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German, English, French Pages 308 [310] Year 2009
HELMUT REIMITZ/BERNHARD ZELLER (HG.) VERGANGENHEIT UND VERGEGENWÄRTIGUNG
ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN P H I L O S O P H I S C H - H I S TO R I S C H E K L A S S E DENKSCHRIFTEN, 373. BAND
FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS BAND 14
HERAUSGEGEBEN VOM INSTITUT FÜR MITTELALTERFORSCHUNG
ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN P H I L O S O P H I S C H - H I S TO R I S C H E K L A S S E DENKSCHRIFTEN, 373. BAND
FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS BAND 14
Vergangenheit und Vergegenwärtigung Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur HERAUSGEGEBEN VON HELMUT REIMITZ / BERNHARD ZELLER
Vorgelegt von w. M. WALTER POHL in der Sitzung am 15. Dezember 2006
Umschlaggestaltung: Dagmar Giesriegl
Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.
Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-7001-3825-9 Copyright © 2009 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien Gesamtherstellung: Grasl Druck & Neue Medien, Bad Vöslau http://hw.oeaw.ac.at/3825-9 http://verlag.oeaw.ac.at
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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THOMAS WALLNIG Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“ von Bernhard Pez (1715). Beobachtungen und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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DANIELA RANDO Venedigs „Früh“- Mittelalter in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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DANIELA SAXER Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament: Die Geschichtspolitik eines schweizerischen Quellensammlungsunternehmens (1850–1880) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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AGNÈS GRACEFFA Race mérovingienne et nation française: les paradoxes du moment romantique dans l’historiographie française de 1815 à 1860. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BONNIE EFFROS Artistic, scholarly, and popular depictions of the ‘première race’ in late nineteenth-century France . . . .
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IAN WOOD The Panthéon in Paris: lieu d’oubli. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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COURTNEY M. BOOKER Histrionic history, demanding drama: The penance of Louis the Pious in 833, memory, and emplotment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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STEFAN ESDERS Verfassungsgeschichte im deutschen Kaiserreich: Wilhelm Sickel (1847–1929) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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JENS SCHNEIDER Deutsche Lieder? Die romantische Gegenwart des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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STEFAN DONECKER Verweise auf Antike und Frühmittelalter in frühneuzeitlichen Abhandlungen zum Baltikum. Zur Diskursivität europäischer Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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STEFAN DONECKER, ROLAND STEINACHER Der König der Schweden, Goten und Vandalen. Königstitulatur und Vandalenrezeption im frühneuzeitlichen Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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STERGIOS LAITSOS Die Konstruktion der Vlachen von 1640 bis 1720 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
PETER ŠTIH Suche nach der Geschichte oder Wie der karantanische Fürstenstein das Nationalsymbol der Slowenen geworden ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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PAVLÍNA RYCHTEROVÁ Die Anfänge des tschechischen Mittelalters und ihre Rolle beim Aufbau der nationaltschechischen Identität im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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JURAJ ŠEDIVÝ Die slowakische Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts auf der Suche nach „ihrem“ Frühmittelalter
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PRZEMYSŁAW URBAŃCZYK Early Slavs and modern Poland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse eines vom 2. bis 4. Mai 2005 in Wien vom Institut für Mittelalterforschung veranstalteten Symposions vor, das auch einen neuen Veranstaltungsschwerpunkt des Instituts zu „Vergangenheit und Vergegenwärtigung. Mittelalter und Europäische Erinnerungskultur“ eröffnete. Im Mittelpunkt dieses Veranstaltungsschwerpunkts steht die Frage, welche Rolle die mittelalterliche Vergangenheit im Verlauf der langen Geschichte von Vergegenwärtigungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart spielte. Damit setzt der Veranstaltungs- und Forschungsschwerpunkt bei einer doppelten Fragestellung an: Zum einen geht es darum, die mittelalterliche „Suche nach den Ursprüngen“ im Zusammenhang von Identitätsstiftung und sozialer Erinnerung zu erforschen. Zum anderen soll aber auch die moderne Aneignung der mittelalterlichen Vergangenheit sowie das teils verhängnisvolle Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Erforschung und ideologischem Gebrauch der Geschichte untersucht werden. Generationen haben sich ihre Vergangenheit angeeignet, sie neu debattiert und gedeutet und damit mit den Interessen ihrer Zeit verbunden. Die heutige Mittelalterforschung hat diese lange Reihe von ebenso faszinierenden wie oft belastenden Vorstellungen geerbt, die das moderne Mittelalterbild geprägt haben. Im Rahmen dieser doppelten Fragestellung lag bei dem Symposium der Schwerpunkt auf den Deutungen und Bedeutungen, mit denen die Geschichte(n) des frühen Mittelalters im neuzeitlichen und modernen Europa ausgestattet wurde(n). Gerade das frühe Mittelalter spielte im Prozess der Herausbildung der modernen Nationen eine wichtige Rolle. Mit dieser Zeit verband man – besonders im 18. und 19. Jahrhundert – den Beginn einer Ordnung Europas als einer in Völker gegliederten Welt. So leitete man von den Franken, Alemannen, Angelsachsen, oder später den Boemani, Ungari oder Poleni die modernen Franzosen, Deutschen, Engländer, Böhmen, Ungarn, Polen etc. ab, und verband die Erforschung des ersten Jahrtausends vor allem mit der „Suche nach den Ursprüngen“ der modernen europäischen Nationen. Dieser Suche lag die Vorstellung von Völkern und Nationen als historisch vorgegebenen, quasi natürlichen gesellschaftlichen Organisationsformen zugrunde. Diese oft geschichtlich argumentierte, aber letztlich trans-historische Auffassung von Nation verfolgt uns in Europa bis in die Gegenwart und scheint bedauerlicherweise in politischen Auseinandersetzungen mancherorts wieder wichtiger zu werden. Die meisten Beiträge des Bandes sind daher der Aneignung des frühen Mittelalters aus nationalgeschichtlicher Perspektive gewidmet. Doch sollte, wie in einigen Beiträgen ebenfalls angedeutet, dabei nicht übersehen werden, dass auch diese Aneignung nur eine Form der kulturellen Erinnerung darstellt, in der die Muster entworfen werden, mit denen Gegenwart gedeutet und Zukunft gestaltet wird und durch die auch in anderen sozialen Zusammenhängen Feindbilder transportiert oder Zugehörigkeiten (etwa religiöse) legitimiert werden. Von ihrer Rolle, bestehende und erwünschte politische oder soziale Strukturen zu legitimieren, hat sich die moderne Geschichtsforschung in den west- und mitteleuropäischen Demokratien seit längerem emanzipiert. Doch wurde erst in letzter Zeit begonnen, den ideologischen Missbrauch oder den naiven Rückgriff auf die Geschichte des frühen Mittelalters systematischer zu untersuchen, was allerdings meist in voneinander unabhängigen Projekten zur Aufarbeitung nationaler Geschichtsideologien in den einzelnen Ländern erfolgte. Der Vergleich von Unterschieden und Ähnlichkeiten, Widersprüchen und Überschneidungen in den Aneignungen frühmittelalterlicher Geschichte aus einer europäischen Perspektive fehlt noch weitgehend. Der vorliegende Band soll einen Beitrag zu einem solchen Projekt leisten, mit dem auch das Ziel verbunden ist, aktuellen oder erneuten Versuchen ideologischen Missbrauchs der Vergangenheit entgegenzuarbeiten. Das Symposion wurde im Rahmen des Forschungsprogramms „Ethnische Identitäten im frühmittelalterlichen Europa (Wittgensteinprojekt 2005–2009)“ veranstaltet, das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert und am Institut für Mittelalterforschung durchgeführt wird. Dem Direktor des Instituts, Walter Pohl, wurde nicht nur der Wittgenstein-Preis 2004 verliehen, der dieses Projekt ermöglichte, er trug auch maßgeblich zur Gestaltung des Symposions und dieses Bandes bei. Die Mittel des Wittgenstein-Projekts
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Vorwort der Herausgeber
ermöglichten den Aufbau eines Teams, das nicht nur bei den Arbeiten zur Vorbereitung und Durchführung des Symposions, sondern auch bei der Redaktion des vorliegenden Bandes half. Für ihre Unterstützung möchten wir uns bei Richard Corradini, John Clay, Albrecht Diem, Max Diesenberger, Nicola Edelmann, Katharina Fleissner-Rösler, Clemens Gantner, Leanne Good, Gerda Heydemann, Maya Maskarinec, Marianne Pollheimer, Michaela Simovich und Veronika Wieser bedanken. Der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung ist für finanzielle Unterstützung zu danken. Die Umschlaggestaltung übernahm in bewährter Weise Dagmar Giesriegl. Die reibungslose Zusammenarbeit dieser großen Gruppe funktionierte nicht zuletzt durch die Möglichkeiten, die ihr dafür am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geboten wurden. Betreut wurde die Drucklegung des Bandes von Beginn an von Hannes Weinberger und Gerald Reisenbauer vom Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, denen wie in der Vergangenheit auch im Falle dieses Bandes für ihre Unterstützung herzlich zu danken ist.
THOMAS WALLNIG
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“ von Bernhard Pez (1715). Beobachtungen und Personenregister.* I. RAHMENBEDINGUNGEN 1712 erschien in Wien auf Kosten der Universitätsdruckerei Schlegel ein anonymes,1 dem jesuitischen Umfeld zugeschriebenes Werk mit dem Titel „Cura salutis, sive De statu vitae mature ac prudenter deliberandi methodus“. Es riet jungen Männern, die einen Ordenseintritt in Erwägung zogen, zu den Jesuiten zu gehen: Eintrittskandidaten gab es an der jesuitischen Bildungsanstalt (Gymnasium bzw. Universität) viele, garantierte doch die Zugehörigkeit zu einem Orden nicht selten die tertiäre Bildung. In dem Text werden verschiedene Gründe vorgebracht, warum der Eintritt in den Jesuitenorden jenem in einen Orden mit stabilitas loci (Augustiner-Chorherren, Benediktiner, Prämonstratenser, Zisterzienser) vorzuziehen sei. Schon beim ersten Erscheinen 1712 empfand man im Benediktinerorden die Schrift als Beleidigung, da der Orden darin als müßiggängerisch und ungebildet dargestellt wurde. Als jedoch 1714 eine Neuauflage erschien, fühlten sich die reverendissimi et perillustres domini domini Austriae praelati veranlasst, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.2 So erhielt der Melker Geschichtsforscher Bernhard Pez3 von seinen Superioren den Auftrag, eine Gegenschrift zu verfassen.4 Sie erschien 1715 (schenkt man dem Titelblatt Glauben)5 in Kempten, einer reichsunmittelbaren Fürstabtei, unter dem Titel „Epistolae apologeticae pro ordine sancti *
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Der folgende Text wurde in seinen Hauptteilen im Frühjahr 2006 verfasst und ein Jahr später überarbeitet. Seit diesem Zeitpunkt sind bio-bibliographische Angaben zu benediktinischen Schriftstellern in das Register des Bandes: Thomas Wallnig/Thomas Stockinger, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez 1709–1715. Text, Regesten, Kommentare (Wien 2009) eingeflossen. Der Autor der „Cura salutis“ konnte nie mit Sicherheit ermittelt werden, im Verlauf der sich rund um das Werk entspinnenden Kontroverse wurde der Text dem ungarischen Jesuiten Gabriel Hevenesi zugeschrieben. Als Monogramm des Autors wird G. H. angegeben. In den „Epistolae apologeticae“ kommentiert „Mellitus Oratius“, dass der Autor in der Gelehrtenwelt keinen Ruf besitzen kann, da ihn Pez sonst erkannt hätte. Bernhard Pez, Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti (Kempten 1715) 20. Tatsächlich dürften jedoch alle Beteiligten um Hevenesis Urheberschaft gewusst haben, jedenfalls lässt eine Anspielung Gentilottis auf Hevenesis Tod gegenüber Pez dies vermuten. Johann Benedikt Gentilotti an Bernhard Pez. Wien 1715–03–27. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/7, III, 240r–241v. Die ausführlichste Darstellung der Kontroverse bei: Eduard Katschthaler, Über Bernhard Pez und dessen Briefnachlaß (Melk 1889) 30–35. Ergänzend: Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Husum 2003) 562–563 (Berücksichtigung der Gelehrten Journale und des Index); Koloman Schönhofer, P. Bernhard Pez, P. Hieronymus Pez. Benediktiner von Melk (Diplomarbeit Innsbruck 1973) 32–34. Im Stiftsarchiv Melk finden sich in den Kartons 7/9 (Bund 1) und 7/10 (Faszikel 3) handschriftliche Notizen im Zusammenhang mit der Niederschrift der „Epistolae“. Aus theologischer Perspektive: Clemens Schmeing, Ernst und Größe des mönchischen Lebenswandels nach dem Zeugnis des Bernhard Pez, in: Erbe und Auftrag 40 (1964) 91–103. Zuvor hatte man geschwiegen, weil man das Auftreten des Ordens in der Öffentlichkeit (publica vita) für eine hinreichende Widerlegung der Anschuldigungen hielt; Pez, Epistolae 31. Zu Bernhard Pez: Christine Glassner, Der „Thesaurus Anecdotorum novissimus“ des Melker Benediktiners Bernhard Pez, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 113 (2002) 341–370; Katschthaler, Briefnachlaß. Thomas Wallnig, Gasthaus und Gelehrsamkeit; Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien u.a. 2007). Da der Verfasser dieses Beitrags gegenwärtig im Rahmen eines FWF-Projekts gemeinsam mit Mag. Thomas Stockinger an einer kommentierten Ausgabe der Briefe von und an Bernhard und Hieronymus Pez arbeitet, wird hier auf die ausführliche Wiedergabe von Briefstellen verzichtet. Zum Auftrag durch die Superioren: Bernhard Pez an René Massuet. Undatiert (vor 1715–07–07). Émile Gigas, Lettres des Bénédictins de la congrégation de St-Maur. Band 2 (Kopenhagen 1893) 26–30. Zur Zeit dieses Briefes, im Sommer 1715, befand sich die Schrift gerade im Druck. Pez räumt selbst ein, dass die Initiative zu den „Epistolae“ von seinen Superioren ausgegangen war und er die Zeit eigentlich dringender für seine Forschungen benötigt hätte. Dem Autor der „Cura salutis“ antwortet Pez jedenfalls als einem profecto ignoranti. Es ist keine Korrespondenz zwischen Melk und Kempten in dieser Frage erhalten. Ein typographischer Vergleich mit anderen Kemptener Drucken muss in diesem Rahmen unterblieben.
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Thomas Wallnig
Benedicti“ und war den benediktinischen Prälaten Österreichs ob und unter der Enns gewidmet. Die nun entfachte Kontroverse hielt ein knappes Jahrzehnt an, ihr weiterer Verlauf ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Pez arbeitete zu dem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren an einem benediktinischen Schriftstellerlexikon, das den Titel „Bibliotheca Benedictina“ tragen sollte. Es gelang ihm nun, den Auftrag – Widerlegung der „Cura salutis“ – mit seinem eigenen Forschungsanliegen zu verbinden, indem er einen Teil seiner Argumentation auf den Nachweis der blühenden Gelehrsamkeit des Ordens stützte und zugleich die monastische Distributionsund Lektüreinfrastruktur zur weiteren Bekanntmachung seines Forschungsanliegens nutzte. Diese Verflechtung ist in zweifacher Weise bemerkenswert. Zum einen hatte Pez bereits 1712, im Zusammenhang mit seinem zweiten Rundschreiben,6 einen gedruckten Schriftstellerkatalog an seine Korrespondenten versendet. Ziel war damals, die von ihm gesammelten Angaben zu Leben und Werk der Autoren in den einzelnen Klöstern überprüfen und ergänzen zu lassen. Somit konnten nun die „Epistolae apologeticae“ als (aktualisierte) Neuauflage dieses Katalogs – gleichzeitig ein prodromus des Gesamtwerks – gesehen werden, da die Anliegen der ersten beiden Enzykliken explizit und teils im selben Wortlaut darin wiederholt werden.7 Zum anderen verweist eben diese Verwandtschaft zu den Enzykliken auf die besonderen Distributionsund Rezeptionsbedingungen der Pezschen Werke. Die „Epistolae apologeticae“ wurden in der Gelehrtenwelt besprochen, in den Leipziger „Acta Eruditorum“, einem der wesentlichen Organe der protestantischen Res publica literaria, rezensiert8 und erfreuten sich auch in Wien einer gewissen Nachfrage;9 zugleich wurden sie – wie zahlreiche andere historische Arbeiten – an Konventsmensen verlesen.10 In ihrer Funktion als klösterliche Erbauungsliteratur vermittelten die „Epistolae apologeticae“ ein Textverständnis, das über jenes des gelehrten Traktats insofern hinausging, als damit Verinnerlichung bezweckt wurde. Sinnbildlich dafür steht eine Szene, in welcher ein Novize seine Befindlichkeit in einem Text des 15. Jahrhunderts wiederfindet, den der Novizenmeister ihm aus der Handschrift zur Niederschrift diktiert: Haec, inquam, ex Codice recitata verba cor mirifice afficiebant ..., uti si non de illo ante trecentos annos Theologiae Doctore, sed de me coram praesente vetus illa ... epistola loquereretur.11 Durch die Identifikation des Rezipienten mit dem Text wurde so die zeitliche Distanz zum Text unerheblich. Die im monastischen Bereich gepflegten historisch-kritischen Studien, denen die Aufgabe zukam, einwandfreie Textvorlagen zu schaffen, dienten in diesem Verständnis der zweifelsfreien Absicherung von Authentizität und Autorität dieser Texte.12 Vergangenheit und Vergegenwärtigung bilden hier dieselbe Einheit wie in jedem sakralen Akt der Buchreligionen. Darin unterscheiden sich die „Epistolae apologeticae“ – und mit ihnen ein Großteil der monastischen Historiographie – von einem auf objektive Distanz bedachten Geschichtsverständnis. 6
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Pez forderte darin andere Prälaten und Kongregationen auf, ihm durch Einsendungen aus ihrem Kloster Material für die „Bibliotheca Benedictina“ zu liefern. Das erste Rundschreiben hatte er im Winter 1709/1710 versendet. Pez, Epistolae 266, 272. Von der zweiten Enzyklik (1712) haben sich nach derzeitigem Forschungsstand zwei Exemplare erhalten: München, Staatsbibliothek, clm 1445, p. 442–444 (Abschrift Wolfgang Dullingers); Salzburg, Stiftasrchiv St. Peter, Cod. A 218, fol. 184r-185v.. Benz, Zwischen Tradition und Kritik 562. Johann Christoph Bartenstein an Bernhard Pez. Wien. 1715–11–13. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/7 II, 328r–v: referiert das Urteil Gentilottis, der die Polemik der Schrift bemängelt und berichtet, der Kaiser habe die Klagen der Jesuiten in der Causa abgewiesen. Aktiv in der Distribution offenbar Karl Meichelbeck: Albert Siegmund, Karl Meichelbecks Briefe, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 80 (1969) 150–152; Karl Meichelbeck an Bernhard Pez. Benediktbeuern. 1716–01–08. Hier auch die Anekdote, wonach ein Jesuit in München über seine Wiener Ordenskollegen hinsichtlich den „Epistolae“ gesagt haben soll, ia disfahls haben Sie ursach sich zu beklagen; ebenso die Aussage eines mit Meichelbeck befreundeten Benediktiners der Kongregation von Monte Cassino, der den zentralen Vorwurf der „Cura salutis“ bestätigte: negare non possumus vitam praeter chorum et missam esse otiosam. In Wien war Philibert Hueber mit dem Vertrieb des Werkes, das sich bestens verkaufte, befasst: In nuperna epistola 50 alia exemplaria rogavi transmittenda, nunc autem numerus eorum, qui plura expetunt, in tantum excrevit, ut 100 non sufficiant. Philibert Hueber an Bernhard Pez. Wien. 1715–09–11. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/7 II, 749r–v. Petrus Friderici in Erfurt will über das Regensburger Schottenkloster ein Exemplar beziehen. Petrus Friderici an Bernhard Pez. Erfurt (Peterskloster). 1715–07–15. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/6, 380r–v. Katschthaler, Briefnachlaß 33, mit Verweis auf Alphons Hueber aus Tegernsee. Lesungen von historischen Werken an der Mensa: Benz, Zwischen Tradition und Kritik 537, 559, 579; Wallnig, Gasthaus und Gelehrsamkeit Kapitel III.3.2. Moritz Müller an Bernhard Pez. St. Gallen. 1710–07–26. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/7, 96r–v: Wunsch Müllers, Anselm Schrambs „Chronicon Mellicense“ möge an der Tafel gelesen werden. Pez, Epitsolae 5. Jean Mabillon, Tractatus de studiis monasticis (Kempten 1702) Kapitel II.13.
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
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Die folgenden zwei Abschnitte sollen den Umgang mit den „Epistolae apologeticae“ erleichtern. Besonders das Register soll den Referenzrahmen der zitierten Autoren abstecken, der von der Bibel bis in Pez’ unmittelbare Gegenwart reicht und damit illustriert, welcher historische Kosmos im 18. Jahrhundert als Kontinuum gedacht wurde, in das man sich selbst einreihen konnte. II. INHALT UND ARGUMENTATION DER „EPISTOLAE APOLOGETICAE“ Der (fiktive) Novize Anton Florbert hat nach seinem Noviziat in Melk die „Cura salutis“ gelesen und ist dadurch in Zweifel geraten, was er seinem ehemaligen Novizenmeister Pez mitteilt (Epistola I). Die folgenden zehn Briefe (Epistolae II–XI) enthalten Erwiderungen Pez’, die Florbert schließlich von einer Rückkehr nach Melk überzeugen (Epistola XII). Bevor es dazu kommt, verstirbt Florbert jedoch, und sein Vater überantwortet seinen Nachlass dem (ebenso fiktiven) Mellitus Oratius,13 der die zwölf Briefe mit gelehrten Anmerkungsapparaten versieht und drucken lässt. Im ersten Brief (1–21) berichtet Florbert von seiner ursprünglichen Überzeugung, in Melk eintreten zu wollen, die dadurch in Frage gestellt worden ist, dass ihm sein leiblicher Bruder Ferdinand14 die „Cura salutis“ zu lesen gegeben hat. Hier hat er erfahren, dass die ortsgebundenen Mönche dazu neigen, der Vorgesetzten, der Gefährten, des Klosters und des Chorgebets überdrüssig zu werden. Sie führen ein bequemes Leben (vita haec commodior esse videtur, quam ut sufficiat ad impediendas vel vincendas tentationes), haben keinen Sinn für die Studien (studiorum et talentorum nullus fere usus), frönen der Muße (vita praeter chorum et missam otiosa) und werden in der Seelsorge auf den Pfarren durch das saeculum verdorben. Im zweiten Brief (22–36) zeigt sich Pez entrüstet über den Dämon, der Florbert in die Irre geführt hat, und beginnt seine Widerlegung. Er weist nach, dass der Autor der „Cura salutis“ Thomas von Aquin und Johannes Chrysostomus falsch interpretiert15 und stellt damit die Glaubwürdigkeit des Werks in Frage. Pez ist zugleich auf Wertschätzung des Jesuitenordens bedacht, hält es aber für geboten, die Zweitauflage des Werkes nicht unbeeinsprucht zu lassen. Als dritter Brief (36–75) wird das Schreiben eines fiktiven Abtes Eulogius an Bernhard Pez abgedruckt, das dieser an Florbert weitersendet. Der Abt referiert darin Aussagen jesuitischer Autoren (Lamormaini, Lancitius), die sich positiv zum Benediktinerorden geäußert16 bzw. ihre Kritik moderat vorgebracht haben.17 Eulogius würdigt überdies das gute Zusammenwirken der beiden Orden namentlich im Bildungswesen: Gerade weil viele Benediktiner an den jesuitischen Universitäten disputieren, sollte man dort ihren Bildungsgrad richtig einschätzen. Weiters würde jüngeren Orden wie den Jesuiten Respekt vor den älteren geziemen. Indem Eulogius schließlich das Naheverhältnis der benediktinischen Kongregationen zu den gekrönten Häuptern Europas darstellt, unterstellt er dem Autor der „Cura salutis“ implizit Majestätsbeleidigung. Wenn es in manchen Klöstern tatsächlich Probleme gibt, so darf man daraus nicht auf den ganzen Orden schließen: nunquam ob delictum paucorum damnandi multi.18 13
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In der zweiten Jahrhunderthälfte nahm man die gelehrte Spielerei, deren konkreter Hintergrund unbekannt bleibt, in Frankreich für bare Münze; so verzeichnet François in seinem Schriftstellerlexikon: Oratius, Bénédictin allemand. Nous ne conoissons Dom Mellite Oratius que par l’édition des lettres apologétiques de Dom Peze, qu’il a données à Kempten, en 1715, et ornées de notes; elle est dédiée aux abbés d’Allemagne. Jean François, Bibliothèque générale des écrivains de l’ordre de Saint-Benoît 2 (Bouillon 1777) 353. Auch Bernhard Pez hatte einen leiblichen Bruder Philipp Pez, der in den Jesuitenorden eingetreten ist; vgl. Wallnig, Gasthaus und Gelehrsamkeit, Kapitel I.4.1. Um hier sauber argumentieren zu können, ließ sich Pez die Stelle in Wien von seinem ehemaligen Novizen Kaspar Altlechner in der Ausgabe von Fronton Du Duc nachschlagen. Kaspar Altlechner an Bernhard Pez. Wien. Undatiert (ca. 1715–04). Stiftsarchiv Melk, Karton 7/6, 563r–564v; Gentilotti sah in den Editionen nach, die die Hofbibliothek besaß: Wien 1715–03–27. Stiftsarchiv Melk, Karton 7/7, III, 240r–241v. Verwendung der Stelle: Pez, Epistolae 27. Welche Rolle die damals neuen, hauptsächlich aus Frankreich stammenden Ausgaben der Kirchenväter spielten, zeigt auch eine Anmerkung zum ersten Brief: ... Verba S. Bernardi, quae Florbertus ex triviali quodam libello haud dubie exscripserit. At eruditissimo Joanni Mabillonio e Congr. S. Mauri in exquisitissima Operum S. Bernardi editione Paris. anno 1690 totus hic sermo videtur Mellifluo Doctori suppositus, ut plurima alia, quae integrum fere alterum volumen efficiunt. Pez, Epistolae 21. Gründungen jesuitischer Kollegien mit benediktinischer Hilfe: Pez, Epistolae 38–40. Pez zitiert die Schrift eines anonymen Grazer Jesuiten: Methodus certi vitae status deligendi (Dillingen 1676). Pez, Epistolae 60, 181–182. Hinter dem Pseudonym des Abtes Eulogius verbirgt sich Abt Benedikt Abelzhauser von Seitenstetten. Pez, Epistolae 56.
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Thomas Wallnig
Die Briefe IV bis XI enthalten Widerlegungen der einzelnen vorgebrachten Anschuldigungen. Im vierten Brief (75–100) befasst sich Pez mit dem Vorwurf, in den ortsgebundenen Orden würden die Oberen leicht zu Tyrannen: Wenn es solche Vorfälle gibt, dann in allen Orden. Sinn des Ordenslebens ist jedoch nicht das Machtstreben sondern die Hingabe an Gott. Die Funktion des Oberen ist Last und Verpflichtung. Der fünfte Brief (101–118) befasst sich mit dem Überdruss an den Gefährten. Gleiches, so Pez, kann auch gegen die Ehe ins Treffen geführt werden. Jeder Orden hat seine eigenen Regeln, und bei den Jesuiten führt die Ungebundenheit mitunter zu Unstetigkeit, die „nationale“ Durchmischung zu Auseinandersetzungen. Brief sechs (119–139) behandelt, gestützt vornehmlich auf Benedikt van Haeften, die stabilitas loci, die nicht mit perpetuitas loci verwechselt werden darf: Auch die Benediktiner können mit Erlaubnis oder auf Geheiß ihrer Superioren den Ort wechseln, in manchen Gemeinschaften bezieht sich das Gelübde sogar auf die ganze Kongregation und ermöglicht somit die Bewegung innerhalb derselben. Im siebten Brief (139–151) verteidigt Pez Chorgebet und Messe als erbauliche Tätigkeiten; gleichwohl gibt es nichts, das immer erfreut oder immer beschwert. Der Chor bietet Abwechslung, und durch das Evangelium durchlebt man ständig die Heilsgeschichte. Verschiedene Ämter im Kloster schaffen eine Abwechslung für die Mönche, die zudem ihren individuellen Fähigkeiten entspricht. Im achten Brief (151–180) verteidigt Pez die Benediktiner gegen den Vorwurf der Muße, indem er ihren Einsatz in Unterricht, Mission, Konversion, Seelsorge etc. jenem der Jesuiten als gleichwertig gegenüberstellt19 und dabei betont, dass bei diesen die Askese weniger gepflegt werde. Im neunten Brief (180–215) weist Pez den Vorwurf des bequemen Lebens zurück, indem er die geistigen und religiösen Mittel (media) beschreibt, mit deren Hilfe die Benediktiner ihr Ordensleben bestreiten. Zu diesen gehören die Orientierung an Heiligen, die Lektüre geistlicher Bücher, asketische und spirituelle Übungen sowie colloquia religiosa. Wieder flicht Pez zahlreiche bibliographische Angaben in seine Argumentation ein. Brief zehn (215–273) besteht dagegen praktisch ausschließlich aus Schriftstellerlisten: Eine enthält Werkverzeichnisse, eine bezieht sich auf die benediktinischen Autoren außerhalb der Germania, eine weitere behandelt die Germani unter den Autoren. Damit widerlegt Pez den Vorwurf, die Benediktiner hätten keinen Sinn für Studien und würden außerhalb von Chor und Messe nur der Muße frönen. Alle drei Listen behandeln den Zeitraum zwischen 1600 und 1714, weil hier ein direkter Vergleich mit den Jesuiten möglich ist. In den Anmerkungen weist „Mellitus“ auf das Pezsche Vorhaben der „Bibliotheca Benedictina“ hin und fordert die noch säumigen Klöster zur Mitarbeit auf: Certe is [sc. Pez] gratus erit. Im elften Brief (273–301) beschäftigt sich Pez mit dem Vorwurf, durch Seelsorge in den inkorporierten Pfarren werde der Sünde Tür und Tor geöffnet. Der gleiche Vorwurf kann auch den Jesuiten gemacht werden, zudem ermöglicht die Pfarrseelsorge die Rekrutierung von begabten Jugendlichen. Die menschliche Seele lernt außerdem an den Versuchungen, denen sie zu widerstehen hat. Der zwölfte Brief (301–303) stammt wieder von der Hand Florberts, der sich, mittlerweile schwer erkrankt, von Pez’ Argumenten überzeugt zeigt und fragt, ob eine Aufnahme in Melk für ihn noch möglich ist. Wie aus der Einleitung hervorgeht, kommt es dazu nicht mehr: Florbert stirbt an seiner Krankheit. Auch im „Protrepticon Philologicum“, einem Frühwerk von Bernhard Pez (1703), hatte es eine Disputation um die Meriten des Jesuiten- und Benediktinerordens gegeben, wobei der Fürsprecher der Jesuiten damals noch vorbringen konnte, die benediktinische Literargeschichte sei noch gar nicht richtig erforscht.20 In dem guten Jahrzehnt, das zwischen den beiden Werken liegt, und im Zuge seiner Forschungen rüstete sich Pez nun mit Argumenten, die das literarische Gegenüber überwältigen mussten. Die „Epistolae apoligeticae“ sind vor allem deshalb von Interesse, weil in ihnen wie in kaum einem anderen Werk von Pez eigene Anschauungen und Gedankengänge greifbar werden. An mehreren Stellen des Textes bezieht er sich etwa auf seine eigene Biographie bzw. seine Erfahrungen in Melk, beispielsweise wenn er auf die Forschungsreise durch österreichische Klöster,21 auf seine sechzehnjährige Präsenz im Kloster,22 die dreimal wöchentlich stattfindenden geistlich-gelehrten colloquia23 oder die scriptura prognostica eingeht, die 19 20 21 22
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Die systematische Abhandlung der genannten Bereiche erinnert stark an die jesuitischen „Litterae annuae“. Vgl. Wallnig, Gasthaus und Gelehrsamkeit, Kapitel III.4.3. Pez, Epistolae 23. Pez, Epistolae 105 (seit sechzehn Jahren im Kloster), 116 (Aufnahme von ehrgeizigen Novizen in Melk), 168 (Sakramentspende in den Melker Pfarren), 189–190 (Bußtage 1714). Pez, Epistolae 206.
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die Novizen abzuschreiben hatten.24 Aus den „Epistolae“ geht weiters hervor, dass Pez eine Arbeit über die Erste Melker Reform plante.25 Auch die Anmerkungsapparate zu österreichischen Klöstern und Würdenträgern verraten viel über Pez’ unmittelbare Umgebung. Von besonderem Interesse ist hier Epistola VIII, in der die benediktinischen Aktivitäten mit jenen der Jesuiten verglichen werden und Pez daher besonderes Interesse an der Würdigung seines unmittelbaren Umfeldes hat.26 Es fällt auf, dass Pez zwar in der für ihn üblichen Weise gegen die Subtilitäten der scholastischen Philosophie polemisiert,27 selbst aber ebenso systematisch argumentiert, etwa wenn er den Begriff videtur (in den Anschuldigungen gegen die Benediktiner) als unzureichend für eine gesicherte Aussage darstellt.28 Verwendet wird bei systematischen Widerlegungen auch die „scholastische“ Drucktype für responditur bzw. responsio, ein R mit durchgestrichenem Schaft.29 Grundsätzlich zielt die Argumentation darauf ab, die These der „Cura salutis“ durch das gezielte Anführen von einschlägigen Autoritäten – hier reicht die Spanne von der Patristik bis zu van Haeften und Acquaviva – zu widerlegen. Als rein historisches Argument fungiert hingegen die Schriftstellerliste in Epistola X, und auch die bei Pez immer wiederkehrende Grundauffassung der positiven Theologie wird in den „Epistolae“ explizit geäußert: Heu quantum distant nostrorum temporum mores et doctrinae ab antiquis!30 Im Zusammenhang mit dem Chorgebet argumentiert Pez schließlich auch aus eigener Anschauung und Überzeugung.31 Ein Thema, das Pez wiederholt anspricht, ist die Verantwortung des Novizenmeisters gegenüber der ihm anvertrauten Jugend. Pez war 1712/1713 selbst Novizenmeister und beschuldigt den Autor der „Cura salutis“ auch dahingehend, dass dieser seinen (jugendlichen) Lesern unhinterfragt die Meinungen „häretischer“ Autoren präsentiert und in polemischer Weise argumentiert, anstatt zu Bedachtheit und Abwägung anzuregen: Insuper vocationis moderator tenetur vi officii sui, oppositis rationibus et argumentis omnia diluere, quaecunque videt fraudulenter et malitiose esse conficta.32 Der Tonfall der „Epistolae“ ist allerdings selbst durchwegs emotional gehalten, und Pez spart nicht mit rhetorischen Angriffen auf seinen Gegner.33 Der Kern der Pezschen Argumentation – und hier zeigen sich die eigenständigen Konturen der positiven Theologie im Hinblick auf ihre spirituelle Umsetzung – besteht nicht nur im Herausarbeiten der literarischen Tradition des Benediktinerordens, sondern auch in der Betonung ihrer spirituellen Funktion für das monastische Leben selbst: Jean Mabillon wird – aufgrund seiner Lebensführung – in der Reihe der nachahmenswerten Asketen gewürdigt,34 die maurinischen Ordensannalen werden als Fundgrube für alterum sancte viventium exempla genannt.35 Pez nennt unter den Medien – media – auch jene, durch welche diese exempla unmittelbar nutzbar gemacht werden können: lectio, meditationes und colloquia religiosa. Dies waren nicht die Medien der respublica literaria. Geschichte fungierte hier nicht als magistra vitae, sie proponebat ... exemplum ... ad imitandum.36 Um den geistesgeschichtlichen Ort der „Epistolae apologeticae“ genauer bestimmen zu können, werden noch weitere vertiefende Studien zur literarischen Produktion der bayerisch-österreichischen Benediktiner, Jesuiten und anderer Autoren notwendig sein. Sicherlich verläuft der geschilderte Konflikt entlang einer Bruchlinie, die im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts ganz Europa durchzog und deren Auswirkungen auf die Umwäl24 25 26
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Pez, Epistolae 295–297. Pez, Epistolae 19. Pez, Epistolae 160 (Unterricht), 160–162 (Katechese), 162–164 (Predigttätigkeit), 164–165 (akademische Gelehrsamkeit), 165– 166 (Kontroversliteratur: gegen Gallikaner, Quietisten und Molinisten), 166–168 (Mission in Übersee; hier besonders deutlich die Anknüpfung an mittelalterliche Traditionen: vestigia premere ... Gregorii, Augustini, Anscharii, Bonifacii, Adalberti etc.), 168–169 (Spendung von Sakramenten, Wallfahrten), 169–170 (Buchproduktion). Pez, Epistolae 28, 76, 207, 267 (alle Schriften von Suarez und Vazquez sind zusammen soviel wert wie die Augustinus-Ausgabe der Mauriner). Pez, Epistolae 55. Vgl. auch die terminologische Auseinandersetzung mit dem Begriff monachus: Pez, Epistolae 62, 72–74. Z.B. in den Epistolae IV, V und XI. Pez, Epistolae 87; vgl. auch 207. Z.B. in der Epistola VII. Pez, Epistolae 48. Z.B. Pez, Epistolae 148–149, 171. Pez, Epistolae 200. Pez, Epistolae 192. Pez, Epistolae 4.
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zungen im weiteren Jahrhundertverlauf man nicht unterschätzen sollte.37 Die „Epistolae apologeticae“ sind so gesehen den „Lettres provinciales“ von Blaise Pascal38 verwandt. Auch in ihnen geht es um Verteidigung einer für richtig empfundenen Tradition gegen jesuitische Angriffe, im Gegensatz zu diesen stehen die „Epistolae“ aber nicht in einer sich bildenden publizistischen Öffentlichkeit, sondern agieren in einem klösterlichen Kommunikationsrahmen, der in sich noch die Voraussetzungen von Textverinnerlichung bewahrt. III. PERSONENREGISTER Die Schriftstellerlisten der „Epistolae“ sind wichtig, weil an keinem anderen Ort Bernhard Pez’ Wissensstand im Bezug auf sein Großprojekt, die „Bibliotheca Benedictina“, so deutlich greifbar wird. Die Personen, die er in sein Lexikon aufnehmen wollte, entstammten zu einem erheblichen Teil seinem eigenen Gesichtsfeld bzw. den Generationen des mittleren und späten 17. Jahrhunderts. Dieser Personenkreis hat, sieht man von den Forschungen Magnoald Ziegelbauers und Oliver Legiponts bzw. den Arbeiten Jean François’ und Pirmin Lindners ab,39 in seiner Gesamtheit seither keine wissenschaftliche Beachtung mehr gefunden und ist in der gegenwärtigen Historiographie über das 17. und 18. Jahrhundert so gut wie nicht präsent. Zu einigen Personen finden sich biographische Informationen nur in ungedruckten Quellen. Sämtliche in den „Epistolae“ genannte Personen wurden anhand der bibliographischen Indizes zu Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien sowie Spanien identifiziert und werden in der dort gebrauchten Namensform angesetzt. Fehlt der (eindeutige) Eintrag in den Indizes, so wird der Ansetzung ein Strich (-) vorangestellt. Weitere, durchaus mögliche Nachweise der Personen in zeitgenössischen Quellen und neuerer Literatur bleiben künftigen Studien vorbehalten. Kursiv gesetzte Namen bezeichnen Nennungen im Fließtext, gerade gesetzte Namen bezeichnen jene Autoren, die in den drei Schriftstellerkatalogen der Epistola X genannt werden, jene mit Asterisk sind außerdem mit einem Werksverzeichnis versehen. Hochgestellte Kreise nach der Seitenzahl verweisen auf eine ausführliche Fußnote. Angaben zu Lebenszeit (Jahrhundert, in dem der Autor verstorben ist oder eindeutiges Todesjahr) und Wirkungsort bzw. Orden und Tätigkeit wurden nur bei neuzeitlichen Autoren aufgeführt. Die Namen von Herrschern und Klöstern wurden dann aufgenommen, wenn im Anmerkungsapparat Informationen über sie gegeben werden.40 A Lapide, Cornelius (†1637, SJ) 65, 67 -A Liliis, Adalhelm (Zurgilgen, 17. Jh., Engelberg) 254 -A Neapoli, Martino (†1639, Kongregation von Monte Cassino) 198 -A Nazareth, Placidus (17. Jh., Zwiefalten) 264 -A Saco (Desax), Joseph (17. Jh. Disentis) 261 Abelzhauser, Benedikt (†1717, Seitenstetten) 205*, 256 Acta Eruditorum 217 Adalbert, Hl. 167 37
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Vgl. etwa den Konflikt zwischen dem Benediktiner Marianus Brockie und den Jesuiten an der Universität Erfurt in den zwanziger Jahren; Ludwig Hammermayer, Marianus Brockie und Oliver Legipont. Aus der benediktinischen Wissenschafts- und Akademiegeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 71 (1961) 69–121, hier 77–80. Die Frage, in welchem Verhältnis Pez zur maurinischen Spielart des Jansenismus bzw. zu Quesnel stand, ist beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht zu klären. Die „Epistolae apologeticae“ fallen immerhin in eine Phase zunehmender politischer und theologischer Spannungen nach der Promulgation der Bulle „Unigenitus“ (1713) durch Papst Klemens XI. und des sich daraufhin verstärkenden klerikalen Widerstands in Frankreich, von dem Pez durch seine Korrespondenten gute Kenntnis hatte. Der Wissenschafter und Publizist Blaise Pascal brachte durch seine 1656–1657 in Paris veröffentlichten „Lettres provinciales“ den Konflikt zwischen Jansenisten und Jesuiten in eine breite Öffentlichkeit und trug damit wesentlich dazu bei, eine theologische in eine politische Kontroverse zu verwandeln. Blaise Pascal, Les provinciales (ed. Michel Le Guern, Saint-Amand 1987). François, Bibliothèque générale. Magnoald Ziegelbauer/Oliver Legipont, Historia rei literariae ordinis sancti Benedicti. 4 Bde. (Augsburg/Würzburg 1754). Zahlreiche Professenkataloge und Klerikerlisten Pirmin (August) Lindners. Es ist dem Verfasser bewusst, dass die Liste weder gänzlich konsequent, noch in allen Details korrekt ist. Dies möge der Benützer nachsehen. Bei allen Autoren, die in den biographischen Indizes nicht aufzufinden sind, wurde auch nach abweichenden Schreibweisen gesucht, besonders jenen bei: François, Bibliothèque générale. François bietet zahlreiche, wenn auch nicht alle Namen aus dem Schriftstellerverzeichnis der „Epistolae“, meist mit der Bemerkung, dass lediglich die von Pez gebotenen Angaben bekannt sind.
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Adrian VI. (Papst) 11 Advenza, Diego Malo de (†1673, Spanien) 164*, 250 Agricola, Magnus (†1708, St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 261 Aicher, Otto (†1705, St. Veit an der Rott) 241*, 270° Aigner, Honorius (†1704, Kremsmünster) 260 Alexander VII. (Papst) 239, 271 Alfaro, Gregorio de (†1607, Spanien) 251 Alkuin 159 Allacci, Leone (†1669, Philologe) 75 Aloisius, Sel. 26, 49, 143, 292 -Alopitius, Konrad (†1614, Garsten) 197 Altenburg 214° Alvarado, Antonio de (†1617, San Benito zu Valladolid) 250 Alvarez, Benedicto (†1636, Spanien) 250 Alvarez de Paz, Diego (†1629, SJ) 74 Alviset, Virginius (17. Jh., Frankreich) 254 -Alzinger, Maurus (17. Jh., Weingarten) 262 Ambling, Anselm (†1672, Münsterschwarzach) 255 Andreas, Valerius (†1655, Philologe) 226 -Andria, Erembert von (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 258 Anschar, Hl. 167 Anselm, Hl. 11 Anton Ulrich (Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel) 166 Antonio, Nicolas (†1684, Bischof) 235 Antonius von Padua, Hl. 280 Antonius, Hl. (†1459, Erzbischof von Florenz) 184 Aquaviva, Claudio (†1615, SJ, Kardinal) 12, 75, 78–79, 81–82, 92, 143, 276 Arbouse, Margarita de (†1626, Valgrace) 197, 213° Arce, Basilio de (17. Jh., Spanien) 250 Arévalo, Juan de (†1640, Spanien) 252 Argáez, Gregorio de (†1683, San Salvador zu Oña) 231* Aristoteles 34 Aríz, Luis de (17. Jh., Valbanera) 240* Armellini, Mariano (†1737, Kongregation von Monte Cassino) 25341 -Armineo, Geronimo (†1626, S. Martino zu Palermo) 198 Assonleville, Hubertus de (†1633, Belgien) 252 Augustinus, Hl. 7, 140, 167 Edition durch die Mauriner 7, 267 Aviles, Gaspar de (†1614, Spanien) 251 Babenstuber, Ludwig (†1726, Ettal) 239* Bacchini, Benedetto (†1721, Kongregation von Monte Cassino) 222*, 245 -Bachelard(us), François (17. Jh., Frankreich) 213, 250 Badier, Jean Etienne (†1719, Maurinerkongregation) 250 Baker, David Augustine (†1641, Englische Kongregation) 250 Balbín, Bohuslav (†1689, SJ) 68 -Balsamon, Igatius 125 Banduri, Anselmo (†1743, Kongregation von Mileto) 220* Baptista, Gregorio (17. Jh, OFM in Brasilien) 231* 41
Im Katalog bezeichnet als Marianus Romanus; wahrscheinlich mit Armellini zu identifizieren, da sonst kein weiterer Marianus im Katalog aufscheint.
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Bar, François de (17. Jh., Belgien) 251 Barbo, Ludovico (†1443, S. Giustina zu Padua) 201, 202* Barlow, William Rudesind (†1656, Englische Kongregation) 254 Barrali, Vincent (17. Jh., Frankreich) 254 -Barth, Lorenz (17. Jh., Břevnov) 261 Basilius, Hl. 73, 92 Bastide, Philippe (†1690, Maurinerkongregation) 253 Batt, William Anthony (†1651, Englische Kongregation) 250 Bauldry, Michel (17. Jh.) 253 Baumgartner, Albert (17. Jh., Melk, Musiker) 255 -Baumgartner, Emmeram (17. Jh., Seeon) 258 Beaugendre, Antoine (†1708, Maurinerkongregation) 220* Beda Venerabilis 159 Behamstein, Benedikt (†1715, Garsten) 256 Behm, Gottfried (17. Jh., Schwarzach) 259 Bellarmino, Roberto (†1621, SJ, Kardinal) 36–37, 149 Benavente, Augustín Fulgencio de (17. Jh., San Benito zu Valladolid) 250 Benedikt, Hl. 24, 29, 33°, 71, 98, 125, 130, 148, 156–157, 180, 184–188, 207–211, 300 Berka, Zdislaus (17. Jh., St. Nikolaus zu Prag) 261 -Bernardo di Quintavalle 201 Bernhard, Hl. 15, 29, 131, 136, 142, 184, 278 Edition der Mauriner 15, 21°, 69 Bernhard N. (17. Jh., Garsten, Musiker) 256 Bessel, Gottfried (†1749, Göttweig) 166, 176° Betschart, Ignaz (17. Jh., Engelberg) 260 Beyerlinck, Laurens (†1627, Historiker) 121 Bibel Genesis 43 Iob 16, 104 Psalmen 41, 92, 138, 149, 208 Hohelied 181 Jeremia 134 Matthäus 13, 16, 46, 62, 102 Lukas 92 Johannes 27, 35, 46 Paulinische Briefe 59, 93, 111 Bimmel, Johannes (†1634, Lambach) 260 Bisling, Anselm (17. Jh., Einsiedeln) 203*, 255 Bissi, Bernardo (†1716, Kongregation von Monte Cassino) 223* Blampin, Thomas (†1710, Maurinerkongregation) 246 Blasco de Lanuza, Francisco (†1664, Spanien) 251 Blöchinger, Franz (17. Jh., Seligenstadt) 163* -Bocheval(lius), Stephan (17. Jh., Zwiefalten) 265 Boethius 302 Boil (Buellius), Bernardo († 1520, OSB bzw. OFM) 167 Bolland, Jean bzw. Werke der Bollandisten 62, 68, 71°, 73, 178, 271 Bologna, Ilario (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 252 Bona, Giovanni (†1674, OCist, Kardinal) 238 Bonaventura, Hl. 67, 142 Bondonnet, Jean (†1664, Maurinerkongregation) 252 Bonifatius, Hl. 167 Bonomo, Maria Giovanna (†1670, Kongregation von Monte Cassino) 199
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Borja, Francisco de (17. Jh., SJ) 65 Bottbach, Paul (St. Maximin zu Trier) 164*, 263 Bourdaloue, Louis (†1704, SJ) 67–68 -Bowveleth, Franz (17. Jh., Geroden) 258 -Brandstetter, Georg (17. Jh., Kremsmünster) 259 -Bravo de Sotomayor, Gregorius (17. Jh., Spanien) 251 -Brendlin, Augustin (17. Jh., Weingarten) 256 Briz Martínez, Juan (†1632, San Juan de la Penna) 234* Brouwer, Christoph (†1617, SJ) 66 Brusch, Kaspar (†1557, Historiker) 20 Bucelin, Gabriel (†1681, Weingarten) 139, 161, 192, 196, 230*, 268° -Buell, Augustin (18. Jh., Garsten) 256 Bugnot, Louis Gabriel (†1673, Maurinerkongregation) 251 Bulteau, Louis (†1693, Maurinerkongregation) 253 Caesar, Dominik (†1681, Oberaltaich) 258 Calmet, Augustin (†1757, Kongregation von St-Vanne) 224* Calvin, Jean 37, 217 -Can-Vero, Diego de (Cambero 17. Jh., Emmauskloster zu Prag) 228* Caraffa, Pietro Aloisio (†1664, Kongregation von Monte Cassino, Kardinal) 199 Caramuel y Lobkowitz, Juan (†1683, Emmauskloster zu Prag) 164*, 234* Cardinalis, Hugo (†1575, Theologe) 136 Cardoso, Gaspar (17. Jh., Spanien) 251 -Casalta, Giuseppe (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 252 Cassiodor 141–142 Castelli, Benedetto (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 Castiglione, Valeriano (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 247* Castillo Calderón, Francisco (17. Jh., Emmauskloster zu Prag) 259 -Catan, Lambert (17. Jh., Ottobeuren) 261 Cathrin, Maurus (17. Jh., Disentis) 262 Caverel, Philippe de (†1636, Belgien) 179, 253 Cepari, Virgilio (17. Jh.) 73, 212 Cervera della Torre, Antonio (17. Jh., Historiker) 212 Chantelou, Claude (†1664, Maurinerkongregation) 250 -Charmans, Bruno (Gladbach) 203*, 257 Cherle, Benedikt (†1719, Thierhaupten) 256 Cherle, Corbinian (†1681, Thierhaupten) 258 Cherubino, Angelo Maria (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 220* Chinchilla, Alfonso de (†1631, San Benito zu Valladolid) 249 -Christellius, Nikolaus (17. Jh., Andechs) 263 -Christmann, Roman (17. Jh., Garsten) 264 Cisneros, García de (†1510, Spanien) 202*, 213°, 214 Claremundus, Adolphus (Pseudonym für Johann Christoph Rüdiger, 18. Jh., protestantischer Gelehrter) 213 Claudianus 41 Clavarino, Pietro (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 253 Clavelli, Benedetto (16. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 Clavenau, Ignaz (†1701, Admont) 260 Clément, Denis Laurent (†1690, Frankreich) 252 Colombo, Cristoforo 167 -Columb(anus), Corneille (17. Jh., Belgien) 125, 250 Corker, James Maurus (†1715, Lamspringe) 166, 240* Corner, David Gregor (†1648, Göttweig) 166, 177°, 203*, 227*
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Costantini, Antonio (†1690, Theologe) 213 -Courtins (Decurtins), Charles de (17. Jh., Disentis) 257 Coustant, Pierre (†1721, Maurinerkongregation) 242*, 246 Cozzolani, Margarita (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 253 Crespo, Francisco (†1664, Spanien) 251 Cressy, Hugh Paulinus (†1674, Englische Kongregation) 245* -Crusius, Johannes (17. Jh.) 272 Cyril von Jerusalem, Hl. 91 D’Achery, Jean Luc (†1685, Maurinerkongregation) 195, 238* De’Baccis, Carlo (†1683, Kongregation von Monte Cassino) 224* De Blois, Louis (†1556, Belgien) 195, 211–212, 271, 295–297 -De Cava, Giovanni Benedetto (Kongregation von Monte Cassino) 202*, 252 De Ferrari, Paolo Agostino (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 -De Medelo, Adalbert (17. Jh., Disentis) 254 De Notariis, Costantino (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 -Degano, Valeriano (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 254 Delfau, François (†1676, Maurinerkongregation) 246, 251 Della Marra, Pio (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 243* Dernbach, Balthasar von (†1606, Fulda) 39, 67°, 256 Dietl, Gregor (17. Jh., Prüfening) 259 Dietmayr, Berthold (†1739, Melk) 5, 19°, 268, 303 Dionysius der Karthäuser 144 -Dörring, Christoph (17. Jh., Göttweig) 257 Drescher, Joseph (†1698, St. Lambrecht) 261 Dript, Lorenz von (†1683, Gladbach) 261 Du Breul, Jacques (†1614, Maurinerkongregation) 233* Du Fay, Jean (†1472, Belgien) 252 Du Friche, Jacques (†1693, Maurinerkongregation) 252 Du Pin, Louis Ellies (†1719, Historiker) 75 Dufour, Thomas (†1647, Maurinerkongregation) 254 Dullinger, Sigmund (†1634, Seeon) 265 Durand, Jean (†1660, Maurinerkongregation) 246 -Duret(ius), Quintinus (17. Jh.) 264 -Ebberth, Johann Baptist (17. Jh., Garsten) 260 Egg, Edmund (†1717, Garsten) 229* Eggs, Georg Joseph von (†1755, Historiker) 165, 191, 199–200 Egon, Johann (†1643, Reichenau) 261 -Eiselin, Benedikt (17. Jh., St. Blasien) 256 -Eisenberner, Amand (17. Jh., Schottenkloster zu Wien) 255 Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel (Gattin Karls VI.) 177 Ellenbog, Niklas (†1543, Ottobeuren) 218 Embalner, Valentin (17. Jh., Melk) 70 -Emhart, Christoph (17. Jh., Weingarten) 257 Emmauskloster zu Prag 70 Engel, Ludwig (†1674, Melk) 240* Ephraem, Hl. 142 Erasmus von Rotterdam 217 Erath von Erathsberg, Augustin (†1719, CRSA) 298 Estrées, César (†1714, Kardinal) 244
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
Faber, Virgil (†1703, Garsten) 265 Feckenham, John de (†1585) 218 Feinhals, Albert (18. Jh., St. Pantaleon, Köln) 255 Ferdinand II. (Kaiser) 20, 58, 70° Ferdinand III. (Kaiser) 20, 58, 70, 234–235 Ferdinand IV. (Römisch-deutscher König) 268 Fetzer, Karl (†1750, Schottenkloster zu Wien) 20 Finkeneis, Basilius (†1693, St. Lambrecht) 256 -Firba, Simon (17. Jh., Scheyern) 265 Fischer, Anselm (18. Jh., Ochsenhausen) 196, 202*, 255, 271 Fischer, Dominik (17. Jh., Wiblingen) 258 -Fleischlin, Gregor (17. Jh., Engelberg) 259 Folengo, Teofilo oder Giovanni Battista (16. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 218 Fontanini, Giusto (†1736, Erzbischof) 213 Forcada, Anselmo (†1675, Monserrat) 250 -Forster, Johannes Gualbertus (17. Jh., Weissenohe) 162*, 261 François, Philippe (†1635, Kongregation von St-Vanne) 203*, 253 Franz von Assisi, Hl. 201 Franz Xaver, Hl. 8, 92 -Franz(ius), Christian (17. Jh., Ottobeuren) 257 Freidenpich(e)l, Ambros (†1729, Garsten) 255 -Freidl, Maximilan (17. Jh., St. Lambrecht) 262 Freschot, Casimiro (†1720, Italien) 250 Freyberger, Ulrich (†1680, St. Peter zu Salzburg) 265 -Freyd, Gotthard (17. Jh., Kremsmünster) 259 Friche, Jean (17. Jh., Maurinerkongregation) 252 Friedrlich von Hessen-Darmstadt (†1682, Landgraf, Kardinal) 244 Fuchs, Gregor (†1755, Theres) 259 Fulda 66° Gabriel N. (†1614, St. Jakob zu Würzburg) 197 Gaetano, Costantino (†1650, Kongregation von Monte Cassino) 65, 74, 179, 225* Galen 136 -Galner, Oddo (17. Jh., Garsten) 263 Galopin, Georges (†1657, Belgien) 251 -Gamurini, Eugenio (Kongregation von Monte Cassino) 251 Gansler, Rupert (†1703, St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 264 Garet, Jean (†1694, Maurinerkongregation) 235* -Gargas, Heinrich (17. Jh., Neresheim) 260 Gascoigne, John Placid (†1681, Englische Kongregation) 253 Gazet, Alard (†1626, St-Michel zu Arras) 219* -Gebel, Benedikt (17. Jh., St. Blasien) 256 -Geiger, Moritz (17. Jh., St. Gallen) 262 Geisser, Georg (†1690, Villingen) 259 Génébrard, Gilbert (†1597, Erzbischof von Aix) 218 Gerberon, Gabriel (†1711, Maurinerkongregation) 231* -Gerhart, Benedikt (17. Jh., St. Stephan zu Würzburg) 204* Germain, Michel (†1694, Maurinerkongregation) 253 -Giel von Gielsperg, Christoph (17. Jh., Kempten) 258 Gifford, Guillaume (†1629, Erzbischof von Reims) 166, 251 Gille, Paris (17. Jh., Michaelbeuern) 242* Giungi, Hieronymus (17. Jh., St. Emmeram zu Regensburg) 204*, 260
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Glettle, Johann Baptist (17. Jh., Göttweig) 260 Glossa ordinaria super Matthaeum 148 Gody, Simplician (†1662, Kongregation von St-Vanne) 161, 254 -Goldburg, Bonifaz von (17. Jh., St. Johann unter dem Felsen) 257 Gottfried von Vendôme 184 Graez, Corbinian (†1757, Rott am Inn) 258 -Graffi(o), Giacomo (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 164*, 234* Granada, Luis de (†1588, OPraed) 56 -Gravina, Domenico 37 -Gravius, Heinrich (17. Jh., St. Pantaleon zu Köln) 260 Gregor, Hl. 11, 21, 32, 83, 135, 158, 167 Edition durch die Mauriner 32 -Grienfels, Edmund (17. Jh., Melk) 258 Grillo, Angelo (†1629, Kongregation von Monte Cassino) 218 Gros de Boze, Claude (†1753, Historiker) 213 -Grueber, Karl (†1696, Kremsmünster) 257 -Grundemann, Adalbert (17. Jh., Göttweig) 204*, 254 Guerard, Robert (†1715, Maurinerkongregation) 246 Guetrath(er), Odilo (†1731, Benediktbeuren) 263 Guetrather, Petrus (†1725, Tegernsee) 263 -Gugger, Athanasius (17. Jh., St. Gallen) 256 -Guzinger, Otto (17. Jh., Seeon) 263 -Haan, Victorinus (†1721, Melk) 69, 265 -Haberstock, Paul (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 263 Habert, Nicolas (†1634, Frankreich) 253 Haedo, Diego de (16. Jh., Spanien) 228* Haeften, Benedikt van (†1648, Afflinghem) 33, 119, 124–133, 168, 184–185, 203*, 222* Hagemann, Gerhard (17. Jh., Werden) 259 Halmschmidt, Kilian (†1683, Lambach) 261 -Hammerer, Christoph (17. Jh., Weingarten) 258 -Häringshauser, Sigismund (17. Jh., Melk) 265 -Harter, Heinrich (17. Jh., St. Emmeram zu Regensburg) 260 Hartmann, Christoph (†1637, Einsiedeln) 225* Haslinger, Gotthard (18. Jh., Lambach) 259 -Hattinger, Martin (17. Jh., St. Peter zu Salzburg) 262 -Hausdorf, Rupert (17. Jh., Břevnov) 264 Hay (Hai), Roman (17. Jh., Ochsenhausen) 211, 264, 271° Heinlein, Heinrich (†1708, Theres) 233* -Helbock, Placidus (17. Jh., Mehrerau) 263 Heller, Gregor (†1661, Göttweig) 259 Hemm, Johann Baptist (†1719, St. Emmeram zu Regensburg) 261 Henriquez, Juan Crisóstomo (†1632, OCist) 131 -Hersfelden, Bernhard (17. Jh., St. Ulrich und Afra) 256 Hertain, Herman de (17. Jh., Belgien) 251 -Heuchlinger, Meinrad (17. Jh., Wiblingen) 262 Hieronymus, Hl. 138, 280 Edition durch die Mauriner 138 Hilarius, Hl. 280 Hinojosa y Carvajal, Alonso de (17. Jh., Spanien) 249 Hippokrates 136
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
-Höcht, Michael (17. Jh., Weingarten) 263 -Homburger, Othmar (17. Jh., St. Blasien) 263 -Honn, Wilhelm (17. Jh., Deutz) 265 Hospinian, Rudolf (†1626, protestantischer Schriftsteller) 37 Hrabanus Maurus 159 -Hübner, Alexius (17. Jh., Břevnov) 255 Huddleston, Richard (†1655, Kongregation von Monte Cassino) 165 Hueber, Philibert (†1725, Melk) 263 Hueber, Udalschalk (†1723, Seitenstetten) 265 Huebmann, Simon (17. Jh., Admont) 204*, 265 Huefnagl, Matthäus (15. Jh.,42 Oberatlaich) 262 Hull, Francis (†1645, Englische Kongregation) 251 Humbert N. (17. Jh., Abt von Mariolles) 252 -Hunder, Konrad (17. Jh., Einsiedeln) 258 -Hütter, Roman (17. Jh., Břevnov) 264 -Hysser, Gregor (17. Jh., Einsiedeln) 259 Ignatius, Hl. 8, 33, 213 -Illemberger, Gregor (17. Jh., Tegernsee) 259 Inderstorffer, Joseph (†1708, Scheyern) 261 Innozenz XI. (Papst) 11, 57–58, 93–95, 100, 165, 244 Innozenz XII. (Papst) 57 -Jacobi, Karl (17. Jh., Andechs) 257 -Jager, Christoph (17. Jh., St. Lambrecht) 258 Janvier, René Ambroise (17. Jh., Maurinerkongregation) 220* Johann III. (König von Polen) 244 Johannes der Täufer, Hl. 280 Johannes Cellensis (17. Jh., Melk) 70, 261 Johannes Chrysostomus, Hl. 17, 27, 35, 135 Edition durch Fronton du Duc 27 Johannes Climacus, Hl. 85–91, 135–136 Edition durch Matthäus Rader 85 Johannes Jacob N. (17. Jh., Orsan) 252 Johannes von Speyer 4, 19° Joseph I. (Kaiser) 58, 71 Joseph N. (17. Jh., Prior von Ossiach) 261 Julius III. (Papst) 151 -Kamperger, Oddo (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 263 Karl II. (König von Enlgand) 166 Karl V. (Kaiser) 195, 211°, 212 Karl V. (Herzog von Lothringen) 244 Karl VI. (Kaiser) 58, 177 Karl Emmanuel (Herzog von Savoyen) 247 -Kazi, Ämilian (18. Jh., Göttweig) 176 Keck, Johannes († 1591) 218 Keller, Benedikt (†1629, Engelberg) 256 -Keller, Martin43 (17. Jh., Engelberg) 262 42 43
Identifikation unsicher. Wohl irrig für Maurus Keller.
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Kempens, Gottfried (17. Jh., Gladbach) 164*, 259 -Kendlmayr, Ildephons (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 260 -Kessler, Nikolaus (18. Jh., OCarth) 278–280, 283 Keuslin, Albert (†1657, St. Peter zu Salzburg) 255 Khamm, Korbinian (†1730, St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 258 Kibler, Ägidius (†1702, Andechs) 255 Kimpfler, Gregor (†1693, Scheyern) 259 Kimpfler, Rupert (†1708, Gleink) 265 -Kirchhamer, Reginbald (17. Jh., St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 264 Kirchmayr, Seraphin (†1660, Garsten) 198, 265 Klemens XI. (Papst) 11, 21°, 57, 69° Knedelseder, Placidus (18. Jh., Göttweig) 178 -Knitl, Placidus (17. Jh., Engelberg) 263 Kobolt, Felician (†1709) 258 -Koffer, Benedikt44 (17. Jh., St. Blasien) 256 Kolb, Honorat (†1670, Seeon) 260 Kongregationen des Benediktinerordens Bursfelde 132, 136° Bayerische Benediktinerkongregation 93, 100°, 193, 206 Maurinerkongregation 130, 138°, 209 Monte Cassino 130, 132, 139° S. Placido (Sizilien) 130 König, Robert (†1713, Garsten) 244* Körzinger, Augustin (†1678, Melk) 256 Krenner, Amand (†1683, Lambach) 255 -Krez, Albert (18. Jh., Ottobeuren) 203*, 255 -Krodt, Anselm (17. Jh., St. Pantaleon zu Köln) 255 -Kronenfeld, Wenzel von (17. Jh., Břevnov) 265 -Kuedorffer, Edmund (17. Jh., Lambach) 258 L’Espagnole, Jean (17. Jh., Reims) 252 Labbé, Philippe (†1667, SJ) 271 Lacroix, Claude (†1714, SJ) 56 Lainez, Jacopo (†1565, SJ) 73, 82, 100 Lamormaini, Heinrich (†1647, SJ) 38, 40 Lampugnani, Agostino (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 Lancelot, Claude (†1635, Maurinerkongregation) 250 Lancitius, Nicolaus (†1653, SJ) 26–27, 31, 60, 82, 96, 106, 116, 158, 201 -Landau, Reiner von (17. Jh., Melk) 38, 66°, 264 Lanfranc (Bischof von Canterbury) 11 Lang, Michael (†1718, Einsiedeln) 204* Lange, Paul (16. Jh., Posau) 218 Larson, Valentin (†1728, Melk) 163*, 203*, 214°, 265 Lazeroni, Cherubino (17. Jh., Italien) 250 Le Contat, Jérôme Joachim (†1690, Maurinerkongregation) 192, 203*, 252 Le Nourry, Denis Nicolas (†1724, Maurinerkongregation) 241* -Lehrer, Ildephons (18. Jh., Admont) 260 -Leizendorffer, Georg (17. Jh., Admont) 259 Lemos, Francisco de (17. Jh., S. Zoil) 229* -Lendling, Willibald (17. Jh., Ochsenhausen) 265 44
Irrig für Beringer Koffer.
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
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-Lendlmayr, Marian (17. Jh., Admont) 261 Leo IX. (Papst) 11 -Leo, Bonaventura (17. Jh., Engelberg) 257 Léon, Alonso de (17. Jh, Monserrat) 249 Léon, Luis de (?)45 192 Leopold I. (Kaiser) 20, 58, 71, 244 Leopold III. (Markgraf von Österreich) 18 Leuckfeld, Johann Georg (†1726, protestantischer Gelehrter) 139 Leys, Léonard (†1623, SJ) 59 Lichtenhaimb, Maurus (†1707, St. Lambrecht) 262 -Litisch, Otto (17. Jh., Scheyern) 263 Llewellin, Edward (17. Jh., Englische Kongregation) 166, 251 Lloret, Mateo (17. Jh., Spanien) 253 Lobineau, Guillaume Alexis (†1727, Maurinerkongregation) 232* Lopin, Jacques (†1693, Maurinerkongregation) 252 Louchier, Jacques (†1658, Belgien) 252 Ludwig der Fromme (Kaiser) 184 Ludwig XIV. (König von Frankreich) 58, 71°, 200, 235 -Ludwig, Rupert (17. Jh., Ottobeuren) 265 Lummene de Marcke, Jacques Corneille de (†1629, St-Pierre-au-Mont-Blandin bei Gent) 226* Luther, Martin 37, 217 -Luytens, Thomas (17. Jh., Liessies) 71 Mabillon, Jean (†1707, Maurinerkongregation) 21, 71–72, 189, 192, 200, 206, 213°, 235*, 301 Maeder, Candide (17. Jh., Ebersheim) 162*, 224* Magdalena de Pacis, Hl. 92 -Magg, Augustin (18. Jh., Weingarten) 256 Magnus N. (17. Jh., Admont, Musiker) 261 Maihew, Edward (†1625, Englische Kongregation) 251 -Mandosio, Prospero (17. Jh.) 227 -Manincor, Edmund (17. Jh., Admont) 162*, 258 Manrique, Leander de Granada (17. Jh., Spanien) 252 Manso, Vittorino (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 254 Marchese, Mauro (†1650, Kongregation von Monte Cassino) 240* Marchstaller, Hieronymus (†1638, St. Paul im Lavanttal) 260 -Margarini, Cornelio (17. Jh, Kongregation von Monte Cassino) 226* Marius N. (17. Jh., Lérins) 253 Marlot, Guillaume (†1667, Maurinerkongregation) 232* Marocquin, André (†1606, Belgien) 249 Marquais, Jacques de (†1604, Belgien) 252 Martène, Edmond (†1739, Maurinerkongregation) 229* -Marthon, Hieronymus (17. Jh., San Benito zu Valladolid) 232* Martin, Claude (†1696, Maurinerkongregation) 203*, 246, 250 Martinay, Jean (†1717, Maurinerkongregation) 236* Martinengo, Lucillo oder Tito Prospero (16. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 218 Martínez, Martin (†1634, Spanien) 253 -Martini, Leodegar (17. Jh., Weingarten) 261 Marzilla, Pedro Vincente (17. Jh., Santiago de Compostela) 243* Masen, Jakob (†1681, SJ) 272 45
Bezeichnet als abbas sancti Benedicti Hispalensis, was gegen eine Gleichsetzung mit dem gleichnamigen Mystiker (†1591) spricht. Dieser würde jedoch gut in den Kontext (Aufzählung spiritueller Literatur) passen.
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Massuet, René (†1716, Maurinerkongregation) 244* Mathou(d), Hugues (†1705, Maurinerkongregation) 232* Matina, Leo (†1678, Kongregation von Monte Cassino) 238* Maurus, Hl. 158 Max Emmanuel (Kurfürst von Bayern) 58 -Mayr, Georg(e) (17. Jh., Maurinerkongregation) 251 -Mayr, Michael (17. Jh., Melk) 263 Mége, Antoine Joseph (†1691, Maurinerkongregation) 252 Meichelbeck, Karl (†1734, Benediktbeuren) 257 Melk 18° Ménard, Nicolas Hugues (†1644, Maurinerkongregation) 233* -Menich, Placidus (17. Jh., Andechs) 264 -Mesenich, Anton (St. Matthias zu Trier) 255 Meyer, Cölestin (†1753, St. Ulrich und Afra) 257 Mezger, Franz (†1701, St. Peter zu Salzburg) 203, 242, 259 Mezger, Joseph (†1683, St. Peter zu Salzburg) 242, 261 Mezger, Paul (†1702, St. Peter zu Salzburg) 242* Mezler, Jodok (†1639, St. Gallen) 261 Mezler, Thomas (17. Jh., Zwiefalten) 246* -Millon, Quirin (18. Jh., Tegernsee) 264 -Milpaur, Placidus (17. Jh., Oberatlaich) 264 Miranda, Pedro de (17. Jh., Spanien) 253 Molina, Luis (†1600, SJ) 165 -Molitor, Jakob (17. Jh., Ottobeuren) 260 Moneda, Andrés de la (17. Jh., St-Beauzire) 220* Montfaucon, Bernard de (†1741, Maurinerkongregation) 223* -Moore, Gertrudis (17. Jh., Englische Kongregation) 251 Moreau, Balduin (†1622, OCist) 159 Morillon, Julien (†1694, Maurinerkongregation) 253 -Mörlin, Bernhard (17. Jh., Wiblingen) 256 -Morsak, Joachim (17. Jh., Zwiefalten) 260 -Müller, Gall (17. Jh., Einsiedeln) 204*, 259 -Müller, Moritz (18. Jh., St. Gallen) 262 Müller, Roman (†1671, Seeon) 163, 264 Muñoz, Anselmo (†1612, Spanien) 250 Murga, Pedro de (†1686, San Millán de Cogalla) 242* Muto, Paolo (†1650, S. Paolo fuori le Mura) 198 Muzio, Pio (†1649, Kongregation von Monte Cassino) 253 -Naisel, Ämilian (17. Jh., Weihenstephan) 255 Nakatenus, Eckhard (†1716, Gladbach) 204*, 258 Ness, Rupert (†1740, Ottobeuren) 265 -Neymann, Odilo (17. Jh., Ochsenhausen) 263 Niggel, Erhard (17. Jh., Scheyern) 258 Nigroni, Giulio (†1625, SJ) 74 -Nikolaus von Dinkelsbühl (†1433, Melk) 19 -Noeth, Heinrich (17. Jh., St. Blasien) 260 -Nuce, Angelus de (17. Jh., Erzbischof von Rossano) 220* Nys, Johannes (†1622, OPraed) 163 Oberascher, Maurus (†1697, Mondsee) 262 Oliva, Paolo (†1681, SJ) 42
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
-Omodeo, Stefano (18. Jh., S. Simpliciano zu Mailand) 254 Orlandini, Nicola (†1606, SJ) 83 Ortíz de Ibarrola y Ayala, Lorenzo (17. Jh., Spanien) 252 Overham, Adolph (†1686, Werden) 254 Oviedo y Hevia, Fulgencio de (17. Jh., San Benito zu Valladolid) 230* Ower, Peter (17. Jh., Petershausen) 263 -Paar, Berthold von (17. Jh., Göttweig) 204*, 257 Pacheco de Ribera, Placído (17. Jh., Spanien) 253 -Pachler, Amand (17. Jh., St. Peter zu Salzburg) 255 -Parrino, Gregorio (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 251 Passero, Felice (†1626, Kongregation von Monte Cassino) 251 -Pauget, Antonius (17. Jh., Maurinerkongregation) 250 Paul III. (Papst) 11, 151 Paul IV. (Papst) 82, 100, 149–151 Pawlowski, Daniel (†1673, SJ) 290–292 Pelagius N. (17. Jh., Abt von S. Pedro de Arlanza) 253 Pereira, Fructuoso (†1660, Portugal) 251 Pérez, Antonio (†1637, Erzbischof von Tarragona) 125, 163*, 221* Pérez, José (†1697, Spanien) 252 Perfetto, Angelo (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 Perionius, Joachim (†1551) 218 Perotti, Girolamo (†1633, Kongregation von Monte Cassino) 252 -Pestaluz, Cölestin (17. Jh., Kremsmünster) 257 Petit-Didier, Matthieu (†1727, Kongregation von St-Vanne) 253 -Petronio, Zaccaria (†1645, Arezzo) 198 Petrus Venerabilis 184 -Petschart, Paul (17. Jh., Einsiedeln) 263 Pettschacher, Benedikt (†1701, St. Lambrecht) 256 Pez, Bernhard (†1735, Melk) 19 Pez, Hieronymus (†1762, Melk) 19, 260 Pfau, Yso (†1679, St. Gallen) 266 -Pfeffer, Felix (17. Jh., Ottobeuren) 258 -Pfeiffer, Alanus (17. Jh., Admont) 255 Philipp II. (König von Spanien) 212 Philipp III. (König von Spanien) 243 Philipp IV. (König von Spanien) 219, 228–229 Piasecki, Paweł (†1649, Bischof, Historiker) 292 Pichler, Ämilian (17. Jh., Benediktbeuern) 255 -Pignewart, Jean (17. Jh., Belgien) 252 -Pikel(ius), Urban (17. Jh., St. Lambrecht) 265 Pindar 246 Piscopia Cornari, Elena Lucrezia (†1684, Kongregation von Monte Cassino) 244* Placidus, Hl. 158 -Pladung, Maurus (17. Jh., Weingarten) 262 Plauen, Leopold von (†1682, Zwiefalten) 261 -Plautz, Kaspar (†1627, Seitenstetten) 167, 178, 225* -Plaz(ius), Jakob (17. Jh., Weingarten) 260 -Pley, Cölestin (18. Jh., Seitenstetten) 223* Plöchinger, Franz (18. Jh., Seligenstadt) 259 Pommeraye, Jean François (†1687, Maurinerkongregation) 229* -Prandt, Matthäus (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 262
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Prausperger, Marian (†1761, Tegernsee) 261 Preysing, Johann Jakob von (†1645, Tegernsee) 261 -Priefer, Paul (17. Jh., Garsten) 263 Probst, Cölestin (†1666, Andechs) 257 -Prunner (Brunner), Martin (17. Jh., Muri) 262 Puccinelli, Placido (†1685, Kongregation von Monte Cassino) 253 Putéo, Giacomo (16. Jh., Kardinal) 150 Quatremaire, Jean Robert (†1671, Maurinerkongregation) 254 Quesnet, François (†1718, Maurinerkongregation) 254 -Quintanilla, Gregiorio de (17. Jh., Spanien) 251 -Raisberger, Georg (17. Jh., Tegernsee) 259 Rambeck, Ägidius (†1692, Scheyern) 219* Rambeck, Maurus (†1686, Andechs) 241* Rassler, Christoph (†1675, Zwiefalten) 258 -Rauber, Placidus (17. Jh., Münsterschwarzach) 264 Raulini, Orazio (†1592) 218 Rauscher, Roman (†1683, Garsten) 264 -Rayser, Amand (17. Jh., Altenburg) 202*, 255 Rebiser, Simon (†1668, Mondsee) 265 Reding, Augustin (†1692, Einsiedeln) 165, 222* -Reding, Gottfried (17. Jh., Weingarten) 259 Regondi, Raimund (†1715, Altenburg) 214, 264 Reichart, Albert (†1727, St. Paul im Lavanttal) 255 Reiffenstuell, Ignaz (†1720, SJ) 214 -Reimann (Raymann), Maurus (17. Jh., Břevnov) 161, 262 Reinosa, Plácido de (17. Jh., Spanien) 253 Reitberger, Stephan (†1634, Scheyern) 245* Reittmayr, Cölestin (†1729, Mallersdorf) 257 Renz, Placidus (†1748, Weingarten) 264 Resch, Martin (†1709, Kremsmünster) 262 -Ressmann, Christoph (17. Jh., St. Lambrecht) 258 Rettenbacher, Simon (†1706, Kremsmünster) 164*, 245* Reyner, Clement (†1651, Englische Kongregation) 250 Ribadeneira, Pedro (†1611, SJ) 73, 213 Richeome, Louis (†1625, Theologe) 38 Ringmayr, Thomas (†1662, Wessobrunn) 265 Rinsweger, Wolfgang (†1721, Tegernsee) 265 Rodríguez, Alonso (†1617, SJ) 74 -Röher, Sebastian (17. Jh., Ottobeuren) 265 Romano (?)46, Arcangelo (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 250 Romano (?)46, Placido (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 253 -Romoser, Cölestin (18. Jh., Admont) 224* Rost, Maurus (†1706, Iburg) 262 -Roth von Schöckenstein, Anselm (17. Jh., Kempten) 255 -Rottenheusler, Candidus (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 257 -Rottenheusler, Ulrich (17. Jh., Zwiefalten) 265 Roussel (?)47 213 46 47
Nicht zwangsläufig ein Familienname. Über P. Roussel wird gesagt, dass er im „Journal des Scavans“ über Jean Mabillon geschrieben hat.
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
Rubens, Leonhard (†1609, Abdinghoff zu Paderborn) 261 -Rucker, Ildephons (18. Jh., Schottenkloster zu Wien) 20, 260 Ruedorffer, Bernhard (†1679, Seeon) 257 Ruinart, Thierry (†1709, Maurinerkongregation) 138, 213, 245* Ruiz (16. Jh., ?) 218 Ruiz, Gaspar (17. Jh., Montione) 251 Ruiz, Gaspar (17. Jh., Zeliv) 251 -Ruosch, Maurus (17. Jh., Zwiefalten) 262 Rupert N. (17. Jh., Kremsmünster, Musiker) 265 Sacchini, Francesco (†1625, SJ) 149 Sadler, Thomas Vincent Faustus (†1681, Englische Kongregation) 254 Sáenz de Aguirre, José (†1689, Kardinal) 165, 237* Sainte-Marthe, Denis de (†1725, Maurinerkongregation) 228* Salazar, Andrés (†1638, Spanien) 249 Salazar, Juan de (17. Jh., Spanien) 252 Salvin, Peter (†1675, Englische Kongregation) 253 Salzburg – Universität 270° San José, Diego de (17. Jh., Spanien) 250 San Roman, Antonio (16. Jh., S. Zoil) 221* San Thomas, Leão de (17. Jh., Tibaez) 238* San Víctores, Alonso (17. Jh., Bischof von Almería) 219* Sancto Martino, Leander a (†1636, Englische Kongregation) 179, 237* -Sandholzer, Gall (17. Jh., Ottobeuren) 259 Sandoval, Prudencio de (17. Jh., Bischof von Pamplona) 243* Santo, Giovanni (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 252 -Sanvis, Maximilian (17. Jh., St. Lambrecht) 262 Sayer, Gregory (†1602, Kongregation von Monte Cassino) 232* Schallhammer, Bernhard (†1732, Tegernsee) 257 Schallhammer, Paul (†1732, Tegernsee) 263 -Schapperger, Desiderius (17. Jh., Seeon) 258 Schenk, Hermann (†1706, St. Gallen) 260 Schibnigg, Bruno (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 257 Schlager, Anselm (†1678, Andechs) 255 -Schleir, Magnus (17. Jh., Elchingen) 261 -Schloggo, Edmund (17. Jh.) 258 -Schmidt, Wolfgang (18. Jh., Zwiefalten) 265 Schmier, Franz (†1728, Ottobeuren) 229* -Schopff, Meinrad (17. Jh., Admont) 262 -Schott, Marian (17. Jh., Einsiedeln) 204*, 261 Schottenkloster zu Wien 6, 20°, 30, 52 Schramb, Anselm (†1720, Melk) 18–19, 66, 139, 220* Schrenck auf Notzing, Karl (†1704, St. Peter zu Salzburg) 257 -Schroz, Rochus (17. Jh., Admont) 264 -Schulthaiss, Karl (18. Jh., Ottobeuren) 257 -Schumius, Friedrich (17. Jh., Admont) 259 -Schütz, Pontian (17. Jh., Ottobeuren) 264 Schwab, Marian (†1664, Scheyern) 262 Schwalbach, Johann Friedrich von (17. Jh., Fulda) 66 -Schwaler, Beda (17. Jh., Einsiedeln) 256 -Schwarz, Adalrich (17. Jh., Einsiedeln) 254 Schwarzspanierkloster zu Wien 6, 20°, 30, 70
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Thomas Wallnig
-Schwediauer, Michael (17. Jh., Garsten) 263 -Scipioni, Marco Antonio (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 240* -Scupina, Chrysostomus (17. Jh., St. Lambrecht) 258 Sedelmayer, Roman (†1722, St. Blasien) 244* Sedulius Caelius 121 -Seiler, Joachim (17. Jh., Einsiedeln48) 204*, 260 Seitenstetten 178° Seitz, Michael (17. Jh., Admont) 263 Selender von Prossowitz, Wolfgang (†1619, Břevnov) 266 Seneca 26, 108 -Sengmiller, Edmund (17. Jh., Michaelbeuern) 258 -Sepp, Alphons (17. Jh., Marienberg) 255 Serna, Benito de la (†1652, San Vincente) 223* Sersale, Zaccaria (†1686, Kongregation von Monte Cassino) 254 Sfondrati, Celestino (†1696, Kardinal) 165, 176, 191, 199, 224* Silva Pachego, Diego (17. Jh., Bischof von Cadíz) 228* Sirmond, Jacques (†1651, SJ) 271 Sobek von Bilenberg, Matthäus Ferdinand (†1625, Erzbischof von Prag) 262 Sombeck, Louis (†1609, Belgien) 253 Souris, Gérard (†1622, Belgien) 251 Spacil, Placidus (17. Jh., Břevnov) 264 -Spiess, Benedikt (17. Jh., St. Stephan zu Würzburg) 256 -Spiess, Johann (17. Jh., Weingarten) 261 -Spieß, Placidus (17. Jh., Ochsenhausen) 161, 204*, 264 Stadlmayr, Alphons (†1683, Weingarten) 255 Staudigl, Ulrich (†1720, Andechs) 265 -Steigentesch, Meinrad (17. Jh., St. Blasien) 263 Steinbacher, Placidus (†1720, Mallersdorf) 264 -Steinegger, Meinrad (17. Jh., Einsiedeln) 263 -Steinhauser, Matthäus (18. Jh., Melk) 262 Stella, Lattanzio (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 252 Stempfle, Martin (†1661, Füssen) 262 Stengel, Georg (†1651, SJ) 169 Stengel, Karl (†1663, St. Ulrich und Afra) 164* 169, 203, 224* -Stockhammer, Quirin (17. Jh., Scheyern) 264 -Stockher, Paul (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 242* Stöcklin, Augustin (†1641, Disentis) 256 -Stöger, Roman (17. Jh., Rott am Inn) 264 -Storch, Augustin (17. Jh., St. Paul im Lavanttal) 256 Strotz, Anton (†1724, St. Lambrecht) 255 Suarez, Francisco (†1617, SJ) 267 Sulger, Arsenius (†1698, Zwiefalten) 256 -Sybenius, Petrus (17. Jh., Gladbach) 166, 263 Szczygielski, Stanisław (†1687, Polen) 254 -Tabernicius, Joachim (†1617, Mariazell) 197, 213° Tani, Filippo (†1712, Kongregation von Monte Cassino) 253 -Tantucci, Mauro (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 253 Textor, Sebastian (†1722, Ottobeuren) 69–70, 162*, 245* Theresia, Hl. 130 48
Wohl ident mit dem auf der gleichen Seite genannten Joachimus abbas Fischingensis, welches Amt Seiler tatsächlich innehatte.
Die „Epistolae apologeticae pro ordine sancti Benedicti“
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Thomas von Aquin, Hl. 25–27, 31, 34–35, 49, 68, 158, 284 Thomas von Kempen 107, 112, 11749, 281 Thun, Johann Ernst von (†1709, Erzbischof von Salzburg) 69 Tornamira, Pietro Antonio (†1681, Kongregation von Monte Cassino) 222* Torres, Facundo de (17. Jh., Erzbischof von Santo Domingo) 229* Toto, Onorato (17. Jh., Cava de’Tirreni) 232* Townson, John (†1718) 252 Trauner, Ignaz (†1694, St. Emmeram zu Regensburg) 162*, 260 Trithemius, Johannes (16. Jh., OSB, Sponheim) 111, 159 Tschudi, Dominik (†1644, Muri) 258 -Turner, Albert (17. Jh., Altenburg) 255 -Turner, Cölestin (17. Jh., St. Ulrich und Afra) 257 Turrecremata, Johannes de (†1468, Kardinal) 125, 193 -Umbhoffer, Karl (17. Jh., Wiblingen) 257 Urban VIII. (Papst) 57 -Urtlauff, Placidus (17. Jh., Theres) 162*, 264 Utz, Philibert (†1686, Melk) 263 -Vaillant, Hugues-Guillaume (18. Jh., Maurinerkongregation) 252 -Valgrave, Francis (17. Jh., Maurinerkongregation) 251 Valle de la Cerda, José (17. Jh., Bischof von Almeíra) 235* Valsecchi, Virginio (†1739, Kongregation von Monte Cassino) 248* Vaquero, Francisco (17. Jh., Spanien) 251 Vazquez, Gabriel (†1604, SJ) 267 Vecchia, Pietro (†1694, Kongregation von Monte Cassino) 163*, 192, 253 Vidal Truxillo y Garajales, Alonso (18. Jh., Spanien) 249 -Vierholz, Karlmann (18. Jh., Admont) 257 Villa, Esteban de (†1660, Spanien) 254 Villagut, Alfonso (17. Jh., Kongregation von Monte Cassino) 249 Vinzenz von Beauvais 228 -Vischer, Sympertus (17. Jh., St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 265 Vischl, Gotthard (†1745, Kremsmünster) 259 Vogel von Krallern, Anton (†1751, Schwarzspanierkloster zu Wien) 20 -Vogel, Georg (17. Jh., Wiblingen) 259 Vogl, Coelestin (†1691, St. Emmeram zu Regensburg) 257 -Völker, Matthäus (17. Jh., Weingarten) 262 -Waffenschmid, Adam (17. Jh., St. Blasien) 254 -Walbat, Johann Adolph (17. Jh.) 260 Wallon-Capellius, Petrus (16. Jh, Belgien) 126–127, 209 -Wanner, Konrad (Zwiefalten) 204*, 258 -Wegelin, Georg (17. Jh., Weingarten) 259 Weichlein, Roman (†1705, Lambach, Musiker) 264 -Wei(nc)kens, Johannes (18. Jh., Seligenstadt) 236* Weiss, Matthäus (†1638, Andechs) 205*, 262 Weiss, Thomas (17. Jh., Neresheim) 221 Weissenbach, Anselm (†1698, Muri) 255 -Weisshaubt, Wolfgang (17. Jh., Einsiedeln) 204*, 266 49
Pez weicht meist dem schwelenden Autorenstreit durch die Formulierung autor De Imitatione Christi aus, deklariert sich aber einmal doch für Johann Gersen (117).
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Thomas Wallnig
Weixer, Melchior (17. Jh., Prüfening) 241* Weller, Balthasar (17. Jh., Banz) 256 -Wenger, Maurus (18. Jh., Garsten) 262 Wenzl, Alphons (†1743, Mallersdorf) 255 Wenzl, Bernhard (†1714, Tegernsee) 257 -Werlin, Johannes (17. Jh., Seeon) 261 -Westermayr, Gregor (17. Jh. Mariazell) 213, 260 -Wex, Chrysostomus (17. Jh., St. Blasien) 258 Widel, Benedikt (17. Jh., St. Emmeram zu Regensburg) 256 -Wider, Benedikt (17. Jh., Tegernsee) 256 Widmer, Hieronymus (†1672, Einsiedeln) 260 Wieser, Marian (†1723, St. Veit an der Rott) 262 -Wimperger, Gregor (17. Jh., Kremsmünster) 259 Winghius, Antonius (SJ) 71 Wion, Arnold (†1610) 218, 286 -Wiser, Rudolph (17. Jh., St. Lambrecht) 264 -Witzenberger, Zacharias (17. Jh., Neresheim) 266 Yepes, Antonio de (†1618, Spanien) 213, 220* -Zapler, Bernhard (17. Jh, Melk) 257 -Zeib(ius), Gregor (17. Jh., Ottobeuren) 259 -Ziegler, Sebastian (17. Jh., St. Blasien) 265 Zoller von Zollershausen, Joseph (†1750, St. Ulrich und Afra zu Augsburg) 261 Zurlauben, Placidus (†1723, Muri) 263 Zype, Hendrik van den (†1659, Belgien) 251
DANIELA RANDO
Venedigs „Früh“-Mittelalter in der Moderne Der Titel meines Vortrags spielt auf die vielschichtige Problematik Mittelalter – Moderne an, erläutert am Beispiel von Venedig. Dabei soll weniger die Mittelalter-Rezeption in literatur- oder kulturgeschichtlichem Sinn, weniger die Anwendung von Geschichte als politisches ‚Argument‛, sondern die Form der Auseinandersetzung mit der Moderne behandelt werden, bei der die Konzeption, Imagination und Konstruktion von Mittelalter die entscheidende Bedeutung gewinnen: Mittelalter also als Epochenimagination, als ‚voreingebildete‛ Bezugsgröße, mit der die Gegenwart, die Moderne geprüft, an der sie ge- und vermessen wird. Imagination, Vorstellung vom Mittelalter gleichsam als Erläuterung und Darstellung von Problemen der Moderne,1 als singuläres Exempel, an dem nach der Dialektik von Integration und Desintegration die Moderne entweder verklärt oder verurteilt werden kann. Im anliegenden Zusammenhang heißt das Exempel ‚Venedig‛ – die Stadt an der Lagune also als ‚Fallbeispiel‛. Einen zusätzlichen Anreiz bietet ihre Sonderstellung. Italienische Städte heben sich in der europäischen Wahrnehmung vor allem als ‚amodern‛ heraus, unter ihnen gilt Venedig als die amodernste überhaupt; weit entfernt von moderner Industrie- und Städtebaukultur, ohne Hochöfen und Wolkenkratzer; eine gleichsam im Meer ‚versunkene‛ Stadt, die mit metaphorischer Kraft sowohl zeitliche wie auch (tiefen)psychologische Prozesse emporsteigen lässt.2 Die Versenkung in die Vergangenheit, in die Zeitlosigkeit, in eine Traumwelt, in die tiefen Schichten des Unbewussten, schwingen also immer bei Beschreibung und Interpretation mit. Unter dieser Prämisse sollen einige Etappen zu diesem komplexen Phänomen vorgestellt werden: von der Wiederentdeckung der byzantinischen Wurzeln innerhalb des ‚Gothic Revival‛ im 19. Jahrhundert bis zur ‚venezianischen Gotik‛ als Kategorie der Antimodernität. 1. Um Achtzehnhundert wurde byzantinische Kunst in Frankreich und Deutschland zunächst bei den Sakralbauten innerhalb eines allgemeinen Interesses für die Romanik entdeckt3 (beide Termini waren austauschbar4). Fachleute und Amateure wie die Gebrüder Boisserée und Schlegel in Deutschland, Ludovic Vitet (1783–1854), der erste „Inspecteur général des Monuments historiques“, und Hippolyte Fortoul (1811–1856), Erziehungsminister in Frankreich (1852), glaubten byzantinische Elemente an den Kirchen des Rheinlandes und des Périgueux auszumachen. Für Friedrich Schlegel stand eindeutig fest, dass der byzantinische Stil das erste und hauptsächliche Vorbild für die abendländische Gotik war;5 für Fortoul, einen engagierten Publizisten 1
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Otto Gerhard Oexle, Die Moderne und ihr Mittelalter. Eine folgenreiche Problemgeschichte, in: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, ed. Peter Segl (Sigmaringen 1997) 307–364, hier 310–311. Ders., Bilder gedeuteter Geschichte. Eine Einführung, in: Bilder gedeuteter Geschichte. Das Mittelalter in der Kunst und Architektur der Moderne. Mit Beiträgen von Bernd Carqué, Ernö Marosi, Klaus Niehr und Otto Gerhard Oexle, ed. Otto Gerhard Oexle/Áron Petneki/Leszek Zygner (Göttingen 2004) 11–30; Bernd Carqué, Sichtbarkeiten des Mittelalters. Die ikonische Repräsentation materieller Relikte zwischen Visualisierung und Imagination, in: Visualisierung und Imagination. Sichtbarkeiten des Mittelalters. Materielle Relikte des Mittelalters in bildlichen Darstellungen der Neuzeit und Moderne. Mit Beiträgen von Gabriele Bickendorf, Bernd Carqué, Ingo Herklotz, Daniela Mondini, Klaus Niehr, Andrea Worm, ed. Bernd Carqué/Daniela Mondini/Matthias Noell (Göttingen 2006) 13–50, bes. 18–19 und 38. Bernard Dieterle, Die versunkene Stadt. Sechs Kapitel zum literarischen Venedig-Mythos (Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/ Wien 1995). Zum Folgenden Barrie Bullen, Byzantium rediscovered (London 2003). David B. Brownlee, Neugriechisch/néo-grec. The german vocabulary of French romantic architecture, in: Journal of the society of architectural Historians 50, 1 (1991) 18–21, 18: „néo-grec … was a broad term, encompassing even what we today call romanesque“. Vgl. auch Villads Villadsen, Studien über den byzantinischen Einfluss auf die europäische Architektur des 19. Jahrhunderts, in: Hafnia. Copenhagen Papers in the History of Art (København 1978) 43–77, 43. „Eine ältere, welche man wegen einiger Ähnlichkeit, mit der konstantinisch-byzantinischen christlichen Bauart, die gräzisierende nennen könnte“, zit. nach Brownlee, Neugriechisch 19 A. 4.
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Daniela Rando
zu Kunst und Politik, war die byzantinische Kunst der „Traum“, den die europäische Kunst ‚in ihrer Kindheit in der Wiege‛ geträumt habe.6 Die Wiederentdeckung der byzantinischen Wurzeln war gleichzeitig mit der Frage (und Polemik) zum ‚nationalen‛ Ursprung der Gotik verflochten.7 Ihre Interpretation hatte schon im 17. und 18. Jahrhundert zwischen ‚indigener‛ Vergangenheit und exotischer Alterität gewechselt; gotische Architektur galt damals entweder als indigen – der gotische Spitzbogen als Nachahmung der Astkrümmung in den von den Goten bewohnten Wäldern (!)8 – oder wurde dem Einfluss aus dem Orient zugeschrieben: schon nach Christopher Wren (1632–1723) galt die Gotik als ‚Sarazenischer Stil‛.9 In diesem byzantinischen ‚Revival‛ erscheint auch Venedig, besonders mit der Markus-Kirche: die Abteikirche St-Front, in Dedikation an den ersten Bischof von Périgueux in den Jahren 1020–1050 wiedererrichtet, ließ 1851 den Archäologen und Kunsthistoriker Félix de Verneilh in seinem Buch zur „Byzantinischen Architektur in Frankreich“ die Parallelen zu Markus-Kirche und Haghia Sophia herausarbeiten.10 Sein Werk schätzte Eugène Viollet-le-Duc, „einer der engagiertesten ‚Gotiker‛“:11 sonst vor allen Dingen mit dem ‚Gothic Revival‛ auf dem europäischen Festland verbunden, war er Befürworter einer französischen, byzantinischen Tradition und unterschied vielfältige Kanäle orientalischen Einflusses auf die Kirchenarchitektur: in der Auvergne und im Lyonnais, bei der Kathedrale von Le Puy etwa, zeige sich orientalischer oder besser adriatischer Einfluss in direkter Weise durch den Handel mit Venedig; der Nachweis von venezianischen Kaufleuten am Ende des 10. Jahrhunderts in Limoges, dazu von Nord-Osten her die Ausstrahlung byzantinischer Elemente bei den rheinischen Kirchen, dieses Zusammenwirken hätte die Einführung der Planimetrie und byzantinischer Details bei den Kirchen mit ihren Kuppelbauten in Aquitanien und im Midi gefördert.12 Neben dieser Aufarbeitung einer „vorgotischen“ Vergangenheit wurde Venedig auch zur Inspirationsquelle für eine Neuausrichtung der Architektur, aus einer ‚Invention‛ dieser Tradition: 1826 gab Ludwig I. den Auftrag zur Errichtung einer „Hofkapelle“ für seine Residenz in München im neobyzantinischen Stil mit einer Innenausstattung nach dem Vorbild der Markus-Kirche in Venedig;13 1843 ließ Friedrich Wilhelm IV. von Preußen das neun Jahre vorher erworbene Christos-Pantocrator-Mosaik aus der Basilika S. Cipriano auf Murano in der Friedenskirche von Potsdam anbringen, die selbst nach dem Vorbild der Basilika S. Clemente in Rom erbaut worden war.14 Die Markus-Kirche ihrerseits inspirierte 1852 Léon Vaudoyer bei der Neuerrichtung der Kathedrale von Marseille, einer damals bildlich als „Tor zum Orient“ gefeierten Stadt,15 sowie auch
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Hippolyte Fortoul, De l’art en Allemagne 2 (Paris 1842) 118 : „Le byzantinisme est le rêve qui a bercé l’art européen dans son enfance“. Vgl. Mario Kramp, Heinrich Heines Kölner Dom. Die „armen Schelme vom Domverein“ im Pariser Exil 1842–1848, (München/ Berlin 2002) 90–95. Magdalena Bushart, Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst: Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925 (München 1990) 34–36. Vgl. auch Friedrich Schlegel: „das Blumenhafte und Gewächsähnliche bildet die wesentliche Grundform und eigentümliche Schönheit in dieser Bauart, deren wahrer Ursprung und erster Grund in dem tiefen deutschen Naturgefühl ... zu suchen ist“ (Zit. nach Kramp, Heinrich Heines Kölner Dom 13). John M. Ganim, Native Studies: Orientalism and Medievalism, in: The Postcolonial Middle Ages, ed. Jeffrey Jerome Cohen (New York 2000) 123–134, 125. Vgl. Paul Frankl, Gothic Architecture, revised by Paul Crossley (New Haven 2000) 263–264 („The Term ‚Gothic‛ and the Concept of the Gothic Style“). „Saint Marc est un original dont Saint-Front n’est que la copie“ ; „quel qu’il soit, l’artiste qui a élevé la basilique Saint-Front, s’est constamment proposé pour but, l’imitation, la reproduction même de celle de Saint-Marc“ (Félix Joseph de Verneilh, L’architecture byzantine en France. Saint-Front de Périgueux et les églises a coupoles de l’Aquitaine [Paris 1851]). Noch nach Emile Mâle (1950), „Saint-Front de Périgueux ressemble à Saint-Marc de Venise et n’en dérive pourtant pas. C’est l’Orient qui a fourni le modèle de ces églises à cinq coupoles ... L’église des Saints-Apôtres à Constantinople, aujourd’hui détruite, paraît avoir été le prototype à la fois de Saint-Front et de Saint-Marc ... “ (Zit. nach François Loyer, Une basilique synthétique, in : Paul Abadie, architecte 1812–1884, 4 novembre 1988–16 janvier 1989, commissaire Claude Laroche (Paris 1988) 190–199, 196. Vgl. Bullen, Byzantium rediscovered 58–59, sowie Bruno Foucart, L’homme du néo-roman, in: Paul Abadie, architecte 1812–1884, 4 novembre 1988–16 janvier 1989, commissaire Claude Laroche (Paris 1988) 20–25, 23; Claude Laroche, Saint-Front de Périgueux, ou la coupole réinventée, in: ibid. 111–130, hier 113, 122; Laurence Madeline, De la décoration de Saint-Front et du projet de Charles Lameire, in: ibid. 130–133, 130. Kramp, Heinrich Heines Kölner Dom 98. Bullen, Byzantium rediscovered 59. Vgl. auch Loyer, Une basilique synthétique 198. Bullen, Byzantium rediscovered 21. Bullen, Byzantium rediscovered 25. Bullen, Byzantium rediscovered 71–72.
Venedigs „Früh“-Mittelalter in der Moderne
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einige Zeit später bei Sacré-Coeur in Paris durch Paul Abadie (1874),16 deren ursprüngliche Pläne nach der Auffassung von Projektgegnern eher denen einer Moschee als einer christlichen Kirche glichen.17 Bei dieser Wiederbelebung des europäischen Mittelalters stand also auch der Orient Pate – byzantinisch oder arabisch allgemein – ,18 verstanden als „imaginierte Vergangenheit des Westens“,19 als dessen Vermittlerin und Vorbild zugleich Venedig erschien. Ein ähnliches Bild bot sich in England, mit einiger zeitlicher Einschränkung: die Termini normannisch und romanisch wurden fast gleichlautend verwendet und oft mit byzantinisch gleichgesetzt, dazu eher diffus und ziemlich widersprüchlich, um einfach jedes Bauwerk vor der Gotik stilistisch einzuordnen. Noch 1842 dekretierte der „Ecclesiologist“, die Zeitschrift der konservativen Cambridge Camden Society: „Gotik ist die alleinige christliche Architektur“, und die byzantinische Kunst wurde als „Abgrund moralischer und intellektueller Entartung“ verurteilt;20 gleichzeitig aber kündigte sich ein Paradigmenwechsel im Verständnis von europäischer Vergangenheit nach der griechisch-römischen Klassik an: um 1850 leiteten ihn die Werke John Ruskins über S. Marco und andere byzantinische Bauten in Venedig ein. Ruskin hatte Venedig vor der Revolution von 1848 mehrmals bereist: aufgeschreckt durch in seinen Augen fortschreitende Akte der Barbarei, etwa den 1846 gebauten Eisenbahndamm zum Festland, die Beschießung Venedigs durch österreichische Artillerie während des Aufstandes zwei Jahre später, aber auch durch die kritiklose Kopierung gotischen Stils und die Beseitigung mittelalterlicher Baudenkmäler durch die fortschreitende Industrialisierung in seiner Heimat England, verfasste er ab 1849 seine bekannten programmatischen Schriften: „The seven Lamps of architecture“ und „The Stones of Venice“. Die sieben Leuchter entwarfen „moralische Kategorien“ als Vorschrift für eine vorbildliche Bauweise (etwa die des Leuchters der Wahrheit, der Aufrichtigkeit), die Ruskin in der zeitgenössischen Architektur angewendet wissen wollte. Schon in den „Leuchtern“ wurde der des Lebens beispielhaft durch die Lebensenergie der Markuskirche verkörpert; in der „Lamp of Power“ verfasste er umfangreiche Überlegungen zu Byzanz, die dann die Grundlage für die Studie zur Architektur in den „Stones“ wurden. Ruskin inspirierte die zeitgenössische Kontroverse über das ‚Gothic Revival‛, besonders über dessen „römische“ oder „High Church“-Tendenzen.21 In den „Stones of Venice“ – in der Zeit von 1851 bis 1853 in drei Bänden erschienen – wollte Ruskin die Werte der „Southern Gothic“ erläutern. Zur Charakterisierung ging er von der Spätantike aus: „While in Rome and Constantinople, and in the districts under their immediate influence, this Roman art of pure descent was practised in all its refinement, an impure form of it – a patois of Romanesque – was carried by inferior workmen into distant province; and still ruder imitations of this patois were excuted by the barbarous nations on the skirts of the Empire“;22 aber diese ‚Barbaren‛ waren „in the strength of their youth“, und „while, in the centre 16 17
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Bullen, Byzantium rediscovered 95. „... cette plate mosquée ... “ (Abbé Carle): Claude Laroche, Le concours de 1874, in: Paul Abadie, architecte 1812–1884, 4 novembre 1988–16 janvier 1989, commissaire Claude Laroche (Paris 1988) 211–227, 223. Vgl. Loyer, Une basilique synthétique 193, 196–198 (mythe oriental) ; Laroche, Le concours de 1874, 224–225. Kathleen Biddick, Coming out of exile: Dante on the Orient Express, in: The postcolonial Middle Ages, ed. Jeffrey Jerome Cohen (New York 2000) 35–52, 35. Von A.F. Rio, durch N. Wisemann übernommen: Bullen, Byzantium rediscovered 83–84. Vgl. zu Ruskin; Robert Hewison, Ruskin, John, in: Oxford Dictionary of National Biography 48 (Oxford 2004) 173–193; Bullen, Byzantium rediscovered 119–130; John Ruskin – Werk und Wirkung. Internationales Kolloquium, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln 24.–27. August 2000, ed. von der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Redaktion Elisabeth Sladek (Einsiedeln/Zürich/Berlin 2002); Michael W. Brooks, John Ruskin and the Victorian Architecture (London 1989); Robert Hewison/Ian Warrell/Stephen Wildman, Ruskin, Turner and the Pre-Raphaelites. On the occasion of the exhibition at Tate Britain, London, 9 March–28 May 2000 (London 2000); Ruskin e Venezia: la bellezza in declino. Convegno internazionale di studi, 15 e 16 dicembre 2000, Fondazione Giorgio Cini, ed. Sergio Perosa (Firenze 2001); Jeanne Clegg, Ruskin and Venice (London 1981); John Unrau, Ruskin and St. Mark’s (London 1984). The Works of John Ruskin on CD-Rom. The Library Edition edited by Edward Tyas Cook and Alexander Wedderburn; with an Introduction by Michael Wheeler and a History of the Library Edition by James S. Dearden, (Cambridge 1996) 9, 37: „While in Rome and Constantinople, and in the districts under their immediate influence, this Roman art of pure descent was practised in all its refinement, an impure form of it – a patois of Romanesque – was carried by inferior workmen into distant province; and still ruder imitations of this patois were excuted by the barbarous nations on the skirts of the Empire. But these barbarous nations were in the strength of their youth; and while, in the centre of Europe, a refined and purely descended art was sinking into graceful formalism, on its confines a barbarous and borrowed art was organising itself into strength and consistency.“
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of Europe, a refined and purely descended art was sinking into graceful formalism, on its confines a barbarous and borrowed art was organising itself into strength and consistency“;23 weiter: „The work of Lombard was to give hardihood and system to the enervated body and enfeebled mind of Christendom“.24 Die ‚Invasoren‛, „opposite in their character and mission, alike in their magnificence of energy, they came from the North and from the South, the glacier torrent and the lava stream: they met and contended over the wreck of the Roman empire; and the very centre of the struggle, the point of pause of both, the dead water ot the opposite eddies, charged with embayed fragments of the Roman wrecks, is VENICE“. Ihr „Ducal palace … contains the three elements in exactly equal proportions – the Roman, Lombard, and Arab. It is the central building of the world“.25 In diesem Zusammentreffen entsteht für Ruskin die venezianische Gotik, gleichzeitig das zentrale Thema der Stones und in einem großen Kapitel über die „Natur der Gotik“ abgehandelt, später als separate Arbeit publiziert vom prominentesten Schüler Ruskins, William Morris.26 Danach ist die Gotik nicht nur ein Stil, sondern eine Geisteshaltung mit festumrissenen moralischen Charakteristika und „just as the rough mineral is submitted to that of the chemist, entangled with many other foreign substances, itself perhaps in no place pure, or ever to be obtained or seen in purity for more than an instant … so in the various mental characters which make up the soul of gothic. It is not one nor another that produces it; but their union in certain measures“.27 Eben weil für Ruskin die Gotik auch in einer moralischen Qualität jenseits von chronologischen und rein stilistischen Unterscheidungen besteht, kann er eine enge Verbindung zwischen romanisch-byzantinischer Kunst und dem „Geist der Gotik“ herstellen.28 Die beiden Termini sind nicht antithetisch zu verstehen, ihre Grenzen sind fließend. Ruskin unterzieht die romanisch-byzantinische Kunst einer neuen Wertung; für ihn verwandelt sie sich im Laufe der Zeit in den gotisch-arabischen oder gotisch-byzantinischen Stil, der seinen vollendeten Ausdruck in der Markuskirche findet. Das Romanisch-Byzantinische wird so zu einem Bestandteil der Gotik in der venezianischen, bzw. arabischen oder byzantinischen Version. Dafür ist die Farbe charakteristisch: die Markuskirche „possesses the charm of colour in common with the greater part of the architecture, as well as of the manufactures, of the East, but the Venetians deserve especial note as the only European people who appear to have sympathized to the full with the great instinct of the eastern races“.29 Ruskin schätzte die intensive Kraft des orientalischen Handwerks und anerkannte seine Schönheit und Vollkommenheit; für ihn war z.B. die indische Kunst fein und raffiniert, in der Farbgebung von Turnerischer Eindrücklichkeit,30 auch wenn es ihm nicht gelang, diese Faszination mit der moralischen Ablehnung, die er für eine Kultur hegte, die diese Wirkung hervorgebracht hatte, in Einklang zu bringen, und die ihn später zu viel radikaleren imperialistischen Positionen hinneigen ließ.31 Im Frühstadium hatte die „Hybridisierung“32 für ihn noch eine positive Valenz und 23 24
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The Works of John Ruskin 9, 37 The Works of John Ruskin 9, 38: „the work of Lombard was to give hardihood and system to the enervated body and enfeebled mind of Christendom; that of Arab was to punish idolatry, and to proclaim the spirituality of worship. The Lombard covered every church he built with sculptured …“ The Works of John Ruskin 9, 38. Zur Gotik, Bruno Girveau, Le Gothique monumental en Angleterre. Une affaire d’Etat, in: Gothic Revival. Architecture et arts dècoratifs de l’Angleterre victorienne (Paris 1999) 81–95; Clive Wainwright, Le Gothic Revival en Grande-Bretagne, ibid. 11ff. The Gothic Revival, 1720–1870. Literary sources & documents, ed. and with an introd. by Michael Charlesworth (Mountfield 2002); Gothic Revival: Religion, Architecture and Style in Western Europe 1815–1914. Proceedings of the Leuven Colloquium, 7.–10. November 1997, ed. Jan DeMaeyer/Luc Verpoest (Leuven 2000); Chris Brooks, The Gothic revival (London 1999); Il neogotico nel XIX e XX secolo. Atti del convegno „Il neogotico in Europa nei secoli XIX e XX“, Pavia 25–28 settembre 1985. 2 Bde., ed. Rossana Boscaglia/Valerio Terraroli (Milano 1990). The works of John Ruskin 9, 182–183: „just as the rough mineral is submitted to that of the chemist, entangled with many other foreign substances, itself perhaps in no place pure, or ever to be obtained or seen in purity for more than an instant; but nethertheless a thing of definite and separate nature“; „So in the various mental characters which make up the soul of gothic. It is not one nor another that produces it; but their union in certain measures. Each one of them is found in many other architecture beside Gothic; but Gothic cannot exist where they are not found, or at least, where their place is not in some way supplied“ (183–184). So übersetze ich the „Soul of Gothic“, in Anlehnung an Karl Scheffler, Der Geist der Gotik (Leipzig 1917). Vgl. Bushart, Der Geist der Gotik. The Works of John Ruskin 9, 98. John M. MacKenzie, Orientalism: History, Theory and the Arts (Manchester/New York 1995) 123. Vgl. Edward W. Said, Culture and Imperialism (London 1993) 123–126. Saids Auffassung einschränkend, MacKenzie, Orientalism 35–36. Im Sinne von Homi K. Bhabha, The Location of Culture (London/New York 1994).
