Vergangenheit als Zukunft?: Geschichtskultur und Strukturwandel im Ruhrgebiet [1 ed.] 9783412525965, 9783412525941


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Vergangenheit als Zukunft?: Geschichtskultur und Strukturwandel im Ruhrgebiet [1 ed.]
 9783412525965, 9783412525941

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Helen Wagner

VERGANGENHEIT ALS ZUKUNFT? Geschichtskultur und Strukturwandel im Ruhrgebiet

Beiträge zur Geschichtskultur begründet von Jörn Rüsen herausgegeben von Stefan Berger, Angelika Epple, Thomas Sandkühler und Holger Thünemann Band 45

Helen Wagner

Vergangenheit als Zukunft? Geschichtskultur und Strukturwandel im Ruhrgebiet

BÖHLAU VERLAG WIEN ⋅ KÖLN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Die vorliegende Dissertation wurde im Oktober 2020 der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen zum Erwerb des Grades Dr. phil. vorgelegt. Die mündliche Prüfung durch die Gutachter*innen Prof. Dr. Markus Bernhardt und Prof. Dr. Ute Schneider fand am 16. April 2021 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Foto und Copyright: Reinhard Krause www.die80er.com Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Druck und Bindung: Hubert & Co BuchPartner, Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52596-5

Inhalt

1.

Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vergangenheit als Zukunft – Einführung in Thema und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Geschichtskultur als Feld – Darlegung der Methode . . . . 1.3 Diskussionen und Standortbestimmungen – Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Zeit und Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Geschichtskultur, Erinnerungskultur und Public History 1.3.3 Ruhrgebiet, Strukturwandel, Strukturbruch . . . . . . . . . . 1.4 Der Weg durch das Feld – Aufbau der Untersuchung . . .

7

1.1

2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2

2.2.3 2.2.4

... ...

7 12

. . . . .

. . . . .

31 31 39 64 74

Das geschichtskulturelle Feld und die Internationale Bauausstellung Emscher Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

Von den Anfängen bis zur Zwischenpräsentation der IBA Emscher Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Zukunftswerkstatt“ – Entstehung, Konzeption und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Bewahren und Gestalten – die Leitprojekte . Zwischen top-down und bottom-up – Das Leitprojekt „Industriedenkmäler als Kulturträger“ . . . . . . . . . . . . Inszenierung einer gestaltenden Bewahrungszukunft – Die Geschichtsausstellung „Feuer und Flamme“ . . . . . Von der Zwischenpräsentation bis zur Abwicklung der IBA Emscher Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion von Zukunftsfähigkeit – die Entwicklung der Leitprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion von Verflechtungen – Institutionalisierungsprozesse im Feld der Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion des Leuchtturms – Zollverein als ‚Zukunftsstandort‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion des Raums – das Ruhrgebiet als Kulturlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

.....

84

. . . . . 85 . . . . . 106 . . . . . 138 . . . . . 160 . . . . . 181 . . . . . 182

. . . . . 212 . . . . . 233 . . . . . 259

6

3.

Inhalt

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Die Produktion von Geschichte als Bedeutung im geschichtskulturellen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Imaginieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inszenieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissen produzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

281 291 345 374 408 450

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

1. Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

1.1 Vergangenheit als Zukunft – Einführung in Thema und Fragestellung Das Auslaufen der staatlichen Subventionen und die Stilllegung der Zeche Prosper Haniel, des letzten noch aktiven Bergwerks des Ruhrgebiets, besiegelten im Jahr 2018 das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus. 1 Dieses als Zäsur wahrgenommene Ende einer Schlüsselindustrie brachte eine Vielzahl geschichtskultureller Projekte hervor, die von einem Bedürfnis nach regionaler Selbstvergewisserung zeugen. In Anlehnung an die traditionelle Manier, dem Bergmann für eine ergiebige Schicht und seine gesunde Wiederkehr von der Arbeit unter Tage ‚Glückauf‘ zu wünschen, versammelten sich unter dem programmatischen Titel „Glückauf Zukunft“ 2 eine Vielzahl von Projekten, die der Region gleichsam eine gesunde Wiederkehr für eine prosperierende Zukunft nach dem Ende des Bergbaus wünschten. Der Blick in die Zukunft der ehemaligen Bergbauregion war von einem Rückblick in ihre Vergangenheit bestimmt. Diese Form der historischen Selbstvergewisserung reiht sich ein in eine Entwicklung der geschichtskulturellen Landschaft, die nicht nur im Ruhrgebiet eine häufig als ‚Geschichtsboom‘ bezeichnete Konjunktur der Beschäftigung mit der Vergangenheit hervorgebracht hat. Die ‚Geschichtsversessenheit‘ der westlichen Industriestaaten seit den 1970er Jahren ist nicht nur ein zentraler Gegenstand der geschichtsdidaktischen For-

1 Neben Prosper Haniel wurde 2018 mit der Zeche Ibbenbüren auch das letzte, bis dahin noch aktive deutsche Steinkohlenbergwerk außerhalb des Ruhrgebiets stillgelegt. 2 Unter dem Titel „Glückauf Zukunft!“ förderte die RAG-Stiftung in Kooperation mit der RAG Aktiengesellschaft, der Evonik Industries AG und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) von 2015 bis 2018 zahlreiche Projekte, die sich mit dem Auslaufen der Steinkohlesubventionen und dem Ende des Steinkohlenbergbaus auseinandersetzten; vgl. RAG-Stiftung (Hg.): Glückauf Zukunft! Alle Veranstaltungen rund um das Ende des Steinkohlenbergbaus, Düsseldorf 2018; dies.: Glückauf Zukunft, URL: https://www.glueckauf-zukunft.de/ [letzter Zugriff: 2. Jul. 2020].

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Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

schung. 3 Als ‚Memory-Boom‘ hat sie auch die Aufmerksamkeit einer kulturwissenschaftlich orientieren Geschichtswissenschaft auf sich gezogen und wurde zum zentralen Forschungsgegenstand der sich im deutschsprachigen Raum seit gut fünfzehn Jahren als Forschungsfeld formierenden Public History erklärt. 4 Im Ruhrgebiet bezieht sich die boomende Beschäftigung mit der Vergangenheit – nicht nur, aber vor allem – auf seine industrielle Geschichte. Die geschichtskulturelle Forschung zur Region macht hierfür den „Verlust angestammter Lebens- und Arbeitswelten“ 5 und die damit einhergehenden „Krisenerfahrungen des zu Ende gehenden Industriezeitalters“ 6 als Gründe aus. Die Musealisierung der industriellen Vergangenheit der Region stelle in dieser Lesart die „kulturelle Kompensation des real erfahrenden und sich beschleunigten [sic] Strukturwandels“ dar und symbolisiere den „Phantomschmerz des langen, nunmehr schon ein halbes Jahrhundert andauernden Abschiedes vom klassischen Industriezeitalter“ 7. Hier klingt deutlich die Kompensationsthese Hermann Lübbes an, die

3 Zur Diagnose einer „Geschichtsversessenheit“ und „Geschichtsbesessenheit“ seit den 1980er Jahren vgl. Korff, Gottfried: Die Popularisierung des Musealen, in: Fliedl, Gottfried (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 9–23, S. 10; Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999. S. 10 f. Als Überblick zu Geschichtskultur als Gegenstand der Geschichtsdidaktik vgl. beispielweise Ziegler, Béatrice: Einleitung, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 16 (2017), S. 5–16. 4 Vgl. Zündorf, Irmgard: Zeitgeschichte und Public History. Version 2.0, 2016 (6. Sep. 2016), URL: http://docupedia.de/zg/Zuendorf_public_history_v2_de_2016 [letzter Zugriff: 19. Feb. 2018]; Demantowsky, Marko, et al.: „Public History“. Aufhebung einer deutschsprachigen Debatte? 3 (2015) 2; Demantowsky, Marko: Geschichtskultur und Erinnerungskultur. Zwei Konzeptionen des einen Gegenstands. Historischer Hintergrund und exemplarischer Vergleich, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 33 (2005) 1–2, S. 11–20, S. 12. Für weitere Literatur vgl. die ausführliche Diskussion der entsprechenden Forschungsdiskussion in Kapitel 1.3.2. 5 Grütter, Heinrich Theodor: Klio an der Ruhr. Geschichtskultur im Ruhrgebiet, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.), Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, Essen 2007, S. 234–245, S. 243. 6 Ders.: Klio an Ruhr und Emscher. Geschichtskultur im Ruhrgebiet, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 7 (2017) 2, S. 15–24, S. 20. 7 Ders. (2007), S. 243 und ebenso in der leicht überarbeiteten Version ders. (2017), S. 21. Die Perspektive prägt auch neuere Forschungsprojekte, so etwa das bis 2018 geförderte Projekt „‚Please fill the gap‘ – (Industrie)Kultur als postindustrieller Platzhalter?“, das im Rahmen des von der RAG-Stiftung am Deutschen Bergbaumuseum finanzierten Forschungsprojekts „Vom Boom zur Krise: Der deutsche Steinkohlenbergbau nach 1945“ danach fragte, „welche unterschiedlichen Strategien angewendet werden, um die entstandene Lücke – symbolisch und faktisch – zu füllen“; vgl. die Projektbeschreibung unter https://www.bergbaumuseum.de/forschung/forschungsprojekte/projekt-detailseite/please-fill-the-gap-industriekultur-als-postindustriellerplatzhalter [letzter Zugriff 02. Jul. 2020].

Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

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seit den 1980er Jahren eine zentrale Rolle in der Analyse des steigenden Interesses an Geschichte einnimmt. 8 Mit Lübbe ist die Erklärung für den Geschichtsboom darin zu suchen, dass sich die Zeitspanne, in der man in allen wesentlichen Lebensbereichen mit „einigermaßen konstanten Lebensverhältnissen rechnen“ 9 könne, in der Moderne in immer schnellerem Tempo verkleinert habe. Dieser von ihm als ‚Gegenwartsschrumpfung‘ bezeichnete Vertrautheitsschwund müsse durch die Beschäftigung mit der „fremd gewordenen Vergangenheit“ 10 kompensiert werden. Diese auf einer Zeitdiagnose basierende These Lübbes ordnet sich in eine ganze Reihe einflussreicher Zeitdiagnosen aus den Bereichen der Soziologie, der Kulturwissenschaften und verwandter Disziplinen ein, die seit den 1970er Jahren einen Wandel im Zeitregime der ausgehenden Moderne diagnostizieren. Mit variierenden Schlussfolgerungen stimmen diese Zeit8 Vgl. zum Einfluss in den 1980er Jahren Demantowsky (2005), S. 12; aber auch noch 2010 als Erklärung des Geschichtsbooms in der ersten Version des Docupedia-Zeitgeschichte-Artikels Zündorf, Irmgard: Zeitgeschichte und Public History. Version 1.0, 2010 (11. Feb. 2010), URL: http://docupedia.de/zg/Zuendorf_public_history_v1_ de_2010 [letzter Zugriff: 19. Feb. 2018]; als weitere Beispiele vgl. z. B. Saupe, Achim: Berührungsreliquien. Die geschichtsreligiöse Aufladung des Authentischen im historischen Museum, in: Eser, Thomas, et al. (Hg.), Authentisierung im Museum. Ein Werkstatt-Bericht, Mainz 2017, S. 45–58, S. 46; Cornelißen, Christoph: Erinnerungskulturen, in: Bösch, Frank / Danyel, Jürgen (Hg.), Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden, Göttingen 2012, S. 166–184, S. 172 f.; Bösch, Frank: Umbrüche in die Gegenwart. Globale Ereignisse und Krisenreaktionen um 1979, in: Zeithistorische Forschungen 9 (2012) 1, S. 8–32, S. 30; Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009, S. 655 f.; Wirsching, Andreas: Abschied vom Provisorium. 1982–1990, München 2006, S. 472; Wolfrum, Edgar: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2001, S. 128. Auf das Ruhrgebiet bezogen neben Grütter auch Goch, Stefan: Eine Region im Kampf mit dem Strukturwandel. Bewältigung von Strukturwandel und Strukturpolitik im Ruhrgebiet, Essen 2002, S. 454; Bolenz, Eckhard / Karabaic, Milena: Technikgeschichte im Ruhrgebiet und das Rheinische Industriemuseum. Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten, in: Rasch, Manfred / Bleidick, Dietmar (Hg.), Technikgeschichte im Ruhrgebiet, Technikgeschichte für das Ruhrgebiet. Festschrift für Wolfhard Weber zum 65. Geburtstag, Essen 2004, S. 112–127, S. 118 und wenn auch deutlich differenzierend Engelskirchen, Lutz: Der lange Abschied vom Malocher. Industriearchäologie, Industriekultur, Geschichte der Arbeit, und dann? Ein kleiner Exkurs, in: Rasch, Manfred / Bleidick, Dietmar (Hg.), Technikgeschichte im Ruhrgebiet, Technikgeschichte für das Ruhrgebiet. Festschrift für Wolfhard Weber zum 65. Geburtstag, Essen 2004, S. 135–154, S. 137 sowie als Erklärung für das Scheitern der Durchsetzung einer nicht verklärenden Laien-Historiographie zum Ruhrgebiet bei Abeck, Susanne / Schmidt, Uta C.: 25 Jahre „Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher“. Eine Initiative für die Geschichtskultur, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 7 (2017) 2, S. 9–14, S. 13. 9 Lübbe, Hermann: Der Fortschritt von gestern. Über Musealisierung und Modernisierung, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 13–38, S. 20. 10 Ebd.

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Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

diagnosen in der Feststellung eines „fundamentalen Bruchs moderner Zeitregime in der jüngsten Vergangenheit“ 11 überein. Die Vorstellung einer linear fortschreitenden, gestaltbaren und tendenziell auf Fortschritt ausgerichteten Zukunft sei zugunsten der Vorstellung einer sowohl Zukunft als auch Vergangenheit absorbierenden ‚breiten‘ oder ‚erstreckten‘ Gegenwart verloren gegangen. 12 Während die Beschleunigungserfahrung der Moderne und Umbrüche in den Zeitlichkeitsvorstellungen an der Schwelle des Übergangs von Früher Neuzeit zum 19. Jahrhundert in der Geschichtswissenschaft eingehend thematisiert wurden, sind diese jüngsten Zeitlichkeitsumbrüche bisher erst vereinzelt zum Gegenstand einer historisierenden Analyse gemacht worden. 13 Weniger in historisierender als vielmehr in begründender Absicht sind sie aber immer wieder zur Erklärung des seit den 1970er Jahren zu beobachtenden Geschichtsbooms herangezogen worden. Beschleunigung, Kompensation von Gegenwartsschrumpfung sowie der mit dem Bruch im modernen Zeitregime verbundene Verlust des Glaubens an eine sichere und gestaltbare Zukunft wurden und werden vielfach als Erklärung für die boomende Hinwendung zur jüngsten Vergangenheit in den westlichen Industriestaaten im Allgemeinen und im Ruhrgebiet im Speziellen angeführt. 14 So lässt sich mit To11 Geppert, Alexander C. T./Kössler, Till: Zeit-Geschichte als Aufgabe, in: Geppert, Alexander C. T./Kössler, Till (Hg.), Obsession der Gegenwart. Zeit im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 7–36, S. 9. 12 Für eine Zusammenfassung der einflussreichsten Zeitdiagnosen von Autor*innen wie Hermann Lübbe, Hartmut Rosa, Hans Ulrich Gumbrecht, Aleida Assmann und Helga Nowotky vgl. ebd.; Esposito, Fernando: Von no future bis Posthistoire. Der Wandel des temporalen Imaginariums nach dem Boom, in: Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz / Schlemmer, Thomas (Hg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 393–423; Esposito, Fernando: Zeitenwandel. Transformation geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, eine Einführung, in: Esposito, Fernando (Hg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017b, S. 7–62. 13 Eine entsprechende Auseinandersetzung forderten beispielsweise Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 22010, S. 31 oder Hunt, Lynn: Measuring Time, Making History, Budapest / New York 2008, S. 5. Erste produktive Versuche, dieses Desiderat aufzuarbeiten, haben unter anderem Bände wie Esposito, Fernando (Hg.): Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017 oder Geppert, Alexander C. T./Kössler, Till (Hg.): Obsession der Gegenwart. Zeit im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015 unternommen; für den Forschungskontext dieses Projekts außerdem besonders interessant Becker, Tobias: Rückkehr der Geschichte? Die „NostalgieWelle“ in den 1970er und 1980er Jahren, in: Esposito, Fernando (Hg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 93– 118; als Forschungsüberblick vgl. auch Rothauge, Caroline: Es ist (an der) Zeit. Zum „temporal turn“ in der Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 305 (2017) 3, S. 729–746. 14 Vgl. die in Kapitel 1.1, Anm. 8 genannte Forschungsliteratur sowie als weitere Beispiele Herbert, Ulrich: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014,

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bias Becker zuspitzend sagen, dass das gestiegene Interesse an Geschichte „heute noch genauso erklärt wird, wie in den siebziger und achtziger Jahren“ 15 – mithilfe von Erklärungsmustern, die „ganz offensichtlich in der Tradition von Hermann Lübbe“ stehen. In der vorliegenden Untersuchung sollen diese gängigen Erklärungsmuster hinterfragt und historisiert, also vom Explanans zum Teil des Explanandums gemacht werden. Anstatt zeitgenössische Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsvorstellungen weiterhin als Erklärung eines beobachtbaren Geschichtsbooms vorauszusetzen, sollen sie selbst zum Gegenstand der Beobachtung werden, indem sie als Argumentations- und Legitimationsmuster geschichtskultureller Akteur*innen sichtbar gemacht werden. Am Beispiel des Ruhrgebiets untersuche ich, wie Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln 16 von unterschiedlichen Akteur*innen fruchtbar gemacht wurde, um die radikale Kontingenzerfahrung des struktuS. 1013; Bösch (2012), S. 29 f.; Conze (2009), S. 654; Nolte, Paul: Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenmedien und Publikum. Ursachen, Chancen und Grenzen, in: Barricelli, Michele / Hornig, Julia (Hg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main [u. a.] 2008, S. 131–146, S. 134 f.; Hartog, François: Time and Heritage, in: Museum International 57 (2005) 3, S. 7–18, S. 14; Hockerts, Hans-Günter: Zugänge zur Zeitgeschichte. Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Jarausch, Konrad H./Sabrow, Martin (Hg.), Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt am Main / New York 2002, S. 39–73, S. 60. 15 Becker (2017), S. 113, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 16 Mit Jan-Hendryk de Boer wird „Zukunftshandeln“ hier verstanden als „jene körperlichen, sprachlichen, dinglichen und zeiträumlichen Arrangements [. . . ], in denen die erwartete Wirkung der Praktik nach dem Verständnis der beteiligten Akteur*innen zeitlich über die jeweilige Handlungssituation hinausreicht oder erst nach dieser eintritt. Die erwartbaren Wirkungen derartigen Tuns erstrecken sich in Vollzug und / oder Wirkung von der Gegenwart der Handelnden in eine Zukunft, von der angenommen wird, dass sie anders sein kann als die Gegenwart, dass also Kontinuitäten gefährdet sind oder allererst geschaffen werden müssen, um Erwartbarkeiten zu garantieren. Durch das Gestalten von Zukunft werden wahrscheinliche Ereignisverläufe festgelegt, unerwünschte Zukünfte verhindert und damit die unaufhebbare Kontingenz von Zukunft zwar nicht aufgehoben, wohl aber performativ, diskursiv und epistemisch bewältigbar gemacht.“ Boer, Jan-Hendryk de: Praktiken, Praxen und Praxisformen. Oder: Von Serienkillern, verrückten Wänden und einer ungewissen Zukunft, in: Boer, Jan-Hendryk de (Hg.), Praxisformen. Zur Erforschung kultureller Logiken menschlichen Handelns, Frankfurt am Main 2019, S. 21–43, S. 33. Für Praktiken, die als „Zukunftshandeln“ bezeichnet werden, gilt, „dass die Ausrichtung auf eine Zukunft, die durch deren Vollzug geformt werden soll, konstitutiv für die zeitliche Sequenzierung der Teilhandlungen und deren Relation zur erwarteten Wirkung ist. Insofern die Zukunft als ungewiss angenommen wird, also von einer Mannigfaltigkeit möglicher künftiger Zustände und Ereignisse ausgegangen und unterstellt wird, dass diese sich von dem Vertrauten der Gegenwart erheblich unterscheiden können, erwächst jenen als Zukunftshandeln zu deutenden Praktiken die Funktion, diese Ungewissheit zu minimieren. Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass die Gegenwart durch das Erzeugen von Kontinuität oder Stabilität gleichsam in die Zukunft verlängert werden soll und so künftige Ereignisse und Zustände den rezenten

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Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

rellen Wandels der westlichen Industriestaaten im Allgemeinen und des Ruhrgebiets im Besonderen zu managen. Damit wird nicht nur ein Beitrag zur Erforschung des Strukturwandels im Ruhrgebiet geleistet, sondern es werden gleichermaßen übergreifende Fragen zum seit nunmehr fünf Jahrzehnten erklärungsbedürftigen Geschichtsboom sowie nach der theoretischen Konzeption und empirischen Untersuchung von Geschichtskultur adressiert. Mit einem analytischen Fokus auf die Zeit- und Zukunftsvorstellungen der beteiligten Akteur*innen wird dem zuvor beschriebenen Vorhaben einer historisierenden Analyse gängiger Erklärungsmuster des Geschichtsbooms Rechnung getragen. Um diesen Forschungsfragen nachzugehen, konzipiere und untersuche ich Geschichtskultur mit Rückgriff auf die Praxistheorie Pierre Bourdieus als soziales Feld. Im Folgenden werden die hierfür zugrunde gelegte Methode entwickelt und davon ausgehend die Quellenauswahl begründet.

1.2 Geschichtskultur als Feld – Darlegung der Methode Die Praxistheorie hat jüngst verstärkt Einzug in die Erforschung öffentlicher Repräsentationen von Geschichte gehalten. So schlagen Stefanie Samida, Sarah Willner und Georg Koch unter dem „Konzept des doing history“ 17 ein praxistheoretisch perspektiviertes Verständnis von Public History vor. Mit ihrem akteurszentrierten Ansatz, der auf Überlegungen Bourdieus und dem Praxisbegriff von Andreas Reckwitz aufbaut, wollen sie „diskursive und performative Prozesse kenntlich“ 18 machen und „die Herstellung von Bedeutung im Vollzug von Handlungen [. . . ], bei der alle Anwesenden, aber auch Dinge und Atmosphären, mitwirken“ in den Fokus rücken. An diese Ziele möchte ich in dieser Untersuchung anknüpfen, allerdings ohne eine gleichermaßen deutliche Fokussierung auf die „sinnlichen Vergegenwärtigungen von Vergangenheit“ 19 vorzunehmen, wie sie

möglichst ähnlich sein sollen, zum anderen dadurch, dass die Möglichkeit alternativer Ereignisverläufe als Chance begriffen wird, eine Zukunft zu schaffen, die in wesentlichen Parametern anders ist als Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit.“ ders. (2019), S. 34. Zur Definition von Praktiken siehe Kapitel 1.2, Anm. 74. 17 Samida, Stefanie / Willner, Sarah / Koch, Georg: Doing History, Geschichte als Praxis. Programmatische Annäherungen, in: Willner, Sarah / Koch, Georg / Samida, Stefanie (Hg.), Doing History. Performative Praktiken in der Geschichtskultur, Münster / New York 2016, S. 1–25, S. 6 (H. i. O.). Mit ihrem Konzept wollen die Autor*innen „einen Beitrag für die gegenwärtige und im besten Falle auch zukünftige Public History“ leisten. 18 Ebd., S. 5. Ebenso unmittelbar folgendes Zitat. 19 Ebd., S. 2.

Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

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etwa in der Praxis der Living History zum Ausdruck kommen. 20 Während diese Praxis für die Autor*innen mit Bezug auf Hans Ulrich Gumbrecht auf „eine Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, Intensität und Greifbarkeit – kurz: nach Präsenz – in unserer breiten Gegenwart“ 21 verweist, möchte ich dafür plädieren, derartige Gegenwarts- und Zeitdiagnosen gerade nicht als Erklärungsfaktor der zu untersuchenden Praktiken vorauszusetzen. 22 Vielmehr sollte die diskursive Funktionalisierung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen im geschichtskulturellen Feld selbst Gegenstand der Analyse sein, um zu zeigen, wie Geschichte als Bedeutung ausgehandelt wird. Um deutlich zu machen, welche Erkenntnispotenziale die von mir vorgeschlagene praxistheoretische Weiterentwicklung der Geschichtskulturforschung eröffnet, skizziere ich zunächst kurz die Genese des Begriffs ‚Geschichtskultur‘. 23 Diese Genese ist nur im Zusammenhang mit dem in der Geschichtsdidaktik zentralen Konzept des „Geschichtsbewusstseins“ zu verstehen. Bereits 1976 auf dem Mannheimer Historikertag zum zentralen Gegenstandsbereich der Geschichtsdidaktik erklärt, 24 definierte Karl-Ernst Jeismann Geschichtsbewusstsein „in einem sehr allgemeinen Sinne als das Insgesamt der unterschiedlichsten Vorstellungen von und Einstellungen

20 Die dem Band vorausgehende Tagung wurde ausgerichtet von einer von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forscher*innengruppe zur Living History. Vgl. die im Rahmen des Projekts entstandenen Arbeiten Koch, Georg: Funde und Fiktionen. Urgeschichte im deutschen und britischen Fernsehen seit den 1950er Jahren, Göttingen 2019; Willner, Sarah: Geschichte en passant. Archäologisches Themenwandern in den Alpen als wissenskulturelle Praxis, Münster 2017. 21 Samida / Willner / Koch (2016), S. 2. 22 Außerdem gilt es, die von den Autor*innen vorgeschlagene Analyse des Doing History anhand von kulturwissenschaftlich einflussreichen Begriffspaaren konzeptionell zu erweitern. Als Herausgeber*innen ordnen Samida, Willner und Koch die Beiträge ihres Tagungsbands nach den Begriffspaaren „Körper_Emotion“, „Erlebnis_Raum“ und „Ding_Bedeutung“, womit sie die einflussreichsten kulturwissenschaftlichen Turns der letzten Jahre abbilden. Für einen Vorschlag zu einer alternativen Kategorisierung eines praxistheoretisch ausgerichteten Zugriffs siehe neben den in diesem Kapitel gemachten Ausführungen insbesondere Kapitel 3. 23 Zur Geschichte des Begriffs „Geschichtskultur“ vgl. jüngst auch Gundermann, Christine, et al.: Schlüsselbegriffe der Public History, Göttingen 2021, S. 123–126. Diese und andere Publikationen, die nach Einreichung dieser Untersuchung als Dissertationsschrift an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen im Oktober 2020 erschienen sind, konnten für die vorliegende Druckfassung nur noch vereinzelt ergänzend berücksichtigt werden. 24 Vgl. dazu auch Deile, Lars: Didaktik der Geschichte. Version 1.0, 27. 01. 2014 (27. Jun. 2015), URL: http://docupedia.de/zg/Deile_didaktik_v1_de_2014 [letzter Zugriff: 1. Dez. 2017].

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zur Vergangenheit“. 25 Die Geschichtsdidaktik beschäftige sich mit dem Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft sowohl in seiner Zuständlichkeit, den vorhandenen Inhalten und Denkfiguren, wie in seinem Wandel, [. . . ] auf allen Ebenen und in allen Gruppen der Gesellschaft sowohl um seiner selbst willen wie unter der Frage, welche Bedeutung dieses Geschichtsbewußtsein für das Selbstverständnis der Gegenwart gewinnt 26.

Rolf Schörken, der den von Jeismann gemachten Definitionsvorschlag aufgriff, sah die Aufgabe der Geschichtsdidaktik ebenfalls nicht nur in der schulischen Bildung, sondern in der Untersuchung von „Formen der Geschichtsrezeption in der Gesellschaft und deren Auswirkungen“ 27, insbesondere im Alltag. Deutete sich hier bereits Ende der 1970er Jahre das Konzept der „Geschichtskultur“ an, war es vor allem Jörn Rüsen, der den Begriff zu Beginn der 1990er Jahre prägte. 28 In Abgrenzung zum individuellen Geschichtsbewusstsein entwarf er Geschichtskultur als eine auf die kollektive Aushandlung von Geschichte bezogene Kategorie: Fachwissenschaft, schulischer Unterricht, Denkmalpflege, Museen und andere Institutionen werden über ihre wechselseitigen Abgrenzungen und Unterschiede hinweg als Manifestationen eines übergreifenden gemeinsamen Umgangs mit der Vergangenheit in Augenschein genommen und diskutiert. ‚Geschichtskultur‘ soll dieses Gemeinsame und Übergreifende bezeichnen. Sie rückt die unterschiedlichen Strategien der wissenschaftlichen Forschung, der künstlerischen Gestaltung, des politischen Machtkampfes, der schulischen und außerschulischen Erziehung, der Freizeitanimation und anderer Proze-

25 Jeismann, Karl-Ernst: Didaktik der Geschichte. Die Wissenschaft von Zustand, Funktion und Veränderung geschichtlicher Vorstellungen im Selbstverständnis der Gegenwart, in: Kosthorst, Erich (Hg.), Geschichtswissenschaft. Didaktik, Forschung, Theorie, Göttingen 1977, S. 9–33, S. 12 f. 26 Ebd., S. 12. 27 Schörken, Rolf: Geschichte im Alltag. Über einige Funktionen des trivialen Geschichtsbewußtseins, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 30 (1979), S. 73– 88, S. 73. 28 Auftakt war der anlässlich eines für Karl-Ernst Jeismann veranstalteten Symposiums gehaltene Vortrag „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir heute (noch) Geschichtsdidaktik?“, publiziert in Rüsen, Jörn: Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir heute (noch) Geschichtsdidaktik?, in: Geschichte lernen 4 (1991) 21, S. 14– 19 und ders.: Geschichtsdidaktik heute. Was ist und zu welchem Ende betreiben wir sie (noch)?, in: Hinrichs, Ernst / Jacobmeyer, Wolfgang (Hg.), Bildungsgeschichte und historisches Lernen. Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Prof. Dr. KarlErnst Jeismann. Braunschweig, 19.–21. September 1990, Frankfurt am Main 1991, S. 9–23. Schon vorher findet sich der Begriff aber in Pellens, Karl / Quandt, Siegfried / Süssmuth, Hans (Hg.): Geschichtskultur, Geschichtsdidaktik. Internationale Bibliographie, Paderborn / München 1984.

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duren der öffentlichen historischen Erinnerung so in den Blick, daß sie alle als Ausprägungen einer einzigen mentalen Kraft begriffen werden können. 29

Rüsen definierte Geschichtskultur daher als „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewußtsein in der Gesellschaft“ 30. Mit dieser begrifflichen Bezeichnung versuchte er, den „andauernden Geschichtsboom“ 31 analytisch fassbar zu machen. 32 Rüsens Konzept aufgreifend wendete Bernd Schönemann gegen diese Unterscheidung ein, dass sie Geschichtskultur „vornehmlich als anthropologische Substanz und weniger als gesellschaftliches Konstrukt“ 33 fasse – ein Vorwurf, der insbesondere vor dem Hintergrund von Rüsens Rückgriff auf anthropologische Grundannahmen zur Herleitung seines (Geschichts-)Kulturbegriffs plausibel erscheint. 34 Um Rüsens anthropologisch fundierte Kategorie „vom Anthropologischen ins Heuristische“ 35 zu wenden, sprach Schönemann sich dafür aus, Geschichtskultur stärker als soziales Konstrukt zu begreifen. Er konzipierte Geschichtskultur daher „als soziales System, in dem eine kulturell durchformte Kommunikation stattfindet, die auf eine spezifische Art Geschichte als Bedeutung

29 Rüsen, Jörn: Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Füßmann, Klaus / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 3–26, S. 4. Zu den von Rüsen vorausgesetzten anthropologischen Grundannahmen siehe auch Kapitel 1.2, Anm. 34. 30 Ebd., S. 5. 31 Ebd., S. 4. 32 Einflussreich wurde vor allem seine in den nachfolgenden Jahren bis heute stetig weiterentwickelte Unterscheidung der Dimensionen von Geschichtskultur. Zu Beginn unterschied Rüsen zwischen ästhetischer, kognitiver und politischer Dimension, fügte seiner Aufteilung aber später noch die Dimensionen des Moralischen und des Religiösen hinzu; vgl. z. B. ders.: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft, Köln 2013, S. 234–240 oder ders.: Die fünf Dimensionen der Geschichtskultur, in: Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn / München u. a. 2014, S. 46–62. 33 Schönemann, Bernd: Geschichtskultur als Forschungskonzept der Geschichtsdidaktik, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 1 (2002) 1, S. 78–86, S. 52. 34 Vgl. z. B. in Rüsen (1994), S. 6 : „Kultur ist dann der Teil des handelnden und leidenden Umgangs des Menschen mit seiner Welt und sich selbst, in dem diese Welt und er selbst interpretiert werden müssen, um mit und in ihr leben zu können. Kultur ist Inbegriff der Geistnatur des Menschen, die sich im Wechselspiel zwischen deutender Aneignung von Welt und Ausdruck menschlichen Selbstseins (Subjektivität) vollzieht. [. . . ] Die kulturelle Weltaneignung und Selbsthervorbringung des Menschen läßt sich als komplexer Zusammenhang von Wahrnehmung, Deutung, Orientierung und Zwecksetzung näher beschreiben. Diese vier mentalen Aktivitäten bilden zusammen die Sinnressource der menschlichen Lebenspraxis. Geschichtskultur ist nun jener Teil von Wahrnehmung, Deutung, Orientierung und Zwecksetzung, in dem es um Zeit als Bestimmungsfaktor des menschlichen Lebens geht.“. 35 Schönemann (2002), S. 82 (H. i. O.).

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erzeugt“ 36. Innerhalb dieses Systems unterscheidet Schönemann vier Elemente: Institutionen, Professionen, Medien und Publika. 37 An erster Stelle stehen für ihn die Institutionen, also etwa Museen, Universitäten und Archive. Sie beschäftigen die Professionen, wie Schönemann geschichtskulturelle Akteur*innen bezeichnet, die wiederum eine große Bandbreite geschichtskultureller Medien wie Sachbücher, Ausstellungen oder auch Filme produzieren. Diese Medien sollten allerdings nicht nur als bloße Vermittler und Speicher historischer Vorstellungen, 38 sondern in ihrer Wirkmächtigkeit als materielle Träger des geschichtskulturellen Diskurses verstanden und analysiert werden. 39 Mit Publika sind die Adressat*innen des Kommunikationsakts gemeint, die ihrerseits auf die übrigen Elemente des Systems zurückwirken können. An Schönemanns Überlegungen anknüpfend schlage ich eine Weiterentwicklung des Konzepts vor, die Geschichtskultur als soziales Feld versteht. 40 In Anlehnung an Pierre Bourdieu lassen sich die von Schönemann konzipierten Elemente als Elemente eines sozialen Feldes denken, also eines sozialen Raums, der durch die spezifischen Relationen der ihn konstituierenden Positionen gebildet und begrenzt wird. 41 In der Konzeption Bourdieus zeichnen sich soziale Felder stets durch ein gemeinsames Interesse aus, also durch ein Ziel, das umkämpft und auf welches das Handeln aller Akteur*innen und Institutionen innerhalb des Felds ausgerichtet

36 Ders.: Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur, in: Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven, Frankfurt am Main 2016, S. 41–62, S. 58. Bis auf die im Folgenden dargelegten Elemente spezifiziert Schönemann seinen Begriff eines sozialen Systems nicht näher. 37 Vgl. auch für die folgenden Ausführungen zu den Elementen von Geschichtskultur als sozialem System, in dem Geschichte als Bedeutung kommunikativ erzeugt werde, ders. (2002), S. 82 und mit geringfügigen Überarbeitungen ders.: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Günther-Arndt, Hilke / Zülsdorf-Kersting, Meik (Hg.), Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 62014, S. 11–23, S. 18–20; ders. (2016), S. 58 f. 38 Das Speichern und abrufbereit Halten historischer Vorstellungen definiert Schönemann als die Gemeinsamkeit der sonst höchst unterschiedlichen geschichtskulturellen Medien, vgl. Schönemann (2016), S. 59. 39 Vgl. hierzu Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse, Frankfurt am Main / New York 32008, S. 107: „Medien sind nicht nur formale und informierende Vermittlungsträger, sondern konstruierende und aktionale Gegenstandsbereiche. Sie beeinflussen oder erzeugen Arten der Raum-, Zeit- und Gegenstandswahrnehmung, weshalb ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.“ 40 Erste Überlegungen hierzu und zum Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit insgesamt in Wagner, Helen: Zukunftsmusik aus vergangenen Klängen. Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 16 (2017), S. 67–81. 41 Vgl. Bourdieu, Pierre / Wacquant, Loïc J. D.: Reflexive Anthropologie, Frankfurt am Main 2006, S. 127–131.

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ist. 42 Vom Wert und der Sinnhaftigkeit dieses von Bourdieu als „Illusio“ bezeichneten Ziels sind alle Beteiligten überzeugt und durch ihr Streben nach der Erreichung des Ziels tragen sie zur Erhaltung und Reproduktion des Felds bei. 43 Der Begriff der „Illusio“ zielt aber nicht nur darauf ab, diese Vorstellung der Sinnhaftigkeit auszudrücken, sondern impliziert außerdem, dass zwar unterstellt wird, dass die Illusio das einzige erstrebte Ziel innerhalb des Felds ist, dass aber tatsächlich gleichzeitig stets auch andere Interessen mit ausgehandelt und umkämpft werden. 44 In Feldern wie demjenigen der Politik oder Ökonomie wird also vordergründig um Macht respektive Geld gekämpft, unterschwellig werden aber stets auch andere Interessen ausgehandelt. Übertragen auf das Feld der Geschichtskultur ließe sich also sagen, dass alle Beteiligten nach der Produktion von Geschichte als Bedeutung streben 45 und um Deutungen von Geschichte kämpfen oder konkurrieren. Auch wenn dies das vordergründige Feldinteresse ist, von dessen Wert alle Beteiligten überzeugt sind, heißt dies nicht, dass nicht gleichzeitig auch um Interessen wie Macht und Geld konkurriert wird. Schon die Frage, wer überhaupt in der Lage ist, Geschichte zu erzählen und als Akteur*in an der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung teilzunehmen, „ist wesentlich eine Frage der Macht“. 46 Durch die Anlehnung an Bourdieus Feldbegriff lassen sich also ökonomische und politische Kämpfe beschreibbar machen, die bei der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung häufig eher verdeckt oder implizit ausgetragen werden, aber den Aushandlungsprozess deshalb nicht weniger strukturieren. 42 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen zur Illusio ebd., S. 127 f.; S. 148 f.; Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main 2007 [1985], S. 140–143. 43 Vgl. Bourdieu, Pierre: Soziologische Fragen, Frankfurt am Main 1993, S. 109. 44 So betont Bourdieu am Beispiel des wissenschaftlichen Felds, dass dieses Feld gleichzeitig eine „soziale Welt wie die anderen“ sei, „in der es wie anderswo um Macht, Kapital, Kräfteverhältnisse, Erhaltungs- oder Subversionsstrategien, Interessen usw. geht und daß es eine Welt für sich ist“ (H. i. O.) Bourdieu (2007 [1985]), S. 88. 45 Zur Produktion von Geschichte als Bedeutung vgl. auch Knoch, Habbo: Wem gehört die Geschichte? Aufgaben der „Public History“ als wissenschaftlicher Disziplin, in: Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven, Frankfurt am Main 2016, S. 303–346, S. 313: „Damit rücken Aushandlungspraktiken, Normierungssysteme und Repräsentationsordnungen von Akteuren in den Blick, die bedingen, was als Geschichte produziert, kommuniziert und akzeptiert wird: politische Rahmenbedingungen, Machtressourcen in der öffentlichen Kommunikation, die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Quellen und Informationen, Deutungskompetenzen und Stellungen im sozialen Feld sowie Strukturen und Rechte des wissenschaftlichen, medialen und politischen Umgangs mit Geschichte.“ 46 Landwehr, Achim: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie, Frankfurt am Main 2016, S. 154.

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Die Orientierung an seiner Konzeption des Feldbegriffs bedeutet allerdings nicht, dass im Folgenden eine Feldanalyse nach Bourdieu durchgeführt wird. 47 Vielmehr soll das Verständnis von Geschichtskultur als sozialem Konstrukt von Seiten Schönemanns aufgegriffen und weiterentwickelt werden, indem mithilfe des Feldbegriffs auf die Relationalität des Sozialen fokussiert wird, ohne hiermit allen Annahmen Bourdieus über die Konstruktion der sozialen Welt Folge zu leisten. 48 Zwar sind die gesellschaftstheoretischen und sozialtheoretischen Begrifflichkeiten Bourdieus eng verschränkt, wie auch Thomas Welskopp betont. 49 Welskopp plädiert aber überzeugend für die Möglichkeit zur Operationalisierung sozialtheoretischer Begriffe ohne den Zwang zur Übernahme eines kompletten Begriffsensembles, dessen idealtypische Konzeption es dann aus historischer Sicht empirisch zu füllen und beweisen gelte. 50 Vielmehr seien etwa die sozialtheoretischen Begriffe von Anthony Giddens als „Bauprinzipien für gesellschaftheoretische Interpretamente“ 51 zu verstehen, auch wenn dies keinesfalls bedeutet, dass die Entscheidung für bestimmte theoretische Konzepte und deren Begrifflichkeiten „folgenlos“ 52 ist. Vielmehr bedeutet sie eine bestimmte Perspektivierung der empirischen Analyse, die im Falle der von mir vorgeschlagenen Verwendung von Bourdieus Feldbegriff vor allem auf die Fokussierung der Relationalität sozialer Strukturen abzielt. Praxistheorie in diesem Sinne nicht als „Methode und [. . . ] Erklärungsmodell für konkrete historische Phänomene“ 53, sondern als theoretische Perspektivierung zu verstehen, ermöglicht es, ein soziales System nicht als eine Entität „‚organischer Qualität‘, sondern als Arrangement mensch-

47 Die empirische Analyse eines Felds hat laut Bourdieu in drei spezifischen, methodischen Schritten zu erfolgen. Der erste Schritt besteht in der Bestimmung der Relation des untersuchten Felds zum Feld der Macht, der zweite in der Bestimmung der Strukturen zwischen den beteiligten Akteur*innen und Institutionen. Der abschließende Schritt besteht in der Analyse der Prägung der Akteur*innen durch ihren Habitus; vgl. Bourdieu / Wacquant (2006), S. 136. 48 Zu denken wäre hier etwa an die von Bourdieu unterschiedenen Kapitalsorten oder seine Konzeption von im Feld agierenden Akteur*innen als Spieler*innen, die mit bestimmten Strategien versuchen, ihre Position im Feld zu verbessern; vgl. ebd., S. 132, 145 f. 49 Vgl. Welskopp, Thomas: Die Dualität von Struktur und Handeln. Anthony Giddens’ Strukturierungstheorie als „praxeologischer“ Ansatz in der Geschichtswissenschaft, in: Suter, Andreas / Hettling, Manfred (Hg.), Struktur und Ereignis, Göttingen 2001, S. 99–119, S. 118 f. 50 Vgl. ebd., S. 117 f. 51 Ebd., S. 117. 52 Ebd., S. 104. 53 Ders.: Zukunft bewirtschaften. Überlegungen zu einer praxistheoretisch informierten Historisierung des Kapitalismus, in: Mittelweg 36 26 (2017) 1, S. 81–97, S. 86. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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licher Interaktionsbeziehungen“, als „Ensemble und immer wieder aufs Neue erzeugter Effekt spezifischer, aufeinander bezogener sozialer Praktiken“ zu verstehen. Für die vorliegende Untersuchung bedeuten die Anleihen an den von Bourdieu entwickelten Begriff des sozialen Felds also zunächst nicht mehr und nicht weniger, als Geschichtskultur als netzartiges Beziehungsgeflecht zu begreifen, wodurch einerseits der soziale Konstruktcharakter betont und andererseits einem essentialisierenden und substanzialistischem Verständnis vorgebeugt werden soll. 54 Indem so die machtvollen Dispositionen im Sinne eines auf die Akteur*innen oder Institutionen einwirkenden ‚Kräftefelds‘ beschreibbar werden, wird auch vermieden, Geschichtskultur, wie etwa von Marko Demantowsky befürchtet, in ihrer „Gegenständlichkeit und Wirkmächtigkeit“ 55 zu verkennen. Ein im Sinne eines sozialen Felds verstandener Geschichtskulturbegriff lenkt außerdem den Fokus auf die innerhalb dieses Felds stattfindenden Aushandlungsprozesse und trägt damit einer Forderung Holger Thünemanns Rechnung, Geschichtskultur nicht als „Spiegel gesellschaftlichen Geschichtsbewusstseins“ 56 zu verstehen. Legt man etwa Schönemanns Bild von Geschichtskultur und Geschichtsbewusstsein als „zwei Seiten einer Medaille“ 57 zugrunde, 58 in welchem Geschichtskultur als Externalisierung individuellen Geschichtsbewusstseins konzipiert ist, scheint der Fehlschluss, eine phänomenal beschreibbare geschichtskulturelle Landschaft bilde ein kollektives Geschichtsbewusstsein von Gesellschaften oder sozialen Gruppen gleichsam ab, nicht mehr weit entfernt. 54 Zur Ablehnung substanzialistischer Vorstellungen sozialer Realität und Fokussierung von Relationen durch den Feldbegriff vgl. auch Fuchs-Heinritz, Werner / König, Alexandra: Pierre Bourdieu. Eine Einführung, Konstanz 22011, S. 140. 55 Demantowsky (2005), S. 14. 56 Thünemann, Holger: Geschichtskultur als Forschungsansatz zur Analyse des Umgangs mit der NS-Zeit und dem Holocaust. Konzeptionelle Standortbestimmung und ein Vorschlag zur kategorialen Differenzierung, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 4 (2005), S. 230–240, S. 235. 57 Schönemann (2002), S. 79; ders. (2014), S. 17; ders. (2016), S. 54. Zu Geschichtskultur als Externalisierung individuellen Geschichtsbewusstseins vgl. ders. (2014) sowie ders. (2016), S. 54. Geschichtskultur als kollektive Ausformung des Geschichtsbewusstseins manifestiere sich in Form von „Objektivationen mit Anspruch auf Akzeptanz“, ders. (2002), S. 79. Schönemann stellt sich damit in die wissenssoziologische Tradition von Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt am Main 222009, vgl. hier besonders S. 36–48. 58 Zur Bedeutung dieser weitgehenden Akzeptanz dieser Metapher für die Geschichtskulturforschung trotz Kritik vgl. Thünemann, Holger: Geschichtskultur revisited. Versuch einer Bilanz nach drei Jahrzehnten, in: Sandkühler, Thomas / Blanke, HorstWalter (Hg.), Historisierung der Historik. Jörn Rüsen zum 80. Geburtstag, Göttingen 2018, S. 127–150, S. 144.

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Darüber hinaus lässt sich über den Feldbegriff auch die von Schönemann zunächst recht eng konzipierte und erst in jüngeren Publikationen etwas aufgelockerte Definition von Professionen dynamisieren. Zwar betont Schönemann im Laufe der Weiterentwicklung seines Konzepts die Bedeutung der von ihm sogenannten „Laien und Semi-Professionals“ 59, jedoch finden sie innerhalb der vier Elemente seines sozialen Systems keinen rechten Platz. Die eher statisch anmutende Anordnung der Elemente in Schönemanns System lässt sich durch einen stärker auf ihre Relationen fokussiertes Verständnis von Geschichtskultur als Feld sozialen Handelns aufbrechen. Die mit den Aufgaben des Sammelns, Erhaltens, Erforschens und Vermittelns historischer Quellen und Artefakte betrauten ‚Professionen‘ Schönemanns lassen sich so durch ein breiteres Akteursverständnis erweitern. Die Aktivitäten von Laien, an die sich geschichtskulturelle Deutungsangebote zunächst richten, die aber durch ihr spezifisches Handeln wiederum auch auf diese Angebote zurückwirken oder sich durch Organisations- und Professionalisierungsprozesse absichtsvoll an ihnen beteiligen, können durch den Fokus auf die im Feld stattfindenden Aushandlungsprozesse analytisch stärker eingebunden werden. Dieser Zugriff macht die Transformation von ‚Publika‘, also von Adressat*innen der zielgerichteten geschichtskulturellen Kommunikation zu ‚Professionen‘, in Schönemanns Konzept beschreibbar. Um die Aushandlungsprozesse untersuchen zu können, die solchen Transformationen zugrunde liegen, muss aber zunächst die Frage nach der Handlungsfähigkeit historischer Akteur*innen adressiert werden. Thomas Welskopp hat in seiner Operationalisierung der Sozialtheorie Giddens’ dargelegt, dass Handlungen historischer Akteur*innen stets strukturiert sind, gleichzeitig aber auch selbst strukturierend wirken. 60 Strukturen formen und ordnen Handlungen also, ermöglichen sie allerdings auch zuallererst. 61 Agency bedeutet in diesem Sinne zunächst nicht mehr als die „prinzipielle Handlungsfähigkeit“ 62 der Akteur*innen, die ihre Handlungen deshalb jedoch keinesfalls in jedweder Dimension einsehen, kontrollieren oder gar planen können. 63 Obwohl Welskopp von einem dezentrierten Subjekt ausgeht, 64 spricht er sich deutlich gegen die Dekonstruktion dezentrierter historischer Akteur*innen aus, die hinter den 59 Schönemann (2016), S. 59. 60 Vgl. Welskopp (2001), S. 108. 61 Vgl. ebd., S. 109. Welskopp nutzt die anschauliche Analogie eines Straßennetzes, das zwar verbindliche Regeln und die Menge der möglichen Wege des Fahrens vorgibt, das Fahren gleichzeitig aber auch ermöglicht. 62 Ebd. (H. i. O.). 63 Vgl. ebd., S. 107 f. 64 Vgl. ebd., S. 106.

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Strukturen verschwänden. Diese zunächst dem Strukturalismus der Historischen Sozialwissenschaft angetragene Kritik suchte Welskopp seinerseits mit der an Giddens angelehnten Modifikation des Strukturbegriffs zu entkräften, 65 weshalb sie nun wohl vor allem auf das Konzept eines dezentrierten Subjekts in der historischen Diskursanalyse zu beziehen ist. Auch diskursanalytischen Ansätzen wird häufig vorgeworfen, sie lösten historische Akteur*innen in Diskursen auf. 66 An dieser Stelle erscheinen mir infolgedessen einige weiterführende Überlegungen zu einer praxistheoretisch informierten Analyse historischer Diskurse notwendig, die ich der Untersuchung des geschichtskulturellen Diskurses zugrunde lege. 67 Wie Achim Landwehr zu Recht betont, ist die „immer noch etablierte Trennung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken“ 68 analytisch nur schwer aufrechtzuerhalten. Diskurse sind als „symbolische Ordnung[en], die das gemeinsame Sprechen und Handeln erlaub[en]“ 69, zu verstehen, deren wirklichkeitskonstituierende Aussagefelder sich keinesfalls nur aus sprachlich realisierten Aussagen zusammensetzen. 70 Der allzu schnell erhobene Vorwurf, eine historische Diskursanalyse beschränke sich auf die Betrachtung rein sprachlicher diskursiver Praktiken in Form 65 Vgl. ders.: Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998) 2, S. 173–198, S. 178– 181. 66 Diese Kritik findet sich bereits in Welskopps Modifikation des Strukturbegriffs, worin er der Diskursgeschichte vorwirft, sie dekonstruiere das Subjekt und unterwerfe es „einem neuen Strukturalismus der Texte, Diskurse und Bedeutungssysteme“, ders. (2001), S. 103. Dass Letztere das Handeln historischer Akteur*innen strukturieren, betont allerdings auch Welskopp, der Diskurse daher in seinen Ansatz einer praxistheoretisch informierten Geschichtswissenschaft integriert sieht, vgl. ders. (2001), S. 105. 67 Zum Desiderat einer praxeologischen Diskursanalyse vgl. Reckwitz, Andreas: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32 (2003) 4, S. 282–301, S. 298. Erste Ansätze in dieser Richtung formulieren Füssel, Marian / Neu, Tim: Doing Discourse. Diskursiver Wandel aus praxeologischer Perspektive, in: Landwehr, Achim (Hg.), Diskursiver Wandel, Wiesbaden 2010, S. 213–235 und Neu, Tim: Die Ambivalenz der Aneignung. Möglichkeiten und Grenzen diskursiven Handelns in vormodernen Verfassungskonflikten, in: Haasis, Lucas / Rieske, Constantin (Hg.), Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns, Paderborn 2015, S. 55–72. ‚Informiert‘ bedeutet in diesem Zusammenhang, Theorieelemente – in diesem Fall der Praxistheorie – zu integrieren, ohne sie dem „empirischen Forschungsfeld aufzustülpen“, Haas, Stefan: Theory Turn. Entstehungsbedingungen, Epistemologie und Logik der Cultural Turns in der Geschichtswissenschaft, in: Haas, Stefan / Wischermann, Clemens (Hg.), Die Wirklichkeit der Geschichte. Wissenschaftstheoretische, mediale und lebensweltliche Aspekte eines (post-)konstruktivistischen Wirklichkeitsbegriffes in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 2015, S. 11–44, S. 12. 68 Landwehr (2008), S. 95. 69 Ebd. 70 Vgl. ebd., S. 92.

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von Texten, die „das Subjekt aus der Geschichte zu vertreiben“ 71 suchten, ist daher zurückzuweisen. 72 Diskurse als „Praktiken [. . . ], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ 73 lenken den Blick einer sie analysierenden Untersuchung stets auch auf historische Akteur*innen als Träger*innen ebendieser Praktiken. 74 Über den Fokus auf diskursive Praktiken „in ihrer Vielfältigkeit“ 75 lassen sich die Akteur*innen als Träger*innen derselben analytisch zu den übergeordneten Diskursen in Beziehung setzen: Diskursive Praktiken können folglich als analytische Schnittstelle zwischen dem als Träger*in fungierenden Subjekt, der übergeordneten diskursiven Logik sowie der spezifischen Situation, in der die diskursive Praktik vollzogen wird, betrachtet werden. 76 Hierdurch lässt sich das Bemühen einer praxeologisch arbeitenden Geschichtswissenschaft um die „Verbindung von Mikro- und Makrogeschichte und [. . . ] Analyse von sozialen Milieus, Institutionen und sozialen Netzwerken“ 77 mit der Frage nach der wirklichkeitskonstituierenden Macht von Diskursen verknüpfen. 78

71 Ebd. 72 Für Philipp Sarasin etwa „könnte es zu einer Hauptachse des historischen Fragens werden zu zeigen, wie Individuen von Diskursen bestimmt und durch sie entfremdet, d. h. dezentriert sind – und wie Subjekte sich dennoch in den Widersprüchen der symbolischen Ordnung als eigenständige, eigensinnige Realität einnisten“, Sarasin, Philipp: Subjekte, Diskurse, Körper. Überlegungen zu einer diskursanalytischen Kulturgeschichte, in: Hardtwig, Wolfgang / Wehler, Hans-Ulrich (Hg.), Kulturgeschichte heute, Göttingen 1996, S. 131–164, S. 161 f. (H. i. O.). 73 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 172015, S. 74. 74 Praktiken werden hier mit Jan Hendryk de Boer definiert als „beobachtbares menschliches Tun, das nach bestimmten impliziten Regeln vollzogen wird, auf praktischem Wissen darüber, was zu tun ist, beruht und einer oder mehreren Funktionen dient, die den die Praktik vollziehenden Akteur*innen zumindest latent präsent sind“; für jede Praktik gilt, „dass sie nicht ohne ihre materiellen Voraussetzungen und die wiederum im Dinglichen manifesten Wirkungen zu betrachten ist“, Boer (2019), S. 22. Praktiken werden verstanden als „die kleinsten sozialen Sinneinheiten im menschlichen Tun. Sie sind immer zeiträumlich situiert. Eine Praktik wird in bestimmten kommunikativen Situationen und unter konkreten sozialräumlichen Bedingungen vollzogen. [. . . ] Sie besitzt eine zeitliche Dauer und ist temporal, funktional und oft auch kausal relationiert zu anderem Tun, das die jeweilige Praktik rahmt. Wesentlich sind körperliche Bewegungen, häufig außerdem sprachliche Artikulation. Praktiken können aus mehreren Teilhandlungen oder Verhaltensweisen zusammengesetzt sein, wobei deren zeitliche Sequenzierung konstitutiv für die jeweilige Praktik ist.“ ders. (2019), S. 25. 75 Landwehr (2008), S. 94. 76 Vgl. Neu (2015), S. 59 f. 77 Reichardt, Sven: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung, in: Sozial.Geschichte 22 (2007) 3, S. 43–65, S. 44. 78 Dieser Zugriff trägt auch der wiederholt von Bernd Schönemann geforderten Erforschung der Genese regionaler geschichtskultureller Landschaften Rechnung, die unter problem- und diskursgeschichtlicher Perspektive zu analysieren seien, um die soziale Konstruktion von Geschichtskultur zu verstehen, vgl. zuletzt Schönemann

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Die im Rahmen dieser Untersuchung zu untersuchenden Interaktionen der Akteur*innen und Institutionen im Feld der Geschichtskultur werden durch ordnende Diskurse hervorgebracht und geprägt. 79 Wenn von der Produktion von Geschichte als Bedeutung im geschichtskulturellen Feld die Rede ist, gehe ich daher von der diskurstheoretischen Grundannahme aus, dass zum einen innerhalb des Feldes immer nur ein Teil aller denkbaren Aussagen möglich ist und tatsächlich hervorgebracht wird. 80 Zum anderen folgt daraus, dass die Produktion von Bedeutung nicht ausschließlich auf Intentionalität und Bewusstseinsphänomene autonom agierender Subjekte zurückzuführen ist. 81 Um die Wechselwirkungen zwischen konkretem Handeln geschichtskultureller Akteur*innen und den dieses Handeln prägenden Diskursen zu untersuchen, fokussiere ich in dieser Untersuchung auf Zeit- und Zukunftsvorstellungen, die diskursiv ausgehandelt und zur Begründung beziehungsweise Legitimation geschichtskulturellen Handelns herangezogen werden. Die soziale Konstruktion von Zeit bildet zweifelsohne eine zentrale Dimension der wirklichkeitskonstituierenden Macht von Diskursen. 82 Zeit als „Mittel zur Orientierung in der sozialen Welt und [. . . ] Regulierung des Zusammenlebens unter den Menschen“ 83 entwickelte sich – nicht nur,

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(2016), S. 61. Auch Béatrice Ziegler betonte jüngst noch einmal die Notwendigkeit, das von Schönemann entworfene Modell zur Erforschung von Geschichtskultur mit diskursanalytischen Ansätzen zu verbinden und zudem Geschichtskultur nicht als „Diskursen gegenüber losgelöst“ zu begreifen, Ziegler (2017), S. 7. Daneben plädierte jüngst auch Wolfgang Hasberg für eine „Diskursanalyse des öffentlichen Erinnerns“, Hasberg, Wolfgang: Öffentliche Geschichte. Epistemologische Überlegungen zur Public History, in: Gundermann, Christine / Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte, Analysen, Dialoge, Berlin u. a. 2019, S. 35–86, S. 66. Zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch Diskurse vgl. einführend Landwehr (2008), S. 21, 91 f. Zur Verknappung von Aussagemöglichkeiten als Merkmal von Diskursen vgl. ebd., S. 92. Vgl. Sarasin, Philipp: Diskursanalyse, in: Kwaschik, Anne / Wimmer, Mario (Hg.), Von der Arbeit des Historikers. Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Für Peter Schöttler zum 60. Geburtstag, Bielefeld 2010, S. 53–57, S. 56. Vielmehr ist mit dem Schweizer Historiker von einem „dezentrierten Subjekt“ auszugehen, das nicht hinter Diskursen verschwindet, auch wenn ihm diese vorgängig sind und es durch sie entfremdet wird. Ein als dezentriert verstandenes Subjekt kann sich zwar in Diskurse einschreiben und sich somit Realität eigensinnig aneignen, ist aber nicht im Sinne eines völlig autonomen Subjekts auf seine eigenen, aus sich selbst hervorgebrachten Wünsche zu reduzieren, vgl. ders. (1996), S. 160–162. Für Überlegungen zu Zeit als sozialer Konstruktion vgl. z. B. Landwehr, Achim: Alte Zeiten, neue Zeiten. Aussichten auf die Zeit-Geschichte, in: Landwehr, Achim (Hg.), Frühe Neue Zeiten. Zeitwissen zwischen Reformation und Revolution, Bielefeld 2012, S. 9–40, S. 19 f. Ebd.

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aber insbesondere – in der Moderne „zur politisch umkämpften Ressource und zugleich zum Gegenstand intensiver theoretischer Reflexion“ 84. Als zentrale Reflexionskategorie einer massenmedial verfassten Öffentlichkeit ist sie auch für den geschichtskulturellen Diskurs von herausgehobener Bedeutung. Dass sowohl die Problematisierung temporaler Erklärungsmodelle sowie die Historisierung weiterhin wirkmächtiger Deutungsmuster gegenwärtiger Zeitdiagnosen außerdem besondere Herausforderungen der Zeitgeschichte darstellen, ist in jüngeren zeitgeschichtlichen Arbeiten zu Recht betont worden. 85 Soll die Wirkmächtigkeit diskursiv hervorgebrachter Zeitdiagnosen für die Analyse von Aushandlungsprozessen im Feld der Geschichtskultur problematisiert und zugleich historisiert werden, müssen wirkmächtige Zeitdeutungen von Autor*innen wie Hermann Lübbe, Odo Marquard, Hartmut Rosa, Hans Ulrich Gumbrecht oder auch Aleida Assmann also auch als Quellen gelesen werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, die eigene Verortung innerhalb des Diskurses anzuerkennen, den es zu untersuchen gilt, ohne hierbei „eine historische Distanz zu jenen Autoren, Werken und Diskussionen nahezulegen, die es noch gar nicht geben kann“ 86. Die Unterscheidung zwischen Quelle und Forschungsliteratur muss in diesem Zusammenhang ebenso wie bei Arbeiten zu anderen zentralen Begriffen der Untersuchung, wie etwa dem zuvor dargelegten Konzept der Geschichtskultur, stets „allein pragmatisch und in Abhängigkeit von der Frageperspektive vorgenommen werden“ 87. Die Zeit- und Zukunftsvorstellungen, die es für die dargelegte Forschungsfrage zu historisieren gilt, sind nicht in erster Linie unter inhaltlichen Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen, sondern vor allem auf ihre Funktionalisierung hin zu befragen. Als diskursive Deutungsmuster sind sie Mittel der sozialen Konstruktion temporaler Ordnungsvorstellun-

84 Geppert / Kössler (2015), S. 12. 85 Vgl. ebd., S. 15; Esposito, Fernando: No Future. Symptome eines Zeit-Geists im Wandel, in: Reitmayer, Morten / Schlemmer, Thomas (Hg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2014, S. 95–108, S. 98; ders. (2017b), S. 11; eine auf empirische Ergebnisse der Sozialwissenschaft bezogene Problematisierung, die sich aber auch auf theoretische Fragen soziologischer Zeitdeutung übertragen lässt, bei Graf, Rüdiger / Priemel, Kim Christian: Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer Disziplin, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011) 4, S. 479–508, S. 507. 86 Esposito (2014), S. 98. 87 Ders. (2016), S. 403. Zur Problematik der zeitnahen Historisierung eines wissenschaftlichen Felds in Hinblick auf die Verwendung von Begriffen und Konzepten, deren theoretische Ausarbeitung Teil der Entwicklung des zu untersuchenden Felds waren vgl. für die Zukunftsforschung auch Seefried, Elke: Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin / Boston 2015, S. 23. Im Quellen- und Literaturverzeichnis der vorliegenden Untersuchung unterscheide ich daher pragmatisch ungedruckte Quellen von gedruckten Quellen und Forschungsliteratur.

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gen, in denen „Chronotopoi“ 88 wie das der ‚Postmoderne‘ ausgehandelt und verändert werden. Eine auf die inhaltliche Ebene gerichtete Analyse der Genese dieser temporalen Ordnungsmuster, wie sie etwa Fernando Esposito untersucht, bereitet den Boden für die Frage, wie Zeit- und Zukunftsvorstellungen innerhalb des geschichtskulturellen Diskurses funktionalisiert werden. Ähnlich den Überlegungen Rüdiger Grafs und Benjamin Herzogs steht also nicht so sehr „das Was, sondern das Wie des Zukunftsbezugs“ 89 im Fokus meiner Untersuchung. Ihre Überlegungen zu „Modi der Zukunftsgenerierung“ 90 fußen auf der Annahme, dass Zukunftsbezüge immer relational, also als Zukunft von etwas zu verstehen sind, und sich somit unter anderem als von den sozialen Dispositionen ihrer Träger*innen abhängig zeigen. 91 Graf und Herzog unterscheiden idealtypisch vier Modi, in denen Zukunft generiert wird: Erwartungs-, Gestaltungs-, Erhaltungs- und Risikozukunft. 92 Mit ‚Erwartungszukunft‘ bezeichnen sie die sich laut Reinhart Koselleck in der Sattelzeit öffnende Zukunft, 93 die auf der Grundlage einer als linear fortschreitend gedachten Geschichte als offener Erwartungshorizont generiert wird. Sie ist gekennzeichnet durch die „Verbindung von normativ definierter Zielvorstellung, dem Bewegungsindex eines möglichst linearen Fortschritts und vor allem der Erwartungsgewissheit des Eintreffens“ 94. Die ‚Gestaltungszukunft‘ zeichne sich dagegen, so die Autoren weiter, dadurch aus, dass Zukunft als gestaltbar und gestaltungsbedürftig verstanden werde. Bis in die 1970er Jahre, mit einem besonderen Höhepunkt in der Nachkriegszeit, sei Pla-

88 Esposito (2017b), S. 26 f. In Anlehnung an John Bender und David Wellbery definiert Esposito den Begriff Chronotopos als „Gemeinplatz, ein Deutungsmuster oder eine Ordnungsvorstellung, mittels derer sich Gesellschaften eben zeitigen, sprich ihre Zeitlichkeit auf den Begriff bringen und die vergesellschafteten Zeitkategorien reproduzieren und verändern“, ders. (2017b), S. 27. 89 Graf, Rüdiger / Herzog, Benjamin: Von der Geschichte der Zukunftsvorstellungen zur Geschichte ihrer Generierung. Probleme und Herausforderungen des Zukunftsbezugs im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 42 (2016) 3, S. 497–515, S. 500. Fortgeführt in Graf, Rüdiger: Die Unkenntnis der Zukunft und der Zukunftsbezug der Zeitgeschichte, in: Hölscher, Lucian (Hg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts. Dimensionen einer historischen Zukunftsforschung, Frankfurt am Main 2017, S. 303–319, S. 312. 90 Graf / Herzog (2016), S. 500. Vgl. ebenfalls Graf (2017), S. 312. 91 Vgl. Graf / Herzog (2016), S. 500–502. 92 Vgl. zu den folgenden Charakterisierungen ebd., S. 504–513 sowie Graf (2017), S. 313 f. 93 Zur Öffnung der Zukunft durch das Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont vgl. Koselleck, Reinhart: „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“. Zwei historische Kategorien, in: Koselleck, Reinhart (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 82013, S. 349–375, hier insbesondere S. 359–364. 94 Graf / Herzog (2016), S. 504 f.

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nung das politische Programm, in dem das Streben nach einer aufgrund von wissenschaftlichen Kriterien gestaltbaren Zukunft seinen Ausdruck gefunden habe. Als Reaktion auf ein vermehrtes Scheitern einer solchen Planung habe sich seit den 1980er Jahren zunehmend die ‚Risikozukunft‘ als Modus der Zukunftsgenerierung etabliert. Kennzeichnend sei hier, dass nicht eine Zukunft erwartet und gestaltet werde, sondern man Szenarien konstruiere, die das Entwerfen unterschiedlicher Zukünfte mit verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgraden und Risikokalkülen zum Ziel hätten. Mit Bezug auf Hermann Lübbe beschreibt Graf in einem ohne Benjamin Herzog veröffentlichten Aufsatz auch die ‚Bewahrungszukunft‘ als „Gegenbewegung zur Hypertrophie der Zukunftsgestaltungsambitionen in den vergangenen Jahrzehnten“ 95. Auch wenn er hiermit begrifflich von der mit Herzog entwickelten Bezeichnung ‚Erhaltungszukunft‘ abweicht, bleibt die inhaltliche Bestimmung der ‚Bewahrungszukunft‘ gleich. Sie lege fest, „was aus der Gegenwart bewahrt und erinnert werden soll, beziehungsweise dass die Zukunft nicht wesentlich anders als die Gegenwart aussehen und eine möglichst gleiche Vergangenheit erinnern soll“ 96. Der seit den 1970er Jahren beobachtbare Geschichtsboom sei in diesem Sinne als Modus der Zukunftsgenerierung zu verstehen, der wohlgemerkt ebenso wie die Gestaltungszukunft nicht in dem Maße offen sei, wie es die wirkmächtige These Kosellecks vom Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont nahelege. 97 Die verschiedenen Modi sind nicht als sich ablösende, sondern als nebeneinander existierende und konkurrierende Formen der Zukunftsgenerierung zu begreifen, die zwar einzelne Höhepunkte und hegemoniale Tendenzen aufweisen, sich aber auch mischen können und laut Graf und Herzog insgesamt als Pluralisierung des vormals vor allem im Modus der Erwartungszukunft konstruierten Zukunftshorizonts seit den 1980er Jahren wirkten. 98 Für die Untersuchung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln ist insbesondere die Unterscheidung von Gestaltungs- und Bewahrungszukunft produktiv. Die noch ausstehende empirische Unterfütterung der Konzepte hilft dabei, die vorgeschlagenen Begriffe zur Erforschung von Zukunftshandeln zu präzisieren. Dafür gilt es aber, sie noch in entscheidender Hinsicht zu modifizieren. So bezieht sich Rüdiger Graf in seiner Konzeption der Bewahrungszukunft zwar ebenfalls explizit auf

95 96 97 98

Graf (2017), S. 314. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd.; Graf / Herzog (2016), S. 514.

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Lübbe, 99 nimmt dessen Thesen aber nicht, wie in der vorliegenden Untersuchung angestrebt, als Legitimations- und Argumentationsstrategie geschichtskultureller Akteur*innen in den Blick. Für eine überfällige Historisierung von Lübbes Thesen sowie anderer einflussreicher Zeitdiagnosen 100 erscheint mir ein solcher Zugriff allerdings als entscheidende Voraussetzung, da nur so eine möglichst offene Beobachtungsperspektive auf die Erforschung von vergangenheitsbezogener Zukunftsgenerierung zu gewährleisten ist. Anders als von Graf vorgeschlagen gehe ich im Folgenden daher gerade nicht davon aus, dass der „Boom der Gedächtnis- und Erinnerungskultur“ 101 dazu dient, eine vertraute Zukunft zu entwerfen, die eine Vergangenheit erinnern soll, die der Gegenwart möglichst ähnlich ist und so den Thesen Lübbes mit der Begriffskonzeption der Bewahrungszukunft noch vor einer empirischen Analyse inhaltlich zu folgen scheint. Vielmehr frage ich in der vorliegenden Untersuchung auch im anscheinend auf Bewahren ausgerichteten Zukunftshandeln nach der Aushandlung zwischen Gestaltung des Zukünftigen und Erhaltung des Vergangenen. Indem ich auf dieser Grundlage eine Perspektivverschiebung von der inhaltlichen Analyse von Zukunftsvorstellungen hin zur funktionalen Analyse von Zukunftsbezügen vornehme, lässt sich die Aushandlung verschiedener temporaler Narrative analysieren. Es drängt sich nicht die Suche nach einem vereinheitlichenden Narrativ auf, sondern es eröffnet sich ein neuer Blick auf nebeneinander existierende, sich möglicherweise überlagernde oder konfligierende temporale Deutungsmuster verschiedener Akteursgruppen im geschichtskulturellen Feld. Die Verlusterfahrungen, die zur Erklärung des Geschichtsbooms angeführt und vielfach auf temporale Deutungsmuster wie Beschleunigungserfahrung, ‚Gegenwartsschrumpfung‘ und den Verlust des Glaubens an eine sichere und gestaltbare Zukunft ‚nach dem Boom‘ zurückgeführt werden, lassen sich so aus einer neuen Perspektive beleuchten und differenziert analysieren. Das Ruhrgebiet stellt für dieses Forschungsvorhaben ein besonders geeignetes Untersuchungsbeispiel dar, da sich hier die für die Zeit ab den 1970er Jahren kennzeichnenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungsprozesse räumlich und zeitlich verdichtet beobachten lassen. In der zeithistorischen Forschung zum Strukturbruch wird das Ende 99 Zur mit Bezug auf Lübbe vorgenommenen Charakterisierung als „Gegenbewegung zur Hypertrophie der Zukunftsgestaltungsambitionen“ siehe Kapitel 1.2, Anm. 95. 100 Auch Tobias Becker betont, dass in den gängigen Erklärungen zum Geschichtsboom Geschichte gleichsam zum handelnden Subjekt umgedeutet wird, das von sich aus zurückkehre, während die Akteur*innen und Praktiken innerhalb dieses Prozesses außer Acht gelassen würden, vgl. Becker (2017), S. 112. 101 Graf (2017), S. 313.

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der Steinkohleindustrie rückblickend als Beginn des „Niedergang[s] der industriellen Welt, wie sie die ‚Hochmoderne‘ seit der Industrialisierung prägte“ 102, beschrieben. Mit dem Beginn der Kohlekrise als „Anfang vom Ende des Ruhrbergbaus“ 103 Ende der 1950er Jahre, die sich in den 1960er und 1970er Jahren deutlich verschärfte, 104 setzte die Krisenwahrnehmung vom Ende des wirtschaftlichen Booms im Ruhrgebiet frühzeitig und räumlich konzentriert ein. Wenn man das Ruhrgebiet mit seiner Konzentration auf klassische Schlüsselindustrien der Hochindustrialisierung mit Christoph Nonn als „Gestalt gewordene[n] Idealtypus der bundesdeutschen Industriegesellschaft“ 105 begreift, lässt sich feststellen, dass der Region im Prozess der Deindustrialisierung die Rolle eines Katalysators zukam, da sie hier früher einsetzte und schneller verlief als in der restlichen Bundesrepublik. Als eine der „großen Krisenregionen in den alten Industrieregionen“ 106, die in den 1980er Jahren in Westeuropa entstanden, bietet sich das Ruhrgebiet geradezu an, um den zuvor skizzierten Fragehorizont zu untersuchen. 107 Dabei nehme ich im Folgenden allerdings explizit keine vergleichende Perspektive zu einer oder mehreren anderen Industrieregio-

102 Doering-Manteuffel / Raphael (2010), S. 53. 103 Czierpka, Juliane: Der Ruhrbergbau. Von der Industrialisierung bis zur Kohlekrise, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 69 (2019) 1–3, S. 13–19, S. 19. 104 Allein in den ersten zehn Jahren der Krise dezimierte sich die Zahl der Beschäftigten im Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet um ca. die Hälfte. Die Zahlen schwanken dabei von beispielsweise 397.000 auf 207.000 zwischen 1957 bis 1966 bei Nonn, Christoph: Die Ruhrbergbaukrise. Entindustrialisierung und Politik 1958–1969, Göttingen 2001, S. 388 über einen Rückgang von 495.847 auf 210.275 Beschäftigte zwischen 1958 und 1968 bei Kopp, Julia: Vom Herz der deutschen Industrialisierung zum Kulturartefakt. Das Zechensterben im Ruhrgebiet, in: Lorenz, Robert / Walter, Franz (Hg.), 1964. Das Jahr, mit dem „68“ begann, Bielefeld 2014, S. 275–286, S. 285 bzw. Seidel, Hans-Christoph: Kohlenkrise und Zechenstillegungen im Ruhrgebiet, in: Golombek, Jana / Osses, Dietmar (Hg.), Schichtwechsel. Von der Kohlekrise zum Strukturwandel. Katalog zur Ausstellung im LWL-Industriemuseum, Zeche Hannover in Bochum, 3.7.-30. 10. 2011, Essen 2011, S. 30–37, S. 30. Die Fördermenge sank währenddessen dank verbesserter Abbaumethoden nur von 123 Millionen Tonnen im Jahr 1957 auf 103 Millionen 1966 Tonnen, vgl. Nonn (2001), S. 388. Die Zahl der fördernden Zechen wiederum sank von 141 um mehr als die Hälfte auf 65, weitere zehn Jahr später 1977 waren es nur noch 32 und 1987 noch 23 Zechen. 1997, vierzig Jahre nach Beginn der Kohlekrise förderten im Ruhrgebiet noch 13 Zechen mit 62.534 Beschäftigten, vgl. Huske, Joachim: Die Steinkohlenzechen im Ruhrrevier. Daten und Fakten von den Anfängen bis 2005, Bochum 32006, S. 26–28. 105 Nonn (2001), S. 11. 106 Doering-Manteuffel / Raphael (2010), S. 56. 107 So setzt etwa auch Ulrich Herbert bei seiner als „Rückkehr der Geschichte“ betitelten Darstellung des Geschichtsbooms mit den „Debatten um das bauliche Erbe des Industrialismus“ ein. Als Beispiel dient ihm die Oberhausener Siedlung Eisenheim, die erste auf den Protest einer sogenannten ‚Arbeiterinitiative‘ hin unter Schutz gestellte Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets, auf die später noch zurückzukommen sein wird, Herbert (2014), S. 1010 f.

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nen ein, wie sie die Forschung zur Ausrichtung der geschichtskulturellen Landschaft des Ruhrgebiets auf Industriekultur zuletzt dominiert hat. 108 Damit soll nicht nur vermieden werden, dieser Forschungsrichtung lediglich eine weitere vergleichende Studie hinzuzufügen. Vielmehr kann die Fokussierung auf eine einzelne Region auch der Tatsache Rechnung tragen, dass die Art und Weise der geschichtskulturellen Aneignung von Deindustrialisierungsprozessen „a highly place-dependent phenomenon“ 109 ist, da sich ihre Auswirkungen zumeist „at the very local level“ zeigen, wie auch Stefan Berger und Christian Wicke festhalten. Während in der vergleichenden Perspektive zwar betont wird, dass die Frage der kulturellen Bedeutung von Industriegeschichte global gesehen hoch umstritten sei, 110 wird das Ruhrgebiet als zentrales Beispiel für die Akzeptanz von Industriegeschichte als kulturellem Erbe und regionalem Identitätskern angeführt. 111 Daher erscheint es mir gerade interessant, diese Region zu fokussieren, um geschichtskulturelle Aushandlungsprozesse zu untersuchen und gängige Erklärungsmuster zu hinterfragen. Angesichts der eingangs zitierten Charakterisierung des geschichtskulturellen Booms in der Region als „kulturelle Kompensation des real erfahrenden und sich beschleunigten [sic] Strukturwandels“, der angesichts des „Verlust[s] angestammter Lebens- und Arbeitswelten“ den „Phantomschmerz des langen, nunmehr schon ein halbes Jahrhundert andauernden Abschiedes vom klassischen Industriezeitalter“ 112 symbolisiere, gilt es also mit Blick auf das Ruhrgebiet als Untersuchungsbeispiel zu fragen: Wer erlitt zu welchem Zeitpunkt angesichts der fortschreitenden Deindustrialisierung einen Verlust, der durch eine verstärkte Vergangenheitsorientierung kompensiert wurde –

108 Vgl. z. B. Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.): Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018; Richter, Ralph: Industrial Heritage in Urban Imaginaries and City Images. A Comparison between Dortmund and Glasgow, in: The Public Historian 39 (2017) 4, S. 65–84. So hielten Berger, Wicke und Golombek in ihrer Selbstverortung fest, dass die von ihnen veranstalteten Konferenzen und Workshops immer in transnational vergleichender Perspektive angelegt waren, Berger, Stefan / Wicke, Christian / Golombek, Jana: Burdens of Eternity? Heritage, Identity, and the „Great Transition“ in the Ruhr, in: The Public Historian 39 (2017) 4, S. 21–43, S. 20. Zur Ausrichtung auf die vergleichende Perspektive des Forschungsprojekts vgl. Berger, Stefan / Golombek, Jana / Wicke, Christian: Erinnerung, Bewegung, Identität. Industriekultur als Welterbe im 21. Jahrhundert, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 5 (2015) 2, S. 23–29. 109 Berger, Stefan / Wicke, Christian: Deindustrialization, Heritage, and Representations of Identity, in: The Public Historian 39 (2017) 4, S. 10–20, S. 12. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 110 Ebd., S. 10. 111 Vgl. ebd., S. 20. 112 Siehe Kapitel 1.1, Anm. 7.

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zugespitzt formuliert: um wessen Phantomschmerz handelte es sich und wer kompensierte ihn wodurch? 113 Um die Funktionalisierung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen im Feld der Geschichtskultur zu untersuchen, bietet sich eine Vielzahl von Quellen an. Prinzipiell kommen alle innerhalb des geschichtskulturellen Felds der Region hervorgebrachten Medien in Frage, deren Bandbreite innerhalb der Forschung zu Geschichtskultur unter anderem von Bernd Schönemann betont wurde. Sie changiert zwischen der wissenschaftlichen Quellenedition, der gelehrten Abhandlung, dem Schulbuchtext und der historischen Ausstellung, zwischen der politischen Rede innerhalb und außerhalb des Parlaments, den Artikeln in der Tages- und Wochenpresse und den Geschichtssendungen in Rundfunk und Fernsehen, zwischen National- und Kriegerdenkmälern, modernen Gedenkstätten und Erinnerungsorten, historischen Festen und Feiern, historischen Romanen und Sachbüchern, zwischen der klassischen historischen Bildungsreise, dem Mittelaltermarkt in der Kleinstadt, der historisch kostümierten Gastronomie und dem Computerspiel auf CD-Rom. 114

Zu dieser umfangreichen Liste lassen sich noch zahllose weitere Ergänzungen wie Karten, Online-Angebote, historische Inhalte vermarktende Image- und Werbekampagnen oder Konsumgegenstände denken – kurz: zu dem bereits geschilderten Problem der Differenzierung zwischen Quelle und Sekundärliteratur tritt die Aufgabe der starken und begründeten Selektion angesichts einer Vielzahl von Quellen hinzu. 115 Da sich diese Selektion nur aus der Frageperspektive heraus ergeben kann, werden die Selektionskriterien und somit die Eingrenzung des Quellenkorpus später in Bezug auf den Aufbau der Arbeit und die gewählten Fallbeispiele erläutert. Zunächst wird allerdings aufgezeigt, in welche Forschungsdis-

113 Vgl. als Entwurf des Forschungsvorhabens bereits Wagner (2017), S. 74. Auch Stefan Berger fragte jüngst in Hinblick auf die auf Industriekultur basierende regionale Identität des Ruhrgebiets, um wessen Identität es sich eigentlich genau handle, und kritisierte die Entpolitisierung der Industriekultur durch ein „neues Funktionsbürgertum“. Dieses habe sich seit der Gründung der Ruhr-Universität Bochum 1964 in der Region herausgebildet und mische das „Familiengedächtnis mit dem regionalen Gedächtnis, wie es in der Industriekultur verankert ist. [. . . ] In ihrem mentalen Horizont wird Industriekultur so zur depolitisierten Selbstbestätigung“, Berger, Stefan: Was ist das Ruhrgebiet? Eine historische Standortbestimmung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 69 (2019c) 1–3, S. 4–11, S. 11. Für Bergers Forderung nach einer Repolitiserung der Industriekultur kann eine differenzierte Analyse der Entwicklung des geschichtskulturellen Felds der Region eine Basis liefern, indem sie das historische Gewordensein der von Berger kritisierten Situation darlegt und Ansatzpunkte zur Kritik offenlegt. 114 Schönemann (2016), S. 59. 115 Siehe Kapitel 1.2, Anm. 87.

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kussionen sich das Projekt einreiht, um sowohl den Aufbau der Arbeit als auch die Wahl der Fallbeispiele zu begründen.

1.3 Diskussionen und Standortbestimmungen – Forschungsstand Aus der Fragestellung und dem dargelegten methodischen Zugriff ergeben sich Bezüge zu verschiedenen Forschungsdiskussionen, an welche die Untersuchung anschließt und zu deren Weiterentwicklung sie einen Beitrag leistet. Die Darstellung der Debatten dient hier nicht allein der Erhebung des Forschungsstands, sondern vielmehr der methodischen Weiterentwicklung einer begrifflichen und konzeptionellen Diskussion, die von analytisch unproduktiven Konkurrenzen geprägt ist. Für die in dieser Untersuchung angestrebte Analyse von Geschichtskultur als sozialem Feld ist eine historisierende und kritische Rekonstruktion der Diskussion um die Konzepte von Public History, Geschichts- und Erinnerungskultur nicht nur Annährung an den breit gefächerten Forschungsstand, sondern auch Teil des Erkenntnisinteresses. Um die hier vorgeschlagene Erweiterung der Forschung zu Geschichtskultur aus der Geschichtsdidaktik um Forschung zu Zeit- und Zukunftsvorstellung aus der Zeitgeschichte in den Forschungsstand einzubetten, wird daher zunächst die Diskussion um Zeit- und Zukunftsvorstellungen in der jüngeren Zeitgeschichte ausgeführt, bevor das Projekt anschließend in den übergreifenden Diskussionen zu den Komplexen Geschichtskultur, Erinnerungskultur und Public History verortet wird. Um den Aufbau der Arbeit und die Wahl der Fallbeispiele zu begründen, wird abschließend die zeithistorische Forschung zum Strukturbruch der 1970er Jahre und zum Strukturwandel im Ruhrgebiet in den Blick genommen.

1.3.1 Zeit und Zukunft Da Geschichtswissenschaft den Wandel in der Zeit zum Gegenstand hat, gilt Zeit als ihre wesentliche Kategorie. 116 Dennoch wird Zeit innerhalb der historischen Forschung nur selten explizit thematisiert, wie in der jüngst erstarkenden Forschung zu Zeit und Zeitkonzeptionen immer wie-

116 Vgl. Geppert / Kössler (2015), S. 14; Graf, Rüdiger: Zeit und Zeitkonzeptionen in der Zeitgeschichte. Version 2.0, 2012 (22. Okt. 2012), URL: http://docupedia.de/zg/ graf_zeit_und_zeitkonzeptionen_v2_de_2012 [letzter Zugriff: 9. Feb. 2018], auch in ders.: Zeit und Zeitkonzeptionen, in: Bösch, Frank / Danyel, Jürgen (Hg.), Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden, Göttingen 2012, S. 84–108, S. 84.

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der bemängelt wird. 117 Gerade vor dem Hintergrund der Vorstellung von Zeit als einer nicht natürlich gegebenen, sondern sozial konstruierten und historischem Wandel unterworfenen Kategorie erscheint eine forschende Problematisierung von Zeit aber als geboten. 118 Auch wenn die forschende Beschäftigung mit Zeit sich schnell dem Vorwurf von Zirkularität ausgesetzt sieht, da sie selbst immer „in der Zeit“ 119 vollzogen wird, ist Zeit als Produkt sozialer und kultureller Praxis nicht nur eine zentrale Kategorie historischer Forschung, sondern auch ein zentraler Untersuchungsgegenstand, wie Achim Landwehr betont. 120 Vorreiter der Beschäftigung mit diesem Gegenstand waren Historiker des frühen 20. Jahrhunderts wie Johan Huizinga, Lucien Febvre, Marc Bloch und Fernand Braudel, 121 wobei besonders das Konzept der ‚longue durée‘ über die Annales-Schule große Wirkmächtigkeit erlangte. 122 Als wichtiger Begriff eines geschichteten Zeitmodells beeinflusste es maßgeblich die Arbeiten Reinhart Kosellecks, 123 der das Entwerfen einer Theorie historischer Zeiten zur zentralen Aufgabe einer theoriebedürftigen Geschichtswissenschaft erklärte. 124 Koselleck entwickelte das Konzept eines geschichteten Zeitmodells weiter, das für ihn gegenüber linearen oder zirkelförmigen Zeitmodellen den Vorteil hatte, verschiedene Geschwindigkeiten messbar 125 und somit die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ beschreibbar zu machen – eine 117 Vgl. beispielsweise Geppert / Kössler (2015), S. 15; Landwehr (2012), S. 15; Graf (2012), S. 85. 118 Vgl. Geppert / Kössler (2015), S. 13; Graf (2012), S. 85 f. 119 Landwehr (2012), S. 18 (H. i. O.). 120 Zur Zeit als Produkt sozialer und kultureller Praxis vgl. ebd.: „Die soziale und kulturelle Praxis ist also nicht in der Zeit, sondern macht die Zeit.“ (H. i. O.). Die Perspektive der Geschichtswissenschaft müsse sich also nicht auf die „Frage nach der Zeit (an und für sich)“, sondern „nach den Ausformungen von Zeit als einer soziokulturellen Praxis und in ihrer diskursiven Verdichtung“ richten, ders. (2012), S. 32 (H. i. O.). 121 Angeregt wurde die Beschäftigung durch revolutionäre Neuerungen im physikalischen Zeitverständnis im Zuge der von Einstein entwickelten Relativitätstheorie und philosophischen Diskussionen um Denker wie Bergson, Husserl, Merlau-Ponty und vor allem Heidegger; vgl. Graf (2012), S. 87–89. 122 Vgl. Hölscher, Lucian: Von leeren und gefüllten Zeiten. Zum Wandel historischer Zeitkonzepte seit dem 18. Jahrhundert, in: Geppert, Alexander C. T./Kössler, Till (Hg.), Obsession der Gegenwart. Zeit im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 35–70, S. 60; Geppert / Kössler (2015), S. 21; Graf (2012), S. 95. Vgl. auch Braudel, Fernand: Die lange Dauer [La longue durée] (1958), in: Schieder, Theodor / Gräubig, Kurt (Hg.), Theorieprobleme der Geschichtswissenschaft, Darmstadt 1977, S. 164–204. 123 Vgl. Hölscher (2015), S. 62; Geppert / Kössler (2015), S. 21. 124 Vgl. Koselleck, Reinhart: Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft [zuerst 1972], in: Koselleck, Reinhart (Hg.), Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2003, S. 298–316, S. 302. 125 Vgl. ders.: Zeitschichten, in: ders. (Hg.), Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2003, S. 19–26, S. 22, 26.

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Formulierung, die von Koselleck seit den 1970er Jahren „erfolgreich popularisiert“ 126 worden war. Besonders einflussreich für den ZeitlichkeitsDiskurs seit den 1970er Jahren wurde Kosellecks These vom Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, das er als Signum der Neuzeit charakterisierte. 127 Die Ablösung des Erwartungshorizonts vom Erfahrungsraum ermöglichte laut Koselleck die Vorstellung einer offenen Zukunft, die „die Zielbestimmung einer möglichen Vollkommenheit, die früher nur im Jenseits erreichbar war“ 128 in eine irdische, als offen gedachte Zukunft verlagerte – kurz: „Die Zukunft wird anders als die Vergangenheit und zwar besser.“ 129 Mit Fortschritt und Beschleunigung zeigen sich hier zwei entscheidende Chronotopoi, die den für diese Untersuchung zu untersuchenden Zeitlichkeits-Diskurs bestimmen: Der Glaube, dass der permanente „politische-soziale wie der wissenschaftlich-technische Fortschritt [. . . ] kraft der Beschleunigung die Zeitrhythmen und die Zeitspannen der Lebenswelt“ 130 verändert. 131 Die nicht ausschließlich, aber einflussreich von Koselleck vorgebrachte Diagnose einer Beschleunigung der Lebenswelt war die Grundlage für zahlreiche Gegenwartsdiagnosen seit den 1970er und 1980er Jahren. 132 So ist Beschleunigung in den seit den 1980er Jahren vermehrt vorgebrachten soziologischen Zeitdiagnosen ein zentrales Motiv. 133 Einflussreich und für den Kontext dieser Studie besonders relevant ist wie 126 Geppert / Kössler (2015), S. 34. Der Ausdruck geht auf die Formulierung der „Gleichzeitigkeit des Nicht-Gleichzeitigen“ von Hans Freyer aus dem Jahr 1955 zurück, vgl. dies. (2015), S. 34. 127 Siehe Kapitel 1.2, Anm. 93. Zu Kosellecks Thesen als „Selbstbeschreibungen der 1970er Jahre – zumal im Kontext der Gegenwartsanalyse von Lübbe“ vgl. Becker (2017), S. 106. 128 Koselleck (2013), S. 362. 129 Ebd., S. 364. 130 Ebd., S. 368. 131 Zu Beschleunigungsdiskursen im 19. Jahrhundert vgl. Jung, Theo: Beschleunigung im langen 19. Jahrhundert. Einheit und Vielfalt einer Epochenkategorie, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 23 (2016) 3, S. 51–63. 132 Vgl. beispielsweise auch Wittram, Reinhard: Das Interesse an der Geschichte. Zwölf Vorlesungen über Fragen des zeitgenössischen Geschichtsverständnisses, Göttingen 3 1968, S. 93: „Das Neue, das in unseren Tagen am Geschichtslauf zutage getreten ist, kann nicht wegdiskutiert werden: Die Beschleunigung aller äußeren Verläufe (samt der damit verbundenen Vergeßlichkeit des Menschen) und die unaufhebbar gewordene globale Dimension. Daß das Tempo der Ereignisse sich erhöht hat, ist schwerlich nur ein subjektives Empfinden, und daß alles auf der Welt in interkontinentalen Reaktionen aufeinander wirkt, macht das Wesen der neuen Weltgeschichte aus.“. 133 Vgl. Graf (2012), S. 93. Auch die Sozialwissenschaft widmete sich verstärkt der theoretischen Reflexion von Zeit. So wurden Ende der 1980er Jahre mit „Time & Society“ und „KronoScope“ auch erste Zeitschriften zum Thema gegründet. Vgl. ders. (2012), S. 90.

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eingangs beschrieben Hermann Lübbes These der ‚Gegenwartsschrumpfung‘, 134 die auch maßgeblich die ebenfalls wirkmächtigen Zeitdiagnosen Harmut Rosas beeinflusste. 135 In seiner Definition der Beschleunigung sozialen Wandels, der sich vor allem durch die Beschleunigung seiner „Veränderungsraten“ 136 auszeichne, legt Rosa Lübbes Konzept der ‚Gegenwartsschrumpfung‘ zugrunde. 137 Rosa erklärt Beschleunigung als „zeitliche Verdichtung zur Grundtatsache gesellschaftlichen Wandels im 20. Jahrhundert schlechthin“ 138 – ein Narrativ, das bisher nur wenig kritisiert wird 139 und dessen Historisierung erst am Beginn steht. Innerhalb der historischen Beschäftigung mit Zeit macht Beschleunigung zwar neben Disziplinierung, Messung und Normierung einen thematischen Schwer-

134 Laut Lübbe bedeutet die fortschreitende Beschleunigung eine zunehmende Fremdheit gegenüber der eigenen Vergangenheit, die in immer kürzeren Abständen immer unverständlicher werde und daher eine notwendige Bedingung für die zunehmende Beschäftigung mit der Vergangenheit darstelle: „[. . . ] daß in einer dynamischen Zivilisation in Abhängigkeit von der zunehmenden Menge von Innovationen pro Zeiteinheit die Zahl der Jahre abnimmt, über die zurückzublicken bedeutet, in eine in wichtigen Lebenshinsichten veraltete Welt zu blicken, in der wir die Strukturen unserer uns gegenwärtig vertrauten Lebenswelt nicht mehr wiederzuerkennen vermögen, die insoweit eine uns bereits fremd, ja unverständlich gewordene Vergangenheit darstellt“, Lübbe, Hermann: Die Modernität der Vergangenheitszuwendung. Zur Geschichtsphilosophie zivilisatorischer Selbsthistorisierung, in: Jordan, Stefan (Hg.), Zukunft der Geschichte. Historisches Denken an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 26–34, S. 29 f. sowie S. 31. 135 Rosa unterscheidet drei Dimensionen der Beschleunigung: technische Beschleunigung, Beschleunigung des sozialen Wandels und die Beschleunigung des Lebenstempos. Vgl. Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005, S. 124. 136 Ebd., S. 129. 137 So schlägt Rosa vor, „die Beschleunigung des sozialen Wandels zunächst mithilfe des von Hermann Lübbe eingeführten, aber auch in Luhmanns Systemtheorie nahe gelegten Konzepts der Gegenwartsschrumpfung zu definieren. Mit Lübbe lässt sich Gegenwart definieren als ein Zeitraum der Dauer bzw. Stabilität, für welchen – in den Begriffen Kosellecks – Erfahrungsraum und Erwartungshorizont unverändert und damit deckungsgleich sind. Nur innerhalb solcher Zeiträume lassen sich aus gemachten Erfahrungen Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft ziehen, und nur für sie haben Erfahrungen und Lernprozesse eine handlungsorientierende Kraft, weil ein bestimmtes Maß an Erwartungssicherheit besteht. Vergangenheit bezeichnet aus dieser Perspektive dann all das, was nicht mehr gilt, Zukunft dagegen umfasst dasjenige, was noch nicht gilt“, ebd., S. 130 (H. i. O). 138 Geppert / Kössler (2015), S. 27. 139 Vgl. ebd., S. 29 f. Sowohl Geppert und Kössler als auch Graf verweisen hierzu vor allem auf die Arbeiten Helga Nowotnys, die in ihrem Konzept der „Eigenzeit“ die Möglichkeit individueller Zeitordnungen betont, die nicht durch das Beschleunigungsnarrativ geprägt sein müssen; vgl. hierzu dies. (2015); Graf (2012), S. 93; Nowotny, Helga: Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls, Frankfurt am Main 42012.

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punkt aus, 140 ist aber selbst häufig Teil der Beschreibungen zeithistorischer Forschung, 141 statt als Zeitdeutung in ihrer Funktion Gegenstand von Historisierung oder Erklärungsfaktor beschriebener Wandlungsprozesse zu werden. 142 Hier möchte ich ansetzen, indem ich Zeitdeutungen wie das Beschleunigungsnarrativ historisiere und als diskursiv verfestigte Topoi als „Zeitwissen“ 143, um mit Achim Landwehr zu sprechen, in ihrer historischen Wirkmächtigkeit untersuche. Dies gilt ebenso für die mit dem Beschleunigungsnarrativ verbundenen Chronotopoi, die für die Diagnose eines Bruchs in der Zeitordnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristisch sind: „die Zersplitterung eines linearen Geschichts- und Fortschrittsdenkens, die Eintrübung des Zukunftshorizonts sowie die Übermacht einer ausufernden Gegenwart“ 144. Durch die wirtschaftliche Krisenerfahrung der 1970er Jahre und ein neues Bewusstsein für die negativen Dimensionen des Fortschritts, wie sie etwa in der Warnung des Club of Rome zu den ‚Grenzen des Wachstums‘ zum Ausdruck kamen, sei der von Koselleck als Signum der Neuzeit charakterisierte Fortschrittsglaube an ein Ende gekommen. 145 Mit diesem Verlust des Glaubens an einen permanenten Fortschritt sei außerdem der 140 Vgl. Geppert / Kössler (2015), S. 19. Vgl. hierzu auch die Forderung nach der Erforschung gesellschaftlicher Zeitmodelle bei Landwehr (2012), S. 16, die vor allem die von Geppert und Kössler ausgemachten Schwerpunkte der Messung und Normierung sowie der Disziplinierung widerspiegelt. Geppert und Kössler verweisen wiederum auf Landwehrs Arbeiten zur „Pluritemporalität“, die geeignet seien, das Standardisierungsnarrativ aufzubrechen und die Gebundenheit von Zeit an soziale Milieus und Praktiken betone, wodurch der Blick auf Widerstände und Konflikte frei werde, vgl. Geppert / Kössler (2015), S. 22. 141 Vgl. z. B. Sabrow, Martin: Die Zeit der Zeitgeschichte, Göttingen 2012, S. 17–19. 142 Vgl. Graf (2012), S. 94. Zur Forderung nach einer Historisierung von Lübbes und Kosellecks Schriften als Aufgabe der Zeitgeschichte vgl. auch Becker (2017), S. 116. 143 Vgl. hierzu Landwehr (2012), S. 23: „Damit stünde nicht nur die Frage im Mittelpunkt, welche Vorstellungen von und Umgangsweisen mit Zeit zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt vorherrschten und wie durchaus unterschiedliche Vorstellungen von Zeit parallel zueinander existierten, sondern es gilt auch dem Problem auf den Grund zu gehen, welche Auswirkungen diese Formen des Zeitwissens hatten. Denn wenn es einem Zeitwissen erst einmal gelungen ist, sich diskursiv zu verfestigen, also bestimmte Formen des Wahren und des Wirklichen auszubilden, dann muss ihm historische Wirkmächtigkeit zugebilligt werden. Und an eben dieser Stelle wird es historisch interessant.“ 144 Geppert / Kössler (2015), S. 30. 145 Vgl. Hölscher, Lucian: Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt am Main 1999, S. 221; Jarausch, Konrad H.: Verkannter Strukturwandel. Die siebziger Jahre als Vorgeschichte der Probleme der Gegenwart, in: Jarausch, Konrad H. (Hg.), Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008, S. 9–26, S. 9; Esposito, Fernando: ‚Posthistoire‘ oder: Die Schließung der Zukunft und die Öffnung der Zeit, in: Hölscher, Lucian (Hg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts. Dimensionen einer historischen Zukunftsforschung, Frankfurt am Main 2017a, S. 279–301, S. 292. Für einen Überblick über die jüngste Forschung zur Geschichte der Zukunft vgl. Hölscher,

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Verlust des Glaubens an eine offene und gestaltbare Zukunft einhergegangen, wie auch Fernando Esposito betont: Nicht Aufbruch, Fortschritt und Machbarkeitsglaube, sondern no future, ‚innerweltliche Eschatologie‘, die Ahnung, es könne für eine Umkehr bereits zu spät sein, und das Gefühl verlorener Agency waren Charakteristika jenes Zukunftsverständnisses, das in den 1970er und 1980er Jahren in den Vordergrund trat. 146

Auch dieser Bruch im Zukunftsverständnis wird, wie bereits angedeutet, innerhalb der jüngeren zeithistorischen Forschung historisiert und einer differenzierenden Betrachtung unterzogen. So betonen etwa Alexander Geppert und Till Kössler, dass der Fortschrittsglaube bereits „spätestens mit Beginn des Ersten Weltkriegs [. . . ] brüchig“ 147 geworden sei. Elke Seefried hebt zwar hervor, dass die westliche Zukunftsforschung die Vorstellung eines sich permanent beschleunigenden Fortschritts als Voraussetzung für die Plan- und Steuerbarkeit der Zukunft erachtete, dass diese Vorstellung aber nicht mit „grenzenlosem Optimismus“ 148 gleichzusetzen sei, da sich gerade im Beschleunigungsnarrativ auch die Angst vor einer „Entgrenzung des ‚Fortschritts‘“ 149 spiegele. Daher habe innerhalb der Zukunftsforschung bereits vor der ersten Ölkrise eine „Rekonzeptualisierung von Fortschritt“ 150 mittels des Entwerfens von Krisenszenarien stattgefunden. Auch innerhalb der SPD, die sich seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert in besonderem Maße als „Partei der Zukunft“ 151 verstand, habe bereits vor der ersten Ölkrise ein Wandel im Fortschrittsverständnis eingesetzt, der von der wirtschaftlichen Krise allerdings nochmals verstärkt wurde. 152 Über die Betrachtung solcher einzelnen Diskursfel-

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Lucian: Historische Zukunftsforschung. Eine Besprechung der neueren Literatur, in: Neue politische Literatur 61 (2016) 1, S. 37–62. Esposito (2016), S. 410. Geppert / Kössler (2015), S. 12. Seefried, Elke: Bruch im Fortschrittsverständnis? Zukunftsforschung zwischen Steuerungseuphorie und Wachstumskritik, in: Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz / Schlemmer, Thomas (Hg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 425–449, S. 433. Ebd. Seefried (2015), S. 14 (H. i. O.). Achim Eberspächer geht in seiner Arbeit zur Geschichte der Futurologie noch über die These Seefrieds hinaus und identifiziert Fortschrittskritik von Beginn der Zukunftswissenschaft an „als zentrale Motivation dafür, einen neuen Umgang mit dem Künftigen zu fordern“, Eberspächer, Achim: Das Projekt Futurologie. Über Zukunft und Fortschritt in der Bundesrepublik 1952– 1982, Paderborn 2019, S. 345. Seefried, Elke: Partei der Zukunft? Der Wandel des sozialdemokratischen Fortschrittsverständnisses 1960–2000, in: Esposito, Fernando (Hg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 193–226, S. 193. Vgl. ebd., S. 194.

