faktorallokation Triebfeder des Wachstums? Langhammer argumentiert, daß alle empirischen Untersuchungen die These stützen, daß TFP-Wachstum nicht die primäre Triebkraft des Wachstums in (Süd-)Ostasien war, und fragt, welche Konsequenzen sich daraus für die zukünftige Wachstumsperformance dieser Länder ergeben, wenn man die Grenzen der Faktorakkumulation berücksichtigt, die sich aus der Entwicklung wichtiger Parameter wie z.B. den demographischen Veränderungen und dem Strukturwandel hin zu kapitalintensiveren Industrien ergeben. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Japan und China vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Entwicklungsprozesse in Ost- und Südostasien ist das Thema des Beitrages von Wolfgang Klenner. Klenner plädiert dafür, Entwicklungsprozesse eines Landes explizit unter dem Gesichtspunkt seiner Interaktion mit anderen Ländern zu betrachten, wobei deren Aktionen direkt und nicht nur passiv als Umfeldparameter wirken. Als analytischen Rahmen schlägt Klenner in diesem Sinne das "flying geese" Konzept vor. Der Beitrag diskutiert zunächst separat die Entwicklungschancen Japans und Chinas; Japans Wachstumsperspektiven werden dabei aufgrund der Flexibilität und Dynamik der japanischen Volkswirtschaft trotz wachsender Konkurrenz
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anderer asiatischer Staaten positiv eingeschätzt. Bei China ist laut Klenner im Hinblick auf das gesamte Land eine Einbindung in eine spezifisch asiatische Entwicklungsformation nicht zu erkennen, wohl aber gibt es auf regionaler Ebene Tendenzen dazu. Skeptisch ist Klenner jedoch bezüglich der Intensivierung der Beziehungen zwischen Japan und China, da trotz einer Komplementarität der komparativen Vorteile auf ökonomischer Ebene Konkurrenz auf politischer Ebene besteht. Hanns W. Maul! argumentiert, daß die Regionalisierungstendenzen im asiatisch-pazifischen Raum vor dem Hintergrund eines simultanen Prozesses eines dynamischen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft einerseits und politischer Fragilität andererseits gesehen werden müssen. Formale Integration (Regionalismus) dient in dieser Region dazu, einen stabilen politischen Ordnungsrahmen für die zunehmende, durch private Akteure initiierte und forcierte regionale Arbeitsteilung (Regionalisierung) zu schaffen. Anhand der Teilregionen ASEAN, pazifisches Asien und APEC untersucht Maull diese simultane Dynamik wirtschaftlicher und politischer Integration anhand der wirtschaftlichen, der (sicherheits-) politischen sowie der sozialen und kulturellen Dimension.
Die Fusion ökonomischer und politischer Aspekte steht auch bei Elke Thiel im Vordergrund, die die Besonderheiten heterogener Integrationsgemeinschaften untersucht. Heterogenität bezieht sich dabei insbesondere auf die Integration von Volkswirtschaften unterschiedlicher Entwicklungsniveaus und unterschiedlicher ordnungspolitischer Systeme sowie auf die Frage währungsund makroökonomischer Ungleichgewichte. Im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung zwischen EU einerseits und NAFT Asowie (Süd-)Ostasien andererseits wird dabei anhand der genannten Heterogenitäts-Dimensionen gezeigt, wie sich im Ansatz regionaler Integration politisch-institutionelle und marktwirtschaftliehe Prozesse verbinden und regionale Integration als Antwort auf die Steuerungsdefizite des globalen Systems verstanden werden kann. Wolfgang Harbrecht schließlich wirft die Frage auf, ob Globalisierung und soziale Marktwirtschaft kompatibel sind. Aufbauend auf der Erkenntnis, daß soziale Marktwirtschaft kein statisches, sondem ein grundSätzlich anpassungsfähiges System ist, bejaht Harbrecht diese Frage, betont aber gleichzeitig die Notwendigkeit einer Anpassung der Strukturen an das durch die Globalisierung veränderte weltwirtschaftliche Umfeld. Harbrechts Argumentation basiert dabei auf der systemimmanenten Instabilität des Systems soziale Marktwirtschaft, die sich aus der Beeinträchtigung des Zieles allokativer Effizienz durch die Verfolgung distributiver Ziele ergibt. Anhand intertemporaler und intemationaler empirischer Daten untersucht der Beitrag sowohl die Beziehung zwischen dem Niveau an sozialer Sicherung und dem Einkom-