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entsprach einer Vision, die noch weniger von den späteren Rassen- und sozialdarwinistischen Ideen gegenüber den orientalischen Völkern im Spätviktorianismus eingefärbt war. Ruskin verortet seine Überlegungen über den gotisch-arabischen/gotisch-byzantinischen Stil innerhalb seiner Auffassung der Gotik, die dazu neigt, das ganze Mittelalter zu umfassen: die venezianische Gotik verkörperte die Vergangenheit, das verlorene Paradies, all jene Werte, die in seinen Augen die Moderne verraten oder korrumpiert hatte. Sie stellte er der Renaissance gegenüber: das Kapitel „Byzantinische Paläste“ des zweiten Bandes der „Stones“ verfolgt das Schicksal Venedigs von den byzantinischen Anfängen bis zum Niedergang in der Renaissance. Gekleidet in der Farbe von Byzanz, durchläuft die Stadt einen Lebenszyklus von der Jungfrau zur Prostituierten, von der Unschuld bis zur Verderbnis: „Her glorious robe of gold and purple (Purpur ist für Ruskin die Farbe des Heiligen33) was given her when first she rose a vestal from the sea, not when she became drunk with the wine of her fornication“34 (Revelation 17:2). Humanismus, Luxus und Sinnenfreude verdarben die mittelalterlichen religiösen Malschulen:35 die „effectual blows“ der „pestilent art of renaissance“ hatten sich durchgesetzt.36 In der Architektur der Renaissance erkannte Ruskin teils die Wurzeln, teils den Ausdruck selbst aller Übel der Moderne, die seiner Meinung nach die eher organische Bauweise der Gotik verraten habe. Von daher gehen die Stones weit über den Rahmen einer herkömmlichen Architekturgeschichte hinaus: sie beschreiben die Geburt, den Aufstieg und den Fall von Imperien37 (der Einfluss von Gibbon ist unverkennbar), ein Muster, das Ruskin zum England seiner Zeit in Verbindung setzt im Einleitungskapitel des ersten Bandes von 1851: „Since first the dominion of men was asserted over the ocean, three thrones, of mark beyond all others, have been set upon its sands: the thrones of Tyre, Venice and England.38 Of the First of these great powers only the memory remains; of the Second, the ruin; the Third, which inherits their greatness, if it forgets their example, may be led through prouder eminence, to less pitied destruction“.39 Für Ruskin ist Venedig die Nachfolgerin des verschwundenen Tyros, Miltons verlorenes Paradies – „like her in perfection of beauty“: „a ghost upon the sands of sea, so weak – so quiet, – so bereft of all but her loveliness, that we might well doubt, as we watched her faint reflection in the mirage of the lagoon, which was the City, and which the Shadow“.40 So wollten die „Stones“ „den Spuren des ehemaligen, also vorwiegend gotischen Venedig nachgehen und ein Bild der verlorenen Stadt wiederherstellen“.41 Neben diesem Ideal musste auch die moderne Produktionsweise abfallen: „Wir haben in letzter Zeit die große Kulturerfindung der Arbeitsteilung sehr studiert und vervollkommnet, aber wir geben ihr einen falschen Namen. Richtig ausgedrückt ist nicht die Arbeit geteilt, sondern die Menschen. Sie sind in blosse Segmente von Menschen geteilt – in kleine Krumen – Bruchstücke und Krumen des Lebens gebrochen, so dass das kleine Stückchen Intelligenz, das einem Menschen übrig gelassen ist, nicht genügt, um eine Nadel oder einen Nagel zu verfertigen, sondern sich darin erschöpft, die Spitze einer Nadel oder den Kopf eines Nagels zu machen … Und der große Schrei, der sich aus allen unsern Fabrikstädten erhebt, lauter als das Gebläse ihrer Hochöfen, entsteht wahrhaftig nur, weil wir alles dort fabrizieren, nur keine Menschen“.42 33
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Michael Wheeler, Byzantine ‚purple‛ and Ruskin’s St Mark’s, Venice, in: Through the Looking Glass. Byzantium through British Eyes, Papers from the Twenty-Ninth Spring Symposium of Byzantine Studies, London, March 1995, ed. Robin Cormack/Elizabeth Jeffreys (Burlington-USA/Singapore/Sidney 2000) 9–18. „Byzantine ‚purple‛ is not only a colour of great ‚charm‛ for him; it is the colour of kingship and of sorrow, and thus, read typologically, the colour of redemption“ (18). The Works of John Ruskin 10, 177. Vgl. Robert Hewison, Venice and the Nature of Gothic, in: Robert Hewison/Ian Warrell/Stephen Wildman, Ruskin, Turner and the Pre-Raphaelites. On the occasion of the exhibition at Tate Britain, London, 9 March–28 May 2000 (London 2000) 87–125, 123. The works of John Ruskin 9, 47: „It is in Venice, therefore, and in Venice only, that effectual blows can be struck at this pestilent art of the Renaissance“. Hewison, Venice and the Nature of Gothic 87. Die Metapher des Throns verweist auf Byron: Dieterle, Die versunkene Stadt 438. The Works of John Ruskin 9, 17. The Works of John Ruskin 9, 17. Dieterle, Die versunkene Stadt 438; und vgl. 462. John Ruskin, Steine von Venedig, ed. und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Kemp (Dortmund 1994) 2, 189 (The works of John Ruskin 10, 196). Vgl. Carlpeter Braegger, Ruskin, dithyrambisch. Zur Ruskin-Rezeption bei Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), in: John Ruskin – Werk und Wirkung. Internationales Kolloquium, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln 24.–27. August 2000, ed. von der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Redaktion Elisabeth Sladek (Einsiedeln/Zürich/Berlin 2002) 171–201, 198.
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Ruskins „Mediävalismus“ war die Antwort auf den Schock der Industrialisierung, mit einer Sehnsucht nach Handarbeit („Melancholy for work“).43 Nicht zufällig ging die Wiederentdeckung der Handarbeit und des orientalischen Ornaments in den Jahren zwischen 1840 und 1860 mit einer Reaktion auf die frühe industrielle Massenproduktion einher: ein Zeitgenosse Ruskins, George C.M. Birdwood (1832–1917),44 idealisierte das indische Handwerk im Zeichen eines romantischen „Primitivism“. Die Sozialkritik war dieselbe, „the difference was that he (Ruskin) used medieval Europe rather than contemporary India as his exemplar“.45 Die Polemik der „Stones“ entsprach der Interpretation der gotischen Bauweise als Ausdruck kreativer Handarbeit, vollkommen verkörpert in Ruskins prominentesten Schüler William Morris (1834–1896). Für ihn war die Gotik die wahre Kunst der Moderne, die byzantinische Kunst die erste Ausformung, neu entstanden aus dem Niedergang Griechenlands und Roms,46 „new-born Gothic“, „Eastern Gothic, but still Gothic“;47 seine Bewunderung für das, was für ihn gotisch war, schwankte zwischen den Formen, die er in Byzanz, Frankreich und England im 12.–13. Jahrhundert vorfand. Morris war der wirkliche Vater des byzantinischen ‚Revival‛ mit der Popularisierung seiner „Arts and Crafts“, deren Einfluss über die Wiener Sezession und das Bauhaus bis in die Moderne reicht. Auch für ihn ist die Markuskirche eines der schönsten Bauwerke, im Mittelpunkt seiner Bewunderung steht jedoch die Hagia Sophia: „Elsewhere, St. Sophia, with its ‚stately simplicity‛, is placed above even St. Mark’s as the epitome of Morris’s highest artistic ideal“.48 Der Kern byzantinischer Kunst besteht nach Morris mehr in der kollektiven Gesamtleistung als im Ergebnis genialen Einzelgängertums;49 sie verband Architekt und Handwerker, Ost und West zu einer fruchtbaren Synthese:50 „from the East came the love of freedom, color, intricate design, and mystery; from the West – particularly from Greece and Rome – a reverence for discipline, meaning, structure, and natural fact“.51 Diese eher „imaginierte“ byzantinische Gesellschaft im Zeichen von „Einheit und Gleichheit“ verdankt viel dem Kapitel über die Natur des Gotischen in den „Stones of Venice“, mit einer Überbetonung der sozialen Komponente, die besonders in der Rezeption von Ruskins Gedanken in Deutschland wiederzufinden ist. 2. Ruskin starb genau um die Jahrhundertwende; erst danach mit einiger Verzögerung setzte der genannte Prozess ein. Er erfolgte frühzeitig über Hermann Muthesius, Architekt und zum Zeitpunkt von Ruskins Tod technischer Attaché bei der deutschen Botschaft in London, Mitbegründer des deutschen Werkbundes und Verfasser eines ausführlichen Nachrufs auf Ruskin. Darin verglich er dessen Einfluss in England mit dem Winkelmanns und Julius Langbehns in Deutschland. Gerade Langbehn schrieb er in seiner Werkbundrede 1911 das Verdienst zu, „die Wichtigkeit der künstlerischen im Gegensatz zu der wissenschaftlichen Kultur ins Gedächtnis“ gerufen zu haben; genau wie Langbehn als „Prediger in der Wüste“, so sei Ruskin als künstlerischem Apostel der Aufschwung der englischen Kunst verdankt. „Obwohl eher bei Ruskin der soziale, bei Langbehn der nationale Charakter im Vordergrund stand, strebten sie beide in gleicher Weise mit der Reform der Kunst zugleich die des ‚gesamten Lebens‘ an, die es durch erzieherische Maßnahmen zu fördern galt“.52 43
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Kathleen Biddick, The Shock of Medievalism (Durham/London 1998) 12–13: „Victorian intellectuals and artists (such as John Ruskin and William Morris) responded to the shock of industrialisation as a melancholy for work … that is, they concentrate, not on the disturbing lost objects, all those disembodied industrial workers whose disembodiment threatened their own imagined integrity, but on a sense of loss that they articulated as the ‚hand‛ of an imagined Gothic handicraft“. Vgl. auch Kramp, Heinrich Heines Kölner Dom 96–99 („Gotik und Modernisierung“). George C. M. Birdwood, The Industrial Arts of India. 2 Bde. (London 1880). MacKenzie, Orientalism 124. Bullen, Byzantium rediscovered 164. Thomas McAlindon, The idea of Byzantium in William Morris and W.B. Yeats, in: Modern Philology 64 (1966–67) 307–319, 312. McAlindon, The idea of Byzantium 314. „The work of collective rather than individual genius“, vgl. McAlindon, The idea of Byzantium 316. „The collective genius of a people working in free but harmonious co-operation is far more powerful than the spasmodic efforts of the individual, because with the former the expression of life and pleasure is unforced and habitual, and directly connected with the traditions of the past, and consequently as unfailing as the work of Nature herself. ... India Mesopotamia, Syria, Persia, Asia Minor, Egypt; the ideas and arts of all these countries touched her and mingled with the remains of the older art of Greece“ (zit. nach McAlindon, The idea of Byzantium 316 u. 317). Zit. nach McAlindon, The idea of Byzantium 317. Laurent Stalder, John Ruskin als Erzieher: Muthesius, England und die neue „nationale Tradition“, in: John Ruskin – Werk und Wirkung. Internationales Kolloquium, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln 24.–27. August 2000, ed. von der Stiftung
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Auch Julius Langbehn beschäftigte sich mit Venedig. 1890 erschien sein „Rembrandt als Erzieher“, ein sensationelles Erfolgsbuch, das innerhalb von zwei Jahren über 40 Auflagen erzielte;53 nach Fritz Stern, „eine Rhapsodie der Irrationalität“, in der die ganze wissenschaftliche Leistung damaliger deutscher Gegenwartskultur, ihre angebliche Vernichtung von Kunst und Individualität, der allgemeine Zug zum Konformismus an den Pranger gestellt wurde.54 Ziel Langbehns war eine nationale „Wiedergeburt“ durch die Macht der Kunst; da er sie mit Mystik gleichsetzte, wurde sie für ihn eine Form von Religion, eine Art Religionsersatz. Als Symbol der angestrebten Erneuerung erscheint der Maler Rembrandt, gleichsam ein wiedererstandener Prophet, der die „unwahre“ Kunst des zeitgenössischen Naturalismus zerstören und durch sein Vorbild beweisen sollte, dass Ziel und Zweck von Kunst nicht allein in der Schaffung von Schönheit, sondern mehr noch im Streben nach höchster und vollster Wahrheit liege. Langbehns „Weltanschauung“ blieb in ihrem Wesen negativ bestimmt, der Vergangenheit zugewandt. Von daher ist sein Buch Beispiel für ein Mittelalterparadigma, das der Überhöhung der Vergangenheit durch Geschichte zu dienen hatte und der Kritik an einer (unbefriedigenden) Gegenwart dienstbar gemacht wurde. Langbehn plädierte politisch für einen „gemeinschaftsgebundenen Individualismus und für ein ‚aristokratisch gegliedertes‛, d.h. individuell in sich abgestuftes Staatswesen“.55 Individualität bedeutet für ihn: „Einteilbarkeit, innere Abstufung, durchgaengige Organisation“, denn: „Persönlichkeit ist Blut, Individualität ist Geist der Scholle“, „Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben“.56 Venedig taucht nach dem Inhaltsverzeichnis unter drei der fünf großen Kapitelüberschriften auf. Sie lauten: I. Deutsche Kunst: (darunter findet sich Venedig). II. Deutsche Wirtschaft (merkwürdigerweise kommt Venedig hier nicht vor) III. Deutsche Politik (Hier wird auch Venetianische Politik behandelt). IV. Deutsche Bildung; und schließlich V. Deutsche Menschheit (Hier wird auf die Venetianisierung eingegangen). Venedig wird hier ganz unter dem nationalen, ja nationalistischen Aspekt gesehen, einem nicht näher definierten „Deutschtum“ vereinnahmt, erscheint also völlig „eingedeutscht“: diese Subsumierung führt zu absurden Stilblüten, z.B.: „Venedig, … eine alte deutsche Kolonie auf italischem Boden“57 – die Anspielung auf die Konkurrenz zwischen England, Frankreich und Deutschland um Kolonien in Afrika muss hier mitgedacht werden; und weiter: „die einstige venetianische Politik stellt, ganz wie die jetzige preußische (1888 war das Dreikaiser Jahr, 1890 die Entlassung Bismarks), eine Mischung von niederdeutscher Zähigkeit mit slawischer (Drei Kaiserbund) Gewandtheit dar; aber immerhin blieb das deutsche Element in Venedig doch das vorherrschende“;58 überraschend verbindet Langbehn dann Rembrandt und Venedig: „Wenn Rembrandt kein Niederländer wäre, so verdiente er ein Venetianer zu sein“;59 wie Rembrandt wird Venedig zum Vorbild: „Venedig zeigt dem deutschen Volke, im Spiegelbild und im kleinen Masstabe und in der Vergangenheit, was es in Wirklichkeit und in grösserem Masstabe und in der Zukunft sein könnte wie sollte. Es ist für das gesammte Deutschland, was Rembrandt für den einzelnen Deutschen ist: das historische Ideal“.60 Das alte, „aristokratische“ Venedig sollte als Modell für das gegenwärtige (von der Demokratie bedrohte) Deutschland herhalten: „Diesem Pfahlbürgerthum entgegen zu wirken, scheint das alte Venedig noch heute berufen. Es ist so recht eine adelige Stadt ... etwas innerer und äusserer Aristokratismus, nach venetianischer und Rembrandt’scher Art, würde dem deutschen Volke darum sehr gut thun!“.61 Dieser (-gelinde-) gesagt anachronistische Vergleich wird von Langbehn an anderer Stelle noch übertroffen: „Venedig, der einzelnen aristokratischen Stadt von einstmals steht Nordamerika, ein ganzer demokratischer Kontinent von heute gegenüber; indess dürfte den jetzigen Deutschen die Wahl zwischen beiden Mustern nicht schwerfallen. Venetianisirung ist besser als Amerikanisirung!“.62 53 54
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Bibliothek Werner Oechslin, Redaktion Elisabeth Sladek (Einsiedeln/Zürich/Berlin 2002) 159–169, hier 160. Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher: von einem Deutschen (Leipzig 61890). Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland. Übers. aus d. Amerikan. von Alfred P. Zeller (München 1986) 127f. Oexle, Die Moderne und ihr Mittelalter 333. Oexle, Die Moderne und ihr Mittelalter 333. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 287. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 137. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 50. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 287. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 49–50. Langbehn, Rembrandt als Erzieher 286.
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Langbehn geht nirgendwo zusammenhängend auf das Mittelalter in Venedig als „Epoche“ ein, doch die Bezugnahme wird an mehreren Einzelbeispielen deutlich, etwa in der Gegenüberstellung Rembrandt-Rafael und S. Marco-S. Pietro: „Wie Rembrandt das Gegentheil Rafael’s, ist die Markuskirche zu Venedig das Gegentheil der Peterskirche zu Rom. Das dunkle und goldglänzende Innere der ersteren zeigt eine überraschende Ähnlichkeit mit dem von Rembrandt öfters gemalten Tempel Salomonis; der Weg von Amsterdam nach Jerusalem geht über Venedig; geographisch wie geistig. Und mehr als das. Die Innenräume jenes nationalen venetianischen ‚Tempels‛ entsprechen völlig dem Malprinzip des grossen Niederländers; ihre künstlerische Wirkung setzt sich zusammen aus mystischem Dunkel und mystischem Licht … ganz so wie die Bilder des Helldunkelmeisters“.63 Kein anderes Buch der sogenannten völkischen Kritiker hinterließ bei den Zeitgenossen tieferen Eindruck, keine andere Mischung von Kulturpessimismus und nationalistischer Hoffnung erlangte je solche Popularität: Langbehn hatte verstanden, im rechten Augenblick und in seiner suggestiven Sprache jenen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die später eine neue Epoche kennzeichen sollten. Bedeutsamer noch war die Tatsache, dass Langbehns eigentümliche Ideenverbindung, sein von Ästhetik bestimmtes Verhältnis zur Politik und die Rechtfertigung des Imperialismus durch die Kultur, die Verbindung von Sittlichkeit mit einer Wunschvorstellung vom Wesen der ‚alten‛ Deutschen, bei den im Entstehen begriffenen rechtsgerichteten Gruppierungen zum allgemeinen Gedankengut wurde. Einfalt, Natur, Kraft, Volkstum, deutsche Kunst und eine neue deutsche Gemeinschaft, dies waren einige der Schlüsselbegriffe, die Langbehn unter Verwendung auch der Venedig-Metapher populär gemacht hatte. Kulturpessimismus und Antimodernität wurden in den neunziger Jahren zum zweifachen Ressentiment der unzufriedenen, konservativen Elemente des kaiserlichen Deutschland. 3. Gerade in der Zeitspanne des Auflagebooms von Langbehns Werk 1890–1892 schloss an der Universität Wien ein Student sein Geschichtsstudium mit einer Dissertation über den venetianischen Aristokraten Ludovico Gritti ab, der später als Forscher die erste, komplette und wissenschaftliche Darstellung der Geschichte Venedigs verfassen sollte: Heinrich Kretschmayr.64 Kretschmayr war Schüler von Alphons Huber und nach seiner Dissertation Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung in Wien. Neben seiner Arbeit als Archivar und Dozent an der Universität und anderen öffentlichen Einrichtungen übernahm er nach seiner Antrittsvorlesung als Privatdozent 1898 zum Thema Venedig die Aufgabe einer Gesamtdarstellung für die von Karl Lamprecht herausgegebene Reihe „Allgemeine Staatengeschichte“. Das Werk besteht aus drei Bänden, der Erste erschien 1905 und deckt die Zeit bis 1204 ab; der Zweite, fünfzehn Jahre später (1920), bis zum Ende des 15. Jahrhunderts; der Dritte wiederum fünfzehn Jahre später bis 1797, dem Ende der Republik Venedig durch die napoleonische Eroberung (1934). Nach der Abfolge der Erscheinungsdaten fallen die Bände auch in jeweils starke äußerliche Zäsuren: der Erste vor dem ersten Weltkrieg, der Zweite nach der deutsch-österreichisch-ungarischen Niederlage und der Dritte ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung. Der Gesamtumfang reicht bis an die 2000 Seiten heran – ein Monumentalunternehmen. Im ersten Weltkrieg sah Kretschmayr seine Aufgabe darin, als „politischer Schrifsteller (seine) Dienstpflicht gleichsam für den Tag versehen zu müssen“;65 nach der Niederlage von 1918 glaubte er durch seinen Eintritt in die großdeutsche Partei und die Pflege der deutsch-österreichischen Zusammenarbeit seiner konservativen Grundhaltung am ehesten gerecht zu werden. Seit 1928 erscheint er als Parteianwärter der NSDAP.66 Aus den Vorlesungen, die Kretschmayr 1935/36 an der Universität Wien hielt, stellte er eine Geschichte Österreichs zusammen.67 Für die Zeit unter Leopold VI., an der Wende vom 12. zum 13. Jh., wurde das „fern63 64
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Langbehn, Rembrandt als Erzieher 50. Heinrich Kretschmayr, Geschichte von Venedig, 3 Bde. (Gotha/Stuttgart 1905–34). Über den Verfasser: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, 4 (Wien/Köln/Graz 1969) 263–264; Fritz Fellner/Doris A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (Köln/Weimar 2006) 240–241; Ingrid Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr. Leben und Werk. (Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Wien 1977) (maschinenschriftlich). Zit. nach Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 64. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 33. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 117.
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ab gelegene, südostdeutsche Grenzland … eines der reichstgepflegtesten Gebiete deutscher Zivilisation und Kultur“68 und gewann „einen Ehrenplatz im Bereich jener großen, als Gotik bezeichneten abendländischen Gesinnung“.69 Darüberhinaus war das Land „Treffpunkt französisch-flandrischer und byzantinisch-slawischer Einflüsse“,70 „empfing aus dieser Kulturdurchdrungenheit eine besondere Eigenart und vollbrachte mit der Einführung des Fremden in die heimische Art eine besondere Leistung“.71 „In der gegen diese Einflüsse eingenommenen ‚geistigen Zögerung‛ sieht Kretschmayr eine der vielen Parallelen“ Österreichs zu Venedig.72 Im Zusammenhang mit der Annexion 1938 führt Kretschmayr in seiner erwähnten Geschichte weiter aus: „Die ewigen Gewalten haben uns wie vor 1000 Jahren den grossen Kaiser aus dem Hause der Ottonen, so jetzt den grossen Führer Adolf Hitler gegeben, und wir danken Gott für diese hohe Gnade“.73 Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, wenn auch Kretschmayr Langbehn paraphrasiert, der sich zur Zeit des jungen Studenten auch in Wien aufgehalten hatte. Aus dem „Rembrandt“ übernahm Kretschmayr wenigstens zwei Charakterisierungen der Venetianer, freilich ohne sie als direkte Zitate auszuweisen;74 ein drittes nimmt dagegen ausdrücklich Bezug auf Langbehn als den „Verfasser des Buches Rembrandt als Erzieher“, der spricht „von einer Poesie der Politik in Venedig“.75 Diese Verbindung Langbehn-Kretschmayr ist bemerkenswert, da der „Rembrandt“ nach der schon erwähnten Auflagenfülle 1890–1892 plötzlich das breite Leserinteresse verlor und erst nach der Niederlage 1918 im Verkauf wiederanzog. Kretschmayrs Zitate stammen auch genau aus dem schon vorgestellten zweiten Band von 1920, also nach dem „Relaunch“ des Rembrandt im Gefolge des ersten Weltkrieg. In der Geschichte von Venedig teilt Kretschmayr, wenn auch mit Einschränkungen, einige Deutungen Ruskins (Kretschmayr wertet seine „Stones“ als „geistvoll“)76 zum fördernden Einfluss byzantinischer auf die venezianischen Kunst im Frühmittelalter: für ihn zählen die Monumente im alten Patriarchat Grado „zu den wenigen Resten der sinkenden, aber durch byzantinischen Einfluss noch einmal aufgefrischten italienischen Kunst des 6. Jh.“,77 und noch im 8. Jh. machte sich nach ihm „jene ursprünglich wohl auch durch byzantinische Motive beeinflusste, wenn nicht hervorgerufene Umbildung der abendländischen Kunst geltend“.78 Zu Lebzeiten Kretschmayrs hatte der (neo)byzantinische Stil auch Architekten und Künstler in Wien inspiriert, wie etwa um Neunzehnhundert Otto Wagner mit seinen ausgeprägten Anklängen an Byzanz für St. Leopold am Steinhof (1905–1907), oder noch eindrücklicher Gustav Klimt: den Effekt der Mosaiktechnik erzielte er in einer Reihe von Gemälden, besonders beim Porträt der Adele Bloch-Bauer (1907), deren Vorlage für die Kleidborde im Marmorfries der Apsis von S. Donato di Murano zu erkennen ist.79 Bei Kretschmayr tritt aber die frühere Epoche eher zurück gegenüber jener „grossen, als Gotik bezeichneten abendländischen Gesinnung“. Im zweiten Band findet sich auch eine deutlich moralische Wertung zum Übergang von der Gotik zur Renaissance, vom Mittelalter zur Frühneuzeit: „Die Renaissance als Verderberin von Altvenedig“ lautet die Überschrift zu einer Untergliederung.80 Dieses abschätzige Urteil durchzieht alle Wertungen wie ein roter Faden: „Nach hartnäckigem Widerstande, widerwillig genug“ öffnete sich Venedig der Renaissance. „Wie hätte es sich nun leichthin der Renaissance erschließen sollen, in deren ganzer Weltanschauung etwas für sie Feindseliges lag? Und hatte sie (die Stadt) Unrecht sich zu wehren? Verdarb dieser neue Geist nicht die Heimatsbaukunst, brachte er nicht ungesunden Luxus statt Wohlhabenheit, zerstörte er 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Zit. nach Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 123. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 123. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 123. Zit. nach Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 123. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 88. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 480. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 486. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 1, 453: „mit Vorsicht zu benutzen“. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 81. Epstein, Professor Dr. Heinrich Kretschmayr 81; vgl. 428. Bullen, Byzantium rediscovered 48–51. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 480. Zum Folgenden vgl. auch Daniela Rando, Mediävistische Venedig-Forschung (1859–1950). Ein erster Überblick zu Themen und Problemen, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Problemen und Perspektiven der historischen Komparatistik, ed. Michael Borgolte (Berlin 2001) 171–184, hier 183.
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nicht die alten guten Sitten des goldenen Jahrhunderts (nämlich des 14.)? … Und als sie gesiegt hatte, war es nicht mehr das alte, herbe, harte, fromme Venedig, sondern die neue, verführerisch kosende, aber in tausend Wundern nicht mehr jugendfrische Weltstadt“.81 Noch ein zweites Zitat: „Die italienische Renaissance, die Geisteswelt des Westens und des Südens, überwältigte die venezianische Gotik, diese Welt des Nordens und des Ostens, und die lange zögernde und widerspenstige Stadt gab sich ihr endlich hin. Das Verlangen nach einem mehr von Rechten als Pflichten umstandenen Leben und nach einer alle dunkle Problematik in helle Harmonie auflösenden Ausgeglichenheit, das Freiheitsbewußtsein und Weltgefühl der sich selbst bestimmenden Persönlichkeit wurde, bei gleichzeitiger Minderung der sittlichen Kräfte, der beherrschende Zug, und der Drang nach Vereinigung von individueller Befreiung und allgemeiner Gebundenheit und nach Verbergung von Zweck und Inhalt hinter der Form die kennzeichnende Eigenschaft ...“82 Am bezeichnendsten ist die Vorstellung von San Marco, für Kretschmayr das gotische Haus par excellence: „Mehr als durch ein Dritteljahrtausend ist [die Markuskirche] geworden, keines Meisters Werk, ein Organismus, der sich auslebt. Venedig selbst hat sie gebaut. So wurde die griechisch-romanische Markuskirche auch zu einem gotischen Hause. Die Renaissance hat hernach ihre Kunstschätze vermehrt, aber das unvergleichliche Bild nicht ernstlich zu stören vermocht … Uns atmet die Markuskirche den Märchenzauber des Orientes und zugleich den nordischen Geist der Heimat zu. Wir spüren und wissen, sie sei auch von unserer Welt. Und ist es nicht als wollte sie uns ahnen lassen, was aus der Vermählung nordischen Geistes und orientalischer Einbildungskraft noch erblühen kann?“83 Wie Burckhardt führt auch Kretschmayr einen Vergleich Venedig-Florenz, freilich mit unterschiedlichem Ergebnis: „Venedig, die Stadt der Gotik,84 ist anders als Florenz und so viele italienische Festlandstädte mit ihren einander bedrohenden Burgpalästen im sinne gleichsam gegenseitiger Aufgeschlossenheit gebaut, … Steigt im Angesichte des Weggewirres dieser wie für eine Familie gebautem Stadt, mit Strassen statt der Gänge, mit Palästen statt der Säle, eingefriedet vom Wasser, nicht das Bild der gotischen Burg mit ihrer Zusammengezogenheit der Linien vor uns auf? ... Ist es nicht, als ob in dieser Stadt der Farben und Lichter im Ineinanderspiel ihrer Künste sich von der Malerei her etwas ankündigte wie hernach von der Musik her das Gesamtkunstwerk der deutschen Germanen? Ist es nur ein Zufall, dass Richard Wagner den zweiten Akt von Tristan und Isolde hier ersann, dessen Melodien die Fassade von San Marco zu überrieseln scheinen, und dass er in Venedig starb?“85 Diese Zitate belegen einerseits vordergründig Kretschmayrs Versuch, Venedig einen Synästhezismus ‚anzudichten‛, also das Zusammenspiel aller Künste, als sogenanntes Gesamtkunstwerk – Wagner ist mit seinem Tristan explizit genannt.86 Die Züge, die Kretschmayr dem „gotischen Venedig“ beimisst, nämlich herb, fromm, hart, greifen auf dieselben zurück, die Ruskin für Venedig vorgesehen hatte. Auch das Bild der „Vermählung nordischen Geistes und orientalischer Einbildungskraft“ Venedigs evoziert Ruskins Vorstellung, wonach „the glacier torrent“ und „the lava stream“ der Araber im Frühmittelalter Venedig erreichen, um im Palazzo Ducale Gestalt anzunehmen, ebenso in der Beurteilung der Gotik und des anschließenden Verfalls.
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Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 498. Und vgl. 481: „Dürfte man nicht sagen, der dem echten venezianischen Wesen eigene nordische Zug sei wie aus der Kunst so auch aus der Lebenshaltung und Charakterbildung gewichen, die Renaissance habe das alte venezianische Lebensideal verdorben?“ Kretschmayr, Geschichte Venedigs 3, 192. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 504. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 504. Zum Vergleich Venedig-Florenz bei Jakob Burckhardt: Daniela Rando, Mediävistische Venedig-Forschung 181. Kretschmayr, Geschichte Venedigs 2, 504–505. Zum Ideal des Gesamtkunstwerks, woraus sich auch die expressionistische Architekturauffassung von der Gotik speiste: Ezio Godoli, Il mito gotico nell’architettura dell’espressionismo. La cattedrale perduta, in: Il neogotico nel XIX e XX secolo. Atti del convegno „Il neogotico in Europa nei secoli XIX e XX“, Pavia 25–28 settembre 1985. 2 Bde., ed. Rossana Boscaglia/Valerio Terraroli (Milano 1990) 370 (Gropius); Bushart, Der Geist der Gotik, passim. Vgl. Adolf Behne, Wiedergeburt der Baukunst, in: Bruno Taut, Die Stadtkrone. Mit Beiträgen von Paul Scheerbart, Erich Baron, Adolf Behne. Mit einer Nachwort zur Neuausgabe von Manfred Speidel (Berlin 2002) 113–133, 120. Über Adolf Behne: Adolf Behne. Essays zu seiner Kunst- und Architektur-Kritik, ed. Magdalena Bushart (Berlin 2000), bes. dies./Adolf Behne, 11–88, 33–34.
Venedigs „Früh“-Mittelalter in der Moderne
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4. Die hier behandelten Autoren schrieben von der Mitte des 19. Jh. bis zum Ausbruch und Ende des Ersten Weltkrieges. In ihre Betrachtung von Venedig fließt für den Westen eine positive Strömung aus dem Osten ein, die die Gotik speist, ihrerseits der Renaissance gegenübergestellt: der byzantinische Einfluss bestimmt wesentlich die abendländliche Gotik mit. Der Mediävalismus verbindet sich auf komplexe Weise mit dem „Orientalismus“, in der Suche nach Ursprüngen, auf eine ‚imaginierte‘ Epoche zurückprojiziert, dazu ebenfalls an einen ‚imaginierten‘ Ort, den Orient. Die Verbindung zwischen „gotisch“ und „orientalisch“ zeigt sich später besonders deutlich bei Adolf Behne (1885–1948), Architekten und Architekturpublizisten, der auch Mitglied des Deutschen Werkbundes war.87 Ruskin geht von einem Venedig aus, das den Höhepunkt seiner Geschichte schon längst überschritten hat und dem Niedergang geweiht ist; vor diesem Hintergrund benutzt er die Stadt als Modell zur Kritik der eigenen Gegenwart, also zur Kulturkritik im weiteren Sinne, durch die Projektion in das Mittelalter zurück, verkörpert in der Gotik. Diese Interpretation ist den behandelten Autoren gemein, freilich mit verschiedenen Akzentuierungen bis hin zur Jahrhundertwende mit ihrer „K und K Dekadenz“, der gesamteuropäischen „Menschheitsdämmerung“. Langbehn benutzt Venedig als Argument zum allgemeinen europäischen Kulturpessimismus, der auch bei Kretschmayr zu Tage tritt, besonders durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges. In seinem Monumentalwerk ist der beobachtete Mediävalismus nur eines von mehreren Deutungsmustern, das sich nicht immer mit den wissenschaftlichen Einzelergebnissen harmonisieren lässt. Immerhin ist seine Anti-Renaissance Haltung eine wichtige Komponente in dem organischen Erklärungsschema (Anfänge, Blüte, Niedergang), denn: sie bestimmt die Chronologie der „Krise“ und des „Niedergangs“ (der Niedergang ist der Titel des dritten und letzten Bandes). Hier finden sich Anklänge an die Sprache von William Morris und der Bauhausgemeinschaft (etwa wie die Markuskirche als keines Meisters Werk)88; oder vom antimodernen Mediävalismus der „Gemeinschaft“, vom Soziologen Ferdinand Tönnies inspiriert (allgemeine Gebundenheit, die Markuskirche als Organismus; die Stadt für die Familie gebaut, als gotische Burg; der Geist der Heimat).89 Die ‚Zeit‘ wird zum ‚Raum‘ mit Wertschätzung der orientalischen und nordischen Wurzeln gegen den schädlichen Einfluss aus dem Mittelmeer –Nord/Osten dem Süd/Westen entgegengesetzt – unter strenger Betonung der germanischen Komponente, die bei Langbehn ihre politisch-ideologische Überhöhung erhält. All das vor dem Hintergrund einer literarischen Dekadenzbewegung – Venedig, wo, wie Kretschmayr erinnert, Wagner starb. Mit dem Todesmotiv ließ auch Arthur Schnitzler seinen Roman „Casanovas Heimkehr“ aus dem Jahre 1918 beginnen, dem letzten Jahr des ersten Weltkriegs, in der Stadt unserer Tagung, Kretschmayrs Wien: „In seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre, als Casanova längst nicht mehr von der Abendteuerlust der Jugend, sondern von der Ruhelosigkeit nahenden Alters durch die Welt gejagt wurde, fühlte er in seiner Seele das Heimweh nach seiner Vaterstadt Venedig so heftig anwachsen, dass er sie, gleich einem Vogel, der aus luftigen Höhen zum Sterben allmählich nach abwärts steigt, in eng und immer enger werdenden Kreisen zu umziehen begann.“90*
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„Indien ist nach dem modernen Impressionismus keine tote Vergangenheit, sondern mit mehr Recht unsere Zukunft“ (Adolf Behne, Wiedergeburt der Baukunst 115); „Wir müssen bis zum Sano di Pietro, bis zum Kathedralfenster hinaufgehen, um zu Dingen zu gelangen, die mit dem Anblick einer indischen Architektur überhaupt nur in einem Atem könnten genannt werden … Aber ist Indien nicht noch mehr als die Gotik?“(130); „unsere Gotik wieder ist nichts als ein herrlicher Traum vom Morgenland, den die Kreuzritter nach ihrer Heimkehr träumten. Die Gotik, wie alles Schönste bei uns, wie Venedig, ist nur zum zehnten Teile Europa – und darum so schön. Ewig kommt das Licht aus dem Osten…“ (131). Godoli, Il mito gotico 368: „Quello che Gropius enuncia è il mito gotico che percorre l’esperienza espressionista: il gotico dunque come emblema di un’arte prodotto della felicità di un operare artigiano che si contrappone alla divisione del lavoro industriale“ und vgl. 370. Differenziert Bushart, Der Geist der Gotik. Über Tönnies: Oexle, Die Moderne und ihr Mittelalter 325–326, 339, 342; ders., Das entzweite Mittelalter, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter: Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, ed. Gerd Althoff (Darmstadt 1992) 7–28 und 168–177, 17–18; und vgl. 19. Arthur Schnitzler, Casanovas Heimfahrt. Erzählungen 1909–1917. Mit einem Nachwort von Michael Scheffel (Frankfurt am Main 1999) 269. Für die Übersetzung danke ich Herrn Dr. Wolfgang Decker, der Gerda Henkel Stiftung für die Gewährung eines Stipendiums.
DANIELA SAXER
Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament: Die Geschichtspolitik eines schweizerischen Quellensammlungsunternehmens (1850–1880) Als die schweizerische Regierung 1860 erstmals die Herausgabe eines Registers der frühesten schweizerischen Urkunden subventionierte,1 wurde die Erschließung früh- und hochmittelalterlicher Urkunden zum öffentlichen Gut. Mittelalterliches urkundliches Material aus dem Gebiet der Schweiz war bis dahin zwar zum Teil bereits in verstreuten Regesten und Editionen zugänglich gewesen,2 wurde nun aber durch das Erfassungsvorhaben nach nationalen Gesichtspunkten neu aufbereitet und vertieft erschlossen.3 Das Beispiel des „Schweizerischen Urkundenregisters“ erlaubt es, nach Formen und Vorgängen der Vergegenwärtigung frühmittelalterlicher Geschichte zu fragen, die nicht in erster Linie über die Weiterentwicklung historischer Narrationen, sondern über die Erschließung der materialen Grundlagen historischer Forschung verliefen. Der Beitrag geht von der Annahme aus, dass die Praktiken der zeitgenössischen Geschichtsforschung und die gesellschaftliche Aneignung historischen Wissens genauer untersucht werden müssen, um die Aktualität frühmittelalterlicher Geschichte im 19. Jahrhundert zu verstehen. Für das „Schweizerische Urkundenregister“ lässt sich aus Akten, Korrespondenzen und Vereinsperiodika ein dichtes Interaktionsgeflecht nachzeichnen: Als politische Investition in die geschichtswissenschaftlichen Infrastrukturen der Schweiz involvierte das Projekt über 120 Mitarbeiter. Neben Ministern und Parlamentariern setzten sich Quellenverwalter von Staates wegen, akademisch gebildete Historiker, Hochschullehrer und zahlreiche weitere Akteure aus der geschichtskulturellen Öffentlichkeit der Vereine und Gesellschaften mit divergierenden Interessen und vor unterschiedlichen Wissenshintergründen politisch für das Projekt ein, lieferten konkrete Arbeitsbeiträge und beteiligten sich an den Debatten um eine angemessene Registrierung von Urkunden. Die Rekonstruktion dieser vielgestaltigen Zusammenarbeit ermöglicht Einblicke in die kollektive Forschungsdynamik eines groß angelegten historischen Arbeitsvorhabens und in die soziale Wirkungsmacht einer editorischen Vergegenwärtigung frühmittelalterlicher Geschichte. Zunächst wird die Frage verfolgt, welche Konzeptionen frühmittelalterlicher Geschichte das Projekt thematisierte und für die Mobilisierung von staatlichen Mitteln einsetzte (I). In einem zweiten Schritt sollen die politischen Strategien und gesellschaftlichen Konstellationen, die die Bereitstellung von Ressourcen für die Aufarbeitung frühmittelalterlicher Urkunden förderten, herausgearbeitet werden (II). Anschließend soll aufgezeigt werden, welche Rolle die Veranschaulichung der materialen Grundlagen und Forschungsprozeduren der Urkundenregistrierung bei der gesellschaftlichen Vermittlung frühmittelalterlicher Geschichte spielte (III). Die strenge Form eines chronologischen Registers sollte in den Augen der Initianten Forschungs- und Deutungskonflikte minimieren. Trotzdem lassen sich in der Anlage des „Schweizerischen Urkundenregisters“ Konfliktpotentiale ausmachen, die zum vorzeitigen Abschluss des Projekts beitrugen. Sie sollen abschließend zur Sprache kommen (IV). 1
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Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1859. Departement des Innern, in: Schweizerisches Bundesblatt XII.II./28, 26. Mai (1860) 103–148, hier 127f. Richard Feller/Edgar Bonjour, Geschichtsschreibung der Schweiz vom Spätmittelalter zur Neuzeit 2 (zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage, Basel 1979) 426–430, 432f., 730–732, 675–678; Peter Stadler, Die historische Forschung in der Schweiz im 18. Jahrhundert, in: Historische Forschung im 18. Jahrhundert, Organisation – Zielsetzung – Ergebnisse, ed. Karl Hammer/Jürgen Voss (Pariser Historische Studien 13, Bonn 1976) 296–313, hier 304–307; Kurt Büchi, Historisch-politische Gesellschaften in Zürich, 1730–1830 (163. Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft in Zürich, Zürich 1963) 6; Eduard K. Fueter, Geschichte der gesamtschweizerischen historischen Organisation, in: Historische Zeitschrift 189 (1959) 449–505, hier 451–457; René Salathé, Die Anfänge der historischen Fachzeitschrift in der deutschen Schweiz (1694–1813) (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 43, Basel 1959) 103–107; Léon Kern, L’érudition historique en Suisse, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 1 (1951), 1–17, hier 6–13. Schweizerisches Urkundenregister, 1–2 (ed. mit Unterstützung der Bundesbehörden von der allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz, red. Basilius Hidber, Bern 1863–1877).
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EIN SCHWEIZERISCHES FRÜHMITTELALTER DER HETEROGENEN KULTURRÄUME Das „Schweizerische Urkundenregister“ wurde von der 1841 gegründeten „Allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz“ (im folgenden AGGS) ab 1854 vorbereitet und schloss an verschiedene konkurrierende Vorhaben an, einen schweizerischen „codex diplomaticus“ zu veröffentlichen. Gegenüber dem immensen Projekt einer integralen nationalgeschichtlich ausgerichteten Urkundenedition, das bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts diskutiert worden war,4 favorisierte die nationale Gesellschaft nun die Publikationsform eines knappen Registers.5 Das Projekt stellte das erste gesamtstaatlich ausgerichtete Quellenforschungsunternehmen dar, das der schweizerische Bundesstaat finanzierte. Der offiziellen nationalhistorischen Zwecksetzung entsprach auch die Reichweite des Registers, das alle das Gebiet der Schweiz betreffenden Urkunden einbezog. Die Rechtsdokumente sollten in einem fest umrissenen, neuen Quellenverbund höherer Ordnung vereinigt werden. Ab 1870 geriet das Projekt, das sich als viel arbeitsaufwendiger erwies als ursprünglich gedacht, zunehmend unter Rechtfertigungsdruck, so dass es 1877 vorzeitig abgeschlossen wurde, ohne dass der geplante dritte Band veröffentlicht wurde. Damit erreichte das chronologisch durchgeführte Unternehmen gerade einmal das Jahr 1200, obwohl es ursprünglich bis ins Jahr 1353, der Abschließung der so genannten „Acht Alten Orte“, der ältesten Kantone der Eidgenossenschaft, hätte reichen sollen. Trotz seiner zahlreichen Mängel blieb das „Schweizerische Urkundenregister“, das unter dem Namen seines Hauptredaktors Basilius Hidber bekannt wurde, ein verbreitetes Nachschlagewerk der Mittelaltergeschichte.6 Dass die AGGS ab 1860 über siebzehn Jahre hinweg bundesstaatliche Subventionen für die Forschungen zum „Schweizerischen Urkundenregister“ erhielt, stellte eine für diese Zeit außergewöhnliche Unterstützung dar. Denn der föderalistische schweizerische Staat wies erst in Ansätzen eine zentralstaatliche Bildungs- und Wissenschaftspolitik auf und verfügte im Vergleich mit den für die Bildung zuständigen Kantonen dafür nur über ein sehr beschränktes Budget.7 Im Gegensatz zu denjenigen Editionen, die in Regie einer Bundesbehörde entstanden, musste die AGGS das „Urkundenregister“ den Behörden und der politischen Öffentlichkeit aktiv antragen. Dass dies gelang, war keineswegs selbstverständlich, zumal die Subvention durch das Parlament demokratisch legitimiert werden musste. Die Ausrichtung auf den Bundesstaat stand denn auch im Vordergrund der Werbung für das Projekt. Bereits dessen Titel machte deutlich, dass das Register eine neue Bezugsgröße historischer Forschung verwirklichte, denn die „schweizerische Urkunde“,8 die hier erfasst werden sollte, war eine Abstraktion, die durch die Zugehörigkeit zum geografischen Raum der modernen Schweiz gekennzeichnet war. Damit hatte das „Schweizerische Urkundenregister“ eine offenkundig voluntaristische Ausrichtung, die sich nicht an den politischen Entitäten der Vergangenheit orientierte. Dies nahmen die Beteiligten bewusst in Kauf, weil sie das Projekt als Beitrag zu einer nationalen Geschichtspolitik begriffen, die sich auf alle Teile des kulturell und historisch äußerst heterogenen Gebildes der Schweiz erstrecken sollte.9 Zum Eindruck eines konzeptuellen Anachronismus trug auch bei, dass das „Schweizerische Urkundenregister“ um 1200 abbrach, „wo, man kann sagen, die Schweizer Geschichte noch gar nicht begonnen hat“,10 4
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Fueter, Geschichte der gesamtschweizerischen historischen Organisation 455f.; Salathé, Die Anfänge der historischen Fachzeitschrift 104f.; Ulrich Im Hof/François de Capitani, Die Helvetische Gesellschaft. Spätaufklärung und Vorrevolution in der Schweiz 2 (Frauenfeld/Stuttgart 1983) 180. Das Register wurde 1854 zunächst noch als Vorarbeit zu einer zukünftigen integralen Urkundenedition angekündigt, an dem zu diesem Zeitpunkt insbesondere der bekannte Innerschweizer Urkundenforscher Joseph Eutych Kopp und die Solothurner Mitglieder der Gesellschaft festhielten. Dieses Fernziel verschwand aber bald aus den Akten und wurde 1858 zum letzten Mal protokollarisch festgehalten. Sitzung der Vorsteherschaft vom 31. Juli 1850, Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, 74f., hier 74, Schweizerisches Bundesarchiv J II.127 -/1:1; Sitzung der Vorsteherschaft vom 25. Mai 1858, ibid. 89–92, hier 91; Protokoll der zehnten Versammlung der AGGS, 18./19. September 1854, in: Archiv für schweizerische Geschichte X (1855), XVII–XXIII, hier XVIII–XX; Urban Winistörfer an Basilius Hidber, 22. Januar 1855, 23. Juli 1856, 27. Juli 1857, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. Daniela Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks. Die geschichtswissenschaftliche Forschungspraxis in Zürich und Wien (1840–1914) (Diss., Zürich 2005) 273–336. Antoine Fleury/Frédéric Joye, Die Anfänge der Forschungspolitik in der Schweiz. Gründungsgeschichte des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (1934–1952) (Baden 2002) 15. AGGS an das Eidgenössische Departement des Innern, 4. März 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Siehe unten. Georg Waitz, Über die Herausgabe und Bearbeitung von Regesten, in: Historische Zeitschrift 40 (1878) 280–295, hier 292.
Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament
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wie Georg Waitz in einer ansonsten durchaus wohlwollenden Rezension ironisch anmerkte. Tatsächlich waren schweizerische Nationalgeschichten im 19. Jahrhundert üblicherweise auf die Ursprünge des schweizerischen Staatswesens fokussiert, das zu einer nur durch die französische Herrschaft nach 1898 unterbrochenen demokratisch-republikanischen Tradition stilisiert und mit einem spätmittelalterlichen Gründungsdatum versehen wurde. Im Gegensatz zu andern nationalen Ursprungserzählungen des 19. Jahrhunderts stand nicht der Rekurs auf eine ethnisch oder sprachlich definierte Herkunftsgruppe, sondern der Bezug auf die politische Vergangenheit der Eidgenossenschaft im Vordergrund.11 Diese historischen Darstellungen informierten verschiedene – meistens amalgamiert auftretende – Spielarten eines spezifisch schweizerischen Nationalismus: zum einen die liberale Konzeption einer durch den Willen der Bürger zustande gekommenen politischen Staatsnation, zum andern Vorstellungen einer zugleich historisch gewachsenen und durch die Umweltbedingungen einer alpinen Landschaft organisch geprägten Zusammengehörigkeit.12 Editorisches Kernstück der staatsgenetischen Nationalgeschichte im 19. Jahrhundert war die „Amtliche Sammlung der älteren eidgenössischen Abschiede“, die sich auf die Geschichte des schweizerischen Staatenbunds und auf die zentrale Herrschaftsinstanz der Tagsatzung beschränkte.13 Auch in dieser Perspektive spielten Urkunden eine zentrale Rolle: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannte so genannte „Bundesbrief“ mit dem urkundlichen Datum 1291 als Gründungsdokument der Schweiz zu gelten. Diese Urkunde sollte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dreißig Jahre nach dem „Schweizerischen Urkundenregister“, geradezu zu einem nationalstaatlichen Fetisch erhoben werden, die Neufestlegung des Nationalfeiertags auf den 1. August bestimmen und im 20. Jahrhundert sogar ein eigenes Museum erhalten.14 Im ersten Band des „Schweizerischen Urkundenregisters“ wurden dagegen alle den unterschiedlichsten Herrschaftskomplexen zugehörigen Urkunden des Frühmittelalters ins Zentrum gerückt. Mit den frühmittelalterlichen Diplomen, die im Gebiet der heutigen Schweiz besonders reich überliefert waren,15 war nicht einfach Staat zu machen. Die frühmittelalterlichen Quellen konnten gerade nicht in eine politikgeschichtliche Perspektive gerückt werden, denn in ihnen kamen Herrschaftsträger zum Zug, auf die keine eidgenössische Affiliation zurückprojiziert werden konnte; auch eine über konkrete rechtliche oder sprachliche Eigenheiten verlaufende Konstruktion einer einheitlichen Identität im Früh- und Hochmittelalter war nicht möglich.16 Oliver Zimmer, A Contested Nation. History, Memory and Nationalism in Switzerland, 1761–1891 (Cambridge 2003); Sascha Buchbinder, Der Wille zur Geschichte: Schweizer Nationalgeschichte um 1900 – Die Werke von Wilhelm Oechsli, Johannes Dierauer und Karl Dändliker (Zürich 2001); Ulrich Im Hof, Mythos Schweiz. Identität – Nation – Geschichte, 1291–1991 (Zürich 1991) 233–244; Guy P. Marchal, Staat und Nation in der schweizerischen Geschichtskultur, in: Historiographie in Polen und in der Schweiz, ed. Krzysztof Baczkowski/Christian Simon (Krakow 1994) 111–123; id., Das Mittelalter und die nationale Geschichtsschreibung der Schweiz, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, ed. Susanna Burghartz et al. (Sigmaringen 1992) 91–108; ead., Die „alten Eidgenossen“ im Wandel der Zeiten. Das Bild der frühen Eidgenossen im Traditionsbewusstsein und in der Identitätsvorstellung der Schweizer vom 15. ins 20. Jahrhundert, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, ed. Historischer Verein der fünf Orte (Olten 1990) 307–403. 12 Zimmer, A Contested Nation 147–154. 13 Amtliche Sammlung der älteren eidgenössischen Abschiede, 21 Bände (ed. auf Anordnung der Bundesbehörden, mehrere Erscheinungsorte 1839–1886). Vgl. Michael Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter (Zürich 2004) 33–72; Alfred Häberle, Die Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede. Entwurf zu einer Geschichte des Unternehmens unter besonderer Berücksichtigung der Bearbeiter aus Luzern und der Innerschweiz, in: Der Geschichtsfreund 113 (1960) 5–80. 14 In der älteren Historiografie hatte das chronikalisch überlieferte Datum 1307 gemeinhin als Gründungsdatum der Eidgenossenschaft gegolten. Vgl. zur Gründungsdiskussion Georg Kreis, Der Mythos von 1291. Zur Entstehung des schweizerischen Nationalfeiertags (Basel 1991); Roger Sablonier, Der Bundesbrief von 1291. Eine Fälschung? Perspektiven einer ungewohnten Diskussion, in: Mitteilungen des historischen Vereins des Kantons Schwyz 85 (1993) 13–25. 15 Rosamond McKitterick, The Carolingians and the Written Word (Cambridge/New York 1989) 79–81. 16 Die voreidgenössische Geschichte bot generell Schwierigkeiten für eine vereinheitlichende Nationserzählung, weil die Bevölkerungsgruppen und Herrschaftseinheiten, die man in Anspruch nehmen konnte, tendentiell eine „zentrifugale Tendenz“ (de Capitani) aufwiesen. Die enorme Popularität des Pfahlbauermythos als Alternativerzählung einer gemeinsamen Vergangenheit ab den 1850er Jahren lässt sich unter anderem auch vor diesem Hintergrund verstehen. François de Capitani, Auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Der Beitrag der Geschichtsschreiber, in: Auf dem Weg zu einer schweizerischen Identität 1848–1914. Probleme – Errungenschaften – Misserfolge, ed. id./Georg Germann (Freiburg i. Ue. 1987) 25–35, hier 29; Marc-Antoine Kaeser, Helvètes ou Lacustres? La jeune Confédération suisse à la recherche des ancêtres opérationnels, in: Die Konstruktion einer Nation. Nation und Nationalisierung in der Schweiz, 18.–20. Jahrhundert, ed. Urs Altermatt/Catherine Bosshart-Pfluger/Albert Tanner (Zürich 1998) 75–86. 11
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Die Indienstnahme der frühmittelalterlichen Urkunden für nationalhistorische Argumente war unter diesen Umständen indirekt. Ein Blick auf den Arbeitsprozess des „Urkundenregisters“ verrät eine komplexe Auseinandersetzung mit dem historischen Sinn, der den urkundlichen Quellen abgewonnen werden konnte. Dabei ging es zunächst einmal um eine allgemeine Vertiefung des Verständnisses frühmittelalterlicher Rechtsdokumente, deren „richtigen Sinn und die wirkliche Bedeutung“17 es erst mühsam herauszupräparieren galt. Viele der erfassten Urkunden waren zwar bekannt, aber oft lediglich in entstellter Form überliefert und nur einem kleinen Kreis zugänglich gewesen. Die anspruchsvolle Einordnung und vollständige Aufnahme der Urkunden selbst sollten eine systematische historische Kartierung und chronologische Fixierung der schweizerischen Geschichte ermöglichen. Im Vordergrund der Erfassung stand die flächendeckende historische Unterfütterung der schweizerischen Gegenwart durch möglichst frühe urkundliche Zeugnisse; sie lässt sich als eine wissenschaftlich legitimierte Inanspruchnahme des historischen Kapitals der Nation verstehen, dessen Wert sich nicht zuletzt an seinem Alter bemaß.18 Gegenüber der Fixierung auf eine politische Geschichte unterstrich man überdies, dass die ältesten Urkunden, die den Auftakt des Urkundenregisters bildeten, „besonders für Cultur, Sitten und Kunst“19 aufschlussreich seien. Diese Wertung hatte ihren Grund nicht zuletzt darin, dass das Urkundenregister die großen geistlichen Produktionsstätten früher Schriftlichkeit, allen voran das Kloster St. Gallen, hervorhob. Viele Regionen, in denen wichtige geistliche Stätten – wie St. Gallen, St. Maurice und Chur – angesiedelt waren, hatten in der Frühneuzeit gar nicht zur Eidgenossenschaft gehört, sondern nur sogenannte „zugewandte Orte“ gebildet, und waren im modernen Bundesstaat politisch eher peripher; ihre Bevölkerung gehörte zum Teil auch zur katholischen Minderheit. In den Paratexten des „Urkundenregisters“, den Vorworten und Berichten, erschienen diese Zentren der Überlieferung nicht als politische Entitäten, sondern als Stätten die frühe und hohe kulturelle Leistungen von europäischer Bedeutung hervorbrachten. Diese Zuschreibung wies eine zirkuläre Struktur auf, denn als wichtigste Produkte dieser kulturellen Produktion kamen wiederum die Urkunden selbst in Betracht. Dabei wurde gerade die „ausserordentliche Mannigfaltigkeit der Verhältnisse“20 im einbezogenen Gebiet betont, die sich zwanglos auf die Heterogenität der Schweiz beziehen ließ, die sich nicht als Ethnie, sondern als Willensnation21 inszenierte. Mit dieser Kulturalisierung des Bildes der frühmittelalterlichen Schweiz ging eine Hervorhebung der geistlichen Prägung der Lebensverhältnisse einher, allerdings nicht in dogmatischer Hinsicht, sondern wiederum in ihrer kulturellen Dimension.22 Alle Anspielungen auf aktuelle Konfessionsfragen wurden sorgfältig vermieden. Denn diese bargen im gemischtkonfessionellen schweizerischen Bundesstaat nach wie vor politischen Zündstoff, war dieser doch 1848 aus dem Sonderbundskrieg, einem Bürgerkrieg zwischen den liberalen Kräften der Eidgenossenschaft und separatistischen katholisch-konservativen Kantonen, hervorgegangen.23 Mit dieser Konzeption wurde ein nur impressionistisches Geschichtsbild des Frühmittelalters aktualisiert, das vielfältig anschlussfähig war. Die Initianten des „Urkundenregisters“ appellierten mit ihren frühesten Ur17
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Basilius Hidber an das Eidgenössische Departement des Innern, 9. März 1863, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. AGGS an den schweizerischen Bundesrat, 6. Dezember 1857, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85; Joseph Karl Krütli, Gutachten für das Eidgenössische Departement des Innern, 2. Mai 1860, ibid.; AGGS an das Eidgenössische Departement des Innern, 4. März 1862, ibid.; Basilius Hidber an Giovan Battista Pioda, 1. Juli 1862, ibid.; Eidgenössisches Departement des Innern an den schweizerischen Bundesrat, 6. Januar 1863, ibid.; Georg von Wyss an den schweizerischen Bundesrat, 6. März 1863, ibid. Basilius Hidber, Jahresbericht an das Eidgenössische Departement des Innern, 11. März 1864, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Basilius Hidber an Giovan Battista Pioda, 1. Juli 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Vgl. Zimmer, A Contested Nation 151–153. Schweizerisches Urkundenregister Band 1, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz, VI; Basilius Hidber, Bericht anlässlich des Abschlusses des ersten Bandes, 25. November 1867, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85; Protokoll der zwanzigsten Versammlung der allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde 3 (1864) 53f., hier 54. Peter Stadler, Konfessionalismus im schweizerischen Bundesstaat 1848–1914, in: Auf dem Weg zu einer schweizerischen Identität 1848–1914. Probleme – Errungenschaften – Misserfolge, ed. François de Capitani/Georg Germann (Freiburg i. Ue. 1987) 25–33; Franziska Metzger, Die Reformation in der Schweiz zwischen 1850 und 1950. Konkurrierende konfessionelle und nationale Geschichtskonstruktionen und Erinnerungslandschaften, in: Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, ed. Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Frankfurt 2004) 64–98.
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kunden zum einen an diejenigen „Geschichtsfreunde“24 und Politiker, die sich nicht bedingungslos mit den siegreichen liberalen Eliten des modernen Staates identifizieren konnten. Der große Stellenwert der Urkunden aus geistlicher Produktion sprach die katholischen Amateurhistoriker an, die sich für das Projekt engagierten. Mehr als die Hälfte der 124 nachgewiesenen Mitarbeiter des Registers war katholisch,25 viele davon Geistliche, die als lokale Träger einer regionalen Geschichtskultur in den katholischen Landesgegenden ihre Sachkenntnisse beitrugen, was einen außergewöhnlichen Erfolg für die protestantisch dominierte AGGS26 darstellte. Zum andern setzte die Redaktion des Registers ihre Funde aus geografisch peripheren Regionen politisch strategisch ein, um Akteure aus diesen Gegenden zu motivieren. So suchte Basilius Hidber den zuständigen Bundesrat und größten Förderer des Urkundenregisters, den Tessiner Liberalen Giovan Battista Pioda, Minister des Departements des Innern, mehrmals auf, um ihm von seinen letzten Funden zur frühmittelalterlichen Geschichte des Tessins zu berichten. Hidbers Funde, die dieser zu einem neuen Tessiner Quellenkorpus stilisierte, stießen bei Pioda auf wohlwollendes lokalpatriotisches Interesse.27 Das Tessin war ein noch junger Kanton der Schweiz, der in der Helvetik aus Untertanengebieten und Gemeinen Herrschaften einzelner eidgenössischer Kantone hervorgegangen war; er hatte noch nicht einmal ein eigenes Staatsarchiv aufzuweisen, sondern verfügte lediglich über ein transportables Handarchiv mit neuesten Akten.28 Das „Urkundenregister“ trug dazu bei, die urkundliche Grundlage einer nach der Kantonsgründung als konsolidierungsbedürftig empfundenen Tessiner Geschichte zu erschließen. Mit der Behauptung eines noch nicht konfessionalisierten, wohl aber religiös geprägten, kulturell produktiven, aber durch keine einseitige Hegemonie geprägten schweizerischen Kulturraums, dessen Vielfalt betont wurde, verfügte das Urkundenregister über ein integratives Potential, das zu seinem Erfolg unter den Laienmitarbeitern und in der Politik beitrug. Damit präsentiert sich das „Schweizerische Urkundenregister“ als Produkt einer spezifischen politischen Konstellation. Seine Konzeption entsprach den Repräsentationsbedürfnissen eines noch jungen Bundesstaates, der mit einer heterogenen historischen Identitätsbildung seiner Eliten rechnen musste, denen konfessionelle und politische, sprachregionale und kantonale historische Solidaritäten oft näher lagen als der Bezug auf den liberalen Gesamtstaat. Dass die Initianten des „Urkundenregisters“ bei dessen Lancierung ein kulturell heterogenes Frühmittelalter in den Mittelpunkt stellen konnten, in dem sich die auch in der Gegenwart noch konfliktträchtigen Herrschaftsverhältnisse der Eidgenossenschaft noch nicht abzeichneten, förderte die Akzeptanz des Projekts. RESSOURCEN FÜR EINE GESCHICHTE OHNE DARSTELLUNG Der Subventionserfolg war aber nicht nur dem geschickten Einsatz der kulturellen Bedeutung des Frühmittelalters zu verdanken. Vielmehr brachte die Geschichtswissenschaft ihre faktenorientierte Quellenforschung auch direkt in politische Zusammenhänge ein. Der Gesellschaft kam dabei zugute, dass sie über direkte Kontakte zu Ministern und zu Mitgliedern des National- und Ständerates, den beiden Kammern des Bundesparlaments, verfügte. Besonders der Redaktor Basilius Hidber, der in der Bundeshauptstadt wohnte und sich als früherer Radikalliberaler in politischen Netzwerken bewegte,29 pflegte alltäglichen Umgang mit Behördenmit24
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Sitzung der Vorsteherschaft der AGGS, 19. September 1843, Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, 22, Schweizerisches Bundesarchiv J II.127 -/1:1. Aus Briefwechseln und weiteren Dokumenten lassen sich insgesamt 124 Beiträger eruieren. Auswertungsgrundlagen: Schweizerisches Urkundenregister Band 1–2, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz; Berichte der AGGS und der Redaktion des „Urkundenregisters“ an das Eidgenössische Departement des Innern, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85f.; Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS, in: Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, Schweizerisches Bundesarchiv J II.127 -/1:1; Korrespondenz Basilius Hidbers mit Urban Winistörfer und Joseph Ignaz Amiet, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103; Briefe Basilius Hidbers an Georg von Wyss, Zentralbibliothek Zürich, Familienarchiv v. Wyss IX 326.1. Der nach Kantonen aufgeschlüsselte Vergleich der Mitgliederzahlen belegt für das 19. Jahrhundert für alle erhobenen Jahre eine starke Mehrheit von Mitgliedern aus protestantischen Kantonen. Vgl. Vergleichende Uebersicht der Gesammtzahl der Gesellschaftsmitglieder von 1841 bis 1905, in: Jahrbuch für schweizerische Geschichte 30 (1905) XXX. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 6. Februar 1859, 24. Februar 1861, 11. März 1861, Zentralbibliothek Zürich, Familienarchiv v. Wyss IX 316.1. Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössiche Departement des Innern, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Professor Basilius Hidber, 1817–1910. In memoriam (Separatdruck aus: Helvetia, politisch-litterarisches Monatsheft der Studentenverbindung Helvetia 20, Bern 1901) 3.
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gliedern. Er erhielt Insiderinformationen über die politischen Entscheidungsprozesse, die den Subventionsaussprachen vorausgingen, und ließ keine Gelegenheit unversäumt, um das Urkundenregister unter Politikern zu propagieren.30 Dieser Werbetätigkeit kam entgegen, dass die AGGS Ende der 1850er Jahre von einer momentanen Konvergenz mehrerer politischer Handlungsfelder profitieren konnte. Das Urkundenregister wurde zu einem Zeitpunkt lanciert, an dem die Bundesregierung im Bundesparlament erstmals die öffentliche Subvention von Kunst und Wissenschaft beantragte. 1857 legte die AGGS nach erfolglosen früheren Anfragen zur Unterstützung von Gesellschaftsprojekten den Bundesbehörden einen Projektplan für das Urkundenregister vor, der sich explizit auf dieses noch nicht etablierte Förderungsinstrument bezog.31 Obwohl dieser erste Vorstoß erfolglos blieb, gelang es der Gesellschaft, in der Folge als potentiell förderungswürdige Institution im Gespräch zu bleiben. Etwa gleichzeitig wurde erstmals die gesellschaftliche Rolle der schweizerischen Vereine und Gesellschaften zum Thema der Bundespolitik. Das neugegründete Statistische Bureau, das spätere Bundesamt für Statistik, initiierte eine Vereinsstatistik, um einen Überblick über die zahllosen Vereinigungen und Gesellschaften in den verschiedenen Kantonen zu erhalten. Damit wollten die Behörden die Bedeutung dieser zivilgesellschaftlichen Organisationen für all jene öffentlichen Tätigkeitsfelder erfassen, die bis anhin kaum vom Staat abgedeckt worden waren. Die neuen Statistikexperten erschlossen sich dadurch die Möglichkeit, die Vereine für geplante staatliche Statistiken in Dienst zu nehmen und Daten durch sie erheben zu lassen.32 Die staatliche Förderung des Urkundenregisters setzte nun ab 1860 im Rahmen der erstmaligen finanziellen Unterstützung von sechs Gesellschaften und Vereinen ein, die alle „gemeinnützige vaterländische Werke“33 im Programm führten, darüber hinaus aber in keinem engeren inhaltlichen Zusammenhang zueinander standen. Neben der AGGS wurden drei landwirtschaftliche Vereinigungen, die schweizerische naturforschende Gesellschaft und der schweizerische Kunstverein gefördert.34 Daneben hatte die Etablierung eines schweizerischen Geschichtsbilds schon seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 einen behördlichen Förderungsbereich dargestellt. Die Beschäftigung mit vaterländischer Historie wuchs bereits aus den administrativen Ausgaben des neuen Staates selbst heraus. Eine zentrale Steuerungsposition nahm dabei das Schweizerische Bundesarchiv ein, das nicht nur das staatliche Geschäftsschriftgut der neuesten Zeit verwaltete, sondern sich als Hüter der politischen Vorgeschichte der modernen Schweiz verstand.35 Unter der Ägide des Bundesarchivs entstanden nicht nur die bereits erwähnten „Eidgenössischen Abschiede“, sondern im Lauf des 19. Jahrhunderts auch Abschriften- und amtliche Aktensammlungen.36 Überdies übernahmen Bundesarchivare geschichtspolitische Beratungsaufgaben gegenüber den Vorstehern des Departements des Innern. Der befürwortenden Expertise des Bundesarchivars Joseph Karl Krütli war es 30
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Hidber sprach bei den Bundesräten Jakob Dubs, Emil Welti, Giovan Battista Pioda und Karl Schenk vor und verkehrte oft unter Parlamentariern. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 6. Februar 1859, 5. Februar 1860, 2. April 1860, 24. Februar 1861, 11. März 1861, 4. Januar 1862, 23. Juni 1862, 16. August 1862, 8. März 1863, 24. Oktober 1865, 22. Dezember 1865, 5. März 1871, 20. März 1871, 16. August 1871, 24. Dezember 1872, 1. Januar 1873, 12. Februar 1872, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss IX 316.1; Georg von Wyss an Basilius Hidber, 29. Juni 1861 aus Zürich, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. AGGS an den schweizerischen Bundesrat, 6. Dezember 1857, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Der Aufruf des Statistischen Bureaus an die Vereine erfolgte erstmals 1858 und wurde in den folgenden Jahren regelmässig weitergeführt. Aufruf des Eidgenössischen Departements des Innern an die schweizerischen Vereine im In- und Auslande, Bundesblatt X.II./62, 31. Dezember (1858) 387–389. Ein erster grösserer Zwischenbericht erfolgte 1859. Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1859. Departement des Innern, Bundesblatt XII.II./28, 26. Mai (1860) 103–148, hier 111–114. In den 1860er Jahren nahm das Statistische Bureau die AGGS tatsächlich für historische Daten in Anspruch. 1866 erging eine Anfrage an die AGGS „bezüglich der physischen Beschaffenheit der Bevölkerung der Schweiz in der Vergangenheit“, die im Periodikum der Gesellschaft veröffentlicht wurde. Protokoll der zweiundzwanzigsten Versammlung der AGGS, 23./24. September 1866, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde 12 (1866) 73–75, hier 73. Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1859. Departement des Innern, Bundesblatt XII.II./28, 26. Mai (1860) 103–148, hier 128. Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1860. Departement des Innern, Bundesblatt XIII.I./22, 21. Mai (1861) 685–780, hier 694–700. Walter Meyrat, Das Schweizerische Bundesarchiv von 1798 bis zur Gegenwart (Bern 1972) 53–98; Christoph Graf, „Arsenal der Staatsgewalt“ oder „Laboratorium der Geschichte“? Das schweizerische Bundesarchiv und die Geschichtsschreibung, in: Studien und Quellen: Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs 26 (3002) 65–82, hier 69f. Die Abschriftensammlung des Bundesarchivs, bearb. Walter Meyrat (Veröffentlichungen des Schweizerischen Bundesarchivs, Inventare, Bern 1977) 9; Graf, „Arsenal der Staatsgewalt“ 69.
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mitzuverdanken, dass das Urkundenregister bei der Regierung auf Interesse stieß.37 Aber auch außerhalb des administrativen Rahmens des Archivs hatten die Bundesbehörden die Geschichtsforschung bereits intensiv gefördert. In der Dritten Allgemeinen schweizerischen Ausstellung 1857, einer Vorläuferin der späteren Landesausstellungen, die neben einer Industrieabteilung auch über eine Landwirtschafts-, eine Kunst- und eine Literatursektion verfügte, wurden zahlreiche historische Arbeiten prämiert. Selbst bei den Preisen für Buchhändler und Verleger waren die historischen Werke, darunter viele Editionen, auffällig übermächtig vertreten.38 Die Promotoren des Unternehmens knüpften an diese bereits vorhandenen Relevanzen an, indem sie die Gesellschaft als besonders förderungswürdige gemeinnützige Institution darstellten, die dem geschichtspolitischen Bedürfnis des neuen Bundesstaates, ein gemeinschweizerisches Geschichtsbild zu fördern, nachkommen konnte. Die Gesellschaft betonte ihre Rolle als selbsternannte Dachgesellschaft aller kantonalen und regionalen historischen Vereine der Schweiz, die sie als geeignet erscheinen ließ, den Gesamtstaat in Projekten zu repräsentieren. Sie unterstrich die Notwendigkeit von historischen Projekten, die berücksichtigten, „dass über dem Einzelnen auch das Ganze, über den verschiedenen Theilen des schweizerischen Vaterlandes seine Gesammtheit nicht vergessen ... werde“.39 Mit dieser betont antipartikularistischen Position trug die AGGS der gesellschaftlichen Umstrittenheit historischer Bezüge im gemischtkulturellen und -konfessionellen Staat Rechnung. Die Gesellschaft musste es um jeden Preis vermeiden, als Sprachrohr eines bestimmten Landesteiles, einer politischen Gruppierung oder einer Konfession zu gelten – dies umso mehr, als die AGGS in der Praxis von deutschsprachigen Mitgliedern dominiert war und überdies Mühe hatte, in den katholischen Landesteilen aktive Mitarbeiter zu gewinnen.40 Der Quellenforschung kam in diesem Zusammenhang nun eine besondere Bedeutung zu. Die in dieser Zeit noch nicht vollzogene Integration des im Bürgerkrieg unterlegenen katholisch-konservativen Lagers in den liberalen Staat hätte durch die Verfolgung eines staatlich geförderten Geschichtsprogrammes in der Form von historiografischen Arbeiten gefährdet werden können. Tatsächlich ist es aufschlussreich, dass die großen gesamtstaatlichen historischen Darstellungen des neuen Bundesstaates erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zustande kamen.41 Die davor einsetzende, gesamtstaatlich ausgerichtete Sammlungstätigkeit, die die AGGS betrieb, versprach demgegenüber eine deutungsfreie Forschung. Die Gesellschaft schrieb in ihrem Finanzierungsantrag: „Das erste Erforderniss um der Geschichte unseres Vaterlandes eine sichere Grundlage zu geben und eine unumstössliche Geschichtsdarstellung möglich zu machen ist die vollständige Kenntniss der in den einheimischen oder auch ausländischen Archiven und in zahlreichen Druckwerken vorhandenen urkundlichen Materials.“42 In den Augen der zeitgenössischen Historiker und „Geschichtsfreunde“ ermöglichte die Quellensammlung eine faktenorientierte Geschichtsrepräsentation, die Objektivität garantierte; die darstellende Aufbereitung der Forschung erschien allenfalls als Fernziel. Die Betonung des Forschungsimperativs verstärkte die auf das Staatsganze abzielende offizielle Linie der Gesellschaft. Sie stellte allerdings keine nachträgliche, situative Anpassung dar, sondern hatte die Politik der Gesellschaft von Beginn an geprägt. Die Veröffentlichung von historischem Material war als Teil der Gesellschaftsziele in den Statuten verankert,43 und das Gesellschaftsperiodikum „Archiv für Schweizerische Geschichte“ sollte nach dem Willen der Initianten eine „ächte Materialiensammlung“44 bieten und explizit eher Geschichtsforschung denn Geschichtsschreibung betreiben.45 37
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Joseph Karl Krütli, Gutachten zuhanden des Eidgenössischen Departements des Innern, 2. Mai 1860, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/-- Bd. 9, Doss. 85. Vgl. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 5. Februar 1860, Zentralbibliothek Zürich, Familienarchiv v. Wyss IX 316.1. Verzeichniss der von den Preisgerichten an Aussteller ausgesprochenen Anerkennungen (Fortsezung), Schweizerisches Bundesblatt IX.II./57, 6. November (1857) 383–391, hier 386–388, 390f. Die AGGS an den Bundesrat, 6. Dezember 1857, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Siehe oben, Fussnote 26. Vgl. dazu Buchbinder, Der Wille zur Geschichte. AGGS an den schweizerischen Bundesrat, undat. (1858), Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Statuten der allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz, 25. November 1841, in: Archiv für Schweizerische Geschichte 1 (1843), XVIIf., hier XVII. Sitzung der provisorischen Vorsteherschaft vom 25. Mai 1841, Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, 7, Schweizerisches Bundesarchiv J II.127-/1:1. Sitzung der provisorischen Vorsteherschaft vom 25. Mai 1841, Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, 7, Schweizerisches Bundesarchiv J II.127-/1:1.
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Dem Programm einer Geschichtserkenntnis ohne Geschichtsschreibung kam insbesondere das Überzeugungspotential der Quellensorte „Urkunde“ entgegen. Ein befürwortender Gutachter hob zugunsten des Vorhabens hervor, das Register habe „eine Gattung historischer Quellen zum Gegenstande, welche in ihrer Qualität als Rechtszeugnisse u[nd] unmittelbarste Beweise geschichtlicher Vorgänge die gewissenhafteste und sorgfältigste Behandlung, die genaueste Wiedergabe bis in das Einzelne erfordern“46. Urkunden eigneten sich hervorragend zur Rechtfertigung eines öffentlichen Subventionsbedarfs: Mit ihrer Affinität zum Recht ließen sie sich mit der politischen Sphäre in Verbindung setzen und konnten in der politischen Öffentlichkeit auch unter Laien eine große Wirkung entfalten. Ihre Erforschung hatte in der Schweiz seit den bahnbrechenden Arbeiten Joseph Eutych Kopps zur Frühgeschichte der Eidgenossenschaft, die die chronikalischen Überlieferungen in Frage stellten, bereits seit den 1830er Jahren große Popularität erlangt.47 Ein Blick auf die frühe Wissenschaftsförderung der Bundesbehörden zeigt, dass Geschichte in Form von Quellensammlungen sich schließlich sehr selbstverständlich mit den neuesten Resultaten der Naturwissenschaften und deren patriotischen Fortschrittsversprechungen auf eine Stufe stellen ließ. Die Geschichtswissenschaft erhielt gegenüber andern geisteswissenschaftlichen Wissensbereichen eine privilegierte Position, wie ein Blick auf die allgemeine Ausstellung von 1857 zeigt, an der Medaillen für Publikationen in den zwei Kategorien der „geschichtlichen Erforschung“ und der „naturwissenschaftlichen Erforschung der Schweiz“48 vergeben wurden. Wie etwa die kartografischen und geologischen Arbeiten, die nicht zufällig die beiden Goldmedaillen gewannen und in dieser Zeit für den Diskurs der nationalen Einheit eine wichtige Rolle spielten,49 konnte auch die Sammlung historischen Materials als Ausmessung des nationalen Raumes gesehen werden. Gefragt waren hier nicht Historiografen, sondern Experten, wie sie in dieser Zeit für den Bundesstaat auch in technischen und sozialpolitischen Wissenszusammenhängen wichtig wurden; ein Umstand, den zeitgenössische Kritiker des „Urkundenregisters“ bereits negativ vermerkten.50 Analog dazu betonte man nicht die Deutungsbedürftigkeit der erfassten Urkunden, sondern deren geradezu technische Verfasstheit als Faktenspeicher: Urkunden trugen, sofern sie echt waren, so Basilius Hidber, „gewissermassen den Stempel der Objektivität an der Stirne“.51 Der Gesellschaft gelang es mit der Berufung auf eine objektive Erforschung der urkundlichen Anfänge der Schweiz, die Unparteilichkeit auch ihrer gesellschaftlichen Position zu unterstreichen und eine Legitimität zu erreichen, die ihr namhafte finanzielle Ressourcen und eine zunächst breite Unterstützung in bundespolitischen Kreisen einbrachte. VERMITTLUNGSFORMEN FRÜHMITTELALTERLICHER URKUNDEN Der politische Erfolg der AGGS unter Mitarbeitern und Politikern wirft die Frage auf, zu welchen Vermittlungsformen die Promotoren des Urkundenregisters griffen, um ihre Forschungen zu propagieren, und welche 46
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Bericht der Untersuchungskommission des Schweizerischen Urkundenregisters an das Eidgenössische Departement des Innern, 6. August 1873, BAR E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 86. Vgl. Feller/Bonjour, Geschichtsschreibung 2, 675–680. Verzeichniss der von den Preisgerichten an Aussteller ausgesprochenen Anerkennungen (Fortsezung), Bundesblatt IX.II/57, 6. Oktober (1857) 383–391, hier 386 und 388. Die beiden Goldmedaillen der Literaturabteilung der Allgemeinen schweizerischen Ausstellung von 1857 gingen an die topografischen und geologischen Arbeiten Guillaume-Henri Dufours, Arnold Eschers von der Linth und Bernhard Studers. Verzeichniss der von den Preisgerichten an Aussteller ausgesprochenen Anerkennungen (Fortsezung), Schweizerisches Bundesblatt IX.II./57, 6. Oktober (1857) 383–391, hier 385. Vgl. zum Zusammenhang von Kartografie und Nationsbildung am Beispiel der Schweiz: David Gugerli/Daniel Speich, Topografien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert (Zürich 2002) bes. 75–95. Die Parallelen zwischen dem Ausbau der bundesstaatlichen Aufgaben durch Experten und der staatlichen Unterstützung der AGGS wurden bereits zeitgenössisch aufmerksam verfolgt. Die AGGS wurde während der Krise des „Schweizerischen Urkundenregisters“ anfangs der 1870er Jahre in die Nähe der neuen Expertenherrschaft gerückt. Ein anonym bleibender Kritiker, der Innerschweizer Archivar Theodor von Liebenau, schrieb in den Basler Nachrichten, dass das „Urkundenregister“ wie das „Statistische Bureau“, das „kolossale Summen verschlinge und dafür äusserst wenig leiste“, eine „Schmarotzerpflanze des Bundes“ sei. Anonym (Theodor von Liebenau), Schweiz(erische Geschichtsforschung), Basler Nachrichten, 17. Dezember 1872. Zum Einzug wissenschaftlicher Expertise in die schweizerische Bundespolitik vgl. Hansjörg Siegenthaler, Fridolin Schuler und die Anfänge des modernen Wohlfahrtsstaates, in: Wissenschaft und Wohlfahrt. Moderne Wissenschaft und ihre Träger in der Formation des schweizerischen Wohlfahrtsstaates während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, ed. id. (Zürich 1998) 9–34, hier 24–29. Schweizerisches Urkundenregister Band 1, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz, VI.
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Aspekte historischen Wissens dabei vermittelt wurden. Besonders der Redaktor Basilius Hidber bemühte sich auf mehrere Weisen intensiv darum, die von ihm gesammelten Quellen interessierten Laien als historische Objekte näherzubringen. Er ließ auf Anregung des schweizerischen Bundesarchivars in den 1860er Jahren eine Reihe von Fotografien einiger der ältesten Urkunden anfertigen,52 die den Projektbeteiligten und dem Publikum sowohl den Reichtum des urkundlichen Materials als auch die Komplexität der damit verbundenen historischen Arbeiten vor Augen führen sollten. Ganz selbstverständlich wurden dabei die ältesten Urkunden in den Vordergrund gestellt.53 Durch ihr hohes Alter, ihre fremdartige Gestalt und ihre geheimnisvolle Bedeutung, die „oft in der verworrensten und dunkelsten Sprache sich birgt“54, waren sie selbst ausdrucksstarke historische Dinge. Sie kamen damit als Objekte ins Spiel, deren Wert nicht nur in der Dokumentation rechtlicher Vorgänge bestand, sondern auch in der schieren Tatsache, dass sie verehrungswürdig alt und monumentartig waren. Als solche historische Objekte mussten sie nicht unbedingt historisch genau verortet werden, sondern konnten wie die in dieser Zeit so intensiv verehrten mittelalterlichen Ruinen und Pfahlbauten55 schlicht als Zeugnisse sehr alter Kulturträger auf dem Gebiet der heutigen Schweiz bewundert werden. Es war zunächst geplant, dem Urkundenregister selbst solche fotografische Faksimiles beizufügen, was aus Kostengründen scheiterte.56 Ein späteres Vorhaben, die inzwischen zu einer chronologischen Serie ergänzten, für das Register aufgenommenen Fotografien gewinnbringend als paläografisches Tafelwerk zu vermarkten,57 konnte ebenfalls nicht verwirklicht werden. Die Fotografien wurden vielmehr Politikern, Geschichtsfreunden und Beamten gezeigt.58 Hidber legte die Fotografien wiederholt den Berichten an das Eidgenössische Departement des Innern bei und ließ die Fotografie einer frühen St. Galler Urkunde den Bundesparlamentariern vorlegen, „(u)m den weniger kundigen Mitgliedern der eidgenössischen Behörden und dem weiteren Publikum etwas zu bieten“.59 Fotografien illustrierten auch Vorträge und persönliche Unterredungen und dienten als Tauschmittel bei der Akquisition von Urkundenabschriften.60 Außerdem stellte Hidber eine Reihe von Urkundenfotografien an einer Jahresversammlung der AGGS vor. Es handelte sich dabei um eine neuartige Demonstration, für die der Redaktor im Vortragssaal eine Vorrichtung brauchte, „um die Photographien allgemein sichtbar zu machen“.61 Die Initianten des Registers machten sich damit eine noch junge Reproduktionstechnologie zunutze, die im Ruf stand, mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit und ohne die Einwirkung menschlicher Einbildungskraft zu verfahren.62 Hidber konnte dabei an die innovativen Arbeiten des Urkundenforschers Theodor Sickel in Wien anschließen, der in den 1850er Jahren mit den ab 1859 erscheinenden „Monumenta graphica medii aevi ex archivis et bibliothecis imperii Austriaci“ ein erstes paläografisches Tafelwerk konzipiert hatte, das in großem Umfang erfolgreich die Fotografie einsetzte,63 und der im übrigen als einer der wissenschaftlichen Berater
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Basilius Hidber an Georg von Wyss, 18. Januar 1863, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss 316.1. Der erste Band des Registers sollte mit einem fotografischen Faksimile der ältesten St. Galler Urkunde begonnen werden. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 18. Januar 1863, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss 316.1. Basilius Hidber an Giovan Battista Pioda, 1. Juli 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Vgl. Kurt R. Altdorfer, Von „Pfahlbaufischern“ und „Alterthümerhändlern“. in: Pfahlbaufieber. Von Antiquaren, Pfahlbaufischern, Altertümerhändlern und Pfahlbaumythen, ed. Antiquarische Gesellschaft in Zürich (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 71, Zürich 2004) 103–124; Kaeser, Helvètes ou Lacustres?. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 1. November 1863, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss 316.1; Basilius Hidber an Georg von Wyss, 5. August 1871, ibid. Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössische Departement des Innern, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Basilius Hidber, Bericht an das Eidgenössische Departement des Innern, 11. März 1864, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85; id., Jahresbericht an das Eidgenössische Departement des Innern, 27. Dezember 1864, ibid.; id., Jahresbericht an das Eidgenössische Departement des Innern, 22. Dezember 1866 ibid.; Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössische Departement des Innern, 19. Oktober 1870, ibid. Basilius Hidber an die Vorsteherschaft der AGGS, 20. April 1873, Schweizerisches Bundesarchiv E 88-/--, Bd. 9, Doss. 86. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 1. November 1863, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss 316.1; Basilius Hidber an Georg von Wyss, 2. März 1873, ibid.; Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS), an das EDI, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 13. August 1873, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss 316.1. Bernd Busch, Belichtete Welt. Eine Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie (München/Wien 1998) 21f., 77, 198–205. Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks, 337–395.
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des Urkundenregisters fungierte.64 Im 19. Jahrhundert zirkulierte eine Vielzahl von grafischen Wiedergabeverfahren für Quellenreproduktionen, unter denen sich die Fotografie erst allmählich durchsetzte. In den 1860er Jahren waren Urkundenfotografien noch außergewöhnlich und teuer. Simple Handpausen und Druckverfahren, die eine manuelle Gestaltung voraussetzten, blieben in dieser Zeit die weitaus häufigere Variante, ein Quellenfaksimile herzustellen.65 Es kann vermutet werden, dass gerade die technische Aura der noch seltenen Quellenfotografie die Kostbarkeit der fotografierten Urkunden überhöhte, die Wissenschaftlichkeit des Unternehmens der AGGS betonte und zur Überzeugungskraft des Unternehmens beitrug. Dabei spielte die Schrift als paläografische Herausforderung eine untergeordnete Rolle. Der vielfältige Einsatz der Fotografien frühmittelalterlicher Urkunden spricht dafür, dass diese unter Ministern, Parlamentariern und andern interessierten Laien vor allem in ihrer Qualität als originalgetreue Bilder wirksam waren. Darauf weist auch die Vorgabe hin, dass jeweils eine Urkunde ausgewählt werden sollte, „welche das vollständige Bild einer Urkunde der durch das Heft repräsentirten Zeit geben“,66 die also das visuell Typische einer Zeit verkörpern sollte. Überdies brachte die Redaktion in ihren Berichten und Vorworten dem Publikum, den Teilnehmern der Jahresversammlungen der AGGS und den Bundesbehörden ihre Urkundenfunde und Arbeitsweisen näher. Dabei wurden die technischen Daten zu den Urkunden mit skizzenhaften historischen Erzählungen verbunden, die die Funde in einen historischen Sinnzusammenhang stellten. Diese Paratexte stellten das Urkundenregister, das eigentlich reines Forschungsergebnis ohne Darstellung sein wollte, zusammen mit den Inhaltszusammenfassungen der Urkunden im Registertext in eine untergründige narrative Ordnung. In ihnen standen neben Passagen, die einen Überblick über übergeordnete historische Entwicklungen gaben, Beschreibungen, die die Urkunden selbst ins Zentrum stellten und eine rudimentäre, skizzenhafte Geschichte des Schriftguts selbst entwickelten.67 In einem Bericht von 1864 ließ Hidber beispielsweise auf eine knappe Beschreibung des Zerfalls des Karolingerreiches eine kurze Charakterisierung des Wandels der Herrschaftsträger auf dem Gebiet der Schweiz folgen, um dann für den Rest seiner Ausführungen zur Einschätzung der Schriftgutproduktion überzugehen, für die er ein plötzliches Absacken konstatierte.68 Die urkundlichen Untersuchungsobjekte erschienen hier selbst geradezu als Akteure der historischen Erzählung. Eine weitere Strategie, frühmittelalterliche Urkunden zu vermitteln, bestand schließlich in der Gewohnheit des Redaktors, das Projekt potentiellen Kooperationspartnern im persönlichen Gespräch und mit Arbeitsdemonstrationen näher zu bringen. Denn je länger sich die Erfassung der frühesten Urkunden hinzog, desto mehr geriet das Projekt unter Rechtfertigungsdruck; schon 1862 wurde moniert, dass das Projekt zu wenig schnell vorwärts schreite.69 Es galt deshalb den Unterstützern des Projekts klar zu machen, mit welchem – im Vergleich mit Urkunden aus dem späteren Mittelalter ungleich höheren – Aufwand die Beschäftigung mit frühmittelalterlichen Urkunden verbunden war. Dabei stellte es sich als Nachteil heraus, dass das Arbeitsergebnis selbst, der Registereintrag, zu unspektakulär wirkte, „denn den Bogen selbst sieht man die Mühe nicht an, die sie kosten“.70 Die aufwendigen Sammlungsaktivitäten, die Echtheitsprüfungen, paläografischen Schwierigkeiten und onomastischen Abklärungen etwa waren im Registertext beinahe unsichtbar. Georg von Wyss, der 64
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Vgl. Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössische Departement des Innern, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85; Schweizerisches Urkundenregister 2, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz, LXXI. Zu den Anfängen der Quellenfotografie in den 1850er bis 1880er Jahren und weiterer Literatur vgl. Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks, 337–395; zu den fotografischen Urkundensammlungen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts vgl. Wolfgang Ernst, Im Namen von Geschichte. Sammeln – Speichern – Er/Zählen, Infrastrukturelle Konfigurationen des deutschen Gedächtnisses (München 2003) 241–270; Peter Rück, Im Zeitalter der Fotografie, in: Mabillons Spur. Zweiundzwanzig Miszellen aus dem Fachgebiet für Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter Heinemeyer, ed. Peter Rück (Marburg a. d. Lahn 1992) 39–52. Georg von Wyss und Joseph Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössische Departement des Innern, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Schweizerisches Urkundenregister 1, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz, Vorwort des 2. Heftes, I– XVII; Protokoll der zwanzigsten Versammlung der AGGS, 31. August/1. September 1864, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde X (1864) 53–56, hier 54; Basilius Hidber, Bericht anlässlich des Abschlusses des ersten Bandes, 25. November 1867, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Protokoll der zwanzigsten Versammlung der AGGS, 31. August/1. September 1864, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde X (1864) 53–56, hier 54. Basilius Hidber an Giovan Battista Pioda, 1. Juli 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Georg von Wyss an Basilius Hidber, 19. Juni 1862, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103, Hervorhebung im Original.
Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament
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als akademische Eminenz im Hintergrund wirkte, instruierte Basilius Hidber deshalb, dem Publikationsdruck, den die Öffentlichkeit ausübte, nicht vorschnell nachzugeben, weil dies nur den Glauben schüre, „so hätte man bey Fleiss auch mehrere zu Stande gebracht“.71 Um dieser Fehleinschätzung des wissenschaftlichen Arbeitsaufwandes entgegenzuwirken und um die Arbeit am Register konkret erfahrbar zu machen, veranstaltete Hidber Arbeitsdemonstrationen für potentielle Projektalliierte. Er baute im Bibliothekslokal der AGGS und vor allem auch bei sich zuhause einen Arbeitsapparat auf. Der Apparat setzte sich aus Packen von Abschriften gedruckter und ungedruckter Urkunden und aus raren Druckwerken zusammen, die aus den Mitteln der AGGS angeschafft worden waren.72 Bei Hidbers Aufforderungen an Beamte und Politiker, den Apparat in seiner Studierstube zu inspizieren, ging es ihm zum einen darum, die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit des Registers zu verbessern. Skeptiker wie der Bundesarchivar Jakob Kaiser sollten von der Systematizität und Redlichkeit des Projekts überzeugt werden: „Alles steht hübsch geordnet in Reihe u[nd] Glied in meinem Studirzimmer auf einem grossen Tisch, zu Jedermanns Besichtigung, ganz so nacheinander wie dies im Berichte angegeben ist“.73 Zum andern konnten Laien einfacher instruiert und vom Umfang der Arbeiten überzeugt werden,74 wenn sie die Berge von Abschriften inspizieren konnten, die in der Studierstube angehäuft waren. So empfing Hidber 1860 mehrere Politiker einzeln bei sich zuhause, setzte ihnen den Arbeitsplan des Projekts auseinander und präsentierte seinen Arbeitstisch, auf dem er die Abschriftenbündel in der geografischen Anordnung der einzelnen Landesteile der Schweiz ausgelegt hatte.75 Die chronologisch-textuelle Ordnung des Registers wurde hier rückübersetzt in eine räumliche Ordnung, so dass die Anlage des Projekts nach dem vertrauten Muster der politisch-geografischen Landkarte erfahren werden konnte. 1862 hatte der umtriebige Redaktor sogar Bundesrat Giovan Battista Pioda zu Gast, den er „auf die Schwierigkeiten aufmerksam machen“76 wollte, die sich mit dem Unternehmen verbanden. Es kann vermutet werden, dass es bei diesen Werkstattbesuchen nicht nur um Information, sondern vor allem auch darum ging, die materielle Fülle der Arbeitsgrundlagen – nicht etwa der Urkunden selbst, sondern ihrer zu Tausenden gebündelten Abschriften – zu demonstrieren. Die Strategien der Popularisierung und Legitimierung der langwierigen Urkundenregistrierung durch die Redaktion zeigen auf, dass der Handlungszusammenhang historischer Forschung als vielfältig objektvermittelt verstanden werden muss: Frühmittelalterliche Geschichte ließ sich gerade im Kontext der Urkundenforschung bevorzugt vermitteln über die historischen Forschungsobjekte selbst, die Urkunden, die vielfach als materielle Objekte in Szene gesetzt wurden. Dabei ging es nicht immer um spezifische Inhalte frühmittelalterlicher Geschichte – ein motivierendes Potential historischer Faszination und Identifikation wiesen solche historischen Dinge vielfach bereits in ihrer Materialität auf, die das Spannungsverhältnis zwischen vergegenwärtigender Geschichtskultur und der Vergangenheit sicht- und erlebbar machte. KONFLIKTPOTENTIALE DER FORSCHUNG Die lose Form der Aktualisierung einer Geschichte des frühen Mittelalters im „Urkundenregister“ wirkte integrierend: Die Vorstellung einer kulturell produktiven, heterogenen Schweiz des Frühmittelalters bot, wie die Zahl der Mitarbeiter beweist, vielfältige Anknüpfungspunkte für lokale „Geschichtsfreunde“ und entsprach dem Bewusstsein der Eliten des frühen Bundesstaates, eine „Willensnation“ zu bilden. Trotzdem war die soziale Kohäsionskraft dieser national ausgerichteten Erfassung von Urkunden begrenzt und der Erkenntnisgegenstand der „schweizerischen Urkunde“ labil. Die strenge Form eines rein chronologisch verfahrenden Registers, die die Objektivität der Forschung betonen sollte, ließ trotz allem Raum für divergierende Interpretationen und historische Gewichtungen. Der AGGS erwuchs im Verlauf des Projekts aus regionalen und kantonalen historischen Vereinen Opposition, die gleichzeitig ebenfalls ehrgeizige Editionsprojekte planten. Die Redaktion des nationalen Projekts 71 72
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Georg von Wyss an Basilius Hidber, 19. Juni 1862, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. Basilius Hidber, Bericht anlässlich des Abschlusses des ersten Bandes, 25. November 1867, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Basilius Hidber an Jakob Kaiser, 20. Februar 1873, Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 10, Doss. 91. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 23. Juni 1862, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss IX 316.1. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 18. Juli 1860, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss IX 316.1. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 23. Juni 1862, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss IX 316.1.
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hatte aufgrund der ungleichmäßigen Erschließungslage von Urkunden auf lokale Infrastrukturen Rücksicht zu nehmen und war damit konfrontiert, dass Kooperationspartner ihre Zuwendung lieber kantonalen oder regionalen Projekten zukommen lassen wollten.77 Überdies machten manche Ansprechpersonen ihre Mitarbeit davon abhängig, ob sie bei der Gestaltung des Projekts mitreden konnten.78 So machte François Forel, der damalige Präsident der „Société d’histoire de la Suisse romande“, mit seiner Kooperationseinwilligung 1859 ein Mitspracherecht bei der Rubrizierung der Registereinträge geltend. Als Gegenleistung für noch ungedruckte Regesten, die er im Hinblick auf das gleichzeitig entstehende Projekt der „Régeste de la Suisse romande“79 erstellt hatte, forderte er, das „Schweizerische Urkundenregister“ sei nicht chronologisch, sondern nach Bistümern zu ordnen. Als die Redaktion dieser Forderung nicht nachkam, zog der Waadtländer sein Angebot wieder zurück.80 Die Forderung Forels kann als ein Akt der Geschichtspolitik gedeutet werden: Denn das Bistum Lausanne hätte in dieser Anordnung einen prominenten Platz eingenommen. Vermittelt über das Ordnungsprinzip einer Rubrizierung nach Bistümern hätten Lausanne, die Waadt und mit ihr die französischsprachige Schweiz eine gewichtige strukturelle Repräsentation im „Schweizerischen Urkundenregister“ erhalten, eine symbolische Überhöhung, die man geradezu als Antwort auf die frühneuzeitliche Herrschaft des Kantons Bern über die Gebiete des heutigen Kantons Waadt verstehen kann. Diese Episode zeigt, wie gefährdet die Akzeptanz der AGGS insbesondere in der Romandie war. Zwar versuchte die Gesellschaft, mit einer – bald wieder abgebrochenen – französischen Übersetzung des ursprünglich auf Deutsch abgefassten „Schweizerischen Urkundenregisters“ Gegensteuer zu geben, aber diese Übersetzung führte lediglich zu einer weiteren Schwächung des Projekts, weil sie gemeinhin als verfehlt beurteilt wurde.81 Auch die Bestimmung der frühesten Urkunden, die an den Beginn des Urkundenregisters zu stehen kommen sollten, barg ein Konfliktpotential, das die Redaktion zu langwierigen Abklärungen nötigte. Obwohl abgemacht war, dass eine eingehende Echtheitsfeststellung der Aufnahme von Urkunden ins Register vorangehen sollte, zögerte der Hauptredaktor Basilius Hidber, einige als gefälscht erkannte Urkunden auszuscheiden, deren angebliches Alter sie an den Beginn des Register gestellt hätte.82 Auf dem Spiel stand nicht nur die Wissenschaftlichkeit des Projekts, sondern auch die Frage nach den historischen Überresten „unserer ältesten Cultur“,83 auf die verschiedene Träger von lokalen Geschichtsbildern Anspruch erhoben. Hidber fürchtete, die Augustiner Chorherren von St. Maurice im Wallis, von wo eine angeblich ins 6. Jahrhundert zurückgehende Urkunde stammte, mit dem Fälschungsverdikt zu verärgern und dem „Urkundenregister“ damit den Zugang zum bislang bereits nur schwer zugänglichen Stiftsarchiv gänzlich zu verunmöglichen. Die Redaktion entschloss sich schließlich, die gefälschten Urkunden nur im Vorwort zu erwähnen. Um den pejorativen Beigeschmack des Fälschungsbegriffs zu vermeiden, wurden die Urkunden dort aber bewusst nicht als „gefälscht“, sondern als „unecht“ bezeichnet.84 77
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Die Zürcher Behörden stemmten sich 1855 gegen die Mitarbeit ihres Staatsarchivars am „Schweizerischen Urkundenregister“, weil sie ein „Urkundenbuch der Republik Zürich“ planten. Urban Winistörfer an Basilius Hidber, 22. Januar 1855 aus Solothurn, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. Weitere Konfliktbeispiele stellen das weiter unten erwähnten Konkurrenzprojekte des „Régeste de la Suisse romande“ und das „Urkundenbuch des Klosters St. Gallen“ dar. Vgl. auch Basilius Hidbers Konflikt mit dem Herausgeber des St. Galler Urkundenbuchs Hermann Wartmann, der sich unzufrieden mit Hidbers Umsetzung der von Wartmann gelieferten Arbeitsbeiträge zeigte und später zu einem der wichtigsten Gegner des „Urkundenregisters“ wurde. Basilius Hidber an Gerold Meyer von Knonau, 22. April 1869, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv Meyer v. Knonau 34y; Bericht der Kommission zur Untersuchungsregisters an den Bundesrat, 6. August 1973, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 86. Régeste. Soit Répertoire chronologique de documents relatifs à l’histoire de la Suisse romande. 1ère série. Dès les premiers temps jusqu’en l’an 1316 (ed. François Forel, Mémoires et documents publiés la Société d’histoire de la Suisse romande tome 19, Lausanne 1862). Basilius Hidber an Georg v. Wyss, 28. September 1859, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss, IX 316.1; Basilius Hidber an die Vorsteherschaft der AGGS, 20. April 1873, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/-- Bd. 9, Doss. 86. Georg von Wyss und Josef Ignaz Amiet (Präsident und Aktuar der AGGS) an das Eidgenössische Departement des Innern, 19. Oktober 1870, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85; Bericht der Kommission zur Untersuchung des Urkundenregisters an den Bundesrat, 6. August 1973, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 86. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 8. August 1861, 13. August 1861, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv v. Wyss IX 316.1; Georg von Wyss an Basilius Hidber, 9. August 1861, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 13. August 1861, Zentralbibliothek Zürich, Familienarchiv v. Wyss IX 316.1. Basilius Hidber an Georg von Wyss, 8. August 1861, 13. August 1861, Zentralbibliothek Zürich, Familienarchiv v. Wyss IX 316.1.
Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament
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Konflikte ergaben sich aber auch aus der Praxis der Urkundenregistrierung selbst. Das Ziel einer umfassenden Kenntnis der schweizerischen Urkunden erforderte die Erfassung einer grossen Vielfalt von Beständen; lokale und regionale Urkundensammlungen wurden durch das nationale Register in einen neuen Zusammenhang gestellt. Der Vielzahl der in Frage kommenden Urkundenfonds entsprach die Heterogenität der Kooperationspartner: Freiwillige Mitarbeiter, die meistens über keine historische Ausbildung an einer Universität verfügten, verfertigten in ihren lokalen Kontexten unzählige Urkundenabschriften, die sie der AGGS zukommen ließen. Eine knappe Anleitung wies die Sammler an, gewisse formale Gesichtspunkte der Registrierung zu berücksichtigen, ließ aber die konkrete Ausgestaltung von Arbeitsgängen offen.85 Nur die wenigsten Mitarbeiter zogen dafür die urkundlichen Originale bei, die meisten arbeiteten vielmehr aus einer lebendigen Tradition des Ab- und Umschreibens in verschiedensten Formen heraus. Sie verfertigten Auszüge aus Druckwerken oder handschriftlichen Kollektaneen, sandten Faksimiles, auszügliche Abschriften und Kollationen ein, lieferten Urkundenübersetzungen und Zusammenstellungen aus Archivregistern. Es war gerade diese lose Struktur des Projekts, die es erst ermöglichte, so viele Mitarbeiter einzubeziehen und auf vielfältiges Vorwissen zurückzugreifen. Urkunden zu registrieren beruhte nur zum Teil auf expliziten Regeln, es war vielmehr vielfach Bestandteil eines personengebundenen, impliziten Wissens, das praktisch gelernt und anhand von Vorbildern mimetisch angeeignet wurde und an Arbeitstechniken aus Theologie, Recht und Verwaltung, mit denen viele der Mitarbeiter vertraut waren, anschließen konnte. So versammelte sich in der Praxis des „Urkundenregisters“ eine große Vielfalt verschiedenster Objekte, die durch Abschriften, Auszüge und registerartige Zusammenstellungen zu immer neuen Objekten aggregiert wurden. 86 Die geringe Standardisierung der Registrierungspraxis und die Vielfalt der Überlieferungsstränge der Urkunden stellte die Redaktion vor große Abstimmungsschwierigkeiten. Der Sammlungsprozess selbst, das Zusammentragen von lokal verfertigten Abschriften, wurde anfänglich als unproblematischer Arbeitsschritt betrachtet, der der eigentlichen Arbeit am Register vorgelagert war. Die Form des Registers setzte aber eine diplomatische Kritik der Urkunden voraus, die erst dadurch in einen Zeitstrahl eingeordnet werden konnten. Eine solche kritische Würdigung der einzelnen Urkunden wurde zunächst unterschätzt, die Initianten des „Urkundenregisters“ sahen sie erst für das relativ fortgeschrittene Arbeitsstadium der redaktionellen Bearbeitung vor. Vielen bei der Redaktion eingegangenen Urkundenauszügen war aber nicht mehr anzusehen, welche Umschreibe- und Übersetzungsprozesse an ihnen vorgenommen worden waren. Trotz deshalb verstärkter Standardisierungsbemühungen gingen aber auch von den Mitarbeitern vor Ort mehrfach Klagen ein. So kapitulierte ein Schaffhauser Archivar vor den forschungstechnischen Schwierigkeiten mit der Bemerkung, dass ihm die Lust zu einer Weiterarbeit vergangen sei und er es begrüßt hätte, „wenn mir früher ... über den Grad der Brauchbarkeit & der Mängel der gelieferten Beiträge etwas Näheres mitgetheilt worden wäre“.87 All diese Schwierigkeiten führten dazu, dass die Redaktion des Urkundenregisters schließlich in der zweiten Phase ihre Arbeitsstrategie änderte und die Aufmerksamkeit vom Endpunkt der Bearbeitung, den Registereinträgen, zum bis anhin nur unterstellten Ausgangspunkt, dem urkundlichen Original, verlagerte. Erst jetzt entfaltete sich das Unternehmen in seiner ganzen Komplexität. Mit der Arbeit „aus den Originalien“88 stellten sich nun Standardisierungsprobleme gleichsam unter dem Vergrößerungsglas dar. Insbesondere die allerfrühesten frühmittelalterlichen Urkunden, die das Register einleiten sollten, waren bis dahin nur schlecht erschlossen gewesen und stellten die Redaktion immer wieder vor grundlegende Verständnisprobleme. Mit der Annäherung an die Urkunde vor Ort stellte sich nun viel stärker die quellenkritische Frage, wie denn Originale überhaupt zu erkennen waren und von Fälschungen und Kopien unterschieden werden konnten. Verschiedenste Datierungs- und Namensprobleme stellten sich ein, die den Druck immer wieder verzögerten und zum Ruf des Urkundenregisters beitrugen, ineffizient zu sein.89
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Zirkularschreiben an potentielle Mitarbeiter des „Urkundenregisters“, April 1856, zit. Schweizerisches Urkundenregister Band 1, ed. Allgemeine geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz, IX. Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks 309–316. Der Schaffhauser Kantonsarchivar Ammann-Kuhn an Basilius Hidber, 18. Juli 1861 aus Schaffhausen, Burgerbibliothek Bern N: Mss.h.h.XXVI.103. Basilius Hidber an das Eidgenössische Departement des Innern, 4. März 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks 316–331.
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Die Vereinigung heterogener Urkundenbestände im Zeichen der Nation löste die Urkunden aus Überlieferungstraditionen heraus, die andern Logiken gehorcht hatten, und zeitigte die Folge, dass die Bearbeiter nun gezwungen waren, eine größere Vereinheitlichung der Erfassungsprozeduren anzustreben. Damit erhöhte sich aber auch die Bedeutung des Originals, denn dieses führte das Versprechen eines klar bestimmbaren Überlieferungsursprungs mit sich, während all jene Erfassungspraktiken unbrauchbar erschienen, die sich auf abschriftliche Überlieferungen bezogen. Damit fanden sich die Bearbeiter bei den aktuellen Problemen der zeitgenössischen Diplomatik wieder, die sich in dieser Zeit intensiv mit der Fälschungsproblematik befasste. Im Fall des „Schweizerischen Urkundenregisters“ wurde beschlossen, die Suche nach dem Original dem Hauptredaktor zu überlassen; dadurch wurden die Beiträge jener regionalen Mitarbeiter abgewertet, die älteren Arbeitsvorstellungen folgten. Erst im Kontext der von Theodor Sickel geleiteten Wiener Diplomata-Abteilung der „Monumenta Germaniae Historica“ in den 1870er Jahren sollte es gelingen, arbeitstechnische und konzeptuelle Lösungen für Editions- und Regestenprojekte der Urkundenforschung zu entwickeln, die es erlaubten, großräumige Infrastrukturen der Quellenarbeit und die Beiträge größerer Forscherteams besser aufeinander abzustimmen.90 In beiden Fällen aber war der Ausbau der diplomatischen Kritik damit verbunden, dass die groß angelegten, auf staats- oder kulturnationale Sinngebung abzielenden Sammlungs- und Editionsunternehmen durch ihre arbeitspraktisch erforderlichen Standardisierungsvorgaben den geschichtswissenschaftlichen Rückbezug aufs Original förderten. Sowohl die Begrenztheit der gesellschaftlichen Allianzen, die durch das Urkundenregister geschmiedet wurden, als auch die wissenschaftlichen Probleme der Urkundenerfassung trugen schließlich zur Diskreditierung des Projekts bei. Nicht Gegner der Geschichtsforschung, die die staatlichen Gelder zukunftsträchtigeren Wissenschaftsbereichen hätten vorbehalten wollen, sondern Kritiker, die selbst eine wichtige Rolle in der regionalen und nationalen Geschichtsforschung spielten, brachten das „Urkundenregister“ seit dem Ende der 1860er Jahre langsam zu Fall. Zum einen kam die Kritik an der Effizienz des Urkundenregisters aus Kreisen, die selbst Interesse an einer Neuverteilung der entsprechenden Subventionen hatten. Sowohl die „Société d’histoire de la Suisse romande“ als auch der „Historischen Verein der V Orte“, die beiden wichtigsten regionalen historischen Vereine der Schweiz, hatten in den 1860er Jahren zwar vorübergehend Bundessubventionen erhalten. Diese waren im Parlament aber wegen der partikularistischen Ausrichtung der Projekte bald auf Widerstand gestoßen und wurden wieder eingestellt.91 Die entscheidende Krise des Urkundenregisters in der politischen Öffentlichkeit wurde durch einen anonymen Zeitungsartikel Theodor von Liebenaus, eines wichtigen Vertreters des Innerschweizer historischen Vereins, ausgelöst.92 Zum andern handelte es sich um jüngere, fachhistorisch ausgebildete Mitglieder der AGGS wie Gerold Meyer von Knonau und Hermann Wartmann, die gegenüber dem als anachronistisch empfundenen „Urkundenregister“ kleinere Erfassungseinheiten favorisierten, einen gesellschaftsinternen Macht- und Generationenwechsel und damit eine Verwissenschaftlichung der Quellenerfassungsprojekte herbeiführen wollten.93 Wegen der inzwischen veränderten politischen Konstellationen in den Bundesbehörden konnte die Redaktion des Registers zu dieser Zeit nicht mehr auf mächtige politische Mentoren zählen. 1873 wurde durch das Eidgenössische Departement des Innern eine Untersuchungskommission eingesetzt, die die Mittelverwendung durch die AGGS und die wissenschaftliche Qua90 91
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Ibid. 429–461. Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1861. Departement des Innern, in: Schweizerisches Bundesblatt XIV.II./20, 2. Mai (1862) 149–222, hier 167; Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1862. Departement des Innern, in: Schweizerisches Bundesblatt XV.II./18, 25. April (1863) 282–350, hier 292f.; Bericht der Ständeratskommission über die Geschäftsführung des Bundesrates während des Jahres 1863, in: Schweizerisches Bundesblatt XVI.II./27, 22. Juni (1864) 81–132, hier 90f.; Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1864. Departement des Innern, in: Schweizerisches Bundesblatt XVII.II./18, 26. April (1865) 53–95, hier 68; Bericht der Ständeratskommission über die Geschäftsführung des Bundesrates und des Bundesgerichts während des Jahres 1864, in: Schweizerisches Bundesblatt XVII.II./29, 28. Juni (1865) 684–783, hier 697; Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1865. Departement des Innern, in: Schweizerisches Bundesblatt XVII.I./22, 24. Mai (1866) 791–883, hier 810f.; Nationalrat Sulzberger an das Eidgenössische Departement des Innern, 28. Juli 1862, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 85. Theodor Liebenau, ein Exponent des Innerschweizer „Historischen Vereins der V Orte“, war laut Archivnotiz Autor eines anonymen Beitrags zum „Urkundenregister“ in der Basler Zeitung. Anonym (Theodor von Liebenau), Schweizerisches Urkundenregister, in: Basler Nachrichten, 17. November (1872). Vgl. Basilius Hidber an Gerold Meyer von Knonau, 22. April 1869, Zentralbibliothek Zürich Familienarchiv Meyer v. Knonau 34y.