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der hinaus stellt Rüdiger Graf die These auf, dass der Fortschrittsbegriff trotz aller „Abgesänge auf die Idee des Fortschritts in einer sich angeblich beschleunigenden Gegenwart“ 153 diskursiv dominant bleibe und die zugrunde gelegten Zeitdiagnosen nicht als empirisch bestätigt gelten könnten. Die meist als Erklärung für das Ende des Fortschrittsglaubens angeführten Faktoren der Beschleunigungserfahrungen, der Enttäuschung von Zukunfts- und Planungseuphorie angesichts der wirtschaftlichen Krise der 1970er Jahre sowie der Untergang der Sowjetunion als das Ende einer Epoche der Utopien und Ideologien seien in ihrer Verbreitung und Wirkmächtigkeit nicht empirisch geprüft worden. Vielmehr würden sie als Erklärung aus „zeitdiagnostischen Schriften, in denen vor allem Sozial- und Geisteswissenschaftler ihre eigenen Einschätzungen generalisieren“ 154, übernommen. 155 Graf plädiert daher dafür, stärker Publikationen aus dem Spektrum der „naturwissenschaftlich-technischen Eliten“ 156 in die zeithistorische Forschung einzubeziehen, in denen der klassische Fortschrittsglaube nach wie vor weiter bestehe. Fernando Esposito relativiert diesen Einwand Grafs allerdings wiederum, da dieser Aspekt lediglich als „zusammengeschrumpfter, sektoraler Fortschritt“ 157 zu verstehen sei. Auch wenn in wissenschaftlich-technischen Kreisen weiter Fortschrittsglaube bestanden habe, sei der Glaube an den Fortschritt als Signum der Moderne nichtsdestoweniger verloren gegangen und empirische Studien hätten belegt, dass in der Zeit nach dem Boom die Vorstellung einer offenen, durch Fortschritt bestimmten Zukunft einer sich schließenden, mitunter apokalyptischen Zukunftsperspektive gewichen war. 158 Steffen 153 Graf, Rüdiger: Totgesagt und nicht gestorben. Zur Persistenz des Fortschritts im 20. und 21. Jahrhundert, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 23 (2016) 3, S. 91– 103, S. 91. Graf bezieht sich an dieser Stelle sowohl auf Helga Nowotny als auch auf Hartmut Rosa. 154 Ebd., S. 96. Unter den zeitgenössischen Deutungen, an welche die historische Forschung unkritisch anschließe, betont auch Rüdiger Graf die Thesen Hermann Lübbes, vgl. ders. (2016), S. 92. 155 Fernando Esposito attestiert dagegen etwa den Begriffen der „Postmoderne“ und „Posthistorie“ eine Wirkung weit über intellektuelle Kreise hinaus, weshalb sie durchaus „sowohl als Indikator als auch Faktor der Stimmung wesentlich breiterer Bevölkerungskreise“ gelesen werden könnten, Esposito (2017b), S. 28. 156 Graf (2016), S. 97. 157 Esposito (2017a), S. 293. 158 Vgl. ebd., S. 291–293. Esposito verweist hier auf die für die Zukunftsforschung besonders einschlägige Arbeit von Hölscher (1999). Zu nennen sind außerdem ders.: Zukunft und Historische Zukunftsforschung, in: Jaeger, Friedrich / Liebsch, Burkhardt / Straub, Jürgen (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Band 2, Stuttgart 2004, S. 401–416 und sein jüngster Überblick in ders.: Theoretische Grundlagen der Zukunftsforschung, in: ders. (Hg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts. Dimensionen einer historischen Zukunftsforschung, Frankfurt am Main 2017, S. 7–38. Außerdem für die Historisierung der Zukunftsforschung maßgeblich Seefried (2015).

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Henne konstatiert, der Fortschrittsbegriff sei auch „aus dem intellektuellen Sprachgebrauch“ 159 nicht einfach verschwunden. Es habe vielmehr eine „Ausdifferenzierung temporaler Bewegungsmodi“ stattgefunden, aus der sich ein offener und doch gleichzeitig verschlossener, sich in jedem Fall als Katastrophe realisierender Zukunftshorizont ergeben habe. 160 Auch wenn es hier nicht darum gehen kann, diese Forschungskontroverse zu entscheiden, zeigt sie beispielhaft das Bemühen um eine historisierende Analyse von Zeit- und Zukunftsvorstellungen in der aktuellen zeithistorischen Forschung. Diese Diskussion aufnehmend übertrage ich diesen Zugriff in der folgenden Untersuchung auf die Funktion von Zeitund Zukunftsvorstellungen zur Erklärung des Geschichtsbooms. Hiermit möchte ich nicht nur an ein Desiderat in der Zeitgeschichtsforschung anknüpfen, sondern auch eine produktive Verbindung zeithistorischer und geschichtsdidaktischer Forschung anstreben, die im Falle des Geschichtsbooms beide analysierend denselben Gegenstand betrachten, jedoch ohne dabei immer nur im Sinne einer produktiven Ergänzung aufeinander bezogen zu werden. So soll hier nicht die „künstliche Kluft“ 161 zwischen den beiden „Stiefschwestern“ Geschichtsdidaktik und Zeitgeschichte verbreitert werden. Vielmehr möchte ich mit Martin Lücke und Michael Sturm dafür plädieren, im Blick zu behalten, „über welche Berührungspunkte die beiden Disziplinen verfügen und wie die Stärken beider synergetisch zusammengeführt werden können“ 162. Hierzu ist es nötig, die vorliegende Untersuchung in der Diskussion um die Begriffskomplexe Geschichtskultur, Erinnerungskultur, Angewandte Geschichte und Public History zu verorten.

159 Henne, Steffen: Das Ende der Welt als Beginn einer neuen Zeit. Zur Formierung der temporalen Ordnung unserer Gegenwart in den 1980er-Jahren, in: Leendertz, Ariane / Meteling, Wencke (Hg.), Die neue Wirklichkeit. Semantische Neuvermessungen und Politik seit den 1970er-Jahren, Frankfurt am Main / New York 2016, S. 155– 188, S. 175. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 160 Vgl. ebd., S. 182: „Zukunft war offen und verschlossen, kontingent und doch unweigerlich katastrophisch determiniert. Sie stand als Katastrophe fest und kam doch unaufhaltbar auf die Gegenwart zu.“ (H. i. O.). 161 Lücke, Martin / Sturm, Michael: Stiefschwestern. Zum Verhältnis von Zeitschichte und Geschichtsdidaktik, in: Barricelli, Michele / Hornig, Julia (Hg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 27–41, S. 28. 162 Ebd. Allerdings ist fraglich, ob die Stärken der Zeitgeschichte für die Geschichtsdidaktik lediglich auf das historische Lernen im Unterricht bezogen bleiben müssen, wie es bei Lücke und Sturm den Anschein hat. Vielmehr scheint die Frage lohnenswert, inwiefern nicht auch die Didaktik in Bezug auf ihre Fragen an die „Funktionen [des] Nachdenken[s] und die Diskussion über sowie die Erforschung von Geschichte in vergangenen und gegenwärtigen Gesellschaften“ (S. 32) das Ziel verfolgt, überprüfbares Wissen über die Vergangenheit hervorzubringen, wie es laut Lücke und Sturm nur der Zeitgeschichte als Subdisziplin der Geschichtswissenschaft wesentlich ist.

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1.3.2 Geschichtskultur, Erinnerungskultur und Public History Die Verortung der Untersuchung innerhalb dieser Begriffsdiskussion soll nicht allein die Genese der Begriffe resümieren, um so einen die verschiedenen Konzepte differenzierenden Forschungsüberblick zu geben. Die ausführliche Analyse der Konzepte und ihrer Konkurrenzen dient vielmehr zur Entwicklung eines eigenen Standpunkts innerhalb dieser Debatte. Dazu verstehe ich Public History als geschichtswissenschaftliche Subdisziplin, die Fachwissenschaft und Geschichtsdidaktik produktiv verbindet, indem sie Geschichtskultur im zuvor beschriebenen Sinn als soziales Feld untersucht und sich gleichzeitig als Akteurin innerhalb dieses Felds versteht. Für diese konzeptuelle Verortung dient mir die 2005 in den ‚Zeithistorischen Forschungen‘ publizierte Debatte zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik, auf die sich Lücke und Sturm in ihrem oben zitierten Beitrag beziehen, als analytische und erzählerische Sonde. In den Debattenbeiträgen spielt das Verhältnis von Geschichtskultur, Erinnerungskultur, Angewandter Geschichte und Public History eine zentrale Rolle, sodass sich ausgehend von den Aufsätzen sowohl konzeptuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede als auch begriffliche und disziplinäre Konkurrenzen aufzeigen lassen, die auch fünfzehn Jahre später noch die Diskussion um Definition und disziplinäre Verortung der Public History prägen. So stellte Jan-Holger Kirsch für die Redaktion der Zeitschrift gleich im Vorwort zur Debatte fest, dass die Zeitgeschichte zwar in Fragen der praktischen Vermittlung ihrer eigenen Forschungsergebnisse die Kooperation mit der Didaktik suchen solle, dass sie diese aber in der Erforschung von „‚Geschichts-‘ oder ‚Erinnerungskultur‘ gleichsam überholt (und dabei an den Rand gedrängt)“ 163 habe. Obwohl Kirsch mit Blick auf seine „oder“-Formulierung keinen nennenswerten inhaltlichen Unterschied zwischen Geschichts- und Erinnerungskultur zu sehen schien, deutet sich in seiner Darstellung an, dass das Verhältnis der beiden Konzepte durchaus von Konkurrenz geprägt ist. 164 Dies ist wohl einer der Gründe dafür, warum Béatrice Ziegler auch zwölf Jahre später in ihrer Einleitung zum Themenheft ‚Geschichtskultur‘ der ZfGD noch bemängeln muss, dass die theoretischen und empirischen Auseinandersetzungen mit ‚Erinnerungskultur‘ innerhalb der Geschichtswissenschaft von Seiten der Geschichtsdidaktik zwar „wahrgenommen, 163 Kirsch, Jan-Holger: Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik. Vorwort, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005) 2, S. 266–267, S. 266. 164 Vgl. auch Lücke, Martin / Zündorf, Irmgard: Einführung in die Public History, Stuttgart 2018, S. 29.

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aber auf dem Hintergrund eigener Forschungsanliegen und theoretischer Arbeit bei der Konzeptualisierung des eigenen Feldes relativ wenig einer kritischen Sichtung unterzogen“ 165 worden seien. Auch Juliane Tomann betont in ihrer für die vorliegende Untersuchung besonders einschlägigen Studie zur Bedeutung von „Geschichtskultur im Strukturwandel“ des oberschlesischen Katowice, dass sich „parallele Theoriedebatten unter den Stichworten Erinnerung und Erinnerungskultur sowie Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur etabliert [haben], die im Wesentlichen die gleichen Untersuchungsgegenstände bearbeiten, sich an ähnlichen Fragestellungen orientieren und dennoch stärker an ihren Differenzen festhalten, als den gemeinsamen Dialog zu suchen.“ 166 Stefanie Samida, Sarah Willner und Georg Koch hielten außerdem mit Blick auf eine mangelnde Theoriebildung der jungen Public History noch 2016 fest, „dass die deutschsprachige geschichts- und kulturwissenschaftliche Forschung seit Jahren von den Konzepten ‚Erinnerung‘ und ‚Gedächtnis‘ überlagert wird und kaum Raum für andere Theoriediskussionen gelassen bzw. diese nicht wahrgenommen“ 167 habe. Um diese vielfach bemängelte konzeptuelle Konkurrenz- und Rezeptionsproblematik nicht ein weiteres Mal lediglich zu benennen, wie es meist in Abgrenzung zum jeweiligen Forschungsstand getan wird, soll sie im Folgenden im Detail analysiert und damit historisiert werden. Da in Kapitel 1.2 bereits einige zentrale Punkte zur Genese und Entwicklung des Konzepts ‚Geschichtskultur‘ erläutert worden sind, soll nun zunächst ‚Erinnerungskultur‘ in den Blick genommen werden, bevor Vergleiche und Anknüpfungspunkte beider Konzepte und die Rolle der in Deutschland noch jungen Public History diskutiert werden. In seinem grundlegenden Text zu ‚Erinnerungskulturen‘ als Konzept der Zeitgeschichte definiert Christoph Cornelißen den Begriff als formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse [. . . ], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt mithin

165 Ziegler (2017), S. 8. 166 Tomann, Juliane: Geschichtskultur im Strukturwandel. Öffentliche Geschichte in Katowice nach 1989, Berlin / Boston 2017, S. 11. Auch in gemeinsam mit Jaqueline Nießer kam Tomann 2014 zu dem Schluss, dass „eine eingehende Rezeption der Ansätze [. . . ] trotz ihrer thematischen Nähe“ ausgeblieben sei, Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane: Einleitung, in: Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn / München u. a. 2014b, S. 7–14, S. 9. 167 Samida / Willner / Koch (2016), S. 4. Ähnlich zuletzt erneut in Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane: Geschichte in der Öffentlichkeit analysieren. Jubiläen als Gegenstand von Public History und Angewandter Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 70 (2020) 33–34, S. 17–22, S. 17 f.

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neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, darunter den geschichtswissenschaftlichen Diskurs sowie die nur ‚privaten‘ Erinnerungen, jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben. Als Träger dieser Kultur treten Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen in Erscheinung, teilweise in Übereinstimmung miteinander, teilweise aber auch in einem konfliktreichen Gegeneinander. 168

Er weitet damit eine Definition von Hans Günter Hockerts aus, der ‚Erinnerungskultur‘ zuvor deutlich enger als „Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit“ 169 definiert hatte. Bereits im Vorwort zu dem von Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow herausgegebenen Band wird deutlich, dass Hockerts’ Definition in einer Situation entstand, in der die Zeitgeschichte „dem Vordringen der Rede über das individuelle oder kollektive Gedächtnis nicht ohne Sorge gegenüber“ 170 stand. Erst der Zugriff mit Methoden des linguistic und cultural turn könne „Erinnerung von einem ärgerlichen Konkurrenten in ein interessantes Subjekt“ 171 der Zeitgeschichte verwandeln. 172 Jarausch und Sabrow nehmen damit Bezug auf den Boom der Gedächtnisforschung, durch den ‚Erinnerungskultur‘ in den 1990er Jahren als Begriff Einzug in die Geschichtswissenschaft fand. 173 Dieser relativ späten Entwicklung ging eine längere Forschungstradition voraus. Bereits Friedrich Nietzsche reflektierte in seinen oft zitierten Überlegungen zum „Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ über das Verhältnis von Erinnerung und Geschichte 174 und auch der Kunsthistoriker Aby Warburg hatte in den 1920er Jahren in Bezug auf einen kol168 Cornelißen (2012), S. 166. Ebenfalls in ders.: Erinnerungskulturen. Version 2.0, 22. 10. 2012, URL: http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Chris toph_Corneli.C3.9Fen?oldid=84892 [letzter Zugriff: 6. Feb. 2017]; beinahe wortgleich auch bereits in ders.: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff, Methoden, Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003) 10, S. 548–563, S. 555. 169 Hockerts (2002), S. 41. 170 Jarausch, Konrad H.: Vorwort, in: Jarausch, Konrad H. / Sabrow, Martin (Hg.), Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt am Main / New York 2002, S. 7–8, S. 7. 171 Ebd. 172 Einen knappen, aber hilfreichen Überblick zu einschlägiger Literatur zu den zentralen Turns in der Geschichtswissenschaft gibt Freist, Dagmar: Diskurse, Körper, Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung. Eine Annäherung, in: Freist, Dagmar (Hg.), Diskurse, Körper, Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, Bielefeld 2015, S. 9–30, S. 10. Zu Entwicklungen und Voraussetzungen kulturwissenschaftlicher Turns vgl. außerdem Haas (2015). 173 Vgl. Cornelißen (2012), S. 169. 174 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben [1874], Stuttgart 1970, insbesondere S. 7–27. Vgl. auch Cornelißen (2012), S. 169.

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lektiven visuellen Deutungsvorrat bereits von einer „Erinnerungsgemeinschaft“ gesprochen. 175 Besonders einflussreich wurden aber die Thesen des französischen Soziologen Maurice Halbwachs, der ebenfalls seit Mitte der 1920er Jahre seine Theorie des „kollektiven Gedächtnisses“ ausgearbeitet hatte. 176 Halbwachs versuchte, die dominanten Gedächtnistheorien seiner Zeit zu widerlegen und zu zeigen, dass Erinnerung nie individuell, sondern immer durch kollektive soziale Bedingungen hervorgebracht werde. 177 Das kollektive Gedächtnis dient in dieser Lesart zur Identitätsbildung von sozialen Gruppen, die sich über ihre selektierten Erinnerungen als über den Wandel in der Zeit hinweg gleichbleibend definieren und festlegen können, welche Individuen als Träger der kollektiven Erinnerungen Teil der Gruppe sind. 178 Gedächtnis sei daher nicht mit Geschichte gleichzusetzen, da diese überindividuell und auf die Vergangenheit bezogen, während jenes als vergegenwärtigte Vergangenheit auf die Gegenwart bezogen sei. Die Thesen des 1945 in Buchenwald ermordeten Soziologen fanden in der Nachkriegszeit zunächst keine große Beachtung, bis sie in den 1980er Jahren erneut rezipiert wurden. Besonders bedeutsam waren hier die Arbeiten des französischen Historikers Pierre Nora, der auf Basis von Halbwachs’ Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis sein Konzept der ‚Erinnerungsorte‘ entwickelte. 179 Halbwachs’ Trennung von Geschichte und Gedächtnis aufgreifend, untersuchte Nora in seinem sieben Bände umfassenden Werk, „Les lieux des mémoire“ 180, die Erinnerungsorte der französischen Nation. 181 Er hielt das von Halbwachs als existent voraus175 Vgl. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 32017, S. 17. 176 Zur Entwicklung seiner Gedächtnistheorie vgl. z. B. ebd., S. 11–16. 177 Vgl. Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967. 178 Vgl. Erll (2017), S. 14. 179 Zum Einfluss der Arbeit Noras vgl. ebd., S. 20–24; Cornelißen, Christoph: Zeitgeschichte und Erinnerungskultur in Europa, in: Gundermann, Christine / Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte, Analysen, Dialoge, Berlin u. a. 2019, S. 13–34, S. 19 f.; ders. (2012), S. 170 f.; Schneider, Ute: Geschichte der Erinnerungskulturen, in: ders. (Hg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt am Main 32004, S. 259–268, S. 261. Als kurze Darstellung des Konzepts vgl. François, Etienne: Erinnerungsorte, in: Kwaschik, Anne / Wimmer, Mario (Hg.), Von der Arbeit des Historikers. Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Für Peter Schöttler zum 60. Geburtstag, Bielefeld 2010, S. 65–69. 180 Vgl. Nora, Pierre: Les lieux de mémoire, Paris 1984–1993. 181 Orte sind hierbei „in der Tradition der antiken Mnemotechnik als loci im weitesten Sinne zu verstehen [. . . ]. Sie können geographische Orte, Gebäude, Denkmäler und Kunstwerke ebenso umfassen wie historische Persönlichkeiten, Gedenktage, philosophische und wissenschaftliche Texte oder symbolische Handlungen“, Erll (2017), S. 20.

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gesetzte kollektive Gedächtnis am Ende des 20. Jahrhunderts für in Auflösung begriffen, weshalb die Erinnerungsorte als „eine Art künstlicher Platzhalter für das nicht mehr vorhandene, natürliche kollektive Gedächtnis“ 182 fungieren würden. Sein Konzept der Erinnerungsorte fand trotz des deutlich anklingenden kulturkonservativen und modernisierungskritischen Grundtons, der potenziell ausufernden Definition von Positionen, die als Erinnerungsorte fungieren können, sowie der problematischen nationalen Verengung sehr viel Aufmerksamkeit und zog diverse Nachahmerprojekte nach sich. 183 Ebenfalls die Theorie Halbwachs’ aufgreifend entwickelten Jan und Aleida Assmann seit den späten 1980er Jahren ihre in der Geschichtswissenschaft und benachbarten Disziplinen stark rezipierten Begriffe des kommunikativen und des kulturellen Gedächtnisses. 184 Mit ihrer Unterscheidung von „Funktions- und Speichergedächtnis“ 185 hat Aleida Ass-

182 Ebd. 183 Für einen Überblick vgl. ebd., S. 22 f.; François (2010), S. 65. Aus der langen Liste der Nachahmerprojekte sind für den Kontext dieser Untersuchung wohl die von Etienne François und Hagen Schulze initiierte Sammlung „Deutsche Erinnerungsorte“, François, Etienne / Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Teil 1, München 2001 und die Sammlung Boer, Pim den / Durchardt, Heinz / Kreis, Georg / Schmale, Wolfgang (Hg.): Europäische Erinnerungsorte 2. Das Haus Europa, München 2012, bedeutsam, in die unter anderem „Fabrik“ als Erinnerungsort Eingang gefunden hat. Besonders relevant ist auch die Publikation Berger, Stefan / Borsdorf, Ulrich / Claßen, Ludger / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.): Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, die daher zu Beginn von Kapitel 3 nochmal ausführlicher thematisiert wird. 184 Das kommunikative Gedächtnis bezeichnet den Austausch von Erinnerungen innerhalb sozialer Gruppen, die einen gemeinsamen Zeithorizont teilen. Es hat daher einen wandernden zeitlichen Bezugsrahmen, der sich über drei bis vier Generationen erstreckt und ist vergänglich. Das „kulturelle Gedächtnis“ bezeichnet dagegen fixierte Objektivationen kollektiver Erinnerungen, die in kulturell durchformten Praktiken wie Ritualen, Festen, aber auch Texten, Bildern und anderen Medien festgehalten werden und zur Identitätskonstruktion und Selbstvergewisserung sozialer Gruppen dienen: „Gesellschaften imaginieren Selbstbilder und kontinuieren über die Generationenfolge hinweg eine Identität, indem sie eine Kultur der Erinnerung ausbilden; und sie tun das [. . . ] auf ganz verschiedene Weise“, Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 72013, S. 18 (H. i. O.). Zur Funktion der Identitätsbildung und Selbstvergewisserung des kulturellen Gedächtnisses vgl. auch Erll (2017), S. 25; Cornelißen (2012), S. 168. Zum kommunikativen Gedächtnis vgl. auch die einschlägigen Arbeiten von Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 32011; Welzer, Harald / Moller, Sabine / Tschuggnall, Karoline: „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002. Zu Objektivationen siehe Berger / Luckmann (2009), siehe auch Kapitel 1.2, Anm. 57. 185 Vgl. Assmann, Aleida: Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis. Zwei Modi der Erinnerung, in: Platt, Kristin / Dabag, Mihran (Hg.), Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Opladen 1995, S. 169–185; dies.: Er-

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mann den Begriff noch einmal ausgeweitet und verschiedene Dimensionen des kulturellen Gedächtnisses beschreibbar gemacht. Die Konjunktur der Gedächtnisforschung zeigt sich aber nicht nur an den verschiedenen theoretischen Entwürfen der späten 1980er und 1990er Jahre, 186 sondern auch in der Vielzahl interdisziplinärer Projekte zur empirischen Erforschung von Erinnerungskultur, wie beispielsweise des von 1997–2008 an der Universität Gießen angesiedelten Sonderforschungsbereichs 434 „Erinnerungskulturen“ oder des von 2004–2011 am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) angesiedelten Forschungsschwerpunkts „ErinnerungsKultur“. Diese intensive theoretische und empirische Auseinandersetzung mit der Erforschung von Gedächtnis und Erinnerung mag zur Wahrnehmung von „Erinnerung [als] einem ärgerlichen Konkurrenten“ 187 geführt haben, den es aus Perspektive der Zeitgeschichte zum Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft zu machen galt. Die Konjunktur der Erforschung von „Erinnerungskultur“ in der Zeitgeschichte entwickelte sich in einem durchaus von Vergleich und Konkurrenz geprägten Verhältnis zur geschichtsdidaktischen Geschichtskulturforschung. So erinnert beispielsweise Cornelißens Definition von Erinnerungskultur als „alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse [. . . ], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur“ 188, nicht unwesentlich an Rüsens Modell der ästhetischen, politischen und kognitiven Dimensionen von Geschichtskultur, was Cornelißen auch selbst in Bezug auf seine Erweiterung von Hockerts’ Definition be-

innerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2009, S. 130–145. Während sich das Funktionsgedächtnis auf die Gegenwart sozialer Gruppen bezieht und durch Riten, Feste und ähnliche, kollektiv vollzogene Praktiken aktualisiert wird, enthalte das Speichergedächtnis das „unbrauchbar, obsolet und fremd Gewordene, das neutrale, identitäts-abstrakte Sachwissen, aber auch das Repertoire verpaßter Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter Chancen“, Assmann (2009), S. 137. Als Institutionen und Medien des Speichergedächtnisses finden somit auch Museen, Archive, Kunst und Literatur sowie Wissenschaft Eingang in Assmanns Theorie des kulturellen Gedächtnisses. Vgl. auch die Übersicht zu Funktions- und Speichergedächtnis in Assmann, Aleida / Assmann, Jan: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Merten, Klaus / Schmidt, Siegfried J./Weischenberg, Siegfried (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, S. 114–140, S. 123; erneut abgedruckt bei Erll (2017), S. 28. 186 Vgl. auch den Sammelband Csáky, Moritz / Stachel, Peter (Hg.): Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive. Teil 1: Absage an und Wiederherstellung von Vergangenheit, Kompensation von Geschichtsverlust, Wien 2000 als kritische Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen der Forschung zu Erinnerungskultur aus geschichts-, kulturwissenschaftlicher und musealer Perspektive. 187 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 171. 188 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 168. 4

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tont. Erinnerungskultur fokussiere allerdings stärker als Geschichtskultur auf die Funktionalisierung von Vergangenheit für eine Identitätskonstruktion in der Gegenwart. Der Begriff privilegiere im Gegensatz zum in der Geschichtsdidaktik entstandenen Konzept nicht die kognitive Dimension, sondern nehme alle Aneignungsformen von Vergangenheit als gleichberechtigt an. 189 Im Sinne einer historisierenden Betrachtung der Funktionalisierung von Vergangenheitsbezügen, wie ich sie in dieser Studie anstrebe, erscheinen die von Cornelißen als Vorzüge des Konzepts ‚Erinnerungskultur‘ dargestellten Fokussierungen seiner Definition allerdings eher als problematische Verengung. Ich verstehe die Funktionalisierung von Vergangenheit daher nicht von vornherein als Identitätskonstruktion, sondern fokussiere die Produktion von Geschichte als Bedeutung. Damit bleibt Identitätskonstruktion als Funktion von Vergangenheitsbezügen erforschbar, während gleichzeitig der Blick für mögliche andere Funktionalisierungen offengelassen und die Funktion der Identitätskonstruktion auch als Legitimations- und Argumentationsstrategie geschichtskultureller Akteur*innen beschreibbar wird. Auch Cornelißens Erklärung für den Erfolg von Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte als Folge des von Lübbe beschriebenen Musealisierungstrends 190 sowie seine Feststellung, dass Erinnerungsund Geschichtskultur als Begriffe „mit der grundlegenden mentalitäts-

189 Vgl. „Versteht man den Begriff in diesem weiten Sinn, so ist er synonym mit dem Konzept der Geschichtskultur, aber er hebt stärker als dieses auf das Moment des funktionalen Gebrauchs der Vergangenheit für gegenwärtige Zwecke, für die Formierung einer historisch begründeten Identität ab. Sehr deutlich wird dies in den untergeordneten Begriffen der Erinnerungs-, Vergangenheits- oder Geschichtspolitik. Weiterhin signalisiert der Terminus Erinnerungskultur, dass alle Formen der Aneignung erinnerter Vergangenheit als gleichberechtigt betrachtet werden, wohingegen der Terminus Geschichtskultur stärker auf die kognitive Dimension des Geschichtswissens abhebt“, Cornelißen (2003), S. 555, sehr ähnlich nochmals in ders. (2012), S. 166 f. Hier wird die Rezeption der Thesen Aleida und Jan Assmanns deutlich, die wie oben dargestellt die Funktion von Vergangenheitsbezügen zum Zweck der Identitätskonstruktion in ihrer Gedächtnistheorie hervorheben. Zur Annäherung von Cornelißens Erinnerungskulturbegriff an Rüsens Kategorie der Geschichtskultur vgl. jüngst auch Thünemann (2018), S. 139–141. Thünemann erklärt zwar die Annäherung beider Konzepte und zieht im weiteren Verlauf seines Texts auch einen Vergleich zu Public History und Angewandter Geschichte im Hinblick auf die wissenschaftsstrategische Konkurrenz zwischen den vier Begriffen, jedoch ohne sie durch eine umfassende Historisierung zu erklären. Seine Kritik, die Konkurrenzbegriffe zur Geschichtskultur berücksichtigten die Verbindung von Lebenspraxis und Wissenschaft nicht systematisch und seien nicht normativer oder anthropologischer Natur (vgl. ders. [2018], S. 138) ist daher auch als die verschiedenen Positionen und Entwicklungsstufen zu stark verallgemeinernd zurückzuweisen, wie im Folgenden noch deutlich werden wird. 190 Vgl. Cornelißen (2003), S. 552; ders. (2012), S. 171.

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geschichtlichen Wende seit Mitte der 1970er-Jahre verbunden“ 191 seien, verweisen zwar auf die Bedeutung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen für die Entwicklung des geschichtskulturellen Diskurses. Sie lassen die entsprechenden Thesen aber zunächst unhinterfragt und übernehmen sie, wie sich in Anschluss an Rüdiger Graf kritisieren lässt, in die Beschreibungssprache. 192 Hier gilt es anzusetzen. Mit der zunehmenden Forschungskonjunktur von ‚Erinnerungskultur‘ in der Zeitgeschichte wurden auch aus der Perspektive der Geschichtsdidaktik Vergleiche zum Konzept der ‚Geschichtskultur‘ angestellt. 193 So erläuterte Wolfgang Hasberg, dass Erinnerungen der Rohstoff historischen Denkens und Konzeptionen eines kollektiven Gedächtnisses daher nicht als Gegenbegriffe zu Geschichtskultur, sondern zur Kategorie des Geschichtsbewusstseins zu verstehen seien. 194 Zwar seien die Konzepte nicht unvereinbar, aber aufgrund begrifflicher Schwächen mahnte er, „von allzu vorbehaltlosen Rezeptionsversuchen Abstand zunehmen [sic]“ 195. Für Marko Demantowsky handelt es sich bei Erinnerungs- und Geschichtskultur dagegen um unterschiedliche konzeptionelle Zugriffe auf denselben Gegenstand, wobei Erinnerungskultur „politisch gewollt 191 Cornelißen (2003), S. 553 und ebenso in ders. (2012), S. 172. Konkret beschreibt er diese Wende wie folgt: „Die zu diesem Zeitpunkt in den entwickelten Industriestaaten ausgebrochene Wirtschafts- und Energiekrise bewirkte die allmähliche Abkehr von jahrzehntelangen, optimistischen Aufstiegserwartungen und ihre Ablösung durch zunehmend düstere Zeitdiagnosen und Zukunftsprojektionen“, ders. (2012). 192 Siehe Kapitel 1.2, Anm. 142. 193 Vgl. Dräger, Marco: Deserteur-Denkmäler in der Geschichtskultur der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main / Bern / Wien 2017, S. 96–101; van Norden, Jörg: Bewusstsein, Erinnerung, Gedächtnis, Kultur. Historisches Denken zwischen individueller Autonomie und kollektiver Normativität, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 16 (2017), S. 17–31; Ziegler, Béatrice: „Erinnert euch!“. Geschichte als Erinnerung und die Wissenschaft, in: Gautschi, Peter / Sommer Häller, Barbara (Hg.), Der Beitrag von Schulen und Hochschulen zu Erinnerungskulturen, Schwalbach / Ts. 2014, S. 69–89; Schönemann, Bernd: Erinnerungskultur oder Geschichtskultur?, in: Kotte, Eugen (Hg.), Kulturwissenschaften und Geschichtsdidaktik, München 2011, S. 53– 72; Hasberg, Wolfgang: Erinnerungs- oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un-)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte, in: Hartung, Olaf (Hg.), Museum und Geschichtskultur. Ästhetik, Politik, Wissenschaft, Bielefeld 2006, S. 32–59; Thünemann (2005); Demantowsky (2005); Hasberg, Wolfgang: Erinnerungskultur, Geschichtskultur, Kulturelles Gedächtnis, Geschichtsbewusstsein. 10 Aphorismen zu begrifflichen Problemfeldern, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 3 (2004), S. 198–207. 194 Vgl. Hasberg (2006), S. 48 f., 55. 195 Ders. (2004), S. 205. Vielmehr gelte es, „einstweilen an den theoretisch überzeugenderen und durchaus heuristisch fruchtbaren Kategorien Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur festzuhalten“. Die begrifflichen Schwächen der Forschung zu Erinnerungskultur betrafen aus seiner Sicht insbesondere das Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis.

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und zur Zeit en vogue“ 196 sei, wie er auf dem vorläufigen Höhepunkt der Debatte 2005 festhielt. Die breite Debatte, den die Erforschung des Geschichts- bzw. Memory-Booms zur Folge hatte, habe eine „konzeptionelle Konkurrenz“ hervorgebracht, die nicht ohne „einfache Mißverständnisse, aber auch wechselseitige Fehl- und Mangelrezeptionen“ 197 auskommen könne. 198 Zeitgleich setzte Holger Thünemann das Konzept der ‚Geschichtskultur‘ nicht nur in Beziehung zu ‚Erinnerungskultur‘, sondern auch zu ‚Vergangenheitsbewältigung‘, ‚Erinnerungspolitik‘, ‚Vergangenheitspolitik‘ und ‚Geschichtspolitik‘, 199 womit er auf den Einfluss der Erforschung des Nationalsozialismus und des steigenden Bewusstseins für die auslaufende Zeitzeugenschaft in Bezug auf NS-Verbrechen verwies. 200 Geschichtskultur sei allerdings als Forschungskonzept all diesen Begriffen vorzuziehen, da es einen breiteren Deutungsrahmen eröffne, theoretisch ausgereift sowie wissenschaftlich anschlussfähig sei und in Beziehung zur Kategorie des Geschichtsbewusstseins stehe, was es „allen anderen Ansätzen zur Erforschung des Umgangs mit NS-Zeit und Holocaust überlegen“ 201 mache. Mit Verweis auf die 2003 von Cornelißen vorgelegte Definition stellte Thünemann fest, dass „sich manche Theoretiker der Erinnerungskultur recht eng an geschichtskulturelle Konzepte anlehnen, 196 Demantowsky (2005), S. 18. 197 Ebd., S. 11. 198 Auch aus seiner Sicht stellt die durch die Krisenerfahrung der 1970er Jahre veränderte Zeitordnung, die Lübbe erfolgreich beschrieben habe, eine entscheidende Triebfeder des diagnostizierten Geschichtsbooms dar, vgl. ebd., S. 12. Er betont außerdem die Bedeutung der „Vergangenheitsbewältigung“, auf die am Beispiel des von Holger Thünemann vorgenommenen Vergleichs im Folgenden eingegangen wird. 199 Vgl. Thünemann (2005), S. 230–235. 200 ‚Vergangenheitsbewältigung‘ geht als Begriff auf ein Postulat des damaligen Leiters der Evangelischen Akademie Berlin, Erich Müller-Gangloff, aus dem Jahr 1955 zurück. Sie ist damit begriffsgeschichtlich eindeutig mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen verbunden, auch wenn Versuche zur inhaltlichen Ausweitung wie etwa von Helmut König unternommen werden, wie Thünemann betont, vgl. ebd., S. 231. Vgl. auch Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, München 22007. ‚Vergangenheitspolitik‘ sei dagegen ein dezidiert wissenschaftlicher Terminus, der von Norbert Frei geprägt wurde und „auf die politisch-justiziellen Maßnahmen [fokussiert], die zu Beginn der Bundesrepublik angewandt wurden, um trotz normativer Abgrenzung vom Nationalsozialismus einen gesellschaftlichen Integrationsprozeß zu ermöglichen“, Thünemann (2005), S. 231. Vgl. auch Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996; Neuauflage ders.: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 2012. Der vor allem von Edgar Wolfrum geprägte Begriff der „Geschichtspolitik“ erforsche dagegen nicht in erster Linie politische und juristische Maßnahmen, sondern symbolische Handlungen und bleibt nicht ausschließlich auf die NS-Vergangenheit bezogen; vgl. Thünemann (2005), S. 232; vgl. auch Wolfrum (2001). 201 Thünemann (2005), S. 234.

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und daß die von ihnen vorgenommenen Abgrenzungsversuche manchmal eher künstlich erscheinen“ 202 würden. Zur Präzision der innerhalb der Geschichtsdidaktik vorgelegten Definitionen von ‚Geschichtskultur‘ schlug Thünemann seinerseits die Integration der Assmann’schen Unterscheidungen des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses vor, welche die kommunikativen und kulturellen Anteile von Geschichtskultur beschreibbar mache. 203 Bernd Schönemann betonte ebenfalls die theoretische Ausdifferenziertheit des Konzepts ‚Geschichtskultur‘, das sich in der Didaktik gegenüber ‚Erinnerungskultur‘ durchgesetzt habe. 204 Auch Barbara Korte und Sylvia Paletschek bescheinigten dem Konzept der ‚Erinnerungskultur‘ zwar wichtige Impulse für die Erforschung öffentlicher Repräsentationen von Geschichte, entschieden sich jedoch für den Begriff der ‚Geschichtskultur‘ als ‚umbrella term‘, unter dem die geschichtsdidaktische Forschung mit Ergebnissen der an den Assmann’schen Überlegungen ausgerichteten Forschung zu vereinen seien. 205 Mit Blick auf die beidseitig vorgenommenen Vergleiche ist zu fragen, wie zielführend der Versuch ist, die Konzepte wechselseitig als austauschbar oder gar unterlegen zu erklären, ungeachtet dessen, ob diese Urteile inhaltlich, forschungspraktisch oder schlicht mit entsprechenden Forschungskonjunkturen begründet werden. Produktiver scheint die sich durchzusetzende Position zu sein, die konkurrierenden Konzepte nicht als Gegensätze, sondern als sich komplementierende Ansätze zu verstehen, die unter dem Begriff der ‚Public History‘ zusammengefasst werden und sowohl fachwissenschaftliche als auch geschichtsdidaktische Impulse produktiv verknüpfen können. Für die Entwicklung der Public History in Deutschland und ihr Verhältnis zu Erinnerungs- und Geschichtskultur ist die bereits zitierte Debatte zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik in den Zeithistorischen Forschungen aus dem Jahr 2005 erneut ein interessanter Ausgangspunkt. Unter der Frage, ob es sich bei der

202 Ebd. Einen umfassenden Vergleich zum Konzept der Erinnerungskultur nahm Thünemann mit Verweis auf den Aufsatz Demantowskys nicht vor. 203 „Aus der Gesamtheit kommunikativer Elemente von Geschichtskultur werden dann im Laufe eines gesellschaftlichen Diskussions- und politischen Entscheidungsprozesses diejenigen herausgefiltert bzw. synthetisiert, denen größtmögliche Akzeptanz oder politische Opportunität zugebilligt wird. Daraus geht schließlich Geschichtskultur im Sinne eines kulturellen Gedächtnisses hervor, wozu nicht nur Denkmäler, Museen oder Feiertage, sondern beispielsweise auch Schulbücher zählen“, ebd., S. 236. 204 Vgl. Schönemann (2011), S. 53. 205 Vgl. Korte, Barbara / Paletschek, Sylvia: Geschichte in populären Medien und Genres. Vom Historischen Roman zum Computerspiel, in: Korte, Barbara / Paletschek, Sylvia (Hg.), History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009, S. 9–60, S. 11.

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Geschichtsdidaktik um ein Auslaufmodell handle, 206 reflektierte Simone Rauthe in ihrem Debattenbeitrag die Potenziale der amerikanischen Public History für die deutsche Geschichtsdidaktik, die vor allem in der beruflichen Qualifikation Studierender für den außerschulischen und außerakademischen Arbeitsmarkt lägen. Hierfür sei zwar weiterhin eine fachwissenschaftliche Qualifikation die notwendige Grundvoraussetzung, die dann aber durch die Methoden einer außerschulischen Vermittlung von Geschichte ergänzt werden müssten, wie sie die amerikanische Public History habe entwickeln können. 207 Die Frage der beruflichen Qualifikation von Geschichtsstudierenden war tatsächlich ein Motiv für die Einrichtung des ersten deutschen Public-History-Masters an der Freien Universität Berlin 208 und spiegelt auch einen Gründungsimpuls der amerikanischen Public-History-Studiengänge wider. „Public History“ bezeichnete in den USA zunächst außeruniversitäre Arbeitsfelder von Historiker*innen – durchaus auch als Abgrenzung zur akademischen Geschichtswissenschaft – und wurde im Zuge der Geschichtswerkstättenbewegung auch auf Akteur*innen ohne professionellen Ausbildungshintergrund ausgedehnt. 209 In den 1970er Jahren entstanden angesichts schlechter Berufsaussichten die ersten Public-History-Studiengänge an amerikanischen Hochschulen, die Studienabsolvent*innen für den außeruniversitären und außerschulischen Arbeitsmarkt qualifizieren sollten. 210 Außerdem bildete sich eine zweite Studienrichtung heraus,

206 Vgl. Rauthe, Simone: Geschichtsdidaktik, ein Auslaufmodell? Neue Impulse der amerikanischen Public History, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005) 2, S. 287– 292. Gleich zu Beginn ihrer Ausführungen stellte sie fest, dass die deutsche Geschichtsdidaktik „alles andere als eine Erfolgsstory“ (S. 288) sei und ein Imageproblem habe, von dem sie sich bis dato nicht habe erholen können. Mit der Begründung einer fehlenden Grundlagenforschung im Bereich der Theorie und Pragmatik fällte Rauthe ein scharfes Urteil über die aus ihrer Sicht überholte Geschichtsdidaktik: „Die Zukunft der universitären Geschichtsdidaktik erscheint besiegelt: Sie ist trotz des anhaltenden Geschichtsbooms ein Auslaufmodell, vielleicht ist sie auch schon tot. Ein Neubeginn dürfte nur möglich sein, wenn Aufgabenfelder, Methoden und Ziele grundlegend überdacht und an den gesellschaftlichen Gegebenheiten orientiert werden“, ebd. 207 Vgl. ebd., S. 289 f. Diese Forderungen beruhen auf ihrer 2001 erschienenen Dissertation, in der Rauthe die amerikanische Public History mit dem deutschen Konzept der Geschichtskultur kontrastiert, vgl. dies.: Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Essen 2001. 208 Vgl. Zündorf, Irmgard: Public History und Angewandte Geschichte. Konkurrenten oder Komplizen?, in: Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn / München u. a. 2014, S. 63–76, S. 67. 209 Vgl. Zündorf (2016). 210 Vgl. ebd.; Rauthe, Simone: Public History in den USA. Geschichtswissenschaft als historische Dienstleistung, in: Hardtwig, Wolfgang / Schug, Alexander (Hg.), History

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die sich als ‚Applied History and Social Science‘ auf Geschichte in Politik und Verwaltung konzentrierte. 211 Seit 1978 erscheint die Fachzeitschrift ‚The Public Historian‘ und im Jahr 1980 gründete sich das National Council on Public History (NCPH) als nationaler Fachverband, dem 2010 die Gründung der International Federation for Public History (IFPH) folgte. Obwohl Public History somit in den USA eine durchaus lange Tradition hat, 212 ist die Frage nach einer Definition nach wie vor umstritten. 213 Eine frühe Definition legte Robert Kelley, Mitbegründer des ersten Public-History-Studiengangs an der University of California Santa Barbara im Jahr 1978 in der ersten Ausgabe des Public Historian vor: In its simplest meaning, Public History refers to the employment of historians and the historical method outside of academia: in government, private corporations, the media, historical societies and museums, even in private practice. Public Historians are at work whenever, in their professional capacity, they are part of the public process. An issue needs to be resolved, a policy must be formed, the use of a resource or the direction of an activity must be more effectively planned – – and an historian is called upon to bring in the dimension of time: this is Public History. 214

Während diese Definition vor allem auf die Arbeitsfelder der Public History verweist, heben andere Definitionen stark auf die Abgrenzung zur akademischen Wissenschaft ab, wie etwa in der prägnanten und häufig zitierten Definition von Charles C. Cole von Public History als „history for the public, about the public, and by the public“ 215. Eine vom NCPH im Jahr 2007 vorgelegte Definition als „a movement, methodology, and approach that promotes the collaborative study and practice of history;

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sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009, S. 372–380, S. 373 f. Vgl. Rauthe (2009), S. 374. Zur Geschichte der Public History in den USA vgl. außerdem z. B. Gardner, James B. / Hamilton, Paula: Introduction. The Past and Future of Public History. Developments and Challenges, in: Gardner, James B./Hamilton, Paula (Hg.), The Oxford Handbook of Public History, New York 2017, S. 1–22; Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice, New York / London 2016, S. 7–9; Knoch (2016), S. 306–308; Mooney-Melvin, Patricia: Professional Historians and the Challenge of Redefinition, in: Gardner, James B. (Hg.), Public History. Essays from the Field, Malabar 32006, S. 5–22; Rauthe (2001), insbesondere S. 74–152. Vgl. auch die Überblicke über Definitionsversuche bei Lücke / Zündorf (2018), S. 21– 24; Gardner / Hamilton (2017), S. 1–4; Cauvin (2016), S. 10–18 sowie bei Kean, Hilda / Ashton, Paul: Introduction. People and their Pasts. Public History today, in: Ashton, Paul / Kean, Hilda (Hg.), People and their Pasts. Public History today, Basingstoke 2009, S. 1–20. Kelley, Robert: Public History. Its Origins, Nature, and Prospects, in: The Public Historian 1 (1978) 1, S. 16–28, S. 16. Cole, Charles C.: Public History. What Difference Has it Made?, in: The Public Historian 16 (1994) 4, S. 9–35, S. 11.

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its practitioners embrace a mission to make their special insights accessible and useful to the public“ 216, betont den Bewegungscharakter und den normativen Ansatz der Public History. In der Diskussion um diesen Definitionsvorschlag wurde dagegen vielfach hervorgehoben, dass es sich bei Public History mittlerweile nicht mehr um eine Bewegung, sondern vielmehr um eine arrivierte geschichtswissenschaftliche Teildisziplin handle. 217 In der Einleitung zum jüngst erschienenen Oxford Handbook of Public History wird dieser Kritik folgend vorgeschlagen, Public History einerseits als sich seit den 1970er Jahren professionalisierende Disziplin zu fassen. Davon sei andererseits Public History als „a widespread and diverse range of practices that is a central feature of the rise of heritage and history in the nineteenth and twentieth centuries across many countries of the world“ 218 zu unterscheiden. Neuere Handbücher zur Public History betonen die Arbeit mit historischen Methoden als Gemeinsamkeit von Geschichtswissenschaft und Public History, die sich dann vor allem über ihre öffentliche, nicht akademische Zielgruppe, ihre Kollaboration mit der Öffentlichkeit und über die Reflexivität ihrer eigenen Praxis auszeichne. 219 Ungeachtet dieser definitorischen Kontroversen und der intensiv geführten Diskussion, ob die Public History überhaupt eigene Methoden entwickelt habe, 220 hat der aus dem angloamerikanischen Raum adaptierte Begriff seit gut fünfzehn Jahren eine ansehnliche Karriere im deutschsprachigen Raum vorzuweisen. 221 So stellen Stefanie Samida, Sarah Will-

216 Definition des NCPH, zitiert nach Stanton, Cathy: What is Public History?, 2007 (21. Mai 2007), URL: https://lists.h-net.org/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=HPublic&month=0705&week=c&msg=HAUuHywQGvciGXBxeGKPgw&user=&pw [letzter Zugriff: 31. Mai 2022] und Zündorf (2016). 217 Vgl. Zündorf (2016). 218 Gardner / Hamilton (2017), S. 4. 219 So etwa Lyon, Cherstin M. / Nix, Elizabeth M. / Shrum, Rebecca K.: Introduction to Public History. Interpreting the Past, Engaging Audiences, Laham u. a. 2017, S. 1–3. 220 Dies verneinen beispielsweise auch Lücke / Zündorf (2018), S. 61. Sie geben allerdings einen Überblick über die Methoden aus den Bereichen der Materiellen Kultur, der Visual History, der Sound History, der Oral History und der Living History, deren sich die Public History bisher bediene; vgl. Lücke / Zündorf (2018), S. 61–83. 221 Besonders deutlich zeigt sich diese Karriere, wenn man auf entstehende Studiengänge, Forschungsnetzwerke, Publikationen, Reihen und Lehrstuhldenominationen blickt. Der erste Masterstudiengang „Public History“ entstand 2008 an der FU Berlin, weitere folgten an den Universitäten Köln, Bochum und Regensburg; an der Universität Kassel existiert ein Master „Geschichte und Öffentlichkeit“, an der PH Luzern „Master in Geschichtsdidaktik und öffentlicher Geschichtsvermittlung“. Des Weiteren existieren Studienschwerpunkte an den Universitäten Hamburg und Heidelberg. Eine erste Professur für „Angewandte Geschichtswissenschaft – Public History“ existiert seit 2012 in Heidelberg, Juniorprofessuren und in ihrer Denomination um den Bereich Public History erweiterte Didaktik- und Neuzeit-Professuren sowie Arbeitsbereiche oder Forschungsstellen finden sich in Köln, Hamburg, Bochum,

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ner und Georg Koch fest, Public History bezeichne nicht „nur jegliche Form öffentlicher Geschichtspraktiken, [. . . ] sondern [. . . ] auch ein sich in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft zunehmend etablierendes Forschungsfeld“ 222. Wie weit diese Etablierung bisher gediehen ist, wird allerdings durchaus unterschiedlich beurteilt. So äußerte Christine Gundermann eher skeptisch, dass Public History in Deutschland „aktuell weder eine (Teil-)Disziplin noch ein bereits etabliertes Berufsfeld“ 223 bezeichne, sondern sich eher als „Transdisziplin innerhalb der Geschichtswissenschaft“ 224 etabliere, da sie weder epochen- noch regionsspezifisch arbeite und daher stets auf die Forschung anderer geschichtswissenschaftlicher Teildisziplinen angewiesen sei. Dagegen hielt Habbo Knoch fest, dass Public History sich zu einer Teildisziplin der Geschichtswissenschaft wandle, auch wenn hierzu noch stärker Gegenstand und Fragestellungen sowie methodischer und theoretischer Zugriff geklärt werden müssten. 225 In ihrer jüngst publizierten Einführung postulieren Martin Lücke und

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Regensburg, Flensburg, München, Tübingen, Bremen und Göttingen. Im Jahr 2012 gründete sich die AG „Angewandte Geschichte / Public History“ im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands und seit 2017 existiert ein DFG-Netzwerk zum Thema „Public History. Theorie und Methodik einer neuen geschichtswissenschaftlichen Subdisziplin“. Seit 2016 erscheint bei Peter Lang die Reihe „Geschichtsdidaktik diskursiv – Public History und Historisches Denken“ und ebenfalls seit 2015 bei UTB die Reihe „Public History – Geschichte in der Praxis“. Seit 2013 wird das Forschungsfeld unter dem Dach von De Gruyter im Blogjournal „Public History Weekly“ zwischen internationalen Fachhistoriker*innen und Geschichtsdidaktiker*innen diskutiert und vermessen. Vgl. auch Logge, Thorsten: Public History in Germany. Challenges and Opportunities, in: German Studies Review 39 (2016) 1, S. 141–153. Samida / Willner / Koch (2016), S. 3 f. Wie schnell sich dieses Forschungsfeld entwickelt, zeigt die noch zwei Jahre vor Publikation dieser Einleitung zu einem auf eine Tagung am ZZF 2014 zurückgehenden Sammelband vertretene Position Samidas, Public History sei „noch kein akademisch etabliertes Fach, sondern ein im besten Sinne fachübergreifendes Forschungsfeld“, Samida, Stefanie: Kommentar. Public History als Historische Kulturwissenschaft. Ein Plädoyer. Version 1.0, 2014 (17. Jun. 2014), URL: http://docupedia.de/zg/samida_public_history_kulturwissenschaft_v1_de_kommentar_2014 [letzter Zugriff: 19. Feb. 2018]. Irmgard Zündorf und Hanno Hochmuth hielten dagegen in ihrem im folgenden Jahr publizierten Kommentar fest, Public History sei eindeutig dabei, sich als „neue Subdisziplin der Geschichtswissenschaften“ zu etablieren und institutionalisieren. Zündorf, Irmgard / Hochmuth, Hanno: Kommentar. Public History als Zeitgeschichte. Version 1.0, 2015 (21. Mai 2015), URL: http://docupedia.de/zg/hochmuth_zuendorf_ public_history_zeitgeschichte_v1_de_kommentar_2015 [letzter Zugriff: 19. Feb. 2018]. Gundermann, Christine: Public History. Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstandes, in: Gundermann, Christine / Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte, Analysen, Dialoge, Berlin u. a. 2019, S. 87–114, S. 87. Ebd., S. 103. Vgl. Knoch (2016), S. 304, 312 f.

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Irmgard Zündorf, dass dieser Prozess abgeschlossen sei, indem sie Public History als „Teildisziplin der Geschichtswissenschaft“ 226 bezeichnen. 227 Diese Entwicklung war nicht trotz, sondern vielmehr aufgrund der definitorischen Unbestimmtheit des Begriffs möglich, der die Public History gerade für die deutschsprachige Zeitgeschichte interessant machte. Ohne die verschiedenen Bedeutungsdimensionen gänzlich zu übernehmen, schien sich das angloamerikanische Konzept in der bereits beschriebenen Phase der als dringend geboten erscheinenden Auseinandersetzung mit dem Geschichtsboom als Lösung einer zunehmend festgefahrenen begrifflichen Debatte anzubieten. So fasste Irmgard Zündorf Public History nicht nur als „öffentliche Geschichte“, sondern auch als „die fachwissenschaftliche Antwort auf die mit dem Boom verbundenen Herausforderungen“ 228, gegenüber denen anfangs „eher Ratlosigkeit“ 229 geherrscht habe. In Erweiterung einer von Frank Bösch und Constantin Goschler vorgelegten Definition definierte sie Public History als „jede Form der öffentlichen Geschichtsrepräsentation, die sich an eine breite, nicht geschichtswissenschaftlich vorgebildete Öffentlichkeit richtet, und [. . . ] die geschichtswissenschaftliche Erforschung derselben“ 230. Bösch und Goschler hatten Public History zuvor als „jede Form von öffentlicher Geschichtsdarstellung, die außerhalb von wissenschaftlichen Institutionen, Versammlungen oder Publikationen aufgebracht wird“ 231, definiert. Ihrer Definition lagen ein wissensgeschichtlicher Fokus und die Annahme zugrunde, dass es bislang 226 Lücke / Zündorf (2018), S. 24. 227 Als geschichtswissenschaftliche Teildisziplin wird Public History auch in der Abschlusspublikation des von 2017–2021 von der DFG geförderten Netzwerks Public History verstanden, vgl. Gundermann, et al. (2021), S. 14. 228 Zündorf (2010), leicht abgewandelt auch in der überarbeiteten Version Zündorf (2016). Als eine der zentralen Akteur*innen des Berliner Public History Masters ist Zündorfs Position auch im Hinblick auf die Anfänge der Institutionalisierung von Public History in Deutschland einflussreich. In ihrer jüngst gemeinsam mit Martin Lücke vorgelegten Einführung lautet die auf dieser Definition aufbauende Begriffsklärung: „Public History wird sowohl als jede Form der öffentlichen Geschichtsdarstellung verstanden, die sich an eine breite, nicht geschichtswissenschaftliche Öffentlichkeit richtet, als auch eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, die sich der Erforschung von Geschichtsrepräsentation widmet“, Lücke / Zündorf (2018), S. 24. 229 Zündorf (2016). 230 Ebd. 231 Weiter heißt es: „Die Public History ist folglich nicht allein mit der medialen Geschichtsdarstellung gleichzusetzen, sondern zeigt sich ebenso in anderen öffentlich zugänglichen Räumen (Museen, Gedenkstätten, Gerichtssäle u. a.). Historiker von Universitäten oder Forschungsinstituten partizipieren durchaus an dieser Public History, [. . . ]“, Bösch, Frank / Goschler, Constantin: Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, in: Bösch, Frank / Goschler, Constantin (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt [u. a.] 2009, S. 7–23, S. 10 (H. i. O.).

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in der deutschen Geschichtswissenschaft keinen Terminus gebe, der die außerakademische Produktion historischen Wissens fassen könne. 232 Die Rezeption der amerikanischen Diskussion zur Public History könne daher eine begriffliche Lücke in der deutschsprachigen Beschäftigung mit außerakademischer Geschichte füllen, auch wenn eine „ausgefeilte Theoriebildung“ 233 in den USA bisher ausgeblieben sei. 234 Auf partizipative Wissensproduktion in der außerakademischen Geschichte heben auch Juliane Tomann und Jaqueline Nießer mit ihrem Konzept einer ‚Angewandten Geschichte‘ ab. 235 Während ‚Angewandte Geschichte‘ als Begriff aufgrund der Instrumentalisierung von Geschichte für nationalistische, völkische und nationalsozialistische Ziele im deutschsprachigen Raum lange tabu gewesen sei, habe der Einfluss der amerikanischen Public-History-Bewegung den Begriff wieder salonfähig gemacht, wie Juliane Tomann gemeinsam mit weiteren Mitautor*innen 2011 betonte. 236 Als ein weiterer möglicher Konkurrenzbegriff ist ‚Angewandte Geschichte‘ zunächst vor allem als Übersetzung von ‚Public History‘ diskutiert worden. 237 Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug definierten

232 Vgl. ebd., S. 14. Mit Blick auf die Entwicklung von Public History in den USA merken sie an, dass zwar in den 1980er Jahren der Fokus auf Geschichte von unten in Geschichtswerkstätten und von Vertreter*innen der Alltagsgeschichte auch in Deutschland vorangetrieben worden sei. Auch habe es den Versuch einer Öffnung der Geschichtsdidaktik zur außerschulischen Geschichtsvermittlung gegeben – allerdings „ohne dass es zu einer entsprechenden Professionalisierung in der Lehre und Forschung kam“, dies. (2009), S. 15. Mit Blick auf eine sonst eher bemängelte Privilegierung der kognitiven Dimension innerhalb des didaktischen Geschichtskulturkonzepts (siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 189), ließe sich durchaus vermuten, dass es sich hier um eine der von Demantowsky in Bezug auf das Verhältnis von Erinnerungs- und Geschichtskultur beschriebenen Mangelrezeption handeln könnte, siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 197. 233 Bösch / Goschler (2009), S. 15. 234 Mit Blick auf die hier beleuchtete Konkurrenzsituation zwischen den theoretisch ungleich stärker unterfütterten Konzepten der Geschichts- und Erinnerungskultur erscheint die hier bemängelte theoretische und definitorische Offenheit der Public History allerdings weniger als Schwäche, sondern als Erfolgsfaktor in ihrer weiteren Entwicklung zur geschichtswissenschaftlichen Subdisziplin. 235 Vgl. Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane: Die Ironie der Praxis. Angewandte Geschichte an der Oder, in: Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn / München u. a. 2014a, S. 97–110, S. 109. 236 Vgl. Ackermann, Felix, et al.: Diskussion Angewandte Geschichte. Ein neuer Ansatz? Version 1.0, 2011 (15. Feb. 2011), URL: http://docupedia.de/zg/ackermann_littke_ diskussion_angewandte_geschichte_v1_de_2011 [letzter Zugriff: 19. Feb. 2018]. 237 Vgl. Hardtwig, Wolfgang / Schug, Alexander: Einleitung, in: Hardtwig, Wolfgang / Schug, Alexander (Hg.), History sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009, S. 9–17, S. 13: „Angewandte Geschichte hat sich im angelsächsischen Raum seit den 1970er Jahren etabliert, vorzugsweise unter dem Namen ‚public history‘“. Vgl. auch Zündorf (2014), S. 63.

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sie in ihrem viel zitierten Sammelband „History Sells!“ aus dem Jahr 2009 als ein Geschichtsverständnis und eine Art und Weise der Geschichtsvermittlung [. . . ], die sich zum großen Teil, aber nicht ausschließlich, außerhalb des akademischen Betriebs bzw. verwandte [sic] Institutionen findet. [. . . ] Zur Angewandten Geschichte gehören historische Festivals, Geschichtsparks, das History Marketing sowie andere Formen der Geschichtsvermittlung, die sich – nach akademischen Maßstäben – unkonventioneller Medien bedienen und damit auch nicht mehr als klassische Geschichtsschreibung in Texten zu verstehen sind. Die Themen und Medien der Angewandten Geschichte sind andere als die der universitären Geschichtsschreibung. Sowohl die spezifische Multi-Medialität als auch das ausdifferenzierte Themenspektrum der Angewandten Geschichte gehen einher mit der deutlichen Intention zur Popularisierung ihrer Inhalte und damit oftmals auch zu einer verstärkten Ausrichtung von Inhalt und Form auf den Markt. Dieser verstärkte Bezug auf den Markt – und damit auch eine verstärkte Abhängigkeit vom Markt – ist durchaus als integrales Definitionsmerkmal zu verstehen. 238

Auch dieser Definitionsvorschlag entstand aus der Wahrnehmung des Geschichtsbooms als Konkurrenz zur Deutungshoheit der klassischen Geschichtswissenschaft, die sich „weitgehend aus der Debatte zurückgezogen“ 239 habe. Um nicht von außeruniversitären Akteur*innen mit ihrer geballten Marktmacht verdrängt zu werden, müsse die Geschichtswissenschaft kritisch und korrigierend eingreifen, um die Produktion fragwürdiger Geschichtsbilder zu vermeiden. 240 Die Gestaltung von Geschichtsbildern stellt auch für Tomanns und Nießers Zugriff, der sich aus der Arbeit eines zivilgesellschaftlichen Vereins zu deutsch-polnischen Grenzbeziehungen heraus entwickelte, 241 einen zentralen Faktor dar: Angewandte Geschichte [. . . ] wird als Gestaltungsmöglichkeit historischer Sinnbildung verstanden, die den je spezifischen Ort und seine Akteure sowie die kulturellen Prägungen von Geschichtsbildern in den Mittelpunkt stellt. Es geht also darum, Menschen für ihre Wahrnehmungen von Geschichte zu sensibilisieren und sie dazu anzuregen, die eigenen und die Geschichtsbilder anderer zu hinterfragen. 242

Der Fokus der Angewandten Geschichte liege daher auf der Gesellschaft und nicht wie in der Public History auf der Öffentlichkeit. 243 Während hier also ein Unterschied zwischen beiden Konzepten betont wird, werden die 238 239 240 241 242 243

Hardtwig / Schug (2009), S. 12 f. Ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 12 f. Vgl. Nießer / Tomann (2014a), S. 108–110. Ebd., S. 108. Vgl. ebd., S. 109.

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Begriffe in der Praxis häufig synonym genutzt. Die noch unentschiedene Konkurrenz von ‚Public History‘ und ‚Angewandter Geschichte‘ zeigt sich beispielsweise in der Namensgebung der AG Angewandte Geschichte / Public History im VHD sowie in der Denomination der ersten Professur zur ‚Angewandten Geschichtswissenschaft / Public History‘ in Heidelberg. 244 Irmgard Zündorf kommt in ihrem Vergleich beider Begriffe zu dem Schluss, dass es sich weniger um „Konkurrenten“, sondern vielmehr um „Komplizen“ handle, die sich in ihren Erkenntnisinteressen ergänzen können und sollten. 245 Beide Begriffe seien nur schwer voneinander abzugrenzen, da sie dasselbe Feld mit unterschiedlichen Zielen bearbeiteten. Während für die Angewandte Geschichte aber die Interaktion mit Zeitzeug*innen im regionalgeschichtlichen Kontext im Vordergrund stehe, sei dies für die Public History nur eins der möglichen Themen. 246 Nicht die „Annäherung an Laien bzw. ‚Menschen vor Ort‘“ sei ihr Ziel, sondern vielmehr „eine Anbindung an die universitäre Geschichtswissenschaft“ 247. Dieser überzeugenden Unterscheidung ist eine Kritik an Hardtwigs und Schugs Definition hinzuzufügen, die mit dem von ihnen formulierten Ziel einer stärkeren Einbindung der universitären Geschichtswissenschaft in den geschichtskulturellen Diskurs eine Dichotomie zwischen beiden postuliert, die so nicht zu halten ist. 248 In eine ähnliche Richtung geht auch Jörn Rüsens treffende Kritik, dass der Begriff der ‚Angewandten Geschichte‘ suggeriere, „es gebe eine reine Erkenntnis, die wissenschaftlich erarbeitet und anschließend angewendet werde“. 249 Vielmehr muss sich auch die Public History als Teil der Geschichtswissenschaft verstehen, wie Irmgard Zündorf in Abgrenzung zu einer Definition des Salzburger Geschichtsdidaktikers Christoph Kühberger anmerkt. 250 Weder die Public 244 245 246 247 248 249

Vgl. dies. (2014b), S. 8 f.; Zündorf (2014), S. 63. Vgl. Zündorf (2014), S. 75. Vgl. ebd., S. 73 f. Ebd., S. 74. Ähnlich argumentierte jüngst auch Gundermann (2019), S. 94. Rüsen, Jörn / Tomann, Juliane: Geschichtskultur und Angewandte Geschichte. Prof. Jörn Rüsen im Gespräch mit Juliane Tomann, in: Nießer, Jacqueline / Tomann, Juliane (Hg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn / München u. a. 2014, S. 58–62; Rüsen / Tomann (2014), S. 59. Seine zutreffend formulierte Kritik lautet weiter: „Diese Vorstellung sollte von vornherein zurückgewiesen werden, da sie auf einer Dichotomie von history und application beruht bzw. application zu history hinzudenkt. Das ist vergleichbar zum Verhältnis von Grundlagenforschung und deren Anwendung in der Industrie, wo diese Unterscheidung Sinn macht. Die Vorstellung, es gebe so etwas wie eine reine, vom praktischen Gebrauch nicht ‚beschmutzte‘ historische Erkenntnis ist jedoch falsch. Die Annahme eines reinen Wissens, einer reinen Erkenntnis, die einen Selbstzweck darstellt, ist für die Geisteswissenschaften logisch unhaltbar.“ (H. i. O.). 250 Vgl. Zündorf (2014), S. 69. Vgl. dazu Kühbergers Definition von Public History als „historische Darstellungsformen, die außerhalb eines akademischen Forschungszu-

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History noch die Angewandte Geschichte habe aber bisher eine eigenständige Theoriebildung vorzuweisen 251 – ein Punkt, der in der Diskussion um Public History häufig vorgebracht wird. 252 Um dieser Theoriebedürftigkeit nachzukommen, forderte beispielsweise Stefanie Samida am Beispiel der Begriffe „Performanz“ und „Heritage“, Ansätze aus der Archäologie, den empirischen Kulturwissenschaften oder der Ethnologie heranzuziehen und so „eine historisch-empirische Kulturwissenschaft [. . . ] als ‚Interdisziplin‘“ 253 zu schaffen. Ebenso wie Samida plädiert auch Thorsten Logge für einen Rückgriff auf performativitätstheoretische Überlegungen, um die Potenziale der sich noch in ihrer Findungsphase befindlichen Public History voll auszuschöpfen. 254 Ein zentraler Punkt innerhalb der Diskussion um den Gegenstandsbereich der Public History ist außerdem die Frage, ob diese sich vor allem, wenn nicht gar ausschließlich auf die Zeitgeschichte beziehen oder auch andere Epochen zum Untersuchungsgegenstand machen sollte. 255 Während letztere Position außerhalb des deutschsprachigen Wissenschaftsraums relativ unstrittig zu sein scheint, 256 ist die Tendenz, die Public History an die Zeitgeschichte zu koppeln, hier weiterhin groß. Während dies einerseits mit der bereits dargestellten disziplinären Konkurrenz von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik um die Erforschung von Geschichte im öffentlichen Raum zusammenhängt, wurde die Diskussion auch innerhalb der Geschichtsdidaktik in Bezug auf die Definition von Geschichtskul-

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sammenhangs entstehen“, Kühberger, Christoph: Geschichtsmarketing als Teil der Public History. Einführende Sondierungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, in: Kühberger, Christoph / Pudlat, Andreas (Hg.), Vergangenheitsbewirtschaftung. Public History zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, Innsbruck / Wien / Bozen 2012, S. 14–53, S. 46. Auch Habbo Knoch streicht historische Repräsentationen aus dem Kontext von Fachwissenschaft sowie Schule und familiären Zusammenhängen aus dem Gegenstandsbereich der Public History, vgl. Knoch (2016), S. 304, 312 f. Vgl. Zündorf (2014), S. 74. Vgl. zuletzt z. B.: Gundermann, Christine / Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger: Geschichte in der Öffentlichkeit. Einleitung, in: Gundermann, Christine / Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte, Analysen, Dialoge, Berlin u. a. 2019, S. 7–12; Gundermann (2019); Tomann (2017), S. 64 f. Samida (2014). Ähnlich in Samida / Willner / Koch (2016), S. 4. Vgl. Logge (2016), S. 142, 151 f. Zur Performativitätstheorie vgl. grundlegend und für den deutschsprachigen Raum besonders einflussreich Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004; dies.: Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012. Für eine Kopplung von Public History und Zeitgeschichte vgl. vor allem Zündorf / Hochmuth (2015), für ein Plädoyer zur Ausweitung des Epochenzugriffs vgl. Samida (2014); Samida / Willner / Koch (2016). Vgl. Logge (2016), S. 145. So auch der deutliche Eindruck der Verfasserin innerhalb der Diskussionen auf der Jahrestagung der IFPH 2016 in Ravenna, Italien.

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tur als Untersuchungsgegenstand geführt. 257 Die Frage nach der Verankerung in der Zeitgeschichte ist aber nicht nur eine Frage der Standortbestimmung. Wenn man der Argumentation Marko Demantowskys in seinem 2016 auf ‚Public History Weekly‘ veröffentlichtem Debattenaufschlag zu Public History als „Aufhebung einer deutschsprachigen Debatte“ folgt, ist sie vielmehr ein Ausweg aus den „theoretische[n] Scheindebatten“ 258 um das Verhältnis von Erinnerungs- und Geschichtskultur. Für ihn scheint klar, „Erinnerungskultur ist die zeitgeschichtliche Geschichtskultur“ 259. Das flexible Epochenverständnis der Zeitgeschichte als „Epoche der Mitlebenden“ 260 mache sie zur Entsprechung des ebenfalls an die Zeitspanne mitlebender Generationen geknüpften kommunikativen Gedächtnisses im Sinne Aleida und Jan Assmanns. 261 Aus dieser Interpretation ergebe sich nicht nur eine Vereinbarkeit beider Konzepte, sondern vielmehr ihre sich bedingende Komplementarität. Die aus wissenschaftspolitischen Gründen verhärteten Deutungskonkurrenzen gelte es daher laut Demantowsky aufzugeben, um unter dem begrifflichen Schirm der Public History im Sinne eines gemeinsamen Erkenntnisinteresses Diskussionen und Forschung produktiv zusammenzubringen. 262 Die Integration des englischen Konzepts der Public History sei daher „eine günstige Gelegenheit [. . . ], alte Differenzen hinter sich zu lassen“ 263. Die Vorteile lägen nicht nur in der überfälligen Internationalisierung und Digitalisierung der Debatte, sondern auch in der Einbindung außeruniversitärer Akteur*innen nicht nur als Untersuchungsobjekte, in der Chance auf fortschreitende Institutiona-

257 So stützt etwa Lars Deile die Position Hans-Jürgen Pandels und argumentiert, die Geschichtsdidaktik untersuche, „das sinnbildende Wirken der Vergangenheit in der Gegenwart, wie solche Prozesse in der Vergangenheit stattfanden, untersucht die Kulturgeschichte“, Deile (2014). Bernd Schönemann wertet diese Position dagegen als Rückfall gegenüber der Neuorientierung der Geschichtsdidaktik seit den 1970er Jahren und zählt die Untersuchung vergangener Geschichtskulturen zum Aufgabenbereich der Geschichtsdidaktik, vgl. Schönemann (2002), S. 84. Auch Wolfgang Hasberg sprach sich jüngst noch einmal gegen eine Verengung auf die zeitgeschichtliche Dimension von Geschichtskultur aus, vgl. Hasberg (2019), S. 46 f. 258 Demantowsky, et al. (2015). 259 Ebd. (H. i. O.). 260 Rothfels, Hans: Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953) 1, S. 1–8, S. 2. 261 Vgl. Demantowsky, et al. (2015). 262 Einen ähnlichen Vorschlag machten auch Tomann und Nießer für das von ihnen präferierte Konzept der Angewandten Geschichte: „Eine Theoriebildung Angewandter Geschichte anhand der Vermittlung zwischen den Konzepten von Geschichts- und Erinnerungskultur könnte demnach wichtige Impulse beinhalten, um die Kommunikation zwischen Geschichtsdidaktik und historischer Fachwissenschaft zu beleben“, Nießer / Tomann (2014b), S. 10. 263 Demantowsky, et al. (2015). Mit Bezug auf Demantowsky plädierte dafür auch jüngst noch mal Gundermann (2019), S. 102.

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lisierung und in der Integration auf Schule bezogener Didaktik in den diese bisher aussparenden englischsprachigen Public-History-Diskurs. Die Reaktionen auf diesen Debattenaufschlag spiegelten nicht nur die inhaltlichen Positionen der Diskussion um die Etablierung der Public History, sondern beleuchten auch ihre forschungspraktischen und disziplinären Probleme, weshalb sie einen genaueren Blick lohnen. So lobte Holger Thünemann in seiner Antwort auf Demantowskys Debattenbeitrag zwar grundsätzlich dessen Intention, bezeichnete aber die Verantwortung, den Gegenstandsbereich der Public History präzise zu definieren, als ein Gebot der „wissenschaftliche[n] Professionalität“ 264, und wies den Vorwurf der Scheindebatten zurück. 265 Auch Stefanie Samida befürwortete Demantowskys Aufschlag zu einer konzeptionellen Verständigung über Public History im nach dieser benannten Blogjournal, das ihr schon beinahe als „Geschichtsdidaktik-Blog“ 266 erschienen sei. Zuletzt begrüßte auch Constantin Goschler in seiner Antwort den Debattenauftakt Demantowsyks, da es der deutschen Public History trotz fortschreitender Institutionalisierung noch immer an „theoretischer Selbstreflexion“ 267 mangele. Demantowskys Versuch, Public History als begrifflichen Schirm für die Auflösung der Deutungskonkurrenz zwischen Erinnerungs- und Geschichtskultur zu nutzen, kritisierte er jedoch mit Rückgriff auf einen Vergleich zwischen der Entwicklung von Public History in den USA und Deutschland. Durchaus nicht ohne eine der Debatte entsprechenden Zuspitzung hielt er fest: Bei der Adaption der Public History in Deutschland handelt es sich jedoch vorrangig um ein Top-down-Phänomen, das vor allem von akademischen ZeithistorikerInnen und FachdidaktikerInnen getragen wird. Erstere bauen damit auf ihre Medienpräsenz auf und letztere erweitern damit ihren lange auf die Schule beschränkten Wirkungskreis. Beide Gruppen schielen damit,

264 Demantowsky, et al. (2015). 265 Thünemanns Empfehlung lautete vor allem, die schon in der disziplinären Matrix von Jörn Rüsen enthaltene Wechselbeziehung von Lebenspraxis und Geschichtswissenschaft zu beachten und die Potenziale der didaktischen Geschichtskulturforschung für die Public History zu nutzen. Auch in der Einleitung zur von ihm und Wolfgang Hasberg herausgegebenen Reihe „Geschichtsdidaktik diskursiv – Public History und Historisches Denken“ hebt Thünemann mit seinem Coautor hervor, dass ein „intra- und interdisziplinärer Dialog, Kooperation zwischen geschichtsdidaktischer und historischer Forschung sowie Internationalisierung“ begrüßenswert sei und das Ziel der neuen Reihe darstelle, Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger: Geschichtsdidaktik diskursiv. Zur Einführung einer neuen Reihe, in: Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven, Frankfurt am Main 2016, S. 9–17, S. 13. Zur fortlaufend überarbeiteten disziplinären Matrix Rüsens vgl. die letzte Fassung in Rüsen (2013), S. 68. 266 Demantowsky, et al. (2015). 267 Ebd.

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manchmal getrennt, manchmal vereint, auf den in den letzten Jahren stark expandierten Markt der öffentlichen historischen Vermittlung. Das ist an sich nichts Schlechtes, nimmt man die Verantwortung für die Beschäftigungsmöglichkeiten von Absolventinnen und Absolventen ernst. Gleichwohl heißt das im Ergebnis, dass es bei der Public History bislang weniger um Epistemologie, sondern vor allem um Employability ging. 268

Auch wenn Goschlers zugespitzte Diagnose zur Attraktivität der Public History angesichts einer noch immer verfahrenen begrifflichen Konkurrenz in der deutschen Debatte nicht völlig von der Hand zu weisen ist, 269 bleibt die Frage nach einer produktiven Interpretation der dargestellten Forschungsdiskussion: Was lässt sich aus dieser Vielzahl an konkurrierenden Konzepten und aus den Vorschlägen zur Auflösung dieser Konkurrenzen als Resümee für die vorliegende Untersuchung ziehen? Auch wenn Holger Thünemanns Forderung nach begrifflicher Präzision als Basis einer guten wissenschaftlichen Arbeitsweise grundsätzlich zuzustimmen ist, muss seine Frage, ob die Konkurrenz der Konzepte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht vielleicht beflügle statt behindere, 270 deutlich verneint werden. Ob Simone Rauthes geradezu nach einer Warnung klingende Frage: „Welcher aufstrebende Fachhistoriker ist schon bereit, den ‚Makel Geschichtsdidaktik‘ in seinen Lebenslauf aufzunehmen?“ 271 oder zehn Jahre später Stefanie Samidas Aufatmen darüber, dass es sich bei ‚Public History Weekly‘ doch nicht um einen DidaktikBlog handele 272 – vieles spricht dafür, dass Thorsten Logge mit seiner Einschätzung richtig liegt, dass die Konkurrenz zwischen Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft den Aufstieg der Public History in Deutschland erschwert: Scholars within the field of historical didactics have engaged in public history for a long time but without labelling their efforts as such. Insofar as most of these new positions are or will be located in departments of historical didactics, those departments seem to be benefitting strategically from the momentum in public history. Yet creating a broader foundation for their

268 Ebd. 269 Als aktuelles Beispiel für die weiterhin bestehende unproduktive Begriffskonkurrenz siehe zuletzt etwa Kenkmann, Alfons: Gedenkstätten. Angewandte Geschichte ohne Public History-Hype?, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 11 (2021) 1, S. 17–21. 270 Vgl. Demantowsky, et al. (2015). 271 Rauthe (2005), S. 288. 272 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 266. Auch in der mit Sarah Willner und Georg Koch verfassten Einleitung zu einer praxistheoretisch ausgerichteten Public History ist kritisch von einem „stark pädagogische[n] und didaktische[n] Unterton“ vieler geschichtskultureller Arbeiten die Rede, Samida / Willner / Koch (2016), S. 2.

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discipline may only serve to further delegitimize public history in the eyes of classically trained historians. 273

Dass die konzeptionelle Konkurrenz nicht nur nach rein inhaltlichen Gesichtspunkten, sondern vor allem auch nach wissenschaftspolitischen und strategischen Fragen ausgehandelt wird, gilt für Vertreter*innen der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik gleichermaßen. Dies zeigt sich beispielsweise an Jörn Rüsens schlichter Gleichsetzung von Public History mit seinem eigenen Begriff der Geschichtskultur, bei der es sich lediglich um „eine andere (und genauere) Bezeichnung“ 274 handele, oder auf seine Antwort auf die Frage nach der Abgrenzung von Erinnerungsund Geschichtskultur in Hinblick auf das Konzept der ‚Angewandten Geschichte‘. 275 Im Gespräch mit Juliane Tomann empfahl der – in wissensgeschichtlicher Terminologie wohl als ‚Gatekeeper‘ 276 zu bezeichnende – Geschichtstheoretiker: Wenn der Begriff Angewandte Geschichte in der Wissenschaftslandschaft etabliert werden soll, muss er sich in eines der beiden bestehenden Konzepte einpassen. Wo sich der Begriff positioniert, ist eine strategische Entscheidung. Sie müssen sich, wenn Sie Angewandte Geschichte definieren wollen, entscheiden – sagen wir – zwischen Assmann und Rüsen. 277

Die in den hier angeführten Beispielen aufscheinende Konkurrenz zwischen Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft erscheint somit doch eher als Behinderung für die Erforschung des gemeinsamen Gegenstands, wes-

273 Logge (2016), S. 143. Auch Christine Gundermann bezeichnete die Frage der Zuordnung einer noch im Entstehen begriffenen Public History zur Geschichtsdidaktik oder Zeitgeschichte jüngst als „Stolperstein“ auf dem Weg zu ihrer disziplinären Etablierung, Gundermann (2019), S. 88. 274 Rüsen, Jörn: Was ist Public History? Ein Versuch, Geschichtskultur zu definieren, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 11 (2021) 1, S. 5–6, S. 5. 275 Dies gilt aber gleichermaßen für den Höhepunkt der vergleichenden Begriffsdiskussion um 2005, die oben bereits mit Stimmen von Hasberg, Thünemann und Demantwosky skizziert wurde. 276 Vgl. z. B.: Lipphardt, Veronika / Ludwig, David: Wissens- und Wissenschaftstransfer, 2011, URL: http://www.ieg-ego.eu/lipphardtv-ludwigd-2011-de [letzter Zugriff: 30. Jul. 2019]. 277 Rüsen / Tomann (2014), S. 59 f. Tomann selbst arbeitet in ihrer Analyse von Geschichtskultur im Strukturwandel am Beispiel der oberschlesischen Industriestadt Katowice mit Rüsens Kategorien Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur, die sie auf ihr Untersuchungsbeispiel anwendet. Auch sie geht von der theoretischen Überlegenheit der Konzepte Rüsens aus, die den Ansätzen der Erinnerungskulturforschung und Public History in „analytischer Schärfe“ überlegen seien, Tomann, Juliane: Geschichtskultur im Strukturwandel untersuchen. Zum öffentlichen Umgang mit Geschichte im (post)industriellen Katowice, in: Thünemann, Holger, u. a. (Hg.), Begriffene Geschichte, Geschichte begreifen. Jörn Rüsen zu Ehren, Frankfurt am Main 2016, S. 127–148, S. 134; vgl. auch Tomann (2017), S. 66–76.

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halb es gilt, sie durch eine produktive Verbindung der konkurrierenden Konzepte zu überwinden. Ich plädiere daher dafür, Public History als nicht auf die Zeitgeschichte beschränkte geschichtswissenschaftliche Subdisziplin zu verstehen, die an der Schnittstelle von Fachwissenschaft und Geschichtsdidaktik angesiedelt ist. Sie untersucht Geschichtskultur als soziales Feld im in Kapitel 1.2 beschriebenen Sinne und versteht sich gleichzeitig als Akteurin innerhalb dieses Felds. Sie zielt auf mehr, als nur die berufliche Qualifikation von Geschichtsstudierenden für den außeruniversitären und außerschulischen Arbeitsmarkt zu gewährleisten, die sich auch durch die Integration von Projektlehre in bestehende Geschichtsstudiengänge abdecken ließe. 278 Sie muss mehr im Blick haben als „Employability“, wie Constantin Goschler zutreffend fordert, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen lassen möchte, „Power-Point-Profis mit Kurzzeitgedächtnis“ 279 auszubilden, die das Handwerk der Geschichtswissenschaft nicht beherrschen. Ihre „Epistemologie“ sollte daher auf das Feld der Geschichtskultur fokussieren, das nicht in Konkurrenz zu, sondern unter Einbezug von Theorien zum kommunikativen und kulturellen Gedächtnis analysiert wird. 280 Gleichzeitig sollte die Public History als geschichtswissenschaftliche Disziplin die Erklärungsversuche des Geschichtsbooms historisieren, indem sie diese, wie in der vorliegenden Untersuchung angestrebt, auch als Legitimationsund Argumentationsstrategien geschichtskultureller Akteur*innen in den Blick nimmt. Goschlers Feststellung, dass es sich bei der deutschen Spielart der Public History „vorrangig um ein Top-down-Phänomen“ 281 handele, wäre dann nicht mehr nur ein Vorwurf an eine entstehende Disziplin, sondern wird durch die historisierende Analyse des Geschichtsbooms und seiner Erklärungsversuche zum Teil des Untersuchungsgegenstands. Die

278 Zur Projektlehre im Geschichtsstudium vgl. Senger, Ulrike / Robel, Yvonne / Logge, Thorsten (Hg.): Projektlehre im Geschichtsstudium. Verortungen, Praxisberichte und Perspektiven, Bielefeld 2015. 279 Renner, Kaspar: Powerpoint-Profis mit Kurzzeitgedächtnis. Der Masterstudiengang „Public History“ soll moderne Geschichtsvermittler ausbilden – ohne Kernkompetenzen wie Recherche und Quellenkritik, in: Süddeutsche Zeitung, 04. 10. 2008. 280 Auf die beschriebene Konkurrenz zwischen Erinnerungskultur, Geschichtskultur und Public History lässt sich an dieser Stelle übertragen, was Markus Bernhardt treffend für die Debatte um den Stellenwert von Gegenwarts- und Zukunftsbezug von Geschichte formuliert hat: „Um nun zu einer aktuellen Neujustierung des Gegenwarts- und Zukunftsbezugs zu kommen, sollte man daher nicht wieder die Unterschiede in der Argumentation der Kontrahenten betrachten, sondern die Übereinstimmung“, Bernhardt, Markus: Historia magistra vitae? Zum Gegenwartsund Zukunftsbezug des Geschichtsunterrichts, in: Sandkühler, Thomas, et al. (Hg.), Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung, Göttingen 2018, S. 131–142, S. 134. 281 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 268.

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Aufgabe lautet somit gerade nicht, sich zwischen „Assmann und Rüsen“ 282 zu entscheiden, sondern die konkurrierenden Konzepte in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds einzuordnen. Somit wird zum einen eines der Forschungsvorhaben der Public History eingelöst, „den Wandel der Vergangenheitsvergegenwärtigung und ihrer Vermittlung selbst zu historisieren“ 283, und zum anderen ein Beitrag zur zuvor skizzierten Forschungsdiskussion in der Zeitgeschichte um Zeitund Zukunftsvorstellungen geleistet. Dem Selbstverständnis einer geschichtswissenschaftlichen Subdisziplin „Public History“ als Akteurin im zu untersuchenden Feld der Geschichtskultur liegt hierbei ein egalitäres und kein hierarchisches Verständnis von Teilhabe an den Aushandlungsprozessen innerhalb des Felds zugrunde. Ich plädiere dafür, Public History nicht als „Diffusionswissenschaft“ 284 zu verstehen, die davon ausgeht, dass historisches Wissen zunächst in der akademisch institutionalisierten Wissenschaft zu gewinnen und dann nur möglichst geschickt an ein interessiertes Publikum zu vermitteln ist. Vielmehr liegt dieser Studie ein durch Interaktion und Teilhabe geprägtes Verständnis von Wissensproduktion zugrunde. 285 Nicht der korrigierende Eingriff in die Produktion von Geschichtsbildern sollte das primäre Motiv einer Partizipation der Geschichtswissenschaft im Feld der Geschichtskultur sein, 286 wohl aber die Bildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins als „kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Gebrauch von Geschichte“ 287, wie Habbo Knoch in seinen Überlegungen zur Rolle von Public History in der Frage nach der Deutungshoheit über Geschichte betont hat. Er stellt fest, dass die Public-History-Bewegung in den USA und die Bemühungen zur Konzeptualisierung von Geschichtsbewusstsein als zentraler Kategorie der Geschichtsdidaktik in den 1970er Jahren die Überzeugung teilten, dass eine demokratieorientierte Vermittlung von vergangenem Geschehen zu einer kritischen Auseinandersetzung und autonomen Reflexionen anleiten solle, statt zu einem affirmativen Lernen von vorgegebenen (nationalen) Identitätstraditionen zu führen. Dieser Ansatz gründet in der Kontingenz

282 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 277. 283 Vgl. Zündorf / Hochmuth (2015). 284 So Goschlers Vorwurf in der Debatte auf Public History Weekly, Demantowsky, et al. (2015). 285 Zu Shared Authority im Kontext der Public History vgl. z. B. Cauvin (2016), S. 216– 229. 286 Vgl. Hardtwigs und Schugs Kritik, die Geschichtswissenschaft habe sich aus der öffentlichen Debatte zurückgezogen, obwohl sie korrigierend in diese eingreifen könnte, Hardtwig / Schug (2009), S. 12. 287 Knoch (2016), S. 339.

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von Zeitlichkeit an sich: Vergangene Erfahrungen bieten keine Gewähr für taugliche Zukunftsprognosen, historische Kenntnisse eröffnen keine Gesetzmäßigkeiten. 288

Ähnlich argumentierte jüngst auch Markus Bernhardt in seinem Plädoyer für die Einführung von Kontingenz als geschichtsdidaktischer Kategorie. Nicht die Konstruktion einer linearen Fortschrittsnarration, wie sie nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern auch außerhalb der Schule noch häufig dominiert, 289 sondern die Frage nach alternativen Zukünften vergangener Gegenwarten ermögliche es, sich kritisch zu (nationalstaatlichen) Identitätskonstruktionen ins Verhältnis zu setzen und das Bewusstsein für die Kontingenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schärfen. 290 Bernhardt argumentiert hierbei auf der Grundlage einer kritischen Rekapitulation der Debatte um den Gegenwarts- und Zukunftsbezug von Geschichte, die in der Krise des Fachs um 1970 zwischen Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft entbrannte. 291 Sowohl Bernhardt als auch Knoch verweisen damit auf die Bedeutung der Erfahrung von Kontingenz für die Konstruktion von Zeit- und Zukunftsvorstellungen, die sich in der als Umbruchphase wahrgenommenen Zeit der 1970er Jahre Bahn brach. Dieser Zusammenhang eröffnet den Blick auf die dritte Diskussion, in die sich die vorliegende Studie einordnet, die anhand des Untersuchungsbeispiels Ruhrgebiet auf den Strukturbruch in den 1970er Jahren schaut. 1.3.3 Ruhrgebiet, Strukturwandel, Strukturbruch In ihrer einflussreichen Arbeit zu „Perspektiven auf die Zeitgeschichte nach 1970“ stellten Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael die These auf, dass es in den 1970er Jahren in den westlichen Industriegesellschaften zu einem Strukturbruch gekommen sei, der „sozialen Wandel von revolutionärer Qualität“ 292 hervorgebracht habe. Damit sei nicht nur die wirtschaftliche Hochkonjunktur der als „Boom-Ära“ bezeichneten 1950er und 1960er Jahre an ihr Ende gekommen, sondern „auch ein 288 Ebd. 289 Als bekanntes und einschlägiges Beispiel mag hier der Verweis auf die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin genügen, das die Besucher*innen in seinem Rundgang zur deutschen Geschichte in die germanische Vergangenheit eintreten lässt und in der Gegenwart der wiedervereinten Bundesrepublik entlässt. 290 Vgl. Bernhardt (2018), S. 139–142. 291 Vgl. ebd., S. 133–135. 292 Doering-Manteuffel / Raphael (2010), S. 28 (H. i. O.).

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Ordnungsmodell der industriellen Lebenswelt“ 293. Der sich auf Ebene der Industrieproduktion vollziehende Strukturwandel führte nicht nur zu einem Umbruch in zentralen Wirtschaftsbereichen, sondern auch zu einem Umdenken in der Wirtschaftstheorie, deren keynesianisches Grundmodell erschüttert schien. 294 Auch wenn Doering-Manteuffel und Raphael ihre Strukturbruchthese inzwischen in Auseinandersetzung mit der durch sie ausgelösten intensiven Diskussion innerhalb der Zeitgeschichtsforschung weiter ausdifferenziert haben, 295 ist ihre Perspektivierung für die zeithistorische Forschung zu den Jahrzehnten seit den 1970er Jahren weiterhin zentral. So präzisieren sie, dass der Begriff ‚Strukturbruch‘ die „Beobachtung von zahlreichen Brüchen an unterschiedlichen Stellen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den westeuropäischen Ländern bündeln soll“ 296, die sich besonders an „Entlassungen und dann Schließung von Werften, Stahlwerken oder Zechen und deren Auswirkungen auf Kernregionen der ersten und zweiten Industrialisierung“ 297 beobachten ließen. Die schon in den späten 1950er Jahren einsetzende Krise des Steinkohlenbergbaus läutete noch in der Boom-Ära das Ende derselben ein und breitete sich vom amerikanischen „Rust Belt“ über Mittelengland, Belgien und Nordfrankreich bis ins Ruhrgebiet aus. 298 Der damit eingeläutete „Niedergang der industriellen Welt“ 299 in Europa und Nordamerika bedeutete laut DoeringManteuffel und Raphael auch einen grundlegenden mentalitätsgeschichtlichen Wandel, denn die „industrielle Moderne bildete den Erfahrungsraum aller lebenden Generationen und bestimmte ihren Erwartungshorizont“ 300, weshalb die Geschichte des Strukturbruchs nicht nur aus politik-, wirtschafts- oder institutionsgeschichtlicher Perspektive erforscht werden dürfe. 301

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Ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 20 f., 52 f. Vgl. das Vorwort zur zweiten Auflage ebd., S. 7–23. Ebd., S. 13. Ebd. Vgl. ebd., S. 53. Für die Forschung zum „Rust Belt“ in den USA vgl. z. B. Neumann, Tracy: Remaking the Rust Belt. The Postindustrial Transformation of North America, Philadelphia 2016; zu Glasgow vgl. Gerstung, Tobias: Stapellauf für ein neues Zeitalter. Die Industriemetropole Glasgow im revolutionären Wandel nach dem Boom (1960–2000), Göttingen 2016. 299 Doering-Manteuffel / Raphael (2010), S. 53. 300 Ebd. 301 Eine solche Trennung wird in der Forschung allerdings oft nahgelegt. So trennt etwa Jarausch, Konrad H. (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008 die Beiträge in die Bereiche Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Alltag und Politik auf. Auch in ruhrgebietsbezogener Forschung wird häufig

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Knapp zehn Jahre vor Erheben dieser Forderung hatte Stefan Goch in seiner als politikwissenschaftliche Habilitationsschrift eingereichten und für die Erforschung des Strukturwandels im Ruhrgebiet weiterhin zentralen Studie 302 eine solch umfassende Perspektive auf die Erforschung strukturellen Wandels angestrebt: Strukturwandel wird hier nicht nur als relativ autonomer wirtschaftlicher Wandel, sondern als umfassender sozioökonomischer Wandel verstanden, weil das komplexe teilräumliche Geschehen nicht nur durch ökonomische Prozesse geprägt wird, sondern zur Erklärung regionaler Entwicklung auch gesellschaftliche, politische, kulturelle und institutionelle Faktoren zu berücksichtigen sind. Damit werden Veränderungen der Sozialstruktur sowie politisch-institutionelle und politisch-kulturelle Komponenten des Wandels in die Untersuchung einbezogen. 303

Diese Definition sollte nicht nur eine möglichst umfassende Forschungsperspektive ermöglichen, sondern auch der von Goch kritisierten Unbestimmtheit des Begriffs entgegenwirken, da sich dieser zum „Allerweltsbegriff“ 304 entwickelt habe. Entgegen Gochs Postulat einer umfassenden Begriffsbestimmung wird ‚Strukturwandel‘ in der Forschung meist nur auf wirtschaftlichen Wandel bezogen und bezeichne dann das Konglomerat sektoraler, branchenmäßiger sowie technisch-arbeitsorganisatorischer Veränderungen. Als wesentliche Elemente gelten gemeinhin die Verschiebungen zwischen den Sektoren und Branchen der Wirtschaft und die Veränderungen der Verflechtungsstrukturen, der Art und Weise zu arbeiten und der Zusammensetzung der abhängig Beschäftigten. 305

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eine derartige Trennung vorgenommen, vgl. z. B. Adamski, Jens / Riediger, Julia: Gesellschaftlicher Strukturwandel. Bildungsrevolution, Daseinsweisen und soziokulturelle Herausforderungen, in: Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 1, Essen 2010, S. 947–950; Vollmer, Walter / Löwen, John Wesley: Wirtschaftlicher Strukturwandel. Technische Innovation und Arbeit im Ruhrgebiet, in: Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 1, Essen 2010, S. 831–838. Goch (2002). Ebd., S. 16. Zur Notwendigkeit, sowohl ökonomische, räumliche als auch auf die politische Kultur von Regionen bezogene Erklärungsmodelle für Strukturwandel komplementär heranzuziehen, um der Komplexität des Strukturwandels im Ruhrgebiet gerecht zu werden vgl. auch Goch (2002), S. 44. Für einen Forschungsüberblick zum Strukturwandel in der Region bis zum Stand seiner Arbeit und differenziert nach verschiedenen Erklärungsmodellen vgl. Goch (2002), S. 48–51. Goch (2002), S. 16. Ebd. Stellvertretend für diesen weit verbreiteten Begriffsgebrauch soll hier eine Definition von Bernd Faulenbach aufgeführt werden, der Strukturwandel ebenfalls in erster Linie ökonomisch definiert und von einem parallelen sozialen und kulturellen Wandel spricht: „Unter ‚Strukturwandel‘ verstanden werden Verschiebungen zwischen Sektoren und Branchen industriell-gewerblicher Tätigkeit, die damit verknüpfte Einführung neuer Organisationskonzepte, Wandel der Unternehmens-

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Neben dieser begrifflichen Engführung ist außerdem festzustellen, dass der Begriff häufig gar nicht weiter definiert, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Lutz Raphael hielt jüngst gar fest, bei dem für die Zeit ‚nach dem Boom‘ prägenden Strukturwandel handele es sich um „einen langfristigen Trend, an den wir uns in Westeuropa wie an ein Naturgeschehen gewöhnt haben“ 306. Innerhalb welcher Strukturen sich der beschriebene Wandel vollzieht, wird oftmals nicht näher bestimmt, wobei ein ökonomisches Verständnis auch in solchen Fällen zumeist zu dominieren scheint. 307 Ambivalent ist außerdem die Konnotation des Begriffs. Wird „Strukturwandel“ häufig vor allem als Krise gelesen, die es zu bewältigen galt und gilt, 308 geht mit ihm bisweilen auch die Lesart als Chance ein-

größen, Veränderungen der Arbeit, der Beschäftigungsstruktur, der Qualifikationssysteme etc. Verbunden mit dem Strukturwandel ist in aller Regel sozialer und kultureller Wandel. Keine Frage, dass sich im Ruhrgebiet seit den 1950er Jahren ein umfassender Strukturwandel vollzogen hat“, Faulenbach, Bernd: Der Strukturwandel und die politischen Machtverhältnisse im Ruhrgebiet, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.), Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, Essen 2007, S. 82–91, S. 82. Auch in regionalhistorischer Perspektive wird häufig ein ökonomisches Verständnis des Begriffs zugrunde gelegt, als Beispiel soll hierfür die Definition von Uwe Danker und Sebastien Lehmann gelten: „Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es sich beim sektoralen Strukturwandel also um eine anteilsmäßige Verschiebung der Bruttowertschöpfungsbeiträge (Produktionsstruktur) oder der Beschäftigungszahlen (Beschäftigungsstruktur) einzelner Sektoren handelt“, Danker, Uwe / Lehmann, Sebastian: Großer Wandel im kleinen Raum. Strukturwandel in regionalhistorischer Perspektive. Eine Einführung in Band und Thema, in: Danker, Uwe / Harbeke, Thorsten / Lehmann, Sebastian (Hg.), Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Neumünster / Hamburg 2014, S. 7–26, S. 14. Für einen Überblick über den Forschungsstand zum Strukturwandel der (Schwer)industrie vgl. Grüner, Stefan: Strukturwandel und (Schwer-)industrie. Forschungsstand und Perspektiven, in: Danker, Uwe / Harbeke, Thorsten / Lehmann, Sebastian (Hg.), Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Neumünster / Hamburg 2014, S. 124–157. 306 Raphael, Lutz: Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Bonn 2019, S. 9. 307 Vgl. etwa Berger, Stefan: Industriekultur und Strukturwandel in deutschen Bergbauregionen nach 1945, in: Ziegler, Dieter (Hg.), Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013, S. 571–601; Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010b, S. 102–105; Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter: Einleitung, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.), Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, Essen 2007, S. 4–7. 308 Die Lesart als Krise dominiert zumindest sprachlich auch bei Goch (2002), wenngleich er betont, dass „Bewältigung des Strukturwandels“ als inhaltlich offen angelegter Begriff für den individuellen und kollektiven Umgang mit den Wandlungsprozessen innerhalb der Region gemeint ist, vgl. Goch (2002), S. 19. Für die Lesart als Krise vgl. außerdem z. B. Rüsen, Jörn / Flender, Armin: Das Ruhrgebiet im Strukturwandel, in: Arbeitskreis Ruhrgebiet – Oberschlesien (Hg.), Ruhrgebiet, Oberschlesien. Stadt, Region, Strukturwandel. Dokumentation der Tagung auf Zollverein, Es´ a¸sk: miasto, region, przemiany sen, 10. und 11. April 2003 = Zagłe¸bie Ruhry Górny Sl

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her, 309 die es geschickt und planvoll auszunutzen gelte. Zuletzt rückte auch die Frage nach dem Strukturwandel als „Abschied von jenen industriellen Zukünften, die noch um 1970 die kollektiven Fantasien in den westeuropäischen Gesellschaften beflügelt hatten“ 310 in den Fokus der Zeitgeschichtsforschung ‚nach dem Boom‘. An die damit verbundene Frage nach der „Selbsthistorisierung der Industriegesellschaft als eine abgeschlossene Phase der westeuropäischen Moderne“ möchte ich mit der Analyse von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln zum Management strukturellen Wandels anschließen. Damit möchte ich zur Untersuchung der Auswirkungen von Deindustrialisierungsprozessen auf die Konstruktion kollektiver Erinnerung und Identität beitragen, die jüngst in den Fokus der Public History gerückt wurde. 311 In Anlehnung an die Forderung von Doering-Manteuffel und Raphael sowie an die maßgebliche Arbeit Gochs lege ich dafür ein umfassendes Verständnis von Strukturwandel zugrunde. Dies bedeutet, nicht nur von einem ökonomischen Wandlungsprozess auszugehen, der soziale Konsequenzen zeitigt, darüber hinaus auch eine „kulturelle Seite“ 312 hat und bewältigt werden muss. Vielmehr sind die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen gleichermaßen als konstitutive Elemente des strukturellen Wandlungsprozesses zu verstehen, der sich seit Beginn der Kohlekrise im Ruhrgebiet beobachten lässt. Darüber hinaus gilt es, Wandel als eine Form der Transformation zu verstehen, die „immer auch Kontinuität einschließt“ 313, weshalb der Blick auch auf Kontinuitäten und Pluritemporalitäten innerhalb des Wandlungsprozesses zu richten ist. Indem der strukturelle Wandel der Region außerdem in seiner Dimension als Kontingenzerfahrung in den Blick genommen wird, 314 eröffnet sich ein

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strukturalne, Essen 2004, S. 13–16, S. 14, die von einer „strukturellen Dauerkrise“ sprechen. Vgl. weiterhin Goch, Stefan: Stadtgeschichtsforschung im Ruhrgebiet. Ein Forschungs- und Literaturbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte 34 (1994), S. 441– 475, S. 472. Vgl. hierzu zusammenfassend Jarausch (2008), S. 12–15, der treffend von „Koinzidenz von Krisenrhetorik und Aufbruchsstimmung“ (S. 15) spricht und diese mit der Intensität des Wandels erklärt. Raphael (2019), S. 10. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Vgl. Berger / Wicke (2017), S. 11. Rüsen, Jörn: Die Zukunft der Vergangenheit, in: Jordan, Stefan (Hg.), Zukunft der Geschichte. Historisches Denken an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 175–182, S. 175. Reißig, Rolf: Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert. Ein neues Konzept sozialen Wandels, Wiesbaden 2009, S. 34. Die Ebene der Kontingenzerfahrung als Wahrnehmung der Wandelbarkeit vermeintlich fester Strukturen und Gewissheiten ist ausdrücklich von einem strukturellen Kontingenzbegriff zu unterscheiden. Dieser bezeichnet die „Nichtdeterminiertheit im Übergang zwischen zwei Zuständen bzw. zwei Ereignissen“, Niederberger,

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Zugriff auf die Geschichte des Strukturwandels im Ruhrgebiet, der ihn als ambivalentes Phänomen sichtbar, also als Krise und Chance zugleich beschreibbar macht. Strukturpolitik ist in dieser Lesart nicht allein als Bewältigungsstrategie zu verstehen, sondern im Sinne eines „komplexen sozialen Managements“ 315 als Versuch, die potenzielle Wandelbarkeit von Strukturen „strukturell zu integrieren“ 316. Ein solches Begriffsverständnis soll also einerseits an die Forschung zum allgemeinen Strukturbruch und zum regionalen Wandel des Ruhrgebiets andererseits anschließen 317 und zugleich eine möglichst große analytische Offenheit ermöglichen, indem plurale Wahrnehmungen der Umbruchserfahrungen in den Blick genommen werden. Die Entwicklung der geschichtskulturellen Landschaft

Andreas: Die Kontingenz der Welt als Problem des Handelns. Die Grenzen des Handlungswissens und die Theorie des kommunikativen Handelns, in: Hogrebe, Wolfram. (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongress für Philosophie, Bonn, 23.–27. September 2002. Sektionsbeiträge, Bonn 2002, S. 1077– 1088, S. 1077. Kontingenzerfahrung dagegen lässt sich mit Arnd Hoffmann verstehen als „Erleiden des Unbestimmten, oder wie Wilhelm Busch meinte: ‚Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt‘“, Hoffmann, Arnd: Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewusstsein aus historischer Perspektive, in: Toens, Katrin / Willems, Ulrich (Hg.), Politik und Kontingenz, Wiesbaden 2012, S. 49–64, S. 58. Die Verarbeitung von Kontingenzerfahrungen kann zur Bildung eines Kontingenzbewusstseins im Sinne einer „perspektivierenden und reflexiven Haltung zu diesem Unbestimmten“ führen, ders. (2012). 315 Makropoulos, Michael: Kontingenz. Aspekte einer theoretischen Semantik der Moderne, in: European Journal of Sociology 45 (2004) 3, S. 369–399, S. 385. 316 Ebd. 317 Vgl. zusätzlich zur bereits angeführten Literatur zum Strukturwandel im Ruhrgebiet Arndt, Olaf, et al.: Lehren aus dem Strukturwandel für die Regionalpolitik im Ruhrgebiet. Endbericht der Prognos AG in Zusammenarbeit mit dem InWIS-Institut InWIS Forschung & Beratung GmbH, Bremen / Berlin / Bochum 2015; Bronny, Horst M./Jansen, Norbert / Wetterau, Burkhard: Das Ruhrgebiet. Landeskundliche Betrachtungen des Strukturwandels einer europäischen Region, Essen 2002; Enge, Thorsten: Cluster im Strukturwandel alter Industrieregionen. Das Ruhrgebiet und Glasgow im Vergleich, Marburg 2005; Goch, Stefan: Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen. Vergleichsweise misslungen oder den Umständen entsprechend erfolgreich?, in: Goch, Stefan (Hg.), Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, Münster 2004, S. 11–53; Goch, Stefan (Hg.): Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, Münster 2004; Hoppe, Wilfried, et al.: Das Ruhrgebiet im Strukturwandel. Diercke Spezial, Braunschweig 2010; Noll, Wulf: Nach dem Ende der industriellen Massenproduktion. Das Ruhrgebiet im globalen Strukturwandel, in: Brautmeier, Jürgen, et al. (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 263–276; Tenfelde, Klaus: Das Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen. Das Land und die Industrieregion im Strukturwandel der Nachkriegszeit, in: Barbian, Jan-Pieter / Heid, Ludger (Hg.), Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 24–40; Wehling, Hans-Werner: Strukturwandel an der Ruhr. Die Entwicklung des Ruhrgebiets im Spiegel regionaler Strukturmodelle, in: Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre 38 (2010) 2, S. 18–27; Habrich, Wulf / Hoppe, Wilfried (Hg.): Strukturwandel im Ruhrgebiet. Perspektiven und Prozesse, Dortmund 2001.