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Norbert Berthold und Bernhard Speyer
mensniveau als auch die Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und einem ,,social Market Economy"-Index und diskutiert daraus möglicherweise abzuleitende Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. V. Literatur Archibugi, Daniele / Pianta, Mario (1992): The Technological Specialization of Advanced Countries, Dordrecht. Brezis, Elise S. / Krugman, Paul / Tsiddon, Daniel (1993): Leapfrogging in International Competition: A Theory of Cycles in National Technological Leadership, in: AER, Vol. 83, S. 1211-1219. Findlay, Ronald (1996): Modelling Global Interdependence: Centers, Peripheries, and Frontiers, in: AER, P&P, S. 47-51. Grossman, Gene M. / Helpman, Elhanan (1991): Endogenous Product Cycles, in: EJ, Vol. 101, S. 1214-1229. Krugman, Paul (1979): A Model of Innovation, Technology Transfer and the World Distribution of Income, in: JPE, Vol. 87, S. 253-266. (1991): Geography and Trade, Cambridge, Ma.
Krugman, Paul / Venables, Anthony (1995): Globalization and the Inequality of Nations, in: QJE, Vol. CX, S. 857-888. Larenz, Detlef (1967): Dynamische Theorie der internationalen Arbeitsteilung, Berlin. (1995a): The Relevance of Large Economic Areas for the Development and Efficiency of the World Economy, in: Journal of Asian Economics, Vol. 6, S.101-111. (1995b): Lebensstandard und Wirtschaftssystem: Das Beispiel der vier "Tiger" Ostasiens, in: Fischer, W. (Hrsg.): Lebensstandard und Wirtschaftssysteme, Frankfurt/M., S. 639-677.
Olson, Mancur (1985): Aufstieg und Niedergang der Nationen, Tübingen. Preuße, Heinz Gert (1991): Handelspessimismus - alt und neu, Tübingen. Rivera-Batiz, Francisco L. (1996): The Economics of Technological Progress and Endogenous Growth in Open Economies, in: Koopman, G. / Scharrer, H.-E.: The Economics of High-Technology Competition and Cooperation in Global Markets, Baden-Baden, S. 31-62.
Technologische Potentiale, internationale Arbeitsteilung und Entwicklung Dieter Bender
I. Problemstellung In diesem Beitrag soll ein Urteil über den Stellenwert der neuen Wachstums- und Außenhandelstheorie gefunden werden, die auf jene Herausforderungen der traditionellen Theorie reagiert, welche vor ca. 30 Jahren maßgeblich auch von Detlef Lorenz formuliert wurden. In seiner 1967 erschienenen Kritik der statischen Substitutionsmodelle traditioneller Außenhandelstheorien wird die Dynamik komparativer Vorteile der entwickelten Länder beleuchtet, die "nur Ausdruck einer rein zeitbedingten und -gebundenen Überlegenheit sind"l. Daraus wird eine dynamische Interpretation des Entwicklungsprotektionismus gefolgert. Erziehungsschutz "soll den Anstoß geben für eine grundsätzlich als realisierbar angesehene Nachahmung">' die komparative Vorteile der entwickelten Länder abbaut oder sogar in komparative Nachteile umwandelt. Dynamik wird dabei nicht im Sinne eines dynamischen deterministischen Gleichgewichtsmodells verstanden, sondern als dynamischer internationaler Wettbewerbsprozeß im Sinne von Schumpeter interpretiert. Damit wendete sich Lorenz gegen den handelstheoretischen Monopolanspruch neoklassischer Substitutionsmodelle, in denen immer die gleichen Güter zur Auswahl stehen, die in allen Welthandelsländern produziert werden können. Aus seiner Sicht erkennt ein solcher Ansatz weder das Auftreten neuer Güter, noch Verlagerungen der Produktionsstandorte älterer Güter, die in ehemaligen Exportländem Ausfuhrkapazitäten vernichten. Nicht statische Strukturen substitutiver internationaler Arbeitsteilung, sondern dynamische Strukturen komplementärer Arbeitsteilung, die monopolistische Marktstrukturelemente enthalten, sind vorherrschend. Doch alle "Versuche, die Außenhandelstheorie durch Berück-
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Larenz (1967), S. 51. Larenz (1967), S. 51.