Frühmittelalterliche Urkunden im Parlament
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lität des Unternehmens prüfen sollte. Die Kommission kam schließlich zum Schluss, dass das Unternehmen vorzeitig abgeschlossen werden solle, so dass der zweite Band, der 1877 herauskam, gleichzeitig der letzte Band des Unternehmens wurde.94 Auch die gesellschaftsinternen Kritiker waren mit ihrer Politik erfolgreich und erreichten, dass die AGGS 1873 eine Kommission zur langfristigen Planung ihrer editorischen Vorhaben ernannte, in die sie Einsitz nahmen.95 Die Ausführungen zur Aktualisierung frühmittelalterlicher Geschichte im „Schweizerischen Urkundenregister“ lassen sich abschließend in vier Punkten zusammenfassen. Das „Schweizerische Urkundenregister“ stellte einen Versuch dar, mit der Bearbeitung frühmittelalterlicher Urkunden neue Objekte einer nationalen Geschichtskultur zu schaffen. Im Gegensatz zu zahlreichen verwandten historiografischen und editorischen Arbeiten war das „Register“ nicht auf die Geschichte der Eidgenossenschaft, sondern auf die Konturen der modernen Schweiz ausgerichtet; es reifizierte editorisch keine frühe staatliche oder kulturelle Einheit in der Vergangenheit. Der Bezug auf die Geschichte des Frühmittelalters verlief nicht als Suche nach einem Ursprungszenario einer ethnischen oder sprachlichen schweizerischen Identität, sondern vielmehr als eher skizzenhafte Aktualisierung frühmittelalterlicher kultureller Entwicklungen auf dem erforschten Gebiet, deren Vielfalt als Spiegel der Heterogenität der Schweiz des 19. Jahrhunderts interpretiert wurde. Diese Spiegelung der liberalen „Willensnation“ im „Urkundenregister“ war eine sinnstiftende Interpretation, die allerdings untergründig wirksam blieb. Trotz dieser integrativen Anlage und der eine wissenschaftliche Objektivität betonenden, strengen chronologischen Form des Registers bot das „Urkundenregister“ im Lauf der Zeit Anlässe für Kontroversen unter „Geschichtsfreunden“. Diese Konflikte, die zum vorzeitigen Abbruch des „Registers“ führten, machen sichtbar, wie prekär die Etablierung einer nationalen Geschichtskultur in der föderalistischen, geschichtskulturell extrem heterogenen Schweiz ausfallen musste und wie kritikanfällig die Konstruktion einer „schweizerischen Urkunde“ blieb. Unter anderen Gesichtspunkten kann das Unternehmen als ausgesprochen erfolgreich betrachtet werden: Die Vorstellung einer nationalen Urkundenlandschaft mobilisierte vorübergehend eine große Zahl von Mitarbeitern, popularisierte frühmittelalterliche Urkunden als Objekte nationaler Verehrung und erschloss der Geschichtsforschung regelmäßige Subventionsbeiträge aus der Bundeskasse. Diese Subventionen blieben der nationalen historischen Gesellschaft auch nach Ende des „Urkundenregisters“ erhalten und ermöglichten es ihr, auch in den folgenden Jahrzehnten weitere Quellenforschungsprojekte in Angriff zu nehmen. Sowohl die nur lose gestaltete Aktualisierung frühmittelalterlicher Geschichte als auch die Abhängigkeit von der politischen Situation im frühen Bundesstaat zeigen auf, dass die Popularisierung frühmittelalterlicher Urkunden nicht allein auf die historischen Inhalte bezogen werden darf, die diese transportierten. Vielmehr spielte die materielle Praxis der Forschung und Vermittlung eine bedeutende Rolle für die erfolgreiche Aktualisierung frühmittelalterlicher Geschichte. Die zahlreichen Vermittlungsformen und -situationen, in denen die Promotoren des „Urkundenregisters“ ihr Projekt potentiellen Kooperationspartnern und einer politischen Öffentlichkeit nahe brachten, verweisen darauf, dass der spezifische Objektcharakter der erfassten Urkunden ein großes Potential für die Aneignung von Geschichte barg und zum politischen Erfolg beitrug. Die früh- und hochmittelalterlichen Urkunden dienten den Projektmitarbeitern in verschiedenen Aggregatszuständen und Reproduktionsformen als visuell ansprechende, erlebbare, ja sogar erzählbare Demonstrationsobjekte und wurden nach Bedarf auch als Urkundenlandschaft auf dem Tisch arrangiert. Nicht zufällig wurde auch die innovative Technik der Urkundenfotografie mit ihrer Aura technischer Präzision und naturwissenschaftlicher Objektivität in Anspruch genommen, um die Urkunden im Parlament visuell zu präsentieren. Überdies hatten Urkunden einen Wiedererkennungseffekt, sie waren politischen Akteuren mit ihrer Nähe zu Recht und Verwaltung als Schriftgutsorte besonders vertraut, transportierten die Autorität vergangener Rechtshandlungen und konnten durch ihre autoritative Ausstattung mit sich überlagernden, manchmal prächtig angelegten Zeichen – Schrift, Siegeln und urkundlichem Layout – als besonders feierliche Repräsentationen von Geschichte dienen. 94
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Bericht der Kommission zur Untersuchung des Urkundenregisters an den Bundesrat, 6. August 1973, Schweizerisches Bundesarchiv E 88 -/--, Bd. 9, Doss. 86. Protokoll der achtundzwanzigsten Versammlung der AGGS, 18./19. August 1873, in: Archiv für Schweizerische Geschichte 19 (1874) V–IX, hier VIf.; Erste konstituierende Sitzung der litterarischen Kommission, 20. August 1873, Protokolle des Gesellschaftsrates der AGGS 1841–1887, 127f., Schweizerisches Bundesarchiv J II.127 -/1:1.
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Daniela Saxer
Die erfassten Urkunden dienten so als modular mobilisierbare historische Objekte, die dazu beitrugen, geschichtswissenschaftliche Ressourcen zu mobilisieren und einen auf Harmonisierung zielenden gesellschaftlichen Geschichtsbezug unter heterogenen Akteuren zu ermöglichen, die aus verschiedenen sozialen Kontexten stammten. Dieser Bezug sollte die im noch jungen schweizerischen Bundesstaat virulenten historischen Deutungskonflikte auf ein Minimum reduzieren; er war einem Geschichtsverständnis verpflichtet, das ohne die vermeintlich verzerrende Subjektivität historischer Narration auszukommen glaubte und sich stattdessen an der Evidenz der Quellen ausrichtete. Damit befand sich das „Schweizerische Urkundenregister“ in der Gesellschaft zahlreicher ähnlicher, auf Staaten oder kulturnationale Kontinuitäten ausgerichteter historischer Sammlungsprojekte des 19. Jahrhunderts. Es stellte insofern einen Ausnahmefall dar, dass es nicht versuchte, über die erfassten früh- und hochmittelalterlichen Quellen eine historische Kontinuität zu postulieren, sondern seinen Voluntarismus offen zur Schau stellte. Gleichwohl ist auch das „Urkundenregister“ ein Beispiel dafür, wie solche groß angelegten Erfassungsunternehmen im Namen der Nation dazu führten, dass frühmittelalterliche Urkunden aus ihren vornationalstaatlichen Logiken folgenden Überlieferungskontexten herausgehoben und national rekontextualisiert wurden. Gleichzeitig brachten diese nationalen Unternehmen eine neuartig weitgehende Beschäftigung mit frühmittelalterlichen Originalen hervor, die dazu beitrug, dass die Geschichtswissenschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine ihr eigene Form der Objektivitätsbehauptung, die Bezugnahme auf die „historische Quelle“, entscheidend verallgemeinern und standardisieren konnte.
A G N È S G R A C E F FA
Race mérovingienne et nation française: les paradoxes du moment romantique dans l’historiographie française de 1815 à 1860 La période mérovingienne constituait pour la royauté française l’origine et le fondement, de droit divin, de son pouvoir sur la nation. Au XVIIIème siècle la question provoque le premier débat historiographique entre le romaniste Dubos et le germaniste Boulainvilliers, autour de la légitimité de ce pouvoir:1 elle réside soit dans l’association du peuple et du roi pour le premier, soit dans le principe nobiliaire pour le second. La révolution de 1789 transforme le mot « nation » en un concept autonome de substitution par rapport au roi, et l’enracine dans la République; la constitution de 1795 entérine le choix d’une symbiose entre citoyenneté et nation, contre les velléités démocratiques de 1793 qui resurgissent en 1848.2 « L’histoire est essentiellement un cours de droit public », constate Michel Foucault.3 Les historiens romantiques de la première moitié du XIXème siècle ont pour rôle la diffusion de ce nouveau modèle né de la Révolution. Cette tâche se heurte au rétablissement de la monarchie en 1815, à la spécificité du régime constitutionnel, au réinvestissement des idéaux démocratiques et jacobins de 1793 par la révolution de 1848 et enfin à leur gestion difficile par le second Empire. Portés par le double mouvement du fort attrait de la société globale pour l’histoire d’une part,4 et de son institutionnalisation à l’Université et dans les écoles en tant que science de l’autre,5 François Louis Guizot, Augustin Thierry, Jules Michelet, historiens engagés,6 font subir un changement de perspective globale à la logique interne de l’Histoire de France, au sein de laquelle le moment mérovingien perd son caractère fondateur. Les outils dont ils disposent sont les mots de nation, de race, et de peuple. Cette invention de l’histoire républicaine apparaît diverse et plurielle, elle accouche d’une nouvelle vision de la nation, celle d’une entité charnelle. LES DEUX SENS DU MOT « NATION » ET LES HISTORIENS DE LA PÉRIODE MÉROVINGIENNE DE 1815 À 1860 Au début du XIXème siècle, la signification de « nation » comme « groupe d’hommes dont les membres sont unis par une origine réelle ou supposée commune et qui sont organisés primitivement sur un territoire »7 est courante mais vieillie. Sous cette définition, le mot est synonyme de « gent » et de « tribu ». Le législateur Bo1
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Michel Foucault, « Il faut défendre la société ». Cours au Collège de France 1976 (Paris 1997) 109–110. De nombreux articles sur la question, notamment: Mona Ozouf, Nos ancêtres les Gaulois, dans: Le Débat (1980) 97–105, ici 97; André Burguière, L’historiographie des origines de la France. Genèse de l’imaginaire national, dans: Annales 58, 1 (2003) 41–62; Patrick Garcia, Les régimes d’historicité: un outil pour les historiens, dans: Revue d’histoire du XIXème siècle 25 (2002) 43–56. Marc Pena, Nation et république dans les constitutions de 1791 et de 1795, dans: La symbiose de la modernité: république–nation (CERHIP 12, Aix en Provence 1997) 15–27. Foucault, Cours 165. Stanley Mellon, The Political Uses of History. A Study of Historians in the French Restoration (Stanford 1958) 8, présente, grâce à des données chiffrées l’augmentation de la production historiographique. Plus largement sur le sujet, Heinz-Otto Sieburg, Deutschland und Frankreich in der Geschichtsschreibung des 19. Jh. (Wiesbaden 1954). Rudolf Stichweh, La structuration des disciplines, dans: Histoire de l’Education 62 (1994) 66–69. François Louis Guizot exerce dès 1815 des fonctions politiques dans le cadre du groupe des doctrinaires; il sera suspendu de Sorbonne de 1822 à 1828 pour raisons politiques, puis ministre sous Louis-Philippe. Jules Michelet sera démis de ses fonctions d’enseignement sous le second Empire après avoir fait de sa chaire du Collège de France une tribune contre la trahison des clercs pendant toute la Monarchie de Juillet; Augustin Thierry est journaliste politique avant de devenir historien. Voir notices biographiques établies par Sophie-Anne Leterrier, Le XIXème siècle historien (Paris 1997) 316–320. Premier sens (A) donné par le Trésor de la Langue Française, proposé en ligne par l’ATILF : http://atilf.atilf.fr/dendien/scripts/ tlfiv5/visusel.exe?12;s=2373091455;r=1;nat=;sol=1 (06.10.2006).
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nald8 renvoie le terme à la notion de famille et à celle de communauté d’origine, alors qu’un peuple se définit par une communauté de territoire et un état par une communauté de lois. Dès 1810 pourtant Joseph De Maistre pose l’ordre moral comme fondement à « l’unité des nations », et y associe des traits culturels – en premier lieu la langue – dont l’importance permet de dépasser totalement les divergences physiques.9 Une définition moderne de la nation (au singulier) s’impose donc, elle désigne un « groupe humain, assez vaste, dont les membres sont liés par des affinités tenant à un ensemble d’éléments communs ethniques, sociaux et subjectifs, dont la cohérence repose sur une aspiration à former ou à maintenir une communauté »10 et contrairement aux nations (au pluriel), le critère ethno-biologique ou politique devient secondaire. Dans les écrits d’Augustin Thierry ou de René de Chateaubriand, les deux acceptions apparaissent simultanément employées, d’une part celle de nation comme tribu (que l’on qualifiera d’emploi d’ancien régime ou contextualisé),11 de l’autre la nation (au sens moderne du terme) de communauté unie. Augustin Thierry s’explique d’ailleurs sur l’emploi du mot: « Quand je dis nation, ne prenez pas ce mot à la lettre ; car les Franks n’étaient point un peuple, mais une confédération de peuplades anciennement distinctes, différant même d’origine, bien que toutes aboutissent à la race tudesque ou germanique. »12 La nation moderne n’existe pas chez les mérovingiens, Thierry utilise le terme car il transpose le natio/nationes des textes latins, traduisant également volontiers gens/gentes par « nation ».13 Il propose parallèlement pour le mot latin une définition contextualisée de confédération de tribus nées non de l’affranchissement de plusieurs tribus mais du désir de former une société de « braves résolus » en adoptant un nom collectif. Il ne s’agit pas d’une communauté autonome mais d’une entreprise militaire agrégeant les chefs de diverses bandes. Augustin Thierry pratique ainsi un emploi peu contrôlé des termes politiques, tout en prévenant son lecteur, et choisit l’utilisation d’une orthographe barbarisée des noms propres14 pour marquer la distance historique et incarner la spécificité du moment mérovingien. De même son analyse de la Loi salique ne relève pas d’une lecture ethnique, il voit au contraire dans le texte une liste de tarifications sociales qui distingue le membre de la truste du convive du roi, du lète, du possesseur terrien, et ainsi de suite.15 Cette opinion quant à la nature de la nation mérovingienne paraît former un consensus chez les historiens, quelle que soit leur tradition monarchique ou républicaine, catholique ou laïque, diplomatique ou littéraire. René de Chateaubriand rappelle ainsi que la zone géographique désignée par terme de « France » se distingue de celle de la Gaule, et que la cheftainerie mérovingienne est bien distincte de la future royauté française.16 Soulignant le fait que « l’identité des noms a trop souvent trompé sur celle des choses »,17 le chartiste Ben8
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Louis G.A. de Bonnald, Législation primitive considérée dans les derniers temps par les seules lumières de la raison 2 (Paris 1802) 74: « Ces familles sont ainsi réunies en un corps, forment une nation sous le rapport de la communauté d’origine, un peuple sous le rapport de la communauté de territoire, un état sous le rapport de la communauté de lois. » Le « caractère, les opinions, et surtout les langues, constituent l’unité des nations dans l’ordre moral; et, dans l’ordre physique même, elles sont dessinées par des caractères éminemment distinctifs »: Joseph De Maistre, Correspondance 3 (Paris 1810), dans: id., Œuvres complètes contenant ses œuvres posthumes et toute sa correspondance inédite 1: Considération sur la France (Lyon/ Paris 1924) 482. Second sens (B) donné par le Trésor de la Langue Française, proposé en ligne par l’ATILF : http://atilf.atilf.fr/dendien/scripts/tlfiv5/ visusel.exe?12;s=2373091455;r=1;nat=;sol=1 (06.10.2006). Exemples chez René de Chateaubriand (vicomte de), Etudes ou discours historique sur la chute de l’empire romain 3 (Paris 1834) 181: « des nations d’origine gauloise et … des tribus germaines » (sens 1); ibid. 242: « barbarie d’où sont sorties, par la fusion complète des peuples païens, chrétien et barbare, les nations modernes » (sens 2). Chez Augustin Thierry, Considérations sur l’histoire de France (Paris 1840) 5: « qu’après avoir purgé la France des nations barbares qui l’habitaient (sens 1); ibidem 3: lorsqu’il y eut un royaume de France et une nation française, quelle idée cette nation se fit-elle d’abord de son origine » (sens 2). Thierry, Lettres sur l’histoire de France (Paris 1827) 83. Il propose ainsi la traduction du passage de Grégoire de Tours (Grégoire de Tours, Decem libri historiarum II, 12 [ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, 1, Hannover 1951] 1–450, ici 79–80: Childericus … et regnaret super Francorum gentem) par régna sur la nation des Franks: Thierry, Lettres III 26, n.1 (édition citée par l’auteur: Gregorii Turonensis Hist. Franc. Lib. II, cap. XII, apud script. rer. Gallic. et Francic. t. II, 168). Augustin Thierry, Récits des temps mérovingiens précédés de Considérations sur l’histoire de France (Paris 1840), Premier récit, 197 n.1. Dans les Lettres, il critique d’autre part la traduction de Thuringe par Allemagne dans L’Histoire de France de Velly (Thierry, Lettres III 26). Thierry, Lettres VII 68–69. Chateaubriand, Etudes 3, 222 et 216. Benjamin Guérard, Polyptique dit de l’abbé Irminon, ou Dénombrement des manses, des serfs et des revenus de l’abbaye de SaintGermain-des-Près sous le règne de Charlemagne (Paris 1836–1844) 338.
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jamin Guérard explique que les rois mérovingiens ne gouvernent non des peuples mais des bandes armées, dont la plus riche est la bande royale. Il traduit ainsi littéralement natio/nationes par « tribu », et gens/gentes par « bande armée ». Ce raisonnement lui permet d’opposer le pouvoir de nature essentiellement militaire et restreint (effectif uniquement sur une fraction de la population) exercé par Clovis et ses descendants, de celui de Charlemagne qui entreprend au contraire une tentative de formation d’une nation, par le triple établissement d’une frontière, d’une juridiction et d’assemblées qui incarnent l’unité du pouvoir. Henri Martin s’accorde avec cette même terminologie en affirmant que les nations teutoniques sont politiquement des bandes et socialement des tribus.18 Mais cet auteur affirme en même temps que la politique de Clovis vise à fonder l’unité de la race franque sous sa dynastie, « en faisant de toutes ces peuplades un seul peuple régi par un seul roi. »19 Son analyse morale de la barbarie mérovingienne, commune à l’ensemble de l’historiographie,20 dénonce les moyens utilisés par Clovis et ses descendants comme détestables, donc voués à l’échec – mais réhabilite l’existence d’une idée supérieure de la nation et de l’état chez les mérovingiens. Il utilise un argument démographique (les Francs, n’ayant pas émigré en masse comme les Goths ou les Burgondes, n’avaient « pas encore éprouvé la nécessité de se concentrer en corps de nation compact ») pour affirmer ensuite qu’ils « y tendaient néanmoins, mais lentement et presque insensiblement. » 21 Cette thèse, bien que républicaine, se rapproche en fait d’autres hypothèses issues de l’historiographie traditionnelle d’inspiration monarchique, comme celle que développée par Jean Marie Frantin. Ses Annales du Moyen Age décrivent en 1825 le peuple germain comme « indigène au sang pur, »22 roi d’une nation et non de l’ensemble des populations d’un territoire, mais créant en Gaule dès le VIème siècle une nation nouvelle, franque, de double origine (romaine de par la langue, l’état religieux et civil, et germaine de par ses dirigeants), c’est-à-dire d’un nouveau peuple après que tous aient mélangé leur sang.23 Cet historien, imprimeur du Roi à Dijon, allie en effet trois éléments distincts: premièrement une conception ethno-biologique de la nation propre à l’historiographie nobiliaire, deuxièmement l’hypothèse d’une fusion rapide des populations et de la constitution précoce d’une nation unie,24 cela grâce au pouvoir royal – c’est la thèse royaliste –, et troisièmement la présentation des germains non comme des conquérants mais comme des fugitifs, poursuivis par la faim et le froid, et intrinsèquement très semblables à la population gauloise.25 Cette parenté entre germains et celtes se retrouve dans quelques ouvrages, comme chez Delandine de Saint Esprit,26 où les premiers sont en fait les « petits neveux » des seconds, et cette même origine légitime une communauté de destin. Il s’agit en fait d’une résurgence de la thèse celto-franque élaborée au XVIème siècle par François Hotmann, dans son ouvrage « Franco-Gallia ».27 Si ce troisième élément n’apparaît pas dans les thèses développées par le juriste Jean de Pétigny, membre de l’Institut, le second est par contre bien présent, à savoir la défense de l’action de la monarchie sur la constitution de la nation. Les « Études sur l’histoire mérovingienne »28 tendent également à réunir les deux sens du mot « nation » et à démontrer l’élaboration rapide d’une communauté unie. Trois arguments principaux sont avancés: premièrement la prédominance de l’élément germanique sur la constitution de la nation franque et de la monarchie,29 deuxièmement le caractère légitime et progressif de l’établissement de la tribu franque en 18
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Henri Martin, Histoire de France depuis les temps les plus reculés jusqu’en 1789, 1 (Paris 1833) 405: « des trois nations teutoniques de la Gaule restaient donc les Franks. Inférieurs d’un degré aux Burgondes et aux Goths sur l’échelle de la civilisation, ils en étaient encore à la tribu dans l’ordre social et à la bande dans l’ordre politique, au paganisme dans l’ordre religieux. » Martin, Histoire de France 1, 457. Martin, Histoire de France 2, 109: « le développement physique prématuré, la dangereuse surexcitation des sens était un fait général dans la race mérovingienne, depuis qu’elle s’était enivrée des jouissances de la civilisation vaincue, et présageait l’épuisement et l’atonie qui ne tarderaient pas à suivre cette fureur de volupté. » Martin, Histoire de France 1, 406. Jean-Marie Frantin, Annales du Moyen Age 2 (Dijon 1825) 289. Il faut souligner l’originalité du champ chronologique couvert par l’ouvrage, du Ier au VIIIème siècle. Frantin, Annales 1, 6–8. Frantin, Annales 3, 354: « les affaires de la nation, les grands intérêts de l’Etat se décidoient dans les conseils publics » (il s’agit notamment du Champ-de-Mars). Frantin, Annales 1, 10–14. Delandine de Saint Esprit, Le pays. Chronique mérovingienne (Paris 1838). François Hotman, Franco-Gallia (Cologne 1574). Ses enjeux et sa postérité sont exposés dans ma thèse de doctorat Historiographie comparée du peuplement mérovingien; France-Allemagne (Lille/Hambourg 2006). Jean de Pétigny, Etudes sur l’époque mérovingienne: l’histoire, les lois et les institutions 1–3 (Paris 1843–1851). De Pétigny, Etudes sur l’époque mérovingienne 1, 1–4.
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Gaule, validé par le gouvernement romain,30 troisièmement l’effort rapide de la tribu franque pour se christianiser d’une part, pour se rapprocher de l’autre des principes fondamentaux qui constituent l’ordre légal dans les sociétés civilisées, c’est-à-dire le système pénal.31 Dans le discours de Jean de Pétigny se retrouve implicitement l’affirmation de la race franque comme race supérieure – noble – validée par la loi salique, légitime non seulement par la conquête32 mais également par le droit, et dont le statut privilégié apparaît tempéré par la présentation d’une fusion rapide. On peut y reconnaître la lecture de Montesquieu.33 Un autre point distingue sa thèse de l’ancienne historiographie monarchiste: il s’agit de la séparation totale entre le principe national et le principe monarchique qui apparaissent éventuellement liés par la chronologie mais jamais par une relation causale: le roi ne fonde plus la nation, elle se fonde par elle-même, grâce à un principe de révolution intrinsèque qui renvoie son origine aux temps immémoriaux. J.C.L. Simonde de Sismondi défend la même continuité, audelà de la rupture liée à la domination romaine: « la transmission de la souveraineté, au contraire, des Francs aux Français, se fit sans révolution, sans secousse; elle fut à peine remarquée; la monarchie formoit toujours le même corps politique, on auroit dit le même peuple. »34 Le mélange des nations s’effectue de manière progressive (l’auteur emploie les termes de fusion et d’amalgame), jusqu’à ce que « dans le courant du neuvième siècle, les Francs devinrent Français sans s’être aperçus qu’ils avoient subi une révolution ».35 Si un consensus s’établit entre les historiens concernant l’emploi des deux sens de nation, la comparaison de leurs différents discours montre que c’est sur la chronologie de la réalité d’une construction nationale au sens moderne qu’ils s’opposent. Cette opposition apparaît bien dans le concept de race, qu’Augustin Thierry théorise dans le cadre d’un système pour radicaliser sa position. LA MISE EN SCÈNE DE LA « RACE » PAR AUGUSTIN THIERRY On reconnaît au mot « race », apparu au XVème siècle, une étymologie controversée issue soit d’un emprunt de l’italien razza (« famille, espèce d’animaux »), soit de l’ancien provençal rassa (« complot, conjuration »). Son origine a pu être considérée comme le premier sens de ratio, qui se raporte à un calcul, compte, évaluation d’une chose, de ce qui le constitue: sa nature, son espèce, sa manière d’être, ses modalités, son système, son régime. Les études plus récentes tendent plutôt à le rapprocher du mot generatio, et le philologue G. Merk, a proposé comme explication une contamination phonétique et sémantique de generatio avec ratio, renforcée par la synonymie partielle de ratio–natio. La forme accusative generace est en outre attestée au XIIème siècle pour « famille » ou même « bande de gens au service de quelqu’un ».36 Sa définition principale connue au début du XVIIIème siècle est celle de « lignée, extraction, descendance »,37 elle s’applique en premier lieu aux familles royales, et par extension à la noblesse. Un second sens existe, sous la forme « race (de) », qui se rapporte à l’espèce, et s’emploie seulement pour les animaux (« un chien de bonne race »). C’est à partir de ce second sens, appliqué pour la première fois et de manière très marginale par Buffon38 à l’homme, que se forme, durant la seconde moitié du XIXème siècle seulement,39 la définition génétique basée sur l’anthropologie physique. Les historiens du premier XIXème pratiquent donc généralement un emploi sans ambiguïté de ce mot sous le sens d’« ensemble des personnes appartenant à une même lignée, une même famille »,40 et l’utilisent prioritairement pour évoquer les familles royales. Mais l’emploi de « race » pour nommer la noblesse a permis en retour une contamination sémantique des mots « état/corps » (dans l’emploi « corps de la nation ») et la qualification parallèle du peuple 30 31 32
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De Pétigny, Etudes sur l’époque mérovingienne 1, 113–157. De Pétigny, Etudes sur l’époque mérovingienne 3, 2, 90–130. Et non pas la conquête du peuple gaulois, mais la conquête sur les autres peuples barbares. De Pétigny, Etudes sur l’époque mérovingienne 3, 3. Charles de Secondat de Montesquieu, De l’Esprit des lois (Paris 1748) livre XXX, c.V–VII (éd. Derathé, Garnier 1973 II 299–350). Jean Charles Léonard Simonde de Sismondi, Précis de l’histoire des Français 1 (Paris 1839). Sismondi, Précis de l’histoire 14. Article « race », dans: Dictionnaire historique de la langue française (Paris 1998) 1699. Dictionnaire français de Pierre Richelet (Paris 1680) 248. Georges-Louis Leclerc Buffon, Histoire naturelle de l’homme (Paris 1744–1788). L’Essai sur l’inégalité des races humaines de Gobineau date de 1853. Article « race », dans: Trésor de la Langue Française 14 (1960) 219.
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ou tiers état comme autre race. L’élargissement de la définition au sens de souche sociale d’une partie de la population est investi au XVIIIème siècle, à la suite de Montesquieu, par les historiens Dubos, Boulainvilliers et Mably qui opposent race gallo-romaine à race germanique ou franque dont la filiation légitimerait la position dominatrice de la noblesse – d’origine franque donc – sur le tiers état.41 Le comte de Montlozier par exemple, revendique encore en 1814 la prééminence de droit de la noblesse: « Race d’esclave, peuple tributaire, licence vous fut octroyé d’être libres, et non pas à nous d’être nobles. Pour nous, tout est de droit, pour vous, tout est de grâce. Nous ne sommes point de votre communauté, nous sommes un tout par nous même. »42 Ancien secrétaire de Saint Simon,43 Augustin Thierry va radicaliser cette notion de race comme classe sociale et systématiser son rôle. Elle constitue, selon lui, le principe de l’histoire. Il ne s’agit plus de subir le discours nobiliaire, mais d’en inverser le rapport de pouvoir qu’il induit: « La noblesse actuelle se rattache … aux Sicambres de Chlodowig … La descendance politique est évidente. Donnons-la à ceux qui la revendiquent, et nous, revendiquons la descendance contraire. »44 La race incarne ainsi une communauté ou, selon son emploi chez François Louis Guizot, une société fermée. Le terme de race désigne des groupes sociaux, l’élite d’une part, la masse du peuple de l’autre. Celui de classe est rarement employé bien qu’on en trouve de rares mentions, par exemple chez Sismondi.45 Ces deux groupes s’opposent en une lutte permanente qui prend la forme de l’oppression de la noblesse sur le peuple. Or ce peuple forme maintenant, c’est-à-dire depuis la révolution française, la nation moderne. L’accession de l’ensemble des habitants du territoire à l’existence politique, par la triple instauration de l’égalité des droits, de l’abolition du servage et de celle des privilèges a permit cette nouvelle définition. La noblesse, en tant que corps, n’existe plus, elle s’en trouve par conséquence exclue: « Il n’y a pas trente ans que nous nous avisâmes que nos pères étaient la nation, »46 rappelle Augustin Thierry, en se référant à la définition du tiers état donnée par l’abbé Sieyès.47 La nation est l’expression politique d’une réalité sociale qu’il faut appeler race. La théorie du pouvoir juste ou légitime développée par les humanistes et juristes du XVIIIème siècle, récemment reprise par François Louis Guizot,48 définit celui-ci comme un pouvoir s’établissant par le droit et déclare illégitime le droit du plus fort et le droit de conquête. Augustin Thierry reprend cette définition en l’appliquant au cas mérovingien, et déclare ainsi illégal le pouvoir des descendants de Clovis sur la population de la Gaule du VIème siècle. Il faut donc lire les Récits des temps Mérovingiens non pas comme la dérive littéraire et subjective d’un Augustin Thierry alors aveugle, et soi-disant aveuglé par Grégoire de Tours, mais au contraire comme une œuvre totalement maîtrisée, à valeur testamentaire, dans laquelle Thierry démontre l’inhumanité des descendants de Clovis, leur incapacité à régner, leur illégitimité fondamentale: ils n’appartiennent pas à la nation, forment une race à part contre laquelle le peuple, bien légitime lui à se gouverner, doit lutter. Le texte exclut définitivement la race noble de la nation et du peuple français. La spécificité du propos est d’intégrer ainsi un message politique fort à une analyse historique rigoureuse par le biais de la pensée romantique. Celle-ci revendique la légitimité du droit naturel, l’exalte par l’admiration des formes primitives,49 en recherche les traces par l’archéologie de la langue et de l’art.50 Si le principe de la lutte des races n’a pas grande postérité, le moment mérovingien par contre a perdu, avec Augustin Thierry, sa légitimité et son caractère fondateur dans l’histoire républicaine de la nation française. Le succès de cette 41
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Comte de Boulainvillier, Histoire de l’ancien Gouvernement de la France (Paris 1719) 4: « Il y a deux races d’hommes dans le pays. » Comte de Montlozier, De la Monarchie (Paris 1814), préface. Les deux secrétaires particuliers de Saint-Simon, Auguste Comte et Augustin Thierry, héritèrent de la pensée de leur maître la prédominance du peuple (masse populaire) dans le développement historique. Elle est à la source de la science sociologique à la française (comtisme), et de la pensée socialiste puis marxiste: Mireilla Larizza-Lolli, Socialisme et utopisme: deux catégories à méditer? Quelques considérations à partir du cas du saint-simonisme, dans: Romantisme et socialisme en Europe (1800–1848), ed. André Billaz/Ulrich Ricken (Paris 1987) 137–150. Thierry, Dix ans d’études historiques (Paris 1835) 336. Sismondi, Précis 10. Thierry, Considérations sur l’histoire de France 140. Emmanuel Josef Sieyès (dit l’abbé), Qu’est ce que le Tiers Etat. Essai sur les privilèges (Paris 1789). François Louis Guizot, Cours d’histoire moderne I : Histoire de la civilisation en Europe (Paris 1828–1830) 1ère leçon 25–26. Sur la vision paradoxale du « barbare », à la fois aimé et détesté: Pierre Michel, Les barbares 1789–1848: un mythe romantique (Lyon 1981). Ainsi qu’en témoigne le questionnaire de l’Académie Celtique de 1802.
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vision de l’histoire s’illustre dans le choix récurrent de l’ouvrage de l’historien comme prix de fin d’année scolaire.51 Ainsi que l’écrit ironiquement Gibert dans sa caricature,52 l’historien a légitimité la place juridique que s’est accordée le peuple: « Jacques Bonhomme, Monsieur Jacques Bonhomme est d’une famille ancienne. Depuis qu’il est devenu important, des flatteurs et des savants lui ont même fait une belle généalogie. » AU-DELÀ DE LA NATION ET DE LA RACE, LA PLACE DU CONCEPT DE PEUPLE: L’APPORT DE GUIZOT Dans l’Histoire de la civilisation en Europe, François Louis Guizot résume ainsi sa vision de la société mérovingienne: « Point de frontière, point de gouvernement, point de peuple. Une confusion générale des situations, des principes, des faits, des races, des langues. »53 Au cours de son exposé, il semble préférer éviter l’emploi des termes de nation et de race. Selon lui, « peuple ou nation s’applique à un groupe politique unitaire au sein d’un cadre territorial strictement défini. »54 Les francs ne forment pas une nation homogène, mais un groupe de tribus: ils sont nommés « peuple » mais se définissent en fait comme une peuplade composée d’une part de tribus – ou familles – qui se sédentarisent en Gaule et fonctionnent comme des colonies de peuplement, de l’autre de bandes guerrières formées de chefs et de compagnons barbares, qui constituent la base politique – c’est-à-dire militaire – du gouvernement mérovingien en étant entretenu par les bénéfices publics. Les premières (tribus de peuplement) s’intègrent très rapidement au substrat gaulois et leur spécificité disparaît aussitôt. Les bandes guerrières par contre conservent leur unité et leurs particularismes au-delà de leur établissement et de leur sédentarisation, et forment progressivement l’élite de la société moderne par la politisation de la royauté et la création d’une nouvelle aristocratie. La pluralité interne caractérise en outre ces peuplades, puisque le nom même de franc s’applique à de nombreux groupes, largement divisés entre saliens et ripuaires, et qu’apparentés aux francs existent les nombreuses autres souches germaniques. Deux sociétés – c’est le mot qu’il emploie de manière privilégiée – deux sociétés donc coexistent dans la Gaule des VIème et VIIème siècles: la société romaine et la société germanique. La population franque occupe le territoire, la population largement gauloise l’habite: elles ne sont liées par aucune association politique, et le tableau dressé par l’historien est donc celui d’un état d’anarchie et de chaos. L’image paradigmatique en est la situation de personnalité des lois. La présentation de la loi salique permet à François Louis Guizot de résumer son analyse: « l’idée de personnalité préside aux hommes comme aux actions; l’individualité des peuples, bien que soumis à la même domination politique, est proclamée comme celle des hommes. Il faudra des siècles pour que la notion du territoire l’emporte sur celle de la race, pour que la législation, de personnelle, redevienne réelle, pour qu’une nouvelle unité nationale résulte de la fusion lente et laborieuse des éléments divers. »55 On comprend là pourquoi François Louis Guizot n’emploie absolument jamais les termes de « Gaule franque » ou « mérovingienne » pour caractériser cette période. Le terme de mérovingien s’applique uniquement à la race des premiers rois, c’est-à-dire à la famille qui possède le pouvoir sur la confédération de tribus guerrières occupant le territoire. Et ce pouvoir est partiel, local, divers, dénué de principe d’intérêt ou de bien commun. En l’absence de tout esprit général, de toute grande combinaison sociale, on peut seulement parler de société « Franco-gauloise » ou « Gallo-franque » (à la manière, une fois encore, de François Hotman). Il y a absence d’Etat, qui, selon sa propre définition, s’applique à « une certaine étendue de territoire ayant un centre déterminé, des limites fixes, habitée par des hommes qui portent un nom commun, et vivent engagés, à certains égards, dans une même destinée. »56 La société mérovingienne constitue donc un exemple inversé de l’idéal civilisationnel de Guizot, qui s’incarne dans la France moderne unie sous la monarchie constitutionnelle. Cet épisode de l’histoire ne peut 51
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Christian Amalvi, L’histoire pour tous: la vulgarisation historique en France d’Augustin Thierry à Ernest Lavisse 1814–1914 (thèse microforme, Montpellier 1994) 315–316: Les Récits des temps mérovingiens sont le livre de prix idéal dans les établissements tant catholiques que laïcs, et ibidem 15, l’auteur décompte 32 rééditions à très grand tirage de l’œuvre en vingt ans (entre 1867 et 1888). Gibert, Jacques Bohnomme, dans: Paris ou le livre des Cents-et-un 12 (Paris 1843) 207–242, ici 208. Guizot, Cours I, leçon 9, 101. Guizot, Cours I, leçon 9, 102. Guizot, Cours d’histoire moderne III : Histoire de la civilisation en France 2, leçon 1985-113, ici 90. Guizot, Cours III, leçon 19, 87.
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prétendre au statut d’origine de la France, sauf à développer le modèle biblique du temps de l’anarchie et du chaos originel. Ni la nation, ni le peuple n’ont leur place. Pour ce qui est du concept de peuple, Guizot semble pourtant céder à l’historiographie chrétienne en reconnaissant l’existence d’un peuple digne de ce nom, le peuple chrétien. Mais là non plus il n’y a pas d’unité, car la masse des païens s’oppose à ce peuple chrétien, et Guizot distingue la société religieuse de la société civile. LE SUCCÈS DE LA DÉFINITION LINGUISTIQUE ET TERRITORIALE: JULES MICHELET OU LA NATION CHARNELLE L’analyse du discours de François Louis Guizot a montré que la nation moderne est une construction politique fondée sur une idée supérieure de l’état et du bien commun, qui agit par le moyen d’un gouvernement centralisé et légitime. De même un peuple constitue un groupe social uni par des liens divers, dont le plus important est la langue, et rassemblé au sein d’un territoire aux frontières définies. D’autres définitions du mot « peuple » coexistent au sein de l’historiographie de la première moitié du XIXème siècle, et notamment l’approche chrétienne. En effet pour l’historiographie catholique, de René de Chateaubriand à Frédéric Ozanam, le peuple français est fondamentalement le peuple chrétien puisque c’est le christianisme qui fit la France, qui permit la fusion des populations diverses et tissa les liens intimes de sujétion vis-à-vis d’un roi chrétien, et ceci dès le début du VIème siècle donc. Le philologue et germaniste Frédéric Ozanam estime que « la société française repose sur trois fondements : le christianisme, la civilisation romaine, et l’établissement des germains »,57 il donne la prééminence au premier et critique les thèses des « antiquaires fourvoyés » et des « critiques prussiens » qui supposent « la pureté de la race allemande, la supériorité de son génie, la haute moralité de ses lois, la profondeur philosophique de ses religions » qui auraient pu « la conduire aux plus hautes destinées si le christianisme et la civilisation latine n’avaient pas détruit ces espérances. »58 Reprenant le thème auparavant développé par René de Chateaubriand de « génie du christianisme », il souhaite démontrer « la victoire de l’amour sur la force »,59 notamment par la présentation de l’importance et de la qualité de la civilisation chrétienne du Moyen Age. L’unité du peuple chrétien constitue un de ces progrès majeurs, qui s’effectue grâce à la conquête des esprits et par le triple succès de l’Eglise: le dogme sauva la science, la loi religieuse sauva les institutions, le culte sauva les arts.60 Parallèlement à cette définition, l’approche sociale du « peuple » telle qu’elle a été défendue chez Augustin Thierry connaît un succès grandissant auprès du mouvement socialiste: d’origine diverse mais uni par sa condition et seul légitime à former la nation, c’est le peuple-prolétaire dont la conception se radicalise face au peuple-citoyen, qui se réfère principalement à sa composante bourgeoise. La conception aristocratique du peuple comme partie supérieure de la société, encore présente au XVIIIème siècle, n’apparaît progressivement plus que comme un épiphénomène ainsi que l’a montré l’exemple de Montlozier.61 La force de Jules Michelet est le mélange qu’il opère à partir de ces diverses tendances jusqu’à inventer une notion mystique du peuple français, en réinvestissant l’héritage de Vico et Herder.62 Jules Michelet se réfère en effet à la distinction établie par Augustin Thierry entre race populaire et race royale (mérovingienne) mais évacue rapidement cette question en expliquant que la seconde « dégénérée et énervée » (c’est-à-dire privée de vitalité) n’a de fait qu’une importance mineure sur le destin de la France.63 Le 57 58
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Frédéric Ozanam, Les Germains avant le christianisme (Paris 1850) 2. Ozanam, Les Germains 4: la critique s’adresse notamment à Lassen et Gervinus, et non à leurs maîtres illustres (Ganz, Phillips, Klenze), ainsi qu’il le précise. Frédéric Ozanam, La civilisation au Vème siècle (Paris 1856) 6–7. Ozanam, La civilisation 47. L’auteur souligne entre autres le rôle de l’Eglise dans la prise en charge de l’éducation. Ainsi article « peuple » dans le Dictionnaire historique de la langue française (Paris 1998) 1497, ne recense plus cette définition après 1789: après « la Révolution et durant une partie du XIXè s., le contour sémantique du vocable reste flou, désignant tantôt l’ensemble de la nation (en particulier de la nation française) sans distinction de classe, tantôt celle-ci à l’exclusion de l’aristocratie et du clergé (1789, Sieyès), tantôt vers le milieu du XIXè s., le seul prolétariat, la classe ouvrière, ce sens remontant à la Révolution » (1796, Babeuf, « peuple ouvrier »). Nicole Dockès-Lallement, Histoire et Nation républicaine: Jules Michelet, dans: La symbiose de la modernité: république–nation (Collection d’histoire des institutions et des idées politiques 12, Aix en Provence) 85–101, ici 97. Jules Michelet, Histoire de la France 1 (Paris 1833); repr. id., Oeuvres completes 4, ed. Paul Viallanex (Paris 1974) 226.
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peuple, né de l’osmose des races populaires, constitue au contraire l’élément central, caractérisé par sa liberté, sa fluidité: il forme l’organe supérieur. Jules Michelet définit la France comme une individualité, une personne et pose ainsi une vision organiciste de l’histoire. Le symbole de la figure royale est réduit à néant,64 tout transfert affectif du peuple sur celle-ci s’avère impossible puisque le corps royal apparaît comme monstrueux face au corps de la nation, incarné lui dans le territoire.65 Cette notion de corps de la nation suppose un principe d’unité qui exclue la race royale: le caractère distinct et non miscible de celle-ci s’incarne dans la figure du roi mérovingien qui est un fou, un monstre, une créature physiquement non viable. Il ne peut être une figure chrétienne car il recèle une confusion entre bestialité et divinité. Jules Michelet reprend donc bien le constat romantique établi par Augustin Thierry et François Louis Guizot d’une Gaule mérovingienne caractérisée par le désordre et le chaos, un territoire morcelé. Mais il se distingue de ses deux collègues par le fait suivant: la race ne constitue pas un caractère permanent, elle apparaît au contraire comme une sorte de substance chimique ou biologique, qui forme le terreau de l’histoire. Les caractères physiologiques, déterminés notamment par le climat, des diverses populations de la France « n’indiquent plus rien aujourd’hui » affirme t-il. La race est malléable, elle n’a pas d’identité clairement définie, elle constitue le matériau primitif de l’histoire. Michelet compare les souches de population successives du territoire français à « des corps mous, des enfants »66 qui se ressemblent dans leur caractère primitif. L’histoire de la patrie, c’est la narration du mouvement de cristallisation organique de ces fluides anté-organiques que sont les races.67 La liberté constitue le principe historique dans la construction rationnelle de l’auteur, elle prend la place de la lutte des races d’Augustin Thierry, de la raison de François Louis Guizot et du « génie » du christianisme de René de Chateaubriand. Dès lors Jules Michelet définit les deux éléments essentiels à la formation du peuple et de la nation française: premièrement la prédestination d’un cadre géographique déterminé,68 le territoire français ou corps-creuset de la nation;69 deuxièmement la langue70 qui permet l’unification culturelle des populations en un seul peuple, le peuple français. Il revendique ces deux aspects et préconise pour leur étude non pas celle des sources littéraires, mais prioritairement celle du territoire et des archives.71 Le rôle que l’historien attribue au peuple est permis par l’individuation de la France,72 considérée comme une personne et sa prédestination à former la nation française avant même qu’il se soit constitué en tant que peuple uni.73 Sous les mérovingiens déjà, et malgré la monstruosité et l’incapacité de cette race, le peuple français existait en latence, digne héritier des Gaulois. Jules Michelet intègre et mélange de nombreux 64
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Le roi est membre d’une caste à part, est extérieur à la nation dont il brise la cohésion: Jules Michelet, Histoire de la Révolution française, livre IX, c.1 (Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1952, tome 2) 14. Michelet, Histoire de la France 1, 228: « les mérovingiens, formant une race à part, hors de l’humanité, perdaient entièrement de vue la notion de patrie. » Jules Michelet, Cours au Collège de France 1815–1851, 1, ed. Paul Viallanex (Paris 1987) 27 et 363. Michelet, Histoire de France 2, c. 3 « Dissolution de l’empire carlovingien », 338: « La France a déjà parcouru deux âges de sa vie de nation. Dans le premier, les races sont venues se déposer l’une sur l’autre, et féconder le sol gaulois de leurs alluvions. Par-dessus les Celtes se sont placés les Romains, enfin les Germains, les derniers venus du monde. Voilà les éléments, les matériaux vivants de la société. Au second âge, la fusion des races commence et la société cherche à s’asseoir » (le terme s’asseoir fait évoluer la métaphore géologique à celle des stades du développement de l’individu: ici le premier stade de l’évolution du bébé à l’enfant, la capacité à s’asseoir). Paule Petitier, La géographie de Michelet. Territoire et modèles naturels dans les premières œuvres de Michelet (Histoire des sciences humaines, Paris 1987). Petitier parle à ce sujet d’embryogenèse ou d’organogenèse: Petitier, Géographie 132–150. « L’histoire de France commence avec la langue française. La langue est le signe principal d’une nationalité »: Michelet, Histoire de France 1, préface de 1969, 1. Admiratif des Deutsche Rechtsalterthümer (Göttingen 1828) de Jacob Grimm, Jules Michelet tentera une recherche philologique et juridique semblable de « l’âme française »: ce seront les Origines du droit français cherchées dans les symboles et les formules du droit universel (Paris 1837), livre étrange qui ne rencontrera pas un vrai succès (pas de réédition sauf au sein des Œuvres complètes 1973). Son journal et sa correspondance montrent l’assiduité de son travail aux Archives, notamment Nationales, où il débuta sa carrière. Il semble qu’il n’exagère pas en affirmant qu’avant lui aucun historien « n’avait senti le besoin de chercher les faits hors des livres imprimés »: Michelet, Histoire de France, préface de 1869, 15. « Méthode intime. Simplifier, biographiser l’histoire, comme d’un homme, comme de moi »: Dossier « Méthode et enseignement » Ms A 38888, f. 13 (99), cité par Petitier, Géographie 188. Il évoque ainsi « le puissant travail de soi sur soi, où la France, par son progrès propre, va transformant tous ses éléments bruts. » Michelet, Histoire de France 1, préface de 1869, 13.
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éléments de ses prédécesseurs: refusant la vision des francs comme envahisseurs,74 il souligne leur intégration par le biais de l’armée en citant le fait « probable » que plusieurs chefs francs fussent dotés de titres romains,75 et que face à la désorganisation progressive du système administratif et fiscal romain, la prise du pouvoir ait été « ardemment souhaitée par les chefs de sa population gallo-romaine, c’est-à-dire les évêques. »76 L’élément central de la période mérovingienne reste l’armée, seul principe préservé et véritable enjeu de pouvoir au sein du « grand désordre » qu’est la « nouvelle » société du VIème siècle.77 Car sa nouveauté n’est que le reflet de l’échec des francs, dont les efforts tendaient à la reconstruction de l’organisation romaine. Par ce discours, Michelet dépasse l’analyse d’Augustin Thierry en ne modifiant que très peu sa vision du peuple en lui préservant sa place centrale et sa définition de « populaire et originel ». Il offre la possibilité d’une concorde sociale plus mystique que celle tentée par François Louis Guizot, et bien davantage propre à emporter l’adhésion de ses contemporains. Elle apparaît dépourvue de haine ou de rivalité par rapport aux autres peuples et nations européennes, qui sont perçus fraternellement, au-delà de la reconnaissance de la spécificité de leur construction nationale.78 Concernant la recherche en histoire mérovingienne, elle entraîne l’éclosion de deux tendances majeures à partir de 1860, centrée sur la toponymie et sur le régionalisme. Le corps des historiens s’académise et se spécialise; la philologie romane entre dans sa période la plus faste sous l’égide de Gaston Paris et Auguste Bédier, puisque l’étude de l’élaboration de la langue française incarne celle de l’unité nationale.79 Les travaux des chartistes Alfred Jacob et Félix Bourquelot s’appliquent à recomposer linguistiquement le territoire au VIème siècle,80 ou à en définir les régions notamment grâce à la numismatique.81 Léon Drapeyron tente une analyse géopolitique régionale de la période.82 Il s’agit à chaque fois de déterminer une définition territoriale de la France par l’histoire et par la toponymie, selon une approche érudite (c’est-à-dire une étude stricte des sources, de préférence les plus anciennes et les plus fiables, prioritairement diplomatiques). Déjà amorcée par Théodore Lavallée dans sa définition des frontières naturelles de la France en 1861,83 la tendance se renforce après la guerre de 1870 et la constitution de la Troisième République: Jean Baptiste Paquier présente le sol de la France comme un « territoire prédestiné » dans sa somme nationaliste intitulée Histoire de l’unité politique et territoriale de la France en 1879,84 et reprenant les travaux d’Alfred Jacob, Auguste Longnon établit par la recherche toponymique l’unité de la Gaule au VIème siècle.85 Si la totalité de la communauté des médiévistes ne souscrit pas à l’analyse politique développée par Michelet et à sa méthode, les historiens ne remettent pas en question le cadre idéologique national et s’efforcent de défendre ses thèses par l’analyse philologique du matériel toponymique et diplomatique dans le cadre de la logique territoriale de la France, ou – mais en suivant la même logique – dans le cadre inférieur de la région: c’est le 74
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Les envahisseurs sont à tout prendre les populations asiatiques, comme les Huns, ou plus tard les Sarrasins; les germains, eux, sont des frères, « une bande déjà établie sur le sol de la Gaule et de plus en plus gagnée à la civilisation romaine, (qui) l’adopte, l’imite et la défend »: Michelet, Histoire de France 1, 98. Il abandonne d’ailleurs l’orthographe germanisée de Thierry pour une francisation (les burgondes sont ainsi nommés bourguignons). Michelet, Histoire de France 1, 99. Michelet, Histoire de France 1, 102. Michelet, Histoire de France 1, 103: quant à la réalité du regnum mérovingien, Michelet estime d’ailleurs que « dans la réalité ce n’est pas la terre que l’on partagea, mais l’armée. » Michelet, Histoire de France 1, 3: « La France est une nation, l’Allemagne est une race. » Deux études très complètes sur le sujet, respectivement pour Paul Meyer et Joseph Bédier, la thèse de Charles Ridoux, Evolution des études médiévales en France de 1860 à 1914 (Paris 2001) et pour Gaston Paris, Ursula Bähler, Gaston Paris et la philologie romane (Genève 2004). C’est le projet d’Alfred Jacob dans sa thèse d’Ecole des Chartes puis dans son livre, Géographie de Grégoire de Tours (Paris 1858) qui établit en même temps l’unité géographique et politico-sociale de l’espace proto-français, et le rôle néfaste des gouvernants mérovingiens dans leur gestion administrative anarchique. Anatole Jean Baptiste Antoine de Barthélémy, Liste des noms de lieux inscrits sur les monnaies mérovingiennes, dans: Bibliothèque de l’Ecole des Chartes 1 (1865) 443–464, et Félix Bourquelot, Sens des mots France et Neustrie sous le régime mérovingien, dans: ibid. 567–580. Ludovic Drapeyron, Le rôle de la Bourgogne sous les mérovingiens (Paris 1866); id., Essai sur l’origine, le développement et les résultats de la lutte entre Neustrie et Austrasie (Paris 1868). Déjà existantes et défendues par les Gaulois. Théodore Lavallée, Les frontières de la France (Paris 1861) 7–8. Jean-Baptiste Paquier, Histoire de l’unité politique et territoriale de la France (Paris 1879) 3. Auguste Longnon, Etudes sur les pagi de la Gaule (Paris 1872); idem, Géographie de la Gaule au VIème siècle (Paris 1878).
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cas par exemple pour la Bourgogne par Léon Drapeyron en 1866,86 pour l’Austrasie par Alexandre Huguenin en 1862,87 Auguste Digot en 186388 et Pierre Auguste Gérard en 1864,89 ou encore pour le lyonnais par Jules Caillemer en 1878.90 Il est en tout cas clair que la question de la race – notamment royale – a si bien été résolue qu’elle en disparaît totalement de l’historiographie moderne (tout comme l’idéal monarchique). Sa vision sociale développée par Augustin Thierry réapparaît sous le mot de classe, alors que le mot même de « race » évolue sous une toute autre acception, influencée par la jeune anthropologie biologique. La définition romantique du peuple et de la nation connaît par contre une grande postérité. Les historiens romantiques considèrent bien la période mérovingienne comme un moment crucial de l’histoire de France, « une énigme historique », dit François Louis Guizot.91 Mais alors que le mouvement littéraire romantique tend à l’exaltation du Moyen Age et de l’altérité dans le schème de l’héautontimorouménos, et du christianisme primitif, l’approche du moment mérovingien est plurielle et globalement négative. Contrairement à ce qui fut souvent dit, cette focalisation ne les fait absolument pas identifier cette période à celle des « origines » de la nation française, mais bien davantage à un moment de crise, postérieur à celle-ci: en témoigne la célèbre expression de l’école républicaine « nos ancêtres les Gaulois ». L’enracinement de l’origine de la nation dans son territoire, à travers un peuple celte en fait mythique, s’observe également dans la présentation géographique qui introduit toutes les Histoires de France depuis Jules Michelet selon l’exemple de son Tableau de la France.92 Presque cent ans plus tard, c’est ce que fait tout naturellement le grand historien de la IIIème République Charles Seignobos dans son Histoire sincère de la nation française: le chapitre 1 introductif, intitulé « Le pays, la population » commence ainsi: « l’évolution d’une nation dépend des conditions matérielles dans lesquelles elle a vécu. … Le pays où s’est formée la nation française a agi sur elle à la nature, qui a déterminé le genre de vie des habitants, et par sa position, qui a décidé les relations de son peuple avec les autres peuples du monde. »93 Les historiens romantiques ont donc imposé l’idée que la nation française possède une identité propre parce qu’elle a conscience de son passé, et que son unité actuelle, née de la mixité, s’incarne dans un territoire prédestiné. La révolution de 1789 a rendu la patrie au peuple, autrefois monopolisée par le seul monarque.94 Le rôle des historiens fut de lui permettre de prendre enfin possession de son histoire, et ainsi, par l’exercice de la mémoire, d’exister. Jules Michelet souhaitait écrire une histoire différente dans sa méthode et ses approches de ses prédécesseurs et de ses contemporains, c’est-à-dire éviter l’écueil de l’histoire monarchiste, qui oublie la composante essentielle du peuple, celui de l’histoire narrative, qui sacrifie la cohérence globale au profit de l’évènement,95 et celui de l’histoire fataliste, entre autres celle d’Augustin Thierry guidé par le principe arbitraire du déterminisme des races.96 Sa vision dynamique de l’histoire, conduite par l’épigénèse,97 s’oppose en effet par principe à toute hypothèse de permanence ou d’immuabilité. Son propos correspond pourtant tout autant à une stratégie, selon la définition donnée par Michel Foucault,98 en ce qu’il développe un discours savant ordonné et structuré par une logique interne, c’est-à-dire composé de choix conscients ou inconscients, et régi par une rationalité 86 87 88 89 90 91 92 93 94
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Drapeyron, Bourgogne. Alexandre Huguenin, Histoire du royaume mérovingien d’Austrasie (Paris 1862). Auguste Digot, Histoire du royaume mérovingien d’Austrasie (Nancy 1863). Pierre Auguste Florent Gérard, Histoire des Francs d’Austrasie (Bruxelles 1964). Jules Exupère Caillemer, L’établissement des Burgondes dans le Lyonnais (Lyon 1878). Guizot, Cours I 233. Jules Michelet, Tableau de la France, Histoire de France II (1833), ed. George Duby (Paris 1987). Charles Seignobos, Histoire sincère de la nation française (Paris 1933) 13–30. « Dans la monarchie, je ne connais qu’un individu qui peut aimer la Patrie, et qui, pour cela, n’a pas même besoin de vertu; c’est le monarque: la raison en est que de tous les habitants de ses Etats, le monarque est le seul qui ait une patrie. N’est-il pas le souverain, au moins de fait? N’est-il pas à la place du Peuple? Et qu’est-ce que la Patrie, si ce n’est le pays où l’on est citoyen et membre du souverain? »: Maximilien de Robespierre, Discours du 5 février 1794, dans: Œuvres de Maximilien de Robespierre 10: Discours, 5ème partie, 27 juillet 1793–27 juillet 1794 (Paris 1967) 353. Chateaubriand, Etudes 45. Michelet, préface de 1869, Histoire de France I, 16. Petitier, Géographie 134. Michel Foucault, L’archéologie du savoir (Bibliothèque des Sciences Humaines, Paris 1969) 85–93.
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globale. Les critiques que développent à son encontre ses contradicteurs, et notamment Edgar Quinet et Hippolyte Taine,99 concernent les défauts de sa méthode, considérée comme partiale et conduite par l’émotion et la subjectivité. Les historiens de la génération suivante sont sensibles aux arguments de ces derniers: ils privilégient une histoire scientifique basée sur une étude rationnelle et technique des sources,100 qui constitue bien une remise en cause de la méthode intuitive de Jules Michelet, dans le cadre de la légitimation de la science historique nécessaire à son succès institutionnel et social. Si la méthode est rejetée, la stratégie interne du discours de Michelet apparaît par contre totalement intégrée comme héritage et fondement par le second Empire puis encore davantage par la République, dans laquelle s’incarne la symbiose peuple-nation au sein du territoire national de la France.
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Dockès-Lallement, Histoire et nation 85–86. On peut se référer aux écrits méthodologiques de Gabriel Monod, Du progrès des études historiques en France depuis le XVIème siècle, dans: Revue historique 1 (1876) 5–38; Numa Denys Fustel de Coulanges, De la manière d’écrire l’histoire en France et en Allemagne, dans: Revue des deux Mondes 101 (1.09.1972) 243–249; Charles-Victor Langlois et Charles Seignobos, Introduction aux études historiques (Paris 1898).
BONNIE EFFROS
Artistic, scholarly, and popular depictions of the ‘première race’ in late nineteenth-century France* In 1861, Laurens Alma-Tadema exhibited “The Education of the Children of Clovis” in Antwerp (Figure 1). Presented publicly just nine years after he had moved to the city to enroll at the Royal Academy, the work was Alma-Tadema’s first major artistic success. Using the sixth-century Histories of Gregory of Tours and relying heavily on Augustin Thierry’s “Recits des temps mérovingiens” (1840), Alma-Tadema drew his inspiration from the “picturesque” elements of Frankish society.1 This painting, with its intimate glimpse into the daily lives of the Merovingian royal family during the late fifth century, differed significantly from more traditional history painting’s emphasis on the didactic potential of symbolic actions in classical and Biblical stories. Alma-Tadema’s focus on imagined everyday activities in the Frankish court, a style known as historical genre, was symptomatic of the increasing fluidity on the margins of grand narrative history painting.2 Despite later criticism that historical genre amounted to little more than “costume drama”,3 this style of painting gained prominence in the 1830s as academic painters reached to a wider variety of sources for their work including the writings of liberal historians and historical novelists.4 Alma-Tadema’s choice of the Merovingian period was somewhat unusual in that the era had previously not enjoyed frequent artistic attention with the exception of scenes of national significance like the Battle of Tolbiac (Figure 2). The baptism of Clovis and venerated saints like the Merovingian queens Clothild and Radegund, and the late Gallo-Roman nun Geneviève, were also popular subjects.5 Yet, in the Low Countries, critics interpreted Alma-Tadema’s venture into the early Middle Ages as a long overdue reconsideration of the French historical school of painting and its focus on the classical world. The painting of Clovis’s court and family, which likewise appealed to Flemish nationalist claims to Frankish heritage, enjoyed critical approval in Belgium and was purchased by the Antwerp Society of Fine Arts; as a result of a lottery, it found its way soon afterward into King Leopold’s collection.6 Emboldened by his success, Alma-Tadema next composed an * I would like to thank Walter Pohl and Helmut Reimitz for their invitation to join my fellow contributors at the colloquium organized in May, 2005, at the Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, where I received helpful references from Mayke de Jong, Agnès Graceffa, and Ian Wood. I am also grateful to participants at the 18th International Conference on Medievalism at Saint Louis University, the Quodlibet Society for Medieval Studies at Cornell University, and the Center for Medieval and Renaissance Studies at Binghamton University, who provided very useful comments for ways in which to improve earlier versions of this paper in fall, 2003. I owe especially great thanks to Maria Gindhart and Laura Morowitz, who each read the manuscript in its entirety and gave critical suggestions on the paper, not all of which could be incorporated in this short space. Cécile Treffort went beyond the call of duty and took photographs of the interior of the Hôtel de Ville de Poitiers; David Laber provided computer wizardry and improved the scanned images as necessary. Harpur College of Arts and Sciences at Binghamton University funded ten of the images and permissions for this essay, and I am indebted to our former dean Jean-Pierre Mileur for his generous support of this undertaking. 1 Teio Meedendorp/Luuk Pijl, Alma-Tadema’s artistic training: critics on the continent 1852–1870, in: Sir Lawrence Alma-Tadema, ed. Edwin Becker (New York 1997) 21–30, at 22–24. 2 Laurence des Cars, Jean-Paul Laurens et la peinture d’histoire sous la Troisième République, in: Jean-Paul Laurens 1838–1921: Peintre d’histoire. Paris, Musée d’Orsay 6 October 1997–4 janvier 1998; Toulouse, Musée des Augustins 2 février–4 mai 1998 (Paris 1997) 23–34, at 25. 3 David Green/Peter Seddon, Introduction: art, historiographical practice and the ends of history, in: History Painting Reassessed: The Representation of History in Contemporary Art (Manchester 2000) 1–17, at 7–9. 4 Stephen Bann, Editorial, in: Word and Image 16, 1 (2000) 1–6, at 1. 5 Inventaire après catalogues des sujets iconographiques relatifs aux mérovingiens et présentés aux expositions officielles des BeauxArts de 1763 à 1945, in: Clovis et la mémoire artistique: Ouvrage publié dans le cadre de l’exposition du Musée des Beaux-Arts de Reims, 22 juin–16 novembre 1996, ed. Veronique Alemany-Dessaint (Reims 1996) 179–201. 6 Rosemary J. Barrow, Lawrence Alma-Tadema (London 2001) 15–20.
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intimate scene in which the sixth-century poet Venantius Fortunatus was shown reading poems to his patroness, the former queen Radegund, and the abbess Agnes, within the walls of the female monastery in Poitiers. This easel painting of the holy friends in the cloister won a gold medal in Amsterdam in 1862.7 Between 1864 and 1878, Alma-Tadema depicted the early Middle Ages only a few more times. He, like Thierry who had proved so influential in his choice of scenes, seems to have been particularly drawn to the bloody career of the Merovingian queen Fredegund (Figure 3). When he showed “Queen Fredegund at the Death-Bed of Bishop Praetextatus” at the Paris Salon in 1865, however, French art critics failed to embrace Alma-Tadema’s rendering of this notorious member of the Frankish dynasty. Their qualms apparently pertained less to the painting’s negative subject matter than to what they perceived as his meticulous attention to chronologically appropriate props and setting. Regarding this piece, Paul Mantz commented icily in the Gazette des Beaux-Arts: “There is thus a drama in Mr. Alma-Tadema’s painting, but a drama that is stifled and lost in skillfully combined details of Merovingian bric à brac.” He continued, “We are absolutely not competent enough to assess the accuracy of the items of furniture, clothing, jewels and weapons, and we can only regret the fact that Augustin Thierry is no longer with us to appreciate the verisimilitude of a work that would certainly have aroused his interest.”8 This was an ironic jab – in that Thierry was widely known to have gone completely blind by 1828, two years before publishing “Récits des temps mérovingiens”9 – yet a direct reflection of the salon juries’ view. The statement underlined their discomfort with Alma-Tadema’s attention to archaeological minutiae, which they believed hindered the skilled execution and overall aesthetic enjoyment of his paintings.10 Aside from three watercolors and an oil painting made in the 1870s that focused on the demise of Galswinth, the woman on account of whom Fredegund was temporarily put aside by her husband Chilperic, Alma-Tadema did not produce any further major works addressing the early medieval Franks.11 While critics outside of France praised Alma-Tadema’s efforts to achieve archaeological correctness,12 few artists in France who opted to depict scenes from this relatively obscure period gave much attention to accurate detail in clothing, weaponry, and furniture. Évariste-Vital Luminais, a five-time medal winner at the Paris Salon and a member of the Légion d’Honneur,13 created a large number of works culled from the history of the Gauls who were the subject of renewed interest from the 1830s.14 He also devoted attention to the Franks in a smaller group of paintings. Most famous among the latter was “Les énervés de Jumièges”, executed in 1880. In this painting, Luminais depicted the mutilated sons of Clovis II who after their failed revolt were sent down the Seine immobilized upon a raft (Figure 4).15 The non-traditional historical theme of the work was not widely appreciated, nor were those that followed. In 1883, when Luminais exhibited an oil painting entitled “The Last of the Merovingians” at the annual salon, critic Charles Bigot wearily expressed the hope that this title signaled the artist’s intention to move on to other more suitable topics.16 For our purposes, it is important to note that despite their unorthodox themes, Luminais’s paintings exhibited a generic appearance with respect to the subjects’ clothing and setting. In general, the backgrounds of the pieces evoked neither a particular time nor place, and merely suggested distance from the present;17 they 7
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Teio Meedendorp/Luuk Pijl, Catalogue, in: Sir Lawrence Alma-Tadema, ed. Edwin Becker (New York 1997) 128–267, at 136–137. Paul Mantz, Salon de 1865, in: Gazette des Beaux-Arts 18 (1865) 489–523, at 508–510. English translation taken from: Meedendorp/Pijl, Alma-Tadema’s artistic training 25. Marcel Gauchet, Les Lettres sur l’histoire de France d’Augustin Thierry: L’alliance austère du patriotisme et de la science, in: Les lieux de mémoire 2, 1, ed. Pierre Nora (Paris 1986) 247–316, at 284. Jean J. Guiffrey, Exposition des Beaux-Arts à Anvers, in: Gazette des Beaux-Arts 17 (1864) 367–374, at 370–371. Barrow, Lawrence Alma-Tadema 16–18. Alma-Tadema, like Augustin Thierry, attributed the responsibility for Galswinth’s murder largely to Fredegund, whereas Gregory of Tours exclusively blamed her husband Chilperic. Ian N. Wood, The Merovingian Kingdoms 450–751 (London 1994) 127. Helen Zimmern, L. Alma Tadema, Royal Academician: His Life and Work (The Art Annual for 1886, London 1886) 6–9. Nadine Berthelier, Biographie, in: Évariste Vital Luminais: Peintre des Gaules, 1821–1896. Musée des Beaux-Arts, Carcassonnne, 18 October 2002–4 janvier 2003, Musée de l’Ardenne, Charleville-Mézières, 14 février–11 mai 2003 (Carcassonne 2002) 11. Krzysztof Pomian, Francs et Gaulois, in: Les lieux de mémoire 3, 1, ed. Pierre Nora (Paris 1992) 40–105, at 78–80. François Bergot/Marie Pessiot/Gilles Grandjean/Alain Pougetoux, Musée des Beaux-Arts de Rouen: guide des collections XVIIIe, XIXe, et XXe siècles (Paris 1994) 144–145. Charles Bigot, Le Salon de 1883, in: Gazette des Beaux-Arts 27 (1883) 457–476, at 472. Unlike Gustave Doré’s illustrations of Jean Michaud’s Histoire des Croisades executed in 1877, which similarly lacked attention to historical accuracy, Luminais’s paintings did not have the same Romantic emphasis on chivalry and spirituality. Jean Michaud,
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contained little to distract from the narrative, a notable feature in a time when many advocates of history painting still valued “painters’ punctilious regard for accuracy in small details in pursuit of larger truths.”18 Unlike painters of prehistory like Fernand Cormon who accurately depicted period artifacts in their works to lend their renderings of distant times greater credibility (a particularly pressing need since many of these works were intended for display in natural history museums),19 artists who evoked the early Middle Ages largely did not take similar precautions. Even in the case of late antique or early medieval encounters that afforded the opportunity for greater specificity of chronology such as in Luminais’s 1848 portrayal of the battle of Tolbiac, the armament and helmets were entirely anachronistic. He later applied the same style of headgear to a painting of Gallic plunderers.20 The indiscriminate use of period weapons produced similar shortcomings in Luminais’s depiction of the death of Chramn, the son of Chlothar I who was burnt alive along with his wife and children as punishment for rebelling against the king.21 The short sword belonging to the king was more Gallic than early medieval in its style.22 Luminais was far from alone in making these errors: his student Albert Maignan, who himself owned a number of archaeological artifacts from the period, shared both his teacher’s interest in the Middle Ages and his propensity to eschew historical accuracy in his depictions of the early Middle Ages. In a painting entitled “Hommage à Clovis II” (1883), Maignan portrayed the young seventh-century king, son of Dagobert and Nantild, dwarfed by an enormous throne. Rather than modeling this furniture after the surviving throne attributed to Dagobert and preserved at the Bibliothèque nationale, Maignan relied largely on his own imagination (Figure 5).23 A variety of historical writings, but mainly those of Augustin Thierry which were pointed in their criticism of the Merovingian regime, excited artists like Maignan far more than any study of relevant archaeological remains.24 Influenced by Luminais and the works of Jean-Paul Laurens, the latter of whom will be discussed at length below, Maignan used the architectural details in the painting of the child-king Clovis II not to evoke an accurate image of the early Middle Ages but to highlight the peril in which France found itself due to the historical excesses of this notorious hereditary monarchy. Highly conservative in the type of works they promoted, the annual salons in and of themselves appear to have provided little impetus for artists to innovate with respect to the archaeological accuracy of their creations. Those painters and sculptors who nonetheless chose to render excavated finds in their depiction of Gallic or early medieval scenes often did so anachronistically. Their haphazard selections included a jumbled assortment of artifacts spanning from the Bronze Age to the early Middle Ages despite the availability of archaeological models from which they might work.25 Not only did the critics dislike archaeological detail, they were even more vociferous in their denunciation of artists who altered the classical human form in pursuit of scientific accuracy. As evidenced by the furor provoked by Fernand Cormon’s painting “Cain” (1880), which portrayed the earliest humans as ape-like soon after Charles Darwin’ theory of evolution had caused a great
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Histoire des Croisades (Paris 1877). Patricia M. Burnham/Lucretia Hoover Giese, Introduction. History painting: how it works, in: Redefining American History Painting (Cambridge 1995) 1–14, at 7. Maria P. Gindhart, The Art and Science of Late Nineteenth-Century Image of Human Prehistory at the National Museum of Natural History in Paris, unpublished dissertation at the University of Pennsylvania (Philadelphia 2002) 13–17; 161–279. Françoise Daum, Luminais et les historiens de son temps: “Le petit musée archéologique de Évariste Luminais”, in: Évariste Vital Luminais: Peintre des Gaules, 1821–1896. Musée des Beaux-Arts, Carcassonnne, 18 October 2002–4 janvier 2003, Musée de l’Ardenne, Charleville-Mézières, 14 février–11 mai 2003 (Carcassonne 2002) 30–41, at 34. Edward James, The Franks (Oxford 1988) 169. Daum, Luminais et les historiens 36–37; Heino Neumayer, Die merowingerzeitlichen Funde aus Frankreich (Museum für Vor- und Frühgeschichte Bestandskataloge 8, Berlin 2002) 45. Le moyen-âge et les peintres français de la fin du XIXe siècle (Jean-Paul Laurens et ses contemporaines.) Château-Musée de Cagnes-sur-Mer 3 mai–8 juin 1980 (Cagnes-sur-Mer 1980) 51–53. Henri Olleris, Mémento du Salon de peinture, de gravure et de sculpture en 1880 (Paris 1880) 17. The scene portrayed in “Les énervés de Jumièges” was not, however, recounted in Thierry’s history. Pierre Vaisse, L’histoire de la France médiévale selon Augustin Thierry et son rôle dans l’histoire de l’art français au 19e siècle, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 54, 2 (1997) 215–224, at 218. Michael Dietler, “Our ancestors the Gauls”: Archaeology, ethnic nationalism, and the manipulation of Celtic identity in modern Europe, in: American Anthropologist new series 96, 3 (1994) 584–605, at 598.
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stir in the scientific and popular imagination, artists faced criticism for daring to transform the human figure in conjunction with scientific advances.26 If archaeological finds were not the central impetus for the proliferation of scenes centered on the activities of the Merovingian royal family, why was such subject matter chosen by a growing number of French artists in the latter part of the nineteenth century? Although the second half of the century had witnessed the discovery and publication of numerous early medieval cemeteries uncovered in the wake of engineering projects for railway track, roads, and buildings across France,27 and national archaeology was regularly taught at the École du Louvre from 1882,28 nineteenth-century painters excluded these finds from their depictions of the period due at least in part to artistic conventions of the time. In this sense, they echoed the skepticism of contemporary academics regarding the reliability or desirability of material artifacts in historical research.29 Some part of this denial of appropriate stylistic elements likely also resulted from resistance to a formal acknowledgment of Germanic contributions to French medieval art, history, and culture.30 As suggested above, far more influential and evocative amongst French painters were the works of Romantic historians, foremost among them, Augustin Thierry.31 Before returning to Thierry, we should identify the many venues at which the French public was exposed to discoveries of early medieval grave artifacts from at least the second half of the nineteenth century. By these means, it will be possible to suggest the conscious effort that artists must have made to omit this evidence from their creative endeavors. Although early medieval artifacts were initially excluded from prominent art institutions such as the Louvre due to their perceived aesthetic shortcomings,32 they did begin to make regular appearances in local antiquarian museums and private collections from the 1830s.33 Although the Louvre and the Musée de Cluny would eventually acquire small numbers of such pieces through private bequests,34 the most prominent display of early medieval artifacts was to be found in the Musée des antiquités nationales, which opened its doors in the château of Saint-Germain-en-Laye in 1867 (Figure 6).35 Judging from the large number of archaeological societies founded in the latter part of the century, many of which possessed their own collections, knowledge of the existence of these artifacts must have also been fairly common among the educated population located far from Paris. Despite the difficulty of measuring how widely knowledge of early medieval remains spread among ordinary citizens, the existence of scores of local museums created to house finds from regional excavations meant that access to early medieval artifacts was easy to procure for those who desired it. Early medieval artifacts also played to more diverse audiences in the context of exhibits associated with the Expositions universelles from 1867 onward.36 In fulfilling nationalist aims, the organizers of these events not only encouraged the French to view themselves anew vis-à-vis other nations, but they also served to reacquaint 26 27
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Martha Lucy, Cormon’s “Cain” and the problem of the prehistoric body, in: Oxford Art Journal 25, 2 (2002) 107–126. Rick Szostak, The Role of Transportation in the Industrial Revolution: A Comparison of England and France (Montreal 1991) 60–68. Alexandre Bertrand, La Gaule avant les gaulois d’après les monuments et les textes: Cours d’archéologie nationale (Paris 1884) unnumbered preface and 1–4. Arnaldo Momigliano, The rise of antiquarian research, in: The Classical Foundations of Modern Historiography (Berkeley 1990) 54–79, at 73–79. Louis Courajod was one of the fiercest opponents to this limited outlook. Laura Morowitz, ‘Une guerre sainte contre l’Académisme’: Louis Courajod, the Louvre, and the barbaric Middle Ages, in: This Year’s Work in Medievalism 17, ed. Jesse G. Swan/Richard Utz (Eugene 2002) 56–63. Thierry’s impact may be compared to the influence of Victor Hugo’s Notre-Dame de Paris (1831) and its impact on French imagination regarding medieval cathedrals. Elizabeth Emery/Laura Morowitz, Consuming the Past: The Medieval Revival in fin-de-siècle France (Aldershot 2003) 17. Adrien de Longpérier, Musée d’antiquités de Rouen, in: L’atheneum français 11 (1852) 171–173. These events are described at greater length, in Bonnie Effros, Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages (Berkeley 2003) 55–70. Les donateurs du Louvre (Paris 1989) 174; Édouard du Sommerard, Musée des thermes et de l’Hôtel de Cluny. Catalogue et description des objets d’art de l’antiquité, du moyen âge et de la Renaissance, exposée au musée (Paris 1883) 635–636. Karin Lundbeck-Culot, Frederick VII, roi du Danemark, Napoleon III et l’archéologie. Les deux premiers donateurs du Musée des Antiquités Nationales de Saint-Germain-en-Laye (Mémoire de l’École du Louvre, Paris 1994). Bonnie Effros, Selling archaeology and anthropology: early medieval artifacts at the Expositions universelles and the Wiener Weltausstellung, 1867–1900, in: Early Medieval Europe 16, 1 (2008) 23–48.
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them with a better understanding of their own history. To underline the distinctiveness of French accomplishments in the arts and sciences, the Parisian fairs included displays on the history of work, art, and anthropology that drew attention to and fostered appreciation for national accomplishments. In 1889 and 1900, the Middle Ages played a prominent role in both recreations like “Paris en 1400” and “Vieux Paris” (both in 1900) and displays of religious art at the Palais du Trocadéro (1889) and stained glass at the Esplanade des Invalides (1900).37 In 1900, a large part of the Petit-Palais was dedicated to a retrospective exhibition of French art to 1800.38 This lavish installation, which included a small number of Merovingian-period artifacts, was not only directed at art connoisseurs. Its purpose was to show thousands of visitors the process by which French taste, a highly valued but indistinctly defined quality, developed from the classical era to the recent past. As the attention given to these artifacts was relatively limited in official guides to the fairs and contemporary reviews, it is difficult to judge the specific impact of archaeological remains of the early Middle Ages on average fair-goers. Nonetheless, it is possible to demonstrate that the display of these pieces at the various Expositions universelles had significant implications for those who excavated, purchased, and studied them.39 For those like Frédéric Moreau and C. Boulanger who lent private collections to the exhibitions, attracting significant publicity to themselves and their possessions, this attention meant that the artifacts gained additional value on the antiquities market (Figure 7).40 The very language with which these objects were described also changed, with many scholars referring to them anachronistically, but not surprisingly in the context of the fairs, as examples of early medieval manufacturing.41 More generally, the inclusion of such pieces in retrospectives on the history of French labor and art meant that the discussion of these objects was no longer limited to antiquarian societies or the publications of French archaeologists. Their presence at the Expositions universelles legitimized their worth as an officially recognized part of the French patrimony. Another way in which to measure the rising attractiveness of archaeological artifacts as collectors’ items is the incentive that existed to copy them. Some contemporaries complained that the presentation of medieval objects, just as furniture, to visitors at the Expositions universelles as desirable commodities created demand for their purchase; others feared that the use of the fair or museum as medieval showroom provided the keys to the manufacture of forgeries.42 The demand for copies of antiquities, however, was already in full force before the first of the Expositions was held in Paris. Some of these were produced and sold openly as reproductions. Most famous of the jewelers working in this area was Alessandro Castellani with the collaboration of Michelangelo Caetani. From the time of his political exile from Italy, Castellani established a gallery on the Champs-Elysées where he sold both genuine artifacts and high quality archaeological copies he had designed.43 In addition to establishing his scholarly credentials by presenting a lecture before the Académie des Inscriptions et BellesLettres in December, 1860, Castellani attended a number of prestigious salons where he marketed his wares most effectively. These fine specimens of archaeological jewelry became particularly desirable once Napoleon III purchased such items for the female members of the imperial circle.44 Other jewelers marketing authentic archaeological finds and copies, however, might be described as somewhat less clear in their intentions with customers, and the margin between restoration and forgery was very 37
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Elizabeth Emery/Laura Morowitz, From the living room to the museum and back again: the collection and display of medieval art in the fin de siècle, in: Journal of the History of Collections 16, 2 (2004) 285–309, at 296–297. Exposition universelle de 1900: Catalogue illustré officiel de l’exposition retrospective de l’art français des origines à 1800 (Paris 1900). Émile Molinier, Exposition rétrospective de l’art français au Trocadéro: le moyen âge, in: Gazette des Beaux-Arts 31, 2 (1889) 145–166, at 146–150. Benjamin Fillon, L’art romain et ses dégénérescences au Trocadéro, in: Exposition universelle de 1878. Les beaux-arts et les arts décoratifs 2 (Paris 1879) 102–125, at 120–123; Émile Molinier/Frantz Marcou, Exposition rétrospective de l’art français des origines à 1800 (Paris 1900) i–iii; 58–59. Casimir Barrière-Flavy, Les arts industriels des peuples barbares de la Gaule du Ve au VIIIe siècle 1 (Toulouse 1901). For a discussion of the application of modern vocabulary to describe the early Middle Ages, see: Bonnie Effros, A century of remembrance and amnesia in the excavation, display, and interpretation of early medieval burial artifacts, in: Erinnerungskultur im Bestattungsritual: Archäologisch-Historisches Forum, ed. Jörg Jarnut/Matthias Wemhoff (MittelalterStudien 3, Munich 2003) 75–96, at 89–90. Emery/Morowitz, Consuming the Past 77–82. Geoffrey C. Munn, Castellani and Giuliano: Revivalist Jewellers of the Nineteenth Century (New York 1984) 14–25. Stefanie Walker, Founders, family members and the firm, in: Castellani and Italian Archaeological Jewelry, ed. Susan Weber Soros/ Stefanie Walker (New Haven 2004) 35–82, at 57–58.
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thin.45 For instance, jeweler’s rouge was in some cases applied to newly-made pieces to make them look as if they had spent more than a millennium buried in a grave. Such painstaking methods could be explained as part of the jeweler’s effort to achieve historical accuracy but could just as easily be employed to fool potential customers into thinking that they were purchasing the genuine artifact.46 By the early twentieth century, privately sponsored exhibitions of antiquities, intended to lend an air of legitimacy to the artifacts they highlighted, dramatically increased the ease with which forged medieval jewels and weaponry could be foisted off as legitimate on unsuspecting purchasers.47 With growing awareness of the riches to be found through excavations – albeit mainly those focused on the classical period – archaeology did begin to make waves in literary circles in the latter part of the century. Writers like Gustave Flaubert and Théophile Gauthier were each inspired to write fictional works on the basis of ancient finds made in North Africa and Egypt.48 They learned of these discoveries at least in part through their presence in the same social circles as those with active antiquarian interests. Both of these men, along with Alexandre Dumas, George Sand, Maxime du Camp, and many others, for instance, attended the literary salon of Hortense Cornu, a childhood friend of Napoleon III and the wife of the artist Sebastian Cornu; not only was she regularly in attendance at the Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, but she was intimately involved in the emperor’s foundation of the Musée des antiquités nationales at his palace of Saint-Germain-enLaye and corresponded internationally with the archaeologists who were ultimately responsible for its organization.49 Enthusiasm for the Middle Ages was manifested in the large number of authors who collected and lived with medieval bibelots, including Emile Zola, Joris-Karl Huysmans, Pierre Loti, Jean Moréas, and Anatole France.50 Although the salon organized by Madame Cornu does not appear to have inspired novels based on early medieval archaeology, interest in medieval drama was much in vogue in musical circles and should not be surprising in light of the contemporary impact of the operatic undertakings of Richard Wagner in France.51 One French lyric drama that evoked the barbarity of Merovingian Gaul was entitled “Frédégonde”; it was not particularly successful and was performed only once at the Opéra Garnier on 14 December 1895 as part of a benefit event for soldiers in Madagascar and the poor of Paris.52 Although no one other than Camille SaintSaëns composed the second part of the score, critics panned the production for trying to cram too much into a single performance.53 The five-act libretto, which was composed by Louis Gallet,54 also faced disapproval for 45
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Rudolf Distelberger, Alfred André 1839–1919, in: Western Decorative Arts, Part I: Medieval, Renaissance, and Historicizing Styles Including Metalwork, Enamels, and Ceramics (Washington, DC 1993) 282–287. In the instance of Jules Wièse’s copy of a gold disk brooch “decorated with filigree and set with cabochon emeralds, rubies and pearls”, the piece was rendered close to an early medieval original with the conscious choice of high quality gold, distressing of the body of the brooch, and the application of jeweler’s rouge. The presence of Wièse’s engraved signature on the reverse along with the use of precious stones rather than the glass paste normally employed in early medieval equivalents suggest that this fine rendering was intended as a faithful copy rather than as a forgery. Munn, Castellani and Giuliano, 181, number 186; Diana Scarisbrick, Archaeological jewelry in the orbit of Castellani, in: Castellani and Italian Archaeological Jewelry, ed. Susan Weber Soros/Stefanie Walker (New Haven 2004) 316–331, at 321. On the famous case of the Lombard fakes exhibited at the Burlington Fine Art Club’s London show in 1930, see: Dafydd Kidd, The ‘Lombard Treasure’ 1930–1990, in: Jewellery Studies 4 (1990) 59–71. For early medieval forgeries that made their way to North America, see: Bonnie Effros, Art of the “Dark Ages”: Showing Merovingian artefacts in American public and private collections, in: Journal of the History of Collections 17, 1 (2005) 85–113, at 102–106. And, artists such as G.-A. Rochegrosse incorporated artifacts into their depictions of the ancient world. Laurent Houssais, Archéologie, littérature, illustration: Salammbô vu par G.-A. Rochegrosse, in: Histoire de l’art 33–34 (1996) 43–54. Marcel Emerit, Madame Cornu et Napoléon III d’après les lettres de l’empereur et d’autres documents inédits (Paris 1937) 104–143. Emery/Morowitz, Consuming the Past 61–62. Anatole France was the owner of at least a few archeological artifacts, including one attributed to the Merovingian period. Dietrich von Bothmer, Glories of the Past: Ancient Art from the Shelby White and Leon Levy Collection (New York 1990) 263–264, numbers 195–196. Despite Wagner’s anti-French stance, Marcel Proust, Charles Baudelaire, and the Symbolists were enamored of the composer’s operatic innovations. Emery/Morowitz, Consuming the Past 92–96. Frédégonde, Programme de l’Académie nationale de Musique, 14 décembre 1895 (Paris 1895). Bibliothèque-Musée de l’Opéra, Paris, Carton 2238. Henry Bauer, Premières représentations: Académie nationale de musique – Frédégonde, drame lyrique en cinq actes, in: Echo de Paris (20 décembre 1895). Louis Gallet, Frédégonde, drame lyrique en cinq actes. Musique de E. Guiraud & C. Saint-Saëns (Paris 1895).
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playing too loosely with historical events even as narrated by Augustin Thierry.55 Needless to say, the dramatic opera, which centered on Brunhild’s quest for revenge against Fredegund following the murder of her sister Galswinth,56 stuck with prevailing conventions for period costume (Figure 8). One particularly well-informed critic remarked in Le matin the next day that, “The sets in their evocation of the landscapes of Gallo-Roman Paris will delight the archaeologists. In their contemplation of the stage design, they will forget that the ballerinas are wearing tutus and skirts that are not at all Merovingian. But the pleasure of the choreography will cause them to indulge this anachronism.”57 Despite the dearth of accurate renderings of early medieval artifacts in nineteenth-century paintings where they might be expected from the theme of the works, artists like the symbolist painter Gustave Moreau incorporated them in more unusual settings. Moreau, for instance, was influenced by Frankish artifacts in his rendering of Salomé in a work called “The Apparition”, which he showed at the 1876 Salon in Paris (Figure 9). His inspiration for this piece included photographs of the Alhambra, architectural remains from southern Italy, and decorative patterns from stylebooks such as Nicolas Xavier Willemin’s “Monuments français inédits” and Owen Jones’s “The Grammar of Ornament”.58 (Rarely included in these publications were drawings of early medieval ornaments or artifacts,59 and of those that were published as Frankish, none were actually derived from Merovingian-period graves. For the most part these illustrations were drawn from material remains preserved in medieval churches or manuscript illuminations.60) In the case of Moreau, they then made their way into the artistic product, completely disconnected from their historical and archaeological context. A decade later, Moreau’s formulation of “The Unicorns” (1887–1888) revealed the impact of his regular visits to the Musée de Cluny to see among other things the high medieval “Lady and the Unicorn” tapestries. His sources for early medieval metalwork included in the painting were similar to those of “The Apparition”, and some of the pieces have been identified as coming from the October, 1865, installment of Magasin pittoresque, which showed archaeological finds from Samson (Belgium) attributed to the Franks. 61 Moreau, who had never ventured outside Europe and rarely traveled beyond the borders of France as an adult, nonetheless derived great delight from Eastern decorative motifs and archaeological remains and freely used these inspirations in his work.62 The fanciful inclusion in his artistic production of early medieval artifacts, just one additional genre of the exotic, appears to have been exceptional among his contemporaries. Despite the accessibility of early medieval artifacts, late nineteenth-century artists working on Merovingian images appear to have consciously chosen to omit these details from their paintings. While stylebooks like that of Nicolas Xavier Willemin and drawings of archaeological finds in handbooks like Arcisse de Caumont’s archaeological “Abécédaire” (1850) existed in abundance,63 and fairly accurate handbooks for drawing prehistoric figures by painters as renowned as Eugène Grasset existed by late in the century (Figure 10),64 most artists who chose to paint Merovingians did not prioritize the use of chronologically accurate props in their creations. Prevailing aesthetics among academic painters meant that the didactic and moral functions of art were preferred to individualism and realistic detail. Situating their subjects in assuming or generic backgrounds had the 55 56
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Auguste Goullet, Académie nationale de musique – Frédégonde, opéra en cinq actes, in: Le soleil (19 décembre 1895). Like Alma-Tadema’s painting described above, this opera was based upon the premise popularized by Augustin Thierry that Fredegund was responsible for Galswinth’s murder. Les décors par leur evocation des paysages du Paris gallo-romain, rejouiront les archéologues. Dans la contemplation de l’art du decoration, ils oublieront que les dames du ballet portent des tutus et des jupes bien peu mérovingiens. Mais l’agrément de la choréographie les rendra indulgents pour l’anachronisme. Frédégonde: Cinq actes de musique française à l’Opéra, in: Le matin (19 décembre 1895). Marie-Laure de Contenson, The Middle Ages as reinvented by Gustave Moreau, in: Gustave Moreau: Between Epic and Dream (Chicago 1999) 21–31, at 21–24. Owen Jones’s work, first published in 1856, included only medieval patterns from the ninth century onward. Owen Jones, The Grammar of Ornament: A Unique Collection of More than 2,350 Classic Patterns, new edition (Lewes 2001). Nicolas Xavier Willemin, Monuments français inédits pour servir à l’histore des arts depuis le VIe siècle jusqu’au commencement du XVIIe 1, ed. André Pottier (Paris 1839) 3–14, plates 4, 8, 19–22. Ruines du château de Samson (Belgique), in: Magasin pittoresque 33 (Octobre 1865) 323–326. De Contenson, The Middle Ages 24–27. Geneviève Lacambre, Gustave Moreau and exoticism, in: Gustave Moreau: Between Epic and Dream (Chicago 1999) 14–20. Arcisse de Caumont, Abécédaire ou Rudiment d’archéologie: Architecture religieuse (Caen 41859) 53–74. Eugène Grasset, Costumes de guerre de l’âge du bronze et de l’ère gauloise: Cahiers d’enseignement illustrés (Paris no date) 15–16.
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effect of rendering their subjects more timeless. 65 Tellingly, this middle route ultimately failed to satisfy either conservative critics who favored neoclassical heroic scenes or those of a radical bent ready to abandon historical painting altogether. Because this art was not just driven by aesthetic concerns, but was also affected by contemporary events like the Franco-Prussian war and the Paris Commune, we might also argue that sustained interest in or sympathy for the subjects they painted from the early medieval period was somewhat beside the point. In the late nineteenth century, painters used these images to comment on current events and were thus not concerned with the accurate rendering of clothing, furniture, or armament. If nineteenth-century artists did not incorporate archaeological remains in their paintings, and instead derived their images of the Merovingians from early medieval and modern historical sources, we may surmise that they were influenced to at least some extent by contemporary debate regarding the legacy of the Franks in Gaul. In the late nineteenth century, political upheaval brought these issues to the fore. French defeat in the Franco-Prussian war coupled with fears of German unification meant that public discussions of the level of late antique Germanic contributions to the creation of France as a nation had renewed emotional resonance and political relevance.66 Among the artists who painted scenes from Merovingian history, the historian of choice was Augustin Thierry, a liberal historian who had a very negative view of the Germanic invasions. Writing from the 1820s to the 1840s, he framed his essays with language accessible to academics and non-academics alike.67 Portraying the Frankish monarchy as the foreign occupier of France,68 Thierry found great delight in highlighting the barbarity of the Merovingian dynasty as well as members of the Frankish nobility, since, after all, they were the oppressors of the original ancestors of French: the Gallo-Romans. Not only did this aspect of Thierry’s historical work have great appeal among a general French audience, but so did his style. Composing his “Récits des temps mérovingiens” during the July monarchy, Thierry sought to apply primary sources such as Gregory of Tours’s Histories to the creation of a ‘universal’ history of France. His approach was that of an eyewitness, and his writing resembled the work of a historical novelist far more than that of a historian. Thierry justified his interpretive freedom by suggesting that the dramatic presentation of events of the past would bring them closer to his readers.69 His success may be measured by the observation that most nineteenth-century artists looked no further than Thierry’s sensationalist narrative to help them select riveting scenes from the early Middle Ages. In an effort to identify how strongly historical genre paintings of the Merovingian period were motivated by contemporary political developments, we will now turn back to the painters who composed works based upon events drawn for the most part from either Gregory of Tours or Augustin Thierry. Earlier in the nineteenth century, in works such as François-Édouard Cibot’s “Scene from the Life of Fredegund” presented at the Salon in 1833, we should not be surprised that the setting is entirely anachronistic since few archaeological finds of the early medieval period had been published at this time outside of local scholarly societies (Figure 11). Instead, early Christian basilicas of Rome influenced the décor of the painting; inspiration for the design of the clothing came from architectural elements in medieval churches such as Notre-Dame and Saint-Denis depicted in Bernard de Montfaucon’s “Monuments de la Monarchie française” (1729–1733).70 This highly negative portrayal of Fredegund, which would form an important part of Laurens Alma-Tadema’s oeuvre a generation later, depicted the Merovingian queen rubbing salt in the wounds of the dying Bishop Praetextatus, whose murder she had allegedly commissioned. Created during the July Monarchy, a period that saw the production of numerous works of national historical significance, this painting emphasized the cruelty and barbarity of Frankish rule. This scene would have likely been rejected as non-classical and too obscure by the Academy-dominated Salons of the Restoration just a few years earlier; now its promotion was symptomatic of Louis Philippe’s liberal 65
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Bigot, Le salon de 1883, 20; Patricia Mainardi, Art and Politics of the End of the Second Empire: The Universal Expositions of 1855 and 1867 (New Haven 1987) 156–169. Bonnie Effros, Germanic invasions and the academic politics of national identity in late nineteenth century France, in: Gebrauch und Missbrauch des Mittelalters, 19.–21. Jahrhundert/Uses and Abuses of the Middle Ages, 19th–21st Century/Usages et mésuages du Moyen Age du XIXe au XXIe siècle, ed. János Bak/Jörg Jarnut/Pierre Monnet/Bernd Schneidmüller (Mittelalter Studien 17, Munich 2009) in press. Pomian, Francs et gaulois 72–73. Augustin Thierry, Récits des temps mérovingiens, new edition (Paris 1880) 36–42. Gauchet, Les Lettres sur l’histoire de France 247–300. Bergot/Pessiot/Grandjean/Pougetoux, Musée des Beaux-Arts 136–137.
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campaign of the ‘juste milieu’ which encouraged compromise between the Academy and more mainstream artists through his sponsorship of the Salons.71 Paintings of the Merovingian period, just as historical accounts, were effective vehicles by which to warn of the abuses of rule by a hereditary monarchy. During the Second Empire, historical painting other than that which promoted directly the interests of Napoleon III lacked sustained governmental support. After the events of 1870, however, the Third Republic saw a dramatic increase in the number of pieces dedicated to Merovingian themes.72 In large part, this change represented a reaction to French defeat by the Prussians; historical paintings represented an important means by which to recall key events in France’s past and thereby reassert French identity. Pre-eminent among the artists who emerged in the context of these developments was Jean-Paul Laurens, a collector of medieval artifacts, an avowed anti-clerical artist, and a strong supporter of the Republican cause.73 In the first Salon held after France’s crushing defeat by the Prussians, two of Laurens’s historical paintings, both with corpses figuring prominently, attracted critical acclaim.74 Although he was all but forgotten in the twentieth century due to the success of the Impressionists and other artists once looked down upon by the Salon juries, Laurens’s rise through the ranks of officially sanctioned Third Republic painters was meteoric; his pieces were seen as having the depth that had been lacking in imperial-sponsored art of the Second Empire.75 His most important compositions on Merovingian themes included his commission to paint a cycle in the Panthéon focused upon the death of Geneviève, a project that he worked on during the first half of the 1880s (Figure 12). This mural’s realism in its portrayal of the saint’s emaciated face and body, and the individualism of the members of the crowd,76 contrasted with Laurens’s evident lack of concern with architectural or archaeological accuracy. In this piece, he celebrated the saint’s devoted following among the diverse population of Paris and glorified the last vestiges of the Gallo-Roman legacy. Official sanction of his work meant that Jean-Paul Laurens was asked to provide illustrations for important reprints of the works of authors such as Victor Hugo. In the late 1870s, Hachette, the large Parisian publishing house, hired him to produce artwork for a new edition of Thierry’s “Récits de temps mérovingiens”. Even a generation after its appearance, this highly negative presentation of the deeds of the Franks appealed to a broad audience;77 in the aftermath of great losses in the war, the text resonated strongly and attracted a new generation of readers. Thierry’s criticism of Merovingian barbarity had personal appeal for Laurens, who submitted forty-two images for the press’s consideration.78 His apparent delight in depicting scenes highlighting the consequences of Merovingian cruelty reflected not only his revulsion for Germans but also his understanding of the corrupting influence of unfettered royal power. Yet, judging from Laurens’s pen-and-ink drawings for Thierry’s “Récits”, it is evident that as much as he was eager to discredit the Merovingians, he did not choose to illustrate the most gruesome incidents described by the sensationalist historian. Laurens’s renderings tended to focus on the alleged barbarity of the Franks highlighted by Thierry. One such occasion was the bizarre announcement by Clothar, the last of the sons of Clovis, to his wife Ingund that he was also going to wed her sister Arnegund (Figure 13). The drawings showed the aftermath of violence, like the famous visit of Queen Fredegund to the Bishop Praetextatus, whom she was alleged to have ordered killed: as we have seen, the scenario had been painted already by Cibot and Alma-Tadema (Figure 14).79 Laurens’s view was not one-sided; as a Romantic painter, he also gave attention to more contemplative themes, such as in his intimate portrayal of the sixth-century captive Radegund rendered in pen-and-ink for Thierry’s book as 71 72
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Albert Boime, The Academy and French Painting in the Nineteenth Century (New Haven 1986) 6–14. This brief return to historical painting also constituted a backlash against the neutral stance on art policies taken by Napoleon III in the 1860s. Patricia Mainardi, The End of the Salon: Art and the State in the Early Third Republic (Cambridge 1993) 38–40; Mainardi, Art and Politics 38; 47–49. Michael Paul Driskel, Representing Belief: Religion, Art, and Society in Nineteenth-Century France (University Park 1992) 51–53. Ferdinand Fabre, Le roman d’un peintre (Paris 21879) 1–7. Des Cars, Jean-Paul Laurens 23–28. Catalogue, in: Jean-Paul Laurens 1838–1921: Peintre d’histoire. Paris, Musée d’Orsay 6 October 1997–4 janvier 1998; Toulouse, Musée des Augustins 2 février–4 mai 1998 (Paris 1997) 75–196, at 131–132. Augustin Thierry, Considération sur l’histoire de France, in: Oeuvres d’Augustin Thierry, new edition (Paris 1868) 15–287, at 204. Vaisse, L’histoire 215–217. Catalogue, in: Jean-Paul Laurens 165–173.
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well as in oil for a freestanding portrait (Figure 15). The saint, scarcely a child anymore, peered into the mirror with great terror, since she knew that her rapidly approaching maturity would make her the wife of the king against her will. As is true of virtually all of his renderings of the Merovingian epoch, Laurens’s research on period architecture and clothing was Romantic and superficial. His main sources for the Merovingian period were probably limited to introductory manuals such as Arcisse de Caumont’s “Abécédaire”. Many of the individuals portrayed had anachronistic features such as stirrups absent from the archaeological record for this period (Figure 16).80 The underlying message conveyed by Laurens’s paintings occupied a higher priority than the accuracy of the props and costumes used to clothe his subjects. With the eclipse of the official Salon in 1883, it is appropriate to end this discussion with Pierre Puvis de Chavannes, whose oeuvre is more difficult to link to a particular artistic faction. Although his dream-like paintings and two-dimensional approach attracted much negative commentary from critics early in his career due to the aesthetics of his style, the popular success of his murals commissioned for public spaces from the 1870s onward meant that he became one of the most beloved artists in France.81 His work consciously evoked the work of the French primitifs, who were praised by many nineteenth-century connoisseurs as self-trained, pious, and authentic craftsmen who embodied the superior achievements of medieval France.82 Expressing views that were far to the right of Laurens’s Republican sentiments, Puvis was a nationalist and used classicizing imagery to encourage the brand of patriotism promoted by historians like Numa Denis Fustel de Coulanges in the aftermath of the Franco-Prussian War.83 Like Maurice Denis, who in 1895 decorated the home of Denys Cochin with a ceiling painting, seven panels, and a stained glass window depicting scenes from the life of the seventh-century Saint Hubert, Puvis de Chavannes saw in the early Middle Ages great opportunities for nostalgic portrayals of piety and purity.84 Not surprisingly, Puvis de Chavannes found in the Merovingian period ammunition for the expression of national pride and identity. Asked to compose two decorative panels for the new town hall in Poitiers in July, 1870, Puvis’s progress was interrupted by the war and the Commune, and he did not complete the murals until 1876. Although these events probably did not determine the logical choice of themes for these pieces, they certainly played into the patriotic allegory contained in Puvis’s post-war compositions.85 One panel depicted Charles Martel’s triumph over would-be Muslim conquerors and his successful defense of Christianity; it emphasized the mayor of the palace’s protection of clerics, a symbolic touchstone when struggles between the Republic and the Catholic Church had become paramount. A second work for the town hall portrayed Radegund’s convent in Poitiers as a haven for poets in an age of barbarism (Figure 17). Puvis showed Radegund fostering the arts and sponsoring artists in a time of great upheaval, a situation he viewed as little different from his own experience of seeing France under attack by both the Prussians and the Communards. Puvis made such parallels between his own lifetime and the sixth century explicit by including not only Venantius Fortunatus in the work, but by inserting his own resemblance and that of his recently deceased friend Théophile Gauthier as the two figures just behind the poet.86 More well known were Puvis’s commissions of the life of Geneviève for the Panthéon, which were offered to him in two intervals over a span of two decades. Completed in 1877, Puvis’s characterization of the education of the saint highlighted her spirituality, dignity, and strength. In his later murals, he focused on Geneviève’s controversial role in the provisioning of Paris during Hunnic attacks. His moving portrayal of 80 81 82
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Catalogue, in: Jean-Paul Laurens 166–172. Jennifer L. Shaw, Dream States: Puvis de Chavannes, Modernism, and the Fantasy of France (New Haven 2002) 2–11. Laura Morowitz, Medievalism, classicism, and nationalism: The appropriation of the French primitifs in turn-of-the-century France, in: Nationalism and French Visual Culture, 1870–1914, ed. June Hargrove/Neil McWilliam (Studies in the History of Art 68, Center for Advanced Study in the Visual Arts Symposium Papers 45, Washington, DC 2005) 225–241. Aimée Brown Price, Pierre Puvis de Chavannes: The development of a pictorial idiom, in: Pierre Puvis de Chavannes (Amsterdam 1994) 11–27, at 13–18. Laura Morowitz, Anti-Semitism, medievalism and the art of the Fin-de-Siècle, in: Oxford Art Journal 20, 1 (1997) 35–49, at 44–46. Clayson makes particular reference to Puvis de Chavannes’ poignant works executed during the Prussian siege of Paris: “Le Ballon” (1870) and “Le pigeon voyageur” (1871). Hollis Clayson, Paris in Despair: Art and Everyday Life under Siege (1870–71) (Chicago 2002) 145–162. The features of Marie Cantacuzène, whom Puvis married a year before his death, were used in his depiction of Radegund. Brian Petrie, Puvis de Chavannes, ed. Simon Lee (Aldershot 1997) 90–93; 144–145.
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Geneviève’s vigil over Paris was completed in 1898, the year of his death. In this timeless and elegaic composition, reminiscent in its embrace of the city of the two most famous works he had created during the dark days of the siege of Paris,87 the lack of specific reference to the fifth century allowed the artist to universalize his message. The watchful eye of the Gallo-Roman saint, whose face was actually a tribute to Puvis’s wife Marie Cantacuzène,88 embodied Puvis’s vision for the future of France in which the nation would prosper in peace without interference by internal or external enemies. In concluding, it appears that nineteenth-century artists’ motives for painting the Merovingians had far more to do with the historical circumstances in which these works were executed than a desire to represent their early medieval subjects accurately. As an ambivalent part of France’s distant past, which was thrust into the present by the Franco-Prussian war, the Franks came to symbolize many things for those who claimed them in their compositions. The interest of most French painters was not historical or archaeological but political, regardless of whether they worked during the July monarchy or the Third Republic. Depending upon the historical narratives of Gregory of Tours and Augustin Thierry, these artists linked the Merovingians to a bankrupt and barbarous regime that symbolized the dangers of revived dynastic ambitions in France. Especially in the shadow of the Franco-Prussian war, it was difficult not to identify the Franks with the invading German forces that threatened French autonomy. Some painters with a more spiritual outlook nonetheless allowed their brushes to paint a more positive image of thriving oases of Catholic religiosity in the midst of a bleak and unsettled time. What cannot be disputed, however, is the virtual isolation of these artists in almost all cases from the scientific and archaeological debates of their day. Rather than drawing from authentic models, they applied generic Romantic motifs to their imaginative visions of the Merovingian past. The virtually unlimited choice of scenes denigrating the Frankish royalty and aristocracy provided by Gregory of Tours and Thierry had the practical consequence of allowing them to exclude any compositional details that might distract from the underlying message of their paintings.
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I thank Ian Wood for pointing out the similarities between this painting and “Le Ballon” and “Le pigeon voyageur”. See note 84 above along with Wood’s article on the Panthéon in this volume. Petrie, Puvis de Chavannes 93–96; 155–160.
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Fig. 1: Laurens Alma-Tadema, Education of the Children of Clovis. Reproduced from half-tone blocks in: Percy Cross Standing, Sir Lawrence Alma-Tadema (London: Cassell and Company, Limited, 1905), unnumbered plate opposite page 20.
Fig. 2: Ary Scheffer (1795-1858), Battle of Tolbiac, Châteaux de Versailles et de Trianon, Versailles, France. Reproduced with permission of Réunion des Musées Nationaux/Art Resource, NY.
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Fig. 3: Laurens Alma-Tadema, Fredegonda at the Death-Bed of Praetextatus. Reproduced from half-tone blocks in: Standing, Sir Lawrence Alma-Tadema, unnumbered plate opposite page 26.
Fig. 4: Évariste-Vital Luminais, The Énervés de Jumièges, Musée des Beaux-Arts, Rouen, France. Reproduced with permission of Réunion des Musées Nationaux/Art Resource, NY.
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Fig. 5: Albert Maignan, Homage to Clovis II, Musée des Beaux-Arts, Rouen, France. Reproduced with permission of Réunion des Musées Nationaux/Art Resource, NY.
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Fig. 6: Sketches of archaeological objects displayed in Parisian museums drawn by Ludwig Lindenschmit, director of the RömischGermanisches Zentralmuseum in Mainz, Germany, who visited France in the 1860s. Photograph taken from Lindenschmit’s sketchbook and reproduced with permission of the Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz.
Fig. 7: The archaeologist and collector Frédéric Moreau (d.1898) who bequeathed his archaeological collection, the fruit of more than twenty years of excavations, to the Musée des antiquités nationales. Photograph reproduced with permission of the Musée des antiquités nationales de Saint-Germain-en-Laye.
Fig. 8: Costume design for the character of Fredegund in the opera “Frédégonde” performed on 15 December 1895. Note the use of the decoration of bees, which were believed in the nineteenth century to have been Merovingian royal insignia due to their discovery in the grave of Childeric (d.480/1). Quarante maquettes de costumes par Charles Bianchini. Plume ou crayon, aquarelle. Non signées, s.d., D.216 (50a, 83. Reproduced here by permission of the Bibliothèque-Musée de l’Opéra, Bibliothèque Nationale de France.
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Fig. 9: Gustave Moreau, The Apparition, Musée Gustave Moreau, Paris, France. Reproduced with permission of Erich Lessing/Art Resource, NY.
Fig. 10: Drawing of a fifth-century Frankish warrior armed with an angon (throwing spear), francisca (throwing axe), and spatha (sword) hanging from a shoulder-belt modeled on archaeological finds. Grasset, Costumes de guerre 16.
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Fig. 11: Edouard Cibot, Un trait de la vie de Frédégonde, Rouen, Musée des Beaux-Arts, depot de l’État, 1835. Reproduced with permission of the Musées de la Ville de Rouen. Photographie Catherine Lancien, Carole Loisel.
Fig. 12: Jean-Paul Laurens, The Death of St. Genevieve (sketch), ca. 1877–1880, Musée d’Orsay, Paris, France. Reproduced with permission of Réunion des Musées Nationaux/Art Resource, NY.
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Fig. 13: “J’ai cherché pour ta soeur un homme riche et sage, et n’ai rien trouvé de mieux que moi-même.” Augustin Thierry, Récits des temps mérovingiens (Paris: Librairie Hachette et Cie., 1887), fig.1. Reproduced with permission of the Art & Architecture Collection, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs, the New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations.
Fig. 14: “La viellard, dont tous les soupçons étaient confirmés par cette visite même, se souleva sur son lit de douleur.” Thierry, Récits des temps mérovingiens, fig. 22. Reproduced with permission of the Art & Architecture Collection, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs, the New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations.
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Fig. 15: “Elle vit approcher avec terreur l’age nubile et le moment d’appartenir comme femme au roi dont elle était la captive.” Thierry, Récits des temps mérovingiens, fig. 27. Reproduced with permission of the Art & Architecture Collection, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs, the New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations.
Fig. 16: “C’étaient de ces figures estranges qui avaient parcouru la Gaule du temps d’Atilla et de Chlodowig.” Thierry, Récits des temps mérovingiens, fig. 10. Reproduced with permission of the Art & Architecture Collection, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs, the New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations.
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Fig. 17: Pierre Puvis de Chavannes, Venantius Fortunatus with Radegund and Agnes, Hôtel de Ville, Poitiers. Photograph taken by and reproduced with permission of Cécile Treffort.
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The Panthéon in Paris: lieu d’oubli The Early Middle Ages matter, and have done so for a very long time: certainly throughout the modern period. Kings, churchmen, revolutionaries, their propagandists and even the general public have all turned to the post-Roman past. They have exploited it, transformed it, and forgotten it, sometimes rather surprisingly. They have memorised that past in stories, in rituals, and in places, and they have expunged it from the memory. One such place of memory and oblivion is one of the central monuments of the official collective memory of France: Jacques-Germain Soufflot’s Panthéon. In origin the church of Ste Geneviève, built by Louis XV to replace the medieval church, which itself had superceded Clovis’ church of the Holy Apostles, the Panthéon was transformed into “a temple of the nation” and “the altar of liberty” in 1791.1 This was to be the start of a long-running battle between revolutionary and religious claims to the space. It was to be reinstated as a church by Napoléon in 1806, although its crypt continued to be dedicated to the burial of heroes of the state. Ten years later Louis XVIII restored the whole of the Panthéon to the Church, but with the fall of the Bourbons in 1830 the building was returned to its revolutionary ideal. In 1851, however, Napoléon III reversed the change. It was only in 1885 that the Panthéon settled finally into its status as a monument for secular heroes. This history of oscillation between state and ecclesiastical cult is, of course, of importance in its own right. But the Panthéon also provides a remarkable point of entry into the use of the Early Middle Ages in eighteenth- and nineteenth-century France. Naturally enough this great building receives a chapter all of its own in Pierre Nora’s enterprise, “Lieux de mémoire”.2 Equally naturally for a work which concentrates on Republican France, that chapter has scarcely anything to say of the association of the Panthéon with Geneviève (Genovefa),3 and makes no comment on the builders of her original church, Clovis and his queen Chlothilde (Chrotechildis).4 As a result, at the heart of Mona Ozouf’s account of the Panthéon there is a lacuna, or an act of forgetting. Part of the Republic excludes the religious past. It is the relationship of the Panthéon with these Merovingian figures, and not with the heroes of the Republic, that I want to consider. When Louis XV fell ill at Metz in 1744 he called on Ste Geneviève to come to his aid. For Louis, as for the Bourbon dynasty in general, the Parisian saint was a special patron.5 Indeed Louis and his close relatives turned to the saint a remarkable number of times.6 There was, therefore, nothing surprising about his calling for her help in the course of his sickness at Metz. Nor was it surprising that he should subsequently go on pilgrimage to her shrine on the Montagne Ste Geneviève in Paris: royal visits to the tomb of Genovefa were not uncommon. What was new was the fact that the canons of the church asked him to rebuild it, which he agreed to do, though it was to take some time before he kept his promise. It was not until twenty years later, in 1764, that the foundation stone of the new building was laid. When Louis agreed to the rebuilding of Ste Geneviève, it was not just the glory of the saint that he had in mind. He explicitly saw his actions as echoing those of Clovis, his great Merovingian predecessor. After all he, Louis, and Clovis bore the same name.7 That the echo was deliberate is made clear in a medallion which Louis
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Proposition to the Constituent Assembly, quoted in Alexia Lebeurre, The Pantheon, Temple of the Nation (Paris 2000) 16. Mona Ozouf, Le Panthéon: L’École normale des morts, in: Les lieux de mémoire, 1, La République, ed. Pierre Nora (Paris 1984) 139–166. Ozouf, Le Panthéon 141, does comment on Chirac remembering Geneviève, Jeanne d’Arc and Henri I. Ozouf, Le Panthéon 142–143, explicitly deals with the eclipse of the person of the monarch by “la figure du grand homme”. Moshe Sluhovsky, Patroness of Paris: Rituals of Devotion in Early Modern France (Leiden 1998) 141. Sluhovsky, Patroness of Paris 221. For a comparison between Louis XIV and Clovis, see the dedication of Gabriel Daniel’s Histoire de France depuis l’établissement de la monarchie françoise dans les Gaules, 1, 486–768 (Paris 1729) iii, x. The work was originally published in 1696.