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der Region wird damit nicht als „kulturelle Seite“ 318 der Bewältigung des Strukturwandels verstanden, sondern wird als Feld von Zukunftshandeln zum Management dieses Wandels beschreibbar. Daran geknüpft ist die Frage, wie sich das Ruhrgebiet als räumliche Einheit bestimmen lässt. In der Forschung besteht Konsens darüber, dass es sich um eine „vergleichsweise junge Region“ 319 handelt, die erst durch die Industrialisierung hervorgebracht wurde. 320 Wie sich diese Region genau eingrenzen lässt, ist allerdings schwierig zu definieren, da sie in den Zuständigkeitsbereich dreier verschiedener Regierungsbezirke und zweier Landschaftsverbände fällt, 321 also keine klaren administrativen oder politischen, allerdings auch keine naturräumlichen Grenzen aufweist. 322 Häufig wird daher das Gebiet des Regionalverbands Ruhr (RVR) für wissenschaftliche Analysen zugrunde gelegt, 323 dessen Zuständigkeit elf kreisfreie Städte und vier Kreise mit ca. 5,1 Millionen Einwohner*innen umfasst. 324 Der 1920 als Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) gegründete Verband war für die Regionalplanung zuständig, büßte jedoch im Zuge der nordrhein-westfälischen Verwaltungsreform 1975 einen Großteil seiner planerischen Kompetenzen ein und wurde 1979 zum Kommunalverband 318 Siehe Kapitel 1.3.3, Anm. 312. 319 Borsdorf / Grütter / Nellen (2007), S. 4. 320 Vgl. z. B. auch Prossek, Achim, et al.: Das Ruhrgebiet. Eine Region macht sich, in: Prossek, Achim, et al. (Hg.), Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild, Köln 2009b, S. 7; Goch, Stefan: Das Ruhrgebiet. Kaum zu fassen, in: ders. (Hg.), Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild, Köln 2009, S. 10–13, S. 10. 321 Es handelt sich um die Regierungsbezirke Düsseldorf, Münster und Arnsberg sowie um die Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL). Zur Gründung der Landschaftsverbände im Jahr 1953 vgl. Romeyk, Horst: Westfälisches Beispiel und westfälische Beharrlichkeit. Die Wiederbegründung der Landschaftsverbände, in: Reinicke, Christian (Hg.), Nordrhein-Westfalen, ein Land in seiner Geschichte. Aspekte und Konturen 1946–1996, Münster 1996, S. 171–175; Tenfelde, Klaus: Über Verwaltungsreform im Bindestrichland, in: Rudolph, Karsten, et al. (Hg.), Reform an Rhein und Ruhr. Nordrhein-Westfalens Weg ins 21. Jahrhundert, Bonn 2000, S. 12–20; S. 15. 322 Vgl. z. B. Boldt, Kai-William / Gelhar, Martina: Das Ruhrgebiet. Landschaft, Industrie und Kultur, Darmstadt 2008, S. 7; Borsdorf / Grütter / Nellen (2007), S. 4; Goch (2002), S. 23. 323 So beispielsweise bei Hasselberg, Tanja: Parks und Gärten auf Brachen. Umnutzung industrieller Flächen im Ruhrgebiet, Worms 2011, S. 22; Boldt / Gelhar (2008), S. 7; Goch (2002), S. 24; ders.: „Der Ruhrgebietler“. Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung regionalen Bewußtseins im Ruhrgebiet, in: Westfälische Forschungen 47 (1997), S. 585–620, S. 585; Faulenbach, Bernd / Jelich, Franz-Josef: Vorwort, in: Faulenbach, Bernd / Jelich, Franz-Josef (Hg.), Literaturwegweiser zur Geschichte an Ruhr und Emscher. Im Auftrag des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, Essen 1999, S. 7–8, S. 7. 324 Vgl. dazu http://www.metropoleruhr.de/regionalverband-ruhr/ueber-uns/gebietaufgaben.html [letzter Zugriff: 19. März 2018].

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Ruhr (KVR) umgewandelt. Erst mit der erneuten Umwandlung zum RVR im Jahr 2009 wurden die auf die Regierungsbezirke aufgeteilten Kompetenzen der Regionalplanung wieder bei einer Institution gebündelt. 325 Das Verbandsgebiet soll auch in dieser Arbeit als basale Eingrenzung für den Untersuchungsraum dienen, wobei Prozesse der Raumkonstruktion innerhalb des geschichtskulturellen Felds später noch genauer in den Blick genommen werden. Mit Fragen der Raumkonstruktion ist auch die Frage nach der Bezeichnung des Raums verbunden. Von den vielen für die Region gebräuchlichen Namen begann sich in den 1920er und 1930er Jahren die zunächst im wasserwirtschaftlichen Sinne gebrauchte Bezeichnung „Ruhrgebiet“ gegen andere Begriffe wie „Rheinisch-Westfälisches Industriegebiet“ oder „Ruhrkohlenbezirk“ durchzusetzen. 326 Wie Achim Prossek gezeigt hat, sind die verschiedenen Namen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Interessenslagen verbunden, 327 worauf an anderer Stelle ebenfalls noch zurückzukommen sein wird. In dieser Zeit entstanden auch eine Reihe von literarischen Darstellungen, 328 die für die Außen- und Selbstwahr325 Zur Geschichte des RVR und seiner Vorgängerinstitutionen vgl. z. B. Danielzyk, Rainer: Vom SVR über den KVR zum RVR. Zur Geschichte der Regionalplanung im Ruhrgebiet, in: Fehlemann, Klaus, et al. (Hg.), Charta Ruhr. Denkanstöße und Empfehlungen für polyzentrale Metropolen, Essen 2010; Benedict, Andreas: Regionale Planung und Strukturförderung. Zur Geschichte des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) und seines Nachfolgers Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR), in: Barbian, Jan-Pieter / Heid, Ludger (Hg.), Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 113–134; Benedict, Andreas: 80 Jahre im Dienst des Ruhrgebiets. Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) und Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) im historischen Überblick 1920– 2000. Herausgegeben vom Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR), Essen 2000. 326 Vgl. Fleiß, Daniela: Auf dem Weg zum „starken Stück Deutschland“. Image- und Identitätsbildung im Ruhrgebiet in Zeiten von Kohle- und Stahlkrise, Duisburg 2010, S. 28; Prossek, Achim: Bild-Raum Ruhrgebiet. Zur symbolischen Produktion der Region, Detmold 2009a, S. 107; Goch (2002), S. 24; Blotevogel, Hans Heinrich: 80 Jahre regionale Selbstverwaltung im Ruhrgebiet, in: Habrich, Wulf / Hoppe, Wilfried (Hg.), Strukturwandel im Ruhrgebiet. Perspektiven und Prozesse, Dortmund 2001, S. 9–24, S. 17. 327 Vgl. dazu seine Ausführungen zu den verschiedenen Bezeichnungen Prossek (2009a), S. 106–118. 328 Zur Darstellung des Ruhrgebiets in der (Reise-)Literatur der 1920er und 1930er Jahre vgl. van Laak, Dirk: Land der Städte, Städtestadt. Literatur über das Phänomen Ruhrgebiet 1911–1961, Essen 2010; Barbian, Jan-Pieter: „Schau in den Ofen, da glüht die Kraft“. Der Widerschein des Ruhrgebiets in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, in: Ditt, Karl / Tenfelde, Klaus (Hg.), Das Ruhrgebiet in Rheinland und Westfalen. Koexistenz und Konkurrenz des Raumbewusstseins im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2007, S. 289–311; Hallenberger, Dirk: Das Ruhrgebiet aus literatur- und sprachgeschichtlicher Sicht, in: Heienbrok, Klaus / Jablonowsky, Harry W. (Hg.), Blick zurück nach vorn! Standpunkte, Analysen, Konzepte zur Zukunftsgestaltung des Ruhrgebiets, Bochum 2000, S. 81–92; Prümm, Karl: Expeditionen ins Landesinnere. Das Ruhrgebiet in Reportagen der 20er Jahre, in: Publizistik 27 (1982) 3, S. 361–376.

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nehmung der Region als räumliche Einheit von entscheidender Bedeutung waren. 329 Während sich die Außenwahrnehmung des Ruhrgebiets als räumliche Einheit also bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts festigte, bildete sich ein regionales Selbstbewusstsein innerhalb der durch Migrationsprozesse geprägten, heterogenen Bevölkerung erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs voll aus, wie Stefan Goch festhält. 330 Mit Einsetzen des Strukturwandels wurde die Charakterisierung des Ruhrgebiets als Region allerdings bereits wieder grundsätzlich in Frage gestellt. Die Krise der Schlüsselindustrien Kohle und Stahl, die das Ruhrgebiet als Region überhaupt erst hatte entstehen lassen, warf und wirft die Frage auf, ob die Region als solche in Zukunft überhaupt noch existieren oder in einzelne Städte und Kreise zerfallen wird. 331 Die Diskussion darüber, ob das Ruhrgebiet als Region eine Zukunft habe oder nicht, war gleichzeitig eine Diskussion darüber, was eine Region überhaupt ausmacht. 332 Dass es sich bei Regionen nicht allein um durch Kriterien wie Funktionszusammenhänge, administrative oder naturräumliche Grenzen gegebene räumliche Einheiten, sondern auch um mentale Konstruktionen, also sowohl um ‚landscapes‘ als auch um ‚mind-

329 Hervorzuheben ist hier der 1931 erschienene Roman „Union der festen Hand“ von Erik Reger, „dessen eigentlicher Held das Ruhrgebiet war“, wie Eckart Pankoke treffend formuliert, Pankoke, Eckart: Von der „Revier-Kultur“ zur „Kulturregion“. Kulturentwicklung als Regionalentwicklung im Ballungsraum Ruhrgebiet, in: Barbian, JanPieter / Heid, Ludger (Hg.), Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 396–418, S. 397. Vgl. dazu auch Barbian, Jan-Pieter: Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Facetten eines unvollendeten Gesamtkunstwerks, in: Barbian, Jan-Pieter / Heid, Ludger (Hg.), Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 9–22, S. 9. 330 Vgl. Goch, Stefan: Die Selbstwahrnehmung des Ruhrgebiets in der Nachkriegszeit, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 39 (2008), S. 21–48, S. 31 f. 331 Vgl. Schrumpf, Heinz / Budde, Rüdiger / Urfrei, Guido: Gibt es noch ein Ruhrgebiet?, Essen 2001; Danielzyk, Rainer: Gibt es noch das Ruhrgebiet? Innen- und Außensichten, in: Ditt, Karl / Tenfelde, Klaus (Hg.), Das Ruhrgebiet in Rheinland und Westfalen. Koexistenz und Konkurrenz des Raumbewusstseins im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2007, S. 377–386; Blotevogel, Hans Heinrich: Ist das Ruhrgebiet eine Region? Vorbemerkungen zu einer aktuellen Debatte, in: Heienbrok, Klaus / Jablonowsky, Harry W. (Hg.), Blick zurück nach vorn! Standpunkte, Analysen, Konzepte zur Zukunftsgestaltung des Ruhrgebiets, Bochum 2000, S. 19–40, S. 23. Jüngst noch mal mit Blick auf das endgültige Ende der Steinkohlenförderung im Jahr 2018 Berger (2019c), S. 11. 332 Dies wird beispielsweise an Hans Heinrich Blotevogels Zusammenfassung der Positionen auf dem Stand des Jahrs 2004 deutlich, vgl. Blotevogel, Hans Heinrich: Regionale Identität des Ruhrgebiets. Die harte Bedeutung eines weichen Konzepts, in: Arbeitskreis Ruhrgebiet – Oberschlesien (Hg.), Ruhrgebiet, Oberschlesien. Stadt, Region, Strukturwandel. Dokumentation der Tagung auf Zollverein, Essen, ´ a¸sk: miasto, region, przemiany 10. und 11. April 2003 = Zagłe¸bie Ruhry Górny Sl strukturalne, Essen 2004, S. 25–42, S. 25.

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scapes‘ handelt, 333 ist spätestens seit dem spatial turn wissenschaftlicher Konsens. 334 In der Forschung zum Ruhrgebiet ist die Bedeutung seiner montanindustriellen Vergangenheit als Grundlage einer regionalen Identität bereits oft betont worden. 335 Da die vorliegende Studie untersucht, wie die montanindustrielle Vergangenheit als Argument innerhalb der Konstruktion des Ruhrgebiets als (zukunftsfähige) Region funktionalisiert wurde, muss die Frage nach einer regionalen Identität allerdings aus einer phänomenologischen Perspektive betrachtet werden. ‚Kollektive Identität‘ ist zwar als Konzept breit und berechtigt kritisiert worden, 336 stellt aber einen Schlüsselbegriff der Zeitlichkeitsdiskurse der 1980er Jahre dar 337, und ist im Kontext dieser Untersuchung daher nicht als „fest umrissenes Konzept oder Modell, sondern als ein phänomenologisches Prisma, ein problematisierendes Diskursfeld“ 338 zu betrachten und als solches zu untersuchen. Nicht die definitorische Bestimmung einer regionalen Identität des Ruhrgebiets, sondern die Analyse ihrer Problematisierung angesichts der Kontingenzerfahrung des Strukturwandels steht im Blickpunkt. 339

333 Vgl. Kaschuba, Wolfgang: Menschen-Landschaften. Kultur als zentrale Identitätsdimension, in: Canaris, Ute / Rüsen, Jörn (Hg.), Kultur in Nordrhein-Westfalen. Zwischen Kirchturm, Förderturm und Fernsehturm, Stuttgart / Berlin / Köln 2001, S. 18– 28, S. 26 f. Zur Konstruktion von regionaler Identität mit Fokus auf ehemalige Industrieregionen vgl. Wicke, Christian: Introduction. Industrial Heritage and Regional Identities, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018, S. 1–12. 334 So halten etwa Juliane Czierpka, Kathrin Orters und Nora Thorade in ihrer Einleitung zum aus der Tagung „Industrialisation in European Regions“ (Bochum, 2011) hervorgegangenen Sammelband fest: „Regions in general are not determined in shape and size by administrative boundaries; they exist only as the constructs of inhabitants, researchers, planners or politicians“, Czierpka, Juliane / Oerters, Kathrin / Thorade, Nora (Hg.): Regions, Industries, and Heritage. Perspectives on Economy, Society and Culture in Modern Western Europe, S. 3–10, S. 3. Vgl. auch Prossek, et al. (2009b): „Regionen existieren nicht an sich, sie werden von Menschen gemacht.“ Zum spatial turn vgl. z. B. Aulke, Julian: Spatial Turn(s). Die Wirklichkeiten des Raumes in der Neuen Kulturgeschichte, in: Haas, Stefan / Wischermann, Clemens (Hg.), Die Wirklichkeit der Geschichte. Wissenschaftstheoretische, mediale und lebensweltliche Aspekte eines (post-)konstruktivistischen Wirklichkeitsbegriffes in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 2015, S. 45–62. 335 Vgl. z. B. Hasselberg (2011), S. 191 f.; Hoppe, et al. (2010), S. 22 f.; Enge (2005), S. 245. 336 Zur Kritik am Konzept von „kollektiver Identität“ vgl. z. B. Niethammer, Lutz: Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Hamburg 2000. 337 Vgl. Hartog (2005), S. 10. Maßgebend für die Debatte ist die Publikation des achten Kolloquiums der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“, Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz (Hg.): Identität, München 21996. 338 Zirfas, Jörg / Jörissen, Benjamin: Phänomenologien der Identität. Human-, sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen, Wiesbaden 2007, S. 11. 339 Zur Problematisierung von Identität als Folge von Kontingenzerfahrung vgl. ebd., S. 12.

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1.4 Der Weg durch das Feld – Aufbau der Untersuchung Um die skizzierten Fragen im Forschungszusammenhang zu adressieren, wähle ich einen Untersuchungszeitraum von vier Jahrzehnten. Die Analyse setzt im Jahr 1969 ein und endet mit dem Jahr 2010, womit zum einen Periodisierungsbestrebungen aus der ‚Nach dem Boom‘-Forschung Rechnung getragen wird, die im Zeitraum um die Finanzkrise 2008 zwar nicht das Ende, aber doch eine Zäsur dieser zeitgeschichtliche Epoche verorten. 340 Mit dem Zusammenschluss der Bergwerksgesellschaften zur Ruhrkohle AG (RAG) als Gesellschaft zur endgültigen, sozialverträglichen Abwicklung des Steinkohlenbergbaus ein Jahr vor der Unterschutzstellung der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV im Jahr 1969 sowie dem Titel der Europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2010 bildet der Untersuchungszeitraum zum anderen für die als Untersuchungsbeispiel zugrunde gelegte Region spezifische Zäsuren ab. Von der ersten Auszeichnung eines montanindustriellen Bauwerks als schützenswertes Denkmal bis zur vollkommen auf Industriekultur ausgerichteten Kulturhauptstadtkampagne vierzig Jahre später lassen sich verschiedene Entwicklungsstadien der Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln beobachten, die eine Einteilung des Analysezeitraums in vier Zeitabschnitte nahelegen. 341 Der erste dieser vier Zeitabschnitte (1969–1980) beginnt mit der Unterschutzstellung der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund im Jahr 1969. Erstmals wurde damit ein Zechengebäude auf bürgerlichen Protest hin vor dem Abriss bewahrt und unter Denkmalschutz gestellt – ein Ereignis, das als Initialzündung für die industriekulturelle Denkmalpflege gilt 342 und für geschichtskulturelle Akteur*innen der Re-

340 Vgl. das Vorwort zur zweiten Auflage Doering-Manteuffel / Raphael (2010), S. 7; dies.: Nach dem Boom. Neue Einsichten und Erklärungsversuche, in: Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz / Schlemmer, Thomas (Hg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 9–34, S. 12. 341 Eine ähnliche Periodisierung nimmt auch Ulrich Borsdorf vor, vgl. Borsdorf, Ulrich: Industriekultur und Geschichte. Eine Abwägung. XX. Stiftungsfest der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets, Bochum, den 21. November 2018, Bochum 2019. Stefan Berger, Christian Wicke und Jana Golombek fassen dagegen die ersten zwei Zeitabschnitte bis zur IBA Emscher Park zusammen und unterscheiden daher insgesamt zwischen drei Zeitabschnitten, die sich durch unterschiedliche Herausforderungen im Umgang mit baulichen Relikten der Montanindustrie auszeichnen: „first, saving as much as possible; second, developing concepts for future utilization; and third, staying relevant for the future“, Berger / Wicke / Golombek (2017), S. 38. 342 Vgl. Parent, Thomas: Die Zeche Zollern II/IV in Dortmund. Keimzelle der Industriekultur, in: Garner, Jennifer / Plewnia, Karsten / Zeiler, Manuel (Hg.), 20. Internationaler Bergbau- & Montanhistorik-Workshop, Clausthal-Zellerfeld 2017, S. 61–69, S. 61;

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gion einen zentralen Bezugspunkt darstellt. Die durch die Diskussion um die Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV entfachte Debatte um den Denkmalwert von Industriebauwerken führte zum top-down gerichteten allmählichen Aufbau einer Industriedenkmalpflege. Nachdem die Landesregierung im 1970 aufgelegten Strukturprogramm „Nordrhein-WestfalenProgramm 1975“ 343 zunächst Fördermittel in zweistelliger Millionenhöhe für die Ausweitung der Denkmalpflege auf Industriebauten bereitgestellt hatte, stellten die bei den Landschaftsverbänden angesiedelten Denkmalämter Referenten für die technische Denkmalpflege ein. 344 Mit dem Erlass des nordrhein-westfälischen Landesdenkmalschutzgesetzes 1980 wurde die Industriedenkmalpflege in der Gesetzgebung verankert und somit auch normativ institutionalisiert. Neben diesen behördlichen Aktivitäten gründeten sich zahlreiche sogenannte „Arbeiterinitiativen“, die sich nach dem Vorbild um den Kampf der Oberhausener Siedlung „Eisenheim“ für den Erhalt von Bergarbeiter- oder Werkssiedlungen im Zuge der von der Landesregierung vorangetrieben Modernisierung im Städtebau einsetzten. 345 Sie werden häufig als breite, bottom-up gerichtete Bewegung innerhalb der Etablierung einer Industriedenkmalpflege beschrieben, 346 wobei es die Zusammensetzung der Akteur*innen als „eindrucksvolle Allianz von Intellektuellen, Architekten, Künstlern, Konservatoren, Hochschullehrern mit Stadtteil- und Siedlungsinitiativen“ 347 noch genauer zu beleuchten

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Berger / Wicke / Golombek (2017), S. 25; Parent, Thomas: „Maschinen zum Schrottpreis“. Interessenkonflikte in den Pionierjahren der Industriekultur am Beispiel der Zeche Zollern II/IV (1970–1973), in: Meyer, Torsten / Popplow, Marcus (Hg.), Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Münster u. a. 2006, S. 405–423, S. 409. Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Nordrhein-Westfalen-Programm 1975, Düsseldorf 1970. Der Erhalt technischer Bauwerke wurde hier explizit fokussiert: „In Zukunft wird die Landesregierung verstärkt die Erhaltung wertvoller Bauwerke sichern, die für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes charakteristisch sind. Dazu gehören unter anderem Fördertürme, Maschinenhallen, Schleusen und Schachtgebäude. Diese Aufgabe muß wegen der schnellen industriellen Umstellung jetzt in Angriff genommen werden“, Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1970), S. 118. 1973 Helmut Bönninghausen für den LWL und 1974 Axel Föhl für den LVR; vgl. Parent (2006), S. 409. Vgl. Boström, Jörg / Günter, Roland (Hg.): Arbeiterinitiativen im Ruhrgebiet, Westberlin 1976; Wicke, Christian: Urban Movement à la Ruhr? The Initiatives for the Preservations of Workers’ Settlements in the 1970s, in: Baumeister, Martin / Bonomo, Bruno / Schott, Dieter (Hg.), Cities Contested. Urban Politics, Heritage, and Social Movements in Italy and West Germany in the 1970s, Frankfurt am Main / New York 2017, S. 347–370. Vgl. z. B. zuletzt Berger, Stefan: Ankerpunkt regionaler Identität. Erinnerungsort Industriekultur, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019a, S. 500–516, S. 504–506. Ebd., S. 504.

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gilt. 348 Der Erlass des Landesdenkmalschutzgesetzes 1980, 349 in dem die Unterschutzstellung und Würdigung von Industrierelikten normativ festgeschrieben wurde, markiert den Beginn des zweiten zeitlichen Abschnitts (1980–1989) in der hier untersuchten Entwicklung. Mit der Gründung und Ausarbeitung der Industriemuseen beider Landesverbände, 350 zahlreicher weiterer Museumsgründungen oder Neukonzeption bestehender Museen, 351 der Aktivität einer Vielzahl von Laienorganisationen wie Geschichtswerkstätten oder mit der sofortigen Unterschutzstellung der Zeche Zollverein zum Zeitpunkt ihrer Stilllegung im Jahr 1986 lassen sich bis zum Ende dieser Phase im Jahr 1989 zahlreiche Dimensionen der Institutionalisierung und Etablierung von Industriekultur im Ruhrgebiet erkennen. Gleichzeitig wurde auch die Entwicklung von Industriekultur als wissenschaftlicher Begriff und ihre kulturpolitische Funktionalisierung in dieser Phase außerhalb des Ruhrgebiets durch Publikationen von Akteur*innen wie Hermann Glaser weiter vorangetrieben. 352 Als die Landesregierung zum Ende des Jahres 1988 den Auftrag zur Konzeption einer Bauausstellung für die im Umgang mit dem Strukturwandel hinter die südliche Hellwegzone des Ruhrgebiets zurückgefallene Emscherzone erteilte, kündigte sich der Übergang zum dritten Entwicklungsabschnitt an.

348 Außerhalb des Ruhrgebiets wurde die wissenschaftliche Debatte um Industriedenkmalpflege, Industriekultur und Industriearchäologie besonders von Akteuren wie Hermann Glaser oder Hilmar Hoffmann geprägt, die in ihrer Funktion als Kulturdezernenten in Nürnberg bzw. Frankfurt am Main die wissenschaftliche Entwicklung des Konzepts gleichzeitig kulturpolitisch funktionalisierten Vgl. Engelskirchen (2004), S. 136; Hoffmann, Hilmar: Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt am Main 1979; Glaser, Hermann: Maschinenwelt und Alltagsleben. Industriekultur in Deutschland vom Biedermeier bis zur Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1981b. 349 Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG) vom 11. März 1980. 350 Der LWL gründete bereits 1979 das Westfälische Industriemuseum, das seinen zentralen Sitz seit 1982 auf der Zeche Zollern in Dortmund einnahm und dort 1999 seine Dauerausstellung eröffnete. Der LVR gründete 1984 ebenfalls ein Industriemuseum, das seinen Hauptsitz in der Oberhausener Zinkfabrik Altenberge hat und 1997 eröffnet wurde. Beide Museen sind dezentral über acht bzw. sieben Standorte in NRW verteilt. 351 So hält Theo Grütter am Ende der hier dargestellten zweiten Phase im Jahr 1989 fest, dass es im Ruhrgebiet nun über hundert historische Museen gebe, wobei „etwa die Hälfte dieser Museen vor zehn Jahren noch gar nicht existierte“, und dass „wiederum etwa die Hälfte der älteren Museen in dieser Zeit eine vollkommene Neukonzipierung ihrer Ausstellungen vorgenommen hat oder gerade vornimmt“, Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Museumshandbuch Ruhrgebiet. Die historischen Museen, Essen 1989b, S. 11. 352 Vgl. z. B. Glaser, Hermann: Industriekultur und demokratische Identität. Ein Lagebericht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 28 (1981a) 41/42, S. 3–46; Glaser (1981b).

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Die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989–1999) prägte den dritten Zeitabschnitt des hier analysierten Untersuchungszeitraums. Durch das groß angelegte Strukturprogramm in Form der Bauausstellung befördert, wurde Geschichte gezielt als Mittel der Strukturpolitik funktionalisiert. 353 Auch in der Imagepolitik der Region vollzog sich ein Wandel, der nicht mehr auf die Kommunikation eines Normalisierungsprozesses der Region abzielte, sondern gezielt die Einzigartigkeit des Ruhrgebiets auf Grundlage seiner montanindustriellen Vergangenheit zu vermarkten suchte. Dieser Wandel lässt sich auf verschiedenen Ebenen nachzeichnen, was ausführlich zum Gegenstand des zweiten Kapitels der vorliegenden Untersuchung gemacht wird. Nachdem Industriekultur durch die IBA Emscher Park zum zentralen Referenzpunkt der nach außen und innen gerichteten Imagepolitik der Region entwickelt wurde, wurde sie in den Jahren bis zum Kulturhauptstadtjahr 2010 zu einem Markenkern zugespitzt. 354 Auf den Entwicklungen der Bauausstellung aufbauend, wurde die Vermarktung von Industriekultur in die Kulturindustrie stark ausgebaut und gleichzeitig für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt funktionalisiert. Der Versuch, die montanindustrielle Vergangenheit als belastendes Relikt abzustreifen und sich nach außen wie beliebige andere Regionen zu präsentieren, wich vollends der Verwertung von Industriekultur als einzigartigem Markenkern einer sich wandelnden Region. Die Analyse ließe sich nun als chronologisch aufgebaute Darstellung dieser vier Phasen erzählen, womit allerdings verschiedene methodische Nachteile verbunden wären. Neben der Versuchung, eine lineare Erzählung zu konstruieren, welche die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds als zielgerichteten und intentional gesteuerten Prozess interpretieren würde, besteht auch die Gefahr einer Vernachlässigung überregionaler Zusammenhänge. Daher wird im Folgenden ein zweiteiliges Vorgehen zum Aufbau der Arbeit gewählt. Ein erster Teil greift beispielhaft eine Phase der zuvor kurz skizzierten Entwicklung heraus, die vertieft analysiert wird. Hierfür bietet sich insbesondere die dritte Phase an, die maßgeblich von der IBA Emscher Park geprägt wurde, da sich an ihr die Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln besonders dicht analysieren lässt. 355 Diese für die Erforschung des Strukturwandels entschei353 Vgl. Goch (2002), S. 455. 354 Vgl. Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver (Hg.): Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010. Zum Kulturhauptstadtjahr als Kulminationspunkt der Ausrichtung des regionalen Images auf Industriekultur vgl. auch Berger / Wicke / Golombek (2017), S. 41. 355 Zur Bedeutung der IBA Emscher Park für die Etablierung der Industriekultur jüngst noch einmal Berger (2019c), S. 9: „Besonders das Dekadenprojekt der Internationa-

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dende – aber bisher vor allem aus der Perspektive der Stadt-, Raum- und Landschaftsplanung und dabei häufig von mittelbar oder unmittelbar beteiligten Akteur*innen erforschte 356 – Phase ist darüber hinaus für den regionalen Forschungszusammenhang von herausgehobener Bedeutung. Die chronologische Darstellung einer spezifischen Phase leistet somit einerseits einen konzentrierten Beitrag zur Geschichte des Ruhrgebiets und andererseits einen vertieften Einblick in kleinschrittige Aushandlungsprozesse des geschichtskulturellen Felds. Der zweite Teil der Studie zeichnet dagegen keine chronologische Entwicklung der dargelegten Phasen nach, sondern ist ausgehend von den in Kapitel 1.2 angestellten Überlegungen zu Geschichtskultur als sozialem Feld nach der Frage strukturiert, welche Praktiken der Produktion von Geschichte als Bedeutung sich im geschichtskulturellen Feld unterscheiden lassen. Wie bereits ausgeführt, ist die Vielfalt der Quellen, die es zur Analyse des geschichtskulturellen Feldes heranzuziehen gilt, groß. Jedes Produkt, jedes Medium, das innerhalb des Felds hervorgebracht wird, kommt als potenzielle Quelle in Frage, weshalb Untersuchungen zur Gelen Bauausstellung (IBA) Emscher Park in den 1990er Jahren etablierte die Industriekultur im Erinnerungshaushalt der Region.“ Ähnlich bereits für die internationale Diskussion in Berger / Wicke / Golombek (2017), S. 26 f.; Berger, Stefan / Golombek, Jana / Wicke, Christian: A Post-industrial Mindscape? The Mainstreaming and Touristification of Industrial Heritage in the Ruhr, S. 74–94, S. 81 f. 356 Vgl. z. B. Kilper, Heiderose: Die Internationale Bauausstellung Emscher Park. Eine Studie zur Steuerungsproblematik komplexer Erneuerungsprozesse in einer alten Industrieregion, Opladen 1999; Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.): Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park. Konzepte, Projekte, Dokumentation, Essen 2008; Reicher, Christa / Niemann, Lars / Uttke, Angela (Hg.): Internationale Bauausstellung Emscher Park: Impulse. Lokal, regional, national, international, Essen 2011; Fabris, Luca Maria Francesco: IBA Emscher Park. 1989–1999, Torino 2004; Pinch, Philip / Adams, Neil: The German Internationale Bauausstellung (IBA) and Urban Regeneration. Lessons from the IBA Emscher Park, in: Leary, Michael E./McCarthy, John (Hg.), The Routledge Companion to Urban Regeneration, Abingdon / New York 2014, S. 230–240. Zentral sind die aus dem an der TU Dortmund 2006 gestarteten Forschungsprojekt ‚IBA Revisited‘ hervorgegangenen Publikationen, die nicht nur den Stand der Projekte zehn Jahre nach Ende der IBA beleuchten, sondern mit einer Mischung aus beteiligten und nicht beteiligten Akteur*innen als Forschenden auch nach Impulsen und Einfluss der Bauausstellung fragen, vgl. Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund (Hg.): Internationale Bauausstellung Emscher Park. Die Projekte 10 Jahre danach, Essen 2008; Reicher, Christa / Schauz, Thorsten (Hg.): Internationale Bauausstellung Emscher Park. Die Wohnprojekte 10 Jahre danach, Essen 2010; Reicher / Niemann / Uttke (2011). Stefan Goch beschreibt die IBA-bezogene Forschung als verschwimmend „zwischen wissenschaftlicher Analyse und (natürlich für sich auch legitimer) Selbstinszenierung“, Goch (2002), S. 51. So sei es im Rahmen der IBA gelungen, bis auf eine kleine Zahl von anfänglichen Kritiker*innen „letztlich fast alle relevanten zur Ruhrgebietsentwicklung publizierenden Personen [zu] integrieren und in der einen oder anderen Form an der Arbeit der IBA zu beteiligen und / oder in die IBA-Gremien aufzunehmen“, Goch (2002), S. 518.

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schichtskultur häufig bestimmte mediale Gattungen einzeln in den Blick nehmen. 357 Da ich in dieser Studie eine möglichst heterogene Quellenbasis abzudecken suche, stelle ich die im geschichtskulturellen Feld vollzogenen Praktiken ins Zentrum der Untersuchung, die ich wiederum zu Praxisformen 358 zusammenfasse. Mit dem bereits dargestellten Fokus auf die Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen als analytischer Fragesonde werden diese Praxisformen an ausgewählten Fallbeispielen über die ganze Länge des Untersuchungszeitraums hinweg analysiert. Die Systematik der Praxisformen ergibt sich aus der chronologisch vertieften Analyse des geschichtskulturellen Felds im ersten Teil der Arbeit, sodass sich Praxisformen des Normierens, Zeigens, Imaginierens, Inszenierens und des Wissen-Produzierens unterscheiden lassen. 359 Ein abschließendes Fazit fasst die Ergebnisse der beiden Teile in Bezug auf die in der Einleitung entworfene Fragestellung zusammen und begründet die zentrale These der Arbeit, die den seit den 1970er Jahren zu beobachtenden Geschichtsboom nicht als kulturellen Kompensationsakt und mithin als kulturelle Seite eines als Verlusterfahrung emp357 Diesen Umstand bemängeln auch Samida / Willner / Koch (2016), S. 2. Ihnen ist in der Feststellung zuzustimmen, dass die Literatur zu einzelnen Themen und Medien so ausufernd ist, dass sich hier nur einige wenige Beispiele angeben lassen. Vgl. z. B. Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik, Politik, Wissenschaft, Bielefeld 2006; Fischer, Thomas / Schuhbauer, Thomas (Hg.): Geschichte in Film und Fernsehen. Theorie, Praxis, Berufsfelder, Tübingen 2016; Demantowsky, Marko: Einführung, in: Popp, Susanne, et al. (Hg.), Zeitgeschichte, Medien, Historische Bildung, Göttingen 2010, S. 39–46; Kansteiner, Wulf: Alternative Welten und erfundene Gemeinschaften. Geschichtsbewusstsein im Zeitalter interaktiver Medien, in: Meyer, Erik (Hg.), Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 29–54; Korte, Barbara / Paletschek, Sylvia (Hg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009. 358 Aufbauend auf dem in Kapitel 1.2, Anm. 74 zugrunde gelegten Verständnis von Praktiken werden diese hier mit Jan-Hendryk de Boer als Tokens eines Types verstanden, also als Vorkommnis eines bestimmten Typs. So wie das Wort „Anna“ zwei Types und vier Token von Buchstaben enthält, von denen diese als konkrete Instanziierungen jener zu verstehen sind, so sind Praktiken „bestimmt als Instanziierungen einer Praxis, wie umgekehrt die Praxis die Summe der realisierten und realisierbaren Praktiken in einer höherstufigen sozialen Einheit, also in einer Gruppe, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, in einem sozialen System darstellt. Während eine Praktik immer situiert und konkret ist, entfaltet Praxis ihre Wirksamkeit auf mittlere Dauer und über größere räumliche Einheiten hinweg.“ Boer (2019), S. 32. Analog gestaltet sich das Type-Token-Verhältnis zwischen Praxen und Praxisformen: „Wie Praxen zu Praktiken in einem Type-Token-Verhältnis stehen, so sind Praxen als Token zu einer Praxisform als Type aufzufassen. Als Praxisformen bezeichnen wir kulturelle, das menschliche Tun formende und von diesem geformte Logiken, die sich in verschiedenen Praxen und deren zugehörigen Praktiken manifestieren.“ dies. (2019), S. 38. Siehe dazu Kapitel 3. 359 Zur näheren Begründung der Unterscheidung und Charakterisierung der Praxisformen siehe Kapitel 3.

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Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet – Einleitung

fundenen strukturellen Wandels der westlichen Industriegesellschaft fasst. Vielmehr möchte ich im Folgenden zeigen, dass Geschichtskultur in der Periode ‚Nach dem Boom‘ als Feld von Zukunftshandeln etabliert wurde, in welchem unterschiedliche Modi der Zukunftsgenerierung ausgehandelt werden und miteinander konkurrieren. Zeitdiagnosen, wie die einer ein Kompensationsbedürfnis erzeugenden Beschleunigungserfahrung oder einer veränderten Zukunftsvorstellung nach dem Boom sind nicht in erster Linie als Erklärung, sondern als innerhalb dieses Aushandlungsprozesses funktionalisierte Argumentations- und Legitimationsstrategien zu verstehen.

2. Das geschichtskulturelle Feld und die Internationale Bauausstellung Emscher Park

Im Mai 1988 beauftragte die nordrhein-westfälische Landesregierung den Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr mit den Vorbereitungen zu einer internationalen Bauausstellung. Nach mehrmonatigen Beratungen mit Akteur*innen aus Kommunalpolitik, Wirtschaft sowie Architektur und Stadtplanung (sowohl aus dem Bereich der universitären Forschung als auch mit in Kammern und Verbänden zusammengeschlossenen Praktiker*innen) erschien Ende des Jahres das „Memorandum zu Inhalt und Organisation“ der Internationalen Bauausstellung Emscher Park. 1 Es sollte als Programm der am 16. Dezember 1988 mit einer Auftaktveranstaltung im Gelsenkirchener Musiktheater eröffneten Bauausstellung dienen sowie ihre Grundsätze, ihre Ziele und ihren über die Maßnahmen einer reinen Bauausstellung hinausgehenden Charakter als Strukturprogramm festschreiben. Wie gleich zu Beginn des Memorandums deutlich wird, fungierte die erst ein Jahr zuvor beendete Internationale Bauausstellung in Berlin für die Landesregierung als Referenzpunkt zur Konzeption ihrer eigenen IBA. 2 Die Berliner Bauausstellung war allerdings nicht nur in ihrer Vorbildfunktion als Mittel der Stadtplanung für die IBA Emscher Park von Bedeutung. Vielmehr lassen sich am Berliner Vorbild bereits Spannungen zwischen der planerischen Gestaltung städtischer Zukunft und der konservierenden Bewahrung städtischer Vergangenheit erkennen, die auch für die als Strukturprogramm konzipierte IBA Emscher Park prägend wurden. Ein kurzer Exkurs zu den Spannungen zwischen Bewahrungs- und Gestaltungszukunft im Berliner Stadtraum soll nochmals den Problemhorizont verdeutlichen, vor dem ich die IBA Emscher Park

1 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen: Internationale Bauausstellung Emscher Park. Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete. Memorandum zu Inhalt und Organisation, Düsseldorf 1988. 2 Vgl. ebd., S. 8. Vgl. dazu auch Goch (2002), S. 443 und Karl Ganser in einem Interview zur Entstehung der IBA Dahlheimer, Achim / Ganser, Karl: IBA Emscher Park. Nachträgliche Gedanken zur Entstehung und Organisation, Inhalten und Prinzipien einer Bauausstellung. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Karl Ganser, in: Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park. Konzepte, Projekte, Dokumentation, Essen 2008, S. 83–90, S. 84.

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in dieser Studie als besonders prägend für die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds im Ruhrgebiet in den Blick nehme. Die nach zehn Jahren beendete Berliner Bauausstellung hatte sowohl in der Westberliner Stadtgesellschaft als auch im restlichen Bundesgebiet für eine breite Diskussion über den Umgang mit Wohnraum im Spannungsfeld von Sanierung und Modernisierung gesorgt. 3 Aus einer städtebaulichen Krise heraus, 4 in der die Methode, alten Baubestand radikal abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen, auf immer mehr Widerstand stieß, gab der von SPD und FDP geführte Senat 1977 eine Bauausstellung in Auftrag. 5 Sie sollte an vorangegangene Bauausstellungen anknüpfen, sich dabei allerdings „nicht auf futuristische Visionen richten, sondern auf den Umgang mit der alten Stadt, unter dem Motto ‚Die Innenstadt als Wohnort‘“ 6. Die städtebauliche Gestaltung der Zukunft war allerdings nicht nur von der Herausforderung geprägt, eine neue Balance zwischen Bewahren und Gestalten des Stadtraums zu finden. Vielmehr war sie auch durch die Wahrnehmung eines sich immer weiter schließenden Zukunftshorizonts der Wiedervereinigung mit Ostberlin bestimmt. 7 Dieses Problem materialisierte sich in den Brachflächen entlang der Mauer, deren bauliche Gestaltung entweder die Akzeptanz der Teilung oder die Vorbereitung zu 3 Die Berliner IBA war zunächst bis zum Jahr 1984 geplant, wurde dann aber bis zum 750-jährigen Stadtjubiläum im Jahr 1987 verlängert und wird daher häufig als IBA 1984/87 bezeichnet, vgl. Dame, Thorsten / Herold, Stephanie / Salgo, Andreas (Hg.): Re-Vision-IBA ’87. 25 Jahre Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Themen für die Stadt als Wohnort, Berlin 2012, S. 5. Sie teilte sich in zwei Bereiche, die „IBA-Neu“ und die „IBA-Alt“, die jeweils für Neubauten bzw. für die Stadtsanierung zuständig waren. Zur Berliner IBA vgl. auch Below, Sally / Henning, Moritz / Oevermann, Heike (Hg.): Die Berliner Bauausstellungen, Wegweiser in die Zukunft?, Berlin 2009; Bodenschatz, Harald / Magnago Lampugnani, Vittorio / Sonne, Wolfgang (Hg.): 25 Jahre Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Ein Wendepunkt des europäischen Städtebaus, Sulgen 2012. Als kurzen Überblick über die Geschichte von Bauausstellungen als Mittel der Stadtplanung vgl. darin Durth, Werner: Von den Anfängen bis in die Gegenwart, in: Below, Sally / Henning, Moritz / Oevermann, Heike (Hg.), Die Berliner Bauausstellungen, Wegweiser in die Zukunft?, Berlin 2009, S. 15–23. 4 Zu den 1970er Jahren als Phase einer „urban crisis“ in den westlichen Industriestaaten, in der Städte als Spiegel und Projektionsfläche gesellschaftlicher Probleme und Entwicklungen dienten, vgl. Baumeister, Martin / Bonomo, Bruno / Schott, Dieter: Introduction. Contested Cities in an Era of Crisis, in: Baumeister, Martin / Bonomo, Bruno / Schott, Dieter (Hg.), Cities Contested. Urban Politics, Heritage, and Social Movements in Italy and West Germany in the 1970s, Frankfurt am Main / New York 2017, S. 7–30, hier insbesondere S. 11. 5 Vgl. Thijs, Krijn: West-Berliner Visionen für eine neue Mitte. Die Internationale Bauausstellung, der „Zentrale Bereich“ und die „Geschichtslandschaft“ an der Mauer (1981–1985), in: Zeithistorische Forschungen 11 (2014) 2, S. 235–261, S. 237. Der Senatsbaudirektor Hans Christian Müller hatte bereits seit 1974 an den Vorbereitungen für eine neue Bauausstellung gearbeitet, vgl. Dame / Herold / Salgo (2012), S. 6. 6 Thijs (2014), S, 237. 7 Vgl. ebd., S. 244.

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einer Wiedervereinigung der Stadt bedeuten konnte und die zum „Gegenstand intensiver Wissensproduktion und Beobachtungspraktiken“ 8 wurden. Ein vom Senat 1981 in Auftrag gegebenes Gutachten zum ‚Zentralen Bereich‘ Westberlins wurde nach drei Jahren Bearbeitungszeit in Kooperation zwischen einem Architekturbüro und einem Historiker als zweibändiges Werk publiziert, das auf über 850 Seiten die historischen Hintergründe der leeren Brachflächen darstellte. 9 Wie Krijn Thijs anschaulich herausgearbeitet hat, resultierte der beachtliche Umfang des Gutachtens nicht allein aus der Größe des untersuchten Gebiets, sondern vielmehr aus einem veränderten Blick auf Geschichte in Folge der vor allem durch Geschichtswerkstätten angestoßenen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Stadt: 10 „Geschichte war plötzlich überall“ 11 und es galt, ihre Spuren sichtbar zu machen. Die Erforschung der historischen Dimension der vermeintlich leeren Orte führte zu einer mehrfachen Umdeutung des Raums. Die Umdeutung der Brachen zu historisch bedeutsamen Orten wertete sie zu touristisch wertvollen Zielen und somit zur wirtschaftlichen Ressource für die Stadt auf. 12 Außerdem verband die umfassende Erforschung des ‚Zentralen Bereichs‘ die leeren Orte sowohl untereinander als auch mit solchen, an denen noch historische Bausubstanz vorhanden war, zu einer räumlichen Einheit – zu einer „Geschichtslandschaft“ 13, die „im Rahmen eines Parks

8 Ebd., S. 247. 9 Vgl. Pitz, Helge / Hofmann, Wolfgang / Tomisch, Jürgen: Berlin-W. Geschichte und Schicksal einer Stadtmitte. Von der preußischen Residenz zur geteilten Metropole. Band 1, Berlin 1984; Pitz, Helge / Hofmann, Wolfgang / Tomisch, Jürgen: Berlin-W. Geschichte und Schicksal einer Stadtmitte. Vom Kreuzberg-Denkmal zu den Zelten. Band 2, Berlin 1984. 10 Zu Geschichtswerkstätten vgl. beispielsweise Büttner, Maren: „Wer das Gestern versteht, kann das Morgen verändern!“ Deutsche Geschichtswerkstätten gestern und heute, in: Horn, Sabine / Sauer, Michael (Hg.), Geschichte und Öffentlichkeit. Orte, Medien, Institutionen, Göttingen 2009, S. 112–120; Grotrian, Etta: Geschichtswerkstätten und alternative Geschichtspraxis in den Achtzigern, in: Hardtwig, Wolfgang / Schug, Alexander (Hg.), History sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009, S. 243–253. 11 Thijs (2014), S. 255. 12 Vgl. ebd., S. 257. 13 Pitz / Hofmann / Tomisch (1984), S. 4. Als Begriff bereits 1981 in den Stellungnahmen zum vom Senat beauftragten Expertenverfahren zur Diskussion der IBA-Planungen verwendet. Vgl. Werner, Frank: Gesamtstadt und Gesamtzentrum Berlin, in: Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz (Hg.), Stellungnahmen zum IBA-Neubaugebiet. Dokumentation des Expertenverfahrens von Oktober bis Dezember 1981. Band 2, Berlin 1982, S. 8–9, S. 9; Hofmann, Wolfgang: Stellungnahme, in: Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz (Hg.), Stellungnahmen zum IBA-Neubaugebiet. Dokumentation des Expertenverfahrens von Oktober bis Dezember 1981. Band 2, Berlin 1982, S. 10–11, S. 11. Thijs (2014), S. 256.

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für die deutsche Geschichte“ 14 erschlossen werden solle. 15 Gleichzeitig führte die Offenlegung der historischen Dimension aber auch zu einer zeitlichen Stillstellung der nun symbolisch aufgeladenen Orte, und auch wenn diese Form der historischen Sakralisierung nicht unumstritten war, rückte die Möglichkeit zur stadtplanerischen Gestaltung der Brachflächen damit vorerst in weite Ferne. 16 Derartige Spannungen zwischen Bewahrungs- und Gestaltungszukunft prägten nicht nur die Berliner Bauausstellung, sondern treten auch in der Analyse der IBA Emscher Park deutlich hervor. So wird im folgenden Teil der Studie deutlich werden, inwiefern die im geschichtskulturellen Feld ausgetragenen Aushandlungsprozesse und die Handlungsmöglichkeiten der in ihm interagierenden Akteur*innen durch überregionale Diskurse zu Modi der Zukunftsgestaltung zwischen Gestalten und Bewahren strukturiert waren.

2.1 Von den Anfängen bis zur Zwischenpräsentation der IBA Emscher Park Im Vergleich zur Berliner Bauausstellung prägten sich überregionale Diskurse zu Modi der Zukunftsgestaltung zwischen Gestalten und Bewahren im Ruhrgebiet in ihrer eigenen, regionalen Spezifik der Öffnung und Schließung von Zukunftshorizonten aus. Sie materialisierten sich räumlich etwa in der stadtplanerischen Gestaltung vermeintlich leerer Industriebrachen im Konflikt zu ihrer denkmalpflegerischen Konservierung und einer damit einhergehenden Ent-Zeitlichung. Erzählt wird also im Folgenden nicht die Geschichte der IBA Emscher Park, die trotz der vorliegenden Forschung durchaus eine eigene Studie wert wäre, 17 sondern die Geschichte der Entwicklung des geschichtskulturellen Felds in der Zeit der Bauausstellung. Ausgehend vom Memorandum als Programmschrift wird zuerst die IBA Emscher Park als Zukunftswerkstatt analysiert, bevor ihre Leitprojekte im Spannungsfeld zwischen Erhalten und Gestalten in den Blick genommen werden. Sowohl das Memorandum als Programmschrift der IBA Emscher Park als auch ihre einzelnen Leitprojekte werden hierbei in Bezug auf ihre Entstehung und Konzeption in einen breiteren diskursiven Kontext eingeordnet. Auf dieser grundlegenderen Perspektive aufbauend wird anschließend zunächst das geschichtskulturell bedeutsamste Leitprojekt in Hinblick auf die Aushandlung von Top-down- und Bottom-

14 Pitz / Hofmann / Tomisch (1984), S. 417. Als Vorschlag bereits bei Hofmann (1982), S. 11. 15 Vgl. Thijs (2014), S. 256. 16 Vgl. ebd., S. 257 f. 17 Siehe Kapitel 1.4, Anm. 356.

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up-Verhältnissen erörtert, woraufhin eine Detailanalyse zur historischen Ausstellung ‚Feuer und Flamme‘ die Untersuchung der ersten Hälfte der Bauausstellung bis zur Zwischenpräsentation 1994/95 abschließt.

2.1.1 Die „Zukunftswerkstatt“ – Entstehung, Konzeption und Aufbau Als im Dezember 2018 die Stilllegung Prosper Haniels das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus besiegelte, rückte das Ruhrgebiet in den Fokus medialer Aufmerksamkeit. Exemplarisch für kritische Stimmen innerhalb der breiten Berichterstattung kann ein Artikel aus der FAZ gelten, in dem mit Ulrich Herbert einer der bekanntesten deutschen Zeithistoriker seine Sicht auf den Wandel der Region publizierte. Der gebürtig aus Mülheim an der Ruhr stammende Emeritus der Universität Freiburg blickte in einer doppelten Rolle als Historiker und Zeitzeuge auf das Ruhrgebiet und gab seinen Überlegungen in der FAZ den ernüchternden Titel „Schön war es nirgends und nie“ 18, dem er im Untertitel noch hinzufügte: „Erst wenn die letzte Zeche geschlossen ist, werdet ihr merken, dass es das Ruhrgebiet als Ganzes nie wirklich gab. Meine Kindheitserinnerungen.“ Damit diskreditierte er zunächst die Fixierung auf die stark ästhetisierte Bergbaugeschichte des Ruhrgebiets, um seine Ausführungen schließlich mit einer düsteren Prognose zur Zukunft der Region zu beenden: Solange aber mit dem Ruhrgebiet vor allem montanindustrielle Vergangenheit verbunden wird und die Bemühungen der Politiker, eine solche postmontane Großstruktur auf anderer Basis wiederherzustellen, endlich eine ‚Metropole‘ zu schaffen, sich an der immer wieder von neuem wieder beschworenen Größe dieser Vergangenheit orientieren, so lange wird die Zukunft des Reviers nicht heller als die Gegenwart.

Für die aus Herberts Sicht problematisch erscheinende Zuspitzung des regionalen Images auf die montanindustrielle Vergangenheit stellt die IBA Emscher Park einen entscheidenden Katalysator dar, wie ich in diesem Kapitel zeigen werde. Warum die Fokussierung auf die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets inzwischen als Hindernis einer prosperierenden Zukunft erscheint, erschließt sich jedoch nicht, indem sie in der Terminologie Lübbes pauschal als „Musealisierung einer ganzen Region“ 19 charakterisiert wird. Vielmehr muss sie als Versuch der Zukunftsproduktion analysiert werden, für den die IBA Emscher Park ein entscheidender 18 Herbert, Ulrich: Schön war es nirgends und nie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Dezember 2018. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 19 Ebd.; ähnlich (allerdings ohne explizite Nennung des Ruhrgebiets) auch bei Raphael (2019), S. 10.

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Faktor war, verstand sie sich doch als „Werkstatt für die Zukunft alter Industrieregionen“ 20. Im Folgenden werde ich daher anhand der Programmschrift der IBA Emscher Park zunächst den überregionalen Anspruch der Bauausstallung untersuchen und mit dem sich verändernden Zukunftsverständnis der SPD korrelieren, deren Politiker*innen nicht nur für die Gestaltung der IBA Emscher Park, sondern für die Politik der Region insgesamt eine tragende Rolle spielten. Diese Einordnung des Programms in übergeordnete Diskurse zu Zeit- und Zukunftsvorstellungen ermöglicht auch die Einordnung in ein sich veränderndes Planungsverständnis. Dadurch wird die Bauausstellung als Mittel der Stadtplanung nach dem Ende der Planungseuphorie der 1970er Jahre im Spannungsfeld zwischen Gestaltungsund Bewahrungszukunft verortet. Aus dieser Einordnung lassen sich Entstehung, Konzeption und institutioneller Aufbau der IBA Emscher Park verstehen, die ihre Katalysatorfunktion für die Funktionalisierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Ruhrgebiet bedingen und gleichzeitig an überregionale Entwicklungen rückbinden. Die Spannung zwischen regionaler Spezifik und überregionalem Anspruch der planerischen Zukunftsgestaltung durch die IBA Emscher Park wird bereits in den einleitenden Ausführungen des ‚Memorandums zu Inhalt und Organisation‘ deutlich. In der Einleitung zur Programmschrift hieß es, die Emscherzone sei der am schlechtesten entwickelte Teil des Ruhrgebiets, dem sich die Landesregierung nun mit einer Bauausstellung widmen wolle, um ihn vor einem weiteren Rückfall hinter den südlichen Teil der Region zu bewahren. 21 Gleichzeitig würden sich hier „aber auch generelle Aufgaben der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung besonders dramatisch stellen“ 22, weshalb mit der IBA Emscher Park der Anspruch erhoben wurde, ein Modell für ein Problem zu schaffen, das sich „früher oder später in allen hochentwickelten Industriegesellschaften stellt“ 23 – eine ‚Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete‘, 24 wie der Untertitel der IBA Emscher Park postulierte. Das Erheben eines solchen An20 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988). 21 Vgl. ebd., S. 7. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Neben der Zukunftsforschung, auf die im Folgenden noch ausführlich eingegangen wird, kommt als begriffsgeschichtlicher Kontext noch die Bezeichnung NordrheinWestfalens und hier insbesondere des Ruhrgebiets als zentralem Wirtschaftsraum, als „Werkstatt Europas“ in Frage, die NRW-Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) im Jahr seiner Abwahl zu etablieren suchte, vgl. Arnold, Karl (Hg.): Werkstatt Europas. Wirtschaft und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen, Duisburg-Ruhrort 1956. Allerdings wird der Begriff im Memorandum nicht explizit aufgenommen, weshalb die

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spruchs und die Betonung des Modellcharakters sind einerseits als Strategien zur Steigerung der Bedeutung des eigenen Programms und damit zur Erhöhung der politischen Akzeptanz des umfangreichen Projekts zu werten. In der derart begründeten Programmatik der IBA Emscher Park bündelten sich andererseits auch Diskussionen um ein geändertes Fortschritts- und Zukunftsverständnis der in Nordrhein-Westfalen regierenden SPD, die Elke Seefried für die Bundespartei übergreifend beschrieben hat. Nachdem sich die Partei bereits mit dem Godesberger Programm 1959 von ihrem ursprünglich sozialistisch geprägten Zukunftsverständnis verabschiedet hatte, herrschte bei Sozialdemokrat*innen in den 1960er Jahren noch ein optimistisches, auf Gestaltung durch Reformen und Planung ausgelegtes Zukunftsverständnis vor. 25 Der Glaube an die Möglichkeit zur langfristigen Gestaltung von Zukunft durch weitreichende Planung blendete Kontingenz weitgehend aus und wurde dementsprechend durch die Kontingenzerfahrung des Strukturwandels maßgeblich geschwächt. 26 Die Partei entwickelte daher ein neues Zeitverständnis, das die Zukunft nicht mehr im Modus des Planbaren und Machbaren dachte, sondern verstärkt Problemlagen und Grenzen von Entwicklungen ausmachte, ja teilweise die Gegenwart als Nach-Geschichte der Vergangenheit und nicht mehr als Schnittpunkt einer offenen Entwicklung von der Vergangenheit in die Zukunft begriff 27.

Wie in weiten Teilen der Gesellschaft bildete sich auch in der SPD ein neues Umweltverständnis aus, das die negativen Auswirkungen der Industrialisierung auf die Lebensqualität der Menschen reflektierte und einzudämmen suchte. 28 Ab Mitte der 1970er Jahre katalysierte sich der Flügelstreit innerhalb der Partei in ihrem Ringen um ein neues Fortschritts- und Zukunftsverständnis, das die wirtschaftliche Krise anhand der Schlüsselbegriffe ‚qualitatives Wachstum‘, ‚Innovation‘, ‚ökologische Modernisierung‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ nicht nur als Problem, sondern auch als Chance zu begreifen suchte. 29 Dass diese Diskussion für die Rolle der SPD innerhalb der Strukturpolitik des Ruhrgebiets von entscheidender Bedeutung war, zeigt sich in der Konzeption der IBA Emscher Park. Ihre im Memorandum dargelegte Programmatik spiegelte die Wahrnehmung, dass das klassische Industriezeitalter an sein Ende gekommen sei und dass dessen Schäden

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im Folgenden noch darzustellende Verbindung zur Zukunftsforschung als stärkere semantische Tradition erscheint. Vgl. Seefried (2017), S. 196–198. Vgl. ebd., S. 200. Ebd., S. 203. Vgl. ebd., S. 205–209. Vgl. ebd., S. 215–224.

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nun beseitigt werden müssten, um die Basis für eine neue Zukunft zu schaffen. 30 Symbolisiert werde diese zentrale Aufgabe durch den Begriff des ‚Parks‘, der den Wiederaufbau einer durch die Industrie zerstörten Landschaft und das Erzeugen neuer „Stadtqualitäten“ 31 über die Verbindung der „Vorstellung von Natur und gestalteter Umwelt“ 32 bezeichne. Anschließend an die einführend formulierten Ziele wurde die Wahl einer Bauausstellung als Mittel im Memorandum über einen „Rückblick auf vergangene Bauausstellungen“ 33 plausibilisiert. Der Rückgriff auf die über hundertjährige Geschichte von Bauausstellungen hatte allerdings nicht nur den Zweck, das für das Strukturprogramm gewählte Format der IBA zu legitimieren. Vielmehr stellte sich die IBA Emscher Park durch eine Referenz auf die „berühmte“ 34 Londoner Weltausstellung im Jahr 1851 außerdem in die Ausstellungstradition des 19. Jahrhunderts, in der Ausstellungen als Katalysatoren nationalen Fortschrittbewusstseins fungierten. 35 Die als ‚Great Exhibition‘ bekannt gewordene Londoner Weltausstellung ist hierbei von besonderer Bedeutung. Insbesondere die Architektur des Crystal Palace, der mit seinem „flüchtigen, transitorischen Charakter [. . . ] die Beschleunigung als Grundprinzip der Moderne“ 36 symbolisierte, „machte [. . . ] einen Teil der Anziehungskraft der ersten Weltausstellung aus, die zugleich den Beginn des modernen Massentourismus markierte“, wie Friedrich Lenger festhält. Aufgrund ihres überaus großen Publikumserfolgs und der effektiven architektonischen Inszenierung nahm sie über Großbritannien hinaus die Rolle eines ausstellungshistorischen Meta-Narrativs ein und avancierte zum Prototyp aller Weltausstellungen. 37 Diese fungierten als wichtiges Medium der diskursiven Aushandlung von Zukunftsvorstellungen und Fortschrittsbewusstsein westlicher Industriegesellschaften, 38 indem sie „im Kern eine Welt der Industriemoderne präsentierten“ 39. Auch wenn diese Funktion von Weltausstellungen als Katalysator nationalstaatlicher Zukunftsentwürfe nach dem Ersten Weltkrieg an 30 Vgl. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (1988), insbesondere S. 7, 12–14. 31 Ebd., S. 7. 32 Ebd., S. 5. 33 Ebd., S. 8. 34 Ebd. 35 Vgl. Geppert, Alexander C. T.: Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-siècle Europe, Basingstoke 2010, S. 203 f. 36 Lenger, Friedrich: Metropolenkonkurrenz. Die Weltausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Journal of Modern European History 11 (2013) 3, S. 329–350, S. 333. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 37 Vgl. Geppert (2010), S. 205. 38 Vgl. ebd., S. 203. 39 Lenger (2013), S. 330.

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Bedeutung verlor, 40 ließ sich mit der Referenz auf die Londoner Weltausstellung von 1851 gleich zu Beginn des Memorandums der IBA Emscher Park ein ganz spezifischer Anspruch verbinden. Indem sich die IBA Emscher Park über den historischen Rückblick, der im Memorandum unmittelbar auf die Einführung folgte, explizit auf die Londoner Ausstellung und ihren Crystal Palace bezog, wurde der Anspruch unterstrichen, eine Zukunftsvision und ein neuartiges Fortschrittsbewusstsein für die postindustrielle Zukunft ehemaliger Industriegesellschaften zu entwerfen. Als Beginn der Tradition eigenständiger deutscher Bauausstellungen führte das Memorandum die Ausstellungen auf der Darmstädter Mathildenhöhe an, die Bauausstellungen als Mittel der stadtplanerischen Gestaltung zur Lösung von Wohnungsbauproblematiken etablierten. 41 Innerhalb dieser Tradition wurde die gerade erst beendete IBA Berlin 1987 hervorgehoben, die „erstmals in der Geschichte der Bauausstellungen“ 42 die Balance zwischen Gestaltung und Bewahrung des Stadtraums zum Gegenstand gemacht habe. Der für die Berliner IBA zentrale Begriff der ‚Stadtreparatur‘ verdeutlicht die zu Beginn dieses Kapitels angerissenen Bemühungen einer Verbindung von planerischer Gestaltung einerseits und Bewahrung vorhandener städtischer Bausubstanz andererseits. Diese als Wandel in der Stadtplanung wahrgenommene Zielsetzung sollte nun durch die IBA Emscher Park aufgegriffen und ausgedehnt werden, indem zum einen das Gebiet von sieben Kilometern Länge, wie im Berliner Fall, auf 40 km Länge und mehrere Kilometer Breite vergrößert wurde. Neben dieser räumlichen Erweiterung stelle die IBA Emscher Park als programmatische Ausdehnung zum anderen die „ökologische Frage in den Mittelpunkt als Voraussetzung für neue Formen von Arbeiten, Wohnen und Kultur“ 43 – eine Zielsetzung, in der wiederum das sich wandelnde Fortschrittsdenken der SPD zum Ausdruck kommt, das „auf eine ‚ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft‘“ 44 ausgerichtet war. Der von Seefried für die 1990er Jahre konstatierte Umschwung der SPD-Programmdiskussion in eine „Sprache des Aufbruchs und der vor-

40 Friedrich Lenger zufolge verloren die Weltausstellungen durch die globale Neuordnung kolonialer Herrschaftsverhältnisse bereits nach dem Ersten Weltkrieg „deutlich an Resonanz“, ebd., S. 349. 41 Zur Selbstdarstellung der IBA Emscher Park als Weiterentwicklung der Tradition von Bauausstellungen, die „drängenden Themen der Zeit“ zu bearbeiten, vgl. auch. Ganser, Karl: Internationale Bauausstellung Emscher-Park, in: Stadtbauwelt 79 (1988) 48, S. 2128–2130, S. 2128. 42 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 8. 43 Ebd. 44 Seefried (2017), S. 218.

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wärtsgerichteten, progressiven Modernisierung“ 45, klingt hier im Ende der 1980er Jahre publizierten Memorandum in der Verwendung des Schlüsselbegriffs ‚Innovation‘ bereits an. Die IBA Emscher Park sollte „Innovation in allen gesellschaftlichen Bereichen hervorrufen“ 46, die Innovation sollte selbst zum Gegenstand der Bauausstellung werden. 47 In dieser Zielsetzung kommt die erneut aufkeimende Überzeugung zum Ausdruck, dass sozialer Fortschritt nur über technischen und wirtschaftlichen Fortschritt zu erreichen sei. Hatte sich im Zuge des sich verändernden Zukunftsverständnisses in den 1970er und 1980er Jahren zunächst eine vermehrte Technikskepsis innerhalb der SPD ausgeprägt, wurde diese nun wiederum zunehmend durch ein Verständnis technischen Fortschritts als Bedingung für einen sozialen und wirtschaftlichen Aufschwung abgelöst. 48 Die bauliche Gestaltung einer als Krisenregion dargestellten Stadtlandschaft bot die Chance zur materiellen Konsolidierung dieses sich wandelnden Zukunftsund Fortschrittsdenkens, gerade im für die SPD politisch und symbolisch wichtigen Ruhrgebiet. Die für die Geschichte der Region im Allgemeinen und für die IBA Emscher Park im Besonderen prägende Verbindung zwischen der Partei und dem Ruhrgebiet soll daher kurz im Hinblick auf die Ziele der Bauausstellung umrissen werden. Die Region war auf kommunaler Ebene seit der Nachkriegszeit in SPD-Hand. Seit den späten 1950er Jahren erzielte sie bei Kommunalwahlen absolute Mehrheiten, seit Mitte der 1960er Jahre konnte sie auch bei Landtags- und Bundestagswahlen in den Ruhrgebietswahlkreisen absolute Mehrheiten erreichen. 49 Der Strukturwandel der Region stellte über Maßnahmen zur möglichst sozialverträglichen Gestaltung zwar durchaus einen Faktor dieser Wahlerfolge dar, bedeutete aber gleichzeitig auch eine Herausforderung für die Partei. Dies wird etwa in einem zum 125-jährigen Jubiläum der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins herausgegebenen Sammelband deutlich. Der bewusst populärwissenschaftlich gehaltene Band sollte anlässlich des Jubiläums eine „breitere Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der SPD“ 50 ansprechen und die Geschichte der 45 Ebd., S. 222. 46 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 8. 47 Vgl. ebd., S. 9. 48 Vgl. Seefried (2017), S. 222. 49 Vgl. Faulenbach, Bernd: Die Sozialdemokratisierung des Ruhrgebiets. „Naturwüchsiger Prozeß“ oder „Ergebnis ehrlicher Arbeit“?, in: Faulenbach, Bernd / Högl, Günther (Hg.), Eine Partei in ihrer Region. Zur Geschichte der SPD im westlichen Westfalen, Essen 1988, S. 142–149, S. 144 f. 50 Faulenbach, Bernd / Högl, Günther: Einführung, in: Faulenbach, Bernd / Högl, Günther (Hg.), Eine Partei in ihrer Region. Zur Geschichte der SPD im westlichen Westfalen, Essen 1988, S. 8–9, S. 9.

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Partei im Westlichen Westfalen, einem der vier nordrhein-westfälischen Parteibezirke, erzählen. Das Buch sollte als Mittel der „Selbstvergewisserung, der kritischen Überprüfung des zurückgelegten Weges“ 51 und der „Ortsbestimmung heute“ 52 dienen. Auch in der Bundespartei hatten Flügel- und Programmdiskussionen das Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung aufkommen lassen und 1981 zur Gründung der ‚Historischen Kommission der SPD beim Parteivorstand‘ als Mittel zur parteiinternen Selbstvergewisserung und zur Beeinflussung des Images der Partei nach außen geführt. 53 Der 1989 zum Vorsitzenden der Historischen Kommission berufene Historiker der Ruhr-Universität Bochum, Bernd Faulenbach, beschrieb die SPD in der ein Jahr zuvor erschienenen Publikation „Eine Partei in ihrer Region“ 54 als „dominierende Partei im Ruhrgebiet“ 55 und die Ruhrgebiets-SPD als „Fundament der deutschen Sozialdemokratie“ 56. Trotz oder vielmehr gerade aufgrund dieser zentralen Stellung der Partei im Ruhrgebiet stellte sich Ende der 1980er Jahre aus Faulenbachs Sicht die „Frage, welche Rückwirkungen der gegenwärtige Strukturwandel auf die politische Landschaft des Reviers und die Stellung der SPD in ihr haben könnte“ 57. Der historische Rückblick sollte nicht nur zur Aufklärung über die historischen Bedingungen der noch relativ jungen, erst in der Nachkriegszeit gewachsenen, hegemonialen Stellung der SPD im Ruhrgebiet dienen, sondern vor allem auch zur Behauptung dieser Position in der Region beitragen. 58 Mit Rückblick auf die Geschichte der SPD im Ruhrgebiet schlug Faulenbach sich in der für seinen Aufsatz titelgebenden Frage, ob ihr Erfolg ein „naturwüchsiger Prozess“ sei, wie der Politikwissenschaftler Karl Rohe mit Blick auf die politische Kultur der Region behauptet hatte, oder ob es sich um das „Ergebnis ehrlicher Arbeit“ handele, wie der Vorsitzende des Parteibezirks Westliches Westfalen und damalige NRW-Landesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Hermann Heinemann, postulierte, auf die Seite Heinemanns. Auch wenn es begünstigende Fak-

51 Ebd. 52 Ebd. 53 Vgl. Selbstdarstellung der 2018 aufgelösten Historischen Kommission der SPD beim Parteivorstand unter Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand: Über uns. Entstehung, URL: https://hiko.spd.de/ueber-uns/entstehung/ [letzter Zugriff: 12. Jul. 2020]. 54 Faulenbach, Bernd / Högl, Günther (Hg.): Eine Partei in ihrer Region. Zur Geschichte der SPD im westlichen Westfalen, Essen 1988. 55 Faulenbach (1988), S. 142. 56 Ebd., S. 147. 57 Ebd., S. 143. 58 Vgl. ebd., S. 149.

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toren wie die Stimmverluste und schließlich das Verbot der KPD sowie die Auflösung des Zentrums oder die Vereinheitlichung der Gewerkschaften gegeben habe, so sei das „Geheimnis der Ruhrgebiets-SPD“ 59 doch vor allem das Resultat einer glaubwürdigen und ortsnahen Arbeit in der durch die Kohlekrise gezeichneten Region – ein Erfolgsgeheimnis, das an die neuen Gegebenheiten einer angesichts des Strukturwandels weiter steigenden Arbeitslosigkeit und einer Ausdifferenzierung des Arbeitsmarkts angepasst werden müsse. Eine notwendige Anpassung liege vor allem darin, „die Region als Einheit zu sehen“ 60 und Lösungen nicht nur auf der Ebene einzelner Kommunen zu suchen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Neuordnung des Raums durch die IBA Emscher Park zu sehen. Die IBA Emscher Park sollte nicht nur die häufig als ‚Kirchturm-Politik‘ bezeichnete Konkurrenz zwischen den einzelnen Städten des Ruhrgebiets überwinden, sondern die Region räumlich neu ordnen. Diese räumliche Neuordnung erschien sowohl auf der Mikroebene einzelner Stadtteile als auch auf der Makroebene der ganzen Region notwendig. Die historische Entwicklung der erst durch die Industrialisierung hervorgebrachten Region mit ihrem enormen Bevölkerungswachstum über eine relativ kurze Zeitspanne habe insbesondere in der Emscherzone zu einem ungeordneten Siedlungswachstum geführt. Diese historische Entwicklung wurde in der Programmschrift zur IBA Emscher Park eindeutig negativ beurteilt und zum zu behebenden Missstand erklärt: „Der Emscherraum wurde dadurch zu der Industrielandschaft in Mitteleuropa mit der dichtesten Besiedlung, den größten Umweltbelastungen und der intensivsten Zerschneidung des Freiraums.“ 61 Die Betonung der außergewöhnlichen Siedlungsstruktur und ihre Bewertung durch die Aufzählung negativ konnotierter Superlative unterstrich nicht nur die Komplexität der als „historische Aufgabe“ 62 beschriebenen Zielsetzung der IBA Emscher Park. Sie diente auch der diskursiven Konstruktion einer Chance, die in der Bewältigung des als krisenhaft beschriebenen Zustands für die Region und mit ihr als Modell für die vor einem tiefgreifenden Wandel stehenden Industriegesellschaften liegen könnte. Der Begriff der Industrielandschaft ist hierbei als zentrales Instrument zur diskursiven räumlichen Vereinheitlichung der in mehr als 50 Kommunen unterteilten Region zu verstehen. Der eindeutig negativ belegte Begriff konstruierte durch die Bezeichnung als Landschaft eine räumliche Einheit, die allerdings keinerlei ästhetischen Wert aufwies und

59 Ebd., S. 143. 60 Ebd., S. 148. 61 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 12. 62 Ebd. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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mit wenig bis keinem Potenzial an Lebensqualität einherging. Vielmehr war von einer „Zerschneidung des Freiraums“ die Rede, die eine „Industrielandschaft“ hervorgebracht habe, die einstimmig der „Erneuerung“ bedürfe. Auf der Mikroebene einzelner Stadtteile materialisierte sich dieser Erneuerungsbedarf durch das Brachfallen ehemaliger Industrieflächen. Ähnlich der zu Beginn dieses Kapitels thematisierten Brachflächen entlang der Berliner Mauer bei der Berliner IBA markierten die im Zuge der Deindustrialisierung des Ruhrgebiets entstandenen Brachen die planerischen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Gestaltungs- und Bewahrungszukunft im Raum. Zwar hatten sie ihre Funktion als Industriestandorte verloren, jedoch führten die vielerorts noch vorhandenen materiellen Relikte, die Belastungen durch gesundheitsgefährdende Altlasten in den Böden sowie noch bestehende Eigentumsrechte dazu, dass brachgefallene Flächen dennoch nicht als Freiräume im stadtplanerischen Sinne gelten konnten. 63 Zudem wurde das zufällige und ungeordnete Brachfallen von Flächen als Problem dargestellt, das nur durch das Mittel der Planung zu bewältigen sei: Würde man warten, bis aus diesen Mosaiksteinen eine neue räumliche Ordnung zusammengefügt werden kann, würde mindestens der Zeitraum einer Generation für die Vorbereitung künftiger Entwicklungen ungenutzt verstreichen. Dies macht deutlich, daß der zukunftsorientierte Umbau einer dicht besiedelten Industrielandschaft zumindest ebensoviel planerische Vorbereitung und öffentlich-rechtliche Steuerung benötigt, wie die Ausweitung der Siedlungsflächen zu Lasten der unbesiedelten Räume in der Vergangenheit. 64

Auch über die „klassische Phase“ 65 der Planung hinaus, die Dirk van Laak zwischen dem Ersten Weltkrieg und den frühen 1970er Jahre ansiedelt, sollte Planung hier als notwendiger und wirksamer Modus zur Gestaltung der Zukunft plausibilisiert werden. Im deutlich nach dieser Phase konzipierten Programm zur IBA Emscher Park lassen sich jene Faktoren wiederfinden, die laut van Laak in der von ihm als klassisch bezeichneten Phase dazu führten, dass Planung als Notwendigkeit wahrgenommen wurde: Abgesehen von unternehmerischer oder militärischer Planung entsteht eine Planungsnotwendigkeit meist in Situationen der räumlichen und zeitlichen Verdichtung, also entweder in Ballungszentren oder aber historischen Entscheidungssituationen – seien diese nun real existent, strategisch behauptet oder nur eingebildet. Der Gedanke einer koordinierten Planung liegt

63 Vgl. ebd., S. 13. 64 Ebd. 65 Vgl. van Laak, Dirk: Planung. Geschichte und Gegenwart des Vorgriffs auf die Zukunft, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008) 3, S. 305–326, S. 322.

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nahe, wenn gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Konkurrenten gravierende ‚Rückstände‘ in der Entwicklung vermutet werden oder wenn die Erwartungs-, Wissens- und Theoriehorizonte etablierte Erfahrungsräume sprengen. 66

Diese von van Laak beschriebenen Faktoren kommen im Memorandum in zweifacher Dimension zum Tragen. Zunächst auf der regionalen Ebene des Ruhrgebiets als Ballungszentrum mit seiner als problematisch beschriebenen Siedlungs- und Landschaftsstruktur sowie mit der innerregionalen Konkurrenz zwischen der südlichen Hellwegzone und der nördlichen Emscherzone, die in der Bewältigung des Strukturwandels jener gegenüber als rückständig hervorgehoben wurde. 67 Der im obigen Zitat entworfene Zeithorizont einer Generation, der bei ausbleibender Planung ungenutzt verstreiche, 68 konstruierte außerdem einen zeitlichen Entscheidungsdruck, der nicht nur eine gewisse Zeitspanne an Jahren, sondern gleichzeitig die gesellschaftliche Kategorie generationeller Verantwortlichkeit implizierte. Die dadurch konstruierte Planungsnotwendigkeit wurde an historische Vorbilder zurückgebunden, sodass Planung für den Prozess der Deindustrialisierung als ebenso notwendig dargestellt wurde wie die ersten stadtplanerischen Maßnahmen aus der Zeit vor dem Strukturwandel. Die planerische Tradition des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk (SVR) unter der Ägide des Stadtplaners Robert Schmidt aus den 1920er Jahren bedürften der „Rückerinnerung und Neuinterpretation“ 69, wodurch der Anspruch erhoben wurde, dass Planung – wenn auch möglicherweise mit veränderten und neuen Methoden – weiterhin ein effektiver Modus der Zukunftsgestaltung sei. Dies wird auch in der Referenz auf „weitsichtige Baumeister“ 70 des frühen 20. Jahrhunderts deutlich, in deren Tradition sich die IBA-Initiator*innen mit ihrer Programmschrift stellten. Die im Memorandum konstruierte Planungsnotwendigkeit und der vermittelte Glaube an Planungseffektivität gingen aber über die Ebene der regionalen Planung hinaus und schlossen immer auch die der regionalen Ebene übergeordnete Dimension der Zukunftsgestaltung westlicher Industriegesellschaften ein. Dies zeigt sich etwa darin, dass Fragen einer modernen Regionalplanung stets auf die Frage nach einem übergeordneten gesellschaftlichen Zukunftsentwurf bezogen wurden:

66 Ebd. 67 Vgl. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (1988), S. 7, 12 f. 68 Siehe Kapitel 2.1.1, Anm. 64. 69 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 13. 70 Ebd.

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Was bestimmt die Qualität einer Region für eine Epoche, in der Schwerindustrie und ‚Schwerinfrastruktur‘ rasch an Bedeutung verlieren? Was ist der gemeinsame Bezugsrahmen für eine Gesellschaft, in der eine zunehmende Ausdifferenzierung der Lebensstile und Lebensformen kennzeichnend ist? 71

Die Epoche der Industriegesellschaft schien vorüber zu sein und welche Zukunft ihr bevorstehen würde, schien noch fraglich. Die IBA erhob den Anspruch, eine Antwort auf diese Frage zu geben, indem sie sich als experimentelle Planungswerkstatt für die Zukunft alter Industrieregionen inszenierte. Der Werkstattcharakter basierte auf dem Selbstverständnis als „Forum für den Austausch von Ideen, für den Dialog zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen, für die Erörterung der Ideen und Planungen mit der Bevölkerung und der Wirtschaft und für die Organisation der internationalen fachlichen und wissenschaftlichen Diskussion“ 72. Partizipation, Wissensproduktion und Wissenstransfer sollten also die Leitlinien einer Planungswerkstatt sein, die eine „langfristig tragfähige Strategie für die ökologische, ökonomische und soziale Erneuerung alter Industriegebiete“ 73 hervorbringen sollte. Gegenstand der für das Jahr 1990 angekündigten Strategie sollte die Reflexion der Steuerbarkeit und Planbarkeit der „Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklung“ 74 in Abhängigkeit von technologischem Fortschritt sowie von infrastrukturellen und wirtschaftlichen Bedingungen sein. Inhalt der durch die IBA zu entwerfenden Strategie war also im Grunde die Steuerbarkeit und Planbarkeit gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung selbst. Diesem Ziel lag die Überzeugung zugrunde, dass der Niedergang der für die Emscherzone typischen industriellen Massenproduktion zwar unaufhaltsam, aber gestaltbar und durch eine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur erfolgreich zu managen sei. 75 Um diese Diversifizierung zu erreichen, wurde in der zehnjährigen Laufzeit der IBA Emscher Park eine Vielzahl von Projekten angestoßen. Für die Realisierung der etwa 120 Projekte mit über zwei Milliarden DM Investitionsvolumen waren die jeweiligen Träger*innen verantwortlich. 76

71 72 73 74 75 76

Ebd., S. 14. Ebd., S. 33. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 34. Die Zahlen schwanken zwischen 118 bei Urban, Thomas: Organisation und Finanzierung, Beteiligung der Öffentlichkeit, in: Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park. Konzepte, Projekte, Dokumentation, Essen 2008a, S. 17–22 und mehr als 120 realisierten Projekten bei Jasper, Karl: Strategien, Methoden, Werkzeuge, in: Reicher, Christa / Niemann, Lars / Uttke, Angela (Hg.), Internationale Bauausstellung Emscher Park: Impulse. Lokal, regional, national, international, Essen 2011, S. 42–52.

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Die für die Koordination der Projekte zuständige Planungsgesellschaft IBA Emscher Park GmbH wurde für die Laufzeit der Bauausstellung gegründet und im Jahr 2000 wieder abgewickelt. 77 Die Geschäftsführung wurde Karl Ganser übertragen, einem aus Bayern stammenden Geographen und Stadtplaner, der nach seiner Habilitation an der TU München 1971 die Leitung des Instituts für Landeskunde in Bonn übernommen hatte. Die zwei Jahre später mit dem Institut für Raumforschung zur Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumkunde in Bonn zusammengeführte Behörde leitete Ganser bis 1980, 78 bevor er als Leiter der Abteilung für Städtebau ins NRW-Landesministerium für Landes- und Stadtplanung unter Christoph Zöpel wechselte. Dort hatte Ganser zu den Vordenkern der IBA Emscher Park gehört, bevor er zum Geschäftsführer ihrer Planungsgesellschaft wurde. Die Planungsgesellschaft beschäftigte zwischenzeitlich bis zu 30 Mitarbeiter*innen und teilte sich neben der Verwaltung in fünf Abteilungen mit je eigenen Bereichsleiter*innen und Referent*innen. Als wissenschaftliche Berater*innen waren den für die unterschiedlichen Themenfelder der IBA zuständigen Abteilungen außerdem jeweils fachlich einschlägige Universitätsprofessoren als „wissenschaftliche Direktoren“ zugeteilt. 79 Die wissenschaftlichen Direktor*innen kamen regelmäßig zu Sitzungen am Gelsenkirchener Standort der Planungsgesellschaft zusammen, um Positionspapiere zu den einzelnen Themenschwerpunkten der IBA zu erarbei77 Vgl. Urban (2008a), S. 17. 78 Beide Vorgängerinstitutionen hatten ihre Wurzeln in der NS-Raumpolitik, da sie aus der 1935 gegründeten Reichsstelle für Raumforschung und der 1940 gegründeten Abteilung für Landeskunde hervorgegangen waren. Die Neugründung der Institute Ende der 1940er Jahre zielte vor allem auf die raumplanerische Ordnung von Flüchtlingsströmen; vgl. dazu Gutberger, Hansjörg: Raumentwicklung, Bevölkerung und soziale Integration. Forschung für Raumplanung und Raumordnungspolitik 1930–1960, Wiesbaden 2017, S. 151–156. Unter Gansers Leitung wurde die Raumforschung der in den siebziger Jahren zur Bundesforschungsanstalt fusionierten Institute zunehmend an sozialwissenschaftlichen statt rein geografischen Methoden ausgerichtet, vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Geschichte des wissenschaftlichen Bereichs des BBR, URL: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/ueber-uns/geschichte/ _node.html [letzter Zugriff: 24. Feb. 2022]. 79 „Im Einzelnen handelte es sich um den Berliner Physiker, Techniker und Zukunftsforscher Rolf Kreibich (Ökologieorientierte Entwicklung von Technik und Infrastruktur), den Stuttgarter Landschaftsarchitekten und späteren Präsidenten der Bundesarchitektenkammer Arno S. Schmid (Landschaftsplanung, -gestaltung und -wiederaufbau), den Oldenburger Soziologen Walter Siebel (Soziale und kulturelle Innovation), den Bonner Architekten Thomas Sieverts (Städtebau, Architektur, Gestaltung) sowie um den in München lebenden Architekten und Stadtplaner Peter Zlonicky (Regionale und städtebauliche Planung). Zeitweilig war auch die Berliner Journalistin, Publizistin und spätere Mitinitiatorin des Holocaust-Denkmals, Lea Rosh, Mitglied des Direktoriums. Sie war für den Bereich Kultur und Medien verantwortlich.“ Urban (2008a).

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ten, die den Stand der Forschung abbilden und den Projektträger*innen als inhaltliche Leitfäden dienen sollten. 80 Ebenso wie zahlreiche Kongresse und wissenschaftliche Symposien waren diese Positionspapiere einerseits als Dokumentation und wissenschaftliche Fundierung des eigenen Planungsprozesses gedacht. Andererseits sollten sie die Grundlage für die angestrebte Vorbildfunktion der IBA Emscher Park abgeben, 81 indem sie den Wissenstransfer für andere alte Industrieregionen ermöglichten. Die Berufung von Architekten und Stadtplanern als wissenschaftlichen Experten deckte im Rahmen einer Bauausstellung als einem etablierten Mittel der Stadtplanung zunächst den Kernbereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ab. Die Berufung eines Soziologen und insbesondere die Nominierung eines Zukunftsforschers als ‚wissenschaftliche Direktoren‘ verweisen darüber hinaus auf den Anspruch der Bauausstellung, gleichermaßen regionales Strukturprogramm wie überregionale ‚Zukunftswerkstatt‘ zu sein. Die Berufung des profilierten Zukunftsforschers Rolf Kreibich, ehemaliger Präsident der FU Berlin und dort Professor für Soziologie der Technik, Technikfolgenabschätzung und Zukunftsforschung, als wissenschaftlichem Berater zeugt von einem erneuten Aufschwung der zuvor in die Krise geratenen Zukunftsforschung um 1990. 82 Die sich transnational entwickelnde Zukunftsforschung war in den späten 1950er und 1960er Jahren aus einem zwar durchaus ambivalenten, weitgehend optimistischen, wenn auch nicht grenzenlosen Technik- und Fortschrittsverständnis und dem Glauben an eine offene, prognostizierbare und gestaltbare Zukunft erwachsen. 83 Die Wahrnehmung einer Beschleunigung des technischen Fortschritts erzeugte das Bedürfnis zur Steuerung desselben, dem aber zumindest bis Ende der 1960er Jahre weitgehend das Vertrauen in die prinzipielle Steuerbarkeit und die Möglichkeit zur Gestaltung multipler Zukünfte zugrunde lag, wie Elke Seefried gezeigt hat. Schon zu Beginn der 1970er Jahre begann die Zukunftsforschung allerdings mit dem Entwerfen von Krisenszenarien und betonte „immer stärker Unsicherheitspotentiale der Vorausschau (aus denen dann in den 1980er Jahren die Kategorie des

80 Vgl. ebd. Der Expert*innenkreis wurde in der zweiten Hälfte der IBA-Laufzeit auf 18 sogenannte Korrespondent*innen erweitert, die außerdem zusätzlich die Themen ‚Kultur, Kulturwirtschaft und Tourismus‘ sowie ‚Kunst und regionale Kultur‘ bearbeiteten. Vgl. ders. (2008a), S. 18 und Jasper (2011), S. 44. 81 Vgl. Jasper (2011), S. 45. 82 Vgl. Seefried (2015), S. 507. Seefried beschreibt diesen Aufschwung im Fazit ihrer Untersuchung als zweite Zäsur in der Geschichte der Zukunftsforschung nach dem von ihr diagnostizierten grundlegenden Wandel um 1970, dessen Erforschung allerdings ein Desiderat bilde. 83 Vgl. ebd., S. 9 f.

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Risikos wurde)“ 84. Infolgedessen kam es zu einer methodischen Pluralisierung, die auch partizipative Verfahren wie Zukunftswerkstätten in den Vordergrund rückte. Das Verfahren war Ende der 1960er Jahre vom Zukunftsforscher Robert Jungk, Professor an der TU Berlin, und seinem Mitarbeiter Norbert R. Müllert entwickelt worden. 85 Die partizipative Methode basierte auf einem normativen Zukunftsverständnis, in dem zunächst Ziele formuliert und daraus Handlungsanweisungen für die Gegenwart abgeleitet wurden. 86 Diese Ziele sollten allerdings nicht top-down formuliert, sondern in einem demokratischen und diskursiven Verfahren ermittelt werden, indem Menschen „in einem gruppendynamischen Prozess gesellschaftliche Probleme eruierten, Lösungsideen sammelten und prüften“ 87 – ein Verfahren, das im Zuge des Aufstiegs der Neuen Sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren verstärkt angewendet wurde, so etwa in Eisenheim. Der Kampf um den Erhalt der Oberhausener Arbeitersiedlung wurde zu Beginn der 1970er Jahre zum Vorbild einer Reihe von sogenannten ‚Arbeiterinitiativen‘ und neben dem Erhalt der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund zu einem zentralen Referenzpunkt geschichtskultureller Akteur*innen der Region. 88 Die Oberhausener Arbeiterinitiative hatte Jungk Ende des Jahres 1974 nach Eisenheim eingeladen, um im ehemaligen Waschhaus der Siedlung eine Zukunftswerkstatt nach seinem Konzept zu realisieren. 89 Dieses Konzept entwarf Zukunft als gestaltbar, als etwas, das ‚gemacht‘ werden müsse, allerdings nicht durch staatliche Planung, sondern durch die von der Planung betroffenen Menschen selbst. Zentrales Ziel der Zukunftswerkstätten war, „Betroffene zu Beteiligten zu machen“ 90, wie Achim Eberspächer in seiner Arbeit zur Geschichte der Futurologie festhält. Die Zukunftswerkstatt war für Jungk also ein ermächtigendes Verfahren und Zukunftsforschung eine Handlungswissenschaft, die „die Gegenwart unter dem Aspekt einer gewollten Zukunft“ 91 zu sehen

84 Ebd., S. 14 f. 85 Vgl. Jungk, Robert / Müllert, Norbert R.: Zukunftswerkstätten, Hamburg 1981; dies.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation, München 61997. 86 Vgl. Seefried (2015), S. 151. 87 Ebd. 88 Zum Kampf um Eisenheim siehe auch Kapitel 3.2 und 3.4. 89 Vgl. Suhrbier, Hartwig: Wie die älteste Arbeitersiedlung im Ruhrpott zur ZukunftsWerkstatt wurde. In Eisenheim wehren sich die Bewohner gegen den Tod auf Raten. Von Abriß mag in Oberhausen keiner mehr reden, in: Frankfurter Rundschau, 3. Dezember 1974; Jungk / Müllert (1981), S. 43–71; Jungk, Robert: Trotzdem. Mein Leben für die Zukunft, München / Wien 1993, S. 451–453. 90 Eberspächer (2019), S. 328. 91 Seefried (2015), S. 153. Vgl. auch Jungk (1993), S. 405 f.

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hatte. Die Referenz auf dieses „kritisch-emanzipatorische“ 92 Verfahren im Selbstverständnis und in der Selbstbezeichnung der IBA Emscher Park als „Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete“ 93 integrierte also ein partizipatives, bottom-up gerichtetes Prinzip der Zukunftsgestaltung in ein staatliches Planungsprogramm. Der Entwicklung der Zukunftsforschung um die 1990er Jahre entsprechend, 94 absorbierte die IBA durch ihre Inszenierung als Zukunftswerkstatt gleichsam das partizipative Prinzip, ohne den emanzipatorischen Anspruch zu übernehmen. Nachdem die Zukunftsforschung Ende der 1970er Jahre durch das schwindende Vertrauen in den Erfolg wissenschaftlicher und politischer Steuerung in die Krise geraten und ihren Einfluss als Institution der Politikberatung weitgehend eingebüßt hatte, waren mit ihr ab den 1990er Jahren wieder mehr Hoffnungen auf politische und wirtschaftliche Orientierung verbunden. 95 Dies zeigt auch die Berufung Kreibichs als wissenschaftlichen Direktor der IBA Emscher Park. 96 Das von ihm geleitete Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) war bereits 1985 vom Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NRW mit einer Studie zum „Zusammenhang von Zukunftsforschung und Politik“ 97 beauftragt worden, da der zuständige Minister, Christoph Zöpel, eine verstärkte „Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Zukunftsforschung als Informationsgrundlage politi92 Seefried (2015), S. 125. 93 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988). 94 Vgl. Seefried (2015), S. 507. Zur Weiterentwicklung des von Jungk und Müller entworfenen Konzepts vgl. zeitgenössisch Memmert, Christian: Über die Arbeit an der Zukunft. Die Praxis der Zukunftswerkstätten, Bremen 1993. 95 Vgl. Seefried (2015), S. 50–506. 96 Kreibich war zunächst Direktor des Berliner Instituts für Zukunftsforschung (IFZ) und leitete seit 1981 das ebenfalls in Berlin ansässige, als gemeinnützige GmbH verfasste Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), das auf personelle Konflikte und Finanzierungsprobleme des IFZ hin von ihm gegründet worden war; vgl. ebd., S. 409. Auf Initiative Johannes Raus und Christoph Zöpels wurde 1990 in Gelsenkirchen die erste öffentlich geförderte Einrichtung der Zukunftsforschung gegründet, das Sekretariat für Zukunftsforschung (SFZ), dessen Gründungsdirektor ebenfalls Kreibich war; vgl. Burmeister, Klaus: Einrichtungen der Zukunftsforschung, in: Kreibich, Rolf / Burmeister, Klaus / Canzler, Weert (Hg.), Zukunftsforschung und Politik in Deutschland, Frankreich, Schweden und der Schweiz, Weinheim 1991, S. 339–378, S. 369; Kreibich, Rolf: Zukunftsforschung, in: Tietz, Bruno / Köhler, Richard / Zentes, Joachim (Hg.), Handwörterbuch des Marketing, Stuttgart 21995, S. 2814–2834, S. 2830. Die Förderung des Landes NRW lief mit Ende der IBA im Jahr 2000 aus, heute ist das Institut an der FU Berlin angesiedelt. 97 Zöpel, Christoph: Einleitung. Zukunftsforschung und Politik, in: Kreibich, Rolf / Burmeister, Klaus / Canzler, Weert (Hg.), Zukunftsforschung und Politik in Deutschland, Frankreich, Schweden und der Schweiz, Weinheim 1991, S. 9–37, S. 10, ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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schen Handelns“ 98 anstrebte. Zwar hatte insbesondere die Kontingenzerfahrung des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung bis zur Veröffentlichung der Studie sechs Jahre später auch bei Zöpel zur Wahrnehmung einer gesteigerten Komplexität der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und damit zur Wahrnehmung einer Verkürzung des möglichen Zeitrahmens verlässlicher Prognosen geführt. 99 Jedoch stelle die moderne Zukunftsforschung nicht mehr in erster Linie Prognosen zur Verfügung, deren Nicht-Eintreffen die Aussagekraft der wissenschaftlichen Zukunftsforschung untergraben würde, sondern Szenarien. 100 Anstelle von Prognosen über die Zukunft böten diese Auskünfte über den möglichen Verlauf verschiedener Zukünfte, an die sich der Staat, dessen „planungs- und Rationalitätsansprüche“ 101 seit den 1970er Jahren grundlegend verunsichert worden seien, ‚fragend‘ annähern könne. 102 Diese Art der Annäherung sollte die „unzulänglichen Arten der fragenden Annäherung an Zukunft“ 103, also die „rationalistische Verlängerung von Entwicklungsmodellen in die Zukunft – zumeist unter Berufung auf Sachzwänge – und das unhistorische Malen neuer Zukünfte – unter Verdrängung von Entscheidungssituationen von heute“ ersetzen. Die Zukunftsforschung hatte aus Zöpels Sicht den Auftrag, historische Selbstvergewisserung mit der Entwicklung von Szenarien möglicher Zukünfte zu verbinden und so einer von ihm als „unhistorische[s] Denkmuster: verdrängte Vergangenheit – ungeklärte Gegenwart – spekulative Zukunft“ 104 kritisierten Form der historisch unreflektierten Zukunftsgestaltung entgegenzuwirken. Diese entziehe sich lediglich den drängenden Fragen der Gegenwart, gegen die sie sich durch „vornehmlich mit der Vorsilbe ‚post-‘ gebildet[e]“ Zukunftsentwürfe „immunisieren“ wolle. Auch wenn Ende des 20. Jahrhunderts die „utopischen Energien aufgezehrt erscheinen“ 105

98 Ebd. Vgl. hierzu auch die von Zöpel und Joachim Jens Hesse seit 1986 veranstaltete Diskussionsreihe ‚Forum Zukunft‘, deren Tagungsbände in der gleichnamigen Reihe im Nomos Verlag publiziert wurden, z. B. Hesse, Joachim Jens / Zöpel, Christoph (Hg.): Zukunft und staatliche Verantwortung, Baden-Baden 1987; Hesse, Joachim Jens / Zöpel, Christoph / Rolff, Hans-Günter (Hg.): Zukunftswissen und Bildungsperspektiven, Baden-Baden 1988. 99 Vgl. Zöpel (1991), S. 9 f. 100 Zum Erstellen von Szenarien als Form des Zukunftshandelns vgl. Palberg, Kyra / Schmidt, Anna Maria: Szenarien erstellen. Einführung, in: Boer, Jan-Hendryk de (Hg.), Praxisformen. Zur Erforschung kultureller Logiken menschlichen Handelns, Frankfurt am Main 2019, S. 539–545. 101 Zöpel (1991), S. 14. 102 Vgl. ebd., S. 11–18. 103 Ebd., S. 18, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 104 Ebd., S. 19, ebenso die folgenden Zitate. 105 Ebd., S. 20, ebenso das folgende Zitat.