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Dieter Bender
sichtigung anderer Marktfonnen als der der vollständigen Konkurrenz zu erweitern, haben sich bisher als wenig erfolgreich erwiesen".3 Wo stehen wir heute, 30 Jahre nach dieser Kritik? Vier Fragen sollen eine Positionsbestimmung leiten: (1) Welche stilisierten Fakten können die in den letzten 20 Jahren hervorgetre-
tene Dynamik weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und Wachstumsprozesse adäquat widerspiegeln?
(2) Ist das neoklassische Design der Außenhandels- und Wachstumstheorie vor diesem Hintergrund ein Auslaufmodell oder kann der Ansatz durch Reinterpretation erklärungskräftig gehalten werden? (3) Welche Faktoren bestimmen technologische Führungspositionen, Auf-
holprozesse und Rückschrittsprozesse und die damit verbundene Dynamik internationaler Wettbewerbspositionen ?
(4) Schließlich ist die Frage nach den wirtschaftspolitischen Implikationen der sich abzeichnenden Erneuerung von Wachstums- und Außenhandelstheorie zu stellen: Sind dynamische komparative Vorteile und technologische Aufholprozesse wirtschaftspolitisch gestaltbar? Welche Verantwortung trägt die staatliche Wirtschaftspolitik bei der Förderung technologischer Innovationen, wirtschaftlicher Aufholprozesse oder technologischer Rückständigkeit? 11. Stilisierte Fakten zur Dynamik internationaler Arbeitsteilung und weltwirtschaftlicher Wachstumsprozesse
In den letzten Dekaden ist der Welthandel stets stärker expandiert als die Weltproduktion. 1976 bis 1985 nahm das reale Weltsozialprodukt um 39 v.H. zu, der reale Weltexport stieg dagegen um 52 v.H., also um das 1.3-fache der weltwirtschaftlichen Wachstumsrate. 1986 bis 1995 hat sich diese Schere noch weiter geöffnet: Die Weltproduktion stieg um 37 v.H., der Welthandel um 96 v.H., das 2.6-fache der globalen Produktionswachstumsrate4 • Der starke Anstieg der Weltexportquote deutet darauf hin, daß sich die Intensität der internationalen Arbeitsteilung in zwei Dekaden verdoppelt hat. Dieser Prozeß internationaler Gütennarktintegration war von einem bemerkenswerten Anstieg der internationalen Finanz- und Sachkapitalmobilität begleitet.
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Lorenz (1967), S. 101. Vgl.: Institut der deutschen Wirtschaft (1996).