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had minted to mark the refoundation: on it he effectively presents himself as a new Clovis.8 Cum a Chlodoveo Francorum primo Rege Christiano Basilica Sanctorum Petri et Pauli memoriae dicata Beatae Genovefae sepulchro reliquiis et a pluribus iam Saeculis nomine insignita Vetustate collaberetur; Loudovicus XV Singulari erga Civitatis Patronam pietate, Novam hanc, non procul a vetere, Ampliorem, splendidioremque Extrui iussit Primumque lapidem hic posuit Anno M.DCC. LXIV.9 This reference to the past was not just a momentary aberration. Clovis mattered for the Bourbons, almost as much as did Geneviève. The political classes of France in the eighteenth century were remarkably well informed about their history. The monarchy had deliberately sponsored research into the past: indeed to a large extent royal patronage had put French historical studies on the path towards what we would now regard as professional standards.10 Princes were expected to be brought up with a knowledge of French history. Louis XV’s father had called history “la leçon des princes et l’école de la politique”.11 Works of history were addressed to members of the royal family. And parallels were drawn. Le père Daniel had told Louis XIV that no predecessor, not even Clovis, was his equal. He drew an explicit comparison between the Merovingian’s christianisation of the Franks and Louis’ onslaught against the Calvinists. Equally important, for Daniel, as for many who followed him, Clovis was the founder of the French monarchy.12 Moreover, the history of the foundation of the church which came to be dedicated to Ste Geneviève was well known: Daniel placed it in the context of Clovis’ religious wars against the Visigoths: “Il mit donc toute son application à lui donner tout l’air d’une guerre sainte. La Reine Chlothilde lui avoit proposé autrefois de bâtir à Paris une Eglise à l’honneur des Apôtres saint Pierre et saint Paul: il ordonna que pour attirer sur lui et sur son armée la protection de ces deux Saints, on commençât incessament à la bâtir; c’est celle de sainte Genevieve d’aujourd’hui. ”13 Louis XV is likely to have been aware that the church of Ste Geneviève was thought to have been built in the context of a war against Alaric II. He must have known that to pose as a new Clovis in rebuilding Ste Geneviève was a loaded act. Essentially the king was making a stand as a new Clovis, a remarkably ambitious claim, for Clovis was thought to have established the French monarchy and christianised the Franks. The great Merovingian had also defeated all his enemies: something that Louis had signally failed to do in the Seven Years War, which concluded with the Treaty of Paris in 1763. Indeed, his political failures were such that by the time that he laid the foundation stone for the new Ste Geneviève in the following year his government was widely unpopular: he badly needed any kudos he might gain from modelling himself on his Merovingian predecessor. Whether Louis realised the extent to which the Merovingian past had become a subject over which ideological war was being waged is another matter.14 For a long while interpretation of the period had been politically charged, but issues were polarised dramatically by Henri comte De Boulainvilliers, whose interpretations of French medieval history had been published in the 1730s, after his death.15 According to De Boulainvilliers France had been conquered by the Franks, who had enslaved the Gallo-Roman population. As a result the French nobility, who he saw as the descendents of the Franks, ought to have held a particularly privileged position in French society. The monarchy, once the first among equals, had, however, betrayed the nobility by 8 9
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Sluhovsky, Patroness of Paris 144. “Since the basilica dedicated to the memory of SS Peter and Paul by Clovis the first Christian king of the Franks and already made notable for many centuries by the tomb and relics of the blessed Genovefa, was collapsing with age, Louis XV with special piety for the patroness of the city, ordered this new, larger and more splendid church to be build, not far from the old one, and laid this foundation stone in 1764.” See Thomas E. Kaiser, The abbé Dubos and the historical defence of monarchy in early eighteenth century France, in: Studies on Voltaire and the eighteenth century 267 (1989) 77–102, at 77–83. Abbé Gabriel Brizard, Éloge historique de l’abbé de Mably, in: Collection complete des Œuvres de l’Abbé de Mably (Paris, An III = 1794/5) 110. Daniel, Histoire de France 1, xcvii Daniel, Histoire de France 1, 58: “He [i.e. Clovis) therefore put all his energies into giving it the air of a holy war. Queen Chlothilde had previously asked him to build church in honour of saints Peter and Paul. He ordered that the building – that is the present church of Ste Geneviève – should be instigated without interruption, in order to gain the protection of these two saints for himself and his army.” For the debates, see Ian N. Wood, The use and abuse of the early middle ages, 1750–2000, in: The Making of the Middle Ages. Liverpool Essays, ed. Marios Costambeys/Andrew Hamer/Martin Heale (Liverpool 2007) 36–53. His most important work in this respect was his Essais sur la noblesse de France [ed. Jean François de Tabary] (Rouen = Amsterdam, 1732). For a study of De Boulainvilliers, see Harold A. Ellis, Boulainvilliers and the French Monarchy (Ithaca 1988).
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making common cause with and granting concessions to the Tiers État in order to strengthen its own power. De Boulainvilliers wanted to see the privileges of the hereditary nobility reinstated. It goes without saying that he himself was a member of the class that he thought had been so hard done by. Curiously De Boulainvilliers was to be well regarded by Montesquieu and later by the abbé Bonnot de Mably, the two interpreters of the Early Middle Ages who were most highly regarded in revolutionary circles – and who, as a result, established the dominant interpretation of Late Roman and Frankish history down to the days of Fustel de Coulanges. De Boulainvilliers’ chief critic, the abbé Dubos, by contrast, was to be seen as a monarchist reactionary.16 Dubos’ interpretation saw the Frankish kingdom as originating not in conquest, but in a series of treaties made with the Empire – thus denying the nobility any special position. In Montesquieu’s eyes his interpretation was too favourable to the Tiers État. Perhaps more important was his denial of the value of Tacitus’ picture of a free Germany for any understanding of the Franks or the origins of French history. This was scarcely an appealing interpretation for those Frenchmen of the late eighteenth century for whom Liberté, Égalité and Fraternité were the guiding principles. Equally harmful to Dubos’ reputation was his close association with the monarchy – which perhaps more than anything sealed the fate of his historical writings. In fact his interpretation of the fifth century is not overly conditioned by any political concern, despite the occasional extraordinary paragraph.17 It still deserves to be read. The most damaging aspects of the Merovingian past, from the Bourbon point of view, however, were not apparent in 1744, when Louis vowed to rebuild Ste Geneviève. The full development of the notion that the forests of Tacitean Germany presented an ideal model of equality and liberty had yet to occur. This would be prompted most clearly by Montesquieu in books 30 and 31 of L’Esprit des Loix (published in 1748), and subsequently by Mably in his Observations sur l’histoire de France of 1765.18 Given Clovis’ importance in French history, not just to the Bourbons, but from the sixth century onwards, the church of Ste Geneviève presents a remarkable problem. Clovis’ church of the Holy Apostles had not only contained the body of Genovefa, but also that of the royal founder himself, and subsequently of his wife, Chrotechildis, or sainte Chlothilde in French tradition. All three were culted in the church: Geneviève on 3rd January, Clovis on 27th November, Chlothilde on 3rd June.19 In the eleventh century the community’s chief raison d’être had been to guard the tombs of these three figures.20 Supposedly Clovis’ body was brought from the crypt of Ste Geneviève at about this time.21 An effigy was subsequently made – in the eighteenth century le père Daniel recognised that the gisant was not contemporary with the monarch,22 and on stylistic grounds it is now dated to the 1220s. It was moved from the old church of Ste Geneviève to a museum in 1793 and in 1816 from there to St Denis, where is still remains.23 Despite this, it is odd that by the early modern period there was no known grave (as opposed to effigy) of Clovis or indeed (and perhaps more remarkably given her 16
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For Dubos, see in particular, Alfred Lombard, L’Abbé Du Bos. Un initiateur de la pensée moderne (1670–1742) (Paris 1913); see also Wood, The use and abuse. E.g. Abbé Jean-Baptiste Dubos, Histoire critique de l’établissement de la monarchie françoise dans les Gaules 3 (Amsterdam 1735) 252: “Ce droit sur les Provinces de son obéissance, qui est particulier à la Monarchie Françoise, est la cession authentique qui lui a éte faite de ces Provinces par l’Empire Romain, qui depuis près de six siecles les possedoit à titre de conquête. Elles ont été cédées à la Monarchie Françoise par un des successeurs de Jules César et d’Auguste, par un des successeurs de Tibere que Jesus-Christ lui-même reconnut pour Souverain légitime de la Judée, fur laquelle cependant cet Empereur n’avoit pas d’autres droits que ceux qu’il avoit sur les Gaules et sur une portion de la Germanie.” “This right over the subject provinces, which is peculiar to the French monarchy, is a genuine grant made of these provinces by the Roman Empire, which had held them for six centuries by right of conquest. They were ceded to the French monarchy by one of the successors of Julius Caesar and Augustus, or Tiberius, who Jesus Christ himself recognised as the legitimate governor of Judaea, over which he had exactly the same rights as over the Gauls and part of Germany.” On Montesquieu as the scholar who created this vision, Alfons Dopsch, The Economic and Social Foundations of European Civilization (London 1937) 4. Dubos, Histoire critique 3, 61–65. Michel Reulos, L’abbaye de Sainte-Geneviève sous les premiers Capétiens, in: Media in Francia … Recueil de mélanges offert à Karl Ferdinand Werner (Paris 1989) 403–408, at 406. Patrick Périn, La tombe de Clovis, in: Media in Francia… Recueil de mélanges offert à Karl Ferdinand Werner (Paris 1989) 363–378, at 373. See also Périn, The undiscovered grave of King Clovis I (†511), in: The Age of Sutton Hoo: the Seventh Century in North-Western Europe, ed. Martin Carver (Woodbridge 1992) 255–264. Daniel, Histoire de France 1, xliv. Périn, La tombe 373.
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saintly status) of Chlothilde. We are faced with the curious fact that there appears to have been an uninterrupted cult of Chlothilde and Clovis, at least since the eleventh century, and yet by the eighteenth century no one knew the whereabouts of their tombs. By comparison, the Merovingian burials at St Germain were accurately remembered.24 Patrick Périn attempted to solve the paradox by arguing that the destruction of the royal tombs of Ste Geneviève may have taken place during one of the Viking sieges of Paris – an argument which makes sense, but which depends on rejecting the tradition that Clovis’ body was moved from the crypt in the eleventh century. The best that one can say is that, however much Clovis and Chlothilde were seen as the founders of the French monarchy, their graves, far from being lieux de mémoire, had strangely become places of oblivion – and this even before the Revolution. Despite his desire to present himself as the new Clovis, nothing suggests that Louis XV intended to initiate a search for the body of the Merovingian king and queen and to translate their bodies to the new shrine of Geneviève. That task would be left for Napoléon, who ordered a search for the royal tombs in 1807, during the course of the destruction of the old church of Ste Geneviève.25 One might wonder what Napoléon would have done with the relics of the founders of the French monarchy. He had already made allusion to Clovis’ father Childeric and to Charlemagne in the robes designed for his coronation of 1804.26 Nor was the whereabouts of Clovis’ grave the only oddity surrounding the commemoration of the king at Ste Geneviève. The church commemorated its royal founder in a liturgy, which Dubos transcribed, but the prayers intriguingly concern not just the king, but also a strange queen called Blanche: Prop. Eccl. S. Genov.: Deus indulgentiarum Domine, da famulo regi Clodoveo, famulae tuae reginae Blanchae, et famulis tuis quorum depositionis anniversarium diem commemoramus, refrigii sedem, quietis beatitudinem et luminis claritatem. Per Dominum, etc. Secreta: Propitiare, Domine, supplicationibus nostris pro famulo tuo rege Clodoveo, et famula tua regina Blancha, et famulis tuis quorum hodie annua dies agitur, pro quibus tibi offerimus sacrificium laudis, ut eos sanctorum tuorum consortio sociare digneris. Per Dominum, etc. Postcommunio: Praesta, quaesumus, Domine, ut famulus tuus rex Clodoveus, Regina Blancha et famuli tui quorum depositionis anniversarium diem commemoramus, his purgati sacrificiis, indulgentiam pariter et requiem capiant sempiternam. Per, etc.27 Who was this ghostly Blanche? Clearly she could not be Chlothilde, who had her own liturgy. Dubos hypothesised that she must have been Albofledis, a sister of Clovis who is recorded as being baptised at the same time as her brother,28 and whose death is recorded in a letter of Bishop Remigius of Rheims to the king.29 Dubos made the identification on the grounds of the name, part of which could be translated as white. Remigius’ letter makes it abundantly clear that her death deeply affected her brother, and burial in his new church of the Holy Apostles would not have been inappropriate. Had the community of Ste Geneviève preserved some memory of Clovis’ family, only for the meaning of that memory to be lost? The major shrine in the church was, of course, that of Geneviève herself, whose memory had not been lost, although it had been transformed since the Early Middle Ages. Her relics had regularly been paraded round the 24 25
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Périn, La tombe 371. See for example Daniel, Histoire de France 1, 359. Périn, La tombe 375. For the search for Clovis’ body under Napoléon III, see Heino Neumayer, Geschichte der archäologischen Erforschung der Franken in Frankreich, in: Die Franken. Wegbereiter Europas 1 (Mainz 1996) 40, with illustration on 41. See Neumayer, Geschichte 35f. The importance of the Childeric grave in diplomatic relations is extensively documented by Dubos, Histoire critique 2, 302–305 The text is preserved in Dubos, Histoire critique 3, 61: “Lord God of indulgences, give to your servant king Clovis, and your handmaid queen Blanche, and to your servants, whom we commemorate on the day of the anniversaries of their burial, a place of consolation, the blessedness of rest and the clarity of light. Through the Lord, etc.” “Be favourable, Lord, to our supplications for your servant, king Clovis, and your handmaid, queen Blanche, and to your servants, whose annual day is celebrated today, for whom we offer to you the sacrifice of praise, that you may deign to associate them in the family of your saints. Through the Lord, etc.” “Grant, we ask, Lord, that your servant, king Clovis, queen Blanche, and your servants, the anniversary of whose day of burial we commemorate, that having been purged by these sacrifices, they may receive indulgence and likewise eternal rest. Through, etc.” Gregory of Tours, Decem Libri Historiarium II, 31 (ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rerum Merovingicarum 1, 1, Hannover 1951) 77. Epistulae Austrasiacae 1 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epistulae 3, Berlin 1892).
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city of Paris, to provide protection on numerous occasions from the Middle Ages, right up to 1725, and they were unveiled as late as 1784.30 They were translated to Louis’ new church, where they remained until 1792, when they were transferred to the neighbouring church of St Étienne du Mont, following the transformation of the Panthéon into a revolutionary monument.31 A year later they would be destroyed. These last onslaughts against the saint were not universally popular. Geneviève was, after all, widely revered. Even Voltaire had been somewhat ambivalent about her, calling her the good Gauloise, “my shepherdess” and “my own virgin”.32 Among the arguments put forward to defend her cult was the supposed (but unquestionably erroneous) fact that she was a humble peasant, whom Clovis had honoured by building a great church. Her church was, therefore, already a revolutionary symbol, or so it was claimed.33 The notion that Genovefa was a peasant is not present in her early vitae, where her connections are with the Roman upper classes of the region.34 Nevertheless it had become firmly rooted, and remains so. The origins of the idea seem to lie with a conflation of the historical roles of Genovefa and Jeanne d’Arc, which is already apparent in the fifteenth-century miracle play, “Les Miracles de Ste Geneviève”.35 At least according to her hagiographers, Genovefa played a major role in the organisation of Paris during sieges by both the Huns and by the Franks. She was, therefore, an appropriate saint to call on when the country was under threat. Her relics had been taken in procession in opposition to the English and the Burgundians in 1417 and 1418. It is easy, therefore, to see how Jeanne might be interpreted as a new Geneviève. But aspects of Jeanne’s persona also rubbed off on the older saint. Geneviève is explicitly presented as a shepherdess in a poem written in 1512 by Pierre du Pont.36 Philippe de Champagne subsequently depicted her in such a guise. The social origins of Jeanne thus seem to have been attributed to Geneviève. Although the representation of Geneviève as a shepherdess was condemned as inaccurate by Valesius, or Adrien de Valois, in 1694,37 the image stuck. It is a vital element of the pictorial sequence commissioned by Philippe, marquis de Chennevières, directeur des Beaux Arts, in 1874, which still dominates the interior of the Panthéon. Not only is Geneviève portrayed as a shepherdess, but her story is juxtaposed with that of Jeanne. The triumph of the image of Geneviève as a French peasant did nothing to save her relics. A year after they had been transferred to St Étienne du Mont, the new shrine was dismantled, the relics were tried, found guilty and publicly burned.38 The shrine itself was reconstructed in 1803, and relics gathered from elsewhere were installed.39 These imported remains of the saint are still revered in St Étienne du Mont. Meanwhile much of the original decoration of the Panthéon, which had included three bas-reliefs of scenes from the life of Geneviève, was destroyed. Religious iconography, however, was reinstituted when Napoléon returned Soufflot’s building to catholic cult in 1806. A new painting for the cupola was designed in 1812.40 It was to show “une gloire d’anges emportant au ciel la châsse de sainte Geneviève, Clovis et Chlothilde, son épouse, foundateurs de l’Église, Charlemagne, Saint Louis, S[a].M[ajesté]. l’Empereur [Napoléon] et S[a].M[ajesté]. l’Impératrice consacrant la nouvelle église au culte de la sainte.”41 Clearly Napoléon was intent on exploiting early medieval history just as much as Louis XV had intended. The design for the cupola may provide an indication of how the relics of Clovis and Chlothilde would have been exploited had they been discovered in the explorations 30 31 32 33 34
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Sluhovsky, Patroness of Paris 217–222 for lists of processions, supplications and unveilings. Sluhovsky, Patroness of Paris 207. Souvenirs de la Marquise de Créquy, 7 vols (Paris, 1834–5), vol. 2, 130, cited in Sluhovsky, Patroness of Paris 206. Sluhovsky, Patroness of Paris 205. For the text of the earliest Vita Genovefae (ed. Bruno Krusch, MGH SS rerum Merovingicarum 3, Hannover 1896). For a discussion of all the early vitae of Genovefa, Martin Heinzelmann and Joseph-Claude Poulin, Les Vies anciennes de sainte Geneviève de Paris, Bibliothèque de l’École des Hautes Études, IVe section, Sciences historiques et philologiques 329 (Paris 1986). Her family background is discussed on 81–86. Sluhovsky, Patroness of Paris 48. Sluhovsky, Patroness of Paris 52. Sluhovsky, Patroness of Paris 52, n. 58. Sluhovsky, Patroness of Paris 207. Sluhovsky, Patroness of Paris 208. François Macé de Lépinay, Peintures et sculptures du Panthéon (Paris 1997) 27f. “A glorious apparition of angels carrying heavenwards the reliquary of saint Geneviève, Clovis, Chlothilde, his wife, founders of the church, Charlemagne, saint Louis, his majesty the emperor and her majesty the empress consecrating the new church to the cult of the saint.”
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of 1807. But the new iconography did not confine itself to making a connection between Napoléon and his empress, and Geneviève, Clovis and Chlothilde. There were the additional role models of Charlemagne and Saint Louis – both of whom would reappear in the commissions of de Chennevières. In the event the cupola painting was not complete before the fall of Napoléon, and as a result images of Louis XVIII, the duchesse d’Angoulême and the duc de Bordeaux took the place of those of emperor and empress. The major iconographic programmes representing Geneviève, however, are those of the late nineteenth century. Already under Napoléon III two large sculptures of “Saint Geneviève disarming Attila with the power of prayer and saving the city of Paris” and “Clovis baptised by Saint Remigius”, by Étienne-Hippolyte Maindron were placed in the peristyle. They were part of the decoration commissioned by Constant Dufeux, following the return of the building to catholic cult in 1851.42 But it was the scheme commissioned by de Chennevières in 1874 that was most important.43 Not all these commissions were related to the life of Geneviève: the scheme is more generally concerned with key aspects of the religious history of France. Charlemagne and St Louis were represented, both of whom had already appeared in the cupola painting. In addition there was Jeanne d’Arc, as well as St Denis – though the martyr’s presence could also be justified by the role supposedly played by Geneviève in the propagation of his cult. So too, the battle of Tolbiac, as it was and is known, almost certainly wrongly,44 and the baptism of Clovis could be justified on the grounds of the Merovingian’s connection with the saint and her burial. In terms of scenes specifically relating to the life of Geneviève herself, there are images of her childhood and meeting with Germanus of Auxerre, and her life as a shepherdess: Attila’s siege and Geneviève’s calming of the people of Paris: her watching over the besieged city, and her death. Ozouf states simply that the paintings in Ste Geneviève contradicted the revolutionary heritage of the monument, and she explicitly contrasts the revolutionaries’ penchant for statuary with the ecclesiastical preference for painting: “l’idole révolutionnaire, c’est la statue, et non le tableau (le programme de peintures exécuté au Panthéon contredit plus qu’il ne l’exprime l’héritage révolutionnaire).”45 Indeed, she goes further, to say that “Le visiteur pressé du Panthéon garde, même globalement, le sentiment que la sculpture y est révolutionnaire et la peinture chrétienne.”46 The observation, however, needs some modification in the light of Maindron’s sculptures of Geneviève and Clovis, which were only removed from the peristyle in 197047 – itself another moment of erasure. As for the paintings themselves, the context in which they were originally commissioned by de Chennevières in 1874 was a very specific one, and it suggests that more than a debate about the religious and republican past of the building was at stake. Only three years earlier, during the winter of 1870–1, Paris had been besieged by the Prussian army. It can scarcely be doubted that this fact influenced the artists who depicted the scenes of the siege of Paris by the Huns and the Franks – not to mention Jules-Eugène Lenepveu’s portrayal of Jeanne d’Arc at Orléans. The terrifying image of Attila by Jules-Élie Delaunay was surely intended to call to mind the invading Germans. By contrast, Clovis as depicted by Paul-Joseph Blanc, in his representation of the king’s baptism, has been transformed into a Gaul with a long blond moustache – and thus de-Germanised.48 One might compare the statue of Vercingetorix which had recently been commissioned by Napoléon III for the site of Alesia.49 But just as one should not interpret the Panthéon paintings merely as anti-revolutionary, it would be wrong to think of them as no more than crude responses to the Franco-Prussian War. The dramatic portrayal 42 43
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Lebeurre, The Pantheon 33–34. Philippe de Chennevières, ‘Le Panthéon’, in: Inventaire général des richesses artistiques de la France, Paris, Monuments civils II (Paris 1889). There is nothing to suggest that the Battle of Tolbiac/Zülpich mentioned by Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum II, 37, ed. Krusch/Levison 87f. is the same as the battle at which Clovis defeated the Alamans (II, 30, ed. Krusch/Levison 75). Ozouf, Le Panthéon 154: “the revolutionary idol is the statue and not the painting (the programme of paintings executed in the Panthéon contradicts more than it expresses the revolutionary heritage).” Ozouf, Le Panthéon 165, n. 32: “the hurried visitor to the Panthéon retains the overall impression that the sculpture there is revolutionary and the painting christian.” Lebeurre, The Pantheon 33–34. For a very different reading of the painting, see Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization (Oxford 2005) 177. For a reproduction, see Lothar Mark, Eine Geschichte – zwei Geschichten, in: Die Franken, Wegbereiter Europas 1 (Mainz 1996) 6, for an illustration see 4.
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by the Panthéon artists of the Merovingian period, indeed of the Middle Ages in general, reflected a serious intellectual reading of the past: notably that of Augustin Thierry. Thierry had been the most eye-catching French historian of the Middle Ages writing in the first half of the nineteenth century. In many respects his reading of Merovingian history was a deformation of the position taken by De Boulainvilliers, as adapted by Montesquieu and Mably: the Franks were brutal invaders who subjugated the indigenous Gallo-Roman population, with the result that the ordinary people of Gaul lived in a state of permanent oppression. One reason for Thierry’s success was his decision to write ‘faction’ – fictional accounts of the early Merovingian period, which stuck as close as possible to the original sources, while attempting to emulate the vividness of Sir Walter Scott’s romances. Thierry’s “Récits des temps mérovingiens”, which began to appear in 1829, and were collected together in 1840, were an enormous popular success, both in France and England (and indeed the United States), being translated into English in 1845. But they also boast a very considerable critical apparatus of footnotes. The “Récits” revolve around a series of character sketches: “Fredegonde, the ideal of elementary barbarism, without consciousness of right or wrong; Hilperik, the man of barbaric race, who acquires the tastes of civilization, and becomes polished outwardly without any deeper reformation; Mummolus, the civilized man who becomes a barbarian, and corrupts himself in order to belong to his age; Gregory of Tours, the man of a former epoch, but one better than the present, which oppresses him, the faithful echo of the regrets which expiring civilization calls up in some elevated minds.”50 It is not difficult to detect the influence of this dramatic and highly individualised approach to Merovingian history in most of the paintings of the Panthéon. It, therefore, comes as no surprise that Jean-Paul Laurens, who was responsible for the intensely dramatic depiction of the death of Geneviève on the south wall of the choir, illustrated the deluxe editions of the “Récits mérovingiens” of 1882 and 1887.51 Augustin Thierry has nothing to say about Geneviève in his “Récits mérovingiens”, but his brother, Amédée, dealt briefly with the history of the saint in his “Histoire d’Attila et de ses successeurs”,52 first published in 1856, and reprinted in 1864, 1865, 1872 and 1874, the very year in which many of the Panthéon paintings were commissioned. Interestingly, he went out of his way to compare Geneviève with Jeanne d’Arc53 – a comparison which can also be found in the Panthéon. It should also be noted that Amédée was wholly aware of the importance of historical commemoration: in 1857 he was consulted by Napoléon III on the exact site of the bataille de Châlons, or the Catalaunian Plains, where Attila was defeated.54 Amédée eschewed the ‘factional’ approach of his brother, though the Byzantine historian Priscus provided him with a description of Attila and his court which was every bit as lively as any historical novel.55 For his account of Attila’s campaign in Gaul, Amédée Thierry had to turn instead to Jordanes, and more importantly to a series of hagiographical accounts, among them the “Vita Genovefae”, which allowed him to provide a dramatic description of the siege of Paris.56 This may well have been the main inspiration for Delaunay’s depiction of the event in the Panthéon. One of the artists of the Panthéon paintings, however, stands apart: Pierre Puvis de Chavannes, who was responsible for the depictions of the childhood of Geneviève, her meeting with saint Germanus, and her activity during one of the sieges of Paris. By contrast with the dramatic, even melodramatic, images of Blanc, Delaunay and Laurens, Puvis’ vision is one of remarkable tranquility and calm. In discussing the distinction between Puvis’ works and those of his fellow artists, particularly with Delaunay’s portrayal of Geneviève’s calming of the people of Paris during Attila’s siege of the city, it has been pointed out that while Delaunay’s work was commissioned in 1874, Puvis’ paintings of Paris under siege were only commissioned in 1889, after an initial commission to the artist Meissonier had fallen through.57 It has, therefore, been argued that Puvis’ paintings of the besieged city no longer reflected the turmoil of the period immediately following the Franco-Prussian War. However, tranquility is a hall-mark of all Puvis’ designs for the Panthéon, including those of the childhood of 50 51
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Augustin Thierry, The Historical Essays (Philadelphia 1845) 111. Alexander Callander Murray, Gregory of Tours, The Merovingians (Peterborough, Ontario 2005) xxvii–xxviii. A number of Laurens’ illustrations are reproduced in the volume. Amédée Thierry, Histoire d’Attila et de ses successeurs, 5th edn. 1 (Paris 1874) 145–151. Thierry, Histoire d’Attila 1, 149. Thierry, Histoire d’Attila 1, 428–437. Thierry, Histoire d’Attila 1, 60–120. Thierry, Histoire d’Attila 1, 145–151. De Lépinay, Peintures 42.
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Geneviève which was among those commissioned in 1874. Of course, the saint’s childhood does not cry out for dramatic representation as does an image of a war-torn city. Even so, the fact that all Puvis’ paintings for the Panthéon stand out as different from those of his fellow artists demands some more complex explanation. One factor that should perhaps be taken into account is the question of which siege of Paris is being represented by Puvis. The Delaunay image of Geneviève calming the besieged Parisians is juxtaposed with a portrayal of Attila’s army: there can be little doubt that it was the Hunnic siege that he was painting. But the saint was involved in a second siege, by the Franks. A priori it is unlikely that Puvis was merely offering his own interpretation of the scene already painted by Delaunay. The descriptions of Puvis’ painting are not explicit as to which of the two sieges was intended, saying merely “Ardente dans sa foi et sa charité Geneviève que les plus grands périls n’ont pu détourner de sa tâche ravitaille Paris assiégé et menacé de la famine”, and “Geneviève soutenue par sa pieuse sollicitude veille sur la ville endormie.”58 In fact the reference to supplying the starving city with food may seem to suggest that Puvis was portraying the Frankish siege of Paris. Certainly the “Vita Genovefae” has more to say about starvation in the latter crisis.59 In which case one might want to see the calm of Puvis’ paintings of the siege as performing the same task as Blanc’s baptism of Clovis: the Franks, as opposed to the Huns, were to be portrayed in as sympathetic a manner as possible – their siege of Paris should therefore be presented as a tranquil affair. The scene of Geneviève’s vigil over the sleeping city may, however, tap as deeply into the Parisian experience as do the paintings of Blanc, Delaunay, Laurens and the other painters who worked on the Panthéon. Perhaps more so. The image of the saint in the city under siege was bound to have resonances for anyone who had lived in Paris through the winter of 1870–1. Puvis had stayed within the city throughout the siege: he had even painted two of the most iconic images of the siege years: “Le Ballon” and “Le Pigeon”.60 The former has as an inscription on the frame “La Ville de Paris Investie Confie à l’Air Son Appel à la France” ;61 the latter has “Echappé à la Serre Ennemie, le Message Attendu Exalte le Cœur de la Fière Cité”.62 For all their allegorical style, these pictures both present images of a real war-torn city, with recognisable representation of its fortifications: “Le Pigeon” commemorates the use of carrier pigeons during the siege, while “Le Ballon” alludes to a specific event: the departure of Gambetta from Paris by balloon.63 The image of Geneviève’s vigil, which echoes those of “Le Ballon” and “Le Pigeon”, of course, lacks any precise observation of the modern city. Yet Puvis may have put more of his experience of the siege into the picture than is at first apparent. Perhaps the most extraordinary aspect of the painting is its representation of a moonlit night. One wonders if the artist here was trying to recapture Paris without street-lighting – for the city had become famous for its gas-lights and both the installation and the absence of lighting during the siege were matters that struck contemporaries.64 On the other hand Puvis, like Jean-Paul Laurens in his painting of the death of Geneviève, was also very deliberately trying to present a historically accurate image of fifth-century Gaul. But whereas Laurens looked back to Thierry (who, despite his ‘factional’ approach was determined to present the past as accurately as he could), Puvis seems to have been drawing on the latest in historical scholarship: on the interpretations of Numa Denis Fustel de Coulanges. Fustel was a stickler for accuracy in his own scholarship, which he saw as scientific. This might have left him opposed to artistic representations of the past. On the contrary: he even exhorted the painters of his day to paint “la race gallo-romaine au travail, occupée à tisser, à bâtir les villes, à élever des temples, à étudier le droit, à mener de front les labeurs et les jouissances de la paix.”65 Puvis had already responded to such ideas in a number of commissions, among them his painting of “Marseille colonie Grecque”. Moreover Fustel had a strong sense of patriotism: “Le véritable patriotisme n’est pas l’amour du sol, 58
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De Lépinay, Peintures 42: “Ardent in her faith and charity, Geneviève, who could not be diverted from her task by great dangers, provided food for Paris, besieged and menaced with famine”; “Geneviève, sustained by her pious concern, looks over the sleeping city.” Attila’s siege is described in Vita Genovefae, ed. Krusch 12–13; that of the Franks, 35–40. Hollis Clayson, Paris in Despair. Art and Everyday Life under Siege (1870–71) (Chicago 2002) 144–62. “The town of Paris under siege commits to the air her call to France.” “Escaped from the enemy talon, the expected message exalts the heart of the proud city.” Clayson, Paris in Despair 160. Clayson, Paris in Despair 51–54. Aimée Brown Price, Pierre Puvis de Chavannes, Catalogue, Van Gogh Museum, Amsterdam (Zwolle 1994) 17 (with notes p. 26): “the Gallo-Roman race at work, busy weaving, building towns, erecting temples, studying law, experiencing at once the labours and pleasures of peace.”
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c’est l’amour du passé, c’est le respect pour les générations qui nous ont précédés.”66 This patriotism is most apparent in a scathing public attack on the great classical scholar Theodor Mommsen, who in the course of the Franco-Prussian War wrote three open letters to the Italian people, urging them to support German claims to Alsace.67 Fustel, who was Professor in Strasbourg until the summer of 1870, naturally had extremely strong feelings about Alsace being French. In the summer of 1870 he moved to Paris, where he had been appointed Professor at the Sorbonne. As a result he endured the Prussian siege from within the city walls. It is scarcely surprising that the question of the history of Merovingian and Carolingian Francia – with all the questions that they raised for the relations between Germans and Gauls – came to dominate the last years of his life. Interestingly he reacted by arguing for remarkable assimilation between Franks and Gallo-Romans.68 Fustel’s reading of the past was very unlike that which had dominated French historiography from the 1790s onwards. He was first and foremost an ancient historian: for many his magnum opus is “La cité antique” of 1864. He, therefore, came to the sources for the early Merovingians with all the skills and knowledge of a classicist. In evaluating the evidence for the Germanic peoples of the Late and post-Roman periods, he was much struck by the fact that Tacitus’ Germania was largely irrelevant.69 Almost every aspect of early Frankish social history could be paralleled in the Roman world.70 He, therefore, attributed relatively little to the Franks: certainly not a new sense of liberty or, conversely, a new type of monarchical power. And he lampooned what he regarded as the non-scientific Germanist tradition.71 Overall his stance was a good deal closer to that of Dubos than it was to Mably and Montesquieu. But whereas Dubos saw the creation of the Merovingian kingdom in political terms, Fustel, as one might expect from the teacher of Durkheim, was more interested in the workings of society. Despite its novelty, Fustel’s reading seems to have been absorbed by Puvis, if not by the other artists employed to work on the Panthéon by Chennevières. According to her hagiographers Genovefa was involved in saving her city from both the Huns and the Franks,72 and eighteenth-century historians had commented on the Frankish siege of the city – more so perhaps than have any of their modern counterparts.73 Fustel paused to say a little about the siege, albeit to downgrade its importance.74 Faced with the reality of German brutality evident in the Franco-Prussian War, he was careful to make a distinction between the relations of Franks and Gallo-Romans and the conflicts of his own day: “Ces violentes et aveugles haines qui remplissent aujourd’hui le cœur du Germain étaient inconnues à ces ancêtres. Pour les Germains d’alors, ‘l’ennemi héréditaire’, c’est le Germain.”75 In the Panthéon one does not see Franks fighting Gallo-Romans: the Franks fight the Alamans, and the violent threat posed to Paris is that of the Huns. Puvis would seem to have been inspired by Fustel. But even Blanc, Delaunay and Laurens, in their dependence on the vision of Thierry, were responding to serious historical scholarship. In place of the monarchic use of the Merovingian past, as envisaged by Louis XV, the Panthéon of the period after 1874 looked back on Geneviève, and even on Attila, Chlothilde and Clovis, in a different way. Concerns about the origins of the 66
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Brown Price, Pierre Puvis de Chavannes 17 (with notes p. 26): “True patriotism isn’t love of soil, it is love of the past, it is respect for the generations that have preceded us.” Numa Denis Fustel de Coulanges, L’Alsace est-elle allemande ou française (Paris 1870). See François Hartog, Le XIXe siècle et l’histoire, Le cas Fustel de Coulanges, (Paris ²2001) 59–60. For a discussion of Mommsen’s letters, see Patrick Geary, Historians as public individuals, The Reuter Lecture 2006 (Southampton 2007). Mommsen’s letters are reprinted with commentary by Gianfranco Liberati in Quaderni di Storia 2, 4 (1976), 197–247. The absence of rancour in Fustel’s scholarship is noted by Dopsch, The Economic and Social Foundations 21. Numa Denis Fustel de Coulanges, Histoire des Institutions Politiques de l’ancienne France 2: L’Invasion Germanique et la Fin de l’Empire, ed. Camille Jullian (Paris 1891) 226–302. Numa Denis Fustel de Coulanges, Histoire des Institutions Politiques de l’ancienne France 3: La Monarchie Franque (Paris 61930) 55, 354, 479, 640: for social aspects that he did see as Germanic, see 87, 138, 147. Most notably in De la manière d’écrire l’histoire en France et en Allemagne, in: Revue des Deux Mondes (1st September 1872) 241–51. Vita Genovefae, ed. Kursch 12–13, 35–40. Dubos, Histoire critique 3, 473, with vol. 1, 516. Fustel de Coulanges, L’Invasion Germanique et la Fin de l’Empire 492. Fustel de Coulanges, L’Invasion Germanique et la Fin de l’Empire 322: “The violent and blind hatreds which today fill the heart of the German were unknown to their ancestors. For the German of those days the hereditary enemy was the German. ”
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monarchy, and of the power of the aristocracy, had gone, at least in the circle of Fustel. The question of Frank versus Gallo-Roman, which had been of such importance to De Boulainvilliers and also – in terms of the liberty of Germania – to Montesquieu and Mably is largely absent from the decorations of the Panthéon, though it could have been highlighted had de Chennevières and his artists so desired. Thus, while there was still piety and patriotism, neither were exactly what they had been. Equally important, there was also a desire to underpin those emotions by reconstructing a realistic image of the Gallo-Roman society as far as was possible. The artists working in the Panthéon, therefore, offered an up-to-date reading of the late Roman and Merovingian past, even though it was one which echoed their own concerns. Blanc transforms Clovis from a German into a Gaul, while Puvis presents the period of the barbarian invasions as one of Gallo-Roman continuity, much as Fustel was doing. The history of the Panthéon and its paintings thus cannot be separated from the cult of the Geneviève, Chlothilde and Clovis, nor from the eighteenth- and nineteenth-century historiography of the Middle Ages, any more than from the circumstances in which it was erected and decorated. The images commissioned by the marquis de Chennevières may not be as obviously relevant to the history of modern France as the issues privileged by Ozouf in her reading of the Panthéon. They do, however, deserve to be remembered: they belong to a series of important debates about past and present which went on throughout the eighteenth and nineteenth centuries. In Ozouf’s terms, they impinge on the question of “pourquoi et comment la Révolution française s’en empare et l’insert en un lieu.”76 They demonstrate clearly that the Early Middle Ages should not be left out of modern history – and indeed that we should not ignore modern history when we read interpretations of the distant past.
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Ozouf, Le Panthéon 141: “why and how the French Revolution took hold of and fitted into a place.”
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Histrionic history, demanding drama: The penance of Louis the Pious in 833, memory, and emplotment1 For a peg, unless it is very strong and attached to something stronger than itself, quickly falls with everything hanging upon it. – Hincmar of Reims, De ordine palatii On the feast day of Saint John the Baptist, June 24th, in the year 833, Emperor Louis the Pious readied himself for battle against a terrible foe. Amassed in the distance stood an armed coalition led by his three elder sons, Pope Gregory IV, and part of the Frankish clergy. Dismayed over what they alleged was Louis’s negligence and increasing misconduct, his sons Lothar, Pippin, and Louis the German had for years sought to preserve their grandfather Charlemagne’s great empire of western Europe through more peaceful means. Yet because all their entreaties had failed to make Louis aware of his many sins, ill feelings only continued to escalate. Now the two factions found themselves squared for battle upon a ferrous red plain aptly – and in the present context, ominously – called the Rotfeld. It appeared that the familial dispute would be settled by nothing less than civil war. Unfortunately for Louis, this precarious stalemate was soon resolved neither by battle nor by diplomacy, but by treachery. One night, during the week-long course of negotiations on the russet plain, most of the emperor’s sworn fideles furtively abandoned his camp. Bereft of support, Louis dispatched his sole term of surrender: that his young wife, Judith, and youngest son, the ten-year-old Charles, remain unharmed. His captors readily complied and spirited Louis away from the Rotfeld – known shortly thereafter as the campus mentitus, the Field of Lies – to the city of Soissons, where he was left under strict custody.2 Three months later, following a summer of game-hunting, Lothar met with a great assembly of secular and ecclesiastical dignitaries, led by the archbishop Ebbo of Reims. After much discussion, the group moved within the abbey church of Saint-Médard in Soissons, gathering there with a large number of the general populace. Soon the captive emperor came forward. Prostrating himself on a haircloth before the altar, Louis confessed in tears to a whole host of crimes and referred to himself as nothing less than a violator of divine and human laws. He had scandalized the church, forsaken oaths, and compelled his people to do the same, he admitted, and now was seeking absolution for these and still other misdeeds through the performance of a public penance. Divesting himself of his noble raiment, the contrite emperor then assumed both the humble garb and status of a penitent. Henceforth, Louis was excluded from those martial activities that defined a Frankish warlord and king. He had forsaken them for a life of penance and prayer, with the hope that he might still win salvation, both for himself and his people. Or so ends the episcopal narrative of the proceedings at Saint-Médard in October of 833.3 Yet, despite its tidy conclusion as scripted by the attendant bishops, the story of Louis’s abandonment, 1
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I am grateful to the following individuals for their generous suggestions and advice: Kevin Attell, Alejandra Bronfman, Jason Glenn, Clementine Oliver, Paige Raibmon, Jay Rubenstein, Eugene Sheppard, and Mark Vessey. Many contemporary sources provide an account of this event. See Johann Friedrich Böhmer/Engelbert Mühlbacher, Regesta Imperii 1. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern, 751–918 (Innsbruck 21908; repr. Hildesheim 1966) 366–368; and Bernhard von Simson, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Ludwig dem Frommen 2 (Leipzig 1876) 45–54. The best modern discussion remains Thomas F. X. Noble, Louis the Pious and the Papacy: Law, Politics and the Theory of Empire in the Early Ninth Century (Ph.D. dissertation, Michigan State University 1974) 321–352. Episcoporum de poenitentia, quam Hludowicus imperator professus est, relatio Compendiensis (ed. Alfred Boretius/Victor Krause, MGH Capitularia regum Francorum 2, Hannover 1897) 51–55; and Agobard of Lyon, Cartula de Ludovici imperatoris poenitentia (ed. Lieven van Acker, CCCM 52, Turnhout 1981) 323–324.
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penance, and abdication was far from over. On the contrary, the contest over establishing the “correct” tale of 833 had only just begun.4 At an address to his fellow savants in 1863, Auguste Ingold argued that the events of 833 had, “without doubt, deeply captured the imagination” of contemporary witnesses.5 Over the course of a millennium, he explained, it was the intense memory of the betrayal of Louis the Pious on the Rotfeld that, in particular, had been passed down among the local populace of the site from generation to generation, appearing during his own day in the blurred form of legends and vague traditions. Most striking in this regard was the toponym of a field not far from the Alsatian town of Cernay, a place that, as Ingold pointed out, was believed by many to be the actual “Field of Lies” itself. Called “Der Lügner”, The Liar, its very name still evoked the infamy of the event.6 Moreover, noted Ingold, on the neighboring heath of Ochsenfeld local legend had it that a terrible crime once occurred, one so heinous that even the land itself had cried out for vengeance from heaven. God, in His just anger, said the tale, had responded to this terrestrial appeal by cleaving the bowels of the earth and hurling those who were culpable into its foul depths. For centuries, the guilty – entire battalions of men, clad in iron – slumbered in the vast caverns beneath the plain. But occasionally, at certain hours of the night, these same ancient warriors awoke, rose to the surface, and toured the stretches of the Ochsenfeld, led at their vanguard by a certain “Prince Charles”. Those travelers unlucky enough to have chanced upon this phantom army, Ingold reported, told of being overcome by their plaintive cries of despair – macabre laments that ceased only upon reaching the outskirts of the haunted plain.7 Other manifestations of this same legend, continued Ingold, could also be found within various local traditions. For instance, when a man passed from life to death in the region, he was said “to have gone to join the soldiers of Prince Charles.” Similarly, the people of the nearby town of Cernay were, according to an ancient, popular nickname, themselves known as the “Ochsenfeld-Ritter”, the knights of Ochsenfeld. In 1852, little more than a decade before Ingold’s lecture, a laborer was digging a reservoir for the local mills and happened to unearth the remains of some ancient weapons. A rumor immediately ran through the surrounding countryside that it was the “armor of Prince Charles” which had just been discovered.8 Interpreting these strange vestiges of the past, Ingold suggested that the legend of Prince Charles and his phantom army was an imaginative way of accounting for Louis the Pious’s abandonment by his men in the middle of the night. How to explain the fact that on that fateful June evening in 833 there had been two armies, while the next day there had only been one? Evidently the local populace believed that God Himself had joined the struggle, explained Ingold, and cast into the earth those men who were in the process of breaking their sworn oaths of fidelity 4
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For a full catalog of contemporary sources documenting the penance, see Böhmer/Mühlbacher, Regesta Imperii 1, 369–371; and Simson, Jahrbücher 2, 63–78. The most important modern analyses are Louis Halphen, La pénitence de Louis le Pieux à Saint Médard de Soissons, in: Bibliothèque de la Faculté des Lettres de Paris XVIII, troisièmes mélanges d’histoire du Moyen Age (Paris 1904) 177–185; reprinted in: id., A travers l’histoire du Moyen Age (Paris 1950) 58–66; Henri-Xavier Arquillière, L’Augustinisme politique: Essai sur la formation des théories politiques du Moyen-Age (Paris 21955) 170–189; Walter Ullmann, Ecclesiology and Carolingian rulership, in: id., The Carolingian Renaissance and the Idea of Kingship (London 1969) 43–70, especially 64–70; Edward Peters, The Shadow King: Rex Inutilis in Medieval Law and Literature, 751–1327 (New Haven 1970) 30–80; Konrad Bund, Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter (Bonn 1979) 405–423; Mayke de Jong, Power and humility in Carolingian society: The public penance of Louis the Pious, in: Early Medieval Europe 1 (1992) 29–52; and ead., Sacrum palatium et ecclesia. L’autorité religieuse royale sous les Carolingiens (790–840), in: Annales: Histoire, Sciences Sociales 58 (2003) 1243–1269. See also Courtney M. Booker, Writing a Wrong: The Divestiture of Louis the Pious (833) and the Decline of the Carolingians (Ph.D. dissertation, University of California, Los Angeles 2002). “Les scènes auxquelles le peuple venait d’assister ont sans doute vivement frappé son imagination.” Auguste-Marie-Pierre Ingold, L’Ochsenfeld: Ses antiquités, ses traditions, in: Bulletin de la société pour la conservation des monuments historiques d’Alsace, second series, 1 (1863) 138–143, at 142. See the art. Ingold, Auguste-Marie-Pierre, in: Dictionnaire de biographie française 18, ed. Michel Prévost et al. (Paris 1994) 171–172. Ingold, L’Ochsenfeld 141. See also Georg Pertz’s comment in his edition of the Annales Bertiniani: Annales Bertiniani a. 833 (ed. Georg H. Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 419–515, at 426 note 13; Johann Daniel Schöpflin, L’Alsace illustrée, trans. Louis-Waldemar Ravenèz 3 (1751; Paris 1849–1852; reprinted 1974) 320–323; X. Boyer, Le champ du mensonge: An 833, in: Revue d’Alsace, second series, 13 (1862) 49–108; and Camille Oberreiner, Le champ du mensonge, in: Revue d’Alsace, second series, 56 (1905) 345–349. Ingold, L’Ochsenfeld 142. See also Gabriel Gravier, Légendes d’Alsace 1 (Belfort 1986) 69–72. Ingold, L’Ochsenfeld 143. Georges Duby, The Legend of Bouvines: War, Religion, and Culture in the Middle Ages, trans. Catherine Tihanyi (1973; Berkeley 1990) 171, would make similar observations regarding the infamous Battle of Bouvines: “confused memories of massacres, of dead heroes, associated with ... some ‘rusted old metal’ debris which surfaced on major ploughing days. These are the vague and tattered remnants of memories which are always drifting over the theaters of ancient battles.”
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by furtively abandoning their lord, Louis. Behold, in the morning there was now but one (much larger) army – that of the sons. All those faithful to Louis had disappeared! Moreover, continued Ingold, because the young Prince Charles (known later as Charles “the Bald”) had caused the discord between his father and his half brothers in the first place – the need for a kingdom of his own had ultimately led his father to confront his elder brothers on the Rotfeld – it was this same Charles who was forever damned to lead the army of traitors across the cursed plain.9 On the 18th of June, 1809, Napoleon called to his chambers at Saint-Cloud a number of his French and Italian bishops whom he suspected of collusion and treason with the pope.10 Upon entering the room, the bishops beheld not just Napoleon but an audience consisting of Empress Marie Louise and her attendants, the viceroy of Italy, and several other high-ranking officials. Finishing his coffee as though on cue, Napoleon strode swiftly with choreographed steps to a nearby table, reached for a prop he had readied there, and confronted the startled bishops. Brandishing the day’s newspaper as evidence of their “treason”, the emperor suddenly burst into a rage, hurling insults and accusations while wringing the paper in his hands. As Talleyrand, Napoleon’s senior advisor, would later recount with distaste, “the excited countenance he assumed, the violence and confusion of his expressions and the attitude of those whom he addressed, made of this singular conference a scene such as he delighted in playing, and in which he displayed his brutal coarseness.”11 Incensed over the outcome of the bishops’ initial meeting with the pope as reported by the newspaper, Napoleon first attacked Cardinal Fesch, his maternal uncle, launching into a confused tirade about “proper” ecclesiastical principles and customs. Fesch’s behavior at the council, he proclaimed, obviously betrayed a plot to elevate himself within the church and cow any opposition through his kinship with Napoleon. Wounded, the cardinal responded firmly that the emperor’s melodramatic notion of a plot was the result of a simple misunderstanding – as the archbishop of Lyon, his assumption of the title “Primate of Gaul” at the council was a traditional, well-precedented, and hardly exceptional episcopal practice. Yet even after Fesch explained the truth of the matter and was supported in this explanation by the unanimous agreement of the other bishops, Napoleon refused to listen. Rather, it only served to make matters worse, for the emperor, now irked and becoming defensive, threw one of those violent tantrums for which he was infamous. (Fig. 1) According to Talleyrand, the seething, exasperated emperor continued to talk for an hour with an incoherence, which would have left no recollection other than astonishment at his ignorance and his loquacity, if the phrase which follows, and which he repeated every three or four minutes, had not revealed the depth of his thought. “Messieurs,” he exclaimed to them, “you wish to treat me as if I were Louis le Débonnaire. Do not confound the son with the father. You see in me Charlemagne. … I am Charlemagne, I, … yes, I am Charlemagne!” This “I am Charlemagne” recurred at each instant.12
Only fatigue finally brought an end to this ranting, which had carried on until midnight. At that point, concluded Talleyrand, of those witnessing the scene each one went his way, carrying from Saint-Cloud strange impressions. Just what these impressions were one can only guess, but the events of 833 likely loomed large in the depth of Napoleon’s thought – that his own bishops, like those on the Rotfeld, had betrayed their oaths of fidelity and were plotting with the pope against him. Desperately wanting to be seen as Charlemagne, the insecure emperor was wracked by fears that he was rather being seen as Louis the Pious, and that his bishops were acting on this appearance. He, however, would not be “treated”, i.e., humbled, like the debonair son. “I am Charlemagne”, he announced again and again – words that were meant both as an attestation and a threat. There would be no confusion over their respective roles in the present drama. He would make certain of that. 9
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Ingold, L’Ochsenfeld 142. Perhaps it is not surprising that the local popular memory of Louis’s abandonment was anti-Charles (if one accepts Ingold’s interpretation), for the territory remained, throughout the ninth century, in the hands of Charles’s half brothers and their sons. For a useful map, see Janet L. Nelson, Charles the Bald (London 1992) 320–321. Another early report of the legend has Louis himself, after discovering the desertion by his men, calling down a curse upon both the traitors and the field that “witnessed” their betrayal; see Friedrich J. Kiefer, Die Sagen des Rheinlandes (Köln 1845) 289–291. For what follows, I have largely paraphrased the account of this episode as reported in the memoirs of Charles Maurice de Talleyrand (1754–1838), bishop of Autun before the French Revolution and later a senior diplomat. See the Memoirs of the Prince de Talleyrand 2 (ed. Duc de Broglie, trans. Raphaël L. de Beaufort, New York 1891) 75–77. See also the comments of Robert Morrissey, Charlemagne and France: A Thousand Years of Mythology, trans. Catherine Tihanyi (1997; Notre Dame 2003) 261. Memoirs of the Prince de Talleyrand 2, ed. de Broglie, trans. de Beaufort 75. Memoirs of the Prince de Talleyrand 2, ed. de Broglie, trans. de Beaufort 77.
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THE BEGINNING OF THE END? Much like their presence in the popular imagination, the events at the Field of Lies along with Louis’s contrition before the feet of his clergy at Saint-Médard have together long been stamped into the scholarly imagination, appearing as central to many historical narratives concerned with the decline or disintegration of the Carolingian realm. Traditionally seen as a moment of crisis for the Carolingian monarchy, they are consistently invoked by historians to mark the beginning of a steady dissipation of its “universal” sovereignty. Despite the fact that Louis would quickly regain the support of most of his sons and magnates the following year, and be reinstated as emperor in 835 by having the judgment of penance officially overturned at assemblies in Thionville and Metz, still in the eyes of generations of historians his rule would never again be the same. For example, in 1765 the Abbé de Mably’s description of Louis, following the events of 833, was nothing if not ominously foreboding: “… confused by his good and bad fortune, he was more timid than ever.”13 Equally dire was J. C. L. Simonde de Sismondi’s languid portrait of Louis nearly a millennium after the emperor’s “deposition”: “… [after 833] his character appeared still weaker than in the preceding period, his policy more vacillating, and his projects, almost all abandoned before they were put in execution, were less worthy of remembrance.”14 For James Prichard, Louis’s penance at Soissons was simply the emperor’s “greatest error of all”, while for Thomas Greenwood the “detestable transaction” on the Field of Lies was the “starting-point of one of the boldest experiments upon the credulity of mankind ever devised.” The remainder of Louis’s reign following that “instructive chapter in the history of human depravity” upon the Rotfeld, he concluded, could “be dismissed in a few sentences.”15 Twentieth-century historiography saw little to change in this inveterate characterization of Louis and the ruinous effects of 833. Arthur Kleinclausz, at the turn of the century, could still describe this fateful year as a “grave” moment in the history of the Carolingian empire, a description Ferdinand Lot would support in 1948 by representing Louis in his years after 833 as a monarch both “incorrigible” and “incurable.”16 Nearly a decade later, Theodor Schieffer estimated Louis’s abandonment and fall at the hands of the bishops as having been the “heaviest blow” to the empire and monarchy, an event whose “irrevocable” consequences were described by Jacques Boussard and Robert Folz shortly thereafter in terms of “chaos” and “confusion”.17 Even after a major reevaluation in 1990 of Louis and his problematic career, one that sought to “expose the inadequacy of the clichés with which the reign of Charlemagne’s heir has customarily been dismissed”, many scholars have continued to paint Louis’s later years in bleak and dismal tones.18 In short, for modern Carolingian historiography “833 tends to appear as definitive”, observes Janet Nelson, a fateful year signaling “the fall of monarchy; the end of peace and concord; a trauma from which neither the Carolingians nor the Franks ever recovered.”19 Yet this definitive appearance is deceiving, for, as Nelson has 13
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“... confondu également par sa bonne et sa mauvaise fortune, était plus timide que jamais.” Gabriel Bonnet de Mably, Observations sur l’histoire de France II, 4 (1765; ed. François Guizot 1, Paris 1823) 145. Jean Charles Leonard Simonde de Sismondi, The French under the Merovingians and the Carlovingians, trans. William Bellingham (1821; London 1850) 309. James C. Prichard, The Life and Times of Hincmar, Archbishop of Rheims (Oxford 1849) 67; Thomas Greenwood, Cathedra Petri. A Political History of the Great Latin Patriarchate 3 (London 1859) 143, 146–147. Arthur Kleinclausz, L’Empire carolingien. Ses origines et ses transformations (Paris 1902) 318; Ferdinand Lot, Naissance de la France (Paris 1948) 408. Cf. also Marc Bloch, Feudal Society, trans. L. A. Manyon (1939–1940; Chicago 1961) 192. Theodor Schieffer, Die Krise des karolingischen Imperiums, in: Aus Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Gerhard Kallen, ed. Josef Engel/Hans Martin Klinkenberg (Bonn 1957) 1–15, at 13–14, „... der schwersten Erschütterung des Reiches und der Monarchie“; Jacques Boussard, The Civilization of Charlemagne, trans. Frances Partridge (New York 1968) 203, “ ... [the] events were confused by every sort of political intrigue. The chaos finally destroyed the monarchy”; Robert Folz, The Coronation of Charlemagne 25 December 800, trans. J.E. Anderson (1964; London 1974) 189, “The general confusion in men’s minds was then at its height ...”. For the quotation, see the editors’ preface in Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) VII–VIII, at VIII. To cite just a few examples of such bleak portraits: Joel T. Rosenthal, The public assembly in the time of Louis the Pious, in: Traditio 20 (1964) 25–40, at 31; Roger Collins, Early Medieval Europe, 300–1000 (New York 1991) 299–300; Philippe Depreux, Nithard et la ‘res publica’: Un regard critique sur le règne de Louis le Pieux, in: Médiévales. Langue, textes, histoire 22/23 (1992) 149–161, at 152; Thomas F. X. Noble, The papacy in the eighth and ninth centuries, in: The New Cambridge Medieval History 2: c. 700–c. 900, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1995) 563–586, at 572; Ivan Gobry, Louis Ier: Premier successeur de Charlemagne (Paris 2002); and Armin Koch, Kaiserin Judith: Eine politische Biographie (Husum 2005) 143. Janet L. Nelson, The last years of Louis the Pious, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 147–159, at 148. This statement by Nelson is, of course, a generaliza-
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shown, the last seven years of Louis’s reign following 833 were hardly those of an ineffectual “shadow king.” On the contrary, they were filled with Louis’s continuous efforts to keep his eldest son Lothar out of Francia and reassert his own control over the imperial succession – arduous activities whose success did much to restore the confidence and commitment of Louis’s magnates and faithful men.20 Indeed, in the face of what contemporary stargazers took to be a dire portent, Louis, like his father Charlemagne before him, was even optimistic about the later course of his reign, interpreting the appearance in 837 of what would later be dubbed Halley’s comet as a salutary admonition from God, an auspicious sign compelling all to hasten in the improvement of their knowledge and ability.21 Why then, in light of such observations, have scholars continually focused on 833 as the definitive moment signaling the commencement of Carolingian decline?22 THE BEGINNING OF THE STORY OF THE END Certainly the most influential factor contributing to the allure of 833 has been the long historiographical shadow cast by the events of that year.23 Throughout the past millennium of their telling and retelling, the circumstances of Louis’s abandonment and penance have repeatedly been the subject of emplotment by historians, beginning with the Carolingians themselves.24 Whether interpreted as a tragedy or a comedy, the events of 833 have nearly always been organized and expressed as some kind of drama, one which, for the purposes
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tion. See the remarks by Paul E. Dutton, Awareness of Historical Decline in the Carolingian Empire, 800–887 (Ph.D. dissertation, University of Toronto 1981) 43–50, for the notable exceptions of modern scholars who – while still having thought in terms of an overarching Carolingian “decline” – argued for causes and moments of crisis other than 833 and the “ineptitude” of Louis. Nelson, The last years 159. For the special problems posed by the filial resentment of aging royal fathers, see Paul E. Dutton, Beyond the topos of senescence: The political problems of aged Carolingian rulers, in: Aging and the Aged in Medieval Europe, ed. Michael M. Sheehan (Toronto 1990) 75–94; revised as A world grown old with poets and kings, in: Paul E. Dutton, Charlemagne’s Mustache and Other Cultural Clusters of a Dark Age (New York 2004) 151–167. Nelson, The last years 148–149; and Scott Ashley, The power of symbols: Interpreting portents in the Carolingian empire, in: Medieval History 4 (1994) 34–50. For Halley’s comet and Louis’s optimism regarding it, see the account by one of Louis’s biographers, known to modern historians only as the “Astronomer” (so-called because of his self-professed astronomical learning), Vita Hludowici imperatoris 58 (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in usum schol. 64, Hannover 1995) 279–555, at 518–525. The Astronomer himself was hesitant to offer his opinion on the comet. Cf. the pessimistic reaction of the nobleman Einhard to the same comet, Einhard, Epistola 40 (ed. Karl Hampe, MGH Epistolae 5, Hannover 1898–1899; reprinted München 1978) 129–130; engl.: (trans. Paul E. Dutton, Charlemagne’s Courtier. The Complete Einhard, Readings in Medieval Civilizations and Cultures 3, Peterborough 1998) 160–161; and the ambivalent reaction of Abbot Lupus of Ferrières, Epistola 20 (ed. Peter K. Marshall, Servati Lupi Epistulae, Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1984) 28; engl.: (trans. Graydon W. Regenos, Letters of Lupus of Ferrières, in: Carolingian Civilization: A Reader, ed. Paul E. Dutton, Peterborough 22004) 458–467, at 460. For the “brilliant meteor” of 810, and Charlemagne’s optimism (as well as Einhard’s pessimism) toward it, see Einhard, Vita Karoli magni 32 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 25, Hannover 1911) 36; engl.: (trans. Paul E. Dutton, Charlemagne’s Courtier. The Complete Einhard, Readings in Medieval Civilizations and Cultures 3, Peterborough 1998) 15–68, at 36–37. Egon Boshof, Ludwig der Fromme (Darmstadt 1996) 203, „ ... wurde die Monarchie in eine tiefe Krise gestürzt. Der Autoritätsverlust war unübersehbar und sollte sich durch die folgenden Ereignisse noch vergrößern. Auch die Außenwirkung war ohne Zweifel katastrophal.“ See also Koch, Kaiserin Judith 143, „Die Vorgänge dieses Jahres [833] sind fraglos als negativer Höhepunkt der Regierungszeit Ludwigs anzusehen.“ Cf. the neutral assessment of David Ganz, The debate on predestination, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, ed. Margaret T. Gibson/Janet L. Nelson (Aldershot 21990) 285, “The deposition and penance of Louis the Pious was a turning point in the development of society because it showed the intelligentsia that a society regulated by penance could not always find favour in God’s sight.” Nelson, The last years 148. See also the remarks of Joseph Canning, A History of Medieval Political Thought, 300–1450 (London 1996) 42–43, on the “long shadow” cast by the misinterpreted Augustinian theory of rulership, dubbed by Henri-Xavier Arquillière “L’Augustinisme politique.” Arquillière saw this theory realized most fully in the events of 833, an observation that has cast a long shadow of its own; see Léon Levillain, Review of Arquillière, L’Augustinisme politique (Paris 1934), in: Bibliothèque de l’École des Chartes 96 (1935–1936) 383–390; Henri-Xavier Arquillière, Réflexions sur l’essence de l’augustinisme politique, in: Augustinus Magister. Congrès international augustinien, Paris, 21–24 Septembre 1954, 2 (Paris 1954) 991–1001, at 994; id., L’Augustinisme politique 146, 200. On Arquillière and “L’Augustinisme politique,” see Alain Boureau, Des politiques tirées de l’écriture: Byzance et l’occident, in: Annales: Histoire, Sciences Sociales 55 (2000) 879–887, at 881–883. Nancy F. Partner, Hayden White (and the content and the form and everyone else) at the AHA, in: History and Theory 36 (1997) 102–110, at 108, has provided a succinct definition of emplotment: “Described after the fact (which is the only metaphorical ‘place’ from which description can take place) emplotment is a rationalizing and organizing activity which follows logically upon the collection and contemplation of the ‘events to be narrated.’” See also ead., Hayden White: The form and the content, in: History and Theory 37 (1998) 162–172. On the cool reception of White’s work by scholars of the early Middle Ages, see Matthew Innes,
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of modern historians, eloquently showcases those pernicious elements that would appear with ever greater frequency over the course of the ninth century, ultimately leading to the downfall of the realm. In the following pages, I shall briefly survey the long, shadowy tradition of emplotment connected to the “dramatic” events of 833, and evaluate the considerable influence it has exerted upon modern attempts to understand the transformations taking place during the ninth century. That is, rather than explore what the events of 833 can tell us about broad patterns of continuity and change within Carolingian culture per se, I shall trace the enduring memory of Louis the Pious’s abandonment and penance over the succeeding centuries and plot a history of remembrance revealing broad patterns all its own.25 A striking recent example from this other history can cast some light back into the depth of its shadows: Louis’s public penance, claims one noted scholar, was nothing less than a tragic, Stalinesque show-trial.26 While this is surely not a satisfactory model for understanding what happened in 833, it sets in bold relief two features that are common to many modern depictions of Louis’s troubles: an anachronistic projection of present concerns upon the events, and a prescriptive representation of them as a travesty and a tragedy.27 Such categorical features, the uses to which they are put, and the memories of which they form a part, speak far more eloquently about the historical consciousness of the later persons engaged in their remembrance and use than they do about the events and the era in which they occured.28 But they also say something specific and important about why the events of 833 have long received special attention. In sum, and to at once foreshadow and momentarily dispel deeper shadows to come, I will show that the meaning of Louis’s ritual humiliation was rapidly transformed by a contemporary theatrical mode of interpretation and emplotted in accordance with the generic demands of a tragedy or a comedy. And through a strange sort of resurrection, it is this meaningful, demanding drama that has been rehearsed repeatedly since at least the eighteenth century to epitomize and explain the larger story of the Carolingian achievement and its failure. WRITING A WRONG Before undertaking any survey of the stories about 833, it is imperative to recall that Louis the Pious quickly regained the throne. Rescued from his captors within months, the emperor crushed the rebellion and was ritually reinvested with his regalia by February of 835, less than two years after his desertion and public penance.29 Moreover, Louis retained firm control over the empire for another five years; only his death by illness in the year 840 would wrest it from him again.30 This fact of Louis’s swift recovery and triumph over the rebellion is significant, for it has profoundly influenced both the particular perspective as well as the dramatic “height” from which the events of 833 have nearly always been viewed.31 Shortly after Louis’s restoration to the throne, several contemporary apologists composed in quick succession a number of vivid, sensational narratives on the emperor’s behalf. And it was with the composition of these loyalist narratives that Louis’s supporters set three precedents in the tradition of representing the events of 833
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Introduction: Using the past, interpreting the present, influencing the future, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, ed. Yitzhak Hen/Matthew Innes (Cambridge 2000) 3–8. On this approach, which Robert Darnton has dubbed “incident analysis”, see Darnton, It happened one night, in: The New York Review of Books 51, 11 (24 June 2004) 60–64; Courtney M. Booker, Review of Gabriel Piterberg, An Ottoman Tragedy: History and Historiography at Play (Berkeley 2003), in: Comitatus 35 (2004) 265–271; Alain Boureau, The Myth of Pope Joan, trans. Lydia G. Cochrane (Chicago 2001); and Duby, The Legend of Bouvines. Elisabeth Magnou-Nortier, La tentative de subversion de l’État sous Louis le Pieux et l’oeuvre des falsificateurs (2e partie), in: Le Moyen Age 105 (1999) 615–641, at 640. See Courtney M. Booker, The demanding drama of Louis the Pious, in: Comitatus 34 (2003) 170–175; and Booker, Writing a Wrong 1–338. Cf. Amos Funkenstein, Collective memory and historical consciousness, in: History and Memory 1 (1989) 5–26; and Peter Seixas, Introduction, in: Theorizing Historical Consciousness, ed. id. (Toronto 2004) 3–20. Ludger Rid, Die Wiedereinsetzung Kaiser Ludwigs des Frommen zu St. Denis (1. März 834) und ihre Wiederholung zu Metz (28. Februar 835), in: Festgabe Alois Knöpfler zur Vollendung des 70. Lebensjahres, ed. Heinrich M. Gietl/Georg Pfeilschifter (Freiburg im Breisgau 1917) 265–275. Nelson, The last years 147–159. Here I deliberately use metaphors of viewing to underscore the traditional “Inszenierung” of the events within the many narratives depicting them; cf. Gabriel Piterberg, An Ottoman Tragedy: History and Historiography at Play (Berkeley 2003) 77–79, 167–168; and Booker, Review of Piterberg, An Ottoman Tragedy 270.
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that would long inform the pattern of their remembrance. First, the apologists’ accounts quickly became the predominant narrative through their wide dissemination and endorsement by the victorious party, thereby securing with the written word multiple, enduring records of the events that were sympathetic to Louis and hostile to the rebellion.32 Second, Louis’s defenders cast their accounts in an extremely impassioned and dramatic style, lending a stirring, poignant tone to their representations of Louis’s abandonment and divestiture.33 Third, while Louis’s supporters all devoted great attention to the events at the Rotfeld and Soissons in their larger accounts of Louis’s reign, the story they each told was still their own – one conceived and rendered in accordance with their individual experiences and immediate concerns.34 For example, at some point soon after Louis’s victory in 835, an anonymous annalist of Louis’s court, whose work is now called the Annals of Saint-Bertin, recorded the various events of the early 830s.35 That is, rather than following the typical practice of noting each year’s important events annually, the author composed the annal’s entries for the years of Louis’s fall and restoration all at once and afterward, retrospectively and retroactively spinning a revealing story out of those deeds, one that told of right over wrong: of equity over iniquity, clemency over severity, and patience over reckless haste.36 Indeed, the degree to which the events of these years were emplotted by the annalist becomes all the more apparent if one compares his representation of these years with that provided by another contemporary annalist. In the “Annals of Xanten”, for instance, the following entry appears for the year 833: Then, in the summer, the sons of the emperor – Lothar, Pippin, and Louis – met in the region of Alsace, bringing Pope Gregory with them. And there the emperor’s men disregarded their oaths, and, leaving him alone, they turned back to Lothar, [and] pledged an oath of loyalty to him. The emperor – by their command deprived at the same time of his wife and his kingdom – distressed and grieving, came into the control of [his] sons. They sent him into public custody in Soissons, and a similar thing was done to his wife. And since their plans had been brought to completion, the realm
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See, for example, the statement made by the first annalist of the annals of Saint-Bertin regarding the wide dissemination of the news about Louis the Pious’s restoration in February 835: Annales Bertiniani a. 835 (trans. Janet L. Nelson, The Annals of St-Bertin, Manchester 1991) 32; Rosamond McKitterick, Introduction: Sources and interpretation, in: The New Cambridge Medieval History 2: c. 700–c. 900, ed. ead. (Cambridge 1995) 3–17, at 6. See also the textual transmission and influence of the biographies of Louis the Pious by Thegan and the Astronomer, plotted and mapped in Ernst Tremp, Studien zu den Gesta Hludowici imperatoris des Trierer Chorbischofs Thegan (MGH Schriften 32, Hannover 1988) 209; id., Die Überlieferung der Vita Hludowici imperatoris des Astronomus (MGH Studien und Texte 1, Hannover 1991) 157; together with id., Thegan und Astronomus, die beiden Geschichtsschreiber Ludwigs des Frommen, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 691–700. For a systematic (if cursory) analysis of the literary representations of the events of 833 within contemporary sources, see Walter Kern, Der Streit Ludwigs des Frommen mit seinen Söhnen im Lichte der augustinischen Geschichtsauffassung (Ph.D. inaugural dissertation, Universität Greifswald 1922); and P. Chevallard, Saint Agobard, Archevêque de Lyon: Sa vie et ses écrits (Lyon 1869) 208–213. I have examined these representations in depth in Booker, Writing a Wrong. On the importance of recognizing and explicating the particular rhetorical elements at work within any given narrative representation of ritual performance, see Philippe Buc, Ritual and interpretation: The early medieval case, in: Early Medieval Europe 9 (2000) 183–210; and id., The Dangers of Ritual. Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory (Princeton 2001). This is a process far more complex than what some scholars summarily explain with the phrase causa scribendi. Cf. Karl G. Heider, The Rashomon effect: When ethnographers disagree, in: American Anthropologist 90 (1988) 73–81, whose observations are equally relevant to historians past and present. See also Peter Burke, History of events and revival of narrative, in: New Perspectives on Historical Writing, ed. id. (Cambridge 22001) 283–300; Innes, Introduction: Using the past; Darnton, It happened one night; and Timothy Reuter, Pre-Gregorian mentalities, in: Journal of Ecclesiastical History 45 (1994) 465–474. The so-called Annals of Saint-Bertin (the name stems from the provenance of the earliest extant manuscript that contains them) are the continuation by some author of the royal palace in 830 of what are known as the Royal Frankish Annals, an “official” log of Carolingian activities whose author seems to have ceased his recording of events in 829 (as attested by the number of extant manuscripts of these annals that continue with other works after this year). See Annales de Saint Bertin (ed. Felix Grat/Jeanne Vieilliard/Suzanne Clémencet, Paris 1964) V–XVI, XXIIff.; Janet L. Nelson, The annals of St. Bertin, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, ed. Margaret T. Gibson/Janet L. Nelson (Aldershot 21990) 15–36, at 24; and ead., The Annals of St-Bertin 5. In the last two decades, the understanding of the method of composition in early medieval annals has changed, having moved from the idea of contemporaneous year-by-year composition to the notion of retrospective composition and compilation covering a period of several years. See Nelson, The annals of St. Bertin 25; Rosamond McKitterick, Constructing the past in the early Middle Ages: The case of the Royal Frankish Annals, in: Transactions of the Royal Historical Society, sixth series, 7 (1997) 101–129, at 117; ead., History and Memory in the Carolingian World (Cambridge 2004); Roger Collins, Charlemagne’s imperial coronation and the annals of Lorsch, in: Charlemagne: Empire and Society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 52–70, at 55.
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of the Franks was divided into three, and the lord pope returned to his fatherland. Lothar remained in Compiègne, but the rest [of the people] returned [home], each to his own.37
Unlike this typical passage by the Xanten annalist, which provides a pithy record of royal politics during the early 830s, the annalist of Saint-Bertin chose to “narrativize” the events in considerable detail, shaping and linking them into a dramatic story – one which had heroes and villains, told of good kingship and bad, and at once illustrated and declared the nature of proper and improper relationships between father and sons.38 To the annalist, Louis had been another Jacob. Scorned and mistreated by his jealous elder sons because of the special love he showed for his young Joseph/Benjamin (i.e., Charles), the devoted, forgiving father had achieved reconciliation with his children in the end.39 Here was an underlying typological model from Scripture that gave meaning and form to the annal’s contents.40 Another loyalist narrative about the events of 833 was composed by Thegan, a nobleman and bishop, whose chosen genre was biography.41 Employing literary devices such as foreshadowing to intimate to his readers that the pious emperor would be wronged,42 the biographer highlighted the betrayal on the Rotfeld and underscored Louis’s charity, concern, and self-sacrifice through the use of direct speech. Within a striking passage, Thegan gave rare voice to the taciturn emperor, whose care for his people outweighed any desire for their nowpointless support: “Leaving their tents [on the Rotfeld], Louis’s men crossed over to his sons. On the next day those who remained came to the emperor, who admonished them, saying ‘Go to my sons. I do not wish any 37
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Tempore enim aestivo convenerunt filii imperatoris in pago Alisacinse, Lutharius, Pippinus et Ludewicus, adducentes secum Gregorium papam. Ibique leudes imperatoris coniurationes suas postposuerunt, reliquentes autem eum solum, reversique sunt ad Lotharium, ei fidem iuramentis spoponderunt, et imperator verbo illorum coniuge simul et regno privatus, merens adflictusque in dominium filiorum advenit. Qui miserunt eum in custodiam puplicam in Suessionis civitate similiterque coniugem illius. Collatione autem eorum peracta, tripertitum est regnum Francorum, et domnus papa rediit in patriam suam, Lotharius mansit in Conpendio. Ceteri vero reversi sunt unusquisque in sua. Annales Xantenses a. 833 (ed. Reinhold Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 2, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 6, Darmstadt 1966) 339–371, at 340. On these annals, see Heinz Löwe, Studien zu den Annales Xantenses, in: Deutsches Archiv 8 (1951) 59–99. I do not mean to deny the Annals of Xanten their own measure of narrativity; rather, the difference between them and the Annals of Saint-Bertin in this regard is one of degree rather than kind. Cf. the fact that the annal entry for 833 in the Annals of Xanten consists of 88 words, while the Annals of Saint-Bertin’s entry contains 424. On the tendency towards narration and emplotment in medieval annals and chronicles, see Sarah Foot, Finding the meaning of form: Narrative in annals and chronicles, in: Writing Medieval History, ed. Nancy F. Partner (London 2004) 88–108; McKitterick, Constructing the past 117–129; and John Michael Wallace-Hadrill, The Franks and the English in the ninth century: Some common historical interests, in: id., Early Medieval History (Oxford 1975) 201–216, at 202. Nelson has examined the literary and ideological aspects of a later section of the Annals of Saint-Bertin (for the year 873); see Janet L. Nelson, A tale of two princes: Politics, text and ideology in a Carolingian annal, in: Studies in Medieval and Renaissance History, new series, 10 (1988) 105–141. Ganz, The debate on predestination 285, has alleged that the specific typological model used by the first annalist in rendering his account was the Biblical story of Job. However, the themes and particular vocabulary utilized by the annalist bear far more resemblance to the Biblical tale about the aged patriarch Jacob, his covetous elder sons, and his younger, favorite sons Joseph and Benjamin by his second wife, Rachel (Genesis 29–50); cf. the use of the following words in both the annal for the years 830–835 and the book of Genesis: commota (43:30), compellere (33:11), custodia (39:22, 40:4, 42:17), machinatus (42:11), perterritus (32:7, 41:8, 45:3), pertinatio (49:7). Moreover, Louis’s second wife, Judith, and their son Charles had only recently been referred to as “Rachel” and “Benjamin” by the court poet Walafrid Strabo in 829; see his poem De imagine Tetrici 147–148 (ed. and trans. Michael W. Herren, The De imagine Tetrici of Walahfrid Strabo: Edition and translation, in: Journal of Medieval Latin 1 [1991]) 118–139, at 127, 136. See also Mayke de Jong, Bride shows revisited: Praise, slander and exegesis in the reign of the empress Judith, in: Gender in the Early Medieval World. East and West, 300–900, ed. Leslie Brubaker/Julia M. H. Smith (Cambridge 2004) 257–277, at 263. Louis himself had a special interest in the book of Genesis, according to Michael Gorman, Augustine manuscripts from the library of Louis the Pious: Berlin Phillips 1651 and Munich Clm 3824, in: Scriptorium 50 (1996) 98–105, at 104. The annalist, to my knowledge, does not quote any specific passages from Scripture in his account of Louis’s travails, except perhaps lentus gradus (Tob. 11:3). On the typological structure of medieval thought, see the cogent remarks of Gabrielle Spiegel, The Past as Text: The Theory and Practice of Medieval Historiography (Baltimore 1997) 91–95; Richard K. Emmerson, Figura and the medieval typological imagination, in: Typology and English Medieval Literature, ed. Hugh T. Keenan (New York 1992) 7–34; and, above all, Erich Auerbach, Figura, in: id., Scenes from the Drama of European Literature (New York 1959) 11–71; John D. Dawson, Christian Figural Reading and the Fashioning of Identity (Berkeley 2002) 83–137. See Thegan, Gesta Hludowici imperatoris (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64, Hannover 1995) 167–277; Tremp, Studien zu den Gesta Hludowici; and id., Thegan und Astronomus, die beiden Geschichtsschreiber. E.g., Thegan, Gesta Hludowici 28, ed. Tremp 216: Iam tumc imminebat ei infidelitas. On Thegan’s literary skill, see Matthew Innes, “He never even allowed his white teeth to be bared in laughter”: The politics of humour in the Carolingian Renaissance, in: Humour, History and Politics in Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Guy Halsall (Cambridge 2002) 131–156.
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of you to lose your lives or limbs on account of me.’ And they, filled with tears, withdrew from him.”43 Even more striking is Thegan’s description of the public penance, for he assures his audience that the great emperor patiently endured his trials like another Job. Unlike the annalist’s understanding of Louis as Jacob, a devoted father betrayed by his spiteful children, Thegan saw Louis as a just man whose faith had been tested by God. Here was another interpretive Scriptural model.44 Yet Thegan discerned a crucial difference between the experiences of Job and Louis. Whereas God had chosen kings to play the role of Job’s tormentors, the mastermind of the rebellion against Louis, in Thegan’s view, was the detestable Ebbo of Reims, an archbishop who had been lowborn, but was “unnaturally” elevated by Louis to a dignified and noble office.45 This was the greater truth that Thegan – himself of noble blood – sought to reveal: that the events of 833 had been the sorry consequences of such continuing transgressions of status.46 In 837, Thegan could only hope that the emperor, with the counsel of his biography, would now recognize this wrong and right it.47 In 841, only a year after Louis’s death, another biography of the pious emperor was written, this time by an anonymous nobleman who referred to himself within the text as an “astronomer”.48 Most remarkable about his complex work is the particular language he chose to describe his story’s turning point:49 the events of 833, according to the Astronomer, were nothing less than “an almost unheard-of tragedy” (pene inaudita traguedia) – this being the locus classicus for the explicitly “tragic” characterization of the entire affair.50 Now to an audience of the twenty-first century steeped in the countless melodramas of Hollywood, the perception of 833 as a tragedy hardly seems surprising.51 But in the early Middle Ages, with its scraps and vague notions of classical drama, the term tragoedia was rarely invoked, as Henry Kelly has shown.52 The Astronomer’s specific use of it 43
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... tentoria eorum relinquentes pervenerunt ad filios. In crastinum aliqui, qui remanserant, venerunt ad imperatorem; quibus praecepit dicens: “Ite,” ait, “ad filios meos. Nolo ut ullus propter me vitam aut membra dimittat.” At illi infusi lacrimis recedebant ab eo. Thegan, Gesta Hludowici 42, ed. Tremp 228–230, trans. J.R. Ginsburg/Donna Lee Boutelle, Thegan’s Life of Louis, in: Carolingian Civilization: A Reader, ed. Paul E. Dutton (Peterborough 22004) 159–176, at 170. Direct speech appears only three times in Thegan’s biography, including Louis’s speech upon the Rotfeld. However, of the three instances (Charlemagne’s dying words, chapter 7, ed. Tremp 186; Louis’s colloquy with newly elected Pope Stephen, chapter 16, ed. Tremp 196; and Louis upon the Rotfeld, chapter 42, ed. Tremp 230), only Louis’s Rotfeld speech is “original” – that is, it is the only one of the three given by Thegan that is not a quotation from Scripture. As I discuss in Courtney M. Booker, A new prologue of Walafrid Strabo, in: Viator 36 (2005) 83–105, at 94, Thegan is using this striking anecdote specifically to rebut the charge made by the rebellion in 833 that Louis’s greatest sin had been in bringing his people together on the Rotfeld “for the purpose of their mutual destruction.” On the rhetorical function of direct speech in general, see Joaquin M. Pizarro, A Rhetoric of the Scene: Dramatic Narrative in the Early Middle Ages (Toronto 1989) 62–108. Thegan, Gesta Hludowici 44, ed. Tremp 236. Ganz, The debate on predestination 285, has also observed that the specific Biblical model used by Thegan was the story of Job. For a useful examination of the understanding of Job in the Middle Ages, see Lawrence L. Besserman, The Legend of Job in the Middle Ages (Cambridge-Mass. 1979), and 166–167 note 1 for authors of the ninth century. Innes, He never even allowed 148–154, has argued that Thegan sought to depict Louis as acting in direct imitation of Christ. Thegan, Gesta Hludowici 44, ed. Tremp 238. Cf. the comments of John Michael Wallace-Hadrill, The Frankish Church (Oxford 1983) 237. On Ebbo, see Stuart Airlie, Bonds of power and bonds of association in the court circle of Louis the Pious, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 191–204, at 200–204; and Peter R. McKeon, Archbishop Ebbo of Reims (816–835): A study in the Carolingian empire and church, in: Church History 43 (1974) 437–447. Cf. Thegan, Gesta Hludowici 20, 44, ed. Tremp 204–209, 232–238. See Tremp, Studien zu den Gesta Hludowici 82f. On the intended audience of Thegan’s text, see the comments by Janet L. Nelson, History-writing at the courts of Louis the Pious and Charles the Bald, in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien/München 1994) 435–442, at 438f.; and Matthew Innes/Rosamond McKitterick, The writing of history, in: Carolingian Culture: Emulation and Innovation, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1994) 193–220, at 209. See Astronomus, Vita Hludowici 58, ed. Tremp 518–522; Tremp, Die Überlieferung der Vita Hludowici; and id., Thegan und Astronomus, die beiden Geschichtsschreiber. Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 3. Karolingische Biographie: 750–920 n. Chr. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 10, Stuttgart 1991) 230. Astronomus, Vita Hludowici 49, ed. Tremp 480. See Alan M. Dershowitz, Life is not a dramatic narrative, in: Law’s Stories: Narrative and Rhetoric in the Law, ed. Peter Brooks/ Paul Gewirtz (New Haven 1996) 99–105; and Anthony Lane, This is not a movie: Same scenes, different story, in: The New Yorker (24 September 2001) 79–80. Henry Ansgar Kelly, Ideas and Forms of Tragedy from Aristotle to the Middle Ages (Cambridge 1993) 50–61, has documented the sparing and generally confused usage of the term tragoedia in the early Middle Ages, but is unaware of its employment here by the Astronomer. See now Donnalee Dox, The Idea of the Theatre in Latin Christian Thought: Augustine to the Fourteenth Century (Ann Arbor 2004).
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here to sum up Louis’s abandonment and divestiture thus not only reveals his broad learning and the depth of his sympathy, but also signals the presence of a particularly sophisticated interpretive scheme.53 In fact, what we find in the biography is Louis cast in the role of Christ, whose terrestrial life the Astronomer considered a tragedy. As Walter Berschin has noted, the casting of Louis’s life by the Astronomer in terms of a tragedy is even adumbrated in the very prologue of the biography. At once admiring (ammirari) and celebrating (celebrare) the four cardinal virtues that so epitomized the emperor’s character – sobriety, prudence, justice, and fortitude – the Astronomer closed his introductory profile by suggesting Louis’s single fault (culpa): that he had been too mild (nimis clemens).54 Here, suggests Berschin, is the emperor’s tragic flaw around which the entire biography subsequently turns.55 The Astronomer himself – in an evocative challenge – may have left it to the reader to ascertain the veracity of this fault: “Whether these things [namely, Louis’s virtues and fault] are true or not, whoever reads this [work] carefully should be able to discover.”56 But the clues the biographer left within his text nevertheless strongly suggest the conclusion he wished his reader to reach; “It will become clear (claruere), after a few [more words],” confided the Astronomer, that the rebels, to whom Louis showed clemency by sparing their lives, had demonstrated their gratitude by bringing nothing but “the greatest slaughter of which they were capable against him.”57 Here, it seems, was the truth of the tragedy: Louis, the most orthodox and Christian emperor, had paid the price for his excessive clementia with a reign characterized by revolt – a bitterly tragic irony that was not lost on the Astronomer, who implored the reader, for Louis’s sake, to join with the apostle Paul in his sardonic request to “forgive him this wrong!” (cf. 2 Cor. 12:13).58 In fact, this mordant appeal with the words of Paul is the key to understanding the Astronomer’s narrative; if being too forgiving was Louis’s only “fault” – one which, he adds, was ascribed only “by the envious” (ab aemulis)59 – then this reflected not an imperfect emperor who had been too mild, but rather the utter depravity of the times, an age when Louis’s tender clemency had brought him nothing but ridicule and scorn.60 For those who would read 53
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On tragedy as an interpretive model in the Middle Ages, see the comments of Henry Ansgar Kelly, Interpretation of genres and by genres, in: Interpretation: Medieval and Modern, ed. Piero Boitani/Anna Torti (Woodbridge 1993) 107–122; Tuomas M. S. Lehtonen, History, tragedy, and fortune in twelfth-century historiography, with special reference to Otto of Freising’s Chronica, in: Historia: The Concept and Genres in the Middle Ages, ed. Tuomas M. S. Lehtonen/Päivi Mehtonen (Helsinki 2000) 29–49; Reinhold Kaiser, Guibert de Nogent und der Bischofsmord in Laon (1112): Augenzeuge, Akteur, Dramaturg, in: Bischofsmord im Mittelalter/Murder of Bishops, ed. Natalie Fryde/Dirk Reitz (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 191, Göttingen 2003) 121–157; and Philippe Buc, Noch einmal 918–919: Of the ritualized demise of kings and of political rituals in general, in: Zeichen, Rituale, Werte: Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, ed. Gerd Althoff (Münster 2004) 151–178, at 168–169. Astronomus, Vita Hludowici, Prologus, ed. Tremp 280–284. As Tremp has noted (284 note 15), the Astronomer here quotes Virgil, Aeneid IV, 19, for his suggestion of Louis’s culpa in the specific sense of “weakness.” Berschin, Biographie und Epochenstil 3, 230. Sed haec utrum vera necne sint, perlegens quisque scire poterit. Astronomus, Vita Hludowici, Prologus, ed. Tremp 284, trans. Allen Cabaniss, Son of Charlemagne (Syracuse 1961) 31. ... post pauca patebit, cum claruerit, quomodo pro vite benefitio summam ei, quantum in se fuit, inportaverint cladem. Astronomus, Vita Hludowici 42, ed. Tremp 444. The Astronomer also describes Louis’s commutation of the rebels’ death sentence in 831 (ibid. 45, ed. Tremp 464) as “a milder procedure than was fitting (quam debuit), as it seemed to many, although kindness and clemency were his custom.” Cf. ibid. 33, ed. Tremp 396–400 (Louis’s clemency works against legal norm and precedent); ibid. 39, ed. Tremp 426 (Louis shows clemency towards a Breton leader, who subsequently foments rebellion). Nos autem cum apostolo dicamus talibus: “Dimittite illi hanc iniuriam!” Astronomus, Vita Hludowici, Prologus, ed. Tremp 284. On the irony of this passage, see Helena Siemes, Beiträge zum literarischen Bild Kaiser Ludwigs des Frommen in der Karolingerzeit (Ph.D. inaugural dissertation, Universität Freiburg 1966) 96–97. The Astronomer’s understanding of this “fault” not as a weakness but as a strength is supported by the immediate Scriptural context from which he draws his quotation of Paul (2 Cor. 12:9–10, Douay-Rheims version): “And He said to me: My grace is sufficient for thee, for power is made perfect in infirmity. Gladly therefore will I glory in my infirmities, that the power of Christ may dwell in me. For which cause I please myself in my infirmities, in reproaches, in necessities, in persecutions, in distresses, for Christ. For when I am weak, then I am powerful.” The Astronomer’s use of the term aemulus only serves to underscore the Pauline context and associations of this passage, as it is a word especially prevalent in Paul’s epistles (cf. Rom. 10:2, 10:19, 11:11, 11:14, 13:13; 1 Cor. 10:22, 12:31, 13:4, 14:1, 14:12, 14:39; 2 Cor. 7:7, 7:11, 9:2, 11:2, 12:20; Gal. 1:14, 4:17–18, 5:20; Phil. 3:6). Cf. Astronomus, Vita Hludowici 44, ed. Tremp 458, trans. Cabaniss 90, “Since he always lived kindly (benigne) toward others, the emperor was depressed (laborabat) by [the rebels’] unjust hatred which was so great that they loathed the very existence of him by whose favor (benefitio) they were alive and without whose favor they would have been justly and lawfully deprived of life.”
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carefully, this was the deeper truth. Like Christ, Louis had been a perfect king born in an imperfect era.61 That was both his ironic and tragic fate (imperatoris infortunium).62 We should pause for a moment to consider the dramatic configuration of the events by the Astronomer, for only within recent years have a handful of scholars pointed out the marked increase of allusions to drama and theater that occur in Europe specifically during the late eighth and ninth centuries.63 Unfortunately, what such references and their relative frequency might tell us about interpretive modes and the people who used them in the early Middle Ages has largely been overlooked in the rush to determine their value as evidence of actual theatrical performance.64 Doubtless the disparaging references to actors and theater by Carolingian ecclesiastics are, for the most part, nothing more than rhetorical commonplaces, themselves dependent upon a tradition of moralizing which stretches back at least to Church Fathers such as Jerome or Augustine, if not earlier.65 Theater and drama had long since disappeared as a living art. Yet the sum of this textual evidence about drama – despite remaining unreliable as testimony of contemporary practice – nevertheless stands as a powerful and revealing statement about Carolingian culture: drama and actors were frequently, if but figuratively, on the minds of many among the literate and learned.66 But if this was so, then what did they make of their inherited miscellany of ancient theatrical texts and images, such as the masked and togaed actors of Terence?67 (Fig. 2) When Einhard noted that a woman once yawned so widely that her jaw locked and, to her dismay, “she looked more like a mask (persona) than a human being,” one wishes he had said more.68 For like Averroes, in Jorge Luis Borges’s famous tale, who puzzled over Aristotle’s strange words comedy and tragedy,69 early medieval 61
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For a similarly striking contemporary account using irony to stress the depravity of the times, see Einhard’s concluding estimation of the tongue-lashing delivered by the demon Wiggo: Einhard, Translatio et miracula sanctorum Marcellini et Petri III, 14 (ed. Georg Waitz, MGH SS 15, 1, Hannover 1888) 238–264, at 253–254, trans. Paul E. Dutton, Charlemagne’s Courtier. The Complete Einhard (Readings in Medieval Civilizations and Cultures 3, Peterborough 1998) 69–130, at 104–105. On the Astronomer’s cautious employment of the terms fortuna (Astronomus, Vita Hludowici 2, ed. Tremp 288), infortunatus (ibid. 20, ed. Tremp 342), and infortunium (ibid. 2, ed. Tremp 288; ibid. 49, ed. Tremp 482), see Siemes, Beiträge zum literarischen Bild 92–93; and, in general, Lehtonen, History, tragedy, and fortune 29–49. Perhaps the Astronomer is here betraying the influence of Boethius; cf. Boethius, Philosophiae consolatio II, 2, 12 (ed. Ludwig Bieler, CCSL 94, Turnhout 1957) 20, Quid tragoediarum clamor aliud deflet nisi indiscreto ictu fortunam felicia regna vertentem? (“What else does the clamor of tragedies bewail but Fortune overthrowing happy kingdoms with an unexpected blow?”). Stuart Airlie, Private bodies and the body politic in the divorce case of Lothar II, in: Past and Present 161 (1998) 3–38, at 29–31; Michael Richter, The Formation of the Medieval West: Studies in the Oral Culture of the Barbarians (Dublin 1994) 125–145; Karl Morrison, “Know thyself”: Music in the Carolingian Renaissance, in: Committenti e produzione artistico-letteraria nell’alto medioevo occidentale 1 (Settimane di studio del centro italiano di studi sull’alto Medioevo 39, Spoleto 1992) 369–483; Jörg O. Fichte, Expository Voices in Medieval Drama (Nürnberg 1975) 6. Dox, The Idea of the Theatre, provides a good historiographical survey of this tradition. See also Ronald W. Vince, Ancient and Medieval Theatre: A Historiographical Handbook (Westport-Conn. 1984). See Dox, The Idea of the Theatre; Kelly, Ideas and Forms of Tragedy; Heiko Jürgens, Pompa diaboli: Die lateinischen Kirchenväter und das antike Theater (Stuttgart 1972). See the stimulating remarks on the presence of theater and personae in Carolingian thought by Morrison, “Know thyself.” For a general survey of medieval attitudes towards Terence, see Julia Bolton Holloway, Slaves and princes: Terence through time, in: The Influence of the Classical World on Medieval Literature, Architecture, Music, and Culture, ed. Fidel Fajardo-Acosta (Lewiston-New York 1992) 34–53; Paul Theiner, The medieval Terence, in: The Learned and the Lewed: Studies in Chaucer and Medieval Literature, ed. Larry D. Benson (Cambridge-Mass. 1974) 231–247; Edward K. Rand, Early mediaeval commentaries on Terence, in: Classical Philology 4 (1909) 359–389; and Max Manitius, Beiträge zur Geschichte römischer Dichter im Mittelalter, in: Philologus: Zeitschrift für das klassische Alterthum 52 (1894) 546–552. Perhaps the most remarkable use of Terence in the early Middle Ages was by Paschasius Radbertus, an abbot of Corbie during the ninth century, in his Epitaphium Arsenii (ed. Ernst Dümmler, Philologische und historische Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 2 [1900]) 1–98; see Booker, Writing a Wrong 90–98. On Carolingian illuminated manuscripts of Terence, see Charles R. Dodwell, Anglo-Saxon Gestures and the Roman Stage (Cambridge 2000); together with David H. Wright, The organization of the lost late antique Terence, in: Medieval Manuscripts of the Latin Classics: Production and Use, ed. Claudine A. Chavannes-Mazel/Margaret M. Smith (Los Altos Hills 1996) 41–56; and Leslie Webber Jones/Charles Rufus Morey, The Miniatures of the Manuscripts of Terence Prior to the Thirteenth Century, 2 volumes (Princeton 1930–1931). personae quam homini similior effecta, Einhard, Translatio et miracula III, 16, ed. Waitz 254, trans. Dutton, Charlemagne’s Courtier 106. On the theatrical connotations of the term persona, see Mary H. Marshall, Boethius’ definition of persona and mediaeval understanding of the Roman theater, in: Speculum 25 (1950) 471–482. Jorge Luis Borges, Averroes’ search, in: id., Labyrinths. Selected Stories and Other Writings (New York 1964) 148–155. On this story, see Jon Stewart, Borges on language and translation, in: Philosophy and Literature 19 (1995) 320–329.
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authors often devised rather creative definitions for these unfamiliar terms.70 It is extremely regrettable that we do not know the identity of the Astronomer,71 for it might shed light on his intended meaning of tragedy, and consequently on the demands that this concept made on the configuration of his narrative.72 Certainly he used the term with a degree of technical precision beyond what Karl Young once enumerated as the three basic criteria understood in the Middle Ages to constitute tragedy: that the story should begin happily, but end with misfortune; that it should be written in an elevated style; and that it should treat weighty events in the lives of eminent persons.73 As we have seen, the Astronomer saw Louis’s “unheard-of tragedy” as a Christological passion. Here, Biblical typology was being fused specifically with a genre of ancient drama to provide keen insight, a method that has important implications both for the historiography of the ninth century and for that of the modern era as well. While John Matthews, Timothy Barnes, and T. P. Wiseman have recently asked similar questions about drama and its influence upon the interpretive modes of the ancient and late antique Romans, and Gabriel Piterberg of the early modern Ottomans, no one has yet examined the Carolingians in this light, despite their clear fascination with drama, a fascination that – like so much else – sets them in bold relief by comparison with the rest of the early Middle Ages.74 PERFORMING THE PAST These ninth-century narratives influenced representations of 833 for the next eight hundred years in accordance with the three precedents noted earlier: first, memories of 833 tended to be sympathetic to Louis; second, largely due to the extraordinary vividness of the ninth-century accounts, the events often received special attention in later narratives; and third, such sympathetic, vivid representations generally served to comment 70 71
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See Dox, The Idea of the Theatre; Kelly, Ideas and Forms of Tragedy. Over the years, scholars have made many guesses regarding the identity of the Astronomer, ranging from the long-held medieval conviction that he was Einhard (cf. Tremp’s introduction to the edition: Tremp, Einleitung 53ff.), to the notary Hirminmaris (Johann Georg von Eckhart, Commentarii de rebus Franciae orientalis et episcopatus Wirceburgensis [...] [Würzburg 1729] 323), to the archchaplain Hilduin (Max Buchner, Entstehungszeit und Verfasser der ‚Vita Hludowici‘ des ‚Astronomen‘, in: Historisches Jahrbuch 60 [1940] 14–45), to the Irish monk Dicuil (Philippe Depreux, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux [781–840] [Sigmaringen 1997] 114) to archbishop Jonas of Orléans (Matthias M. Tischler, Einharts Vita Karoli. Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption 2 [MGH Schriften 48, Hannover 2001] 1109). I find it surprising, however, that no one, to my knowledge, has suggested Walafrid Strabo as a possible candidate. He is known to have been at court for a decade (829–838), to have remained firmly loyal to Louis and Judith, to have read and carefully edited the biographies of Charlemagne by Einhard and Louis the Pious by Thegan at about the time the Astronomer’s text was written, and to have kept a vademecum filled with extracts and notes concerning medical and astronomical matters (about which the Astronomer proudly displays his learning in his text); see Booker, A new prologue. Note also that the Astronomer and Walafrid both characterize Louis as a lover of aequitas: cf. Astronomus, Vita Hludowici 23, 38, 54, 59, 60, ed. Tremp 354, 424, 504, 526, 530; and Walafrid Strabo, Ad eandem [sc. Judith] de quodam somnio (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini Aevi Carolini 2, Berlin 1884) 379–380. On the narrative demands made by such interpretive modes, see Dershowitz, Life is not a dramatic narrative; and Hayden White, Historical emplotment and the problem of truth, in: Probing the Limits of Representation: Nazism and the “Final Solution”, ed. Saul Friedlander (Cambridge-Mass. 1992) 37–53, at 42–43, “a specific plot type ([such as a] tragedy) can simultaneously determine the kinds of events to be featured in any story that can be told about them and provide a pattern for the assignment of the roles that can possibly be played by the agents and agencies inhabiting the scene thus constituted.” Cf. the comments of Carlo Ginzburg, Proofs and possibilities: In the margins of Natalie Zemon Davis’ The Return of Martin Guerre, in: Yearbook of Comparative and General Literature 37 (1988) 114–127, at 118–119. Karl Young, The Drama of the Medieval Church 1 (Oxford 1933) 6. John Matthews, Peter Valvomeres, re-arrested, in: Homo Viator. Classical Essays for John Bramble, ed. Michael Whitby/Philip Hardie/Mary Whitby (Bristol 1987) 277–284; Timothy D. Barnes, Ammianus Marcellinus and the Representation of Historical Reality (Ithaca-New York 1998) 11–19; Timothy P. Wiseman, Roman Drama and Roman History (Exeter 1998); Piterberg, An Ottoman Tragedy. Indicative of this Carolingian lacuna is the fact that the massively erudite and comprehensive second volume of the New Cambridge Medieval History 2: c. 700–c. 900, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1995), covering the Carolingian period has no index entry for “drama” or “theater”, let alone “comedy” or “tragedy.” Modern Carolingian studies are also devoid of “performativity” as a category of analysis, which is particularly regrettable, given that members of the royal court regularly communicated using classical and Biblical bynames; see Mary Garrison, The social world of Alcuin: Nicknames at York and at the Carolingian court, in: Alcuin of York: Scholar at the Carolingian Court, ed. Luuk A. J. R. Houwen/Alasdair A. MacDonald (Groningen 1998) 59–79. For a good example of the fruitful results produced by the conceptual lens of performativity, see Virginia Burrus, In the theater of this life: The performance of orthodoxy in late antiquity, in: The Limits of Ancient Christianity. Essays on Late Antique Thought and Culture in Honor of R. A. Markus, ed. William E. Klingshirn/Mark Vessey (Ann Arbor 1999) 80–96.
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on contemporary concerns. In other words, as time passed and new narratives about the events were written, the old precedents were consistently followed while the original needs that had set them faded away. This had an impact on how the events of 833 were remembered chiefly in the sense that, while Louis’s abandonment and penance remained a colorful and stirring tale over the centuries, they became increasingly incidental. No longer the central focus in and of themselves, the events of 833 were selectively and creatively remembered in each later case to meet a more pressing priority, whether as part of a tenth-century account of a relic translation evincing the intercessory power of a monastery’s patron saint,75 or as part of an eleventh-century saint’s life justifying the ecclesiastical monitoring and prohibition of marriage among the nobility,76 or as part of a twelfth-century chanson celebrating the glory that comes of unconditional devotion to one’s lord,77 or as part of a thirteenth-century chronicle testifying to the heavenly rewards bestowed upon French kings for their adamant faith.78 In short, once freed from the moorings of their original context, in which their meaning was hotly contested and immediately vital, Louis’s difficulties moved with the currents, proving at once both highly alluring and particularly adaptable to the historical consciousness and concerns of generations of authors.79 Although this “contextual drift” would quite suddenly come to an end in the seventeenth century with the fortuitous rediscovery of certain justificatory texts written by members of the rebellion, the relatively minor controversy they caused would ultimately have little effect either upon the inveterate reputation of Louis as a benign king,80 or upon the entrenched narrative about the iniquity of the conspirators.81 The loyalist narratives of Louis’s
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Odilo of Saint-Médard, Translatio sancti Sebastiani 44 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15,1, Hannover 1887) 377–391, at 388–391 (BHL 7545); abridged French trans. Berthold Zeller, La succession de Charlemagne: Louis le Pieux 814–840 (Paris 1883) 91–94. For the full Latin text, see PL 132, 575–622. For a critical discussion of the work, see Ernst Müller, Die Nithard-Interpolationen und die Urkunden- und Legendenfälschungen im St. Medardus-Kloster bei Soissons, in: Neues Archiv 34 (1909) 689–722, at 700–708; and Denis Defente, Saint-Médard. Trésors d’un abbaye royale (Paris 1996) 29, 92–94. Odbert, Passio Friderici episcopi Traiectensis (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15,1, Hannover 1887) 342–356 (BHL 3157). On Odbert’s text, see the excellent study by Patrick Corbet, Interdits de parenté, hagiographie et politique. La passio Friderici episcopi Traiectensis (ca. 1024), in: Ius Commune: Zeitschrift für europäische Rechtsgeschichte 23 (1996) 1–98. Le Couronnement de Louis: Chanson de geste du XIIe siècle, ed. Ernest Langlois (Paris 21925), trans. Nirmal Dass, The Crowning of Louis: A New Metrical Translation of the Old French Verse Epic (Jefferson-NC 2003). On the Couronnement, see Jean Frappier, Les chansons de geste du cycle de Guillaume d’Orange, 3 volumes (Paris 1955–1983); Ernst R. Curtius, Über die altfranzösische Epik IV: Zum Couronnement Louis, in: Romanische Forschungen 62 (1950) 342–349; Alfred Adler, The dubious nature of Guillaume’s loyalty in le Couronnement de Louis, in: Symposium 2 (1948) 179–191; Jean Frappier, Les thèmes politiques dans le Couronnement de Louis, in: Mélanges de linguistique romane et de philologie médiévale offerts à M. Maurice Delbouille 2 (Gembloux 1964) 195–206; Dominique Boutet, La pusillanimité de Louis dans Aliscans: Idéologie ou topos de cycle? Topique, structure et historicité, in: Le Moyen Age 103 (1997) 275–292. Grandes chroniques de France 4 (ed. Jules Viard, Paris 1927) 112–117. On the Grandes chroniques, see the series of studies by Gabrielle Spiegel, The Chronicle Tradition of Saint-Denis: A Survey (Brookline-Mass. 1978); ead., Romancing the Past: The Rise of Vernacular Prose Historiography in Thirteenth-Century France (Berkeley 1993); ead., The Past as Text; together with Anne D. Hedeman, The Royal Image: Illustrations of the Grandes Chroniques de France, 1274–1422 (Berkeley 1991). On the relationship between history and memory in the Middle Ages, see the work of Patrick J. Geary, Phantoms of Remembrance: Memory and Oblivion at the End of the First Millennium (Princeton 1994); id., Geschichte als Erinnerung?, in: Kontinuität und Wandel: Geschichtsbilder in verschiedenen Fächern und Kulturen, ed. Evelyn Schulz/Wolfgang Sonne (Zürich 1999) 115–140. On the general memory of Louis, see Rudolf Schieffer, Ludwig „der Fromme“. Zur Entstehung eines karolingischen Herrscherbeinamens, in: FMSt 16 (1982) 58–73; and Nikolaus Staubach, „Des grossen Kaisers kleiner Sohn“. Zum Bild Ludwigs des Frommen in der älteren deutschen Geschichtsforschung, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 701–721. While several texts written by members of the rebellion in 833 were rediscovered in the sixteenth and seventeenth centuries (the episcopal narrative of Louis’s confession and penance, printed by Pierre Pithou in 1588; the “political” texts of Agobard of Lyon, printed by Jean-Papire Masson in 1605; the Apologeticus of Ebbo of Reims, printed by Luc d’Achéry in 1666; and the Epitaphium Arsenii of Paschasius Radbertus, printed by Jean Mabillon in 1677), only the texts by Agobard would create any controversy, and only then due to the fact that Agobard had long been venerated uncanonically in Lyon as a saint. Slandered by monarchist historians, who employed Agobard’s new texts to reveal his “shameful” role as the apologist for the rebellion, Agobard’s reputation was defended by devoted writers from Lyon, who in response began to characterize Louis the Pious in severe terms. This rebuttal by Agobard’s defenders initiated a debate over the respective culpability of Agobard and Louis that would serve to make the developments of 833 a center of attention rather than just another exemplum. Yet, while the debate brought the events under closer scrutiny, it never quite moved beyond the personal, ad hominem level to have an impact of any significance upon the traditional historiographical representation of 833 as an infamous year synonymous with treason and disgrace. See Chevallard, Saint Agobard 212–222; and Adrien Bressolles, Saint Agobard: Evêque de Lyon (769–840) (Paris 1949) 11–18.