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würden, müsse die „Zukunftswissenschaft in der Lage sein, ihre Arbeit so an die empirische Wirklichkeit anzubinden, daß kritische Reflexion und praktische Zukunftsgestaltung miteinander ins Gespräch kommen können und gegenseitig lernfähig werden“. Politische Zukunftsgestaltung sollte also einerseits auf die wissenschaftliche Erforschung von Zukunft als Wissensbestand zurückgreifen können. Andererseits sollte diese aber auch an die Ergebnisse und Bedürfnisse staatlicher Planung zurückgebunden werden und ihre Forschung an diese anpassen. Zöpel rezipierte hier jenes veränderte Zeitverständnis, das laut Fernando Esposito „mit dem Begriff des Posthistoire am treffendsten charakterisiert ist“ 106. Er kritisierte, dass weder die Erwartung an einen linear aus der Geschichte abzuleitenden Fortschritt als Modus der Zukunftsgestaltung haltbar sei, noch, dass die Wahrnehmung einer ökologischen und ökonomischen Krise sowie eines Utopieverlusts zur Schließung des ehemals offenen Zukunftshorizonts führen dürfe. In der Konsequenz sollte die beim IZT in Auftrag gegebene Studie zur Entwicklung der Zukunftsforschung über eine reflexive Historisierung der wissenschaftlichen Disziplin die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit derselben wiederherstellen und dem verunsicherten Staat auf diese Art historisch-kritisch reflektiert wieder als Produzent von Zukunftswissen dienen – ein Vorhaben, das Zöpel in seinem der Studie vorangestellten Aufsatz zum Verhältnis von Zukunftsforschung und Politik kurzerhand für gelungen erklärte und als Existenzberechtigung für das 1990 gegründete ‚Sekretariat für Zukunftsforschung‘ (SFZ) in Gelsenkirchen anführte. 107 Zum Leiter der vom Land geförderten Forschungseinrichtung, die sich unter anderem der „Erforschung der Krise des wissenschaftlich-ökonomischen Fortschrittsmusters und der Elemente einer neuen Zukunftsethik; [der] Analyse und Bewertung neuer Wettbewerbsmuster und -strategien für den industriellen Strukturwandel“ 108 widmen sollte, wurde wiederum Rolf Kreibich berufen. Kreibichs Verständnis von Zukunftsforschung lag die Position zugrunde, dass „die Zukunft prinzipiell nicht vollständig bestimmbar ist und daß verschiedene Zukunftsentwicklungen (Zukünfte) möglich und gestaltbar sind“ 109. Die Aufgabe der Zukunftsforschung könne nicht allein im Entwerfen apokalyptischer Krisenszenarien bestehen, sondern müsse

106 107 108 109

Esposito (2016), S. 396. Vgl. Zöpel (1991), S. 10. Burmeister (1991), S. 369. Kreibich (1995), S. 2814 (H. i. O.); ebenso in ders.: Herausforderungen und Aufgaben für die Zukunftsforschung in Europa, in: Steinmüller, Karlheinz / Kreibich, Rolf / Zöpel, Christoph (Hg.), Zukunftsforschung in Europa. Ergebnisse und Perspektiven, Baden-Baden 2000, S. 9–36, S. 9.

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vielmehr auf die Aktivierung von Bürger*innen und die Mobilisierung bottom-up gerichteter Prozesse zur Zukunftsgestaltung und Überwindung von Katastrophenszenarien zielen. 110 Auch wenn der „Gegenstand der Zukunftsforschung bestimmt keine fest umrissene Wissenschaft“ 111 sei, habe sie doch einen spezifischen, auf wissenschaftlicher Forschung basierenden Methodenkanon ausgebildet. Die Berufung Kreibichs als wissenschaftlichen Direktor und die zeitnahe Gründung des von ihm geleiteten SFZ sollte die durch die IBA Emscher Park postulierte Gestaltbarkeit der Zukunft des Ruhrgebiets und mit ihr der Zukunft aller „hoch entwickelten Industriegesellschaften“ 112 mithin wissenschaftlich fundieren. Nach Abklingen der Planungseuphorie seit den 1970er Jahren 113 musste diese Gestaltbarkeit allerdings in ein neues Gewand gefasst werden. Bedingung hierfür war ein geändertes Planungsverständnis, das vor allem auf Projekten basierte. Es sollten keine detaillierten Pläne entworfen werden, deren vom Scheitern bedrohte Umsetzung zu Frust und Lähmung des Planungsprozesses führen würden. Vielmehr waren Entwurf und Umsetzung einzelner Projekte geplant, die auch „im Vorgriff auf nicht diskutierte Strategien und Leitpläne entwickelt“ 114 werden und hierbei den bereits dargestellten Prinzipien einer „ökologischen Erneuerung“ folgen müssten. Charakteristisch für das Verständnis des inflationär gebrauchten Projektbegriffs sind drei Eigenschaften, die das veränderte Planungsverständnis wesentlich prägten: Projekte sind „zielgerichtet, sie

110 So führt er etwa in einer vom Gelsenkirchener Sekretariat für Zukunftsforschung und vom IZT herausgegebenen Festschrift für Robert Jungk aus: „Aber das Wissen allein über Zusammenhänge, wie der Weg in den Abgrund führt, reicht nicht. [. . . ]. Dafür müssen Wunschträume in phantasievolle, reale Zukunftsbilder, Verstummtheit in kreative Kommunikation, Passivität in soziale Experimente und praktisches Handeln, Resignation in aktive Bürgerbewegungen überführt werden. Durch das Entwerfen, Vorleben und das eigene Gestalten wünschbarer Zukunftswelten und nachhaltiger Entwicklungspfade lassen sich ungeahnte Kraftquellen zur Überwindung apokalyptischer Zukunftsbilder und Entwicklungstrends erschließen. Entscheidend ist, daß wir nicht warten bis ‚von oben‘ oder ‚von außen‘ etwas geschieht, sondern selbst erfinden, selbst organisieren, selbst handeln – viele, überall, solidarisch, demokratisch.“ Kreibich, Rolf: Prinzip Ermutigung für den Nach-Rio-Prozeß, in: Canzler, Weert / Sekretariat für Zukunftsstudien Gelsenkirchen (Hg.), Die Triebkraft Hoffnung. Robert Jungk zu Ehren: mit einer ausführlichen Bibliographie seiner Veröffentlichungen, Weinheim / Basel 1993, S. 175–193, S. 178 f. 111 Ders. (1995), S. 2815. 112 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 7. 113 Vgl. van Laak, Dirk: Planung, Planbarkeit und Planungseuphorie. Version 1.0, 16. 02. 2010, URL: http://docupedia.de/zg/Planung [letzter Zugriff: 7. Jul. 2016]. 114 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 58. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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sind temporär [. . . ] und sie sind partizipativ“ 115. Die Flexibilisierung des Planungsprozesses über die Fokussierung auf Projekte, die an sich ändernde, übergeordnete Pläne anpassbar sind, spiegelte den um eine neue Planungskultur kreisenden stadtplanerischen Diskurs. Stadtplaner*innen diskutierten über ein stärker prozessorientiertes Planungsverständnis, das den „häufig auftretenden Debakeln langfristig angelegter Planungen“ 116 entgegenwirken sollte. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Heterogenität und Individualisierung bei gleichzeitiger verstärkter Organisation in interessengeleiteten Gruppen wurden als neue Probleme von Planungsprozessen beschrieben, die andere Formen der Konsensfindung nötig machen würden. 117 Zudem stelle die auf Luhmann fußende Annahme struktureller Kontingenz als Merkmal moderner Gesellschaften die Stadtplanung vor grundsätzliche Herausforderungen, auf die diese sich im Sinne eines gesellschaftlichen Risikomanagements einzustellen habe, wie im März 1991 auf einem Kolloquium zum Thema ‚Die Zukunft des Städtischen. Planungskultur. Stadtentwicklung und zivile Gesellschaft‘ 118 diskutiert wurde: Die Ratlosigkeit wird noch durch ein weiteres strukturelles Problem verschärft: ‚Komplexität‘, so Luhmann, ‚heißt Selektionszwang. Selektionszwang heißt Kontingenz (Unbestimmtheit) und Kontingenz heißt Risiko.‘ Mit wachsender Komplexität des sozialen Systems beinhaltet alles Verhalten – weil auch stets ein anderes möglich wäre – einen Risikofaktor. Jede Entscheidung erscheint riskant, weil sie einen Horizont von Ungewißheit mit unbestimmten Folgelasten aufreißt und zudem noch zum vielfältigsten Widerspruch verlockt. Die Meinungen bilden sich nicht mehr nach einem ‚Entweder – Oder‘ schlichter Ideologien, sondern in einer farbigen Palette ausdifferenzierter Positionen. Die Zahl der Anhänger wird somit kleiner, der Mut zu Entscheidung in der Regel ebenso. Dennoch muß sich die Politik, die in der Funktionslogik moderner Gesellschaftssysteme ein eigenständiges Subsystem darstellt, auf diese strukturelle Kontingenz einstellen und sich als Risikomanagement begreifen. [. . . ] Ein selbstreflexives Stadtmanagement wird deshalb versuchen, kritische Interventionen als notwendige Voraussetzungen einer flexiblen Modernisierungspolitik zu behandeln und starre Problemverarbeitungsmuster zu vermeiden. 119

115 Klopotek, Felix: Projekt, in: Bröckling, Ulrich / Krasmann, Susanne / Lemke, Thomas (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt am Main 2004, S. 216–221, S. 216. 116 Wentz, Martin: Sozialer Wandel und Planungskultur, in: Wentz, Martin (Hg.), Planungskulturen, Frankfurt am Main / New York 1992, S. 10–19, S. 16. 117 Ebd., S. 15. 118 Vgl. Wentz, Martin (Hg.): Planungskulturen, Frankfurt am Main / New York 1992. 119 Ders. (1992), S. 16. Bezieht sich auf Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1987, S. 47.

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Stadtplanung wurde hier also als Technologie des Kontingenzmanagements präsentiert, das strukturelle Kontingenz anerkennt und weder im Sinne einer Reduktion „tendenziell zum Verschwinden“ 120 bringen soll, noch im Sinne einer Bewältigung „die Integration des Unbestimmten als Sinn oder Funktion anvisiert“. Vielmehr wurde Stadtplanung zum Gegenstand eines „komplexen sozialen Managements“ 121 erklärt, deren Risiken mittels einer ‚neuen Planungskultur‘ zu minimieren und auch als Chancen furchtbar zu machen seien. Die Diskussionsbeiträge zur ‚neuen Planungskultur‘, unter denen auch Beiträge Michael Schwarze-Rodrians vom KVR zur IBA Emscher Park und zur Spannung zwischen „Planung und Entscheidung“ 122 der Essener Planungsdezernentin Irene Wiesen-von Ofen waren, waren auch als Handlungsaufforderung an Politiker*innen gedacht. Deren „Hinwendung zu kleinteiligen Maßnahmen und die Orientierung an der vorhandenen Bausubstanz“ 123 sei zwar zunächst berechtigt gewesen, „nachdem Mitte der siebziger Jahre die Hoffnung auf eine bis ins Detail durch Planwerke regulierbare Zukunft in sich zusammengebrochen“ sei. Das Vertrauen in planende Zukunftsgestaltung sei also geschwunden, verzichtbar war sie aus Sicht der Stadtplaner*innen aber keineswegs: Wenn allerdings die politischen Parteien auf Dauer eine Utopie- und Gestaltungsabstinenz als Grundlage ihrer Programmatik für die neunziger Jahre erklären, werden sie den veränderten Bedingungen, denen die deutschen Städte ausgesetzt sind, in keiner Weise gerecht.

Die Berufsgruppe sah sich also zur Entwicklung einer neuen Planungskultur herausgefordert, auch wenn über deren Ausgestaltung keinesfalls Einigkeit bestand. Dies zeigt etwa die Kritik der Essener Planungsdezernentin an einer durch Parteizugehörigkeiten gehemmten Streitkultur, die jeden „Dialog zur Farce“ 124 werden lasse und an der Betonung des Prozesscharakters der als neu vorgestellten Planungskultur, die tatsächlich nur das Ausweichen vor Entscheidungen und die Ablehnung von Verantwortung bedeute. Dass Planung allerdings zur Zukunftssicherung von Städten notwendig sei, gar „ein unser ganzes Dasein erfassender, permanenter Prozeß“ sei, der eben nur nicht in sich permanent gedacht werden dürfe, erschien auch ihr unzweifelhaft: „[M]an muß planen.“ Die unterschiedlichen Zeithorizonte von klassischer Stadtplanung, die nicht absehbar sei, und von 120 Hoffmann (2012), S. 58, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 121 Makropoulos (2004), S. 385. 122 Wiese-von Ofen, Irene: Planung und Entscheidung, in: Wentz, Martin (Hg.), Planungskulturen, Frankfurt am Main / New York 1992, S. 22–30. 123 Wentz (1992), S. 17. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 124 Wiese-von Ofen (1992), S. 33. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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Projekten, die sich durch einen festen Anfang und ein definierbares Ende auszeichnen würden, galten der Planungsdezernentin der größten aller an der IBA Emscher Park beteiligten Städte als Problem. Die Fokussierung auf „Projekte statt Pläne“ 125 war jedoch ein zentrales Merkmal der von der Bauausstellung aufgestellten Planungsprinzipien. Über die Bewilligung von Projekten im Rahmen der IBA Emscher Park entschied der vom Minister für Städtebau geleitete und zweimal jährlich tagende Lenkungsausschuss, dem außerdem noch weitere Vertreter*innen der Landesregierung, der Kommunen, der Emschergenossenschaft, des KVR und von Gewerkschaften, Wirtschaftsunternehmen sowie von Verbänden aus den Bereichen Naturschutz, Planung und Architektur angehörten. 126 Ein hauptsächlich zur Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit eingesetztes Kuratorium wurde vom Ministerpräsidenten geleitet und „rekrutierte sich aus Personen des öffentlichen Lebens, zu seinen Mitgliedern zählten neben Kommunal- und Landespolitkern auch Unternehmer, Journalisten und Künstler“ 127. Darüber hinaus existierte noch der regelmäßig tagende ‚Arbeitskreis Kommunal‘, der die Organisation in den kommunalen Verwaltungen und den Stand der Projekte überwachte sowie Präsentationen und Veranstaltungen vorbereitete. Er bestand „im Wesentlichen aus je einem Vertreter der beteiligten Städte und Kreise, des Städtebauministeriums, der drei zuständigen Bezirksregierungen, des Kommunalverbands Ruhrgebiet, der beiden Landschaftsverbände, der Emschergenossenschaft sowie einer Vertreterin des Arbeitskreises ‚IBA und Frauen‘“ 128. Für die Großprojekte wie den Landschaftspark Duisburg-Nord wurden außerdem spezielle Projektlenkungsgruppen gebildet, die über Fragen des Denkmalschutzes, der baulichen Entwicklung und der Finanzierung berieten. Die Finanzierung der Planungsgesellschaft selbst erfolgte über die Bereitstellung von Landesmitteln, während für die Realisation der Projekte keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt, sondern vorhandene Förderstrukturen des Landes, des Bundes oder der EU genutzt wurden. 129 Die Aufträge zur Umsetzung bewilligter Projekte wurden per Wettbewerbsverfahren vergeben, was einerseits die Einbindung überregionaler und internationaler Architekturbüros ermöglichen und andererseits hohe Qualitätsstandards sichern sollte, indem sich qualitativ hochwertige Entwürfe gegen minderwertigere durchsetzen sollten. 130 Schriftlich festgehaltene Qualitätsver125 126 127 128 129

Jasper (2011), S. 51. Vgl. Urban (2008a), S. 18, Jasper (2011), S. 44. Urban (2008a), S. 18. Ebd. Vgl. ebd. S. 18 f.; Jasper (2011), S. 45. Zur Aufschlüsselung der einzelnen Fördertöpfe vgl. Urban (2008a), S. 19. 130 Jasper (2011), S. 44.

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einbarungen zwischen Projektträger*innen und der IBA Emscher Park Gesellschaft sollten außerdem die Einhaltung bestimmter von der Planungsgesellschaft festgelegter qualitativer Standards sichern. 131 Die Schaffung und Einhaltung eines spezifischen ‚IBA-Standards‘ bei der Planung und Umsetzung der Projekte war also neben der Koordination eine der Hauptaufgaben der Planungsgesellschaft. Neben der Koordinierung der einzelnen Projekte galt es aber vor allem auch, die „mosaikartige Planung und Projektarbeit“ 132 wirkungsvoll zu vermarkten, wie Karl Ganser als Geschäftsführer der Planungsgesellschaft festhielt: „Diese unspektakuläre Kleinarbeit bedarf der symbolischen Inszenierung.“ Hierfür wurden im Memorandum sieben Leitprojekte entworfen, die den „Kern“ 133 der IBA Emscher Park bilden sollten. Diese werden im Folgenden im Spannungsfeld zwischen ihrer bewahrenden und gestaltenden Funktionalisierung für die Zukunftskonstruktion der Bauausstellung analysiert.

2.1.2 Zwischen Bewahren und Gestalten – die Leitprojekte Gut ein Jahr, nachdem die Planungsgesellschaft im Sommer 1989 offiziell ihre Arbeit aufgenommen hatte, widmete sich die Zeit dem Programm der IBA Emscher Park in einem langen Artikel. Mit Bezug auf das Planungsgebiet betitelte der Journalist und Architekturkritiker Manfred Sack seinen ausführlichen Bericht „Siebzig Kilometer Hoffnung“ 134, worin nicht nur der Anspruch der IBA zum Ausdruck kam, eine positive Zukunft zu gestalten. Vielmehr unterstrich der Titel auch, wie komplex diese Gestaltungsaufgabe angesichts der im Artikel als desaströs beschriebenen Ausgangslage des Ruhrgebiets war: Denn was im Ruhrgebiet, im ‚Revier‘, im ‚Kohlenpott‘, vor sich gegangen war, gab eher Anlaß zu schwermütigen Gedanken: ein Bergwerk nach dem anderen stillgelegt, Hochöfen erloschen, immer mehr Arbeitslose, ganze Industrieareale, mitunter so groß wie Städte, abgeräumt, ganze Arbeitswelten aus dem Blickfeld verschwunden, zurückgeblieben verseuchtes Brachland – der Boden vergiftet, die Emscher und die Bäche, die ihr zufließen, kanalisierte Kloaken,

131 Ebd., S. 45. 132 Ganser, Karl: Die Strategie der IBA Emscher Park, in: Garten + Landschaft 101 (1991) 10, S. 13–15, S. 15, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 133 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 35. 134 Sack, Manfred: Siebzig Kilometer Hoffnung, in: Die Zeit, 27. Juli 1990. Zum Ende der IBA Emscher Park veröffentlichte Sack unter dem gleichen Namen eine Monographie zur Bauausstellung: ders.: Siebzig Kilometer Hoffnung. Die IBA Emscher Park. Erneuerung eines Industriegebiets, Stuttgart 1999.

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die Landschaft geschändet, die letzten Idyllen verwildert und verkommen, die Landwirtschaft so ungesund wie überall, eine sich vermindernde Bevölkerung, Arbeitslose. Was um Gottes willen dagegen tun? 135

Um die Antwort der Planer*innen auf diese Frage zu illustrieren, erläuterte Sack die im Memorandum beschriebenen Leitprojekte, welche „die [. . . ] Menge sehr ungewöhnlicher Projekte“ zu einem Programm zusammenbinden sollte. An Sacks Zitaten lassen sich zwei für die Analyse der IBA Emscher Park entscheidende Aspekte beispielhaft verdeutlichen. Zum einen kam den Leitprojekten nicht nur für die Gestaltung, sondern auch für die Rezeption der Bauausstellung eine zentrale Bedeutung zu. Zum anderen war die Rezeption der IBA Emscher Park gerade zu Beginn noch von einem negativen Bild des Ruhrgebiets als sterbender Industrieregion geprägt, in der Arbeitslosigkeit und landschaftliche Zerstörung dominierten. Zum Verständnis des planerischen Programms und seiner Rezeption ist daher die Einordnung der Leitprojekte in ihre diskursiven Kontexte nötig. Anhand des Memorandums wird deshalb im Folgenden zum einen die Konzeption der Leitprojekte skizziert und diese zum anderen in verschiedene diskursive Kontexte wie Landschafts- und Umweltverständnis oder Freizeit- und Erlebnisgesellschaft eingebettet. Außerdem wird der Anschluss des Memorandums an frühere struktur- und imagepolitische Strategien untersucht. Besonderes Augenmerk gilt aber dem vierten Leitprojekt „Industriedenkmäler als Kulturträger“ 136, das für mein Erkenntnisinteresse zentral ist und daher abschließend ausführlicher auf das Spannungsverhältnis von Bewahren und Gestalten hin untersucht wird. Anhand einer Kontextualisierung zur regionalen Museumslandschaft wird es außerdem in die diskursive Aushandlung von Geschichte als Bedeutung eingeordnet, wobei besonders die Topoi der Nostalgie und Kontingenzerfahrung fokussiert werden. Das erste und für die IBA namensgebende Leitprojekt war das des Emscher-Landschaftsparks. Geplant als „bandförmiger Landschaftspark zwischen Duisburg und Dortmund“ 137 in „räumlicher Anlehnung an den Verlauf von Emscher und Rhein-Herne-Kanal“ stand bereits hier fest, dass das zentrale Leitprojekt während der IBA-Laufzeit nur in exemplarischen

135 Sack (1990) Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 136 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 44. Für nicht von vorneherein als Erinnerungsobjekte errichtete Denkmäler, sondern nachträglich unter Denkmalschutz gestellte historische Überreste, wie beispielsweise Industriebauwerke, wird in der vorliegenden Untersuchung der Plural ‚Denkmale‘ verwendet, sofern es sich bei der Pluralbildung ‚Denkmäler‘ nicht um ein wörtliches Zitat handelt. 137 Ebd., S. 35, ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Teilen realisiert werden konnte, da es für den Zeitraum von zehn Jahren als zu groß und umfassend wahrgenommen wurde. Das Neuartige dieser Art der Landschaftsplanung sollte darin bestehen, dass nicht nur Freiraum gegen industrielle Überformung „verteidigt“ 138, sondern auch aktiv neuer Freiraum geschaffen und ästhetisch gestaltet würde. Hier zeigt sich erneut das der Planung zugrunde liegende Landschaftsverständnis, das Industrie als überformenden, gar zerstörenden Eingriff in eine natürliche Landschaft wertete, die es aktiv rückzubauen gelte. Hierzu gelte es, unterschiedliche Parktypen „vom Naturschutzgebiet über den Naturpark, den Landschaftspark, den Volkspark, den Freizeitpark, den Kulturpark bis hin zur intensiven gartenkünstlerischen Gestaltung“ 139 zu schaffen und über ein Wegesystem von Wander-, Fuß- und Radwegen zu verbinden. Wegesysteme, die für als sauber geltende Formen der Mobilität geplant wurden, sollten also die räumliche Verbindung ästhetisch aufgewerteter Flächen bilden und so die zur Überwindung bestimmte Industrielandschaft erneuern. Diese ökologische Erneuerung wurde zur zentralen Voraussetzung für die wirtschaftliche Erneuerung der Region erklärt. Ganser sprach in einem Aufsatz zur Strategie der IBA Emscher Park von einem „offenkundige[n] Stadt- und Landschaftsdefizit“ 140, das einen Schatten auf die Standortqualitäten des Ruhrgebiets werfe. Daher gelte es, die verschiedenen Teile der IBA-Strategie, die erstmals „ein regionalpolitisches Programm zur ökologischen und ökonomischen Erneuerung einer alten Industrielandschaft zum Projekt“ 141 einer Bauausstellung mache, mit Priorität auf dem ökologischen Landschaftsumbau klar zu hierarchisieren. Hier zeigt sich ein Wandel im Umweltverständnis der politischen Akteur*innen, der auch zeitgenössisch reflektiert wurde. Zwar waren Umweltbelastungen bereits in Willy Brandts 1961 geführtem Wahlkampf durch seine zum geflügelten Wort avancierte Forderung, der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse wieder blau werden, zu einem für die Ruhrgebietspolitik bedeutsamen Thema erhoben worden. Jedoch hatte dies noch keine grundlegende umweltpolitische Wende in der Politik der seit 1966 in NRW regierenden SPD eingeläutet. 142 Dies stellte bereits zeitgenössisch der aus Bottrop stammende Historiker Franz-Josef Brüggemeier fest, der später für die geschichtskulturellen Projekte der Bauausstellung zu einem der zentralen Akteure werden sollte.

138 139 140 141 142

Ebd., S. 36. Ebd. Ganser (1991), S. 14. Ebd., S. 13. Vgl. zum Status der Forderung Brandts und dem sich erst seit den 1970er Jahren entwickelnden Umweltbewusstsein der SPD Seefried (2017), S. 206.

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Der 1982 an der Universität-Gesamthochschule Essen 143 mit einer Arbeit zu Bergleuten im Ruhrbergbau promovierte Brüggemeier hatte neben seinem geschichtswissenschaftlichen auch einen medizinischen Fachhintergrund und arbeitete nach zwischenzeitlicher Tätigkeit als Arzt seit Mitte der 1980er Jahre an der Fernuniversität Hagen an einer Habilitationsschrift zu Luftverschmutzung im 19. Jahrhundert. 144 In dem im vorigen Kapitel angeführten Sammelband zur Geschichte der SPD im Westlichen Westfalen 145 reflektierte er unter Bezug auf Brandts Forderung die „Wahrnehmung der Umwelt durch die Sozialdemokratie“ 146 und machte deutlich, dass Belastungen der Umwelt durch die Industrie bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik Gegenstand sozialdemokratischer Politik gewesen waren. Allerdings sei das Ziel nicht der Schutz der Umwelt selbst, sondern der Schutz der Gesundheit von Arbeiter*innen gewesen, weshalb die Politik nicht gegen die Industrie an sich gerichtet gewesen sei, sondern lediglich eine Schadensbegrenzung zum Schutze der „arbeitenden Bevölkerung“ 147 erreichen sollte. Auch schon vor Brandts Wahlkampfrede habe es in den frühen 1950er Jahren in Land und Bund erste Initiativen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung gegeben, sodass die zum damaligen Zeitpunkt noch CDU-geführte NRW-Landesregierung 1961 den Entwurf eines Immissionsschutzgesetzes im Landtag einbrachte, das ein Jahr später verabschiedet wurde. 148 Die Kritik der SPD-Fraktion an diesem vermeintlich nicht schlagkräftigen Gesetz sowie die späteren Maßnahmen der nun sozialdemokratisch geführten Landesregierungen seien zwar wirkungsvoll, aber immer noch primär durch gesundheitspolitische und nicht durch umweltpolitische Erwägungen motiviert gewesen. 149 Zur Situation

143 Die im August 1972 eröffnete Gesamthochschule Essen durfte im Gegensatz zu den zeitgleich gegründeten Gesamthochschulen Duisburg, Paderborn, Siegen und Wuppertal bereits ab 1973 den Zusatz ‚Universität‘ im Namen tragen, nachdem das zuvor zur RUB gehörende Universitätsklinikum integriert worden war. Den übrigen Gesamthochschulen wurde die Führung des Namenszusatzes ab den 1980er Jahren ebenfalls gestattet, vgl. Celebi, Timo J.: Zwei Namen, zwei Traditionen und eine Universität. Gemeinsam auf dem Weg, in: Duisburger Jahrbuch 2014 (2013), S. 46–51, S. 50. 144 Vgl. Brüggemeier, Franz-Josef: Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889– 1919, München 1983; ders.: Das unendliche Meer der Lüfte: Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen 1996. 145 Siehe Kapitel 2.1.1, Anm. 74. 146 Brüggemeier, Franz-Josef: „Blauer Himmel über der Ruhr“. Zur Wahrnehmung der Umwelt durch die Sozialdemokratie, in: Faulenbach, Bernd / Högl, Günther (Hg.), Eine Partei in ihrer Region. Zur Geschichte der SPD im westlichen Westfalen, Essen 1988, S. 149–155. 147 Ebd., S. 150. 148 Vgl. ebd., S. 153. 149 Vgl. ebd., S. 154 f.

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Ende der 1980er Jahre hielt Brüggemeier im nur wenige Monate vor dem IBA-Memorandum publizierten Sammelbandaufsatz fest: Die weitere Entwicklung ist im Moment noch nicht abzusehen. [. . . ] So ist das Problem der Altlasten in seiner vollen Tragweite erst heute deutlich geworden, und die Emscher ist weiterhin ein Industriefluß, in den Abwässer weitgehend ungeklärt eingeleitet werden; die Vorstellung, daraus könne jemals wieder ein Fluß werden, mutet (noch) als bloße Träumerei an. Ein tatsächlicher Ausgleich zwischen Bevölkerung, Arbeitsplätzen, Industrie und Umwelt ist noch nicht gefunden, und erneut engen wirtschaftliche Krisen den Handlungsspielraum erheblich ein. 150

Das Programm der IBA Emscher Park ist also insofern als Ausdruck eines sich zu dieser Zeit wandelnden Umweltbewusstseins zu verstehen, als dass umweltpolitische Maßnahmen nicht sozialen und wirtschaftlichen Motiven untergeordnet, sondern zur Basis sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung erklärt wurden. Nicht trotz der wirtschaftlichen Krise, die den Handlungsspielraum einzuschränken drohe, wie Brüggemeier noch kurz vor Beginn der IBA befürchtet hatte, sondern gerade zur Bewältigung der Krisensituation sollte die IBA Emscher Park ein „solides ökologisches Fundament“ 151 als „Grundlage für die ökonomische Erneuerung“ schaffen. Entsprechend dieses sich wandelnden Umweltverständnisses wurden industrielle Umweltbelastungen neu bewertet und die ökonomische Verwertung von Landschaft abgelehnt. Ziel sei es, die Landschaft der Emscherzone ästhetisch derart aufzuwerten, dass sie ähnlich der Landschaft im Ruhrtal „tabuisiert“ 152 werde und „nicht mehr als billige ‚Verbrauchslandschaft‘“ gelte. Der Emscher Landschaftspark als zentrales IBA-Projekt sollte dabei erneut nicht nur ein strukturpolitisches Instrument für das Ruhrgebiet darstellen, sondern „als Bildungswerk für die Probleme der heutigen Zeit“ 153 dienen. Die hier für das Ruhrgebiet im Besonderen und die westlichen Industriegesellschaften im Allgemeinen entworfene Zukunft wurde klar im Modus der Gestaltungszukunft konstruiert, die explizit als „Zukunftsinvestitionen mit einem Vorgriff in das nächste Jahrtausend [. . . ] und nicht als ein Hinterherlaufen einer rückständigen Region hinter üblichen Modernisierungsstrategien“ 154 verstanden werden sollte. Hier zeigt sich, dass der Modus der Gestaltungszukunft als aktiver Vorgriff auf eine als besser zu gestaltende Zukunft in Form von Planung sowohl im wissenschaftlichen Planungsdiskurs als auch im Feld der Struk150 151 152 153 154

Ebd., S. 155. Ganser (1991), S. 14, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Ebd., S. 15, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Ebd. Ebd., S. 14.

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turpolitik auch nach Ende der Planungseuphorie zur dominanten Form der Zukunftsgestaltung erhoben wurde. Die in diesem Modus konzipierten Projekte überschritten den tatsächlichen Zeitraum der zehnjährigen IBA-Laufzeit bei Weitem, wie nicht nur im Falle des Emscher Landschaftsparks, sondern auch im zweiten IBA-Leitprojekt von Beginn an klar war – dem im Jahr vor Beginn der Bauausstellung noch als „Träumerei“ 155 erscheinenden Umbau der als industrieller Abwasserkanal missbrauchten Emscher. Auch hier sollte die IBA zunächst Strategien für die „Ökologische Verbesserung des EmscherSystems“ 156 entwerfen und schließlich zeigen, wie diese schrittweise zu verwirklichen seien. Das Verständnis von Industrie als Zerstörung und Verunstaltung einer natürlichen und daher ehemals ästhetisch wertvollen Landschaft trat in der Beschreibung dieses Leitprojekts erneut deutlich zutage. Der Ursprungszustand der Emscher als „mäandrierender Fluß mit einer begleitenden Bruchlandschaft“ 157 wurde ihrem Ende der 1980er Jahre zu beobachtendem Zustand als „reguliertes, gestaltetes Abflußsystem“ gegenübergestellt. Unterstrichen wurde diese sprachliche Darstellung durch Bilder einer anscheinend naturbelassenen Auenlandschaft, der beim Umblättern die begradigte Emscher entgegentrat (Abb. 1 und 2). 158 Gesäumt von Industrieanlagen, die ihre Abwässer einleiten, bildete der Fluss die Fluchtperspektive der in tristen Farben daherkommenden Aufnahme. Die Nutzung der Emscher als begradigter, industrieller Abwasserkanal scheint so optisch kein Ende zu nehmen. Eine derartige Verdeutlichung des Handlungsbedarfs und der zu nutzenden Chancen durch fotografische Abbildungen, welche die im Text formulierten Ausführungen und Ziele der IBA-Programmatik unterstreichen, war ein im Memorandum durchgehend genutztes Mittel. Seien es bildliche Gegenüberstellungen wie im Falle der eben beschriebenen Aufnahmen, ikonografische Schwarz-Weiß-Aufnahmen rauchender Schlote inmitten der bewohnten Stadt, 159 das vorhandene Flächenpotenzial aufzeigende Luftbilder 160 oder Wohn- und Alltagsszenen der Bewohner*innen darstellende Aufnahmen 161 – die Abbildungen sind nicht in erster Linie als Illustrationen, sondern vielmehr als visuelle Aussagen, als Teil des durch das Memorandum zu legitimierenden strukturpolitischen Programms zu verstehen. 155 Siehe Kapitel 2.1.2. Anm. 150. 156 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 39. 157 Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 158 Vgl. ebd., S. 38, 40. 159 Vgl. ebd., S. 11. 160 Vgl. ebd., S. 37, 48 f. 161 Vgl. ebd., S. 51 f., 55.

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Abb. 1: Ansicht einer Auenlandschaft

Dieses Programm sah auch für das zweite, die Emscherzone dominierende Wassersystem die Planung eines Leitprojekts unter dem Titel „Erlebnis Rhein-Herne-Kanal“ vor. Der Rhein-Herne-Kanal sollte angesichts der durch die voranschreitende Deindustrialisierung zurückgehenden Nutzung als Transportweg verstärkt zum ‚Erlebnisraum‘ umgeformt werden. Die bereits vorhandene Nutzung der Wasserstraße als Freizeitort und Lebensraum für Tiere und Pflanzen habe sich bisher „eher zufällig und ohne systematische planerische Vorbereitung entwickelt“ 162, während es nun erklärtes Ziel der IBA sei, „den Rhein-Herne-Kanal zu einem großen Erlebnis am Wasser für die Bevölkerung des Emscherraumes und weit darüber hinaus zu gestalten“. Dieses Projekt fügte sich in die zu diesem Zeitpunkt bereits verstärkt vorangetriebenen Bemühungen des KVR, das Ruhrgebiet als attraktiven Freizeitraum zu vermarkten und somit die

162 Ebd., S. 42, ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Abb. 2: Ansicht der begradigten Emscher

weichen Standortfaktoren der Region zu stärken. In der 1985 gestarteten, groß angelegten Imagekampagne „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“ 163 war die Vermarktung der Region als lebenswerter Freizeit- und Erlebnisraum eines der zentralen Ziele. In den Jahren bis zu Beginn der IBA hatten Motive zu Sport-, Freizeit- und Kulturangeboten im Ruhrgebiet bereits eine zentrale Rolle in der Imagekampagne gespielt. Von Hochkultur wie klassischer Musik, Theater und Museen, über Freizeitmotive aus der gastronomischen Landschaft, von Popkonzerten, Shoppingmöglichkeiten oder der traditionsreichen Cranger Kirmes bis hin zur Darstellung des Sportangebots von Kampf-, Ski- oder Wassersportarten – die Kampagne sollte das Ruhrgebiet als lebenswerte Region voller Kultur-

163 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996. Zu Imagekampagnen siehe auch Kapitel 3.1.

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und Freizeitangebote präsentieren, als Erlebnisraum für Bewohner*innen, Tourist*innen und neu zu gewinnende Fachkräfte. In diesem Sinne machte eines der Anzeigenmotive aus dem Jahr 1986 wenig subtil die Lebensqualität in der Region selbst zum Gegenstand, indem unter dem Titel „Warum die Menschen so gerne im Ruhrgebiet leben“ Szenen aus dem Arbeits-, Alltags- und Freizeitleben der Bewohner*innen in einer Collage arrangiert wurden und der zugehörige Anzeigentext eine Umfrage zur Lebensqualität zusammenfasste (Abb. 3). 164 Das Ergebnis der Umfrage sei eine „Liebeserklärung ans Revier“ 165 gewesen, die sich vor allem auf die „ehrliche Herzlichkeit [. . . ] den Zusammenhalt, die Freude an Geselligkeit und Nachbarschaft“ der Bewohner*innen gründe. Die Menschen selbst wurden durch die Kampagne als weicher Standortfaktor vermarktet, der aufgrund seines hohen Integrationspotenzials besonders den zu gewinnenden „Revier-Neuling“ ansprechen sollte: „Wer heute ins Revier zieht, ist eingebürgert, ehe er es merkt.“ Die Erzählung des Ruhrgebiets als Schmelztiegel, der die im Zuge der Industrialisierung in die Region ziehenden Migrant*innen über die harte Arbeit in der Montanwirtschaft, aber auch über die gemeinsam organisierte Freizeit in Vereinen integriert habe, wurde in der den Text unterstreichenden Fotocollage ebenso zitiert wie die Erzählung eines nun auch im Kreativ- und Hightechbereich erfolgreichen Ruhrgebiets. Die Bewohner*innen hätten über Generationen hinweg eine „liebenswerte Heimat und eine lebenswerte Zukunft“ geschaffen, in der man „trotz technischem Wandel, trotz unübersehbarem Fortschritt, trotz aller Modernität zwei Dinge besonders gut kann: Mensch sein und Mensch bleiben“. Die durch die Kunstfigur Adolf Tegtmeier des seit den 1960er Jahren erfolgreichen Ruhrgebietskabarettisten Jürgen von Manger popularisierte Formel ‚Mensch bleiben‘ 166 sollte die Konstruktion des ehrlichen, bodenständigen und authentischen Ruhrgebietsmenschen versinnbildlichen – eine Konstruktion, die sich maßgeblich aus Funktionalisierungen der industriellen Vergangenheit der Region speiste. Negative Urteile über die Region, wie etwa eine ihr im frühen 20. Jahrhundert aufgrund der durch Arbeitsmigration heterogen zusammengesetzten Bevölkerungsstruktur attestierten ‚Heimatlosigkeit‘ oder die vermeintliche ‚Kulturlosigkeit‘ ihrer Bewohner*innen, 167 164 Vgl. ebd., S. 31. 165 Ebd. Ebenso die folgenden Zitate. 166 Vgl. Manger, Jürgen von (Hg.): Bleibense Mensch. Träume, Reden und Gerede des Adolf Tegtmeier, München 1974 sowie die 1970 in acht Folgen ausgestrahlte ZDF-Serie „Mensch bleiben! Sagt Tegtmeier“. Zu Adolf Tegtmeier und anderen popkulturellen Repräsentationen des Ruhrgebiets siehe Kapitel 3.3. 167 Vgl. Blotevogel, Hans Heinrich: Industrielle Kulturlandschaft im Ruhrgebiet. Die Geschichte einer schwierigen Annäherung, Duisburg 2001, S. 8.

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Abb. 3: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1986

wurden mit Rückgriff auf die industrielle Vergangenheit positiv umgedeutet: Die „lange Geschichte des Ruhrgebiets“ 168 zeige, dass die Region dank der „oft unter widrigen Umständen“ erbrachten Integrationsleistung ihrer für die Arbeit in der Montanindustrie hinzugezogenen Bewohner*innen sehr wohl „liebenswerte Heimat“ sein könne, womit die Heterogenität der Bevölkerung als positives Merkmal umgedeutet wurde. Dieser als positiv präsentierte Vergangenheitsbezug avancierte zur Ressource, welche die ansonsten als dynamisch, fortschrittlich und zukunftsorientiert dargestellte Region gegenüber anderen auszeichnete. Diese Umdeutung der industriellen Vergangenheit als Grundlage eines als einzigartig und positiv konnotierten Images der Region sollte Investitionen und Arbeitskräfte ins Ruhrgebiet locken, um eine „diversifizierte Produktions- und Unternehmensstruktur“ 169 aufzubauen. Im fünften Leitprojekt der IBA sollten dazu unter dem Motto „Arbeiten im Park“ besonders „attraktive Mikrostandorte“ aufgebaut werden, die sich durch eine gleichberechtigte Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Gesichtspunkte beim Aufbau von Gewerbe-, Dienstleistungs- und Wissenschaftszentren auszeichnen sollten. Anders als bewährte strukturpoli168 Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 31, ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 169 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 47. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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tische Ansiedlungen von Technologie- und Gewerbeparks sollten durch „Planung, Durchführung und Präsentation aus ‚einem Guß‘“ architektonisch anspruchsvolle Projekte realisiert werden, die sich einerseits in die bestehende städtische Infrastruktur fügen und andererseits in das übergeordnete regionale Programm der Bauausstellung passen mussten. Die Reform der bisherigen Strukturpolitik lag also nicht etwa in einer Abkehr von staatlich geplanter Ansiedlung neuer gewerblicher und wissenschaftlicher Zentren als Ersatz der durch den Strukturwandel schwindenden Montanindustrie. Der Lösungsansatz bestand vielmehr einerseits in der stärkeren Einbindung ökologischer und ästhetisch-landschaftsplanerischer Aspekte bei der Ansiedlung neuer Gewerbe-, Dienstleistungs- und Wissenschaftsparks. Andererseits sollte eine „‚übergeordnete Bauherrenfunktion‘“ zwischen den Interessen privatwirtschaftlicher Investor*innen und öffentlicher Hand vermitteln. In der Vermittlung zwischen öffentlicher Hand und den Interessen privater Nutzer*innen sowie einer Verbindung von ökologischen und ökonomischen Planungsaspekten lag auch das angestrebte Reformpotenzial des sechsten IBA-Leitprojekts „Neue Wohnformen und Wohnungen“ 170. Das für Bauausstellungen zentrale Handlungsfeld des Wohnungsbaus stand im Ruhrgebiet insbesondere angesichts der schrumpfenden Bevölkerungszahlen nicht primär vor dem Problem einer mangelnden Versorgung mit Wohnraum, sondern eher vor mangelnder Qualität desselben. Hatte die städtebauliche Modernisierungspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte zum breiten Protest für den Erhalt von Arbeitersiedlungen und der dort gewachsenen sozialen Strukturen geführt, sollte im Rahmen der IBA Emscher Park nun „das Gedankengut der Arbeitersiedlungen zeitgemäß interpretiert werden“, um darauf aufbauend „‚Siedlungen der Zukunft‘“ zu entwerfen. Noch bestehende Werks- und Arbeitersiedlungen sollten „nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten unter gleichzeitiger Herausarbeitung der städtebaulichen und architektonischen Qualtäten“ erneuert und keinesfalls durch moderne Hochhaussiedlungen ersetzt werden, wie es noch in den 1970er Jahren angestrebt worden war. Nicht nur für die bereits in der Region wohnenden Menschen, sondern auch für diejenigen, die sich „als Folge und als Voraussetzung der angestrebten wirtschaftlichen Entwicklung neu niederlassen oder für einen beschränkten Zeitraum aus geschäftlichen Gründen anwesend sein“ würden, müsse attraktiver Wohnraum geschaffen werden. Die Ansiedlung neuer Siedlungsprojekte galt es daher in Abstimmung mit den anderen IBA-Leitprojekten vor allem zum ökologischen Umbau der Landschaft und der zentralen Wasserwege zu

170 Ebd., S. 50. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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planen. Die Siedlungspolitik der IBA Emscher Park beschränkte sich aber nicht auf den Bau und die Erneuerung von Wohnraum, sondern griff auch auf die Lebensführung der Einwohner*innen einer zunehmend postindustriellen Region aus. Dies schlug sich im siebten und letzten Leitprojekt zur Schaffung „Neue[r] Angebote für soziale, kulturelle und sportliche Aktivitäten“ 171 nieder, das auf die durch den Strukturwandel hervorgebrachte Veränderung des Verhältnisses von Arbeit und Freizeit reagieren sollte. Diese Veränderung hin zur Verkürzung der Arbeitszeit müsste im Zuge des Strukturwandels nicht mehr aktiv und im Interesse der Arbeiter*innen durch Mittel wie Arbeitskämpfe herbeigeführt werden. Vielmehr bewirkten technische Innovationen einerseits und zum Abbau von Arbeitslosigkeit erforderlich gewordene Arbeitszeitverkürzungen andererseits effektiv eine immer weiter voranschreitende Vermehrung der Freizeit. 172 Neben der verkürzten Arbeitszeit bewertete das Memorandum aber vor allem Arbeitslosigkeit und den häufig zur Vermeidung derselben vorgezogenen Ruhestand als erzwungene Formen von Freizeit. Diese gelte es, durch Angebote an sinnstiftenden Beschäftigungsformen zu füllen. Als Instrument eines sorgenden Staates sollte die IBA Emscher Park Stadtteilstrukturen stärken, die einen Rahmen für das soziale und kulturelle Engagement seiner aktiven und gleichzeitig körperlich fitten Bürger*innen bieten könne. 173 Ein Abrutschen erwerbsloser oder frühzeitig in den Ruhestand versetzter Bürger*innen in eine als negativ verstandene Passivität galt es durch ihre soziale, gesundheitliche und kulturelle Aktivierung zu verhindern. Eine derartige kulturelle Aktivierung sollte vor allem auch das vierte Leitprojekt der Bauausstellung leisten, das für die geschichtskulturellen Maßnahmen der IBA am bedeutendsten war und dessen Konzeption im Folgenden ausführlicher dargestellt und in einen breiteren diskursiven Kontext eingebettet wird. Unter dem Titel „Industriedenkmäler als Kulturträger“ 174 machte das vierte IBA-Leitprojekt die baulichen Relikte der Ruhrgebietsindustrie zum Gegenstand der planerischen Gestaltung. Im gesamten Ruhrgebiet und insbesondere in der Emscherzone sei noch „eine Vielzahl von Bau- und Technikdenkmälern aus der Industrialisierung des 19. und 20. Jahrhunderts erhalten“ 175, die allerdings durch die voranschreitende Deindustrialisierung vom Untergang bedroht seien. Mit Auslaufen der industriellen 171 172 173 174 175

Ebd., S. 53. Ebd. Vgl. ebd., S. 54. Ebd., S. 44. Ebd.

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Nutzung würden die Eigentümer die Gebäude und erhaltenen Maschinen aus Kostengründen häufig eher verschrotten und abreißen, da eine wirtschaftlich rentable Weiternutzung oft nicht unmittelbar möglich und die „weitläufigen und bautechnisch komplizierten Industriedenkmäler“ 176 daher meist nur schwer zu erhalten seien. Die hier zu beobachtende Verwendung des Denkmalbegriffs für vom Abriss bedrohte Industriegebäude griff der tatsächlichen Entwicklung vor, da sie tendenziell alle funktionslos gewordenen Industrierelikte einschloss. Die Entscheidung der Eigentümer*innen, Maschinen zu verschrotten und Gebäude abzureißen, wäre bei bereits vorgenommener Unterschutzstellung und Eintragung in die Denkmalliste nicht mehr ohne Weiteres möglich gewesen, da das 1980 erlassene Landesdenkmalschutzgesetz den Eigentümer*innen die Pflicht zum Schutz und zur Instandhaltung unter Schutz gestellter Objekte im Rahmen des Zumutbaren auferlegte. 177 Das im Memorandum entworfene Schreckbild einer Vielzahl unmittelbar vom Abriss bedrohter Industriedenkmäler bezeichnete somit wohl kaum nur bereits tatsächlich unter Schutz gestellte Industrierelikte, deren Erhalt den Rahmen der Zumutbarkeit im Sinne des Landesdenkmalschutzgesetzes überstieg. Sie ist vielmehr als diskursive Aufwertung funktionslos gewordener, aber noch erhaltener Industrieanlagen zu verstehen. Materielle Relikte der industriellen Vergangenheit sollten nicht länger als Kostenfaktor oder gar ästhetische Schandflecke verstanden werden, weshalb es die Aufgabe der IBA Emscher Park sei, die „Bedeutung dieser Industrie- und Technikdenkmäler für die historische und kulturelle Identität dieser Region mehr als bisher bewußt zu machen“ 178. Aus Sicht der Planer*innen galt es also, das Bewusstsein für den ästhetischen und vor allem identitätsstiftenden Wert industrieller Relikte zu stärken. Damit trieb die IBA die Abkehr von einem klassischen, bürgerlich geprägten Denkmalbegriff voran, die seit Mitte der 1970er Jahre im Gange war und für die Nordrhein-Westfalen und hier allen voran das Ruhrgebiet zum Ermöglichungsraum denkmaltheoretischer Debatten geworden war. 179 Das Bedürfnis, die vom Verschwinden bedrohte materielle Dimension der Industriegeschichte zu bewahren, musste aus dieser Perspektive allerdings in einem top-down gerichteten Prozess durch ein staatliches Struk-

176 Ebd. 177 Vgl. Land Nordrhein-Westfalen: Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen. DSchG1980. Siehe hierzu auch Kapitel 3.2. 178 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 44. 179 Zur Debatte um eine Reform der Denkmalpflege in den 1970er Jahren und ihre praktischen Auswirkungen im Ruhrgebiet siehe auch Kapitel 3.1.

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turprogramm erst noch geschaffen werden. Dabei hatte Hermann Lübbe am Beispiel des Ruhrgebiets schon 1982 nicht ohne Erstaunen festgehalten, dass der „Glanz [. . . ], der in unserer Gegenwart von präsenter Vergangenheit“ 180 ausgehe, sich auch auf „funktionslos gewordene Industriebauten, Relikte jüngstvergangener Technik, die in der Lokalpresse einige Jahre zuvor noch als Schandfleck apostrophiert wurden“ 181, ausgedehnt und sie zu „Objekten des musealisierenden Denkmalschutzes“ transformiert habe. Der nach zwanzigjähriger Tätigkeit an der Universität Zürich 1991 emeritierte Geschichtsphilosoph hatte in den 1960er Jahren an der RuhrUniversität Bochum (RUB) gelehrt und war nach seiner Arbeit im Gründungsausschuss der Universität Bielefeld zu Beginn der 1970er Jahre an die neu gegründete Reformuniversität gewechselt. 182 Seine Erklärung für die „historisch beispiellose kulturelle Präsenz des Vergangenen in unserer Gegenwart“ 183 lautete, dass Museum und Denkmalschutz als „Rettungsanstalt[en] kultureller Reste aus Zerstörungsprozessen [fungierten], denen irreversibel ausgesetzt ist, was als im aktuellen Reproduktionsprozeß funktionslos durch die kulturelle Evolution ausseligiert worden ist“ 184. Die stetig voranschreitende Zerstörung dieser Reste lasse „auch das Ausmaß kompensatorisch nötiger Musealisierungsprozesse“ steigen. Die Praxis des Musealisierens habe also die „evidente Funktion, Elemente der Wiedererkennbarkeit, Elemente der Identität zu sichern“ 185. Lübbe schloss daher in seiner 1981 in London gehaltenen ‚Bithell Memorial Lecture‘, die im folgenden Jahr unter dem Titel „Der Fortschritt und das Museum“ publiziert und sehr breit rezipiert wurde: 186 „Durch die progressive Musealisierung kompensieren wir die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobe180 Lübbe, Hermann: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen. The 1981 Biethell Memorial Lecture, London 1982, S. 9. 181 Ebd., S. 8, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 182 Unter Ministerpräsident Heinz Kühn war er außerdem zunächst Staatssekretär für Hochschulangelegenheiten beim Kultusministerium und anschließend beim Ministerpräsidenten. 183 Lübbe (1982), S. 12. 184 Ebd., S. 14, ebenso das folgende Zitat. 185 Ebd., S. 18. 186 So hielt beispielsweise Gottfried Korff in seinem ebenfalls einflussreichen Überblick über die Entwicklung historischer Ausstellungen in der BRD 1996 fest, dass Lübbes Aufsatz „der berühmteste“ der „Beschreibungs- und Diagnoseversuche zur Museumshochkonjunktur und zur Musealisierung als bestimmendes Phänomen der Gegenwartskultur“ zu Beginn der 1980er Jahre gewesen sei, Korff, Gottfried: Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der „alten“ Bundesrepublik (1996), in: Eberspächer, Martina / König, Gudrun Marlene / Tschofen, Bernhard (Hg.), Museumsdinge. Deponieren, exponieren, Köln 22007, S. 24–48, S. 32; zuerst in ders.: Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der „alten“ Bundesrepublik, in:

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dingten kulturellen Vertrautheitsschwundes.“ 187 Die als ausufernd wahrgenommene Tätigkeit von Denkmalschützer*innen ließ in dieser Lesart auf ein gesamtgesellschaftliches, kompensatorisches Bedürfnis schließen, wie das ein Kollektivsubjekt konstruierendes ‚Wir‘ in Lübbes These zeigt. Eine derartige Erklärung denkmalpflegerischen Handelns eignete sich für die IBA-Planer*innen als zentrales Argument für die Konservierung baulicher Relikte der Montanindustrie, deren Erhalt durch ihre meist imposante materielle Ausdehnung häufig kostenintensiv war. Dass die drohende Zerstörung dieser Objekte als Verlust zu werten sei, schien ihnen allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern wurde im Memorandum als kommunikatives Ziel formuliert. Das ‚Wir‘, welches die Zerstörung der Industrierelikte als kulturellen Verlust empfinden solle, galt es durch deren Rettung zuallererst zu konstruieren. Die konservierende Rettung war mithin kein Selbstzweck, sondern diente einem spezifischen Ziel – der Identitätsstiftung als Grundlage einer nach innen und außen gerichteten Imagepolitik der Region und somit als Ressource einer wirtschaftlich prosperierenden Zukunftsgestaltung. Hier lässt sich sichtbar machen, wie die Kompensationsthese vom zeitdiagnostischen Argument zur retrospektiven Erklärung geworden ist, wie in der Bezeichnung der Vielzahl industriekultureller Denkmale und Initiativen als Ausdruck der „kulturelle[n] Kompensation für den Verlust angestammter Lebens- und Arbeitswelten“ 188 und als Symbol für „den Phantomschmerz des langen, nunmehr schon ein halbes Jahrhundert andauernden Abschiedes vom klassischen Industriezeitalter“ in der aktuellen Geschichtskulturforschung zur Region deutlich wird. Für den umfassenden Erhalt von materiellen Relikten der Montanindustrie musste aber zunächst eine organisatorische und finanzielle Grundlage geschaffen werden, um „die bedeutenden Industriedenkmäler wenigstens für den Zeitraum mehrerer Jahre“ 189 zu sichern und in dieser Zeit langfristige Konzepte für den Erhalt und die wirtschaftliche Nutzung zu entwickeln. Die IBA sollte außerdem als Präsentationsplattform für neue Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung. Versuch einer Bilanz und Standortbestimmung, Opladen 1996, S. 53–84. Korffs Überblick schließt mit einer Einordnung der von ihm beschriebenen Entwicklung in Lübbes Theorie, deren auf Joachim Ritter zurückgehende Kompensationsthese er durch die Ausführungen Lyotards zur Postmoderne bestätigt und verstärkt sah, vgl. ders. (2007), S. 42; vgl. Lyotard, JeanFrançois: Immaterialien. Konzeption, in: Lyotard, Jean-François (Hg.), Immaterialität und Postmoderne, Berlin 1985, S. 75–89. 187 Lübbe (1982), S. 18. 188 Grütter (2017), S. 17. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 189 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 44.

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und vielfältige Formen der Erhaltung und Nutzung dienen, durch die „neue Interpretationen von Bauformen und Technik der Vergangenheit stimuliert“ 190 würden. Hier deutet sich bereits ein für den aufkeimenden Konflikt zwischen erhaltender und gestaltender Zukunftsgenerierung charakteristischer Aspekt an. Entgegen der im einleitenden Kapitel dieser Studie vorgestellten Begriffskonzeption Rüdiger Grafs sollte im Modus der Bewahrungszukunft keineswegs nur eine Vergangenheit erinnert werden, die der Gegenwart möglichst ähnlich und somit geeignet ist, eine vertraute Zukunft zu entwerfen. 191 Vielmehr wurde das Ziel formuliert, durch möglichst diverse Nutzungs- und Erhaltungsformen neue und mithin veränderte Sichtweisen auf die erhaltenen Relikte der Vergangenheit zu legen. Erhaltung und „zukunftsorientierte Nutzung“ 192 industriegeschichtlicher Relikte wurden untrennbar verknüpft, wobei Abstufungen von der „vollständigen ‚Umnutzung‘ bis zur partiellen Erhaltung als Wahrzeichen der Vergangenheit in Ruinenform“ denkbar seien. Die Formulierung dieses Ziels erwuchs aus dem Bedürfnis, eben nicht eine möglichst vertraute, sondern eine neuartige, noch unbekannte Zukunft zu entwerfen, die zwar auf der Vergangenheit basieren sollte, aber auf einer in spezifischen, wenn auch variablen Formen erinnerten Vergangenheit. Dass diese vergangenheitsbasierte Zukunftsproduktion Deutungskonflikte zwischen den verschiedenen Akteur*innen mit sich brachte, wird im Folgenden noch deutlich werden. Der Funktionalisierung von „Industriedenkmäler[n] als Kulturträger“ 193 sollte zunächst eine Bestandsaufnahme aller Industrie- und Technikdenkmäler vorausgehen, die mit einer „eindrucksvollen Präsentation in der Öffentlichkeit“ 194 verbunden sein müsse. Die Konservierung der materiellen Dimension der Vergangenheit sollte also nicht nur mit der Ideenentwicklung zu einer möglichst wirtschaftlichen, auf die Zukunft ausgerichteten Nutzung, sondern vor allem auch mit einer starken Inszenierung einhergehen: Die „Industriedenkmäler des Emscher-Raums sollen als ‚kulturelle Ereignisse‘ in die Landschaft integriert und über Wegebeziehungen mehr als bisher zugänglich gemacht werden“ 195. Die Verflechtung mit den anderen Leitprojekten wurde als offensichtlich notwendig und

190 Ebd. 191 Vgl. Graf (2017), S. 314 und die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 1.2 der vorliegenden Arbeit. 192 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 44, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd.

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produktiv dargestellt, 196 was deutlich macht, dass die Funktionalisierung der Industriegeschichte integraler Teil des in der IBA realisierten strukturpolitischen Programms für die Region war. Der Erhalt von industriellen Bauwerken als Denkmale war kein Selbstzweck, sondern Mittel der planerischen Zukunftsgestaltung. Die Denkmale sollten hierfür einerseits als ‚Ereignisse‘ innerhalb einer auf Erlebnis ausgerichteten Vermarktung inszeniert und andererseits in die Landschaft eingebettet werden. Nicht der jeweilige Erhalt einzelner Denkmale war das primäre Ziel, sondern die Konstruktion eines räumlichen Zusammenhangs zwischen ihnen, der die Landschaft über Wegebeziehungen in ihrem räumlichen Zusammenhang erfahrbar werden lassen sollte. Die erhaltenen Industrierelikte sollten hierbei als Materialisierung einer explizit positiven historischen Erzählung funktionalisiert werden, wie Karl Ganser in einem Strategieaufsatz zur IBA deutlich machte: „Die großartige Industriegeschichte des Raumes soll in den wichtigsten Zeugnissen lebendig werden und als integraler Bestandteil der Modernisierungspolitik verstanden werden.“ 197 Seine Formulierung verweist darauf, dass es nicht um das Bewahren einer lediglich „lebendig“ zu haltenden Vergangenheit ging, sondern um einen in die Zukunft gerichteten Akt der Bedeutungsproduktion. Diese von Ganser formulierte, eindeutig positive Lesart der industriellen Geschichte des Ruhrgebiets und ihre politische Funktionalisierung im Rahmen der durch die Landesregierung beauftragen IBA Emscher Park trat in Konkurrenz zu anderen Formen der historischen Bedeutungsproduktion im geschichtskulturellen Feld der Region, wie im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht werden soll. So nahm etwa das 1984 gegründete und zu Beginn der IBA noch im Aufbau befindliche Rheinische Industriemuseum (RIM) eine Gegenposition innerhalb dieses Aushandlungsprozesses ein. Im Vorwort einer im ersten Jahr der IBA erschienenen Publikation formulierte Thomas Schleper, damaliger Leiter des RIM-Standorts in Engelskirchen, 198 den Anspruch des Museums als „Ort der Verarbeitung historischer Erfahrung, ja als historiographische ‚Klär-‘ oder ‚Wiederaufbereitungsanlage‘“ 199 zu fungieren.

196 Vgl. ebd. 197 Ganser (1991), S. 14. 198 Die Außenstelle wurde 1987 eingerichtet und thematisierte zunächst vor allem die Arbeit in der Textilindustrie anhand der ehemaligen Baumwollspinnerei Ermen und Engels, die 1837 von Friedrich Engels sen. gegründet und 1979 stillgelegt worden war. Nach einer Überarbeitung wurde die Ausstellung 1996 im Kraftwerk der ehemaligen Textilfabrik neu eröffnet und machte nun vor allem die Stromerzeugung und -versorgung zum Thema. 199 Schleper, Thomas: Vorwort. Tradition im Fortschritt. Die unfriedliche Aufklärung, in: Rheinisches Industriemuseum / Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Nachlass

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Diese Verarbeitungsfunktion historischer Erfahrung war eindeutig in die Zukunft gerichtet. Sie sollte das Museum als „kulturelles Handlungsfeld öffentlicher Auseinandersetzung um Gegenwartsfragen und Zukunftsperspektiven der hochmodernen Industriegesellschaft“ 200 positionieren. Dieses Selbstverständnis zeigt, dass Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln zum Management strukturellen Wandels nicht erst durch die IBA Emscher Park etabliert wurde, auch wenn diese die Funktionalisierung von Industriegeschichte, wie zuvor gezeigt, explizit als zentrales Mittel der Strukturpolitik deklariert hatte. Dass im geschichtskulturellen Feld sehr unterschiedliche Zeit- und Zukunftsvorstellungen ausgehandelt wurden, schlug sich auch in der als Positionierung innerhalb des Felds zu verstehenden RIM-Publikation nieder. Auf eine vom Museum 1988 unter dem Titel ‚Von der Industrialisierung zum Industriemuseum‘ veranstaltete Vortragsreihe zurückgehend, stellte der Band die Frage nach der Erklärung des zu beobachtenden Geschichtsbooms und vor allem nach der Rolle des Industriemuseums innerhalb des „grandiose[n] Traditionsboom[s] unserer Tage“ 201. Als neuer Museumstyp sollte es die Hoffnung realisieren, das „gewachsene Geschichtsbewußtsein aufklärerisch zu nutzen“ 202. Dieser selbstformulierte Anspruch wurde als Konkurrenz zu einer erlebnisorientierten und positiven, identitätsstiftenden Funktionalisierung von Geschichte wahrgenommen, wie sie etwa in der IBA-Strategie zum Ausdruck kommt. Der konkurrierende Umgang mit Geschichte wurde hierbei durchaus als Bedrohung wahrgenommen, gegen den das Museum mit seinem eigenen Selbstverständnis „durchhalten“ 203 müsse, wobei „abzuwarten“ sei, ob dies gelingen könne. Geschichte wurde als wertvolle Ressource erkannt, deren Wert sich durch die rasanten und folgenschweren Umbrüche in den westlichen Industriegesellschaften und die dadurch veränderten Zukunftsvorstellungen erklären lasse. Die als beschleunigt wahrgenommenen Veränderungen waren allerdings keinesfalls gleichbedeutend mit dem Verlust von Zukunft, wie Schlepers einleitende Ausführungen im mit dem Titel ‚Tradition im Fortschritt‘ versehenen Vorwort zeigen: Noch nie war Vergangenheit so wertvoll wie heute. Zu ‚No-future‘-Parolen aus Sprühdosen gibt es längst das etablierte Pendant des Ensembles von Archi-

200 201 202 203

des Fabrikzeitalters. Alte Leitbilder, nostalgische Baukunst, Industriemuseen, Köln 1989, S. 4–6, S. 6. Ebd. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6, ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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tektur, Denkmalpflege und Museumskultur: ‚More past!‘. Doch die Zukunft hat schon begonnen. 204

Dies zeige sich an den „waghalsigen Projekte[n] der hochtechnisierten Moderne“ 205, von der kommerziellen Nutzung der Raumfahrt, zur kriminalistischen Nutzung der Gentechnik durch die Polizei, bis hin zu Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin und Molekularbiologie, die der Autor drohenden Gefahren im Datenschutz und fehlenden Investitionen in den Umweltschutz gegenüberstellte. Die Verweigerung der Zukunft im ‚No-Future‘-Wahlspruch der 1980er-Jahre-Jugendkultur komme also zu spät, da der technologische Fortschritt nicht aufzuhalten sei. An den hier verhandelten Zeit- und Zukunftsvorstellungen zeigt sich beispielhaft die von Fernando Esposito beschriebene „zeitgenössische Aufladung und Instrumentalisierung der Projektionsfläche ‚Jugend‘“ 206. Die Referenz auf die besonders in Punk und New Wave verbreitete ‚No-future‘-Parole sagt zwar noch nichts über die tatsächliche Stimmung von Jugendlichen aus, 207 ist aber als Mittel der diskursiven Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen zu sehen. Die „üblicherweise mit Aufbruch und Zukunftshoffnung“ 208 konnotierte Figur der Jugend wurde „als Symptom der Krise interpretiert und dargestellt“. Das sich in der ‚No-future‘-Parole kondensierende „Gefühl schwindender Handlungsmächtigkeit und der Unbeherrschbarkeit der Zukunft“ 209 verurteilte Schleper jedoch als eine der bereits angebrochenen Zukunft hinterherhinkende Kapitulation, da allein die im Zeitraum eines Jahrzehnts zu erwartenden Entwicklungen die Gesellschaft stärker verändern würden „als alles, was zuvor an industriellen Revolutionen die stets schlecht vorbereitete Gesellschaft überrollte“ 210. Diese schnelle Veränderungsrate habe zwar auch eine boomende Beschäftigung mit der Vergangenheit bewirkt, die aber ebenfalls nicht unbedingt eine Lösung für die durch den enormen technologischen Fortschritt hervorgebrachten Probleme bieten könne. Geschichte eigne sich nicht einfach als Vorsorge gegen das drohende ‚Überrollt-Werden‘, denn „keine noch so angestrengte Rückschau könnte für die dann bescherten Probleme mit wachsendem Entscheidungsdruck auch nur halbwegs adäquate Lösungen an die Hand geben“ 211. Vielmehr müsse die Vergangenheit kritisch reflek-

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Ebd., S. 4. Ebd. Esposito (2016), S. 407. Vgl. ebd. Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Ders. (2014), S. 99. Schleper (1989), S. 4. Ebd.

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tiert werden und so für die Risiken des enormen technologischen Fortschritts sensibilisieren. Die kritische Reflexion von Vergangenheit wurde in dieser Lesart zu einem Mittel gegen die Auslieferung an eine vermeintlich nicht zu kontrollierende Technik, deren Gefahren durch einen kritischen Umgang mit Vergangenheit in Risiken zu transformieren seien: 212 „Industriemuseen sollten, statt nur den erlebnisreichen Rückblick anzustreben, Vorsicht und Voraussicht gegenüber technischen Errungenschaften und ihren sozialen Konsequenzen trainieren helfen.“ 213 Das im Aufbau befindliche Industriemuseum präsentierte sich also als diejenige Institution im geschichtskulturellen Feld, die Vergangenheit nicht als rückschauendes Erlebnis, als unterhaltsame und beruhigende Zeitreise inszenierte, sondern im Sinne des dem Vorwort vorangestellten Untertitels vielmehr eine „unfriedliche Aufklärung“ 214 zu bieten habe. Für die Risiken der als bedrohlich beschriebenen Zukunft einer hochtechnisierten Gesellschaft eigne sich nur eine kritisch reflektierte Geschichte als Ressource für vorbeugendes Handeln, 215 für die sich das Industriemuseum als geeigneter Produzent innerhalb des geschichtskulturellen Felds zu präsentieren suchte. Der kostenintensive Aufbau der neuen Industriemuseen erzeugte einen Legitimationsbedarf für die im Entstehen befindlichen Institutionen, 216 die durch Mittel wie der unter dem Titel „Nachlass des Fabrikzeitalters“ publizierten Vortragsreihe ihre Nische innerhalb des geschichtskulturellen Felds zu besetzen suchten. Das 212 Zur Unterscheidung von Risiko und Gefahr vgl. Luhmann, Niklas: Soziologie des Risikos, Berlin / New York 1991, S. 30 f. 213 Schleper (1989), S. 6. 214 Ebd. 215 Vgl. zu Risiko als allem, wogegen „sich vorbeugende oder schadensausgleichende Maßnahmen treffen lassen“, Bröckling, Ulrich: Vorbeugen ist besser. Zur Soziologie der Prävention, in: Behemoth 1 (2008) 1, S. 38–48, S. 41. Bröcklings Präventionsregimen folgend ließe sich diese Funktionalisierung von Geschichte dem Regime der Immunisierung zurechnen, in dem Risiken, wie sie etwa technologischer Fortschritt hervorbringt, zwar als Bedrohung erscheinen, gleichzeitig aber auch als Bedingung für den Fortbestand des Systems verstanden werden, weshalb es sie nicht allein zu vermeiden, sondern zu managen gilt. Ziel der präventiven Maßnahmen ist daher die Ausbildung von Resilienz, wie es sich hier im Gedanken einer zu trainierenden Vorsicht und Voraussicht niederschlägt. Vgl. ders.: Dispositive der Vorbeugung. Gefahrenabwehr, Resilienz, Precaution, in: Daase, Christopher / Offermann, Philipp / Rauer, Valentin (Hg.), Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr, Frankfurt am Main 2012, S. 93–108, S. 98 f., 102. 216 Dies wird im Vorwort an mehreren Stellen deutlich: „Zu den mit viel Geld realisierten Variationen zum Leitmotiv ‚All you need is: past‘ gehören vor allem die neuen Industriemuseen. [. . . ] In Auseinandersetzung mit kulturpolitischen Versprechungen, wirtschaftlichen Interessen und sozialtechnischen Argumenten versuche ich, sozusagen am Vorabend der Morgenstunden dieses jüngsten und in der Museumslandschaft neue Akzente setzenden Museumstyps die Notwendigkeit einer ‚musealen Offensive‘ besonderer Art zu erörtern: [. . . ]“, Schleper (1989), S. 5 f.

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Industriezeitalter wurde im Titel metaphorisch zum Verstorbenen erklärt, dessen Nachlass es nun durch die im Aufbau befindlichen Industriemuseen zu verwalten gelte. Diese Verwaltung sollte allerdings explizit nicht in einer unterhaltenden Rückschau bestehen, sondern in die Zukunft gerichtet sein. Wie dies in Konkurrenz zu anderen Formen historischer Bedeutungsproduktion wie etwa im Falle der IBA umzusetzen sei, führte Schleper in seinem den Sammelband beschließenden Aufsatz aus, der die Frage nach dem Wesen eines Industriemuseums aufwarf und zu beantworten suchte. 217 Die ökonomische Bedeutung von Kulturpolitik innerhalb strukturpolitischer Maßnahmen hervorhebend und das ökonomische sowie sinnstiftende Potenzial kultureller und insbesondere musealer Institutionen ausführend, nahm Schleper eine ausführliche Standortbestimmung vor, die nicht nur auf eine Abgrenzung zur erlebnisorientierten Präsentation von Geschichte abzielte. Keine reine Technikgeschichte, keine nostalgische Verklärung, sondern „sozialgeschichtliche Ausrichtung, kritischer Rückblick und progressiver Praxisbezug“ 218 sollten die Prinzipien der „neuen Industriemuseen“ sein. Die Ansprache eines möglichst breiten Publikums als „‚lebendige[s] Museum‘: für alle ‚zum Anfassen‘“ 219 berge allerdings das Risiko, sich dem „offenbar unwiderstehlichen Trend zum ‚Kulturerlebnis‘“ 220 anzuschließen und die nur „begrifflich und nicht handgreiflich“ 221 mögliche historische Erkenntnis „vor lauter Animierwert und Erlebnisreichtum“ zu vernachlässigen – eine Kritik, die nicht nur auf die Seite der Anbieter solcher geschichtskulturellen Präsentationen zielte, sondern durchaus auch an die Adresse der Konsument*innen gerichtet war. 222 Gerade deshalb müsse sich das Industriemuseum als „öffentlicher Ort einer Verständigung über die Zukunft“ 223 verstehen und „Zukunftssicherung als Zielmarke der Museumsarbeit“ 224 definiert werden. Mit Bezug auf Walter Benjamin forderte Schleper, dass die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte als Ressource zur Hervorbringung ge-

217 Vgl. ders.: Was ist ein Industriemuseum? Zur Aktualität von Fernand Léger, in: Rheinisches Industriemuseum / Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Nachlass des Fabrikzeitalters. Alte Leitbilder, nostalgische Baukunst, Industriemuseen, Köln 1989, S. 63–101. 218 Ebd., S. 75, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 219 Ebd. 220 Ebd., S. 79. 221 Ebd., S. 82, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 222 „Ausstellungen werden wie Massenmedien konsumiert“, ebd. 223 Ebd. 224 Ebd., S. 89.

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sellschaftlicher Utopien dienen und das Museum als öffentlicher Diskussionsraum für diese Utopien fungieren müsse. 225 Hier wurde also das Museum als geschichtskulturelle Institution entworfen, die nicht in erster Linie die Funktion einer „Rettungsanstalt“ 226 im Sinne Lübbes einnehmen, sondern die vor allem als Forum für die Bewältigung einer potenziell problematischen Zukunft und für das Entwerfen neuer, utopischer Zukunftsvorstellungen dienen sollte. So lässt sich an dieser Stelle zwar ein mit dem Verlust von Fortschritts- und Zukunftsoptimismus verbundener Bruch im Zeitverständnis angesichts des als wirtschaftlicher und sozialer Krise begriffenen Strukturwandels beobachten, der aber durchaus unterschiedliche und konkurrierende Formen von Bewahrungszukunft hervorbrachte. Das im Aufbau befindliche Rheinische Industriemuseum, an dessen Beispiel hier die konkurrierende Form der historischen Bedeutungsproduktion im Vergleich zur IBA Emscher Park verdeutlicht wurde, ist wohlgemerkt nur ein – wenngleich auch zentrales – Beispiel aus der boomenden Museumslandschaft der Region. Dieser in der Museumslandschaft zu beobachtende Boom brachte nicht nur überregional theoretische Reflexionen hervor, 227 sondern führte auch im Ruhrgebiet zu Versuchen der systematischen Wissensproduktion. So veranstaltete der aus Bochum stammende Historiker Heinrich Theodor Grütter, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Essener Ruhrlandmuseum und Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum, Ende der 1980er Jahre mehrere Lehrveranstaltungen an der RUB. Die Seminarreihe verfolgte das Ziel, die „unterschiedlichen Formen musealer Geschichts-

225 Vgl. ebd., S. 86–92. 226 Lübbe (1982), S. 14, siehe Kapitel 2.1.2, Anm. 184. 227 Vgl. neben den bereits genannten Werken Lübbes aus der breiten museumstheoretischen Debatte z. B. Bätz, Oliver / Gößwald, Udo (Hg.): Experiment Heimatmuseum. Zur Theorie und Praxis regionaler Museumsarbeit. Dokumentation einer Tagung im Emil-Fischer-Heimatmuseum Neukölln, Museum für Stadtkultur und Regionalgeschichte, veranstaltet vom Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abt. Volksbildung / Kunstamt, von der Hochschule der Künste Berlin und vom Museumspädagogischen Dienst Berlin, Berlin (West), 27. bis 29. Mai 1987, Marburg 1988; Preiß, Achim / Stamm, Karl / Zehnder, Frank Günter (Hg.): Das Museum. Die Entwicklung in den 80er Jahren. Festschrift für Hugo Borger zum 65. Geburtstag, München 1990; Fliedl, Gottfried (Hg.): Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988; Frei, Alfred G./Hochreiter, Walter: Der neue Museumsboom. Kultur für alle?, in: Neue politische Literatur 31 (1986) 3, S. 385–397; Historisches Museum Frankfurt (Hg.): Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum, Gießen 1982; Korff, Gottfried / Roth, Martin (Hg.): Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt am Main / New York 1990; Liebelt, Udo (Hg.): Museum der Sinne. Bedeutung und Didaktik des originalen Objekts im Museum. Dokumentation der Fachtagung Museum der Sinne. Bedeutung und Didaktik des Originalen Objekts im Museum. Hannover, 22. bis 25. November 1989, Hannover 1990.

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verarbeitungen der Region zu untersuchen, und zwar sowohl in ihrer konzeptuellen Präsentation als auch unter rezeptionsästhetischen Aspekten“ 228. Das Ergebnis war eine 1989 erstmals erschienene Publikation, die nach Städten geordnet die historischen Museen der Region auflistete und mit Informationen zu Entstehung, Sammlungsbeständen und Ausstellungen einerseits als Handbuch und mit Besucherinformationen wie Anfahrt, Öffnungszeiten und Eintrittspreisen andererseits als Museumsführer fungieren sollte. Das Projekt entstand auf Initiative Jörn Rüsens, der seit 1974 als Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Fachdidaktik an der RUB tätig war, wo Grütter auch selbst studiert hatte. Rüsen arbeitete bereits seit Ende der 1970er Jahre an seiner schrittweise publizierten Geschichtstheorie, in der er, wie in Kapitel 1.2 und 1.3.2 bereits deutlich gemacht, auch den Begriff der ‚Geschichtskultur‘ maßgeblich prägte. Das von ihm angestoßene Projekt ‚Museumshandbuch Ruhrgebiet‘ ist mithin als Teil dieser geschichtstheoretischen Arbeit zu verstehen, in dem nicht nur ein Teil der geschichtskulturellen Landschaft seiner biografischen Heimatregion und akademischen Wirkungsstätte vermessen, sondern in dem auch die Konzeptualisierung des Begriffs als Folie auf die Museumslandschaft des Ruhrgebiets übertragen wurde, wie in seinem Vorwort deutlich wird. Rüsen definierte sowohl, was aus seiner Sicht ein gutes historisches Museum auszeichnete, als auch, welche Aufgaben Museen für die Gesellschaft im Allgemeinen und für das Ruhrgebiet als Region im Besonderen zu erfüllen hätten. So sei „Geschichte ein Spiegel der Zeit, in den wir blicken müssen, um uns selbst zu erkennen“ 229. Das historische Museum wiederum sei, sofern es gelinge, „die Vergangenheit in Lebensbezügen der Menschen zu vergegenwärtigen, in denen wir uns selbst wiederfinden können“ 230, ein Ort, der „zur Selbstbegegnung und zur Selbsterkenntnis“ 231 befähigen könne. Auf diese Weise nicht nur das Kriterium für eine gelungene historische Ausstellung, sondern auch noch das Ziel eines lohnenden Museumsbesuchs für die Leser*innen des Museumshandbuchs definierend, machte Rüsen außerdem deutlich, welche Rolle historische Museen innerhalb der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung zu spielen hätten: Mit diesem Zeugnis gibt die Geschichte in den Museen zugleich auch ein Versprechen der Zukunft; die historische Erinnerung kann aus den Erfahrungs228 Grütter, Heinrich Theodor: Historische Museen im Ruhrgebiet, in: Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Museumshandbuch Ruhrgebiet. Die historischen Museen, Essen 1989a, S. 11–18, S. 17. 229 Rüsen, Jörn: Vorwort, in: ders. (Hg.), Museumshandbuch Ruhrgebiet. Die historischen Museen, Essen 1989, S. 6–7, S. 7. 230 Ebd., S. 6 f. 231 Ebd., S. 7, ebenso das folgende Zitat.

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schätzen werktätiger Lebensmeisterung Impulse für eine Welt von morgen freisetzen. Sie kann die Zukunft im Lichte der Erfahrungen und der Hoffnungen der Vergangenheit sehen und gestalten lehren, von denen die Museen sinnenfällig zeugen.

Geschichte – in der richtigen Form museal vermittelt – könne also zur Ressource für die Gestaltung einer Zukunft werden, die insbesondere im Ruhrgebiet anders aussehen müsse als die Vergangenheit. So erklärte Rüsen den Boom der regionalen Geschichtsmuseen als Folge der „produktiven Bewältigung“ 232 des als wirtschaftlicher und sozialer Krise beschriebenen Strukturwandels. Der institutionelle Boom historischer Museen erschien in dieser Lesart als kollektive Verarbeitung durch die „Menschen an Rhein und Ruhr“, die verstanden hätten, dass „das Leben im Revier nicht mehr so weitergehen“ könne, wie es sich im Zuge der forcierten Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre entwickelt habe: Sie [die zahlreichen historischen Museen] zeigen, daß die aktuellen Traditionsbrüche und die damit verbundenen Zukunftsängste in Erinnerungsleistungen verarbeitet wurden, in denen die Leistungen der Vergangenheit zum Versprechen von Zukunft werden. In seinen historischen Museen präsentiert das Ruhrgebiet seine regionale Identität. Indem die Museen die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig halten, stärken sie das Selbstbewußtsein der vom zeitlichen Wandel ihrer Lebensverhältnisse betroffenen und herausgeforderten Menschen und tragen dadurch zur Willensstärke bei.

Hier zeigt sich, wie die anthropologischen Grundannahmen, die Rüsens (Geschichts-) Kulturbegriff unterliegen, 233 die phänomenologische Beobachtung der geschichtskulturellen Landschaft als Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Verarbeitungsprozesses und Orientierungsbedürfnisses erscheinen ließen. Die Zahl der neu entstandenen Museen wurde zum Beweis eines kulturellen Verarbeitungsprozesses der Bewohner*innen und die im Museum dargestellte Geschichte zum Ausdruck einer „Erinnerungsleistung“, die „Zukunftsängste“ zu bewältigen suchte. Auch wenn Normen für die richtige Form dieser musealen „Erinnerungsleistung“ aufgestellt werden, bleibt diffus, wer eigentlich was erinnert oder ob es sich nicht vielmehr um die Verallgemeinerung des Geschichtsbilds bürgerlicher Funktionseliten handelt. Das dem Vorwort folgende Handbuch lässt sich daher gleichsam als Versuch lesen, die von Rüsen aufgestellten Thesen zur Geschichtskultur der Region empirisch zu belegen. Rüsen lobte die geschichtskulturelle Landschaft als vielfältig und wertete sie als Ausdruck einer kulturellen Blütezeit des Ruhrgebiets, die an232 Ebd., S. 6, ebenso die folgenden Zitate. 233 Siehe hierzu Kapitel 1.2, insbesondere Anm. 34.

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gesichts seines schlechten Images als Industrie- und Krisenregion wohl überraschen möge und die es daher durch das Handbuch bekannt zu machen gelte. 234 Hier zeigt sich die Funktion der Publikation nicht nur als empirischer Beleg geschichtstheoretischer Konzepte, sondern auch als positiver Imagefaktor für das Ruhrgebiet, dessen regionale Identität durch die in den Museen dargestellte Geschichte präsentiert werde. Die museale Konstruktion einer regionalen Identität erscheint als Präsentation einer bereits vorhandenen Identität, die nicht etwa erst durch ihre Darstellung im Museum mitkonstruiert wird. Dass Rüsen und Grütter aber nicht nur forschend auf die geschichtskulturelle Landschaft schauten, sondern als Akteure im Feld der Geschichtskultur agierten, das durch die sozialen Interaktionen zwischen Akteur*innen und Institutionen wie Museen oder universitären Institutionen zuallererst hervorgebracht wird, zeigt sich unter anderem an der Funktionalisierung der forschenden Beobachtung der Museumslandschaft als Argument für ihre finanzielle und politische Förderungswürdigkeit. Dies wird in Grütters einleitendem Aufsatz zum Handbuch deutlich. Grütter betont, die Publikation verstehe sich „auch als Appell an die öffentlichen Träger, aber auch an private Förderer, die so verblüffende museale Vielfalt und Initiative im Ruhrgebiet überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, sie als bedeutenden Faktor des kulturellen Lebens zu fördern und, wenn möglich, weiter auszubauen“ 235. Denn obwohl die Zahl der historischen Museen boome, sei ihre finanzielle, räumliche und personelle Ausstattung schlecht und die ohnehin schon knappen Budgets darüber hinaus noch von den Sparprogrammen der Ruhrgebietsstädte bedroht. Hier zeigt sich, dass die wirtschaftliche Krise der Region Museen und andere kulturelle sowie wissenschaftliche Einrichtungen einem erhöhten Legitimationsbedarf aussetzte, was die Begründung ihrer finanziellen Förderungswürdigkeit anging. Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen des Strukturwandels stellten die Kommunen vor erhebliche finanzielle Herausforderungen. Die daher eingeleiteten Sparmaßnahmen bedrohten Einrichtungen, deren wirtschaftlicher Ertrag nicht unmittelbar ersichtlich war, in besonderem Maße. Die Betonung der wirtschaftlichen Produktivität von Museen im Hinblick auf die hohen Besucherzahlen sowie auf den positiven Imagefaktor erscheint vor diesem Hintergrund auch als Legitimationsstrategie geschichtskultureller Akteur*innen zum Erhalt und Ausbau der eigenen Institutionen. Der Kritik an der mangelnden finanziellen Ausstattung und der Appell zur Förderung der historischen

234 Vgl. Rüsen (1989), S. 6. 235 Grütter (1989a), S. 17.

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Museen ging in Grütters Ausführungen also folgerichtig nicht nur eine zusammenfassende Übersicht über die mehr als hundert historischen Museen des Ruhrgebiets voraus, sondern auch ein historischer Abriss der Entwicklung der Museumslandschaft, der diese zum Ausdruck der „verschiedenen Phasen der Selbstvergewisserung“ 236 der Region erklärte. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Museen erst seit Ende der 1970er Jahre existiere und außerdem die Hälfte der bereits existierenden Museen „in dieser Zeit eine vollkommene Neukonzipierung ihrer Ausstellungen vorgenommen“ 237 habe oder gerade vornehme, sei eine Reaktion auf die Erfahrungen der Kohle- und Stahlkrise, die ein Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung erzeugt habe. Auch wenn hier ebenfalls diffus bleibt, für wessen Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung genau die Museen Ausdruck sein sollen, differenzierte Grütter eine Reihe verschiedener Motive eines historischen Orientierungsbedürfnisses, wie es Rüsens Geschichtstheorie voraussetzte. Die Heterogenität der Museumslandschaft sprach aus Grütters Sicht für eine Vielfalt von thematisch-inhaltlichen und politischen Motiven, die zur Neugründung von Museen führten. Die von ihm dargelegten Motive reichten von einem veränderten Umweltbewusstsein im Falle von naturhistorischen Museen, über einen „unvermindert anhaltende[n] Nostalgietrend“ 238 als Anstoß für eine Reihe von Sammler- und Spezialmuseen, hin zur wissenschaftlichen Hinwendung zur Alltags- und Mikrogeschichte als Grundlage dezentraler Museen in einzelnen Stadtteilen, die auch durch die Gebietsreform und damit verbundene kommunale Neuordnung Mitte der 1970er Jahre vorangetrieben wurde. 239 Das überregional gestiegene Interesse für die lokale Aufarbeitung von NS-Geschichte im Zuge der Geschichtswerkstättenbewegung habe sich ebenso im Ruhrgebiet niedergeschlagen wie ein gestiegenes Interesse an Themen der alten Geschichte, das zur Eröffnung archäologischer Museen geführt habe. 240 Die Gründung der Industriemuseen durch die beiden Landschaftsverbände sei durch die Beschleunigung der Krisenerfahrung des Strukturwandels zu erklären, die sich in hohen Arbeitslosenzahlen sowie wegbrechenden Sozialstrukturen niedergeschlagen und in Industriebrachen materialisiert habe. Die dezentrale Unterbringung der Industriemuseen in ehemaligen industriellen Produktionsstätten stelle dabei einen enormen logistischen, denkmalpflegerischen und finanziellen Aufwand dar, weshalb sie als „das museale Objekt 236 237 238 239 240

Ebd., S. 11. Ebd. Ebd., S. 14. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 14 f.

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im Ruhrgebiet bis zur Jahrtausendwende“ 241 gelten könne. Die „politische Entwicklung mit einem Kulturpark Emscherzone“ 242 gebe aber Anlass zur Hoffnung, dass dieses Projekt realisierbar sei. Gemeint waren die Planungen der IBA Emscher Park mit dem oben beschriebenen Leitprojekt ‚Industriedenkmäler als Kulturträger‘, das Industriedenkmäler als Kern zu planender ‚Kulturparks‘ auswies. 243 Die IBA Emscher Park bedeutete also einerseits eine Chance für die im Aufbau befindlichen Institutionen des geschichtskulturellen Felds, da sie den förderintensiven Erhalt und die institutionelle Erschließung industrieller Bauwerke als Denkmäler zur Maßnahme strukturpolitischer Planung machte. Sie stellte somit Planungssicherheit für geschichtskulturelle Akteur*innen in Aussicht, verkörperte aber andererseits eine durchaus als Bedrohung wahrgenommene Konkurrenz im Ringen um die Produktion von Geschichte als Bedeutung, wie oben bereits am Beispiel des RIM deutlich geworden ist und sich auch in Grütters übergreifender Betrachtung der regionalen Museumslandschaft beobachten lässt. So stehe zu befürchten, daß sich mit fortschreitender Umstrukturierung das Ruhrgebiet selbst zu einem einzigen Freilichtmuseum entwickelt. Denn die fortschreitende Musealisierung, verbunden mit einer nostalgischen Rückwendung zur Geschichte, kann auch ein Indiz darstellen für eine zunehmende Unfähigkeit, die gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationsprozesse zu bewältigen und eine produktive Zukunftsgestaltung zu perspektiveren. 244

Die voranschreitende Unterschutzstellung industrieller Relikte als sich ausdehnende Musealisierung im Sinne Lübbes – einer Musealisierung, die lediglich vor der materiellen Zerstörung rettet – barg aus Grütters Sicht die Gefahr, die Region in ein Freilichtmuseum zu verwandeln. Dies wäre nicht als produktive Form der Konservierung von Vergangenheit zu verstehen, sondern vielmehr als Ausdruck einer fehlenden Zukunftsperspektive für die Region, die den Strukturwandel nicht bewältigen könne. Eine Bewahrungszukunft, die – wie es Lübbes Kompensationsthese nahelegte – nichts Neues entwerfen, sondern durch Rettung materieller Relikte vor ihrer Zerstörung nur möglichst vertraute Zukunftsvorstellung zu generieren im Stande sei, war ein Modus der Zukunftsgestaltung durch Vergangenheitsorientierung, von dem es sich abzusetzen galt. Das Feindbild, das diese Form der Bewahrungszukunft begrifflich kondensierte, war das der ‚Nostalgie‘. Der Begriff hatte als zunächst räumlich 241 Ebd., S. 16 (H. i. O.). 242 Ebd. 243 Vgl. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (1988), S. 44. 244 Grütter (1989a), S. 16.

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verstandene Sehnsucht im Sinne von ‚Heimweh‘ im deutschen Sprachraum in den sechziger Jahren eine zeitliche Umdeutung zur ‚Sehnsucht nach dem Vergangenen‘ erfahren. 245 Unterschiedlichste, die Vergangenheit reaktivierende Praktiken aus Kunst, Mode oder Musik wurden unter dem Schlagwort ‚Nostalgie‘ medial zur „Kulturstimmung von heute“ 246 zusammengefasst und von Intellektuellen wie Lübbe oder dem Historiker Wolfgang Schivelbusch zu einem kollektiven, den Zeitgeist kennzeichnenden Phänomen erklärt. 247 So galten Flohmärkte oder Retrotrends in Musik und Mode ebenso als Belege einer Nostalgiewelle wie der in den 1970er Jahren an Bedeutung gewinnende Denkmalschutz oder die hinsichtlich der stetig steigenden Zahlen von Neugründungen und Besucher*innen boomende Museumslandschaft. 248 Neben Versuchen der Erklärung als Gegenwartsflucht sowie als Reaktion auf die Erfahrung einer zunehmenden Beschleunigung und dem Verlust von Zukunfts- und Fortschrittsoptimismus löste die Wahrnehmung einer Nostalgiewelle vor allem Kritik aus. Wie Tobias Becker gezeigt hat, diente die Kritik an als nostalgisch beurteilten Formen der Vergangenheitsorientierung einerseits der politischen Abgrenzung der meist linksliberalen Kritiker*innen von als „politisch konservativ, wenn nicht gar reaktionär“ 249 geltenden Positionen. Andererseits fungierte der Begriff als rhetorisches Mittel der Abgrenzung wissenschaftlicher Positionen von populären, als unwissenschaftlich zu kennzeichnenden vergangenheitsbezogenen Praktiken, die massenmedial verbreitet und vornehmlich von Laien vollzogen wurden. Becker macht deutlich, dass das in der Geschichtswissenschaft sich erst jüngst lockernde, vornehmlich negative Verständnis von Nostalgie im noch nicht historisierten Nostalgiediskurs der 1970er Jahre wurzelt, der „auch eine rhetorische Strategie [war], mit der Klios Priester die Häretiker unschädlich machen wollten“ 250. Im geschichtskulturellen Feld, in dem um die Produktion von 245 Vgl. Becker (2017), S. 96–98. 246 Ebert, Horst-Dieter: „Jene Sehnsucht nach den alten Tagen . . . “, in: Der Spiegel, 29. Januar 1973, S. 86. Zum Einfluss der Spiegel-Titelgeschichte und zur schnellen, medialen Verbreitung des Begriffs vgl. Becker (2017), S. 97 f. 247 Vgl. Becker (2017), S. 98; Schivelbusch, Wolfgang: Das nostalgische Syndrom. Überlegungen zu einem neueren antiquarischen Gefühl, in: Frankfurter Hefte 28 (1973) 4, S. 270–276; Gehlen, Armold: Das entflohene Glück. Eine Deutung der Nostalgie, in: Merkur 30 (1976) 336, S. 432–442; Baacke, Dieter: Nostalgie. Zu einem Phänomen ohne Theorie. Sonderbeitrag, in: N. N. (Hg.), Meyers enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Band 17: Nau – Os, Berlin 91976, S. 449–452; Lübbe, Hermann: Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel 1977, S. 318; Fischer, Volker: Nostalgie. Geschichte und Kultur als Trödelmarkt, Frankfurt am Main / Luzern 1980. 248 Vgl. Becker (2017), S. 99–102. 249 Ebd., S. 102. 250 Ebd., S. 113.

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Geschichte als Bedeutung gerungen wird, diente der Nostalgiebegriff also vornehmlich als Mittel der diskursiven Sanktionierung konkurrierender Positionen. Darin zeigt sich deutlich die der historischen Bedeutungsproduktion unterliegende Machtfrage. 251 Die vornehmlich auf geschichtskulturelles Handeln von Laien gerichtete Nostalgiekritik war eine Form der diskursiven Exklusion von Akteur*innen, die sich aus einem Gefühl der Nostalgie heraus mit Geschichte beschäftigten. Ihnen wurde das Recht auf Teilnahme an der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung gleichsam abgesprochen. Nostalgie als „Rückwendung“ 252 zur Vergangenheit bei gleichzeitiger Verklärung, wie Grütter sie als geschichtskulturelle Drohkulisse zeichnete, war auch aus Rüsens Sicht das „Abseits“ 253, in das sich die Museumslandschaft des Ruhrgebiets glücklicherweise nicht begeben habe. Die wissenschaftliche Abgrenzung ist hierbei nicht von einer politischen Auseinandersetzung zu trennen, da die als richtig normierte Form der Vergangenheitsorientierung bei Grütter und Rüsen als Ressource der gesellschaftlichen Gestaltung von Zukunft dienen sollte. 254 Nostalgische Formen des Vergangenheitsbezugs seien dagegen rückwärtsgewandt und nicht nur nicht geeignet, Zukunftsperspektiven zu generieren, sondern womöglich sogar Ausdruck der Unfähigkeit zur Zukunftsgestaltung durch die Bewältigung des strukturellen Wandels. 255 Die Musealisierung der industriellen Vergangenheit des Ruhrgebiets allein, womöglich gesteigert zur Transformation der Region in eine Art Freilichtmuseum, das nicht die bäuerliche, sondern die industrielle Lebenswelt konservierend erfahrbar macht, dürfe daher nicht der Auftrag der regionalen Museen sein. Anstatt die im Verschwinden begriffene Industrieregion museal zu konservieren, müsse vielmehr ihr Wandel selbst zum Gegenstand historischer Museen gemacht werden: Damit die historischen Museen des Ruhrgebiets nicht zu ‚Gräbern der Geschichte‘ werden, ist es gerade ihre Aufgabe, als Stätten der kollektiven Erinnerung die historischen Erfahrungen für die Gegenwartsbewältigung fruchtbar zu machen, damit eine sinnvolle Zukunftsgestaltung plausibel erscheinen kann. Und dies gilt sowohl in Bezug auf die zahlreichen Traditionen und

251 Siehe dazu auch Kapitel 1.2, Anm. 46. 252 Grütter (1989a), S. 16. 253 Rüsen (1989), S. 7. Die Wortwahl aus dem Begriffsfeld des Fußballspiels erinnert an Bourdieus Ausführungen zur Vergleichbarkeit von Feld und Spiel, auch wenn die Regeln eines sozialen Felds weder kodifiziert noch Ergebnis einer bewussten, intentionalen Schöpfung seiner Spieler*innen sind, vgl. Bourdieu / Wacquant (2006), S. 127 f. 254 Siehe Kapitel 2.1.2, Anmerkungen 231 und 232. 255 Vgl. Grütter (1989a), S. 16.

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Kontinuitäten, auf die sich die Region selbstbewußt stützen kann und die es fortzusetzen gilt, als auf die im Ruhrgebiet vielleicht einmalige Tradition ökonomischen und sozialen Wandels selbst, die die Umstellung auf neue Herausforderungen als Teil seiner Geschichte kennzeichnet und als solche auch und besonders im historischen Museum als Antwort auf die momentane Krise und deren zukünftige Lösungsmöglichkeiten thematisiert werden muß. 256

Hier zeigt sich das auf Rüsen zurückgehende Konzept historischen Denkens, das Grütters Verständnis des historischen Museums zugrunde lag. Laut diesem solle Geschichte nicht „eine zur toten Vergangenheit vergegenständlichte Geschichte“ 257 sein. Vielmehr bezeichne sie den in Form von Erzählungen präsenten „Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart, den handelnde Individuen und Gruppen reflektieren müssen, wenn sie ihr Handeln sinnhaft in einer Zukunftsperspektive orientieren wollen“ 258. Rüsens schon in den siebziger Jahren begonnene Konzeptualisierung historischen Denkens als Sinnbildung über Zeiterfahrung 259 erklärt die Erfahrung zeitlichen Wandels zum Ausgangspunkt einer Deutungsleistung, die wiederum kulturelle Orientierung hervorbringe und Motivationen für zukünftiges Handeln generiere. 260 Diese in Form einer Erzählung realisierte Sinnbildungsleistung ermögliche es Subjekten und Kollektiven, eine Identität zu konstruieren – also sich selbst als sie selbst bleibende im zeitlichen Wandel zu verstehen, worin die „Lebensnotwendigkeit des historischen Denkens für einzelne und gesellschaftliche Systeme“ 261 bestehe. Rüsen betont, dass es sich im Falle historischen Denkens nicht um jede beliebige Erfahrung zeitlicher Veränderung, sondern „um die spezifische Zeiterfahrung deutungsbedürftiger Kontingenz“ 262 handele, die bewältigt werden müsse. Lübbe hatte in seinen Ende der siebziger Jahre erstmals veröffentlichten Überlegungen zu ‚Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse‘

256 Ebd. (H. i. O.). 257 Rüsen, Jörn: Historik und Didaktik. Ort und Funktion der Geschichtstheorie im Zusammenhang von Geschichtsforschung und historischer Bildung, in: Kosthorst, Erich (Hg.), Geschichtswissenschaft. Didaktik, Forschung, Theorie, Göttingen 1977, S. 48–64, S. 52. 258 Ebd., S. 48. 259 Vgl. Rüsen (2013), S. 35. 260 Vgl. ebd., S. 36. 261 Ders. (1977), S. 48. 262 Ders. (2013), S. 36. Zu Kontingenzerfahrung als „zentrale[r] Antriebsfeder allen historischen Denkens“ bei Rüsen vgl. auch Kansteiner, Wulf: Argumentation, Beschreibung und Erzählung in der wissenschaftlichen Historiographie, in: Sandkühler, Thomas / Blanke, Horst-Walter (Hg.), Historisierung der Historik. Jörn Rüsen zum 80. Geburtstag, Göttingen 2018, S. 151–168, S. 159.

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ebenfalls „Geschichtserfahrung als Kontingenzerfahrung“ 263 charakterisiert, 264 welche die Identität von Subjekten narrativ konstruiere: Die Subjektivität der Subjekte von Geschichten besteht als die Identität dessen, als wessen Geschichte eine Geschichte passiert oder erfahren, erforscht und erzählt wird. Subjekte von Geschichten sind die Referenzsubjekte des Geschehens dieser Geschichten und ihres Berichts. 265

Die Erkenntnis der Kontingenz äußerer Einflüsse, denen die zwar handlungsfähigen Subjekte unterlägen, mache die in Form von Erzählung vorliegende Geschichte zur „Historie, als Kultur der Erfahrung dieser Kontingenz“, die Menschen darauf einstelle, dass „wir, als Subjekte von Geschichten, die Betroffenen solcher Kontingenz sind“. Die unmittelbare Zeitgeschichte eigne sich allerdings nicht besonders für eine derartige Erfahrung von Kontingenz, da die Beschleunigung struktureller Veränderungen und sozialen Wandels einen besonderen „Erwartungsdruck“ 266 hervorbrächte, den „real eröffnete Zukunftsperspektiven erzeugen“ würden. Der Drang zur Sinnstiftung, den die unabgeschlossene Erfahrung kontingenten Wandels hervorbringe, erschien Lübbe als potenzielle Beeinträchtigung der erkennenden Kontingenzerfahrung. 267 Dagegen erhob Grütters Postulat, „die im Ruhrgebiet vielleicht einmalige Tradition ökonomischen und sozialen Wandels selbst, die die Umstellung auf neue Herausforderungen als Teil seiner Geschichte kennzeichnet“ 268, zum zentralen Gegenstand historischer Museen zu machen, die Erfahrung eines tiefgreifenden und andauernden Wandels zum zentralen Kern der historischen Ruhrgebietserzählung. Seine Forderung lautete, dass keine abgeschlossene Geschichte, sondern die Erfahrung eines steten, unabgeschlossenen Wandels den Identitätskern eines als Kollektiv beschreibbaren Ruhrgebiets bilden sollte. Diese Wandlungserfahrung sei museal aufbereitet als Geschichte einer ständigen erfolgreichen Anpassungsleistung zu deuten. Der durch die radikale Kontingenzerfahrung des strukturellen Wandels erhöhte Druck, eine Zukunftsperspektive für die Zeit nach dem Ende der modernen Industriegesellschaft zu entwerfen, spitzte sich im Falle des Ruhrgebiets räumlich auf die Frage nach der Zukunft der 263 Lübbe (1977), S. 276 f.; ders.: Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel 22012, S. 297. 264 Vgl. hierzu auch Hoffmann (2012), S. 52 f.; Hacke, Jens: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006, S. 61– 65. 265 Lübbe (2012), S. 297. 266 Lübbe (1977), S. 280, ebenso das folgende Zitat. Unverändert in Lübbe (2012), S. 300. 267 Vgl. Lübbe (1977), S. 279: „Geschichten, die noch dauern, moderieren die Erfahrung ihrer Kontingenz“; unverändert in Lübbe (2012), S. 299. 268 Grütter (1989a), S. 16.