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Der Strukturwandel der Weltarbeitsteilung und die Wachstumsdivergenzen, die von diesem globalen Bild zunächst verdeckt werden, können in stilisierten Fakten zusammengefaßt werden. Die erste Gruppe beleuchtet mit fünf Beobachtungen bemerkenswerte Verschiebungen der Welthandelsstrukturen: (1) Der Anteil des traditionellen Handels mit Ricardo- und Heckscher-OhlinGütern ist zurückgegangen; der Welthandelsanteil von technologisch anspruchsvolleren, qualifIkationsintensiveren Waren, die zum Teil als Produktzyklus-Güter klassiflzierbar sind, ist gestiegen. (2) Der gestiegene Anteil des intraindustriellen Außenhandels reflektiert den zunehmenden Einfluß von horizontaler und vertikaler Produktdifferenzierung sowie von Skalenvorteilen auf die Struktur der internationalen Arbeitsteilung. (3) Produktionsverlagerungen und Outsourcing global operierender Unternehmen haben das relative Wachstum des internationalen Handels mit qualifikationsintensiven Dienstleistungen gefördert. (4) Weltrnarktanteile haben sich zu Gunsten der fernöstlichen jungen Industrieländer (Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan) und einer zweiten Generation aufholender Entwicklungsländer (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand) verschoben. Als Angehörige einer dritten Generation aufstrebender Entwicklungsländer befInden sich China und Indien auf dem Weg zu höheren Weltexportanteilen. Dies hat vor allem den übrigen Entwicklungsländern, insbesondere des afrikanischen Kontinents, erhebliche Marktanteilsverluste gebracht, während die reichen Industrieländer ihren 1970-er Weltexportanteil bis 1990 verteidigen konnten, im letzten Jahrfünft aber mit einem Verlust von vier Prozentpunkten auf ihren Weltmarktanteil von 1960 zurückgeworfen wurden'. (5) Im Exportproduktsortiment aufstrebender Schwellen- und Entwicklungsländer sind mit zunehmender Tendenz qualitativ höherwertige und technologisch relativ anspruchsvolle Produkte zu fInden, ein Indiz, daß diese Länder auf der Qualitäts- und Technologieleiter nach oben steigen. Die zweite Gruppe stilisierter Fakten läßt sich in vier Beobachtungen weltwirtschaftlicher Wachstumsprozesse zusammenfassen: 6 (1) Die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens war in den Ländern mittleren Einkommens (MIC) höher und in den Ländern niedrigen Einkommens (LIC) - bei teilweise sogar negativen Werten - geringer als in , Vgl.: Institut der deutschen Wirtschaft (1996). 6 Vgl.: Syrquin (1994), S. 6-10; Frattiani / Huang (1995), S. 62-86.
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den Hocheinkommensländern (HIC). Oberhalb kritischer Einkommensschwellen waren also konvergente Wachstumsprozesse zu beobachten (OECD-Länder gegenüber USA, ostasiatische Länder in den 70-er bis 90er Jahren). Unterhalb davon waren die Wachstumsprozesse divergent (in den meisten AKP-Ländern), generierten also wachsenden Rückstand gegenüber MIC und HIC. Kurz formuliert: Es gab lokale aber keine globale Konvergenz. (2) Das BIP-Wachstum in Hocheinkommensländern war überwiegend auf den Beitrag der Wachstumsraten der totalen Faktorproduktivität zuruckzuführen, der Wachstumsbeitrag der Kapitalintensivierung war relativ gering. (3) Das BIP-Wachstum in Mitteleinkommensländern resultierte aus Produktivitätswachstum und Kapitalintensivierung, wobei letztere einen größeren Wachstumsbeitrag als in den Hocheinkommensländern leistete (Grenzprodukt des Kapitals höher als in HIC). (4) Das BIP-Wachstum in Niedrigeinkommensländern wurde durch zu schwache Kapitalintensivierung und relative technologische Stagnation gehemmt. Im Lichte dieser stilisierten Fakten dynamischer Prozesse internationaler Arbeitsteilung und weltwirtschaftlichen Wachstums erscheint die überkommene Länderklassiflkation in die Gruppen der Industrie- und Entwicklungsländer diffus und nicht trennscharf. Es wird daher eine zeitgemäßere dynamische und operationale neue Ländergruppeneinteilung in Technologieführungsländer, Aufholländer und Armutsländer vorgeschlagen. Technologieführer sind die Ursprungsländer technologischer Innovation. Länder im Aufholprozeß adoptieren Technologien, die anderswo entwickelt wurden und expandieren auf einem konvergenten Wachstumspfad. In Armutsländern reicht das technologische Potential nicht aus, um Aufholprozesse in Gang zu setzen. Für die Armutsländer bedeutet dies selbst dann, wenn sie ein moderates Wirtschaftswachstum erreichen können, zunehmende Einkommensdisparität.
m. Neoklassische Tradition der Außenwirtschaftsund Wachstumstheorie
Das Unbehagen am Stand der Außenwirtschafts- und Wachstumstheorie der 50-er und 60-er Jahre hat Detlef Lorenz7 schon früh eindrucksvoll ausformuliert. Außenhandels-, Wachstums- und Entwicklungstheorie erschienen damals als Anbieter verschiedenartiger, unverbundener Modelle zur Klärung 7
Vgl.: Lorenz (1967).