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supporters had long since established their interpretive place of precedence as the truth about the events of 833, providing a trusted story against which the rebels’ texts could and would be summarily judged and condemned. It was not until the eighteenth century, under the banner of the Enlightenment, that the great shift in attitude toward the events of 833 truly took place. At that time, savants, in their crusade for progress, first began to consider the underlying reasons for the overarching decline of the Carolingian empire.82 To such new concerns about the collective achievement of European – and more specifically, French – society, the events of 833 were deemed especially crucial. They were prevalently viewed not only as the key to understanding the historical case of Carolingian decline, but – far more importantly – as an isolated episode or example, a crisis in which to discern the general social factors and causes that were considered detrimental to the progress of Western civilization.83 Hardly incidental, the events of 833 were resurrected and examined once again for their own particular merits, but this time as a revealing part of a troubled whole, a useful synecdoche. Moreover, Enlightenment thinkers such as Montesquieu, Voltaire, and Mably, in keeping with the Carolingian loyalist tradition, once more began to characterize the participants involved in the now-critical events of 833 as ruthless performers in an opprobrious drama. It was largely from within what they called the “spectacle” of Louis’s abandonment and public penance that certain elements were discovered, abstracted, and generalized onto a broader plane of analysis, there to be used as evidence of the destructive causes and principles responsible for the decline of civilization – be it Carolingian or otherwise.84 No longer the result of God’s disfavor with a morally bankrupt society, the decline of the Carolingians now began to be conceived in terrestrial – and thus in more empirical and predictable – terms of cause and effect.85 For example, to the political philosopher Montesquieu (1689–1755), who sought to understand the relationship between law and changes in the French monarchy, 833 simultaneously demonstrated the behavior that characterized a poor lawgiver (prodigality, imprudence, and precipitate action), the great cost of being a poor lawgiver (deposition and “revolution”), and the nature and identity of those parties who would not hesitate to collect on this debt (an ever-avaricious nobility and clergy).86 Voltaire 82
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See Dutton, Awareness of Historical Decline 28; Peter Burke, Tradition and experience: The idea of decline from Bruni to Gibbon, in: Edward Gibbon and the Decline and Fall of the Roman Empire, ed. Glen W. Bowersock/John Clive/Stephen R. Graubard (Cambridge-Mass. 1977) 87–102; Randolph Starn, Meaning-Levels in the theme of historical decline, in: History and Theory 14 (1975) 1–31, at 7; Marc Bloch, The Historian’s Craft, trans. Peter Putnam (New York 1953) 50–51. See Randolph Starn, Historians and crisis, in: Past and Present 52 (1971) 3–22; and Lionel Gossman, Anecdote and history, in: History and Theory 42 (2003) 143–168, at 148, “the drama and the short story are, like a certain kind of anecdote, condensed forms representing a critical moment in which the ‘essence’ of a situation or character is supposed to be made visible.” Cf. the definition of “spectacle” in the Dictionnaire de l’académie française 2 (Paris 1835) 775, “Spectacle, se dit particulièrement d’Une représentation théâtrale donée au public.” On the eighteenth-century notion of a spectacle in general, see Robert M. Isherwood, Farce and Fantasy: Popular Entertainment in Eighteenth-Century Paris (New York 1986); Robin G. Collingwood, The Idea of History (London 1967) 97. See also the helpful remarks of Paul Hernadi, Re-presenting the past: A note on narrative historiography and historical drama, in: History and Theory 15 (1976) 45–51, at 45, on the dual aspect of historical vision: “[The historian] wants to re-present [the past] with hindsight, disclosing patterns of cause and purpose of which the participants in the original events could not have been fully aware. But the skillful historian does not turn enacted drama into narrated tale by standing in front of the closed curtain, so to speak, with his back turned on the dramatis personae whose own sense of identity relies on their relationship to each other. He knows that we expect him to make us see the past from within and from without at the same time – as evolving drama and as the fixed target of distanced retrospection.” Burke, Tradition and experience 97. Charles de Secondat, baron de Montesquieu, De l’Esprit des loix XXXI, 20–34 (1748; ed. André Masson, Paris 1950); engl.: (trans. Thomas Nugent, The Spirit of the Laws, New York 1949) 246–261. How should one understand that, by 852, “all that could be expected then was to repair in general the injuries done both to church and state” (ibid. XXXI, 23, trans. Nugent 251), when, under the earlier rule of Charlemagne, “the whole [empire] was united by the strength of his genius?” (ibid. XXXI, 18, trans. Nugent 244) Montesquieu found the causes for this decline in the reign of Louis the Pious, and stressed the revelatory quality of 833: Louis “flung his family into a disorder which was followed by the downfall of the monarchy” (ibid. XXXI, 20, trans. Nugent 247); Louis alienated both the nobility (by promoting non-nobles and upstarts such as Ebbo of Reims and Bernard of Septimania) and the clergy (by his severe religious reforms), which led to his abandonment at the Field of Lies (ibid. XXXI, 21, trans. Nugent 248–249); in 833 the clergy warranted the “revolution” because they were falsely promised unheard-of privileges by Louis’s sons (ibid. XXXI, 20, trans. Nugent 247); Louis is told “in a judicial manner” that he was being deposed because he had violated the oath and the promises he had sworn on his coronation day (ibid. XXXI, 20, trans. Nugent 247); the civil wars with which the life of Louis had been embroiled were the “seed” (le germe) of those which followed his death, especially that of the Battle of Fontenoy in 841, which was truly the “ruin of the monarchy” (XXXI, 23, 25, trans. Nugent 250, 254); likewise the seed of primogeniture among the French kings could be seen in letters from Agobard in 833, which justified the rebellion on the right Lothar could claim to the imperial succession (ibid. XXXI, 33, trans. Nugent 263). On Montesquieu’s general view of decline and progress, see John B. Bury,
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(1694–1778) saw in the events of 833 – which he described as an “extraordinary enterprise” – the culmination and sorry result of a practice that had begun in Louis’s time, and thenceforth been the cause of all the great disasters that had befallen Europe: the granting of worldly power to those who had renounced the world. He could not help but be “secretly pleased”, Voltaire confessed, that Louis’s petulant sons had ultimately shown their ecclesiastical cronies Abbot Wala and Pope Gregory IV scarcely more gratitude than that which they had bestowed upon their own deposed and disgraced father.87 For the Abbé Mably (1709–1785), who wished to expose the causes of the continual “revolutions” in the government of the French, 833 clearly revealed the pernicious factors that Charlemagne had been able to stave off, but which had taken their revenge upon his weaker son: namely, corruption by wealth, the preference for the private over the public, and the confusion of license with liberty.88 In short, the “spectacular” events of 833 were now being singled out again and again, yet in each case they revealed different causes of decline to each Enlightenment thinker. What was so special about the events of 833 that isolated them in the minds of these analysts? One suspects that the vivid, dramatic accounts provided by authors of the ninth century resonated with an historical consciousness of the eighteenth century that was particularly attuned to theater and drama. Theater of the Enlightenment, such as the Comédie-Française, is today widely recognized as having deeply influenced, and having been influenced by, French public and intellectual life.89 I would suggest that historians of the time, who were a minute but avid fraction of the over 160,000 annual theater-goers in France, were not immune to this influence, and that a sense of such contemporary theatricality subtly informed the way they apprehended and understood the past.90 For example, of the three Enlightenment thinkers surveyed above, all were in some way deeply involved with the theater, either as critics or as playwrights. Not only was Montesquieu well acquainted with the contemporary French theater and its celebrities, but he was also well versed in the dramatic genres themselves, even trying his hand early in his career at writing plays.91 For Voltaire, as Marvin Carlson reminds us, “the theatre maintained a central position in his interest and affection from the beginning to the end of his career … He created a total of fifty-six [plays], and there was rarely a period in his long life when he was not actively working on a theatrical
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The Idea of Progress (New York 1932) 144–148. On his specific view of Carolingian decline, see Dutton, Awareness of Historical Decline 28; together with Morrissey, Charlemagne and France 206–210. Voltaire, Essai sur les moeurs et ésprit des nations, et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII, 23 (1756; ed. René Pomeau, Paris 1963) 371, Charlemagne had hardly gone to his tomb, Voltaire explained, when civil war desolated both his family and his empire. More specifically, Voltaire characterized the history of this decline as nothing more than a “history of crimes”; ibid. 23, ed. Pomeau 372, one of the sources not just of “Louis the Weak’s” (Louis le faible) misfortune, but of all the greatest disasters which had afflicted Europe since that age, was an abuse that had commenced in the period of Louis’s own lifetime: the granting of worldly power to those who had renounced the world; ibid. 23, ed. Pomeau 374, Abbot Wala had been the chief author of all Louis’s troubles (le premier auteur de ces troubles); ibid. 23, ed. Pomeau 374, Voltaire admits his secret feelings of pleasure over the coarse treatment of Wala and Gregory IV; ibid. 23, ed. Pomeau 375, the events of 833 are characterized as an “extraordinary enterprise” that needed an example to support it. On Voltaire’s general view of decline and progress, see Bury, The Idea of Progress 148–153. On his specific view of Carolingian decline, see Dutton, Awareness of Historical Decline 29; together with Morrissey, Charlemagne and France 203–206. Mably, Observations II, 4, ed. Guizot 1, 153, for Mably, it was a general “anarchy”, and not the specific Battle of Fontenoy, that had led to the decline of the state; ibid. 152, during the reign of Louis the Pious, he explained, the state had hurled itself into anarchy, wherein justice was obliged to give way to force; ibid. 146–152, this state of anarchy had arisen because Louis was weak, susceptible to superstition, and had allowed the ambition, audacity, avarice, intrigue, caprice, and inquietude of both Judith and his sons to overcome him; ibid. 144–145, Mably then notes, referring to the events of 833, how “it was natural that a war started by domestic disputes should conclude by a ridiculous intrigue.” On Mably and this work, see Johnson K. Wright, A Classical Republican in Eighteenth-Century France: The Political Thought of Mably (Stanford 1997) 142–161. On Mably’s specific view of Carolingian decline, see Dutton, Awareness of Historical Decline 28–29; together with Morrissey, Charlemagne and France 210–216. Frederick W. J. Hemmings, Theatre and State in France, 1760–1905 (Cambridge 1994); Isherwood, Farce and Fantasy; John Lough, Paris Theatre Audiences in the Seventeenth and Eighteenth Centuries (Oxford 1957). Hemmings, Theatre and State in France 4; Lough, Paris Theatre Audiences 174; and above all, Sarah Maza, Private Lives and Public Affairs: The Causes Célèbres of Prerevolutionary France (Berkeley 1993) 60–67. Note the important observation by Carlo Ginzburg, History, Rhetoric, and Proof (Hanover-NH 1999) 101–102, of the impact that the newly invented medium of the motion picture had on the historical imagination of Marc Bloch, and his conclusion (at 102) that “the very availability of a narrative device can generate – either directly or indirectly, by raising a silent veto – a specific approach to research.” For Montesquieu’s relationship with the theater, the fundamental study remains Mark H. Waddicor, Montesquieu and the theatre, in: Studies in Eighteenth-Century French Literature, ed. John H. Fox/Mark H. Waddicor/Derek A. Watts (Exeter 1975) 307–317. See also Jean Tarraube, Montesquieu auteur dramatique (Paris 1982); and Henri Lagrave/André Lebois/Jean Tarraube, Études sur Montesquieu: Montesquieu, personnage de théâtre et amateur de théâtre (Paris 1974).
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script.”92 With Mably, one can even detect striking parallels between his theatrical description of the events of 833 and the critical remarks on theater and opera he had given some twenty-four years earlier. In his description of 833, Mably explains that it had been “domestic disputes” which led to civil war, and, as a result of having had such banal origins, it was therefore “natural” that the war should have “conclude[d] by a ridiculous intrigue:” It was natural that a war started by domestic disputes should conclude by a ridiculous intrigue. [Il était naturel qu’une guerre excitée par des tracasseries domestiques, fût terminée par une intrigue ridicule.]93 Within a series of letters on opéra written to the Marquise de Pompadour and published in 1741, Mably first criticized the conclusion of Quinault’s tragédie-opera “Proserpine”, and later launched an attack upon the social and political constraints of Greek tragedy. In both instances, he employed language remarkably similar to that which he would utilize in his description of 833: … and the play [Proserpine], which finally finishes as it started, is concluded by a denouement that is not at all natural. [… et la piéce qui finit enfin comme elle a commencé, est terminée par un dénoüement qui n’est point naturel.]94 The necessity that they [the Greeks] felt of giving a role to the multitude, in order to flatter those people enamored of free government, compels them to place in the scene only those things relating to the public interest. A tragic deed [for those Ancients] is not at all, such as for us [Moderns], a small domestic intrigue that carries on only among five or six people, who, if they are not kings or princes, then merely enact a comedy. [La nécessité où ils étoient de donner un Rôle à la multitude, pour flatter des peuples amoureux du gouvernement libre, les forçoit à ne mettre sur la Scene que des intérêts publics. Une action tragique n’étoit point comme chez nous une petite intrigue domestique qui ne roule qu’entre cinq ou six personnes, qui, si elles n’étoient pas des Rois ou des Princes, ne joüeroient qu’une Comédie.] 95
In these earlier thoughts about drama, Mably was concerned with what constituted a “natural” or an “unnatural” conclusion, and explained that modern tragedy and comedy, unlike their form in antiquity, each consisted of a small “domestic intrigue”. The only difference between the modern forms themselves, he noted, was that tragedy strictly involved the likes of princes and kings. When he later summed up the events of 833, these same thoughts on drama would lend his summary its dramatic shape: Louis’s “domestic” disputes had “naturally” concluded with a “ridiculous intrigue”. Yet, despite the fact that the intrigue of 833 involved princes and kings, Mably still appears to have understood it in the “ridiculous” terms of a comedy; perhaps Louis and his sons seemed to Mably such poor excuses for royalty that their deeds hardly qualified as the lofty stuff of a tragedy. Then again, perhaps Mably was undertaking what the great eighteenth-century playwright and composer Beaumarchais had insisted was the noble task of the dramatist: “Vices and abuses are eternal and disguise themselves in a thousand ways”, the author of the “Marriage of Figaro” explained. “The noble task of the dramatist is to tear away this mask and expose to public ridicule the evils it disguises.”96 92 93 94
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Marvin Carlson, Voltaire and the Theatre of the Eighteenth Century (Westport-Conn. 1998) XV. Mably, Observations II, 4, ed. Guizot 1, 144–145. Gabriel Bonnet de Mably, Lettres à Madame la Marquise de P… sur l’Opéra (Paris 1741) 90–91. On this work and its attribution to Mably (it was published anonymously), see Wright, A Classical Republican 217 note 3. Mably, Lettres à Madame la Marquise 110. Pierre-Augustin Caron Beaumarchais, Préface du Mariage de Figaro (Paris 1785), in: id., Théâtre complet 3, ed. Georges d’Heylli/ François de Marescot (Paris 1870) 9, as cited in Edna C. Fredrick, The Plot and Its Construction in Eighteenth-Century Criticism of French Comedy (Ph.D. dissertation, Bryn Mawr College 1934) 102 note 72. Joseph Calmette, L’Effondrement d’un empire et la naissance d’une Europe, IXe–Xe siècles (Paris 1941) 39, would compare Wala to the character of Basile from the Marriage of Figaro.
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Given their interest in theater and drama, it is certainly no coincidence that, when combing through medieval annals, chronicles, and narratives, such theatrically minded scholars – many of whom were prolific playwrights themselves – were repeatedly struck, to use the Astronomer’s words, by that “almost unheard-of tragedy” of 833.97 Montesquieu, for instance, described the events not only in terms of a “spectacle,” but more specifically in a way that clearly evokes the classic – and in the eighteenth century, contemporary – Aristotelian conception of a tragedy: “the situation of affairs at that time is a spectacle really deserving of pity” (C’est un spectacle digne de pitié de voir l’état des choses en ces temps-là).98 Voltaire also opted for theatrical language when referring to the troubles of the 830s; Wala, he noted, had been the one who “started this memorable scene [of the rebellion and Louis’s abandonment and divestiture].”99 And when Louis the Pious was involved in a public act of state, the Abbé Mably likewise intimated that such affairs were often a sham by pejoratively describing them as a spectacle: in 822, the bishops were edified by the “spectacle” involving the prostration of Louis, Mably explained, one that “appeared” (semblait) to speak to their great credit, though they in truth deserved none, since it was an act not of Christian humility but of shameful cowardice by their monarch. Later in his reign, Louis was so feeble that he could do nothing but be embarrassed by his slavish role in the spectacle or ruse that his public assemblies had become. Consequently, when Mably finally reached the events of 833 in his narrative, he could only see in them the dramaturgical conclusion of such affected, duplicitous behavior – they were the last act of a “comédie d’intrigue” deserving of contempt.100 While Louis’s abandonment and divestiture were readily understood by both Carolingian and Enlightenment interpreters in terms of a dramatic intrigue, the specific meaning and importance of that drama differed radically for analysts of each era. These differences must not be overlooked. For Carolingian loyalist authors, the machinations of the rebellion seemed especially appalling and “tragic” because they demonstrated not just an insidious insolence on the part of the rebels, but a brazen, “almost unheard-of” Christian sacrilege:101 the solemn ritual of public penance had been deviously exploited and manipulated, Louis’s supporters insisted, in order to impart upon the innocent emperor the false appearance of a transgressor, wrongfully strip him of his regalia, make the fraudulent deed “irrevocably” binding, and at the same time perversely allow the cruel leaders of the rebellion to play the benign part of Louis’s attentive and salutary “spiritual doctors.”102 Their appearance and deeds at Saint-Médard had merely been the histrionics of contrived “personae” – immediate roles masking ulterior motives. What was worse, the very men who had hypocritically participated in the travesty were, in the eyes of Louis’s defenders, formerly honored alongside the most upright and renowned figures of the realm. In short, feelings ran high among contemporaries when discussing the almost unheard-of intrigue against 97
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Cf. the remark by Dutton, Awareness of Historical Decline 64, that historians often “unwittingly repeat what they have discovered in Carolingian sources as though ninth-century history [really] was the dramatic story of calamity and dire circumstances which the Carolingians [themselves] tell.” Montesquieu, De l’Esprit XXXI, 23, ed. Masson 406, trans. Nugent 251. For Montesquieu’s awareness of and adherence to Aristotle’s definition of tragedy, see Waddicor, Montesquieu and the theatre 312. For contemporary notions on the relationship between pity and tragedy, see art. pitie, in: Joseph de Laporte, Dictionnaire dramatique, contenant l’histoire des théâtres, les règles du genre dramatique, les observations des maîtres célèbres, et des réflexions nouvelles [...] 2 (Paris 1776) 429–431. For the genre of tragedy in the eighteenth century, see art. tragédie, in: de Laporte, Dictionnaire dramatique 3, 290–307, and Eleanor F. Jourdain, Dramatic Theory and Practice in France, 1690–1808 (London 1921). Voltaire, Essai sur les moeurs 23, ed. Pomeau 372, “Vala, abbé de Corbie, son parent par bâtardise, commença cette scène mémorable.” Mably, Observations II, 4, ed. Guizot 1, at 139, 141, 144–145. For contemporary notions of the “comédie d’intrigue,” see art. piéces d’intrigue, in: de Laporte, Dictionnaire dramatique 2, 425–426. Astronomus, Vita Hludowici 49, ed. Tremp 480, calls the events of 833 an “almost unheard-of tragedy” (pene inaudita traguedia) and an “unheard-of crime” (inauditum scelus). Thegan, Gesta Hludowici 44, ed. Tremp 232, says that the rebels “did unheard-of things” (inaudita fecerunt) and “said unheard-of things” (inaudita locuti sunt) to Louis while they had him incarcerated; this is the only passage in Thegan’s biography where he uses the term inauditus. Conversely, the rebels used the same language of horrified astonishment when referring to Louis’s iniquities: Episcoporum de poenitentia … relatio (ed. Boretius/Krause 2, 55), pene apud christianos inaudito patratu; Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii II, 8 (ed. Dümmler 69), mala … quae umquam vix sunt audita. Utpote medici spiritales, Episcoporum de poenitentia … relatio, ed. Boretius/Krause 2, 53. An analysis of this role in performative terms would prove rewarding; see, for example, Geoffrey Koziol, A father, his son, memory, and hope: The joint diploma of Lothar and Louis V (Pentecost Monday, 979) and the limits of performativity, in: Geschichtswissenschaft und “performative turn”: Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, ed. Jürgen Martschukat/Steffen Patzold (Köln 2003) 83–103; Burrus, In the theater of this life; Innes, He never even allowed; and Morrison, “Know thyself”.
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Louis, for the sooner and more completely the hypocrisy and sanctimony of the rebels could be revealed, the sooner and more completely their vile charges of impropriety, negligence, and iniquity against Louis could also be exposed as part of the nefarious ruse, and consequently discredited.103 In more general terms, for Carolingian authors the significance of the intrigue was immediate, personal, and, above all, religious. Enlightenment philosophes, on the other hand, valued the intrigue for its seemingly timeless and universal secular qualities – qualities that were seen to be the sine qua non of drama itself (which thus suggests one reason for drama’s great popularity with intellectuals at the time). Within its twists and turns, the pernicious social forces and causes responsible for the decline of civilization had been momentarily unmasked, which made the “spectacle” of 833 an extremely useful didactic drama. Not only had the reasons for the collapse of the Carolingian achievement been evinced in the intrigue, but the impediments to the progress of civilization had been glimpsed as well. Ironically, the Astronomer’s Christian tragedy had been resurrected and restaged after nearly a millennium by fervent anticlericalists, thanks to the superficial congruence of a theatrical discourse. The drama’s plot, however, now stripped of its religious mise-en-scène, was decidedly different.104 To gain a sense of the extent to which the pervasive discourse of theater and dramaturgy informed Enlightenment thinking about the events of 833, recall, for example, the anecdote by Talleyrand about the dramatic confrontation between Napoleon and his bishops in 1809. 105 In an effort to upstage them, Napoleon had called the bishops before an audience of his choosing and delivered a pompous harangue, making it clear (both by the harangue and the raving into which it rapidly devolved) that he would not be cast as the lead in a re-staging of Louis’s humiliating defeat. While Napoleon’s performance had its intended effect on his captive audience, other interpreters, free of censure, were quick to adduce his life’s dramatic plot. Within five years the philosopher Georg W. F. Hegel, recalling nothing so much as the Astronomer’s tragic depiction of 833, would specifically describe the melodramatic Napoleon’s defeat in 1814 as a “tragikotaton” (τραγικωτατον), a most tragic event (here in the ancient Greek sense).106 And being the Enlightenment intellectual that he was, Hegel prided himself in the fact that his grand theory had accurately predicted this tragedy (or so he claimed).107 Yet, while Hegel’s formidable powers of discernment had allowed him to recognize in Napoleon a “world-historical” figure, one in the grip of forces beyond his control (the “Cunning of Reason”) and ultimately – indeed, tragically – expendable,108 both men, in their own way, still gripped tightly (and tellingly) to a theatrical metaphor to describe this process, Napoleon from within it and Hegel from without.
In his loyalist narrative, the Astronomer, by slipping in knowing asides, even foreshadows the failure and eventual exposure of the rebels’ scheme during the very act of its telling: Vita Hludowici 48, ed. Tremp 472, the rebels “invoked Pope Gregory under the pretext (sub ornato) that he alone ought and could reconcile sons to father. Afterwards, however, the truth became obvious” (rei tamen veritas post claruit); Vita Hludowici 49, ed. Tremp 480, “the conspirators … used an ingenious argument – or so it seemed – with some of the bishops” (conspiratores … callido – ut sibi visum est – cum aliquibus episcoporum utuntur argumento). Cf. the similar use of foreshadowing by Thegan, note 42 above. 104 On Enlightenment anticlericalism, see the classic work by Peter Gay, The Enlightenment: An Interpretation. The Rise of Modern Paganism (New York 1966); together with the qualifications of Stephen J. Barnett, The Enlightenment and Religion: The Myths of Modernity (Manchester 2003). 105 On the dialectic between French theater and politics in the late eighteenth century, see Maza, Private Lives and Public Affairs; and Paul Friedland, Political Actors: Representative Bodies and Theatricality in the Age of the French Revolution (Ithaca-New York 2002). To Napoleon, it seems the events of 833 were synonymous with ecclesiastical treason in general, an equation I believe was likely held by many others at the time as well. 106 See the letter from Georg W. F. Hegel to Immanuel Niethammer, 29 April 1814, nr. 233 (ed. Johannes Hoffmeister, Briefe von und an Hegel 2, Hamburg 1953) 28; engl.: (trans. Clark Butler/Christiane Seiler, Hegel: The Letters, Bloomington 1984) 307, „Es sind grosse Dinge um uns geschehen. Es ist ein ungeheueres Schauspiel, ein enormes Genie sich selbst zerstören zu sehen. Das ist das τραγικωτατον, das es gibt.“ (Great events have transpired about us. It is a frightful spectacle to see a great genius destroy himself. There is nothing more tragic.) For Hegel’s views on tragedy and drama, see Butler/Seiler, Hegel 650–661; Hegel on Tragedy, ed. Anne Paolucci/Henry Paolucci (Smyrna-Del. 2001); and, above all, Hayden White, Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe (Baltimore 1973) 81–131. 107 Hegel, letter to Immanuel Niethammer, 29 April 1814, ed. Hoffmeister 28, „Die ganze Umwälzung habe ich übrigens, wie ich mich rühmen will, vorausgesagt. In meinem Werke (in der Nacht vor der Schlacht von Jena vollendet) sage ich p. 547 ...“ (trans. Butler/ Seiler 307, “I may pride myself, moreover, on having predicted this entire upheaval. In my book [Phenomenology of Spirit], which I completed the night before the battle of Jena, I said on page 547 ...”). 108 On Hegel and the “Cunning of Reason” (List der Vernunft), see Georg W. F. Hegel, The Philosophy of History, trans. John Sibree (New York 1956) 29–33; Karl Löwith, Meaning in History (Chicago 1949) 52–59; and Amos Funkenstein, Theology and the Sci103
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This grip has remained particularly tenacious. Much like Napoleon, Enlightenment historians and their successors up to the present day have been unable to resist thinking of Louis’s abandonment and penance as a revealing drama, a melancholy or ridiculous spectacle with despicably duplicitous antagonists playing essentialized, categorical roles.109 The great historian Michelet, for instance, viewed the abandonment of “the poor Louis”, which occurred in the “theater” of the Rotfeld, as a “disgraceful scene”, and considered the emperor’s subsequent divestiture at Saint-Médard to have been utterly “absurd”. Yet, it is in his final estimation of Louis the Pious that Michelet’s fondness for the theater – and his special love of Shakespeare – becomes particularly apparent: “poor old Lear”, he concluded, “who found no Cordelia among his children!”110 Such dramatic re-stagings of 833 have only increased over the last two centuries, whether configured as a tragedy,111 a comedy,112 a tragicomedy,113 or just a drama.114 The following representation from a modern historical survey
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entific Imagination from the Middle Ages to the Seventeenth Century (Princeton 1986) 202–205. I have also found helpful Samuel Moyn, Amos Funkenstein on the theological origins of historicism, in: Journal of the History of Ideas 64 (2003) 639–657. See Maza, Private Lives and Public Affairs 14; and Peter Brooks, The Melodramatic Imagination: Balzac, Henry James, Melodrama and the Mode of Excess (New Haven 1995) VII–XX, 1–23. Jules Michelet, Histoire de France 1: Le Moyen Âge. (1833; trans. G.H. Smith, History of France 1, New York 1875) 129. As John R. Williams, Jules Michelet: Historian as Critic of French Literature (Birmingham 1987), has pointed out, Michelet gave a great deal of thought to drama. Indeed, Williams demonstrates (at 18) that Michelet even believed the theater to have been “the genre which offered the best possibility … for reaching the people and giving them direction.” On Michelet’s fondness for Shakespeare, see Oscar A. Haac, Les principes inspirateurs de Michelet (New Haven 1951) 121, and the scattered references in Michelet’s journal, Jules Michelet, Journal, Tome I (1828–1848), ed. Paul Viallaneix (Paris 1959) 53, 115, 129. For broader observations on Michelet’s view of Carolingian decline, see Dutton, Awareness of Historical Decline 35–36. Jean-Marie-Félicité Frantin, Louis-le-Pieux et son siècle 2 (Paris 1839) 45, “c’était sans doute un spectacle lamentable!”; Francis Monnier, Histoire des luttes politiques et religieuses dans les temps carolingiens (Paris 1852) 132, “ce lugubre dénoûment”; Ernst Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches 1 (Leipzig 1862) 78, „ein trauriges Schauspiel“; Leopold August Warnkönig/ Pierre A. F. Gerard, Histoire des Carolingiens 2 (Bruxelles 1862) 62, “L’histoire de ce triste drame est assez connue”; Boyer, Le Champ du Mensonge 49, “l’Alsace, il y a plus de mille ans, a servi de théâtre à l’un des drames les plus tristement célèbres de l’histoire”; ibid. 81, “la première station de cette véritable passion”; Engelbert Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern (Stuttgart 1896) 390, 396, „das tragische Geschick des Kaisers“; Heinrich Fichtenau, Das karolingische Imperium. Soziale und geistige Problematik eines Grossreiches (Zürich 1949) 271, „blutigen Tragödien“; Louis Halphen, Charlemagne et l’empire carolingien (Paris 1947) 297, “la tragique aventure”; Schieffer, Die Krise des karolingischen Imperiums 14, „die Verzweiflung einer Tragödie“; Eleanor S. Duckett, Carolingian Portraits: A Study in the Ninth Century (Ann Arbor 1962) 45, “the opening of tragedy”; Jacques-Henri Bauchy, Récits des temps carolingiens (Paris 1973) 216, “ces tragiques événements”; Philippe Depreux, Empereur, Empereur associé et Pape au temps de Louis le Pieux, in: Revue Belge de philologie et d’histoire 70 (1992) 893–906, at 895, “la tragédie du Rothfeld”; Boshof, Ludwig der Fromme 191, „Ein neuer Akt des Familiendramas began, das nun wahrhaft Züge einer antiken Tragödie annahm“; ibid. 210, „tragischen Zusammenstoß“; Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums 5: 9. und 10. Jahrhundert. Von Ludwig dem Frommen (814) bis zum Tode Ottos III. (1002) (Reinbek bei Hamburg 1998) 80, „christlichen Tragödie“; ibid. 91, „traurigen Akt“; Jane S. Ourand, Louis the Pious and Judith Augusta: In Defense of Sacral Kingship in the Imperium Christianum of the Early Ninth Century (Ph.D. dissertation, University of Massachusetts Amherst 1998) 159, “one of the most dramatic and tragic events of the ninth century”; Koch, Kaiserin Judith 143, „Züge einer antiken Tragödie“ (following Boshof above). Jean-Pierre Charpentier, Essai sur l’histoire littéraire du moyen age (Paris 1833) 365, “N’était-ce point scène et jeu de comédie?”; Chevallard, Saint Agobard 304, “sacrilége comédie”; Halphen, Charlemagne 291, “l’odieuse comédie”; Marcel David, La souveraineté et les limites juridiques du pouvoir monarchique du IXe au XVe siècle (Paris 1954) 119, “une comédie judiciaire”; Paul Zumthor, Charles le Chauve (Paris 1981) 65, “une comédie”; Defente, Saint-Médard 57, “Saint-Médard était aussi facilement accessible aux principaux acteurs de la comédie qui se préparait, Ebbon l’archevêque de Reims le premier.” Gobry, Louis Ier : Premier successeur 210, “cette tragi-comédie.” Frantin, Louis-le-Pieux 2, 55, “ce lieu avait été destiné à servir de théâtre à la degradation de l’Empereur”; ibid., “cette scène scandaleuse”; Auguste Himly, Wala et Louis le débonnaire (Paris 1849) 174, “l’église de Saint-Médard de Soissons, choisie pour servir de théâtre à cette répétition de la scène d’Attigny”; Monnier, Histoire des luttes 132, “Compiègne était devenu le théâtre d’intrigues de tout genre”; Mühlbacher, Deutsche Geschichte 404, „sie sollte in feierlicherer Weise und genau Akt für Akt, wie sich das Schauspiel auf seiten seiner Gegner abgespielt hatte“; Leopold von Ranke, Weltgeschichte 3 (Leipzig 1896) 297, „eine dunkle, trübe Scene“; Fichtenau, Das karolingische Imperium 264, „einem Theatercoup“; Arquillière, L’augustinisme politique 170, “le vrai sens du drame politico-religieux de 833”; Zumthor, Charles le Chauve 66, “scène sordide”; Wallace-Hadrill, The Frankish Church 233, “the moral drama of Louis’s annihilation”; Egon Boshof, Einheitsidee und Teilungsprinzip in der Regierungszeit Ludwigs des Frommen, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 161–189, at 189, „den Epilog zum Drama“; Johannes Fried, Ludwig der Fromme, das Papsttum und die fränkische Kirche, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 231–273, at 266, „das Drama des ‚Lügenfeldes‘“; Roger Collins, Pippin I and the kingdom of Aquitaine, in: Charlemagne’s Heir.
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of the Carolingian empire can stand for the rest: “the outcome of this tragedy was nothing more nor less than the overthrow of Louis the Pious, Judith and Charles. The empress was shut up in an Italian monastery and her son at Prüm, whilst the unfortunate emperor was made to go through the show of a voluntary abdication in the sinister comedy staged at Saint-Médard de Soissons by Archbishop Ebbo of Rheims in October 833.”115 Such quotations can easily be multiplied.116 Certainly the notion of theatrical duplicity has long been useful to historians thinking in terms of rise and decline or growth and decay, for if the moment of crisis, or turning point, in their arcing narratives is viewed as a dramatic intrigue, then assigning blame for the onset of decline/decay becomes a matter of casting the drama’s protagonists (whose motives are pure and candid) and casting its antagonists (whose motives are corrupt and concealed).117 Accordingly, ever since the rise of those grand narratives in the eighteenth century concerned with Carolingian decline/decay, Louis’s eldest son Lothar, bishops Agobard of Lyon and Ebbo of Reims, and many others have consistently been characterized as villains who plotted and schemed.118 (Fig. 3) Viewed with hindsight in the harsh light of the empire’s ruin, the rebels’ repeated justification that their bold measures were taken for the good of the realm119 appears to be nothing but a feeble pretext to mask their greed and lust for power, an apparent ruse made all the more contemptible by its disastrous consequences.120 Put another way, Louis, Judith, and the leaders of the rebellion in 833 have together traditionally been seen as dramatis personae almost too good to be true – as characters not just revealing but virtually embodying those
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New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), ed. Peter Godman/Roger Collins (Oxford 1990) 363–389, at 389, “the extraordinarily complicated drama”; Rudolf Schieffer, Die Karolinger (Stuttgart 1992) 131, „der neue Akt des Familiendramas began damit“; Boshof, Ludwig der Fromme 202, „letzte Akt des Dramas“; Deschner, Kriminalgeschichte 90, „das schimpfliche Schauspiel“; Matthew Innes, State and Society in the Early Middle Ages: The Middle Rhine Valley, 400–1000 (Cambridge 2000) 199, “the next act of the drama unfolded”; Koch, Kaiserin Judith 143, „Mittelpunkt eines entwürdigenden Schauspiels.“ Folz, The Coronation of Charlemagne 189. Worthy of note within these quotations is the clear correlation between the explicitly dramatic emplotment of the events of 833 and Thegan’s report of Louis the Pious’s farewell address to his men on the Rotfeld. It is nearly axiomatic that whenever a narrator includes Louis’s dramatic speech in his account of the events, an explicit reference to the events as some kind of drama is soon to follow (though the reverse is not nearly as often the case). See, for example, Himly, Wala et Louis 165; Monnier, Histoire des luttes 124; Calmette, L’Effondrement 56; Bauchy, Récits des temps carolingiens 216. In an important study, Nikolaus Staubach, Das Herrscherbild Karls des Kahlen: Formen und Funktionen monarchischer Repräsentation im früheren Mittelalter, part I (Ph.D. inaugural dissertation, Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster 1981) 30, argues, on the contrary, that the “tragic” configuration of the events is advantageous precisely because it does not, in his view, hold a single person or group responsible for the internal crises and controversies that appeared during Louis’s reign. Rather, he contends that a dramatic emplotment simultaneously discloses the basic nature of the conflict and allows one to measure the relative value of the objective for which the characters in the “tragedy” strove – regardless of their ultimate success or failure in achieving it. He concludes that the problem of understanding the internal dynamics of the “tragedy of Louis the Pious” takes on a greater urgency the more its events are assigned a fundamental, broadly enveloping dimension, one that serves to extend the events’ essential historical meaning across Louis’s reign in order to make it comprehensible. As the survey in the preceding pages has shown, I would agree only with the last of Staubach’s claims: the greater the size of the “problem” that the events of 833 have been used to “solve,” the greater has been the urgency to understand the events themselves. In the same study, Staubach refers (at 30) to the “tragedy of Louis the Pious” within quotation marks, being the first person, to my knowledge, to have demonstrated an ironic distance from the traditionally received tragic story about the events of the 830s. This tradition of general demonization of the rebellion has occasionally provoked vehement (and particularly fascinating) retorts; see, for example, Charles Barthélemy, La déposition de Louis le Débonnaire, in: id., Erreurs et mensonges historiques, fourth series (Paris 1873) 110–148, at 134, who saw the concerns of Agobard of Lyon as “vraiment patriotiques”, and Agobard as a “prélat qui, avec ses collègues, avait encouru jusqu’ici le double reproche de fanatisme et de révolte contre son légitime souverain.” According to a papal letter printed opposite the title page, Pope Pius IX officially endorsed Barthélemy’s work. Janet L. Nelson, Public histories and private history in the work of Nithard, in: Speculum 60 (1985) 251–293, at 285, has made a cogent critique of such charges of “egoism” against the rebellion and their uncritical acceptance by modern scholars. See the arguments supplied by Agobard of Lyon, Liber apologeticus (ed. Lieven van Acker, CCCM 52, Turnhout 1981) 309–319; id., Cartula, ed. van Acker 323–324; Pope Gregory IV, Epistola (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 5, Berlin 1899) 228–232; Episcoporum de poenitentia … relatio, ed. Boretius/Krause 2, 51–55; Ebbo of Reims, Apologeticus (ed. Albert Werminghoff, MGH Concilia 2, 2, Hannover 1908) 794–806; Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, ed. Dümmler 1–98. See also Boshof, Ludwig der Fromme 182–191. Cf. the observation of Glen W. Bowersock, Gibbon on civil war and rebellion in the decline of the Roman Empire, in: Edward Gibbon and the Decline and Fall of the Roman Empire, ed. id./John Clive/Stephen R. Graubard (Cambridge-Mass. 1977) 27–35, at 31, on the similar way a particular metaphor of decline employed by Gibbon both constrained and compelled him to charge Septimius Severus with having been “the principal author of the decline of the Roman Empire.”
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social factors held to be responsible for the decline/decay of Carolingian civilization121 (and, depending on how one values Carolingian civilization, perhaps responsible for much more).122 Indeed, over the last two and a half centuries, the drama of 833 has been the subject of an opera,123 has been dramatized for French and German theater at least three times124 (Fig. 4), and has twice been romanticized as an historical novel.125 (Fig. 5) The alleged site of Louis’s penitential imprisonment became a popular tourist attraction in the nineteenth century126 (Fig. 6), while the Field of Lies was, as we have seen, long shunned as a haunted, accursed place.127 What is disturbing is that the dramatic, conspiratorial, and ultimately damning interpretation of the events continues to inform not just these popular conceptions but the truth claims made by many historians as well. Just recall the telling words of the modern historian quoted at the beginning of this essay – that Louis’s penance was a
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E.g., factors usually related to the passions, such as (religious) fanaticism opposed to rationalism, or nature opposed to (human) law (cf. the plays by Marc-Xavier-Victor Drap-Arnaud and Ernst von Wildenbruch cited in note 124 below). On the embodiment of such “passions” in drama, see the remarks of Jennifer Montagu, The Expression of the Passions: The Origin and Influence of Charles Le Brun’s Conférence sur l’expression générale et particulière (New Haven 1994) 52–53. More generally, see Representing the Passions: Histories, Bodies, Visions, ed. Richard Meyer (Los Angeles 2003). That the Carolingians represent the pivotal point in medieval, and perhaps all Western history is certainly an overstatement. That they are used to represent a pivotal point, however, is evinced by their position as a transitional “bridge” between Late Antiquity and the Middle Ages in many grand historical narratives of western Europe (as well as in the curriculum of many survey courses on the history of Western Civilization). Where, then, does this leave the events of 833: as the pivotal moment of Carolingian history, which is itself seen as a pivotal era in the history of the West? Although it is rarely put so explicitly (though see Noble, Louis the Pious and the Papacy 352; Ourand, Louis the Pious 157; and Karl F. Werner, Hludovicus Augustus: Gouverner l’empire chrétien – Idées et réalités, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious [814–840], ed. Peter Godman/Roger Collins [Oxford 1990] 3–123, at 15), this is what I believe weighs down upon nearly all modern accounts of 833, lending them such gravity and contributing to their urgency and high drama. Cf. the remarks on the relative historical significance of Carolingian civilization by Paul E. Dutton, Res Carolinae, in: International Journal of the Classical Tradition 4 (1997) 99–110; and Richard E. Sullivan, The Carolingian age: Reflections on its place in the history of the Middle Ages, in: Speculum 64 (1989) 267–306. Georg Caspar Schürmann, Ludovicus Pius oder Ludewig der Fromme (1726; ed. Hans Sommer, Publikation älterer praktischer und theoretischer Musikwerke 17, Leipzig 1890); Hans Sommer, Die Oper Ludwig der Fromme von Georg Caspar Schürmann, in: Monatshefte für Musik-Geschichte 14 (1882) 48–51; id., Zur Schürmann’schen Oper „Ludovicus Pius,“ in: Monatshefte für Musik-Geschichte 24 (1892) 137–139. On Schürmann’s career and works, see Gustav F. Schmidt, Die frühdeutsche Oper und die musikdramatische Kunst Georg Caspar Schürmanns (Regensburg 1933–1934). See Louis-Antoine-François de Marchangy, La Gaule poétique, ou L’histoire de France considérée dans rapports avec la poésie, l’éloquence et les beaux-arts 2 (Paris 1815) 1–50; Marc-Xavier-Victor Drap-Arnaud, Louis Premier (Le Débonnaire), ou Le fanatisme au IXe siècle, Tragédie en cinq actes (Paris 1822); Karl Robe, Ludwig der Fromme. Historisches Schauspiel (Berlin 1862); and Ernst von Wildenbruch, Die Karolinger: Trauerspiel in vier Akten (Berlin 1881). Gerhart Ellert, Ich Judith bekenne (Wien 1952); and Donna W. Cross, Pope Joan: A Novel (New York 1996) 174–177. So deep was the pathos and impact of Louis’s “tragic” imprisonment that, even as late as the nineteenth century, one scholar still found it necessary to argue against the age-old conviction that an enigmatic inscription in the crypt of the monastery of SaintMédard (the lament of a self-styled “Prince of Sorrow”) had been written by the imprisoned and forlorn Emperor Louis himself. According to a letter by Louis Guilbert Cahier written in 1821, published in: Bulletin de la société archéologique, historique et scientifique de Soissons 9 (1855) 131–143, at 142, the inscription ran as follows: “Hélas! je suis bien prins de doleur que je dure mourir me …” The remainder of the inscription was illegible. Cahier’s argument against Louis as its author was based upon his observation that the letters of the inscription, which could still be read “easily” in his day, were in a script of a period much later than the time of Louis the Pious’s captivity. Much to his dismay, Cahier found that the owner of Saint-Médard, Nicolas Geslin, was capitalizing on the widespread, erroneous conviction about Louis’s incarceration (largely based on the tenth-century report of Odilo; see note 75 above) by creating a subterranean passageway to “Louis’s prison” and leading tours of the place to the likes of the Duchess of Berry in 1821. Geslin (1758–1832), the monastery’s owner as of 1803, was a tanner, who had moved his business onto its grounds. See Cahier, Bulletin de la société 132; Letter from Henri Congnet, Dean of Soissons, 15 August 1866, published in: Paul Guérin, Les petits Bollandistes: Vies des saints 16 (Paris 1876) 528; and Defente, Saint-Médard: Trésors 304, 354. The monastery was purchased from Geslin’s heirs in 1840 and converted to a sanatorium for several decades, during which time its storied past was promoted just as vigorously through the sale of souvenirs; see Defente, Saint-Médard: Trésors 307. See Ingold, L’Ochsenfeld 142–143; Kiefer, Die Sagen des Rheinlandes 289–291; and Gravier, Légendes d’Alsace 1, 69–72.
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tragic, Stalinesque show-trial.128 Lothar is now being remembered in terms of Stalin and was apparently just as sinister.129 Clearly it’s time we bring the drama to a close. But before we do, I would like to note one important consequence of the events’ dramatic emplotment. Because the traditional narratives about the events are so vivid and demanding, numerous other extant contemporary texts discussing 833 have never been thoroughly examined, while still others have been read only in the distorting light of the loyalist accounts.130 For instance, despite its remarkable survival, the rebel bishops’ justificatory narrative of their actions has always been seen as a shameful record of an even more shameful intrigue, and thus deserving of little attention.131 To take its contents seriously, it seems, would be to risk being embarrassed by, or complicit with, the actions it justifies and records. However, with only a little effort, and with an eye not for judging but for understanding, one can find many salient things within these texts and in others related to them: that the loyal poet and scholar Walafrid Strabo had a hand in preserving one of them (the bishops’ narrative);132 or that the rebel bishops consciously justified their bold actions in 833 in accordance with Saint Ambrose’s famous letter of reproach to the emperor Theodosius in 390;133 or that a broader moraltheological binary discourse of aequitas and iniquitas framed and lent meaning to what Mayke de Jong has rightly called a penitential frame of reference informing Louis the Pious’s reign.134 But that is all to foreshadow still another story, one characterized more by irony than by tragedy or comedy. A line attributed to Goethe points the way: “tragedy”, he is supposed to have said, “disappears to the degree that an equitable settlement is possible.”135 128
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Magnou-Nortier, La tentative de subversion 640. In 1976, Magnou-Nortier declared that the judgment and excommunication of Louis in 833 was a “genuine tragedy” (vraie tragédie), an opinion she repeated in 1995 with the addition that the clerics who orchestrated the drama were the equivalent of “fanatics” (here one is reminded of Drap-Arnaud’s play of 1822); see Elisabeth Magnou-Nortier, Foi et fidélité: Recherches sur l’évolution des liens personnels chez les Francs du VIIe au IXe siècle (Toulouse 1976) 74; ead., L’Enjeu des biens ecclésiastiques dans la crise du IXe siècle, in: Aux sources de la gestion publique 2 : L’“invasio” des “villae” ou la “villa” comme enjeu de pouvoir, ed. ead. (Lille 1995) 227–259, at 247. For critiques of this representation and the thesis it so vividly depicts, see Gerhard Schmitz, Echte Quellen – falsche Quellen: Müssen zentrale Quellen aus der Zeit Ludwigs des Frommen neu bewertet werden?, in: Von Sacerdotium und Regnum: Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag, ed. Franz-Reiner Erkens/Hartmut Wolff (Köln 2002) 275–300; and de Jong, Sacrum palatium 1245. For other examples of such presentist projection, see Booker, The demanding drama 174. As Elizabeth A. Wood has shown, in her illuminating study Performing Justice: Agitation Trials in Early Soviet Russia (Ithaca-New York 2005), Stalin’s show-trials, with their terror, brutality, coercion, and Manichean outlook, must be understood within their particular historical context, as an outgrowth of an earlier practice of “agitation trials” staged to elicit dialogue on social ills and rouse support for the new regime. If there is a parallel to be drawn between the show-trials and Louis’s public penance, it would be in their use, however different, of Biblical typology – Nikolai Bukharin was known as the “Benjamin” of the Bolshevik party, while Leon Trotsky was referred to as “Judas-Trotsky”; see Wood, Performing Justice 209, 218. I would like to thank Anne Gorsuch for this reference. See notes 81 and 119 above. Karl Joseph von Hefele, Histoire des conciles d’après les documents originaux, revised by Henri Leclercq 4, 1 (Paris 1911) 87 note 1, “La honteuse Relatio episcoporum de exauctoratione Hlodovici …”; Pierre Pithou, Annalium et historiae Francorum ab anno Christi DCCVIII ad annum DCCCCXC scriptores coaetanei XII [...] (Paris 1588), table of contents, “XIII. Acta impiae et nefandae exauctorationis eiusdem Ludovici Imperatoris apud Compendium Anno DCCCXXII [sic].” See Booker, A new prologue 86–87. Similar sentiments have long applied to the apology composed by Ebbo of Reims, ed. Werminghoff 794–806; and the letter of rebuke to Louis’s bishops in 833 from Pope Gregory IV, ed. Dümmler 228–232. See Booker, A new prologue. On the conflict between Ambrose and Theodosius, see Neil B. McLynn, Ambrose of Milan: Church and Court in a Christian Capital (Berkeley 1994) 291–360. For Ambrose’s letter (ex. collect. 11/Maur. 51, ed. Michaela Zelzer, CSEL 82, 3, Wien 1982) 212–218, see Ambrose of Milan, Political Letters and Speeches (trans. John H. W. G. Liebeschuetz/Carole Hill, Translated Texts for Historians 43, Liverpool 2005) 262–269; and for its disappearance during the Middle Ages – with the important exception of the ninth century – see Rudolf Schieffer, Von Mailand nach Canossa: Ein Beitrag zur Geschichte der christlichen Herrscherbuße von Theodosius der Grosse bis zu Heinrich IV, in: Deutsches Archiv 28 (1972) 333–370, at 346–347, 357–358; and Liebeschuetz/ Hill, Ambrose of Milan 44–45. On aequitas, see Marco Orrù, Anomie: History and Meanings (Boston 1987) 43–45, 55–56; together with the observations on aequitas as a virtue of rulership during the reign of Louis the Pious by Eugen Wohlhaupter, Aequitas canonica. Eine Studie aus dem kanonischen Recht (Paderborn 1931) 32–35, criticized unconvincingly by Ekkehard Kaufmann, Aequitatis iudicium. Königsgericht und Billigkeit in der Rechtsordnung des frühen Mittelalters (Frankfurt am Main 1959) 33. For de Jong’s statement, see ead., What was public about public penance? Paenitentia publica and justice in the Carolingian world, in: La giustizia nell’alto Medioevo (secoli IX–XI) (Settimane di studio del centro italiano di studi sull’alto Medioevo 44, 2, Spoleto 1997) 863–904, at 882. For the quotation, see Martin Jarrett-Kerr, The conditions of tragedy, in: Comparative Literature Studies 2 (1965) 363–373, at 368. I have begun to tell this other story in Booker, A new prologue.
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Fig. 1: “Maniac-Raving’s, or Little Boney in a Strong Fit.” Caricature of Napoleon by James Gillray (1803)
Fig. 2: Ninth-century illuminated manuscript of the Comedies of Terence. Rome, Vat. lat. 3868, fol. 4v (Courtesy of Biblioteca Apostolica Vaticana)
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Fig. 3: Sketch by Nicolas Lejeune of an engraving by François-Anne David (late 18th century), bearing the legend: “Ebbon, archevêque de Reims est arrété comme il emportois les Trésors de l’Eglise en 835.” (Georges Boussinesq/Gustave Laurent, Histoire de Reims depuis les origines jusqu’à nos jours, 1, Reims 1933, 177)
Fig. 4: Frontispiece and title page of MarcXavier-Victor Drap-Arnaud, Louis Premier (Le Débonnaire), ou Le fanatisme au IXe siècle, Tragédie en cinq actes (Paris 1822)
Fig. 5: Gerhart Ellert, Ich Judith bekenne: Roman (Wien 1952)
Fig. 6: “Extérieur de la prison de Louis le Débonnaire à St-Médard. Soissons. (Picardie).” Drawing by Danjoy. Musée de Soissons, coll. Beauzée, inv. 90.9.96 (Courtesy of Musée de Soissons)
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S T E FA N E S D E R S
Verfassungsgeschichte im deutschen Kaiserreich: Wilhelm Sickel (1847–1929)* Seit es in Europa geschriebene Verfassungen gibt, die der historischen Legitimation bedürfen, gibt es auch die Verfassungsgeschichte als Deutungsmodell, welches die Aneignung und Interpretation der Vergangenheit maßgeblich bestimmt hat. Dem „Frühmittelalter“ kam dabei eine fundamentale Bedeutung zu, die man paradoxerweise vielleicht am besten daran ersehen kann, dass kein einziges bedeutendes verfassungsgeschichtliches Werk den Terminus „Frühmittelalter“ als Epochenbegriff verwandte – einfach deswegen, weil man diesen Zeitraum nach viel wichtigeren, etwa nationalen oder politischen Kriterien verortete und bewertete. In Deutschland kam es vor allem seit dem 19. Jahrhundert zu eingehenden Erörterungen seiner frühen „Staatsentwicklung“ und „Verfassung“.1 Da jedoch gerade hier die Verfassungsentwicklung keineswegs als evolutionärer Prozess verlief, sondern bis ins 20. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Brüchen bestimmt war, kennzeichnet auch die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung kein kontinuierlich fortschreitender Forschungsprozess. Ganz im Gegenteil: Immer wieder kam es zu Neuansätzen und Paradigmenwechseln, die mit den vorhergehenden Interpretationen brachen, ja rigoros abrechneten – die Namen von Georg Waitz, Georg von Below, Otto Brunner, Walter Schlesinger und anderen Verfassungshistorikern mögen dies schlaglichtartig verdeutlichen. Sie alle traten als energische Historisierer früherer Erklärungsansätze auf, ihre eigenen Modelle sind dann zumeist mit dem Abstand einer Generation selbst historisiert worden. Insofern scheint die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung bis zu einem gewissen Grad nicht nur ihr Gegenwartsbezug, sondern auch ihre Kurzlebigkeit zu kennzeichnen.2 Der Verfassungshistoriker, um den es im Folgenden geht, dürfte den meisten heute kaum mehr dem Namen nach geläufig sein. Wilhelm Sickel, ein jüngerer Vetter des bis dato, zumal in Wien, umso bekannteren * Für Hilfe beim Aufspüren von Briefen Wilhelm Sickels bin ich der ehemaligen Abteilungsleiterin der Sondersammlungen der Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Frau Marie-Christine Henning, zu großem Dank verpflichtet. Hinweise auf weitere Briefe Wilhelm Sickels, die im Archiv des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung verwahrt werden und noch der Auswertung harren, gab mir im Anschluss an die Wiener Tagung Daniela Saxer, wofür ich ihr herzlich danke. 1 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder (Schriften zur Verfassungsgeschichte 1, Berlin 21995); Otto Gerhard Oexle, Feudalismus, Verfassung und Politik im deutschen Kaiserreich, 1868–1920, in: Die Gegenwart des Feudalismus. Présence du féodalisme et présent de la féodalité. The Presence of Feudalism, ed. Natalie Fryde/Pierre Monnet/Otto Gerhard Oexle (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte 173, Göttingen 2002) 211–246. Zu den Anfängen der Verfassungsvergleichung und ihren Motiven vgl. Michael Stolleis, Nationalität und Internationalität. Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts (1998), in: id., Konstitution und Intervention. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert (Frankfurt/M. 2001) 170–194. 2 Um nur einige der wichtigsten Beiträge zu nennen: allgemein Böckenförde, Forschung sowie Karl Kroeschell, Verfassungsgeschichte und Rechtsgeschichte des Mittelalters, in: Gegenstände und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung (Der Staat, Beiheft 6, Berlin 1983) 47–77; zu von Below vgl. Otto Gerhard Oexle, Ein politischer Historiker: Georg von Below (1858–1927), in: Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, ed. Notker Hammerstein (Stuttgart 1988) 283–312, und Hans Cymorek, Georg von Below und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 142, Stuttgart 1998); zu Brunner vgl. Otto Gerhard Oexle, Sozialgeschichte – Begriffsgeschichte – Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 71 (1984) 305–341; Gadi Algazi, Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch (Frankfurt/M. et al. 1996); id., Otto Brunner – „Konkrete Ordnung“ und Sprache der Zeit, in: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, ed. Peter Schöttler (Frankfurt/M. 1997) 166–203. Zu Schlesinger vgl. František Graus, Verfassungsgeschichte des Mittelalters, in: Historische Zeitschrift 243 (1986) 529–589; Elisabeth Magnou-Nortier, Un grand historien: Walter Schlesinger, in: Francia 16,1 (1989) 155–168. – Vgl. jüngst zu diesem Thema auch Bernd Schneidmüller, Von der deutschen Verfassungsgeschichte zur Geschichte politischer Ordnungen und Identitäten im europäischen Mittelalter, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005) 485–500.
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Theodor (v.) Sickel (1826–1908), ist heute vergessen, weil er fast nur Aufsätze publiziert und in den letzten 20 Jahren seines Lebens infolge von Krankheit und Depression gar nichts mehr veröffentlicht hat. Gleichwohl hat er zahlreiche scharfsinnige und hochgelehrte Studien den Institutionen der germanischen und frühmittelalterlichen Verfassungsgeschichte gewidmet, etwa dem Königtum, der Grafschaft, dem Herzogtum, dem Vicecomitat u.a.m. – Studien, deren Ergebnisse dann in die bedeutenden rechts- und verfassungsgeschichtlichen Handbuchsynthesen Heinrich Brunners3 und Richard Schröders4 eingingen. Was ihn mit Blick auf die Vergegenwärtigung und Aneignung des Frühmittelalters interessant macht, ist der zeitgeschichtliche Hintergrund seines Oeuvres. Anhand von Sickels frühem Werk bis in die Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts soll im Folgenden untersucht werden, wie die politischen Veränderungen, die das deutsche Kaiserreich von 1871 herbeiführten, auch die Herangehensweise der Verfassungsgeschichtsschreibung über das frühe Mittelalter in Deutschland geprägt haben. Dabei geht es mir nicht nur darum, Sickels Ansätze zu historisieren, sondern auch zu ergründen, welches methodische Innovationspotential in dieser Zeit eine Rechts- und Geschichtswissenschaft entfalten konnte, die sich bewusst gegenwartsbezogen gab. 1. SICKELS WERDEGANG Als Sohn eines Gymnasialprofessors5 1847 im thüringischen Roßleben geboren, entstammte Sickel einer protestantischen Familie, in deren Verzweigungen eine Vielzahl von prominenten Theologen, Pädagogen und Juristen erscheint.6 Von 1861 bis 1867 absolvierte er das renommierte Gymnasium Schulpforta, an dem beispielsweise auch Leopold von Ranke, Friedrich Nietzsche und Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf ihre Ausbildung erhalten hatten, und beschloss seine Schulzeit als Jahrgangsbester. Das anschließende Studium der Rechte verfolgte Sickel an den Universitäten in Bonn, Halle und Berlin.7 Sickel war Preuße. Ein Jahr vor der gescheiterten 48er Revolution geboren, fielen seine Schuljahre, vor allem aber sein Studium in den Zeitraum, in dem die politischen Grundlagen geschaffen wurden, unter denen der Gelehrte Sickel später wirken sollte: Er erlebte den norddeutschen Bund, den preußisch-französischen Krieg von 1870, zu dem er sich freiwillig meldete, und er wurde Augenzeuge der kleindeutschen Lösung, der Gründung des zweiten Reiches durch Bismarck im Jahr 1871. Nach der Promotion zum Dr. jur. in Berlin 1871, dem juristischen Referendariat und der Habilitation in Göttingen im Jahr 1876 wurde Sickel 1884 nach Marburg auf eine Professur für deutsche Rechtsgeschichte, Privat-, Handels-, Staats- und Kirchenrecht berufen. 1888 folgte ein Ruf nach Straßburg, an diejenige Universität also, mit deren Neugründung das deutsche Kaiserreich nach dem Krieg gegen Frankreich
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Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 1 (Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft 2.1.1, Leipzig et al. 2 1906); id./Claudius Freiherr v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte 2 (Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft 2.1.2, Leipzig et al. 21928). Richard Schröder/Eberhard Freiherr v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (Berlin et al. 71932). Sickels Vater Karl Friedrich Sickel (1811–1887) war Professor an der örtlichen Klosterschule in Roßleben gewesen und hatte mehrere Schulprogramme zu Homer und Thukydides veröffentlicht. Er stand auch in brieflichem Kontakt zu Theodor Sickel (1826–1908), dem Sohn seines Halbbruders, des Pädagogen und Theologen Franz Sickel (1794–1842), vgl. dazu Karl Heldmann, Drei Briefe Theodor v. Sickels, in: Historische Zeitschrift 104 (1910) 114–138, mit Edition zweier Briefe Theodor Sickels an seinen Onkel aus den Jahren 1855 und 1858. Wilhelm Sickel wurde am 6. November 1847 in Roßleben geboren. Zur Familie Sickel, ihrer Herkunft und ihren Verzweigungen vgl. auch die einleitenden Bemerkungen in: Theodor Sickel, Denkwürdigkeiten aus der Werdezeit eines deutschen Geschichtsforschers, bearbeitet von Wilhelm Erben (München et al. 1926) 3–6. Seine Berliner juristische Dissertation von 1871 widmete Sickel Georg Beseler (Sickel gehörte der von Beseler gegründeten „Deutschen Gesellschaft“ für ein Jahr an) und Gustav Homeyer: Guilelmus Sickel, De possessione legitima (Diss. Jur., Berlin 1871) 3; dem seiner Dissertation angefügten Lebenslauf (49) zufolge studierte Sickel in Bonn bei dem Staats- und Völkerrechtler sowie Politiker Ludwig Karl James Aegidi, dem Philologen Jacob Bernays, dem Rechtshistoriker und Leges-Editor Friedrich Bluhme, dem Kanonisten und Politiker Ferdinand Walter und dem mit seinem Vetter Theodor befreundeten Historiker Heinrich Sybel. In Halle lernte er bei dem Rechtshistoriker August Anschütz, dem römisches Recht und später in Berlin Zivilrecht lehrenden Heinrich Dernburg, dem Römisch-Rechtler Hermann Fitting, dem Philologen und Politiker Rudolf Haym, dem Rechtshistoriker und Verwaltungsrechtler Ernst Meier, dem Staats- und Strafrechtler Hugo Meyer und dem Staatsrechtler und Nationalökonom Gustav Schmoller. In Berlin studierte Sickel bei Karl Georg Bruns, der hier römisches Recht lehrte, dem Verfassungs- und Verwaltungsrechtler und Politiker Rudolf von Gneist, dem Zivil- und Strafrechtler Ludwig Eduard Heydemann sowie dem Strafrechtler und Kirchenpolitiker Franz von Holtzendorff (Berlin). Seine Göttinger Habilitationsschrift von 1876 widmete Sickel Rudolf von Jhering, bei dem er römisches Recht und Zivilrecht studiert hatte.
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eine gezielte „Regermanisierung des Elsaß“ betrieb.8 In Straßburg lehrte Sickel deutsche Rechtsgeschichte, Privat- und Kirchenrecht und kehrte erst nach dem 1. Weltkrieg nach Halle zurück, wo er 1929 starb.9 2. „DER DEUTSCHE FREISTAAT“ Es war gewiss eine Huldigung gegenüber dem Zeitgeist, dass Sickel gleich im Anschluss an seine juristischen Qualifikationsarbeiten10 als erstes monographisches Werk eine großangelegte deutsche Verfassungsgeschichte in Angriff nahm. Diese „Geschichte der deutschen Staatsverfassung bis zur Begründung des constitutionellen Staates“ sollte bis in seine eigene Zeit reichen. Das gesamte Werk war auf insgesamt drei Abteilungen angelegt, bestehend aus mindestens vier Bänden. Der erste Band erschien 1879, blieb allerdings der einzige. Er trug den Titel „Der deutsche Freistaat“.11 Für Sickel bestand zu diesem Zeitpunkt wie für die meisten seiner deutschen Zeitgenossen kein Zweifel daran, dass der Staat des Mittelalters ein deutscher Staat gewesen war und dass Germanen und Deutsche als Subjekt politischen Handelns kongruent waren.12 Insofern beginnt seine deutsche Verfassungsgeschichte, wie die meisten Verfassungsgeschichten vor und nach ihm, mit den Germanen. Die Epoche des „deutschen Freistaates“ war bestimmt durch eine nicht-monarchische, republikanische Verfassungsform. Dieses republikanische Zeitalter der deutschen Geschichte suchte Sickel unter Auswertung aller Quellen zu den Germanen zu rekonstruieren. Kurios erscheint die Gliederung des Werkes. Offenbar, weil er eine Systematik suchte, die auch für die späteren Bände seiner Verfassungsgeschichte tauglich sein sollte,13 entwickelte Sickel ein Schema für die Untersuchung der frühen Germanen. Er begann mit der „Bürgerschaft“ und der „Volksherrschaft“, skizzierte dann „das Königthum“, daraufhin „die Religionsverhältnisse“, um – in preußischer Manier – zunächst den „Staatsdienst“, also die Beamtenschaft, „das Heer“ und „das Gerichtswesen“ zu behandeln, nicht zu vergessen „die Polizei“, „das Finanzwesen“, „die Gesetzgebung“ und „die auswärtigen Angelegenheiten“, also die Außenpolitik. Das klingt alles sehr schematisch, und schon Sickels Kritiker, von denen es nicht wenige gab, haben dies bemerkt.14 Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass Sickel den Schematismus seiner Einteilung selbst konterkarierte: 8
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Zur Bedeutung der Universität Straßburg im Rahmen des neu geschaffenen „Reichslandes Elsaß-Lothringen“ vgl. John E. Craig, Scholarship and Nation Building. The Universities of Strasbourg and Alsatian Society 1870–1939 (Chicago et al. 1984) 29–70 u. ö., sowie, zur rechtswissenschaftlichen Fakultät, jetzt eingehend Bernd Schlüter, Reichswissenschaft: Staatsrechtslehre, Staatstheorie und Wissenschaftspolitik im Deutschen Kaiserreich am Beispiel der Reichsuniversität Straßburg (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 168, Frankfurt/M. 2004), der allerdings auf Sickel nicht eingeht. – Zur Stellung des Elsaß im Kaiserreich vgl. Hans-Ulrich Wehler, Elsass-Lothringen von 1870 bis 1918. Das „Reichsland“ als politisch-staatsrechtliches Problem des zweiten deutschen Kaiserreichs, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 109 (1961) 133–199. Obwohl Sickel sich seinen Briefen zufolge in Straßburg gesundheitlich nicht wohl fühlte und zunehmend vereinsamte, blieb er sogar noch einige Zeit nach der französischen Rückgewinnung des Elsaß in Straßburg und kehrte wohl erst um 1920 nach Halle an der Saale zurück. Sickel starb am 25. März 1929 in Halle, das mitunter zu findende Todesdatum 25. August 1929 (vgl. Deutsche biographische Enzyklopädie 9, ed. Walther Killy/Rudolf Vierhaus [München 1998] 302) ist falsch und beruht anscheinend auf einer Verschreibung. Die einzigen mir bekannt gewordenen Nachrufe auf Wilhelm Sickel finden sich in der Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 50 (1930) 670f. (Ulrich Stutz) sowie im Ecce der Landesschule zur Pforte 1929, 6f. Die Dissertation behandelte die „Gewere“ (De possessione legitima), die Habilitationsschrift hatte die Sanktionierung von Vertragsbrüchen im mittelalterlichen Recht zum Gegenstand. Wilhelm Sickel, Geschichte der deutschen Staatsverfassung bis zur Begründung des constitutionellen Staats, Band 1: Der deutsche Freistaat (Halle 1879). Auch hielt es Sickel nicht für ausgeschlossen, dass die Sprachwissenschaft dereinst die staatliche Vorgeschichte „von Glied zu Glied bis hin zu dem arischen Urvolk zurückzuführen“ in der Lage sein könne: Sickel, Der deutsche Freistaat 2. Die Systematik des Buches war im Groben für die anderen Bände mitentwickelt, das heißt, ihre Tauglichkeit würde sich erst in späteren Bänden erweisen. Das vermutete auch Louis Erhardt, Besprechung von Wilhelm Sickel, Geschichte der deutschen Staatsverfassung I (1879), in: Historische Zeitschrift 46 (=N. F. 10) (1881) 483–488, hier 483. Sickels „Methode sowie der ganze Geist“ seines Buches fanden trotz gewisser Vorbehalte insgesamt Erhardts Anerkennung. Ähnlich differenziert auch die Besprechung von Julien Havet, in: Bibliothèque de l’École des chartes 41 (1880) 74–79. Vernichtend war das Urteil von Georg Hüffer, Sammelbesprechung von Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I3 (1880), Wilhelm Sickel, Geschichte der deutschen Staatsverfassung (1879) und Louis Erhardt, Aelteste germanische Staatenbildung (1879), in: Historisches Jahrbuch 2 (1881) 128–145, hier 131f.: Wie andere Rechtshistoriker halte Sickel „die Zeit für gekommen, an Stelle der schrittweis vorgehenden, jede Behauptung aus den Quellen belegenden, analytischen Behandlungsweise der ältesten
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Er kommt auf das Königtum zu sprechen, beschreibt es in allen Einzelheiten, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es eigentlich kein richtiges Königtum bei den Germanen gegeben habe, und von einem Sakralkönigtum könne schon gar nicht die Rede sein.15 Wenn Tacitus etwa Könige bei den Germanen erwähnte, so seien dies allenfalls Häuptlinge gewesen, aber keine Monarchen,16 denn erst die Franken hätten die Monarchie im eigentlichen Sinne geschaffen.17 In ähnlicher Weise behandelt Sickel eingehend die Beamten, um festzustellen, dass ihre Autorität eher auf ihrem sozialen Ansehen und ihrer Eigenmacht als auf einem Amt im eigentlichen Sinne oder gar einer Zwangsgewalt beruht habe.18 Dann erörtert er die Polizei – dieses Kapitel besteht jedoch lediglich aus drei Seiten: Das bei Caesar überlieferte suebische Verbot des Weinimportes nach Germanien wertet Sickel als Beleg polizeilicher Alkoholprohibition, betont allerdings, dass ansonsten von einer regen Polizeitätigkeit bei den Germanen eigentlich keine Rede sein könne.19 Daraufhin geht er auf das Finanzwesen der Germanen ein, um schließlich zu resümieren, dass sich bei ihnen „auch nicht einmal die primitivsten Ansätze zu der Entwicklung einer Staatswirthschaft“ gezeigt hätten.20 Und zuletzt behandelt er auf fünf Seiten die Gesetzgebung bei den Germanen, betont jedoch, dass sie „an praktischer Entbehrlichkeit höchstens von der Polizei übertroffen worden sei“.21 Anders ausgedrückt: Sickel entwarf in seinem Buch zuerst ein verfassungsgeschichtliches Grundgerüst, um gleich danach dessen Eignung für die Beschreibung früherer Zustände zu dekonstruieren. Eine Erklärung für dieses merkwürdige Vorgehen findet der Leser am Ende des Buches, welches den „Untergang des Freistaates“ behandelte. Der letzte Abschnitt bringt es auf den Punkt mit seiner Überschrift: „Das fränkische Reich entscheidet über Deutschlands Zukunft“. Es ging Sickel dabei gar nicht so sehr darum, die Franken hochleben zu lassen. Wichtig war für ihn vielmehr, dass es die von den Franken begründete Verfassungsform der Monarchie war, die die Deutschen gerettet habe. In vorfränkischer Zeit seien die freistaatlichen Germanen mit ihren republikanischen Verfassungselementen gar nicht in der Lage gewesen, eine nachhaltige Außenpolitik zu verfolgen;22 folgerichtig habe ihnen auch die Fähigkeit gefehlt, sich politisch und national zu einen.23 Erst Chlodwigs Reichsgründung und das einende Band der fränkischen Monarchie ermöglichten daher für ihn den Zusammenschluss und die politische Integration der germanischen Stämme.24 Der Gedanke, der dahinter
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Verfassungsgeschichte einen auf Grundlage der bekannten Quellen frei emporstrebenden, innerlich durchdachten und methodisch gegründeten Bau zu setzen, der nur in den wichtigsten Controverspunkten von quellenkritischen Auseinandersetzungen unter dem Texte gestützt wird. ... Der Grundfehler des Sickel’schen Werkes aber ist darin begründet, dass der Verfasser die Quellenzeugnisse in einem geradezu unerhörten Maße für seine Anschauungen gepresst, dass er ganz unglaubliche Dinge aus ihnen herausgelesen hat. So kommt es denn, dass er in jene Zeiten urwüchsigen Naturzustandes auf socialem rechtlichem, wie politischem Gebiete ein System von Staatsverfassung hineingetragen hat, welches jener Urzeit durchaus fremde, tiefpolitische Gedanken unterlegt, ganz und gar auf modernen Staatstheorien beruht, und über Alles dies mit modernen Bezeichnungen und technischen Ausdrücken bei dem erstaunten Leser einführt. ... Dazu kommt endlich eine ausgeprägte Neigung zu abstracten, originell gefassten, überraschenden Sätzen und allgemeinen Behauptungen ..., wodurch auf Schritt und Tritt die Kritik förmlich herausgefordert wird. So muß ich denn leider mein Gesammturtheil dahin aussprechen, dass das Sickel’sche Buch als Ganzes keine Förderung unserer Kenntniß, sondern eine Verwirrung unserer Anschauung bedeutet.“ Hüffer vertrat dabei die Waitz’sche Konzeption von Verfassungsgeschichte, siehe dazu unten Anm. 85. Ablehnend im Grundsatz auch Richard Schröder, Besprechung von Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I3 (1880), in: Historische Zeitschrift 46 (=N. F. 10) (1881) 123–129, hier 123f. Sickel, Der deutsche Freistaat 11. So auch später, vgl. Wilhelm Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 4 (1885) 231–272 u. 331–367, hier 244. Kurze Zeit später modifizierte er diese Auffassung, vgl. Wilhelm Sickel, Besprechung von Louis Erhardt, Älteste germanische Staatenbildung. Eine historische Untersuchung (1879), in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 142 (1880) 161–195, hier 195. Sickel, Der deutsche Freistaat 108f. Charakteristisch dann der ibid. 123 gezogene Schluss, dass über die Zukunft des Amtsrechts die fränkische Monarchie entschied (vgl. auch ibid. 163 seine Ausführungen zur gerichtlichen Zwangsgewalt). Ibid. 164–166. Ibid. 169. Ibid. 175. Ibid. 181 (wohl eine Anspielung auf die Bismarck’sche Außenpolitik des Kaiserreichs). Ibid. 188: „Denn welcher Art und Herkunft auch Stammesgefühl und Stammesprincip gewesen sein mögen, ein Stammesstaatsprincip, das die äußere Politik beherrschte, ist nicht vorhanden gewesen. ... Staatseinheit war nicht ein Stammesideal. Und wäre sie es gewesen, so gehörte dies doch nur der politischen Geschichte an.“ Ibid. 202: „im Westen Deutschlands ... war ein Reich aufgerichtet, welches eine neue Organisation der Staatsmacht begründet hatte, und zum Glück für unser Vaterland wurden die deutschen Stämme diesem Reiche einverleibt. Deutschlands Zukunft entschied sich nicht in Deutschland selbst.“
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steckte, war unzweideutig: Die fränkische Reichsgründung rettete die Deutschen, genauso wie die preußische Reichsgründung von 1871 es wieder tun sollte. Die Nation tendierte nicht von sich aus zu ihrer politischen Einigung, sondern es war vor allem die monarchische Staatsform, die ihre politische Integration ermöglichte und notfalls auch militärisch erzwang.25 Das war eine deutliche Abkehr vom nationalstaatlichen Diskurs der Romantik: Die nationale Einigung war nicht Folge eines aus sich selbst heraus wirkenden, zielgerichteten Volksgeistes, sie war eine politische Frage,26 für den Preußen Sickel unlösbar geknüpft an den Verfassungstyp der Monarchie.27 3. SICKELS FRAGESTELLUNGEN IM LICHTE DES PREUSSISCHEN VERFASSUNGSKONFLIKTES Dieser enge Zeitbezug kennzeichnet auch Sickels weitere Untersuchungen, die offenbar Vorstudien für die geplanten Folgebände seiner Verfassungsgeschichte waren.28 Die von Preußen getragene Reichsgründung und die damit verbundene Verfassungsentwicklung haben auf die Zeitgenossen einen ungeheuren Eindruck hinterlassen, dem sich die wenigsten, schon gar nicht die profiliertesten zeitgenössischen Historiker entziehen konnten oder wollten – so wurden sowohl der römische Prinzipat durch Theodor Mommsen als auch die fränkische Monarchie durch Rudolph Sohm als „Dyarchie“ charakterisiert.29 Den Schlüssel für das Verständnis der verfassungshistorischen Deutungsmodelle Wilhelm Sickels liefert indes in noch höherem Maß der preußische Verfassungskonflikt.30 Zwischen 1860 und 1866 kam es im Königreich Preußen über die Reform des Heeres zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Reichsregierung und dem preußischen Landtag. Der preußische Kriegsminister von Roon legte im Jahr 1860 dem Parlament ein Heeresreformgesetz zur Entscheidung vor, das eine Erhöhung der Truppenstärke, die Verlängerung der Dienstzeit von zwei auf drei Jahre und die Zurückdrängung der Landwehr zugunsten des Berufsheeres vorsah. Als das von den Liberalen dominierte preußische Abgeordnetenhaus ankündigte, den Antrag abzulehnen, zog der Minister das Gesetz zurück mit der Begründung, dass die Militärgewalt ohnehin vom Parlament unabhängig, dieses für das Heer also gar nicht zuständig sei. Stattdessen umging der Minister das zur Finanzierung des Vorhabens wichtige jährliche Budgetrecht des Parlaments dadurch, dass er auf dem Verordnungswege einen Nachtragshaushalt verabschiedete. Bismarck, seit 1862 preußischer Ministerpräsident, regierte dann unter 25
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Deutlich etwa die Anspielung: „Kaum eine einzige Landschaft konnte sich rühmen in selbstgenügsamer Abgeschlossenheit für sich zu leben. War es unter solchen Umständen nicht ein Gewinn, wenn man sich mit solchen gleichen Menschen zu einem Staate verschmolz, wo nicht im Wege friedlicher Vereinbarung, so doch mit kriegerischer Gewalt?“ (Sickel, ibid. 191). Zur Prägung der zeitgenössischen Historie durch die Reichsgründung von 1871 vgl. grundsätzlich Ernst Schulin, Am Ziel ihrer Geschichte. Die deutschen Historiker im Kaiserreich, in: Halle und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, ed. Werner Freitag (Studien zur Landesgeschichte 5, Halle/Saale 22004) 11–24. So besonders deutlich Sickel, Der deutsche Freistaat 188f. Ibid. 205: „Der König behütete das Leben der Gesellschaft, und die Gesellschaft fühlte es, daß sie sich selbst verwandelte, daß der alte Staat ihr und der neuen Civilisation nicht mehr genügte: sie suchte nach einem neuen Staat. Ein neuer Staat für die neue Gesellschaft, das war der treibende Gedanke jener Entwicklung, welche das neue Königthum heraufführte. Und das war das Geheimniß der siegreichen Erfolge der Monarchie, daß die Organisation der Gesammtkraft des Volkes ist, welche ohne Gleichen ist in der Leichtigkeit sowohl als in der Energie ihrer Wirksamkeit; und leicht und einfach musste die neue Regierungsform sein, welche für jene Gesellschaft sich eignen sollte. Was dort in langen, schweren Erfahrungen gewonnen wurde, kam unserem Vaterlande zu Gute. Es ist der größte Wendepunkt der deutschen Verfassungsgeschichte, an dem wir stehen.“ Dies ist wohl auch als Apologie der kleindeutschen Lösung zu verstehen. Wie lange Sickel an dem Vorhaben festhielt, seine Verfassungsgeschichte fortzusetzen, ist nicht mehr genau zu rekonstruieren. Bis zum Ende der 80er Jahre zitierte er sein Werk noch stets als „Geschichte der Staatsverfassung, Band 1“, was darauf schließen lässt, dass er weiterhin an eine Fortführung dachte. Zu Mommsens Konzeption der „Dyarchie“ von Kaiser und Senat vgl. Helmut Castritius, Der römische Prinzipat als Republik (Historische Studien 439, Husum 1982) 10–20; Ines Stahlmann, Imperator Caesar Augustus. Studien zur Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft bis 1945 (Darmstadt 1988) 42–49. Bei Sickel ist die Relevanz der Verfassungsdebatten auch daran zu erkennen, dass er z. T. systematisch zu erörtern suchte, welche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung die republikanische Verfassung der Germanen theoretisch wie praktisch gehabt hätte; besonders deutlich in dieser Hinsicht Sickel, Der deutsche Freistaat 157 über den Gau als Gerichtsbezirk. Dazu eingehend Rainer Wahl, Der preußische Verfassungskonflikt und das konstitutionelle System des Kaiserreichs, in: Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1918), ed. Ernst-Wolfgang Böckenförde (Köln 1972) 171–194. Zum Forschungsstand vgl. auch Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 22, München 1992) 62f. u. 82f.
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Berufung auf diese „Verfassungslücke“ vier Jahre lang ohne ordentlich bewilligtes Budget. Erst 1866, nach dem Krieg gegen Österreich, der den Auftakt zur kleindeutschen Lösung bildete, führte Bismarck auch den Verfassungskonflikt zu einem versöhnlichen Ausgang, indem er an das Parlament eine Bitte um Straflosigkeit („Indemnität“) richtete, was dann zur nachträglichen Bewilligung des Haushaltes führte. Dieser Verfassungskonflikt ist nicht nur für die nachfolgende Verfassungsdiskussion der Juristen und Staatsrechtler,31 sondern auch für die sich entwickelnde Verfassungsgeschichte von kaum zu überschätzender Bedeutung gewesen, und zwar vor allem in dreierlei Hinsicht: Erstens zielte die eigentliche Verfassungsfrage, die hinter dem Streit erkennbar wird, auf das Verhältnis von monarchischem und repräsentativem Prinzip innerhalb einer konstitutionellen Monarchie. Der Konfliktverlauf machte deutlich, dass das Parlament wesentliche Teile der Regierungsgeschäfte nicht unter seine Kontrolle hatte bringen können. Und die Beilegung des Konflikts, die ja nicht durch einen Verfassungskompromiss, sondern im Nachhinein im Zeichen vollendeter Tatsachen über Bismarcks Bitte um Straflosigkeit erreicht wurde, zeigte, dass die Monarchie sich etwaige Beschränkungen ihrer Macht gleichsam selbst auferlegte, aber nicht auf dem Rechtswege vom Parlament dazu gezwungen werden konnte.32 Zweitens wurde der Verfassungskonflikt durch einen Streit über die Wehrpflicht ausgelöst und weitete sich von dort zu einer Grundsatzdiskussion über das Verhältnis von Militär und Gesellschaft aus. Nach Auffassung des preußischen Militärs sollte über die allgemeine Wehrpflicht das Heer zur „Erziehungsschule der Nation“ werden,33 auf die das Parlament wiederum keinen Zugriff haben sollte. Nach der Reichsverfassung von 1870 war das Heer allein auf den König, nicht auf die Verfassung zu vereidigen.34 Über das Militärwesen und die Wehrpflicht blieb die Bevölkerung zu einem wesentlichen Teil direkt dem König unterstellt. Und drittens bildete die Lösung des Konflikts den Auftakt für die nationale Einigung Deutschlands unter der Vorreiterrolle Preußens. Im Unterschied zu anderen Verfassungen der Zeit war im deutschen Kaiserreich nicht die souveräne Nation Träger der Staatsgewalt und auch nicht König und Volk gemeinsam, sondern der König allein.35 Obwohl die Nation zu einer wichtigen Legitimationsgrundlage der Reichsgründung werden sollte, stand der nationale Gedanke unter dem Vorbehalt des Politischen. Die nationale Einigung erfolgte, wie immer wieder betont wurde, als eine Art „Revolution von oben“. Diese drei Themen der zeitgenössischen Verfassungsdiskussion – die Grenzen der Monarchie, die Wehrpflicht und das Wechselverhältnis von Verfassung und Nation – ziehen sich wie ein roter Faden durch Sickels Untersuchungen. Dies gilt zunächst für die Frage, welchen Beschränkungen bei den Germanen die staatliche Gewalt unterlag und welche Grenzen im Frankenreich insbesondere dem Königtum gesetzt waren. Sickel wurde nicht müde zu betonen, dass die königliche Gewalt im Frankenreich eher faktisch denn rechtlich begrenzt gewesen sei.36 Damit meinte er keineswegs, dass das fränkische Königtum eine absolute Monarchie gewesen wäre. Die wich31
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Dazu ausführlich Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871–1918) (Ius Commune, Sonderheft 102, Frankfurt/M. 1997). Die konstitutionelle Monarchie des deutschen Kaiserreiches ist hervorgegangen „nicht aus einer demokratischen Revolution, sondern aus einer monarchischen Reform“: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1918), ed. id. (Köln 1972) 146–170, hier 149. Hieraus erklärt sich auch der Charakter einer möglichen verfassungsmäßigen Beschränkung der monarchischen Gewalt, wie Böckenförde betont hat: „Die Verfassung stellt sich dar als eine – allerdings verbindliche – Selbstbeschränkung der monarchischen Gewalt, sie ist Begrenzung, nicht Grundlage der monarchischen Herrschaft. Der König behält die Fülle der Staatsgewalt bei sich, in ihrer Ausübung unterliegt er den verfassungsmäßigen Bindungen und wird eben dadurch vom absoluten zum ‚konstitutionellen‘ Monarchen.“ (ibid. 148). Böckenförde, Verfassungstyp 153. Ibid. Ibid. 148. Dies hielt er für ein Erbe aus „republikanischer“ Zeit: „In dem deutschen Freistaat entstand das große Princip des deutschen Staatsrechts, daß das Wesen des Königthums eine Beschränkung seiner Befugnisse nicht sowohl erträgt als voraussetzt ... Damals bildete sich die Auffassung, daß die Staatsgewalt unbegrenzt sei hinsichtlich der Gegenstände, welche sie ihrem Willen unterwirft, und daß sie in ihren Aeußerungsformen an kein Gesetz gebunden sei; schon damals“, so Sickel, „war die Ausübung der Staatshoheitsrechte verfassungsmäßig nicht geschieden“: Sickel, Der deutsche Freistaat 1f. Noch 1890 äußerte er sich hierzu: „Es ist leichter die Begrenztheit der königlichen Gewalt als die Grenze selbst zu erkennen“ (Wilhelm Sickel, Besprechung von Numa Denis Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de l’ancienne France: La monarchie franque [1888], in: GGA 152 [1890] 209–248, hier 240).
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tigsten Rechte hätten ungemindert in den Händen der Krone gelegen, die sie ohne Mitwirkung anderer Institutionen ausüben durfte; aber die unübersehbaren Grenzen der königlichen Gewalt lagen vor allem außerhalb der Verfassung, waren also nicht rechtlicher Natur. Vor allem hob Sickel dies für das fränkische Militärwesen hervor. Damit korrespondierte ein anderes Forschungsinteresse Sickels, das den Volks- und Reichsversammlungen galt.37 In einer späteren Studie zur Volksversammlung der Merowingerzeit betonte er: „Das Verfassungsrecht kannte kein Zusammenwirken von König und Volk, sondern die Ausübung des Staatswillens stand dem König allein und frei von einer Volksversammlung zu“.38 Besonders deutlich zeige dies die Thronfolge, „bei der die Unterthanen weder eine Willenserklärung abzugeben hatten, noch nur formell ihre Zustimmung aussprechen mussten. Sie hatten kein Recht auf Fortdauer ihres Staats“.39 Lediglich im Bereich der Gesetzgebung, etwa zur Änderung der Volksrechte, sei der fränkische König auch von Rechts wegen auf die Zustimmung regionaler Volksversammlungen angewiesen gewesen.40 Für diese ebenso wie für die Reichsversammlungen der fränkischen Zeit, die er kurzerhand als „Reichstage“ bezeichnete, lehnte er gemeingermanische Ursprünge und eine Herleitung aus der Gefolgschaft ab.41 Vielmehr deutete er den Reichstag als Ausdruck einer territorialen Organisation und damit als eine Schöpfung des fränkischen Königtums.42 Der Reichstag sei nur gelegentlich und nach Bedarf vom König zur Beratung herangezogen worden, in fränkischer Zeit daher noch kein Institut der Staatsverfassung gewesen: „kein Regierungsact des Monarchen bedurfte seiner juristischen Mitwirkung“.43 Erst später hätten die Reichsfürsten daraus ein Organ zur Wahrung ihrer Sonderrechte gemacht, was den Staat – nach Sickel – förmlich dazu gezwungen habe, „eine Organisation herzustellen, durch welche ihm seine rechtliche Handlungsfähigkeit zurückgegeben und gewahrt“ wurde.44 Diese Maxime hätte Bismarck im Verfassungskonflikt nicht besser formulieren können.45 War somit die Monarchie prinzipiell rechtlich unbegrenzt, in der Ausübung ihrer Herrschaft nicht an den Reichstag gebunden, so legte sich die staatliche Gewalt ungeachtet dessen gewissermaßen freiwillig gewisse Schranken auf:46 „Aus jener (germanischen) Zeit“, so betonte Sickel, „stammt die thatsächliche Selbstbeschränkung der Staatsgewalt, wonach der Bürger mit seiner Person und nicht mit seinem Vermögen der Gesammtheit diente“.47 Dass der Bürger dem Staat mit seiner Person gegenüberstand und dabei sein Besitz von untergeordneter Bedeutung war, führt mitten in eine der bedeutendsten Kontroversen hinein, welche die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts austrug, den Streit zwischen Georg Waitz und Paul Roth über den Charakter der Wehrpflicht im Frankenreich. Während Waitz in seiner Deutschen Verfassungsgeschichte die Auffassung vertreten hatte, dass die Verpflichtung zum Militärdienst im Frankenreich vom Vermögen abhängig 37
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Dazu bereits Sickel, Der deutsche Freistaat 35–39 und 192 mit der Diskussion der Frage, ob sich die germanische Volksversammlung im Sinne einer Repräsentativverfassung hätte weiterentwickeln können. Solche Erörterungen sind auch zu sehen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen staatsrechtlichen Debatte über das Wesen des Parlamentes. Wilhelm Sickel, Die merowingische Volksversammlung, in: MIÖG Erg. Bd. 2 (1888) 295–360, hier 342. Ibid. 332. Ibid. 343; id., Die Entstehung der fränkischen Monarchie, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 4 (1885) 231–272 u. 331–367, hier 250f. Wilhelm Sickel, Zur Geschichte des deutschen Reichstags im Zeitalter des Königthums, in: MIÖG Erg. Bd. 1 (1885) 220–253, hier 221; id., Die merowingische Volksversammlung 336. Sickel, Zur Geschichte des deutschen Reichstags 224. Ibid. 252. Ibid. 253. Schon für die „republikanische“ Zeit bemerkte Sickel, Der deutsche Freistaat 35: „Niemand feindete die Grundlagen der Gesellschaft an, die Volksversammlung war nicht Schauplatz principieller Kämpfe, keiner forderte Verbesserungen seiner Lage oder der Lage Aller. Man war zufrieden mit dem Zustand, in welchem man lebte.“ Dieser Gedanke bestimmte auch Sickels Deutung des Königsschutzes, dessen gemeingermanische Verwurzelung er ebenfalls zugunsten einer merowingischen Erfindung bestritt: „Indem sie [die Merowinger – S. E.] ihrer Herrschaft socialistische Bestandteile hinzufügten und gleichsam zu Königen der ärmeren und am meisten hülfsbedürftigen Leuten wurden, gewannen sie die Stimmung des Volkes für ihre weitere neuernde Thätigkeit“ (Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie 325f.). Zeitgenossen konnten diese Zeilen von 1885 wohl kaum lesen, ohne sich an Bismarcksche Sozialistengesetz von 1878 und an die seit 1881 einsetzende Gesetzgebung zur Sozialversicherung erinnert zu fühlen. Zu letzterer vgl. etwa Michael Stolleis, Die Sozialversicherung Bismarcks (1979), in: id., Konstitution und Intervention. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert (Frankfurt/M. 2001) 226–252. Sickel, Der deutsche Freistaat 2.
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gewesen sei,48 also von der Größe des Hufenbesitzes etwa, betonte der Jurist Roth in seiner „Geschichte des Beneficialwesens“ von 1850 und noch einmal 1863 in seinem Werk „Feudalität und Untertanverband“, dass die Wehrpflicht im fränkischen Reich ursprünglich auf allen freien Untertanen gelastet habe und erst später durch das entstehende Lehnswesen zersetzt worden sei.49 Die politische Ausrichtung, die dahinter stand, war offenkundig: Waitz’ Deutung der Wehrpflicht als Folge der Besitzverteilung in der Gesellschaft beruhte im Kern auf dem bürgerlich-liberalen Gedanken, dass vor allem der Grundbesitz „die Teilhabe am Staat rechtfertigte“; Roth dagegen tendierte einem „Konservativismus“ zu, demzufolge die Wehrpflicht Ausdruck einer selbstverständlichen Unterwerfung aller Untertanen unter die öffentliche Gewalt war.50 Die Frage der Wehrpflicht mündete also in die Grundsatzfrage, ob man sich eher als Bürger fühlen sollte, dem der Staat diente, oder als Untertan.51 Es war folgerichtig, dass Sickel als preußischer Jurist diese Diskussion im Sinne Roths weiterführte,52 was ihm unversehens den Zorn von Waitz und von dessen Schülern eintrug.53 Deutlich zeigt dies seine Interpretation der allgemeinen Treueide der fränkischen Zeit. Weil im Frankenreich der einzelne Untertan persönlich dem Staat verpflichtet war, verkörperte die Treue die charakteristische Untertanentugend im Frankenreich. Die Treueide waren für Sickel daher nicht Ausdruck einer zeitlosen Germanentreue,54 sondern eine Neuschöpfung des merowingischen Königtums: „Die Könige hielten daran fest, dass der Unterthan die Gesinnung haben solle, nach bestem Wissen und Können ihnen seine Schuldigkeit zu leisten, und in der That kam in einem Staat, der auf persönliche Dienste gegründet war, die Gesinnung in weit höherem Maße in Betracht als in einem Staat, der, wie der römische, zumeist von Steuern lebte.“55 Darin steckte auch eine deutliche politische Aussage. Denn wie die Treue so war auch die aus ihr resultierende Wehrpflicht für Sickel Ausdruck der Tatsache, dass der Staat „die Unterthanen persönlich das leisten lässt, was er bedarf, ohne ihnen für die Leistung eine Entschädigung zu gewähren“.56 Damit sei der Staat aber auch nicht darauf angewiesen gewesen, den Konsens mit anderen Interessensvertretern zu suchen, etwa weil er größerer Finanzen bedurft hätte. Ein parlamentarisches Budgetrecht gab es im Frankenreich nicht, wie Sickel betonte: „die Gewalt des Staats, welche die gefährlichste von allen ist, die Besteuerungsgewalt, [war] nicht vorhanden“.57 Die Nationsbildung schließlich erschien Sickel, wie schon angedeutet, zunächst eher als politisches Produkt der Verfassung, nicht als deren Ursache oder das sie antreibende Element. Dem Verhältnis von Staat und Nation ging Sickel 1884 in einem Aufsatz über das Herzogtum näher nach. Er hob darin die quasikönigliche Stellung der Herzöge in militärischer und gerichtlicher Hinsicht hervor.58 Ausgehend von der Beobachtung, „daß die Rechte des deutschen Königs sich im allgemeinen bei dem Herzog wiederfinden“,59 kennzeichnete Sickel das sog. „Volksherzogthum“ erstmals als „Unterkönigreich“60 – eine Aussage übrigens, die 48
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Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2, 13 (Berlin 1882) 473f. Zu Waitz vgl. Böckenförde, Forschung 99–118; Adalbert Erler, Waitz, Georg, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 5 (1998) 1103f. Paul Roth, Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis ins 10. Jahrhundert (Erlangen 1850); id., Feudalität und Untertanverband (Weimar 1863). Zu Roth vgl. Böckenförde, Forschung 180–198; Sten Gagnér, Roth, Paul, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4 (1992) 1160–1166. Vgl. Konrad Huber, Feudalität und Untertanenverband. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Verfassungsgeschichtsschreibung, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, ed. Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 88, Göttingen 1973) 17–55, hier 52; vgl. bereits Böckenförde, Forschung 124–127. Zum Hintergrund dieser Diskussion und zu ihren Konsequenzen für die Sicht auf das Verhältnis von Staat und Gemeinde und die Bewertung der „Feudalisierung“ der Reichsverfassung vgl. Oexle, Feudalismus 220–224. Huber, ibid. So bereits für die republikanische Zeit, vgl. Sickel, Der deutsche Freistaat 15 m. Anm. 4 mit Kritik an der Vorstellung, dass Grundbesitz die Voraussetzung bürgerlicher Partizipationsrechte sei, außerdem ausführlich 126–131 über den Zusammenhang von Bürgerstatus und Wehrpflicht mit ausdrücklicher Polemik gegen die Waitz’sche Auffassung in Anm. 4. Eine energische Fortsetzung dieser Argumentation Roths und Sickels findet sich später vor allem bei Georg von Below, vgl. dazu Oexle, Feudalismus 234f. Vgl. die Erwiderung von Georg Waitz, in: MIÖG 4 (1883) 333. Aufgrund der Schwäche des monarchischen Prinzips bei den Germanen konnte der allgemeine Treueid auf den Herrscher für Sickel nur eine Entwicklung des Frankenreiches sein, vgl. Wilhelm Sickel, Besprechung von Louis Erhardt, Älteste germanische Staatenbildung. Eine historische Untersuchung (1879), in: GGA 142 (1880) 161–195, hier 165. Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie 340. Ibid. 251. Ibid. 251. Wilhelm Sickel, Das Wesen des Volksherzogthums, in: Historische Zeitschrift 52 (=N. F. 16) (1884) 407–490, hier 440–443. Ibid. 431. Ibid. 434.
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dem modernen Forschungsstand, repräsentiert etwa durch Karl Ferdinand Werner,61 Hans-Werner Goetz62 und Matthias Becher63, wesentlich näher steht als der lange Zeit vorherrschenden Lehre vom sog. „älteren Stammesherzogtum“.64 Die Folge war auch hier die Relativierung des ethnischen Faktors, des Volkes. Sickel betonte im Gegenteil, dass das Herzogtum „nicht eine Herrschaft sei mit der Bestimmung, einem Volke Raum für seine Entwicklung dadurch zu bieten, dass es ihm eine Verfassung gewährleiste, sondern dass es für den Regierenden geschaffen sei, um für diesen die Realisierung einer rechtlich selbständigen Gewalt zu ermöglichen.“65 Auch hier verlief die Entwicklung also nicht vom Volk zum Staat, sondern fast umgekehrt, das politische System, die Monarchie, schuf zunächst einmal für seine eigenen Zwecke administrative Einheiten.66 Auch dieser für seine Zeit höchst ungewöhnliche Gedanke ist wohl nur zu verstehen, wenn man die besondere Art in Rechnung stellt, wie in Deutschland der kleindeutsche Nationalstaat entstand.67 Er stand zudem in völligem Einklang mit der seit 1871 von dem Straßburger Staatsrechtler Paul Laband entwickelten Lehre von der juristischen Irrelevanz der Bezeichnung „Volksvertretung“,68 die einen Bruch mit der bis dahin dominanten Auffassung darstellte,69 derzufolge das Volk nach politischer Partizipation strebte und der Reichstag als Organ diente, dem aus dem Volksgeist entspringenden Volkswillen rechtliche Gestaltungskraft zu verleihen.70 61
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Vgl. Karl Ferdinand Werner, Regnum, in: LMA 7 (1995) 587–596 (in Zusammenfassung eigener Forschungen); id., Völker und Regna, in: Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, ed. Carlrichard Brühl/Bernd Schneidmüller (Historische Zeitschrift, Beiheft 24, München 1997) 15–43. Hans-Werner Goetz, Dux und ducatus. Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung des sogenannten „jüngeren“ Stammesherzogtums an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert (Bochum 1977); id., Herzog § 2: Historisches, in: RGA 2. Aufl. 14 (1999) 483–491. Matthias Becher, Rex, dux und gens. Untersuchungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert (Historische Studien 444, Husum 1996). Sickel, Das Wesen des Volksherzogthums 433: „Daß den Zeitgenossen die Parallele zwischen Königthum und Herzogthum nicht entgangen ist, dafür finde ich eine sehr bestimmte Äußerung in der Anwendung des Wortes rex für den Herzog.“ Ähnlich auch ibid. 450, 453, 490 u. ö. Hierauf beruht wesentlich die von K. F. Werner für die Genese der Herzogtümer entwickelte regna-Theorie (siehe oben Anm. 61). – Zur Forschungsgeschichte des sog. „Stammesherzogtums“ vgl. zusammenfassend Goetz, Herzog. Ibid. 489. In ähnlicher Weise wandte Sickel diese Maxime auch auf das fränkische Königtum an, vgl. Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie 330: „Die Monarchie war das unmittelbare Erzeugnis einer freien königlichen Thätigkeit, und wie das Volk den Volksstaat schuf, so der König das Königreich.“ Sickel hat diesen Gedanken mit Blick auf die Volksversammlungen später (1890) noch einmal radikal zugespitzt: „Das Staatsvolk war keine Nation, die sich versammelte, sondern bestand aus den freien Männern der Monarchie, die meist von mehreren Nationalitäten, stets miteinander wenig bekannt und ohne das Gefühl innerer Gemeinschaft, zusammenhaltender Interessen, gemeinsamer Gesinnung waren. Das Volk hatte nicht das Recht, sich selbst zu versammeln, wohl aber die Pflicht, auf Befehl des Königs zu kommen, eine Pflicht, die sich auf das militärische Element gründete“ (Wilhelm Sickel, Besprechung von Numa Denis Fustel de Coulanges 225). Für Labands Arbeiten war der Gedanke charakteristisch, dass das Volk aus dem Staatsrecht geradezu ausgeschlossen wurde. Vgl. in diesem Sinne etwa Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1 (Tübingen 51911) 296: „Eine positive, juristische Bedeutung hat die Bezeichnung der Reichstagsmitglieder als Vertreter des gesamten Volkes daher nicht. ... Der Sinn der Redewendung, daß die Mitglieder des Reichstages Vertreter des gesamten Volkes sind, ist vielmehr ausschließlich ein politischer. Der Ausdruck will sagen: Der Reichstag ist dasjenige Organ, durch welches der Anteil der Reichsangehörigen an den Willensentschlüssen und der Lebenstätigkeit des Reiches vermittelt und ausgeübt wird. ... Die philosophisch-historisch-politische Betrachtung mag sich daran halten, daß das Volksethos, der lebende wirkende Nationalgeist, das sittliche Bewusstsein des Volkes durch den Reichstag zum Ausdruck kommen; die juristische Bestimmung des Wesens des Reichstages darf nicht durch die irreführende Bezeichnung Volksvertretung beeinflusst werden, sondern man muß festhalten, daß der Reichstag nur in dem Sinne und nur deshalb Volksvertretung heißt, weil jeder einzelne Reichsangehörige, der den Erfordernissen des Wahlgesetzes genügt, an der Bildung dieses Organs des Reichs sich zu beteiligen vermag.“ Vgl. dazu Schönberger, Parlament 170–190, ferner Oexle, Feudalismus 229f.; zu Labands Wirken in Straßburg vgl. zuletzt Schlüter, Reichswissenschaft. Die absolute Antithese zu Sickels Auffassung hatte unter den Verfassungshistorikern auch in dieser Frage Waitz vertreten, vgl. Georg Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen (Kiel 1862) 141: „Der König ist nichts ohne das Volk; er hat seine Gewalt nicht vom Volk, aber auch nicht, wie einige gesagt haben, bloß für das Volk: er hat sie so, daß sie wirksam wird in Gemeinschaft mit dem Volk. Zusammenwirken des Königs und des Volkes, das ist das Wesen verfassungsmäßiger Ordnung. Diese gewährt dem Volk einen bestimmten geregelten Anteil an dem Staatsleben überhaupt.“ Vgl. dazu Hisao Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans-Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, ed. Norbert Achterberg/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Berlin 1983) 233–250.
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4. DIE SPÄTERE ENTWICKLUNG – EINE SKIZZE Sickels in ihrer Zeit einzigartig dastehende Einsichten zur fränkischen Zeit waren das Produkt einer verfassungshistorischen Gesamtinterpretation, die ihre Fragestellungen zu wesentlichen Teilen aus der Verfassungsdiskussion des Kaiserreiches bezog. Mit der Konsolidierung des Kaiserreiches kam es jedoch, vor allem seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, zunehmend zur Ersetzung der altpreußischen Staatsidee durch diejenige des „homogenen Nationalstaates“.71 Dem wollte sich offenbar auch Sickel nicht entziehen, wie vor allem ein 1885 publizierter Aufsatz „Zur germanischen Verfassungsgeschichte“ zeigt,72 mit dem auch seine ausgedehntere Beschäftigung mit der vorfränkischen Zeit endete. Auch ein im selben Jahr veröffentlichter Beitrag zur Entstehung der fränkischen Monarchie zeigt deutlich, wie für Sickel die Einzigartigkeit der Verfassung zunehmend auch zu einem Ausdruck der Nation wurde. Geradezu programmatisch sah er sich hier „berechtigt, dem Staate der Merovinger eine nationale Bezeichnung zu geben. Er ist germanisch-fränkisch, germanisch in seinen letzten Grundlagen, fränkisch in deren Ausgestaltung und Weiterbildung und in dem eigenen Erwerb. Denken wir uns etwa Slaven oder Magyaren genau unter denselben Verhältnissen, nach dem Rheindelta verschlagen, nach Süden vordringend und weiter erobernd, würden diese dieselbe soziale Kraftverteilung und politische Denkweise, diese Thronfolge, diesen Inhalt des Verhältnisses des Königs zum Unterthan und eine solche Verwaltungsordnung erworben haben? Wir stehen hier überall in einer Sphäre der nationalen politischen Gesittung“.73 Berücksichtigt man Sickels Veröffentlichungen in den späteren 80er Jahren, so müssen die angeführten Äußerungen allerdings eher als zeitbedingte und vorübergehende Zuspitzungen erscheinen. Sickel scheint in dieser Phase hin- und hergerissen gewesen zu sein zwischen seinen bisherigen Deutungen, in denen er in preußischer Tradition den Primat des Politisch-militärischen innerhalb der frühmittelalterlichen Verfassung betont hatte, dem nationalen Pathos seiner unmittelbaren Gegenwart, das aus der zitierten Passage spricht, und der Suche nach einer neuen Ausrichtung, die recht unvermittelt und dann in großer Breite vor allem in den seit 1888 publizierten Aufsätzen in Erscheinung tritt. Seit diesem Jahr schälte Sickel mit jedem neuen Beitrag immer konsequenter die römischen Anleihen der frühmittelalterlichen Staatlichkeit heraus.74 Für diese Entwicklung lassen sich mehrere Ursachen vermuten. Dabei ist zunächst wohl auszuschließen, dass Sickel seine politisch-historischen Grundüberzeugungen aufgegeben hätte. Gerade seine wissenschaftliche Hinwendung zum karolingischen und oströmischen Kaisertum und zum Kirchenstaat, die sich allein in acht längeren Aufsätzen und mehreren Besprechungen zwischen 1894 und 1903 niedergeschlagen hat, dürfte ohne die Erneuerung des Kaisertums in seiner eigenen Zeit und ohne den Kulturkampf kaum völlig verständlich werden.75 Allerdings wäre es verfehlt, hierin die primäre Veranlassung für Sickels Suche nach römischen Wurzeln der fränkischen Monarchie zu sehen. Denn diese galt zunächst dem merowingischen Königtum. Mir scheint, dass der wichtigste Grund hierfür in Sickels Wechsel nach Straßburg zu sehen ist. Es ist bereits bemerkt worden, welche Ausrichtung und Funktion die neu gegründete Reichsuniversität Straßburg nach dem Willen der preußischen Bildungsreformer um Friedrich Althoff haben sollte.76 Da Sickels wissenschaftliche 71
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Vgl. grundsätzlich Theodor Schieder, Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat (Köln 1961) 10–15. Zur Ersetzung der altpreußischen Staatsidee durch den „homogenen Nationalstaat“, insbesondere seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, vgl. auch Oswald Hauser, Zum Problem der Nationalisierung Preußens, in: Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1918), ed. Ernst-Wolfgang Böckenförde (Köln 1972) 95–105. Wilhelm Sickel, Zur germanischen Verfassungsgeschichte, in: MIÖG Erg. Bd. 1 (1885) 7–50, hier 7 u. 10. Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie 351f. Vgl. dazu als „Pionierstudien“ besonders Wilhelm Sickel, Zum Ursprung des mittelalterlichen Staates, in: MIÖG Erg. Bd. 2 (1888) 199–235, sowie die große Abhandlung zur fränkischen Grafschaftsverfassung und aller dem Grafen untergeordneten Ämter (Zentenare, Dekane usw.): Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters I: Zur Organisation der Grafschaft im fränkischen Reiche, in: MIÖG Erg. Bd. 3 (1890–1894) 451–585, das vielleicht eindrücklichste Zeugnis von Sickels fulminanter Kenntnis sämtlicher in Betracht kommender römischer, fränkischer und nachfränkischer Quellen. Anspielungen auf den Kulturkampf finden sich schon in seinem Buch über den deutschen Freistaat, in dem Sickel etwa zum germanischen Priestertum bemerkte: „Wir sahen ferner, wie er (d. h. der deutsche Priester – S. E.) einen theokratischen Gehorsam schuf, der auf das wohlthätigste wirkte, ohne doch die Einheit des Staates durch ein Streben nach Herrschaft zu gefährden.“ (Sickel, Der deutsche Freistaat 85). Zur Diskussion um das Kaisertum vgl. Schönberger, Parlament 183–190. Siehe oben Anm. 8. Zu Friedrich Althoff, der Professuren an der Straßburger Universität innehatte und dem die entscheidende Rolle bei der Besetzung von Professuren im Kaiserreich zukam, vgl. Bernhard vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882–1907: Das System Althoff, in: Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs,
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Entwicklung der geforderten Germanisierung entgegenlief, scheinen für seine fortschreitende „Romanisierung“ eher wissenschaftsinterne Gründe ursächlich gewesen zu sein. Sickel wurde in Straßburg Nachfolger Rudolph Sohms, der sich im römischen und kirchlichen Recht ebenso sicher bewegte wie im fränkischen.77 Dass Sickel die Relevanz römischer Traditionen hier schon bald bewusst wurde, zeigen vor allem seine regelmäßigen und ausgedehnten Besprechungen gewichtiger Werke der französischen Verfassungsgeschichtsschreibung aus der Feder von Numa Denis Fustel de Coulanges, Ludovic Beauchet, Marcel Thévenin, Ernest Glasson, Paul Viollet, Joseph Calmette und Félix Senn.78 Vor allem die Auseinandersetzung mit Fustel de Coulanges, der bis zur Annexion des Elsaß selbst Professor in Straßburg gewesen und als Althistoriker in Frankreich der vielleicht prominenteste Exponent einer römischen Sichtweise auf die fränkische Zeit war, scheint Sickel in besonderer Weise angeregt und geprägt zu haben. Er kritisierte Fustel zwar mehrfach wegen dessen, wie er meinte, nicht hinreichender Berücksichtigung germanischer Traditionen, machte sich dabei jedoch immer mehr dessen Grundauffassung zu eigen, dass die spätrömischen Verhältnisse den Ausgangspunkt für eine umfassendere Erörterung der fränkischen Monarchie zu bilden hätten.79 Die Professionalisierung von Sickels Arbeitsweise und Quellenauswertung machte während der Straßburger Zeit erhebliche Fortschritte. Zahlreiche Arbeiten entstanden, die wesentlich weniger zeitgeistlastig waren und durch ihre Gelehrsamkeit noch heute Aktualität beanspruchen dürfen. Wie kaum ein anderer Rechts- und Verfassungshistoriker außer vielleicht Heinrich Brunner begann Sickel, die Genese der frühmittelalterlichen Monarchie und Staatlichkeit aus dem spätrömischen Kaiserreich heraus zu erforschen.80 Dabei hat er zahlreiche Zusammenhänge herausgearbeitet, die erst mit den späteren Paradigmenwechseln der Verfassungsgeschichte des 20. Jahrhunderts wieder aus dem historischen Bewusstsein der Verfassungsgeschichtsschreibung verschwinden sollten. Dass Sickel zu einem „Romanisten“ werden konnte, ist freilich nicht als opportunistischer Bruch mit seinen früheren Ansichten zu werten, sondern hat seine unabdingbare Voraussetzung in dem Umstand, dass Sickel seit seinen Anfängen den Bruch zwischen frühen Germanen und fränkischer Zeit stark akzentuiert hatte und das ethnische Erklärungsmodell nur unter dem Vorbehalt des verfassungshistorischen Erklärungsansatzes gelten ließ. Hierin liegt die Aktualität seiner Fragestellung, selbst wenn man heute seinen Etatismus nicht mehr vollständig teilen mag. 5. ZEITGEBUNDENHEIT UND „MODERNITÄT“ Die Bedeutung Wilhelm Sickels liegt nicht allein in der wissenschaftshistorischen Erkenntnis, dass ihn die konsequente Aufnahme verfassungspolitischer Diskussionen seiner Zeit zu einer gegenwartsbezogenen Lesart der „frühen“ Geschichte beflügelt hat, sondern ebenso in der Tatsache, dass genau dies ihn zu einer kritischen Auseinandersetzung mit bis dahin dominierenden Erklärungsansätzen brachte, die uns heute modern erscheint. Die Folge war, dass Sickel den ungebrochenen Traditionszusammenhang der fränkischen zur germanischen Zeit energisch bestritt und mit der Lehre von der germanischen Kontinuität Schritt für Schritt abrechnete: Dies gilt für das merowingische Königtum, den fränkischen Reichstag, die Herzogtümer, Grafschaften und Hundertschaften81 bis hin zum allgemeinen Fidelitätseid.82 Die Annahme eines Bruches in der politischen Verfasstheit zwang
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ed. Peter Baumgart (Preußen in der Geschichte 1, Stuttgart 1980) 9–118. Althoff hatte Sickel 1887 anlässlich seiner Berufung nach Straßburg eine spätere Rückberufung an eine in Preußen gelegene Universität versprochen, diese Zusage jedoch nicht eingehalten; dies betonte Sickel in einem 1906 verfassten Brief (siehe unten Anm. 87). Zu Sohm vgl. zusammenfassend Uwe Kai Jacobs, Sohm, Rudolph, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4 (1990) 1687–1691. Im Einzelnen aufgeführt im Publikationsverzeichnis am Ende dieser Studie. Drei Besprechungen gelten Werken Fustels (siehe Publikationsverzeichnis), wobei die beiden umfangreicheren kurz nach dessen Tod im Jahr 1889 entstanden. Diejenige von 1890 hat Sickel als einzige Besprechung der Vereinigung seiner Aufsätze zu zwei Bänden „Kleine Schriften“ beigegeben, die er der Universitäts- und Landesbibliothek Halle an der Saale vermachte (siehe dazu unten Anm. 88). – Zu Fustel de Coulanges vgl. François Hartog, Le XIXe siècle et l’histoire: Le cas de Fustel de Coulanges (Paris 2 2001). In diesem Kontext bin auch ich erstmals auf Sickel gestoßen und über die andersartige Ausrichtung seiner früheren Studien umso erstaunter gewesen, vgl. Stefan Esders, Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum. Zum Rechtscharakter politischer Herrschaft in Burgund im 6. und 7. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 134, Göttingen 1997) 468. Vgl. Sickel, Der deutsche Freistaat 133f. Dazu Sickel, ibid. 64–67.
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ihn schließlich sogar dazu, anstelle eines zeitlosen Germanentums ethnogenetische Prozesse anzunehmen: „Die Franken der Lex Salica“, so urteilte er einmal, „sind längst nicht mehr die Germanen des Tacitus“.83 Es ist daher kein Zufall, dass sich die Hauptgegnerschaft zu Sickel um Waitz und dessen Schüler formierte, die in der Rankeschen Tradition die Quellen danach zu untersuchen strebten, „wie es eigentlich gewesen“ sei. Sickel hat dagegen schon im knappen Vorwort seines „Freistaates“ von 1879 drastisch Stellung bezogen,84 und Waitz’ Vorrede zur Neuauflage des ersten Bandes seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“ von 1880 ist ohne Frage als direkte Antwort darauf zu verstehen.85 Sickels Methodenverständnis und seine Ablehnung verschiedener Kontinuitätshypothesen veranlassten ihn immer wieder zu äußerst scharfen Besprechungen von Neuauflagen weiterer Bände der Waitzschen Verfassungsgeschichte.86 Seine Vorgehensweise, deren methodische Andersartigkeit deutlicher nicht hätte sein können, war sehr zielgerichtet. Mit großem Scharfsinn und unter Aufbietung umfangreichsten Quellenwissens hat Sickel diesen Weg weiterbeschritten und eine Vielzahl von hochgelehrten Aufsätzen zu Institutionen und Grundproblemen der frühmittelalterlichen Verfassungsgeschichte publiziert. Doch scheiterte er letztlich daran, seine verfassungshistorische Gesamtdarstellung in monographischer Form fortzuführen. Krankheit und Niedergeschlagenheit traten zur wissenschaftlichen und persönlichen Isolation hinzu, die ihn einsam und misstrauisch werden ließen. Sein letztes großes Werk, eine quellengesättigte Monographie über den fränkischen Vicecomitat, hat Wilhelm Sickel in zwei Bänden 1907 und 1908 auf eigene Kosten in einer Auflage von 100 Exemplaren im Privatdruck verlegt – und zwar in der Absicht, diese ausschließlich seinen Freunden im Ausland zukommen zu lassen.87 Einem Freund vertraute er 1908 an: „Ich selbst denke mehr an Pensionirung als an Gegenwart, in etwa 4 Jahren, möchte bis dahin noch einige Fragmente meines fragmentarischen Lebens literarisch zu Ende führen – ich habe es seit 1880 fast nur zu Entwürfen gebracht. Wohin ich dann ziehe, weiss ich nicht.“88 Entgegen früheren Absichten, in die Schweiz auszuwandern, kehrte Sickel nach dem ersten Weltkrieg nach Halle zurück, wo er noch bis kurz vor seinem Tode 1929 in der Universitätsbibliothek wissenschaftlich arbeitete. Doch hat er in seinen letzten zwanzig Lebensjahren nichts mehr veröffentlicht.89 83 84
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Sickel, Die Entstehung der fränkischen Monarchie 335. Das Vorwort zum ersten Band ist knapp und verweist hinsichtlich der Konzeption seiner Verfassungsgeschichte auf das Vorwort zum ersten Band der zweiten Abteilung, der nie erscheinen sollte. Lediglich eine kurze Bemerkung zu der von ihm „eingeschlagene(n) Betrachtungsweise“ verlor Sickel hier und begnügte sich „mit der Andeutung, daß die Wissenschaft der Rechtsgeschichte sich nicht auf die Thatsachen beschränken darf, welche in glaubhaften Quellen überliefert sind, sondern daß sie sowohl aus dem Rechtssystem einer Epoche als auch aus der Betrachtung ihrer gesammten Kultur Licht für dunkle Thatsachen holen und so auch unbezeugte Vorgänge als geschehen annehmen muß. Diese Ergänzungen unseres Wissens sind nur eine Folge davon, daß das Recht ein eigenthümliches geschichtliches Leben und eine besondere Aeußerungsweise hat“ (Sickel, Der deutsche Freistaat V). Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 1: Die Verfassung des deutschen Volkes in ältester Zeit (Berlin 31880) XI: „Ich bekenne offen, dass ich mit einem Verfahren, das in neuster Zeit auf dem Gebiet der Rechts- und Verfassungsgeschichte beobachtet wird, mich nicht befreunden, in ihm nur eine Gefahr für die richtige Erkenntnis der Dinge erblicken kann. Es gilt wohl die Bedeutung und den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen, aber nicht die Vorstellung die wir uns davon machen diesen unterzulegen oder gar die Zeugnisse der Quellen nur als nachträgliche Belege unserer Combinationen zu verwenden. Was einem Möser gestattet war, darf nicht jeder wagen ...“ Auch wenn Sickel hier nicht persönlich genannt wird, geht aus einzelnen Passagen des Waitzschen Werkes und auch aus zeitgenössischen Stellungnahmen hervor, dass dies vor allem gegen ihn gemünzt war. – Der Rezensent Georg Hüffer machte sich in einer äußerst scharfen Besprechung von Sickels „Freistaat“ die Waitz’sche Position zu eigen, siehe oben Anm. 14. Siehe dazu im Einzelnen das Publikationsverzeichnis im Anhang zu diesem Aufsatz. In einem am 12. Juni 1906 verfassten Brief an seinen Freund, den Althistoriker Georg Wissowa in Halle, den er in seiner Marburger Zeit kennengelernt hatte, ging Sickel ausführlich auf seine Feinde (vor allem Engelbert Mühlbacher sowie Gerhard Seeliger und andere von ihm so genannte „Waitzianer“) ein, die als Zeitschriftenherausgeber eine Publikation seiner Aufsätze verhinderten, und bekannte: „Ich mochte keine besondere Veröffentlichung wegen der gegnerischen Clique machen. Nun werde ich vom nächsten Jahre meine Sachen als Manuscript drucken lassen und ins Ausland verschenken, um der widerlichen Parteikritik nicht anheimzufallen“ (der Brief ist erhalten im Nachlass Georg Wissowas in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle unter der Signatur I, 5670). Sickel hat diese Ankündigung bereits im folgenden Jahr wahr gemacht. Sein zweibändiges Werk über den fränkischen Vicecomitat ließ Sickel im Privatdruck auf eigene Kosten herstellen, nachdem er seinen Haushalt aufgelöst hatte. Das Werk ist fast nur in ausländischen Bibliotheken nachweisbar. In Deutschland verfügt die Universitäts- und Landesbibliothek Halle über ein Exemplar dieses hochgelehrten Werkes, das aller Wahrscheinlichkeit nach Sickel selbst der Bibliothek zusammen mit seinen „Kleinen Schriften“ vermacht hat. Postkarte an Georg Wissowa mit Straßburger Poststempel vom 6. 8. 1908 (Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Nachlass Georg Wissowa, Signatur I, 5671). Dem Nachruf im Ecce der Landesschule Pforta ist andeutungsweise zu entnehmen, dass Sickel sich seit seiner Rückkehr nach Halle in seinen letzten Lebensjahren offenbar vorzugsweise mit der Geschichte Preußens beschäftigt hat.