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Region zu. Er erforderte einen nach vorne gerichteten Blick in die Vergangenheit, der keinesfalls den Dünkel rückwärtsgewandter Verklärung im Sinne von Nostalgie auf sich ziehen durfte. Die hier aufgezeigten Gemeinsamkeiten und Unterschiede liberalkonservativer und linksliberaler geschichtstheoretischer Grundannahmen anhand der Arbeiten Lübbes und Rüsens 269 präfigurierten die Aushandlung von Geschichte als Bedeutung im Rahmen der geschichtskulturellen Projekte der IBA Emscher Park insbesondere in Hinblick auf die Diskussion um ihre identitäts- und zukunftsstiftende Funktionalisierung. Im Folgenden wird dieser Aushandlungsprozess anhand dreier zentraler geschichtskultureller Projekte untersucht: der Gründung des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, der Auslobung eines Wettbewerbs zur Geschichte des Ruhrgebietes und der Konzeption und Durchführung einer großen historischen Publikumsausstellung. Die drei Projekte standen in einem sehr engen Zusammenhang, wie Ulrich Borsdorf in seinem explizit aus der Sicht eines sich erinnernden Zeitzeugen verfassten Text über die Gründung des Forums Geschichtskultur beschreibt: Was zuerst war, der erste Geschichtswettbewerb oder die Idee zur Ausstellung ‚Feuer und Flamme‘ im Gasometer Oberhausen oder die zur Gründung des Forums, ich erinnere mich nicht, weiss [sic] es nicht präzise. [. . . ] Es wird vielleicht (aber vielleicht auch nicht) Sache einer Geschichtsschreibung der IBA Emscher Park (IBA) sein, oder Biografien über Karl Ganser und Christoph Zöpel, dies zu klären. 270

Da hier weder eine Geschichte der IBA Emscher Park noch Biografien ihrer Initiatoren angestrebt werden, wird die Frage nach der chronologischen Reihenfolge nicht näher adressiert, wohl aber eine akteurszentrierte Sicht auf die drei Projekte und ihre Entstehung sowie ihre inhaltlichen, personellen und organisatorischen Zusammenhänge eingenommen. Dabei sollen nicht nur weiterhin Zeit- und Zukunftsvorstellungen im Fokus stehen, sondern anhand von Publikationen und Planungsunterlagen der IBA auch die Aushandlung von Top-down- und Bottom-up-Verhältnissen der Projekte und ihrer Akteur*innen in den Blick kommen.

269 Zur Auseinandersetzung zwischen Rüsen, aber vor allem Habermas um den Geschichtsbegriff von Lübbe und anderen Ritter-Schülern wie Odo Marquard als liberalkonservativen, „formativen Bestandteil einer sich ausprägenden politischen Philosophie“ vgl. Hacke (2006), S. 45–93, S. 45. 270 Borsdorf, Ulrich: Industrie-Geschichts-Kultur. Eine Reminiszenz zur Gründung des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 7 (2017) 2, S. 5–8, S. 5.

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2.1.3 Zwischen top-down und bottom-up – Das Leitprojekt „Industriedenkmäler als Kulturträger“ Nach der Publikation des Memorandums zur IBA Emscher Park und der Auftaktveranstaltung im Dezember 1988 war im April des folgenden Jahres ein erster öffentlicher Projektaufruf an Städte, Verbände, Unternehmen und Initiativen ergangen. Die vom Land gegründete Planungsgesellschaft nahm einen Monat später ihren Sitz in den Anlagen der ehemaligen Gelsenkirchener Zeche Rheinelbe ein und begann dort mit ihrer Arbeit. 271 Der KVR hatte seinerseits eine Voruntersuchung zur IBA Emscher Park durchgeführt, in deren Rahmen ein ‚Expertenkolloquium‘ eingesetzt wurde, das sich hinsichtlich des im Memorandum geplanten Leitprojekts zu Industriedenkmälern mit den Themen „Industrielandschaft Emscherzone“ und „Genese des Emscherraums“ auseinandersetzen sollte. 272 Die beiden Themenkomplexe umfassten zum einen die im Memorandum angestrebte Bestandsaufnahme vorhandener Denkmäler sowie denkmalwerter Bauwerke 273 und zum anderen den Entwurf zur Konzeption einer Ausstellung zur Geschichte des Ruhrgebiets. Der Expert*innenkreis tagte erstmals im Januar 1989 und setzte sich aus universitären Historiker*innen und Geograph*innen sowie aus Vertreter*innen des KVR, beteiligter Büros für Design und Stadtplanung, der Denkmalämter sowie regionaler Museen zusammen. Das Gremium hob die Rolle von „industriekulturell prägenden Objekten als wichtige Bausteine“ 274 der IBA Emscher Park hervor, wie ein Blick in das Ergebnisprotokoll der zweiten Sitzung vom Juni 1989 zeigt. Die Industrierelikte seien als „Identitätsmerkmale“ zur Gestaltung der „gegenwärtigen Umund Aufbruchsphase von großer Bedeutung“. Begrifflich standen nicht mehr der Krisencharakter im Vordergrund, sondern die Potenziale einer als chancenreich wahrzunehmenden Umbruchssituation. Der durch diese Umbruchssituation entworfene Zeithorizont war allerdings kurz, sodass teilweise „große Eile geboten“ sei, um „wichtige Einzelelemente vor dem 271 Vgl. Urban, Thomas: Vorgeschichte und Gründung der IBA, in: Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park. Konzepte, Projekte, Dokumentation, Essen 2008b, S. 9–11, S. 10. 272 Vgl. Archiv im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets (AHGR), Bochum, IBA 216 A, Ergebnisprotokoll des Expertenkolloquiums zu den Untersuchungsbereichen Industrielandschaft Emscherzone und Genese des Emscherraums im Rahmen der Voruntersuchungen des KVR zur Internationalen Bauausstellung Emscher-Park beim Kommunalverband Ruhrgebiet vom 14. 06. 1989. 273 Vgl. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (1988), S. 44. 274 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 1. Ebenso die folgenden Zitate.

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Abbruch zu retten“. Die Bestandsaufnahme müsse daher begutachtete Bauwerke bezüglich „der historischen Entwicklung“, „des räumlichen und sozialen Zusammenhangs“ „sowie auch künftiger Nutzungsmöglichkeiten“ bewerten und Prioritäten für die Erhaltungsmaßnahmen formulieren. Ziel war also die Erstellung eines Inventars denkmalwerter Objekte, die nicht nur aufgrund ihrer historischen Entwicklung, sondern vor allem auch hinsichtlich räumlich-sozialer Funktionszusammenhänge und der Möglichkeiten zur weiteren Nutzung als erhaltenswert gelten konnten. Nicht allein der historische Wert des einzelnen Objekts, sondern seine historische und zukünftige raumordnende Funktion waren Grundlage der Priorisierung innerhalb zu planender Konservierungsmaßnahmen. Mitarbeiter*innen des mit der Bestandsaufnahme beauftragten Büros für Stadtplanung stellten den versammelten Expert*innen die Untersuchung vor, 275 die sich an den räumlichen Leitstrukturen der IBA orientierte und „die technischen Großinfrastrukturen der Eisenbahn in ihren linienhaften Ausprägungen mit Barrieren, Brücken, Durchbrüchen und Dämmen sowie technische Einzelelemente und Ensembles aus Produktionsstandort, Wohnsiedlung und Umfeld“ 276 erfasste. Diese wurden mithilfe der Kategorien „bemerkenswert“, „denkmalwert“ oder „denkmalgeschützt“ bewertet, wobei für letztere ein Eintrag in die Denkmalliste zugrunde liegen musste. Die Diskussion wurde im Protokoll zu thematischen Blöcken zusammengefasst, sodass die Grundlage zur weiteren Arbeit des Expert*innenkreises inhaltlich vorstrukturiert wurde. In einer Mischung aus Verlaufs- und Ergebnisprotokoll wurden sowohl einzelne Aussagen als auch Ergebnisse der Diskussion festgehalten, wobei das Protokoll als „grundlegende kulturelle Praxis zur Schaffung von Verbindlichkeit“ 277 die Urheberschaft von Einzelaussagen festlegen sowie den Diskussionsergebnissen Wahrheitsgehalt und somit institutionelle Geltung zuweisen konnte. 278 Die protokollierte Diskussion segnete das methodische Vor-

275 Vgl. AHGR Bochum, IBA/117A, Bericht „Industrielandschaft Emscherzone. Bestandserhebung und Erstbewertung prägender industriekultureller Strukturen, Bereiche und Objekte“ des Büros für Stadtplanung und städtebaulichen Entwurf Krau Lensing in Bochum. 276 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 2, ebenso die folgenden Zitate. 277 Niehaus, Michael / Schmidt-Hannisa, Hans-Walter: Textsorte Protokoll. Ein Aufriß, in: Niehaus, Michael / Schmidt-Hannisa, Hans-Walter (Hg.), Das Protokoll. Kulturelle Funktionen einer Textsorte, Frankfurt am Main u. a. 2005, S. 7–23, S. 8. 278 Vgl. Niehaus, Michael: Protokoll, in: Borgards, Roland, et al. (Hg.), Literatur und Wissen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart / Weimar 2013, S. 288–293, S. 288: „Erst im Protokoll wird festgelegt, was wer gesagt hat; erst im Protokoll wird das Aufgezeichnete zu einem Wissen.“ (H. i. O.). Sprechakttheoretisch gesehen verleiht ein Protokoll also situativen Sprechakten institutionelle Geltung und somit den Rang

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gehen des beauftragten Bochumer Büros für Stadtplanung ab und fokussierte ebenfalls die Bedeutung räumlicher Zusammenhänge zwischen einzelnen erhaltenswerten Objekten. Diese Zusammenhänge müssten ebenso nachvollziehbar gemacht werden wie die nicht unmittelbar ersichtlichen technischen Funktionsweisen der Steinkohlenförderung, deren obertägige Bauwerke wie beispielsweise Fördertürme nur „‚Zeichen‘ einer Funktion, die unter Tage abläuft“ 279, darstellen würden. Diese verborgene historische Dimension müsse „erlebbar“ gemacht werden, wofür es gelte, besonders geeignete Bauwerke zu finden, was allerdings im Umkehrschluss bedeute, dass „nicht jedes Objekt museal im Sinne seiner originären Funktionsweise konserviert werden“ könne. Alternative Nutzungen, die den Denkmalwert der Objekte nicht beeinträchtigten, seien daher zu prüfen. Aus dieser, sich von einer rein konservierenden Denkmalpolitik abgrenzenden Empfehlung kondensierte das Protokoll die aus der Diskussion hervorgehende geschichtskulturelle Maxime der IBA Emscher Park: Kulturhistorisches Bewußtsein wird deshalb im Rahmen der IBA EmscherPark nicht als historische Nostalgie mißverstanden. Vielmehr soll der Strukturwandel in der Emscher-Zone anknüpfend an die Vitalität der Geschichte dieses Raumes nicht Idylle, sondern eine zukunftsorientierte Veränderung darstellen.

Auch hier diente der Begriff der Nostalgie als Mittel der diskursiven Sanktionierung einer als rückwärtsgewandt dargestellten Form der Vergangenheitsorientierung. Die über das Gremium des Expert*innenkolloquiums in den Planungsprozess der IBA eingebundenen geschichtskulturellen Akteur*innen formulierten nicht nur einen bestimmten Begriff des Geschichtsbewusstseins als Norm, der sich nicht als falsch verstandene Nostalgie entpuppen dürfe, sondern gaben auch ein inhaltliches Deutungsangebot für die, sich in den zu inventarisierenden Denkmalobjekten materialisierende Geschichte der Region vor. „Vitalität“ als Fortschritt und Prosperität implizierendes Schlagwort für die Deutung der regionalen Geschichte sollte eine Bewahrungszukunft entwerfen, die nicht vertraute und sakralisierte „Idylle“ hervorbringe, sondern eine Grundlage für die Ge-

von ‚institutional facts‘, vgl. ders. (2013); Searle, John R.: Making the Social World. The Structure of Human Civilization, Oxford / New York 2010, S. 93–102. Zu Bedingungen für den Wahrheitsanspruch von Protokollen vgl. Niehaus / Schmidt-Hannisa (2005), S. 7 f.; zu Protokollen, Berichten und ähnlichen Textsorten als Mitteln der Produktion, Repräsentation und Speicherung von Wissen vgl. auch Becker, Peter / Clark, William: Introduction, in: Becker, Peter / Clark, William (Hg.), Little Tools of Knowledge. Historical Essays on Academic and Bureaucratic Practices, Ann Arbor, Michigan 2001, S. 1–34. 279 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 3, ebenso die folgenden Zitate.

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staltung der durch den Strukturwandel herausgeforderten Zukunft liefern sollte. Von dieser Maxime ausgehend thematisierte die Diskussion außerdem Möglichkeiten zur partizipativen Wissensproduktion durch die Beteiligung der Bevölkerung an der Inventarisierung möglicherweise noch völlig unbekannter denkmalwerter Objekte. Neben fehlenden Themen wurde auch die Notwendigkeit zur Fokussierung räumlicher Ensembles und zur Erstellung einer Prioritätenliste betont, wobei der enge Zeithorizont des als Umbruchssituation wahrgenommenen Planungszeitraums maßgebend war. Abschließend wurde vereinbart, die durch das mit der Bestandsaufnahme beauftragten Büros für Stadtplanung angefertigte Liste durch die Industriemuseen und Denkmalämter der Landschaftsverbände sowie durch das Herner Emschertal-Museum auf Vollständigkeit prüfen zu lassen. Innerhalb der Inventarisierung kam den geschichtskulturellen Institutionen der Landschaftsverbände – und somit vermittelt dem Land – also die Rolle einer Kontrollinstanz zu. In der Ausgestaltung der im Memorandum als Leitprojekt formulierten Funktionalisierung der Industriegeschichte des Ruhrgebiets als Teil der IBA-Planungen hatte der KVR diese kontrollierende Funktion als einladende, moderierende und protokollierende Institution inne. Wesentliches Mittel dieser Funktionalisierung von Industriegeschichte sollte eine große historische Ausstellung sein, zu deren Konzept dem Expert*innengremium eine Vorstudie als Zwischenbericht vorgestellt wurde. Als Zielgruppe der Ausstellung waren nicht nur Bewohner*innen und Besucher*innen des Ruhrgebiets intendiert, sondern auch die „Planer der IBA-Projekte“ 280, um „bei allen Zielgruppen eine Sensibilisierung für die Geschichte dieses Raumes zu erreichen und die Bedeutung historischer Strukturen für Planungen im Rahmen von IBA-Projekten aufzuzeigen“. Die Ausstellung sollte also nicht nur an die vergangenen Großausstellungen der Bundesrepublik anknüpfend die Geschichte des Ruhrgebiets zum Thema einer großen Publikumsausstellung machen und damit nach innen bei der Bevölkerung und nach außen bei den Besucher*innen Interesse für die Geschichte der Region wecken. 281 Vielmehr sollte die Ausstellung auch als Mittel zur Konstruktion einer historischen Tiefendimension innerhalb des eigenen Planungsprozesses und somit gleichsam als Integration der Bewahrungs- in die Gestaltungszukunft dienen. Im Rahmen der IBA-Planungen kam der Ausstellung somit eine entscheidende Rolle sowohl inner-

280 Ebd., S. 6, ebenso die folgenden Zitate. 281 Zu Großausstellungen vgl. Dold, Vincent / Schulze, Mario / te Heesen, Anke (Hg.): Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015; Große Burlage, Martin: Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland. 1960–2000, Münster 2005; Korff (2007).

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halb der strukturpolitischen Funktionalisierung von Geschichte als auch für den Planungsprozess selbst zu. Für die hier angestrebte Analyse eignet sich die Ausstellung daher nicht nur für die übergeordnete Frage nach der Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln als zu fokussierender Untersuchungsgegenstand. Vielmehr lassen sich anhand ihrer Planungs- und Konzeptionsunterlagen auch mit der übergeordneten Fragestellung verbundene Fragen nach Bedingungen des Gelingens und Scheiterns geschichtskulturellen Handelns, nach der Agency von an der Ausstellung beteiligten Akteur*innen sowie nach dem Verhältnis von Laien und ‚Professionen‘ im Sinne Schönemanns beispielhaft adressieren. Hierzu ist die Ausstellung in Verbindung mit anderen geschichtskulturellen IBA-Projekten wie der Ausrichtung eines Geschichtswettbewerbs und der Institutionalisierung von Kommunikationszusammenhängen zu analysieren, deren Realisierung eng verflochten waren. Nicht nur die Analyse der tatsächlich realisierten Ausstellung, sondern auch diskutierte und verworfene Konzepte sowie Konflikte und Probleme der praktischen Umsetzung stehen deshalb im Folgenden im Fokus. Das ‚Expertenkolloquium‘ diente auch für die geplante Ausstellung als Instanz, mit der die etablierten geschichtskulturellen Institutionen der Region über ihre Vertreter*innen in den Planungsprozess eingebunden werden sollten, um deren Kritik einerseits in den abschließenden Bericht der KVR-Vorstudie einzubinden und diesen andererseits durch die Expertise der Diskutant*innen wissenschaftlich zu validieren. Zusammen mit dem Geographen Manfred Hommel und dem Historiker Franz-Josef Brüggemeier war Wolfgang Körber, Grafiker, Architekt und Professor für Kommunikationsdesign an der Bergischen Universität Wuppertal, mit der Erarbeitung eines Ausstellungskonzepts beauftragt. Gemeinsam stellten sie dem Expert*innenkreis einen Zwischenbericht zum Ausstellungskonzept vor, von dem letztendlich aber nur der Titelvorschlag ‚Feuer und Flamme‘ bleiben sollte. Der Titel zog eine inhaltliche Referenz zur wirtschaftlichen Geschichte des Ruhrgebiets, da ‚Feuer‘ „in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den dominanten Sektoren der industriellen Entwicklung: Steinkohlenbergbau und Stahlindustrie“ 282 stehe. Außerdem stehe der Titel symbolisch für Begeisterung und sei „zugleich zukunftsorientiert“, womit bereits im Namen der Ausstellung die im Rahmen der IBA erwünschte Art der Funktionalisierung von Geschichte zum Ausdruck kam – in die Zukunft gerichtet, auf die Industriegeschichte der Region bezogen und ein positives, zur Identitätsstiftung geeignetes Deutungsangebot machend. 282 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 6, ebenso das folgende Zitat.

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Das Team um Körber schlug außerdem ein stark auf künstlerische Verfremdung setzendes Ausstellungskonzept vor, das dezentral entlang des Rhein-Herne-Kanals realisiert werden sollte. Die Besucher*innen sollten auf Schiffen den Kanal entlangfahren, an dessen Rand auf einzelne Themen und Ausstellungsmodule verweisende „Zeichen“ aufgestellt würden, die „in der Bewegung des vorbeifahrenden Betrachters Gestalt und Bedeutung gewinnen und wieder verlieren“ 283 sollten. Die geplanten Themen umfassten „Natur, Landschaft, Umwelt“, „Industrialisierung“ und „Menschen, Gesellschaft, Kultur“. Als Ziele der Ausstellung wurden zum einen das Aufzeigen der Historizität regional typischer Strukturen sowie eine historische Begründung und Strukturierung der IBA-Projekte formuliert. Zum anderen sollte ein erlebnisorientiertes Angebot zur „Identifikation und Aktivierung“ sowie zur Imagekorrektur geschaffen werden, das also einerseits auf die Selbstwahrnehmung der Bewohner*innen und andererseits auf die Außenwahrnehmung der Region ausgerichtet war. Der dezentrale und modulare Ausstellungsaufbau sollte Multimedialität, Mobilität, thematische und gestalterische Varianz sowie die Integration vorhandener musealer Ressourcen ermöglichen. Die Ausstellung wurde in drei „Kerneinheiten“ 284 geplant, deren Umsetzung am Oberhausener Gasometer, am städtischen Museum in Gelsenkirchen und an der Cranger Kirmes vorgesehen war. Die vorgesehenen Themen reichten von Freizeit und Wohnen über Stadtentwicklung, Entwicklung der Schwerindustrie hin zu Umweltbelastungen. Auch wenn das Ausstellungskonzept von den Expert*innen grundsätzlich positiv beurteilt wurde, erregten der dezentrale Aufbau und die stark verfremdenden künstlerischen Elemente der Konzeption Kritik. Die Befürchtung, dass dezentrale Ausstellungen „im allgemeinen nicht so spektakulär sein können, wie dies von einer Ausstellung zu einer Internationalen Bauausstellung zu erwarten ist“ 285 zeigt, welche Erwartungen mit der geplanten Ausstellung verbunden waren. Sie sollte ein Spektakel sein, 286 das anders als die ebenfalls dezentral realisierten Industriemuseen der Landschaftsverbände nicht nur von den Bewohner*innen der Region besucht würde, sondern ein breites internationales Publikum ansprechen und an den Erfolg anderer spektakulärer Großausstellungen anknüpfen sollte. Publikumserfolge wie etwa die 1981 im Berliner Gropiusbau gezeigte Aus-

283 284 285 286

Ebd., S. 7, ebenso die folgenden Zitate. Ebd., S. 9. AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 8. Zur Diskussion um Kulturveranstaltungen als Spektakel vgl. zeitgenössisch Eco, Umberto: Kultur als Spektakel, in: Eco, Umberto (Hg.), Über Gott und die Welt. Essays und Glossen, München 72002, S. 179–185.

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stellung ‚Preußen – Versuch einer Bilanz‘, die häufig als Wegmarke in der Entwicklung deutscher Geschichtsausstellungen bezeichnet wird, 287 hatten das „Ausstellungsevent, [. . . ] eine neue Art der Geschichtspräsentation“ 288 hervorgebracht. ‚Feuer und Flamme‘ fügte sich somit in eine Entwicklung historischer Ausstellungen, die sich „zu marketing-orientierten Bildungs- und Kulturvorhaben [wandelten], die mehr und mehr in Zusammenarbeit mit dem Stadt- und Ländermarketing auf Publikumsforschung und Öffentlichkeitsarbeit zurückgriffen“ 289. Die Ausstellung war als spektakuläres, kulturhistorisches Ereignis und Prestigeprojekt der Bauausstellung vorgesehen, welche zu gleichen Teilen als „Programmatik und Präsentation“ 290, also auch als Mittel der Werbung und Imagepolitik funktionieren sollte. Die vom Expertenkolloquium diskutierte Problematik der „Integration dezentraler Projekte zu einem Ereignis“ 291 bezog sich allerdings nicht nur auf ‚Feuer und Flamme‘ selbst, sondern insgesamt auf die IBA Emscher Park, weshalb den in der Diskussion eingeforderten Lösungsstrategien zur Umsetzung der historischen Ausstellung Modellcharakter für die gesamte Realisation der Bauausstellung zugewiesen wurde. Angedacht war neben einer intensiven Pressearbeit auch die Konzeption einer zusammenfassenden Ausstellung, die den Besucher*innen an „einem Standort einen Gesamtüberblick über die Ausstellung gestattet und damit die dezentralen Ausstellungselemente zu einer Ganzheit integriert“ 292. Außerdem sollte die zeitliche Bündelung der wichtigsten Teileinheiten der Ausstellung die befürchteten Probleme relativieren und darüber ein zusammenhängendes Informationsangebot geschaffen werden, das mögliche „Besuchsprogramme“ 293 für die Besucher*innen vorschlagen sollte. Die sich in Metaebenen zu verlieren scheinenden Lösungsvorschläge verdeutlichten das Problem einer sich weitenden Kluft zwischen den Erwartungen an Spektakelcharakter und Publikumserfolg der Ausstellung und ihrer dezentralen Konzeption nur umso stärker. Ebenso schienen die Erwartungen des Expert*innengremiums an die Potenziale einer historischen Ausstel-

287 Vgl. Heesen, Anke te / Schulze, Mario: Einleitung, in: Dold, Vincent / Schulze, Mario / te Heesen, Anke (Hg.), Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015, S. 7–17, S. 7. Vgl. zeitgenössisch etwa den einflussreichen Überblick über die Entwicklung historischer Ausstellungen bei Korff (2007), S. 35. Zuerst in ders. (1996). 288 Heesen / Schulze (2015), S. 11. 289 Ebd. 290 Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 10. 291 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 9. 292 Ebd., S. 8. 293 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisprotokoll vom 14. 06. 1989, S. 9.

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lung für das Ziel historischen Lernens mit dem künstlerischen Anspruch Körbers zu kollidieren. Im Gegenzug weckte der Anspruch auf Mitgestaltung von Seiten der etablierten historischen Museen in der Region bei der Leitung des Ausstellungsteams das Bedürfnis nach einer funktionalen Distinktion zwischen der historischen Ausstellung im Rahmen der IBA Emscher Park und den vorhandenen Museen. 294 Die Kooperation aller an der Realisation des geschichtskulturellen IBA-Programms beteiligten Akteur*innen barg also trotz oder möglicherweise gerade aufgrund der breit angelegten institutionellen Zusammenarbeit einiges an Konfliktpotenzial. Die Diskrepanzen zwischen verschiedenen Akteursgruppen und Interessenlagen, die sich in der skizzierten Konfliktsituation der IBA Emscher Park finden lassen, waren kein Einzelfall. Die um das Jahr 1990 kulminierende Diskussion um die Funktion von Museen als „Bewahrung eines Gedächtnisses, von Geschichten von Identitäten, als Kompensation“ 295 kreiste immer wieder um die Frage nach „dem Spektakel- und Schaubudencharakter“ 296 von Ausstellungen. Die Vermarktung historischer Großausstellungen als Spektakel, wie sie sich in den von Anke te Heesen und Mario Schulze als „Sattelzeit für die – im weitesten Sinne – kulturhistorischen Museen und Ausstellungen“ 297 bezeichneten 1970er Jahren entwickelt und in den 1980er Jahren endgültig durchgesetzt hatte, war in der musealen Fachdiskussion umstritten. War noch in den 1960er und frühen 1970er Jahren eine ‚Museumskrise‘ beklagt worden, 298 entstand um den sie ablösenden Museums- und Ausstellungsboom, insbesondere angesichts der von der Regierung Kohl Mitte der 1980er Jahre initiierten Gründung nationaler Geschichtsmuseen in Bonn und Berlin, nun eine intensive Diskussion. 299 Diese Diskussion verdichtete sich beispielsweise im Vorwort zum 1988 erschienenen Sammelband ‚Museum als soziales Gedächtnis?‘ 300, das die diskursiven Fronten wie folgt zusammenfasste:

294 Vgl. ebd. 295 Hauser, Susanne: Metamorphosen des Abfalls. Konzepte für alte Industrieareale, Frankfurt am Main / New York 2001, S. 96. 296 Ebd., S. 98. 297 Heesen / Schulze (2015), S. 9. 298 Vgl. zur zeitgenössischen Debatte um die Museumskrise Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Köln 1970 sowie die Angaben in Kapitel 2.1.2, Anm. 227. 299 Vgl. Heesen / Schulze (2015); Mälzer, Moritz: Ausstellungsstück Nation. Die Debatte um die Gründung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Bonn 2005; zeitgenössisch vgl. z. B. Mommsen, Hans: Suche nach der „verlorenen Geschichte“? Bemerkungen zum historischen Selbstverständnis der Bundesrepublik, in: Merkur 451/452 (1986), S. 864–874. 300 Vgl. Fliedl (1988).

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Diskussionen um das Museums- und Ausstellungswesen finden ihre polare Begrenzung durch die optimistische Befürwortung der quantitativen und qualitativen Ausweitung der Musealisierung einerseits (ablesbar etwa an spektakulären Museumsneugründungen und -bauten) und durch die ebenso hartnäckige wie wenig durschlagkräftige Kritik an der geringen Effizienz des Museums als ‚Lernort‘ andererseits. Beide Positionen, die von höchst unterschiedlichen Interessenlagen aus vorgetragen werden, finden sich derzeit kaum noch vermittelt. Kulturpolitiker, Museumsgründer, Stadtplaner und Architekten, private Sponsoren und Sammler auf der einen Seite, Historiker, Soziologen, Museumspädagogen, Lehrer, Erziehungswissenschaftler auf der anderen; große, städtebaulich und architektonisch spektakuläre Projekte hier, Skepsis gegenüber der Instrumentalisierung des Museums für ‚Metafunktionen‘ (Tourismus, ‚corporate identity‘ von Konzernen oder, bei Ausstellungen, für Beschaffung politischer Legitimationsmuster) dort; großzügiges Vertrauen in das ‚Massenmedium‘ Ausstellung (die inszenierte Ausstellung als das Medium der 80er Jahre) und Forcierung ebenso massenmedialen ‚Besucherumsatzes‘ und unvermittelt wie ohnmächtig dazu im ‚im Kontrast‘ Forderungen zur Didaktisierung des Museums, zur Rekonstruktion seiner Bildungsfunktion. 301

Kritik richtete sich nicht nur an die Präsentationsformen spektakulärer Großausstellungen, sondern auch grundlegend an die Befürwortung der Ausstellung als massenmedialem Großereignis, die eine Unterwerfung unter die „hypnotische Kraft der großen Zahl, gezogen und getrieben von Legitimationsdruck und Wunschdenken“ 302 bedeute und fälschlicherweise „im Massenbesuch den Ausdruck beziehungsweise die Befriedigung eines nun wieder aufkommenden Bedürfnisses nach historisch verbürgter Identität“ ausmache. Eine Vermittlerposition nahm Gottfried Korff ein, der seit den 1980er Jahren mit einer Vielzahl an Publikationen zum Ausstellungs- und Museumswesen Einfluss auf die Entwicklung des Felds der Geschichtskultur genommen hatte. 303 Der durch die Beteiligung an erfolgreichen Publikumsausstellungen wie etwa der bereits erwähnten Preußen-Ausstellung profilierte Ausstellungsmacher und Tübinger Professor für Empirische Kulturwissenschaften wurde auch in das Konzeptionsteam für ‚Feuer und Flamme‘ berufen, weshalb seiner Position für die Analyse der Ausstellung 301 Ders.: Vorwort, in: ders. (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 7–8, S. 7. 302 Majce, Gerhard: Großausstellungen, in: ders. (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 63–79, S. 63, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 303 Vgl. Eberspächer, Martina / König, Gudrun Marlene / Tschofen, Bernhard (Hg.): Museumsdinge. Deponieren, exponieren, Köln 22007; darin Tschofen, Bernhard / Eberspächer, Martina / König, Gudrun Marlene: Korffs Museumsdinge. Zur Einführung. Vorwort der 1. Auflage, in: dies. (Hg.), Museumsdinge. Deponieren, exponieren, Köln 2 2007, S. XXV–XXX.

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eine grundlegende Bedeutung zukommt. Seine einflussreiche Beschreibung von Großausstellungen als „Popularisierung des Musealen“ 304 konzipierte populäre Geschichtsausstellungen als Pendant zur aus seiner Sicht von Hermann Lübbe treffend beschriebenen „Musealisierung des Popularen“, also der zunehmenden Konservierung von Alltagsgegenständen, die potenziell die Gefahr einer „ahistorischen Banalisierung“ 305 in sich trage. Denn obwohl der Museumsboom beweise, dass „anstelle der Geschichtsvergessenheit [. . . ] eine wahre Geschichtsversessenheit getreten“ 306 sei, lasse sich ein Urteil über die fortschreitende Musealisierung nur schwer fällen. Es bliebe unklar, ob es sich um „tatsächliches Interesse“ 307 oder nostalgische Gegenwartsflucht handle, obgleich Korff den Wert nostalgisch motivierter Laiensammlungen für professionelle Ausstellungs- und Forschungsvorhaben als sehr bedeutsam heraushob. 308 Zwischen Lob und Kritik historischer Großausstellungen vermittelnd bescheinigte Korff diesen mit Rückgriff auf den Aura-Begriff Benjamins und dessen Ausführungen zum Erkenntnispotenzial kurzweiliger Unterhaltung 309 das Potenzial, ein „Erlebnis“ 310 zu bieten. Ein solches Erlebnis könne Besucher*innen zum Staunen bringen und so Interesse und Reflexion provozieren. Durch gelungene Inszenierung und umfassende Kontextualisierung lasse sich durchaus „blitzhafte Erkenntnis“ 311 erreichen, die „die Zuwendung zur Geschichte nicht im Modus einer Wind- und Kaffeemühlennostalgie“ 312 vermittle. Das „Gespenst der Popularisierung“ 313 dürfe daher weder beschworen noch gefürchtet werden, da es geeignet sei, Besucher*innen sowohl aus dem „Traum, sei es nostalgischer, sei es postmodernistischer Sehnsüchte, aber auch aus der Wirklichkeit, deren Signatur zunehmend durch eine Zerstörung der Sinnlichkeit, durch einen Verlust an gesellschaftlicher Imagination und utopischem Entwurf gekennzeichnet“ sei, aufzuschrecken. In Korffs Verteidigung populärer Großausstellungen, wie

304 305 306 307 308 309

310 311 312 313

Korff (1988). Ebd., S. 13. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 11–13. Vgl. die häufig und hier auch von Korff zitierten Thesen Benjamins: „Nicht gelehrter sollen sie die Ausstellung verlassen, sondern gewitzter“, und „Langeweile verdummt, Kurzweil klärt auf“, Benjamin, Walter: Bekränzter Eingang. Zur Ausstellung „Gesunde Nerven“ im Gesundheitshaus Kreuzberg, Gesammelte Schriften. Band 4. Kleine Prosa, Baudelaire-Übertragungen, Frankfurt am Main 1972, S. 557– 561, S. 560 f. Korff (1988), S. 18. Ebd. Ebd., S. 20. Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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er sie als sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene einflussreicher geschichtskultureller Akteur selbst mitverantwortete, findet sich also erneut die Diskreditierung einer nostalgischen Aneignung von Geschichte, der es durch erfolgreiche Ausstellungsinszenierungen entgegenzuwirken gelte. Auch die Zeitdiagnose eines zunehmenden Utopieverlusts wurde zur argumentativen Figur in der Entdämonisierung populärer Geschichtsausstellungen, wie sie die Verantwortlichen der IBA Emscher Park mit ‚Feuer und Flamme‘ zu realisieren gedachten und in deren Konzeptionsteam sie Korff bald berufen sollten. Die Ausstellung war für 1995, das Jahr des IBA-Halbzeitberichts geplant, wodurch ausreichend Zeit für die Umsetzung gegeben und der Stellenwert der Geschichtsausstellung als Teil der Zwischenbilanz deutlich gemacht werden sollte. Die abschließende Präsentation der Vorstudie zum Ausstellungskonzept wurde dem Leiter der IBA Emscher Park Gesellschaft und zwei Vertretern des KVR im August 1989 von Körber und Brüggemeier vorgestellt. Die Ergebnispräsentation führte zur Empfehlung an den wenige Tage zuvor konstituierten Lenkungsausschuss der IBA, einen „Grundsatzbeschluß zur Erarbeitung einer historischen Ausstellung auf der Grundlage der vorgelegten Vorstudie ‚Feuer und Flamme‘“ 314 zu fassen. 315 Das Konzept beinhaltete zwei Leitsätze, die bei der Leitung der IBA Emscher Park Gesellschaft große Zustimmung fanden. Ihre Analyse verdeutlicht die Funktion der geplanten Geschichtsausstellung innerhalb der Bauausstellung: „Eine Ausstellung zur Geschichte des Emscherraumes kann nicht im Zimmer stattfinden“ 316 und „Die Ausstellung zur Geschichte des Emscherraumes ist aktiv und macht mobil“. Einerseits zeigt sich hier die raumkonstituierende Funktion der Ausstellung, welche die Geschichte der Emscherzone als Landschaft präsentieren und daher auch innerhalb der Landschaft inszeniert werden sollte. Die Notwendigkeit einer solchen Inszenierung wurde sprachlich über den Ausschluss einer als „im Zimmer“ diskreditierten, klassischen Präsentation innerhalb eines konventionellen Ausstellungsraums konstruiert. Andererseits durfte die historische Ausstellung keinesfalls mit Assoziationen von Stillstand oder

314 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisvermerk zur Vorstellung der Arbeitsergebnisse des Teilprojektes I „Genese des Emscherraumes – Ausstellungskonzept“ am 23. 08. 1989 vom 11. 09. 1989, S. 2. 315 In der Sitzung vom 19. Oktober 1989 wurden neben der historischen Ausstellung die ersten zwei Dutzend IBA-Projekte beschlossen, denen in der zehnjährigen Laufzeit der Bauausstellung noch knapp hundert weitere Projekte folgten; vgl. Urban (2008b), S. 11. 316 AHGR Bochum, IBA/216 A, Ergebnisvermerk zur Vorstellung der Arbeitsergebnisse des Teilprojektes I „Genese des Emscherraumes – Ausstellungskonzept“ am 23. 08. 1989 vom 11. 09. 1989, S. 2, ebenso die folgenden Zitate.

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kontemplativem Rückblick verbunden sein, sondern sollte auf die „Aktivierung der Bevölkerung des Emscherraums zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte“ hinwirken. Im Rahmen des geschichtskulturellen Leitprojekts sollten zur „Aktivierung der Bevölkerung“ Geschichtswerkstätten oder „Aktionen nach dem Vorbild der schwedischen Bewegung ‚Grabe, wo Du stehst‘“ 317 herangezogen werden. Diese eigentlich bottom-up, durchaus gegen dominante Narrative gerichteten Formen der Aneignung von Geschichte durch lokale Initiativen sollten in die als Strukturprogramm funktionalisierte Bauausstellung integriert werden. 318 In der akteursnahen IBA-Forschung wird diese Strategie einer top-down gerichteten Funktionalisierung bottomup gerichteter Initiativen rückblickend als Teil eines Planungsmodells gefasst, das gerade aufgrund seiner Widersprüchlichkeit innovativ gewesen sei: „Die IBA Emscher Park lebte ihre scheinbaren Widersprüche: Eine Vision im Kopf haben und das Naheliegende tun, die Mobilisierung demokratischer Initiativen von unten durch hierarchische Intervention von oben.“ 319 Eine solche „Intervention“ stellte etwa der 1991 ausgelobte Geschichtswettbewerb zur „Industriegeschichte an Emscher und Ruhr“ 320 dar, auf den ein Jahr später die Initiative zur Gründung des ‚Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher‘ folgte. 321 Da sich die Umsetzung des geschichtskulturellen Leitprojekts insgesamt als „besonders schwierig“ 322 erwies, war im Februar 1990 ein ‚Expertengespräch „Industriearchäologie“‘ einberufen worden. Unter dieser Bezeichnung hatte sich in Großbritannien bereits seit den 1950er Jahren eine Forschungsrichtung etabliert, welche die Geschichte industrieller Ar-

317 Ebd., S. 2. 318 Vgl. auch AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990. 319 Dahlheimer, Achim: Grundsätze, in: Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park. Konzepte, Projekte, Dokumentation, Essen 2008, S. 13–15, S. 15. Achim Dahlheimer war vor seiner Tätigkeit als Referatsleiter im NRW-Landesministerium für Bauen und Verkehr Mitarbeiter der IBA Emscher Park GmbH. 320 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): Industriegeschichte an Emscher und Ruhr. Dokumentation des Geschichtswettbewerbes der Internationalen Bauausstellung Emscher Park in Zusammenarbeit mit der NRW-Stiftung, Gelsenkirchen 1991. 321 Vgl. zur Gründung die Darstellungen beteiligter Akteur*innen Borsdorf (2017); Abeck / Schmidt (2017), hier zur Gründung des Forums als Top-down-Strategie besonders S. 9. 322 AHGR Bochum, IBA/216 A, Entwurf einer Einladung zum Expertengespräch ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 19. 02. 1990.

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beit auf Grundlage ihrer materiellen Hinterlassenschaften erforschte. 323 Beeinflusst durch diese Forschung hatte in den 1970er und 1980er Jahren auch in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, Archäologie und Denkmalpflege eine verstärkte Auseinandersetzung mit Industriearchäologie stattgefunden, 324 wobei der Begriff allerdings zunehmend durch den der „Industriekultur“ abgelöst wurde. Einflussreich war hierfür besonders der Nürnberger Kulturdezernent Hermann Glaser, der mit seinen Schriften und der Initiative zur Gründung des Nürnberger Centrums für Industriekultur im Jahr 1979 den für das Ruhrgebiet so zentralen Begriff maßgeblich prägte. Glaser wollte den Begriff der Industriearchäologie weiterentwickeln, da dieser aus seiner Sicht vor allem die „pragmatischen Aspekte denkmalpflegerischer Aktivitäten“ 325 bezeichnete. „Industriekultur“ sollte dagegen aus interdisziplinärer Perspektive die Kultur- und Lebensformen seit Beginn der Industrialisierung erforschen und damit das bislang bürgerlich geprägte Geschichtsverständnis reformieren. 326 Auch die Benennung des IBA-Expertengesprächs nach dem britischen Begriff der „Industriearchäologie“ stieß bei einigen Beteiligten aufgrund einer zu starken Fixierung auf Objekte in der angelsächsischen industriearchäologischen Forschungspraxis auf Kritik, weshalb das Gremium später in „Kommission ‚Industriegeschichte‘“ umbenannt wurde. 327 Wie im Me-

323 Ausgehend von der Initiative ehemaliger Arbeiter und Ingenieure hatte ein Kongress des Council for British Archeology sich bereits 1959 mit dem Denkmalwert industrieller Bauwerke auseinandergesetzt, vgl. Busch, Wilhelm: Industriearchäologie. Industriebauten der Moderne als Denkmäler, in: Breuer, Dieter / Cepl-Kaufmann, Gertrude (Hg.), Das Rheinland und die europäische Moderne. Kulturelle Austauschprozesse in Westeuropa 1900–1950, Essen 2008, S. 231–236, S. 231. Zur Geschichte der angelsächsischen Industriearchäologie vgl. z. B. Stinshoff, Richard: Between History and Heritage. The Debate about Industrial Archaeology in Britain, in: Itzen, Peter / Müller, Christian (Hg.), The Invention of Industrial Pasts. Heritage, Political Culture and Economic Debates in Great Britain and Germany, 1850–2010, Augsburg 2013, S. 36–57. 324 Für das Ruhrgebiet waren besonders die Forschung und industriearchäologische Praxis des langjährigen Direktors des Bochumer DBM, Rainer Slotta, einflussreich, vgl. z. B. Slotta, Rainer: Einführung in die Industriearchäologie, Darmstadt 1982; Brüggerhoff, Stefan / Farrenkopf, Michael / Geerlings, Wilhelm (Hg.): Montan- und Industriegeschichte. Dokumentation und Forschung, Industriearchäologie und Museum. Festschrift für Rainer Slotta zum 60. Geburtstag, Paderborn u. a. 2006. 325 Glaser (1981a), S. 34. 326 Vgl. ebd. Siehe dazu auch Kapitel 1.4, Anm. 348. 327 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. März 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 2 und AHGR Bochum, IBA/216 A, Tagesordnung zur 3. Sitzung der Kommission ‚Industriegeschichte‘ am 20. 11. 1990. Die Kritik äußerten vor allem die Historiker Lutz Niethammer und Ulrich Borsdorf. Letzterer kritisierte in der Debatte um den Begriff der ‚Industriekultur‘ immer wieder eine Vernachlässigung sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Fragen sowie die Ausblendung konflikt-

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morandum als Planungsinstrument zur „Lösung von Problemen, die für die Realisierung der Leitprojekte unverzichtbar sind“ 328, vorgesehen, sollte aus dem Gespräch perspektivisch eine Werkstatt hervorgehen. Der erste Tagungsordnungspunkt sah die Diskussion über „Inhalt und Organisation einer industriearchäologischen Bewegung“ 329 vor, in der Lutz Niethammer die Ausrichtung eines Geschichtswettbewerbs ähnlich dem seit Beginn der 1970er Jahre von der Körber-Stiftung ausgerichteten Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten anregte. 330 Niethammer, der neben seiner Tätigkeit als Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Fernuniversität Hagen seit 1989 auch Gründungspräsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen war, beklagte den „fehlenden Lokalstolz an Ruhr und Emscher“ 331 sowie eine ‚Basisferne‘ der „halb professionellen Geschichtswerkstätten“. Ähnlich wie Karl Ganser unterschied Niethammer sich von vielen anderen geschichtskulturellen Akteur*innen der Region dadurch, dass er nicht aus dem Ruhrgebiet stammte, in das ihn erst seine berufliche Tätigkeit geführt hatte. 332 Der 1939 in Stuttgart geborene Schwabe hatte nach seiner Promotion bei Werner Conze in Heidelberg als Assistent von Hans

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trächtiger Themen wie etwa Härten der Arbeit zugunsten einer Fixierung auf und Ästhetisierung von materiellen Objekten; vgl. z,B. Borsdorf, Ulrich: Industriekultur versus Geschichte?, in: Günter, Bettina (Hg.), Alte und Neue Industriekultur im Ruhrgebiet. Ein Symposium des Deutschen Werkbundes auf Zollverein, Essen 2010, S. 98–101; Borsdorf, Ulrich: Industriekultur versus Geschichte?, in: Kift, Dagmar, et al. (Hg.), Industriekultur 2020. Positionen und Visionen für Nordrhein-Westfalen, Essen 2014, S. 90–92. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 56. AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 1. Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 1. Zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten vgl. Ludwig, Carmen: Geschichte demokratisch erforschen. Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, in: Beutel, Wolfgang / Tetzlaff, Sven (Hg.), Handbuch Schülerwettbewerbe zur Demokratiebildung, Frankfurt am Main 2018, S. 21– 26; Schildt, Axel: Avantgarde der Alltagsgeschichte. Der Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte von den 1970er bis zu den 1990er Jahren, in: Andresen, Knud / Apel, Linde / Heinsohn, Kirsten (Hg.), Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute. Dorothee Wierling zum Geburtstag 2015, Göttingen 2015, S. 195– 209. AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 3; ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Niethammers Außenperspektive auf das Ruhrgebiet hebt auch Ulrich Herbert in seiner als „Kindheitserinnerungen“ betitelten Innenperspektive auf die Region hervor, vgl. Herbert (2018), siehe auch Kapitel 2.1.1, Anm. 18.

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Mommsen an der RUB gearbeitet und war vor seinem Wechsel an die Fernuniversität Hagen von 1973–1982 Professor für Neuere Geschichte an der Universität-Gesamthochschule Essen gewesen. Dort hatte er unter anderem durch seine Arbeit in einem Pionierprojekt der Oral History zur „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960“ 333 (LUSIR) Einblicke in die geschichtskulturelle Szene der Region gewonnen. Als Präsident des im Auftaktjahr der IBA gegründeten KWI war Niethammer inzwischen eine zentrale Figur des geschichtskulturellen Felds der Region geworden. In seiner Funktion als beratender Experte der IBA Emscher Park forderte er, dass die im Ruhrgebiet zu initiierende Geschichtsbewegung eine stärker „handlungsbezogene und politische“ 334 Ausrichtung haben sollte, nach dem schwedischen Vorbild einer lokalhistorisch arbeitenden Laienbewegung, die eine Publikation von Sven Lindqvist angestoßen hatte. Diese hatte Manfred Dammeyer, Direktor der Oberhausener Volkshochschule, Landtagsabgeordneter der SPD und ebenfalls Mitglied des Expertenkreises der IBA zum Bereich ‚Industriearchäologie‘ 1989 unter dem Titel „Grabe, wo Du stehst“ 335 ins Deutsche übersetzt. 336 Während aus Niethammers Sicht die Eigenschaft einer Bottom-up-Ausrichtung der Geschichtswerkstätten besonders wichtig war, wollte Karl Ganser die bereits existierenden Werkstätten durch die IBA Emscher Park „materiell stützen“ 337 und zum Ausgangspunkt einer breiten industriearchäologischen Bewegung machen. Diese geschichtskulturellen Tätigkeiten wurden zeitgenössisch bereits durchaus kritisch beleuchtet. So seien sie „sicher nicht originäre Arbeitsfelder einer ‚Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete‘“ 338, stellte etwa Renate Kastorff-Viehmann, Denkmalpflegerin und Professorin für Baugeschichte und Städtebaugeschichte an der Fachhochschule Dortmund, in einem 1993 publizierten „Streitbuch zur Internationalen Bau333 Zum LUSIR-Projekt siehe auch Kapitel 3.5. 334 AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 3. 335 Vgl. Lindqvist, Sven: Grabe, wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte, Bonn 1989. 336 Zum Zusammenhang der gerade erst erschienenen Übersetzung und Niethammers Einschätzung der geschichtskulturellen Szene des Ruhrgebiets vgl. Abeck / Schmidt (2017), S. 10. 337 AHGR Bochum, IBA/216 A, Niederschrift der Ergebnisse des Expertengesprächs ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 14. 03. 1990, S. 3. 338 Kastorff-Viehmann, Renate: Das Ruhrgebiet, ein starkes Stück Geschichte. Die IBA, die Industriedenkmäler und der Geschichtswettbewerb, in: Müller, Sebastian / Schmals, Klaus M. (Hg.), Die Moderne im Park? Ein Streitbuch zur Internationalen Bauausstellung im Emscherraum, Dortmund 1993, S. 66–77, S. 66.

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ausstellung im Emscherraum“ 339 fest. Der unter dem Titel „Die Moderne im Park?“ publizierte Sammelband versammelte vornehmlich regionale Wissenschaftler*innen mit dem Ziel, „Kritik, Korrekturen und Alternativen zum IBA-Prozeß zur Diskussion“ 340 zu stellen. Vor allem die laut den Herausgebern immer offenkundiger werdende Diskrepanz zwischen den als durchaus innovativ und ambitioniert beschriebenen Zielen und Konzepten der IBA Emscher Park und ihrer realen Umsetzung lasse vermuten, dass die Bauausstellung hinter ihren Ansprüchen und Chancen zurückbleiben würde. 341 Die Arbeit der 1990 gegründeten Bürger*inneninitiative „IBA von unten“ 342 aufgreifend sollte der Sammelband als Instrument der Kritik direkt auf den Planungsprozess einwirken und die Kluft zwischen den im Memorandum formulierten Zielen und den zu ihrer Umsetzung angestoßenen Projekten schließen helfen. Eine Veränderung der „Struktur der planenden und ausführenden Verwaltung und [der] politischen Koalitionen selbst“ 343 sei nötig, die vor allem durch stärkere Integration partizipativer Verfahren in den Planungsprozess realisiert werden müsse. Die im Planungsprozess angestrebte Bürgerbeteiligung wurde also als unzureichend und als nur scheinbar in bereits bestehende Planungen eingefügt kritisiert. So kritisierte Kastorff-Viehmann im Fall des Geschichtswettbewerbs, dass seine Auslobung und die daraus resultierende Gründung des ‚Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher‘ nicht etwa ein „originäres, sondern nur ein mittelbares Interesse an Geschichtswerkstätten, Geschichte

339 Vgl. Müller, Sebastian / Schmals, Klaus M. (Hg.): Die Moderne im Park? Ein Streitbuch zur Internationalen Bauausstellung im Emscherraum, Dortmund 1993. 340 Dies.: Politik der regionalen Erneuerung, Regionale Erneuerung der Politik? Editorial, in: dies. (Hg.), Die Moderne im Park? Ein Streitbuch zur Internationalen Bauausstellung im Emscherraum, Dortmund 1993, S. 1–21, S. 2. 341 Vgl. ebd., S. 7–10. 342 Die Initiative gründete sich kurz nach Veröffentlichung des ersten IBA-Projektaufrufs in Dortmund, um die Möglichkeiten zur Förderung bürgerschaftlicher Initiativen innerhalb des Strukturprogramms zu diskutieren. Die Interessengemeinschaft verstand sich außerdem als Kontrollinstanz zur Einhaltung der durch die IBA Emscher Park propagierten Ziele einer Einbindung ökologischer, sozialer und kultureller Fragen in die Strukturpolitik und konstituierte sich aus „Beschäftigungsinitiativen, Umweltgruppen, VertreterInnen aus soziokulturellen Zentren, Mieterinitiativen und Fachleute[n] aus dem sogenannten alternativen Planungsbereich“; Karhoff, Brigitte / Heck, Brigitte: Internationale Bauausstellung Emscherpark. Inspektion von unten. Eine Zwischenbilanz, in: Initiativkreis Emscherregion. e. V. (Hg.), IBA, Inspektion von unten. Strukturwandel im Ruhrgebiet. IBA Emscher Park: eine Strategie? Regionaler Fachkongress. Kongreß-Dokumentation, Essen 1994, S. 6–31, S. 7. Der Begriff der „Inspektion“ im Titel der Publikation verweist den Anspruch der Bürger*inneninitiative, durch die Produktion eigener Wissensbestände eine Kontrollund Sanktionierungsfunktion für die Bauausstellung einzunehmen. 343 Müller / Schmals (1993), S. 20.

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vor Ort und Hobbyforschern“ 344 bedeuten würde. Wettbewerb und Forum seien vielmehr Instrumente, um den als demokratisch postulierten Planungsprozess der IBA nachträglich „um das Geschichtsverständnis derer zu ergänzen, deren Lebenswelt in ihn eingezogen und von ihm betroffen“ 345 sei. Die Erforschung dieses Geschichtsverständnisses sei zwar nötig, um die auf bürgerlichen Werten beruhende Disziplin der Denkmalpflege zu erneuern und noch fehlende Grundlagen für eine Industriedenkmalpflege im Ruhrgebiet zu legen. 346 Ebenso sei es legitim, die Akzeptanz der durch die IBA Emscher Park angestoßenen Projekte durch auf Partizipation ausgerichtete geschichtskulturelle Maßnahmen zu erhöhen. Jedoch stehe zu befürchten, dass die Ergebnisse der nur scheinbar angestrebten Erforschung eines regionalen Geschichtsbewusstseins bereits im Vorhinein feststünden. 347 Die im Memorandum und von Karl Ganser in verschiedenen Strategieaufsätzen beschriebene Notwendigkeit zur Funktionalisierung baulicher Überreste der Montanindustrie als Zeichenträger innerhalb der durch die IBA angestrebten Image- und Standortpolitik 348 stoße in der Region selbst noch auf Misstrauen: Allen, die das Ruhrgebiet mit einer gewissen Distanz erleben ist klar, daß allein die Industrie- und Technikdenkmäler dieser Rolle gerecht werden können. Im Ruhrgebiet selber mißtraut man aber noch ihrer Zeichenhaftigkeit. Oder besser: Ihr gebauter Code teilt den ‚Eingesessenen‘ etwas anderes mit

344 Kastorff-Viehmann (1993), S. 67. 345 Ebd. Kastorff-Viehmann zitiert hier Ulrich Borsdorf, der so die Funktion des Geschichtswettbewerbs in einem die Dokumentation von Wettbewerb und Preisträgern rahmenden Aufsatz beschrieb, vgl. Borsdorf, Ulrich: Das Unfaßliche wird greifbar. Eine Betrachtung von Dr. Ulrich Borsdorf, Ruhrland-Museum, Essen, in: Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.), Industriegeschichte an Emscher und Ruhr. Dokumentation des Geschichtswettbewerbes der Internationalen Bauausstellung Emscher Park in Zusammenarbeit mit der NRW-Stiftung, Gelsenkirchen 1991, S. 39–44, S. 39. 346 Vgl. Kastorff-Viehmann (1993), S. 68. Als Denkmalpflegerin und Professorin der FH Dortmund hatte Kastorff-Viehmann zu den regionalen Expert*innen gehört, die im Rahmen der Vorstudie zur Erstellung eines Ausstellungskonzepts zur Geschichte des Emscherraums beratend herangezogen worden waren, und hatte so frühzeitig Einblick in das geschichtskulturelle Programm der IBA Emscher Park erhalten, vgl. Liste in AHGR Bochum, IBA/216 A, Anlage zum Ergebnisvermerk zur Vorstellung der Arbeitsergebnisse des Teilprojektes I „Genese des Emscherraumes – Ausstellungskonzept“ am 23. 08. 1989 vom 11. 09. 1989, S. 1. 347 Vgl. ebd., S. 69. 348 Vgl. Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (1988), S. 44; Ganser (1988); Ganser (1991); Ganser, Karl: Die Internationale Bauausstellung Emscher Park. Strukturpolitik für Industrieregionen, in: Dürr, Heiner / Gramke, Jürgen (Hg.), Erneuerung des Ruhrgebiets. Regionales Erbe und Gestaltung für die Zukunft. Festschrift zum 49. Deutschen Geographentag Bochum 3.– 9. Oktober 1993, vom Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum und dem Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR), Paderborn 1993, S. 189–195.

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als den ‚Fremden‘. Letztere können sich auf die signifikanten monumentalen Industriebauten als visuelle Ereignisse einlassen: Bei den ‚Eingesessenen‘ evociert ihr Code wahrscheinlich das Dilemma der ganzen, unaufgearbeiteten Geschichte der Industrieregion und unbewältigten Wirklichkeit der Industrieregion. Architektur und Gestalt der Anlagen sind vor diesem Hintergrund unwichtig. Die Entscheidung der Verantwortlichen in den Stadträten, den Behörden und bei den Eigentürmern lautete bzw. lautet deshalb oft: Abreißen! 349

Die angestrebte Umdeutung unter Denkmalschutz gestellter Industriebauten zu ästhetisch wertvollen historischen Zeugnissen, über die eine Kontinuitätserzählung einer bedeutenden Vergangenheit und prosperierenden Zukunft der Region konstruiert werden solle, sei also einerseits aufgrund ihrer bisherigen Konnotation als Symbole einer wenig erforschten Industriegeschichte und des gegenwärtigen wirtschaftlichen Niedergangs problematisch. Andererseits unterstütze auch die Eigenschaft der Unzugänglichkeit von Zechen- und Werksgeländen, die sie vor ihrer Stilllegung für Anwohner*innen gleichsam zu ‚verbotenen Städten‘ 350 machte, die Fremdheitserfahrung der Ruhrgebietsbewohner*innen mit den als Identitätsgeneratoren vorgesehenen Industriebauwerken. 351 Die Denkmalpflegerin kritisierte, dass die im Rahmen der IBA Emscher Park geplanten Umnutzungen ehemaliger Industriebauwerke das Fremdheitsgefühl perpetuieren könne, wenn die neuen Nutzungen einer „Inbesitznahme ähneln, bei der dann die ehemaligen Nutzer draußen vor der Tür bleiben“ 352 – ein Kritikpunkt, der insbesondere in Hinblick auf das Leuchtturmprojekt Zeche Zollverein noch zu beleuchten sein wird. Die Kritik zielte nicht nur auf die top-down gerichtete Funktionalisierung einer vermeintlich bottom-up konstruierten Erinnerung, sondern auch auf die Verengung hin zu einer bestimmten historischen Erzählung, die in den geschichtskulturellen Maßnahmen zum Ausdruck komme: Faßt man diesen Argumentationsstrang zusammen, zeigen sich weitere ‚Erwartungsfelder‘ zum Geschichtswettbewerb und zum ‚Forum Geschichtskultur‘: Einerseits die Beschwörung des regional historischen Kontextes, andererseits das Wiederauffüllen des Vakuums, das durch Stillegungen und Umnutzungen entstanden ist. Der reflexive ‚historische‘ Gehalt, das Erinnern, ersetzt quasi den ehemaligen, abgebrochenen, stillgelegten sozio-ökonomischen Kontext. Die Zwischenüberschrift im Gründungsmemorandum zum

349 Kastorff-Viehmann (1993), S. 70. 350 Vgl. Schneider, Sigrid: Rückblicke. Das fotografierte Ruhrgebiet, in: Weski, Thomas / Kramer, Heike (Hg.), Ruhr Blicke. Ein Fotografieprojekt der Sparkassen-Finanzgruppe, SANAA-Gebäude, Zeche Zollverein Essen 24.4.-24. 10. 2010 = Ruhrviews, Köln 2010, S. 12–47, S. 22. 351 Vgl. Kastorff-Viehmann (1993), S. 75. 352 Ebd., S. 73.

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‚Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher‘, das Ruhrgebiet ‚ein starkes Stück Geschichte‘ unterstreicht in ihrem offensichtlichen Chauvinismus diese These. [. . . ] Geschichtskultur also auch zur inneren Aufrüstung in der Konkurrenz um Standortvorteile. Verständlich in einer Region, in der mit den alten ökonomischen Strukturen ganze Lebenswelten zerbrechen und gewohnte Weltsichten in Frage gestellt werden. 353

Trotz des durchscheinenden Verständnisses für die Suche nach historischer Kontinuität, welche die Grundlage der durch die IBA zu generierenden Zukunftsperspektive der Region liefern sollte, ist die Kritik an den gewählten Maßnahmen nicht nur in Formulierungen wie dem Chauvinismusvorwurf recht deutlich. 354 Auch die Hoffnung, die gemeinsame Vergangenheit zur Grundlage einer in die Zukunft gerichteten Identitätsgrundlage für die Region machen zu können, bezeichnete Kastorff-Viehmann als „Kampf gegen Windmühlenflügel“ 355. Diese Funktionalisierung der Vergangenheit als Identitätsgrundlage war allerdings neben der Vernetzung von Laien und professionellen Akteur*innen der Geschichtskultur ein erklärtes Ziel des 1992 gegründeten Forums, wie aus der ersten Ausgabe des vom Netzwerk herausgegebenen Informationsdiensts aus dem Jahr 1995 hervorgeht: Natürlich vermittelt Geschichte auch lokale und regionale Identität. Das scheint besonders wichtig zu sein angesichts eines raschen Wandels der Region: wir Menschen brauchen eine historisch begründbare Orientierung an gewachsenen Strukturen unserer sozialen und städtebaulichen Umgebung, damit wir einen klaren Kopf behalten, um diesen Wandel auch zu bewältigen. Wenn auch Geschichte ihre lokalen Bühnen kennt, so hat das Ruhrgebiet trotzdem eine gemeinsame Geschichte. Dieser Infodienst soll dazu beitragen, sie besser kennenzulernen. 356

In der anthropologischen Begründung eines historischen Orientierungsbedürfnisses, das als Instrument zur Bewältigung eines als beschleunigt wahrgenommenen strukturellen Wandels verstanden wird, lassen sich deutliche Bezüge zur Geschichtstheorie Rüsens erkennen, der durch seine Lehrtätigkeit an der RUB viele geschichtskulturelle Akteur*innen aus der Region geprägt hatte. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Namensgebung des Forums, das nicht als Forum für Industriekultur oder Denkmalpflege 353 Ebd., S. 74 f. 354 Eine in Rot verfasste Randnotiz im Exemplar der Essener Universitätsbibliothek, die der Autorin ein trotziges „Jaja, red Du nur!“ entgegenwirft, gibt einen Eindruck von der Empörung, die diese recht harsche Kritik mitunter bei beteiligten oder dem Projekt verbundenen Akteur*innen ausgelöst haben dürfte. 355 Kastorff-Viehmann (1993), S. 75. 356 Vgl. Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e. V.: Wir über uns, in: Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher. Informationen 1 (1995) 1.

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agieren wollte, sondern explizit den Geschichtskulturbegriff Rüsens als programmatischen Namen wählte. 357 Die Förderung eines betont gemeinsamen Geschichtsbewusstseins der Region Ruhrgebiet war nicht nur erklärtes Ziel des Forums, sondern ist auch als Argument für die Förderungswürdigkeit der Initiative und somit als Ressource zur Positionierung innerhalb des geschichtskulturellen Felds von Seiten des zunächst von der NRW-Stiftung finanzierten Netzwerks zu sehen. Die Annahme eines anthropologischen Grundbedürfnisses nach historischer Orientierung, wie sie Rüsens Geschichtstheorie zugrunde liegt, wurde somit zur argumentativen und legitimatorischen Ressource innerhalb dieses Aushandlungsprozesses. Von Seiten der Jury des Geschichtswettbewerbs, aus dem später die Gründungsinitiative des Forums hervorging, wurde die Verengung der geschichtskulturellen Projekte auf die Funktion eines Identitätsgenerators allerdings ebenfalls nicht rein affirmativ beurteilt: „Es kann aber bei einer historischen Betrachtung dieser Region nicht, zumindest nicht nur, darum gehen, ihr eine historische Identität zu implementieren“ 358, forderte Ulrich Borsdorf, Direktor des Ruhrland-Museums und späterer Gründungsdirektor des Ruhr Museums. Als Mitglied der Jury legte er Ziele, Ablauf und Auswahlkriterien des Wettbewerbs in einer 1991 publizierten Dokumentation dar, 359 fasste die eingesandten Beiträge zusammen und führte aus, welche Themen aus seiner Sicht unter den Einsendungen fehlten. Die potenziell einzureichenden Beiträge wurden thematisch auf den Raum des KVR und die Zeit der Industrialisierung sowie durch die Beschränkung auf rein ehrenamtlich tätige Akteur*innen und damit auf das Spektrum nicht „wissenschaftlich-professionell“ 360 arbeitender Personen eingegrenzt. Eine zwar nicht vollständige, aber weitgehende Erforschung der Ruhrgebietsgeschichte durch die professionelle Geschichtswissenschaft habe bewirkt, dass „die Neugier auch das ‚Amateurlager‘ endlich zum Zuge kommen lassen mußte“ 361. Als „weiße Flecken“ machte Borsdorf politische und kulturelle Themen sowie NS- und Arbeiterbewegungsgeschichte aus. Das völlige Fehlen umwelthistorischer Themen sei verständlich: [. . . ] , denn woher soll das ‚Know-how‘ genommen werden? In vielem vollzieht die ‚Laien‘-Geschichtsschreibung die Bewegungen der Profis in gemessenem Abstand nach – und die wollen nun gerade, daß es einmal umgekehrt

357 358 359 360 361

Vgl. Borsdorf (2017), S. 6; Abeck / Schmidt (2017), S. 10. Borsdorf (1991), S. 39. Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1991). Borsdorf (1991), S. 39. Ebd.

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sei! [. . . ] Einzugeben in die Ruhrgebiets-Geschichtskultur wäre also, daß Umwelt auch Geschichte hat und der Quasi-Natur Ruhrgebiet ein Stück historischer Aufmerksamkeit gut täte. 362

Hier wird deutlich, dass die Mobilisierung geschichtsinteressierter Laien zunächst vor allem als Ergänzung zu einer an wissenschaftlichen Institutionen geleisteten Forschung verstanden wurde, die auf Basis eines als ausreichend beurteilten Forschungsstands die Ergänzung durch nicht professionelle Forschung zulässig erscheinen ließ. Auch wenn die propagierte „Neugier“ sowie die betonte Begeisterung über Quantität und Qualität der 162 Wettbewerbsbeiträge diese durchaus wertschätzte, 363 ist die Positionierung der an wissenschaftlichen Institutionen angebundenen Akteur*innen und ‚Laien‘ im geschichtskulturellen Feld doch eindeutig als asymmetrisch zu sehen. Die Ausrichtung eines Wettbewerbs bedeutete einerseits eine große Wertschätzung für die Arbeit der ‚Laien‘, der die Auszeichnungen Ausdruck verliehen. Andererseits reproduzierte der Wettbewerb die asymmetrische Positionierung der Akteur*innen innerhalb des Felds durch die Verteilung der Rollen in Beiträger*innen und Jury. Die „Impulse“ 364 gingen in dieser Sicht von der Wissenschaft aus und Themen, deren Relevanz „im Geschichtsbewußtsein ‚vor Ort‘ offenbar noch nicht angekommen“ 365 seien, müssten von professioneller Seite initiiert werden. Andererseits stellte Borsdorf, der von der Gründung im Jahr 1992 bis 2015 auch als Sprecher des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher agierte, 366 die Mobilisierung nicht-professioneller Geschichtsarbeit durch den Wettbewerb als notwendige Ergänzung zur Unterschutzstellung industrieller Bauwerke dar. Diese reiche allein nicht aus, um gegen die „historische Bewußtlosigkeit, mit der diese Region zu ihrer Unverwechselbarkeit gezwungen wurde“ 367 und die „eine Bürde von besonderem Gewicht“ sei, anzukommen. Die These einer weitgehenden Geschichtslosigkeit, die für die Aushandlungsprozesse um die Bedeutung der Geschichtswissenschaft seit den 1970er Jahren allgemein sowie um die bereits angerissene ‚Museumskrise‘ eine zentrale argumentative Figur darstellte 368, erhielt für das Ruhrgebiet nochmals eine besondere regionale Zuspitzung. So habe 362 363 364 365 366 367 368

Ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 40–43. Ebd., S. 41. Ebd., S. 43. Vgl. Abeck / Schmidt (2017), S. 12. Borsdorf (1991), S. 39, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Zeitgenössisch vgl. z. B. die Druckfassung des auf dem Kölner Historikertag 1970 gehaltenen Vortrags Koselleck, Reinhart: Wozu noch Historie?, in: Historische Zeitschrift 212 (1971), S. 1–18; oder breitenwirksam im Feuilleton Kocka, Jürgen: Wozu noch Geschichte? Die sozialen Funktionen der historischen Wissenschaften, in: Die

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die rasante Industrialisierung der ehemals ländlichen Gegend, die das Ruhrgebiet als Region überhaupt hervorgebracht habe, durch ein auf Fortschritt und Gestaltung ausgerichtetes Zukunftsverständnis zur Negierung ihrer Vergangenheit geführt. 369 Auch Gottfried Korff griff dieses Narrativ später im Katalog zu ‚Feuer und Flamme‘ auf: Kaum eine Region in Deutschland war geschichtsvergessener als die zwischen Duisburg und Dortmund – jedenfalls lange Zeit. Die Erfolgsgeschichte im Zeichen der Schwerindustrie hatte bis in die 60er Jahre eine nach vorwärts gerichtete Perspektive bewirkt und deshalb den Blick zurück als entbehrlich erscheinen lassen. 370

Während ‚Feuer und Flamme‘ angesichts dieses noch 1995 diagnostizierten besonderen Grads an ‚Geschichtsvergessenheit‘ Pioniercharakter zukomme, 371 hatte Korff dagegen für die Bundesrepublik allgemein bereits in den achtziger Jahren erklärt: „anstelle der Geschichtsvergessenheit ist eine wahre Geschichtsversessenheit getreten“ 372. Habe Hans Mommsen daher die Begründung der geschichtspolitischen Initiativen zur Gründung des Deutschen Historischen Museums (DHM) und des Hauses der Geschichte (HdG) in Berlin und Bonn durch die Regierung Kohl mit „einer hierzulande diagnostizierbaren Geschichtslosigkeit“ zurecht als „Irrtum“ entlarvt, schien die ‚Geschichtslosigkeit‘ des Ruhrgebiets in der Darstellung Korffs erst durch die ‚Feuer und Flamme‘-Ausstellung der IBA Emscher Park überwunden. 373

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Zeit, 3. März 1972. Zur historischen Betrachtung der Debatte vgl. z. B. John, Anke: Disziplin am Scheideweg. Die Konstituierung einer universitären Geschichtsdidaktik in den 1970er Jahren, in: Barricelli, Michele / Becker, Axel / Heuer, Christian (Hg.), Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelten und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Festschrift für Hans-Jürgen Pandel zum 70. Geburtstag, Schwalbach am Taunus 2011, S. 192–212; Sandkühler, Thomas: Die Entstehung der Geschichtsdidaktik. Warum die 70er Jahre?, in: Hasberg, Wolfgang / Thünemann, Holger (Hg.), Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven, Frankfurt am Main 2016, S. 415–434. Vgl. z. B. Roters, Wolfgang: Ruhr-Stadt-Spiel-Räume. Für eine Versöhnung von Kultur- und Strukturwandel, in: Canaris, Ute / Rüsen, Jörn (Hg.), Kultur in Nordrhein-Westfalen. Zwischen Kirchturm, Förderturm und Fernsehturm, Stuttgart / Berlin / Köln 2001, S. 138–144, S. 140; Engelskirchen (2004), S. 143. Korff, Gottfried: Die Ausstellung. Prinzipien, Linien und Wege, in: Borsdorf, Ulrich (Hg.), Feuer & Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet. Die Ausstellung im Gasometer Oberhausen 19. Mai bis 15. Oktober 1995, Essen 21995, S. 30–40, S. 30. So stand der Diagnose einer besonderen Geschichtslosigkeit des Ruhrgebiets die Betonung des Pioniercharakters von ‚Feuer und Flamme‘ voran: „Die Ausstellung ist die erste ihrer Art im Ruhrgebiet“, ebd., S. 30. Ders. (1988), S. 10, ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. Zu den Ausführungen Mommsens vgl. Mommsen (1986), S. 864–868. Korff (1995), S. 30.

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Einerseits wurde die argumentative Funktionalisierung einer vermeintlichen Geschichtslosigkeit als Versuch konservativer Historiker wie Michael Stürmer kritisiert, die CDU-geführte Regierung zu stützen und „so etwas wie ‚Geschichtspolitik‘ zu betreiben, soll heißen, mit den Mitteln und Instrumenten der Geschichte Politik zu machen“ 374. Andererseits wurde ‚Geschichtslosigkeit‘ in den geschichtskulturellen Projekten der IBA Emscher Park für das Ruhrgebiet in Anspruch genommen und so als Teil eines Strukturprogramms zum Mittel sozialdemokratischer Geschichtspolitik gemacht, wie die bereits gemachten Ausführungen zu Entstehung und Programm der Bauausstellung deutlich werden lassen. Im Sinne einer ‚Invention of Tradition‘ 375 ist also Lutz Engelskirchen zuzustimmen, für den die „starke politische Protektion, die der Gedanke der Industriekultur in Deutschland, voran in Nordrhein-Westfalen in Form von Museen, Änderungen der Denkmalgesetze, und in Form von Finanzmitteln erhielt, [. . . ] zumindest auch der Versuch einer (sozial-)demokratischen Traditionskonstruktion“ 376 darstellt. Eine detaillierte Analyse der Planungsunterlagen von ‚Feuer und Flamme‘ soll im Folgenden diesen Konstruktionsprozess beleuchten, für den die Ausstellung von herausgehobener Bedeutung war.

2.1.4 Inszenierung einer gestaltenden Bewahrungszukunft – Die Geschichtsausstellung „Feuer und Flamme“ Das bereits skizzierte Ausstellungskonzept von Wolfgang Körber und Franz-Josef Brüggemeier hatte im Verlauf der Planungen zwar inhaltlich weiter Zustimmung gefunden, aufgrund seiner dezentralen Ausrichtung allerdings auch Kritik im Hinblick auf mangelnde Praktikabilität auf sich gezogen. Eine zur Konkretisierung der Planung im Mai von Körber vorgelegte Kostenschätzung verdeutlichte den steigenden Zeitdruck, der eine baldige Entscheidung über die Realisierung des Konzepts durch das IBA Emscher Park Kuratorium nötig machte. 377 Als Körber jedoch wenig später aufgrund der Einbindung in ein anderes Projekt aus dem Ausstellungsteam ausschied, 378 wurde die Idee einer dezentralen Ausstellung zuguns-

374 Ders. (1988), S. 10. 375 Hobsbawm, Eric J.: Introduction. Inventing Traditions, in: Hobsbawm, Eric J. / Ranger, Terence (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 172009, S. 1–14. 376 Engelskirchen (2004), S. 138. 377 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, FEUER UND FLAMME, Historische Ausstellung, Kostenschätzung Mai 1990. 378 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk vom 23. 09. 1991.

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ten eines einzigen Ausstellungsorts verworfen und das Projektteam neu zusammengesetzt. Die Ausstellung sollte nun im vom Abriss bedrohten Gasometer der 1988 stillgelegten Kokerei der Zeche Osterfeld in Oberhausen realisiert werden, für dessen Erhalt sich Karl Ganser seit Juni 1990 mit Bemühungen zur Gründung eines Fördervereins einsetzte. 379 Das Ausstellungsteam um den bereits am ursprünglichen Konzept beteiligten Historiker Franz-Josef Brüggemeier wurde um Ulrich Borsdorf und Gottfried Korff sowie den Berliner Ausstellungsarchitekten Jürg Steiner erweitert, mit dem Korff bereits im Rahmen der Berliner Preußen-Ausstellung von 1981 zusammengearbeitet hatte. 380 Im Anschluss an ein Gespräch zwischen der neu zusammengesetzten Projektgruppe und Ganser sowie der IBA-Bereichsleiterin für Kultur und Denkmalpflege, Helene Kleine, wurde das Ausstellungsteam mit der Erstellung eines neuen Ausstellungskonzepts beauftragt, 381 das die Grundlagen zur Planung der Ausstellung am neuen Ort darstellen und nach einer Diskussion Ende November die Basis für eine Grundsatzentscheidung des IBA Emscher Park Kuratoriums bilden sollte. Das Anfang November 1991 zu Händen Gansers an die IBA Emscher Park Gesellschaft übersandte Konzept entwickelte das Thema der Ausstellung ausgehend von der Wahrnehmung der mit der kurz bevorstehenden Epochengrenze des ausgehenden 20. Jahrhunderts sinnfällig gewordenen

379 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Brief Gansers an den Ministerialdirigenten im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW vom 18. 06. 1990. Nach einer Reihe von Ganser einberufener Treffen mit einem ausgewählten Kreis aus Akteuren kommunaler Politik und Verwaltung sowie Kultur und Wirtschaft sowie Vertretern der RAG gründete sich am 14. 07. 1992 der „Initiativkreis Gasometererhalt“, vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Einladung zur Auftaktveranstaltung; Günter, Roland: Karl Ganser. Eine Planer-Biografie mit der IBA in der Metropole Ruhr, Essen 2010, S. 18. Entgegen des Kompensationsnarrativs, das die Welle an Unterschutzstellungen industriekultureller Bauten als Ausdruck eines durch den Strukturwandel ausgelösten „Phantomschmerzes“ (siehe Kapitel 1.1, Anm. 7) konzipiert, waren die Bemühungen Gansers von der Überzeugung geprägt, dass in der breiten Bevölkerung kaum Interesse am Erhalt des Gasometers bestünde. Es mangele an „gesellschaftlicher Akzeptanz der Bauten“, deren „Wert weder für die Geschichte noch für die Zukunft so richtig erkannt worden sei“, AHGR Bochum, IBA/216 A, Entwurf einer Einladung zum Expertengespräch ‚Industriearchäologie‘ am 05. 03. 1990 in den Räumen der Emscher Park GmbH vom 19. 02. 1990. 380 Für die Aufnahme Korffs und Steiners in das Projektteam diente die Preußen-Ausstellung als Referenz, vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk vom 23. 09. 1991. Zur ausstellungsgeschichtlichen Bedeutung der Berliner Preußen-Ausstellung aus dem Jahr 1981 siehe Uhde, Lukas: Preußen. Versuch einer Bilanz (1981), in: Dold, Vincent / Schulze, Mario / te Heesen, Anke (Hg.), Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015, S. 108–121. 381 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Auftrag vom 23. 09. 1991 erteilt von Karl Ganser an Franz-Josef Brüggemeier.

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Erfahrung des endenden Industriezeitalters. 382 Neben der Erfahrung des kontingent Werdens der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung des Industriezeitalters spiegelte sich im Ausstellungskonzept auch eine andere zentrale zeithistorische Kontingenzerfahrung – der Fall der Mauer und die neue Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den Staaten Ost- und Westeuropas, die aus Sicht der Zeitgenossen „so unverhofft gekommen ist, daß ihre Auswirkungen noch nicht genau abgeschätzt werden können“ 383. Diese Entwicklung habe „das Ruhrgebiet erneut auch politisch im Zentrum Europas“ verortet. Die Ausstellung sollte also eine doppelte Kontingenzerfahrung durch historische Deutungsleistung managen und daraus eine Perspektive für Gegenwart und Zukunft formulieren: „Sie behandelt die letzten 150 Jahre und führt bis in die Gegenwart, sie wird zum Ende dieses Jahrhunderts nicht nur historische Entwicklungen aufgreifen, sondern auch zum Stand der Dinge in der Gegenwart einen Vorschlag formulieren.“ Entsprechend des Programms der IBA Emscher Park sollte die Ausstellung als zentraler Bestandteil der geplanten Zwischenpräsentation zur Hälfte der IBA-Laufzeit die Themen der Geschichte und Gegenwart des Ruhrgebiets aufbereiten und derart präsentieren, dass die Region sowohl historisch als auch zukünftig gleichsam als Labor für Industrieregionen erscheinen würde. 384 Aus der in der Ausstellung präsentierten Vergangenheit der Region sollte Modellcharakter und somit Potenzial für die Zukunft von alten Industrieregionen abgeleitet werden, womit die Geschichtsausstellung als Instrument der Zukunftgestaltung funktionalisiert wurde. Die früher faszinierende Region sei heute eine „weitgehend konturen- und geschichtslose Gegend, ohne größeren Reiz für Außenstehende und selbst für Einheimische“ 385, weshalb der Ausstellung nicht nur die Aufgabe zukomme, Wissen über die „einzigartige Dynamik und die spektakulären Entwicklungen“ des Ruhrgebiets zu vermitteln, sondern hierüber auch sein Image zu verbessern. Die Figur der regionalen Geschichts-

382 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Konzept „Feuer und Flamme. Eine Ausstellung zum Industriezeitalter“, Stand 08. 11. 1991. 383 AHGR Bochum, IBA/216 A, Konzept „Feuer und Flamme. Eine Ausstellung zum Industriezeitalter“, Stand 08. 11. 1991, S. 6; ebenso die unmittelbar folgenden Zitate (H. i. O.). 384 Vgl. ebd., S. 7 f.: „Geschichte und Gegenwart des Ruhrgebiets bieten überaus spannende Themen, die mitten in die aktuelle Auseinandersetzung um die bisherige Entwicklung und die Zukunft industrieller Gesellschaften führen. In dieser Region traten und treten die Probleme zugespitzt zutage, hier wurden Entwicklungen deutlicher wahrgenommen als andernorts und Konflikte heftiger ausgetragen, jedoch auch beispielhafte Lösungen entwickelt. Das Ruhrgebiet war und ist eines der entscheidenden Experimentierfelder moderner Industriegesellschaften. Davon wird die Ausstellung berichten.“ 385 Ebd., S. 8, ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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losigkeit diente den Ausstellungsmachern als argumentative Strategie zur Begründung der projektierten Großausstellung. Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Integration der Ausstellung in das Programm der IBA-Halbzeitpräsentation durch das IBA-Kuratorium fand im Juni 1992 eine Präsentation eines konkretisierten Konzepts 386 „in einem kleinen Kreis von Entscheidungsträgern“ 387 aus Politik, Kommunalverwaltung, Vertretern der RAG sowie der NRW-Stiftung und Mitarbeiter*innen der IBA Emscher Park GmbH statt. Dieses außerhalb der organisatorischen Struktur der Bauausstellung einberufende Gremium verweist auf die Aktivierung persönlicher Netzwerke und diente der Integration politischer und wirtschaftlicher Funktionsträger*innen als beratendes Gremium seitens der IBA-Geschäftsführung. Das Gremium bestätigte die inhaltliche Konzeption der Ausstellung und ihre Eignung als „wichtige[n] Baustein der Zwischenpräsentation“ 388. Die Diskussion stellte den Zukunftsbezug der historischen Ausstellung in den Mittelpunkt. Die Gegenwart, gedeutet als „Ende (?) des Industriezeitalters“ 389 werde am Schluss der Ausstellung thematisiert, indem der Blick vom Dach des Gasometers „den Blick auf die „Jetzt-Zeit frei“ 390 gebe. Die Formulierung zeugt einerseits von der Wahrnehmung einer Notwendigkeit zur Periodisierung der eigenen Gegenwart als Ende des industriellen Zeitalters und andererseits von der Unsicherheit über das Zutreffen dieser Diagnose, die zumindest innerhalb des internen Diskussionsprozesses auch in Frage gestellt wurde. Die Ausstellung sollte nicht nur über den Ausblick in die Gegenwart hinaus auch eine Zukunftsperspektive für die Region entwerfen, sondern 386 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Auftrag zur Erstellung eines ausgearbeiteten Ausstellungskonzepts zu „Feuer und Flamme“ bis Ende März 1992 vom 15. 01. 1992. 387 AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk Gespräch „Feuer und Flamme“ am 22. 06. 1992 vom 26. 06. 1992, S. 1. Anwesend waren die CDU-Kulturpolitikerin und Landtagsabgeordnete sowie Ratsfrau der Stadt Oberhausen Hildegard Matthäus, das RAG-Vorstandsmitglied Klaus-Peter Kienitz, der Oberstadtdirektor der Stadt Gelsenkirchen Klaus Bußfeld und Brigitta Ringbeck, damals Mitarbeiterin der NRW-Stiftung. Das Protokoll ging per Verteiler außerdem an den Staatssekretär im NRW-Finanzministerium Karl-Heinz Bentele (SPD), den Oberstadtdirektor der Stadt Oberhausen Burkhard Ulrich Drescher (SPD), den SPD-Landtagsabgeordneten Eugen Gerritz, den KVR-Direktor Jürgen Gramke, den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg Josef Krings (SPD), den WAZ-Chefredakteur Ralf Lehmann, den KWI-Direktor Lutz Niethammer, den Ministerialdirigenten im NRW-Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Wolfgang Roters, den ehemaligen SPD-Regierungssprecher Helmut Müller-Reinig und den Professor für Städtebau und Wohnplanung sowie wissenschaftlichen Direktor der IBA Emscher Park Peter Zlonicky. 388 AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk Gespräch „Feuer und Flamme“ am 22. 06. 1992 vom 26. 06. 1992, S. 1. 389 Ebd. 390 Ebd., S. 2.

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auch die industrielle Vergangenheit der Region über historische Zukunftsvorstellungen erzählen – der Zugriff sollte über „‚Utopien‘ als Leitideen“ 391 erfolgen und so helfen, die „Regional-, Europa- und Universalgeschichte aus der Engführung der durch die Identitätsforschung bestimmten Geschichtsschreibung herauszulösen“ 392. Die Ausstellungserzählung über die Figur der Utopie zu erzählen, diente also als Abgrenzung zu einer konservativen, auf Identitätsproduktion ausgerichteten Geschichtspräsentation und sollte gleichzeitig eine auf die Zukunft gerichtete Vergangenheitserzählung anbieten. 393 In Hinblick auf die Aushandlung von Geschichte als Bedeutung lässt sich dies als Versuch der Konstruktion einer gestaltenden statt kompensatorischen Bewahrungszukunft verstehen, wofür dem projektierten Ausstellungsraum besondere Bedeutung zugemessen wurde. Auch das beratende Gremium befürwortete die Durchführung der Ausstellung im Gasometer, dessen räumliche Monumentalität in Hinblick auf die Ausstellungsgestaltung allerdings nicht nur als Chance zur Faszination, sondern auch als Risiko zur Überwältigung gewertet wurde. Die Umsetzung des als zentral erachteten Ausstellungsbereichs der ‚Zukünfte‘, die Gestaltung des riesigen vertikalen Raums und nicht zuletzt der Erhalt des Gasometers selbst erwiesen sich in der Entwicklung des Ausstellungskonzepts als besondere Herausforderungen. 394 Das Ausstellungskonzept wurde weiter auf den Oberhausener Gasometer als Ausstellungsort hin entwickelt, obwohl eine Ortsbegehung im Januar 1992 deutlich gemacht hatte, welche Schwierigkeiten noch mit der Planung verbunden waren. Obgleich eine baldige Unterschutzstellung wahrscheinlich erschien, ließen Fragen bezüglich ungeklärter Eigentumsverhältnisse, Gebäudestatik und -brandschutz eine Umsetzung der Ausstellung am gewünschten Ort fraglich werden, weshalb andere mögliche Ausstellungsorte wie die Kohlenwäsche der Zeche Zollverein für die Pla-

391 Ebd. Vgl. auch AHGR Bochum, IBA/216 A, Konzept „Feuer und Flamme. Eine Ausstellung zum Industriezeitalter“, Stand 08. 11. 1991. 392 AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk Gespräch „Feuer und Flamme“ am 22. 06. 1992 vom 26. 06. 1992, S. 2. 393 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk Gespräch „Feuer und Flamme“ am 22. 06. 1992 vom 26. 06. 1992, S. 1 f.: „Das Ruhrgebiet war durch den Wettbewerb von Ideen, Energien und Menschen charakterisiert. Wozu könnte heute, am Ende des Industriezeitalters (?) eine vergleichbare Kraftanstrengung genutzt werden? [. . . ] Die Ausstellung ‚endet‘ auf dem Hochplateau des Gasometers und gibt den Blick auf die Jetzt-Zeit frei. Sie sollte darüber hinausgehend Verbindungslinien zur Zukunft zeigen: Welche Utopie und Vision, die Kritik am gegenwärtigen enthalten müssen, können anhand dieser Realität z. B. mit spielerischen, künstlerischen, kreativen Mitteln entwickelt werden?“. 394 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Briefe Gansers an Hildegard Matthäus (MdL) und Klaus-Peter Kienitz (RAG) vom 26. 06. 1992.

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nung bedacht wurden. 395 Die Konzeption der Ausstellung musste also einerseits möglichst konkret auf die Umsetzung an einem bestimmten Ort hin entwickelt und andererseits gleichzeitig so offen gehalten werden, dass sie auch andernorts realisierbar gewesen wäre. Nach der Befürwortung des Ausstellungskonzepts durch das IBA-Kuratorium Anfang Juli 1992 wurden die Bemühungen zum Erhalt des Gasometers weiter vorangetrieben. Angesichts der drohenden Abrissgefahr gründete sich Mitte Juli 1992 ein „Initiativkreis Gasometererhalt“ 396. Die an die „lieben Gasometerfreunde“ adressierte Einladung zur Auftaktveranstaltung beschrieb den Gasometer als das „wohl eindrucksvollste Wahrzeichen unserer Stadt“, das endgültig vom Verschwinden bedroht sei, da es „absehbar wohl keine Zeit mehr geben [wird], in der derartige Anlagen neu errichtet werden müssen“. Hier wird erneut die Wahrnehmung der zeitlichen Zäsur deutlich, die das Ende des Industriezeitalters mit seiner noch unklaren Zukunft bedeutete. Wolfgang Roters, Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung im Landesministerium für Stadtentwicklung und Verkehr unter Christoph Zöpel, wies den Oberstadtdirektor der SPD-regierten Stadt Oberhausen in seiner Funktion als Leiter der Unteren Denkmalbehörde an, den Gasometer bis zur Eintragung in die Denkmalliste unbedingt und mit allen „rechtlichen Instrumenten[n]“ 397 vor dem Abriss zu bewahren. In Abstimmung mit Roters erarbeitete Karl Ganser ein Papier, das neben Ausführungen zu Bedeutung und Eigentumsverhältnissen auch Vorschläge zu Nutzungsperspektive, Trägerschaft und Förderstrukturen für den Gasometer entwarf. 398 Auf dieser Grundlage bestätigte ein Verwaltungsgespräch Ende September 1992 den Denkmalwert des Gasometers und seine

395 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Vermerk zum Gespräch FEUER UND FLAMME am 07. 01. 1992 vom 08. 01. 1992; Vermerk zum Gespräch FEUER UND FLAMME am 24. 02. 1992 vom 26. 02. 1992. 396 AHGR Bochum, IBA/216 A, Einladung zur Auftaktveranstaltung am 14. 07. 1992. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 397 AHGR Bochum, IBA/216 A, Fax von Wolfgang Roters an den Oberstadtdirektor der Stadt Oberhausen, Burghard Drescher vom 15. 07. 1992. 398 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Denkmodell Gasometer. Neben Ausführungen zum Denkmalwert entwickelte Ganser in dem Papier vor allem einen Vorschlag für die zukünftige Nutzung des Gasometers als Ausstellungshalle, für die sich nach den bereits konzipierten Projekten Feuer und Flamme 1994 und der ‚Triennale Ruhrgebiet‘ 1995 weitere Ausstellungsprojekte finden lassen würden. Für die Sicherung der Trägerschaft schlug er die Gründung einer Stiftung vor, die sich aus Kapital der RAG und Sponsorengeldern speisen sollte. Der Erhalt war für Ganser ein klar aus Top-down-Richtung zu organisierendes Projekt, wie Überlegungen zur zeitlich und organisatorisch einzuhegenden Einbindung bottom-up gerichteter Initiativen ganz am Schluss des Papiers zeigen: „Zur rechten Zeit und in einer angemessenen Form sollten auch die bürgerschaftlichen Initiativen, die sich für den Erhalt des Gasometers einsetzen, einbezogen werden“, ebd., S. 12.

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herausragende Bedeutung für die Stadt Oberhausen und das Ruhrgebiet als Region. 399 Die vorgeschlagene Nutzung als Ausstellungsort fand positive Resonanz als „in Europa wohl einmalige Ausstellungshalle für Kunst und Kultur“ 400. Neben ersten Vorschlägen zur Finanzierung der Sanierungsarbeiten wurde mit einer Kooperation zwischen KVR und Stadt Oberhausen eine geteilte Trägerschaft vorgeschlagen, die Erhalt und Nutzung des Gasometers als „Gemeinschaftsprojekt des Ruhrgebiets“ realisieren sollten. Einen ersten Förderantrag zur Deckung der Sanierungskosten stellte die Stadt bereits wenige Tage später an das Ministerium. 401 Zwei Wochen nach dem Verwaltungsgespräch wurde schließlich auch das Verfahren zur Eintragung des Gasometers in die Denkmalliste eingeleitet und das Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr veranlasste eine Aussetzung aller Maßnahmen, die der beantragten Unterschutzstellung entgegenlaufen würden. 402 Für diese zügige Entwicklung war der persönliche Einsatz Karl Gansers besonders entscheidend gewesen, der über seine Funktion als Geschäftsführer der IBA-Planungsgesellschaft die Stadt- und Regionalplanung zum Instrument einer Erweiterung des konventionellen Denkmalbegriffs machte. Schien die Ausweisung des ehemaligen Gasbehälters als Denkmal somit zunächst auf einem guten Weg, regte sich in der Kommunalpolitik Widerstand, der vom ‚Initiativkreis Gasometererhalt‘ als Ausweis provinzieller und kurzfristiger Politik kritisiert wurde. 403 Der FDP-Landtagsabgeordnete und Ratsmitglied der Stadt Oberhausen Heinz Lanfermann hielt dagegen, beim Gasometer handle es sich keinesfalls um ein „einzigartiges Industriedenkmal“ 404, sondern um „eine abgenutzte und verschmutzte Industrieruine“ 405. Die zur Sanierung nötige Investition in zweistelliger

399 AHGR Bochum, IBA/216 A, Protokoll des Verwaltungsgesprächs zum Gasometer Oberhausen am 23. 09. 1992 vom 7.10.1992. Auf Einladung des Oberstadtdirektors waren an dem Gespräch neben Roters und Ganser noch Ltd. Ministerialrat Collinet und Vertreter der RAG beteiligt. Die RAG sagte zu, dem zukünftigen Träger Kapital in Höhe der eingesparten Abrisskosten von 1,5 Mio DM zur Verfügung zu stellen. 400 Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 401 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Zuwendungsantrag der Stadt Oberhausen an das Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW vom 29. 09. 1992. 402 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 A, Schreiben zur Unterschutzstellung des Gasometers, am Grafenbusch, Oberhausen – Ministeranrufungsverfahren gemäß § 21 (4) Satz 3 DSchG vom 9.10.1992. 403 Vgl. Dratz, Uli: Hände weg, in: WAZ, 10. März 1993. 404 Ebd. Dratz verfasste den Artikel im Auftrag des Bürgerbündnisses zum Erhalt des Gasometers, war aber als Architekt und Leiter eines lokalen Architektur- und Planungsbüros über sein Engagement im Initiativkreis hinaus auch beruflich mit Fragen der Umnutzung ehemaliger Industrieareale befasst. 405 Lanfermann, Heinz: Gasometer ist überhaupt kein Denkmal, in: NRZ, 17. März 1993. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Millionenhöhe wertete er angesichts der klammen städtischen Haushaltslage in Hinblick auf die Finanzierung von sozialen Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder gewachsener geschichtskultureller Institutionen wie dem Rheinischen Industriemuseum oder des Stadtschlosses als Verschwendung. Die Auszeichnung eines Industriebauwerks als Denkmal und seine Deutung als städtisches oder gar regionales Wahrzeichen erschien mit Referenz auf einen konventionellen Denkmalbegriff, der nur traditionell als kulturell wertvoll eingestufte Baudenkmäler als erhaltenswert anerkannte, als absurder und von persönlicher Profilierungssucht getriebener Gedanke. Mit Blick auf die Bemühungen Gansers stellte Lanfermann klar: „Der Ga(n)someter ist nicht Neuschwanstein und wird auch kein Kölner Dom.“ Obwohl Industriebauwerke im nordrhein-westfälischen Denkmalschutz zu diesem Zeitpunkt bereits seit gut zwei Jahrzehnten eine wichtige Rolle spielten, illustriert die Debatte um den Erhalt des Gasometers zum einen eindrücklich, welche Beharrungskräfte eine auf bürgerlichen Idealen fußende Denkmalkultur noch immer entfaltete und zum anderen, welche Bedeutung der Einsatz von Einzelpersonen wie Ganser – nicht zuletzt über die Mobilisierung ihrer persönlichen Netzwerke – für den Wandel der denkmalpflegerischen Praxis hatte. 406 Auf die Verkündung des Oberstadtdirektors, dass der Minister die Unterschutzstellung des Gasometers angeordnet habe und eine neue Nutzung in Kooperation mit der IBA Emscher Park erarbeitet werde, 407 reagierte die Opposition im Stadtrat entsprechend ungehalten. Auch in der Kommentierung seitens der regionalen Presse wurde das Vorgehen des Oberstadtdirektors Drescher mitunter als voreilig bewertet und der Handlungsdruck vor allem darauf zurückgeführt, dass die IBA „den Ga(n)someter für sich entdeckte“ 408. Dagegen betonte ein Vertreter der CDU-Ratsfraktion, es sei „noch alles offen“ 409, was den Erhalt und die Unterschutzstellung des Gasometers angehe. Ebenso wie die FDP-Fraktion lehnte auch die CDU die Investition von Steuermitteln angesichts der städtischen Wirtschaftslage ab, auch wenn sie dem Erhalt des Gasometers selbst positiv gegenüberstand. Die SPD-Fraktion erwiderte, der Strukturwandel sei nicht allein durch Sparmaßnahmen zu managen. Sie betonte daher das Potenzial des Gasometers als positivem Wirtschaftsfaktor in der Bewältigung

406 Zum Wandel der denkmalpflegerischen Praxis siehe auch Kapitel 3.2. 407 Vgl. N. N.: Stadt: Gasometer kommt unter Denkmalschutz. Anweisung des Städtebauminister liegt Drescher vor, in: NRZ, 24. März 1993. 408 Scheffler, Hans-Walter: Mit Riesenschritten, in: WAZ, 20. April 1994. 409 Heinz-Jörg Eckhold, zitiert nach N. N.: Gasometer: Noch alles offen? Dr. Eckhold (CDU) widerspricht Oberstadtdirektor Drescher, in: NRZ, 25. März 1993.

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des Strukturwandels, der ein „neues Aushängeschild“ 410 für die Stadt zu werden verspräche. Die Debatte zeigt, dass der Erhalt industrieller Großanlagen nicht nur als Gewinn für die Denkmallandschaft, sondern vor allem auch als finanzielles Risiko gesehen wurde. Der Druck, dieses Risiko kalkulierbar zu machen, machte es notwendig, die Bauwerke als Symbole eines erfolgreichen Wandels und keinesfalls nur als Zeugen des vergangenen Industriezeitalters umzudeuten. Der Erfolg dieser symbolischen Umdeutung und somit des Erhalts selbst hing von einer erfolgreichen und langfristigen Nachnutzung ab, die für die vom Strukturwandel finanziell stark belasteten Kommunen möglichst kostenneutral auszufallen hatte. Der Ratsbeschluss zur Übernahme von Eigentum und Sanierung des Gasometers wurde daher an die Bedingung geknüpft, dass für die Stadt keine Kosten entstehen oder Mittel für andere städtebauliche Maßnahmen zugunsten des Gasometers verwehrt werden durften. Die ersten zwei großen Ausstellungsprojekte mussten zudem durch die IBA „festgebucht“ 411 und aus eigenen Mitteln getragen werden. ‚Feuer und Flamme‘ kam somit als Auftakt für eine Nutzung des Gasometers als neuartiger Ausstellungsort immense Bedeutung zu. Die Ausstellung sollte dazu beitragen, das im stadtplanerischen Umbruch befindliche Areal der ‚Neuen Mitte Oberhausen‘ gelegene Industriedenkmal mit symbolischer Bedeutung aufzuladen. So sollte der Gasometer zum „ideelle[n] Bindeglied zwischen der industriellen Vergangenheit und der modernen Zukunft“ 412 Oberhausens werden. Damit diese symbolische Umdeutung gelingen konnte, galt es allerdings, unbedingt die erfolgreiche Nachnutzung des denkmalgeschützten Bauwerks sicherzustellen. In einer zwischen IBA Emscher Park, der städtischen Grundstücksentwicklungsgesellschaft, dem Generalbauunternehmer und der Stadt Oberhausen im Mai 1994 geschlossenen Qualitätsvereinbarung hieß es daher: Bei adäquater Nutzung wird sich der Erhalt des Gasometers nicht fortschrittshemmend auswirken. Er wird vielmehr, in eine neue Funktion gebracht und mit neuer Sinnhaftigkeit verbunden, zu einem Zeichen des Wandels werden, das Ausstrahlungskraft weit über Oberhausen hinaus entwickeln wird. 413 410 Burkhard Drescher, zitiert nach ders.: Noch schwankt der Gasometer. Entscheidung fällt Montag, in: WAZ, 20. April 1993. 411 AHGR Bochum, IBA/217 A, Beschlussvorlage zum Beratungsgegenstand ‚Nachfolgenutzung Gasometer‘ im Rat der Stadt Oberhausen am 26. 04. 1993. Weitere Bedingungen waren die verbindliche Zusage einer Zahlung der eingesparten Abrisskosten in Höhe von 1,5 Mio DM durch die RAG und die Abnahme der Sicherheitsprüfung für die Nutzung des Gasometerinnenraums durch den TÜV. 412 Ebd. 413 AHGR Bochum, IBA/219 A, Qualitätsvereinbarung Gasometer Oberhausen, Gelsenkirchen Mai 1994.

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Eine auf Fortschritt ausgerichtete Zukunft konnte der Gasometer als seiner ursprünglichen Funktion verlustig gewordenes Relikt der industriellen Vergangenheit von Stadt und Region durch schlichte Bewahrung nicht nur nicht symbolisieren, sondern er erschien vielmehr noch als Bedrohung des Fortschritts. Die Bewahrung eines als in seiner materiellen Monumentalität herausragenden Industriebauwerks, das durch seine Stilllegung nicht mehr Fortschrittsglaube und Technikoptimismus, sondern vielmehr deren Niedergang zu symbolisieren drohte, erscheint hier nicht einfach als Kompensation des Verlusts eines auf Fortschritt ausgerichteten Zukunftsglaubens im Sinne Lübbes. Die Notwendigkeit, das Bauwerk zum Symbol von Wandel umzudeuten, um eine „fortschrittshemmend[e]“ Wirkung zu verhindern, verweist vielmehr auf die von Rüdiger Graf konstatierte „diskursive Persistenz des Fortschrittsbegriffs“ 414 gut zwanzig Jahre nach dem vielfach diagnostizierten Ende der Fortschrittseuphorie seit den 1970er Jahren. 415 Die Debatte um den Erhalt des Gasometers zeigt, dass die Bewahrung von Industriebauwerken weniger der Kompensation eines verlorenen Fortschrittsdenkens diente, sondern durch eine spezifische historische Sinnbildungsleistung vielmehr die Basis für eine reformierte Fortschrittserzählung bilden sollte, die vor allem von Seiten der Akteur*innen aus Lokal- und Regionalpolitik im Zuge der planerischen Zukunftsgestaltung postuliert wurde. 416 Für die Ausstellungsmacher der Lenkungsgruppe hingegen war es gerade der Abstand von einer Fortschrittserzählung, der den Gasometer als „Ort des Abgesangs des klassischen Industriezeitalters [. . . ], der einen dis-

414 Graf (2016), S. 91. 415 Vgl. dazu Kapitel 1.3.1. 416 Vgl. dazu auch den Entwurf einer Rede der Bereichsleiterin Kultur / Denkmalpflege der IBA Emscher Park, Helene Kleine, vor der CDU-Frauenunion im Kreisverband Oberhausen am 22. 04. 1994: „[. . . ] Der Gasometer ist nicht nur wichtig als Dokument der Industrialisierung, des Montankomplexes und der Gaswirtschaft. Er ist eine Art ‚Gedächtnisspeicher‘, der jedoch nicht nur den Blick zurücklenken soll. Er soll vielmehr zu einer Wegmarke von der industriellen Vergangenheit in die Zukunft werden. [. . . ] Die baulichen Zeugen der industriellen Vergangenheit werden heute häufig als kulturlos, als fortschrittshemmend und imageschädigend betrachtet. Gerade bei den ‚Giganten‘, wie dem Gasometer, erscheinen neue Nutzungen kaum vorstellbar und auch bezüglich des notwendigen finanziellen Aufwandes unkalkulierbar. Auch beim Gasometer gab es, nachdem er aus seiner Funktion entlassen wurde, rasch die Forderung nach Abriß und zwar mit o. g. Argumenten. Genauso leidenschaftlich wie fürs ‚Plattmachen‘ gestritten wurde, wurde aber auch der Erhalt als unverzichtbar eingefordert. [. . . ] Aber, wie gesagt, es muß über den Blick zurück hinausgehen. Ich bin sicher, daß der Gasometer, in eine neue Funktion gebracht und mit neuer Sinnhaftigkeit verbunden, zu einem Zeichen des Wandels werden wird, das Ausstrahlungskraft über Oberhausen hinaus entwickeln wird. [. . . ]“, AHGR Bochum, IBA/218 A, Redemanuskript ‚Geschichte und Zukunft des Gasometers Oberhausen‘.