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unterschiedlicher, scheinbar nicht zusammenhängender Problemstellungen. Sie produzierten Hypothesen für segmentierte Wissensmärkte, ohne sich gegenseitig wesentlich zu beeinflussen. Die Theorie der internationalen Arbeitsteilung wurde beherrscht von klassisch-neoklassischen Modellen einer stationären Weltwirtschaft im allgemeinen Gleichgewicht internationaler Märkte polypolistischer Konkurrenz. Die Theorie wirtschaftlicher Wachstumsprozesse entwarf im marktbeherrschenden neoklassischen Solow-Modell das Bild eines langfristigen Wachstumsgleichgewichts mit stationärer Kapitalausstattung pro Arbeitskraft und einer der gesamten Welt von der Natur als freies Gut geschenkten technischen Fortschrittsrate. Diesem "steady state" sollten alle Länder zustreben, deren Rahmenbedingungen marktwirtschaftliche Preisbildungsprozesse und damit Konkurrenzgleichgewichte auf Güterund Faktormärkten gewährleisteten. Von diesen Paradigmen kaum beeinflußt, operierte die Entwicklungsökonomik weit unterhalb des formalen Anspruchsniveaus einer geschlossenen Theorie mit eklektischen, zum Teil widersprüchlichen Ansätzen. Oft benutzen sie das keynesianische HarrodDomar-Wachstumsmodell mit konstanten Kapitalkoeffizienten zur Begründung eines entwicklungsplanerischen Optimismus oder Pessimismus. Die Diskrepanzen zwischen neoklassischer Tradition der Außenwirtschaftsund Wachstumstheorie und den stilisierten Fakten zur Dynamik weltwirtschaftlicher Austausch- und Wachstumsprozesse sind offenkundig. Die traditionelle klassisch-neoklassische Handelstheorie erklärt den Teil des internationalen Güterhandels, der rückläufig ist. Sie kann den anderen Teil, der zugenommen hat und wesentlich bedeutsamer geworden ist, nicht befriedigend erklären. Die traditionelle neoklassische Wachstumstheorie teilt mit ihrer handelstheoretischen Schwester die Annahme, daß in allen Ländern übereinstimmende Produktionsfunktionen verfügbar sind. Damit wird auch die exogene technische Fortschrittsrate ein allen Ländern zugängliches freies Gut, mit der Folge globaler Konvergenz. Globale Konvergenz bedeutet, daß ein Land um so schneller wächst, je weiter es vom "steady state" (in dem alle Länder gleiche Wachstumsraten aufweisen) entfernt ist. Niedrigeinkommensländer - so lautet die optimistische Botschaft traditioneller neoklassischer Wachstumsmodelle - können gegenüber Hocheinkommensländern aufholen, wenn sie Zugang zu den vorhandenen Produktionstechnologien haben. Für diese "catching-up"-Hypothese einer negativen Korrelation von Pro-KopfEinkommens-Wachstumsrate und Pro-Kopf-Einkommen einer Basisperiode gibt es aber keine klare empirische Evidenz. Die Hypothese konnte nur im Sinne lokaler und bedingter Konvergenz für bestimmte Ländergruppen bestätigt werden. Es konnten also nur bestimmte Ursachen lokaler Konvergenz aufgedeckt werden, nicht aber konnte das Ausbleiben globaler Konvergenz und damit auch nicht die Frage nach den Ursachen dauerhaft unterschiedlicher Wachstumsraten der Welthandelsländer erklärt werden. Die Grundfrage,
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warum mancbe Länder aufholen und andere Länder zurückfallen, blieb ungeklärt. In dieser Tradition hatten die Wachstums- und Außenhandelstheorie entwicklungsökonomisch unfruchtbare Felder bearbeitet. Der Optimismus der neoklassischen Konvergenzhypothese verstellt den Blick auf die Ursachen, die Annutsländer in der Annutsfalle gefangen balten. Der stationäre Cbarakter des klassisch-neoklassischen Handelsmodells verstellt den Blick auf die Ursachen dynamiscber Verschiebungen komparativer Vorteile, die in Aufholländern Triebfedern aufholender Wachstumsprozesse und in tecbnologiscb führenden Ländern Quellen der Innovationsdynamik