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Die Erfahrung von Veränderungen und Brüchen in der eigenen Gegenwart vermag das Bewusstsein für den historischen Wandel in vergangenen Zeiten zu schärfen. Das Beispiel Wilhelm Sickels verdeutlicht in einer frappierenden, irritierenden, ja fast beunruhigenden Weise die eigenartige Dialektik zwischen der zeitgebundenen Bedingtheit jeder historischen Erkenntnis, dem, was uns aus heutiger Sicht als wissenschaftlicher „Fortschritt“ und methodische „Innovation“ erscheinen möchte, und uns fragwürdig gewordenen politischen Rahmenbedingungen und Motivationen. Aber das eine war ohne das andere nicht zu haben. VERZEICHNIS DER PUBLIKATIONEN WILHELM SICKELS Die nachfolgende erstmalige Zusammenstellung der Publikationen Wilhelm Sickels verzeichnet neben den Monographien seine Aufsätze und, soweit nachweisbar, seine Buchbesprechungen. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21) (22) (23) (24) (25) (26) (27) (28) (29) (30) (31)
De possessione legitima (Diss. Jur., Berlin 1871). Die Bestrafung des Vertragsbruches und analoger Rechtsverletzungen in Deutschland (Habilitationsschrift Göttingen, Halle 1876). Geschichte der deutschen Staatsverfassung bis zur Begründung des constitutionellen Staats, Band 1: Der deutsche Freistaat (Halle 1879). Besprechung von Louis Erhardt, Älteste germanische Staatenbildung. Eine historische Untersuchung (1879), in: GGA 142 (1880) 161–195. Besprechung von Felix Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, H. 1 (1881), in: MIÖG 2 (1881) 127–134. Besprechung von Heinrich von Sybel, Entstehung des Deutschen Königthums (21881), in: MIÖG 3 (1882) 130–137. Staat und Staatenverein, in: MIÖG 3 (1882) 301–303. Besprechung von Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II/1 (31882), in: MIÖG 3 (1882) 608–614. Besprechung von Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II/2 (31883) und III (31883), in: MIÖG 4 (1883) 120–122, 333 u. 622–630. Das Wesen des Volksherzogthums, in: Historische Zeitschrift 52 (=N. F. 16) (1884) 407–490. Die Entstehung der fränkischen Monarchie, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 4 (1885) 231–272 u. 331–367. Die Entstehung des Schöffengerichts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 6 (1885) 1–86. Zur Geschichte des deutschen Reichstags im Zeitalter des Königthums, in: MIÖG Erg. Bd. 1 (1885) 220–253. Zur germanischen Verfassungsgeschichte, in: MIÖG Erg. Bd. 1 (1885) 7–50. Zur Geschichte des Bannes (Marburg 1886). Besprechung von Numa Denis Fustel de Coulanges, Étude sur le titre de migrantibus de la loi salique (1886), in: GGA 148 (1886) 434–436. Besprechung von Ludovic Beauchet, Histoire de l’organisation judiciaire en France (époque franque) (1886), in: GGA 148 (1886) 555–571. Zum ältesten deutschen Zollstrafrecht, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 7 (1887) 505–520. Besprechung von Marcel Thévenin, Textes relatifs aux institutions privées et publiques aux époques mérovingienne et carolingienne (1887), in: GGA 149 (1887) 818–824. Zu Tacitus Germania Cap. 13, in: MIÖG 8 (1887) 477. Zum Ursprung des mittelalterlichen Staates, in: MIÖG Erg. Bd. 2 (1888) 199–235. Besprechung von Ernest D. Glasson, Histoire du droit et des institutions de la France, T. II: époque franque (1888), in: GGA 150 (1888) 433–446. Besprechung von Felix Dahn, Deutsche Geschichte, Bd. I/2 (Bis a. 814) (1888), in: GGA 150 (1888) 617–631. Die merowingische Volksversammlung, in: MIÖG Erg. Bd. 2 (1888) 295–360. Besprechung von Eduard Hubrich, Fränkisches Wahl- und Erbkönigtum der Merowingerzeit (1889), in: GGA 151 (1889) 944–981. Die Reiche der Völkerwanderung, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 9 (1890) 217–254. Besprechung von Numa Denis Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de l’ancienne France, T. III: La monarchie franque (1888), in: GGA 152 (1890) 209–248. Besprechung von Paul Viollet, Histoire des institutions politiques et administratives de la France, T. 1: Droit public (1890), in: GGA 152 (1990) 563–592. Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters I: Zur Organisation der Grafschaft im fränkischen Reiche, in: MIÖG Erg. Bd. 3 (1890–1894) 451–585. Besprechung von Rudolf Hübner, Die Gerichtsurkunden der fränkischen Zeit, 1: Die Gerichtsurkunden aus Deutschland und Frankreich bis zum Jahre 1000 (1891), in: GGA 153 (1891) 733–735. Besprechung von Numa Denis Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de l’ancienne France, T. II: L’invasion germanique et la fin de l’Empire (1891), in: GGA 154 (1892) 121–145.
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Stefan Esders Die Verträge der Päpste mit den Karolingern und das neue Kaiserthum, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 11 (1894) 301–351 u. 12/2 (1894/95) 1–43. Die Privatherrschaften im fränkischen Reiche, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 15 (1896) 111–171 u. 16 (1897) 47–78. Besprechung von Felix Dahn, Könige der Germanen VII: Die Franken unter den Merovingern (1894/95), in: GGA 158 (1896) 269–297. Besprechung von Lelio Ottolenghi, Della dignità imperiale di Carolo Magno (1897), in: GGA 159 (1897) 833–859. Das byzantinische Krönungsrecht bis zum 10. Jahrhundert, in: Byzantinische Zeitschrift 7 (1898) 511–557. Die Kaiserwahl Karls des Großen. Eine rechtsgeschichtliche Erörterung, in: MIÖG 20 (1899) 1–38. Die Kaiserkrönungen von Karl bis Berengar, in: Historische Zeitschrift 82 (=N. F. 46) (1899) 1–37. Kirchenstaat und Karolinger. Staatsrechtliche Bemerkungen, in: Historische Zeitschrift 84 (=N. F. 48) (1900) 385–409. Besprechung von Johann Adam Ketterer, Karl der Große und die Kirche (1898), in: GGA 162 (1900) 106–139. Alberich II. und der Kirchenstaat, in: MIÖG 23 (1902) 50–126. Besprechung von Georg Waitz, Abhandlungen zur deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte (Gesammelte Abhandlungen Bd. 1, hrsg. von Karl Zeumer, 1896), in: GGA 164 (1902) 606–619. Besprechung von Joseph Calmette, La diplomatie carolingienne du traité de Verdun à la mort de Charles le Chauve (843–877) (1901), in: GGA 164 (1902) 929–953. Zum karolingischen Thronrecht, in: Festschrift zu August Sigmund Schultzes siebenzigstem Geburtstag gewidmet von der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Kaiser-Wilhelm-Universität in Strassburg, Leipzig 1903, 95–138. Besprechung von Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte V,1 (21893, bearb. v. Karl Zeumer), in: GGA 165 (1903) 799–827. Das Thronfolgerecht der unehelichen Karolinger, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 24 (1903) 110–147. Besprechung von Félix Senn, L’institution des avoueries ecclésiastiques en France (1903), in: GGA 166 (1904) 788–823. Der fränkische Vicecomitat, 2 Bde. (Privatdruck o. O., 1907/08).
BENUTZTE BRIEFE UND ORIGINALDOKUMENTE WILHELM SICKELS Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Sondersammlungen, Nachlass Georg Wissowa, Signatur I, 5670: Brief Wilhelm Sickels an Georg Wissowa vom 12. Juni 1906; Signatur I, 5672: Postkarte Wilhelm Sickels an Georg Wissowa mit Straßburger Poststempel vom 6. 8. 1908. Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Buchbestand, Signatur Ka 2033: Wilhelm Sickel, „Kleine Schriften“, 2 Bände (Unikat, bestehend aus zusammengebundenen Sonderdrucken, z. T. mit handschriftlichen Ergänzungen des Verfassers; enthält alle Aufsätze mit Ausnahme der oben aufgeführten Nr. 26, außerdem die unter Nr. 27 aufgeführte Besprechung).
JENS SCHNEIDER
Deutsche Lieder? Die romantische Gegenwart des Mittelalters1 Vergegenwärtigung des Mittelalters kann auf verschiedene Weisen stattfinden: im Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis; imitierend oder parodierend, etwa in der literarischen und musikalischen Rezeption; auf der Suche nach Negativ-/Positivindikatoren oder markers von Identität in der eigenen Vergangenheit. Dies Letztere kann zu einer rückwärtsgewandten Idealisierung führen oder auch zur Instrumentalisierung, die Ansprüche der Gegenwart mit Argumenten aus der Vergangenheit rechtfertigt. Was ist vor diesem Hintergrund ein deutsches Lied? Für das Mittelalter sind wir gut unterrichtet: Die Debatte um ‚deutsch‘ und ‚theodiscus‘ scheint sprachwissenschaftlich abgeschlossen,2 und auch die Frage nach dem Beginn eines Deutschen Reichs ist, wenn nicht ausdiskutiert, so doch zur Ruhe gekommen; ohne klares Ergebnis zwar, aber doch vielleicht mit einer unausgesprochenen Communis Opinio, dass man dabei an das 11. Jahrhundert denkt.3 Das deutsche Frühmittelalter ist damit, je nach Periodisierungsmodell, nur am Rande überhaupt ein deutsches, sodass man, mit einem vergleichenden Blick über die ideologisch verminte „Westgrenze“, über die Herausbildung eines Deutschlands aus den „Deutschländern“4 als Periodisierungsmerkmal nachdenken könnte. Aber was ist deutsch an einem Lied? Denn dass allein die Sprache es zufällig als deutsch ausweist, ist vor dem Hintergrund der patriotisch aufgeladenen Gesangskultur, die die Genese des neuzeitlichen Deutschen Reichs im 19. Jahrhundert begleitet, natürlich undenkbar. Das Panorama reicht vom Franzosenhass in den sogenannten Befreiungskriegen über romantisches Beschwören deutscher Vergangenheit, politische Appelle des Vormärz bis zum Rückzug in eine entaktualisierte oder ambitionslose Überlegenheit alles Deutschen nach der Reichsgründung als Kriegsfolge; es reicht von der Brechung der romantischen und revolutionären Euphorie über die Resignation nach 1848 bis zur totalitären Order „Wir singen unsere Lieder!“, die Deutschland- und Horst-Wessel-Lied einleitete. Das Mittelalterbild in diesen Texten zu untersuchen, ist Gegenstand der Literaturwissenschaft; Lieder, Gedichte und Briefe als Quellen für ein deutsches Selbstverständnis zu analysieren, Aufgabe einer Gesellschaftsgeschichte der Moderne.5 Der Mediävist kann fragen, wie die Aneignung des Mittelalters geschah, 1
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Diesen Beitrag möchte ich Herrn Professor Jarnut zu seinem 65. Geburtstag widmen. Der Text gibt meinen Vortrag auf der Tagung in Wien am 3. 5. 2005 wieder. Für Beistand aus der Philologie und der Neuesten Geschichte danke ich den Herren Professoren Ernst Hellgardt, München, und Dietmar Klenke, Paderborn. Thomas Klein, Zum Alter des Wortes ‚deutsch‘, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 24 (1994) 12–25; ders., Althochdeutsch diutisc und die Adjektive auf -isk im Alt- und Mittelhochdeutschen, in: Studien zum Altgermanischen, ed. Heiko Uecker (Berlin/New York 1994) 381–410; zuletzt Wolfgang Haubrichs, Theodiscus, Deutsch und Germanisch – drei Ethnonyme, drei Forschungsbegriffe. Zur Frage der Instrumentalisierung und Wertbesetzung deutscher Sprach- und Volksbezeichnungen, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer et al. (RGA Erg. Bd. 34, Berlin/ New York 2004) 199–227. Siehe Wolfgang Haubrichs/Herwig Wolfram, ‚theodiscus‘, in: RGA 2. Aufl. 30 (2005) 421–433. Heinrich Sproemberg, La naissance d’un Etat allemand au Moyen-Age, in: Le Moyen Age 64 (1958) 213–248; Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker (Köln/Wien ²1995); Bernd Schneidmüller, Reich – Volk – Nation: Die Entstehung des deutschen Reiches und der deutschen Nation im Mittelalter, in: Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen, ed. Almut Bues/Rex Rexheuser (Wiesbaden 1995) 73–101; Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, ed. Carlrichard Brühl/Bernd Schneidmüller (München 1997); Hermann Jakobs, Theodisk im Frankenreich (Heidelberg 1998). Zuletzt Jörg Jarnut, Die Entstehung des mittelalterlichen deutschen Reiches als Forschungsproblem, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer et al. (RGA Erg. Bd. 34, Berlin/New York 2004) 255–263 und Dieter Geuenich, Karl der Große, Ludwig „der Deutsche“ und die Entstehung eines deutschen Gemeinschaftsbewusstseins, ibid. 185–197. Die Unterscheidung zwischen einem Deutschland und mehreren „Deutschländern“ hat Herwig Wolfram auf der Tagung formuliert. Mittelalter-Rezeption, ed. Irene von Burg/Jürgen Kühnel/Ulrich Müller et al. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 550, Göppingen 1979); Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur, Ausst.-Kat. 3 (Stuttgart 1977); Heinz-Dieter Heimann, Mittelalter als
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Jens Schneider
welche Rolle seine Quellen dabei spielten und was aus dem Umgang mit ihnen zum Verhältnis von Literatur und Patriotismus geschlossen werden kann. Dabei soll mit Lucien Febvres Forderung „tous les textes“6 eine interdisziplinäre Komponente eingebracht und die Wiederentdeckung der volkssprachigen Texte des frühen Mittelalters untersucht werden. Die Zeit der Pioniere der deutschen Philologie, allen voran Jacob und Wilhelm Grimm, wird gemeinhin als Romantik bezeichnet. Natürlich ist eine solche Epochenchiffre fragwürdig, und insofern mag es etwas leichtfertig erscheinen, von der „romantischen Gegenwart des Mittelalters“ sprechen zu wollen. „Aber Romantik: das ist ja nicht nur Brunnenrauschen und Posthornklang.“7 Und um die Frage, ob die Grimms, Uhland, Graff, Wackernagel, Hoffmann von Fallersleben, Lachmann oder Simrock Romantiker waren, soll es hier gar nicht gehen. Es geht um das, was ich etwas widerwillig Zeitgeist nenne: Aufbruch, Bewegung, Imperfektion, Unendlichkeit und natürlich: Poesie und Sentiment. Mit Uhland: „Dies mystische Erscheinen unsres tiefsten Gemütes im Bilde, dies Hervortreten der Weltgeister, diese Menschwerdung des Göttlichen, mit einem Worte: dies Ahnen des Unendlichen in den Anschauungen ist das Romantische.“8 „Die romantische Poesie ist“, wie der wohl wichtigste Theoretiker der Romantik, Friedrich Schlegel, in einem berühmten Text definiert hat, „eine progressive Universalpoesie. … Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen“.9 Diesen Anspruch illustrieren neben den Schlegels selbst die Brüder Grimm, Ludwig Uhland oder August Heinrich Hoffmann, der sich von Fallersleben nannte und von dem noch zu sprechen sein wird; sie waren Dichter und zugleich wissenschaftlich oder politisch tätig, als Bibliothekare, Professoren oder Abgeordnete. Die großen Sammelwerke wie „Des Knaben Wunderhorn“, die „Kinder- und Hausmärchen“, das Deutsche Wörterbuch oder die ersten Lesebücher mit historischen Texten, aber auch die großen Übersetzungen etwa von Shakespeare oder Dante sind ihnen zu verdanken.10 Sie sind, mit einigen anderen, die Begründer der deutschen Philologie und haben, analog zu den großen Projekten der Historiker11 den sanctus amor patriae in kritischen Editionen volkssprachiger Texte materialisiert. Dass die Grenze zwischen strengem Dokumentieren des Gesammelten, Nachdichten und eigenem Dichten schwer zu ziehen ist, wissen wir heute. Vielfach diente die Überlieferung als Inspiration, sei es die mündliche, in einer Art Feldforschung gewonnene, sei es die schriftliche der Bibliotheken und Archive. Der romantische Blick auf das Mittelalter äußerte sich neben ungezählten Gedichten etwa in historischen Dramen. Beispiel Uhland: vier hat er veröffentlicht, weitere 20 Dramen oder Dramenfragmente fanden sich in seinem Nachlass. In seine (kurze) Zeit als Professor in Tübingen fällt auch die große Studie zu Walther von der Vogelweide, auf die alle Waltherforschung von Karl Lachmann bis heute sich bezieht. Walther scheint einer der beliebtesten Gegenstände der Mittelalterrezeption gewesen zu sein; mit Worten wie ich hân lande vil gesehen bot er sich
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„neue“ Zeit um 1800. Zukunftserwartungen, Geschichtsdenken und Kulturpflege angesichts zerstörter Welten, in: Europa und die Welt in der Geschichte. FS zum 60. Geburtstag von Dieter Berg, ed. Raphaela Averkorn/Winfried Eberhard/Reimund Haas et al. (Bochum 2004) 15–27; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen 1 (München 2000); Dietmar Klenke, Der singende „deutsche Mann“. Gesangvereine und deutsches Nationalbewußtsein von Napoleon bis Hitler (Münster et al. 1998); Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., ed. Etienne François/Hagen Schulze (München 2001). Lucien Febvre, Combats pour l’histoire (Paris 1992) 13. Ludwig Rohner, Die Brüder Grimm, in: Unicornis 2, 2 (1982) 34–44, Zitat 43. Ludwig Uhland, Über das Romantische (ed. Hartmut Fröschle/Walter Scheffler, Werke 1, München 1980) 399. Friedrich Schlegel im 116. Athenäums-Fragment (ed. Ernst Behler, Kritische Ausgabe I.2, Paderborn et al. 1967) 182. Zu den Grimms: Die Grimms und die Simrocks in Briefen. 1830 bis 1864 (ed. Walther Ottendorff-Simrock, Bonn 1966); Rohner, Brüder Grimm; Maria Tatar, Grimms Märchen, in: Deutsche Erinnerungsorte 1, 275–289. – Übersetzt wurden etwa Shakespeare und Dante durch August Wilhelm Schlegel, Cervantes durch Ludwig Tieck. Rudolf von Raumer, Friedrich Carl von Savigny, Georg Heinrich Pertz, Friedrich Christoph Dahlmann, Johann Friedrich Boehmer, Jules Michelet, Augustin Thierry, Numa-Denis Fustel de Coulanges. Dazu Gerhard Schmitz, Zur Entstehungsgeschichte der Monumenta Germaniae Historica, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/ Heiko Steuer et al. (RGA Erg. Bd. 34, Berlin/New York 2004) 503–522; Wolfgang Ernst, Im Namen von Geschichte. Sammeln – Speichern – Er/zählen. Infrastrukturelle Konfigurationen des deutschen Gedächtnisses (München 2003) 91–189; Georges Duby/ Guy Lardreau, Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge (Frankfurt a. M. 1982) 83–90. Vgl. die Beiträge von Mayke de Jong und Agnès Graceffa in diesem Band.
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gerade dem Lebensgefühl der Romantik zur Identifikation mit der Vergangenheit an. Sehr verbreitet müssen auch diese, im gleichen Kontext überlieferten Verse gewesen sein:12 Von der Elbe unz an den Rîn her wider unz an der Unger lant, dâ mügen wol die besten sîn, die ich in der welte hân erkant. Kan ich rehte schowen guot gelâz und lîp, sem mir gôt, sô swüer ich wol, daz hie diu wîp bezzer sint, danne ander frowen.
Die mediävistische Literaturwissenschaft hat bald herausgefunden, welche noch viel bekannteren Verse sich darauf beziehen: das Lied der Deutschen oder Deutschlandlied13, das Hoffmann während eines seiner Helgolandaufenthalte offenbar eher nebenbei niederschrieb, das ihm aber einen unerwarteten Erfolg verschaffte. Hoffmann von Fallersleben war sicher einer der einflussreichsten ‚Dichter und Sammler‘.14 Aus seiner Feder sind heute noch zahlreiche Lieder bekannt; ich nenne nur soviele Beispiele, wie man an einer Hand abzählen kann: „Alle Vögel sind schon da“; „Ein Männlein steht im Walde“; „Kuckuck, Kuckuck, rufts aus dem Wald“; „Morgen kommt der Weihnachtsmann“; „Winter ade, scheiden tut weh“. Peter Rühmkorf hat Hoffmann mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde verglichen:15 auf der einen Seite sein Sammeln und Entdecken und die beträchtlichen Publikationen, wie immer man zu deren philologischer Qualität stehen mag, auf der anderen Seite zum Beispiel die „Unpolitischen Lieder“, die ihn 1842 sein Breslauer Ordinariat kosteten.16 Mal zeichnete er als Dr. Heinrich Hoffmann, mal als Hoffmann von Fallersleben. Beide Titel sind aus heutiger Sicht etwas unorthodox: den akademischen hat ihm die Universität Leiden honoris causa verliehen, postalisch wie es scheint, seinen Geburtsort hat er sich selbst angehängt, möglicherweise tatsächlich mittelalterliche Namensformen imitierend. Der Professorentitel dagegen war preußisch: Von seiner ersten festen Stellung aus, der eines Kustos an der Bibliothek der 1811 mit Frankfurt an der Oder in Breslau vereinigten Schlesischen Universität, wurde er 1829 nach mehrfachen Eingaben und den Bemühungen Berliner Förderer zum außerordentlichen Professor in Breslau berufen, 1835 durfte er nach ähnlichen Mechanismen den Zusatz designatus streichen. Nach seiner Entlassung sieben Jahre später wollte das Ministerium ihm auch den Titel entziehen, den er aber mitunter weiter genutzt hat. Nach einer Zeit des Vagierens einschließlich polizeilicher Ausweisungen und sicherheitspolizeilicher Beobachtungen, ein napoleonisches Erbe, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, landete er nach diversen Stationen am Rhein, in Weimar und anderswo schließlich in Corvey an der Weser. Die ehemals karolingische Klosteranlage, inzwischen barock ersetzt und erweitert, diente dem Herzog von Ratibor als Residenz und Hoffmann betreute dessen Bibliothek. Der Hausherr ist bis heute der Herzog von Ratibor und Fürst zu Corvey und die nicht unbedeutenden Buch- und Handschriftenbestände werden durch die Universität Paderborn betreut und genutzt. Die Grabstätte Hoffmanns im Park kann man leicht übersehen. Es ist nicht aus angeeignetem Regionalpatriotismus, weshalb ich so ausführlich auf Hoffmann eingehe. Bei aller Selbststilisierung war er einer der begabtesten Entdecker mittelalterlicher Texte. Seit seiner Begegnung als 20jähriger mit den Brüdern Grimm in Kassel betrachtet er sich als Schüler Jacob Grimms und widmet sich der Erforschung deutscher Überlieferung im weitesten Sinne. Später unternimmt er ausgedehnte Forschungsreisen, deren Erträge er unter sprechenden Titeln wie Fundgruben oder Findlinge veröffentlicht. Uns interessiert Hoffmann als Entdecker zweier prominenter Textzeugen aus dem 9. und 10. Jahrhundert, an deren 12
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Beides aus dem sogenannten Preislied: Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche (ed. Christoph Cormeau, Berlin/ New York 1996) 32, 3 und 32, 4; nach alter Zählung 56, 30 und 56, 38–57, 7. Hoffmann von Fallersleben, Auswahl in drei Teilen, 1: Lyrische Gedichte (ed. Augusta Weldler-Steinberg, Berlin et al. 1912) 274f. Eindeutige Walther-Rezeption erweisen die Schwerpunkte der ersten beiden Strophen: die geographische Beschreibungsformel, das „über alles in der Welt“, das Lob der deutschen Frauen. Zur Person: Hoffmann, Auswahl 3: Mein Leben; Hans-Joachim Behr, Eilige Philologie. Hoffmann von Fallersleben als Editor mittelalterlicher Texte, in: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798–1998, ed. Hans-Joachim Behr/Herbert Blume/Eberhard Rohse (Bielefeld 1999) 169–181; Horst Brunner, Hoffmann von Fallersleben und Walther von der Vogelweide, ibid. 225–238 sowie weitere Beiträge ibid. Peter Rühmkorf, „Das Lied der Deutschen“ (Göttingen 2001) 9. Vgl. Behr, Philologie; Unpolitische Lieder in: Hoffmann, Auswahl 2, 11–84.
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Beispiel ich die Aneignung des Frühmittelalters nachzeichnen möchte: Die Bonner Otfrid-Fragmente und die einzige Überlieferung des Ludwigslieds. Weißenburg ist einer der bedeutenderen Schreiborte der Karolingerzeit. Das Kloster wurde gegen 630 gegründet und liegt im Elsaß, fast auf der Landesgrenze zur Pfalz, auch wenn es in historischer Perspektive als dem Speyergau und der Diözese Speyer zugehörig eingeordnet werden muss, wie Wolfgang Haubrichs jüngst in der neuen Otfrid-Edition richtig stellte. Seit Wilhelm Levison geht die Forschung davon aus, dass es 843 zum Ostreich kam, ohne dass mehr als Indizien dafür sprächen. Der Urkundenbestand des Klosters ist der Forschung als wichtige Quelle für die Merowingerzeit bekannt.17 Um die Mitte des 9. Jahrhunderts beginnt der Leiter des Skriptoriums und magister scholae, Otfrid, die Arbeit an einer interpretierenden und kommentierenden Evangelienharmonie. Das besondere daran: er schreibt – oder besser: diktiert – sie nicht auf Latein, sondern Altfränkisch, seiner Muttersprache. Das geschieht, wie wir getrost annehmen dürfen, im Auftrag des Königs im östlichen Regnum, Ludwigs ‚des Deutschen‘. Über Otfrid, seine Tätigkeit im Weißenburger Skriptorium sowie die Begleitumstände seines größten Werks sind wir recht gut informiert.18 Vieles lässt sich seinen vier Widmungen entnehmen, die als Begleitschreiben an die jeweiligen Empfänger gesehen worden sind, in mindestens zwei Fällen aber auch als eigenständige Texte. Hier ist insbesondere das berühmte Widmungsgedicht Otfrids an Ludwig ‚den Deutschen‘ zu nennen, das so beginnt: Lúdouuig ther snéllo . thes uuísduames fóllo. er óstarrichi ríhtit ál . so fránkono kúning scal. „Ludwig, kühn und von Weisheit erfüllt, er regiert das Ostreich ganz so, wie es sich für einen König der Franken ziemt.“19
Die 96 Verse folgen allen gestalterischen und stilistischen Regeln der Kunst. Dieser Widmungstext ist ein angemessener Panegyricus und darf durchaus als eigenes Lied betrachtet werden. Eine andere Widmung, an Bischof Liutbert von Mainz, behandelt auf einer theoretischen Ebene, warum Otfrid die Volkssprache gewählt hat und welche Probleme ihm bei diesem wahrhaft innovativen Unternehmen begegneten. Dum rerum quondam sonus inutilium pulsaret aures quorundam probatissimorum uirorum eorumque sanctitatem laicorum cantus inquietaret obscenus, a quibusdam memoriae dignis fratribus rogatus, … partem euangeliorum eis theotisce conscriberem, ut aliquantulum huius cantus lectionis ludum saecularium uocum deleret, et in euangeliorum propria lingua occupati dulcedine, sonum inutilium rerum nouerint declinare. „Als einst der Vortrag von nichtsnutzigem Zeug die Ohren vortrefflicher Männer beleidigte und das anstößige Gesinge der Laien sie in ihrer frommen Gesinnung beunruhigte, bin ich von einigen Mitbrüdern, die verdienen, daß man ihrer gedenkt … gebeten worden, ihnen eine volkssprachliche Evangelienharmonie zu schreiben, auf daß der Vortrag dieses (heiligen) Textes ein wenig die Unterhaltung durch weltliche Lieder zurückdränge und die Menschen, gefesselt von der Süße der Evangelien in der Muttersprache, lernten, sich von Gesängen nichtsnutzigen Inhalts abzuwenden.“20
Als Motivation erscheint hier der aus vielen Quellen bekannte Wunsch, die verbreiteten cantus obscenus durch angemessenere Weisen zu verdrängen. Dies gestattet es, Otfrids Bibeldichtung zumindest in Teilen als 17
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Traditiones Wizenburgenses. Die Urkunden des Klosters Weißenburg 661–864 (ed. Karl Glöckner/Anton Doll, Arbeiten der Hist. Kommission Darmstadt, Darmstadt 1979). Jüngste Auswertung durch Sylvie Joye, Les femmes et la maîtrise de l’espace au haut Moyen Age, in: Les élites et leurs espaces. Mobilité, rayonnement, domination (du VIe au XIe siècle), ed. Philippe Depreux/François Bougard/Régine Le Jan (Haut Moyen Age 5, Turnhout 2007) 189–206. Zahlreiche Untersuchungen von Wolfgang Haubrichs, zusammenfassend: ders., Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (Tübingen ²1995) 260–272, 292–312; zuletzt ders., Ludwig der Deutsche und die volkssprachige Literatur, in: Ludwig der Deutsche und seine Zeit, ed. Wilfried Hartmann (Darmstadt 2004) 203–232. Siehe auch Jens Schneider, Historische Anmerkungen zu Otfrid, in: De consolatione philologiae, ed. Anna Grotans/Heinrich Beck/Anton Schwob (Göppingen 2000) 342–358. Zu Otfrids „Hauptwerk“ Wolfgang Haubrichs, Otfrid von Weißenburg – Umrisse eines ‚Lebens‘, in: Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch 1: Edition nach dem Wiener Codex 2687 (ed. Wolfgang Kleiber, Tübingen 2004) I. 2, 3–11; Cinzia Grifoni, Otfridi Wizanburgensis Glossae in Matthaeum (Turnhout 2003). Otfrid, Evangelienbuch, ed. Kleiber I.1, fol. 1r–3r, Zitat fol. 1r. Übersetzung: Gisela Vollmann-Profe, Kommentar zu Otfrids Evangelienbuch 1: Widmungen. Buch I 1–11 (Bonn 1976) 1. Otfrid, Evangelienbuch, ed. Kleiber I.1, fol. 4r–v; auch in: MGH Epp. 6, 166. Übersetzung: Vollmann-Profe, Kommentar 24.
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eine Art missionarische Liedersammlung fürs Volk anzusehen. Damit ist ein weiterer Grund gegeben, unter der Überschrift „Deutsche Lieder“ Otfrids Evangelienbuch zu betrachten.21 Der liber evangeliorum ist in vier Handschriften überliefert, man geht von vier, vielleicht auch fünf verlorenen Kopien aus.22 Die älteste und besterhaltene ist die in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrte Handschrift V (2687). In direkter Abhängigkeit zu ihr, noch im Weißenburger Skriptorium unter Otfrids Aufsicht begonnen, ist Codex Palatinus latinus 52, die Handschrift P, heute in Heidelberg. Beide sind bis etwa 1480 in Weißenburg nachzuweisen, wo sie neu gebunden und signiert wurden. Man geht davon aus, dass es die Wiener Handschrift war, die der Humanist Johannes Trithemius in das Martinskloster in Sponheim im Elsaß holte. Jedenfalls gibt er in seinem „Cathalogus illustrium virorum Germaniam suis ingeniis et lucubrationibus omnifariam exornantium“ (1495) ausführlich und begeistert Auskunft über einen frühen deutschen Autor. 1556 oder 1557 ist in der Wiener Hofbibliothek eine Otfrid-Handschrift nachgewiesen, die in der Zwischenzeit aus Weißenburg, wahrscheinlicher aber aus Sponheim oder Würzburg, wo Trithemius zuletzt Abt war, an Kaiser Maximilian geschickt wurde. Sie wird aber erst 1669 durch den Präfekten der Hofbibliothek dazu verwendet, die erste, ein Jahrhundert zuvor durch Matthias Flacius Illyricus präsentierte Otfrid-Edition textkritisch zu ergänzen.23 Flacius hatte 1571 eine Abschrift publiziert, die Achill Pirmin Gasser, der sich natürlich Gassar(i)us nannte, von der Handschrift P angefertigt hatte.24 Diese wiederum lag in der Augsburger Bibliothek seines Freundes Ulrich Fugger,25 bevor der sie der kurfürstlichen Bibliothek in Heidelberg (1623 bis 1816 in Rom) verkaufte. Einiges spricht dafür, dass es nicht die Unfähigkeit des Herausgebers war, wie polemisiert wurde, sondern die Kenntnis eines weiteren Textzeugen, die für die deutlichen Abweichungen zwischen der genannten Abschrift Gassers und der Editio princeps durch Flacius verantwortlich war.26 Lange nach Flacius ließ 1708 Dietrich von Stade Teile des Evangelienbuchs erstmals nach der Handschrift V drucken und gab – das war neu – eine lateinische Übersetzung bei. In Straßburg machte Johann Schilters posthum gedruckter „Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum“ die Otfrid-Edition des Flacius wieder zugänglich, ebenfalls mit lateinischer Übersetzung und Kommentar und auf der Basis von Abschriften und Lesartenverzeichnissen mit V und aufs Neue mit P verglichen.27 Die Säkularisation brachte den Transfer der dritten heute bekannten Otfrid-Handschrift nach München (cgm 14). Die Handschrift F, gegen 900 in Freising von der Weißenburger Vorlage V abgeschrieben, war dort in der Dombibliothek von Beatus Rhenanus 1530 eher zufällig entdeckt worden. Rhenanus, der wohl als einer 21
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Michael Klaper, Musikhistorische Interpretationen, in: Otfrid, Evangelienbuch, ed. Kleiber I.2, 148–153; zurückhaltender Karin Pivernetz, Otfrid von Weißenburg. Das ‚Evangelienbuch‘ in der Überlieferung der Freisinger Handschrift (Bayerische Staatsbibliothek München, cgm. 14). Edition und Untersuchungen (Göppingen 2000) 36–38. Zum Folgenden Ernst Hellgardt, … nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert, in: Sprache – Literatur – Kultur, ed. Albrecht Greule/Uwe Ruberg (Stuttgart 1989) 355–375; ders., …der alten Teutschen spraach und gottsforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571), in: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger 1, ed. Johannes Janota/Paul Sappler/Frieder Schanze et al. (Tübingen 1992) 267–286; Norbert Kössinger, Zur Geschichte der Wiener Handschrift von ihrer Wiederentdeckung bis zu Graff, in: Otfrid, Evangelienbuch, ed. Kleiber I.2, 13–17. Petri Lambecii Hamburgensis Commentariorum de Augustissima Bibliotheca Cæsarea Vindobonensi 2 (Wien 1669) nach Kössinger, Wiener Handschrift; jetzt auch ders./Ullrich Bruchhold, Fremde Traditionen. Althochdeutsche Literatur in der frühen Neuzeit, in: Das Mittelalter 9 (2004) 87–102. Otfridi evangeliorum liber: veterum Germanorum grammaticae, poeseos, theologiae, praeclarum monimentum. Evangelien Buch, in altfrenckischen reimen […] (Basel 1571) [Editio princeps], nach Hellgardt, Flacius. Die Liutbertswidmung als ersten Otfrid-Text hatte er bereits im Catalogus testium veritatis (Straßburg 1562) 158–160, veröffentlicht. Überzeugend Hellgardt, Flacius, gegen Rudolf Schützeichel, Codex Pal. lat. 52. Studien zur Heidelberger Otfridhandschrift, zum Kicila-Vers und zum Georgslied (Göttingen 1982). Hellgardt, Flacius 276f. – Zur Person: „Diesem eingebürgertem Fremdlinge“ wurde immer wieder philologische „Nachlässigkeit“ vorgeworfen. Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur 1 (ed. Heinrich Hoffmann, Breslau 1830) 40; ähnlich auch Peter Lambeck und später Johann Kelle: Hellgardt, Flacius 267 und 272 und Kössinger, Wiener Handschrift. Vgl. Martina Hartmann, Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kritik an den pseudoisidorischen Dekretalen. Nikolaus von Kues und Heinrich Kalteisen als „Wahrheitszeugen“ bei Matthias Flacius Illyricus und den Magdeburger Centuriatoren, in: Fortschritt durch Fälschungen?, ed. Wilfried Hartmann/Gerhard Schmitz (Hannover 2002) 191–210. Joannis Schilteri J[urisconsulti] olim Argentoratensis Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, Ecclesiasticarum, Civilium, Literariarum. Tomus primus […] (Ulm 1727) [1–29] und 1–400: in diesem Band als erster Beitrag vor Notker, Williram etc. mit neuem Deckblatt 1726 abgedruckt.
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der ersten von ‚Mittelalter‘ sprach, machte den Fund als Werk des Freisinger Bischofs Waldo bekannt und veröffentlichte insgesamt 18 Verse aus dem ersten Kapitel (I.1).28 Da der Freisinger Abschrift mit den Widmungen auch jeder Hinweis auf Otfrid fehlt, erklärt sich die Verwechslung ihres Auftraggebers mit dem Autor durch eine für den Historiker nachvollziehbare Fehldeutung der klassischen Subscriptio Uualdo episcopus istud euangelium fieri iussit. Ego sigihardus indignus presbyter scripsi.29 Beatus zitiert falsch: In fine enim ascriptum erat, Vvaldo me fieri iussit. Sigefridus presbyter scripsi, weist aber Waldo richtig als Freisinger Bischof nach; die Angabe Otfridi Monachi wurde in der Ausgabe von 1610 nachgetragen, um 1693 wieder zu verschwinden.30 Diese drei Handschriften waren bekannt, der Codex Palatinus war seit der Rückkehr aus Rom im Jahr 1816 auch wieder in Reichweite. Dazu kamen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einzelne Otfrid-Blätter in Wolfenbüttel und Berlin. Und hier kommt Hoffmann ins Spiel, der als Student von Göttingen an die 1818 neu gegründete Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität gegangen war. Dort konnte er als „Bibliotheksassistent“31 arbeiten und fing begeistert an, nach Altertümern zu suchen. Im November 1820 bringt er „zu den alten Schätzen … von der Reise noch neue: alte Bücher, Handschriften, Urkunden und Volkslieder und sogar ein in Holz geschnitztes schönes Cruzifix“.32 Erstes Aufsehen erreichte er mit einem wichtigen Fund33: „Am 8. Januar entdeckte ich in der Bonner Universitätsbibliothek auf dem Innern der Holzdecken, welche den schlechten Papierhandschriften der ‚Summa Theologiae‘ des Thomas de Aquino als Einband dienten, schön geschriebene Pergamentblätter aus Otfrids Evangelienbuche. Meine Freude war grenzenlos: ich lief sofort mit einem Bande zu Welcker [sein aus Göttingen bekannter Professor], zeigte ihm meinen Fund und bat um Erlaubnis, die Blätter abzulösen.“
Die weitere Schilderung verrät bereits etwas über Hoffmanns Selbsteinschätzung. „Die Ablösung wurde leider nicht so ausgeführt, wie sie mir ohne alle chemische Kenntnisse gelungen wäre.“ Weiter heißt es: „Ich fasste nun den Entschluss, das Ganze herauszugeben. Nachdem ich eine genaue saubere Abschrift angefertigt, die Abweichungen des Schilterschen Textes hinzugefügt und die Vorrede vollendet hatte, sah ich mich nach einem Verleger um.“
Hoffmanns Fund erschien als „Bonner Bruchstücke vom Otfried“ noch 1821. Seit 1823 ist Hoffmann in Breslau Kustos der Universitätsbibliothek, weitere Veröffentlichungen folgen – Gedichte, „Maikäferiaden“, „Althochdeutsche Glossen“ – und er fahndet weiter nach alten Handschriften. 1827 verbringt er zwei Monate in Wien, wo er Schubert kennenlernt, und besucht anschließend die Klöster Krems, Göttweig und Zwettl. Überall wird er als Kollege gut aufgenommen, nur in Wien geriet er mit Eberhard Gottlieb Graff etwas aneinander. Graff ist in der Hofbibliothek, wie Hoffmann erfahren muss, um seine eigene Otfrid-Ausgabe an der Handschrift zu kollationieren. Dennoch ist Hoffmann bei der Rückkehr nach Breslau mit der „literarischen Ausbeute … sehr zufrieden“ und hat die „Deutsch-Österreicher liebgewonnen“.34 Die Ergebnisse werden im ersten Band der „Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur“ vorgestellt. Die Fundgruben sind zentraler Baustein der Rezeptionsgeschichte volkssprachiger Literatur, weil hier viele frühe Texte einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden, und zwar nicht als letztes Glied einer Reihe von Abschriften, sondern wenn möglich aus der Handschrift transkribiert.35 Außerdem ist dort die Summe 28
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Beati Rhenani Selestadiensis Rerum Germanicarum libri tres. Adjecta est in calce epistola ad D. Philippum Puchaimerum de locis Plinii per St. Aquaeum attactis, ubi mendae quaedam ejusdem autoris emaculantur, antehac non à quoquam animadversae 2 (Basel 1531) 106f; dazu Pivernetz in Otfrid, ed. Pivernetz 2, 38f. Der Mittelalterbegriff im gleichen Jahr: De Rebus Gothorum, Persarum et Vandalorum libri septem, ejusdem graeca quaedam de Justiniani aedificius una cum alijs m e d i o r u m t e m p o r u m historicis […] cum praef. Beat. Rhenani (Basel 1531). Otfrid, ed. Pivernetz 1, fol. 125r Z. 26. Beati Rhenani Selestadiensis Rerum Germanicarum libri tres. Quibus nunc denuò diligenter revisis & emendatis præmissa est Vita ipsius Beati Rhenani, à Joanne Sturmio eleganter conscripta […] (Straßburg 1610) 200–202; Beati Rhenani Selestadiensis libri tres Institutionum Rerum Germanicarum nov-antiquarum, historico-geographicarum, juxta primarium Collegii Historici Imperialis Scopum illustratarum […] (Ulm 1693) 362–364. Hoffmann, Leben 74f. Hoffmann, Leben 80. Die folgenden Zitate: Hoffmann, Leben 82. Hoffmann, Leben 111. Darunter Psalm 138, Ludwigs-, Georgs- und Petruslied, Teile aus Notker, im 2. Teil 1837 Merigarto, Genesis und Exodus. Zum Ludwigslied siehe unten; das Georgslied hatte Hoffmann 1824 neu herausgegeben, 1827 Willirams von Ebersberg Hoheliedparaphrase nach Breslauer und Leidener Überlieferung veröffentlicht; Entdeckung und Benennung des Merigarto sind eine weitere
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von Hoffmanns Überlegungen zu Otfrid publiziert, der nach dem Treffen mit Graff Abstand von einer eigenen Otfrid-Edition nahm. Der Graffsche „Krist“, 1831 erschienen, war in der Tat die erste Ausgabe unter Verwendung aller vier Handschriften.36 Seit Hoffmanns bis dahin umfangreichsten Fund und seinen dazu angestellten Untersuchungen war bekannt, dass die Fragmente zusammen einer weiteren Otfrid-Handschrift zugehörten. Diese Handschrift wird als Codex discissus bezeichnet, da die Bonner und die später noch in Berlin und Wolfenbüttel aufgetauchten Stücke in Einbänden gefunden wurden, die auf ein Chorherrenstift bei Hildesheim verweisen.37 Die Bonner Funde lassen sich über die aufgelöste Duisburger Universität und Solinger Privatbesitz dorthin zurückverfolgen. Wie sie aus Fulda, wo die Handschrift im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts aus V kopiert wurde, nach Hildesheim kam, ist noch unbekannt. Soviel zu den heute vorliegenden Textzeugen. Mir geht es dabei um folgenden Akzent: Graff hat eine Otfrid-Ausgabe nach Königsberger Art veröffentlicht, das heißt wie später Lachmann mit „gereinigtem“ Text, der dem Zeugnis und der Gestalt der einzelnen Handschriften einschließlich Marginalien und Neumen kein Gewicht beimisst.38 Drei große Otfrid-Projekte des 19. Jahrhunderts nach ihm haben eine auch im heutigen Sinne als kritisch zu bezeichnende Ausgabe hergestellt, von denen sich diejenige von Oskar Erdmann durchgesetzt hat.39 Was ich hier kursorisch über die Überlieferung des Evangelienbuchs erzählt habe, findet sich zum größeren Teil bereits in den zehn Seiten „Ueber Otfrid“ in den Fundgruben, und zwar mit Details, die mitunter von der späteren Forschung nicht mehr wahrgenommen wurden und zu unnötigen Irrtümern führten. Zudem hat Hoffmann, wie leicht zu überprüfen ist, seine Texte nicht normalisiert, sondern folgte der Forderung des verehrten Jacob Grimm nach „Herstellung und Sicherung ihrer ursprünglichen Gestalt“.40 Kommen wir noch kurz zum anderen aufsehenerregenden Fund, den Hoffmann getan hat: das Ludwigslied.41 Der anonyme Text umfasst 59 Zeilen in der Art von Otfrids Bibeldichtung und ist einzig in einer Handschrift des 9. Jahrhunderts überliefert. Über die Herkunft der Handschrift ist wenig bekannt, ihre Überlieferung im Kloster St-Amand, heute unweit der französisch-belgischen Grenze, hat lange dazu geführt, dort auch ihre Entstehung zu vermuten. St-Amand als Schriftheimat haben Bernhard Bischoff und jüngst Françoise Simeray allerdings ausgeschlossen, da die drei Hände von der gut überlieferten Schreibtradition des Klosters zu deutlich abweichen. Man darf eher davon ausgehen, dass die sehr schlicht gebundene Handschrift ein andernorts erbetener Beitrag zum Wiederaufbau der Bibliothek nach den Normanneneinfällen war.42 Zu diesem Zweck ist die lateinische Übersetzung des Gregor von Nazianz abgeschrieben worden. Auf dem freigebliebenen und zwei ergänzten Blättern wurden, nicht unüblich, drei lateinische Sequenzen, die Cantilène de Sainte Eulalie und der Rithmus teutonicus de piae memoriae Hluduico rege filio Hluduici aeque regis eingetragen, die letzten beiden von einer Hand. Sainte Eulalie ist das älteste literarische Zeugnis des Französischen, mit Michel Banniard protofranzösisch, der altfränkische Rithmus teutonicus stellt, mit Otfrid, das älteste Zeugnis für den Endreim in der Volkssprache dar. Über Inhalt und Sprache der beiden Texte will ich hinweggehen, nur soviel:
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Pioniertat: Merigarto. Bruchstück eines bisher unbekannten deutschen Gedichtes aus dem XI. Jahrhundert. Mit einem Facsimile (ed. Hoffmann von Fallersleben, Prag 1834) [Editio princeps]. Krist. Das älteste, von Otfrid im neunten Jahrhundert verfaszte, hochdeutsche Gedicht […] (ed. Eberhard Gottlieb Graff, Königsberg 1831). Heute Wolfenbüttel 131.1 Extrav.; Bonn, ULB S 499; Krakau, Bibl. Jagiellońska, mgq 504. Zur Hs: Bonner Bruchstücke vom Otfried nebst anderen deutschen Sprachdenkmaelern (ed. H. Hoffmann von Fallersleben, Bonn 1921) III–VIII; Hermann Herbst, Neue Wolfenbütteler Fragmente aus dem Codex Discissus von Otfrids ‚Buch der Evangelien‘, in: Otfrid von Weißenburg, ed. Wolfgang Kleiber (Darmstadt 1978) 52–73 [ED 1936]; Hellgardt, Flacius 273–277. Kössinger, Wiener Handschrift 16; Otfrid, Evangelienbuch, ed. Kleiber I.2, 18. Johann Kelle, Otfrids von Weißenburg Evangelienbuch (Regensburg 1856–1881); Paul Piper, Otfrids Evangelienbuch (Paderborn 1878); Oskar Erdmann, Otfrids Evangelienbuch (Halle 1882). Jacob Grimm, Deutsche Grammatik 1 (1819) (Jacob Grimm und Wilhelm Grimm Werke, ed. Ludwig Erich Schmitt, Abt. 1, 9.1, Hildesheim et al. 1995) [V]. Ausführlich Jens Schneider, Les Northmanni en Francie occidentale au IXe siècle: le chant de Louis, in: Annales de Normandie 53 (2003) 291–315; ders., Auf der Suche nach dem verlorenen Reich: Kohärenz und Identität in Lotharingien (im Druck). Vgl. zur Rezeptionsgeschichte Mathias Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeitdichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung (Wiesbaden 2002). Bernhard Bischoff, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, in: ders., Mittelalterliche Studien 3 (Stuttgart 1981) 73–111; Françoise Simeray, La Découverte de la Cantilène de sainte Eulalie, in: La Cantilène de sainte Eulalie, ed. MariePierre Dion (Lille/Valenciennes 1990) 53–60; Schneider, Northmanni 293f.
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Der historische Bezug auf einen westfränkischen König, nämlich den Enkel Karls des Kahlen, erlaubt die genaue Datierung der Entstehung des Gedichtes – kurz vor 882 – und auch des Eintrags in die Handschrift – bald nach 882 (Ludwig †). Die Handschrift lag über die Jahrhunderte in St-Amand und nur der Gregortext scheint benutzt worden zu sein, da er in Verzeichnissen erwähnt wird, während die beiden volkssprachigen Texte mehr oder weniger in Vergessenheit gerieten, die Eulalia mehr, das Ludwigslied weniger. Jean Mabillon, der, hauptsächlich auf Urkundensuche für „De re diplomatica“, die voyages littéraires begründete, scheint man die Handschrift mit dem volkssprachigen Lied, dem Rithmus teutonicus, 1672 in St-Amand gleich gezeigt zu haben.43 Er nahm eine Abschrift, übersah dabei den altfranzösischen Text auf der gleichen Seite, und fuhr weiter. Die Abschrift landete über von Eyben bei Johannes Schilter in Straßburg, den Mabillon auf seiner ‚elsaß-lothringischen‘ Reise im Oktober 1683 kennen gelernt hatte. Schilter war in der Tat interessiert und verlangte eine genauere Kopie. Aus dem erhaltenen Briefwechsel lässt sich erschließen, wieso der erste Druck des Textes 1696 so fehlerhaft war. Schilter bereitete den Text zum Druck vor und bat Mabillon um dringend notwendige Kollation an der Handschrift oder doch einer zuverlässigen Abschrift. Mabillon gab diese Bitte nach Tournai weiter, und sein Ordensbruder dort ging nach St-Amand. Die Handschrift bekam er jedoch nicht zu sehen, da unterdessen, wie er an Mabillon zurückschreibt, ein Gewölbebogen der Bibliothek eingestürzt sei und nun „un grand desordre“ herrsche.44 Mabillon schreibt wiederum an Schilter, entschuldigt sich für die verspätete Antwort, die aber andere zu verantworten hätten, und erklärt, dass in St-Amand ex nupero terrae motu in nächster Zeit die Handschrift nicht einzusehen sei, weshalb er ihm die Unterlagen zurücksende.45 Daraufhin lässt Schilter die gegebene Textfassung als ‚Siegeslied‘ (επινίκιον) mit denkbar reichem Material und, zum besseren Verständnis, lateinischer Übersetzung drucken.46 Die Editio princeps wurde im zweiten Band des schon genannten Thesaurus wiederabgedruckt und bildete wohl auch die Textgrundlage für die ersten Übertragungen ins Neuhochdeutsche.47 Vermutlich in seiner Bonner Zeit ist Hoffmann darauf aufmerksam geworden, der daraufhin Studien zur Textgeschichte betreibt und in den Fundgruben einen Parallelabdruck vornimmt: links „Urkundlicher Text“ (= Schilter), rechts durch ihn „Hergestellter Text“.48 Eine weitere Bibliotheksreise führt Hoffmann nach Belgien. Für die flämische Sprache und Identität hatte er sich verschiedentlich interessiert, seinen Studien in dem Bereich verdankte er seine akademischen Titel und von früheren Reisen her hatte er Bekannte in den Niederlanden. Diesmal ist sein Ziel Gent, wo er Jan Frans Willems besucht. Zum weiteren Verlauf Hoffmann selbst49: „Den folgenden Tag (26. September) um 3 Uhr verließ ich Gent, übernachtete in Mechelen und ging über Brüssel nach Valenciennes. Nach einer langweiligen, schlaflosen Nacht kam ich hier den 28. September gegen Mittag an, halb krank und sehr verdrießlich. Ich fragte sofort nach dem Bibliothekar. … Jetzt beginne ich hoffnungsvoll mein Suchen. Viele Handschriften stehen zwischen den Büchern. Als ich mit den ersten drei Reihen, den Folianten, fertig bin, machen wir Mittagspause. Gegen 2 Uhr finde ich mich wieder ein und fahre mit dem Durchsehen fort. … Schon bin ich wieder mit einer Reihe fertig, da bitte ich den Bibliothekar, eine zweite Leiter für sich zu holen und mir die Bücher zu reichen. Schon beim zehnten Buche etwa schreie ich jubelnd auf und schlage meinen Nachbar vor Freuden auf die Schulter, daß er fast das Gleichgewicht verliert: ‚Voilà, Monsieur!‘ Der alte Büffeleinband mit den Schriften des Gregorius von 43
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Simeray, Découverte 56; Jean-Loup Lemaître, Les archives lorraines visitées par dom Jean Mabillon et dom Thierry Ruinart en 1696, in: Retour aux sources, ed. Sylvain Gouguenheim/Monique Goullet/Odile Kammerer et al. (Paris 2004) 917–925. Zu Mabillons Reisen Henri Leclercq, Mabillon 1–2 (Paris 1953–1957). 1: 91–113, 200–233; 2: 607–627, zu Schilter 608. D. R. De Los an Mabillon, 9. 3. 1693, in: ΕΠΙΝΙΚΙΟΝ (Anm. 46) 8. Mabillon an Schilter, 15. 7. 1693, in: ΕΠΙΝΙΚΙΟΝ (Anm. 46) 7: non certe incuria mea, sed indiligentia eorum. ΕΠΙΝΙΚΙΟΝ Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, cum Nortmannos anno DCCCLXXXIII vicisset. Ex codice ms. monasterii Elnonensis sive S. Amandi in Belgio, Domnum Johannem Mabillon, presbyterum ac monachum ordinis S. Benedicti e congregatione S. Mauri descriptum, interpretatione latina & commentatione historica illustravit Jo[hannes] Schilter (Straßburg 1696). Die Kommentare und Vergleichstellen sind auch für den heutigen Benutzer noch von Interesse. Editio secunda: Joannis Schilteri J[urisconsulti] olim Argentoratensis Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, Ecclesiasticarum, Civilium, Literariarum. Tomus secundus […] (Ulm 1727) 1–19. Zu den Übersetzungen (von Gemmingen, Herder, Bodmer) siehe Herweg, Ludwigslied 61–64. Hoffmann, Fundgruben 1, 4–9; seine Korrekturen nach Bernhard Joseph Docen und Karl Lachmann. Hoffmann, Leben 161f.
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Nazianz hatte mich nicht betrogen. Auf der Rückseite des 141. Blattes steht das Ludwigslied, und wie bin ich erstaunt, zugleich das älteste romanische Gedicht, ein Lobgesang auf die heilige Eulalia, bisher völlig unbekannt. Ich nahm mir sofort Abschrift und stellte wiederholt Vergleichungen an. Meine Freude war groß: wie ein Feldherr nach einer gewonnenen Schlacht zog ich triumphierend in meinen Gasthof ein. Ich vergaß alle Plagen meines heftigen Schnupfens und die Kälte meines Zimmers mit dem roten Backsteinestrich. Ich gab die Weiterreise nach Frankreich hinein völlig auf; denn einen bedeutenderen Fund glaubte ich doch nicht machen zu können. … Willems … freute sich sehr meines Doppelfundes und hatte bereits alles eingeleitet, daß sofort der Druck begonnen werden konnte.“
Die erste an der Handschrift kollationierte Edition erschien noch 1837 in Gent unter dem Titel „Elnonensia. Monuments des langues romane et tudesque dans le IXe siècle, contenus dans un manuscrit de l’abbaye de St-Amand, conservé à la Bibliothèque Publique de Valenciennes, publiés par Hoffmann de Fallersleben, avec une traduction et des remarques par J. F. Willems“. Hoffmann stellt darin auf zwei Seiten die gesamte Handschrift vor und weist für die drei von ihm edierten Texte seine Konjekturen nach, von denen im Falle des Ludwigslieds eine der Worttrennung gilt und nur eine als echte Ergänzung anzusehen und späterhin von der Forschung übernommen worden ist. Er greift sonst nicht in die Worttrennung ein und unterscheidet zwischen s- und⌠-Schreibung. In zwei Fällen transkribiert er unsicheres o mit a, in einem Fall ist ihm ein eindeutiger Lesefehler unterlaufen.50 Ob Hoffmann diese Handschrift bewusst gesucht hatte? Der Codex aus St-Amand war in die Unterpräfektur des Départements übernommen worden, wo er heute noch liegt.51 Die spätere Vermutung, dies sei 1791 geschehen, hat aus naheliegenden Gründen einiges für sich, muss aber Spekulation bleiben.52 Hoffmann hätte allenfalls darauf schließen können, dass Bestände aus St-Amand im Zuge der Revolution in die Bibliothek der zuständigen Sous-préfecture gelangt sind. Jakob Grimm hat sich im Rahmen seiner und seines Bruders Forschungen zu Sagen und Liedern mit dem Rithmus teutonicus beschäftigt und mit Selbstverständlichkeit die Bezeichnung Ludwigslied geprägt.53 Der Text fand zuerst durch den befreundeten Wilhelm Wackernagel als Ludwigsleich in die Lesebücher und wird bis heute mit geringfügigen Korrekturen an der Textfassung von 1837 benutzt.54 Auch hier kann festgehalten werden: schon im knappen Kommentar in den Fundgruben hat Hoffmann alle Informationen zusammengestellt, in den Elnonensia bietet er eine ordentliche Transkription mit Kommentar sowie französischer und niederländischer Übersetzung durch seinen Freund und Herausgeber Willems. An zwei Beispielen habe ich zu zeigen versucht, wie die Aneignung des Frühmittelalters ganz konkret verlaufen kann. Als Textwissenschaftler wissen wir heute Bescheid über die performativen Aspekte bei der Aneignung von Geschriebenem: Jede zeitgenössische und moderne Rezeption eines Textes generiert einen eigenen Text. Bezogen auf Vergegenwärtigung als kulturwissenschaftlichen und theologischen Terminus technicus heißt das, dass wir die immer neuen Phasen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als verschiedene Aktualitäten wahrnehmen müssen. Ist unsere Perspektive dabei weniger der Einzelne als die Gesellschaft und ihre kollektiven Vorstellungen (représentations collectives), seit Bloch, Febvre und Braudel eine Aufgabe des Historikers, dann ist uns auch bewusst, dass jede Gesellschaft in der Zeit, jede Generation, ihre eigene Vorgeschichte schafft. Das alles ist nicht neu; ich thematisiere es deshalb, um aus dem Blickwinkel herauszukommen, im Zeitalter der Romantik – Schlagworte MGH, Brüder Grimm – sei die Erfassung der Vergangenheit fortschrittlicher (!) als zuvor, habe aber eben erst die Ansätze für unsere heutige exaktere Wissenschaft gezeigt. 50
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Text 7f. Konjekturen (Nachweis S. 4): Spilod unther für Spilodun ther (v. 49), fianton für fian (v. 53). Abweichungen: Stual für Stuol (v. 6), gisellion für giselleon (v. 32), Iah für Ioh (v. 56). – ‚Elnonensia‘ verweist auf den ursprünglichen Namen des Klosters nach dem nahebei in die Scarpe einmündenden Flusslauf Elno. Valenciennes, Bibliothèque multimédia, Ms. 150, fol. 141v–143r. Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler (ed. Elias von Steinmeyer, Berlin 1916) 87; die Angabe wurde von Gerhard Köbler, Sammlung kleinerer althochdeutscher Sprachdenkmäler (Gießen 1988) 244 kritiklos übernommen (Brief vom 19. 2. 1997). Jacob Grimm, Über das Ludwigslied, in: Germania 1 (1856) 233–235. Wilhelm Wackernagel, Altdeutsches Lesebuch = Deutsches Lesebuch, erster Theil (Basel 51873) 281–286; Sprachdenkmäler, ed. Steinmeyer 85–88; Althochdeutsches Lesebuch, ed. Wilhelm Braune/Ernst A. Ebbinghaus (Tübingen 1979) 136–138. Zu Wackernagel siehe Hoffmann, Leben 115f. und 143. Der Verf. bereitet eine neue Edition mit deutscher und französischer Übersetzung vor (s. Anm. 41).
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Was kann also die Mediävistik zu dieser medienarchäologischen55 Fragestellung beitragen? Sie kann auf der Basis der eigenen Erkenntnisse über Mittelalter feststellen, welche Daten den Weg ins kulturelle Gedächtnis finden und wie sie gespeichert werden, das heißt unter welchem Stichwort sie abgelegt werden. Sie kann weiterhin versuchen, daraus Folgerungen für das Selbstverständnis oder die Identität einer Gesellschaft zu ziehen. Ich will also resümieren, was sich an meinen zwei Beispielen zur Auswahl und Chiffrierung von Information aus dem Frühmittelalter beobachten lässt. Es sei mir gestattet, meine Beobachtungen thesenhaft vorzutragen. Dabei kann es sich um nicht mehr als Protokollnotizen am Ende eines Experiments handeln, die durch weitere Untersuchungen zu stützten sind. 1. DER ROMANTISCHE EDITOR ALS JÄGER UND SAMMLER. Seine Suche nach und der Umgang mit Texten ist im Gegensatz zu den Humanisten nicht ohne Abenteuerlust. Dies rechtfertigt den Begriff des Pioniertums, den Zeitgenossen wie Hoffmann von Fallersleben wohl auch für sich in Anspruch nahmen. Man kann fragen, ob sie wirklich unterwegs waren, durch Wälder und Auen streiften, um all die Lieder, Märchen, Sagen und Sprichworte zu sammeln, von denen in den überlieferten Briefwechseln die Rede ist. Das Selbstverständnis jedenfalls ist da. Noch bei Theodor Storm († 1888) finden wir dieses romantische Ideal des Sammelns von authentischem Material, ein grundsätzliches Bemühen um Archivierung, das bei Aby Warburg wie auch im aktuellen Bemühen der UNESCO um Dokumentation von Weltdokumentenerbe wiederbegegnet.56 „Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke lebenden Reime und Lieder gesammelt und ging nun daran, seinen Schatz zu ordnen und womöglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu vermehren.“57 Das dürfte auch bei Hoffmann deutlich geworden sein, den ich als ‚Dichter und Sammler‘ apostrophiert habe. Ich möchte dabei den Akzent gerade nicht auf das gezielte Zusammensuchen von Zeugen der Vergangenheit legen. Das erkennen wir zu allen Zeiten. Flacius etwa hat, wie Ernst Hellgardt glaubhaft machen konnte,58 lange nach einer Otfrid-Überlieferung gesucht, bevor er die Freisinger Handschrift fand und Teile veröffenlichte. Er muss vorher einen heute möglicherweise verschollenen Textzeugen gekannt haben, da sein Abdruck der oben zitierten Liutbertswidmung nicht aus der Otfridhandschrift P stammt.59 Mir geht es um die Motivation, die in der Romantik womöglich stärker auf der Archivierung unzusammenhängender Schätze der Vergangenheit lag, als auf deren geistvollem Zusammenfügen zu einem stimmigen Bild von Vergangenheit.60 2. „TREUE UND … RICHTIGKEIT DER ABSCHRIFT“.61 Das Projekt der Gesellschaft für Deutschlands ältere Geschichtskunde ist rückblickend eine „deutsche Gedächtnisagentur“ ohne Beispiel, die bis heute in ihrem globalen Anspruch, der sich in der international gültigen Chiffre MGH artikuliert, auch einzigartig geblieben ist.62 Der Wunsch nach zuverlässigen Textausgaben ist aber repräsentativ für die Zeit und philologisches Interesse trifft sich darin mit dem historischen: Die Denkmäler der Vergangenheit sind „Gegenstand des Trostes und Aufrichtung“, formuliert Jacob Grimm in 55
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Wolfgang Ernst verwendet den Begriff der Medienarchäologie in Anlehnung an Michel Foucault, L’archéologie du savoir (Paris 1969). Foucault ruft auf zu einer Abwendung von Geschichtsbetrachtung und -konstruktion als einer sich abspulenden Textur; Ernst versucht den Schritt zur Umsetzung und rückt die Frage nach den historischen Speicherprozessen von Information ins Zentrum. Ernst, Geschichte; ders., M.edium F.oucault. Weimarer Vorlesungen über Archive, Archäologie, Monumente und Medien (Weimar 2000). Memory of the World: www.unesco.org/webworld/mow (zuletzt am 1. 7. 2005). Theodor Storm, Immensee (Werke, München 1954) 22. Hellgardt, Flacius 278f. Ernst Dümmler in: Ernst Dümmler/Edward Schröder, Zum ersten Bekanntwerden Otfrids, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 44 (1900) 316–319. Zur Liutbertswidmung Anm. 24. Vgl. Hoffmanns erste Funde in Bonn: Zitat oben S. 148. Diutiska. Denkmäler deutscher Sprache und Literatur, aus alten Handschriften zum ersten Male herausgegeben, theils nachgewiesen und beschrieben. Den Freunden deutscher Vorzeit gewidmet 1 (ed. Eberhard Gottlieb Graff, Stuttgart/Tübingen 1826) VI. Zum Begriff Gedächtnisagentur Ernst, Geschichte 1061. Zu den MGH Schmitz, Entstehungsgeschichte 503–522; vgl. auch die Beiträge von Dietrich Hakelberg zum Germanischen Nationalmuseum und Friedrich-Wilhelm von Hase zum Römisch-Germanischen Zentralmuseum im gleichen Band.
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der Zueignung seiner Deutschen Grammatik an seinen Lehrer Friedrich Carl von Savigny, „wir sollen uns der Herstellung und Sicherung ihrer ursprünglichen Gestalt befleißigen“.63 Das gemeinsame vaterländische Ziel war, die Texte einem recht breiten Publikum zugänglich zu machen, und zwar in sorgfältigen Editionen wie auch in Übersetzungen.64 Das war ein neuer Elan und eine neue Wissenschaftlichkeit, die mit den Namen Grimm, Lachmann oder auch Pertz verbunden ist. Die editorische Tradition übersprang den Großteil des 18. Jahrhunderts: „Die Linie von Eckharts Textausgaben führt ohne eine Zwischenstation direkt in das Zeitalter der Romantik.“65 Dabei darf nicht übersehen werden, dass dieses textkritische Bedürfnis vorher so nicht existierte. Schilter, Eckhardt und ihren Zeitgenossen ging es darum, die Texte mittels Buchdruck überhaupt verfügbar zu machen. Sie bemühten sich auch um korrekte Abschriften, die dann kursierten, aber Hoffmanns Kritik etwa an den Otfrid-Ausgaben von Flacius und Schilter, deren „Verfahrensart … nie die geringste Entschuldigung finden kann“66, wäre für sie nicht nachvollziehbar gewesen. Zugleich lässt sich beobachten, wie hier schon die zwei Grundrichtungen der wissenschaftlichen Textwiedergabe angelegt sind, nämlich der diplomatische Abdruck bei Hoffmann gegen die sprachliche Normalisierung bei Graff und Lachmann. Das unterschiedliche Vorgehen scheint jedoch nicht wahrgenommen worden zu sein. Hoffmann glaubt sich einig mit Lachmann im Bemühen um exakte Textabdrucke.67 In Anlehnung an Georges Duby können wir darin das Bild einer „schönen Wissenschaft“ vor dem Umkippen zum Szientismus des späteren 19. Jahrhunderts sehen.68 3. HOFFMANN VON FALLERSLEBEN: EIN AUSNAHMEFALL? August Heinrich Hoffmann ist fast zum Symbol einer Epoche geworden, und dies schon zu Lebzeiten. In den Jahrzehnten nach seiner Entlassung aus der Universität wurde er als Liederdichter gefeiert und hat sich wohl auch selbst zum politisch Verfolgten stilisiert, der mitunter vor der „Geheimpolizey“ fliehen musste:69 ein weiterer Schritt in den Fußstapfen seines Vorbilds Jacob Grimm, der ja 1837 vom Hannoverschen König als einer der „Göttinger 7“ entlassen worden war. Einiges spricht dafür, dass ihm seine Professur nicht nur infolge der Veröffentlichung der „Unpolitischen Lieder“ verloren ging, sondern dass die „Bibliothekhändel“ und politischen Intrigen in Breslau, von denen er berichtet, viel mit persönlichen Konflikten, Eitel- und Nachlässigkeiten im akademischen Leben zu tun hatten70 – dies gehört bei schillernden Gestalten dazu und Hoffmann konnte dem nicht widerstehen. Ein anschauliches Bild seiner nicht ganz unschuldigen Freude an polemischer Auseinandersetzung mit gelehrten und dichtenden Kollegen geben die „Altdeutschen Kuckkastenbilder“71, wobei Zeitgenossen ähnlich scharf formulierten: Heinrich Heine belustigte sich über den „nur Jakob-Grimmisch und Zeunisch“ sprechenden Maßmann, über Hoffmann und viele andere, hat aber die pointiertesten Äußerungen nicht in seine populären Gedichtsammlungen aufgenommen.72 Zeitgenossen und Nachgeborene haben Hoffmann „eilige Philologie“ vorgeworfen; die Forschung sieht heute, dass seine Editionen besser sind als ihr Ruf.73 Mir geht es um den exemplarischen Charakter der Figur Hoffmann von Fallersleben. Bei aller Selbststilisierung entspricht er dem romantischen Ideal der Verbindung von Poesie und Wirklichkeit; er hat sein Leben romantisiert und die Poesie ins Leben geholt. Sein dichterisches Werk spiegelt die Geschichte des 19. Jahrhunderts zwischen den napoleonischen Kriegen und der Gründung des deutschen Kaiserreichs, indem es zuverlässig auf die historischen Entwicklungen antwortet. 63 64
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Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt [V]. Graff, Diutiska, VIf.; Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt XII; Karl Simrock an Wilhelm Grimm, 1844 Juli 29, an Auguste Grimm, Weihnachten 1852, in: Grimms, ed. Ottendorff-Simrock 37, 77f. Hermann Leskien, Johann Georg von Eckhardt (1674–1730). Das Werk eines Vorläufers der Germanistik (Würzburg 1965) 200. Hoffmann, Fundgruben 1, 45; vgl. ibid. 40f. Behr, Philologie 178. Duby/Lardreau, Geschichte und Geschichtswissenschaft 90. Zur polizeilichen Verfolgung: Hoffmann, Leben 233 und 306. Hoffmann, Leben 100–107, 112–115, 129, 157–159, 186, 196f; zur Entlassung 201–205, 228. Alle 20 Strophen jetzt vollständig abgedruckt und reich kommentiert bei Stephan Müller, ‚Altdeutsche Kuckkastenbilder‘, in: helle döne schöne, ed. Horst Brunner/Claudia Händl/Ernst Hellgardt et al. (GAG 668, Göppingen 1999) 231–257. Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke 2: Neue Gedichte (ed. Manfred Windfuhr, Hamburg 1983) 144 [Maßmann], 186 [Hoffmann]. Behr, Philologie.
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4. UHLAND STATT LESSING. „Die permanente Selbstreflexion des Fachs Altgermanistik“, um es mit einer Fachvertreterin zu sagen,74 „der immer wieder neu zu vollziehende[n] Akt der Vergewisserung und der kritischen Prüfung des eigenen Standortes“ zeige, dass die deutsche Literaturwissenschaft in ihren Vorstellungen vom Mittelalter lange Zeit von der Romantik geprägt war. Das ist nicht so verwunderlich, da das Fach in dieser Zeit sich konstituiert hat. Was bedeutet das für die Frage nach der Aneignung des Mittelalters? Dass die Beschäftigung mit der volkssprachigen Überlieferung mit Vorstellungen von Ursprünglichkeit, von Freiheit und Nation einherging, die im Gegensatz zur Aufklärung standen. Am eindeutigsten zeigt das die Rezeption der Dichtung Walthers von der Vogelweide. Ein bescheideneres, frühmittelalterliches Beispiel gibt auch die zeittypische, aber lange übernommene Fehldeutung von Otfrid-Passagen als „Hauch eines innigen Gemüts“ oder gar „Heimweh eines Verwaisten in der Fremde“.75 Dabei gab es, wie die Beispiele des Trithemius, Schilters und Eckharts oder Lessings zeigen, durchaus vorromantische Vergegenwärtigungen des Mittelalters, die weniger idealisierend und sehnsüchtig zurückblickten. Die entstehende deutsche Philologie im Gefolge von Grimm & Co. hat, auch wenn sie vom heftigen Nationalismus der postnapoleonischen Gesellschaft wenig berührt scheint, das Mittelalter untrennbar mit deutscher Identität verbunden. Diese Begeisterung für „deutsche Lieder“ war offenbar nachhaltiger als alles andere und reicht weit ins 20. Jahrhundert hinein. 5. APOLOGIE DER VOLKSSPRACHE. Die Rechtfertigung der Volkssprache als Forschungsgegenstand und als Sprache von Dichtung und Wissenschaft scheint eine Konstante zu bilden. Otfrid von Weißenburg begründet in einer Doppelstrategie das Recht der Franken, zum Gegenstand hoher Dichtung zu werden und reflektiert – auf Latein – die Probleme, aber auch die Notwendigkeit, dabei die fränkische Sprache zu verwenden: Níst si so gisúngan . mit régulu bithúungan.76 Das gleiche, vielleicht schon topische Phänomen, die Beschäftigung mit volkssprachigen Texten zu begründen, finden wir später bei Trithemius, Beatus Rhenanus, Gottsched, den Grimms, Graff und Hoffmann von Fallersleben.77 Uhland und Simrock rechtfertigen, anfangs schüchtern, die neuhochdeutsche Übersetzung der Texte.78 Seit Jacob Grimm kommt eine weitere Spielart hinzu. Die Erforschung der Geschichte der Volkssprache wird legitimiert:79 „Will denn immer der wahn nicht schwinden von der rohheit eines volks, dessen sprache uns vollendeter scheinen musz als die seiner nachkommen“. 6. DEUTSCHES ERBE. Frappierend bleibt die Selbstverständlichkeit der Lektüre frühmittelalterlicher Texte als deutsch. Die Suche nach dem jeweils Ältesten, Ursprünglichsten und damit hoffentlich Authentischsten richtet sich nicht nur auf die Texte, sondern auch auf die Sprache selbst. Die ältesten fassbaren Wörter werden unbedarft als älteste Zeugen der deutschen Sprache gesehen, weil man ihren Weg ja per Lautgesetz zurückverfolgen kann. Dabei wird ‚germanisch‘ synonym mit ‚deutsch‘ verwendet, ohne freilich eine nationale Kategorie zu definieren. „Deutsch bleibt dann die einzige allgemeine, freilich kein einzelnes Volk bezeichnende Benennung“, wie Jacob Grimm in der Vorrede zur Deutschen Grammatik präzisiert.80 Uhland, Hoffmann u. a. werden sich darauf beziehen. So notiert Hoffmann, als er sein Studium in Bonn aufnahm, stolz zur „deutschen Philologie“: „Ich begriff darunter das Gotische, Alt-, Mittel-, Neuhochdeutsche mit allen seinen Mundarten, das Altsächsische, Niederdeutsche und Niederländische, das Friesische, Angelsächsische und Englische, und das Skandinavische; ferner die deutsche Literatur- und Kulturgeschichte, alles Volkstümliche in Sitten, Gebräuchen, Sagen 74 75 76 77
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Ursula Liebertz-Grün, Gotthold Ephraim Lessing als Mediävist, in: Euphorion 77 (1983) 326–341, hier 341. Uhland, Werke 3, 463; Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt LVII. Otfrid I.18, 25–30 wurde noch lange als Heimweh gelesen. Otfrid, Ludwigs- und Liutbertswidmung bzw. Kap. I.1; Zitat Otfrid, Evangelienbuch I.1 v. 35. Pivernetz in Otfrid, ed. Pivernetz 2, 39; Hellgardt, Trithemius 358ff, 371; Liebertz-Grün, Lessing, zu Gottsched 328f. Graff, Diutiska VIII–X. Uhland in der Vorrede zu seinem Waltherbuch: Werke 4, 33; Karl Simrock an Wilhelm Grimm und dessen Antwortbrief, beide Juli 1830: Grimms, ed. Ottendorff-Simrock 19–21, 22f. Jacob Grimm, Geschichte der Deutschen Sprache, 2 Bde. (Leipzig 31868) Zitat VIII; vgl. Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt [IV]. Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt XXXVIII; ebenso Uhland, Werke 4, ed. Fröschle/Scheffler 139f. Vgl. den Tagungsband Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“.
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und Märchen, sowie endlich Deutschlands Geschichte, Kunst, Altertümer und Recht.“81 Aber sich anbietende Deutungen der Texte im Sinne nationaler Aussagen – was spätere Exegeten deutschen Erbes nicht ausließen – werden nicht vorgenommen: keine Interpretation von Otfrids Ludwigswidmung und des Kapitels I.1 (Cur scriptor hunc librum theotisce dictauerit) als Indiz für eine nationalisierende Kulturpolitik Ludwigs ‚des Deutschen‘, keine Auslegung der einschlägigen Passagen des Ludwigslieds mit Blick auf ein zentrales Thema der Vormärzzeit, die Verfassung. Patriotisch ist hier der Gegenstand, die Beschäftigung mit deutscher Vorgeschichte, nicht der Inhalt. Die Verwendung und der Umgang mit dem Begriff ‚deutsch‘ durch die Philologen der Romantik, denn als klassische Philologen waren sie ausgebildet, geschieht also nicht chauvinistisch, sondern im Sinne eines selbstverständlichen, naiven Patriotismus, für den alles sprachlich und räumlich in Bezug zur eigenen Gegenwart Stehende schon immer deutsch war. 7. ALTHOCHDEUTSCH. Jacob Grimm hat in der indogermanischen Forschung, die um 1800 in vollem Gang war, Aufsehen und Ansehen durch seine Beschreibung von „Lautverschiebungen“ hervorgerufen. Auf ihn geht die später differenzierte Terminologie zurück, die die Ausbildung zuerst einer gemeingermanischen, daraus dann einer althochdeutschen Sprachstufe sprachgeschichtlich fassen will. Diese Phänomene werden in willkommener Systematisierung bis heute als 1. oder germanische Lautverschiebung, mitunter auch „Grimmsches Gesetz“, bzw. 2. oder althochdeutsche Lautverschiebung bezeichnet. Der Begriff ‚althochdeutsch‘ erscheint erstmals in Jacob Grimms Deutscher Grammatik von 1819, um dann in den Folgeausgaben definiert zu werden.82 Dabei wird ein ausgeprägtes Bemühen um strukturierte Ordnung der Kenntnisse, die bis jetzt über Sprache vorhanden waren, deutlich. Sauber werden Stammbäume aufgestellt um zu beweisen, „daß und wie alle deutsche Sprachstämme innigst verwandt“ seien.83 In einer großen Systematik wird Althochdeutsch chronologisch vom Mittel- und Neuhochdeutschen unterschieden, räumlich von den niederdeutschen Sprachstufen, die die 2. Lautverschiebung eben nicht mehr mitgemacht haben. Zugleich ist es ein Sammelbegriff für das vom 7. bis 11. Jahrhundert gesprochene Fränkisch, Alemannisch, Bairisch und Thüringisch. Dass ‚Althochdeutsch‘ als die früheste Form der hochdeutschen Sprache der Gegenwart zu gelten hat, war nicht anders vorstellbar. Jacob Grimm hat einen Kunstbegriff geprägt, den wir in der Überlieferung nicht wiederfinden. Otfrid spricht und dichtet nach eigener Aussage in frénkisga zungun, der Ludwigslieddichter bezeugt ebenfalls ein fränkisches Selbstverständnis, um nur zwei Beispiele zu nennen.84 Dazu kommt, dass das einende sprachgeschichtliche Phänomen, welches Jacob Grimms terminologische Schublade rechtfertigte, wohl als solches nicht existierte. Man kann heute nicht davon ausgehen, dass eine althochdeutsche Lautverschiebung eine althochdeutsche Sprachgemeinschaft generierte, sondern eher, „daß verschiedene westgermanische Dialekte Konsonantenveränderungen hervorbringen“.85 Die Verwendung des Etiketts ‚althochdeutsch‘ ist irreführend, da es eine Einheit und kontinuierliche Deutschheit vorspiegelt, die weder für die Zeitgenossen noch nach unserem heutigen Verständnis gegeben war. 8. SPRACHGESCHICHTE ALS PERIODISIERUNGSMERKMAL. Die Periodisierung eines Zeitalters ist ein anachronistisches Modell, aber hilfreich, wie alle rückblickende Systematisierung. Sie ist Konstruktion wie jedes Bild der Vergangenheit und erhebt bestimmte Kriterien über andere. Diese Kriterien können aber niemals übergeordnete Gültigkeit beanspruchen, sondern bleiben immer an einen Raum gebunden. 81
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Hoffmann, Leben 75. Die Sprachenfolge entspricht der Reihung in Grimms Deutscher Grammatik. Vgl. auch Klaus Düwel, Zur Benennung der Universitäts-Institute: „Germanistisches Seminar“ oder „Seminar für Deutsche Sprache und Literatur“, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer et al. (RGA Erg. Bd. 34, Berlin/ New York 2004) 649–694. Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt; ders., Deutsche Grammatik 1 (1840) (Werke, ed. Schmitt Abt. 1, 9.2) 5–9. Judith Schwerdt, Die 2. Lautverschiebung. Wege zu ihrer Erforschung (Heidelberg 2000). Grimm, Grammatik 1819, ed. Schmitt XXIV: „Hauptzweck“; vgl. Graff, Diutiska VIII. Otfrid I.1, v. 114; Ludwigslied vv. 6, 12, 49. Schwerdt, Lautverschiebung 386.
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Wenn man sich darüber verständigen kann, dass das fränkisch-ottonische Reich im 10. Jahrhundert bereits homogen strukturiert sein mag, aber noch kein deutsches sein muss,86 und folglich im 11. Jahrhundert mit dem Sprachwandel von den sogenannten althochdeutschen Mundarten zum Mittelhochdeutschen tatsächlich zu einem System mit deutschem Selbstverständnis wird, dann kann man vielleicht auch über den Beginn einer deutschen Geschichte Einigkeit erzielen. Diesen Beginn zum Parameter für ein Periodisierungsmodell zu machen, ist nicht so chauvinistisch, wie es das auf den ersten Blick sein muss. Eine Gliederung des Zeitalters zwischen dem Altertum und seiner sogenannten Wiedergeburt kann nicht ernsthaft für das europäische Mittelalter gelten wollen. Die polnische oder italienische Perspektive, erst recht die skandinavische, die mit Begriffen wie frühe und späte Wikingerzeit operiert, war immer auf andere Zäsuren gerichtet. Berücksichtigt man nun noch, dass in Frankreich eine entsprechende Entwicklung verläuft, lässt sich das Kriterium auf das westliche Mitteleuropa anwenden. Im 11. Jahrhundert beginnt mit den nordfranzösischen Chansons de Geste die eigentlich altfranzösische Periode. Was aus der Zeit vorher überliefert ist, von den Straßburger Eiden über die Eulalia und vereinzelte Texte des 10. Jahrhunderts, ist, in Übereinstimmung mit der politischen Geschichte, nicht französischer als das Althochdeutsche deutsch ist. 9. DIE ROMANTISCHE GEGENWART DES MITTELALTERS. Vergleicht man das Selbstverständnis der Zeitgenossen (Brüder Grimm, Hoffmann, Uhland) mit den Erkenntnissen der Sozialgeschichte über das 19. Jahrhundert,87 stellt sich der Eindruck von Parallelwelten ein. In der Zeit nach den sogenannten Befreiungskriegen, erst recht nach den Karlsbader Beschlüssen, übernahmen Vereine eine wichtige Funktion in der Gesellschaft. Am Anfang standen die teils noch romantisch motivierten Geschichtsvereine – ich nenne die Beispiele Wien und Paderborn –, dazu kamen die Gesangvereine, die im Unterschied zu Turnvereinen und Burschenschaften nicht verboten wurden und daher Ventilfunktion hatten.88 In diesem Rahmen des sich emanzipierenden Bürgertums, das seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend politische Ambitionen entwickelte, sind Schlagworte wie Barbarossa und Canossa an der Tagesordnung. Auch die politisch engagierte Literatur zeigt Motive, die vor allem auf das Hochmittelalter verweisen.89 Neuere Arbeiten haben aber gezeigt, dass hier eine Mittelalterrezeption im Sinne gröbster Bilder stattfindet, die undifferenziert aus der Geschichte entlehnt werden, sei es, um einen Idealzustand von „Einigkeit und Freiheit“, einen Idealkaiser oder päpstliche Machtvollkommenheit zu vergegenwärtigen, sei es, um antikatholizistische Vorstellungen von Inquisition und Weltverschwörung zu illustrieren.90 Eine inhaltliche Aneignung des Mittelalters auf breiter Ebene ist nicht erkennbar. Dagegen müssen Arbeit, Selbstverständnis, sogar politische Äußerungen und Dichtung der jungen deutschen Philologen als Spezialdiskurse betrachtet werden. In dieser Perspektive sind die akademischen Eliten nicht repräsentativ für die bürgerliche Gesellschaft. „Der singende ‚Deutsche Mann‘“ denkt eben, wenn es ums Höchste geht, nicht an das Lied der Deutschen, sondern an Ernst Moritz Arndts „Des Deutschen Vaterland“91: „Das ganze Deutschland soll es sein.“ 86
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Schneidmüller, Reich – Volk – Nation; vgl. Anm. 3. Zur Periodierung vgl. Marc Bloch, Apologie pour l’histoire ou Mètier d’historien (Paris 2002) Kap. IV.1, 125f. und IV.4, 150. Anm. 5, insbes. Klenke, Mann 49–96, 202–209. „Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens“, Abt. Paderborn 1824, Abt. Münster 1825; „Alterthums-Verein zu Wien“ 1853; Gesangverein „Deutsche Einheit“ 1874 in Mannheim. Vgl. Hermann Heimpel, Geschichtsvereine einst und jetzt (Göttingen 1963). – Zur doppelten Tradition der bürgerlichen Eliten aus Aufklärung und Romantik siehe Klenke, Mann 21–41; ders., Die Paderborner „Harmonie-Gesellschaft“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert – Lokale Elitenintegration im Spannungsfeld von liberalkonservativer Konsensbildung und konfessionellen Absonderungstendenzen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität-GH Paderborn 17 (2004) 5–82. Als prominentes Beispiel sei die Auseinandersetzung Heinrich Heines mit „Kaiser Rotbart“ und seinem Mythos genannt: Deutschland. Ein Wintermährchen, c. XIV–XVII (ed. Manfred Windfuhr, Werke 4, 1985) 119–130; zu Canossa auch „Die Eule studierte Pandekten“: Werke 2, 187. Vgl. Brunner, Hoffmann und Walther. Matthias Klug, Rückwendung zum Mittelalter? Geschichtsbilder und historische Argumentation im politischen Katholizismus des Vormärz (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte: Reihe B, Forschungen 69, Paderborn et al. 1995). Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, 3: Gedichte (ed. Heinrich Meisner/Robert Geerds, Leipzig 1908) Zweiter Teil 25f. Das 1813 entstandene Lied galt bis zur Reichsgründung als heimliche deutsche Nationalhymne: Klenke, Mann 66f.
S T E FA N D O N E C K E R
Verweise auf Antike und Frühmittelalter in frühneuzeitlichen Abhandlungen zum Baltikum. Zur Diskursivität europäischer Peripherie Friedrich Menius (~1593–1659), Universalgelehrter, Poeta laureatus, mutmaßlicher Bigamist und verurteilter Häretiker, zählt zu den ungewöhnlichsten und schillerndsten Gestalten der schwedischen Geistesgeschichte.1 In Mecklenburg geboren, studierte Menius in Greifswald und Rostock und betätigte sich im Lauf seines turbulenten Lebens unter anderem als Übersetzer englischer Theaterstücke, verfasste alchimistische und apokalyptische Traktate und versuchte sich erfolglos als Leiter eines Kupferbergwerkes. Den Schwerpunkt seines Wirkens bildeten jedoch historische und theologische Schriften. In den späten 1620er Jahren gelangte Menius nach Livland, wo er 1632 an der Universität in Dorpat (heute Tartu in Estland), deren Gründung der schwedische König Gustav II. Adolf im gleichen Jahr angeordnet hatte, eine Professur für Geschichte erhielt. Um seine Ernennung zu rechtfertigen und seine Eignung für die neue Arbeitsstätte zu demonstrieren, wählte Menius einen landesgeschichtlichen Forschungsschwerpunkt – die Ursprünge und die Abstammung der lokalen Bevölkerung. Drei Jahre später legte er eine Schrift unter dem Titel „Syntagma de origine Livonorum“ vor. Dieses Thema bietet Menius eine Gelegenheit, mit seiner imponierenden Belesenheit aufzutrumpfen und sein vielseitiges Wissen unter Beweis zu stellen. Gestützt auf antike Quellen und die einschlägige zeitgenössische Literatur zählt er insgesamt 55 Völker auf, die als Vorfahren der Livländer in Frage kommen. Von all jenen 55 Völkern, so Menius, hätten namhafte Historiker und Gelehrte behauptet, dass sie in Livland selbst oder zumindest in der Umgebung ansässig gewesen wären. Für den unbedarften modernen Leser, der mit der historischen Methodik des späten Humanismus nicht vertraut ist, hält Menius’ Liste einige Überraschungen parat. Der Gedanke, dass Livland einst von Goten, Herulern oder Wenden bewohnt gewesen sein könnte, erscheint, selbst aus heutiger Sicht, nicht allzu weit hergeholt. Andere Hypothesen hingegen wirken sehr kurios, denn für Menius zählen auch die Wallachen und sogar die Byzantiner zu den möglichen Ureinwohnern Livlands.2 GEISTESGESCHICHTLICHER KONTEXT Um diesen Katalog scheinbar willkürlich zusammen gewürfelter Gentes begreifen zu wollen, ist es unumgänglich, ihn im Kontext der damaligen geistesgeschichtlichen Strömungen zu verstehen. Während des 16. und 17. Jahrhunderts orientierte sich die nordosteuropäische Historiographie an den Vorgaben des Gotizismus schwedischer Prägung.3 Die Annahme, die Bewohner Schwedens wären Nachfahren der spätantiken bzw. frühmittelalterlichen Goten und hätten somit Anteil an deren ruhmvollem Erbe, lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Gotizismus zu einem elaborierten,
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Herzlichen Dank an Prof. Walter Pohl, der die Arbeit an diesem Beitrag aus Mitteln des Wittgensteinpreises 2004 ermöglichte, sowie an Dr. Jürgen Beyer für seine wertvollen Ratschläge und seine fachkundige Kritik. Bei Wanda Szkwarek, Stefan Bauer und Johannes Thaler darf ich mich für ihre Unterstützung und ihre Geduld bedanken! Ohne ihre Hilfe wäre dieser Aufsatz nie über ein vages Planungsstadium hinausgekommen. Die biographischen Angaben zu Friedrich Menius und den anderen erwähnten Autoren stützen sich auf das Schwedische Biographische Lexikon (Svenskt biografiskt lexikon) sowie auf Recke-Napierskys „Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland“. Friedrich Menius, Syntagma de origine Livonorum, in: Scriptores Rerum Livonicarum 2 (Riga/Leipzig 1848) 511–542, hier 516–517. Zum schwedischen Gotizismus vgl. Inken Schmidt-Voges, De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden (Imaginatio borealis 4, Frankfurt 2004), die die ältere Forschung zu diesem Thema paraphrasiert und kritisch diskutiert.
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politisch wirkungsmächtigen historischen Narrativ der, getragen von einer königstreuen Akademikerschicht, die Selbstwahrnehmung des Landes und seine Präsentation nach außen entscheidend prägte. Innenpolitisch rechtfertigte der Verweis auf Schwedens Gotenerbe die hierarchische Ausrichtung der Gesellschaft hin auf den ideell überhöhten König, außenpolitisch legitimierte er eine aggressive Expansionspolitik. Im Gefolge des Gotizismus wurde versucht, dieselbe genealogische Methode auch auf die Bewohner anderer Länder anzuwenden. Um ein Volk zu begreifen, musste man feststellen, wer seine Ahnen waren. Auf diese Weise konnten die betreffenden Ethnien etikettiert, vermeintliche Volkscharakteristika erklärt und stereotype Vorstellungen untermauert werden. Die frühneuzeitliche Debatte über die Ureinwohner Livlands samt Menius’ gewagten 55 Hypothesen stellt einen sekundären Diskursstrang, eine Randerscheinung des Gotizismus dar, resultierend aus der Beschäftigung antiquarisch gebildeter Gelehrter mit einem Land, dessen Zugehörigkeit zum zivilisierten Europa keineswegs als gesichert gelten konnte. LIVLAND UND SEINE BEWOHNER IN DER GELEHRTEN LITERATUR DER FRÜHEN NEUZEIT Während des 16. und 17. Jahrhunderts lässt sich generell ein gesteigertes Interesse am Baltikum und seinen Bewohnern vermerken.4 Die Reformation hatte die Position des Deutschen Ordens, der die Region im Mittelalter christianisiert und erobert hatte, nachhaltig erschüttert. 1558 nutzte Zar Ivan IV. die politische und militärische Ohnmacht des Ordens und rückte in Livland ein. Die russische Offensive markiert den Beginn eines – mit Unterbrechungen – mehr als 160 Jahre dauernden Kampfes um die Ostseeherrschaft zwischen Schweden, Russland und Polen-Litauen. Erst als die schwedische Großmachtstellung im Nordischen Krieg (1700–1721) zusammenbrach und Schweden seine Niederlage im Frieden von Nystad eingestehen musste, hatte Russland einen unangefochtenen Hegemonialstatus im Ostseeraum erkämpft.5 Als Hauptkriegsschauplatz der Nordischen Kriege zog Livland – bislang eine periphere, kaum wahrgenommene Region am Rande Europas – eine deutlich gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich. Mit den Bemühungen der beteiligten Mächte, ihre Herrschaftsansprüche zu legitimieren und zu begründen, ging eine intensivierte historiographische und ethnographische Beschäftigung mit den umkämpften Gebieten einher. Der politisch unmündige Bauernstand, die estnisch- und lettischsprachigen „Undeutschen“, avancierte zum Objekt akademischen Interesses, obgleich ihm die Anerkennung als selbständiger geschichtlicher Akteur weiterhin verwehrt blieb. Der Landesname Livland, Livonia, bezeichnete in der Frühen Neuzeit ein Gebiet, das grob dem heutigen Staatsgebiet Estlands und Lettlands entspricht. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts war Livland eine heterogene Konföderation nominell souveräner Territorien,6 dominiert vom Deutschen Orden, jedoch durch das litauische Samogitien von den übrigen Ordensbesitzungen in Preußen getrennt. Ungeachtet der politischen Neuordnung – etwa der Teilung des Landes zwischen Schweden und Polen nach dem Frieden von Jam Zapolski im Jahre 1582, die faktisch bis 1621 Bestand hatte – wurde das frühere Ordensgebiet Livland während des hier behandelten Zeitraumes zumeist als territoriale Einheit verstanden.7 4
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Zur Semantik des begrifflich unscharfen Terminus „Baltikum“ bzw. „baltisch“ vgl. Jörg Hackmann, Was bedeutet „baltisch“? Zum semantischen Wandel des Begriffs im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Erforschung von mental maps, in: Buch und Bildung im Baltikum. Festschrift für Paul Kaegbein zum 80. Geburtstag, ed. Heinrich Bosse/Otto-Heinrich Elias/Robert Schweitzer (Schriften der Baltischen Historischen Kommission 13, Münster 2005) 15–39. Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff „baltisch“ in Bezug auf das historische Territorium von Alt-Livland verwendet (vgl. Hackmann, Wandel 19). Die Thematik macht jedoch einige Exkurse zum benachbarten Litauen unumgänglich. Vgl. David Kirby, Northern Europe in the Early Modern Period. The Baltic World 1492–1772 (London/New York 1990) 75–322. Für eine militärhistorische Betrachtung vgl. Robert I. Frost, The Northern Wars. War, State and Society in Northeastern Europe, 1558–1721 (Harlow 2000). Neben den eigentlichen Ordensbesitzungen umfasste das mittelalterliche Livland vier teils vom Orden abhängige, teils mit ihm rivalisierende geistliche Herrschaften: das Erzbistum Riga sowie die Bistümer Dorpat, Ösel-Wiek und Kurland. Vgl. Almut Bues, ‚Die letst gegent und provintz der cristen‘, or where is the Baltic?, in: Zones of Fracture in Modern Europe: the Baltic Countries, the Balkans, and Northern Italy / Zone di frattura in epoca moderna: Il Baltico, i Balcani e l’Italia settentrionale, ed. dies. (Deutsches Historisches Institut Warschau, Quellen und Studien 16, Wiesbaden 2005) 37–43, hier 41; Reinhard Wittram, Baltische Lande – Schicksal und Name. Umrisse der äußeren geschichtlichen Wandlungen seit dem 13. Jahrhundert im Spiegel des Landesnamens, in: Ostbaltische Frühzeit, ed. Carl Engel (Baltische Lande 1, Leipzig 1939) 480–495, hier 486–487. Hinsichtlich der landschaftlichen Gliederung Livlands kursierte eine Reihe unterschiedlicher Einteilungen. Balthasar Russow spricht von drei Provinzen, Estland, Lettland und Kurland, wobei „[d]ath Estlandt […] dath vornemeste unde beste“ sei. (Balthasar
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Die indigene Bevölkerung des Landes galt im 16. und 17. Jahrhundert als dubioser Menschenschlag. Sunt hi Letti a capite ad calcem corrupti, atque fraudulenti, urteilte Hermann Becker, der um 1700 als Spezialist für Livland an der Universität Wittenberg tätig war.8 Die Livländer wurden als abergläubische, rückständige und verschlagene Leute beschrieben, die ein heuchlerisches Christentum praktizierten und sich insgeheim heidnischen Kulten und zauberischen Praktiken hingaben. Der lutheranische Prediger Paul Einhorn brandmarkt die Letten Mitte des 17. Jahrhunderts als ein „hartes, unbändiges und böses Volck“; sein vernichtendes Urteil trifft vor allem die Kurländer, die er – in ansprechender Alliteration – gemeinsam mit Kappadoziern, Kretern und Kilikiern als die verdorbensten Menschen der Welt ansieht.9 Die einzige Möglichkeit, die man den indigenen Livländern zubilligte, um ihrer eigenen Niederträchtigkeit zu entgehen, bestand in der demütigen Unterwerfung unter die deutschen Herren und den rechten christlichen Glauben: Damit nicht jemand glauben könnte, dass unsere außerordentlich verdorbenen Letten überhaupt nichts Gutes an sich haben, möchte ich das eine und andere Wort des Lobes finden. Ich beginne mit dem Religiösen. Ganz und gar ein Lob verdienen die vielen Letten, die das Wort Gottes so schätzen und so achten, dass sie, wie ich es oft mit eigenen Augen gesehen habe, zwei, drei, ja manchmal vier oder mehr Meilen auf sich nehmen, um dem göttlichen Heilswort begierig lauschen zu können. […] Lobenswert sind unsere Letten auch, weil sie die Deutschen, wenn diese sie aufsuchen, mit allen Ehrenbezeugungen bei sich aufnehmen, und ihnen Geschenke, zum Beispiel Leinen, Eier und andere Gaben, mit auf den Weg geben.10
Ungeachtet ihrer sprachlichen Zugehörigkeit wurde die indigene Bevölkerung Livlands mit der Sammelbezeichnung „Undeutsche“ etikettiert. „Undeutsch“ implizierte die Zugehörigkeit zur sozialen Unterschicht, und als sich im 15. und 16. Jahrhundert das System der Erbuntertänigkeit konsolidierte, wurde „Undeutsch“ weitgehend gleichbedeutend mit Leibeigenschaft.11 In der Frühen Neuzeit entwickelte sich der Terminus zur dominierenden begrifflichen Kategorie, die die ethnische Zugehörigkeit der indigenen Bevölkerung in Livland festschrieb.12
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Russow, Chronica der Prouintz Lyfflandt […], in: Scriptores Rerum Livonicarum 2 [Riga/Leipzig 1848] 1–157, hier 9.) Olaus Hermelin fügt diesen drei Semgallen als vierten Landesteil hinzu. (Olavus Hermelin, De origine Livonorum disquisitio, in: Scriptores Rerum Livonicarum 2 [Riga/Leipzig 1848] 543–566, hier 552.) Paul Einhorn klammert wiederum Estland aus; für ihn umfasst Livland drei Landesteile, Livland im engeren Sinne, Semgallen und Kurland. (Paulus Einhorn, Historia Lettica. Das ist Beschreibung der Lettischen Nation […], in: Scriptores Rerum Livonicarum 2 [Riga/Leipzig 1848] 569–604, hier 578–579.) Für Moritz Brandis gliedert sich Livland in fünf Landschaften, Estland, Lettland, „der Liven Land“, Kurland und Semgallen; (Moritz Brandis, Chronik, oder älteste Livländische Geschichte, nebst den ältesten Ritter- oder Lehn-Rechten [ed. Carl Julius Albert Paucker, Monumenta Livoniae antiquae 3, Riga/Leipzig 1840] 3.) Dionysius Fabricius beschränkt sich auf zwei, Lothavia und Aesthonia. (Dionysius Fabricius, Livonicae Historiae compendiosa series, in: Scriptores Rerum Livonicarum 2 [Riga/Leipzig 1848] 427–510, hier 439.) Hermann Becker [praes.]/Johann Wilhelm Beator [resp.], Livonia Livonorum veterum naturam, Rempublicam atque ritus exponet (Vitembergae 1700) B [1]v. Um 1700 hatte sich in Wittenberg eine historisch-geographische Arbeitsgruppe unter der Ägide des bekannten Polyhistors Konrad Samuel Schurzfleisch gebildet, aus der eine Reihe kleinerer Schriften zu Livland hervorging. Becker, der in diesem Zirkel eine Assistentenrolle einnahm, präsidierte bei fünf Dissertationen und wird in einer weiteren als Respondent unter Schurzfleisch’ Präsidiat angeführt. Vgl. Georg von Rauch, Die Universität Dorpat und das Eindringen der frühen Aufklärung in Livland 1690–1710 (Schweden und Nordeuropa 5, Nachdruck Hildesheim/New York 1969) 372. Einhorn, Historia 596–597. Die außerordentliche Lasterhaftigkeit der Kreter, Kappadozier und Kilikier, der tria pessima cappa, hatte Erasmus von Rotterdam in seiner Sprichwörtersammlung Adagia verewigt. Vgl. [Erasmus Roterodamus], Adagia […] (ed. Paullus Manutius, Florentiae 1572) 928. Becker/Beator, Livonia B2v–B3r. Bis ins frühe 16. Jahrhundert konnten auch andere nicht-deutschsprachige Bevölkerungsgruppen, beispielsweise Russen, Schweden, Dänen oder Finnen, als „Undeutsche“ bezeichnet werden. In Folge setzte sich jedoch die beinahe ausschließliche Verwendung des Begriffs in Bezug auf Esten und Letten durch. Vgl. Wilhelm Lenz, Undeutsch. Bemerkungen zu einem besonderen Begriff der baltischen Geschichte, in: Aus der Geschichte Alt-Livlands. Festschrift für Heinz von zur Mühlen zum 90. Geburtstag, ed. Bernhart Jähnig/Klaus Militzer (Schriften der Baltischen Historischen Kommission 12, Münster 2004) 169–184; Heinz von zur Mühlen, Deutsch und Undeutsch als historiographisches Problem, in: Zwischen Konfrontation und Kompromiß. Oldenburger Symposium „Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre“, ed. Michael Garleff (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 8, München 1995) 185–195, hier 185. Zu Selbst- und Fremdwahrnehmung der livländischen „Undeutschen“ vgl. auch Andrejs Plakans, The Latvians. A Short History (Stanford–California 1995) 40–42, 54–55. Die linguistischen Unterschiede zwischen der finno-ugrischsprachigen Bevölkerung im Norden (Aesthones) und der baltischsprachigen im Süden des Landes (Letti, Lothavi) wurden von zeitgenössischen Autoren durchaus wahrgenommen und beschrieben:
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DREI HYPOTHESEN ZUR GENEALOGIE DER LIVLÄNDER: RÖMER, JUDEN UND NEUREN Als Friedrich Menius 1635 Bilanz über die gelehrten Thesen zur Urgeschichte Livlands zieht, muss er einräumen, dass die Frage nach den Ureinwohnern des Landes bislang nicht eindeutig geklärt werden konnte.13 Menius verwehrt sich mit Nachdruck gegen Hypothesen, die von einer ungebrochenen Besiedelungsgeschichte ausgehen, und betont stattdessen die Diskontinuitäten in der Geschichte Livlands, die eine einfache Antwort unmöglich machen. Während die Kernaussage des Gotizismus, die gotische Herkunft der Schweden, zwar nicht unwidersprochen blieb, den gelehrten Diskurs aber dennoch unangefochten dominierte, konnte keine der zahlreichen Theorien zur Herkunft der Livländer eine vergleichbare Vorrangstellung erreichen. Die Debatte blieb fragmentarisch, oft in sich widersprüchlich und auch für zeitgenössische Gelehrte schwer überschaubar. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts hatte eine Reihe mehr oder minder namhafter humanistischer Autoritäten unterschiedliche Standpunkte und Blickwinkel zur livländischen Urgeschichte beigesteuert: Albert Krantz erklärt im sechsten Buch der Wandalia die linguistische Vielfalt in Livland dadurch, dass unterschiedliche Völkerschaften und Sprachgruppen, die aus Sarmatien und der Tartarei verdrängt worden waren, an der Ostsee, in angustum ad mare, zu siedeln gezwungen waren.14 Das von Melanchthon und Peucer überarbeitete und herausgegebene Chronicon Carionis, das im protestantischen Europa weite Verbreitung im Schulunterricht fand, leitet die Livländer von den bei Ptolemäus erwähnten skandinavischen Lemovii her.15 Ebenfalls auf die Autorität des Ptolemäus stützt sich die „Sarmatiae Europeae descriptio“ (1578), in der die Kimbern als Stammväter der Bewohner Litauens und Livlands angeführt werden.16 In den systematischen Abhandlungen von Friedrich Menius (1635) und einem seiner Nachfolger an der Dorpater Universität, Olaus Hermelin17 (1693), ist es jedoch ein anderer Abstammungsnarrativ, dem die meiste Aufmerksamkeit zukommt: die These von der italienischen Herkunft der Livländer. Die Vorstellung, dass vornehme Römer an die Ostsee gelangt wären und sich dort niedergelassen hätten, lässt sich bereits im Spätmittelalter nachweisen – allerdings, muss betont werden, zunächst nicht in Bezug auf Livland, sondern auf dessen südlichen Nachbarn, Litauen.18 Die Erzählung von Palemon, der eine Gruppe römischer Auswanderer nach Litauen geführt haben soll, ist in litauischen Handschriften erst ab dem 16. Jahrhundert belegt, unter anderem
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„Lothavia grenzt an Litauen und Samogitien, deshalb haben auch die Lothaver eine große sprachliche Ähnlichkeit zu den Litauern. […] Aesthonia liegt nahe bei Finnland; weswegen die Esten und die Finnen weitgehend ein sprachliches Ganzes bilden. Die Sprache der Lothaver aber und die der Esten scheinen so unterschiedlich zu sein, dass ein echter Lothaver einen Esten kaum versteht; in gleicher Weise kann der Este den Lothaver nicht verstehen.“ (Fabricius, Series 439). Verglichen mit dem dominierenden Gegensatzpaar Deutsch-Undeutsch kam solchen Differenzierungen aber eine geringere Bedeutung zu. Menius, Syntagma 516. Albertus Krantz, Wandalia […] (Coloniae Agrippinae 1519) VI, 9. Casparus Peucer, Tertia pars Chronici Carionis [...] (Witebergae 1562) 16v. Alexandrus Guagninus, Sarmatiae Europeæ descriptio […] (Spiræ 1581) 44v. Die „Sarmatiae Europeae descriptio“, später als „Rerum Polonicarum tomi tres“ neu aufgelegt, erschien 1578 in Krakau unter dem Namen des italienischen Offiziers Alexander Guagninus. Guagninus’ Autorenschaft wurde jedoch von der Forschung ernsthaft in Frage gestellt, stattdessen dürfte es sich bei dem Werk um eine Arbeit des litauischen Historikers Mattias Striicovius (Motiejus Strijkovskis, Maciej Stryjkowski) gehandelt haben, dem Guagninus das Manuskript entwendet haben soll. Vgl. Wilhelm Mannhardt, Letto-Preussische Götterlehre (Magazin der Lettisch-Literärischen Gesellschaft 21, Riga 1936) 328–329. Die Dissertation De origine Livonorum stellt neben Menius’ Syntagma die wichtigste Quelle für die Debatte um die Ursprünge der Livländer dar. Der Erstdruck aus dem Jahre 1693 führt Hermelin als Präses und Gustav Adolph Humble als Respondenten an. Da in der zweiten Auflage (1717) nur mehr der Name Hermelins genannt wird, kann von dessen alleiniger Autorenschaft ausgegangen werden (Vgl. Rauch, Universität Dorpat 367). Olaus Nilsson Hermelin (*1658) absolvierte seine historischen und juridischen Studien an der Universität Uppsala. Seine rund zehnjährige Wirkungszeit als Professor in Dorpat (ab 1687) war geprägt von Auseinandersetzungen mit dem deutschbaltischen Adel, die Hermelin 1698 zur Rückkehr nach Schweden veranlassten. Mit sarkastischen und stilistisch hervorragenden Propagandaschriften verschaffte sich Hermelin im Nordischen Krieg einen Platz in der Feldkanzlei Karls XII. In dieser Funktion folgte er dem König auf dessen Russlandfeldzug. Hermelins Spur verliert sich 1709 bei Poltava; er dürfte entweder in der Schlacht gefallen oder später in russischer Gefangenschaft gestorben sein. Elżbieta Kulicka geht von einer Entstehung des römischen Migrationsnarrativs in den Jahren zwischen 1447 und 1470 aus. Vgl. Elżbieta Kulicka, Legenda o rzymskim pochodzeniu Litwinów i jej stosunek do mitu sarmackiego, in: Przegląd Historyczny 71 (1980) 1–21, hier 8.