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tanzierten Blick erlaubt und die Ausstellung nicht mit der Fortschrittseuphorie, wie es z. B. die Jahrhunderthalle leisten würde, belegt“ 417, als Ausstellungsort attraktiv machte. Als der Stadtrat Ende April 1993 unter den genannten Bedingungen für die Übernahme von Eigentum und Sanierung des Gasometers durch die städtische Grundstücksgesellschaft stimmte, 418 war also einerseits der Ausstellungsort für ‚Feuer und Flamme‘ gesichert, andererseits aber das finanzielle Korsett zur Realisierung der Ausstellung eng geschnürt. Die finanziellen Verpflichtungen der IBA Emscher Park als Trägerin der Ausstellung sowie durch den begrenzten Finanzrahmen für „die Sanierung und Verfügbarmachung des Gasometers als Ausstellungsraum“ 419 machten die Umsetzung der bis dahin geplanten Ausstellungsarchitektur unmöglich. Zur Erschließung des ehemaligen Gasbehälters als Ausstellungsraum sollte ein von Jürg Steiner entworfener Turm in das Gebäude eingebaut werden, der über ‚Feuer und Flamme‘ hinaus als Ausstellungsturm nutzbar sein sollte. 420 Die fehlende Finanzierung für den Ausstellungsturm, dessen Planung bereits im Vorfeld vor

417 AHGR Bochum, IBA/217 A, Gesprächsvermerk zum Sachstand und weiteren Vorgehen zwischen Ganser, Seltmann, Lenkungsgruppe und Team ‚Feuer und Flamme‘ am 16. 04. 1993 vom 23. 04. 1993. 418 Vgl. AHGR Bochum, IBA/217 A. Der Stadtrat stimmte mit knapp 60 Prozent für den Erhalt. 419 AHGR Bochum, IBA/217 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung Feuer und Flamme am 14. 05. 1993, S. 2. Der Aufsichtsrat war Ende des Jahres 1992 zu seiner Gründungssitzung zusammengekommen und hatte in diesem Zuge unter anderem die Gründung eines Projektbüros gebilligt, das ab diesem Zeitpunkt unter Leitung von Projektsekretärin Ursula Eymold die organisatorische Abwicklung der Ausstellung übernahm. Den Vorsitz des Aufsichtsrats übernahm die CDU-Landtagsabgeordnete Hildegard Matthäus, die ihren privaten Wohnsitz in unmittelbarer Nähe des Gasometers hatte. Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 B, Aufsichtsrat ‚Feuer und Flamme‘, Gründungssitzung am 16. 12. 1992, Tagesordnung. 420 Der Ausstellungsturm sollte für ‚Feuer und Flamme‘ gebaut werden, aber in seiner Gestaltung veränderbar und somit langfristig für nachfolgende Ausstellungen nutzbar sein. Der Einbau des Turms in den Gasometer sollte die Nutzung des Gebäudes in seiner gesamten vertikalen Ausprägung ermöglichen, ohne das absehbar unter Denkmalschutz stehende Bauwerk selbst zu verändern. Die Innenwand des Gasbehälters sollte vom Turm aus durch Projektionen als Ausstellungsfläche nutzbar gemacht werden. Im Turm selbst sollten Kabinette unterschiedlicher Größen sowie Ruhezonen und Gastronomie eingerichtet werden. Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 B, Konzept für einen Ausstellungsturm im Gasometer Oberhausen vom Architektenbüro Steiner, Stand 17. 01. 1993. Während die Mittel zur Sanierung des Gebäudes vom Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr bereits seit Ende des Vorjahres zugesichert worden waren, war die Finanzierung des Ausstellungsturms die ganze Zeit über unsicher geblieben; vgl. AHGR Bochum, IBA/216 B, Protokoll der Sitzung des Kuratoriums der Emscher Park Bauausstellung am 03. 12. 1992. Sowohl ‚Feuer und Flamme‘ als auch die ‚Triennale Ruhr‘ wurden in der Sitzung als „herausragende Projekte der Zwischenpräsentation“ diskutiert, denen ein hoher Werbeeffekt für die gesamte IBA Emscher Park beigemessen wurde.

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allem durch Brandschutzfragen und das Engagement einer lokalen Baufirma als Generalunternehmer zusätzlich zum Architekten stetig komplizierter und teurer geworden war, bedeutete für die Planungen zur Ausstellungsgestaltung einen radikalen Bruch. Die ungewöhnliche und für die Planung konstitutive Ausstellungsinszenierung in der Vertikalen, die mit einem Ausstieg der Besucher*innen auf dem Gasometerdach „und damit einem weiten Blick über die sich wandelnde Landschaft des Reviers“ 421 enden sollte, drohte zu kippen. Die Lenkungsgruppe aus Steiner, Korff, Borsdorf und Brüggemeier sah sich in ihren Planungen derart torpediert, dass die Diskussion der Konsequenzen mit dem Auftraggeber IBA Emscher Park bis zur Aufgabe des Projekts reichte, da die Abwendung von der Idee des Ausstellungsturms ein völlig verändertes Raumkonzept bedeutete. 422 Besonders die schwierigen kommunalpolitischen Verhandlungen sowie die Einbindung der externen Baufirma, deren Planungen und Maßnahmen über die Veränderung des Finanzbudgets auch direkten Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der Ausstellung hatte, wurden von den Ausstellungsmachern als unkalkulierbare Risiken in Hinsicht auf den engen Zeit- und Finanzrahmen gewertet. Die IBA als Auftraggeber war einerseits Garant der hohen Priorität und der Unterstützung des Ausstellungsprojekts insgesamt, andererseits aber auch der ausschlaggebende Faktor für die Lenkungsgruppe, sich wider Willen von der vertikalen Inszenierung zu verabschieden. Um diese Idee in Grundzügen zu retten, sollte ein Panoramaaufzug mit Haltepunkten in unterschiedlicher Höhe an der Innenseite des Gasometers angebracht und an der Außenseite um eine Treppenkonstruktion mit „Aufstiegshilfe“ und „Notaufzug“ ergänzt werden. Die bewegliche Scheibe, die früher bei unterschiedlichen Füllständen das konstante Druckverhältnis des gespeicherten Gasvorrats herstellte, sollte nun entgegen der ursprünglichen Planung angehoben werden und somit den Raum unter- und oberhalb der Scheibe als horizontale Ausstellungsfläche nutzbar machen. Die Auslagerung von Gastronomie und anderen Funktionsbereichen wie Kasse, Shop und Toilettenanlagen sollte die Ausstellungsfläche trotz der radikalen Umplanung vergleichbar groß halten, sodass bei den geplanten Inhalten keine Kürzungen nötig würden. So sollte die Gestaltungshoheit der Lenkungsgruppe gegenüber den politischen und finanziellen Zwängen zumindest auf inhaltlicher Ebene gewahrt bleiben.

421 AHGR Bochum, IBA/217 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung Feuer und Flamme am 14. 05. 1993, S. 2. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 422 Vgl. AHGR Bochum, IBA/217 A, Gesprächsprotokoll zwischen Ganser, Seltmann und der Lenkungsgruppe vom 02. 04. 1993.

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Wie schon in der Debatte um den Erhalt des Gasometers erwiesen sich auch in der Diskussion um die Inhalte der Geschichtsausstellung die Deutungsangebote zu den Bereichen von Gegenwart und Zukunft als die umstrittensten. Der mit der historischen Ausstellung verbundene Anspruch, nicht nur die Vergangenheit des Ruhrgebiets darzustellen, sondern sich auch zu den Problemen der Gegenwart und Perspektiven der Zukunft zu positionieren, wurde immer wieder betont. Angesichts der radikalen Kontingenzerfahrungen des Strukturwandels und der politischen Umbrüche seit 1989 stellten sich die „Fragen nach der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Region [. . . ] in akuter Grundsätzlichkeit“ 423, wie es in einem Dokument zu den Prinzipien der Ausstellung hieß. Nicht nur die industrielle Vergangenheit, sondern alle zeitlichen Dimensionen der ehemaligen Industrieregion standen zur Disposition, weshalb der Blick auf die Zeit der Industrialisierung mit Perspektive auf die mit ihr „einhergehenden Utopien und Ideologien eine interpretative Perspektive, die auch für die Erfahrungen der Menschen offen ist, Gegenwart und Zukunft thematisiert“, leisten sollte. Dies sollte auch den Besucher*innen von vorneherein kommuniziert werden, indem der partizipativ angelegte Teil der Ausstellung – ein Musée Sentimentale 424 gebildet aus mit von Bürger*innen der Stadt eingereichten Objekten – bereits im ersten Presseaufruf ebenfalls den Zukunftsaspekt der Ausstellung betonte. 425 Während dieser Teil der Ausstellung im Aufsichtsrat große Zustimmung fand, war die Gestaltung 423 AHGR Bochum, IBA/217 A, Feuer und Flamme, Prinzipien der Ausstellung. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 424 Zum von Daniel Spoerri und Marie-Louise von Plessen Ende der 1970er Jahre entwickelten Ausstellungskonzept des Musée Sentimental vgl. Fink, Dortje: Le Musée Sentimental de Cologne (1975), in: Dold, Vincent / Schulze, Mario / te Heesen, Anke (Hg.), Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015, S. 96–107; Heesen, Anke te / Andreae, Stephan / Bräuning, Denise (Hg.): Musée sentimental 1979. Ein Ausstellungskonzept, Ostfildern 2011; Plessen, Marie-Louise von / Spoerri, Daniel: Le Musée sentimental de Prusse. Aus großer Zeit! Eine Ausstellung der Berliner-Festspiele-GmbH im Berlin Museum vom 16. August bis 15. November 1981, Berlin 1981; Kölnischer Kunstverein: Entwurf zu einem Lexikon eines Musée Sentimental de Cologne. Reliquien und Relikte aus zwei Jahrtausenden „Köln Incognito“ nach einer Idee von Daniel Spoerri, Köln 1979. 425 Vgl. AHGR Bochum, IBA/216 B, Entwurf zum Presseaufruf „Fensterkissen und Mutterklötzchen im Gasometer“: „Doch interessiert hier nicht nur, woher wir kommen und wo die Wurzeln unserer Gesellschaft liegen. Vor dem Hintergrund eines weltweit zu beobachtenden Wandels, der im Ruhrgebiet seit langem hautnah zu erleben ist, stellt sich vor allem die Frage nach den Zukunftsperspektiven. Auch auf diese Themen will ‚Feuer und Flamme‘ eingehen.“ Auch hier wird deutlich, inwiefern der strukturelle Wandel als Kontingenzerfahrung Fragen nach der Zukunft aufwarf, die das Ruhrgebiet beispielhaft für den weltweiten Wandel der Industriegesellschaften beantworten sollte. Der Aufruf stellte einen Versuch dar, auch die Bevölkerung am Finden einer Antwort zu beteiligen.

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der übrigen Abteilungen in Bezug auf die Balance zwischen lokaler und globaler Perspektive 426 und hinsichtlich der Inszenierung noch durchaus umstritten. Von Seiten des Aufsichtsrats wurde eine zu abstrakte, künstlerische und zu wenig von Objekten getragene Darstellung kritisiert sowie insgesamt auf eine stärkere Einbindung spektakulärer Objekte gedrängt. Für die Ausstellungsmacher diente diese Form der Präsentation vor allem der Abgrenzung von einer sich aus ihrer Sicht durch einen objektbezogenen Realismus auszeichnenden Ausstellungshandschrift der Industriemuseen. 427 Insbesondere bei der Gestaltung der Abteilungen zur Gegenwart erwies sich der Wunsch des Aufsichtsrats nach mehr Objekten aus Sicht des Ausstellungsteams als für die Prinzipien der Ausstellung unangemessen. Die starke Diskussion um diese Ausstellungsabteilung, die vor allem die „Beschleunigung aller Prozesse“ 428 als grundlegende Zeiterfahrung erzählen sollte, führte bis zur Erwägung, die Gegenwart aus der Ausstellung zu streichen, um sich nicht zu angreifbar für Kritik zu machen – eine Idee, die aber sogleich wieder verworfen wurde, da es sich insbesondere aus Sicht der verantwortlichen IBA-Mitarbeiter um den „spannendsten“ 429 Teil der Ausstellung handelte. Der Anspruch, Gegenwart und Zukunft zum Teil der Geschichtsausstellung zu machen, bedeutete gleichwohl noch keinesfalls Klarheit darüber, wie diese Teile erzählt werden sollten. Einzig über

426 Sowohl für das Leitungsteam der Ausstellung als auch für Ganser war der Anspruch, das Globale über das Lokale und den Einfluss des Globalen auf das Lokale zu erzählen, zentral. Die Architektur des Gasometers in seiner imposanten räumlichen Materialität wurde hierfür als gestalterisches Mittel funktionalisiert, wie aus der Argumentation Borsdorfs gegen eine Stärkung der lokalen Perspektive hervorgeht: „Die Dimensionen des Gasometers erlauben es uns weit zu denken. Es geht uns um die ‚Welthaltigkeit der Emscher‘“, AHGR Bochum, IBA/217A, Protokoll der 2. Sitzung des Aufsichtsrats ‚Feuer und Flamme‘ am 16. 04. 1993 vom 20. 04. 1993. 427 Vgl. ebd. Hieran werden nochmals die in Punkt 2.1.2 beschriebene Konkurrenz und der Einfluss dieses Konkurrenzverhältnisses auf die jeweilige Ausstellungspraxis der regionalen geschichtskulturellen Institutionen deutlich. Die Bewertung der Ausstellung durch Eckhard Schinkel, Referent im Westfälischen Industriemuseum, fiel dementsprechend negativ aus. Die Ausstellung und mit ihr die IBA habe einen Blick von außen eingenommen, der das in der Region vorhandene Wissen und Potenzial, das sich etwa im Geschichtswettbewerb oder der breiten Forschungsliteratur zeige, ignoriert. Die Inhalte der Ausstellung seien unverständlich geblieben, hätten durch die starke Inszenierung und Zuspitzung von Objekten auf ihren Symbolcharakter an Aussagekraft verloren; Ausstellung, Katalog und Werbeplakate – „Alles eine Spur zu abgehoben, zu abstrakt“, Schinkel, Eckhard: Feuer & Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet. Die Ausstellung aus dem Elfenbeinturm, in: Industrie-Kultur 1 (1995) 1, S. 62–63, S. 62. 428 AHGR Bochum, IBA/216 B, Entwurf des Ausstellungsdrehbuchs, Stand 07. 02. 1993. 429 AHGR Bochum, IBA/217A, Vermerk zum Gespräch über Konsequenzen aus der Aufsichtsratssitzung am 16. 04. 1993 zwischen Ganser, Seltmann, Lenkungsgruppe und Team ‚Feuer und Flamme‘ am 21. 04. 1993 vom 26. 04. 1993.

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den inszenatorischen Höhepunkt herrschte Einigkeit: Nachdem die Besucher*innen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchlaufen hatten, sollten sie auf dem Gasometerdach aussteigen, von wo sich ihnen der Blick auf die sich wandelnde Landschaft des Ruhrgebiets eröffnen würde. Der Gasometer selbst sollte also mit seiner für einen Ausstellungsraum eigentümlichen Atmosphäre und Architektur zu einem Imaginationsraum werden, der basierend auf der industriellen Vergangenheit Zukunftsperspektiven aufzeigen und sie den Besucher*innen für den Ausstieg mit Blick über die sich wandelnde Industrielandschaft gleichsam bereitstellen sollte. Welche Zukunftsperspektiven dies sein könnten, 430 war allerdings im höchsten Grade ungewiss. Ungeachtet dessen beharrten vor allem die im Aufsichtsrat der Ausstellung vertretenen Politiker*innen sowie die Planer*innen der IBA Emscher Park nachdrücklich auf der Notwendigkeit einer Zukunftserzählung in der Ausstellung. Unter den beteiligten Geschichtswissenschaftler*innen war die Ausgestaltung und Sinnhaftigkeit einer solchen Narration dagegen deutlich umstrittener. Fürchtete ein Mitglied des Aufsichtsrats etwa das Abgleiten in Banalität und konstatierte, nach den 1980er Jahren gebe es gar keine Vorstellungen von Zukunft mehr, 431 stellte Borsdorf als einer der in der Lenkungsgruppe zur Ausstellung tätigen Historiker fest, dass seiner Zunft zu Gegenwarts- und Zukunftsdiagnosen schlicht das „Handwerkszeug“ 432 fehle. Diskutiert wurde, ob man überhaupt Zukunftsprognosen wagen und nicht vielleicht besser Soziolog*innen zu Rate ziehen solle, um die den Historiker*innen fehlende Kompetenz wettzumachen. Die hier deutlich werdende Skepsis gegenüber der Aufgabe, Gegenwartsdiagnosen aufzustellen und Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, sollte über das Aufzeigen von Ambivalenzen und einen starken Einbezug künstlerischer Perspektiven gelöst werden. Das Prinzip einer stark auf Kunst als inszenatorisches Mittel setzenden Ausstellungsgestaltung schlug sich auch in der Konzeption der Werbung nieder. Das Grundmotiv für die zu erstellenden Werbemittel sollte eine künstlerisch verfremdete Darstellung des Gasometers als „rot-orangenes

430 Geplant war eine „Lupe“, die den Blick auf die Themen Ökologie, Wachstum und ein neu geordnetes Europa nach 1989 legen sollte. Die „Energiefrage“ sei auch nach dem Ende des auf der Verwertung fossiler Brennstoffe fußenden Industriezeitalters „entscheidend für die Zukunft“, weshalb sie durch eine Kunstinstallation mit dem Motiv einer Sonne in den Mittelpunkt gestellt werden sollte, vgl. AHGR Bochum, IBA/216 B, Entwurf des Ausstellungsdrehbuchs, Stand 07. 02. 1993. 431 Vgl. AHGR Bochum, IBA/217A, Protokoll der 2. Sitzung des Aufsichtsrats ‚Feuer und Flamme‘ am 16. 04. 1993 vom 20. 04. 1993. 432 AHGR Bochum, IBA/217B, Protokoll Team-Quartett-Besprechung vom 29. 07. 1993.

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‚flammenfarbenes‘ Rechteck“ 433 auf hellgrünem Grund sein. 434 Während die graphische Gestaltung der Werbemittel schnell unstrittig war, erwies sich die Durchführung vor allem in Hinblick auf die Finanzierung als problematisch, da nicht nur die Ausstellung, sondern vor allem auch der Ausstellungsort beworben werden mussten: „die besondere Problemlage ist, eine Werbestrategie muß darauf eingehen, daß der Ort Gasometer in der Öffentlichkeit noch keine Bedeutung hat. Deshalb soll in zwei Etappen vorgegangen werden: zuerst Gasometer, dann Ausstellung.“ 435 Ein Vertreter des beauftragten Werbebüros betonte, „daß versucht werden sollte, gerade weil der Gasometer noch ohne Vorstellung bei den Menschen ist, einen Kulturwert zu schaffen. Es müßte gelingen, die Geschichte des Ruhrgebietes auf dem Gasometer zu verdichten.“ 436 Die Pressearbeit sollte also zuallererst den Gasometer als symbolischen Ort der Ruhrgebietsgeschichte konstruieren und Besucher*innen darüber für die Ausstellung gewinnen. Die Finanzierung der Werbemaßnahmen sollte über die Einnahmen aus Eintrittsgeldern gedeckt werden, wobei mit einer Zahl von 80.000 Besucher*innen kalkuliert wurde – eine Größenordnung, die einerseits als realistisch bewertet und andererseits bewusst niedrig gehalten wurde, um keine Hoffnungen zu wecken, die aus Sicht des Aufsichtsrats nicht zu halten sein würden. 437 Entsprechend niedrig war auch der Werbeetat angesetzt, 438 dessen Überziehung durch die geplanten Werbemaßnahmen, insbesondere durch Rundfunkwerbung, schnell absehbar wurde. 439 Vorschläge, Gelder zur Aufstockung des Werbeetats aus anderen IBA-Projektmitteln oder gar aus den Mitteln zur Ausstellungsgestaltung herauszulösen, bedrohte die Gestaltungshoheit der Ausstellungsmacher*innen weiter, sodass sich ein wachsender Konflikt zwischen Ausstellungsteam und der IBA Emscher Park als Auftraggeber abzeichnete. Der unerwartete Erfolg der Ausstellung konnte diesen Konflikt nur vorübergehend überbrücken. 433 AHGR Bochum, IBA/219 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung ‚Feuer und Flamme‘ am 31. 01. 1994 vom 03. 02. 1994. 434 Zur Farbgebung vgl. die Umschlagsgestaltung des Katalogs Borsdorf, Ulrich (Hg.): Feuer & Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet. Die Ausstellung im Gasometer Oberhausen 19. Mai bis 15. Oktober 1995, Essen 21995. 435 AHGR Bochum, IBA/218 A, Gesprächsvermerk zum Werbekonzept ‚Feuer und Flamme‘ am 14. 01. 1994. 436 Ebd. 437 Vgl. AHGR Bochum, IBA/219 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung ‚Feuer und Flamme‘ am 31. 01. 1994 vom 03. 02. 1994. 438 Zur angesetzten Summe finden sich unterschiedliche Zahlen zwischen 260.000 und 350.000 DM, vgl. AHGR Bochum, IBA/219 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung ‚Feuer und Flamme‘ am 31. 01. 1994 vom 03. 02. 1994 und AHGR Bochum, IBA/219 A, Protokoll der Aufsichtsratssitzung ‚Feuer und Flamme‘ am 08.031994 vom 10. 03. 1994. 439 Vgl. ebd.

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Kamen nach der Eröffnung am 22. Juli 1994 anfangs nur wenige, war ‚Feuer und Flamme‘ am Ende nach gut drei Monaten Laufzeit mit knapp 200.000 Besucher*innen die erfolgreichste historische Ausstellung des Jahres. 440 Aus den in den Akten zur IBA Emscher Park erhaltenen Abschriften zweier Besucherbücher lässt sich die Resonanz der Ausstellungsbesucher*innen zwar nicht rekonstruieren, wohl aber erahnen. 441 So wurde die Ausstellung insgesamt sehr positiv bewertet und vor allem das besondere Raumerlebnis hervorgehoben. Der Erhalt des Gasometers fand Lob und weckte vielfach den Wunsch nach einer Verlängerung oder gar Verstetigung der Ausstellung. Viele Besucher*innen vermerkten, dass sie die Ausstellung bereits zum wiederholten Male besuchten und dass sie Assoziationen an eigene Erlebnisse und Erfahrungen wecke. Als Attraktion wurde besonders der Ausblick empfunden, der sich nach dem Ausstieg auf das Dach des Gasometers bot. Kritik übten Besucher*innen dagegen vielfach am unangenehmen Geruch im Innenraum, der bisweilen als Zeichen unzureichend ausgeführter Sanierungsarbeiten gewertet wurde. Mitunter stieß auch die ästhetisierende, stark auf künstlerische Elemente setzende Inszenierung auf Ablehnung, die „Abstrakte Geistes- und Mentalitätsgeschichte von einer Bildungselite – für eine Bildungselite, Kunst auf Kosten der Geschichte“ 442 präsentiere. Empörung verursachte außerdem eine in der Abteilung ‚Utopien‘ aufgestellte Hitlerbüste. Neben einer Reihe anderer – mit Ausnahme Rosa Luxemburgs und Clara Zetkins ausschließlich männlicher – bedeutender historischer Persönlichkeiten sollte sie Utopisten des Industriezeitalters repräsentieren. Während die Integration Hitlers in die Reihe der Utopisten als unangemessen empfunden wurde, stieß auch das Auslassen von Themen wie der Geschichte von Gastarbeiter*innen auf Kritik. Vereinzelt wurde auch das Fehlen von Zukunftsideen bemängelt, während hingegen die Unterschiede zu anderen geschichtskulturellen Institutionen, insbesondere den von der Regierung Kohl initiierten Häusern in Bonn und Berlin positiv hervorgehoben wurden. Wertschätzende oder in ironischer Aneignung vorgebrachte Vergleiche zum Haus der Ge440 Vgl. AHGR Bochum, IBA/219 B, Stellungnahme zur Kostenaufstellung für Feuer und Flamme vom 03. 01. 1995 von Franz-Josef Brüggemeier / N. N.: Feuer und Flamme. Ruhrgebietsschau wird wiederholt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Januar 1995; N. N.: Feuer und Flamme II, in: Die Zeit, 2. Juni 1995; Brüggemeier, Franz-Josef: Am Anfang kam kaum jemand, in: Eberspächer, Martina / König, Gudrun Marlene / Tschofen, Bernhard (Hg.), Museumsdinge. Deponieren, exponieren, Köln 22007, S. 215–216. Andere historische Ausstellungen des Jahres in Berlin, Köln oder Karlsruhe blieben unter 50.000 Besucher*innen und damit weit hinter ‚Feuer und Flamme‘, vgl. Große Burlage (2005), S. 237–239. 441 Vgl. AHGR Bochum, IBA 219 A, Auswertung vom ersten und zweiten Besucherbuch der Ausstellung ‚Feuer und Flamme‘. 442 Ebd.

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schichte in Bonn 443 verweisen auf die zeitgenössische Virulenz der Debatte über den Umgang mit Geschichte, die nicht nur die Darstellungsweisen der geschichtskulturellen Akteur*innen auf Seite der Ausstellungsmacher*innen prägte, wie bereits anhand der Analyse der Ausstellungsakten und Publikationen Gottfried Korffs beispielhaft gezeigt wurde. Vielmehr ordnete sie auch den Besuch von ‚Feuer und Flamme‘ in einen spezifischen Deutungskontext ein und ist Beleg für die im geschichtskulturellen Feld stattfindenden Aushandlungsprozesse um Geschichte als Bedeutung, die auch durch die Adressat*innen geschichtskultureller Medien wie etwa Ausstellungen konstituiert werden. Auch während der Laufzeit der Ausstellung spiegelten sich diese Aushandlungsprozesse in den Diskussionen zwischen IBA-Vertreter*innen, Aufsichtsrat und Ausstellungsmacher*innen. Obschon die Ausstellung insgesamt als überzeugend bewertet wurde, gab es wie schon in der Planungsphase vor allem Kritik an der Gegenwartsabteilung. Die Lenkungsgruppe rechtfertigte sich erneut mit dem Hinweis darauf, dass die Darstellung der Gegenwart für „Historiker naturgemäß ein schwieriges Unterfangen“ 444, aber vom Aufsichtsrat gewünscht gewesen sei. Die Kritik an der Darstellung Hitlers wurde dagegen als Problem bewertet, das sich mittels eigener Kompetenz lösen lasse, indem die Lenkungsgruppe den Ärger durch persönliche Kontaktaufnahme zu Kritiker*innen einzuhegen suchte. Als kaum einzuhegen erwies sich dagegen der weiter schwelende Konflikt um die Budgetüberschreitung, der sich bereits in den Diskussionen um die Werbemittel angedeutet hatte. Als sich die Überschreitung des Budgets im letzten Drittel der Ausstellungslaufzeit deutlicher abzeichnete, begann sich der Konflikt zwischen Lenkungsgruppe und IBA Emscher Park als Auftraggeber zuzuspitzen. Während die Lenkungsgruppe auf den großen Zeitdruck und die unkonventionellen Rahmenbedingungen des Projekts verwies, die eine detailgenaue Budgetplanung erschwert habe, wurde von Seiten der IBA Emscher Park mangelnde Transparenz

443 Im Besucherbuch finden sich gleich zwei Referenzen auf das Haus der Geschichte in Bonn: „Ich fand es sehr sensationell und beeindruckend, eine neue wichtige Form von Museum, für Sozialgeschichte, Arbeit Lebenswelt ect.pp [sic!] Hier ist sehr vieles möglich. Herzlichen Glückwunsch an Oberhausen. P.S. Ist das das ‚Haus der Geschichte‘, daß der Kanzler eigentlich wollte?!?“; „Man könnte meinen, der rote Pöbel hätte die Ausstellung organisiert. Viel zu kommunistisch alles. Sie sollten sich mal das Haus der Geschichte in Bonn ansehen. (H. Kohl)“, AHGR Bochum, IBA 219 A, Auswertung vom ersten und zweiten Besucherbuch der Ausstellung ‚Feuer und Flamme‘. 444 AHGR Bochum, IBA 219 A, Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates am 24. 08. 1994 vom 29. 08. 1994.

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und fehlende Steuerung moniert, die letztendlich die Rechenschaftspflicht der Planungsgesellschaft strapaziere. 445 Trotz dieses Konflikts, der nach Beendigung der Ausstellung seinen Höhepunkt erreichte, wurde noch während der Laufzeit über eine Neuauflage im kommenden Jahr diskutiert. Da aufgrund der klimatischen Bedingungen des Ausstellungsraums eine Öffnung über Winter nicht möglich war, entstand die Idee, ‚Feuer und Flamme‘ im Folgejahr in leicht veränderter Form zu wiederholen. Die Geschäftsführung der IBA wollte ihre Ziele allerdings bereits mit der Erstauflage der Ausstellung als erreicht verstanden wissen: Das Ziel der IBA, den Gasometer als Landmarke und Orientierungsmerkmal, als Denkmal der Technik und Industriegeschichte und als ungewöhnlichen Raum für ungewöhnliche Ausstellungen und Veranstaltungen ins öffentliche Bewußtsein zu rufen, ist mit ‚Feuer und Flamme‘ erfüllt. Gleichzeitig ist mit der Kombination Gasometer/,Feuer und Flamme’ der Anspruch der IBA, Zukunftsperspektiven auf der Grundlage einer Vergewisserung der Vergangenheit zu entwickeln, dargestellt. 446

Obwohl die inhaltliche Bilanz also auch von Seiten der IBA-Geschäftsführung durchweg positiv ausfiel, eskalierte der Blick auf die finanzielle Bilanz nach Abschluss der Ausstellung den bereits schwelenden Budgetstreit. 447 Eine dem Aufsichtsrat vorgelegte Kostenaufstellung zu Einnahmen und Ausgaben löste bei der Lenkungsgruppe entschiedenen Widerspruch aus, da der Streit um die „Kostenfrage“ 448 angesichts des trotz eines vergleichbar geringen Budgets und des hohen Zeitdrucks erreichten Publikumserfolgs als „Affront“ 449 verstanden wurde. Insbesondere der „geradezu beispiellose Einsatz der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die jetzt allerdings teilweise vor einer sehr ungewissen Zukunft“ 450 stünden, da ihre Beschäftigung nur auf Werkvertragsbasis realisiert wurde, werde durch den Budgetstreit nach Abschluss der Ausstellung konterkariert. Der Bitte um eine Dokumentation der Ausstellung, die möglicherweise nur in klei-

445 Vgl. AHGR Bochum, IBA 219 A, Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates am 04. 10. 1994. 446 AHGR Bochum, IBA 219 A, Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates am 04. 10. 1994. 447 Vgl. AHGR Bochum, IBA 219 B, Schreiben Franz-Josef Brüggemeiers an Karl Ganser und Gerhard Seltmann vom 03. 01. 1995 sowie Stellungnahme zur Kostenaufstellung ‚Feuer und Flamme‘ vom 03. 01. 1995. 448 AHGR Bochum, IBA 219 B, Schreiben von Franz-Josef Brüggemeier an Karl Ganser vom 21. 11. 1994. 449 AHGR Bochum, IBA 219 B, Schreiben Franz-Josef Brüggemeiers an Karl Ganser und Gerhard Seltmann vom 03. 01. 1995. 450 AHGR Bochum, IBA 219 B, Schreiben von Franz-Josef Brüggemeier an Karl Ganser vom 21. 11. 1994.

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ner Auflage als Dank an diese Mitarbeiter*innen ausgegeben werden sollte, und um Zahlung eines Übergangsgelds wurde mit Hinweis auf die Erwartbarkeit der Zahlungseinstellung nach Abschluss eines Werkvertrags nicht entsprochen. Der Konflikt um diese Ungewissheit persönlicher Zukünfte verweist auf die häufig prekären Beschäftigungsverhältnisse, unter denen geschichtskulturelle Akteur*innen arbeiten. Sie sollten neben den großen Summen zur Förderung einzelner Projekte und Institutionen bei der Analyse materieller Interessen innerhalb der im Feld stattfindenden Aushandlungsprozesse nicht aus dem Blick geraten. Im Fall von ‚Feuer und Flamme‘ lag die Lösung der „Kostenfrage“ vor allem im großen Erfolg der Ausstellung, da die unerwartet hohen Einnahmen die Überziehung des Budgets weitgehend deckten. Der immer wieder geäußerte Wunsch nach einer Verlängerung der Ausstellung sowie die Chance zur kostengünstigen Realisierung eines zweiten Ausstellungsprojekts im Gasometer führten schließlich zur Wiederauflage von ‚Feuer und Flamme‘ im folgenden Jahr. Der Erfolg der Ausstellung fand sein Echo auch in der Presseberichterstattung, welche die Ausstellung, vor allem aber den Ausstellungsort positiv rezipierte. Der Gasometer und seine Raumatmosphäre wurden als einzigartig beschrieben 451 und zur „bundesweit wohl originellsten“ 452, zur „aufregendsten Ausstellungshalle im ganzen Land“ 453 erklärt. Die Inszenierung im als ‚Industriekathedrale‘ bezeichneten Denkmal fand Lob als „anregende Mischung“ 454 aus Objekten und Kunstinstallationen, welche die Geschichte der Region „lebendig“ 455, „sentimental und spannend“ 456 präsentiere. Während die zur Repräsentation der industriellen Geschichte der Region ausgewählten Objekte mitunter als „Kumpel- und Steiger-Requisiten aus dem Pott“ 457 charakterisiert wurden, die zusammengenom451 Vgl. z. B. N. N.: Ein neues Leben für den Schwarzen Riesen. Europas größter Gasometer wird für 14 Millionen Mark zum Ausstellungsturm umgebaut, in: Bonner General-Anzeiger, 31. März 1994; Sack, Manfred: Feuer und Flamme, in: Die Zeit, 22. Juli 1994; Rossmann, Andreas: Feuer und Flamme. Erinnerungen an die Zeit der „Großen Industrie“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. August 1994; N. N. (1995); Koepke, Ralf: Und der Alpenverein besteigt die Stahlhütte. Wie die Internationale Bauausstellung im Ruhrgebiet die Umwandlung von Industriebrachen lostritt, in: Der Tagesspiegel, 24. Dezember 1995. 452 Koepke (1995). 453 Sack (1994). 454 N. N.: Industrie-Museum. Eine Kathedrale muss schließen, in: Focus, 24. Oktober 1994. 455 N. N.: IBN. Umnutzung eines Gasometers. Feuer und Flamme für einen Stahlkoloss, in: Handelsblatt, 9. September 1994. 456 Oller, Franz J.: Schock und Schalke. Geschichte des Ruhrpotts, sentimental und spannend, in: Süddeutsche Zeitung, 27. Oktober 1994. 457 Vom Hofe, Falk: Politiker hoffen auf den zweiten Versuch. Rau legt Grundstein für „Neue Mitte Oberhausen“, in: Bonner General-Anzeiger, 26. September 1994. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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men „eine Schau von Identifikationsstücken des Reviers“ ergäben, wurde die Präsentation der Gegenwartsabteilung als nicht mehr regional-spezifisch wahrgenommen. 458 Der in vielen Rezensionen als Highlight hervorgehobene inszenatorische Höhepunkt des Ausstiegs auf dem Gasometerdach mit der Aussicht über weite Teile der Region verortete die Besucher*innen dagegen wieder im Raum des Ruhrgebiets mit Blick auf die sich wandelnde Industrielandschaft: Der Rundblick ist gewaltig: Eine geschundene Stadt-Landschaft, zerrissen und zerschnitten von Straßen und Pipelines, Wäldern und Feldern, Siedlungen und Ortsteilen, ohne klare Binnengrenzen und ohne Zentrum. Die stillgelegten Zechenanlagen und riesigen Brachen geben auch eine Vorstellung von der Größe der vergangenen Hoffnungen, die einst an die schnelle Industrialisierung geknüpft worden waren, und sie vermitteln zumindest eine Ahnung von dem Umfang der Aufgaben, die sich heute der IBA hier stellen. 459

Die Inszenierung des Ausstellungsraums als Objekt sowie die Integration der ihn umgebenden Landschaft als Raumerfahrung in die Ausstellungserzählung ging ebenso auf wie die Präsentation der Ausstellung als Bestandteil der Bauausstellung. Die Geschichtsausstellung wurde als Höhepunkt der IBA-Zwischenpräsentation wahrgenommen und so auch in der Berichterstattung in die Gestaltung der Zukunft der Region durch die als Strukturprogramm realisierte Bauausstellung eingespeist, die „weniger eine Ausstellung als ein Erneuerungswerk“ 460 sei. Nicht nur wurde die Erhaltung von Industriebauwerken als Denkmale als Auftrag der IBA Emscher Park kommuniziert, sondern die Umdeutung des klassischen Denkmalbegriffs zu ihrer Aufgabe erklärt. 461 Nicht der Vergleich zu traditionell als kulturell bedeutsam bewerteten Bauwerken, wie er im Begriff der ‚Industrie-Kathedrale‘ zum Ausdruck komme, solle Grundlage für den Erhalt von Industriebauwerken sein, sondern ein neuer, auf Prozesse und Raumgefüge fokussierender „dynamischer“ 462 Denkmalbegriff. Die Umnutzung von Denkmalen könne dann ebenso wie ihr kuratierter Verfall zum Symbol für gesellschaftlichen Wandel werden. Die Aufladung des Gasometers zu einem „doppelten Symbol [. . . ] sowohl für die schwerindustrielle Vergangenheit als auch für den neuen Um458 So etwa die Bewertung des NRW-Korrespondenten der FAZ, Andreas Rossmann: „Vieles, was hier zu sehen ist, ist nicht mehr spezifisch für das Ruhrgebiet. Vor allem die Installation ‚Bilderflut‘ nicht, die vierzig Fernsehmonitore im Kreis arrangiert und eine ortsunabhänige Welthaltigkeit vermittelt“, Rossmann (1994). 459 Ebd. 460 Sack (1994). 461 Vgl. Schellin, Dietmar: Zwischen Abriß und Vermarktung. Gedanken zur Problematik von Industrie-Denkmälern, in: Süddeutsche Zeitung, 4. August 1995. 462 Vgl. ebd.

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gang mit ihr“ 463 und seine Vermarktung als „Zeichen des Aufbruchs“ 464 schien mit der Wiederauflage von ‚Feuer und Flamme‘ gelungen. Mit nun insgesamt gut 500.000 Besucher*innen hatte sie alle Erwartungen übertroffen. 465 Sie wurde zum erfolgreichsten Teil der im April 1994 eröffneten IBA-Zwischenpräsentation, die zur Halbzeit des Strukturprogramms ihre Projekte vorstellen, das Erreichte evaluieren und künftige Ziele ausmachen sollte. Die Halbzeitpräsentation, die Veränderung und Durchführung des IBA-Programms während der zweiten Hälfte ihrer Laufzeit und ihr Abschluss sind Gegenstand des folgenden Kapitels.

2.2 Von der Zwischenpräsentation bis zur Abwicklung der IBA Emscher Park Die Publikumsausstellung ‚Feuer und Flamme‘ war ein zentraler Bestandteil der Zwischenpräsentation, die nach der Hälfte der Laufzeit eine Zwischenbilanz der IBA Emscher Park zog und das Programm für die verbleibenden Jahre festlegte. Aufbauend auf dem ersten Teil des Kapitels wird diese zweite Hälfte der Bauausstellung im Folgenden ebenfalls in Hinblick auf die Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln untersucht. Mit der analytischen Sonde der Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen nehmen die Unterkapitel erneut den Weg von einer allgemeineren Ebene zur detaillierteren Untersuchung bestimmter Aspekte der IBA Emscher Park. Zunächst steht daher die Entwicklung des Programms der Bauausstellung von ihrer Zwischenpräsentation über das Finale bis zur institutionellen Abwicklung im Fokus. Davon ausgehend wird die bereits in der ersten Laufzeithälfte angelegte, aber in der zweiten Hälfte verstärkt vorangetriebene Institutionalisierung des geschichtskulturellen Felds untersucht. Die folgenden Kapitel problematisieren die Spannung zwischen der Fokussierung von Einzelstandorten als „Zukunftsstandorte“ und der Generierung eines „Experimentierraum[s] für Zukünfte“ 466 über die Herstellung eines zusammenhängenden Raums durch die Bildung eines Netzwerkes aus diesen Einzelstandorten. Daher wird zunächst die Essener Zeche Zollverein als Leuchtturmprojekt genauer

463 464 465 466

Rossmann (1994). Koepke (1995). Vgl. Brüggemeier (2007). Ganser, Karl: Die Erfahrungen der IBA Emscher Park. Programmbausteine für die Zukunft, in: Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.), Die Erfahrungen der IBA Emscherpark. Programmbausteine für die Zukunft. Memorandum III, Gelsenkirchen 1999a, S. 54–87, S. 70.

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untersucht, dessen Entwicklung mit dem Umbau des Kesselhauses zu Beginn der zweiten IBA-Hälfte bis zur Ausstellung ‚Sonne, Mond und Sterne‘ im Finaljahr und dem Antrag auf Eintragung in die Liste des UNESCOWeltkulturerbes zum Ende der Bauausstellung merklich Gestalt annahm. Daraufhin beschließt eine Analyse zu Versuchen der Konstruktion des Ruhrgebiets als zusammenhängendem Raum über die Raumkonzepte des Nationalparks und der Kulturlandschaft am Beispiel der Route der Industriekultur das zweite Kapitel dieser Studie.

2.2.1 Die Konstruktion von Zukunftsfähigkeit – die Entwicklung der Leitprojekte „Aufbau West im Pott“ 467 – so betitelte der Spiegel seine ausführliche Bilanz der IBA Emscher Park, die anlässlich der Eröffnung des IBA-Finales im April 1999 erschien. Die Referenz auf den wirtschaftlichen Aufbau der ehemaligen DDR im Titel der vierseitigen Reportage machte deutlich, inwiefern sich Aufgabe und Anspruch der IBA Emscher Park von anderen Bauausstellungen unterschieden. Der Artikel porträtierte nicht allein architektonische und landschaftsplanerische Großprojekte, sondern den Versuch einer wirtschaftlichen und sozialen Angleichung der strukturschwachen Region an den inzwischen gesamtdeutschen Bundesdurchschnitt. Zwar erschien die Reportage im Kulturteil unter dem Stichwort „Architektur“, bilanzierte aber weniger eine Architekturschau als vielmehr den Versuch, „aus einer vergehenden Industrielandschaft eine Region des 21. Jahrhunderts [zu] machen“. Das Fazit des aus dem Ruhrgebiet stammenden Spiegel-Journalisten Jürgen Neffe fiel wohlwollend aus: „Innerhalb von zehn Jahren wurden Revierbrachen und Industrieruinen in ein furioses Gesamtkunstwerk verwandelt. [. . . ] Ausgangsbasis: Du hast keine Chance, nutze sie. Oder auf Pott: Willse, kannse.“ Die Inszenierung der Bauausstellung als Gestaltungsinstrument für den Übergang zwischen dem endenden „Maschinenzeitalter der Moderne“ und einer noch unbekannten Zukunft an der Schwelle zur Jahrtausendwende schien aufzugehen. Im Folgenden wird die Entwicklung dieser Inszenierung und ihrer Rezeption von der Zwischenpräsentation der IBA Emscher Park bis zu ihrem Finale mit Blick auf die Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen untersucht. Dazu wird zunächst die Zwischenpräsentation als Entwurf ei-

467 Neffe, Jürgen: Aufbau West im Pott, in: Der Spiegel, 19. April 1999 Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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ner Zukunft für das Ruhrgebiet im Besonderen und westliche Industrieregionen im Allgemeinen in den Blick genommen und in die sie begleitende Medien- und Fachdiskussion eingeordnet. Die programmatische Weiterentwicklung der IBA Emscher Park wird anschließend unter anderem anhand der weiterentwickelten Programmschrift im zweiten und dritten Memorandum analysiert und in den übergeordneten politischen Kontext eingeordnet. Das Finale und die Abwicklung der Planungsgesellschaft stehen am Ende dieses Unterkapitels, das die Bauausstellung abschließend zum breiteren Kontext der zeitgenössischen Debatten um Zukunftsfähigkeit und Standortpolitik in Beziehung setzt. Die am 14. April 1994 mit einer Festveranstaltung im Gelsenkirchener Musiktheater eröffnete Zwischenpräsentation stand unter dem Motto ‚Bauplatz Zukunft‘ und kommunizierte so bereits im Titel den zur zweiten Hälfte der Laufzeit erneuerten Anspruch der IBA Emscher Park nach außen. Die an knapp 40, über das ganze IBA-Gebiet verteilten „Schauplätzen“ 468 vorgestellten Baustellen und Projekte sollten nicht in erster Linie ausgewählte Architektur präsentieren, sondern in ihrer Zusammenschau ein neues Bild für die Zukunft des Ruhrgebiets entwerfen. Unterschiedliche Veranstaltungsformen wie Konzerte, Aktionen für Kinder, Tagungen oder Ausstellungen sollten die verschiedenen Zielgruppen von der regionalen Bevölkerung über auswärtige Besucher*innen bis zu Medien und Fachöffentlichkeit ansprechen. Eine Tagung mit nachfolgender Ausstellung mit Vertreter*innen von gut 40 Industrieregionen aus 16 Ländern unterstrich den Anspruch der IBA Emscher Park, nicht nur Ideen für die Zukunft des Ruhrgebiets zu liefern, sondern Modell für alte Industrieregionen weltweit zu sein. 469 Die Geschichtsausstellung ‚Feuer und Flamme‘ war vor allem dazu gedacht, die Zukunft der Region aus der Reflexion ihrer Vergangenheit heraus zu entwickeln. Die zentrale Ausstellung zur Zwischenpräsentation diente dagegen dazu, die Vielzahl der einzelnen IBA-Projekte in der Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Rheinelbe in Gelsenkirchen, dem Sitz der Planungsgesellschaft, an einem Ort zu vorzustellen. Von der zentralen Ausstellung nahmen auch regelmäßig geführte

468 Internationale Bauausstellung Emscher-Park: Bauplatz Zukunft. Was, wann, wo? Zwischenpräsentation 1994/95, Gelsenkirchen 1993. 469 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): Wandel für die Menschen, mit den Menschen. Change for the People, with the People. Ein internationaler Kongreß über den Umbau von Industrieregionen 16.–18. Mai 1994, Gelsenkirchen 1994; Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): Wandel für die Menschen, mit den Menschen. Ausstellung in der Jahrhunderthalle in Bochum vom 18. Mai bis 5. Juni 1994. Change for the People, with the People, Gelsenkirchen 1994.

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Bustouren ihren Ausgang, die als „IBA-Exkursionen“ verschiedene Baustellen der Bauausstellung ansteuerten. 470 Die Zwischenbilanz fand ein durchaus breites mediales Echo, das sich beispielsweise in längeren Reportagen überregionaler Tages- und Wochenzeitungen niederschlug. Von der Zwischenpräsentation ausgehend erschienen Reportagen über die Geschichte der Region und ihren durch die IBA forcierten Wandel. Das Ruhrgebiet wurde hierbei als zersiedelte Industrie-, wenn nicht sogar als „Un-Landschaft“ 471 beschrieben, die aufgrund fehlender städtebaulicher Planung als Agglomeration von zu Städten gewordenen Dörfern ohne Urbanität gewachsen sei, 472 die bis heute zueinander in Konkurrenz stünden und sich durch das Kirchturmdenken der Kommunalpolitik gegenseitig blockierten. 473 Diese Defizite zu korrigieren, sei das Ziel des Strukturprogramms IBA Emscher Park, wobei seit ihrem Beginn 1989 noch der Wettbewerb mit ehemaligen Gebieten der DDR hinzugekommen sei, mit denen das Ruhrgebiet nun um Fördermittel konkurrieren musste. 474 Hervorgehoben wurde auch, dass Anspruch und Auftrag der IBA weit über Städtebau und Architektur hinausgingen, wodurch sie sich vom Vorgänger und Vorbild der Berliner IBA abhöben. 475 Aufgabe der IBA Emscher Park sei vor allem die „Image-Produktion“ 476, da das Ruhrgebiet bisher lediglich die Korrektur des negativen Images als Industrieregion verfolgt und eine größtmögliche Normalität und Angleichung an andere Metropolregionen angestrebt habe. 477 Daher sei die Industriegeschichte bisher zum Abriss freigegeben gewesen und der Wert des industriellen Images als Merkmal regionaler Einzigartigkeit unerkannt ge-

470 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1993). 471 Pehnt, Wolfgang: Neues Design im alten Kohlenpott. Die Internationale Bauausstellung Emscher Park. Eine Zwischenbilanz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Oktober 1994. Vgl. auch Marquart, Christian: Stahlküchen zu Wohnküchen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 1994. 472 Vgl. Kippenberger, Susanne: Neues Leben in den Kathedralen des Ruhrgebiets. Nach Berliner Vorbild: Die IBA Emscher Park. Vom alternativen Wohnprojekt bis zum Technologiezentrum, in: Der Tagesspiegel, 22. Mai 1994. 473 Vgl. ebd.; Pehnt (1994). 474 Vgl. Pehnt (1994); Buhl, Dieter: Von der Maloche zur Hirnarbeit, in: Die Zeit, 21. April 1995. Zur vergleichenden Armutsdiskussion zwischen Ost- und Westdeutschland vgl. Lorke, Christoph: Von alten und neuen Ungleichheiten. „Armut“ in der Vereinigungsgesellschaft, in: Großbölting, Thomas / Lorke, Christoph (Hg.), Deutschland seit 1990. Wege in die Vereinigungsgesellschaft, Stuttgart 2017, S. 271–294 Zur Transformation der ostdeutschen Stahlbranche vor und nach 1990 vgl. Rasch, Manfred / Nicolaus, Herbert (Hg.): Zum Transformationsprozess der DDR-Stahlindustrie zwischen Plan- und Marktwirtschaft, Essen 2016. 475 Vgl. Kippenberger (1994); Marquart (1994). 476 Pehnt (1994). 477 Vgl. Kippenberger (1994).

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blieben. Das Memorandum zur IBA Emscher Park wurde als Wendepunkt und Hoffnungsträger für eine Neuausrichtung der regionalen Imagepolitik gewertet, 478 die vor allem über Leuchtturmprojekte wie die Umnutzung des Oberhausener Gasometers als Ausstellungsraum, der Essener Zeche Zollverein als Designzentrum und des Hüttenwerks Duisburg-Meiderich als Landschaftspark Duisburg-Nord rezipiert wurde. Die Berichterstattung fokussierte auch die raumprägende Funktion der ehemaligen Industriebauwerke als „verbotene Städte“ 479 während ihrer aktiven Betriebszeit und als gigantische Brachen nach ihrer Stilllegung. Die katastrophale Wirkung der Stilllegungen für die Region verglich die FAZ mit dem Ausbruch des Vesuvs für Pompeij: „Der Gang durch die Kohlenkathedrale erinnert an Pompeji. Der Vesuv bricht aus, und das Leben ist im Augenblick der Katastrophe fixiert. In Zollverein war die Stillegung die Katastrophe.“ 480 Die Metapher des Vulkanausbruchs verweist ebenso wie die häufig genutzte Metapher der Industrie- oder „Montan-Dinosaurier“ 481 auf die Wahrnehmung der Industriebauwerke als aus der Zeit gefallene Relikte, deren Aussterben plötzlich und unerwartet wie eine Naturkatastrophe über sie hineinbrach. Wie Dinosaurierskelette zeugen die stillgelegten Industrieanlagen gleichsam vom ohnmächtigen Überrannt478 479 480 481

Vgl. Pehnt (1994). Ebd. Vgl. ebd. Buhl (1995). Für die breit genutzte Dinosauriermetapher vgl. z. B. Engel, Helmut: Konservieren oder umdeuten? Vom Umgang mit Industriedenkmälern, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 197–203, S. 203; Meyer, Claus Heinrich: Sonne, Mond und Sterne leuchten der Ruhr. Die Kokerei Zollverein und das Finale der IBA Emscherpark, in: Süddeutsche Zeitung, 22. Juni 1999. In der Nachfolgeausstellung zu ‚Feuer und Flamme‘ im Oberhausener Gasometer, die unter dem Titel ‚Ich Phoenix – ein Kunstereignis‘ 1996 realisiert wurde, fand die Dinosauriermetapher sogar Eingang in eine der Kunstinstallationen. Nach dem Scheitern der ursprünglichen Pläne für die Triennale Ruhr, die als Kooperation der Kunstmuseen des Ruhrgebiets 1995 Projekte zum Thema ‚Landmarken in der Industrielandschaft‘ umsetzten sollte, wurde die temporäre Ausstellung ein Jahr später als geplant im Oberhausener Gasometer eröffnet, um nicht wie ‚Feuer und Flamme‘ die Vergangenheit der Region zu inszenieren, sondern „die Gegenwart stärker von der Zukunft her [zu] spiegeln“, Imdahl, Georg: Der Vogel flog nur ins Phantasialand. Blick aufs Revier: „Ich Phoenix – ein Kunstereignis“ im Gasometer Oberhausen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juni 1996. Das Künstlerpaar Patrick und Anne Poirier inszenierte gemeinsam mit dem Musikerkollektiv ‚lightwave‘ unterhalb der Gasometerscheibe ein Wasserbecken mit vierzig Metern Durchmesser, „in dessen Zentrum eine apokalyptische Industriebranche im Miniaturformat noch einmal den Untergang von Kohle und Stahl beschwört. [. . . ] Neben gestrandeten Kähnen und geborstenen Gleisanlagen tauchen nicht nur Helikopter, Jeeps und Kriegsgerät auf, es hat sich sogar ein Saurier aus Urzeiten in diese dem Untergang geweihte Landschaft verlaufen“, ders. (1996) Vgl. zu der Ausstellung Gasometer Oberhausen GmbH (Hg.): Ich Phoenix. Ein Kunstereignis. Ausstellung in Oberhausen vom 18. Mai 1996-13. Oktober 1996, Essen 1996.

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Werden durch den strukturellen Wandel. Die Metapher stauchte die prozessuale Zeitlichkeit des Strukturwandels zur Zeitlichkeit eines plötzlich und unerwartet hereinbrechenden Ereignisses. Hierin verdichtet sich die Wahrnehmung des tatsächlich bereits gut drei Jahrzehnte andauernden Strukturwandels als Kontingenzerfahrung im Sinne einer „Erfahrung der Begrenztheit, der Endlichkeit und der [. . . ] Wahrnehmung des Einbruchs von [. . . ] Schicksalsschlägen in den Lauf eines Lebens und die Destabilisierung der Gewissheiten, auf denen letzteres bis zu dem Punkt dieses Einbruchs aufruhte“ 482. Die Metaphern des vom Vesuv überraschten Pompeij oder der von einem Meteoriteneinschlag ausgerotteten Dinosaurier kommunizierten die Region als passives, den Strukturwandel erleidendes Objekt, das schwerfällig auf der Suche nach einer neuen Zukunft war, und verweisen somit auf die Erfahrung von Kontingenz als „Erleiden des Unbestimmten“ 483. Sie verschoben außerdem den zeitlichen Horizont der baulichen Relikte als Zeichen einer jüngst vergangenen und noch vergehenden Industriegeschichte in die Antike oder im Falle der „Montan-Dinosaurier“ in eine noch weiter entfernte, vormenschliche Urzeit, mithin in eine Zeitebene, die nicht anschlussfähig an die unmittelbare Zukunft ist. Die für das Ruhrgebiet „vorläufig niemals wiederkehrende Möglichkeit, sich eine neue Zukunft einzurichten“ 484, müsse nun also von der IBA Emscher Park genutzt werden, indem nicht in erster Linie Architektur, sondern neue „Bilder im Kopf“ 485 geschaffen würden, wie überregionale Zeitungen kommentierten. Der mediale Fokus lag daher auf als ungewöhnlich und kreativ dargestellten Umnutzungen von Industriebauwerken, auf den damit verbundenen Spannungen zwischen konservatorischen und gestaltenden Interessen sowie auf dem Jahrzehnte währenden und Milliarden kostenden Projekt der Emscher-Renaturierung. 486 Als Gegenbild zur Passivität der den Wandel erleidenden Region rückte vor allem die Person des IBA-Geschäftsführers in den Blick, der als „Motor“ 487 der Erneuerung des Ruhrgebiets beschrieben wurde. Während die IBA-Projekte, der Aufbau der Planungsgesellschaft und die Finanzierung über die priorisierte Verteilung vorhandener Förderprogramme statt zusätzlich eingesetzter Mittel weitgehend positiv rezipiert wurden, wurde die auf „populäre Vermittlung“ 488 ausgerichtete Inszenierung der Zwischenpräsentation mitunter

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Niederberger (2002), S. 1077. Hoffmann (2012), S. 58. Manfred Sack, Architekturkritiker der Zeit, zitiert nach Kippenberger (1994). Pehnt (1994). Vgl. Kippenberger (1994); Marquart (1994); Pehnt (1994); Buhl (1995). Kippenberger (1994). Marquart (1994).

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durchaus negativ beurteilt. 489 Die Projekte, die insgesamt bis auf wenige Ausnahmen nicht auf prestigeträchtige Stararchitekten, sondern auf soziale und ökologische Qualitätskriterien setzten, 490 wurden dagegen weitgehend positiv und als modellhaft für andere ehemalige Industrieregionen weltweit beschrieben, 491 wie es die Selbstinszenierung der IBA als ‚Werkstatt für die Zukunft alter Industrieregionen‘ anstrebte. Die Verknüpfung von Stadtplanung und Imagepolitik, welche die IBA Emscher Park bereits in ihrem programmatischen Memorandum angekündigt hatte, spiegelte sich also in der Außenwahrnehmung der Bauausstellung wider. Der weitgehend positiven Presseberichterstattung stand eine etwas ambivalentere, mindestens aber kritisch differenzierende Fachdiskussion gegenüber, die in der Publikation „Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen“ 492 zusammengefasst wurde. Die von den wissenschaftlichen Direktoren der IBA Emscher Park herausgegebene Publikation versammelte Beiträge zu Fragen der Stadt- und Raumplanung, Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik sowie zur Denkmalpflege und Kulturpolitik. Unter den Autor*innen waren neben Mitgliedern des IBA-Direktoriums auch kommunalpolitische Expert*innen und Wissenschaftler*innen verschiedener deutscher Universitäten und Forschungsinstitute. Trotz der Anstrengungen der städteübergreifenden Kooperation und Imagekonstruktion kam etwa der Hamburger Stadtforscher Dieter Läpple nach einem Fellowship am Essener KWI zu dem Schluss, für die Region könne es „keine einheitliche Zukunft geben, denn mit der weiteren Erosion des inzwischen brüchig gewordenen dominanten Produktionsmilieus wird sich das Ruhrgebiet in Teilregionen auflösen“ 493. Die prinzipielle Offenheit und Pluralität von Zukunft sei ein Problem für die Region, denn es gebe kein „Modernisierungsvorbild, zu dem man aufrücken, und auch kein geschlossenes Leitbild, das den zukünftigen Weg weisen könnte“ 494. Zwar galt die Zukunft im stadtplanerischen Diskurs weiterhin als prinzipiell offen und plural statt als „Quelle unterschiedlichster Bedrohungen“ 495, wie Fernando Esposito das dominante Zukunftsverständnis seit 489 Vgl. Kippenberger (1994); Marquart (1994). 490 Vgl. Kippenberger (1994); Marquart (1994). 491 Vgl. Kippenberger (1994); Hamm, Oliver G.: Bauausstellung der Superlative. Ein Blick auf die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. Juli 1999. 492 Kreibich, Rolf / Schmid, Arno S. / Siebel, Walter / Sieverts, Thomas / Zlonicky, Peter (Hg.): Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994. 493 Läpple, Dieter: Zwischen gestern und übermorgen. Das Ruhrgebiet, eine Industrieregion im Umbruch, in: dies. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 37–51, S. 48 (H. i. O.). 494 Ebd. 495 Esposito (2016), S. 410.

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den 1980er Jahren charakterisiert. Für den Fortbestand des Ruhrgebiets als räumliche Einheit erschien jedoch gerade diese „prinzipielle Offenheit von Zukunft oder besser von Zukünften“ 496 als Bedrohung. Das Ruhrgebiet schien nicht eine Zukunft als Region, sondern viele Zukünfte als Ansammlung sich voneinander lösender Teilregionen zu haben. Deren Zukunftsfähigkeit könne sich nicht einfach durch die Ansiedlung neuer Wirtschaftszweige ergeben, sondern müsse durch eine tiefgreifende Erneuerung der regionalen Milieus, also der „räumlichen Kooperations- und Interaktionszusammenhänge“ 497 hergestellt werden. Die Gestaltung der Zukunft durch politische Planung erschien also weiterhin möglich, jedoch nicht allein durch die strukturpolitische Förderung neuer Branchen und die Stärkung des Dienstleistungssektors, sondern durch ein umfassendes, auf Regionen fokussierendes raumplanerisches Handeln. Die Veränderung des Planungsverständnisses weg von einer top-down ausgerichteten Strukturpolitik, die in langfristigen Entwicklungsplänen Wachstums- und Erneuerungsmaßnahmen für das Ruhrgebiet festgelegte, hin zu einer auf Projekten und Wettbewerb ausgerichteten neuen Planung der IBA Emscher Park wurde aber als noch nicht weitgehend genug kritisiert. So bestünde die Gefahr, durch das Festlegen von Qualitätskriterien für die Auswahl von Projekten ein „autoritäres Modell durch ein elitäres zu ersetzen“ 498, wie Reinhard Thomalla, Ministerialdirigent im nordrhein-westfälischen Wirtschafts-, Mittelstands- und Technologieministerium, monierte. Um die Zukunft der Region zu gestalten, wurde aber nicht nur eine grundlegende Änderung konventioneller Hierarchieverhältnisse innerhalb von Planungsstrukturen gefordert, sondern auch eine Neudefinition dessen, was als Bedingung für Strukturpolitik an harten und weichen Standortfaktoren galt. So plädierte etwa Rolf Kreibich für ein dynamisches Verständnis von Standortfaktoren, das dem Wandel des „politische[n], ökonomische[n], ökologische[n] und soziale[n] Umfeld[s]“ 499 Rechnung trage und ehemals weiche Standortfaktoren wie die ästhetische Qualität von Landschaft zu harten und somit förderungswürdigen Standortfaktoren aufwerte. Landschaft avancierte also zur strukturpolitischen Ressource, die es aufzuwerten galt, da sich das Ruhrgebiet wie kaum ein anderes altes Industriegebiet „so krakenartig in die Fläche hineingefres496 Läpple (1994), S. 48. 497 Ebd., S. 41. 498 Thomalla, Reinhard: Fünf Jahre IBA. Eine Zwischenbilanz, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 65–67, S. 66. 499 Kreibich, Rolf: Strukturwandel durch harte oder weiche Standortfaktoren, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 79–96, S. 81.

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sen und sowohl Natur- wie auch Kulturlandschaft zerfasert“ 500 habe. Das Ruhrgebiet galt als Industrielandschaft, die auch dort, wo sie oberflächlich als natürliche Landschaft erscheine, ihren industriellen Charakter nicht ablegen könne. So schrieb etwa Donata Valentien, Landschaftsarchitektin, Honorarprofessorin an der TU München und Mitglied des Lenkungsausschusses der IBA Emscher Park, in Anlehnung an das 1958 publizierte Werk „Im Ruhrgebiet“ von Heinrich Böll und Chargesheimer 501: Zwar kommt man in Wälder, die so unberührt erscheinen, daß man versucht wäre, sie natürlich zu benennen. Sie sind dicht, dunkel, undurchdringlich, mit Lianen bewachsen. Aber den Wäldern fehlt die Ruhe. Sie sind niemals wirklich still. [. . . ] Man sieht die endlose Stadt nicht, aber man hört sie, immer. Als wären Motoren nötig, um diese Landschaft zu erhalten. [. . . ] Andere Landschaften des Reviers sind beruhigend vertraut. Nicht weit von der Vorstadt entfernt, archaische Inseln bäuerlicher Kultur, Weidelandschaften, als hätte man einen englischen Park entworfen. [. . . ] Im Hintergrund schimmern die Dächer eines bescheidenen Bauernhofes. Drehn Sie sich nicht um! Über die Hecke hinter Ihnen ragt ein rostiger Hochofen, mit Türmen und Rohren so riesengroß, als hätte sich Gulliver ins Land Lilliput verirrt. [. . . ] Gebäude verfallen, Flächen liegen brach, werden verfügbar, Freiräume entstehen. Und nun, nachdem der Gewinn es nicht mehr rechtfertigt, wird der hinterlassene Zustand von Landschaft als unerträglich empfunden, als beleidigend. Zudem auch als ökonomisch belastend, denn die Industrien der Zukunft wünschen intakte Umwelten und reizvolle Landschaften. 502

Die Industrielandschaft des Ruhrgebiets war in dieser Lesart weder Kulturnoch Naturlandschaft. Überall, wo sie als solche erschien, wurde die allgegenwärtig visuell oder auditiv wahrnehmbare Industrie als Zerstörung von Landschaft gedeutet, die durch den Verlust der Wirtschaftskraft der Montanindustrie ihre Legitimität verloren hatte und zur Reparatur aufrief. 503 Zur ästhetischen Aufwertung einer als Standortfaktor begriffenen Ruhrgebietslandschaft war es also nötig, die Relikte der Industrie nicht mehr als Symbole der Zerstörung von Landschaft wahrzunehmen, sondern zum Gestaltungsinstrument zu machen – ein Vorhaben, das es auch nach der ersten Hälfte der IBA-Laufzeit gegenüber Teilen der Bevölkerung noch

500 Ebd., S. 93. 501 Böll, Heinrich / Chargesheimer: Im Ruhrgebiet, Frankfurt am Main 1958. Vgl. dazu auch Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.): Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets, Essen 2014. 502 Valentien, Donata: IBA-Emscherpark. Landschaft in der Industrieregion, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 182–190, S. 182 f. 503 Inwiefern diese Gegenüberstellung von Industrie- und Kulturlandschaft selbst zum Gegenstand diskursiver Umdeutung werden sollte, wird in Kapitel 2.2.4 noch zu thematisieren sein.

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als wünschenswertes Ziel zu vermitteln galt, wie die denkmalpflegerische Debatte um den Umgang mit Industriedenkmälern zeigt. Insbesondere für ehemalige Beschäftigte seien bauliche Relikte der Montanindustrie keine „Identifikationsobjekte als Vergegenständlichung von Lebenszeit, sondern falscher Gegenstand am falschen Ort zu falscher Zeit, sie sind Abfall, ob als einzelne Geräte, als Ambiente oder als gesamte Landschaft“ 504, wie etwa der Stadtsoziologe Albrecht Göschel betonte. Deshalb sei nicht die Umnutzung von Industriebauwerken, sondern der zur Kontemplation aufrufende Verfall die geeignete denkmalpflegerische Strategie im „Umgang mit Industriemonumenten“ 505, wobei der Verfall, wie der Denkmalpfleger Helmut Engel betonte, nicht als „Zeichen des Niedergangs, sondern als Zeichen des Untergegangenen“ 506 verstanden werden müsse. Verfallende Denkmäler würden so zum Symbol für die Historizität der Gegenwart, die auf materielle Zeugnisse der Vergangenheit angewiesen sei, um Geschichte erfahrbar und zur „Grundlage einer kollektiven Erinnerung“ zu machen. Die Denkmäler dürften daher nicht zu stark inszeniert und nicht als „Industrie-Disneyland, als Spektakel“ dienen, sondern müssten geeignet sein, „zumindest Nachdenklichkeit, wenn nicht auch Trauer“ auszulösen. Der von der IBA Emscher Park im Zuge der Zwischenpräsentation etwa mit ‚Feuer und Flamme‘ verfolgte Spektakelcharakter der Umnutzung von Industriedenkmälern wurde von der Fachdiskussion also weiterhin durchaus kritisch beobachtet, auch wenn Peter Zlonicky, Stadtplaner und Mitglied des IBA-Direktoriums, eine Abkehr von den „puristischen Positionen“ 507 und eine Hinwendung zu differenzierten Positionen zwischen pragmatischer Umnutzung und kuratiertem Verfall innerhalb der industriellen Denkmalpflege konstatierte. Insbesondere in der Nutzung von Industriebauwerken für Kunstinszenierungen lag aus seiner Sicht die Chance für Erlebnisse, die es nur an den Orten der Industriekultur des Ruhrgebiets geben könne – ein Narrativ, welches für die von der IBA Emscher Park ausgehende Imagepolitik der Region zentral werden sollte. Die sich hier in der Publikation zur Zwischenpräsentation andeutenden Entwicklungen verweisen auf die Neuausrichtung der Bauausstellung in der zweiten Hälfte ihrer Laufzeit, die durch den Kabinettsbeschluss der Landesregierung zur Fortsetzung der IBA Emscher Park vom 28. 11. 1995 eingeleitet

504 Göschel, Albrecht: Der Umgang mit Industriemonumenten, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 204–205, S. 204. 505 Ebd. 506 Engel (1994), S. 202, ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 507 Zlonicky, Peter: Ein Kommentar, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 206–210, S. 206.

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wurde und die ihren programmatischen Niederschlag 1996 im Memorandum II fand. 508 Zentraler Bezugspunkt hierfür war die Regierungserklärung Johannes Raus vom 13. 09. 1995, 509 in der er die Bauausstellung in das Programm für seine fünfte Amtsperiode als Ministerpräsident einbettete. Rau betonte die regionale Ausrichtung der Strukturpolitik in NRW, die dem Grundsatz der Nachhaltigkeit verpflichtet sei, also wirtschaftliches Wachstum an die Einhaltung umweltpolitischer Standards knüpfen sollte. 510 Zur Bekämpfung der sich weiter verfestigenden Arbeitslosigkeit mit besonderem Fokus auf die Probleme von Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit suchte die nach dem Verlust der absoluten Mehrheit nötig gewordene Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen Lösungen in der Förderung der Medien- und Kommunikationswirtschaft, der Chemie- und Automobilindustrie, der Förderung der Gentechnologie und des Dienstleistungssektors. Eine Herausforderung für die neue Koalition war vor allem die Reform der Energiewirtschaft, in der das Land seine bundesweite Vormachtstellung weiter halten wollte und hierzu neben Investitionen in umweltfreundliche Solarenergie auch auf den Ausbau der Braunkohleförderung setzte. Mit Blick auf die Steinkohlenförderung wurde die Verant-

508 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): Werkstatt für die Zukunft von Industrieregionen. Memorandum der Internationalen Bauausstellung Emscher Park 1996–1999, Gelsenkirchen 1996b. 509 Rau, Johannes: Regierungserklärung zur 12. Wahlperiode des Landtags NordrheinWestfalen, 13. 09. 1995, URL: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMP12%2F5|138|155 [letzter Zugriff: 1. Sep. 2020]. 510 Rau bezog sich hier auf den Begriff des ‚nachhaltigen Wirtschaftens‘, der in Folge der Publikation des Brundtland-Berichts in der politischen Debatte um die Gestaltung von Zukunft und Sicherheit im Sinne eines von einer militärisch-außenpolitischen Dimension um soziale, ökonomische und ökologische Fragen erweiterten Sicherheitsverständnisses an Bedeutung gewann. Die Regierungserklärung der ersten rot-grünen Landesregierung stützt die These Elke Seefrieds, dass der Nachhaltigkeitsbegriff, der seine Wurzeln insbesondere im Rahmen sozialdemokratischer Programmdiskussionen bereits in den 1970er Jahren hatte, Mitte der neunziger Jahre ökonomisiert wurde. Er wurde zunehmend verstanden als „ökologische Modernisierung, technologische Effizienz und eine nachhaltig-zukunftsorientierte Politik zur Steigerung der (nationalen) ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit im Prozess der Globalisierung“, Seefried, Elke: Globale Sicherheit. Die Wurzeln des politischen Nachhaltigkeitsdiskurses und die Wahrnehmung globaler Interdependenz der 1970er und 1980er Jahre, in: Kampmann, Christoph / Marciniak, Angela / Meteling, Wencke (Hg.), „Security Turns its Eye Exlusively to the Future“. Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte, Baden-Baden 2017, S. 353–388, S. 379. Rolf Kreibich betont rückblickend den Charakter der IBA Emscher Park als Experimentierfeld für die Strategien ‚nachhaltigen Wirtschaftens‘ in Folge der Diskussionen um den Brundtland-Bericht und die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992, vgl. Kreibich, Rolf: Wie die IBA eine Region zukunftsfähig gemacht hat. Betrachtungen aus der Sicht der Zukunftswissenschaft, in: Reicher, Christa / Niemann, Lars / Uttke, Angela (Hg.), Internationale Bauausstellung Emscher Park: Impulse. Lokal, regional, national, international, Essen 2011, S. 122–152, S. 133–135.

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wortung vor allem auf die Bundesregierung übertragen, die zur Einhaltung der Subventionszusagen gemahnt wurde. Neben Maßnahmen zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung sollten auch eine Änderung des Hochschulgesetzes und die stärkere Verzahnung von Wirtschaft und wissenschaftlicher Forschung an den Hochschulen des Landes zu wirtschaftlichem Wachstum und zur Reduktion von Arbeitslosigkeit führen. Eine zentrale Neuerung war die Zusammenführung von Stadtentwicklung, Kultur- und Sportpolitik in einem Ministerium, wodurch Kultur und Sport in ihrer Bedeutung als „Wirtschaftsbereiche mit hohen Zuwachsraten“ 511 gestärkt werden sollten. Eine vom neuen Ministerium angeleitete stärkere städteübergreifende Kooperation sollte zur Entwicklung „regionaler Kulturentwicklungskonzepte“ führen, wofür Rau die IBA Emscher Park als Vorbild heranzog. Sie zeige die Chancen einer städteübergreifenden Regionalpolitik, die ein gemeinsames Konzept verfolge. Er erklärte die Zwischenpräsentation zu einem Erfolg „in der Region, in der Fachwelt und in der internationalen Öffentlichkeit“, der für andere Regionen des Landes als Vorbild dienen werde. Rau kündigte die Fortsetzung der IBA an und definierte „Kulturwirtschaft und einen Tourismus, der auf einer lebendigen Kunstszene und auf einem attraktiven kulturellen Angebot aufbaut“ als „neue wichtige Aufgabe für die Internationale Bauausstellung und ganz erhebliche Chance für das gesamte Ruhrgebiet“. Diese Schwerpunkte prägten die Neuausrichtung der IBA Emscher Park für die zweite Hälfte ihrer Laufzeit, die im zweiten Memorandum programmatisch festgeschrieben wurde. Das Programm für die zweite Hälfte der Laufzeit begann erneut mit einer Verortung in der Tradition von Welt- und Bauausstellungen, wobei das Vorbild der Berliner IBA hervorgehoben wurde. Das Auftaktjahr mit der historischen Umbruchserfahrung des Wendejahrs 1989 wurde in die Selbstverortung einbezogen, indem es als Symbol für die „Neuorientierung Europas und seine[r] Regionen, für das Niederreißen von Freiheitsbarrieren und für neue Denkansätze nach dem Verschwinden alter Ideologien“ 512 gedeutet wurde. Eine gesonderte Seite mit „Daten der EmscherRegion“ 513 entwarf eine Geschichte des IBA-Gebiets, die von der Überformung der Landschaft durch die Kohle- und Stahlindustrie ausging und mit der Bauausstellung als Aufhebung dieser als Zerstörung beschriebenen Entwicklung endete. In dieser Lesart begann die Geschichte der Region 1837 mit dem Beginn des systematischen Kohleabbaus im Ruhrgebiet und erfuhr eine erste Zäsur mit dem Jahr 1900 als Indikator für die Verschie511 Rau (1995). Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 512 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 8. 513 Ebd., S. 9.

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bung der Kohleförderung in den mittleren und nördlichen Teil des Ruhrgebiets und die Etablierung der Stahlindustrie um die Jahrhundertwende. Das Jahr 1904 markierte mit dem Erlass eines Gesetzes zur Regelung der Aufgaben der Emschergenossenschaft den Beginn des städteübergreifenden und planvollen Umgangs mit den Problemen der industriellen und kommunalen Abwasserwirtschaft. Am Ende der Zeitleiste stand mit dem Jahr 1980 wiederum ein Zeitpunkt, der stellvertretend für den Zeitraum der letzten Zechenschließungen der 1980er Jahre das Ende der auf die IBA zulaufenden Geschichte der Region einläutete. Die derart linear und teleologisch dargestellte Geschichte der Region fungierte als Begründung der Hauptaufgabe der IBA Emscher Park, die in der Revitalisierung der durch die voranschreitenden Zechenschließungen frei werdenden Brachflächen bestehe. 514 Die Bauausstellung, deren Geschichte ebenfalls auf einer gesonderten Seite mit dem Beschluss zur Durchführung der IBA im Mai 1989 als Startund der Aufnahme der neuen Projekte durch den Lenkungsausschuss im April 1996 als Endpunkt aufgeführt wurde, 515 diene aber nicht nur wie im ersten Memorandum angestrebt anderen alten Industrieregionen als Vorbild, sondern sei vielmehr auch für wirtschaftlich noch erfolgreiche Industrieregionen ein gefragter Gesprächspartner geworden. Als Beleg wurden hierfür noch einmal Zielsetzung, Aufbau, Vorgehen und die Präsentation zur Zwischenbilanz ausgeführt, wobei trotz der Betonung der eigenen Erfolge festgestellt werden musste, dass sich der „sozial-ökonomische Abstand in der Entwicklung von Emscherraum und dem Süden des Reviers in den letzten Jahren eher vergrößert“ 516 habe. Auch im zweiten Memorandum wurde daher betont, dass die Erneuerungsstrategie der Bauausstellung nicht als „eine ‚nachholende‘ zu verstehen [sei], als eine, die die offenkundigen sozialökonomischen Disparitäten nur abbaut und über eine Reparatur der Umweltschäden nicht hinausreicht“ 517. Da nicht nur alte Industrieregionen wie das Ruhrgebiet, sondern auch als modern zu bezeichnende Industrieregionen von Krisen betroffen seien, gelte es, „zukunftsorientierte Lösungen für Industrieregionen in den hochentwickelten Industriegesellschaften generell“ zu entwickeln, weshalb der Untertitel der IBA in „Werkstatt für die Zukunft von Industrieregionen“ geändert wurde. Die durch die IBA Emscher Park entworfene Gestaltungszukunft sollte sich also nicht mehr nur auf Industrieregionen beziehen lassen, die unter vergleichbaren strukturellen Problemen wie das Ruhrgebiet litten, sondern 514 515 516 517

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 11. Ebd., S. 13. Ebd., S. 18. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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auf alle Industriegesellschaften, worin das Festhalten an einer Vorstellung prinzipieller Gestaltbarkeit von Zukunft zum Ausdruck kommt. Als besondere Herausforderung wurde dabei die Entwicklung des Bevölkerungsrückgangs wahrgenommen, die Planungs- und Strukturpolitik bisher fremd gewesen sei. 518 Diese Entwicklung nicht in erster Linie als Problem, sondern als Chance für die Korrektur der bisher viel kritisierten Siedlungspolitik in der Region wahrzunehmen, wurde zur Aufgabe der Bauausstellung erklärt. Hierzu sollte die spezielle Siedlungsstruktur der Region, die durch die forcierte Industrialisierung und das damit einhergegangene explosionsartige Bevölkerungswachstum zwischen konventionellen Vorstellungen von agrarisch und urban geprägtem Raum anzusiedeln sei, und somit eine „Zwischenstadt“ 519 darstelle, als moderne Landschaft von eigenem ästhetischen Wert präsentiert, anstatt an bestehende Raumideale von Stadt angeglichen werden. Für die Industrielandschaft des Ruhrgebiets „Orientierung [zu] schaffen und Bilder [zu] entwerfen, die diese verschlüsselte Landschaft lesbar machen“ 520, könne die Grundlage für ein „neues Verständnis regionalen Planens“ liefern, so der im zweiten Memorandum formulierte Anspruch der IBA Emscher Park. Hierfür galt es, die begonnenen Projekte abzuschließen und neue Projekte entsprechend der veränderten Schwerpunkte für die zweite Hälfte der IBA-Laufzeit anzustoßen. Während einige Leitprojekte erfolgreich angelaufen seien und fortgesetzt würden wie etwa der Aufbau des Emscher Landschaftsparks, für den langfristig eine einheitliche Trägerschaft gefunden werden müsse, oder die Renaturierung der Emscher, die mit dem Bau von Kläranlangen und Abwasserkanälen zwar in vollem Gange sei, aber mit ihrem Zeithorizont weit über die IBA-Laufzeit hinausreiche, waren andere Leitprojekte weniger erfolgreich. So waren etwa die erhofften Investitionen aus der Privatwirtschaft für das Leitprojekt des RheinHerne-Kanals als Erlebnisraum ausgeblieben. Als Erfolg wurde hingegen das Leitprojekt ‚Industriedenkmäler als Kulturträger‘ präsentiert. Bereits realisierte Umnutzungen montanindustrieller Anlagen wie des Meidericher Hüttenwerks als Landschaftspark Duisburg-Nord, des Geländes der Zeche Zollverein in Essen als Forum der Industriekultur, des Oberhausener Gasometers als Ausstellungshalle, der Jahrhunderthalle in Bochum als Ort für Kulturveranstaltungen und der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen als Standort eines Gewerbeparks innerhalb der für 1997 geplanten Bundesgartenschau dienten als Belege für diesen Erfolg. Der noch im518 Vgl. ebd., S. 20. 519 Ebd., S. 21. Zu dieser und anderen Raumbezeichnungen siehe ausführlicher Kapitel 3.3. 520 Ebd., S. 23. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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mer drohende Abriss vieler industrieller Bauwerke sei allerdings wiederum Beleg dafür, dass „man für den Umgang mit den Zeitzeugen der Industriegeschichte genügend Zeit braucht, damit man sich des Wertes bewußt wird und Überlegungen zu einer künftigen Zweckbestimmung ausreifen können“ 521. Da der kulturelle Wert von Industriebauwerken also aus Sicht der IBA-Planer*innen noch immer nicht als voraussetzbar gelten konnte, wurde die Gründung einer Stiftung angeregt. 522 Da die Bemühungen für Erhalt und Umnutzung von Industriedenkmälern damit in eine Phase der Institutionalisierung eingetreten waren, sollte sich das geschichtskulturelle Leitprojekt der Bauausstellung in der zweiten Laufzeit „stärker auf die Organisation von kulturellen Ereignissen“ 523 konzentrieren. Als Ziele wurden eine stärkere überkommunale Kooperation in der Kulturpolitik sowie die spartenübergreifende Zusammenarbeit formuliert, die an einem besonders symbolträchtigen Ort repräsentativ zusammengeführt und inszeniert werden sollten. Hierfür kam aus Sicht der Planer*innen nur das Gelände der Zeche Zollverein Schacht XII in Essen in Frage. 524 Neben der stärkeren Eventisierung stand also die Errichtung eines repräsentativen Leuchtturmprojekts im Zentrum der geschichtskulturellen Arbeit der zweiten Hälfte der IBA Emscher Park. Auch bei anderen Leitprojekten wie beispielsweise „Arbeiten im Park“ waren der bauliche Erhalt ehemaliger Industriebauwerke und die Umnutzung als Gewerbe- und Dienstleistungsstandort aus Sicht der IBA-Planer*innen abgeschlossen, sodass sich die Aufgabe der Bauausstellung hier auf die stärkere Förderung privater Investitionen und die Beratung zur Ansiedlung von Unternehmen fokussierte. 525 Um die Argumentation zu stützen, arbeitete auch das zweite Memorandum wieder stark mit visuellen Mitteln. Es richtete sich nicht nur an die Bewohner*innen der Region, deren Umgestaltung durch die IBA es in ihren bisherigen Erfolgen zu bilanzieren und in Hinblick auf die noch zu erreichenden Ziele vorzustellen galt. Es richtete sich ebenso an Journalist*innen, Investor*innen sowie Planer*innen, welche die Entwicklung des Ruhrgebiets im Allgemeinen und die Zwischenbilanz der Bauausstellung im Besonderen von außen verfolgten. So wurden Vorher- und Nachheraufnahmen von IBA-Standorten abgebildet, die teilweise Bilder aus dem ersten Memorandum aufgriffen, wie etwa eines der Lohnhalle der Zeche Arenberg Fortsetzung in Bottrop und

521 522 523 524 525

Ebd., S. 37. Siehe dazu das folgende Kapitel 2.2.2. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 37. Siehe dazu Kapitel 2.2.3. Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 38–41.

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es nun einem Bild im restaurierten Zustand gegenüberstellte. 526 Die Bilder sollten die erfolgreiche Arbeit der Bauausstellung während der ersten Hälfte ihrer Laufzeit dokumentieren und damit die neuen Schwerpunktsetzungen begründen helfen. Anders als im ersten Memorandum waren die Bilder aber kleinformatiger und stärker in den Text eingeflochten, sodass der Fokus eher auf dem immer wieder auf die Regierungserklärung Raus Bezug nehmenden Programm lag. Als wichtige Neuerung wurde hier die Umbildung des Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport aufgegriffen, welche die Realisierung stadtplanerischer Projekte im Kultur- und Freizeitbereich in Verknüpfung mit Qualifikationsmaßnahmen für Arbeitslose erleichtern sollte. Die Arbeitslosigkeit als größtes Problem der Region und zentrales politisches Thema der Bundesrepublik in den 1990er Jahren 527 wurde als durch regionale Strukturpolitik zu lösendes Problem präsentiert, für das die IBA Emscher Park beispielhafte Projekte entwickeln sollte. 528 Hierfür wurde das von Rau in seiner Regierungserklärung herausgestellte Verständnis von Sport und Kultur als bedeutende Wirtschaftsfaktoren herangezogen, demzufolge man sich von der Stärkung der Kulturwirtschaft positive Beschäftigungseffekte versprach. 529 Die Kultur- und Imagepolitik sollte daher nicht mehr auf die Angleichung an diejenige anderer großer Metropolen zielen, sondern vielmehr ein eigenes Profil ausbilden, dessen Markenkern in der Industriekultur bestehen sollte. 530 Dieser Umschwung in der Imagepolitik schlug sich auch in den Kampagnen des KVR nieder. 526 Vgl. ebd., S. 38; Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 45. 527 Ende des Jahres 1995 hatte die bundesweite Arbeitslosenzahl mit 3,791 Millionen den höchsten Dezemberstand der Nachkriegszeit erreicht, vgl. Bökenkamp, Gérard: Das Ende des Wirtschaftswunders. Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969–1998, Berlin / Boston 2016, S. 443, vgl. auch den Überblick bei Pierenkemper, Toni: Beschäftigung und Arbeitsmarkt. Entstehung und Entwicklung der modernen Erwerbsgesellschaft in Deutschland (1800–2000), Stuttgart 2017, S. 215–217. Zur Bedeutung der Arbeitslosenzahl als Element von Bedrohungsszenarien in der Debatte um den ‚Standort Deutschland‘ und ‚Standortsicherung‘ als ‚Zukunftssicherung‘ Mitte der 1990er Jahre vgl. Meteling, Wencke: Standortsicherung = Zukunftssicherung. Zur angebotsökonomischen Modellierung von Zukunft in der Standortdebatte, in: Kampmann, Christoph / Marciniak, Angela / Meteling, Wencke (Hg.), „Security Turns its Eye Exlusively to the Future“. Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte, Baden-Baden 2017, S. 389–421, hier besonders S. 398–403. 528 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 48–50. 529 Vgl. ebd., S. 51. 530 Vgl. ebd.: „Das unverwechselbare Profil des Ruhrgebiets und des Emscherraumes wird durch die ‚Industriekultur‘ als Ergebnis der Industriegeschichte und der künftigen kulturellen Gestaltung von Industrieproduktion markiert. Um dieses unverwechselbare Eigenprofil der Region stärker herauszuarbeiten, werden ‚regionale Kulturprojekte‘ benötigt, die sich aus dem breit gefächerten kulturellen Potential

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Die mit der 1995 beendeten Kampagne ‚Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland‘ auf die Darstellung einer sich normalisierenden Region ausgerichtete Imagepolitik änderte sich unter dem Einfluss der IBA Emscher Park, wie Dieter Nellen, von 1996 bis 2014 Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Kultur, Sport und Europa im KVR, später RVR, rückblickend festhielt. Mit Blick auf die von ihm verantwortete, 1997 gestartete, 1998 in der Region und zum IBA-Finale 1999 national geschaltete Nachfolgekampagne ‚Der Pott kocht‘ betonte der an der RUB promovierte Historiker den Einfluss von ‚Feuer und Flamme‘ und anderer geschichtskultureller IBA-Projekte für die Neuausrichtung der regionalen Imagepolitik rückblickend: Eine so erfolgreiche Ausstellung wie ‚Feuer und Flamme‘ (1994/95) und die große Veranstaltungsfolge von HISTORAMA RUHR (2000) offenbarten ein bis dahin nicht vermutetes regionales Selbstbewusstsein, dessen Träger als neues ‚Ausbildungsbürgertum‘ zu großen Teilen die inzwischen beruflich etablierten Absolventen der heimischen Hochschulen Rhein und Ruhr waren. Die Ruhr-Universitäten in Bochum, Duisburg, Dortmund und Essen hatten ihre Kinder in die Region entlassen. Zwangsläufig dynamisierte auch der KVR ab 1997 unter diesem bzw. dem weiteren Einfluss der IBA das programmatische Profil seiner Öffentlichkeitsarbeit und blendete die Vergangenheit nicht mehr aus, sondern nutzte diese mit einer neuen Kampagne und deren Claim ‚Der Pott kocht‘ für die regionale Kommunikation. [. . . ] Mit dem neuen Ansatz war natürlich entgegen mancher vordergründigen Vermutung keine nostalgische Reise in die Vergangenheit geplant. Vielmehr ging es um nicht bekannte Bilder von Urbanität und Vitalität für die einst bedeutendste Wirtschaftsregion Europas. Und noch mehr ging es um regionale Identität, nicht mehr um die bemühte Botschaft ‚Das haben wir auch‘. Jetzt hieß es: ‚Wir haben anderes als die anderen‘. Die vermeintlichen oder tatsächlichen Standorte des Niedergangs von Kohle und Stahl wurden nicht mehr verdrängt. Sie wurden – früher kaum vorstellbar – imagebildend als ‚Zukunftsstandorte‘ für ein neues Verständnis von Urbanität genutzt. 531

Nicht nur wurde die industrielle Vergangenheit nun wie in der IBA-Programmatik angestrebt in die regionale Imagepolitik einbezogen, sondern der KVR übernahm für seine Kampagne auch die erwünschte Lesart dieser Vergangenheit, in der Industriedenkmäler jeden Nostalgieverdacht von sich weisend nur als „Zukunftsstandorte“ erzählt werden konnten. 532 Die Deutung des Erfolgs der geschichtskulturellen IBA-Projekte nicht als Konder Region in der Auseinandersetzung mit kreativen Persönlichkeiten und Ideen herausbilden.“ 531 Nellen, Dieter: Strukturwandel der regionalen Öffentlichkeitsarbeit. Von der Werkstatt Ruhrgebiet zum Anspruch ‚Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland‘, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 2 (2004) 1, S. 20–25, S. 22. 532 Zur Entwicklung der regionalen Imagepolitik siehe ausführlicher Kapitel 3.1.

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struktion, sondern als Ausdruck eines regionalen Selbstbewusstseins, das von einer neuen Mittelschicht aus Absolvent*innen der regionalen Universitäten getragen werde, 533 muss vor dem Hintergrund der Analyse der Entstehung von ‚Feuer und Flamme‘ allerdings wohl vor allem auf die geschichtskulturellen Akteur*innen selbst bezogen werden. Auch wenn die an der Ausstellung beteiligten Historiker*innen eine auf Identitätskonstruktion ausgerichtete Form der Geschichtsschreibung ablehnten, hat die Untersuchung der Planungsunterlagen gezeigt, inwiefern die Ausstellung innerhalb der IBA Emscher Park zur Konstruktion einer regionalen Identität funktionalisiert wurde, um ein Fortbestehen des Ruhrgebiets als räumliche Einheit nach dem Niedergang der für die Region konstitutiven Schlüsselindustrien zu gewährleisten. Die zahlreichen – ebenso wie Dieter Nellen selbst – an den regionalen Universitäten ausgebildeten geschichtskulturellen Akteur*innen, 534 die an den verschiedenen IBA-Projekten beteiligt waren, sind also weniger als Träger*innen eines bis dahin unentdeckten, denn als Konstrukteur*innen eines durch sie ausgehandelten regionalen Selbstbewusstseins zu sehen, dessen Stärkung als einer der zentralen Erfolge der Bauausstellung gilt. 535 Eine fehlende Identifikation der Bewohner*innen mit der Region und die negative Außenwahrneh533 Die These einer neuen Mittelschicht als maßgebliche Trägerin einer entstehenden regionalen Idenität findet sich bereits in den Arbeiten zur politischen Kultur des Ruhrgebiets von Karl Rohe, der allerdings deutlich betonte, dass „regionalistische Bewegungen niemals nur Resultat und Ausdruck, sondern stets auch Produzent und Stabilisator von regionaler Kultur und regionaler Identität“ sind, Rohe, Karl: Regionalkultur, regionale Identität und Regionalismus im Ruhrgebiet. Empirische Sachverhalte und theoretische Überlegungen, in: Lipp, Wolfgang (Hg.), Industriegesellschaft und Regionalkultur. Untersuchungen für Europa, Köln u. a. 1984, S. 123– 153, S. 129. 534 Hierzu auch Berger (2019c), S. 11. Siehe auch Kapitel 1.2, Anm. 113. 535 So urteilte beispielsweise Hans-Werner Wehling knapp zehn Jahre nach Abschluss der IBA Emscher Park: „Die meisten der hochgesteckten IBA Ziele sind jedoch nicht erreicht worden – der Landschaftspark ist noch ein Flickenteppich, die Renaturierung der Emscher ist mittlerweile auf zwanzig Jahre gestreckt worden, die gewerblichen Projekte haben nicht überall Interessenten gefunden und haben dort, wo sie überhaupt auf den lokalen Arbeitsmarkt ausgerichtet sind, bislang kaum Auswirkungen auf die Arbeitslosenquoten. Unstrittig ist jedoch gleichzeitig, dass die IBA das regionale Selbstbewusstsein gestärkt und eine Aufbruchsstimmung erzeugt hat und dass ihre Öffentlichkeitsarbeit das Ruhrgebiet als Ganzes in einem neuen Licht erscheinen ließ“, Wehling, Hans-Werner: Die Kulturlandschaft Ruhrgebiet im räumlichen und zeitlichen Wandel. Regionale, lokale und europäische Aspekte, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.), Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, Essen 2007, S. 40–51, S. 50. Auch in der zehn Jahre nach Ende der IBA erschienenen Bilanz zum Stand der Projekte wird dies als zentraler Erfolg der Bauausstellung hervorgehoben, vgl. Uttke, Angela, et al.: Einleitung, in: Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund (Hg.), Internationale Bauausstellung Emscher Park. Die Projekte 10 Jahre danach, Essen 2008, S. 8–10, S. 9.

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mung wurden als Standortnachteile gewertet, die es durch eine die industrielle Vergangenheit der Region positiv einbeziehende Imagepolitik zu beseitigen galt. Der Slogan ‚Der Pott kocht‘ der 1997 gestarteten Anzeigenkampagne des KVR veranschaulicht diese Veränderung, indem er die ursprünglich eher negativ konnotierte Bezeichnung ‚Pott‘ für die Region aufgriff und positiv umdeutete. 536 Wichtiger als Anzeigenkampagnen wurde für die Imagepolitik der Region aber noch die durch die IBA Emscher Park angestoßene Tourismusförderung. 537 In Verbindung mit einer Stärkung der Kulturwirtschaft in der Regierungserklärung Raus als Aufgabe für die IBA Emscher Park formuliert, bildete sie im Memorandum II einen neuen Schwerpunkt der Bauausstellung. Neben der Funktion der Imageverbesserung wurden an die Ausbildung eines eigenen städtetouristischen Profils Hoffnungen auf konkrete Profite für die regionale Wirtschaft und Beschäftigungslage geknüpft, da durch die fehlende touristische Attraktivität im Ruhrgebiet „überdurchschnittlich viel Einkommen durch Fernreisen nach draußen exportiert wird und kaum Einkommen durch Tourismus in der Region“ 538 bleibe. Für die inhaltliche und organisatorische Planung dieses touristischen Profils wurde der Auftrag erteilt, einen „Masterplan Tourismus Ruhrgebiet“ 539 zu erarbeiten. Das von Wolfgang Clement geleitete Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes NRW setzte hierzu eine Kommission ein, deren Bericht 1997 veröffentlicht wurde. 540 Über die Einsetzung und Ausrichtung dieser Kommission war der Minister mit dem Geschäftsführer der IBA Emscher Park 536 Daniela Fleiß hält in ihrer Arbeit zur Imagepolitik des Ruhrgebiets fest: „Der ‚Pott‘ stand dabei als mythisch verklärtes Symbol für die industrielle Vergangenheit als Besonderheit des Ruhrgebiets. Das Bild des nach wie vor kochenden ‚Potts‘, auch wenn die ‚Tausend Feuer‘ längst erloschen waren, verband die industrielle Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft. Neue Bilder verbanden sich mit den alten. Aus bis dato als störend empfundenen Altlasten entstand kulturelles Erbe, das Stolz erzeugen konnte“, Fleiß (2010), S. 131. Siehe dazu auch Kapitel 3.1. 537 Vgl. Nellen (2004), S. 23: „Jetzt hieß es: ‚Erfolgreicher Städtetourismus ist die beste Image-Kampagne‘.“ So auch in der Kurzfassung des Berichts zur Kommission Masterplan Reisen ins Revier, Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr: Masterplan für Reisen ins Revier. Bericht der Kommission, Düsseldorf / Gelsenkirchen 1997, S. 6. Zum Zusammenhang zwischen Tourismusförderung und Imagepolitik in postindustriellen Räumen vgl. für das Beispiel Katowice Tomann (2016), S. 130; Tomann, Juliane: Geschichte in Zeiten strukturellen Wandels. Das Image der Stadt Katowice zwischen Industrie- und ¯ ˇ Gartenstadt, in: Rezník, Miloš/Uezník, Miloš/Rosbenbaum, Katja (Hg.), Touristische Vermarktung der Geschichte, Leipzig / Berlin 2014, S. 37–56. 538 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 53. 539 Ebd. 540 Vgl. Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997).

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bereits seit längerem im Gespräch, wie aus den Akten der Bauausstellung hervorgeht. 541 Die Überlegungen zur Tourismusförderung im Ruhrgebiet waren für beide Baustein einer Zukunftsperspektive für die Region, deren Attraktivität sie als Ressource zum politischen Machterhalt verstanden. 542 Für die Profilierung des Ruhrgebiets als attraktives Ziel für Städtetourist*innen wurde endgültig die Abkehr von einer Imagepolitik „nach dem Motto ‚so schlecht sind wir ja gar nicht und demnächst sind wir auch so gut wie die anderen!‘“ 543 gefordert. Dahinter verberge sich eine „Mentalität, die das Eigenständige verleugnet und das Ziel ausgibt: ‚Endlich so, wie anderswo!‘“ Im Masterplan zum Ruhrgebietstourismus hieß es daher: „Bislang hat das Ruhrgebiet überwiegend Standortwerbung betrieben mit dem Tenor: ‚Das haben wir auch und so schlecht sind wir doch gar nicht!‘ Im Städtetourismus werden aber Erlebnisse und Unterhaltung nachgefragt, die man anderswo nicht findet.“ 544 Der Masterplan gruppierte demzufolge mögliche Reiseziele im Ruhrgebiet mit konventionellen Motiven wie „Schlösser und schöne Landschaften“ unter dem Motto „Das haben wir auch“ 545 und die regionalspezifischen Phänomene „Industriekultur und Industrienatur“ unter dem Motto „Das haben nur wir“ 546. „Entertainment“ und „Kultur“ wurden als Reisemotive mit den Labels „Das machen wir besser als andere“ 547 und „Vielfältiger als anderswo“ 548 versehen. Die Darstellung schloss mit dem völligen Gegensatz zur bisherigen, als defizitär beschriebenen Imagepolitik unter dem Motto „Anders als überall“ 549 541 Vgl. AHGR Bochum, IBA 683 A, Brief von Karl Ganser an Wolfgang Clement vom 12. 02. 1996. 542 Vgl. ebd.: „Je länger ich im Revier arbeite und die Stimmungen aufnehme, umso sicherer werde ich: Die politische Führung gewinnt der, der dem Ruhrgebiet seinen gebrochenen Stolz zurückgibt. Das ist zum einen die große Geschichte, die sich Menschen ungern nehmen lassen. Das ist zum anderen die Zuversicht auf Morgen, die etwas anderes ist, als die zur Zeit propagierten Durchhalteparolen und leeren Versprechungen. Das ist auch mehr als nur die Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen. Die IBA Emscher Park könnte ein Medium sein, beides anschaulich und anfassbar zu machen. Von einer Vision sind wir derzeit ein großes Stück entfernt, aber bis 1999 könnten wir in konzentrierter Arbeit wenigstens den ‚Sockel‘ schaffen, von dem man ins nächste Jahrtausend und auf den Anfang des Industriezeitalters zurückschauen kann. In Sachen Tourismus wurden wir ziemlich konkret. Wir haben die Berufung einer unabhängigen Sachverständigenkommission durch Sie verabredet, die Ihnen bis zum Jahresende 1996 einen ‚Masterplan‘ vorlegt.“. 543 AHGR Bochum, IBA 683 A, Anlage zum Brief von Karl Ganser an Wolfgang Clement vom 12. 02. 1996. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 544 Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997), S. 6. 545 Ebd., S. 9. 546 Ebd., S. 31. 547 Ebd., S. 57. 548 Ebd., S. 71. 549 Ebd., S. 95.