sind. Soweit zur Vergangenbeitsbewältigung. Der Blick in die Gegenwart verspricht Hoffnung. Die in den 80-er und 90-er Jabren geschaffenen Beiträge zur Endogenisierung technologiscber Entwicklung weisen den Weg zu einer Integration von Außenhandels-, Wachstums- und Entwicklungstheorie. Führt dies zu einem Paradigmenwechsel oder sind die auf eine erweiterte Reinterpretation setzenden Wiederbelebungsversucbe neoklassischer Ansätze erfolgversprechend? Führt der wissenschaftlicbe Innovationswettbewerb zu einem Sieg der Schumpeter-Tradition über die Ricardo-Oblin-Solow-Tradition? IV. Determinanten technologischer Führungspositionen, autbolender Wachstumsprozesse und technologischer Rückständigkeit 1. Bedingungen aufholenden Wachstums
Der neue integrative Ansatz von Wachstumsmodellen mit endogenem tecbnischem Fortschritt soll in einer repräsentativen Wachstumsfunktion zusammengefaßt werden: WRPKE = WRPKE (PKE (0), INVQ, WRB, WRTFP (FEINVQ, HK (0), Z» + WRPKE: PKE(O): INVQ: WRB: WRTFP:
FEINVQ: HK (0): Z: + (-):
+
+
+
Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens Pro-Kopf-Einkommen der Basisperiode (z. B. 1960) (Ausrüstung) Investitionsquote, Ausrüstungsinv. in v.H. des BIP Bevölkerungswachstumsrate Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität, technische Fortschrittsrate F + E-Inv. in v.H. des BIP Humankapitalausstattung der Basisperiode (z.B. 1960) Vektor wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen positive (negative) Korrelation
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Die ersten drei Argumente der Wachstumsfunktion sind die neoklassischen Wachstumsdeterminanten, die nun zur Erklärung der Wachstumsdynamik des Übergangsprozesses außerhalb des steady-state-Gleichgewichts beitragen: Der erste Einflußfaktor erfaßt die als Aufholpotential zu verstehende bedingte Konvergenz: Je weiter ein Land vom steady state entfernt ist, um so schneller kann es wachsen. Der zweite Einflußfaktor beeinflußt die Aufholgeschwindigkeit: Je mehr (weniger) ein Land investiert, um so stärker wird das aufholende Wachstum beschleunigt (abgebremst). Die Wachstumsfunktion enthält nun auch eine technische Fortschrittsfunktion, die den im Solow-Wachstumsmodell als Residualfaktor erscheinenden technischen Fortschritt endogenisiert: Ein wachsender Humankapitalbestand fördert die Adoption fortgeschrittener ausländischer Technologien und eigene technologische Verbesserungen, so daß die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität steigt.' Je mehr bei gegebenem Humankapitalbestand in technologische Imitation oder Innovation investiert wird, um so höher wird die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität ausfallen. Der Z-Vektor schließlich muß mit wirtschaftspolitischen Indikatoren besetzt werden, die positive oder negative Einflüsse ausüben. Hier fehlt es noch weitgehend an der theoretischen und empirischen Absicherung entsprechender Hypothesen, so daß dieses Feld von kontroversen Vermutungen beherrscht wird. 9 Immerhin gibt es auch bereits Nachweise positiv wirkender Rahmenbedingungen wie weltwirtschaftliche Öffnung durch Handelsliberalisierung und internationale Kapitalmobilitäeo, stabile marktwirtschaftliche Grundorientierung" und makroökonomische Stabilität. Dieser Bestandteil eines endogenen Wachstumsmodells erklärt Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit aufholende Wachstumsprozesse über-
• Vgl.: Benhabib I Spiegel (1994). 9 Siehe hierzu Abschnitt V. 10 Vgl.: Edwards (1992); Barro I Mankiw I Sala-I-Martin (1995); Gundlach (1996); Überblick bei Frenkell Trauth (1996). 11 Vgl.: Klump I Reichel (1994); Klump (1995).
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WRPKE >0
o
PKE (0)
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