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im Kodex Olszewski und in der Bychovec-Chronik. Bereits im 15. Jahrhundert gelangt sie aber nach Polen, wo sie Eingang in die „Historia Polonica“ des Jan Długosz (Joannes Dlugossus) findet.19 Spätestens nach der Union von Lublin im Jahr 1569 traten die politischen Implikationen der PalemonErzählung offen zutage. In der neu geschaffenen polnisch-litauischen Rzeczpospolita, die an Stelle der seit 1386 bestehenden losen Personalunion beider Länder trat, musste sich Litauen mit einer untergeordneten Rolle begnügen. Dem Sarmatismus polnischer Humanisten, die die Herkunft ihres Volkes von den Sarmaten abzuleiten versuchten,20 stellten litauische Gelehrte den prestigeträchtigen römischen Spitzenahnen Palemon gegenüber, um auf diese Weise die Bedeutung ihres Landes aufzuwerten und eine Revision der einseitigen Machtverhältnisse innerhalb der Rzeczpospolita anzudenken. Diese Tendenz wird etwa in den Schriften des Humanisten Augustinus Rotundus deutlich, der bemüht ist, die Vortrefflichkeit des litauischen Staatswesens gegen vermeintliche polnische Diffamierungen zu verteidigen.21 Eine versöhnlichere Intention scheint der in polnischer Sprache verfassten Chronik (Kronika polska, litewska, żmudzka i wszystkiej Rusi, 1582) des litauischen Historikers Mattias Striicovius zugrunde zu liegen, der die Palemon-Erzählung mit dem Sarmatismus polnischer Prägung zu vereinbaren versucht.22 Für diejenigen Gelehrten, die sich mit der Vergangenheit Livlands beschäftigten, bot sich somit die Gelegenheit, einen vorzüglichen Stammbaum vom Nachbarn zu entlehnen und auch die Livländer zu Abkömmlingen der Römer zu erheben. Olaus Hermelin begründet die Gleichsetzung von Livländern und Litauern in Bezug auf ihre Herkunft explizit mit der Ähnlichkeit beider Völker in Sprache und Sitten.23 Demnach ist es auch zulässig, Livlands römische Wurzeln mit etymologischen und linguistischen Argumenten zu belegen, die sich weniger auf die Livländer selbst, sondern primär auf benachbarte, sprachlich verwandte Ethnien wie Litauer und Pruzzen beziehen. In der Fremde, in barbaras terras, war es den exilierten Römern ein Anliegen, das Andenken ihres Heimatlandes in Ehren zu halten, dulce patriae nomen conservare.24 Das Wort Lithuania wird somit von l’Italia hergeleitet, Lettonia von Latium25 und im Namen der pruzzischen Kultstätte Romova26 lebt die Erinnerung an die ferne Heimat Rom fort. Zudem bestünde bis heute eine sprachliche Verwandtschaft zwischen dem Lateinischen und den Idiomen des östlichen Baltikums.27 Dieser von den Litauern auf die Livländer übertragene Migrationsnarrativ, die fiktive Wanderung römischer Siedler bzw. Eroberer von Italien ins Baltikum, taucht in frühneuzeitlichen Texten in einer Reihe unterschiedlicher Varianten auf, die sich in zweierlei Hinsicht gliedern lassen: nach dem Zeitpunkt der Auswanderung sowie nach dem Namen des Anführers. Das Problem der Datierung ist stets mit der Frage nach der Motivation der römischen Auswanderer, Italien zu verlassen, verknüpft. Die drei gängigen Theorien beziehen sich auf • das erste vorchristliche Jahrhundert: Bei Jan Długosz28 und Mathias von Miechov29 wird die Auswanderung mit den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla bzw. Cäsar und Pompejus verknüpft, die eine Gruppe von Flüchtlingen dazu veranlasst haben soll, Italien den Rücken zu kehren und sich im Baltikum anzusiedeln. Michalo Lituanus hingegen berichtet, dass bei Caesars Überfahrt nach Britannien einige Schiffe von 19
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Kulicka, Legenda 5–9. Für eine englischsprachige Übersichtsdarstellung vgl. Sigitas Narbutas, The Mysterious Island. A review of 13th–18th century literature of the Grand Duchy of Lithuania (Vilnius 2000) 20–32. Vgl. Karol Górski, La mentalité polonaise des XVIe–XVIIIe siècles, in: Poland at the 14th Historical Congress of Historical Sciences in San Francisco. Studies in Comparative History, ed. Bronislaw Geremek/Antoni Mączak (Wrocław/Warszawa/Kraków/ Gdansk 1975) 83–97, hier 86–89. Narbutas, Island 29–30. Kulicka, Legenda 12–13. Hermelin, Disquisitio 562. Olaus Hermelin verwendet Livones und Livoni als Bezeichnung für die lettischsprachige Bevölkerung Livlands, die er von den Esten, Aestii, unterscheidet. Die Herkunft der Esten behandelt er gesondert und kommt zu dem – aus heutiger Sicht nahe liegenden – Schluss, dass sie weder germanischen, gotischen noch britannischen, sondern finnischen Ursprungs sind. (ibid. 560). Ibid. 561. Einhorn, Historia 581. Romova wird im 14. Jahrhundert bei Peter von Dusburg erwähnt, der bereits eine Parallele zu Rom herstellt, ohne aber daraus eine italienische Herkunft der Pruzzen herzuleiten. Vgl. Endre Bojtár, Foreword to the Past. A Cultural History of the Baltic People (Budapest 1999) 320–321. Menius, Syntagma 532. Ioannes Długossus, Historiæ Polonicæ libri XII […] (ed. Gabriel Groddeck, Lipsiæ 1711–1712) X, 113. Mathias de Miechow, Chronica Polonorum (Cracoviae 1521) 32.
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der Flotte getrennt und durch einen Sturm an die baltische Küste verschlagen wurden, wo die Schiffsbesatzungen in Samogitien an Land gingen und die benachbarten Völker zu unterwerfen begannen.30 • das erste nachchristliche Jahrhundert: Alexander Guagninus’ Sarmatiae Europeae descriptio führt, in Übereinstimmung mit dem Kodex Olszewski, die Tyrannei Neros als Grund für die Flucht ins Baltikum an.31 Johannes Łasicius erwähnt, dass es sich bei den Auswanderern um eine Gruppe von Römern gehandelt haben soll, die zuvor auf der kargen Insel Gyaros32 in der Verbannung gelebt hatte. Um nicht von Nero zum Kriegsdienst rekrutiert zu werden, wären sie ins Schwarze Meer gesegelt und von dort auf dem Landweg an die Ostsee gelangt.33 • das fünfte Jahrhundert: Die litauische Bychovec-Chronik verlegt die Auswanderung der Römer in die Zeit Attilas, da der Abstand zwischen der Zeit Neros und den historisch belegten litauischen Großfürsten zu groß erschien, um ihn mit der überlieferten Ahnenreihe überbrücken zu können34. Auch die Sarmatiae Europeae descriptio sieht in den „grausamen Verwüstungen“ der Hunnen eine plausible alternative Erklärung für den Exodus ins Baltikum.35 Der schwedische Historiker Johannes Messenius datiert das Eintreffen der Auswanderer in Livland und Litauen auf die Zeit um 456.36 Als Anführer der römischen Migranten werden in den meisten Fällen Palemon oder Libo genannt. Während ersterer aus der litauischen Tradition entlehnt ist, stellt Libo eine genretypische gelehrte Konstruktion dar, die den Landesnamen Libonia bzw. Livonia durch einen eponymen Spitzenahnen erklären soll. Um den Wahrheitsgehalt der Auswanderungserzählung zu ermitteln, versuchten Menius und Hermelin in beiden Fällen Querverbindungen zu in antiken Quellen belegten Personen herzustellen; etwa zu dem Grammatiker Q. Remmius Palaemon, dem pompejanischen Flottenkommandanten L. Scribonius Libo, dem gleichnamigen Konsul des Jahres 16. n. Chr. sowie zu dessen Bruder M. Scribonius Libo Drusus, der unter Tiberius der Geisterbeschwörung angeklagt und in den Selbstmord getrieben wurde.37 Wie aus diesem kursorischen Überblick ersichtlich, hatte die Römer-Hypothese die meisten Befürworter während des 16. Jahrhunderts gefunden. Bei Autoren des 17. Jahrhunderts lässt sich eine deutlich gesteigerte Skepsis feststellen. Friedrich Menius begründet seine Ablehnung primär mit der Feststellung, dass weder antike Quellen noch der von ihm als Gewährsmann hoch geschätzte Saxo Grammaticus eine römische Besiedelung des Ostseeraumes erwähnen. Außerdem wäre eine römische Expedition an einen dermaßen entlegenen Ort alleine aufgrund der navigatorischen Schwierigkeiten kaum vorstellbar, ganz abgesehen davon, dass es für eine kleine Schar Römer unmöglich gewesen wäre, ein derartig bevölkerungsreiches Land zu unterwerfen.38 Ähnliche Vorbehalte gegenüber Livlands römischem Erbe äußern auch der lutheranische Prediger Paul Einhorn und der Chronist Moritz Brandis. Unter Berücksichtigung derartiger Einwände propagierte Olaus Hermelin gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine innovative Variante des römischen Migrationsnarrativs, dem er zudem zu einer gewissen tagespolitischen Brisanz verhalf. Die bisherigen Hypothesen, die er sorgfältig zusammenfasst und systematisiert, können Hermelin in ihren unklaren, einander widersprechenden Datierungen nicht überzeugen. Dennoch hält er am grundsätzlichen Postulat einer Verbindung zwischen Rom und Livland fest: Livones è Latina regione prodiisse, satis adparet.39 Anstatt einer direkten römischen Einwanderung skizziert Hermelin ein komplexes 30
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Michalo Lituanus, De moribus Tartarorum, Lituanorum et Moscorum, fragmina decem, multiplici Historia referta, in: Michalonis Lituani De Moribus Tartarorum [...] (ed. J. Jacob Grasser, Basileae 1615) 1–41, hier 24. Guagninus, Descriptio 45r. Die griechische Kykladeninsel Gyaros galt während der römischen Kaiserzeit als gefürchteter Verbannungsort für Staatsverbrecher. Iohan[nes] Lasicius, De Diis Samagitarum caeterorumque Sarmatarum, & falsorum Christianorum. Item de Religione Armeniorum, in: Michalonis Lituani De Moribus Tartarorum [...] (ed. J. Jacob Grasser, Basileae 1615) 42–60, hier 42–43. Vgl. Kulicka, Legenda 9. Guagninus, Descriptio 45r. Johannes Messenius, Scondia Illustrata […] (ed. Johannes Peringskiöld, Stockholmiae 1700–1705) X, 3. Menius, Syntagma 530; Hermelin, Disquisitio 564. Zu den mit der Auswanderungserzählung in Verbindung gebrachten antiken Persönlichkeiten vgl. die Lemmata „Remmius (4.)“, „Scribonius (20.)“, „Scribonius (21.)“ und „Scribonius (23.)“ in Paulys RealEncyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Menius, Syntagma 532–533. Hermelin, Disquisitio 563.
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Modell interethnischen Kulturtransfers, in dem den Herulern die Vermittlerrolle zukommt. Mit Verweisen auf Wolfgang Lazius40 und den litauischen Jesuiten Albert Kojalowicz41 greift Hermelin eine verbreitete Theorie auf, der zufolge die Heruler ursprünglich in Livland gelebt hätten.42 Zusammen mit anderen Barbaren hätten sie sich in der römischen Provinz Dakien niedergelassen und wären dort mit der lateinischen Sprache in Berührung gekommen: Die Vermutung liegt nahe, dass ein aus dieser Gegend [Dakien, Anm. d. Verf.] kommendes Volk in der Zeit nach Aurelian die livländische Sprache und das livländische Volk begründet hat. Denn viele, die ihre ursprüngliche Heimat verlassen hatten, vermochten es in derartigen kriegerischen Unruhen, wie sie damals jene Gegend oft erschütterten, nicht, sich nach einer sichereren Zuflucht umzusehen. Sarmatien war, aufgrund seiner Nähe, für sie hinlänglich geeignet. Denn die Gepiden und Alanen besetzten Dakien, danach die Goten zur Zeit des Kaisers Valens; die wiederum mussten es den hereinbrechenden Hunnen überlassen. Zuletzt erhielten die Heruler im sechsten Jahrhundert Dakien von Justinian zugewiesen. Aufgrund der Ähnlichkeit der Sprache und der Sitten hält Kojalovicius es für wahrscheinlich, dass Litauer und Livländer von ihnen abstammen. Daraus folgt nun auch, dass nicht die Römer, sondern vielmehr Ureinwohner, die einst aus diesem Land fortgezogen waren und die nun zurückkehrten, die italische Sprache mit sich gebracht haben.43
Hermelins Narrativ lässt die Heruler – und somit auch die Livoni, die lettischsprachigen Livländer, als deren Abkömmlinge – in einem ausgesprochen günstigen Licht erscheinen. Er stellt ihre legitime, durch imperiale Autorität abgesicherte Landnahme in Dakien den eigenmächtigen Einfällen der Goten, Hunnen und anderer Barbaren gegenüber. Die Livländer sind zudem nicht – wie noch in den alten Palemon-Erzählungen – darauf angewiesen, dass die Römer zu ihnen ins Land kommen, sie unterwerfen und zivilisieren, stattdessen verschaffen sie sich, in Gestalt der Heruler, die römische Sprache und Kultur auf rechtmäßigem Wege und holen sie sich selbst ins Land. Indem Hermelin den Livländern sowohl den Ancennitätsanspruch der indigenae, der Ureinwohner, zubilligt,44 als auch das Prestige, das den Trägern römischen Kulturgutes innewohnt, wertet er die „undeutschen“ Bauern Livlands in einer verglichen mit älteren Geschichtsentwürfen erstaunlichen Radikalität auf. Während die Verwandtschaft zwischen Livländern und Römern von zeitgenössischen Gelehrten zweifellos als ehrend empfunden wurde, weisen andere vergleichbare Migrationsnarrative einen unmissverständlich derogativen Unterton auf. Unter diesen abwertenden Genealogien ist besonders die Ansicht, die Livländer würden von den Juden abstammen, von Bedeutung. Mitte des 16. Jahrhunderts überlegt Severin Göbel, ob bestimmte Unsitten der Ostseeanrainer durch ihre jüdische Herkunft erklärt werden könnten. In seine 1566 erschienene „Historj […] von herkommen/ vrsprung und vielfeltigen brauch des Börnsteins“ fügt Göbel einen kurzen ethnographischen Exkurs über die Sudawen45 ein: Solch Volck ist ein zeitlang zimlich hart gehalten/ mehren theil jhrer Abgötterey halben/ oder Anruffung der vnuernunfftigen Creaturen/ Böcken/ Schlangen/ in ertichtung vieler Götter und Heiligen/ Dauon man sie lange Jare her 40
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Wolfgang Lazius, De gentium aliquot migrationibus […] (Basileae 1557) 787–788, hatte ein lettisches Vaterunser aus Sebastian Münsters Cosmographia entlehnt und als Sprachgut der Weruli, in Mecklenburg ansässiger vermeintlicher Nachfahren der Heruler, präsentiert. Hermelin und andere Gelehrte schlossen daraus auf eine Verwandtschaft zwischen Herulern und Letten. Vgl. C[arl] Schirren, Das Vaterunser der Heruler, als Plagiat erwiesen, in: Bulletin de la classe historico-philologique de l’Académie Impériale des Sciences de St.-Pétersbourg 16 (1859) 131–141. Albertus Wijuk Kojalowicz, Historiæ Lituanæ Pars prior (Dantisci 1650) 5–6. Vgl. auch Brandis, Chronik 16–17. Hermelin, Disquisitio 565–566. Zu den ethischen Implikationen von Ureinwohnerschaft im Geschichtsdenken der Frühen Neuzeit vgl. Herfried Münkler/Hans Grünberger/Kathrin Mayer, Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8, Berlin 1998) 236–242. Die in Ostpreußen ansässigen Sudawen (lat. Sudowenses) oder Jatwinger (lat. Jaczwingi, Jatuingi) werden in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen als eigene gentile Einheit wahrgenommen und von den benachbarten Pruzzen und Litauern unterschieden. Bei ihrer Sprache dürfte es sich um eine dialektale Variante des Pruzzischen gehandelt haben. Während des Mittelalters wurden Gruppen von Sudawen vom Deutschen Orden aus dem Binnenland an die Küste deportiert und umgesiedelt, wo sie später Göbels Aufmerksamkeit auf sich zogen. Spätestens seit Hieronymus Maletius’ „Wahrhafftiger Beschreibung der Sudawen auff Samland, sambt jhren Bockheiligen und Ceremonien“, die nach 1561 in verschiedenen Fassungen gedruckt wurde, haftete den Sudawen des Ruf an, selbst für baltische Verhältnisse besonders verstockte und abergläubische Menschen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt waren die Assimilierung der Sudawen und ihre Desintegration als ethnische Gruppe bereits weit fortgeschritten, ihre Sprache ist im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts ausgestorben. Vgl. Mannhardt, Götterlehre 185–189; Bojtár, Foreword 158–163.
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nicht woll brengen können/ Dann weill sie an der Sehekanten wöhnen/ vnnd den halstarrigen orth an sich gehabt haben/ welche halßstarrigkeyt von der Heyligen Schriefft/ sonst den Juden beygelegt/ hat mancher erachtet/ es würden endtlich die Leutlein/ nach der erschröcklichen zerstörung Jerusalem/ da viel Juden auff die schieff geflogen vnd von den winden hin vnnd wider verschlagen worden/ etliche von den vberbliebnen/ an diese orth landes angetrieben sein/ und aldo in jren fischerbüdlein jhre narung gesucht/ In sonderheit weil sie noch in jhren alten Claglied den namen Jeru Jeru als Jerusalem offt widerholen vnd kleglich singen/ aber dis ist noch ein vngrüntlicher beweis.46
Göbels Mutmaßungen blieben weitgehend unbemerkt; sie nehmen jedoch die wesentlichen Inhalte der Juden-Hypothese vorweg, die der deutsche Humanist Johannes Leuenclavius 1588 publizierte und mit der er ungleich mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als Göbel. Leuenclavius (1533–1594) war als junger Mann, noch vor dem Untergang des Deutschen Ordens, in Livland gewesen und hatte seine damaligen Beobachtungen mehr als dreißig Jahre später als Exkurs in seine Annales Sultanorum Othmanidarum eingefügt. In der Nähe der Stadt Riga, gegen Litauen hin, … lebt auch ein gewisses barbarisches Volk, die Letten, die sich von den anderen barbarischen Einwohnern Livlands, den Kurländern und den Esten, durch ihre Sprache deutlich unterscheiden. Ständig hört man sie klagen, und auf den Feldern wiederholen sie unablässig den Ruf „Ieru Ieru Masco Lon“. In diesen Worten kann man noch Jerusalem und Damaskus erkennen, ansonsten haben sie von ihrem alten Heimatland im Lauf der Jahrhunderte in ihrer abgeschiedenen Einsamkeit alles vergessen.47
Leuenclavius gab damit die Komponenten eines Migrationsnarrativs vor, der die Herkunft der Livländer mit der Zerstörung Jerusalems und der jüdischen Diaspora in Verbindung brachte. Diese These fand im 17. Jahrhundert eine gewisse Verbreitung und sowohl Menius als auch Hermelin fühlten sich verpflichtet, sie zu diskutieren, obwohl sie ihr deutlich skeptisch und ablehnend gegenüberstanden.48 Als zentrales Argument der livländisch-jüdischen Genealogie wurde stets der Gesang der Livländer angeführt, die klagenden Worte „Jeru, Jeru!“, die als wehmütige Erinnerung an das verlorene Jerusalem gedeutet wurden. 1695 identifizierte der Pastor Christian Kelch die vermeintlichen jüdischen Klagegesänge als profanes estnisches Liebeslied („Jörru, Jörru, jooks ma tullen?“, „Jürgen, Jürgen, darf ich kommen?“), das Leuenclavius irrtümlich den Letten zugeschrieben hatte, und entzog der Juden-Hypothese damit ihre wichtigste Grundlage.49 Eine interessante Variation der jüdischen Abstammungstheorie besagt, dass die Livländer Nachfahren jener Gibeoniter seien, die der Vernichtung durch die Israeliten mittels einer List entgangen waren und die Josua daraufhin verflucht hatte, dem Haus Gottes auf ewig als Sklaven, Holzfäller und Wasserträger zu dienen (Jos 9, 21–27).50 Die in vielen Migrationserzählungen implizit vorhandene Rechtfertigung der Herrschaft des deutschen Adels über seine „undeutschen“ Leibeigenen wird in diesem Fall nicht nur ausdrücklich betont, sondern zudem mit der Autorität der Heiligen Schrift untermauert. Neben den beiden am weitesten verbreiteten Thesen zum Ursprung der Livländer – der römischen oder der jüdischen Migration ins Baltikum – existierte eine Reihe sekundärer und tertiärer Abstammungstheorien, die deutlich weniger präzise ausgearbeitet waren und die oft lediglich zur Erklärung einer einzelnen, isolierten ethnographischen Beobachtung herangezogen wurden. Stellvertretend für diese Kategorie sei an dieser Stelle ein Beispiel erwähnt: die Verwandtschaft der Livländer mit den bei Herodot belegten Neuren. Das östliche Baltikum war in der Frühen Neuzeit verschrien augrund der zauberischen Praktiken seiner Bewohner, besonders ihrer Fähigkeit, sich in Wölfe zu verwandeln.51 Namhafte Gelehrte wie Philipp 46
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Seuerin Göbel, Historj vnd Eigendtlicher bericht von herkommen, vrsprung vnd vielfeltigen brauch des Börnsteins […] (s.l. 1566) B4r–B4v. Ioannes Leuenclavius, Annales Sultanorum Othmanidarum […] (Francofurti 1596) 121. Menius, Syntagma 523–524; Hermelin, Disquisitio 562. Menius lockert seine Schrift an dieser Stelle sogar mit Notenbeispielen auf. Christianus Kelch, Liefländische Historia, Oder Kurtze Beschreibung der Denckwürdigsten Kriegs- und Friedens-Geschichte EsthLief- und Lettlandes […] (Reval 1695), 14–15. Vgl. Georg von Rauch, Ein estnisches Volkslied im Blickfeld des späten Humanismus. Dr. Otto Alexander Webermann (1915–1971) zum Gedenken, in: Nordost-Archiv 5/24 (1972) 1–10, hier 1–3. Diese These wird von Friedrich Menius und Paul Einhorn erwähnt, die sie aber als unwahrscheinlich ablehnen (Menius, Syntagma 525; Einhorn, Historia 582, 613). Leider versäumen sowohl Menius als auch Einhorn, die Befürworter der Gibeoniter-Theorie zu erwähnen bzw. zu zitieren. Vgl. u. a. Hermann von Bruiningk, Der Werwolf in Livland und das letzte im Wendenschen Landgericht und Dörptschen Hofgericht i. J. 1692 deshalb stattgehabte Strafverfahren, in: Mitteilungen aus der livländischen Geschichte 22 (1924) 163–220; Karlis Straubergs, Om varulvarna i Baltikum, in: Studier och översikter tillägnade Erik Nylander den 30 januari 1955, ed. Sigurd Erixon
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Melanchthon,52 Sebastian Münster53 und der schwedische Erzbischof Olaus Magnus wussten von den Umtrieben livländischer Werwölfe zu berichten, die zu einem routinemäßig wiederholten Motiv in frühneuzeitlichen Landesbeschreibungen wurden. In einer berühmten und oft zitierten Passage findet Olaus Magnus drastische Worte für das Ausmaß dieser Plage: In Preüssen/ Lifflandt/ vnd in der Littaw/ thun die Wölff das gantz Jar grossen schaden/ dann sie vil Viechs niderreissen vnd fressen/ wann es nur ein wenig von der Härd hindan geht. Aber sie hielten das noch für ein schlechten schaden/ wann sie nur nicht grössern leiden müßten von den Menschen selber/ die sich in Wölff verkeren. Dann es versamlet sich allweg ein grosse schar der Menschen/ die zu Wölff werden in der Heiligen Christnacht/ welche die selbige nacht grausamlich wüten/ nicht allein wider das Viech/ sondern auch wider das Menschlich geschlecht selber/ also das die jnwohner des selbigen Lands verderblichern schaden entpfahen von den verwechßleten Menschen/ dann von den Wölffen selber. Dann die erfahrnuß zeügnuß gibt/ stürmen sie der Menschen heüser und wohnungen in den Wälden/ mit grausamer gestallt/ vnderstehn sich thür und thor einzustossen/ damit sie Viech und Leüt erwürgen.54
Angesichts einer derartigen Bedrohung griffen frühneuzeitliche Gelehrte auf antike Autoritäten zurück, um dem beängstigenden Phänomen auf den Grund zu gehen. Im vierten Buch der Historien kommt Herodot auf die Neuroi zu sprechen, einen nördlich der Skythen lebenden Stamm, dem seine Nachbarn ebenfalls die Fähigkeit zur Gestaltwandlung nachsagen: Diese Neurer scheinen ein Volk von Zauberern zu sein. Wenigstens wird von den Skythen und den im Skythenlande wohnenden Hellenen erzählt, daß sich jeder Neurer einmal im Jahre für wenige Tage in einen Wolf verwandelt und danach wieder zum Menschen wird. Ich kann das freilich nicht glauben, aber man versichert es und beschwört es sogar.55
Unbeeindruckt durch Herodots ausdrückliche Ablehnung derartiger Schauergeschichten, bemühte man im 16. Jahrhundert die Neuren, um das livländische Werwolfsunwesen zu erklären.56 Caspar Peucer stellte seinem Bericht über Tierverwandlungen in Livland den Kommentar voran, dass die Neuren ein Teil des livländischen Volkes seien.57 Der bedeutende französische Historiker und Staatsrechtler Jean Bodin setzte die Neuren mit den Nervii gleich,58 die wiederum von Menius mit der Stadt Narva im Nordosten Livlands in Verbindung gebracht wurden.59 Auch außerhalb spezialisierter Gelehrtenkreise scheint die vermeintliche Verwandtschaft zwischen livländischen Werwölfen und Herodots Neuren eine gewisse Bekanntheit erreicht zu haben. Bodin zitiert aus der militärischen Korrespondenz des Connétable von Frankreich über den russischen Vormarsch im Livländischen Krieg: Ich hab noch vnter anderen meinen Teutschen einen Brieff von einem/ so Königs Henrici des andern Kriegs Bestalter gewesen/ ahn den Conestable in Franckreich/ darinnen er jhne verständigt/ wie der Großfürst inn der Moscau das Liffland eingenommen habe: Darauff setzt er gleich dise wort : In illis locis Herodotus Neurios collocare videtur, apud quos dicit homines conuerti in Lupos, quod est adhuc vsitatissimum in Liuonia. Daß ist diß ist das Land/ von Welchem Herodotus schreibet/ dass es ein Volck/ die Neurier genandt/ bewonen: bey welchen er breuchlich sein meldet/ daß die Menschen in Wölff verwandelt werden: wie dann diß noch heutigs tags inn Liffland gemein vnnd breuchlich ist.60
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(Liv och folkkultur B1, Stockholm 1955) 107–129; Merili Metsvahi, Werwolfprozesse in Estland und Livland im 17. Jahrhundert. Zusammenstöße zwischen der Realität von Richtern und von Bauern, in: Folklore als Tatsachenbericht, ed. Jürgen Beyer/Reet Hiiemäe (Tartu 2001) 175–184; Stefan Donecker, Livland und seine Werwölfe. Ethnizität und Monstrosität an der europäischen Peripherie, 1550–1700, in : Jahrbuch des baltischen Deutschtums 56 (2009) 83–98. Corpus Reformatorum. Volumen XX (ed. Henricus Ernestus Bindseil, Brunsvigae 1854) 552. Sebastianus Munster, Cosmographia, Das ist: Beschreibung der gantzen Welt […] (Basel 1628) 1303. Olaus Magnus, Historien, Der Mittnächtigen Länder […] (Basel 1567) 485. Herodot, Historien IV, 105 (ed. H. W. Haussig, Stuttgart 21959) 291. Die ethnische Zugehörigkeit der Neuren blieb bis in die Gegenwart Gegenstand mannigfaltiger Spekulationen. Für einen Überblick über die Debatte vgl. Bojtár, Foreword 102–104. Unter Heranziehung etymologischer und ethnoarchäologischer Argumente wurde versucht, sie als Balten, Slawen oder Kelten zu identifizieren. Das neurische Ethnonym scheint auf eine slawische Wurzel zurückzugehen, darüber hinausgehende Aussagen lässt die dürftige Quellenlage nicht zu. Dessen ungeachtet werden die Neuren bis heute von einigen Autoren unreflektiert als „Ur-Balten“ vereinnahmt. Casparus Peucer, Commentarius de praecipuis divinationum generibus […] (Francofurti 1593) 280. I[oannes] Bodinus, Methodus, ad facilem historiarum cognitionem (Parisiis 1566) 85. Menius, Syntagma 517, 524. Jean Bodin, Vom aussgelasnen wütigen Teuffelsheer. Übersetzt von Johann Fischart (Straßburg 1591, Nachdruck Graz 1973) 123.
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Diese knappen Verweise legen die Interpretation nahe, dass frühneuzeitliche Beobachter der numinosen Monstrosität schwarzmagischer Tierverwandlung ihren Schrecken zu nehmen oder sie zumindest zu entschärfen versuchten, indem sie sie auf das vertraute Terrain antiker Quellenstudien überführten und in bewährte Denkmuster eingliederten. Gleichzeitig fügt sich das Werwolfsmotiv in die weit verbreiteten Vorurteile von den durchtriebenen und abergläubischen Livländern ein, denen ihre Begabung für Zauberei und ihre Bereitschaft zum Teufelspakt – ungeachtet ihrer sozialen und politischen Ohnmacht – einen bedrohlichen Nimbus verleihen. TRANSFORMATIONEN DER „BALTIC FRONTIER“ In den letzten zwei Jahrzehnten hat das Schlagwort von der „Baltic Frontier“ breite Akzeptanz gefunden, um die verschiedenen Transformationsprozesse, die der Ostseeraum während des Mittelalters durchlief, auf einen gemeinsamen begrifflichen Nenner zu bringen.61 Zwischen dem 12. und dem frühen 16. Jahrhundert wurde die Region durch eine außerordentliche ethnische, religiöse und politische Vielfalt geprägt, die ihr den Charakter eines offenen Interaktionsraumes mit unscharfen, stets veränderlichen Grenzziehungen verlieh.62 Bedingt durch die Erfahrung von Fremdheit, durch die Konfrontation mit den heidnischen Bewohnern der Region und die – verglichen mit dem europäischen Zentrum – geringere soziale Reglementierung bildete sich in der baltischen Peripherie ein ausgeprägter, oft aggressiver Pionierethos heraus. Risikobereiten Abenteurern bot sich die Chance auf Landgewinn, gesellschaftlichen Aufstieg und persönliche Bereicherung, wie die „Litauerfahrten“ – quasi institutionalisierte Plünderungszüge des Deutschen Ordens auf litauischem Territorium – belegen, die regelmäßig breite Beteiligung aus ganz Europa fanden. Die Eroberung Livlands durch den Orden, die Christianisierung seiner Bevölkerung und die Einbindung in das hanseatische Wirtschaftssystem waren Aspekte einer von Westen nach Osten fortschreitenden Integration des Ostseeraumes in die politischen, religiösen und ökonomischen Strukturen Europas.63 Während der Livländischen Kriege der Frühen Neuzeit sahen sich zeitgenössische Beobachter nunmehr mit einer drastischen Umkehrung der etablierten Machtverhältnisse konfrontiert. Die Stoßrichtung hatte sich umgekehrt. Livland wurde zum Schauplatz einer russischen Expansionsbewegung von Ost nach West, durch die das Zarenreich zur Hegemonialmacht im Ostseeraum avancierte. Die deutschen Eliten Livlands befanden sich spätestens seit dem Kriegsausbruch 1558 in der Defensive.64 In einem vom Krieg verheerten und ausgebluteten Land drohte man zwischen Polen, Schweden und Russland zerrieben zu werden, wobei insbesondere der „barbarische Muskoviter“ zu einer schier apokalyptischen Gefahr stilisiert wurde.65 Im späten 17. Jahrhundert sahen sich die deutschen Adeligen zudem mit der absolu61
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Das Konzept der „Frontier“, das Frederick Jackson Turner Ende des 20. Jahrhunderts zum zentralen konstitutiven Faktor der amerikanischen Geschichte erhoben hatte, hat sich, ungeachtet einer gewissen begrifflichen Unschärfe, als vielseitig anwendbares historiographisches Modell erwiesen, das vom amerikanischen Westen auf andere Schauplätze kultureller Interaktion, etwa Spanien während der Reconquista oder eben das Baltikum im Mittelalter, übertragen wurde und wird. Vgl. Stefan Donecker, The Medieval Frontier and its Aftermath. Historical Discourses in Early Modern Livonia, in: The „Baltic Frontier“ Revisited. Power Structures and Cross-Cultural Interactions in the Baltic Sea Region, ed. Imbi Sooman/Stefan Donecker (Wien 2009) 41–61. Die ausgesetzte Lage Livlands spiegelt sich in mittelalterlichen Quellen in unmissverständlichen Formulierungen wieder. Erzbischof Friedrich von Riga betont 1305 in einem Schreiben an den Papst die prekäre Lage seines Bistums in paganorum frontaria. (Das Zeugenverhör des Franciscus de Moliano [1312]. Quellen zur Geschichte des Deutschen Ordens [ed. August Seraphim, Königsberg 1912] 164.) Geläufige Formulierungen des Mittelalters lokalisierten Livland in extremis finibus christianitatis und würdigten es als ultimum antemurale der Christenheit. Vgl. Bues, ‚Die letst gegent‘, 27–28; Leonid Arbusow, Zur Würdigung der Kultur Altlivlands im Mittelalter und 16. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 151 (1935) 20–47, hier 34. William Urban, The Frontier Thesis and the Baltic Crusade, in: Crusade and Conversion on the Baltic Frontier 1150–1500, ed. Alan V. Murray (Aldershot/Burlington/Singapore/Sydney 2001) 45–71. Vgl. auch Robert Bartlett, Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350 (München 1996). Stellvertretend für zahlreiche Zeugnisse dieser Verunsicherung sei der Bericht Balthasar Russows über den Einzug des Nicolaus Radziwiłł in Riga im Jahr 1562 angeführt. Eingeschüchtert vom bunt gemischten Gefolge des litauischen Würdenträgers, „alse Armenier, Törcken, Tatern, Podollier, Rüssen vnde Wallachen, […] einen jederen in synem Habyte, wehre, wapen vnde Musica“, sollen die Bürger Rigas „eren jammer daran gesehen hebben, dat ere Vaderlandt vnde de Straten der Christliken Stadt Riga, van solcken vngewöntliken, frömbden vnde barbarisschen Nationen vnde Völckeren, scholden betreten werden.“ (Russow, Chronica 67). In seiner berühmten Carta Marina hatte Olaus Magnus dieses Bedrohungsszenario bereits 1539 visualisiert. Seine Darstellung Livlands wird dominiert von gepanzerten Reitern und demonstrativ nach Osten hin ausgerichteter Artillerie. Vgl. Juhan Kreem,
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tistischen Reduktionspolitik des schwedischen Königs Karl XI. konfrontiert, die die Einziehung aller von der Krone verliehenen Güter vorsah und somit die deutschbaltische Oberschicht an ihrer wirtschaftlichen Basis bedrohte. In einer Supplik an den König klagte die livländische Ritterschaft 1692, dass „man sich nicht sheuet offendtl. zu sagen das in 10 Jahren kein Teutscher mehr in diesem Lande seyn werde“.66 Der offene Expansionsraum der „Baltic Frontier“ hatte sich geschlossen. Die politischen und ökonomischen Möglichkeiten der Pionierzeit waren nicht länger gegeben, stattdessen galt es, das Erreichte zu erhalten und den Status Quo soweit wie möglich zu wahren. Umso intensiver und unmissverständlicher wurde während dieser Zeit an den einstigen Pioniergeist der deutschen Siedler und Eroberer appelliert. In der Darstellung zeitgenössischer Quellen rückte das Baltikum in die Nähe Amerikas, der frühneuzeitlichen Frontier schlechthin. Deutsche Chronisten des 16. Jahrhunderts gestalteten die Legende von der „Aufsegelung Livlands“, der Erschließung des Landes durch Bremer Kaufleute, in unübersehbarer Analogie zur Entdeckung der Neuen Welt.67 Wie Amerika war und blieb auch Livland ein wildes Land, das der Zivilisierung und Christianisierung durch tapfere Pioniere bedurfte. Doch konnte diese Parallele ebenso gut gegen die Deutschen ins Feld geführt werden. Bengt Oxenstierna, der zwischen 1662 und 1666 schwedischer Generalgouverneur von Livland gewesen war, verwies auf die verbreitete „leyenda negra“, die „Schwarze Legende“ von der Grausamkeit der spanischen Konquistadoren, als er 1694 anmerkte, die Deutschen hätten sich in Livland so gebärdet wie „die Spanier mit den elenden und einfältigen Amerikanern verfahren seien“.68 Oxenstiernas Tadel spiegelt die fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen Schweden und Deutschbalten in der „Bauernfrage“ wieder. Der deutsche Adel verteidigte die Rechtmäßigkeit der bestehenden Verhältnisse und betonte die Unzuverlässigkeit und Widerspenstigkeit der „Undeutschen“, denen nur mit Strenge beizukommen war. Obwohl die Etablierung der Leibeigenschaft erst während des 15. Jahrhunderts eingesetzt hatte und somit eine vergleichsweise rezente Entwicklung war,69 projizierte man sie in die Vergangenheit und erhob sie zu einer zentralen Komponente der idealisierten Pionierzeit. „Es erscheinet auch aus vorgesetzten Geschichten“, schrieb Moritz Brandis, Sekretär der estländischen Ritterschaft im späten 16. Jahrhundert, „wie gleich von Anfang her Gott der Allmächtige nach seinem unerforschlichen Willen und Rath dieses Geblüte immer unter fremden Joch und zum Zwange und Dienstbarkeit auch eigentlich verordnet habe.“70 Die strikte soziale Stratifizierung zwischen deutschem Adel und undeutschen Leibeigenen wurde als selbstverständliche und gottgewollte Gesellschaftsordnung legitimiert. Von schwedischer Seite hingegen brachte man dem livländischen System der Erbuntertänigkeit wenig Verständnis entgegen, zumal man aus der Heimat an die Tradition des schwedischen Freibauerntums gewohnt war.71 Die Vertreter der schwedischen Krone ließen sich jedoch nicht allein aus altruistischen Motiven und den egalitären Aspekten lutheranischer Ethik zu einer Parteinahme für die leibeigenen Bauern bewegen. Im angespannten Verhältnis zwischen schwedischer Zentralmacht und dem auf seine Partikularinteressen bedachten deutschbaltischen Adel bot eine – wenn auch nur vorsichtige – Aufwertung der „Undeutschen“ eine willkommene Gelegenheit, die Position der livländischen Ritterschaft subtil zu untergraben.
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„…ultima germanorum & christianorum prouintia…“. Outlines of the Image of Livonia on Maps from the Thirteenth to the Middle of the Sixteenth Century, in: Quotidianum Estonicum. Aspects of daily life in medieval Estonia, ed. Jüri Kivimäe/Juhan Kreem (Medium Aevum Quotidianum, Sonderband 5, Krems 1996), 14–28, at 22–23. Wiedergegeben u. a. bei [Carl Johann von Blomberg], An Account of Livonia; with a Relation of the Rise, Progress and Decay of the Marian Teutonick Order. [...] (London 1701) 187. Vgl. Paul Johansen, Die Legende von der Aufsegelung Livlands durch Bremer Kaufleute, in: Europa und Übersee. Festschrift für Egmont Zechlin, ed. Otto Brunner/Dietrich Gerhard (Hamburg 1961) 42–68, hier 56; Katri Raik, Eesti-ja liivimaa kroonikakirjutuse kõrgaeg 16. sajandi teisel poolel ja 17. sajandi alul (Dissertationes Historiae Universitatis Tartuensis 8, Tartu 2004) 175–183. Ratsprotokoll vom 29. 3. 1694 (Riksarkivet Stockholm). Zitiert bei Alvin Isberg, Karl XI och den livländska adeln 1684–1695. Studier rörande det karolinska enväldets införande i Livland (Lund 1953) 223. Marten Seppel, Die Entwicklung der „livländischen Leibeigenschaft“ im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 54 (2005) 174–193, hier 178–181. Brandis, Chronik 39. Seppel, Entwicklung 185–192, veranschaulicht, dass die rhetorische Parteinahme der schwedischen Krone für die livländischen Bauern keine faktische Verbesserung im rechtlichen Status der Leibeigenen zur Folge hatte.
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Stefan Donecker
RESÜMEE: ZUR DISKURSIVITÄT DER PERIPHERIE Die Debatte um Ursprung und Herkunft der „undeutschen“ Livländer muss vor dem Hintergrund dieses Konflikts zwischen schwedischen und deutschbaltischen Interessen verstanden werden. Aus den widersprüchlichen Abstammungshypothesen und Migrationsnarrativen kristallisiert sich, quasi als gemeinsamer Nenner, eine Gleichzeitigkeit von Einbindung und Ausgrenzung heraus. Römer, Juden oder all die anderen potentiellen Stammväter verankern die „Undeutschen“ in den Strukturen eines europäischen Denkens, das auf dem Referenzsystem einer christlich-antiken Vergangenheit beruht. Die vertrauten Ahnen relativieren die Fremdheit des barbarischen Anderen – und doch ist die Einbindung nicht vollständig, da gleichzeitig ein stereotypes Bild von der rohen Wildheit, unverbesserlichen Verschlagenheit und dem verstockten Heidentum der Livländer gezeichnet wird.72 Die Dialektik von paralleler Integration und Demarkation machte Livland zur „Baltic Frontier“ – zu einer Randzone zwischen Zivilisation und Barbarei, in der Expansion und quasikoloniale Abhängigkeitsverhältnisse gerechtfertigt erschienen. Die Frage nach der Herkunft der Livländer gewinnt an Aktualität und Bedeutung, sobald die Selbstverständlichkeit dieser Situation Mitte des 16. Jahrhunderts nicht länger gegeben ist. Ungeachtet der politischen und sozialen Veränderungen bemühten sich lokale Eliten, den mittelalterlichen Ethos der baltischen Frontier am Leben zu erhalten, und bedienten sich dabei in verstärktem Maße der Spekulationen über die antiken und frühmittelalterlichen Ursprünge ihrer „undeutschen“ Untertanen. Dementsprechend waren es zwei Gelehrte mit einem Naheverhältnis zur schwedischen Zentralmacht – der an einer Schwächung ebenjener Eliten gelegen war – die sich besonders kritisch mit derartigen genealogischen Thesen auseinandersetzten. Friedrich Menius, Professor an der schwedischen Universität Dorpat, lehnte beispielsweise die vermeintliche Abstammung der Livländer von den Gibeonitern, die die Leibeigenschaft mit biblischer Autorität zu zementieren versuchte, mit Nachdruck ab. Und sein Nachfolger an eben dieser königstreuen Institution, Olaus Hermelin, konzipierte sechzig Jahre später aus den althergebrachten Römerhypothesen eine besonders schmeichelhafte Genealogie der „undeutschen“ Livländer die, in Gestalt der Heruler, die Würde der indigenae mit dem Prestige der Kulturbringer in sich vereinen. In der Forschungsliteratur zu Inhalten und Anwendbarkeit des Frontier-Begriffs wird zunehmend die Frage diskutiert, inwieweit das Vorhandensein einer Frontier-Situation von empirisch fassbaren Gegebenheiten abhängt, oder ob Frontier nicht vielmehr als Resultat einer diskursiven Konstruktion aufzufassen ist. Gibt es eine Realität der Frontier unabhängig vom bloßen Mythos der Frontier?73 In der frühneuzeitlichen Debatte über die Abstammung der Livländer scheint eine solche Diskursivität der Peripherie deutlich zu werden. Lokale Gelehrte und Chronisten prolongierten den Pioniergeist einer „Baltic Frontier“, die sich – politisch und strategisch betrachtet – längst überlebt hatte; ihnen standen königstreue schwedische Akademiker gegenüber, die eben jene Bemühungen zu hinterfragen trachteten. In der Argumentation beider Seiten kam den Ursprüngen der livländischen „Undeutschen“ besondere Bedeutung zu. Verweise auf Antike und Frühmittelalter wurden somit zu einem zentralen Bestandteil eines akademischen, aber eminent politischen Diskurses, der die Position Livlands in der ideellen Geographie der Frühen Neuzeit, zwischen Vertrautheit und Fremdheit, zwischen Zivilisation und Barbarei, entscheidend mitbestimmte.
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Frühneuzeitliche gelehrte Debatten über die Neue Welt und den Ursprung ihrer Bewohner weisen dieselbe Tendenz auf. Europäische Herrschaft lässt sich dort am elegantesten rechtfertigen, wo eine gewisse genealogische Verbindung zwischen den indigenen Beherrschten und ihren Kolonialherren hergestellt werden kann. Diese Verbindung darf aber nie soweit gedacht werden, dass sie den fundamentalen Gegensatz zwischen Wildheit und Zivilisiertheit, auf dem der europäische Herrschaftsanspruch beruht, völlig aufhebt. Vgl. Martin van Gelderen, Hugo Grotius und die Indianer. Die kulturhistorische Einordnung Amerikas und seiner Bewohner in das Weltbild der Frühen Neuzeit, in: Aufbruch in neue Welten und neue Zeiten. Die großen maritimen Expansionsbewegungen der Antike und Frühen Neuzeit im Vergleich, ed. Raimund Schulz (Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. 34, München 2003) 51–78, mit weiterführenden Literaturangaben. In einem unlängst erschienenen Sammelband, der sich mit Frontier-Situationen im Mittelalter beschäftigt, werfen die Herausgeber, Nora Berend und David Abulafia, diese Frage in ihren einleitenden Beiträgen auf. Vgl. Medieval Frontiers: Concepts and Practices, ed. David Abulafia/Nora Berend (Aldershot 2002) xiv, 34; mit weiterführenden Literaturverweisen.
S T E FA N D O N E C K E R , R O L A N D S T E I N A C H E R
Der König der Schweden, Goten und Vandalen. Königstitulatur und Vandalenrezeption im frühneuzeitlichen Schweden1 Im Stift Wilhering in Oberösterreich zeugt eine Grabinschrift von den Verdiensten des 1663 verstorbenen österreichischen Kürassierhauptmannes Johann Erasmus Grundemann von Falkenberg: „Unter kaiserlichem Feldzeichen diente er dem Vaterland, zuerst gegen die Vandalen, danach gegen die Thraker. Ein Jahrzehnt blieb er mit den Seinen stets siegreich.“2 (Abb. 1) Falkenbergs humanistische Interessen sind bereits aus seinem zweiten Vornamen ersichtlich, und dementsprechend ergeht man sich auch in seinem Epitaph in gelehrten Anspielungen. Die militärischen Widersacher der Habsburger werden mit antiker Terminologie umschrieben: Osmanische Truppenteile aus Nordgriechenland oder dem Balkan sind nicht einfach Türken, sondern Thraker. Die Schweden, gegen die Falkenberg im Dreißigjährigen Krieg gekämpft hatte, kehren auf seinem Grabmal in Gestalt der Vandalen zurück. Der Vandalenname findet sich auch auf dem Epitaph einer ungleich prominenteren Zeitgenossin von Falkenberg: Auf dem Grabmal der schwedischen Königin Christina im Petersdom in Rom wird die Königin als Suecorum, Gothorum Vandalorumque Regina tituliert. (Abb. 2) Die ersten Belege für diesen dreigliedrigen Titel stammen aus der Regierungszeit Gustavs I. Vasa (1523–1560), der um 1540 die Form Sveriges, Göthes och Wendes Konung in amtlichen Schriftstücken verwenden ließ. Die lateinische Entsprechung lautete rex Suecorum, Gothorum Vandalorumque. In dieser Form blieben die Vandalen bis 1973 Teil der schwedischen Königstitulatur; erst der amtierende König Carl XVI. Gustaf verzichtete bei seiner Thronbesteigung auf die Verweise auf Goten und Vandalen. Die – auf den ersten Blick willkürliche – Gleichsetzung von Wendes konung, „König der Wenden“, und rex Vandalorum, „König der Vandalen“, wirft eine Reihe von Fragen auf. Handelt es sich um einen bloßen Lapsus der schwedischen Diplomatik, der als Übersetzungsfehler abgetan werden kann, oder ist die Bezugnahme auf Wenden und Vandalen als bewusste und programmatische Aussage des schwedischen Königtums zu werten? Im vorliegenden Aufsatz soll versucht werden, Wenden und Vandalen in ihrem wechselseitigen Verhältnis durch rund 150 Jahre schwedische Geistesgeschichte von der Mitte des 16. bis ins späte 17. Jahrhundert zu verfolgen.3 Die Königstitulatur bildet den Ausgangspunkt für eine eingehende Beschäftigung mit der Bedeutung des vandalischen und wendischen Ethnonyms im gelehrten Diskurs des schwedischen Humanismus, die Rückschlüsse auf Ethnizität, Selbst- und Fremdwahrnehmung im frühneuzeitlichen Schweden ermöglicht. 1
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Im Rahmen des FWF-Projekts „Historische Ethnographie der Vandalen“ konnten an der Königlichen Bibliothek in Stockholm Recherchen durchgeführt werden. Die weitere Bearbeitung erfolgte am Institut für Mittelalterforschung der Österr. Akademie der Wissenschaften und wurde teilweise durch das Wittgensteinprojekt von Walter Pohl finanziert. Inken Schmidt-Voges, Hans-Jürgen Bömelburg, Heikki Rantatupa und Ere Nokkala halfen mit wertvollen Hinweisen und zielführender Kritik. Die Autoren sind weiters der Arbeitsgruppe Inschriften und insbesondere Gertrude Mras vom Institut für Mittelalterforschung für die Fotografie der Grabinschrift des Johann Erasmus Grundemann von Falkenberg zu Dank verpflichtet. Regina Berndt, Paderborn, steuerte eine Abbildung des Grabepitaphs der Königin Christina in Rom bei. Bei Julia Ess und Ursula Gangl bedanken sich die Autoren für ihre Unterstützung beim Lektorat. Der Epitaph befand sich in der aufgelassenen Grundemann-Kapelle und steht heute in der Nordkapelle des Stiftes Wilhering. … Cathefractorum quonda[m] centurio,/ sanguine vita et morib[us] illustris/ meruit sub signis caesareis pro patria,/ contra Vandalos primu[m], deinde Thraces/ decennio/ saepe cum suis victor,/ ultimo ad leventium hunc/ ubi patriae pacem sibi requiem vindicavit/ ita parta a Turcis pace/ cum iam Austria milite non indigeret/ Mun[XXX] simul et vitam deposuit. … Für eine vorläufige Überblicksdarstellung zu dieser Thematik vgl. Stefan Donecker/Roland Steinacher, Rex Vandalorum. The Debates on Wends and Vandals in Swedish Humanism as an Indicator for Early Modern Patterns of Ethnic Perception, in: Der Norden im Ausland – das Ausland im Norden. Formung und Transformation von Konzepten und Bildern des Anderen vom Mittelalter bis heute, ed. Sven Hakon Rossel (Wiener Studien zur Skandinavistik 15, Wien 2006) 242–252.
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Stefan Donecker, Roland Steinacher
KÖNIG DER WENDEN UND VANDALEN? EIN FORSCHUNGSGESCHICHTLICHER ÜBERBLICK Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die schwedische Forschung wiederholt der Königstitulatur und ihrer historischen Genese gewidmet, ohne dabei dem Bestandteil rex Vandalorum besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der früheste relevante Beitrag zu dieser Thematik stammt aus der Feder des Reichsantiquars Hans Hildebrand, der sich 1884 mit Wappen und Titulatur der schwedischen Könige auseinandersetzte. Für Hildebrand konnte die Vandalenkomponente des schwedischen Königstitels nur aus dem ideengeschichtlichen Kontext, dem Gotizismus des 16. Jahrhunderts, heraus verstanden werden: „Der alte Titel Göta konung erinnerte an die in die Ferne gezogenen Goten, und nun bezog sich König Gustavs Zusatz zum Königstitel auf ein weiteres von jenen Völkern, von denen man glaubte, dass sie aus Schweden ausgewandert waren, nämlich auf die Vandalen.“4 Hildebrand erwähnt, dass der Vandalenname während des 16. Jahrhunderts mit der Landschaftsbezeichnung Wenden in Verbindung gebracht wurde, ohne aber näher auf diesen Zusammenhang einzugehen. Obwohl sich die dänischen und die schwedischen Monarchen gleichermaßen als Könige der Wenden bezeichneten, besteht nach Hildebrand ein fundamentaler Unterschied zwischen den beiden Titel hinsichtlich ihrer Herkunft und ihrer Implikationen. Der dänische Königstitel geht auf die Eroberung wendischer Siedlungsgebiete in Pommern durch Knud VI. im 12. Jahrhundert zurück und stellt somit einen konkreten Herrschaftsanspruch dar. Als Gustav Vasa den Titel im 16. Jahrhundert übernahm, besaß Schweden keine Besitzungen im Gebiet der Wenden und war außerstande, in diese Richtung zu expandieren. Die Verwendung des Titels Wendes konung bzw. rex Vandalorum von schwedischer Seite bringt somit keine realpolitischen Ambitionen zum Ausdruck, sondern dient lediglich dazu, mittels der Anknüpfung an die Vandalen den schwedischen Königstitel aufzuwerten. In seiner klassischen Studie zur schwedischen Verfassungsgeschichte aus dem Jahr 1896 stellt Emil Hildebrand, der jüngere Bruder des Reichsantiquars, den Sachverhalt völlig anders dar: Die Übernahme des Wendennamens in die schwedische Königstitulatur resultiert aus der politischen Rivalität Gustav Vasas mit dem dänischen Nachbarn, dessen Titel er kurzerhand kopierte und usurpierte. Diese Erweiterung des Königstitels will Emil Hildebrand weder als Ausdruck eines konkreten Gebietsanspruchs verstanden wissen, noch kann er darin einen bewussten Verweis auf die antiken Vandalen erkennen. Die Gleichsetzung von Wenden und Vandalen sieht er – im Gegensatz zu seinem Bruder – als bloße Verwechslung, als „patriotisches Missverständnis“.5 Diese Ansicht wurde 1909 von Olof Söderqvist aufgegriffen und ausführlicher dargelegt. Nach der Auflösung der Kalmarer Union bezeichneten sich die dänischen Könige als Könige der Götar; ein von schwedischer Seite aus inakzeptabler Anspruch, da Götaland als essentieller Teil des jungen schwedischen Königtums angesehen wurde. Gustav Vasa sah sich dadurch veranlasst, der dänischen Herausforderung zu begegnen und seinerseits – quasi als Retourkutsche – den traditionell dänischen Titel König der Wenden anzunehmen.6 Söderqvist räumt ein, dass die Gleichsetzung von Wendes konung und rex Vandalorum keinen bloßen Übersetzungsfehler, sondern eine bewusste Bezugnahme auf die Vandalen und Goten der Antike darstellte. Er kommt jedoch zu folgendem Resümee: „Meiner Meinung nach war diese Übersetzung gewiss nur ein Deckmantel für das wirkliche Ziel. Zweifellos ließ sich Gustav Vasa nicht primär durch den patriotischen Wunsch, die von Jordanes stammenden mittelalterlichen Ansichten über die Leistungen der Goten hochzuhalten, zu diesem Schritt bewegen. ... Ohne Frage fasste er in einem Anflug von schlechter Stimmung, voll von Erbitterung über den dänischen König, den Entschluss Repressalien auszuüben.“7 Gut 70 Jahre später, Anfang der 1980er Jahre, gab der finnische Historiker Matti Klinge der Debatte neue Impulse.8 Klinge skizziert eine Reihe von Maßnahmen Gustav Vasas, die die Reputation seines Königtums heben und es ihm ermöglichen sollten, anderen Monarchen als ebenbürtiger Gesprächspartner zu begegnen. „All dies deutet unserer Auffassung nach darauf hin, dass die Einbeziehung der Wenden oder Vandalen in die Königstitulatur als Teil des propagandistischen Spieles um die Legitimität des Vasageschlechts gesehen 4 5 6 7 8
Hans Hildebrand, Heraldiska studier I. Det svenska riksvapnet, in: Antiqvarisk tidskrift för Sverige 7 (1884) 59–102, hier 59. Emil Hildebrand, Svenska statsförfattningens historiska utveckling från äldsta tid till våra dagar (Stockholm 1896) 231. Olof Söderqvist, Sveriges, Götes och Vendes konung, in: Statsvetenskaplig tidskrift 12 (1909) 291–309, hier 299–300. Söderqvist, Konung 302. Matti Klinge, Östersjövälden. Ett illustrerat historiskt utkast (Stockholm 1985). Das in diesem Zusammenhang entscheidende vierte Kapitel, „Rex Wandalorum“, war bereits 1983 in der wissenschaftsgeschichtlichen Zeitschrift „Lychnos“ sowie in „Tal över blandade ämnen“, dem Jahrbuch des Collegium curiosorum novum, veröffentlicht worden.
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werden muss.“9 Die ausschließliche Reduktion auf die Rivalität mit Dänemark, wie sie Emil Hildebrand und Söderqvist vornehmen, könne der Komplexität der Situation nicht gerecht werden. Insbesonders das hohe Ansehen, dass Vandalen wie Goten im Humanismus des 16. Jahrhunderts zukam, müsse in der Interpretation berücksichtigt werden. Soweit befindet sich Klinge im Einklang mit Hans Hildebrand. Während Hildebrand aber vorausgesetzt hatte, dass unter dem Land der Wenden die südliche Küste der Ostsee und somit slawisches Siedlungsgebiet zu verstehen sei, vertritt Klinge einen anderen Standpunkt: Er geht davon aus, dass mit dem Wendenreich nur Finnland gemeint sein kann, da Finnland als bedeutender Teil des schwedischen Königtums in der dreigeteilten Titulatur Sveriges, Göthes och Wendes Konung ansonsten überhaupt nicht vertreten wäre.10 Aufgrund der ungelösten Grenzkonflikte mit Russland war es, Klinge zufolge, unumgänglich, die östlichen Reichsteile aufzuwerten und den schwedischen Gebietsansprüchen in dieser Region auch im Königstitel Ausdruck zu verleihen.11 Klinge untermauert seine These durch eine Reihe von Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wobei er sich in seiner Argumentation vor allem auf den schwedischen Historiker Johannes Messenius (1579–1636) stützt. Er kommt zu dem Schluss, dass die frühe Neuzeit neben den slawischen Wenden im Gebiet von Pommern auch Vendi boreales in Finnland und im Baltikum kannte. Auf diese alternative Deutung des WendenEthnonyms bezieht sich Klinge zufolge der erweiterte schwedische Königstitel rex Vandalorum.12 In seiner 2001 veröffentlichten Dissertation widmet sich Torbjörn Eng der Wendentitulatur im Rahmen einer umfassenden begriffsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der Selbstwahrnehmung des frühneuzeitlichen Schwedens.13 Eng versucht zunächst, Klinges Verknüpfung des Wendennamens mit Finnland zu widerlegen.14 Stattdessen schließt er sich dem traditionellen Standpunkt an und bezieht den Titel auf die slawischen Siedlungsgebiete im südlichen Ostseeraum. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung, die die erweiterte Königstitulatur aus dem Konflikt mit Dänemark (Emil Hildebrand, Söderqvist) oder Russland (Klinge) hergeleitet hatte, sieht Eng die außenpolitische Motivation primär in der Auseinandersetzung mit den im Niedergang befindlichen wendischen Hansestädten gegeben: „Die Formulierung Vendes konung kann für den schwedischen König eine Möglichkeit gewesen sein, zum Ausdruck zu bringen, dass sich das Gleichgewicht zugunsten Schwedens verschoben hatte. Es ist vielleicht kein Zufall, dass einige der ersten Beispiele für die Verwendung der neuen Königstitulatur aus der Korrespondenz mit den wendischen Hansestädten stammen.“15 Aufgrund der nicht-territorialen Formulierung des Titels rex Vandalorum – verglichen mit einem hypothetischen rex Vandaliae – schließt Eng jedoch aus, dass die Erweiterung des schwedischen Königstitels mit konkreten Gebietsansprüchen verknüpft war. Stattdessen interpretiert er den Verweis auf Wenden und Vandalen als „gelehrte Assoziation“, die von Gustav Vasa und seinen Beratern instrumentalisiert wurde, um Prestige und Renommee der schwedischen Monarchie aufzubessern. Er betont, dass die neue Form des Königstitels just zu derselben Zeit eingeführt wurde, als Gustav Vasa die Umwandlung Schwedens von einer Wahlmonarchie zu 9 10 11
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Klinge, Östersjövälden 145. Klinge, Östersjövälden 150–160. Die nahe liegende Konsequenz, den Landesnamen Finnland bzw. lat. Fenningia oder Finningia in die Königstitulatur aufzunehmen, erschien nicht ratsam, da auch die Samen während der frühen Neuzeit als Finnen oder Scritifinni bezeichnet wurden. Klinge zufolge wollte der schwedische Hof vermeiden, mit nomadischen „Lappen“, einem alles andere als prestigeträchtigen Volk, in Verbindung gebracht zu werden. In Anlehnung an Tacitus’ Darstellung der Fenni schreibt Klinge, Östersjövälden 156: „Das Risiko eines Missverständnisses konnte man in den Jahren um 1540 nicht eingehen. Die ganze Vasa-Propaganda wäre ad absurdum geführt worden, hätte sich herausgestellt, dass ein guter Teil von Gustavs Untertanen keine festen Wohnsitze hatte, sondern zeitweilige Kojen aus Reisig, am Boden schlief, keine Pferde besaß, sich in Leder kleidete und Gras aß.“ Klinge, Östersjövälden 158. Torbjörn Eng, Det svenska väldet. Ett konglomerat av uttrycksformer och begrepp från Vasa till Bernadotte (Acta Universitatis Upsaliensis. Studia Historica Upsaliensia 21, Uppsala 2001) 92–106. Eng, Väldet 95–98, 126, verweist zunächst auf die Einführung des „Großfürstentums Finnland“ in die schwedische Königstitulatur unter Gustav Vasas Sohn Johan III. in den 1580er Jahren. Folgt man Klinges Argumentation, wäre Finnland ab diesem Zeitpunkt doppelt vertreten. Zudem hätte eine Betonung schwedischer Besitzansprüche gegenüber Russland im Osten, wie sie Klinge postuliert, einerseits eine territoriale Formulierung des Königstitels (rex Vandaliae statt rex Vandalorum), andererseits eine heraldische Darstellung des „vandalischen“ regnum im schwedischen Wappenbild nahe gelegt. Beides sei jedoch unter Gustav Vasa nicht geschehen. Schließlich betont Eng, dass die Mehrzahl frühneuzeitlicher Quellen den Wenden- bzw. Vandalennamen unzweifelhaft mit der südlichen Ostseeküste verknüpft. Eng, Väldet 106.
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Stefan Donecker, Roland Steinacher
einem Erbkönigtum des Hauses Vasa forcierte. Ungeachtet derartiger politischer Implikationen gelangt Eng zu dem Schluss, dass „diese Manifestationen fiktiver Herrschaftsgebiete trotz allem nicht von größerem politischen Gewicht waren.“16 WENDEN UND VANDALEN IM MITTELALTER Als Gustav Vasa um 1540 Wenden und Vandalen in seine Königstitulatur aufnimmt, kann die Assoziation der beiden Ethnonyme bereits auf eine lange Vergangenheit zurückblicken. In mittelalterlichen Quellen wird Wandali als gängige Bezeichnung für Slawen bzw. Wenden verwendet. Die Glosse UUandalus id est uuinid im so genannten Salomoglossar aus dem achten Jahrhundert ist der wahrscheinlich früheste Beleg.17 In den folgenden Jahrhunderten findet sich diese Gleichsetzung von Wenden und Vandalen in einer Reihe von Annalen, dem „Chronicon Vedastinum“ aus dem 10. Jahrhundert, bei Adam von Bremen in den „Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum“ aus dem 11. Jahrhundert und in der Slawenchronik des Helmold von Bosau aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Weitere Quellen des 12. Jahrhunderts wie die bayerische „Vita sanctorum Marini et Anniani“, Gottfried von Viterbo, Heinrich von Huntingdon, Gervasius von Tilbury, das Chronicon des Balduin von Ninove, die Enzyklopädie des Bartholomaeus Anglicus und Saxo Grammaticus nennen die Slawen ebenso Vandalen.18 Teilweise lässt sich in diesen Quellen eine Einschränkung des Begriffs Wenden/Vandalen auf die Elbslawen im Bereich zwischen Saale, Oder und Ostsee beobachten. Im europäischen Maßstab vollzog sich im 12. Jahrhundert eine Diversifizierung und „Nationalisierung“ des Geschichtsinteresses.19 Auch in den slawischen Königreichen machte die Historiographie diese Entwicklung mit. Die polnischen Vertreter einer solchen proto-nationalen Geschichtsschreibung, die „Chronica Polonorum“ des Vincentius Kadłubek, die Fortsetzung derselben durch Mierzwa und die Chronik des Baszko/Boguphal bieten Varianten einer Erzählung, die die Polen von den Vandalen abstammen lässt. Noch im Geschichtswerk des Jan Długosz aus dem 15. Jahrhundert findet sich der Satz Vandali, qui nunc Poloni dicuntur.20 Gestützt wurden die polnischen Geschichtsmodelle des 12. bis 15. Jahrhunderts mit der Völkergenealogie der so genannten „Fränkischen Völkertafel“. Diese in einer Beziehung zu Tacitus stehende Quelle war wahrscheinlich vor dem achten Jahrhundert im fränkischen Bereich die Ausgangsbasis für die Gleichsetzung der Slawen/ Wenden mit den Vandalen. Mit der Gleichsetzung wurden die Verhältnisse, die die slawischen Ethnogenesen in den Jahrhunderten zuvor geschaffen hatten, in ein europäisch-fränkisches Geschichtsbild integriert.21 Parallel zu dieser gesamteuropäischen Entwicklung bildete sich in Dänemark eine landesspezifische Verwendung des wendischen Ethnonyms heraus. Im Laufe des 12. Jahrhunderts strebte das sich konsolidierende dänische Regnum nach einer Erweiterung seines Machtbereichs im Ostseeraum und kam in Konflikt mit seinen slawischen Nachbarn. Nach der Zerstörung der Tempelburg Arkona und der damit vollzogenen Eroberung der Insel Rügen am 15. Juni 1169 durch Waldemar I. änderte sich die Stellung der dänischen Könige. Nach 16 17
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Eng, Väldet 104. Ediert in Elias Steinmeyer/Eduard Sievers, Die althochdeutschen Glossen 4 (Berlin 1893) 110–111, Z. 55–57; Vgl. Erwin Hermann, Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm. Ein Quellenbuch mit Erläuterungen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17, München 1965) 109. Roland Steinacher, Wenden, Slawen, Vandalen. Eine frühmittelalterliche pseudologische Gleichsetzung und ihre Nachwirkungen, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 329–345. Bei Saxo kann sich der Vandalenname jedoch auch auf die Bewohner der norddänischen Landschaft Vendsyssel beziehen. Vgl. Kristian Hald, Angles and Vandals, in: Classica et Mediaevalia 4 (1941) 62–78, hier 71. Jutta Reisinger/Günter Sowa, Das Ethnikon Sclavi in den lateinischen Quellen bis zum Jahr 900 (Glossar zur frühmittelalterlichen Geschichte im östlichen Europa. Beiheft 6, Stuttgart 1990) 18–20; František Graus, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter (Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter 3, Sigmaringen 1980) 61. Jerzy Strzelczyk, Zum Beginn der Überlieferung einer wandalischen Herkunft der Polen, in: Studien zur Archäologie des Ostseeraumes. Von der Eisenzeit zum Mittelalter. Festschrift für Michael Müller-Wille, ed. Anke Wesse (Neumünster 1998) 409–417; Norbert Kersken, Geschichtsschreibung im Europa der nationes. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (Münstersche Historische Forschungen 8, Köln 1995) 499–540; Heinrich Zeissberg, Die polnische Geschichtschreibung des Mittelalters (Preisschriften gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig 17, Leipzig 1873) 70–78. Vgl. Steinacher, Wenden, Slawen, Vandalen 436–444; Walter Goffart, The supposedly ‘Frankish’ Table of Nations. An edition and study, in: FMSt 17 (1983) 110–114.
Der König der Schweden, Goten und Vandalen
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Anerkennung des dänischen rex als obersten Lehnsherren durch die slawischen Fürstentümer Mecklenburg und Pommern nahm König Knud VI. (1182–1202) den Titel rex Danorum Sclavorumque an. Der zweite Teil dieses Titels wurde in volkssprachlichen Urkunden, die seit dem 14. Jahrhundert überliefert sind, als Vendernes konung ins Dänische übersetzt.22 Die Änderung des dänischen Königstitels muss zwischen 1187 und Anfang 1193 vollzogen worden sein, wobei aus diesem Zeitraum aber keine königlichen Diplomata vorliegen.23 In einem Diplom Knuds VI. (1187 November 20) übergibt der König in Grimstrup dem Bischof Waldemar von Schleswig Güter und königliche Gerichtsrechte. Die Intitulatio lautet: Kanutus dei gracia rex Danorum.24 In einem Diplom Knuds VI., das nach 1192 datiert ist, findet sich dann zum ersten Mal der erweiterte Titel: Kanutus dei gracia Danorum Slavorumque rex ...25 Von diesem Diplom an erscheint der erweiterte Titel mit zunehmender Häufigkeit, ohne dass sich jedoch vor dem 15. Jahrhundert eine standardisierte Form durchsetzt.26 Erst die komplizierten Verflechtungen der norwegischen, dänischen und schwedischen Monarchien seit Mitte des 14. Jahrhunderts könnten einen regelmäßigeren Gebrauch des erweiterten Titels bedingt haben, um Herrschaftsansprüche möglichst häufig zu artikulieren.27 Waldemar IV. (Valdemar Atterdag) eroberte 1361 die Ostsee-Insel Gotland und wie bereits nach der Einnahme Rügens erweiterte man abermals den Königstitel, diesmal um den Zusatz Gothorumque rex. 1482 findet sich schließlich auf einem Siegel der dänischen Königin Dorothea die Form Danorum Vandalorum Gothorumque regina. Wie rund sechzig Jahre später in Schweden hatte sich somit in Dänemark im späten 15. Jahrhundert eine Gleichsetzung der landessprachlichen Bezugnahme auf Slawen bzw. Wenden mit dem lateinischen Ethnonym Vandali durchgesetzt.28 ALBERT KRANTZ’ WANDALIA UND MARTIN CROMERS HISTORIA POLONORUM Im 16. Jahrhundert erfuhr die seit dem Mittelalter postulierte Verbindung zwischen Wenden und Vandalen eine Neudeutung und wurde in humanistische Geschichtsbilder integriert.29 Auf den gelehrten Diskurs in Skan22 23
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Robert Bohn, Dänische Geschichte (München 2001) 24; Hildebrand, Riksvapnet 59. Friedrich Christoph Dahlmann, Geschichte von Dännemark 1 (Geschichte der europäischen Staaten, Hamburg 1840) 330 zitiert ein Diplom Knuds VI. im Diplomatarium Arna-Magnaeanum 1 (ed. Grimus Johannis Thorkelin, Kopenhagen 1786) 58 als Beleg für diese Aussage. Das erste Diplom mit der Intitulatio Ego Kanutus Dei gratia Danorum Slavorumque rex im Diplomatarium ArnaMagnaeanum 1 ist aber Nr. 53, 67, 1194 Oktober 22. Regest: König Knud befreit die Kolonen seiner Brüder von allen königlichen Frondiensten. Diplomatarium Danicum 1 r. III., Nr. 143, ed. Hendrik Christensen (Kopenhagen 1938) 223. Der König erkennt die ihm vorgelegte Hausregel des Klosters Aebelholt an. Diplomatarium Danicum 1 r. III., Nr. 179, ed. Hendrik Christensen (Kopenhagen 1938) 285. Mit Beginn des 15. Jahrhunderts wurden bisher keine Urkundeneditionen dänischer Königsdiplomata in der notwendigen Dichte erstellt. Die Darstellung muss mit Informationen aus der Sekundärliteratur erfolgen, die nur sehr spärlich vorliegt. Diplomatarium Danicum 1 r. III., Nr. 189, ed. Hendrik Christensen (Kopenhagen 1938) 296; Diplomatarium Arna-Magnaeanum 1, 285, 1193 Januar 22; Weiters in einem Diplom Knuds VI. von 1193, in dem der König die Privilegien seines Vaters Waldemar I. für das Kloster St. Odense bestätigt. Der Titel lautet: Canutus Danorum et Slavorum rex; Ego Kanutus regis Waldemari filius per Dei graciam et disposicionem regni Danorum monarchiam tenens, in: Diplomatarium Suecanum/Svenskt Diplomatarium 1, Nr. 97, ed. Johan Gustaf Liljegren (Stockholm 1829) 121. Das Diplom ist lediglich mit 1186 datiert. Im beginnenden 15. Jahrhundert findet sich der Titel aufgrund der politischen Veränderungen zwar erweitert, aber in den diskutierten Teilen konstant: Ericus dei gracia regnorum Dacie Suecie Norwegie Sclavorum Gothorumque rex et dux Pomaranorum, in: Diplomatarium Danicum 4 r. VII, Nr. 352, ed. Gunnar Andersen (Kopenhagen 1952) 347. Datiert mit 1400 Juli 21. Nils G. Bartholdy, „Vandalorum Gothorumque rex“: Die Identität von zwei Prätentionstiteln und -wappen der Dänenkönige, in: L’identità genealogica e araldica. Fonti, metodologie, interdisciplinarità, prospettive. Atti del 23 Congresso internazionale di scienze genealogica e araldica, Torino 1998, ed. Stefania Ricci (Pubblicazioni degli Archivi di Stato 64, Rom 2000) 241–253; Anders Thiset, Danske kongelige Sigiller samt sønderjydske Hertugers og andre til Danmark knyttede Fyrsters Sigiller 1085–1559 (Kopenhagen 1917) 67; Fritz Paul, Gotizismus, in: RGA 2. Aufl. 12 (Berlin/New York 1998) 462. Vgl. auch die Ausführungen zur Vandalenrezeption im polnischen Humanismus bei Hans-Jürgen Bömelburg, Frühneuzeitliche Nationen im östlichen Europa. Das polnische Geschichtsdenken und die Reichweite einer humanistischen Nationalgeschichte (1500–1700) (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts 4, Wiesbaden 2006). Bömelburg dokumentiert die Bezugnahme auf die Vandalen bei einer Vielzahl polnischer, litauischer und preußischer Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts, namentlich Matthias Miechoviensis (S. 76), Justus Lodovicus Decius (80), Johannes Dantiscus (90), Marcin Bielski (108), Martin Cromer (115), Stanisław Sarnicki (146), Wojciech Dembołęcki (148), Jan Jurkowski (151), Paweł Piasecki (221), Szymon Starowolski (274), Józef Bartłomiej Zimorowic (338), Maciej Stryjkowski (363), Thomas Clagius (399), Matthäus Praetorius (403) und Andrzej Duriewski (404).
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dinavien übten zwei Autoren einen besonders nachhaltigen Einfluss aus: der hanseatische Humanist Albert Krantz und der polnische Geschichtsschreiber und Bischof Martin Cromer. Albert Krantz30 kommt auf seine Vorstellungen vom Verhältnis der Slawen zu den Vandalen erstmals in der „Chronica regnorum aquilonarium“ zu sprechen. Der dreifache Slawenname aus der bekannten Stelle in der „Getica“ des Jordanes31 wird von Krantz folgendermaßen interpretiert: Die slawischen Gruppen Veneter, Slawen und Anten seien alle alte Vandalen. Die verschiedenen Namen seien aufgrund der vielen verschiedenen Orte, an denen diese Slawen-Vandalen gelebt hatten, entstanden. Der Name der Slawen sei der häufigste, der Vandalenname aber der älteste, wie Tacitus bezeuge. Das Ethnonym Sclavi erscheine erst in einem Brief Gregors des Großen an die dalmatinischen Bischöfe.32 Als weiteren Beleg führte Krantz den im Sächsischen bewahrten Wendennamen an, der noch von der Herkunft der Slawen von den Vandalen zeuge.33 Das Ethnonym Wenden für Slawen an sich steht für Krantz somit in unmittelbarer Beziehung zu den Vandalen.34 In der gesamten „Wandalia“ wird deshalb folgerichtig das lateinische Sclavi vermieden und durch Wandali ersetzt, selbst wenn Sclavi in den Quellen gestanden hatte.35 Die Slawen sind für Krantz eben keine Skythen, sondern Europäer im Sinn von Tacitus und Berossos.36 Im Mittelpunkt der Geschichtskonzeption der „Wandalia“ steht der von Krantz postulierte gemeinsame Ursprung von Slawen und Germanen. Die Urgeschichte der Slawen konstruierte Krantz nach der vermeintlich authentischen babylonischen Geschichte des Berossos und nach Tacitus. Noahs ältester Sohn Tuisto habe neben verschiedenen anderen einen Sohn Vandalus gezeugt. Die Nachkommenschaft dieses Vandalus habe im Norden den Namen der Deutschen und im Süden den Namen der Slawen angenommen. Germania und Teutonia sind bei Krantz keine identischen Begriffe. Teutonia bezieht sich auf die Gebiete, in denen tatsächlich 30
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Albert Krantz (1448–1517) war Sohn eines Hamburger Schlosshauptmanns. Er studierte Theologie und kanonisches Recht in Rostock und avancierte dort später zum Dekan und Rektor. Anschließend machte er eine Karriere als Diplomat verschiedener Hansestädte. Unter anderem vermittelte er im Konflikt der Stadt Riga mit dem Deutschen Orden in Antwerpen zwischen den Hansestädten und den Gesandten des englischen Königs. Ab 1492 wirkte Krantz als Lector primarius am Hamburger Dom. Neben seinen historischen Arbeiten verfasste er theologische, politische und philosophische Schriften. Seine historischen Werke erschienen in mehreren Auflagen bis ins 17. Jahrhundert. Es handelt sich um die hier näher zu besprechende „Wandalia“, eine „Saxonia“, die erstmals 1520 erschien, und eine „Chronica regnorum aquilonarium“, eine Geschichte der drei skandinavischen Königreiche Dänemark, Schweden und Norwegen. Vgl. Harald Bollbuck, Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz (um 1448–1517) und David Chytraeus (1530–1600). Transformationen des Diskurses im 16. Jahrhundert (Imaginatio borealis 8, Frankfurt a. M. 2006); Ulrich Andermann, Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 38, Weimar 1999) 33–61; Viktor Anton Nordmann, Die Wandalia des Albert Krantz (Suomalaisen Tiedeakamian Toimituksia/Annales Academiae Scientiarum Fennicae 29, Helsinki 1934) 13–30; Franz Xaver Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Historismus (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neueste Zeit 20, München 1885) 285–289; Otto Krabbe, Die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert 1 (Rostock 1878) 224–235; Nikolaus Wilckens, Leben des berühmten D. Alberti Crantzii (Hamburg 1722). Introrsus illis Dacia est, ad coronae speciem arduis Alpibus emunita, iuxta quorum sinistrum latus, qui in aquilone vergit, ab ortu Vistulae fluminis per immensa spatia Venetharum natio populosa consedit. Quorum nomina licet nunc per varias familias et loca mutentur, principaliter tamen Sclaveni et Antes nominantur. Sclaveni a civitate Novietunense et laco qui appellatur Mursiano usque ad Danastrum et in boream Viscla tenus commorantur: hi paludes silvasque pro civitatibus habent. Antes vero, qui sunt eorum fortissimi, qua Ponticum mare curvatur, a Danastro extenduntur usque ad Danaprum, quae flumina multis mansionibus ab invicem absunt. Jordanes, Getica 34 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 5, Berlin 1882, Neudruck 1982) 62–63; Vgl. Florin Curta, The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower Danube Region c. 500–700 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought IV, 52, Cambridge 2001) 32–39. Albert Krantz, Wandalia. De Wandalorum vera origine, variis gentibus, crebris e patria migrationibus, regnis item, quorum vel autores vel euersores fuerunt (Köln 1519) Praefatio. In den zahlreichen Drucken der „Wandalia“ wurde die auch hier zitierte Kapitelzählung verwendet. Zu den Ausgaben der „Wandalia“ vgl. Nordmann, Wandalia des Albert Krantz 31–34; Andermann, Krantz 238–254. Albert Krantz, Rerum Germanicarum historici claris regnorum Aquilonarium, Daniae, Sueciae, Norvagiae chronica. Quibus gentium origi vetustissima et Ostrogothorum, Wisigothorum, Longobardorum atque Normannorum antiquitus inde profectorum, res in Italia, Hispania, Gallia et Sicilia gestae praeter domesticam historiam narrantur (Köln 1546) 241: Quod vocabulum usque adeo apud multos habetur abolitum, ut nisi vernacula Saxonum lingua conservaret (quae Sclavonos Wenden apellat) hodie qui Wandali et ubi essent ac olim fuissent, ignoraremus. Krantz, Wandalia, Praefatio. Nordmann, Wandalia des Albert Krantz 55–57. Krantz, Wandalia I, 8. Hier werden auch die Hunnen mittels der Kombination biblischer und taciteischer Genealogie zu Europäern: Unde liquido apparet, non modo Wandalos, sed et Hunos, non esse Scythas, sed Europaeos homines.
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deutsch gesprochen wird. Unter Germania dagegen wird das Gebiet zwischen Don und Rhein verstanden, wo verschiedene – darunter eben auch slawische – Sprachen gesprochen wurden und werden. Die Herrschaft und Lehenshoheit des römisch-deutschen Reichs über die Slawen wird aufgrund dieser historischen Konstruktion dann auch eigens betont.37 Der Reihe nach schilderte Krantz im Folgenden die Geschichte der durch den gemeinsamen ‚vandalischen‘ Ursprung verbundenen Gegenden im Ostseeraum. Begonnen wurde mit den Hansestädten Lübeck, Rostock, Stralsund, Greifswald, Riga, Elbingen, Königsberg, Wismar und Lüneburg, den Wandalicae urbes.38 Vierhundert Jahre vor der Abfassung der „Wandalia“ sei das Land um diese vandalicae urbes von den slawischen Wenden besiedelt worden. In diesem Zusammenhang ging Krantz zur Geschichte der so genannten wendischen Fürstentümer über. Mecklenburg, Pommern, Holstein und die Mark Brandenburg fanden so ihren Platz. Als ehemaliger Rostocker Professor stand Krantz dem Fürstenhaus Mecklenburg besonders nahe. Das Ende der „Wandalia“ beinhaltet dann auch einen Panegyrikus auf Herzog Magnus von Mecklenburg.39 Die Darstellung beschränkt sich nicht auf nostri Wandali, also die Wenden der ostelbischen Gebiete aus der Sicht des Hanseaten, sondern versucht auch die Geschichte aller slawischen – nach der taciteisch/berossischen Definition und dem Wortgebrauch von Krantz aber eben vandalischen – Völker und Reiche anzuführen. Tschechische, polnische, russische und bulgarische Geschichte findet sich in der Wandalia angeschnitten.40 Was könnte der Zweck dieser gelehrten Anstrengung gewesen sein? Erstens schuf Krantz für die nakonidische Dynastie in Mecklenburg eine Alternative zu den sonst so häufig im europäischen Mittelalter strapazierten römischen und trojanischen Herkunftssagen, indem er ihr eine vandalische Abstammung gab. Dies konnte dazu beitragen, ihre Position als Reichsfürsten zu festigen. Um zur Gemeinschaft der deutschen Fürsten auch in der historischen Tiefendimension zu gehören, war es für die Dynastie der Nakoniden in Mecklenburg offensichtlich wichtig, sich über den Umweg des Tacitus in Kombination mit dem Pseudo-Berossos einen germanischen Ursprung geben zu lassen. Wenn Slawen und Germanen von denselben Urvätern abstammen sind ihre Nachkommen in gleicher Weise berechtigt, Territorialfürsten im „heiligen römischen Reich teutscher Nation“ zu sein.41 Zum anderen war Krantz aber auch Hanseate. Die Perspektive des hanseatischen Handels reichte über die Ostsee weit nach Russland und in die anderen slawischen Länder, deren Geschichte Krantz schildert. Im 16. Jahrhundert war die große Zeit des Städtebunds im Ostseeraum bereits zu Ende.42 Die von Krantz zu ‚Brüdern der Slawen‘ stilisierten Hanseaten sind jene Partner, die das älteste und würdigste Recht auf Handelsmonopole in den slawischen Ländern haben. Gerade in einer Zeit der Krise kamen derartige Konzeptionen zweifellos gelegen. Krantz ging es neben einer Identifikation durch gemeinsame historische Wurzeln also um die Legitimation der Herrschaft hanseatischer Städte und deutscher Reichsfürsten in Gebieten mit slawischer Bevölkerung. Dem frühneuzeitlichen Ostseeraum sollte eine gemeinsame historische Identifikationsbasis gegeben werden. Die Konzepte der Wandalia sicherten der frühmittelalterlichen Gleichsetzung von Vandalen und Wenden jedenfalls ein langes Nachleben und wurden ebenso häufig rezipiert wie gründlich missverstanden. Die schwedischen Könige sollten zu späten Profiteuren der Krantz’schen Gelehrsamkeit werden. 37 38
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Krantz, Wandalia, Praefatio. Die Hansestädte waren in Gruppen mit landschaftlicher Gliederung, so genannte Quartiere, unterteilt. Die Statuten des Kontors von Brügge nannten 1347 erstmals ein wendisch-sächsisches, ein westfälisch-preußisches und ein gotländisch-livländisches Quartier. Die Gesamthanse nahm zuerst nur selten Bezug auf diese Organisation. Erst die Wehrbündnisse der Hansestädte im 15. Jahrhundert, die so genannten Tohopesaten, gingen von einer Einteilung in Viertel aus. Diese Quartiere hatten einen Vorort. Das Quartier mit dem Vorort Lübeck, das die aufgezählten Städte umfasste, wurde als wendisches Quartier bezeichnet. Vgl. Rolf Sprandel, Quellen zur Geschichte der Hanse (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr von Stein Gedächtnisausgabe 36, Darmstadt 1982) 273–278; Aloys Meister, Von der Urzeit bis zur Reformation (Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte. 6. Aufl. 1, Berlin 1922) 557; Klaus Wriedt, Quartiere (Hansequartiere) in: LMA 7 (1995) 357. Da hier nicht der gesamte Inhalt des sehr umfangreichen Werks geschildert werden kann, sei auf die ausführliche Inhaltsangabe bei Nordmann, Wandalia des Albert Krantz 49–74 verwiesen. Krantz, Wandalia I, 6. Roland Steinacher, Vandalen im frühneuzeitlichen Ostseeraum. Beobachtungen zur Rezeption antiker ethnischer Identitäten im 16. und 17. Jahrhundert, in: Die Geschichte der Antike aktuell: Methoden, Ergebnisse und Rezeption, ed. Karl Strobl (Altertumswissenschaftliche Studien Klagenfurt 2, Klagenfurt 2005) 279–298. Vgl. Philippe Dollinger, Die Hanse (Hamburg 1981) 34–38, 78–80.
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Der polnische Humanist Martin Cromer ist der zweite Autor, dem schwedische Humanisten eine besondere Autorität hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Wenden und Vandalen zubilligten.43 Den Auftrag zur Abfassung seiner polnischen Geschichte hatte Cromer von König Sigismund August erhalten. Der Humanist stützte sich auf die Klassiker der polnischen Historiographie des Mittelalters, auf Vincentius Kadłubek, Gallus Anonymus und Jan Długosz. Außerdem hatte er Zugang zum Reichsarchiv und zur königlichen Bibliothek in Vilnius.44 Cromer sah seine Aufgabe darin, den Polen eine von ihren westlichen Nachbarn unabhängige Geschichte zu geben. In seiner 1555 gedruckten polnischen Geschichte in dreißig Büchern („De origine et rebus gestis Polonorum“) versuchte Cromer, den historischen Darstellungen deutscher Humanisten eine polnische Sichtweise entgegenzustellen und eine eigene slawische Vorgeschichte zu konstruieren. Dazu war es nötig, die Konstrukte des Albert Krantz entsprechend zu widerlegen, um eine den polnischen Interessen genehmere Deutung der antiken und der biblischen Schriften zu entwerfen.45 Cromer begann seine Darstellung mit der Feststellung, dass vorauszuschicken sei, dass die Polen ein slawisches bzw. sarmatisches Volk seien: Primum omnium constat, Polonos Slavicam gentem esse. Ihre Abstammung gehe nicht von Japhet, sondern von Sem aus.46 Entsprechend begann Cromer mit den aus den Chroniken von Kadłubek, Długosz und Mierzwa bekannten Kombinationen der biblischen Genealogie um Japhet mit Elementen der Trojanersage. Von einem Sohn Japhets namens Philaros stamme Alames ab, dessen Sohn wiederum Anchises war, der Vater des Aeneas. Dessen Ururenkel Alanus wandte sich mit seinen vier Söhnen nach Europa. Der älteste Sohn des Alanus war Vandalus, der der Weichsel seinen Namen gab und damit auch dem polnischen Land. Seine Eroberungen verteilte er an seine Söhne, die die verschiedenen wendisch-slawischen Staaten stifteten. Diese Staaten waren Polen, Russland, Cassubien, Böhmen, Mähren, Dalmatien, Bosnien, Kroatien, Bulgarien und Pannonien.47 Der „Wandalia“ des Albert Krantz widmete Cromer im fünften Kapitel mit dem Titel Quod Slavi Vandali non sint seine besondere Aufmerksamkeit. Der polnische Geschichtsschreiber warf Krantz vor, er habe die Polen und mit ihnen alle Slawen zu Germanen gemacht. Einer der Hauptbelege für diese in den Augen Cromers völlig unhaltbare Behauptung sei bei Krantz der Wendenname. Krantz meine, der Wendenname sei von den antiken Vandalen abzuleiten. Und das wie die auf Tacitus und Berossos gestützte Argumentation reiche dem Hamburger Konkurrenten aus, um gleich alle Slawen zu Germanen zu machen. Tuisco, der mythische Germanenkönig, der in der von Krantz beschriebenen Germania regiert haben soll, kann nach Cromer unmöglich alle sarmatischen Völker begründet haben.48 Den Wendennamen versteht Cromer lediglich als späte Fremdbezeichnung der Germanen für die Slawen. Die Slawen hätten früher verschiedene Namen wie Poloni, Boemi, Moravi oder Cassubii getragen. Einen gemeinsamen Namen der Slawen gebe es in den Quellen nicht. Als Beleg führte Cromer die sächsische Geschichte Widukinds von Corvey aus dem 10. Jahrhundert an.49 Cromer setzte die Vorstellung von einer slawischen Einwanderung in das vormals vandalische Gebiet gegen die Versuche des Albert Krantz, die Vandalen als Grundlage zu verwenden, um Deutsches, Sächsisches und Hanseatisches im Sinne der Humanisten mit antiken Wurzeln zu legitimieren. Im Auftrag des polnischen 43
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Martin Cromer (1512–1589) studierte in Krakau, Padua und Bologna. Seit 1533 war er Mitarbeiter der polnischen Reichskanzlei und stieg bis zum Sekretär des Königs auf. 1558 bis 1564 hielt er sich als Gesandter in Wien am Hof Kaiser Ferdinands I. auf. Wie Krantz nahm also auch Cromer diplomatische Aufgaben wahr. 1579 wurde Cromer Bischof von Ermland. In dieser Position trat er als Verfechter der Gegenreformation, Förderer des Jesuitenordens in den polnischen Ländern und theologisch-politischer Autor hervor. Vgl. Bömelburg, Nationen 110–122; Anneliese Triller, Cromer Martin, in: Neue Deutsche Biographie 3 (Berlin 1957) 422; August Thiel, Cromer Martin, in: Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften 1, ed. Benedikt Wetzer/Josef Welte (Freiburg 1884) 1195–1199; Anonymus, Cromer Martin, in: Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet I/20, ed. Johann Samuel Ersch/Johann Gottfried Gruber (Leipzig 1852) 170–172. Kersken, Geschichtsschreibung 482, 538. Zur Rezeption Albert Krantz’ in Polen vgl. Bömelburg, Nationen 62–65. Martin Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum I (Basel 1550) 1. Cromer, De origine Polonorum I, 3. Cromer, De origine Polonorum I, 5: Iam ne ex illo quidem Berossi testimonio, quo is Tuisconem Germanorum omnium conditorem a Tanai ad Rhenum usque regnasse et ab eo Sarmatos maximos populos conditos esse afferit, satis recte comprobatur, Slavos Germanos esse. Cromer, De origine Polonorum I, 5: Itemque accolae sinus Vendici et Oceani Germanici, Sala et Albi tenus: quorum reliquiae hodieque a Germanis Vindae seu Vendi vocantur, olim variis distincti nominibus ac populis, ut est videre apud Vitichindum Saxonem. Zu Widukind von Corvey: Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1. Von Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts (Handbuch der Altertumswissenschaft 9, 2, 1, München 1911) 714–718.
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Königs entwarf Cromer somit eine in der antiken Ethnographie verwurzelte protonationale Konzeption, die sich gegen die Vereinnahmung durch die historischen Konzepte der deutschen Humanisten verwehrt. Zusammenfassend lassen sich demnach zwei Hypothesen konstatieren: die Gleichsetzung von Vandalen und Wenden, wie sie Albert Krantz vornimmt, sowie der Gegenstandpunkt des Martin Cromer, der klar zwischen den Vandalen als Germanen und den Wenden als Slawen unterscheidet. Wie sich im Folgenden zeigen wird, wurden diese beiden Theorien von schwedischen Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts ausgiebig rezipiert und diskutiert. Im folgenden Abschnitt soll vor dem Hintergrund der schwedischen frühneuzeitlichen Geschichte aufgezeigt werden, wie der schwedische König auch ein König der Slawen, Wenden oder eben Vandalen werden konnte. SCHWEDEN IN DER FRÜHEN NEUZEIT Als Gustav Erikson Vasa am Mittsommertag des Jahres 1523 als schwedischer König in Stockholm einzog, setzte er einen Schlussstrich unter fast neunzig Jahre andauernder Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen, die mit dem Auflösungsprozess der Kalmarer Union einhergegangen waren. Das schwedische Königreich durchlebte in den nächsten 200 Jahren eine wechselvolle Geschichte mit allen Höhen und Tiefen. Während des 16. Jahrhunderts befand sich das durch interne Konflikte geschwächte Land gegenüber seinem traditionellen Rivalen, Dänemark, in der Defensive. Die Reformation, die Gustav Vasa der katholischen Bevölkerungsmehrheit aufoktroyiert hatte, löste blutige Revolten aus; der schwelende Konflikt zwischen Krone und Aristokratie kulminierte unter Gustav Vasas verfeindeten Söhnen. Die Absetzung Sigismunds, des Enkels Gustav Vasas, der auch polnischer König gewesen war, durch seinen Onkel Karl IX. im Jahr 1599 führte zu jahrzehntelangen Konflikten und Kriegen mit Polen. Den Krisen zum Trotz gelang es dem jungen Staat jedoch, seine territoriale Integrität gegenüber Dänemark zu behaupten. In ihrem Bestreben, dem jungen, in seiner Existenz bedrohten schwedischen Staat ein stabiles ideologisches Fundament zu verleihen, entwarfen die schwedischen Humanisten des 16. Jahrhunderts ein komplexes Geschichtsbild, das von einer ungebrochenen Kontinuität zwischen den Schweden und den Goten der Antike ausging.50 Dabei konnten sie auf eine ältere Tradition zurückgreifen, denn in Grundzügen lassen sich Ansätze eines solchen Konzepts seit dem Hochmittelalter nachweisen. Papst Gregor VII. bezeichnete die schwedischen Könige bereits 1081 als visigothorum reges. Solche historischen Spekulationen dürften im Kern auf die Kenntnis der „Getica“ des Cassiodor/Jordanes zurückzuführen sein, sie entfalteten im Folgenden aber ein mächtiges Eigenleben. Der älteste schwedische Beleg stammt aus dem Jahr 1290: Im „Fornsvenska legendariet“ werden die Götar im Süden Schwedens mit den alten Goten gleichgesetzt und Skythien (Sithia) mit Suerike, dem Reich der Svear identifiziert. Nach 1300 wurden diese Ideen ausgeweitet. In einer Paraphrase der fünf Bücher Mose des Magister Mathias (~1350) wird nicht nur das schwedische Königtum, sondern mit ihm auch zahlreiche andere europäische Völker auf die Goten bzw. Götar zurückgeführt. 1434 hielt der schwedische Bischof Nicolaus Ragvaldi (Nils Ragvaldsson) auf dem Konzil von Basel eine viel beachtete Rede, in der er die ruhmreichen Taten der Goten für Schweden in Anspruch nahm.51
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Den aktuellen Forschungsstand zur schwedischen Gotenrezeption in der Frühen Neuzeit präsentiert Inken Schmidt-Voges, De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden (Imaginatio borealis 4, Frankfurt a. M. 2004). Ältere relevante Literatur zum Gotizismus umfasst u.a. Gustav Löw, Sveriges forntid i svensk historieskrivning (Stockholm 1908–10) I, 50–160; Johan Nordström, De yverbornes ö. Sextonhundratalsstudier (Stockholm 1934); Josef Svennung, Zur Geschichte des Goticismus (Skrifter utgivna av K. Humanistiska vetenskapssamfundet i Uppsala 44: 2B; Stockholm 1967); Nils Eriksson, Göticismen, in: 17 uppsatser i svensk idé- och lärdomshistoria (Uppsala 1980) 64–81; Kurt Johannesson, The Renaissance of the Goths in Sixteenth-Century Sweden. Johannes and Olaus Magnus as Politicians and Historians (Berkeley/Los Angeles/Oxford 1991); Olaf Mörke, Bataver, Eidgenossen und Goten: Gründungs- und Begründungsmythen in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden in der frühen Neuzeit, in: Mythos und Nation, ed. Helmut Berding (Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, Frankfurt a. M. 1996) 104–132. Paul, Gotizismus 462–464; Thorsten Andersson, Gøtar, in: RGA 2. Aufl. 12 (Berlin/New York 1998) 278–283; Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 43–45; Eriksson, Göticismen 65. Vgl. auch Alphons Lhotsky, Thomas Ebendorfer. Ein österreichischer Geschichtsschreiber, Theologe und Diplomat des 15. Jahrhunderts (MGH Schriften 15, Stuttgart 1957) 28, 129; Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie (München 2001) 13.
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Ausgehend von diesen Ansätzen entwickelte sich der Gotizismus (Göticism) im 16. Jahrhundert zur ideellen Grundlage der schwedischen Identität. In der 1554 posthum publizierten „Historia de omnibus Gothorum Sueonumque regibus“, die der letzte katholische Erzbischof Schwedens, Johannes Magnus, im italienischen Exil verfasst hatte, wurde der Thesenkanon des Gotizismus erstmals gedruckt veröffentlicht: Schweden könne auf eine ältere und hervorragendere Ahnenreihe zurückblicken als jedes andere Land der Welt. Johannes Magnus präsentiert eine Königsliste der Goten bzw. Schweden, die bis zu Noahs Enkel Magog zurückreicht und schildert den Auszug der Goten aus Skandinavien 871 Jahre nach der Sintflut, als sie unter ihrem König Berik die Heimat verließen um sich die ganze Welt zu unterwerfen. Unter Gustav Vasas Nachfolgern wurde der Gotenmythos immer wieder herangezogen, um dem jungen Königreich antiken Ruhm und Altehrwürdigkeit zu verleihen. Gustav II. Adolf, der im Geist des Gotizismus erzogen worden war, trat bei einem Turnier anlässlich seiner Thronbesteigung 1617 als Gotenkönig Berik auf. In der schwedischen Großmachtzeit entwickelte sich der Gotizismus zu einem Instrument einer autoritativen Staatlichkeit, das innenpolitisch eine Orientierung auf den mythisch überhöhten König, außenpolitisch eine aggressive Expansion legitimierte. Indem der schwedische Staat seine Reputation und seine Kohärenz auf der gotischen Königsgenealogie und dem Anspruch von Anciennität begründete, avancierte die Altertumsforschung zu einer eminent politischen Frage.52 Es blieb Olof Rudbeck, Professor für Medizin in Uppsala, vorbehalten, den Gotizismus auf die Spitze zu treiben. Zwischen 1674 und 1702 arbeitete Rudbeck an seinem gewaltigen, vierbändigen Lebenswerk „Atlantica“. Seine These, die dem Umfang des Werkes an Monumentalität um nichts nachsteht, besagte nichts Geringeres, als dass das sagenumwobene Atlantis und damit der Ursprung aller europäischen Kultur in Schweden zu lokalisieren seien. Rudbecks Werk wurde auch im Ausland mit anerkennender Bewunderung aufgenommen. Dennoch ist die „Atlantica“ Ausdruck eines Gotizismus, der im Begriff war, sich selbst zu überleben. Durch die politischen Umwälzungen und den Zusammenbruch der absolutistischen Königsherrschaft nach dem Nordischen Krieg (1700–1721) war auch die gotizistische Geschichtskonzeption als ideelle Basis der schwedischen Großmachtpolitik obsolet geworden.53 VANDALEN UND WENDEN IM GOTIZISMUS DES 16. UND 17. JAHRHUNDERTS Als Nicolaus Ragvaldi in seiner Rede vor dem Baseler Konzil (1434) erstmals die Inhalte des Gotizismus explizit ausformulierte, kam er auch auf die Vandalen zu sprechen. Obwohl sie sich im Lauf der Geschichte oft als Feinde begegnet seien, hätten Goten und Vandalen ein gemeinsames Vaterland; jenes sei in Schweden zu finden.54 Somit lässt sich festhalten, dass die Vandalen bereits seit den Anfängen gotizistischer Identitätsstiftung einen Platz im Selbstverständnis Schwedens innehatten. In einem weiteren frühen Beleg gotizistischen Denkens hingegen fehlen die Vandalen – zumindest auf den ersten Blick – gänzlich: Olaus Magnus, schwedischer Humanist und katholischer Titularerzbischof von Uppsala, veröffentlichte 1539 im italienischen Exil die Carta Marina, eine Karte Skandinaviens in bislang ungekannter Detailgenauigkeit. Im rechten unteren Rand der Karte bildete Olaus einen Stammbaum mit insgesamt 34 Völkern ab, die allesamt ihren Ursprung in Skandinavien gehabt haben sollen. (Abb. 3) Neben den beinahe selbstverständlichen Goten und ihren Teilstämmen (Gothi, Ostrogothi, Vestrgothi) finden sich bei Olaus bereits sämtliche Ethnonyme, die im gotizistischen Diskurs der folgenden 160 Jahre eine Rolle spielen sollten (u.a. Amazones, Gepide, Ci[m]bri). Einzig die Vandalen scheinen zu fehlen. Dafür findet sich auf der Carta Marina der Eintrag Vinuli, und es spricht einiges dafür, dass Olaus mit jenen Vinulern eigentlich die Vandalen gemeint haben könnte. In der frühmittelalterlichen Überlieferung bei 52 53
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Mörke, Bataver, Eidgenossen und Goten 117, 129. Dennoch überdauerten Aspekte gotizistischen Denkens die Aufklärung und wirkten bis ins 19. Jahrhundert nach. Hinsichtlich ihrer Inhalte und Motive weist die schwedische Nationalromantik auffällige Kontinuitäten und Übereinstimmungen zum frühneuzeitlichen Gotizismus auf. Der österreichische Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer, der in Basel Nicolaus Ragvaldis Rede gehört hatte, referiert die Passage folgendermaßen: Dicebat insuper, quod Gothorum et Wandalorum communis erat patria originis, quamvis altrinsecus legantur fuisse adversati, et quod a Suetis sumpserint originem sicut et Finoli, qui nunc Longowardi, et Burgundiones, Vesegothi, Affricani et Dani ac Saxones, qui egregia in Britannia peregerunt et Anglia. Thomas Ebendorfer, Chronica Austriae (ed. Alphons Lhotsky, MGH SSrG NS 13, Berlin/Zürich 1967) 54.
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Paulus Diaconus bezeichnet der Vinulername zwar ursprünglich die Langobarden – und somit die Gegner der Vandalen – aber bereits Adam von Bremen verknüpft, wohl aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit, Vinuler und Vandalen miteinander.55 Wie in Folge gezeigt werden kann, übernehmen zahlreiche schwedische Gelehrte der frühen Neuzeit (Johannes Messenius, Johannes Loccenius, Andreas Hessel, Daniel Juslenius) diese Gleichsetzung und verwenden Vinuli als Synonym für Vandalen und/oder Wenden. Nimmt man an, dass auch Olaus Magnus mit diesem Bedeutungswandel des Vinulernamens vertraut gewesen ist, ließe sich das ominöse Fehlen der Vandalen auf der Völkertafel der Carta Marina problemlos erklären. Johannes Magnus: Historia de omnibus Gothorum Sueonumque regibus (~1540) Olaus Magnus’ älterer Bruder, Johannes56, gilt mit Recht als zentrale Figur der schwedischen Geistesgeschichte im 16. Jahrhundert. Im italienischen Exil entwickelte Johannes Magnus den Gotizismus aus spärlichen mittelalterlichen Ansätzen zu einem wirkungsmächtigen, in sich geschlossenen Narrativ, der den Standards humanistischer Gelehrsamkeit entsprach. Seine „Historia de omnibus Gothorum Sueonumque regibus“ vollendete Johannes Magnus um 1540, ungefähr zu derselben Zeit, als der Vandalenname zu einem Teil der schwedischen Titulatur wurde. Dementsprechend liegt es nahe, für die Interpretation des Königstitels zunächst das Werk des großen gotizistischen Vordenkers heranzuziehen. Johannes Magnus orientierte sich bei der Abfassung seiner Gotengeschichte primär an der „Getica“ des Jordanes, wobei er seine Hauptquelle aber sehr frei handhabte und eher willkürlichen Umdeutungen unterzog. Seine Ansichten über das Verhältnis von Vandalen und Wenden werden in einer Stelle deutlich, die sich auf „Getica“, 119 stützt. Nach seinem Sieg über die Heruler, schreibt Jordanes dort, führte der Gotenkönig Hermanaricus Krieg gegen die Veneter (Venethi) und machte sich auch sie untertan. Jene Veneter seien wegen ihrer Feigheit als Krieger verachtet worden, allein ihre große Zahl hätte den Goten Respekt abverlangt. Bei dieser Gelegenheit erinnert Jordanes nochmals an sein Konzept des dreifachen Slawennamens: Nam hi … ab una stirpe exorti, tria nunc nomina ediderunt, id est Venethi, Antes, Sclaveni.57 Diese kurze Stelle, in der von Vandalen nicht einmal die Rede ist, gestaltet Johannes Magnus nun zu einem Bericht über einen Kampf zwischen Goten und Vandalen um. Armanaricus, schreibt er, noch im Einklang mit seiner Quelle, hatte die Heruler besiegt und wandte sich nun den Venetern zu. Jordanes soll unter Berufung auf Ablabius (Ablavius) behauptet haben, jene Veneter seien ein Teil des slawischen Volkes.58 Die Sclavonica gens, interpretiert Johannes Magnus nun, sei in so viele nationes zersplittert, dass sie verschiedene Namen 55
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M. Adami Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 2, 18 (ed. Johann Martin Lappenberg), in: MGH SS 7 (ed. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1846) 267–389, hier 311: Sclavania igitur, amplissima Germaniae provintia, a Winulis incolitur, qui olim dicti sunt Wandali …. Vgl. Roland Steinacher, Studien zur vandalischen Geschichte. Die Gleichsetzung der Ethnonyme Wenden, Slawen und Vandalen vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (phil. Diss. Wien 2002) 65. Johannes Magnus (1488–1544) erhielt eine fundierte humanistische Ausbildung in Louvain, Köln und Perugia, wobei zu seinen Lehrern auch der spätere Papst Hadrian VI. zählte. 1517 oder 1518 vertrat er den schwedischen Reichsvorsteher Sten Sture d. J. als Gesandter an der Kurie in Rom; 1523 kehrte er als apostolischer Nuntius nach Schweden zurück und sollte in dieser Funktion der Verbreitung lutherischer Lehren entgegenwirken. Johannes galt als Vertreter eines Reformkatholizismus, der bereit war, in einigen Punkten Kompromisse mit den Lutheranern einzugehen (z. B. Bibelübersetzungen in die Landessprache). Ursprünglich stand Johannes Magnus in gutem Einvernehmen mit König Gustav Vasa, der ihn bereits 1523 zum Erzbischof von Uppsala wählen ließ, wobei die Wahl aber von Rom nicht anerkannt wurde. Die Hinwendung des Königs zur Reformation verschlechterte Johannes´ Stellung in Stockholm, 1526 reiste er als Gesandter nach Polen und zog es nach Beendigung seines Auftrages vor, nicht mehr in die Heimat zurückzukehren. 1533 erwirkte Johannes Magnus in Rom seine Anerkennung als Titularerzbischof von Uppsala, in Opposition zum lutherischen Amtsinhaber Laurentius Petri. Bis zu seinem Tod blieb Johannes in Polen und Italien für die Wiedereinführung des Katholizismus in Schweden tätig. Johannes Magnus zeigte bereits früh Interesse an Geschichte und Altertumsforschung. 1518 korrespondierte er mit dem renommierten polnischen Gelehrten Matthias Miechoviensis (Maciej von Miechów) über die Herkunft der Goten. Seine umfangreiche und bahnbrechende Gotengeschichte schrieb er 1540, sie wurde nach seinem Tod 1554 von seinem Bruder Olaus Magnus in Rom publiziert. Die biographischen Angaben zu Johannes Magnus und den in Folge besprochenen Autoren stützen sich primär auf das Schwedische Biographische Lexikon (Svenskt biografiskt lexikon) (Stockholm 1918ff.) Jordanes, Getica 119, ed. Mommsen 88–89. Auch hier geht Johannes Magnus ungenau mit seiner Quelle um. Jordanes führt Ablavius an jener Stelle nicht als Gewährsmann für die slawische Herkunft der Veneter an, sondern unmittelbar zuvor für die Etymologie der Heruler. Die Heruler (Eluri) sollen ihren Namen von ihren Wohnsitzen am mäotischen Sumpf, den die Griechen ele nennen, bekommen haben. Vgl. Jordanes, Getica 117, ed. Mommsen 88.
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trägt. Vandalen und Slawen wiederum unterscheiden sich lediglich dem Namen nach (nec Sclavonica gens a Vandalica, nisi solo nomine differebat). Somit, folgert er, habe Jordanes in Wirklichkeit von einem Krieg zwischen Goten und Vandalen berichtet. Während Jordanes aber die Veneter als eine große Schar von Feiglingen (multitudo inbellium) abtut, sind die Vandalen bei Johannes nicht nur zahlreich, sondern zudem äußerst kühn (gens fortissima & infinita multitudine ad praelia prodiens).59 Ähnlich wie Albert Krantz setzt Johannes Magnus hier die Vandalen mit Slawen, Venetern und Wenden gleich, ohne auf seine mittelalterlichen Quellen Rücksicht zu nehmen und legt seinen Gewährsleuten willkürlich Aussagen über die Vandalen in den Mund. Dies ist aber nicht die einzige Gelegenheit bei der Johannes Magnus Goten und Vandalen einander begegnen lässt. Während der Regierungszeit des Königs Gardaricus Magnus soll sich ein Krieg zwischen Goten und Gepiden zugetragen haben. Die Gepiden hatten sich an die Spitze einer Koalition gestellt, zu der auch Skythen und Vandalen gehörten. „Kein Krieg, den die Goten zuvor geführt hatten, war dermaßen bitter und gefahrvoll gewesen. Denn zuvor kämpften sie immer um Reichtum und Ländereien. Aber dieser Krieg, bei dem es um Heil, Freiheit und Leben ging, wurde nun umso schrecklicher geführt. In dem Krieg wurde die Tapferkeit der Vandalen so berühmt, dass man sie, wie sie sich hartnäckig der Macht der Goten widersetzte, als gleichwertig beurteilen kann. Dennoch kam es zwischen beiden Parteien zu einer Einigung, dass die Freiheit der Vandalen wiederhergestellt werden sollte, und dass sie im Übrigen keine Untertanen, sondern Bundesgenossen der Goten sein sollten.“60 Diese Episode, in der Goten und Vandalen einander als würdige und ebenbürtige Gegner erkennen und schließlich zu Alliierten werden, ersetzt die bei Johannes Magnus fehlende genealogische Beziehung zwischen den Vandalen und den Goten bzw. Schweden. Obwohl die Vandalen ein als fremd charakterisiertes slawisches Volk sind, vermögen sie sich den Respekt und die Freundschaft der Goten zu erkämpfen. An die Stelle von Verwandtschaft tritt bei Johannes Magnus Waffenbrüderschaft. Auch diese frühe Variante des gotizistischen Vandalenbildes fügt sich problemlos in das Selbstverständnis des schwedischen Königtums, das in seiner Titulatur gleichwertig Bezug auf beide Völker nimmt. Olaus Petri: En swensk cröneka (~1540) Unter der historischen Literatur des schwedischen Humanismus nimmt die schwedische Chronik des Theologen und Reformators Olaus Petri61 eine bemerkenswerte Sonderstellung ein. Durch seine vehemente Kritik an den Grundlagen des Gotizismus stellte Olaus Petri die schwedische Staatsideologie in Frage und entwickelte sich zu einem unbequemen Querdenker, der schließlich auf königliche Anordnung mundtot gemacht wurde. 59
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Johannes Magnus, De omnibus Gothorum Sueonumque regibus (Rom 1554) 219: Tunc enim sicut nunc Sclavonica gens ad multos nationes diffusa, diversa nomina sortiebatur, nec Sclavonica gens a Vandalica, nisi solo nomine differebat. Igitur (ut Jordanes ait) Armanaricus potentiae suae arma in gentem Vandalorum tunc per latissimas Germaniae terras, praesertim per litora maris Germanici locatam extendit, eam que (quamvis fortissimam, & infinita moltitudine ad praelia prodeuntem) superavit, superatamque suo amplissimo imperio coniunxit. Johannes Magnus, De omnibus Gothorum Sueonumque regibus 44. Fast hundert Jahre später wird diese Episode von Laurentius Paulinus Gothus, Bischof von Strängnäs, wörtlich übernommen und in seine „Historia Arctoa“ eingefügt. Vgl. Laurentius Paulinus Gothus, Historiæ Arctoæ Libri Tres (Strängnäs 1636) III, 10. Die „Historia Arctoa“ zählt zu einer Reihe von Schriften, die das gotizistische Selbstverständnis Schwedens in einen weltgeschichtlichen und heilsgeschichtlichen Kontext einzubetten versuchten (vgl. auch Jacobus Gislonius’ „Chronologia“, ~1589, sowie Jonas Magnis „Synopsis Historiæ Universalis“, 1622). Bereits beim Reformationsjubiläum 1621 hatte Laurentius einen Leitfaden für die Festpredigten verfasst, die reichsweit an Pastoren verteilt wurde. Unter dem Titel „Analysis Sacrorum Textuum in Festo Jubilæo Gostaviano“ wird ein Überblick über die Geschichte Schwedens von der Sintflut bis zu Gustav Vasa präsentiert, der gotizistische Inhalte mit religiösen Motiven verknüpft. Laurentius’ Predigtanweisung stellt eine der seltenen Initiativen dar, den Gotizismus über die akademische und politische Elite hinaus auch breiten Bevölkerungsschichten zu vermitteln. Vgl. Löw, Forntid I, 94–104; Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 285–293. Olaus Petri (1493–1552) gilt – nicht zuletzt aufgrund seiner Glorifizierung durch die schwedische Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts – als schillerndste Figur der schwedischen Reformation. Olaus hatte in Wittenberg bei Luther und Melanchton studiert und kehrte als überzeugter Verfechter der reformatorischen Ideen in seine Heimat zurück. Unter der Ägide Gustav Vasas, der ihn anfangs protegierte und förderte, wurde Olaus Petri 1524 zum Sekretär des Stockholmer Stadtrates, 1531 sogar zum schwedischen Kanzler ernannt. In den folgenden Jahren gestaltete sich das Verhältnis zwischen Olaus Petri und dem König aber zunehmend problematischer. Während Olaus eine weitgehende Autonomie der schwedischen Kirche anstrebte und den staatlichen Einfluss möglichst gering zu halten versuchte, wollte Gustav Vasa die Kirche unter straffer königlicher Kontrolle sehen. Die Differenzen kulminierten schließlich 1539 in einem Hochverratsprozess, in dem Olaus Petri zum Tode verurteilt, jedoch später begnadigt wurde.