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mit Aufnahmen industriekultureller Standorte bei Nacht. Diese Abkehr von der bisherigen Selbst- und Außendarstellung der Region wurde über seitenfüllende Fotografien und Abbildungen von Veranstaltungsplakaten visuell aufbereitet, denen Erklärungen zu einzelnen Bausteinen des Tourismuskonzepts und zur Organisationsform einer zu gründenden regionalen Tourismusagentur folgten. Der Anhang umfasste einen Katalog von Projekten, die von der Kommission in Hinblick auf Machbarkeit, Finanzvolumen und Realisierungsgrad hin ausgewertet wurden. Ein zentrales Projekt war die Route der Industriekultur, 550 die im Rahmen des IBA-Finales im Jahr 1999 öffentlichkeitswirksam eröffnet wurde. Die verstärkte Eventisierung der zweiten IBA-Laufzeit, die unter dem Motto „Ereignisse statt Standorte“ 551 Eingang in das Tourismuskonzept fand, schlug sich auch in der Gestaltung des Finales der IBA Emscher Park nieder, die „als kulturelles Festival“ 552 endete. Das Programm zum IBA-Finale erschien nicht wie noch zur Zwischenpräsentation als eher schmucklose Auflistung der Ausstellungen und Veranstaltungen, sondern in der Aufmachung eines Ausstellungskatalogs, der vom Gestalter der Kataloge des Ruhrland- und späteren Ruhr Museums grafisch aufwendig und ästhetisch anspruchsvoll gestaltet war. 553 Den Einstieg in diesen Katalog zum Finale lieferte ‚Feuer und Flamme‘, was wiederum die große Bedeutung der historischen Ausstellung für die gesamte Bauausstellung unterstreicht. Die bevorstehende Jahrhundertwende diente als Marker für das Ende von Entwicklungen, „die über die regionale und deutsche Geschichte der letzten 150 Jahre hinaus eine europäische, ja eine weltweite Bedeutung haben: das klassische Industriezeitalter, die Epoche der großen Ideologien und Utopien, der verschwenderische Umgang mit der Natur, das Errichten und das Niederreißen von Grenzen und Barrieren in Europa“ 554. Diese zentralen Themenlinien wurden wie bereits in der Geschichtsausstellung über den Zugriff der Utopien erzählt und als grundlegend für das Verständnis der Ruhrgebietsgeschichte dargestellt – eine These, die allein schon durch Nennung der rekordverdächtigen Besucher*innenzahl von ‚Feuer

550 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 2.2.4. 551 Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997), S. 6. 552 Nellen (2004), S. 23. 553 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): IBA ’99 Finale. Das Programm April bis Oktober 1999. 10 Jahre ökologische und kulturelle Erneuerung einer großen Industrieregion, Gelsenkirchen 1998. Für eine kurze Zusammenfassung vgl. auch Dahlheimer, Achim: IBA ’99 Finale. Eine Bilanz, in: dies. (Hg.), Die Erfahrungen der IBA Emscherpark. Programmbausteine für die Zukunft. Memorandum III, Gelsenkirchen 1999, S. 103–107. 554 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1998), S. 14.

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und Flamme‘ gleichsam validiert zu werden schien. 555 Erst nach diesem Einstieg über die Geschichtsausstellung, der Texte zur Herausforderung einer Strukturpolitik ohne Bevölkerungswachstum, zum Emscher Landschaftspark als zentralem Leitprojekt der Bauausstellung sowie eine Chronologie der IBA folgten, stellte der Katalog das eigentliche Programm des IBA-Finales vor. Das Finale präsentierte die Arbeit und Ergebnisse der Bauausstellung mit unterschiedlichen Zugriffen. Mit dem Landschaftspark DuisburgNord, der Kokerei Zollverein und dem Gasometer Oberhausen fanden an drei zentralen industriekulturellen Standorten Ausstellungen statt. Neben einer Gesamtpräsentation aller Projekte als IBA-Bilanz im ehemaligen Duisburger Hüttenwerk und einer unter dem Titel ‚Sonne, Mond und Sterne‘ auf Zollverein präsentierten Kultur- und Naturgeschichte der Energieproduktion sollte vor allem die Installation ‚The Wall‘ des Künstlerpaars Christo und Jean-Claude im Oberhausener Gasometer Besucher*innen anziehen. Das aus 13.000 Ölfässern in verschiedenen Farben in den enormen Innenraum des Gasometers gestapelte Kunstwerk zerteilte den durch die IBA zum Ausstellungsraum umfunktionierten tonnenförmigen ehemaligen Gasbehälter durch eine Installation aus tausenden kleinen tonnenförmigen ehemaligen Behältern eines anderen zentralen fossilen Brennstoffs. Eine vierte Ausstellung zur Landmarkenkunst inszenierte im städtischen Schloss Oberhausen die künstlerische Bearbeitung von Industriedenkmälern in der gesamten Region und damit ihre postulierte Einzigartigkeit in einem konventionell als Landmarke verstanden Ausstellungsraum. 556 Neben den Ausstellungen an einzelnen Orten sollten vier im Finaljahr eröffnete Routen das IBA-Gebiet als landschaftlichen Raum erschließen: die Route der Industrienatur, der Landmarkenkunst, der Architektur und die der Industriekultur. Große Veranstaltungen wie etwa ein ‚Tag der Baukultur‘ oder die Eröffnung der Oberhausener Landesgartenschau fasste der Katalog in einer Zeittafel zusammen, der eine Über-

555 Vgl. ebd., S. 14–17. 556 Vgl. ebd., S. 49–52: „Während das Gesicht anderer Regionen durch Kirchen, Schlösser, historische Stadtzentren, Berge und Flüsse bestimmt ist, wird das Ruhrgebiet durch die Landmarken der Industriekultur geprägt: Halden, Fördertürme, Hüttenwerke, Schornsteine und Gasometer. Bedeutende Künstler haben in den letzten Jahren im Rahmen der IBA diesen Landmarken eine künstlerische Gestalt gegeben, die diese Zeugnisse der Industriekultur bewahren und zugleich als Zeichen und Orte des Wandels erlebbar machen. [. . . ] Es ist daher naheliegend, die Landmarkenkunst der Emscherregion durch Einbeziehung von Werken aus der historischen Kunst mit der Kunst- und Kulturgeschichte zu verorten. ‚Emscher Landschaftspark‘, der Begriff, den die IBA der postindustriellen Landschaft entgegensetzt, wird in der Tradition utopistischer Entwürfe erkennbar: IBA als Strategie realer Landschaftsgestaltung und als utopische Zukunftswerkstatt.“

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sicht über die Ausstellungsorte folgte. Der Landmarkencharakter der als Ausstellungsorte genutzten Industriedenkmäler wurde über Referenzen zu bekannten Landmarken anderer kultureller Metropolen hergestellt – der Gasometer wurde zu „Oberhausens Eiffelturm“ 557 und Zollverein zum „Kölner Dom der Industriekultur“ 558 erklärt. Die nun auf eine „Anders als überall“ 559 ausgerichtete Selbst- und Außendarstellung der Region funktionierte mithin weiter über die sprachliche Angleichung der Industriedenkmäler an klassische touristische Ziele. Wie aber wurde diese veränderte Form der Imagepolitik, die im IBA-Finale breit nach außen kommuniziert wurde, rezipiert? Die mediale Berichterstattung zum IBA-Finale griff diese Vergleiche auf und kommunizierte den Denkmalwert und Landmarkencharakter der Zeche Zollverein als „Kölner Dom der Industriekultur“ 560. Auch die Strategie der Eventisierung fand Widerhall im breiten medialen Echo über das Ende der Bauausstellung, 561 in dem etwa der Spiegel urteilte, das IBA-Finale sei ein „Ereignis, wie es Deutschland noch nicht erlebt hat“ 562, und jedes der knapp 120 Projekte, auch die weniger spektakulären, seien Ereignisse für sich. Diese ereignisorientierte Präsentation funktionierte vor allem über die Inszenierung starker Bilder, als deren Schöpfer immer wieder Karl Ganser beschrieben wurde – porträtiert als Visionär und Macher, gleichsam als die Personalisierung der von ihm erdachten Bauausstellung. 563 Dass diese starke Konzentration auf die als durchset557 Ebd., S. 107. 558 Ebd., S. 113. 559 Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997), S. 95. 560 Kahl, Jürgen: Selbstvertrauen fürs Revier. Karl Ganser hat die Geschichte des Emscher Parks geprägt, in: Süddeutsche Zeitung, 22. April 1999; Wernicke, Christian: Mehr als nur Kohle, in: Süddeutsche Zeitung, 15. Dezember 2018, URL: https:// www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ruhrgebiet-kohle-ausstieg-1.4253414 [letzter Zugriff: 18. Dez. 2018]. 561 Manfred Sack, Architekturkritiker der Zeit, publizierte eine ganze Monographie über die IBA Emscher Park, die keine Auftragsarbeit und doch weitgehend unkritisch die Geschichte der Bauausstellung erzählte, wie auch bereits zeitgenössisch geurteilt wurde. Der Strategie der Eventisierung widmete er ein eigenes Kapitel. Vgl. Sack (1999); Grill, Michael: Abschied vom Pott. Das war die IBA Emscher Park, in: Süddeutsche Zeitung, 4. September 1999. 562 Neffe (1999). 563 Vgl. Kaltenborn, Olaf: Neues Selbstbewußtsein im Revier, in: Süddeutsche Zeitung, 11. November 1998; Liebs, Holger: Gartenreich und bilderarm. Die Bauausstellung Emscher Park, der Pott und eine ungewisse Zukunft, in: Die Zeit, 29. April 1999; ders.: Reise ans Ende der Nacht. Dämmerung im Ruhrgebiet. 10 Jahre Internationale Bauausstellung, in: Süddeutsche Zeitung, 29. Dezember 1998; Meyer (1999); Grill, Michael: Den Menschen fehlt der Blick dafür. Zehn Jahre Bauausstellung. Konnte Karl Ganser mit der Umgestaltung die Identität des Ruhrgebiets verändern?, in: Süddeutsche Zeitung, 2. Oktober 1999b; Neffe (1999).

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zungsstark und kreativ beschriebene Person Gansers allerdings auch zu zahlreichen Konflikten mit Kommunalpolitiker*innen, kommunalen Verwaltungen und auch Mitarbeiter*innen der IBA Emscher Park führte, war ebenfalls Gegenstand der Berichterstattung. 564 So wurde Ganser mit der Klage zitiert, der Bevölkerung fehle der Blick für die Qualität und Ästhetik industrieller Bauten 565 und die Süddeutsche Zeitung konstatierte auch am Ende der Laufzeit noch eine geringe Akzeptanz der Bewohner*innen vor allem für die künstlerischen Projekte der IBA Emscher Park – bei der Verwaltung fehlte sie aus Sicht der Medien meist völlig. 566 Für eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung spräche dagegen die breite Partizipation beim Gastgeber*innenprogramm, in dem Bewohner*innen ihre Wohnungen als Urlaubsunterkünfte zur Verfügung stellen konnten. 567 Während viele Einheimische die Industrierelikte vor Beginn der IBA als Symbole für die schmerzhafte Erinnerung an harte Arbeit und den Verlust derselben noch hätten abreißen wollen, sei mittlerweile eine „Ruinensucht“ 568 zu beobachten. Ob das Ziel, einen mentalen Strukturwandel voranzutreiben und das Bild des schwarzen, rußbedeckten Ruhrgebiets aus den Köpfen zu verbannen, als erreicht gelten konnte, wurde jedoch sehr unterschiedlich beurteilt. Einerseits wurde die Konstruktion eines neuen Selbstvertrauens für die Region immer wieder als die zentrale Leistung der IBA hervorgehoben, 569 die Formulierung dieses Ziels andererseits aber auch als zu ambitioniert für eine Bauausstellung beurteilt. 570 Noch immer bestünde die Vorstellung, das Ruhrgebiet sei eine Gegend, die „Landschaft genannt zu werden, kaum verdient“ 571, und so bleibe es „immer noch das ungeliebte Stiefkind der Republik“ 572. Die angestrebte Veränderung der Region sei von der Radikalität einer „Geschlechtsumwandlung“ 573. Derartige von einer vorausgesetzten Normalität abweichende Charakterisierungen durchzogen auch die Beschreibungen des Versuchs, das Ruhrgebiet

564 Vgl. Grill, Michael: Was den Pott zum Pol macht. „Das Finale“. Seit zehn Jahren dreht sich im Ruhrgebiet alles um die „IBA Emscher Park“, in: Süddeutsche Zeitung, 23. April 1999a; Kahl (1999); Grill (1999b). 565 Vgl. Grill (1999b). 566 Vgl. ders. (1999a). 567 Vgl. Kaltenborn (1998). 568 Liebs (1998). 569 Vgl. Kahl (1999); Kaltenborn (1998); Grill (1999a). 570 Grill (1999b). 571 Neffe (1999). 572 Liebs (1999). 573 Meyer (1999).

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als touristisches Ziel für Familien und Pauschalreisende zu etablieren. 574 Nicht nur die Umnutzungen von Industriedenkmalen und das Programm des IBA-Finales wurden als außergewöhnlich und exotisch gekennzeichnet, sondern vor allem auch die Landschaft des Ruhrgebiets selbst, deren Abweichung von an sie gestellten Erwartungen gerade in ihrer ruhigen und grünen Erscheinung lag. Für das Ruhrgebiet als schöne Kulturlandschaft seien die Industriedenkmale von zentraler Bedeutung, die im Foucault’schen Sinne als Heterotopien gelten könnten. 575 Das landschaftsplanerische Verdienst der IBA habe dabei zunächst allerdings nur darin gelegen, die fortschreitende Veränderung dieser Landschaft zu stoppen, indem Industriebauten vor dem Abriss bewahrt wurden. 576 Das von Ganser verfolgte „Konzept der Ungleichzeitigkeit“ 577 bestand aus Sicht der Berichterstatter*innen darin, die Relikte der industriellen Vergangenheit aus dem Prozess zeitlichen Wandels herauszulösen, unter Schutz zu stellen und in eine „hellere Zukunft“ 578 einzubetten. Dass diese Zukunft aber auch aus Sicht der Medien noch ungewiss war, kam sowohl in Überschriften 579 als auch in sprachlichen Bildern wie dem des „schaurig-schöne[n] Echo[s]“ 580 zum Ausdruck, das der laute Ruf des Wortes ‚Zukunft‘ in der räumlichen Leere des Gasometers nach sich ziehe. Das als würdevoller Abschied vom Industriezeitalter bewertete IBA-Finale warf die Frage nach der Zeit nach der Bauausstellung auf, deren Ende als gefährliche Zäsur für die Region erschien. 581 Pläne zur Schaffung einer ‚Agentur Ruhr‘ wurden daher weitgehend positiv beurteilt. Die Gründung einer Agentur als Nachfolger der IBA Emscher Park GmbH war ein zentraler Bestandteil des dritten Memorandums, das 1999 erschien und auf Grundlage der Erfahrungen der Bauausstellung „Programmbausteine für die Zukunft“ 582 entwickeln sollte. Anders als die ersten zwei begann das dritte Memorandum nicht mehr mit einer Verortung der IBA in der Tradition von Welt- und Bauausstellungen, sondern reka574 Vgl. z. B. Grill, Michael: Kultur bringt den Pott zum Kochen, in: Süddeutsche Zeitung, 10. August 1999; Stuppe, Andrea: Ski alpin im Kohlenpott, in: Der Spiegel, 3. Januar 1999. 575 Vgl. Liebs (1998); Grill (1999a). 576 Vgl. Liebs (1999); Liebs (1998). 577 Liebs (1999). 578 Ders. (1998). 579 „Die Bauausstellung Emscher Park, der Pott und eine ungewisse Zukunft“, ders. (1999). 580 Kaltenborn (1998). 581 Vgl. Liebs (1999); Liebs (1998); Neffe (1999). 582 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (Hg.): Die Erfahrungen der IBA Emscherpark. Programmbausteine für die Zukunft. Memorandum III, Gelsenkirchen 1999.

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pitulierte unter dem Motto „Stolz auf Gestern, Mut für Morgen“ 583 zunächst die eigene Geschichte. Ilse Brusis, Ministerin für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, fasste die Ziele der IBA zusammen und erklärte sie mit nur wenigen und in jedem Falle erfolgreich zum Lernen genutzten Fehlern für erreicht. 584 Es habe sich ein für die IBA typisches und von Personen unabhängiges System herausgebildet, das es auch nach dem für 1999 festgelegten Ende der Bauausstellung zu erhalten gelte. Um eine Antwort auf die Frage zu finden, wie dieser Erhalt bewerkstelligt werden könnte, hatte die Landesregierung im Jahr 1997 eine Kommission eingesetzt, welche die Gründung einer ‚Agentur Ruhr‘ empfahl. Sie sollte in kommunaler Trägerschaft die Fortführung der IBA-Projekte überwachen und ihren erfolgreichen Abschluss garantieren. Der Gesetzesentwurf zur Gründung dieser Agentur, für deren Vorbereitung der IBA-Geschäftsführer Karl Ganser vorgesehen war, legte als Anhang zu Brusis’ Ausführungen im dritten Memorandum die Organisationsform des neu zu schaffenden und über eine Umlage aller beteiligten Kommunen zu finanzierenden Verbands fest. 585 Eine solche überkommunale Agentur stellte allerdings eine Konkurrenz zum existierenden KVR dar, der durch die Doppelstruktur überflüssig zu werden drohte. Nach Protesten des Kommunalverbands, aber auch aus den Städten und Kreisen, der Opposition sowie vom Koalitionspartner rückte die Landesregierung von der zunächst als verpflichtend vorgesehenen Mitgliedschaft für Städte und Kreise ab und sah statt einer Abschaffung des KVR dessen Reform vor. Auseinandersetzungen um die Frage, ob die Agentur einen Schritt hin zu einem eigenständigen Regierungsbezirk für das Ruhrgebiet bedeuten würde, wie ihn die aus den Kommunalwahlen als Sieger hervorgegangene CDU anstrebte, die im Land regierende SPD aber ablehnte, und Befürchtungen vor zu hohen Kosten für einen zweiten Verband neben dem reformierten KVR führten noch im Abschlussjahr der IBA zum Scheitern der Agenturpläne. Unter erneutem Protest von Opposition, Koalitionspartner, Kommunen und KVR gründete Wolfgang Clement – seit 1998 Ministerpräsident – Anfang des Jahres 2000 eine Landesgesellschaft namens ‚Projekt Ruhr GmbH‘. 586 Nachdem

583 Brusis, Ilse: Stolz auf Gestern, Mut für Morgen, in: dies. (Hg.), Die Erfahrungen der IBA Emscherpark. Programmbausteine für die Zukunft. Memorandum III, Gelsenkirchen 1999, S. 4–14. 584 Vgl. ebd. 585 Vgl. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1999), S. 16–23. 586 Vgl. Wirtz, Rainer: Vision, Krise, Vision, in: Wirtz, Rainer (Hg.), War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund,

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die SPD im Finaljahr der IBA Emscher Park in der Kommunalwahl Mitte September viele ihrer Hochburgen an die CDU verloren hatte, definierte die neue Landesgesellschaft sich nicht mehr explizit als IBA-Nachfolger im Sinne einer projektorientierten und partizipativen Agentur zur ökonomischen, sozialen und ökologischen Regionalplanung, sondern vielmehr als Instrument zur Wirtschaftsförderung. 587 Die Dominanz der Städtekonkurrenz, die während der Bauausstellung teilweise überbrückt werden konnte, setzte sich nach dem IBA-Ende wieder durch, wie Jörg Bartel, Feuilletonchef der NRZ, in einem leicht schmunzelnden Rückblick auf das Wirken Karl Gansers während der IBA festhielt: Er hat die lokalen Kulturdezernenten zunächst einzeln auf seine Seite und dann alle miteinander gegen sich aufgebracht, als er für alle kochen wollte, die auch alle kochen wollten. Ist es nicht ihr Pott, ihre Suppe und ihr Hunger? Sie witterten in der Riesenportion Einheitsbrei, und er, er roch den Braten nicht. Sie zählten 1000 Erbsen, Ganser macht 1000 Feuer, zum Teil unter ihren Hintern, das wärmte sie in 10 Wintern. Aber das Holz stammte doch von ihren Hütten, hochgestapelt. Und jetzt ist Frühling. Und wer sollte je den Appetit stillen, der beim Essen kam? Und den Nachdurst? Nein sie wollten keinen Superagenten Ruhr 007. Dann doch lieber 08/15. 588

Das in ironischem Ton gehaltene Porträt Gansers war Teil des Katalogs zu einer im Jahr 2000 von LVR, LWL und KVR gemeinsam realisierten Ausstellung über historische Zukunftsvisionen für das Ruhrgebiet. Als Teil des regionalen Geschichtsprojekts „Historama Ruhr“ 589 fragte die Ausstellung unter dem Titel „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrge-

Bottrop / Essen 2000a, S. 11–19, S. 13; Kirbach, Roland: Gerangel um das IBA-Erbe, in: Die Zeit, 18. Mai 2000; Landtag Nordrhein-Westfalen: Kritik am Hinwegsetzen über Reformgesetzentwurf. Plenarbericht zur Aktuellen Stunde zur geplanten Projekt Ruhr GmbH2000. Die Gesellschaft wurde vom ehemalgien Staatskanzleimitarbeiter Hanns Ludwig Brauser geleitet und musste nach Skandalen um Misswirtschaft bereits 2006 wieder liquidiert werden. Brauser wurde daraufhin bis zu seinem Tod im Jahr 2012 Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr, einer Tochter des mittlerweile zum Regionalverband reformierten RVR. 587 Vgl. Kaltenborn, Olaf: Kulturkampf an der Ruhr. Die IBA Emscher Park ein gutes Jahr nach ihrem Finale, in: Neue Zürcher Zeitung, 6. April 2001. 588 Bartel, Jörg: Karl Ganser. Eine etwas andere Würdigung, in: Wirtz, Rainer (Hg.), War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund, Bottrop / Essen 2000, S. 331–336, S. 334. 589 Siehe dazu das nachfolgende Kapitel 2.2.2.

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biet“ 590 nach den Entwürfen, die angesichts von Krisen für die Gestaltung der Zukunft der Region konstruiert wurden. Der Rückblick auf die vergangenen Zukünfte der Region sollte gleichzeitig „Anregungen und Kraft für eine bessere Zukunft“ 591 liefern und war somit Teil einer performativen Inszenierung der Zukunftsfähigkeit des Ruhrgebiets als Region – wenn es in der Geschichte der Region laufend kreative Visionen für die Gestaltung ihrer Zukunft gab, würde es diese sicher auch zukünftig geben. Der Verlust von Zukunftsfähigkeit durch wirtschaftliche und soziale Krisen erschien den Ausstellungsmacher*innen als zentraler Motor für die Imagination und Umsetzung von Visionen: „Ganz besonders aber sollen mit der Realisierung, wenigstens mit der Teilrealisierung von Visionen, die Ursachen, aus denen heraus sie entstanden sind, überwunden werden – und diese Ursachen sind nun einmal Strukturkrisen und damit verbunden die Sorge um die Zukunftsfähigkeit des Ruhrgebietes.“ 592 Nur ein Jahr nach ihrem Ende wurde die IBA Emscher Park bereits als eine solche Vision ausgestellt und ihr Entwurf des Ruhrgebiets als neues Ziel für kulturellen Städtetourismus historisierend in die Tradition regionaler Zukunftsentwürfe eingereiht: Das ist ‚heute schon Zukunft‘, um hier den Titel einer Ruhrgebietspräsentation von Anfang der 1970er Jahre aufzunehmen. [. . . ] Damals, 1970, wurde nach Krisen die Zukunftsfähigkeit des Ruhrgebiets herausgestellt, die Bereitschaft zu Modernisierung und Strukturwandel. Das neue Ruhrgebiet sieht sich visionär als eine zukunftsträchtige Tourismuslandschaft mit der Zeche Zollverein als seinem Neuschwanstein. 593

In einer ausführlichen, kritischen Reflexion der „Vision der IBA Emscher Park“ 594 führte der Kunsthistoriker Jörg Meißner aus, dass ein wesentliches Ziel der Bauausstellung darin bestanden habe, 590 Wirtz, Rainer (Hg.): War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund, Bottrop / Essen 2000b. 591 Esser, Ferdinand / Schäfer, Wolfgang / Willamowski, Gerd: Vorwort, in: ders. (Hg.), War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund, Bottrop / Essen 2000, S. 9. 592 Wirtz (2000a), S. 12. 593 Ebd., S. 19. 594 Meißner, Jörg: Ein Blick zurück nach vorn. Regionaler Strukturwandel und die Vision der IBA Emscher Park, in: ders. (Hg.), War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheini-

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herauszustellen, dass sich parallel zur Projektrealisierung eine zukunftsfroh stimmende Spielart kollektiver ‚Besinnung‘ auf die kulturellen Wurzeln des (alt)industriell geprägten Raumes einstellen werde. Eine derart reflektierte Auseinandersetzung mit der regionalen Identität und der ihr eigenen Qualität wurde als ein wesentliches Agens für die positive Neubewertung gewachsener Traditionen wie auch künftiger Standortbestimmungen erachtet. 595

Diese starke Fokussierung auf die Ausbildung eines neuen Images zum Zwecke der Standortverbesserung kritisierte Meißner als zwar erfolgreiche, aber oberflächliche Inszenierung. 596 Die als Leuchttürme inszenierten IBA-Projekte wie der Gasometer, der Landschaftspark Duisburg-Nord oder der Wissenschaftspark Rheinelbe in Gelsenkirchen seien außerdem nicht repräsentativ für den Standard aller Projekte und teilweise weit weniger erfolgreich als erwartet. 597 Das Ruhrgebiet habe sich über die durch Themenrouten verbundenen industriekulturellen Leuchttürme „innerhalb kürzester Zeit in ein vitales Freilichtmuseum“ 598 verwandeln wollen, das Bewohner*innen und Besucher*innen ein landschaftlich ansprechendes Erlebnis bietet. Ein Jahr nach der Abschlusspräsentation, in der die IBA-Verantwortlichen ihre Ziele für erreicht erklärt und die Bauausstellung als durchschlagenden Erfolg gefeiert hatten, wurde in einer Ausstellung zu Visionen des Ruhrgebiets also gefragt, ob durch die vielen ambitionierten IBA-Großprojekte tatsächlich etwas für die noch stark (alt)industriell dominierte Teilregion im Norden des Ruhrgebiets erreicht werden konnte. Stellt sich die Zukunft nach den zahlreichen regulativen Eingriffen nun aussichtsreicher dar oder kann der schöne Schein der neuen Event-Kultur zwischen Ruhr und Emscher nicht eher als modernistische, vordergründige wie populistische Planungsrhetorik entlarvt werden? 599

Die Antwort auf diese Fragen fiel eher skeptisch aus. Im Gegensatz dazu zählte aus Sicht des IBA-Geschäftsführers gerade die ästhetische Aufwertung der Industrielandschaft angesichts eines „besondere[n] Defizit[s] bei Stadtqualität und Landschaftsqualität“ 600, an dem das Ruhrgebiet ebenso

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schen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund, Bottrop / Essen 2000, S. 313–329, S. 313. Ebd., S. 319. Vgl. ebd., S. 323: „Was zählt ist demnach nicht der Inhalt, sondern vielmehr die Form an sich oder vielmehr ihr schöner Schein. Hiermit ist auch zugleich das wesentliche Moment des populistischen Erfolgs der IBA angesprochen: Sie figuriert als Bildproduzentin und Promoterin des Imagewandels im nördlichen Ruhrgebiet.“ Vgl. ebd., S. 325. Ebd., S. 328. Ebd., S. 313. Ganser (1999a), S. 61.

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wie alle Industrieregionen gelitten habe, zu den wesentlichen Bausteinen, welche die IBA für die Gestaltung der Zukunft von Industrieregionen bereitgestellt habe. Auch die von Meyer kritisierte gezielte Fokussierung auf „einige herausragende ‚Zukunftsstandorte‘ mit bester Lage im Verkehrssystem, mit Innenstadtnähe, mit guter Architektur und Landschaftsgestaltung und außergewöhnlichen Kulturangeboten“ war aus Gansers Sicht zentral für das Erfolgsrezept der IBA. Diese Standorte erzeugten aus seiner Sicht eine „neue Urbanität“ 601, welche die Region für gegenwärtige aber auch für zukünftige Bewohner*innen und somit für Investor*innen attraktiv mache: „Zukunftsstandorte sind also die Substanz für das Marketing der Region.“ Aber nicht nur die Aufwertung der Industrielandschaft als weicher Standortfaktor gehörte aus Sicht der IBA-Verantwortlichen zu ihrem Baukasten für die Zukunftsgestaltung von Industrieregionen. Vielmehr seien auch die in dieser Landschaft lebenden Menschen selbst als zu entwickelnde Standortfaktoren zu begreifen, wie Rolf Kreibich im Rückblick auf das Vorbildpotenzial der IBA Emscher Park deutlich machte. Durch Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen könnten „nicht nur fachlich hochqualifizierte, sondern in besonderer Weise im Hinblick auf Orientierungswissen sowie soziale Kompetenzen motivierte, kreative und selbstständige Facharbeiter“ 602 ausgebildet werden, die für Unternehmen ein „‚hartes‘ Standortkapital“ darstellen würden. Diese Eigenschaften müssten auch im „privaten und sozialen Umfeld gefördert und praktiziert werden“ 603, damit sie ebenso wie eine ästhetisch ansprechende Landschaft mit hohem Freizeitwert als harte Standortfaktoren für die Sicherung der „Zukunftsfähigkeit“ einer Region fruchtbar gemacht werden könnten. Obwohl Kreibich die Strategie der IBA deutlich von neoliberal denkenden und handelnden Managern abgegrenzt wissen wollte, 604 bediente die Bauausstellung mit ihrer Strategie der Herstellung von ‚Zukunftsfähigkeit‘ über Standortpolitik eine Denkweise, die neoliberal und angebotsökonomisch geprägt war, wie Wencke Meteling für die übergreifende, bundesweite Debatte über den ‚Standort Deutschland‘ gezeigt hat: Die angebotspolitische Maxime der ‚Standortsicherung‘ wurde zum Synonym für ‚Zukunftssicherung‘, ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ stand für ‚Zukunftsfähigkeit‘. Das dem Standortdenken inhärente Zukunftsverständnis war ebenso wie das zugrundeliegende Welt-, Gesellschafts- und Menschenbild angebotsökono-

601 Ebd., S. 68. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 602 Kreibich (2011), S. 138. Kreibichs IBA-Bilanz ist als IBA-Programm angelegt in ders. (1994). 603 Kreibich (2011), S. 140. 604 Vgl. ebd.

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misch modelliert, und das Zeitregime, in das es sich einfügte, war neoliberal geprägt. 605

Wenn Rolf Kreibich mit Bezug auf Johannes Rau festhielt, die IBA Emscher Park habe für das Ruhrgebiet als Standort „Zukunft gebaut“ 606, dann ist diese Zukunft also trotz womöglich gegenteiliger Intentionen als primär angebotsökonomische Zukunft zu verstehen – eine Zukunft „ausgerichtet auf die Bedürfnisse und Erwartungen von Unternehmen und Investoren“ 607. Dies zeigt sich an Kreibichs Forderung nach der Optimierung der Eigenschaften von Facharbeiter*innen zugunsten ihrer Aufwertung als Standortkapital für Unternehmen, die nicht auf Weiterbildungsmaßnahmen beschränkt bleiben, sondern auch auf das Privat- und Sozialleben ausgreifen sollte. Zwar hatte er bereits zur Hälfte der IBA-Laufzeit die Problematik unterschiedlicher Zeithorizonte in der Strukturpolitik reflektiert, wie er am Beispiel der unterschiedlichen Zeithorizonte in der zwischen langfristiger Solarförderung, mittelfristiger Kohlesubvention und kurzfristigem Kraftwerksbau deutlich machte. Die Lösung lag für ihn jedoch unbestritten in der „Ausrichtung der Region, d. h. in erster Linie ihrer Menschen, Unternehmen und Infrastrukturen, auf zukunftsfähige Qualifikationen, zukunftsfähige Märkte und zukunftsfähige Produktionen und Dienstleistungen“ 608 und gliederte sich somit in die angebotsökomische Modellierung von Zeit innerhalb der Debatte um zukunftsfähige Standorte ein. Auch wenn sich die IBA Emscher Park von den Debatten um den ‚Standort Deutschland‘ deutlich abzugrenzen suchte, 609 prägten diese mit ihrem angebotsökonomischen Zeitregime die durch die Bauausstellung angestrebte Modellierung von Zukunft. Als Instrument einer auf Standortförderung ausgerichteten Strukturpolitik konstruierte die IBA Emscher Park einen Zeithorizont, der sich mit Wencke Meteling als „Unterneh-

605 Meteling (2017), S. 405. Vgl. zur Genese auch des Standortbegriffs seit den 1970er Jahren auch dies.: Nationale Standortsemantiken seit den 1970er Jahren, in: Leendertz, Ariane / Meteling, Wencke (Hg.), Die neue Wirklichkeit. Semantische Neuvermessungen und Politik seit den 1970er-Jahren, Frankfurt am Main / New York 2016, S. 207–241. 606 Kreibich (2011), S. 141. 607 Meteling (2017), S. 405. 608 Kreibich (1994), S. 88 f. 609 Vgl. Ganser, Karl: Stolz auf gestern, mutig für morgen. Die IBA Emscher Park entwickelt lebenswerte Konzepte für die Region, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. September 1996: „Innovationskraft, mutig sein für das Morgen, eine solche Strategie muß herausführen aus der gegenwärtig geführten Debatte um den Standort Deutschland. Dieser Diskurs ist häufig niveaulos, weil er nicht mehr beinhaltet als ‚Kosten senken‘ und ‚Lasten anders verteilen!‘. Eine Perspektive für das 21. Jahrhundert ist dies nicht.“

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menszukunft“ bezeichnen lässt: „eine mikro- und angebotsökonomisch eng gefasste, zeitlich nahe Zukunft, nicht die soziale Zukunft der Gesellschaft oder die politische Zukunft des Gemeinwesens“ 610. Die an die IBA gestellten Erwartungen zum Entwurf einer sozialen oder politischen Zukunft für das Ruhrgebiet als soziale und räumliche Einheit, wie sie beispielsweise in der Kritik an der Bauausstellung im Rahmen der Ausstellung zu den vergangenen Zukünften der Region offenbar werden, erforderten dagegen einen anderen, langen Zeithorizont sowie die Adressierung anderer Akteursgruppen. Wie schon die Analyse der ersten Laufzeithälfte zeigt die Kritik am IBA-Finale und ihrem Vermächtnis, dass die Bauausstellung versuchte, möglichst viele Zukunftserwartungen gleichzeitig zu bedienen, die entworfenen Zukünfte mit ihren unterschiedlichen Zeithorizonten und Akteursbezügen aber unverbunden nebeneinander stehen blieben. Die industrielle Vergangenheit der Region und ihre baulichen Relikte in der Landschaft wurden zu Standortfaktoren erklärt, 611 deren planerische Steuerung sie in ein der Standortdebatte unterliegendes, neoliberales Zeitregime einbettete, das „auf der Rede von einer ungewissen und unsicheren Zukunft“ 612 basiert. Diese Einbettung erforderte eine bestimmte Lesart der industriellen Vergangenheit der Region, deren Funktionalisierung eine zunehmende Institutionalisierung hervorbrachte. Das folgende Kapitel zeichnet diese Institutionalisierung nach.

2.2.2 Die Konstruktion von Verflechtungen – Institutionalisierungsprozesse im Feld der Geschichtskultur Die weitreichende institutionelle Entwicklung, die sich während der IBA Emscher Park im geschichtskulturellen Feld des Ruhrgebiets vollzog, ließ sich bereits zeitgenössisch beobachten:

610 Meteling (2017), S. 405 (H. i. O.). 611 Vgl. etwa hierzu auch die Hervorhebung dieser Deutungsleistung als Erfolg der IBA zum Finale der Bauausstellung durch das Mitglied des IBA-Direktoriums Walter Siebel im Tagespiegel: „Der Soziologe Walter Siebel lobt an der IBA, dass sie ‚der Region endlich eine eigene Vergangenheit verschafft habe‘, derer sich zu erinnern lohnt. Das ist wichtig für eine Gegend, die sich 150 Jahre lang immer nur über Modernität definiert hat. Mit einem Mal wurden die Augen auf Fördertürme, Gasometer und anderes Sperriges, auf Gebläsehallen, alte Hochöfen und Maschinenhallen gerichtet. ‚Verbesserte Standortfaktoren‘ also, die eine freundliche, zur Ansiedlung verlockende Umgebung schaffen sollen“, Kaltenbrunner, Robert: Im Garten der Künste. Kunst statt Koks: die IBA Emscher Park verwandelte Industriebrachen in blühende Wohn- und Kulturlandschaften, in: Der Tagesspiegel, 20. September 1999. 612 Meteling (2017), S. 411.

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Auf dem Feld der Geschichtskultur im Ruhrgebiet haben sich im IBA-Jahrzehnt, unten und oben Entwicklungen ergeben, sind bewußt oder gar planvoll herbeigeführt worden, die vielleicht nicht alle je einzeln, aber insgesamt genommen einen qualitativen Anstieg in der Kulturlandschaft Ruhr ausmachen. 613

So beschrieb Ulrich Borsdorf in dem zum Ende der Bauausstellung publizierten Sammelband „IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet“ 614 Veränderungen im geschichtskulturellen Feld, die sich parallel zur IBA Emscher Park vollzogen hatten. Mit „unten und oben“ bezog Borsdorf sich auf die Aushandlung von top-down und bottom-up gesteuerten Prozessen im geschichtskulturellen Feld, die auf beiden Ebenen zu einer stärkeren Institutionalisierung im Sinne einer Stabilisierung „komplexe[r] Verflechtungen von Regeln und Ressourcen“ 615 führte. Nicht alle Institutionalisierungsprozesse in dieser Zeit waren direkt durch die Bauausstellung angestoßen worden. Sie begünstigte jedoch deren Entwicklung, die im Folgenden mit einem besonderen Fokus auf die Aushandlung von Topdown- und Bottom-up-Verhältnissen und der Produktion unterschiedlicher Zukünfte untersucht werden. Dafür wird zunächst die Planungsebene der IBA Emscher Park in den Blick genommen, die zur Gründung des Forums für Geschichtskultur an Ruhr und Emscher führte. Davon ausgehend werden mit der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur sowie der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets zwei Stiftungsgründungen untersucht und auf die Produktion von Zukünften hin befragt. Die Stiftungen sind hierbei nicht nur Beispiele für Institutionalisierungsprozesse. Sie ermöglichen auch einen Blick auf die konkurrierenden Aushandlungen von Geschichte als Bedeutung, da eine Stiftungsgründung das direkte Ergebnis der IBA Emscher Park war, während die andere sich zwar parallel, aber durchaus auch in kritischer Distanz zur Schlussphase der Bauausstellung vollzog. Abschließend werden die Institutionalisierungsprozesse zum Ende der Bauausstellung analysiert, welche die angestoßenen Entwicklungen über die Abwicklung der IBA Emscher Park hinaus gestalten sollten. Die forcierte Institutionalisierung des geschichtskulturellen Felds war bereits im „Positionspapier Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur

613 Borsdorf, Ulrich: Fortschritt in Geschichte. Unten und oben, in: Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.), IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999, S. 127–131, S. 127. (H. i. O.). 614 Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.): IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999. 615 Welskopp (2001), S. 114. Diese Verflechtungen „verdichten sich zu ‚Institutionen‘ im Sinne von organisierten oder dezentralen Systemen mit großer Reichweite und Ausstrahlungskraft“, ders. (2001), S. 114.

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der Internationalen Bauausstellung Emscher Park“ 616 angelegt, das in einem ersten Expertenkolloquium Anfang September 1991 in Dortmund erarbeitet und in einem zweiten Anfang Februar 1992 verabschiedet worden war. Das Papier entwarf in der Präambel einen Antagonismus zwischen als Wirtschaftsförderung verstandener Modernisierung und Auseinandersetzung mit Geschichte, der das Risiko zum „Verlust der Geschichtlichkeit“ 617 der von der IBA zu rekultivierenden Flächen in sich berge. Ziel der IBA sei es, zunächst diesen Antagonismus aufzulösen und somit das enge Verständnis von Modernisierung als Wirtschaftsförderung zu erweitern. Dazu gelte es, die Vorstellungen zu überwinden, dass Investitionen in Denkmalschutz ein unwägbares Risiko bedeuteten und keinen Mehrwert hätten, da die nach einem traditionellen Denkmalbegriff nicht als kulturell bedeutsam geltenden Industriebauwerke als Symbole für den Niedergang der Montanindustrie gelten und somit „fortschrittshemmend und imageschädigend“ wirken würden. Als Argumente gegen diese Vorstellung führte das Papier die normative Grundlage des Denkmalschutzgesetzes ins Feld, das seit 1980 galt und Zeugnisse der Industriegesellschaft explizit einschloss. Auch eine „moderne Geschichtsauffassung“ erfordere den Erhalt von Relikten des Industriezeitalters über die „Sicherung einiger weniger Urkunden und deren museale[r] Präsentation“ hinaus. Eine „moderne“, mithin fortschrittliche Auffassung von Geschichte wurde also als Legitimationsgrundlage für die Investition von Fördermitteln eingesetzt, die angesichts der strukturellen Probleme der Region eine besonders knappe und umkämpfte Ressource darstellten. Die Argumentation beruhte auf einer Festlegung des Verhältnisses von Denkmalpflege und Geschichte, in der diese nicht ohne das „unmittelbare Erlebnis“ 618 der materiellen Authentizität baulicher Zeugen auskomme. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Industriezeitalters müsse „sichtbare und unsichtbare“ Phänomene wie etwa die sozialen Härten industrieller Arbeit, des Alltagslebens von Arbeiterfamilien oder die Unterdrückung der „kulturellen Fähigkeiten“ und „sozialen Be616 Internationale Bauausstellung Emscher-Park: Positionspapier Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, in: Industriekultur 2 (1996a), S. 36–37. Die Positionspapiere wurden zu verschiedenen Themenbereichen der Bauausstellung erarbeitet und dienten als Grundlage für die Arbeit und die Auswahl der Projekte in den jeweiligen Leitprojekten. Für einen Überblick über die Positionspapiere vgl. Internationale Bauausstellung EmscherPark (1996b), S. 68. Zu Entstehung und Funktion der Papiere als Qualitätskriterien für die Projektauswahl vgl. Kilper (1999), S. 142 f., 274, 303; Kilper nennt außerdem noch weitere Positionspapiere, vgl. Kilper (1999), S. 368. 617 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996a), S. 36. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 618 Ebd., S. 36. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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dürfnisse“ der Arbeiter*innen gleichermaßen berücksichtigen, wofür eine möglichst umfassende Quellenbasis heranzuziehen sei. Das Papier plädierte daher für eine „Demokratisierung von Geschichtsforschung“ durch die Zusammenarbeit von „professionellen Historikern“ mit „Laien“, deren „gelegentlich zu beobachtende Geringschätzung [. . . ] einen vermeidbaren Qualitätsverlust der historischen Aufarbeitung“ bedeute. Der Einsatz von Bürger*inneninitiativen zum Erhalt von zum Abriss freigegebenen Industriebauwerken sollte durch die Stärkung der Industriedenkmalpflege in der regionalen Geschichtskultur nachträglich wertgeschätzt werden. Als materielle „Merkzeichen“ sollten die Bauten Orientierung geben, denn „Identität und historisches Bewußtsein sind untrennbar mit der räumlich gebundenen Überlieferung, den Bauten der Industrielandschaft verbunden“. Das identitätsstiftende Potenzial sollte aus Sicht der IBA Emscher Park daher auch den Erhalt markanter Gebäude rechtfertigen, für die keine unmittelbare und wirtschaftlich tragfähige neue Nutzung gefunden werden konnte. Zwar erfordere ihr Erhalt eigentlich einen gesellschaftlichen Konsens, dieser benötige aber wiederum Zeit, um ausgehandelt zu werden. Gerade angesichts der hohen Geschwindigkeit des strukturellen Wandels und der nicht auf Langlebigkeit, sondern auf wirtschaftliche Effektivität und Zweckmäßigkeit ausgelegten Bauweise von Industriebauwerken, die deren schnellen Verfall beförderten, müsse es möglich sein, die vom Abriss bedrohten Bauwerke vorläufig stehen zu lassen, anstatt sie im „Namen des Fortschritts“ 619 abzureißen. Vielmehr erfordere eine fortschrittliche Modernisierung es von Planer*innen, Historiker*innen, Denkmalschützer*innen und Museumsleuten, Wege zu finden, um über Erinnerung als ästhetische Praxis eine kollektive Identität zu schaffen. Diese müsste auch eine Ästhetik des Verfalls einschließen und eine Balance zwischen Erhalt, Verfall und neuer Nutzung finden. Entgegen aller bereits beschriebener Abgrenzungen der geschichtskulturellen Akteur*innen der Region von einer auf Identitätsbildung ausgerichteten Geschichtsschreibung finden sich im IBA-Positionspapier, das dem geschichtskulturellen Feld gewidmet war, also jene von Lübbe beschriebenen Charakteristika einer musealisierenden Praxis mit der „Funktion, Elemente der Wiedererkennbarkeit, Elemente der Identität zu sichern“ 620 – allerdings weniger als Erklärung eines denkmalpflegerischen Booms denn als Legitimation zum Anstoß desselben. Das Positionspapier stellte mithin sechs Forderungen auf, um das als Idealbild entworfene Verhältnis zwischen „Modernisierung und Ge-

619 Ebd., S. 37. 620 Lübbe (1982), S. 18.

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schichtskultur“ 621 zu realisieren: die Einrichtung eines öffentlichen Forums für den Austausch „zwischen Professionellen und Laien“, die Errichtung einer „Stiftung Industriedenkmalpflege“ mit Kapital aus öffentlicher Hand und den eingesparten Erhaltungs- und Abrisskosten der Eigentümer von Industriebauwerken, eine verstärkte Kooperation der regionalen Museen, die Einrichtung einer „Galerie der Architektur und Arbeit“, die Überlassung von industriellen Objekten und Räumen zur freien und kreativen Gestaltung außerhalb des geplanten Emscher Landschaftsparks und die Einrichtung eines Stiftungslehrstuhls mit dem durch das Papier skizzierten Geschichtsverständnis als Forschungsprogramm. Die Umsetzung dieser Forderungen erfolgte verstärkt in der zweiten Hälfte der IBA-Laufzeit und begünstigte die im Folgenden untersuchte zunehmende Institutionalisierung des geschichtskulturellen Felds. Das aus einem „Bedürfnis nach weiterer lockerer Vernetzung“ 622 nach dem von der IBA ausgelobten Geschichtswettbewerb im Mai 1992 gegründete Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher bemühte sich bereits vor Beginn der Zwischenpräsentation um öffentliche Förderung zur Finanzierung geplanter Aktivitäten wie Tagungen und Aktionstagen sowie zur Professionalisierung der Strukturen etwa über die Einrichtung einer Geschäftsstelle. Obwohl die IBA das Forum unterstützte, indem beispielsweise Karl Ganser in Kontakt zur NRW-Stiftung trat, wurde die angestrebte Professionalisierung und Institutionalisierung von ihm auch kritisch beobachtet, da sie den Charakter des Forums als Laienbewegung unterdrücke. Zwar hatte die IBA die Gründung eines Forums ausdrücklich als Forderung in ihrem Positionspapier formuliert, es sei aber nicht wünschenswert, dass „das Forum Geschichtskultur den Weg aller Institutionen geht“ 623. Zentralisierung gelte es zu vermeiden und vielmehr lokale Laieninitiativen zu stärken und untereinander zu vernetzen. Die Neuauflage des Geschichtswettbewerbs, der zuallererst zur Gründung des Forums geführt hatte, und ein Aktionstag zur Industriegeschichte wurden dafür ins Programm der IBA-Zwischenpräsentation aufgenommen. Die finanzielle Förderung der Projekte war somit sichergestellt, blieb aber zunächst in den Kontext der Bauausstellung eingebunden.

621 Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996a), S. 37. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 622 Redetext zur Vorstellung des Forums Geschichtskultur auf der Kuratoriumssitzung der IBA am 9. Juni 1993, Bestand Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e. V., zitiert nach Abeck / Schmidt (2017), S. 12. 623 AHGR Bochum, IBA 123 A, Brief von Karl Ganser an Wolfgang Ebert vom 21. 07. 1992.

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Der Aktionstag richtete sich an die Schüler*innen des Ruhrgebiets, die zur „Suche nach der eigenen Identität“ 624 angeregt werden sollten, indem Geschichtsinitiativen und Institutionen ihre Arbeit vorstellten. Neben marginalisierten Themen wie Frauen- oder Zwangsarbeiter*innengeschichte sollte den Schüler*innen vor allem die Identität des Ruhrgebiets als „Region, deren Geschichte typisch ist für die ‚alten‘ Industrieregionen – und doch nicht so wie überall“ präsentiert werden. Dafür sollte den Schulen ein auch über den Aktionstag hinaus nutzbarer Angebotskatalog zugehen. Professionelle Institutionen und Laieninitiativen wurden den Schulen über das Forum als Zusammenschluss aus „nebenund hauptberuflichen Geschichtsinteressierten“ vorgestellt, was die Trennung beider Gruppen relativierte. Auch die Neuauflage des Geschichtswettbewerbs als Teil der Zwischenpräsentation trug zur Vermischung beider Gruppen bei, da er sich anders als der erste Wettbewerb explizit nicht mehr nur an Laien, sondern auch an professionell mit Geschichte arbeitende Personen und Initiativen richtete und die Preise nun in verschiedenen Kategorien verlieh. 625 Die große Resonanz sowohl auf den Aktionstag als auch auf den Geschichtswettbewerb führte zu ihrer Verstetigung und beförderte so die Institutionalisierung des Forums. 626 Ein entscheidender Schritt hierzu war außerdem die Publikation einer eigenen Zeitschrift, die unter dem Titel „Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher. Informationen“ erstmals 1995 erschien. In der ersten Ausgabe stellte sich das Forum als Netzwerk vor, das den „Austausch an Wissen und Erfahrung zwischen Laienforschern / innen und den historischen Wissenschaften in den Hochschulen, Museen, Denkmalpflege, Volkshochschulen und anderen Institutionen fördern“ 627 wolle: Ziel der gesamten Arbeit ist es, ein Netzwerk zu bilden, das alle Interessierten an einem ‚Runden Tisch‘ versammelt. Bewusst besteht keine klassische Vereinsstruktur. Vielmehr soll es möglich sein, je nach Bedarf an dem Tisch Platz zu nehmen oder auch wieder aufzustehen. Gründungsmitglieder und Vorstand waren und sind der Meinung, daß ein solches Netzwerk sinnvoll ist. Geschichte braucht eine Lobby! Ihre Vermittlung unterliegt so oft nicht nur finanziellen Problemen. [. . . ] Gerade in diesen Tagen wird zum Beispiel deut-

624 AHGR Bochum, IBA 124 A, Informationsbroschüre zum Tag der Geschichte im Ruhrgebiet am 18. 10. 1994. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 625 Vgl. Abeck / Schmidt (2017), S. 12. 626 Ein zweiter Aktionstag fand bereits am 15. Mai 1996 statt, der Auftakt zum nächsten Wettbewerb folgte im selben Jahr mit der Preisverleihung 1997. Zur Existenz von Institutionen als besonders stabile soziale Systeme durch die stetige Wiederholung von Handlungsmustern vgl. Welskopp (2001), S. 114. 627 Vgl. Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e. V. (1995) Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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lich, wie wenig fünfzig Jahre nach dem Kriegsende das furchtbare Erbe dieser Zeit verarbeitet wurde. Vermeidung und Verdrängung haben die Nachkriegszeit mehr geprägt als die notwendige Auseinandersetzung mit einer düsteren Epoche deutscher Geschichte, die nicht zufällig hereinbrach und aus deren Entstehungsgeschichte sich immer noch viel lernen ließe für eine demokratische Gegenwart und Zukunft des Landes und besonders auch dieser Region. [. . . ] Dieser Infodienst soll dazu beitragen, sie [die gemeinsame Geschichte des Ruhrgebiets, H. W.] besser kennenzulernen. Vor allem soll er regelmäßig darüber unterrichten, wer was unternimmt, um die Geschichte des Ruhrgebiets aufzuschreiben. Das Netzwerk wächst!

Die Zeitschrift diente also als Mittel zur Konstruktion eines Netzwerks, das einerseits die Geschichte der Region erforschen, festhalten, vermitteln und darüber Identität stiften sollte. 628 Andererseits sollte es aber auch eine bestimmte Form der Produktion von Geschichte als Bedeutung ermöglichen, die als Mittel zur Sicherung einer demokratischen Gegenwart und Zukunft angesichts eines Erstarkens rechtsextremistischer Kräfte in den 1990er Jahren begriffen wurde. Die Bildung eines Netzwerks, das zunächst explizit keine klassischen Vereinsstrukturen annehmen, 629 sondern offen und diskursiv funktionieren sollte, basierte auf einem Netzwerkbegriff, dem ein normativ aufgeladenes, utopisches Potenzial innewohnte, wie Alexander Friedrich in seinen Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Geschichte des Netzwerkbegriffs seit den 1970er Jahren gezeigt hat. 630 Vernetzung als durch die Neuen Sozialen Bewegungen hervorgebrachte Form demokratischer Selbstorganisation sollte „Kooperation ermöglichen, ohne die Autonomie und Selbstbestimmung der einzelnen Gruppen zu untergraben“ 631. Der Netzwerkbegriff ist hierbei mehr als nur die Selbstbeschreibung einer angestrebten Organisationsform, wie Friedrich zeigt. Er ist „auch als dezidierte Antwort auf gesellschaftliche Problemkonstellationen und Krisenerfahrungen“ 632 zu verstehen, die gegen Ende der 1980er Jahre und vor allem im Laufe der 1990er Jahre zunächst von Unternehmen und schließ628 Siehe dazu auch Kapitel 2.1.3, Anm. 356. 629 Aufgrund der Anpassung an Förderungsbedingungen gab sich das Forum später doch die Organisationsform eines eingetragenen Vereins, vgl. Abeck / Schmidt (2017), S. 12. 630 Vgl. Friedrich, Alexander: Vernetzung als Modell gesellschaftlichen Wandels. Zur Begriffsgeschichte einer historischen Problemkonstellation, in: Leendertz, Ariane / Meteling, Wencke (Hg.), Die neue Wirklichkeit. Semantische Neuvermessungen und Politik seit den 1970er-Jahren, Frankfurt am Main / New York 2016, S. 35–62, S. 41. 631 Kaufmann, Stefan: Netzwerk, in: Bröckling, Ulrich / Krasmann, Susanne / Lemke, Thomas (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt am Main 2004, S. 182–189, S. 183. 632 Friedrich (2016), S. 45.

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lich von staatlichen Verwaltungsorganen als neues Ideal zur Organisation von Subjekten adaptiert wurde. Das emanzipatorische Potenzial der „Netzwerkutopien der sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er-Jahre“ 633 ging somit zunehmend verloren, wie Friedrich deutlich macht: „Vernetzung als Leitmodell wirtschaftlicher und politischer Rationalität wird zu einem neuen Dispositiv der Macht“ – „es gesteht den involvierten Akteuren ein hohes Maß an Selbstorganisation nicht nur zu, sondern verlangt es ihnen systematisch ab“ 634. Die Initiierung des Forums als „Top-downStrategie der IBA“ 635 und die kritische Beobachtung der Bestrebungen zur Zentralisierung und Professionalisierung des Netzwerks von Seiten der IBA-Geschäftsführung lassen sich als Beleg der Ausbildung eines solchen Machtdispositivs lesen. Als Dispositiv inkorporierte es das emanzipatorische Potenzial des aus dem alternativen Politikmilieu der 1970er und 1980er Jahre stammenden Netzwerkbegriffs und hob es gleichzeitig auf. Eine durch das Forum angestrebte Selbstqualifizierung der Laienszene über das Angebot von Workshops und Werkstätten, 636 die eine Emanzipation im Sinne einer noch stärkeren Aufhebung der Grenzen zwischen ‚Profis‘ und ‚Laien‘ hätte bedeuten können, schlug ebenso fehl wie die von oben verordnete Initiierung einer breiten regionalen Geschichtsbewegung von unten. 637 Erfolgreich blieben dagegen die vom Forum veranstalteten Geschichtswettbewerbe, von denen der dritte unter dem Motto „Das Ruhrgebiet von 1945 bis morgen“ bereits im Titel den erwünschten Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft der Region vorgab. Für Borsdorf war der Erfolg des Wettbewerbformats Ausdruck für eine stetige „‚Nachfrage‘ nach einem objektivierten Vergleich der Anstrengungen und nach deren Belohnung“ 638. Die Professionalisierung der Netzwerkzeitschrift beschrieb er als Versuch, der „Nachfrage nach Service, Beratung, Kommunikation und Information; [. . . ] nach Austausch zwischen professioneller und Laien-Geschichtsarbeit“ gerecht zu werden. Der Erfolg des Forums „als flexibles Netzwerk der Geschichtskultur“ in der Abdeckung dieser Nachfrage sei allerdings davon abhängig, in welchem „Maße [. . . ] die Wünsche an dessen Leistungsfähigkeit auch in Mitarbeit umgesetzt“ würden. Denn diese sei „von großer Bedeutung für die Beziehung zwischen unten und oben, auch in der Geschichtskultur“. In Borsdorfs Bewertung wird

633 634 635 636 637 638

Ebd., S. 47. Ebd. Abeck / Schmidt (2017), S. 9. Zur Konzeption der Werkstätten vgl. AHGR Bochum IBA 123 B. Vgl. Abeck / Schmidt (2017); Borsdorf (1999), S. 129. Borsdorf (1999), S. 129. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate (H. i. O.).

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deutlich, dass das Ideal eines flexiblen, nicht in starren institutionellen Strukturen organisierten Netzwerks mitunter mit den Erwartungen an eine Anlaufstelle für professionelle, geschichtskulturelle Beratung kollidierte. Als solche versuchte das Forum beispielsweise die immer breiter werdende Forschungsliteratur zur Geschichte des Ruhrgebiets in einem „Literaturwegweiser“ 639 übersichtlich zu bündeln, um so die „Beschäftigung mit der Ruhrgebietsgeschichte zu fördern“ 640. Der Band mit Überblicken zu epochen- und themenspezifischer Literatur richtete sich vor allem an nicht-professionell mit Geschichte arbeitende Personengruppen, an „historisch Interessierte im weitesten Sinne – an Leser historischer Publikationen, an Amateurhistoriker, an Lehrer und Schüler“. Studierende seien nicht die Zielgruppe, könnten den Band aber gleichwohl als Einstieg in ihre Literaturrecherche verwenden. Die Erstellung einer solchen ‚Serviceleistung‘ des Forums für ‚Laienhistoriker*innen‘ gehörte zu den ersten Zielen des Netzwerks, konnte aber erst im Abschlussjahr der IBA Emscher Park realisiert werden. Für den Versuch einer Verstetigung sowie stärkeren Strukturierung und Professionalisierung der Ruhrgebietsgeschichtsschreibung war die Publikation ein wichtiger Baustein. Die finanzielle Förderung des Forums ging Ende der 1990er Jahre von der NRW-Stiftung auf die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur über, 641 einem anderen wichtigen Faktor der Institutionalisierung regionaler Geschichtskultur während der IBA Emscher Park. Die Stiftung, deren Gründung ebenso wie das Forum Geschichtskultur bereits als Ziel im Positionspapier „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ der IBA Emscher Park formuliert war, stand auch vor der Übernahme seiner finanziellen Förderung in direkter Verbindung zum Forum. Die enge Verzahnung beider Institutionen war fester Bestandteil der Planungen zur Stiftungsgründung, die ihr die Funktion zuwiesen, die ins Stiftungsvermögen übernommenen Industriedenkmale in ihren sozialräumlichen Zusammenhängen zu verankern. So hielt Karl Ganser in einem die Stiftungsgründung betreffenden Schreiben an Wolfgang Roters, Abteilungsleiter für Stadtentwicklung im Landesministerium, fest, dass Stiftung und Forum „sehr stark verbunden sein“ 642 müssten. Das Forum solle die

639 Faulenbach, Bernd / Jelich, Franz-Josef (Hg.): Literaturwegweiser zur Geschichte an Ruhr und Emscher. Im Auftrag des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, Essen 1999. 640 Dies. (1999), S. 7. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 641 Vgl. Abeck / Schmidt (2017), S. 12. 642 AHGR Bochum, IBA/117 A, Brief von Karl Ganser an Ministerialdirigent Wolfgang Roters vom 31. 03. 1993. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Aufmerksamkeit lokaler Geschichtsinitiativen auf die Projekte der Stiftung lenken, um sie „auf diese Weise in der örtlichen Gemeinschaft lebendig zu machen“ und so die bürgerschaftliche Akzeptanz für den Erhalt der Bauwerke zu erhöhen. Die top-down gerichtete Erhaltung industriekultureller Denkmale sollte um einen bottom-up gerichteten Aneignungsprozess ergänzt werden. Dies sollte sicherstellen, dass „die Zeugen der Industriegeschichte Geschichten über die Vergangenheit erzählen und Wege in die Zukunft weisen“ 643. Hier wird die den in der Gegenwart unter Schutz gestellten historischen Bauwerken zugewiesene Orientierungsfunktion für die Zukunft deutlich, die durch den Zusatz der „Geschichtskultur“ im Stiftungsnamen noch mal betont wurde – laut Ulrich Borsdorf ein „Meilenstein“ 644, da die Namensgebung den Begriff „zum erstenmal [sic] öffentlich-institutionell festgeschrieben“ habe. Die Festlegung einer spezifischen Interpretationsweise der industriellen Vergangenheit durch die Aufnahme des Begriffs in den Stiftungsnamen und die wissenschaftliche Verfestigung des Geschichtskulturbegriffs nach Rüsen standen also in Wechselwirkung zueinander. 645 Die Stiftung hatte vor allem den Zweck, das Eigentum an Industriedenkmalen zu übernehmen, für die noch keine neue oder tragfähige Nachnutzung in Sicht war und den Bauwerken über die neue Trägerschaft gleichsam die Möglichkeit zur Überwinterung zu geben, bis ein Konsens über ihre Zukunft erreicht würde. Um für vom Abriss bedrohte Industriebauten die Konsensfindung über Erhalt und Gestaltung der Nachnutzung in Gang zu setzen, sollte die Stiftung als Institution, als organisierte Struktur „Sachzwänge“ 646 schaffen. Vor der Stiftungsgründung hatte diese Funktion häufig der landeseigene Grundstücksfonds Ruhr übernommen, der aber nun angesichts der angespannten Haushaltslage und dem durch die Beschlüsse der Kohlerunde 1991 gestiegenen zeitlichen Druck als Instrument nicht mehr tragfähig schien. Das Land sollte daher gemeinsam mit Unternehmen eine Stiftung gründen, in die neben öffentlichen Mitteln Gelder in Höhe der eingesparten Abrisskosten und das Eigentum an 643 AHGR Bochum, IBA/117 A, Konzept „Initiative Stiftung ‚Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur‘“. 644 Borsdorf (1999), S. 128. 645 Vgl. auch ders. (2017), S. 6: „Der Begriff der ‚Geschichtskultur‘ hatte einen aufklärerisch-emanzipativen, einen im demokratisch-kritischen Sinne identitätsbildenden Klang, deshalb schien er für die Namensgebung des Forums geeigneter. Diesem Gedankengang folgend, hängte Karl Ganser der zeitgleich gegründeten ‚Stiftung Industriedenkmalpflege‘ (1995) den Zusatz ‚und Geschichtskultur‘ an. Der Name erwies sich zwar als unpraktisch, weil er zu lang war, aber die Absicht blieb erkennbar: Nicht nur ‚Stehenlassen‘ sollte das Konzept der Stiftung sein, sondern ‚Ver-Stehen lassen‘.“ 646 AHGR Bochum, IBA/117 A, Brief von Karl Ganser an Ministerialdirigent Wolfgang Roters vom 31. 03. 1993.

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den zu bewahrenden Liegenschaften als Kapital einzubringen seien – ein Finanzierungprinzip, das schon beim Gasometer zum Einsatz kam. Aber auch Unternehmen, die selbst keine Bauwerke besaßen, für die sich die Frage nach Abriss oder Erhalt stellte, sollten als Geldgeber für die Stiftung gewonnen werden, denn aus Sicht der IBA mussten sie ebenfalls ein Interesse daran haben, „daß die Industrieregion in ihrer kulturellen Identität gestärkt wird“ 647. Für diese Stärkung seien industrielle Bauwerke als „wesentliche Träger des industriellen Gedächtnisses“ von zentraler Bedeutung. Der Stiftung käme die Aufgabe zu, sie durch die Übernahme in ihr Stiftungseigentum vorläufig zu sichern und ökonomischen Produktivitätszwängen zu entziehen. Aus unternehmerischer Sicht sollte die Stärkung einer kulturellen Identität vor allem der Verbesserung der Standortfaktoren dienen. Auch aus Sicht der Landespolitik stand dieser Zweck klar im Vordergrund der Stiftungsgründung als Instrument einer „zeitgemäße[n] Strukturpolitik, die den spezifischen Charakter einer Region, auch ihre Historie und ihre kulturelle Identität einsetzt zur Verbesserung von Standortqualitäten“ 648. Zu dieser Verbindung aus Struktur- und Kulturpolitik gehöre auch, dass nicht nur Bauwerke erhalten, sondern auch andere abgerissen und so 100 Flächen für industrielle Neuansiedlungen und somit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze verfügbar gemacht würden. 649 Die Stiftung sei somit Beleg für einen zweidimensionalen Lernprozess, in welchem die Denkmalpflege verstanden habe, dass nicht alle industriellen Bauwerke erhalten werden könnten oder müssten und bei der RAG die Einsicht in den „identitätsstiftenden Wert ihrer Anlagen“ 650 gewachsen sei. Als Beleg verwies Ilse Brusis als Vertreterin der Landesregierung bei der Pressekonferenz zur Stiftungsgründung auf die Anlagen der Zeche Zollverein und den Oberhausener Gasometer, die inzwischen als erfolgreich erhaltene und neu genutzte Industriedenkmale von besonderer Bedeutung galten, ursprünglich aber von der RAG zum Abriss vorgesehen waren. Ein Vorstandsmitglied der RAG betonte dagegen, das Unternehmen tue „von sich aus alles“ 651, um den Erhalt von industriellen Baudenkmalen zu

647 AHGR Bochum, IBA/117 A, Konzept „Initiative Stiftung ‚Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur‘“. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 648 AHGR Bochum, IBA/117 A, Rede der Ministerin für Stadtentwicklung, Kultur und Sport, Ilse Brusis auf der Pressekonferenz „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ am 30. 11. 1995 in Essen. 649 Vgl. ebd. 650 Ebd. 651 AHGR Bochum, IBA/117 A, Rede von Wilhelm Beermann, Vorstandsmitglied der RAG, auf der Pressekonferenz „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ am 30. 11. 1995 in Essen. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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fördern, die entgegen eines konventionellen Kulturbegriffs sehr wohl als Kulturgut zu bewerten seien. Die RAG bringe daher neben neun Liegenschaften und 30 Mitarbeiter*innen für einen Zeitraum von fünf Jahren Kapital in Höhe der eingesparten Abrisskosten von mehr als 4 Millionen DM in die Stiftung ein, das somit explizit nicht aus „staatlichen Kohlehilfen“ stamme. Die Betonung der nicht aus Subventionen stammenden Kapitalstiftung sowie Wilhelm Beermanns Ausführungen zum Wandel des Unternehmens, das sich ebenso wie die Region im Strukturwandel diversifiziere, zeigen, dass die finanziellen Risikokalkulationen der 1968 zur Abwicklung des Steinkohlenbergbaus gegründeten RAG nicht rein unternehmerischer Natur waren. Sie musste vielmehr auch die Kritik an Investitionsentscheidungen eines Unternehmens einkalkulieren, das maßgeblich für die teuren Kohlesubventionen stand, die spätestens mit der 1995 gerichtlich erzwungenen Abschaffung der als „Kohlepfennig“ bezeichneten EEG-Umlage immer schwieriger zu verteidigen waren. 652 Die Entscheidung, bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Verfügbarmachung von Flächen für Industrieansiedlungen in eine Stiftung zum Erhalt der baulichen Relikte des Steinkohlenbergbaus zu investieren, präsentierte Beermann als Beleg dafür, dass die RAG ihre Verantwortung für die Geschichte des Ruhrgebiets als Teil der Zukunftsgestaltung für die Region verstehe: „Bei all’ unseren Zukunftsaktivitäten behalten wir unsere Geschichte und unsere kulturellen Traditionen lebendig. Denn auch dies ist erforderlich, um eine Region ohne Brüche für die Zukunft zu entwickeln.“ 653 Die Zukunft, die hier von der Landesregierung und der RAG als den beiden initialen Kapitalgebern der Stiftung entworfen wurde, war auf die Verbesserung von Standortqualitäten ausgerichtet und ist somit wie oben erläutert als eine angebotsökonomische Zukunft zu verstehen. 654 Sie zielte auf eine andere Zukunft als diejenige, die etwa Ulrich Borsdorf durch die „regionale Geschichtspolitik“ 655 der IBA gestaltet zu sehen glaubte. Zum Abschluss der Bauausstellung hielt Borsdorf fest, die Aktivitäten des Forums Geschichtskultur hätten zweifellos „zur kritischen Selbstsicht der Region beigetragen, Orientierungen ausgestrahlt und mit reflektierter

652 Am 11. Oktober 1994 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die umgangssprachlich als Kohlepfennig bezeichnete Abgabe nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit verfassungswidrig sei. Der Kohlepfennig wurde daher 1995 abgeschafft. 653 AHGR Bochum, IBA/117 A, Rede von Wilhelm Beermann, Vorstandsmitglied der RAG, auf der Pressekonferenz „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ am 30. 11. 1995 in Essen. 654 Siehe Kapitel 2.2.2, Anm. 605. 655 Borsdorf (1999), S. 131.

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Rückbesinnung Zukunftszuversicht verbreitet“ 656, womit sie repräsentativ für den wünschenswerten Umgang mit Geschichte als Teil der IBA-Strukturpolitik seien: Und so ist als Fazit der Bemühungen der IBA auf dem Feld der Geschichtskultur festzuhalten, daß es von hohem Verantwortungsbewußtsein spricht, wenn im Prozeß des Wandels von den Entscheidern auf historische Dimensionen und Kontinuitäten nicht nur geachtet wurde, sondern sie als mentale Vektoren zur Entwicklung von Produktivität für diesen Wandel provoziert wurden. Je mehr sich die Befassung mit Geschichte nicht im Tradieren des Hergebrachten und Überkommenen und im Identität Stiftenden erschöpft, sondern kritischen Einsichten über eine ungeteilte Vergangenheit Raum schafft, desto mehr wird sie die Zukunftsfähigkeit der Region zu Tage fördern helfen. 657

An dieser Bewertung Borsdorfs, der als Direktor des Ruhrlandmuseums und Sprecher des Forums Geschichtskultur schon vor und über seine Aktivitäten während der IBA Emscher Park hinaus noch lange ein zentraler geschichtskultureller Akteur in der Region blieb, 658 wird die Überlagerung verschiedener Diskurse mit ihren Konsequenzen für das Feld der Geschichtskultur deutlich. Der Begriff der ‚Zukunftsfähigkeit‘ war wie oben deutlich gemacht von den Diskursen um den ‚Standort Deutschland‘ geprägt und entwarf eine andere Zukunft als die geschichtstheoretischen Diskurse, in denen die Begriffe der Geschichtskultur sowie des traditionalen und kritischen Erzählens im Sinne Rüsens Zukünfte mit langfristigen, tendenziell unabgeschlossenen Zeithorizonten modellierten. 659

656 Ebd., S. 130 f. 657 Ebd., S. 131. 658 Den Einfluss Borsdorfs auf den Geschäftsführer der IBA Emscher Park beschrieb Ganser in seinem zum Ende der Bauausstellung publizierten persönlichen Rückblick so: „Als langjähriger Denkmalpfleger des Landes Nordrhein-Westfalen wußte ich, was ein Denkmal ist. Es gehört unter Schutz und ist zu erhalten, Veränderungen sind verboten oder bedürfen zumindest der denkmalpflegerischen Erlaubnis. Aber darf man Denkmäler auch vergehen lassen? Und was sagen sie wirklich als Zeugen über die Geschichte aus? Der Direktor eines Museums verunsicherte mich schon früh, indem er den Zeugniswert von gebauten Anlagen in Frage stellte und Geschichtlichkeit ganz anders verstanden wissen wollte. Die Bildhaftigkeit des Baudenkmals würde eher davon abhalten, sich mit der Geschichte wirklich auseinanderzusetzen. In dieser Verunsicherung fingen wir an, Bilder gegen Bilder zu setzen, ich meine über die Baudenkmäler und er seine über die Geschichte“, Ganser, Karl: Liebe auf den zweiten Blick. Internationale Bauausstellung Emscher Park, Dortmund 1999, S. 190. 659 Zur Unterscheidung der vier Typen historischen Erzählens bei Rüsen vgl. Rüsen, Jörn: Die vier Typen des historischen Erzählens, Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt am Main 1990, S. 148–217; zuerst in ders.: Die vier Typen des historischen Erzählens, in: Koselleck, Reinhart / Lutz, Heinrich / Rüsen, Jörn (Hg.), Formen der Geschichtsschreibung, München 1982, S. 514–606; zuletzt und zusammengefasst in Rüsen (2013), S. 209–214.

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Mit seiner Kritik an einer auf die Bewahrung von Traditionen oder Generierung von Identität ausgerichteten „Befassung mit Geschichte“ 660 rekurrierte Borsdorf auf eine von Rüsen als ‚genetisches Erzählen‘ bezeichnete Form historischer Bedeutungsproduktion. Sie formiere sich in Geschichten, „die Strukturveränderungen eines Systems als notwendige Bedingung dafür erinnern, daß es sich im Zeitfluß auf Dauer stellen kann. Zeitliche Veränderungen werden als Modi der Kontinuierung selber interpretiert; der Schrecken, anders zu werden, wird als Chance sichtbar gemacht, derjenige zu werden, der man immer schon gewesen sein wollte.“ 661 Die oben zitierten Ausführungen des RAG-Vorstandmitglieds Beermann, in denen durch die Gründung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur Geschichte und Traditionen am Leben gehalten werden sollten, „um eine Region ohne Brüche für die Zukunft zu entwickeln“ 662, lassen sich als eine solche genetische Form des historischen Erzählens lesen. Der notwendige Wandel, dem sich die RAG unterziehen musste, sollte von einem Bruch zur vermeintlich selbstverständlichen und gestaltbaren Unternehmensstrategie umgedeutet werden. Dazu galt es, die Veräußerung von unternehmenseigenen Liegenschaften als Folge der unaufhaltsamen Zechenschließungen durch Investitionen in die Bewahrung von Bauwerken als Denkmale zu begleiten. Im Sinne des genetischen Erzählens sollte die Umdeutung unter Denkmalschutz gestellter Bauwerke zu Symbolen des Wandels und positiven Standortfaktoren der „Veränderung als solche[r] Sinn“ 663 verleihen. Der durch die Debatten um die Kohlesubventionen entstandene Legitimationsdruck verunmöglichte ein rein traditionales Erzählen, das auf die unveränderliche Bewahrung von Traditionen abgestellte hätte. Er verlangte vielmehr nach einer Erzählung des permanenten Wandels, in der die RAG „Zukunftsaktivitäten [. . . ] und unsere kulturellen Traditionen“ 664 vereinte und so das „Anderswerden als Lebenschance“ 665 schlechthin erschien. Borsdorf plädierte dagegen für eine Form historischer Sinnbildung, die eher Rüsens Typ des „kritischen Erzählens“ entsprach. Diese sollte sich gegen die Identitätsstiftung des genetischen oder gar traditionalen Erzählens richten: „Diese

660 Borsdorf (1999), S. 131. 661 Rüsen (1982), S. 555. 662 AHGR Bochum, IBA/117 A, Rede von Wilhelm Beermann, Vorstandsmitglied der RAG, auf der Pressekonferenz „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ am 30. 11. 1995 in Essen. Siehe Kapitel 2.2.2, Anm. 651. 663 Rüsen (2013), S. 212 (H. i. O.). 664 AHGR Bochum, IBA/117 A, Rede von Wilhelm Beermann, Vorstandsmitglied der RAG, auf der Pressekonferenz „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ am 30. 11. 1995 in Essen. Siehe Kapitel 2.2.2, Anm. 651. 665 Rüsen (2013), S. 213.

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Geschichten sind Gegengeschichten: Sie brechen bislang unangefochtene Kontinuitätsvorstellungen auf, indem sie ihnen widersprechende Zeiterfahrungen der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen, und sie machen damit neue Handlungsabsichten und neue Zukunftsperspektiven möglich.“ 666 Beide Formen historischer Bedeutungsproduktion entwarfen unterschiedliche Zukünfte, die in die von allen Seiten postulierte ‚Zukunftsfähigkeit‘ der sich im Strukturwandel befindlichen Region und mit ihr der Industriegesellschaft eingespeist wurden. Unter dem Dach der IBA Emscher Park konkurrierten und vermischten sich diese unterschiedlichen Modi einer vergangenheitsbezogenen Zukunftsmodellierung. Aber auch die Zeithorizonte des zugrunde gelegten Vergangenheitsbezugs unterschieden sich deutlich. Während Borsdorf klar dafür plädierte, die geschichtskulturellen Akteur*innen der Region könnten sich „zur Einsicht in die zeitlichen Dimensionen nicht auf den Wimpernschlag beschränken, den die Industriezeit aufs Ganze gesehen bedeutete“ 667, fokussierte der Vergangenheitsbezug der IBA Emscher Park eindeutig die industrielle Geschichte der Region. So ist der Schwerpunkt der zur IBA-Halbzeit gegründeten Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur auf der „Erhaltung hochrangiger Industriedenkmäler“ 668 deutschlandweit einzigartig. Ihre Gründung markierte rückblickend betrachtet den Höhepunkt in der „große[n] Welle der Unterschutzstellungen von Industrieanlagen [. . . ] und [der] ‚Erfolgsstory‘ der Industriedenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen“ 669, wie Marita Pfeiffer, Bereichsleiterin für Geschichtskultur, Kommunikation, und kulturelle Nutzung der Stiftung, festhält. Aus ihrer Gründunggeschichte heraus versteht die Stiftung sich selbst als ein „Instrument zur Bewältigung des Strukturwandels“ 670 und ist als operative selbstständige Stiftung des privaten Rechts verfasst, die an ihren 14 Standorten meist zusätzlich mit Fördervereinen zusammenarbeitet. Über

666 Ders. (1982), S. 552. 667 Borsdorf (1999), S. 130. 668 Pfeiffer, Marita: Von „schweren“ Hinterlassenschaften. Über Gründung, Arbeitsweisen und Erfahrungen der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in Nordrhein-Westfalen, in: Die Denkmalpflege 65 (2007) 1, S. 45–53, S. 45. Ähnlich jüngst noch einmal in dies.: Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Industriedenkmale bewahren, vermitteln, nutzen, in: Pufke, Andrea / Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Schall und Rauch. Industriedenkmäler bewahren. Dokumentation der Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, 13. bis 15. Juni 2016 in Oberhausen, Petersberg, Kreis Fulda 2017, S. 324–331, S. 325. 669 Pfeiffer (2007), S. 52. 670 Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur / Gerhard, Anna / Pfeiffer, Marita (Hg.): Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Unsere Standorte, Dortmund 2017, S. 3.

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die Dauer ihres knapp 25-jährigen Bestehens kamen nicht nur Standorte hinzu, sondern wurden auch wieder aus dem Eigentum der Stiftung herausgelöst wie etwa die Kokerei Zollverein, die 2010 der 1998 gegründeten Stiftung Zollverein zugeführt wurde. Neben dieser spezifisch für die Bewahrung und Nutzung der Anlagen der Zeche Zollverein gegründeten Stiftung 671 kam es zum Ende der IBA Emscher Park mit der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets zu einer weiteren Stiftungsgründung als Baustein der Institutionalisierung innerhalb des geschichtskulturellen Felds. Obwohl diese Stiftungsgründung nicht auf eine Initiative der IBA Emscher Park zurückging, zeugt sie doch von der Entwicklung des geschichtskulturellen Felds in dieser Phase, da ihre Einrichtung „untrennbar mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet verbunden“ 672 ist. In Folge des seit den späten 1960er Jahren von Hans Mommsen forcierten Aufbaus einer umfangreichen Sammlung von Publikationen zur Arbeiter- und Arbeiterbewegungsgeschichte an der RUB war in einem schrittweisen Prozess der Institutionalisierung Anfang 1980 das Institut zur Geschichte der Arbeiterbewegung (IGA) eröffnet worden. 673 Ende 1987 trat Helga Grebing eine im Jahr zuvor eingeworbene Stiftungsprofessur für die ‚Vergleichende Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und sozialen Lage der Arbeiterschaft‘ an und übernahm die Leitung des Instituts. 674 Mit ihrer Ablösung durch Klaus Tenfelde und dessen Berufung auf einen Lehrstuhl mit der Denomination ‚Sozialgeschichte und soziale Bewegungen‘ im Jahr 1995 änderte sich die Ausrichtung des Instituts hin zum heutigen Institut für soziale Bewegungen (ISB). Tenfelde strebte seit seiner Berufung die dauerhafte Sicherung montanhistorischer Archiv- und Publikationsbestände an, 675 deren Übernahme die ohnehin knappen Raumkapazitäten des ISB endgültig zu sprengen drohte. Er plante daher die Gründung eines ‚Hauses für die Geschichte des Ruhrgebiets‘, das alle Sammlungen unter einem Dach vereinen und den Forscher*innen des ISB Arbeitsplätze bieten

671 Siehe hierzu das folgende Kapitel 2.2.3. 672 Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets / Institut für Soziale Bewegungen (Hg.): Brückenschläge. Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets und Institut für Soziale Bewegungen, Essen 2008, S. 23. 673 Vgl. ebd., S. 11–16. Vgl. auch Friedemann, Peter: Tätigkeitsbericht 1988–1998. Von einer „Büchersammlung“ zum Zentralinstitut der Ruhr-Universität und zur Stiftung „Bibliothek des Ruhrgebiets“, Bochum 1998. 674 Zum wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Wirken Helga Grebings vgl. Berger, Stefan / Kruke, Anja / Rudolph, Karsten (Hg.): Helga Grebing. Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, Bonn 2020. 675 Zur Übernahme standen die Sammlung der 1858 gegründeten Bergbaubücherei in Essen sowie archivalische Bestände und die Bibliothek der vor dem Umzug von Bochum nach Hannover stehenden Industriegewerkschaft Bergbau und Energie an, vgl. Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets / Institut für Soziale Bewegungen (2008), S. 17.

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sollte. Das frei werdende Gebäude des Berg-Verlags der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) in der Nähe des Bochumer Schauspielhauses stand als Gebäude zur Verfügung. Die Gründung einer Stiftung zur Finanzierung dieses Vorhabens fand breite Unterstützung auf gewerkschaftlicher, landespolitischer, universitärer und unternehmerischer Seite, sodass die Stiftung im Juni 1998 mit einem Stiftungskapital von gut 10 Millionen DM und zusätzlichen Landesmitteln für Ankauf und Renovierung des Gebäudes in Höhe von gut 7 Millionen DM ihre Arbeit aufnehmen konnte. 676 Die feierliche Eröffnung des ‚Hauses der Geschichte des Ruhrgebiets‘ im November 1999 nur wenige Jahre nach Konzeption der Gründungsidee zeigt, 677 dass die Realisierung großer geschichtskultureller Projekte nach zehn Jahren IBA Emscher Park und der fortgeschrittenen Institutionalisierung des geschichtskulturellen Felds nun wesentlich schneller zu erreichen war als etwa in der Gründungs- und Aufbauphase des ISB. Die FAZ urteilte, es sei nur „eine Frage der Zeit, daß das neue Interesse für die Geschichte der Region in institutionelle Bahnen gelenkt“ 678, würde und hob vor allem die Rolle Tenfeldes hervor. Die Möglichkeit, eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung für die Geschichte des Ruhrgebiets zu schaffen, sei für diesen einer der Gründe gewesen, um trotz der Überzeugungsarbeit vieler Bielefelder Studierender den Ruf an die RUB anzunehmen. 679 Mit seiner Bergmannslehre und dem über den zweiten Bildungsweg eingeschlagenen Studium bis hin zur Karriere als mit Arbeitergeschichte befasster Historiker sei er selbst eine „Allegorie des Strukturwandels“ 680 und das von ihm gegründete Haus der Geschichte könne zum „Förderturm der Forschung“ werden. Aber nicht nur für die Wissenschaftslandschaft der Region barg die neue Institution Potenzial. Auch die Stifter aus Wirtschaft und Gewerkschaft profitierten durch die dauerhafte Sicherung ihrer historischen Bestände von der Stif-

676 Vgl. ebd., S. 19. 677 Erste Vorgespräche zwischen Vertretern der IGBE und Tenfelde zur Gründung einer derartigen Einreichung gab es bereits Mitte der 1980er Jahre, ein Konzept legte Tenfelde allerdings erst 1995 nach seiner Berufung vor, vgl. ebd., S. 18; Tenfelde, Klaus: Begrüßung, in: Ruhr-Universität Bochum / Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Ein Haus für die Geschichte des Ruhrgebiets. Dokumentation der Eröffnungsveranstaltung der „Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets“. Vom 26. November 1999 in den Kammerspielen Bochum, Königsallee 15, und in der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Clemensstr. 17–19, Bochum 2000, S. 35–43, S. 35 f. 678 Rossmann, Andreas: Von Kohle befreit sind Köpfe und Kassen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. August 1998. 679 Ders.: Förderturm der Forschung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 1999. 680 Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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tungsgründung. 681 So versprach sich die RAG von der als Public-privatePartnership gegründeten Stiftung wie schon vom IBA-Projekt der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur eine Verbindung von „Tradition und Fortschritt“ 682 und einen „wichtigen Beitrag zur Identitätsbildung der Region“ 683. Auch Wolfgang Clement betonte als Ministerpräsident in seiner Festrede zur Eröffnung des Hauses der Geschichte des Ruhrgebiets, dass es angesichts des IBA-Finales wohl keiner Begründung mehr bedürfe, um Geschichte als Teil von Strukturpolitik zu begreifen. 684 Die Übernahme montanhistorischer Bücher- und Archivbestände durch die neue Institution sei daher kein „Akt sentimentaler Nostalgie“ 685, sondern „ein Stück kluger Wissenschaftspolitik und [. . . ] vorausschauender Strukturpolitik“ im Sinne der IBA. Diese habe durch ihre Inszenierungen „aus den Wahrzeichen des alten Reviers [. . . ] Landmarken des neuen Ruhrgebiets“ 686 geschaffen. Der Bochumer Oberbürgermeister betonte jedoch in seinem Grußwort zur Eröffnung, dass das Haus der Geschichte eine andere Art von Zeichen setzen wolle, das nicht „nicht nur Fördertürme und Stahlwerke, auch nicht allein Tetraeder oder Landmarken“ 687 gestalte, sondern als wissenschaftliche Institution zum „Gedächtnis der Bürger der Region“ 688 werden sollte. Auch Tenfelde betonte den wissenschaftlichen Charakter der Institution, die anders als das von Jörn Rüsen geleitete KWI in Essen keine „Sinngebung“ 689 leisten wolle und nicht „die Wahrheit schlechthin“, aber „sichere Erkenntnis und Widerstreit darüber“ suche. Entsprechend wolle das Haus die „Ruhrgebietsgeschichte [. . . ] nicht, 681 Vgl. Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets / Institut für Soziale Bewegungen (2008), S. 19. 682 Beermann, Wilhelm: Begrüßung, in: Ruhr-Universität Bochum / Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Ein Haus für die Geschichte des Ruhrgebiets. Dokumentation der Eröffnungsveranstaltung der „Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets“. Vom 26. November 1999 in den Kammerspielen Bochum, Königsallee 15, und in der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Clemensstr. 17–19, Bochum 2000, S. 9–11, S. 9. 683 Ebd., S. 11. 684 Clement, Wolfgang: Festrede, in: Ruhr-Universität Bochum / Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Ein Haus für die Geschichte des Ruhrgebiets. Dokumentation der Eröffnungsveranstaltung der „Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets“. Vom 26. November 1999 in den Kammerspielen Bochum, Königsallee 15, und in der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Clemensstr. 17–19, Bochum 2000, S. 23–34, S. 26. 685 Ebd., S. 26. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 686 Ebd., S. 31. 687 Stüber, Ernst Otto: Grußwort, in: Ruhr-Universität Bochum / Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Hg.), Ein Haus für die Geschichte des Ruhrgebiets. Dokumentation der Eröffnungsveranstaltung der „Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets“. Vom 26. November 1999 in den Kammerspielen Bochum, Königsallee 15, und in der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Clemensstr. 17–19, Bochum 2000, S. 13–15, S. 13. 688 Ebd., S. 14. 689 Tenfelde (2000), S. 41. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate (H. i. O.).

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niemals, anleiten“. Obwohl Tenfelde mit der Stiftung und dem frisch eröffneten Haus der Geschichte des Ruhrgebiets keine hegemoniale Deutungsposition im geschichtskulturellen Feld der Region einnehmen wollte und einen auf Event und Erlebnis ausgerichteten Geschichtsgebrauch von sich wies, 690 sagte er doch die Mitwirkung an großen regionalen Projekten wie etwa ‚Historama Ruhr 2000‘ zu. Das sechsmonatige „Geschichtsspektakel mit mehr als 150 Veranstaltungen“ 691 war Teil des Programms der Kultur Ruhr GmbH, einer 1997 zur Reformierung der regionalen Kulturpolitik gegründeten Gesellschaft. Die von KVR, IBA Emscher Park und dem Initiativkreis Ruhr 692 gegründete GmbH sollte nicht nur die Kulturpolitik der Städte aus ihrem Konkurrenzverhalten in einen Modus der Kooperation führen, sondern vor allem auch Kulturpolitik dauerhaft als Mittel der Strukturpolitik etablieren. 693 Unter den fünf Bereichen, die für jeweils drei Jahre von einer eigenen Intendanz koordiniert wurden, widmete sich eine Sparte der Geschichtskultur, 694 womit dem Feld ein institutionalisierter Platz in der Kulturpolitik der Region zugewiesen wurde. Im Positionspapier zur Gründung der neuen Gesellschaft wurde ‚Feuer und Flamme‘ explizit als Vorbild für die geschichtskulturellen Projekte benannt. 695 Die durch die IBA Emscher Park vorangetriebene Vernetzung der geschichtskulturellen Institutionen des Ruhrgebiets mit ihrer Ausrichtung auf große Publikumsausstellungen 690 So übernahm Tenfelde in seiner Begrüßung anlässlich der Eröffnungsfeier eine Aussage des FAZ-Korrespondenten Andreas Rossmann, der das neue Haus der Geschichte des Ruhrgebiets mit seiner Lage in der Bochumer Innenstadt mit Nähe zum Schauspielhaus sowie zum Ausgehviertel als Gegenpol zur Eventkultur beschrieb: „Als ‚Haus der Geschichte des Ruhrgebiets‘ soll es das lebendige Gedächtnis der Region werden, in dem auch Dissertationen geschrieben und Fortbildungen angeboten, Kongresse veranstaltet und Gastprofessuren eingerichtet werden. Leicht erhöht, zwischen Schauspielhaus und ‚Bermuda-Dreieck‘, dem Bochumer Kneipenviertel, gelegen, nimmt sich der 1952 errichtete Stahlbetonskelettbau, dessen Fassade mit Ziegelfüllungen ausgeführt ist, schon heute wie ein markanter Wellenbrecher aus, der den Wogen der Spaßkultur – den subventionierten diesseits wie den kommerziellen jenseits des Bahndamms – trotzt“, Rossmann (1998). 691 KVR-Pressestelle: Historama Ruhr 2000. Geschichtsspektakel mit mehr als 150 Veranstaltungen, Bochum 2000. 692 Beim Initiativkreis Ruhr handelt es sich um einen 1989 gegründeten Zusammenschluss regionaler Unternehmen, die Projekte in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Bildung im Ruhrgebiet fördern. 693 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet: Regionale Kulturpolitik für das Ruhrgebiet. Materialien, Dokumente, Essen 1997; Ganser, Karl: Eckpunkte zur Arbeit der „Kultur Ruhr GmbH“, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Standorte. Jahrbuch Ruhrgebiet 1996/1997, Essen 1997, S. 184; Nellen, Dieter: „Kultur Ruhr GmbH“ als Motor einer neuen regionalen Kulturpolitik, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Standorte. Jahrbuch Ruhrgebiet 1996/1997, Essen 1997, S. 185–195. 694 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet (1997), S. 26; Borsdorf (1999), S. 131. 695 Kommunalverband Ruhrgebiet (1997), S. 26.

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und einer festivalisierten Eventkultur sollte so über das Ende der Bauausstellung hinaus fortgeführt werden. Die Organisatoren Borsdorf und Grütter hielten nach Abschluss des Programms zufrieden fest: Zum ersten Mal schlossen sich die wichtigen Institutionen der Geschichtskultur zu einem Projektverbund zusammen und entwickelten ein Programm, in dem die Geschichte des Ruhrgebiets in unterschiedlichen Perspektiven und vor allem in unterschiedlichen Medien präsentiert wurde. 696

Neben wissenschaftlichen Kongressen und Sommerakademien im Bochumer Haus der Geschichte des Ruhrgebiets oder auf dem Gelände der Zeche Zollverein sowie drei großen Ausstellungen 697 gehörten daher auch der vierte Geschichtswettbewerb des Forums Geschichtskultur, 698 ein Filmfestival und ein Geschichtsfest zum Programm. Im Gegensatz zum „wissenschaftliche[n] Gegenpol“ 699 sollten „Spielaktionen, ein Kindermusical, eine Geschichtsmesse und ein Kabarettfestival [. . . ] die Historie von der leichten Seite [nehmen]“. Während das Geschichtsfestival also nicht nur die institutionelle Kooperation aufrechterhalten, sondern auch wissenschaftliche und populäre Formen der Geschichtsvermittlung über die IBA Emscher Park hinaus verschränken sollte, zeichneten sich die anhaltenden Deutungskämpfe im geschichtskulturellen Feld zum Ende der Bauausstellung immer deutlicher ab. War aus den Reden zur Eröffnung des Hauses der Geschichte des Ruhrgebiets mit ihrer Betonung des wissenschaftlichen Charakters der Institution die Abgrenzung zur IBA Emscher Park deutlich rauszuhören, so kritisierte Karl Ganser bei der Programmvorstellung von Historama Ruhr den wissenschaftlichen Teil des Programms nachdrücklich, wie die FAZ berichtete: ‚Wenn es akademisch wird, dann kocht der Pott nicht‘, kommentierte er trocken den ‚Kongreß Struktureller Wandel in schwerindustriellen Ballungsregionen‘, zu dem die Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets zweihundert Wissenschaftler erwartet. Ganser meldete Zweifel an, ob sich damit ‚ein Recklinghäu-

696 Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor: Die Geschichte selbst war das größte Event. Historama Ruhr 2000, Rückblick auf das Industriezeitalter, in: dies. (Hg.), Standorte. Jahrbuch Ruhrgebiet 2001/2002, Essen 2001, S. 53–58, S. 54. 697 Vgl. Schneider, Sigrid (Hg.): Schwarzweiß und Farbe. Das Ruhrgebiet in der Fotografie. Eine Ausstellung des Ruhrlandmuseums auf der Zeche Zollverein, 25. Juni bis 15. Oktober 2000. Ausstellung im Rahmen von HISTORAMA 2000, Bottrop / Essen 2000; Wirtz (2000b); Stottrop, Ulrike (Hg.): Unten und oben. Naturkultur des Ruhrgebiets. Eine Ausstellung des Ruhrlandmuseums Essen im Rahmen von HISTORAMA 2000, 14. Mai bis 15. Oktober 2000, Bottrop / Essen 2000. 698 Vgl. Engelskirchen, Lutz: Der vierte Geschichtswettbewerb des Forums Geschichtskultur. Analyse und Dokumentation, Essen 2001. 699 KVR-Pressestelle (2000). Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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ser hinterm Ofenrohr hervorlocken‘ ließe: ‚Da muß Provokation rein, sonst wird das keinen interessieren.‘ 700

Während Ulrich Borsdorf als Koordinator des Programms an das Geschichtsfestival die Erwartung knüpfte, mit ihm werde „die Geschichtsszene zwischen Ruhr und Emscher hoffentlich zeigen, welches Kulturpotential in ihr lebendig ist“ 701, drohte aus Gansers Sicht die Gefahr, die Reihe könnte zu einem „kraftlosen Mischmasch an Veranstaltungen mißraten und in der Auseinandersetzung mit der Reviergeschichte eine folgenlose Eintagsfliege bleiben“ 702, wie die FAZ berichtete. Der Titel des Artikels fasste das angekündigte Programm entsprechend wenig euphorisch zusammen: „Und noch mehr Ausstellungen. Das Ruhrgebiet bleibt auf der Suche nach sich selbst: ‚Historama Ruhr 2000‘“. War ‚Feuer und Flamme‘ noch als erste umfassende Ausstellung zur Geschichte des Ruhrgebiets beworben worden und die Industriegeschichte in der Wahrnehmung politischer Akteur*innen erst allmählich von einer Altlast zur Ressource avanciert, schien zum Ende der IBA Emscher Park bereits eine Sättigung in der geschichtskulturellen Neudefinition der Region einzutreten. Die Organisatoren zogen dagegen eine weitgehend positive Bilanz. Sie werteten den Publikumserfolg von Historama Ruhr 2000 nicht nur als Ausweis einer lebendigen geschichtskulturellen Szene, sondern zogen ihn als Argument in der Auseinandersetzung um die politische und administrative Autonomie des Ruhrgebiets heran: „Die Identität des Ruhrgebiets ist historisch sehr ausgeprägt und zweifellos virulent. Das sollte all jenen zu denken geben, die von der gegenwärtigen Identität nichts wissen und ihr die politisch-administrative Ausformung auch in Zukunft weiter vorenthalten wollen.“ 703 In seinen Arbeiten zur politischen Kultur und regionalen Identität des Ruhrgebiets hatte der Essener Politikwissenschaftler und zeitweilige Hochschulrektor Karl Rohe bereits in den 1970er und 1980er Jahren festgehalten, dass die Region „wirtschaftlich ein Riese, politisch-administrativ und kulturell dagegen ein Zwerg“ 704 war und geblieben sei. Akteur*innen wie der KVR, Wirtschaftsverbände und Kommunalpolitiker*innen müssten daher auf „eine Verstärkung regionaler Identität bedacht sein“ 705, die allerdings „nur noch medial hergestellt und aufrecht

700 N. N.: Und noch mehr Ausstellungen. Das Ruhrgebiet bleibt auf der Suche nach sich selbst: „Historama Ruhr 2000“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. April 1999. 701 Borsdorf (1999), S. 131. 702 N. N. (1999). 703 Borsdorf / Grütter (2001), S. 57. 704 Rohe (1984), S. 138. 705 Ebd., S. 148.

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erhalten werden“ 706 könne. Dazu bedürfe es „in aller Regel einer kulturellen Intelligentsia [sic!] [. . . ], die regionale Symbole, Mythen, Bilder und Ideologien kreiert und verbreitet“. Die forcierte Produktion von Bildern und Symbolen durch die geschichtskulturellen Projekte der IBA Emscher Park liest sich wie eine Einlösung dieses Auftrags zur Konstruktion regionaler Identität, die Rohe besonders vor dem Hintergrund der unsicheren Zukunft der Region notwendig erschien. 707 Nach dem Ende der Bauausstellung galt es, ihre geschichtskulturelle Arbeit weiter zu institutionalisieren, wie die Organisatoren von Historama Ruhr 2000 forderten. Die historische Identität, das „historische Gedächtnis des Ruhrgebiets“ 708 benötige aber „einige verbindende Interpretationsinstanzen, welche die gesamte Geschichte der Region zum Thema haben“. Sie plädierten in ihrer Bilanz der geschichtskulturellen Veranstaltungsreihe daher für eine „weitere Institutionalisierung [. . . ], die vorhandene Strukturen und Initiativen nicht zerschlägt, sondern bündelt und profiliert“. Während das Haus der Geschichte des Ruhrgebiets diesen Zweck auf wissenschaftlicher Ebene erfülle, müsse ein „zu gründendes RuhrMuseum auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Zollverein [. . . ] das entsprechende Äquivalent für die Sachkultur und die materiellen Hinterlassenschaften des Ruhrgebiets“ bilden. In der Frage um die politisch-administrative Selbstständigkeit der Region war eine kollektive, historisch begründete Identität zum entscheidenden Argument avanciert und verlieh der Forderung nach der Einrichtung einer neuen zentralen geschichtskulturellen Institution das nötige Gewicht. Für Borsdorf, Direktor des Ruhrlandmuseums und Gründungsdirektor des späteren Ruhr Museums sowie für Grütter, seinen Mitarbeiter und Nachfolger als Leiter des im Kulturhauptstadtjahr 2010 eröffneten Ruhr Museums, kam als Ort für die Ansiedlung einer solchen Institution nur das Areal der Zeche Zollverein in Frage, dessen Gestaltung als ‚Zukunftsstandort‘ im Folgenden untersucht wird.

2.2.3 Die Konstruktion des Leuchtturms – Zollverein als ‚Zukunftsstandort‘ Zollverein avancierte im Laufe der IBA Emscher Park zum zentralen geschichtskulturellen Standort und zu einem Leuchtturmprojekt nicht nur für die Bauausstellung, sondern die gesamte Region. Die ehemals produktivste Zeche der Welt zog daher nicht nur zeitgenössisch viel Aufmerksamkeit auf sich, sondern ist auch in der Forschung das am eingehendsten 706 Ebd., S. 129. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 707 Vgl. ebd., S. 144. 708 Borsdorf / Grütter (2001), S. 58. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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betrachtete industriekulturelle Denkmal des Ruhrgebiets. 709 Im folgenden Kapitel sollen Zeche und Kokerei Zollverein daher nicht einer umfassenden Untersuchung hinsichtlich der Geschichte ihrer Unterschutzstellung oder ihres Denkmalwerts unterzogen werden, sondern vielmehr auf ihre Funktion in der Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln im Kontext der IBA Emscher Park hin befragt werden. Die Konflikte zwischen Gestaltungs- und Bewahrungszukunft lassen sich am Beispiel Zollverein besonders eingehend betrachten. So hielt Hans Kania mit Blick auf den im Jahr 2001 von einer Werbeagentur entworfenen Slogan ‚Was ist Zollverein?‘ fest, die Antwort sei unklar, bis auf eine Gewissheit – „Zollverein ist Zukunft“ 710. Der freiberufliche Historiker und Vorstandsmitglied im Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher kritisierte, die seit dem Ende der IBA mit der Gestaltung des Geländes betrauten Institutionen würden die übertägigen Anlagen der Zeche ohne Rücksicht auf den Denkmalschutz nur mit Blick auf die Interessen der neuen Nutzer*innen verändern. Kania war als Mitarbeiter der 1989 zur Entwicklung des Zechengeländes von der Stadt Essen und der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) als Eigentümerin gegründeten ‚Bauhütte Zollverein‘ bis zur Auflösung der Gesellschaft zum Ende der IBA im Jahr 1999 selbst an der Gestaltung Zollvereins beteiligt gewesen. Dass die Auflösung der Bauhütte zum Ende der Bauausstellung anstehen würde, stand mit ihrer Aufnahme in den Katalog der IBA-Projekte fest. Als dauerhafte Nachfolgelösung gründeten die Stadt Essen und das Land NRW mit dem LVR als weiterem Zustifter 1998 die Stiftung Zollverein. Zur Aufnahme Zollvereins in die UNESCO-Liste des 709 Vgl. z. B. dies.; Kiesendahl, Rolf / Kowsky-Kawelke, Hartmut: Zeche Zollverein. Ein sehr lebendiges Industriedenkmal mit mehreren Standorten im Essener Norden, in: Noll, Hans-Peter (Hg.), Was bleibt ist die Zukunft. Das neue Ruhrgebiet. Hamburg 2013, S. 180–202; Wehling, Hans-Werner: Die Idee der Kulturlandschaft und ihre Übertragbarkeit auf das Ruhrgebiet. Die industrielle Kulturlandschaft Zollverein, in: Buschmann, Walter (Hg.), Zwischen Rhein-Ruhr und Maas. Pionierland der Industrialisierung, Werkstatt der Industriekultur, Essen 2013, S. 185–194; Oevermann, Heike: Über den Umgang mit dem industriellen Erbe. Eine diskursanalytische Untersuchung städtischer Transformationsprozesse am Beispiel der Zeche Zollverein. Essen 2012; Mauelshagen, Christine: Ufo-Effekt des Strukturwandels. Die Kulturlandschaft Zollverein in historischer und funktionalgenetischer Beziehung zum Stadtteil Essen-Katernberg, in: Siedlungsforschung. Archäologie – Geschichte – Geographie 29 (2011), S. 393–415; Schwarz, Angela (Hg.): Industriekultur, Image, Identität. Die Zeche Zollverein und der Wandel in den Köpfen, Essen 2008; Landschaftsverband Rheinland / Parakenings, Birgit (Hg.): Zeche und Kokerei Zollverein. Das Weltkulturerbe, Worms 2006; Osses, Dietmar / Strunk, Joachim: Kohle Koks Kultur. Die Kokereien der Zeche Zollverein, Dortmund 2002. 710 Kania, Hans: „Was ist Zollverein?“, in: John, Hartmut / Mazzoni, Ira (Hg.), Industrieund Technikmuseen im Wandel. Perspektiven und Standortbestimmungen, Bielefeld 2005, S. 109–142, S. 109.