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In ihrer Darstellung der schwedischen Geschichte von der heidnischen Vorzeit bis zum Stockholmer Blutbad 1520 stützt sich die Chronik auf die mittelalterliche schwedische Geschichtsschreibung, vor allem auf die „Chronica regni Gothorum“ des Ericus Olai (~1470), sowie auf Albert Krantz’ „Wandalia“ und „Saxonia“ und die „Gesta Danorum“ des Saxo Grammaticus. „En swensk cröneka“ wurde von Olaus Petri als Ergänzung zu seinen Predigten und theologischen Schriften konzipiert. Ausdrücklich weist Olaus darauf hin, dass sich seine Arbeit nicht nur an ein gebildetes Publikum wendet – weshalb er auch die Landessprache anstatt des humanistischen Lateins bevorzugte. Auch einfache Menschen sollten in der Geschichte das Wirken Gottes erkennen und dadurch eine Anleitung für moralisch richtiges Handeln erhalten.62 Olaus Petris Chronik stieß bei Hof auf vehemente Ablehnung. In dem Hochverratsprozess, dem sich Olaus in den Jahren 1539/40 stellen musste, wurden Auszüge seiner Chronik gegen ihn verwendet. Nach dem Tod des Reformators gab der König 1554 die Anweisung, sämtliche Abschriften der „Swenska crönicka“ zu konfiszieren.63 Seine kritische Auseinandersetzung mit dem Gedankengebäude des Gotizismus führte Olaus Petri sowohl auf einer methodischen als auch auf einer ethischen Ebene. Einerseits verweist er auf die schlechte Quellenlage, die keine gesicherten Aussagen über die schwedische – vermeintlich gotische – Frühgeschichte erlaube: „Aber da wir Schweden keine alten Geschichten haben, die gewiss sind, haben wir auch kein ausreichendes Wissen davon, woher unser schwedisches Volk gekommen ist oder wie Schweden zuerst besiedelt wurde.“64 Ob zwischen antiken Goten und den Schweden seiner Zeit tatsächlich eine Verbindung besteht, lässt Olaus Petri offen: „Es gibt eine alte Erzählung, und fleißige Geschichtsschreiber stimmen darin überein, dass die Goten, die so viele Taten in Griechenland, Welschland, Spanien und vielen anderen Ländern vollbracht haben, ursprünglich aus Schweden ausgezogen sein sollen. Ob daran etwas Wahres ist, lasse ich andere beurteilen.“65 Parallel zu dieser quellenkritischen Argumentation wirft Olaus Petri die Frage auf, ob es wirklich angebracht sei, auf eine etwaige Verwandtschaft mit den Goten stolz zu sein: „Unsere schwedischen Chroniken rechnen es den schwedischen Männern als eine große Ehre an, dass die Goten, die ihrer Meinung nach von hier ausgewandert sind, so viele Taten in fremden Ländern vollbracht haben. Aber wenn wir uns recht besinnen, ist dies mit zweifelhafter und geringer Ehre beladen. Man erweist sich wenig Ehre, wenn man mit Gewalt und Unrecht in ein anderes Land einfällt, das uns nichts Übles getan hat, dort schändet und brennt, und jene, die in Frieden leben wollen, mordet und verheert. Es würde uns zu größerer Ehre gereichen, wenn unsere Vorväter immer friedfertig und sanftmütig gewesen wären, sich still mit dem zufrieden gegeben hätten, was Gott ihnen gab, anstatt andere auszurauben und zu schänden. Wer will, soll die Mannhaftigkeit der Goten preisen, doch diejenigen, die ihrer Hand ausgesetzt waren, priesen sie nicht, sondern setzten sie mit Schurken und Tyrannen gleich, die fremde Länder und Städte erobern, ohne ein Recht dazu zu haben.“66 In ihrer einleitenden Auseinandersetzung mit den Prämissen des Gotizismus geht die Swenska crönicka auf die Frage einer etwaigen Sprachverwandtschaft zwischen Goten und Wenden ein. Die kurze Passage, die Olaus Petri jener Thematik widmet, erweist sich als äußerst aufschlussreiche Quelle zur Vandalenrezeption unter Gustav Vasa, wenn man die turbulente Entstehungsgeschichte des Werkes in Betracht zieht:67 Die in der Königlichen Bibliothek in Stockholm aufbewahrte Handschrift D 40768, die den Editionen von Gustaf E. Klemming (1860) und Jöran Sahlgren (1917) zugrunde liegt, gibt eine revidierte Fassung der Chronik aus den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts wieder. Olaus Petri hatte nach dem Hochverratsprozess in Örebro 1539/40 versucht, die beanstandeten Passagen umzuformulieren und zu entschärfen.69 Im Zuge dieser Über62
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Vgl. Sten Lindroth, Svensk lärdomshistoria (Stockholm 1975–1981) I, 280–281; Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 94–96. Vgl. Efraim Lundmark, Redaktionerna av Olavus Petris Svenska krönika. Översikt och gruppering av handskrifterna, in: Vetenskaps-Societeten i Lund, Årsbok (1940) 68. Lundmark weiß auch von einer Abschrift der Swenska crönicka, die Gustav Vasa persönlich zerrissen und zertrampelt haben soll. Das Manuskript hat sich, mitsamt den Spuren massiver königlicher Missbilligung, bis in die Gegenwart erhalten. Vgl. Lundmark, Redaktionerna 20. Olavus Petri, En swensk cröneka (ed. Jöran Sahlgren/Bengt Hesselman, Samlade skrifter af Olavus Petri 4, Uppsala 1917) 7. Olavus Petri, Cröneka, ed. Sahlgren/Hesselman 8–9. Olavus Petri, Cröneka, ed. Sahlgren/Hesselman 9–10. Die folgende Darstellung orientiert sich vorwiegend an Lundmark, Redaktionerna. Zeitweilig auch als Olavi Petri krönika N:r I bezeichnet, etwa von Jöran Sahlgren im Vorwort zu seiner Edition aus dem Jahr 1917. Die Anklageschrift findet sich wiedergegeben bei Herman Lundström, Handlingar från rättegången med Olaus Petri och Laurentius Andræ i Örebro 1539–40, in: Kyrkohistorisk Årsskrift, Meddelanden och aktstycken 10 (1909) 54–84.
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arbeitung wurde unter anderem auch im Wendenexkurs eine Ergänzung vorgenommen, die in Folge kursiv wiedergegeben ist. Spitze Klammern kennzeichnen eine weitere, spätere Korrektur, die vermutlich nach Olaus’ Tod von seinem Bruder Laurentius Petri in den Jahren zwischen 1556 und 155870 eingefügt wurde. „Aber es ist anzunehmen, dass sie [die Goten] von deutscher Sprache waren, denn sie hatten im allgemeinen deutsche Namen wie Tidherick, Ermerijck, Ffilmer, Alrick, Ditmar, Adolff usw. Es gibt aber auch Leute, die sagen, dass Goten und Wenden dieselbe Sprache gehabt hätten. Wenn sie aber aus Schweden ausgezogen sind, dann haben sie die deutsche Sprache gesprochen; und wenn sie die wendische Sprache gesprochen haben, weiß ich nicht, wie es dann sein kann, dass sie aus Schweden gekommen sind. Es sei denn, man geht davon aus, dass sie so lange unter den Wenden gelebt hätten, bis sie deren Sprache übernommen und ihre eigene vergessen hätten, oder, dass die Sprache der Wenden zu jener Zeit die deutsche Sprache gewesen sei. Und das, was die Wenden heutzutage reden, ist eine slawische Sprache, was nicht viel anders ist. Diejenigen, die sagen, dass sie von hier ausgezogen sind, vertreten die Ansicht, dass sie zuerst Rygen eingenommen haben, das bei Strålesund liegt, und nachher ins Wendenland, nach Pommern gekommen sind, wo sie eine lange Zeit gewohnt haben, bis sie nach Griechenland gezogen sind. Aber da lasse ich andere urteilen, ob das wahr ist.“71 Anhand der unterschiedlichen Überarbeitungsschritte wird deutlich, wie Olaus und Laurentius Petri die Swenska crönicka schrittweise an das offizielle Geschichtsverständnis des Königshauses anzupassen versuchten. Die ursprüngliche Version aus den 1530er Jahren72 betrachtet die Herkunft der Goten aus Skandinavien und eine sprachliche Verwandtschaft mit den Wenden als unvereinbar. Und da die Abstammung der Goten aus Schweden für Olaus Petris Zeitgenossen – wenn auch nicht für ihn selbst – eine unbestreitbare Tatsache war, erübrigen sich gemäß den Ausführungen der Crönicka jegliche Spekulationen über ein Naheverhältnis zwischen Goten und Wenden. Es sei denn, man akzeptiert die Hypothese, dass die Goten ihre eigene Sprache schlichtweg vergessen und aufgegeben hätten, aber dieser Gedanke scheint sich nur schwer mit dem aggressiverobernden Gotenbild des Gotizismus vereinbaren zu lassen. Olaus Petris Zusatz aus den 1540er Jahren vermittelt bereits einen deutlich anderen Standpunkt: Vielleicht haben ja die Wenden deutsch gesprochen, nicht die Goten Wendisch, und außerdem ist der Unterschied zwischen deutscher und slawischer Sprache ohnehin nicht so gravierend. Somit ist eine Verbindung zwischen Goten und Wenden denkbar, ohne dass die Reputation der Goten oder ihre Abstammung in Frage gestellt werden müssten. Olaus fühlte sich demnach veranlasst, seine Thesen zu den Wenden zu korrigieren und seine Aussage abzuschwächen, obwohl die Anklageschrift im Prozess von 1539/40 diese Thematik nicht angesprochen hatte. Aus den Jahren um 1540, just als der Hochverratsprozess Olaus Petri zu einer Überarbeitung seiner Chronik veranlasste, datieren auch die ersten Belege für den erweiterten Königstitel Sveriges, Götes och Wendes konung. Olaus scheint sich bewusst gewesen zu sein, dass es angesichts dieser neuen Entwicklung keineswegs ratsam gewesen wäre, in seiner ohnehin bereits ungnädig beurteilten Chronik eine unmissverständliche Trennung zwi-
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Olaus Petri wird vorgeworfen, „viele seltsame und unwahre Geschichten“ in seine Chronik aufgenommen zu haben. Konkret soll er den Adel des Reiches mit listigen, böswilligen Zwergen verglichen und somit zu Landesverrat und Aufruhr aufgerufen haben. Ein weiterer Anklagepunkt betrifft die Darstellung des Königs Magnus Ladulås. Olaus deutet dessen Beinamen als „Scheunenschloss“, da er für solche Ordnung im Lande gesorgt hatte, dass die Kornvorräte der Bauern sicher waren. Die Anklage legt die idealisierende Beschreibung König Magnus’ als Vorwurf gegen Gustav Vasa aus: Verglichen mit Magnus Ladulås würde Gustav Vasa nichts gegen die Räubereien und die Willkür im Lande tun (Lundström, Handlingar 77–78) Efraim Lundmark, Redaktionerna 31–34, zeigt, wie sämtliche Seitenhiebe gegen Gustav Vasa im Zuge der Überarbeitung der Swenska crönicka aus der Ladulås-Passage gestrichen wurden. Diese These vertritt Lundmark, Redaktionerna 68–69. Sahlgren nimmt in seinem Vorwort zur Ausgabe von 1917 eine ähnliche Datierung vor, er spricht von den Jahren zwischen 1553 und 1558, ohne Angaben zur Person des Revisors zu machen. Lars Sjödin und Gunnar T. Westin schreiben hingegen diese Korrekturen und Zusätze Olaus Petri selbst zu und sehen sie dementsprechend als älter an. Für die in Folge angestellten Überlegungen ist die Person des Revisors aber nicht weiter von Belang. Vgl. Jöran Sahlgren, Förord, in: Samlade skrifter af Olavus Petri 4, ed. Bengt Hesselman (Uppsala 1917) III–IX, hier V–VI; Lars Sjödin, Tillkomsten av Olaus Petri krönika, in: Historisk tidskrift 41 (1921) 48–68, hier 49; Gunnar T. Westin, Historieskrivaren Olaus Petri. Svenska krönikans källor och krönikeförfattarens metod (Lund 1946) 9. Olavus Petri, Cröneka, ed. Sahlgren/Hesselman 9. Dieser Erstfassung entsprechen etwa der in Västerås aufbewahrte Codex Sernsköldianus sowie die Handschrift Ms 1076, 2:o an der Universitätsbibliothek Greifswald.
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schen Goten und Wenden vorzunehmen.73 Bei der Überarbeitung des Wendenexkurses handelte es sich sichtlich um vorauseilenden Gehorsam, um einen Versuch, weiterer Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der zweite, spätere Zusatz kann aus einer ähnlichen Motivation heraus verstanden werden. Der Revisor war bestrebt, seine fachliche Kompetenz im Themenbereich Wenden/Vandalen herauszustreichen. An einer anderen Stelle74 wurde ein Verweis auf „Helmolds Wendische Chronik“, die 1556 erstmals im Druck erschienene „Chronica Slavorum“, eingefügt, der zeigen sollte, dass der Revisor mit jenem aktuellen Werk vertraut war.75 Die Erwähnung der Krantz’schen Gleichsetzung von Wenden und Vandalen in der oben zitierten Passage fügt sich schlecht in den Text ein, sie steht inhaltlich weitgehend isoliert, denn unmittelbar danach wendet sich der Text wieder den Goten zu und fasst deren Wanderung nach Jordanes zusammen. Jedoch vermittelt der Einschub den Eindruck, dass die „Swenska crönicka“ in den frühgeschichtlichen Gelehrtendiskurs des Humanismus eingebettet ist und sich auf dem aktuellen Stand der Debatte befindet. Die vorangehenden Überlegungen verdeutlichen, wie die dem Gotenmythos ursprünglich äußerst kritisch gegenüberstehende „Swenska crönicka“ schrittweise dem offiziellen Geschichtsverständnis des schwedischen Königtums angepasst wurde. Bewusst wurde hierbei auf die Verbindung zwischen Goten und Wenden und auf deren Gleichsetzung mit den Vandalen Rücksicht genommen, da derartige Hypothesen offensichtlich eine bedeutende Komponente des frühen Gotizismus unter Gustav Vasa ausmachten. Aufträge an Petrus Marsilius unter Erik XIV. Unter Gustav Vasas humanistisch gebildetem und historisch interessiertem Sohn Erik XIV. (1560–1568) wurde erstmals der Versuch unternommen, den Vandalenbezug der schwedischen Königstitulatur durch ausführliche historische Studien zu erklären und zu untermauern. 1565 beauftragte Erik den französischen Gelehrten Petrus Marsilius mit einem umfangreichen Forschungsvorhaben, das unter anderem auch die Geschichte der Vandalen zum Inhalt hatte. Marsilius gehörte zu den ersten greifbaren so genannten „lateinischen Sekretären“ am schwedischen Königshof, die neben der lateinischen Korrespondenz auch für Archivbelange und das Verfassen historischer Abhandlungen zuständig waren. In die Regierungszeit Eriks XIV. fiel der Nordische Siebenjährige Krieg (bzw. „Drei-Kronen-Krieg“) zwischen Dänemark und Schweden (1560–1567), in dem es nicht zuletzt um die Frage ging, wer das Recht habe, drei Kronen im Wappen zu tragen.76 In diesem Streit um Macht und Symbole steuerte Marsilius eine lateinische Streitschrift mit dem Titel „Historia causarum belli inter potentissimos Arctoae partis mundi reges“ bei, in der er mit den alten Goten und entsprechenden historischen Konstruktionen argumentierte.77 In zwei Aufträgen König Eriks XIV. an seinen Kanzleisekretär von 1565 ist vom Vorhaben, die Geschichte der Vandalen näher zu beleuchten die Rede. Die Irrtümer der dänischen Gelehrten sollen durch das Sammeln besserer Quellen korrigiert werden. Ausverhandelt waren mehrere Bücher zur schwedischen Geschichte bis in die Gegenwart des 16. Jahrhunderts, ein eigenes Buch über die externi Gothi und eines über die Vergangenheit und die Ursprünge der Vandalen wie auch der Finnen.78 Im Gegensatz zur „Historia causarum belli“ scheint 73
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Emil Hildebrand, Utveckling 231, bemerkt, dass die Verwendung des Wendennamens in der Königstitulatur zu dem Zeitpunkt gebräuchlich wurde, als Gustav Vasas deutscher Kanzler Conrad von Pyhy in schwedische Dienste trat. Nimmt man an, dass von Pyhy die Erweiterung des Königstitels angeregt oder zumindest dem schwedischen Hof Inhalte des deutschen Humanismus, etwa die Thesen Albert Krantz’, vermittelt hat, wird Olaus Petris Entschluss, den Wendenexkurs zu entschärfen, noch einleuchtender. Conrad von Pyhy hatte bereits 1539 die Anklageschrift gegen Olaus Petri in dessen Hochverratsprozess verfasst, und es dürfte Olaus äußerst ratsam erschienen sein, den einflussreichen Kanzler nicht zu provozieren. Vgl. Michael Roberts, The Early Vasas. A History of Sweden, 1523–1611 (Cambridge 1968) 117; Elisabeth Lundqvist, Reformatorn skriver historia. En kontextuell analys av Olaus Petris svenska krönika (Idéhistoriska uppsatser 33, Stockholm 1998) 52. Olavus Petri, Cröneka, ed. Sahlgren/Hesselman 31. Vgl. Lundmark, Redaktionerna 56–57. Die drei Kronen stehen noch heute im schwedischen Wappen und wurden wiederholt als die der Schweden, Goten und Vandalen interpretiert. Allerdings stammt das Wappenbild bereits aus dem Mittelalter und ist somit deutlich älter als die dreigliedrige schwedische Königstitulatur. Vgl. Heribert Seitz, De tre kronorna. Det svenska riksvapnet i sitt europeiska sammanhang (Stockholm 1961) 113. Vgl. Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 241–243; Ivan Svalenius, Rikskansliet i Sverige 1560–1592 (Skrifter utgivna av svenska Riksarkivet 7, Stockholm 1991) 115–122 und 176. Eric Jöransson Tegel, Konung Erics den XIV:des Historia […] (ed. Anders Anton von Stiernman, Stockholm 1751) 332–336. Vgl. Henrik Reuterdahl, Öfversigt af den behandling, som det hedniska Sveriges historia erhållit före medlet af 17:de århundradet (Stockholm 1839) 67–68; Johannesson, Renaissance 219.
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dieses Vorhaben aber nie verwirklicht worden zu sein. Spätestens als Erik drei Jahre später von seinem Bruder Johann III. abgesetzt wurde, war der Vertrag zwischen Marsilius und dem schwedischen König als hinfällig zu betrachten. Wir greifen aber bereits im 16. Jahrhundert den expliziten Versuch, den Gotizismus um eine vandalische Komponente zu erweitern. Johannes Messenius: Scondia Illustrata (~1629) In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nahm sich der bedeutende schwedische Historiker Johannes Messenius79 der Wenden/Vandalen-Thematik an und bereicherte die akademische Debatte um eine völlig neue Perspektive. Trotz widriger Lebensumstände und ungeachtet seines harten persönlichen Schicksals verfasste Messenius mit seiner „Scondia Illustrata“80 ein monumentales Kompendium skandinavischer Geschichte, das das Selbstverständnis vor allem der finnischen Teile des schwedischen Reiches bis ins 18. Jahrhundert hinein entscheidend prägte. Im zehnten Buch der „Scondia“, das der Geschichte Finnlands, Livlands und Kurlands gewidmet ist,81 entwirft Messenius das Konzept der Vendi boreales, der „nördlichen Wenden“, die seiner Ansicht nach mit den Finnen gleichzusetzen sind. Finnland, und damit auch das finnische Ethnonym, seien nämlich lediglich eine Verballhornung des ursprünglichen Landesnamens: „Denn das Land, das zunächst als Venedilandia und Venelandia bezeichnet wurde, wird später, aufgrund mangelnder Kenntnis des Altertums, Fenlandia, Finlandia und Finnonia genannt.“82 Messenius ist keineswegs der erste Gelehrte, der Wenden und Finnen miteinander in Verbindung bringt. In seiner Schilderung des europäischen Sarmatiens hatte Ptolemaios die Veneder unweit der Finnen angesiedelt83, und als sich im Laufe des Spätmittelalters konkrete Vorstellungen von der geographischen Lage Finnlands verbreiteten, verlegten manche Ptolemaios-Epigonen mit den Finnen auch die Wenden an die nördlichen Küsten der Ostsee. In einem Ulmer Ptolemaios-Druck von 1482 sowie in mehreren handschriftlichen Karten bezieht sich Venthelant, uenthelandh etc. beispielsweise auf ein Gebiet in Skandinavien, in dem man möglicherweise 79
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In seinem wissenschaftsgeschichtlichen Standardwerk, Svensk lärdomshistoria, würdigte Sten Lindroth Johannes Messenius als bedeutendsten schwedischen Historiker seiner Zeit. Vgl. Lindroth, Lärdomshistoria II, 257. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Messenius (1579–1636) besuchte als Jugendlicher die Schule im Kloster von Vadstena, dem Zentrum der schwedischen Gegenreformation gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Auf diese Weise geriet er früh in ein Naheverhältnis zum Katholizismus, das sich als prägend für sein Leben erweisen sollte. Messenius setzte seine Studien am Jesuitenseminar in Braunsberg bei Elbing fort, wo er eine fundierte humanistische Ausbildung erhielt. Nachdem seine Versuche, in den Dienst des polnischen Königs Sigismund zu treten, gescheitert waren, kehrte er nach Schweden zurück und bewarb sich bei Sigismunds Onkel und Intimfeind, Karl IX. Messenius schwor dem Katholizismus ab und wandte sich demonstrativ in polemischen Schmähschriften gegen seine früheren Lehrer, die Jesuiten. Unter Karl IX. erhielt Messenius zunächst eine Rechtsprofessur in Uppsala und übernahm später die Leitung des Reichsarchivs in Stockholm. 1616 jedoch holte ihn seine Vergangenheit ein: Ein katholischer Spion, Jöns Hansson alias Jöns Papista, gestand im Verhör, auf Messenius’ Geheiß konspirative Verbindungen mit gegenreformatorischen Kräften in Polen unterhalten zu haben. Messenius wurde wegen Landesverrat angeklagt, entging knapp der Hinrichtung und wurde zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt. Im Herbst 1616 wurden er und seine Familie in die entlegene Festung Kajaneborg im Osten Finnlands deportiert. Messenius verbrachte dort zwanzig Jahre unter harten Bedingungen, bis er 1635, ein Jahr vor seinem Tod, begnadigt wurde. Zur Biographie vgl. Henrik Schück, Messenius. Några blad ur Vasatidens kulturhistoria (Stockholm 1920). Als Indiz für Messenius’ Bedeutung ist auch die Tatsache zu werten, dass bereits zwanzig Jahre nach seinem Tod eine französische Zusammenfassung seiner Thesen erschien: Eschauguette de laquelle on peut voir clairement l’estat illustre des Svedois & des Goths, Iean Messenius, Garde des Archives du Royaume de Svede et tr(aduit) en fr(ançaise) par Ionas Hambraeus (Paris 1655). Messenius’ Hauptwerk entstand in den Jahren seiner Verbannung im ostfinnischen Kajaneborg. 1624 war das Werk weitgehend vollendet und wurde in den folgenden Jahren in geringem Umfang ergänzt und korrigiert. Zwischen 1700 und 1705 wurde die Scondia Illustrata in vierzehn Büchern, nummeriert als Tomus I–XIII sowie XV, von Johannes Peringskiöld d. Ä. in Stockholm herausgegeben. Zur Publikationsgeschichte der Scondia, insbesondere ihres für die Entwicklung des Wendenbegriffes entscheidenden zehnten Buches, vgl. Harald Olsson, Johannes Messenius Scondia illustrata. Studier i verkets tillkomshistoria och medeltidspartiets källförhållanden (Lund 1944) 92–93, 137–138, 146–148. Messenius verfasste zudem eine Reimchronik, die die in Tomus X der Scondia dargelegten Thesen zur finnischen Geschichte in volkstümlichen schwedischen Knittelversen zusammenfasst. Dem folgenden Überblick über die finnische Frühgeschichte nach der Scondia Illustrata entspricht Johannes Messenius, Rimkrönika om Finland och dess inbyggare (Helsingfors 1865) 3–10. Johannes Messenius, Scondia Illustrata […] (ed. Johann Peringskiöld, Stockholm 1700–1705) X, 3: Nam quae imprimis Venedilandia, & Venelandia, fuit dicta; dein per ignaros antiquitatis, vocatur Fenlandia, & Finlandia, Finnoniaque. Klaudius Ptolemaios, Handbuch der Geographie 3, 5, 20 (ed. Alfred Stückelberger/Gerd Graßhoff, griech. und deut., Basel 2006) I, 304.
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die schwedische Landschaft Jämtland erkennen kann.84 Auf Martin Waldseemüllers Karte von 1516 hingegen bezeichnet Ventheland – ganz analog zu Messenius’ Argumentation – eindeutig Finnland, unmissverständlich ausgewiesen durch Ortsnamen wie Oburgis (Åbo / Turku) oder Viburgis (Vyborg / Viipuri). (Abb. 4) Die Bezeichnung sinus Venedicus für den Finnischen Meerbusen war in der frühen Neuzeit in Skandinavien weit verbreitet und ist u.a. auf der „Carta Marina“ des Olaus Magnus, bei Johannes Magnus sowie in der „Encyclopædia Synoptica“ des Johannes Gezelius (1672) belegt.85 Der Oceanus Vandalicus seu Venedicus, schreibt Laurentius Paulinus Gothus, ein Zeitgenosse von Messenius, „hat seinen Namen von den Vandalen oder Wenden, die die an beiden Ufern gelegenen Länder bewohnen. Man ist üblicherweise gewohnt, ihn sinus Fennicus zu nennen.“86 Der in Åbo ausgebildete Missionar Gabriel Tuderus bezeichnete in den 1670er Jahren auch die Samen in seinem Pfarrgebiet in Lappland als finska eller wendiska Schyter, „finnische oder wendische Skythen“.87 Johannes Messenius geht aber weit über solch knappe begriffliche Assoziationen hinaus und entwirft eine ausführliche und umfassende Genealogie der finnischen Wenden. In seinem Geschichtsverständnis befindet sich Finnland seit den Anfängen an einer Schnittstelle, im Spannungsfeld zwischen den Scondiern bzw. Skandinaviern und den slawischen Sarmaten. Thuiscon, Noahs vierter Sohn, hatte 156 Jahre nach der Sintflut ein gewaltiges Reich gegründet, das sich vom Don bis zum Rhein erstreckte und auch Skandinavien umfasste. Nach seinem Tod folgte ihm im Westen des Reiches sein Sohn Mannus nach, die Herrschaft im Osten hingegen übernahm Sarmatas, ein Nachfahre Sems, der über die Slawen, Anten und Veneder gebot. „Die äußerst bevölkerungsreichen Veneder ließen sich zuerst an der linken Flanke der Berge, die das europäische vom asiatischen Sarmatien trennen, nieder. Die Scondier waren im Übrigen so übermäßig zahlreich geworden, dass sie Siedler nach Osten sandten. Dieses Volk vermehrte sich hierauf um nichts weniger; jenes Geschlecht unterwarf sich die Küsten des baltischen Meeres gegenüber von Scondia, ein gewaltiges Gebiet zwischen dem Fluss Torne in Norrbotten und Sachsen. Man nannte sie später Vandalen.“88 Diese skandinavischen Kolonisten an den östlichen Ufern der Ostsee stattet Messenius nun mit einer angemessenen Herrscherdynastie aus. Spitzenahn und erster König der „nördlichen Vandalen“, der boreales Vandali, soll Forniotius – um 600 vor Christus – gewesen sein, den seine Nachfahren Karus und Frosto beerbten.89 In den folgenden Jahrhunderten lässt Messenius die Vandalia wieder stärker unter skandinavischen Einfluss gelangen und erwähnt sie als Teil des Herrschaftsbereiches mehrerer norwegischer und schwedischer Könige. Im ersten Jahrhundert vor Christus führt – gemäß dem Bericht der „Scondia Illustrata“ – die Wanderung Odins von Kleinasien nach Skandinavien90 zu einer grundlegenden Veränderung der Machtverhältnisse, die 84
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Vgl. Axel Anthon Björnbo/Carl S. Petersen, Der Däne Claudius Claussøn Swart (Claudius Clavus). Der älteste Kartograph des Nordens. Der erste Ptolemäus-Epigon der Renaissance (Innsbruck 1909) 147, 228–229. Johannes Magnus, De omnibus Gothorum Sueonumque regibus 10; Johannes Gezelius, Encyclopædia Synoptica. Ex Optimis & accuratissimis Philosophorum Scriptis collecta, & in Tres partes distributa […] (Åbo 1672) II, 313. Laurentius Paulinus Gothus, Historia Arctoa I, 90: ... Qui sic a Vandalis seu Vendis, terras ab utraq´ parte sitas inhabitantibus dicitur; communiter sinus Finnicus nominari consvevit. Gabriel Tuderus, En kort underrättelse Om the Österbothniske Lappar, som under Kiemi Gebiet lyda (ed. Karl Bernhard Wiklund, Bidrag till kännedom om de svenska landsmålen och folkliv 17/6, Uppsala 1905) 11. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 1. Das fornjotische Herrscherhaus entlehnt Messenius der „Crymogaea“ (1610) des isländischen Gelehrten Arngrimus Jonas (Arngimur Jonsson, 1568–1648), der die drei Herrscher unter den Namen Ferniotus bzw. Fermotus, Kare und Froste kennt. (Arngrimus Jonas, Crymogaea sive Rerum Islandicarum Libri III [Hamburg 1610] I, 29–30) Arngimus wiederum stützt sich auf einen altnordischen Text, der in der Forschung als Hversu Norégr byggðisk bekannt ist. Dieses kurze Chronikfragment ist einerseits in der „Flateyjarbók“, einer umfangreichen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, enthalten und bildet zudem in leicht abgewandelter Form den Prolog der aus der Zeit um 1200 stammenden „Orkneyinga saga“. (Flateyjarbók [ed. Sigurður Nordal, Akranes 1944–1945] I, 241; Orkneyinga saga, Legenda de Sancto Magno, Magnúss saga skemmri, Magnúss saga lengri, Helga þáttr ok Úlfs [ed. Finnbogi Guðmundsson, Íslenzk fornrit 34, Reykjavik 1965] 3). Vgl. Löw, Forntid I 110, 116. Die Abstammung der nordischen Götter aus Asien wird in mittelalterlichen isländischen Texten seit dem 12. Jahrhundert erwähnt. Die ausführlichsten Schilderungen finden sich bei Snorri Sturluson (1178–1241) in den einleitenden Kapiteln der „Heimskringla“ sowie, in abweichender Form, im Prolog der „Snorra-Edda“. Snorri vertrat einen euhemeristischen Standpunkt, der die heidnischen Götter als historische Gestalten zu erklären versuchte. Die „Heimskringla“ lokalisiert die Götterfamilie der Asen (altnordisch æsir), nicht zuletzt aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit, in Asien: Odin herrschte über Asgard, den Sitz der Asen, der östlich des Don (Tanais) in einem Land namens Svíþjóð in mikla, Groß-Schweden, gelegen sein soll. Snorri verwendet „Groß-Schweden“ als Synonym für Scythia magna, Messenius scheint seine Quelle jedoch missverstanden zu haben und folgert fälschlicherweise, Odin würde aus Skandinavien stammen. Nach Snorri besaß Odin zudem ausgedehnte Besitzungen in Kleinasien. Da er in die Zukunft blicken
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der Herrschaft der Vandalen im Ostseeraum ein Ende bereitet: „Ungefähr 60 Jahre vor Christus zog jener berühmte Othinus, den die Römer aus Phrygia minor vertrieben hatten, mit vielen Völkern nach Scondia, von wo er herstammte. Als sich Othinus mit Hilfe seiner venedischen Mitstreiter des ganzen europäischen Sarmatiens bemächtigt hatte, wies er ihnen den ganzen Machtbereich der Vandalen, die er zuvor von dort vertrieben hatte, als Siedlungsgebiet zu. Wegen der neuen Anrainer wurde das Meer danach Sinus Venedicus genannt.“91 Trotz diverser Kampfhandlungen und unterschiedlicher Machthaber hat das von Odin im Rahmen der Neuordnung des Ostseeraumes geschaffene Wendenland (Venelandia) als territoriale Einheit rund fünfhundert Jahre lang Bestand, bis abermals Neuankömmlinge aus dem Süden eintreffen: „Um das Jahr 456 wurden hervorragende römische Adelige, die Schiffe bestiegen hatten, um der Tyrannei Attilas zu entgehen, auf dem Meer durch Zufall ins Wendenland verschlagen. Dort übernahmen sie die Herrschaft, nachdem sie die Einwohner für lange Zeit unterworfen hatten. Libo, der keineswegs der Geringste unter ihnen war, hatte sich einen fruchtbaren Teil des nördlichen Wendenlandes verschafft und nannte ihn nach sich Libonia. Es wird heute Livonia genannt. Ein anderer von ihnen, der sich Litauen unterworfen hatte, begründete die äußerst edle und altehrwürdige Familie der Jagiellonen, die bis heute dort, und auch in Polen, ruhmreich herrscht. Ohne Zweifel erlangte einer von ihnen den nördlicheren Teil des Wendenlandes ... und kämpfte so lange mit den Schweden und Russen, bis er es verlor. Dieses Land allein behielt den alten Namen.“92 Um den Zerfall der bis dato weitgehend homogen beschriebenen Venelandia in mehrere eigenständige Territorien zu begründen, zieht Messenius eine gelehrte Hypothese heran, die unter humanistischen Schriftstellern in Litauen außerordentlich populär war: die Abstammung des litauischen Adels von römischen Exilanten, die sich im Ostseeraum angesiedelt hatten.93 Messenius folgert daraus, dass Livland und Litauen, jene Länder, in denen es den römischen Neuankömmlingen gelang, ihre Herrschaft zu konsolidieren, aus dem wendischen Siedlungsverband ausscherten, während im nördlichen Teil des Wendenlandes, in Finnland, wo den Römern eine dauerhafte Festsetzung misslang, der wendische Name und die wendische Identität Bestand hatten. Aus Venedilandia bzw. Venelandia wurde Fenlandia bzw. Finlandia, der Kern und Rest eines wendischen Großraumes, der zuvor weite Teile des Ostseegebietes umfasst hatte.94 Das Verhältnis zwischen Wenden und Vandalen in der „Scondia Illustrata“ stellt sich somit folgendermaßen dar: Beide Völker hatten im Lauf der Geschichte dasselbe Territorium bewohnt – den östlichen Teil des Ostseeraumes zwischen Lappland und Sachsen. Zunächst hatten die Vandalen dieses Gebiet kolonisiert, später teilte Odin es den Wenden zu. Messenius ist sich bewusst, dass zwei Völker, die nacheinander in derselben Gegend gelebt hatten und die zudem ähnlich lautende Namen haben, zu Verwechslungen einladen. Umso deutlicher betont er, gestützt auf Martin Cromer, Slavonum, Vendorum & Vandalorum legitimum discrimen95, den Unterschied zwischen den slawischen Wenden und den skandinavischen Vandalen: „Cromer zeigt in der Einleitung seiner polnischen Geschichte, dass die Vinuler bzw. Vinider oder Venneder ein slawisches, kein skandinavisches Volk sind. Von ihnen leiten die Finnen, ein nach Scondia eingewandertes Volk, die Her-
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konnte, wusste er, dass die Römer ihn aus diesen Gebieten vertreiben würden, seine Nachkommenschaft jedoch im hohen Norden leben würde. Deshalb zog er mit großem Gefolge nach Schweden, wo er in der Stadt Sigtuna seine Herrschaft errichtete. Vgl. Snorri Sturluson, Heimskringla I (ed. Bjarni Aðalbjarnarson, Íslenzk fornrit 26, Reykjavik 1941) 11–16. 1594 hatte der dänische Pastor Jens Mortensøn Teile der Heimskringla übersetzt und unter dem Titel Norske Kongers Krønicke och bedriffter („Chronik und Taten der norwegischen Könige“) veröffentlicht. Johannes Messenius gehört somit zu der ersten Generation skandinavischer Historiker, die auf die Heimskringla als Quelle zurückgreifen konnten und mit dem altisländischen Euhemerismus vertraut waren. Vgl. Löw, Forntid I, 112–116. Zum Stellenwert der Asenwanderung für die altisländische Gelehrsamkeit vgl. auch: Andreas Heusler, Die gelehrte Urgeschichte im altisländischen Schrifttum (Abhandlungen der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1908); Heinz Klingenberg, Odins Wanderzug nach Schweden. Altisländische gelehrte Urgeschichte und mittelalterliche Geographie, in: alvíssmál 3 (1994) 19–42; Heinrich Beck, Zur Diskussion über den Prolog der Snorra-Edda, in: Poetik und Gedächtnis. Festschrift für Heiko Uecker zum 65. Geburtstag, ed. Karin Hoff/Susanne Kramarz-Bein/Astrid van Nahl/Thomas Fechner-Smarsly/Benedikt Jager/Joachim Trinkwitz (Beiträge zur Skandinavistik 17, Frankfurt 2004) 145–154. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 2. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 3. Zur Herleitung Litauens und Livlands von exilierten Römern vgl. den Beitrag von Stefan Donecker im vorliegenden Band. Die Jahrhunderte nach 456 sind, gemäß dem Bericht der Scondia Illustrata, geprägt von regelmäßigen militärischen Konflikten zwischen den Wenden bzw. Finnen und ihren Nachbarn, bis Finnland schließlich im schwedischen Reich aufgeht. „Die Vennen oder Fennen messen sich nicht selten in ähnlich gewagten Kampfhandlungen mit den Schweden und Russen, wobei sie dem Joch ihrer Gegner mal ihren Nacken beugen und es ein andermal wieder abschütteln.“ Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 3. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld XI, 16.
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kunft ihres Namens und ihres Stammes her. Daher ist es offensichtlich, dass sie ursprünglich Veneder, später allgemein Vennen, Fennen und Finnen genannt wurden. Auch die Deutschen bezeichneten sie zu jener Zeit als Vennen, und ihretwegen wird die Bucht, an der sie wohnen, sinus Venedicus genannt. ... In ihrer eigenen Sprache nennen sie sich Somalaitas und belegen durch dieses ursprüngliche Wort ihre Abstammung von den Sauromaten bzw. Sarmaten.“96 Die Vandalen hingegen – sowohl die aus der Spätantike bekannten Eroberer Afrikas97 als auch die „nördlichen Vandalen“, die Finnland und das Baltikum besiedelt hatten98 – haben ihren Ursprung in Skandinavien. Messenius fühlt sich bemüßigt, diesen für gelehrte Kreise im frühneuzeitlichen Schweden beinahe selbstverständlichen Sachverhalt ausdrücklich zu betonen, um Missverständnissen vorzubeugen. Die Einbindung der Vandalen in den Gotizismus und das Nahverhältnis zwischen Vandalen und Goten verdeutlicht Messenius bereits in einer seiner kleineren Schriften, Specula (1612), in der er anmerkt, dass sich jene beiden Völker allein dem Namen nach unterscheiden.99 Obwohl Johannes Messenius also in der „Scondia Illustrata“ kaum Zweifel aufkommen lässt, dass Vandalen und Wenden seiner Ansicht nach strikt voneinander zu trennen sind, wurden die entsprechenden Stellen in der Forschung teilweise ignoriert oder missverstanden.100 Möglicherweise wurden Fehldeutungen dieser Art durch eine Reihe von Passagen in der „Scondia“ bedingt, in denen Messenius die Bewohner Pommerns – aus heutiger Sicht die slawischen Wenden schlechthin – als Vandalen bezeichnet101 und damit eher Krantz als Cromer zu folgen scheint. Messenius weiß, dass die dänischen Könige ihren Königstitel von den Feldzügen gegen die Slawen des südlichen Ostseegebietes im 12. Jahrhundert herleiten: „Canutus der König von Dänemark setzt den Krieg gegen die Vandalen fort und eignet sich als erster den Vandalentitel an“, vermerkt die „Scondia“ für das Jahr 1192.102 Möglicherweise war Messenius der Ansicht, dass er auf die Vandalen in Pommern nicht völlig verzichten konnte, ohne womöglich gemeinsam mit dem dänischen auch dem schwedischen rex Vandalorum die Grundlage zu entziehen. Aber selbst wenn Johannes Messenius Vandalen und Slawen in diesem Zusammenhang im selben Atemzug nennt, verwendet er die Begriffe nicht synonym, sondern versteht darunter zwei eigenständige, von einander zu unterscheidende Ethnien. Johannes Baazius: Inventarium Ecclesiae Sveo-Gothorum (1642) Dem schwedischen Kichenhistoriker Johannes Baazius103 gebührt der Verdienst, neben Goten und Vandalen einer weiteren gens der Völkerwanderungszeit zu einer schwedischen Herkunft verholfen zu haben: In seiner Kirchengeschichte, dem „Inventarium Ecclesiae Sveo-Gothorum“, versucht Baazius die Alanen, die in spätantiken Quellen oft in Verbindung mit den Vandalen genannt werden, in das Gedankengebäude des Gotizismus zu integrieren. 96 97 98 99 100
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Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld XIII, 17. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld XI, 16. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 1. Johannes Messenius, Specula. Thet är: Sweriges rijkes skådhetorn […] (Stockholm 1644) 48. In der älteren Forschungsliteratur aus dem 19. Jahrhundert findet sich mehrfach die Behauptung, Messenius habe Wenden, Finnen und Vandalen einander gleichgesetzt. Noch in den 1980er Jahren liest man dasselbe Missverständnis in einem Kommentar zu Matti Klinges „Östersjövälden“. Vgl. Gabriel Rein, Bidrag till Finska häfdeteckningens historia, in: Suomi. Tidskrift i fosterländska ämnen 1/1 (1841) 2; Magnus Gottfried Schybergson, Historiens studium vid Åbo universitet (Åbo universitets lärdomhistoria 3, Helsingfors 1891) 7–8; Raoul Mårtens, Pohjola och Sampo. En kommentar till Matti Klinges „Östersjövälden“ och Kalevalajubiléet, in: Horisont 32/5 (1985) 15–27, hier 17–18. Vgl. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld I, 84–85; II, 5–6; XV; 17, 27. Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld XV, 30. Vgl. ausführlicher ebd. II, 15. Johannes (Jöns) Baazius der Ältere (1581–1649) studierte in Uppsala und unternahm ausgedehnte Studienreisen, unter anderem nach Wittenberg, Giessen, Helmstedt und Jena. Seit 1613 war er als Schulrektor in Växjö tätig; 1624 ging er als Pastor nach Jönköping. Baazius galt als außerordentlich streitbarer Kirchenpolitiker, der sich als Advokat der niederen Geistlichkeit gegenüber den Ambitionen der Bischöfe hervortat. Seine Polemik gegen die kirchliche Hierarchie brachte ihn in ein Naheverhältnis zum schwedischen Hof, dem seinerseits an einer Schwächung der bischöflichen Machtposition gelegen war. Die Vormundschaftsregierung der minderjährigen Königin Christina übertrug Baazius das Projekt einer schwedischen Kirchengeschichte, das er 1642 unter dem Titel „Inventarium Ecclesiae Sveo-Gothorum“ vorlegte und geflissentlich mit einer Widmung an Christina als Regina Suecorum, Gothorum Vandalorumque versah. Baazius’ Gönner versuchten seine Laufbahn weiter zu fördern, stießen aber auf beträchtlichen Widerstand seiner zahlreichen Gegner in der Kirche. Erst 1647, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Baazius in das vakante Bistum Växjö berufen.
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Als Ausgangspunkt seiner Argumentation im ersten Kapitel des „Inventarium“ dient Genesis 10, das als Auftrag an Japhet und Magog, den Westen und Norden Europas (regiones Europae septentrionales et occidentales) zu bevölkern, verstanden wird. Als Grenzflüsse führt Baazius Araxen in Armenia, et Tanain in Sarmatia an, also den Habur, einen Nebenfluss des Euphrat, sowie den Don.104 Die von Magog abstammenden Menschen nannten sich laut Baazius Magogeta und wurden von alten Autoren als Getai oder Gothos aber auch Scythai bezeichnet. Weil der Zusammenhang zwischen Geten und Goten vielen Autoren unbekannt gewesen sei, sprechen diese von Skythen. Geten und Goten seien stammesverwandt, jedoch so zahlreich, dass sie verschiedene Namen tragen. Die Geten leben in den skythischen Regionen, die Goten besiedeln als erste die Insel Scandzia und sind die Ahnen der Schweden. Hier folgt Baazius weitgehend den Vorgaben von Jordanes, Albert Krantz und Johannes Magnus.105 Zu den bemerkenswerten Zügen des sonst mäßig originellen Inventarium zählt der hohe Stellenwert, den Baazius den Alanen zumisst. Er ist weder der erste noch der einzige Gelehrte im frühneuzeitlichen Schweden, der im Rahmen des Gotizismus auch auf die Alanen zu sprechen kommt;106 bei keinem seiner Zeitgenossen aber wird ihre vermeintlich skandinavische Abstammung dermaßen ausführlich und sorgfältig ausgearbeitet. Zunächst bringt Baazius die Alanen durch eine Pliniusstelle mit den Goten in Verbindung. Plinius zählt verschiedene skythische Stämme auf und nennt auch die Geten, Alanen und Rhoxolanen unter ihnen.107 Baazius hat ja schon bewiesen, dass die Skythen und Geten allesamt Goten seien, was folgerichtig auch für die Alanen zu gelten habe. Der Name der von Plinius nach den Alanen genannten Rhoxolanen sei nun erklärbar als Ross Alani, in der Bedeutung „alanischer Reiter“. Somit gehören auch die Rhoxolanen zur großen gotischen Familie.108 Nachdem Geten und Alanen in Verbindung gebracht worden sind, versucht Baazius nun sein Argument weiter zu verstärken. Die Alanen sollen nämlich von den schwedischen (und damit gotischen) Inseln Åland oder Öland, Alandia bzw. Olandia, stammen. Weiter etymologisiert Baazius die schwedischen Orte Roslagen und Trogden mit den Rhoxolanen bzw. der ihm handschriftlich bekannten Form Troxolani. Eine Stelle bei Prokop, die die Alanen als ein gotisches Volk bezeichnet, sowie eine andere, die von gemeinsamen Kriegszügen der Vandalen und Alanen berichten, reichen Baazius aus, um auch diesen antiken Autor als Zeugen für seine These zu vereinnahmen.109 Dass im Folgenden auch Isidors Geschichte der Goten, Vandalen und Sueben wie eine Reihe anderer Autoren bemüht werden, verwundert nicht weiter. Erwähnt werden soll schließlich noch, 104
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Johannes Baazius, Inventarium Ecclesiae Sveo-Gothorum continens integram historiam eccles(siae) Suec(iae) libris VIII descriptam incipienda a vetustate et religione huius gentis in Scandia primo residentis (Linköping 1642) 19; Gn 10, 2–6 und 20–32. Baazius, Inventarium 20: Cumque voces Getharum et Gothorum sint Gentiles, nec alia differentia illarum dari poterit, quam haec sola, quod dicti sunt plerumque; Getae qui habitarunt in orientali plaga Scythiae, Gothi in Scandia prima elegerunt habitationem. Bereits Olaus Magnus führt die Alanen auf der Carta Marina (1534) als eines der aus Scandia hervorgegangenen Völker an. Sein Bruder, Johannes Magnus, De omnibus Gothorum Sueonumque regibus 498, hält einen skandinavischen Ursprung der Alanen gleichfalls für wahrscheinlich und bringt erstmals die Åland-Inseln als mögliche Heimat ins Spiel. Auch Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld XII, 17, vertritt diesen Standpunkt und verwehrt sich ausdrücklich gegen Albert Krantz’ Theorie, der die Alanen von der Saale (à Sala fluvio Saxoniæ) herleiten wollte. Bei Olaus Rudbeck fehlen die Alanen zwar in der Aufzählung skandinavischer Völker im Titel der Atlantica, im Text macht jedoch auch er deutlich, dass er den Ursprung der Alanen ebenfalls auf den ÅlandInseln sieht. Ababa, die Mutter des römischen Kaisers Maximinus Thrax, die gemäß der „Historia Augusta“ alanischer Herkunft gewesen sein soll, wird bei Rudbeck zur Åländerin (Ålänning). Selbst Katalonien (Cath - alonien) soll seinen Namen, Rudbeck zufolge, aus den zusammengesetzten Ethnonymen der Goten und der Åländer erhalten haben. Vgl. Olaus Rudbecks Atlantica. Svenska originaltexten (ed. Axel Nelson, Lychnos-bibliotek 2, Stockholm 1937–50) I, 248; III, 345–346; IV, 189. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird die These von der skandinavischen Herkunft der Alanen in zwei Dissertationen über die Åland-Inseln diskutiert. Vgl. Algoth A. Scarin [praes.]/Laurentius O. Hallborg [resp.], De Alandia Dissertatio Academica […] (Åbo 1730) 22–24; Elias Frondin [praes.]/Christophorus Tärnström [resp.], Specimen historicum De Alandia Maris Baltici Insula […] (Uppsala 1739) 8–11. C. Plinius Secundus, Naturalis historiae 4, 80 (ed. Gerhard Winkler, lat. und deut., Sammlung Tusculum, München/Zürich 1988) 168. Baazius, Inventarium 21: Scytharum gentes sunt Geta, Daci a Romanis dicti, mox Alani et Toxolani (in margine corrigitur Troxolani vel Roxolani) vox Roxolani sonat quasi Ross Alani, id est, Equestres Alani: Nam Ross significat Equuum militarem. Vergleichbare Alanen-Etymologien kursierten im 17. Jahrhundert auch zu den Litauern (Lithalani, Lithvani von Lithui Alani) sowie zu den Vandalen selbst (Vandali von Wendi Alani). Vgl. Christophorus Hartknoch, Alt- und Neues Preussen Oder Preussischer Historien Zwey Theile […] (Frankfurt/Leipzig 1684) 66. Baazius, Inventarium 22: Alani habitarunt primo in Alandia et Olandia, insulis Gothicis. Nec videntur deesse in Sveonia Rox Alani in Roslagen/ Trox Alani in Trogden.
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dass Baazius Hunerich als Gotenkönig bezeichnet, dessen Titulatur rex Vandalorum et Alanorum ein letzter Beweis für die skandinavische Abstammung der Alanen sei.110 Johannes Baazius’ Auftragswerk leistete seiner Königin und ihrem Haus gute Dienste. Nicht nur bestätigte er von neuem den Ruhm der alten Goten und ihre historisch beweisbare Herkunft aus Schweden, er nahm auch noch weitere Völker in die gotische Familie auf und erweiterte die Ehre der schwedischen Monarchen mit zusätzlichen alten Titeln. Denn ein rex gothicus wie Hunerich konnte als unmittelbarer Vorgänger der Vasakönige verstanden werden. Johannes Loccenius: Antiquitatum Sveo-Gothicorum libri tres (1647) Christina (1626–1689), die Tochter Gustav Adolfs, übernahm 1644 als 18-Jährige die alleinige Regierungsgewalt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kanzler Axel Oxenstierna (1583–1654) die Regentschaft geführt. Unter seiner Ägide hatte sich Schweden im Westfälischen Frieden 1648 Vorpommern, Rügen und Bremen gesichert, „wendisches“ Gebiet also, was ein verstärktes Interesse an Spekulationen um den Hintergrund „wendisch-vandalischer“ Identitäten zur Folge hatte. Nach zehn Jahren dankte Christina 1654 gegen den Willen des Reichsrates zugunsten ihres Vetters Karl X. Gustav (1654–1660) ab, anstatt ihn wie geplant zu ehelichen. Christina bemühte sich, Bibliotheken, Sammlungen und die Universität Uppsala auszubauen, wobei erbeutete Buchbestände aus dem Dreißigjährigen Krieg einen nicht unwesentlichen Faktor darstellten. Gleichzeitig wurden Gelehrte und Künstler aus ganz Europa nach Schweden eingeladen. Ab 1634 diente Grotius der schwedischen Monarchie als Botschafter in Frankreich. 1647 kamen Johannes Freinhemius111 als Reichshistoriograph sowie die klassischen Philologen Heinrich Boecler und Johannes Schefferus. 1649 stieß René Descartes zu diesem Kreis, ihm folgten einige Ärzte, Juristen und Staatswissenschaftler. Die Panegyriken der Geförderten nennen die Königin „Pallas, Semiramis oder Sybille des Nordens“.112 1625 hatte der Universitätskanzler Johann Skytte in Leiden zum Holsteiner Gelehrten Johannes Loccenius Kontakt geknüpft, der als erster Nichtschwede einen Lehrstuhl in Uppsala erhielt.113 1647 veröffentlichte er eine schwedische Geschichte in drei Bänden, die „Antiquitatum sveogothicarum libri tres“. Inken SchmidtVoges hat gezeigt, dass Loccenius, verglichen mit seinen gotizistischen Zeitgenossen, einen differenzierten Blick auf die älteste Vergangenheit Schwedens und die Herkunft der Bewohner zu werfen versuchte, obgleich er auf einer Identität der Götar und Goten beharrte. Jedoch fehlt in Loccenius’ Schriften – wie im Übrigen auch bei Messenius – die überhöhende, sinnstiftende Komponente der gotischen Vergangenheit für die Gegenwart des 17. Jahrhunderts. Das vorchristliche Leben in Schweden schilderte er eher kursorisch anhand literarischer Quellen und nutzte gerne Vergleiche mit der antiken Kultur.114 Unsere Problematik betreffend versucht Loccenius zunächst, die ihm bekannten Standpunkte zusammenzufassen. Viele Gelehrte, schreibt er, beharren auf der Unterscheidung von Vandalen einerseits und Vinulern oder Wenden andererseits. Die Vandalen sollen einen germanischen und gotischen Ursprung haben, die Wenden 110 111
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Baazius, Inventarium 25: Legitur etiam Regem Gothicum Hunericum habuisse titulum Vandalorum et Alanorum. Freinshem (1608–1660), der Schwiegersohn von Justus Lipsius, war bereits seit 1642 Professor der Rhetorik in Uppsala. In seiner ins Französische übertragenen Lobrede auf Königin Christina bringt Freinshem – gestützt auf Johannes Magnus – die gotische Abstammung des schwedischen Königshauses. Auf den Vandalentitel wird nicht eingegangen: Harangue Panegyrique à la vertu (et) l’honneur de la Serenis(sime) Princesse (et) Dame Madame Christine, Reyne de Suede, des Goths (et) Wandales (et cetera) faite en latin par M(onsieur) Jean Freinshemius, Prof(essor) Uppsala, et traduite en francais par M. Ionas Hambraeus, Profess(eur) extraord(inaire) du Royes Langues Hebraiques, Syriaqu(e) (et) Arabiq(ue) et predicateur de la Maieste de Svede près des Ambassadeurs, Princes Estrangers (et) de l’Armee Allemande, estant au service de sa Majeste Tres Chrestienne, Paris 1655. Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 293–304, Verena von der Heyden-Rynsch, Christina von Schweden. Die rätselhafte Monarchin (Wien 2000) 145–148; Hans Emil Friis, Königin Christine von Schweden 1626–1689: ein Lebensbild (Leipzig 1899) 165–178. Johannes Loccenius (1598–1677) stammt vermutlich aus Itzehoe in Holstein und erhielt seine universitäre Ausbildung in Helmstedt, Rostock und Leiden. In Uppsala lehrte Loccenius zunächst Geschichte, wechselte aber bereits 1634 auf die juridische Fakultät und erhielt eine Professur für römisches Recht. 1648 wurde er Leiter der Universitätsbibliothek, deren Ausbau wie erwähnt ein königliches Prestigeprojekt war. Er bearbeitete juristische Handbücher, gab mittelalterliche Gesetzessammlungen heraus und fand im Rahmen dieser Tätigkeit auch Gelegenheit, sich seinen historischen Interessen zu widmen Neben den „Antiquitatum sveogothicarum libri tres“ gilt die „Rerum Suecicarum historia“ (1654) als sein geschichtliches Hauptwerk. 1666 war Loccenius Gründungsmitglied des Antiquitätskollegiums. Schmidt-Voges, De antiqua claritate Gothorum 161–166; Ralph Tuchtenhagen, Loccenius, in: BBKL 17 (Herzberg 2000) 864–867; Lindroth, Lärdomshistoria II, 305–307.
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aber slawischer Abkunft sein. Helmold von Bosau habe trotzdem aus den genannten drei Völkern eines konstruiert und einige andere – nicht näher genannte – Autoren auch. Leider bleibt Loccenius in diesem Punkt sehr unpräzise bei seinen Quellenangaben. Er differenziert zwei Standpunkte aus: Manche schreiben, so Loccenius, die Vinuler/Wenden würden von den Vandalen abstammen, andere wiederum behaupten nur, dass die Slawen nach dem Abzug der Vandalen nach Gallien, Spanien und Afrika ihre Siedlungen und Äcker übernommen hätten. Als Beleg für den letzten Punkt wird dann Clüver als Beispiel angeführt.115 Loccenius bringt zudem eine Erklärungsvariante für den Königstitel: Olaus Petri berichte, die Schweden unter ihrem König Harald sollen gemeinsam mit den Dänen unter Hemming im Jahr 800 die sagenhafte Stadt Vineta oder Jumneta, das Zentrum der Vandalen oder Wenden (urbe opulenta Vineta, Vandalorum aut Wendorum tunc metropoli) erobert haben.116 Nun, folgert Loccenius, stehe den dänischen und schwedischen Monarchen das Erbe der Könige von Vineta zu und dadurch auch der wendisch-vandalische Titel.117 Bei der Betrachtung dieser Episode liegt der Gedanke nahe, dass Loccenius die historischen Ereignisse des 12. Jahrhunderts zum Vorbild seiner Vineta-Erzählung nimmt: Analog zur dänischen Eroberung Rügens 1169 soll also bereits um 800 ein erfolgreicher Feldzug im Gebiet des südlichen Ostseeraumes die beteiligten Könige dazu veranlasst und berechtigt haben, den Wendennamen in ihre Titulatur aufzunehmen. Während aber die Eroberungen des 12. Jahrhunderts bekanntlich eine rein dänische Angelegenheit waren, sind bei Loccenius um 800 Schweden und Dänen gleichermaßen an den erfolgreichen Kampfhandlungen beteiligt. Vom schwedischen Standtpunkt aus ein nicht unbedeutender Unterschied, da somit der schwedische Anspruch auf den Wenden- und Vandalentitel ebenso alt und somit ebenso legitim ist wie der des dänischen Nachbarn. Michael Wexionius Gyldenstolpe: Epitome descriptionis Sueciæ, Gothiæ, Fenningiæ et subjectarum provinciarum (1650) Im Rahmen der Bemühungen, das auf Uppsala hin ausgerichtete schwedische Universitätssystem zu dezentralisieren, wurde 1640 in Åbo die erste Universität auf finnischem Territorium eingerichtet.118 Dem antiquarischen Interesse des Gotizismus Folge leistend, widmete sich Michael Wexionius Gyldenstolpe119, der erste Inhaber des Lehrstuhles für Politik und Geschichte in Åbo, unter anderem den Ursprüngen der lokalen Bevölkerung. In seiner „Epitome descriptionis Sueciæ“ kommt er auf eine mögliche Verwandtschaft zwischen Finnen, Wenden und Vandalen zu sprechen und gelangt zu ähnlichen Ergebnissen wie zuvor Johannes Messenius in der „Scondia Illustrata“.120 Während aber Messenius bemüht ist, eine Verwechslung von Wenden und Vandalen mittels klarer Definitionen zu vermeiden, arbeitet Wexionius mit einem schwammigen Vandalenbegriff, der nur unklar und ungenügend von anderen Ethnonymen abgegrenzt wird. Wexionius führt die Vandalen gemeinsam mit u.a. Goten, Langobarden, Hunnen und Herulern als eines jener Völker an, die aus Skandinavien ausgezogen seien121, und befindet sich somit im Einklang mit den unbestrittenen Kernthesen des Gotizismus. Er verweist zudem auf den niederländischen Humanisten Hadrianus Ju115
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Johannes Loccenius, Antiquitatum Sveo-Gothicorum libri tres (Stockholm 1647) 155–158; Philipp Cluver, Germaniae antiquae libri tres (Leiden 1616) 697. Olaus Petri seinerseits stützt sich in seinem Bericht über Vineta auf Albert Krantz (Namensvariante Vineta) sowie auf Helmold von Bosau (Namensvariante Jumneta). Vgl. Lundmark, Redaktionerna 56–57; Nordmann, Wandalia des Albert Krantz 275. Der im Ostseeraum verbreiteten Erzählung von Fall und Untergang der reichen Handelsstadt Vineta, den diesbezüglichen Textquellen und der archäologischen Evidenz widmete sich unlängst Władysław Filipowiak, Wolin – Jomsborg – Vineta, in: Mare Balticum, Østersøen – myte, historie og kunst i 1000 år, ed. Michael Andersen/Nils Engberg (Kopenhagen 2002) 21–34. Loccenius, Antiquitatum Sveo-Gothicorum 156. Bereits 1632 hatte Gustav II. Adolf in Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland, die Academia Gustaviana gestiftet. Michael Olsson Wexionius (1609–1670) wurde in Uppsala, Marburg, Wittenberg, Groningen, Amsterdam und Leiden ausgebildet. Als Protegé von Reichskanzler Oxenstierna und Admiral Gyllenhielm wurde er 1640 als Professor für Politik und Geschichte sowie als Dekan der philosophischen Fakultät an die neugegründete Universität Åbo berufen. 1650 wurde er unter dem Namen Gyldenstolpe geadelt. Im gleichen Jahr erschien eine Kompilation kleinerer Schriften zu Geographie, Politik und Geschichte Schwedens unter dem Titel „Epitome descriptionis Sueciæ, Gothiæ, Fenningiæ et subjectarum provinciarum“. Die „Epitome“ erlangten als Handbuch eine gewisse Popularität und wurden noch 1726 neu aufgelegt. Gustav Löw, Forntid I 128, bezweifelt eine direkte Verbindung zwischen Messenius und Wexionius und schließt aus, dass letzterer die „Scondia Illustrata“ als Vorlage benutzt haben könnte. Michael Olsson Wexionius, Epitome descriptionis Sueciæ, Gothiæ, Fenningiæ et subjectarum provinciarum (Stockholm 1650) II, A3r–A4r.
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nius (1511–1575)122, dessen Ansichten zur Herkunft der Vandalen von Wexionius erstmals in die schwedische Debatte eingebracht werden. Junius hatte in seiner 1588 posthum veröffentlichten Batavia die Herleitung des Vandalennamens von „wandelen“ und die damit verbundene Deutung des Ethnonyms als ambulones zurückgewiesen: „Ich vertrete eher die Ansicht, dass sie [die Vandalen] ihren Namen von den Völkern von Dalarna haben, von wo sie ausgezogen sind, um sich Kolonien zu verschaffen. Es gibt sie nämlich heute noch in jenem Teil Skandinaviens, der Norwegen genannt wird. ... Die Dalcarlii, oder richtiger die Dalecaroli dort sind berühmt für ihre hervorragenden Taten im Krieg; ein sehr streitbares Volk.“123 Bereits Albert Krantz124, Johannes Magnus125 und Olaus Magnus126 hatten auf die außerordentliche Tapferkeit der Bergleute und Bauern von Dalarna hingewiesen. In den Jahren der Kalmarer Union hatten sich die Dalkarlier als besonders erbitterte Gegner der dänischen Unionskönige und als Vorkämpfer der schwedischen Autonomie profiliert. Während des Engelbrekt-Aufstandes (1434) sowie in der Schlacht am Brunkeberg (1471) zählten sie zum harten Kern der antidänischen Opposition. Der besondere Stellenwert der Landschaft Dalarna im Selbstverständnis des frühneuzeitlichen Schwedens kommt deutlich in der von Gustav Vasa 1557 in Auftrag gegebenen Chronik des Bischofs Peder Svart zum Ausdruck, die die Dalkarlier im Gründungsnarrativ des schwedischen Königtums an prominenter Stelle verewigt. Svart berichtet anschaulich, wie der von den Dänen gehetzte Gustav Vasa auf Skiern ins winterliche Dalarna fliehen muss und in den dortigen Bauern treue und zu allem entschlossene Kampfgefährten findet, mit deren Hilfe er Schweden von der Tyrannei Kristians II. zu befreien vermag.127 Wenige Jahre später, beim so genannten Daljunkerupproret von 1527, lässt Svart die Dalkarlier jedoch als unbeugsame und unerbitterliche Aufrührer auftreten, die sich im Glauben, die rechte christliche Lehre verteidigen zu müssen, gegen den König empören.128 Hadrianus Junius scheint sich der außergewöhnlichen martialischen Reputation der Dalkarlier bewusst gewesen zu sein, wenn er sie zu Verwandten der nicht minder kriegerischen Vandalen erhebt. Indem Wexionius diese These des niederländischen Gelehrten übernimmt, gelingt es ihm, erstmals eine konkrete Landschaft als Urheimat der Vandalen zu identifizieren und zudem eine weitere, indirekte Verbindung zwischen dem schwedischen Königtum und den Vandalen anzudeuten.129 Auch in einem späteren Kapitel, De Origine Fennorum, kommt Wexionius auf die Vandalen zu sprechen. Er geht von der nahe liegenden Feststellung aus, dass auch die Finnen zweifellos zu den Abkömmlingen Noahs zu zählen seien. Welchem der Söhne Noahs er sie als Nachfahren zuordnen soll, ist sich Wexionius jedoch nicht sicher. Eine Abstammung von Sem erscheint ihm – ohne sich festlegen zu wollen – als plausibel: „Dass sich auch die Finnen von ihm [Sem] herleiten ist keineswegs absurd. Denn ihm fiel nicht nur der Osten zu, sondern auch die dem Osten zugewandte Hälfte des Nordens, wie unter anderem Clüver anmerkt. An diesem Ort hat der Tanais, die Grenze Europas und Asiens, seinen Ursprung, der im Gotischen einst Wana-Elff genannt wurde und der Wanaheim umgibt, wie Snorri Sturluson vor fünfhundert Jahren niedergeschrieben hat. Es ist nicht abwegig, dass die Waner oder Wäner deshalb Vandalen, Veneder oder Wenden genannt werden. Und da sie ihr Gebiet ausgedehnt hatten, wurden das Meer und die Bucht wegen der Anrainer sinus Venedicus (heute 122 123
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Wexionius, Epitome II, A4r. Hadrianus Junius, Batavia. In qua præter gentis & insulæ antiquitatem, originem, decora, mores, aliaque ad eam historiam pertinentia, declaratur quæ fuerit vetus Batauia […] (Leiden 1588) 371: Quos ego potius a Daliis populis, unde exierunt colonias quaesituri, nuncupatos iudico: extant namque hodie in parte scandiae, quae Noruagia dicitur. ... Egregia quoque militia laude nobiles ibi sunt Dalecarlij, siue Dalecaroli rectius, natio bellicosa .... Krantz spricht von den in Mineris laborantes als einem ferreum genus hominum. Die deutsche Übersetzung des Heinrich von Eppendorff (1558) verdeutlicht, um wen es sich bei jenen grimmigen Minenarbeitern handelt: „Er [Reichsvorsteher Sten Sture der Ältere] hat auch bey ym gehabt die Thalkerle/ welches ein grausam harrt volck/ dz flitschbögen und lange spyessz brauchet.“ Albert Krantz, Chronica und Beschreibung der dreier Königreich Dennemark, Schweden und Norwegen, darinnen meldung geschicht von anfang aller Mittnachtischen Ländern […] (o. O. 1558) III, 300. Johannes Magnus, De omnibus Gothorum Sueonumque regibus 9. Olaus Magnus, Historia de Gentibus Septentrionalibus [...] (Rom 1555) 202. Peder Swart, Konung Gustaf Is krönika (ed. Nils Edén, Stockholm 1912) 10–17. Swart, Krönika, ed. Edén 94–108. Hadrianus Junius scheint seine Kenntnis der skandinavischen Verhältnisse vor allem aus der Oktavausgabe von Johannes Magnus’ Gothorum Sueonumque historia, Basel 1558, bezogen zu haben. Dies würde auch die fälschliche Assoziation der Dalkarlier mit Norwegen erklären. Verglichen mit der ursprünglichen Folio-Edition aus dem Jahr 1554 enthält die bescheidene Ausgabe von 1558 nur eine kursorische Karte Skandinaviens, auf der Dalia nach Westen an die Küste zwischen Norvegia und Gothia gerückt ist, sodass man es als Teil Norwegens missverstehen könnte.
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sinus Fennicus) genannt, wie Ptolemaios und Clüver im 44. Kapitel der Germania antiqua libri tres bezeugen. Ja auch die Bewohner des äußersten Karelien grüßen einander bis heute mit dem Wort Wenno. Und das Land, das einst von den Finnen bewohnt wurde und nun von Moskau beherrscht wird, wird von den Finnen Wanata genannt.“130 Während Messenius unmissverständlich zwischen den Vandalen als Skandinaviern und den Finnen bzw. Wenden als Sarmaten unterscheidet, vermengt Wexionius sämtliche Begriffe mit einer gewissen Unbekümmertheit zu einem unzureichend definierten ethnischen Konvolut. Der Verweis auf Snorri Sturluson, der in seiner „Heimskringla“ die altnordische Götterfamilie der Wanen in einer für ihn charakteristischen euhemeristischen Interpretation am Don angesiedelt hatte,131 dient Wexionius zur Untermauerung seiner These von einer asiatischen Herkunft der Finnen und somit auch der Wenden und Vandalen.132 Somit ergibt sich aus der Lektüre der „Epitome“ der etwas paradoxe Eindruck, dass Wexionius den Ursprung der Vandalen sowohl in Schweden, in Dalarna, als auch, aufgrund der Verbindung zu Wanen, Wenden und Finnen, in Asien lokalisiert. Womöglich lässt sich dieser Widerspruch dadurch erklären, dass es sich bei der „Epitome“ nicht um ein einheitlich konzipiertes Werk, sondern um eine Sammlung kleinerer Abhandlungen handelt, die bei der Überarbeitung und Herausgabe offensichtlich unzureichend aufeinander abgestimmt wurden. Olof Rudbeck: Atlantica (1679–1702) Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kulminierte die geistesgeschichtliche Entwicklung des schwedischen Gotizismus in Olof Rudbecks133 unvollendet gebliebenem Hauptwerk „Atland Eller Manheim“ bzw. in der lateinischen Übersetzung „Atlantica sive Manheim“, dessen erster Band 1679 erschien. Bis zu seinem Tod im Jahr 1702 hatte Rudbeck lediglich die ersten vier Bände seiner als vollständige Geschichte Schwedens konzipierten „Atlantica“ vollendet, wobei das Manuskript des vierten Bandes bei dem verheerenden Brand Uppsalas im gleichen Jahr schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde und nur in Fragmenten herausgegeben werden konnte. Die vorliegenden Bände der „Atlantica“ stellen einen außerordentlich materialreichen Textcorpus von beeindruckendem Umfang dar, wobei die anfangs nachvollziehbare Gliederung und Strukturierung in den späteren Bänden einer weitgehend willkürlichen Aneinanderreihung von Details weicht. Methodisch gesehen wählt Rudbeck eine weitaus vielseitigere Zugangsweise zur schwedischen Frühgeschichte als die älteren Vertreter des Gotizismus. Während jene ihre Ausführungen vorwiegend auf die Werke anerkannter antiker Autoritäten 130 131 132
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Wexionius, Epitome II, F4r. Snorri Sturluson, Heimskringla, ed. Aðalbjarnarson I, 10. Vgl. Klingenberg, Wanderzug 33–34. Die von Wexionius propagierte Lehrmeinung zur finnischen Urgeschichte dominierte bis ins 18. Jahrhundert die historische Forschung an der Universität Åbo. Die strikte Unterscheidung zwischen Vandalen und Wenden/Finnen, die Messenius eingemahnt hatte, wurde zunehmend verwässert. Vgl. auch die weiter unten besprochene Dissertation von Daniel Juslenius, „Aboa vetus et nova“ (1700). Erst der namhafte Historiker Johan Bilmark setzte 1764 einen Schlussstrich unter derartige Spekulationen: „Die Ähnlichkeit der Namen Venedi und Vandali belegt nicht einen gemeinsamen Ursprung dieser Völker. Ebenso wenig stellt die Übereinstimmung der Bezeichnungen Venedi und Fenni ein ausreichendes Indiz dafür dar, dass ihnen die gleiche Herkunft gebührt. Antike Schriftsteller haben die Wenden jedenfalls meist von den Finnen unterschieden.“ Johannis Bilmark [praes.]/Fridericus Collin [resp.], Dissertatio historica de origine fennorum, cujus partem priorem (Åbo 1764) 7. Olof Rudbeck (1630–1702) ist zweifellos zu den wichtigsten Persönlichkeiten der schwedischen Geistesgeschichte der Großmachtszeit zu rechnen. Er begann seine akademische Laufbahn als Arzt und Naturwissenschaftler und schrieb bereits als Zwanzigjähriger Medizingeschichte, als er erstmals die menschlichen Lymphgefäße beschrieb. Rudbeck erhielt die Gelegenheit, diese Entdeckung Königin Christina und ihrem Hof persönlich zu präsentieren und begründete damit seine außerordentliche Reputation. Nach einem längeren Aufenthalt in Holland wurde Rudbeck 1658 als Professor für Medizin an die Universität Uppsala berufen. 1661 erfolgte die Ernennung zum Rektor. Rudbeck galt als außerordentlich belesener Universalgelehrter. Seine Beschäftigung mit schwedischen Altertümern nahm nach eigener Aussage ihren Anfang, als er dem Historiker Olaus Verelius bei der Herausgabe der altisländischen „Hervarar saga“ behilflich war. 1672 begann er mit den Arbeiten an der „Atlantica“, der er sich bis zu seinem Tod widmete. Literatur zu Olof Rudbeck ist weitaus reichhaltiger vorhanden als im Falle der meisten anderen besprochenen Gelehrten. Hervorzuheben sind die aktuellen Studien von David King, Finding Atlantis. A True Story of Genius, Madness, and an Extraordinary Quest for a Lost World (New York 2005) und Gunnar Eriksson, Rudbeck 1630–1702. Liv, lärdom och dröm i barockens Sverige (Stockholm 2002) sowie die Dissertation von Margit Rest, Vergangenheitsepos oder Gelehrsamkeitszeugnis: Olaus Rudbecks Atlantica im Spiegel seiner Zeit (München 1995), die einen Überblick über die ältere Forschung bietet.
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sowie auf etymologische Überlegungen gestützt hatten, machte sich Rudbeck zusätzlich einen breit gefächerten hilfswissenschaftlichen Apparat zunutze: Er wertete die ersten archäologischen Grabungen auf schwedischem Territorium aus, bezog sich mehrfach auf volkstümliche Überlieferungen und ließ zudem seine Erfahrungen als Naturwissenschaftler im Bereich der Biologie und der Botanik in die „Atlantica“ einfließen. Auch inhaltlich geht Rudbeck weit über die seit dem 16. Jahrhundert fest etablierten Prämissen des Gotizismus hinaus. Die berühmte Kernthese der „Atlantica“ lautet: „Die Insel Atlantis wurde nicht von Platon erdichtet, sie ist auch nicht mit Amerika gleichzusetzen, auch nicht mit Afrika, auch nicht mit den Kanarischen Inseln, auch ist sie nicht versunken, sondern sie ist ident mit dem, was heute Schweden genannt wird.“134 Indem er Schweden mit Platons Atlantis und den Inseln der Hyperboreer gleichsetzt, stilisiert Rudbeck seine Heimat zum ältesten Staat der Welt und zur Wiege der europäischen Zivilisation. Angesichts dieser monumentalen Vision treten die Wanderungen der Goten, wie sie Johannes Magnus entworfen hatte, deutlich in den Hintergrund. Die traditionelle Grundthese des Gotizismus, die Auswanderung der Goten und anderer erobernder Völker aus Skandinavien, der vagina gentium, wird von Rudbeck nie bestritten, ihr kommt in seinem Geschichtsbild jedoch lediglich ein untergeordneter Platz zu. Dementsprechend spielen die Vandalen im ersten Band der „Atlantica“ eine minimale Rolle. Rudbeck nennt auf der Titelseite 27 Völker, die aus Atlantis bzw. Schweden ausgezogen sein sollen, wobei er die Vandalen auf die wenig prominente zwanzigste Stelle reiht. Im Text finden sich vereinzelte Erwähnungen, die sich jedoch stets auf eine bloße Nennung des Vandalennamens im Kontext der Goten beschränken.135 1681 erhielt Rudbeck einen aufschlussreichen Brief des ungarischen Orientalisten Gabriel Trusius. Trusius bat Rudbeck um ein Exemplar der „Atlantica“, in der Hoffnung mehr über Vandalen und Ostgoten zu erfahren und auf diese Weise den Widerstandswillen gegen die Osmanen in seiner Heimat stärken zu können: „Der Ruhm der Wissenschaft vermag aber nicht weniger als der mächtige Mars zum Neid der Feinde und zur besonderen Würde des gepriesenen Vaterlandes beizutragen. Ihr werdet den Ruf Eurer außerordentlichen Lehre mehren, wenn sie mit mir bis in unser Vaterland Pannonien gelangt, das, mit der Gnade Gottes, von der mohammedanischen Verderbnis des Ostens wiederhergestellt werden soll. Ich werde dann, wenn ich mich nicht täusche, auch von der wahren Geschichte der Ostgoten und Vandalen erfahren. Dass Ungarn und Slawen zu einem großen Teil von diesen Völkern abstammen, bezeugt die vandalische oder slawische Sprache, die in Ungarn gängig ist, wie auch die anderen Denkmäler der Goten oder Geten in Pannonien.“136 Erst im dritten Band der „Atlantica“ kam Rudbeck ausführlicher auf die Vandalen zu sprechen. Seine diesbezüglichen Stellungnahmen werden Trusius’ Erwartungen kaum entsprochen haben, denn eine Verwandtschaft zwischen Slawen und Vandalen, wie sie dem ungarischen Gelehrten vorschwebt, steht für Rudbeck nicht zur Debatte: „Man muss einzig und allein darauf achten, einen Unterschied zwischen den Wenden und den Wandlar zu machen, wie es Cromerus im 6. Kapitel sehr richtig und schön zeigt. Dies und anderes bedingen, wie bei Helmold und in den Kommentaren der Gelehrten zu ihm ersichtlich wird, dass die Vandalen und die Wenden oder Winden nicht ein und dasselbe Volk sind, denn sie haben unterschiedliche Sprachen, und kommen aus unterschiedlichen Reichen: Die Vandalen stammen aus Schweden und sprachen Schwedisch, die Wenden aber aus Russland und sprachen Slawisch.“137 Rudbecks Geschichtskonzeption kennt lediglich drei Völker, die als Ureinwohner Europas in der Zeit unmittelbar nach der babylonischen Sprachverwirrung gelten können: die Skythen als Stammväter der Schweden in Skandinavien, die Kelten im Westen sowie die Griechen im Süden und Osten. Den Slawen, wie im übrigen auch den Finnen, teilt Rudbeck die weniger prestigeträchtige Rolle der Zuzügler zu, die erst in späterer Zeit von Osten her eingewandert sein sollen.138 134 135 136
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Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson II 15. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson I 22, 40, 53. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson IV 202. Trusius’ Brief findet sich in der so genannten Testimoniensammlung, einer Kollektion von – zumeist positiven – Stellungnahmen schwedischer und ausländischer Gelehrter zur Atlantica. Rudbeck hatte diese Sammlung als eine Art Reklame veröffentlicht. Vgl. Rest, Vergangenheitsepos 170–172. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson III 196. Zur schwedischen Herkunft der Vandalen vgl. auch Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson III, 336. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson I 41, 54–55. Im dritten Band reicht Rudbeck die bislang ausständigen Herrschergenealogien und Zeittafeln nach und nimmt eine Anbindung an die Söhne Japhets vor. Demnach stammen die schwedischen Skythen von Magog ab, die Finnen von Mesech und die Russen von Tubal, dessen Namen die Stadt Tobolsk in Sibirien trägt. Vgl. Rudbeck, Atlantica,
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Während Rudbeck den Wendennamen als ursprüngliche Bezeichnung der Russen und Slawen deutet,139 steht die schwedisch-skythische Herkunft der Vandalen für ihn außer Zweifel. Er bringt sie mit der für ihre archäologischen Ausgrabungen bekannten zentralschwedischen Stadt Vendel in Verbindung und verwendet dementsprechend die schwedische Namensform Wendlar als Alternative zum lateinischen Vandalenethnonym.140 Den vandalischen Königsnamen Gelimer deutet er in einer für ihn charakteristisch gewagten Etymologie als „König der Gieltar“. Gieltar bzw. Geli oder Galli sei Rudbeck zufolge einer der zahlreichen Beinamen der skythischen Schweden, der ihre Herkunft von Gog bezeugt.141 Die Unterscheidung zwischen schwedisch-skythischen Vandalen und slawischen Wenden hat zur Folge, dass Rudbeck den Königstitel in der bestehenden Form rex Suecorum Gothorum Vandalorumque als widersinnig erachtet und somit ablehnt: „Zum anderen sieht man, was das richtige Venden ist, und warum sich unsere Könige noch immer Swears, Göthars och Wenders Konung nennen. In den lateinischen Übersetzungen wird letzteres als Vandali wiedergegeben, obwohl es Venedorum heißen sollte; denn die Vandali sind Schweden.“142 Allerdings bleibt dieser kleine Seitenhieb verglichen mit dem gewaltigen Umfang der „Atlantica“ sehr unauffällig und dürfte kaum wahrgenommen worden sein. DIE VANDALEN ALS GOTISCHER TEILSTAMM MIT EINER SKANDINAVISCHEN HERKUNFT IN DISSERTATIONEN AUS DER ZEIT UM 1700 Gegen Ende der schwedischen Großmachtzeit, somit also in der letzten Blütezeit des frühneuzeitlichen Gotizismus, findet die Beschäftigung mit vandalischer Geschichte erstmals ihren Ausdruck in einer Reihe kleinerer Hochschulschriften. Aus der Zeit um 1700 sind vier Dissertationen bekannt, die sich des Vandalenthemas annehmen.143 Diese Texte bieten einerseits eine resümierende Übersicht über die Debatten der vorangegangenen 150 Jahre, andererseits erlauben sie einen Einblick in die universitäre Alltagspraxis und verdeutlichen, dass der Diskurs über Wenden und Vandalen nicht ausschließlich eine Angelegenheit erstrangiger Geschichtsschreiber wie Johannes Magnus, Messenius oder Rudbeck war, sondern auch weniger prominente Gelehrte mit einbezog. Ingemund Bröms: Vandalorum in Africa Imperium (1697) Der unter dem Präsidiat von Petrus Lagerlööf publizierten dissertatio stellt Ingemund Bröms ein Widmungsgedicht voran, in dem er über die Schwierigkeit klagt, aus den vorliegenden Quellen Klarheit über die
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ed. Nelson III 175–177 sowie Gunnar Eriksson, Atlantica: Its Contents and Relevance for Perceptions of the East, in: In Search of an Order. Mutual Representations in Sweden and Russia during the Early Age of Reason, ed. Ulla Birgegård/Irina Sandomirskaja (Södertörn Academic Studies 19, Huddinge 2004) 97–102. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson III 194–195. Vgl. die Karte bei Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson V Tab. VI, Fig. 14. Die Alternativbezeichnung Wendlar findet sich z. B. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson III 345. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson IV 50. Rudbeck, Atlantica, ed. Nelson III 199. Auch nachdem der Gotizismus der Großmachtzeit seinen Höhepunkt überschritten hatte blieben einschlägige Spekulationen über Vandalen und Wenden sowie deren Verhältnis zu den Goten Gegenstand des universitären Schrifttums. Noch 1755 veröffentlichte Laurent Schillgren unter dem Präsidiat von Johan Amnell eine – ganz in der Tradition des gotizistischen Thesenkanons stehende – Dissertation über die Seezüge Geiserichs nach Griechenland. In den einführenden Kapiteln werden verschiedene geläufige Thesen zur Beziehung von Vandalen und Slawen besprochen. Vandalen und Goten sollen eine gemeinsame Abstammung und Sprache, dieselben Gesetze und kultischen Gebräuche gehabt haben. Betont wird die skandinavische Abstammung der Goten und damit implizit auch die der Vandalen. Schillgren zitiert zunächst Prokop, der die Vandalen ja tatsächlich als „gotisches Volk“ bezeichnet, sowie Grotius’ „Historia Gotthorum“. Außerdem führt er Rodrigez Sanchez, den Bischof von Valencia, mit seiner spanischen Geschichte und Martinus Gallus als Gewährsleute an, die den Ursprung der Goten in Scandia bestätigen. Beide beziehen sich wiederum auf Isidor von Sevilla, der behauptete, Goten, Hypogoten, Vandalen und Hunnen sollen eine Sprache sprechen. Schillgren kommt schließlich zu demselben Schluss wie die Mehrzahl seiner Vorgänger im 17. Jahrhundert: Goten und Vandalen waren im Wesentlichen ident, nur durch ihre Namen ließen sich die beiden gentes unterscheiden. Die Verwechslung von Vandalen und Wenden (Venedi) sei, Schillgren zufolge, ein häufiger Irrtum, wobei sich seine Kritik explizit gegen Albert Krantz richtet. Schillgren räumt lediglich die Möglichkeit ein, dass manche Polen und Russen vandalische Vorfahren haben könnten, ähnlich wie Reste der Markomannen sich mit den Böhmen vermischt hätten. Johan Amnell [praes.]/Laurent Schillgren [resp.], Gizerici Regis Vandalorum in Graecos Expeditio (Uppsala 1755) 2–13, 56–57.
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Beziehung von Wenden und Vandalen zu erhalten: Gens illa fugata est orbe, nec exilii conscia fama manet. Quam grave Martis opus fuerit deducere Vendos, Crede, referre vagos haud minus artis erit.144 Die Herkunft und der Ursprung der Vandalen seien dunkel und zweideutig und so gibt es kaum ein nordisches Volk, welches nicht glaubt, die Vandalen seien aus ihrem Land losgezogen. Denn die Triumphe der Vandalen hefte man sich gerne an die eigenen Fahnen. Bröms ist sich nicht sicher, ob der Vandalenname einen bestimmten Stamm bezeichnete oder für wandernde Goten im Allgemeinen stand. Dass der Vandalenname andauernd mit dem der Veneder und Winden vermengt worden war, erklärt Bröms mit der Neigung der Gelehrten, ähnlich lautende Ethnonyme kurzerhand zusammen zu werfen. Aus den bekannten Quellen sei jedoch erschließbar, dass Vandalen und Wenden ganz verschiedene Sitten und Wohnsitze und zudem eine unterschiedliche Geschichte hatten, sie somit also zweifellos verschiedene Völker seien. Die Veneder sind Slawen und ihr Stammland liegt an der Weichsel, die Vandalen aber stammen sicherlich aus Skandinavien.145 Da die Vandalen der gotischen Völkerfamilie angehörten, argumentiert Bröms, sind sie nicht weniger ruhmreich als die Goten selbst.146 Prokop und Conradus Abbas sollen bezeugen, dass Goten, Visigoten, Gepiden und Vandalen zu den vielen in Skandinavien ansässigen Völkern zählen.147 Noch ein Argument wird ins Treffen geführt: Man sollte laut Bröms nicht vergessen, dass die Vandalen ja im Mittelmeer viele Piratenzüge unternommen hatten. Das lässt natürlich eher auf eine Abkunft aus Skandinavien schließen als vom festen Land der Germania.148 Kritisiert wird bei Bröms dann explizit die in der Fälschung des Pseudo-Berossos enthaltene Idee des Humanisten Annius, der taciteische Thuisco und sein Abkömmling Vandalus sollen am Ursprung der Vandalen stehen. Bröms führt mehrere alternative Erklärungen an: Der lateinische Name Vandalus für die Weichsel könnte seiner Ansicht nach in einem Zusammenhang mit dem Ethnonym stehen. Weiters weiß Bröms von einem Fluss, den die Slawen Banda nennen (Sarmatica voce Banda). Wie Hessel greift auch Bröms auf Grotius zurück und erklärt den Vandalennamen mit vandelen. Auf den Hintergrund dieser Etymologie wird unten eingegangen. Einer Gleichsetzung von Vandalen und Wenden widerspricht Bröms, historisch-kritisch argumentierend, vehement. Diese Gleichsetzung beruhe auf der sprachlichen Ähnlichkeit, die von verschiedenen nicht näher bezeichneten Autoren benutzt wurde, um Bezüge zu konstruieren – ein unmissverständlicher Seitenhieb gegen Albert Krantz. Bröms gesamte Argumentation läuft darauf hinaus, die Vandalen als einen gotischen Teilstamm zu sehen. Andreas Hessel: Dissertatio Historica de Vandalis (1698) Ein Jahr nach Bröms widmete sich Andreas Hessel, der später als Pastor der schwedischen Siedler in Delaware eine gewisse Berühmtheit erlangen sollte, der vandalischen Geschichte. Auch er baut seine Argumentation auf der Verwandtschaft der Vandalen mit den Goten auf: Postquam igitur evictum est, Vandalos Gothici sanguinis esse.149 Albert Krantz wirft Hessel vor, er habe die slawischen Wenden/Winden zu Germanen machen wollen. Im Folgenden versucht er mit Grotius zu argumentieren, der den Vandalennamen als Bezeichnung für wandernde Goten erklärt habe. Vandali wird bei Grotius vom deutschen Verb vandelen hergeleitet. Die Ethnonyme Vandali, Vinduli und Vinuli seien alle als Vagabondi zu verstehen, als Bezeichnungen jener Goten, die aus Scandia kamen und dann ganz Europa in kriegerischen Zügen durchquerten. Die Argumentation findet sich schon im Vandalenlemma des Thesaurus von Emanuel Soarez a Ribeira von 1571: „Vandali, o Vinduli, o Vinuli, che significa Vagabondi è un nome generale à tutti i Goti venuti dalla Scandia; (et) quasi vaganti per l’Europa con le arme in mano. Ancor questo nome anda variando secondo i luoghi: peroche quegli i quali si fermarano alle foci della Vistula, fur detti Venedi, o Veneti, (et) fecero il nome al Geno Venedico nel 144 145
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Petrus Lagerlööf [praes.]/Ingemund Bröms [resp.], Vandalorum in Africa Imperium (Uppsala 1697). Lagerlööf/Bröms, Imperium 17: Ex nostra igitur Scandinavia olim egressos, tam veteris quam recentioris scriptores non obscure testantur, quamquam aliter Cluverius … et Praetorius … sentiant, quorum ille Germanis, hic Sarmatis eos vindicare laborat. Lagerlööf/Bröms, Imperium 21: Nam ex celeberrima Gothorum gente, progeniem non minus celebrem esse Vandalos, et ipsi semet confessi sunt, et ut credamus a nobis haud alienum erit. Lagerlööf/Bröms, Imperium 22: Hyperboreis locis habitasse gentes multas. Lagerlööf/Bröms, Imperium 23. Interessanterweise verwendeten die Herausgeber des Katalogs The True Story of the Vandals dasselbe Argument 304 Jahre später wieder. Vgl. Pontus Hulten, The True Story of the Vandals (Värnamo 2001) 11. Jacobus Arrhenius [praes.]/ Andreas Hessel [resp.], Dissertatio Historica de Vandalis (Uppsala 1698) 3.
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Mar Baltico.“150 Im Verlauf derartiger Wanderungen nahmen die Goten unterschiedliche Namen an: Jene, die sich an der Weichsel (Vistula) niederließen nannten sich eben Venedi oder Venethi und gaben dem Sinus Venedicus in der Ostsee den Namen. In Livland hinterließen sie die urbs Wenden (das heutige Cēsis), in Kurland den Ort Windau (Ventspils) und in Pommern das Herzogtum Wenden (ducatus Vandaliae). Selbst Andalusien wird in die Reihe einbezogen. Implizit bleibt bei Hessels Darstellung der Anspruch des Königs der Goten und Vandalen auf diese Gebiete bestehen. Andreas Goeding Anderson: Historia Prisca Gentis Venedorum (1700) Goeding Anderson bemüht sich, die Verwechslungen und Fehler in Bezug auf Veneder und Vandalen zu klären. Zu Beginn seiner Arbeit wird, wie bereits bei Hessel, Albert Krantz der Vorwurf gemacht, er habe die Vandalen mit Venedern, Sarmaten und Slawen verwechselt.151 Die als Beleg für den Irrtum des Albert Krantz angeführten Autoren sind unter anderem Jordanes und Prokop, Martin Cromer, Matthias Miechoviensis (Maciej von Miechów), David Chytraeus, Johannes Neuwald und Loccenius: Alle diese Schriftsteller sollen eine saubere Trennung zwischen sarmatischen Venedern und gotischen bzw. germanischen Vandalen vorgenommen haben.152 Die in Folge vorgebrachten Argumente sind historisch-kritisch und geeignet, schwedische Machtund Titelansprüche zu legitimieren. Die Slawen seien in Gebiete vorgedrungen, die zuvor von germanischen Stämmen besiedelt waren. Der Sinus Venedicus habe von diesen Einwanderern seinen Namen. Aufgrund dieses Meerbusens sollen nach Anderson die dänischen und schwedischen Könige den Titel eines Wendenkönigs tragen. Die weitere Ausbreitung der Slawen über die Weichsel habe dann bedingt, dass diese sich mit zahlreichen zurückgebliebenen Vandalen vermischt haben sollen. Weiters sei das Slawische dem Germanischen so ähnlich, dass die Vermischung auch dadurch gefördert worden sei. Die zahlreichen gelehrten Verwechslungen von Vandalen und Wenden im Gebiet des Baltikums wie zwischen Dänemark und der Weichsel seien nun dadurch erklärbar.153 Aufgrund dieser Irrtümer sollen nun die nordischen Könige anstelle des Titels eines Herrschers der Wenden den eines Vandalenkönigs tragen. Auch im Gebiet des Kurfürsten von Brandenburg werde diese falsche Bezeichnung für manche Territorien angewandt. Daniel Juslenius: Aboa Vetus et Nova (1700) Am 12. Mai 1700 präsentierte der aus dem Norden Finnlands stammende Daniel Juslenius an der Universität Åbo eine umfangreiche Disputation unter dem Titel „Aboa vetus et nova“.154 Juslenius eigentliche Thematik sind die Topographie, die Geschichte sowie namhafte Baudenkmäler seiner Universitätsstadt.155 Die Frage nach der Ursprung von Åbos finnischem Namen, Turku, veranlasst ihn jedoch zu einem aufschlussreichen Exkurs zur finnischen Urgeschichte: Gemäß der bewährten gotizistischen Methodik stützt Juslenius seine Argumentation auf die Etymologie des Landesnamens. Er setzt die in mittelalterlichen Quellen belegte Bezeichnung Winland mit Finnland gleich und konstatiert: „All das, was in der Geschichte Winland zugeschrieben wird, gebührt rechtmäßiger weise Finnland. … Winland wiederum wird Wänden und Wandalia genannt.“156 „Ich möchte glauben, dass die Vinuli aus diesen Ländern ausgezogen sind; sie sind dasselbe wie die Winili, die Windi, Wendi, Wandali und Wanali. Und diese Bezeichnung leitet sich vom Tanais her, der auf Gotisch Wana genannt wird. Das umliegende Gebiet erhielt daher den Namen Wanaheim, seine Einwohner nannte man Waner, Wäner und Wanaler. Sie hatten ihr Siedlungsgebiet weithin bis zu den Ufern des Sinus Venedicus, der eigentlich Sinus Fennicus heißt. Auf beiden Seiten des Golfes hatten Wenden oder Wandalen gelebt. Von dort 150 151
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Emanuel Soarez a Ribeira, Thesaurus receptarum sententiorum sive communium opinionum (Frankfurt 1568) 458. Johannes Upmark [praes.]/Andreas Goeding Anderson [resp.], Historia Prisca Gentis Venedorum (Uppsala 1700) 4: cum Venedis adeoque Sarmatis Slavisque confundit. Upmark/Anderson, Gentis Venedorum 7: Venedos pro Sarmatica, Vandalos sive Gothica seu Germanica gente constanter habeant. Zumindest der Verweis auf Miechoviensis dürfte unzulässig sein; vgl. zu dessen Standpunkt zum Verhältnis zwischen Wenden und Vandalen Bömelburg, Nationen 76–77. Upmark/Anderson, Gentis Venedorum 50. Leider konnte der Ansicht von der Ähnlichkeit der Sprachen nicht weiter nachgegangen werden. In der Dissertation wird, ohne weitere Angaben, auf den Theologen Daniel Hartnack (Hartnoccius) verwiesen. Als Praeses fungierte Johan Bernhard Munster, von dem jedoch sonst kein Interesse an historischen und topographischen Studien bekannt ist. Schybergson, Studium 27, geht deshalb von Juslenius’ alleiniger Verfasserschaft aus. Vgl. Schybergson, Studium 27–28. Joh[an] Bernh[ard] Munster [praes.]/Daniel D. Juslenius [resp.], Aboa Vetus et Nova (Åbo 1700) 32–33.
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stammen die Kurländer (Curetes), die dem vandalischen Volk angehören, und die Esten (Æsthones), die durch ihre Sprache ihre finnische Herkunft bezeugen. Vom Fluss Wana aber haben die Vandalen ihren Namen, die von den Finnen abstammen. Weil sich all diese nördlichen Völker bei ihrer ursprünglichen Einwanderung aus Asien zweifellos in verschiedene Teile aufgespaltet hatten, unterschieden sie sich dementsprechend durch ihre Sprache.“157 Bis hierher befindet sich Juslenius ganz in der Tradition des Michael Wexionius Gyldenstolpe. Er übernimmt dessen These von einer Verbindung zwischen Wanen, Wenden, Vandalen und Finnen und ergänzt sie durch die explizite Einbeziehung der livländischen Æsthones und Curetes. Hier enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Gyldenstolpe hatte, wie erwähnt, an der skandinavischen Herkunft der Vandalen festgehalten, obwohl er sie nicht glaubwürdig mit seiner Wanaheim-Etymologie vereinbaren konnte. Juslenius führt nun die Argumentation zu Ende und zieht die unvermeidliche Konsequenz: „Wir fügen dem hinzu, dass die Vandalen ihren Ursprung im Norden haben sollen. Dennoch sind sie weder schwedischen noch gotischen Ursprungs, sondern dasselbe wie die Slawen, von deren Sprache behauptet wird, dass sie ihren Ursprung im Finnischen hat.“158 Juslenius wendet sich in einer – insbesonders im Rahmen einer universitären Disputation – bemerkenswerten Unbekümmertheit gegen die etablierte Lehrmeinung. Er löst die Vandalen faktisch aus dem Gedankengebäude des Gotizismus, in dem sie seit Nicolaus Ragvaldi fest verankert gewesen waren. „Aus all dem geht absolut unmissverständlich hervor, dass Winland und Finnland dasselbe sind, und dass die Vandalen und andere Völker verwandten Namens von den Finnen abstammen.“159 Über einen Bezug zu Schweden, oder zu den Goten, verfügen die Vandalen Juslenius zufolge aber nicht. Obwohl er die Atlantica kennt und wiederholt zitiert, setzt sich Juslenius über die Autorität eines Olaus Rudbeck, der den skandinavischen Ursprung der Vandalen ausdrücklich betont hatte, hinweg. Als Gewährsmann zieht Juslenius interessanterweise Albert Krantz heran, dessen Wandalia in der schwedischen Historiographie um 1700, wie aus den anderen zeitgleichen Dissertationen ersichtlich, sonst kaum mehr Zustimmung fand. Es erscheint deswegen gewiss nicht verfehlt, Aboa vetus et nova als Indiz für eine gewisse Eigenständigkeit finnischer Gelehrter zu werten, die – in der Tradition von Michael Wexionius Gyldenstolpe – zu anderen Ergebnissen gelangen als die tonangebenden Kollegen in Schweden. RESÜMEE Mehr als 460 Jahre sind vergangen, seit Gustav Vasa erstmals die Würde eines Königs der Vandalen und eines Königs der Wenden beansprucht hat. Vier Jahrhunderte haben jene beiden – auf den ersten Blick so wenig zueinander passenden – Titel die schwedischen Könige begleitet, und bis heute herrscht keine restlose Klarheit darüber, welche Motive Gustav Vasa und seine Berater dazu veranlasst haben könnten, sich das Vandalenerbe und die Herrschaft über die Wenden auf ihre Fahnen zu heften. Eine kalkulierte Provokation gegen den dänischen Erzfeind oder eine Drohgebärde gegen die krisengeschüttelten Hansestädte? Galt es schlicht und einfach, das gotizistische Selbstverständnis Schwedens durch einen Verweis auf eine weitere frühmittelalterliche gens abzurunden und zu verdeutlichen? Wollte Gustav einen Anspruch auf slawische Territorien am Südufer der Ostsee anmelden, den er Mitte des 16. Jahrhunderts zwar politisch nicht durchsetzen konnte, aber dennoch wohlweislich, für die Zukunft, in seinem Königstitel verewigte? Oder bezog sich der rex Vandalorum doch auf Finnland, wie Matti Klinge behauptet hat, und sollte Schwedens Standpunkt gegenüber etwaigen russischen Expansionsplänen bekräftigen? Jede dieser Erklärungen reicht für sich allein kaum aus, um die Bedeutung des schwedischen Vandalenbzw. Wendentitels in seiner Vielschichtigkeit zu begreifen. Wie der vorangegangene Streifzug durch 150 Jahre schwedische Gelehrsamkeit bewiesen hat, blieb Gustav Vasas Erweiterung seines Titels kein geistesgeschichtlich isolierter Willkürakt. Sobald Wenden und Vandalen ihren Platz in der schwedischen Königstitulatur gefunden hatten, konnten schwedische Gelehrte nicht umhin, sich mit der Vergangenheit und der Genealogie jener beiden Ethnien auseinanderzusetzen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wenden und Vandalen gab Anlass zu einem gelehrten Diskurs von begrenzter, aber keineswegs zu vernachlässigender Intensität. Vergli157 158 159
Munster/Juslenius, Aboa Vetus et Nova 34. Munster/Juslenius, Aboa Vetus et Nova 35. Munster/Juslenius, Aboa Vetus et Nova 36.
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chen mit dem dominierenden Gotennarrativ des schwedischen Humanismus, der bereits früh, beginnend mit Johannes Magnus, Tendenzen zur dogmatischen Kodifizierung entwickelte, blieben die verschiedenen Vandalenhypothesen unpräzise und widersprüchlich. Bis zum Ende der schwedischen Großmachtzeit vermochte sich keine einheitliche und allgemein anerkannte Lehrmeinung zur Beziehung zwischen Wenden und Vandalen durchzusetzen. In Johannes Magnus fand die mittelalterliche Gleichsetzung von Wenden/Slawen und Vandalen – gestützt und vermittelt durch Albert Krantz’ „Wandalia“ – Mitte des 16. Jahrhunderts einen prominenten Anhänger. Auch Olaus Petri versuchte, sich in späteren Überarbeitungsschritten seiner Schwedischen Chronik notgedrungen der Krantz’schen Lehrmeinung anzunähern. Wie aus dem Auftrag Eriks XIV. an Petrus Marsilius ersichtlich, empfand man im Umfeld des schwedischen Hofes den eigenen Wissensstand bezüglich der Wenden/ Vandalen-Thematik als unzureichend und war bestrebt, durch neue, aussagekräftigere Quellen eine präzisere Einordnung und Rechtfertigung des diffusen Königstitels vornehmen zu können. Derartige Bemühungen gingen mit einer graduellen Differenzierung und Präzisierung ethnischer Termini einher, die eine Neuinterpretation des Verhältnisses zwischen Wenden und Vandalen zur Folge hatte. Beginnend mit der Regierungszeit Gustavs II. Adolf und seiner Tochter Christina tendierten schwedische Gelehrte zunehmend dazu, Wenden und Vandalen als separate ethnische Gruppen und als eigenständige historische Akteure aufzufassen. Die führenden schwedischen Autoritäten des 17. Jahrhunderts, Johannes Messenius und Olaus Rudbeck, verwehren sich deutlich gegen eine Gleichsetzung von Wenden und Vandalen; Johannes Loccenius formuliert seine Ansichten etwas vorsichtiger, scheint aber einen ähnlichen Standpunkt zu vertreten.160 Die zunehmende Ablehnung der Krantz’schen Thesen findet auch in den Uppsaler Dissertationen aus der Zeit um 1700 ihren Ausdruck, die routinemäßig polemische Spitzen gegen den Autor der „Wandalia“ enthalten. Ungeachtet dieses merkbaren Umdenkens in der Konzeption von Wenden und Vandalen bleibt die parallele Verwendung von rex Vandalorum und Wendes konung in der schwedischen Königstitulatur unverändert; auch Olaus Rudbecks diskreter Seitenhieb in der „Atlantica“ vermochte an diesem Usus nichts zu verändern. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurden mit dem vandalischen und mit dem wendischen Ethnonym somit deutlich voneinander unterschiedene Bedeutungsinhalte verknüpft. Im Falle der Vandalen betonte die gelehrte Literatur zumeist ihren skandinavischen Ursprung und somit ihre enge Anbindung an die Geschichtskonzeption des Gotizismus. Die Vandalen waren ein Teil von Schwedens ruhmreicher Vergangenheit: als gotischer Teilstamm, als Synonym für wandernde Goten schlechthin (bei Hessel und Bröms, basierend auf Hugo Grotius), als gotisch-skandinavische Siedler in Finnland (bei Messenius) oder als Verwandte der kriegerischen Bewohner von Dalarna (bei Gyldenstolpe). Im Kontext von Schwedens vermeintlichem Gotenerbe hatten sie ihren – wenn auch nur untergeordneten – Platz in der historisierenden Selbstwahrnehmung des frühneuzeitlichen Schwedens, als ein weiterer Beleg dafür, dass das Land zu jeder Zeit imstande war, ruhmreiche Krieger und Eroberer in alle Ecken der Welt zu exportieren.161 Während die Vandalen also als Teil der eigenen Geschichte angesehen wurden, assoziierte man die Wenden stets mit Andersartigkeit und Fremdheit. Die Vielschichtigkeit des wendischen Ethnonyms, die aus den besprochenen Quellen hervorgeht, führt einem unmissverständlich vor Augen, dass die frühe Neuzeit mit völlig anderen Konzepten von Ethnizität und Nationalität arbeitete als die Gegenwart. Die primär sprachlich definierten Identitätskategorien der Moderne – formuliert im 19. Jahrhundert und bis heute ungebrochen in ihrer Bedeutung – können nicht auf die frühneuzeitliche Gelehrsamkeit angewandt werden. Vom schwedischen Standpunkt aus gesehen konnte sich der Wendenname damals auf sämtliche Bewohner der östlichen Ostseeküste beziehen, ungeachtet dessen, ob sie der finno-ugrischen, baltischen oder slawischen Sprachgruppe zugehörig waren. In der gelehrten Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts erscheint das gesamte Gebiet zwischen Finnland 160
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Einzig im Umfeld der Universität Åbo in Finnland finden die Krantz’sche Gleichsetzung von Vandalen und Wenden auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach wie vor Akzeptanz, wie etwa aus der in der Tradition des Michael Wexionius Gyldenstolpe stehenden Dissertation von Daniel Juslenius hervorgeht. Als sekundärer Narrativ neben dem dominierenden gotischen Diskursstrang sind die Vandalen – wie im übrigen auch die Alanen – ein Beleg für die inhaltliche Pluralität des Gotizismus, die von der Forschung bislang zugunsten einer ausschließlichen Beschäftigung mit der primären Gotenthematik vernachlässigt wurde. Die Thematisierung derartiger Randerscheinungen des Gotizismus kann als Forschungsdesiderat für die Zukunft verstanden werden, das zu einem vertiefenden Verständnis frühneuzeitlicher Identitätsmodelle in Skandinavien beitragen kann.
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und Pommern, inter Torne Norrebotnicum, & Saxoniam,162 als vage definiertes wendisches Kontinuum ohne eindeutige Gliederung und Struktur. Es ist nicht die Sprache, die die Bewohner dieses Gebietes verbindet und ihnen in den Augen der schwedischen akademischen Elite eine spezifisch wendische Identität zuweist. Der gemeinsame Nenner, der wendische Ethnizität konstituiert, scheint in diesem Fall vielmehr ihr zweifelhafter Ruf und ihre Konnotation mit vorchristlichen, abergläubischen und barbarischen Praktiken zu sein. Die heidnische Vergangenheit dieser erst vergleichsweise vor kurzem christianisierten Völker ist in Schweden in guter Erinnerung geblieben. Immer wieder bringen die Quellen den Verdacht zum Ausdruck, dass jene unzivilisierten und wilden Menschen nach wie vor im Geheimen ihrem heidnischen Glauben anhingen und der Zauberei und anderen verwerflichen Praktiken verfallen seien. Die estnische Philologin Kristel Zilmer hat in ihrer unlängst vorgelegten Dissertation verdeutlicht, dass Vinðland, das Land der Wenden, in mittelalterlichen skandinavischen Quellen als Interaktionsraum konzipiert ist, in dem Christentum und Heidentum aufeinander treffen.163 Die vorliegenden frühneuzeitlichen Texte legen nahe, eine vergleichbare Semantik des Wendenbegriffs auch für das 16. und 17. Jahrhundert anzunehmen. In den gelehrten Diskursen des frühneuzeitlichen Schwedens bezog sich der Wendenname als Sammelbezeichnung auf alle diejenigen Ostseeanrainer, die als suspekt, barbarisch und zutiefst fremd wahrgenommen wurde und deren aufrichtig christliche Gesinnung in ernste Zweifel gezogen werden musste.164 Obwohl die schwedisch-gotischen Vandalen und die fremden, heidnischen Wenden somit sehr unterschiedlich konnotiert waren, herrschte unter schwedischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts ein breiter Konsens darüber, dass zwischen den beiden ethnischen Gruppen eine gewisse Verbindung bestand. Wenden und Vandalen hatten im Lauf ihrer Geschichte miteinander interagiert, sei es, dass sie einander bekämpft oder einander unterworfen, dass sie sich miteinander vermischt oder verbündet hatten oder dass sie lediglich die gleichen Gebiete besiedelt hatten. Der Reiz der Vandalen/Wenden-Thematik lag nicht zuletzt in der Unklarheit dieses Verhältnisses, die es ermöglichte, die Hypothesen je nach Bedarf zu adaptieren und an den politischen Kontext anzupassen. Besonders nach 1648, als Schweden eine regionale Hegemoniestellung im Ostseeraum erreicht hatte, kam eine diffuse und mehrdeutige Bezugnahme auf heidnische Ostseeanrainer sehr gelegen. Dementsprechend interessiert zeigten sich Gelehrte im Umfeld der Königin Christina und ihrer Nachfolger an dieser Thematik, die zur Rechtfertigung des schwedischen dominium maris Baltici herangezogen werden konnte. Die Aufzählung vandalischer Siedlungen in Livland, Kurland und Pommern, die Hessel in seiner „Dissertatio de Vandalis“ präsentiert, ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie das vandalische bzw. wendische Erbe instrumentalisiert werden konnte, um den schwedischen Herrschaftsanspruch im Ostseeraum zu rechtfertigen. Schwedischen Humanisten ging es also nicht ausschließlich darum, sich noch eine frühmittelalterliche gens einzuverleiben weil es bei den Goten so gut funktioniert hatte und man gar nicht genug erobernde Völker in seiner Ahnenreihe haben konnte. Die Vandalen lediglich als mäßig originellen Abklatsch des Gotennarrativs abzutun, hieße ihre Bedeutung innerhalb des gotizistischen Gedankengebäudes als eigenständiges Motiv mit deutlich abgegrenzten Implikationen zu verkennen. Ausgehend von der lautlichen Ähnlichkeit verknüpften die verschiedenen einschlägigen Theorien gotisch-schwedische Vandalen mit dubiosen, quasi-heidnischen Wenden. Sie überbrückten und relativierten somit den Gegensatz zwischen Vertrautheit und Andersartigkeit, Erobernden und Eroberten, Eigenem und Fremdem. Während die Goten in der schwedischen Selbstwahrnehmung für geradlinige Eroberung und Expansion standen, repräsentierten die Vandalen subtilere Prozesse, die mit modernen Begriffen wie Kolonisation und Akkulturation zu charakterisieren wären.
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Messenius, Scondia, ed. Peringskiöld X, 1. Kristel Zilmer, „He drowned in Holmr’s sea – his cargo-ship drifted to the sea-bottom, only three came out alive“. Records and Representations of Baltic Traffic in the Viking Age and the Early Middle Ages in Early Nordic Sources (Dissertationes philologiae scandinavicae Universitatis Tartuensis 1, Tartu 2005) 302–304. Vgl. Klinge, Östersjövälden 78. Als ikonographische Entsprechung zum Wendennamen ist – wie Matti Klinge und der dänische Heraldiker Nils G. Bartholdy gezeigt haben – der Drache bzw. Lindwurm zu werten. Als Sinnbild des Bösen und Unchristlichen war der Drache im Norden weit verbreitet und galt als Symbol und Wappen all jener heidnischer Völker – u.a. der Slawen und der Finnen – die unter dem Wendenbegriff zusammengefasst werden konnten. Vgl. Klinge, Östersjövälden 101–105; Bartholdy, Vandalorum Gothorum rex 244–247.
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Abb. 1: Epitaph des Johannes Erasmus Grundemann von Falkenberg († 1663), Stift Wilhering/Oberösterreich (ehemals in der Grundemann-Kapelle, heute in der Nordkapelle) Photoarchiv der Arbeitsgruppe Inschriften / Institut für Mittelalterforschung der ÖAW (Photograph: Michael Malina)
Abb. 2: Grabmal der Königin Christina († 1689), Basilica di San Pietro (Photo: Dr. Regina Berndt, privat)
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Abb. 2: Grabmal der Königin Christina († 1689), Basilica di San Pietro (Photo: Dr. Regina Berndt, privat)
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Abb. 3: Auszug von Olaus Magnus’ Carta Marina
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Abb. 4: Waldseemüller-Karte 1516
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STERGIOS LAITSOS
Die Konstruktion der Vlachen von 1640 bis 1720* Univ. Prof. Dr. Evangelos Chrysos zum 70. Geburtstag Die Entdeckung der Vlachen durch die Historiographen des Mittelalters sowie durch ihre Fachgenossen und die Geographen der frühen Neuzeit ging Hand in Hand mit der Erfindung ihrer Herkunft.1 In spätrömischer-frühmittelalterlicher Zeit sind nur relativ kleine romanische Gruppen2 im Alpenraum unter der Bezeichnung V(W)alachen>V(W)alchen>V(W)lachen bekannt gewesen.3 Die Bezeichnung V(W)lac hen4