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Weltkulturerbes drei Jahre später wurde ihr noch die von der Stadt und der Projekt Ruhr GmbH gegründete Entwicklungsgesellschaft Zollverein zur Seite gestellt. Beiden Institutionen ging es aus Kanias Sicht nicht mehr um den Erhalt, sondern nur noch um eine zukunftsorientierte Gestaltung des als Weltkulturerbe ausgezeichneten Denkmalkomplexes. Für ihn stand fest, „dass dieser ‚Zukunftskreuzzug‘ offensichtlich gegen alles verstößt, was einer Kultur des Bewahrens entsprechen könnte“ 711, wobei die behördliche Denkmalpflege dazu verpflichtet werde, die baulichen Eingriffe dennoch zu genehmigen. Die Drastik der historischen Kreuzzugsmetapher, mit der Kania den Verantwortlichen vorwarf, das Falsche zu tun und es mit Blick auf eine bessere Zukunft für das Richtige zu halten, führt vor Augen, welches Ausmaß der Konflikt um Bewahrungs- und Gestaltungszukunft im Falle Zollvereins im Jahr seiner Kritik 2005 erreicht hatte. Knapp zwanzig Jahre zuvor war die Zeche durch die Behörden vor der Zerstörung bewahrt worden. Da die RAG bereits den Abriss plante, erfolgte die Unterschutzstellung zunächst umgehend mit der Stilllegung im Dezember 1986 per Erlass des Landeskonservators Rheinland. Die Eintragung in die Denkmalliste der Stadt Essen erfolgte Anfang Januar 1989 nach einem vom Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Christoph Zöpel im Dezember 1988 gefällten Ministerentscheid. 712 Inzwischen war eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die ein ‚Nutzungskonzept Industriedenkmal Zollverein‘ erarbeiten sollte. Neben Vertreter*innen der RAG, des KVR, des Denkmalamts des LVR, des DGB sowie eines später auch in das industriekulturelle Leitprojekt der IBA eingebundenen Stadtplanungsbüros wurden mit Ulrich Borsdorf, Lutz Niethammer und Hans Mommsen auch drei Historiker in die Arbeitsgruppe berufen. Sie entwickelten den Vorschlag, auf dem Zechengelände ein „Forum für Industriekultur und Design“ 713 einzurichten, das als besondere Attraktion auch ein Besucherbergwerk einschließen sollte. Auch wenn diese Idee aufgrund der hohen Kosten und des Aufwands für Einrichtung und Betrieb nie realisiert wurde, erhielt die Bauhütte dennoch den Auftrag, die Ideen der Arbeitsgruppe schrittweise umzusetzen. Die von Kania 2005 kritisierte Zuspitzung auf Zukunft war bereits hier angelegt. So hatte die Gruppe in ihrem von Borsdorf und Niethammer verfassten Abschlussbericht festgehalten, Zollverein führe „Zukunft im Tempus der Vergangenheit vor“ 714. Die Zeche sei bereits von ihren Architekten

711 712 713 714

Ebd., S. 135 f. Vgl. Günter (2010), S. 375 f. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1996b), S. 37. Niethammer, Lutz: Ego-Histoire? Und andere Erinnerungs-Versuche, Wien / Köln / Weimar 2002, S. 229.

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Fritz Schupp und Martin Kremmer als Denkmal, als Symbol für Arbeit und Moderne gebaut worden, dessen Denkmalwert es in der „Totale“ 715 zu erhalten gelte. Durch die auf Funktion und Modernität ausgerichtete Bauhausarchitektur ließ sich Zollverein als Symbol für die vergangene Zukunft der Moderne lesen, das in seiner Gesamtheit erhalten und einer kulturellen Nutzung zugeführt werden solle. Da die Gebäude für eine gewerbliche Nutzung ungeeignet schienen, favorisierten Niethammer und sein ehemaliger Assistent Borsdorf in ihrem Bericht eine Nachnutzung für Museumsoder Ausstellungszwecke insbesondere für das Gebäude der ehemaligen Kohlenwäsche. Da die in der Kohlenwäsche erhaltene Maschinerie doppelstrangig angelegt sei, lasse sich bei Abbau eines Strangs ausreichend Platz für eine museale Nutzung gewinnen, ohne den Denkmalwert der technischen Anlage zu gefährden. Eine simple Verlagerung des Ruhrlandmuseums, dessen Leitung Borsdorf erst zwei Jahre zuvor übernommen hatte, schlossen sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ebenso aus wie eine Duplizierung des Bochumer Bergbaumuseums oder der Industriemuseen von LWL und LVR. 716 Vielmehr galt es aus ihrer Sicht, nach Leerstellen in der „sich verdichtenden Museumslandschaft der Region in ihren nationalen und internationalen Bezügen zu fragen“ 717 und ein „Ruhrgebietsmuseum oder ein deutsches Museum der Arbeit“ 718 zu schaffen. Dieses dürfe das Gebäude der ehemaligen Kohlenwäsche aber nicht lediglich „als Container“ 719 wahrnehmen und aufgrund der Größe der Anlagen und der Höhe der Kosten zu ihrer Erhaltung nicht nur auf die Stadt bezogen sein. Vielmehr müsse das zu gründende Museum mindestens die ganze Region repräsentieren und dazu eine spezifische Perspektive auf die regionale Geschichte einnehmen. Diese sollte – wie auch wenig später während der IBA Emscher Park – eine die Vergangenheit feiernde oder nostalgisch betrachtende Geschichtsdarstellung ausschließen und vielmehr „zu einer Klärung des Selbstbewusstseins beitragen und dies mit schöpferischen Projekten für die Zukunft produktiv verknüpfen“ 720. Ein derart gestaltetes sozialhistorisches Museum allein war aus Sicht der Arbeitsgruppe allerdings keine angemessene Form der Umnutzung des riesigen Zechengeländes für kulturelle Zwecke. Neben einem weiten Verständnis von Kultur war es auch die schiere Größe des Denkmals in seiner Materialität, die eine komplexe Form der Um-

715 716 717 718 719 720

Ebd. Vgl. ebd., S. 239 f. Ebd., S. 236. Ebd., S. 238. Ebd., S. 236. Ebd.

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nutzung notwendig erscheinen ließ. Die Idee bestand darin, verschiedene Institutionen zusammenzubringen, um inhaltliche und infrastrukturelle Synergien zu erzeugen und am Ende nicht eine „Umnutzung des Denkmals Zollverein 12 in ein Museum für diesen oder ein Institut für jenen thematischen Zweck, sondern ein ‚Forum-Ruhr-Kultur‘“ 721 einzurichten. Als erster Bestandteil eines solchen Forums visierte das bis dahin in der Alten Synagoge in Essen ansässige Designzentrum NRW einen Umzug in das ehemalige Kesselhaus an. Hatte ein vom Stadtplanungsbüro Krau angefertigter vorläufiger Entwurf für das Gebäude noch „ein Dokumentations- und Archivzentrum zur Industrie und Bergbaugeschichte“ 722 vorgesehen, entwarf der bekannte britische Architekt Norman Foster aufbauend auf den Vorarbeiten Pläne für den Ausstellungsbetrieb des Designzentrums. Das veränderte Nutzungskonzept machte allerdings deutlich stärkere Eingriffe in das maschinelle Inventar nötig als ursprünglich vorgesehen. So kritisierte Ingrid Krau im Schlussjahr der IBA Emscher Park, Foster hätte keinen Wert auf die Demonstration des technischen Prozesses als Ganzem gelegt, sondern sei aus der Ferne seines Londoner Architekturbüros wohl „eher am schönen Schein der Industrieästhetik interessiert“ 723 gewesen. Aber nicht nur der Architekt, sondern auch das von Peter Zec geführte Designzentrum als neuer Nutzer habe die „für die Technologie so wichtigen Wasserpumpen, die Gebläse und Ascheroste [. . . ] dem Auge der Besucher entzogen [. . . ] vermutlich mangels Wertschätzung der Bedeutung der Dinge“ 724. Innerhalb der konfliktreichen Arbeit der Bauhütte, die für die Gestaltung von Zollverein als einem zentralen „Leitprojekt“ 725 der IBA Emscher Park zuständig war, stellte die Ansiedlung des Designzentrums und der von Foster geplante Umbau des Kesselhauses allerdings ein Projekt von höchster Priorität dar. Für die Vermarktung des Zechengeländes als ‚Zukunftsstandort‘ wurden die Interessen und Verbindungen des zukünftigen Mieters zu einem wichtigen Argument in Konflikten um die Nutzung des weitläufigen Areals, etwa als die Stadt Essen 1992 gegen den Widerstand von Designzentrum und IBA Emscher Park versuchte, eine Bauschuttdeponie auf dem Gelände unterzubringen. 726 Pläne zu einer derartigen Nutzung standen im krassen Gegensatz zum Ziel der IBA Emscher Park, Zollverein zu einem Symbol für die Zukunft der Region aufzuladen. 721 Ebd., S. 244. 722 Krau, Ingrid: Umnutzung des Kesselhauses der Zeche Zollverein 12, in: Buschmann, Walter (Hg.), KohleKraftwerke. Kraftakte für die Denkmalpflege!?, Essen 1999, S. 77– 83, S. 79. 723 Ebd., S. 81. 724 Ebd. 725 Niethammer (2002), S. 296. 726 Vgl. AHGR Bochum, IBA 47 B.

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Dieses Ziel war für die Planungen der Bauausstellung allerdings von zentraler Bedeutung, wie beispielsweise aus einem Brief Gansers an Wolfgang Clement hervorgeht. So schrieb der IBA-Geschäftsführer im Februar 1996 an den Wirtschaftsminister im letzten Kabinett Johannes Raus vor dessen Wechsel ins Bundespräsidialamt: Das ‚stolz auf Gestern und mutig für Morgen‘ braucht einen symbolischen Ort, wo die Dinge überhöht werden und zugleich anschaulich gemacht sind. Es geht um einen Ort, wo man sich aus dem ganzen Revier treffen kann und Besucher von draußen hinführt; ein Ort über den draußen mit Respekt und Neugierde gesprochen wird. [. . . ] Dieser Ort beherbergt den ‚Mythos der Vergangenheit‘ und ist Schaufenster für Zukunftsbewältigung. Es gibt dafür keinen besseren Ort als die Summe aller Zollverein-Zechen in Essen. Sie veranschaulichen den langen Weg der Industrialisierung in Bauten und Produktionsanlagen von einer Größe, die es sonst kaum auf der Welt gibt. Das Areal liegt mitten in Essen und mitten im Revier. Die Größe der Vergangenheit kann man an den Bauten ablesen. Den Mut für die Zukunft muß man inszenieren, indem man die Möglichkeiten der amerikanischen Themen- und Scienceparks nutzt, fortentwickelt und intelligenter komponiert. Kultur und Design bilden das Fundament für den Blick zurück und den Blick nach vorne. Diese Größe muß man wollen. 727

Obgleich die Bauausstellung durch ihren Zuschnitt auf das gestalterische Konzept eines Parks eigentlich auf Strukturpolitik für die gesamte Emscherzone und mithin für das Ruhrgebiet als Region ausgelegt war, erklärte ihr Geschäftsführer die symbolische Aufladung eines einzelnen, herausragenden Orts für unbedingt notwendig. Ganser forderte eine gezielte Überhöhung Zollvereins, dessen industrielle Vergangenheit – wie die der gesamten Region – das Potenzial habe, „zum ‚Mythos‘ zu werden“ 728: „Die Montanindustrie ist eigentlich jetzt schon Vergangenheit und je mehr sie dies ist, umso eher ist es möglich, diese Zeit zu verklären, ein normaler historischer Vorgang. So viel zum Thema ‚Stolz auf Gestern!‘“ 729 Durch den denkmalhistorischen Wert und die zentrale geographische Lage, vor allem aber durch die schiere Größe erschien Zollverein nicht nur als geeigneter, sondern als idealer Ort zur Umsetzung der gleichzeitig auf Überhöhung und Anschaulichkeit ausgerichteten symbolischen Aufladung zu einem Leuchtturmprojekt des Ruhrgebiets. Die Rede von Zollverein als „Schaufenster für Zukunftsbewältigung“ verweist dabei gleichermaßen auf Praktiken des Inszenierens und Ausstellens wie auf Praktiken des Zeigens

727 AHGR Bochum, IBA 683 A, Anlage zum Brief Karl Gansers an Wolfgang Clement vom 12. 02. 1996. 728 Ebd. 729 Ebd.

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und Vermarktens. 730 Zielgruppe waren Auswärtige wie Einwohner*innen gleichermaßen. Die Zukunft der Industriegesellschaft, die in den diskursiv hegemonialen Gegenwartsdeutungen als unsicher und nicht gestaltbar erschien, sollte als zu bewältigende Zukunft inszeniert werden, indem ein für die industrielle Vergangenheit symbolträchtiger Ort über die Sparten „Kultur und Design“ zu einem „Schaufenster für Zukunftsbewältigung“ umgedeutet wurde. Diese gezielte Überhöhung und Verklärung der montanindustriellen Vergangenheit stand im Widerspruch zur geschichtskulturellen Maxime der IBA Emscher Park, die sich immer wieder von einer verklärenden, nostalgischen Sicht auf die industrielle Geschichte der Region zu distanzieren suchte. Sie privilegierte bestimmte Aspekte der Geschichte Zollvereins wie Größe und wirtschaftliche Bedeutung sowie die auf Funktion ausgerichtete Architektur als Symbol einer fortschritts- und technikoptimistischen Moderne. Die auf Grundlage dieser Aspekte verklärte, als Mythos narrativierte industrielle Geschichte Zollvereins und der Region diente als Grundlage einer Erzählung für die Zukunft des Ruhrgebiets, die sich im umgenutzten Zechenareal materiell konsolidieren sollte. Die appellative Feststellung – „Diese Größe muß man wollen“, 731 – verweist einerseits auf diese spezifische historische Lesart zur Produktion einer bestimmten Zukunft und andererseits auf Konflikte mit der Kommunalpolitik in der Frage nach der Gestaltung Zollvereins. Nicht die Interessen einer einzelnen Stadt durften bei der Gestaltung Zollvereins ausschlaggebend sein, sondern die von der Landesregierung zu fördernde Repräsentation des Ruhrgebiets als Region. Mit der in einem öffentlichen Festakt zelebrierten Schlüsselübergabe für das umgebaute Kesselhaus an das Designzentrum NRW am Tag vor Heiligabend 1996 – genau zehn Jahre nach Fahren der letzten Schicht – wurde diese Symbolfunktion öffentlichkeitswirksam inszeniert. In seinem Bericht in der FAZ schilderte Andreas Rossmann den Festakt wie einen Gottesdienst, abgehalten in einer „Industriekathedrale, der vermeintliche Pfarrer ein Minister und die ‚Gemeinde‘ im Kern die alte Belegschaft“ 732. Das Kesselhaus wurde durch den Umbau zu einem Ausstellungsraum für zeitgenössisches Design nicht nur zum Museum, sondern auch zum Ausstellungstück seiner selbst. Die feierlich inszenierte Umwandlung zum Museum übertrug die im Begriff der Industriekathedrale implizierte Sa-

730 Siehe dazu auch Kapitel 3.1 und 3.4. 731 AHGR Bochum, IBA 683 A, Anlage zum Brief Karl Gansers an Wolfgang Clement vom 12. 02. 1996. 732 Rossmann, Andreas: Der Stern über dem Revier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 1996.

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kralisierung der Arbeit auf das Industriedenkmal. In seinen Überlegungen zur Sakralisierung des Authentischen hält Achim Saupe fest, dass diese nicht mehr in erster Linie über Museumsgebäude, sondern über die Museumsobjekte produziert werde. 733 Für Zollverein ist jedoch zu beobachten, dass sich die Sakralisierung stark aus der Authentizität des Industriedenkmals in seiner doppelten Eigenschaft als Museumsgebäude einerseits und musealisiertes Objekt andererseits speiste. Das Kesselhaus wurde von einer „Industriekathedrale“ 734 zur Kathedrale geschichtskulturell inszenierter Industriekultur. Der Festakt zur Schlüsselübergabe präsentierte das Kesselhaus zehn Jahre nach der Stilllegung Zollvereins als „neues Flaggschiff“ 735 des Areals, dessen Leuchtturmcharakter Andreas Rossmann mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest wie folgt charakterisierte: Schwerindustrie zu Kulturindustrie, Kesselhaus zu Design-Zentrum, Kohlebunker und Büros – auf Zeche Zollverein XII hat das Ruhrgebiet das Modell für den Strukturwandel geschaffen. Nicht überall wird sich dieser derart markant und mustergültig realisieren lassen. So wird das Projekt zum Sinnbild für die Region: Über dem Revier strahlt ein neuer Stern. 736

Zollverein als Stern von Bethlehem, der gleichsam den Weg zur Erlösung des Ruhrgebiets aus den Härten des Strukturwandels weisen sollte. Das Design-Zentrum im umgebauten Kesselhaus wurde zum materialisierten Beweis für die seit den 1980er Jahren im stadtplanerischen Diskurs prominente Vorstellung, dass der Aufbau einer Kulturindustrie oder Kulturwirtschaft im Sinne einer auf Kommerzialisierung ausgerichteten Herstellung konsumierbarer kultureller Güter den Aufbau eines zukunftsträchtigen Sektors im Strukturwandelprozess bedeuten würde. 737 Mit der Eröffnung des Designzentrums im folgenden Jahr trat die Gestaltung der übrigen Gebäude und des Geländes in den Vordergrund.

733 „Die geschichtsreligiöse Aufladung des Authentischen ist dem Museum in der Tradition von Kuriositätenkabinett, Wunder- und Schatzkammer nach wie vor eingeschrieben. Eine ihrer Voraussetzungen ist ein exponierter Ort, wobei kultische und sakrale Bezüge in der Museumsarchitektur schwächer geworden sind. Stärker zeigt sie sich im sinnstiftenden Umgang mit Dingen“, Saupe (2017), S. 54. 734 Rossmann (1996). 735 Ebd. 736 Ebd. 737 Zu Verständnis und Historisierung von Kulturindustrie und Kulturwirtschaft aus stadt- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive vgl. Heßler, Martina / Zimmermann, Clemens: Introduction. Creative Urban Milieus. Historical Perspectives on Culture, Economy, and the City, in: Heßler, Martina / Zimmermann, Clemens (Hg.), Creative Urban Milieus. Historical Perspectives on Culture, Economy, and the City, Frankfurt am Main / New York 2008, S. 11–38, hier besonders S. 12–15.

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Besondere Bedeutung wurde dem Erhalt und der Gestaltung der erst Mitte des Jahres 1993 stillgelegten Kokerei Zollverein zugemessen. So schrieb Karl Ganser in einem Brief an den Vorstand der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, das Projekt treibe ihn „noch mehr um als seinerzeit der Gasometer, weil die damit verbundene Botschaft mächtiger und vielfältiger“ 738 sei. Er sei sicher, „wenn wir es erst einmal geschafft haben, dann wird das Ruhrgebiet auf die Kokerei Zollverein noch stolzer sein als auf den Gasometer heute“. Dass Zollverein als Symbol für die im Wandel befindliche Region noch mehr Potenzial habe als der Gasometer, lag für ihn zunächst in der Größe des „überwältigenden Industriedenkmal[s]“ begründet. Aber nicht allein der Erhalt, sondern die spezifische Art der Gestaltung des Denkmals, die mit der großen Ausstellung ‚Sonne, Mond und Sterne‘ und dem dafür vorgesehenen Bau einer Photovoltaikanlage geplant war, präsentierte Ganser als weit über die IBA Emscher Park hinausweisendes Projekt: „Das Projekt hätte eine kulturelle Botschaft für Europa und die Welt, daß man selbst mit den gewaltigsten Industrieruinen noch etwas besseres machen kann, als sie lediglich abzureißen.“ Größe und Monumentalität von Zeche und Kokerei erschienen also gleichermaßen als Herausforderung und Chance in Hinblick auf Erhalt und Gestaltung des Industriedenkmals. Die nur vier Jahre zuvor noch in Betrieb befindliche Kokerei als Beispiel für die „gewaltigsten Industrieruinen“ zu bezeichnen, zeugt zunächst von der Wahrnehmung, dass eine Zukunftsperspektive für diese Art der Industrie keinesfalls mehr denkbar schien. Sie zeugt außerdem vom Modellcharakter, den Ganser Zollverein nicht nur für das Ruhrgebiet, sondern vielmehr für die materiellen Hinterlassenschaften der Industriegesellschaft allgemein zuzuweisen suchte. So war der angeführte Maßstab in seinem Schreiben auch nicht allein die Region, sondern vielmehr „Europa und die Welt“. Nicht nur sollte das geplante Photovoltaikkraftwerk eine Dimension haben, die „wohl weit bis ins nächste Jahrtausend hinein uneinholbar sein“ 739, werde und so eine „gewichtige industriepolitische Botschaft“ vermitteln könne, da diese Art der Energieerzeugung in Zukunft „auf der ganzen Welt normal“ sein werde. Das Ruhrgebiet sollte sich so nicht nur in energiepolitischer Hinsicht als Vorreiter in Europa profilieren und sich für diese in der Gegenwart einzuleitende Energierevolution als „der Standort in Europa“ etablieren. Vielmehr beschwor Ganser auch die Möglichkeit, die das Kraftwerk rahmende Publikumsausstellung ‚Sonne, Mond und Sterne‘ „zu einer europäisch kultivierten Alternative [. . . ] gegen das über738 AHGR Bochum, IBA 118 A, Vorlage für einen Brief Karl Gansers an die Mitglieder des Vorstands vom 21. 08. 1997. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 739 Ebd. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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mächtige amerikanische Entertainmentangebot mit den anspruchslosen Themenparks“ zu stilisieren. Die Ausstellung sollte also eine Art Themenund Vergnügungspark schaffen, der allerdings nicht nur dem reinen Erlebnis und Lustgewinn dienen sollte, sondern vielmehr als Reflexionsmedium gesellschaftlicher Wandlungsprozesse dienen sollte, wie später noch anhand der Ausstellung und ihrer Rezeption gezeigt wird. Die Ausstellung sollte damit einerseits noch stärker als Hauptattraktion für das IBA-Finale fungieren als zuvor ‚Feuer und Flamme‘ für die Zwischenpräsentation. Andererseits hoffte Ganser, womöglich sogar der für das Jahr 2000 in Hannover geplanten Weltausstellung „ein Stück die Schau stehlen“ zu können. Auch dieser Anspruch verdeutlicht, dass der Horizont, vor dem Zollverein als Industriedenkmal entwickelt wurde, weit über das Ruhrgebiet hinausreichte. Der Versuch, mit der geplanten Weltausstellung in Konkurrenz zu treten und gleichzeitig an die entsprechende Ausstellungstradition anzuknüpfen, implizierte den Anspruch, Modellwirkung für die Zukunftsgestaltung westlicher Industriegesellschaften zu entfalten. 740 Um diesen Anspruch zu realisieren, sollte Zollverein auch als Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die Zukunft der Industriegesellschaft etabliert werden. So wählte beispielsweise das mittlerweile von Jörn Rüsen geleitete KWI für den Jahreskongress des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen 1998 zum Thema ‚Zukunftsentwürfe – Ideen für eine Kultur der Veränderung‘ Zollverein als Tagungsort, da das ehemalige Zechengelände eine „Kultur im Wandel“ 741 symbolisiere und so das Thema des Kongresses veranschauliche. Die Veranstalter*innen gingen von der Grundannahme aus, dass die Einstellung der Bevölkerung zur Zukunft negativ sei und diese nur noch als „technische Anpassung an die Zwänge der Globalisierung“ 742 verstanden werde. Der Kongress und die Publikation der Vorträge verfolgten daher das Ziel, „die Stimme der Kulturwissenschaften im Diskurs über Zukunft vernehmlich zu machen“. Diesem Ziel lag ein Verständnis von Kultur als „lebensermöglichende Sinnbildung“ durch „Erfahren, Deuten und Interpretieren der Welt, durch zweckhafte Ausrichtung des Willens und durch Formung des Selbsts zur Identität“ zugrunde – ein Verständnis, das Rüsens Kulturbegriff entsprach und untrennbar mit dem Zweck der Identitätsbildung verbunden war. 743 740 Siehe hierzu auch Kapitel 2.1.1. 741 Rüsen, Jörn / Leitgeb, Hanna / Jegelka, Norbert: Vorwort, in: Rüsen, Jörn / Leitgeb, Hanna / Jegelka, Norbert (Hg.), Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung, Frankfurt am Main / New York 2000, S. 11. 742 Dies.: Einleitung, in: dies. (Hg.), Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung, Frankfurt am Main / New York 2000, S. 12–15, S. 12. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 743 Siehe dazu auch Kapitel 1.2, Anm. 34.

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Die Herausgeber*innen postulierten Kulturwissenschaft als entscheidende Bedingung für die Möglichkeit zur Zukunftsgestaltung und wiesen ihren Disziplinen somit eine zentrale Funktion für die Zukunft der Gesellschaft zu: Welche Zukunft wir haben werden, hängt davon ab, wie wir unsere Welt und uns selbst deuten und verstehen. Die Kulturwissenschaften sind Teil dieser Kultur. Sie legen die menschlichen Sinnbildungsleistungen aus, machen sie verständlich und damit zugleich auch kritisierbar, und sie erschließen historisch das Archiv der Erfahrungen aus der Vergangenheit. 744

Die Etablierung Zollvereins nicht nur als Standort für eine zu schaffende Kulturindustrie, sondern auch als Standort der Wissensproduktion etwa durch Abhalten großer wissenschaftlicher Tagungen stand also in Wechselwirkung zur Selbstbehauptung der (Kultur-)Wissenschaft als notwendiges Instrument einer erfolgreichen Gestaltungszukunft. Im Zuge der Durchsetzung des Paradigmas einer Ablösung der Industrie- durch eine Wissensgesellschaft geriet die nicht auf „nützliches Wissen im Sinne einer technischen Verwertbarkeit“ 745 ausgerichtete Kulturwissenschaft unter Legitimationsdruck. 746 Zur Aushandlung stand ein breiter Wissensund Wissenschaftsbegriff, wie er in der sich in den folgenden Jahren etablierenden Wissens- und Wissenschaftsgeschichte etwa von Margit Szöllösi-Janze vertreten wurde. 747 So stellten Rüsen und seine Mitautor*innen die These auf, Kulturwissenschaft sei ein entscheidender Faktor im Streben nach Innovation und Kreativität: Gleichwohl gibt es keinen Nutzen ohne Sinn, keine Praxis ohne Orientierung, kein gesellschaftliches Leben ohne Identität und Geschichte, keine Politik ohne Legitimität, keine Wirtschaft ohne Wertannahmen. Die Kulturwissenschaften thematisieren diese Sachverhalte. Sie sind der Ort, an dem Kompetenz zum Umgang mit der menschlichen Sinnbildung erzeugt und vermittelt wird. Gerade in einer Zeit, in der vertraute Formen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens obsolet werden, stellen sich verstärkt Sinnfragen. [. . . ] Kreativität, Innovationsfähigkeit, Kritikvermögen, Überzeu-

744 Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 12 f. 745 Ebd., S. 13. 746 Zur breiten Forschung zur Wissensgesellschaft vgl. einführend Böschen, Stefan: Wissensgesellschaft, in: Sommer, Marianne / Müller-Wille, Staffan / Reinhardt, Carsten (Hg.), Handbuch Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 2017, S. 324–332. 747 Diese kritisierte expliziert ein „voreiliges Auseinanderdividieren von science und humanities oder gar arts“, Szöllösi-Janze, Margit: Wissensgesellschaft in Deutschland. Überlegungen zur Neubestimmung der deutschen Zeitgeschichte über Verwissenschaftlichungsprozesse, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004) 2, S. 277–313, S. 280 (H. i. O.).

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gungskraft – ohne Kultur sind sie nicht zu haben und auch nicht ohne die Wissenschaften, die sich der Kultur erkennend zuwenden, um ihre Lebenskraft zu entfalten. 748

Dieses normative Kulturverständnis entfaltete nicht nur die kulturwissenschaftliche Forschung als Praxis zur Bewältigung einer Kontingenzerfahrung im Sinne der Erfahrung einer Wandelbarkeit fest geglaubter Strukturen. Vielmehr postulierten die Autor*innen ein Verständnis von Kulturwissenschaften, mit dem sie diese in die strukturpolitische Debatte um Kreativität und Innovation integrierten. Dass die Autor*innen Begriffe wie „Kreativität“ und „Innovation“ zu zentralen Stützen ihres Plädoyers für eine Neuausrichtung der Kulturwissenschaften machten, obwohl sie eine auf Nützlichkeit ausgerichtete Verwertungslogik eigentlich ablehnten, verweist auf die diskursive Macht jener Topoi. 749 In der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung erlangte sie einen argumentativen Wert zur Abgrenzung von der konkurrierenden Erinnerungskulturforschung: Es ist eine offene Frage, ob die Kulturwissenschaften sich dieser Aufgabe schon hinreichend verschrieben haben. Gegenwärtig kreisen ihre avancierten Diskurse nur zu oft um die Themen Erinnerung, Gedächtnis, und Vergessen. Eine kulturelle Orientierung auf Zukunft ist ohne kritische Distanz zu Vergangenheit und Gegenwart nicht möglich. Sie ist aber auch nicht möglich ohne stimulierende Entwürfe einer Zukunft des ganz Anderen. Beides, Kritik und Utopie sind keine zentralen Themen der Kulturwissenschaften mehr. [. . . ] Kritikmüdigkeit und Utopieverzicht signalisieren Zukunftsverlust. 750

Ohne die Vertreter*innen der konkurrierenden Positionen explizit zu benennen, 751 übten die Autor*innen hier Kritik an Forschungen zu Erinnerung, Gedächtnis und Vergessen, die von den Assmanns geprägt und von der Zeitgeschichte aufgegriffen worden waren. Diese Art der Beschäftigung mit Vergangenheit wurde als Bedrohung für die Zukunft, als Signal

748 Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 13. 749 Zur Historisierung der Topoi Innovation und Kreativität aus wirtschafts- und stadtgeschichtlicher Perspektive vgl. erneut Heßler / Zimmermann (2008); Heßler, Martina: Die kreative Stadt. Zur Neuerfindung eines Topos, Bielefeld 2007. Aus zeithistorischer Perspektive am Fallbeispiel Glasgow vgl. Gerstung, Tobias: Vom Industriemoloch zur Creative City? Arbeit am Fluss in Glasgow während und nach dem Boom, in: Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz / Schlemmer, Thomas (Hg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 149–170; Gerstung (2016), S. 369–387. 750 Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 13. 751 Während die Benennung der konkurrierenden Positionen zu diesem Zeitpunkt der Auseinandersetzung über die Begriffe erfolgt, benennt Rüsen in der aktuellen Begriffsdebatte wie bereits deutlich gemacht die Entscheidung zwischen Konzepten explizit auch als Entscheidung zwischen den sie vertretenden Forscher*innen, siehe dazu Kapitel 1.3.2, Anm. 277.

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für „Zukunftsverlust“ 752 charakterisiert, nicht aber die deutende Beschäftigung mit Vergangenheit per se. Das von den Herausgeber*innen des Tagungsbands propagierte Verständnis von Kulturwissenschaft, das deutlich hörbar auf dem Geschichtskulturbegriff Rüsens aufbaute, wurde über die Produktivität für die Gestaltung von Zukunft legitimiert: Kultur ist in allen menschlichen Lebensbereichen als Triebkraft, Deutungsleistung und Orientierungsgröße wahrzunehmen. Auf dieser Grundlage können wir Chancen des Umgangs mit unserer Welt und uns selbst gewinnen, in denen wir nicht einfach Opfer eines schicksalhaften Wandels sind, sondern Mitgestalter einer Zukunft, in der wir leben müssen und leben wollen. 753

Die Tagung sollte mithin helfen, (Geschichts-)Kultur als Mittel der Bewältigung eines nicht passiv zu erleidenden Wandels zu etablieren. Auch hier zeigt sich, dass der vermeintlich auf Stillstand und Konservierung ausgerichteten Bewahrungszukunft tatsächlich eine stark gestaltende Funktion zugewiesen wurde, anders als es in der verengenden Definition Rüdiger Grafs angelegt ist. 754 Wie für die Gestaltung Zollvereins als Symbol für die Zukunft des Ruhrgebiets war hier allerdings keinesfalls nur die Region der räumliche Maßstab. Vielmehr argumentierten die Herausgeber*innen, die „Globalisierung [habe] das Leben aller Menschen verändert, herkömmliche Bezugssysteme und Einteilungen wie Region – Metropole – Nation werden hinfällig. Auch dieses Problem ist Desiderat einer zukunftsorientierten Kulturwissenschaft.“ 755 Diese Aufweichung vermeintlich fester Raumbegriffe durch als „Globalisierung“ beschriebene Wandlungsprozesse ist allerdings nicht primär als räumliche Frage zu verstehen, sondern vor allem als Zeitdeutung zu historisieren, wie Jan Eckel hervorgehoben hat. Als zentraler Begriff für „die Zeitdeutung der deutschen Gesellschaft in den beiden Dekaden um die Jahrhundertwende“ 756 ist die Historisierung des Globalisierungsbegriffs als „schillernde Vokabel“ eine Aufgabe der Zeitgeschichte. Als solche sieht sie sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, wie die in dieser Untersuchung angestrebte Historisierung der Erklärungsmuster des Geschichtsbooms, wobei die ungleich stärkere inflationäre Verbreitung des Globalisierungsbegriffs seine Histo-

752 753 754 755 756

Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 13. Ebd., S. 15. Siehe dazu Kapitel 1.2, Anm. 96. Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 14. Eckel, Jan: „Alles hängt mit allem zusammen“. Zur Historisierung des Globalisierungsdiskurses der 1990er und 2000er Jahre, in: Historische Zeitschrift 307 (2018) 1, S. 42–78, S. 43. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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rizität als Zeitdeutung womöglich noch stärker verstellt. 757 Ebenso wie die Kompensationsthese Lübbes soll ‚Globalisierung‘ in der vorliegenden Untersuchung also nicht als Erklärung einer Entwicklung herangezogen, sondern als Zeitdeutung historisiert und ihrer argumentativen Funktion analysiert werden. 758 Dem Globalisierungsbegriff liegt wie der Kompensationsthese Lübbes die Wahrnehmung einer Beschleunigung zugrunde, wie Eckel pointiert festhält: „Alles ganz neu, alles viel schneller als je zuvor – mit diesen Komponenten stellte der Globalisierungsdiskurs die jüngste Version der allerältesten Selbstbeschreibung der Moderne dar.“ 759 Als Selbstbeschreibung zeichnete sie sich durch eine starke Ambivalenz aus, wie Eckel deutlich macht und wie es sich auch am hier fokussierten Beispiel der vom KWI veranstalten Tagung zu Zukunftsentwürfen zeigen lässt. Wenn die Herausgeber*innen des Tagungsbands zur Jahrtausendwende beklagten, Zukunft erscheine der deutschen Bevölkerung mehrheitlich als „technische Anpassung an die Zwänge der Globalisierung“ 760, so erscheint Globalisierung hier wie von Eckel beschrieben als „anonyme Macht, als unaufhaltsam, [. . . ] geeignet, Ängste vor dem Ausgeliefertsein und Autonomieverlust zu schüren“ 761. Die hier durchscheinende Lesart von Globalisierung als Bedrohung und Verunsicherung der Zukunft ermöglichte die Entwicklung einer politischen Wirkmächtigkeit, die sich in den 1990er Jahren insbesondere als „argumentativer Nexus zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und innenpolitischem Reformbedarf“ 762 und hier besonders in der bereits in ihrer Auswirkung auf das Ruhrgebiet skizzierten 757 Zum Desiderat vgl. ebd., S. 43–46: „Die Geschichte dieses Globalisierungsdiskurses ist weitgehend unerforscht, ja im Grunde ist er noch kaum als historisch erkannt worden. [. . . ] Die Zeitgeschichtsschreibung hat den Begriff verschiedentlich als ein heuristisches Konzept gebraucht, um die jüngste Geschichte der Bundesrepublik zu beschreiben und einzuordnen. Globalisierung erscheint in dieser Sicht als ein prägendes Bewegungsprinzip der Zeit seit 1990 oder sogar als herausragendes Symptom der jüngsten Epoche. Begreift man Globalisierung jedoch ihrerseits als eine zeitgenössische Denkfigur, gilt es solche Zuschreibungen zu hinterfragen.“ 758 Dies kann hier nicht vollumfänglich, sondern nur in Hinblick auf die argumentative Funktion für die Aushandlungsprozesse im geschichtskulturellen Feld des Ruhrgebiets geschehen, wobei ein gründlicherer Blick auf den Zusammenhang zwischen zentralen diskursiven Topoi wie Globalisierung, Glokalisierung, Schrumpfen der Welt, Gegenwartsschrumpfung und Nostalgie durchaus lohnend wäre, wie ein Blick in einflussreiche Texte der Debatte schnell deutlich macht; vgl. z. B. Robertson, Robert: Glokalisierung. Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, in: Beck, Ulrich (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt am Main 1998, S. 192–220, S. 199 f., 206, 215. 759 Eckel (2018), S. 55. 760 Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 12. 761 Eckel (2018), S. 57. 762 Ebd., S. 59.

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Standortdebatte niederschlug. Der Globalisierungsbegriff diente als „Evidenzverstärker“ 763 in reformpolitischen Debatten und gleichzeitig als Mittel der Komplexitätsreduktion in der Auseinandersetzung mit komplexen wirtschaftlichen Prozessen, die unter ihm subsumierbar erschienen. Mit diesem argumentativ wirkmächtigen und komplexitätsreduzierenden Bedrohungsszenario waren aber auch positive Lesarten wie etwa die Aufwertung der Region als räumlicher Kategorie verbunden. Der anscheinende Zwang, nicht mehr nur national, sondern international in Konkurrenz zu anderen Regionen zu treten, ging auch mit einer Bedeutungssteigerung von Regionen einher. So ließ sich die von Rüsen und seinen Mitautor*innen als Desiderat der Kulturwissenschaften benannte Auflösung „herkömmliche[r] Bezugssysteme und Einteilungen wie Region – Metropole – Nation“ 764 auch als Chance zur Zukunftsgestaltung lesen, sofern es gelänge, sich deutend zu ihr ins Verhältnis zu setzen. Hier zeigt sich das von Eckel dem Globalisierungsbegriff zugeschriebene Potenzial, dem ‚post‘-Syndrom zu entkommen [. . . ]. Denn wer die Globalisierung zum Signum der Zeit erhob, musste diese nicht länger ex negativo als das begreifen, was sie nicht mehr war: als postmodern, postindustriell, postfordistisch, postmaterialistisch, postkapitalistisch oder, mit einem wichtigen amerikanischen Begriff, als ‚post-Cold War‘. [. . . ] Mit der Globalisierung stand statt dessen [sic] nun eine affirmative Einordnung zur Verfügung, die von dem ausging, was gerade entstand. 765

In diesem Zusammenhang konstatiert Eckel auch eine mit dem Globalisierungsbegriff einhergehende „Rückkehr der Geschichtlichkeit“ 766, welche die poststrukturalistische Absage an die Deutungsleistung großer Erzählung aufgehoben habe. Zwar hoben die Autor*innen des KWI-Tagungsbands vor allem die Produktivität von Utopien, nicht aber historischer Meisterzählungen hervor. Jedoch deutet der Gebrauch des von Rüsen geprägten, normativ aufgeladenen (Geschichts-)Kulturbegriffs als Ressource für Sinnbildung, Deutung, Orientierung und Identitätsbildung trotzdem auf den von Eckel konstatierten Zusammenhang zwischen Globalisierungsdiskurs und „Rückkehr der Geschichtlichkeit“ 767 hin. Die von den Autor*innen des KWI-Tagungsbands emphatisch vorgetragene Charakterisierung von Kultur als Ressource für den Ausweg aus dem passiven Erleiden „eines schicksalhaften Wandels“ 768 hin zum „Mitgestalter einer 763 764 765 766 767 768

Ebd., S. 63. Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 14. Eckel (2018), S. 51 f. Ebd., S. 51. Ebd. Rüsen / Leitgeb / Jegelka (2000), S. 15.

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Zukunft, in der wir leben müssen und leben wollen“ 769 liest sich wie ein Beleg zu Eckels These zur Historisierung des Globalisierungsbegriffs: Der Gestaltungswille reichte bis hin zu visionären Entwürfen einer besseren Zukunft, die sich wiederum auf Seiten der Globalisierungsverfechter ebenso fanden wie auf Seiten der Globalisierungskritiker. All dies verweist auf eine – politisch und emotional verschiedenartig ausgeprägte – intellektuelle Bereitschaft, sich einzulassen auf Veränderung, Rasanz und Zukunft, oder sich ihnen jedenfalls zu stellen. 770

Aus zeitgenössischer Sicht schien die KWI-Tagung jedoch gerade dieser Aufgabe nicht wirklich gerecht geworden zu sein, wie Andreas Rossmann in der FAZ kritisierte. Die Vorträge seien zwar auf „Zukunft fixiert, die immer wieder mit dem magischen Datum der Jahrtausendwende identifiziert wurde“ 771, aber Entwürfe für die Gestaltung der Zukunft seien kaum geliefert worden. Obwohl die Ortswahl auch von ihm als „programmatisch“ hervorgehoben wurde, da man auf Zollverein „den Strukturwandel gleichsam im Modell besichtigen“ könne, sei die „symbolische ‚Besetzung‘ von Zeche Zollverein Zwölf am Ende nur ein rhetorischer Akt“ geblieben. Zwar schien die symbolische Aufladung Zollvereins als Ort des Wandels und der Zukunft also zu gelingen. Es zeichnete sich aber auch früh die Kritik ab, es handele sich nur um eine sprachliche Inszenierung, die keine tatsächlich produktive Zukunftsgestaltung leisten könne. Auch die an Zollverein modellhaft verfolgte Ökonomisierung der Kulturpolitik mit dem von Wolfgang Clement formulierten Ziel der Etablierung „kreativer Milieus“ löste Kritik aus. So wertete Rossmann sie als Beweis, dass „Kultur für den ehemaligen Wirtschaftsminister nur Mittel zum Zweck und ohne ökonomische Anbindung nichts wert“ sei. Kulturell wichtige Industriedenkmale nur als Mittel zum Zweck der Zukunftsgestaltung durch Wirtschaftsförderung zu erhalten, schien aus Sicht des NRW-Korrespondenten der FAZ der falsche Weg zu sein. Hier trat der Konflikt zwischen denkmalpflegerischer Erhaltung und ökonomischer Gestaltung des Geländes deutlich zutage. Die Interessen des denkmalpflegerischen Erhalts Zollvereins zu wahren sowie den Umbau, die öffentliche Zugänglichkeit und die Nachnutzung des Zechenareals über das absehbare Ende der IBA Emscher Park hinaus zu sichern, war die Aufgabe der Stiftung Zollverein. In der im Dezember 1998 in Kraft getretenen und um die Trägerschaft der unselbstständigen Stiftung Ruhr Museum im Jahr 2007 erweiterten Satzung heißt es zum Zweck der Stiftung: 769 Ebd. 770 Eckel (2018), S. 77. 771 Rossmann, Andreas: Auf Kohlen sitzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. November 1999. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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Zweck der Stiftung ist die Förderung der Kultur und Denkmalpflege insbesondere im Hinblick auf die Wiedernutzbarmachung, Pflege und Erhaltung des Welterbes Industrielle Kulturlandschaft Zollverein einschließlich der angrenzenden brachliegenden Industrieflächen sowie deren Öffnung für die Allgemeinheit, die den Gesamtkomplex als kulturelles Zentrum und Zukunftsstandort mit den Schwerpunkten Geschichte und Architektur, Kunst, Design und Medien sowie der Kultur, Bildung und Wissenschaft erfahren und nutzen soll. 772

Die Entwicklung Zollvereins zum Zukunftsstandort wurde also schon in den Stiftungszweck eingeschrieben, der den Umgang mit dem Denkmalensemble bis heute normiert. Sie stand somit gleichberechtigt neben dem denkmalpflegerischen Erhalt und der Zugänglichkeit des Industriedenkmals, die zum Beispiel durch die Anlage und Pflege eines Denkmalpfads verwirklicht werden sollte. Bereits seit den frühen 1990er Jahren hatten Führungen über das Gelände stattgefunden, deren Konzept in didaktischer Hinsicht erst in Vorbereitung auf das Kulturhauptstadtjahr grundlegend überarbeitet wurde. Zuvor hatte der Ausbau des Denkmalpfads länger keine hohe Priorität eingenommen, da die standortpolitische Entwicklung zum Zukunftsstandort Vorrang hatte, wie Hans Kania nachdrücklich kritisierte. 773 Im Vordergrund stand der im Stiftungszweck eingeschriebene Auftrag, das riesige ehemalige Zechen- und Kokereigelände einer neuen, zukunftsgerichteten Nutzung zuzuführen, in der die industrielle Vergangenheit als Erlebnis erfahrbar werden sollte. 774 Ein Beispiel hierfür war die Ausstellung in der ehemaligen Mischanalage der Kokerei zum IBA-Finale, die das Gebäude erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich machte. Die Ausstellung sollte nicht nur einen Höhepunkt im Finalprogramm der IBA Emscher Park bilden, sondern eine langfristige Vision für die Umnutzung des Kokereigeländes liefern. Das um Franz-Josef Brüggemeier reduzierte Ausstellungsteam von ‚Feuer und Flamme‘ wandelte die ehemalige Mischanalage der Kokerei in einen Ausstellungsraum um, wofür teilweise „erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz“ 775 nötig waren, wie Lutz 772 Satzung der Stiftung Zollverein, überarbeitete Fassung vom 05. 12. 2007. 773 Vgl. Kania (2005), S. 116–122. 774 Dies wird besonders in der Konkretisierung der Stiftungsaktivitäten deutlich, die geeignet sind, den Stiftungszweck zu erfüllen: „die denkmalgerechte Erhaltung und Wiedernutzbarmachung der Bauten und Industrieanlagen im Hinblick auf die Entwicklung eines Zukunftsstandortes Zollverein als attraktivem Ort für die erlebbare Verbindung von Industriedenkmal, Design, Kunst und Kultur; die Förderung und Durchführung künstlerischer und kultureller sowie sonstiger Veranstaltungen, die den Stiftungszwecken entsprechen und geeignet sind, die neue Nutzung der ehemaligen Industrieflächen in die Öffentlichkeit zu tragen, [. . . ]“, Satzung der Stiftung Zollverein, überarbeitete Fassung vom 05. 12. 2007. 775 Engelskirchen, Lutz: Zum Beispiel. „Sonne, Mond und Sterne“, in: Industriekultur 5 (1999) 3, S. 4–7, S. 6; ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Engelskirchen in seiner Ausstellungsrezension festhielt. Dies sei „denkmalpflegerisch gesehen, kein zimperlicher Umgang mit dem Bauwerk“, füge sich aber in das Konzept der IBA Emscher Park und sei angesichts der Größe der Kokerei kein den Denkmalwert in Frage stellender Eingriff. Die Gestaltung des Industriedenkmals als Ausstellungsraum, der mit den eingebauten Treppen und Laufhorizonten in seiner enormen Größe gleichsam zum Labyrinth wurde, stieß vielmehr weitgehend auf Begeisterung bei Besucher*innen und Rezensent*innen. So lobte Andreas Rossmann in der FAZ, die Durchquerung der Mischanlage sei schon ohne Ausstellung „ein Abenteuer“ 776. Der für das IBA-Finale angestrebte Erlebnischarakter der Publikumsausstellung schien also schon mit der Erschließung des Denkmals als Ausstellungsraum erfolgreich hergestellt. Die Ausstellung selbst präsentierte die Geschichte der Energieerzeugung und -nutzung als Märchen. Der ein Kinderlied zitierende Titel „Sonne, Mond und Sterne. Das Märchen von der Kohle“ kündigte die Erzählweise an, die das Thema im Modus des Staunenswerten, Wundersamen und des zu entdeckenden Abenteuers vorführte. Ausstellungsraum und Inszenierung gingen dazu wie schon im Gasometer eine narrative und ästhetische Symbiose ein. Die Besucher*innen fuhren über einen ehemals zum Kohletransport genutzten Schrägaufzug in die Mischanlage der Kokerei ein, wobei der Aufzug durch eine Lichtinstallation des Künstlers Peter Erskin bespielt und mit dem für die Ausstellung namensgebenden Kinderlied beschallt wurde. Während die Mischung aus einer Vielzahl historischer Ausstellungsobjekte und zeitgenössischer Kunstinstallationen als etwas überladen und daher verwirrend oder gar konzeptlos wahrgenommen wurde, 777 fand die „Verbindung von Ort und Thema“ 778 weitgehend Anerkennung. Gottfried Korff betonte in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung, das Ausstellungsteam verstehe die Kokerei als „Exponat Nummer Eins“ 779, das gleichzeitig „Relikt“ und „auch Ort der Vision, Ort des Nachsinnens über die Zukunft der Energie“ sei. Die IBA, ohne die der Erhalt der Kokerei

776 Rossmann, Andreas: Lunapark der schweren Industrie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 1999. 777 Vgl. Schinkel, Eckhard: Rolle rückwärts in die Zukunft. Überdachte EröffnungsAusstellung „Sonne, Mond und Sterne“ für die Kokerei Zollverein in Essen, in: Industriekultur 5 (1999) 3, S. 8–11; Rossmann (1999). 778 Rossmann (1999). 779 Korff, Gottfried: Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ am 11. Mai 1999, in: Borsdorf, Ulrich (Hg.), Sonne, Mond und Sterne. Kultur und Natur der Energie; ein Rückblick; Bilder und Berichte aus der Ausstellung auf der Kokerei Zollverein, 13. Mai bis 3. Oktober 1999, Bottrop / Essen 2000, S. 17–30, S. 23. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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nicht möglich gewesen sei, habe dem Team den Auftrag erteilt, eine Ausstellung zu schaffen, die „nicht nur der Rückschau gewidmet ist, sondern auch eine Vision enthält“ 780, womit erneut die für die Bauausstellung spezifische Lesart von Geschichte zur Leitlinie einer historischen Ausstellung erhoben wurde. Auch den Einfluss der Theorien Rüsens zur Funktion und Präsentation von Geschichte hob Korff für die Ausstellung explizit hervor, deren „Leitideen [. . . ] in Rufweite“ 781 zum von Rüsen geleiteten KWI entstanden seien, wo „seit Jahren hoch produktiv über neue Dimensionen der Geschichtskultur und der ‚Naturkultur‘“ nachgedacht würde. Als besondere Attraktion der Publikumsausstellung, die „für alle, für viele da“ 782 sein müsse, präsentierte Korff das „Sonnenrad“ – ein durch die Energie des entstehenden Solarkraftwerks betriebenes Riesenrad – als „Zeichen für das Ende der schweren, der schwarzen Industrie, die sich über 150 Jahre tief in das Leben der Region eingeschrieben hat“ 783. Riesenräder seien ein „beliebtes Requisit der Jahrmärkte und Lunaparks, wo um die Jahrhundertwende das Vergnügen und die zeitlich limitierte Freude ihr Recht gegen die Mühsal und den Schweiß des Tages behaupteten“ 784. Diese Symbolik aufgreifend feierte Andreas Rossmann das Sonnenrad in seiner Rezension als „das Fortbewegungsmittel, das die Kokerei freisetzt aus ihrer industriellen Vergangenheit und in eine Sphäre jenseits von Zweck und Nützlichkeit enthebt, um sie zu einem Lunapark der schweren Industrie zu machen“ 785. Die Kokerei Zollverein als schwerindustrieller Lunapark war mithin eine Referenz auf die um 1900 in Großstädtern populären Vergnügungsparks, die aber auf mehr verwies als nur auf die Rolle des Vergnügens in der Arbeiterkultur. Denn Vergnügungsparks sind nicht nur als Orte moderner Vergnügungskultur zu verstehen. Vielmehr dienten sie auch der Aneignung von Welt im Modus des auf Vergnügen ausgerichteten Erlebnisses einer sich selbst reflektierenden hochindustriellen Moderne, wie Johanna Niedbalski am Beispiel von Berliner Vergnügungsparks um 1900 gezeigt hat. 786 Mittel dieser Selbstreflexion waren dort zum einen exotisierende Darstellungen 780 781 782 783 784 785 786

Ebd., S. 18. Ebd., S. 23. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Ebd., S. 25. Ebd., S. 17. Ebd., S. 18. Rossmann (1999). Vgl. Niedbalski, Johanna: Vergnügungsparks, in: Morat, Daniel, et al. (Hg.), Weltstadtvergnügen. Berlin 1880–1930, Göttingen 2016, S. 153–192, S. 191: „Die Vergnügungsparks griffen gesellschaftliche Neuerungen auf und setzten sie in Attraktionen um. Sie waren zwar künstlich geschaffene Welten, aber die Bezüge zur Realität und zur ‚echten Stadt‘ mussten für das Publikum immer deutlich sein – sonst konnten die Attraktionen ihre Relevanz verlieren. Es ging nicht darum, radikale Gegen-

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als fremd vorgestellter Menschen und Regionen als Form der Selbstwahrnehmung und Verortung der modernen Großstadtbewohner*innen im Modus des Othering. 787 Zum anderen inszenierten die Parks technische und gesellschaftliche Neuerungen und Entwicklungen als Vergnügungsattraktionen, mit deren Hilfe die Besucher*innen Wandel erfahren und sich aneignen konnten. Am Beispiel der Berliner Vergnügungsparks der Jahrhundertwende – mit dem Lunapark am Halensee als größtem und prominentesten Beispiel – stellt Niedbalski daher fest, dass „Vergnügungsparks damit zu Vermittlern gesellschaftlicher Aufgaben und zu Reflexionsflächen urbaner Prozesse“ 788 wurden, die „als Katalysatoren der inneren Urbanisierung“ dienten. Mit seinen Forschungen zu Berlin um 1900 hatte Gottfried Korff bereits Mitte der 1980er Jahre einen wichtigen Anstoß für diese und andere neuere Arbeiten zu Formen städtischer Vergnügungskultur als Katalysatoren einer inneren Urbanisierung im Sinne einer „Anpassung an die Lebensbedingungen in der Großstadt allgemein“ 789 geliefert. 790 Als Kurator von ‚Sonne, Mond und Sterne‘ inszenierte Korff das solarbetriebene Riesenrad auf der Kokerei Zollverein nicht in erster Linie als Ausstellungsobjekt zur Geschichte der mit der Kohleindustrie verbundenen Arbeiterund Vergnügungskultur. Vielmehr griff das Riesenrad die Tradition der Aneignung gesellschaftlicher Entwicklungen im Modus des Erlebnisses, der Attraktion in einem Vergnügungspark der modernen Großstadt auf und re-interpretierte sie als Mittel zur Reflexion des Übergangs vom Ende dieser Epoche in eine postindustrielle Zukunft. Das Riesenrad symboli-

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welten oder eskapistische Erlebnisse zu kreieren, sondern das Ambiente für einen verspielten Umgang mit echten Herausforderungen, Trends oder Neuerungen. Die Besucherinnen und Besucher hatten so die Möglichkeit, an aus dem Alltag bekannte Phänomene anzuknüpfen, sich mit ihnen spielerisch auseinanderzusetzen und sich neue Techniken oder Praktiken lustvoll anzueignen. Meist fungierten die Parks als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie sogen auf, was immer interessant und relevant erschien und verarbeiteten es, indem sie es in Vergnügungsattraktionen umsetzten.“ Vgl. auch dies.: Die ganze Welt des Vergnügens. Berliner Vergnügungsparks der 1880er bis 1930er Jahre, Berlin 2018. Zu Othering als Form der Konstruktion eines (kollektiven) Selbst über die Konstruktion des ‚Anderen‘ als ‚Fremden‘ vgl. grundlegend Spivak, Gayatri Chakravorty: The Rani of Simur. An Essay in Reading the Archives, in: History and Theory 24 (1985) 3, S. 247–272. Niedbalski (2016), S. 192. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Morat, Daniel: Einleitung, in: Morat, Daniel, et al. (Hg.), Weltstadtvergnügen. Berlin 1880–1930, Göttingen 2016, S. 9–23, S. 13. Vgl. z. B. Korff, Gottfried: Mentalität und Kommunikation in der Großstadt. Berliner Notizen zur „inneren“ Urbanisierung, in: Kohlmann, Theodor / Bausinger, Hermann (Hg.), Großstadt. Aspekte empirischer Kulturforschung. 24. Deutscher Volkskunde-Kongreß in Berlin vom 26. bis 30. September 1983, Berlin 1985, S. 343–362.

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sierte das Ende der industriellen Moderne, die diese spezifische Art des Freizeitvergnügens erst hervorgebracht hatte: Das Sonnenrad, das in die Industrieruine hineinmontiert ist, bekräftigt das industrielle Ende der Kokerei. Weithin sichtbar erweist es vor aller Augen den Industriegiganten als das, was er nach seiner Schließung 1993 geworden ist, als eine Welt jenseits der Zwecke und der Nützlichkeiten. 791

Nicht nur griff die Kreisform des Rads als „Bild für die Rotation als der spezifischen Bewegungsform, die durch die Dampfkraft [. . . ] erzeugt wird“, die Ästhetik der Ausstellung auf, die auf „die planetarische Bewegung [. . . ] auf Sonne, Mond und Sterne [. . . ] jedoch nicht nur als kosmische, physikalische Gegebenheiten, sondern als Navigationssysteme durch die Wünsche und Träume, Visionen und Obsessionen, die sich mit der Energie [. . . ] verbinden“, ausgerichtet war. Mit dem Antrieb durch das Solarkraftwerk, zu dessen stetiger Vergrößerung die Ausstellungsbesucher*innen mit dem Kauf einer Solareinheit beitragen konnten, überformte das Rad die Kokerei als Ort einer nicht mehr zukunftsfähigen Art der Energiegewinnung und stellte so ein Medium zur spielerischen Aneignung des Energieträgers der Zukunft dar. Die auf Dauer ausgelegte Gestaltung der Kokerei als Alternative für „das übermächtige amerikanische Entertainmentangebot mit den anspruchslosen Themenparks“ 792 liest sich vor diesem Hintergrund mithin auch als Versuch, ein Instrument zur ‚inneren Urbanisierung‘ des immer wieder als im Hinblick auf seine Urbanität defizitär beschriebenen Ruhrgebiets zu schaffen – eine ‚innere Urbanisierung‘, die nicht mehr die Anpassung an eine industrielle, sondern an eine postindustrielle Moderne ermöglichen und damit wie bereits betont deutlich über die Region hinausweisen sollte. Der globale Anspruch der Ausstellung schlug sich auch in der Inszenierung innerhalb der zum Ausstellungsraum umgebauten Mischanlage nieder. So stand am Ende der Ausstellung eine Kunstinstallation von Ingo Günther namens ‚World-Processor. Enzyklopädie des Globalen‘, die in Form von 60 beleuchteten Globen Informationen zum weltweiten Energieverbrauch, zu fossilen Energiereserven und Preisen, zu demographischen Verteilungen und transnationalen Umweltproblemen wie dem radioaktiven Fallout von Tschernobyl und der Ozonschicht visualisierte. 793 Die

791 Ders. (2000), S. 18. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 792 AHGR Bochum, IBA 118 A, Vorlage für einen Brief Karl Gansers an die Mitglieder des Vorstands vom 21. 08. 1997. 793 Vgl. Borsdorf, Ulrich / Korff, Gottfried: Lichtsekunden einer Kokerei, in: Borsdorf, Ulrich (Hg.), Sonne, Mond und Sterne. Kultur und Natur der Energie; ein Rückblick; Bilder und Berichte aus der Ausstellung auf der Kokerei Zollverein, 13. Mai bis 3. Oktober 1999, Bottrop / Essen 2000, S. 45–53, S. 45.

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Ausstellung griff damit aktuelle Debatten um die globale Verflechtung von Wirtschafts-, Infrastruktur- und Umweltfragen künstlerisch auf und integrierte darüber den räumlichen Maßstab, in welchem das Ausstellungsteam die zu erzählende Geschichte der Energie gelesen wissen wollte. Zur Wiederauflage der mit knapp 215.000 Besucher*innen erfolgreichen Ausstellung im Jahr 2000 betonte Karl Ganser nochmals diesen Anspruch. Wie zuvor ‚Feuer und Flamme‘ wurde auch ‚Sonne, Mond und Sterne‘ im folgenden Jahr noch einmal gezeigt, was Ganser mit dem großen Publikumserfolg und einem häufig geäußerten Wunsch nach Verstetigung der Ausstellung begründete. 794 Im Jahr nach dem Ende der IBA Emscher Park gehörte die Gestaltung der Kokerei allerdings schon zum Erbe der Bauausstellung, das aus Gansers Sicht nur in Verbindung mit den anderen herausragenden industriekulturellen Standorten wie der Bochumer Jahrhunderthalle, dem Oberhausener Gasometer und dem ehemaligen Duisburger Hüttenwerk Meiderich zu verwalten sei. Ganser forderte daher eine gemeinsame Gestaltung der Denkmalstandorte: Ein solches regionales Großprojekt der Industriekultur gehört in den Mittelpunkt der künftigen Strukturpolitik. Das ist vermutlich die beste und wirksamste Standortwerbung und ein solches Projekt ist der nur dem Ruhrgebiet eigene, unverwechselbare ‚Treibsatz‘, um Kultur und Kulturwirtschaft im Verbund mit Tourismus dauerhaft zu entfalten, gerade in einer Zeit, in der die standardisierten Angebote einer globalisierenden Welt von Musical bis Freizeitpark an Faszination verlieren [. . . ]. 795

Hier zeigt sich deutlich der Einfluss des Globalisierungsdiskurses, in dem Homogenisierung zwar als Gefahr erschien, gleichzeitig aber die Chance zur Heterogenisierung des Regionalen bot und so einen Vorteil im nun globalen Standortwettbewerb der Regionen bedeuten könnte. Ganser argumentierte, dass diese Form der Strukturpolitik letztendlich eher Arbeitsplätze schaffen würde als der von einigen geforderte Abriss der Industriegebäude und die Umwandlung des Zollverein-Geländes in Gewerbegebiete. Ein als global wahrgenommener Standortwettbewerb wurde zum Argument für die Betonung der Einzigartigkeit des Ruhrgebiets als Region, die über die „Meisterwerke der Industriearchitektur und Zukunftsstandorte der Industriekultur“ 796 wie Zollverein konstruiert wurde. So wurde zum Ende der Bauausstellung zwar weiterhin die Abgren-

794 Vgl. Ganser, Karl: In neuer Umlaufbahn, in: Borsdorf, Ulrich (Hg.), Sonne, Mond und Sterne. Kultur und Natur der Energie; ein Rückblick; Bilder und Berichte aus der Ausstellung auf der Kokerei Zollverein, 13. Mai bis 3. Oktober 1999, Bottrop / Essen 2000, S. 8–9. 795 Ebd., S. 9. 796 Ebd.

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zung von einer Auseinandersetzung mit Geschichte, die sich „im Identität Stiftenden erschöpft“ 797, betont, gleichzeitig aber zum Mittel gegen als negativ wahrgenommene Effekte der Globalisierung erhoben. So hielt das dritte Memorandum als Teil der „Auswertung der Erfahrungen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park für ein allgemeines regionales Entwicklungsprogramm“ 798 fest: „Regionales Bewußtsein und regionale Identität sollen als Gegengewicht zu einer fortschreitenden Globalisierung und Anonymisierung wirken.“ 799 Im Bemühen, das durch den Strukturwandel im Zerfall befindliche Ruhrgebiet als räumliche Einheit zu stärken und so den Fortbestand der Region zu sichern, war der Globalisierungsbegriff Teil der diskursiven Strategie und somit „politisch handlungsleitend“ 800 geworden. Die enorme Bedeutung, die Zollverein in diesem Prozess als ‚Zukunftsstandort‘ zugewiesen wurde, erhöhte sich noch mit dem zum Ende der IBA Emscher Park ins Auge gefassten Ziel, das Areal zum Weltkulturerbe erklären zu lassen. Mit Unterstützung der IBA Emscher Park wurde 1999 eine Denkschrift zum Denkmalwert Zollvereins veröffentlicht und die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes beantragt. Neben Ganser und Kania unterzeichneten den Antrag noch die Landeskonservatoren und Direktoren der jeweiligen Denkmalämter des LVR und LWL, Udo Mainzer und Eberhard Grunsky. Der Titel – ‚Die Zeche Zollverein in Essen. Eine Denkmallandschaft von Weltrang im Herzen Europas. Denkschrift und Antrag zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Welt-Kulturerbes‘ – griff die schon seit Beginn der Bauausstellung propagierte Verortung des Ruhrgebiets im Zentrum Europas auf, die eine Bedeutung der Region über den nationalen Maßstab hinaus beanspruchte. Ein von der IBA Emscher Park beauftragtes und vom Direktor des DBM Rainer Slotta und seinem Mitarbeiter Michael Ganzelewski erstelltes Gutachten bestätigte den Denkmalwert Zollvereins vom Rang eines Welterbes als „einzigartiges Zeugnis großindustriell dominierter, komplexer Lebens- und Arbeitszusammenhänge im Zentrum einer der größten industriellen Landschaften der Welt“ 801. Die Aufnahme in die Liste im Jahr 2001 mit der offiziellen Verleihung der Welterbe-Plakette durch die UNESCO im folgenden Jahr bedeutete eine institutionelle Anerkennung des als weltweit einzigartig

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Borsdorf (1999), S. 131. Siehe auch Kapitel 2.2.2, Anm. 657. Internationale Bauausstellung Emscher-Park (1999), S. 24. Ebd., S. 25. Eckel (2018), S. 57. Ganzelewski, Michael / Slotta, Rainer: Die Denkmal-Landschaft „Zeche Zollverein“. Eine Steinkohlenzeche als Weltkulturerbe?!, Bochum 1999, S. 231.

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proklamierten Denkmalwerts der Zeche sowie ihrer Authentizität. 802 Im sozialen Aushandlungsprozess der Zuschreibung von Authentizität ist die UNESCO als eine besonders wirkmächtige „Legitimationsinstanz“ 803 zu verstehen, die die von den Antragsstellern vorgenommene Zuschreibung von Authentizität bestätigte. Als „Nobilitierungs- und Authentisierungsinstanz“ 804 fungierte die Eintragung in die Welterbe-Liste nicht nur als Beleg für den besonderen Wert des Zollverein-Komplexes, sondern verweist auch auf eine „besondere Relevanz in der Inszenierung und Verankerung einer Ruhrgebietsidentität jenseits von einzelnen Stätten, Stadtteilen oder Städten der Region“ 805. Andererseits verschärfte sich mit der Verleihung des UNESCO-Welterbe-Status der Konflikt zwischen Bewahrung und Gestaltung des Denkmals. Der Konflikt zwischen der Bewahrung des Vergangenen und der Gestaltung des Zukünftigen ist der Praxis, Objekte als kulturelles Erbe der Menschheit auszuzeichnen, in besonderem Maße inhärent, wie der Literaturwissenschaftler Stefan Willer herausgearbeitet hat. Die Welterbe-Konvention impliziere ein „konservatorisches Programm – zugleich aber auch, im Abzielen auf die ‚Weitergabe an künftige Generationen‘ ein Programm, das in die Zukunft gerichtet ist“ 806. Die Auszeichnung als kulturelles Welterbe, das von nachfolgenden Generationen potenziell bis in „eine maximal ferne Zukunft“ 807 in Anspruch genommen werden soll, räumt „dem zu 802 Zu Authentizität als „zentrale[m] Bewertungskriterium zur Aufnahme kultureller Stätten in die Liste des UNESCO-Welterbes“ vgl. Falser, Michael: Von der Charta von Venedig 1964 zum Nara Document on Authenticity 1994. 30 Jahre „Authentizität“ im Namen des kulturellen Erbes der Welt, in: Rössner, Michael / Uhl, Heidemarie (Hg.), Renaissance der Authentizität? Über die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Bielefeld 2012, S. 63–87, S. 66. Zur Zuschreibung von Einzigartigkeit über die Erfüllung des „Outstanding Universal Value“ als Aufnahmekriterium vgl. Willer, Stefan: Weltkulturerbe, in: Bühler, Benjamin / Willer, Stefan (Hg.), Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens, Paderborn 2016, S. 143–153; Ringbeck, Birgitta: Welterbe Zollverein. Internationale Verpflichtung auf Erhaltung und Authentizität, in: Landschaftsverband Rheinland / Parakenings, Birgit (Hg.), Zeche und Kokerei Zollverein. Das Weltkulturerbe, Worms 2006, S. 11–13. 803 Knaller, Susanne: Original, Kopie, Fälschung. Authentizität als Paradoxie der Moderne, in: Sabrow, Martin / Saupe, Achim (Hg.), Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 44–61, S. 49. 804 Bernhardt, Christoph / Sabrow, Martin / Saupe, Achim: Authentizität und Bauerbe. Transdisziplinäre Perspektiven, in: Bernhardt, Christoph / Sabrow, Martin / Saupe, Achim (Hg.), Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum, Göttingen 2017, S. 9–22, S. 12. 805 Schwarz, Angela: Vom Nicht-Ort zum geschichtstouristischen Reiseziel. Der Authentizitätsbegriff und die Umdeutungen des Ruhrgebiets im frühen 20. und 21. Jahrhundert, in: Bernhardt, Christoph / Sabrow, Martin / Saupe, Achim (Hg.): Gebaute Geschichte. Authentizität im Stadtraum, Göttingen 2017, S. 269–284, S. 277. 806 Willer (2016), S. 143. 807 Ebd., S. 144. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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schützenden und zu bewahrenden Erbe ein sehr weitgehendes Recht an der Gegenwart und der Zukunft“ ein. Die entscheidende Implikation, die der Begriff der Erbes hervorbringt, besteht dabei laut Willer darin, dass er eine Zäsur voraussetzt. 808 Besteht diese in der juristischen Bedeutung des Begriffs zumeist im Tod derjenigen Person, die etwas vererbt, ist im Fall der Auszeichnung von etwas als UNESCO-Weltkulturerbe die Auszeichnung selbst die Zäsur. Obwohl sie Objekte in ihrer Eigenschaft „als materielle Zeugnisse historischer Prozesse“ 809 auszeichnet, bedeutet die Auszeichnung gleichsam eine Herauslösung aus der Geschichtlichkeit, in der jedwede Veränderung als „unangemessen, zerstörerisch und historisch falsch bewertet“ wird. Dieses spezifische Zeitregime begrenzt die Möglichkeiten zur Gestaltung von in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragenen Denkmalen. Veränderungen müssen nicht mehr nur mit den lokalen oder regionalen Denkmalschutzbehörden abgestimmt werden, sondern müssen vor einer räumlich und zeitlich potenziell unendlichen „Erbengesellschaft“ 810 verantwortet werden. Die drohende Sanktion, den einmal verliehenen Welterbe-Status zu entziehen oder gar nicht erst zugesprochen zu bekommen, wurde auch im Konflikt um die Gestaltung Zollvereins zu einem entscheidenden Argument. So wurden etwa die Pläne zum Umbau der Kohlenwäsche in ein Museumsgebäude, der zeitgleich zu den Bemühungen um die Verleihung des Welterbe-Status ausgeschrieben und zugunsten eines Entwurfs des Basler Architektenbüros Diener & Diener entschieden worden war, modifiziert. Die Pläne hätten zwar den Erhalt des maschinellen Inventars der ehemaligen Kohlenwäsche vorgesehen, diese dafür allerdings um eine weithin sichtbare Erweiterung nach oben hin aufgestockt und so äußerlich stark verändert. Die Pläne hatten bereits kurz nach der Entscheidung des Architektenwettbewerbs Protest der lokalen Denkmalbehörden ausgelöst und seien daher „frappant und riskant zugleich“ 811, wie Andreas Rossmann nach der Juryentscheidung für die Pläne von Diener & Diener in der FAZ festhielt: Denn einerseits wird die erhaltenswerte Einrichtung nicht angetastet und der funktionale Zusammenhang der Bauten nicht unterbrochen, die Kohlenwä-

808 Vgl. ebd., S. 144 f. 809 Ebd. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Vgl. dazu auch ders.: Kulturelles Erbe. Tradieren und Konservieren in der Moderne, in: Willer, Stefan / Weigel, Sigrid / Jussen, Bernhard (Hg.), Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur, Berlin 2013, S. 160–201. 810 Willer (2013), S. 201. 811 Rossmann, Andreas: Kumpel, unterm Sternenzelt. Ein Bergwerk will nach oben: Die Pläne von Diener & Diener für die Zeche Zollverein XII, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Juli 2000. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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sche als kulturhistorisches Fundament verstanden (und auch verständlich gemacht) sowie mit einem weithin sichtbaren und nachts hell leuchtenden Zusatz versehen, der darauf aufbaut und sich so davon abhebt, dass er für etwas neues steht und in die Zukunft weist.

Der Entwurf fügte sich durch seine Symbolwirkung also bestens in die von der IBA Emscher Park angestrebte Gestaltung Zollvereins als ‚Zukunftsstandort‘ – zumal der Umbau der Kohlenwäsche zu einem Ruhrmuseum, in dem das „Ruhrlandmusem aufgehen soll“ als „das letzte große Vorhaben, das die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) vor ihrem offiziellen Ende [. . . ] noch angestoßen“ hatte, beschlossene Sache war. 812 Der von der Denkmalpflege kritisch beurteilte Entwurf fand daher zwar die Zustimmung derjenigen, die das neue Museum zu verantworten hatten. Seine Zurückweisung wurde jedoch ebenso wie der Abbau des Sonnenrads auf der Kokerei zur Voraussetzung für die Eintragung in die Welterbe-Liste der UNESCO erklärt. 813 Entgegen dieser Forderung wurde das Sonnenrad allerdings nicht abgebaut, sondern die Kokerei mit einem im Sommer als Freibad nutzbaren Schwimmbecken aus zwei zusammengeschweißten Schiffscontainern und einer im Winter zum Schlittschuhlaufen nutzbaren Eisbahn noch um zwei Attraktionen erweitert. Aus Kanias Sicht trug dies endgültig zu einer „Disneyland-ähnliche[n]“ 814 Eventifizierung des Denkmals bei. Weit größeren Ärger lösten in den folgenden Jahren allerdings die von den Architekturbüros Rem Koolhaas und Heinrich Böll entworfenen Pläne zum Umbau der Kohlenwäsche in ein Museumsgebäude aus. Auch wenn der Streit um die Reduktion des maschinellen Inventars, den Anbau einer Rolltreppe oder die Eingriffe in die Fassade erst nach Ende der IBA Emscher Park entflammten, 815 gehen die Konfliktlinien um die Ansiedlung des Museums und die Profilierung Zollvereins als ‚Zukunftsstandort‘ auf die Priorisie812 Vgl. dazu auch Nellen, Dieter / Claßen, Ludger: Identität ohne Minderwertigkeitskomplexe. Erinnerungsort IBA Emscher Park, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 173–183, S. 176 f.: „Von der Ausstellung ‚Sonne, Mond und Sterne‘ (1999/2000) in der Kokerei Zollverein zum Abschluss der IBA führt ein direkter Weg zur Gründung des ‚Ruhr Museums‘, das seitdem im Gedächtnis der Region eine zentrale Rolle spielt.“ 813 Vgl. Mainzer, Udo: Zeche und Kokerei Zollverein. Weltkulturerbe, Denkmal, Eventstätte? Die Kunst des Möglichen, in: Landschaftsverband Rheinland / Parakenings, Birgit (Hg.), Zeche und Kokerei Zollverein. Das Weltkulturerbe, Worms 2006, S. 15– 26, S. 17. 814 Kania (2005), S. 122 f. 815 Vgl. z. B. ebd.; Mazzoni, Ira: „Wir machen das neu“. Welterbe in Gefahr: Die Zeche Zollverein in Essen will Teile des Denkmals einer zweifelhaften Zukunft opfern, in: Süddeutsche Zeitung, 19. September 2003; Mazzoni, Ira: Unbehagen an der Industriekultur, in: John, Hartmut / Mazzoni, Ira (Hg.), Industrie- und Technikmuseen im Wandel. Perspektiven und Standortbestimmungen, Bielefeld 2005, S. 13–18; Mazzoni,

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rung des Denkmals als Leuchtturmprojekt während der Bauausstellung und hier vor allem auf die zweite Hälfte ihrer Laufzeit zurück. Wie Andreas Rossmann in seinem in kritischer werdendem Ton „Zeche Zukunft?“ betitelten Artikel über den von Rem Koolhaas entworfenen Masterplan zur Entwicklung Zollvereins schrieb, war Zollverein „von Anfang an mehr als nur das Aushängeschild der IBA: Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet“ 816. Als solches stand die Zeche nicht nur in dem hier skizzierten Konflikt zwischen Bewahrung und Gestaltung, sondern auch im Spannungsfeld der Profilierung als Leuchtturm und der Konstruktion des Ruhrgebiets als Region, deren Wahrnehmung als räumliche Einheit das Sichtbarmachen von Zusammenhängen zwischen herausragenden Einzelstandorten erforderte. Die diskursive Aushandlung und materielle Konsolidierung dieses Spannungsverhältnisses ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

2.2.4 Die Konstruktion des Raums – das Ruhrgebiet als Kulturlandschaft Die Spannung zwischen der Hervorhebung herausragender Einzelstandorte und der Kennzeichnung und Wahrnehmung einer übergreifenden räumlichen Einheit wohnte bereits der Auszeichnung Zollvereins als Welterbe inne. Beantragt wurde nicht die Auszeichnung eines einzelnen Gebäudes oder bestimmter Teile der Anlage, sondern der „Industriellen Kulturlandschaft Zollverein“, zu der nicht nur die übertägigen Gebäude, sondern auch die Infrastruktur und umgebende Zechensiedlungen zählten. Eingetragen wurde allerdings nur der „Industriekomplex Zeche Zollverein in Essen“, womit Schacht 12, 1/2/8 sowie die Kokerei als Welterbe ausgezeichnet wurden. Das Welterbe-Komitee folgte somit nicht der im Antrag formulierten Auffassung, dass Zollverein auch eine spezifische und vom Verschwinden bedrohte Siedlungsform darstelle. 817 Der Welterbe-Titel be-

Ira: Gangway zur Nostalgie. Rem Koolhaas und Heinrich Böll haben die Kohlenwäsche der Zeche Zollverein in Essen umgebaut zum Ort zwischen Imitation und Anmutung, in: Süddeutsche Zeitung, 22. August 2006; Rossmann, Andreas: Die Zeche prellen. Geschichtsabriß im Ruhrgebiet. Was auf Zollverein droht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. November 2004. Siehe hierzu auch Kapitel 3.2. 816 Rossmann, Andreas: Zeche Zukunft?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Februar 2002. 817 Das Welterbe-Komitee bestätigte somit nur die Erfüllung der Kriterien (ii) und (iii) der Welterbe-Konvention, nicht aber die Erfüllung des Kriteriums (v) zur Kategorisierung von Gütern, die ein „hervorragendes Beispiel einer überlieferten menschlichen Siedlungsform, Boden- oder Meeresnutzung darstellen, die für eine oder mehrere bestimmte Kulturen typisch ist“, UNESCO: Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, 2017, URL:

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zieht sich somit vor allem auf die herausragende Architektur Fritz Schupps und Martin Kremmers, nicht aber auf ihre raumprägende und regional sinnstiftende Funktion, wie Brigitta Ringbeck betont: „Nicht die gewachsene Kulturlandschaft und der assoziierte Mythos Ruhrgebiet, sondern die architektonischen und ingenieurtechnischen Leistungen von Fritz Schupp und Martin Kremmer genießen mithin Welterbestatus.“ 818 Den Kernbereich des Welterbes umgibt eine Pufferzone bis zu den Grenzen der Essener Stadtteile Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck, in der die „denkmalgeschützten und denkmalwerten Siedlungen als Zonen von besonderem denkmalpflegerischen Interesse ausgewiesen“ 819 sind. Somit wurde zwar in abgestufter Form der raumprägende Charakter Zollvereins berücksichtigt, die angestrebte Ausweisung als weltweit einzigartige industrielle Kulturlandschaft aber nicht erreicht. Die Kategorisierung nicht nur Zollvereins, sondern des Ruhrgebiets insgesamt als industrielle Kulturlandschaft war im Laufe der IBA Emscher Park zu einem zentralen Ziel der Bauausstellung geworden. So gab Ganser seinem einleitenden Aufsatz zur IBA-Abschlusspublikation im Jahr 1999 den Titel „Von der Industrielandschaft zur Kulturlandschaft“ 820. Der Text lieferte den Einstieg in das erste, den „Strategischen Überlegungen“ gewidmete Kapitel der Publikation und begann mit der Feststellung: „Die Industrielandschaft an der Emscher wird zur Vergangenheit. Daraus entsteht eine Kulturlandschaft für die Zukunft.“ 821 Weder diese einleitenden Worte noch der Titel des Aufsatzes sind als reine Beobachtung eines durch den Strukturwandel angestoßenen Transformationsprozesses zu verstehen, sondern stellen vielmehr eine Bilanz des strategischen Programms der IBA Emscher Park dar. 822 Ähnlich wie „Hochschullandschaft“ und „Wissenschaftslandschaft“ 823 wohnt dem Begriff der ‚Kulturlandschaft‘ als Raumkonzept ein spezifi-

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https://whc.unesco.org/document/158581 [letzter Zugriff: 31. Mai 2022]. Vgl. dazu Ringbeck (2006). Ringbeck (2006), S. 11. Ebd., S. 13. Ganser, Karl: Von der Industrielandschaft zur Kulturlandschaft, in: Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.), IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999b, S. 11–15. Ebd., S. 11. Siehe dazu auch Wagner, Helen: „Authentische Symbole der Region“. Zur Transformation des Ruhrgebiets von einer Industrielandschaft zur ‚Kulturlandschaft neuen Typs‘ anhand der Route der Industriekultur, in: Farrenkopf, Michael / Meyer, Torsten (Hg.), Authentizität und industriekulturelles Erbe. Zugänge und Beispiele, Berlin / Boston 2020, S. 219–241. Zur Hochschullandschaft vgl. Celebi, Timo J.: Universität als Steuerungsinstrument. Die Ruhr-Universität zwischen Gesellschaftspolitik, Hochschul- und Landesplanung, in: Hoppe-Sailer, Richard / Jöchner, Cornelia / Schmitz, Frank (Hg.), Ruhr-Uni-

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sches argumentatives und strategisches Potenzial inne, das in der regionalen Strukturpolitik für das Ruhrgebiet gezielt eingesetzt wurde. Zum Verständnis dieses argumentativen Potenzials ist es entscheidend, zwei Bedeutungsebenen und Verwendungsweisen von ‚Kulturlandschaft‘ zu unterscheiden. Ähnlich wie der Begriff ‚Hochschullandschaft‘ wird ‚Kulturlandschaft‘ einerseits verwendet, um die „Ausstattung eines Raumausschnitts mit Kultureinrichtungen und daran gebundenen kulturellem Leben“ 824 zu kennzeichnen – also die Dichte, Beschaffenheit und Versorgung eines räumlichen Bereichs mit Kulturstandorten zu beschreiben. Die ‚Kulturlandschaft Ruhrgebiet‘ sollte sich aber nicht nur in diesem Sinne des räumlichen Bereichs Ruhrgebiet mit einer bestimmten Ausstattung an Kulturstandorten zu einer „Kulturlandschaft der Zukunft“ 825 entwickeln. Die von Ganser beschriebene Transformation meinte mehr als die Schaffung und Aufwertung von Kulturstandorten. 826 Diese hatten bereits Planungsprogramme der späten 1960er, 1970er und auch noch der 1980er Jahre vorangetrieben. 827 Die Strukturprogramme der vergangenen Jahrzehnte wie etwa das ‚Entwicklungsprogramm Ruhr‘ (1968–73) hatten sowohl der Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner*innen 828 als auch der Verbesserung des Images der als Industrielandschaft wahrgenommenen Region gedient. Die Dominanz des Industrielandschaftsimages hatte aus Gansers Sicht dazu geführt, dass die Region bis zur IBA Emscher Park nur als Raum für Arbeit und Wirtschaft verstanden worden sei, der kaum Möglichkeiten zur Entfaltung von Kultur und Freizeit bot und dessen Landschaft

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versität Bochum. Architekturvision der Nachkriegsmoderne, Berlin 2015, S. 21–30, S. 28; Engelskirchen, Lutz: Von der Halden- zur Bildungslandschaft. Hochschul- und Bildungspolitik für das Ruhrgebiet seit den 1950er Jahren, in: Wirtz, Rainer (Hg.), War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet. Begleitbuch zur Ausstellung „War die Zukunft früher besser? Visionen für das Ruhrgebiet“, 15. April bis 17. September 2000 im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen, Hansastraße 20, und vom 15. Oktober 2000 bis 14. Januar 2001 im Westfälischen Industriemuseum Dortmund, Bottrop / Essen 2000, S. 287–306. Gailing, Ludger / Leibenath, Markus: Von der Schwierigkeit, „Landschaft“ oder „Kulturlandschaft“ allgemeingültig zu definieren, in: Raumforschung und Raumordnung 70 (2012) 2, S. 95–106, S. 102. Ganser (1999b), S. 11. Vgl. ebd., S. 15. Planungsprogramme wie das „Entwicklungsprogramm Ruhr“ (1968–73), das „Aktionsprogramm Ruhr“ (1980–84), die „Zukunftsinitiative Montanregionen“ (1987– 89) oder auch das übergreifende „NRW-Programm 1975“ (1970–75) enthielten neben wirtschaftlichen Strukturmaßnahmen auch zahlreiche Fördermaßnahmen für Kulturstandorte im Ruhrgebiet. Vgl. z. B. Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Entwicklungsprogramm Ruhr. 1968–1973, Düsseldorf 1968, S. 65.

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keinerlei ästhetischen Wert aufwies. 829 Um dieses Verständnis abzulösen, galt es, den Kulturlandschaftsbegriff in seiner Bedeutung zu erweitern. Diese Erweiterung bezog sich auf die zweite Bedeutungsebene und Verwendungsweise des Kulturlandschaftsbegriffs, die eine Kategorie der Geographie, insbesondere der Landschaftsforschung darstellt. In der genauen Definition umstritten bezeichnet sie gemeinhin einen als Einheit wahrgenommenen Raumausschnitt, der bestimmte natürliche Gegebenheiten aufweist und in einem zeitlich andauernden Prozess anthropogen überformt worden ist. 830 Dieser zunächst recht neutral erscheinende definitorische Minimalkonsens verdeckt allerdings, dass „der Begriff sowohl in alltagssprachlichen Zusammenhängen als auch als Gegenstand unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen ein weitläufiges Bedeutungsfeld“ 831 einschließt, wie Ludger Gailing betont. In Bezug auf die innerhalb der im Rahmen der IBA Emscher Park bedeutsamen Diskurse der Denkmalund Landschaftspflege hält der Geograph fest, dass eine „ästhetische Perspektive“ 832 auf Kulturlandschaften dominiert, in der ‚Kulturlandschaft‘ vor allem agrarisch geprägte Räume bezeichnet. In dieser, auch für den alltagssprachlichen Gebrauch prägenden Perspektive, wird der Begriff der Kulturlandschaft zumeist mit dem Idealbild eines vorindustriellen Raums verknüpft 833 – eine Deutung, die besonders durch die Heimatschutzbewegung und Heimatvereine des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an Einfluss gewann. Diese Perspektive idealisierte die deutsche Kulturlandschaft nicht nur als vorindustriellen Raum, sondern konstruierte gleichzeitig auch eine enge Verbindung zwischen den natürlichen Gegebenheiten eines Raums und dem kulturellen Hintergrund der ihn bewohnenden Bevölkerung. 834 Mit seiner von der Industrie dominierten Landschaft und der durch Migration geprägten Bevölkerungsstruktur galt das Ruhrgebiet gleichsam als „Negativfolie der ‚deutschen Kulturlandschaft‘“ 835.

829 Vgl. Ganser (1999b), S. 14. 830 Vgl. z. B. Wehling (2013), S. 186; Haberl, Helmut / Strohmeier, Gerhard: Thema „Kulturlandschaft“, in: Haberl, Helmut / Strohmeier, Gerhard (Hg.), Kulturlandschaftsforschung, Wien / New York 1999, S. 30; Amann, Christof: Landschaft. Ein Widerspruch?, in: dies. (Hg.), Kulturlandschaftsforschung, Wien / New York 1999, S. 31–35, S. 34. 831 Gailing, Ludger: Kulturlandschaft. Begriff und Debatte, in: Fürst, Dietrich, et al. (Hg.), Kulturlandschaft als Handlungsraum. Institutionen und Governance im Umgang mit dem regionalen Gemeinschaftsgut Kulturlandschaft, Dortmund 2008, S. 21– 34, S. 21. 832 Ebd., S. 22. 833 Amann (1999), S. 33. 834 Blotevogel (2001), S. 7. 835 Ebd.

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Die semantische Verknüpfung mit dem im alltäglichen Sprachgebrauch positiv konnotierten Begriffsfeld der ‚Kultur‘ führt mithin zu einer deutlichen normativen Aufladung des Begriffs der Kulturlandschaft, sodass die so bezeichneten Landschaften „häufig als besondere, schützenswerte Raumausschnitte“ 836 gelten. Dieser stark normative, auf den Idealtypus einer ästhetisch ansprechenden vorindustriellen Landschaft bezogene Kulturlandschaftsbegriff ist sowohl für die denkmal- und landschaftspflegerische Praxis als auch für die Verwendung des Begriffs im alltagssprachlichen Diskurs noch immer besonders prägend. 837 In der Forschung dominiert dagegen inzwischen ein konstruktivistisches Verständnis, das sich sowohl von der normativen Konnotation des Kulturlandschaftsbegriffs als auch von seiner Bindung an traditionelle Raumvorstellungen zu lösen sucht. Zwar spielt die physische Verfassung eines Raums auch in diesem Verständnis weiterhin eine Rolle für seine Kategorisierung als Kulturlandschaft. Jedoch wird diese hier nicht in erster Linie als essentialisierende Beschreibung, sondern als soziales und gedankliches Konstrukt verstanden, das über perzeptive und kommunikative Prozesse hervorgebracht und mit Bedeutungen und Symbolfunktionen aufgeladen wird. 838 Über dieses prozessuale Verständnis der sozialen und kommunikativen Konstruktion von Kulturlandschaften lassen sich die beiden unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffs in der diskursiven Konstruktion des Ruhrgebiets als Kulturlandschaft einordnen. Weder in seiner landschaftspflegerischen Bedeutungsdimension noch in Bezug auf die Ausstattung mit Kulturstandorten diente der Kulturlandschaftsbegriff zur reinen Beschreibung der physischen Verfasstheit einer als räumliche Einheit zu verstehenden Landschaft Ruhrgebiet. Vielmehr handelt es sich um einen normativ aufgeladenen und strategischen Begriffsgebrauch, mit dem spezifische Interessen in Bereichen des Denkmalschutzes und der regionalen Imagepolitik verfolgt wurden. 839 Dies gilt zunächst für die bereits angerissenen Maßnahmen der Strukturpolitik seit den späten 1960er Jahren, die über die Verbesserung der Dichte und Ausstattung von Kultureinrichtungen das Image des als Industrielandschaft ohne Wohn- und Freizeitwert wahrgenommenen Ruhrgebiets aufwerten

836 Gailing / Leibenath (2012), S. 102. 837 Vgl. Gailing (2008), S. 22. 838 Vgl. ebd., S. 25; Gailing / Leibenath (2012), S. 97; Kilper, Heiderose, et al.: Die gesellschaftliche Konstituierung von Kulturlandschaft, in: Raumforschung und Raumordnung 70 (2012) 2, S. 91–94, S. 92; Micheel, Monika: Alltagsweltliche Konstruktionen von Kulturlandschaft, in: Raumforschung und Raumordnung 70 (2012) 2, S. 107–117, S. 108. 839 Zum strategischen Gebrauch des Kulturlandschaftsbegriffs vgl. Gailing / Leibenath (2012), S. 99.

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sollten. 840 Teil dieser Strategie war neben der finanziellen Förderung von Kultureinrichtungen vor allem auch die intensive Kommunikation der getroffenen strukturpolitischen Maßnahmen nach innen und außen. Prägend für diesen Teil des Transformationsprozesses waren in erster Linie Vorstellungen von Kultur, die von bildungsbürgerlichen Idealen dominiert sind und dem Konzept der ‚Kulturlandschaft‘ zugrunde liegen. 841 Die auf das kulturelle Leben im Ruhrgebiet bezogenen Modernisierungsmaßnahmen der Planungsprogramme der 1960er, 1970er und 1980er Jahre sind mithin als Reaktion auf ein von bildungsbürgerlichen Idealen des Kulturbegriffs geprägtes Verständnis von Kulturlandschaft zu verstehen. Der Ausbau eines Netzes von Kulturinstitutionen im klassischen Verständnis des städtischen Bildungsbürgertums sollte eine Angleichung der Region an bestehende Normalitätsstandards bewirken. Diese auf Kultur- und Imagepolitik zielenden Planungsmaßnahmen lassen sich im Hinblick auf das skizzierte sozialkonstruktivistische Verständnis von Kulturlandschaft als eine erste Stufe des Transformationsprozesses des Ruhrgebiets von einer Industrielandschaft zur Kulturlandschaft verstehen. In den Ruhrgebietsstädten entstand eine hohe Dichte an Institutionen und regelmäßigen Veranstaltungen der klassischen Hochkultur, sodass seit den 1970er Jahren ein breit gefächertes Netz „nebeneinander jeweils selbstgenügsam abgeschlossener ‚Stadtkulturen‘“ 842 existierte. Mit der Umdeutung des Ruhrgebiets als Kulturlandschaft im Sinne des landschaftsplanerischen Raumkonzepts ging die Strategie der IBA Emscher Park allerdings einen entscheidenden Schritt weiter. Durch die Aufnahme von ‚Kulturlandschaft‘ als Kategorie in die Richtlinien zur Umsetzung der Welterbe-Konvention der UNESCO (Operational Guidelines) im Jahr 1992 erlebte der Kulturlandschaftsbegriff eine starke Konjunktur. Die Aufnahme in die Operational Guidelines institutionalisierte die normative Dimension des Begriffs als Bezeichnung eines besonderen, schützenswerten Raums und generierte über die Verknüpfung zum Begriffsfeld des Kulturerbes identitätsstiftendes Potenzial. Innerhalb des stadt- und landesplanerischen Diskurses eignete sich der Begriff damit als Instrument „zur Schaffung regionaler Identität und zur Förderung einer integrierten Regionalentwicklung“ 843 und somit als strukturpolitisches Instrument in-

840 Vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1968), S. 65. 841 Vgl. hierzu z. B. Gailing (2008), S. 23. 842 Pankoke, Eckart: Das Industrierevier als Kulturlandschaft. Politische Kulturen aktiver Kulturpolitik im Ruhrgebiet, in: Haberl, Othmar Nikola / Korenke, Tobias (Hg.), Politische Deutungskulturen. Festschrift für Karl Rohe, Baden-Baden 1999, S. 405– 424. 843 Gailing (2008), S. 25.

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nerhalb der IBA Emscher Park. Sollte zunächst noch das Ruhrgebiet an einen klassisch vorindustriell idealisierenden Kulturlandschaftsbegriff angeglichen werden, 844 entwickelte sich im Laufe der ersten Hälfte des Programms bald ein deutlich umfassenderes Ziel: ein tiefgreifender Wandel des Kulturlandschaftsbegriffs selbst, die Entwicklung eines „neuen Typus von Kulturlandschaft“ 845. Mit ihrer gezielten Bedeutungserweiterung des Kulturlandschaftsbegriffs wird die IBA Emscher Park häufig als Wendepunkt für die Kulturlandschaftsforschung bezeichnet, da nun auch industrielle Räume als Kulturlandschaft konstituiert und wahrgenommen wurden. 846 Die schrittweise Entwicklung dieses Prozesses lässt sich etwa an der Publikation zur Zwischenpräsentation illustrieren, in der verschiedene Positionen mit noch sehr unterschiedlichen Konzepten von Kultur- und Industrielandschaft zu Wort kommen. 847 Beiträge, die das Ruhrgebiet nicht explizit als Landschaft in den Blick nehmen, arbeiten noch mit einem traditionellen Verständnis von Kulturlandschaft. So lässt sich beispielsweise im bereits angesprochenen Beitrag von Rolf Kreibich zur Bewältigung des Strukturwandels durch harte oder weiche Standortfaktoren 848 noch deutlich die Vorstellung eines Gegensatzes zwischen dem Ruhrgebiet als Industrielandschaft und dem wünschenswerten Ideal einer vorindustriellen Kulturlandschaft herauslesen. Zwar hebt er die Bedeutung von Kulturlandschaften als weiche Standortfaktoren hervor, die gegenüber klassischen, traditionell als hart klassifizierten Standortfaktoren wie Verkehrs- oder Energieinfrastruktur immer wichtiger würden. Kreibichs Ausführungen zur Landschaft lag allerdings noch eindeutig die konventionelle Auffassung zugrunde, die Industrialisierung habe die Kulturlandschaft des Ruhr-

844 Ein Beispiel hierfür ist etwa die Gleichsetzung von Industrialisierung als Zerstörung von Landschaft und dem Streben nach Normalisierung in den Ausführungen von Thomas Sieverts zum Emscher Landschaftspark zu Beginn der IBA, in denen er die Landschaft des Ruhrgebiets als „Kriegsschauplatz“ und „Extremfall der Risikogesellschaft“ beschrieb, die es durch landschaftsplanerische Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen gelte; vgl. Sieverts, Thomas: Perspektive Emscher Landschaftspark. Sieben unbequeme Fragen aus der „Werkstatt Landschaft“, in: Sieverts, Thomas (Hg.), IBA Emscher-Park. Zukunftswerkstatt für Industrieregionen, Köln 1991, S. 60–63. 845 Vgl. Ganser (1999b), S. 11. 846 Vgl. Haber, Wolfgang: Kulturlandschaft zwischen Bild und Wirklichkeit, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.), Die Zukunft der Kulturlandschaft zwischen Verlust, Bewahrung und Gestaltung. Wissenschaftliche Plenarsitzung 2000 der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Raumplanung, Hannover 2001, S. 6–29, S. 18. 847 Kreibich, Rolf u. a. (Hg.): Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen. Essen 1994. 848 Siehe Kapitel 2.2.1, Anm. 499.

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gebiets „zerfasert“ 849. Dort wo noch Kulturlandschaft im Sinne eines vorindustriellen, agrarisch geprägten Raums vorhanden sei, sei sie zumeist von der Industrielandschaft „überwölbt“ 850. Andere Beiträge wie etwa der des seinerzeitigen Hauptgeschäftsführers der Dortmunder Industrie- und Handelskammer Walter Aden diskutierten zwar ebenfalls die sich entwickelnde Kulturlandschaft des Ruhrgebiets im Hinblick auf die Abwägung von weichen und harten Standortfaktoren, 851 jedoch vorrangig im Sinne eines räumlichen Bereichs mit einer bestimmten Ausstattung an Kulturstandorten. Auch Akteur*innen aus dem Bereich der Stadt- und Landschaftsplanung gingen mit dem Planungsziel einer Angleichung an räumliche Idealvorstellungen eines vorindustriellen Raums zunächst von einem konventionellen Kulturlandschaftsbegriff aus. Dies zeigt sich am Diskussionsbeitrag der Stadt- und Landschaftsplanerin Donata Valentien, die als Mitglied im Lenkungsausschuss die Entwicklung der landschaftsgestalterischen Projekte der Bauausstellung resümierte. 852 Zur Mitte der Laufzeit ließ sich hier die beginnende Abweichung vom ursprünglichen Ziel der Normalisierung erkennen, wobei den verschiedenen Zugriffen auf das Ruhrgebiet als Landschaft sehr unterschiedliche Raumvorstellungen zugrunde lagen. Das ursprüngliche Planungsziel einer Angleichung der Region an bestehende Landschaftsideale basierte vor allem auf visuell geprägten Raumvorstellungen. Die Industrielandschaft des Ruhrgebiets erschien so als abstoßendes Bild, dem Visionen einer „retuschierten“ 853, von den Spuren der Industrialisierung befreiten Landschaft gegenübergestellt wurden. Hierin zeigt sich die auf die Landschaftsmalerei des 16. Jahrhunderts zurückgehende Prägung des Landschaftsbegriffs als eines sinnlich wahrnehmbaren und ästhetisch kategorisierten Raumausschnitts. 854 Da dieses Raumverständnis nicht zur industriell geprägten Landschaft des Ruhrgebiets passe, verwarf Valentien den Versuch einer einfachen Übertragung dieser Raumvorstellung auf die Region als „grotesk“ 855. Sie näherte sich vielmehr einem eher konstruktivistischen Verständnis des Kulturlandschaftsbegriffs an, indem sie forderte, für das Ruhrgebiet ein neues Ver-

849 Kreibich (1994), S. 94. 850 Ebd. 851 Vgl. Aden, Walter: Weiche oder harte Standortfaktoren?, in: Kreibich, Rolf, et al. (Hg.), Bauplatz Zukunft. Dispute über die Entwicklung von Industrieregionen, Essen 1994, S. 72–78. 852 Vgl. Valentien (1994). Siehe auch Kapitel 2.2.1, Anm. 502. 853 Ebd., S. 184. 854 Zum ästhetischen und von der Landschaftsmalerei geprägten Verständnis von Landschaft vgl. Gailing (2008), S. 22. 855 Valentien (1994), S. 188.

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ständnis von Kulturlandschaft zu entwickeln, das auf der Bedeutung und Symbolhaftigkeit der Landschaft für ihre Bevölkerung basieren müsse. Die Identifikation mit der Landschaft vollzöge sich dann nicht mehr primär über ästhetische Kategorien wie Schönheit, sondern vielmehr über „Vertrautheit und Heimatgefühl“ 856, also über die geteilte Erinnerung an eine noch nicht lange zurückliegende und dennoch fremd gewordene Vergangenheit industrieller Arbeit. Der IBA-Lenkungsausschuss förderte mithin zunehmend solche Landschaftsplanungsprojekte, die ein von Symbolhaftigkeit und Bedeutungszuschreibungen ausgehendes Verständnis von Kulturlandschaft zugrunde legten, anstatt ein traditionell ästhetisch geprägtes Verständnis auf das Ruhrgebiet übertragen zu wollen. Diese Strategie suchte die IBA auch nach außen zu kommunizieren, wie etwa aus einem Bericht über eine Pressereise Gansers zum entstehenden Emscher Landschaftspark hervorgeht. 857 Um den Fortschritt des IBA-Leitprojekts zu präsentieren, wurden einzelne Standorte besichtigt, über die sich den Pressevertreter*innen der entstehende Park mosaikartig Stück für Stück erschließen sollte. Auf die Setzung „markante[r] Punkte in der Landschaft“ 858 angesprochen, führte Ganser aus: „‚Es gibt keine objektiv schönen oder häßlichen Landschaften; nur solche, zu denen man eine Beziehung entwickeln kann.‘“ 859 Die Einstufung der bislang als Industrielandschaft wahrgenommenen Region als ästhetisch ansprechender, landschaftsplanerisch gestalteter Park galt es also über affektive Zuschreibungen und symbolische Aufladung des Raums herzustellen, die keinen objektivierbaren Schönheitskriterien entsprach – eine Idee, die „etwas Provozierendes – bei mehr als neunzig Einzelmaßnahmen wohl auch Beliebiges“ 860 habe, wie der Kulturjournalist Holger Noltze im FAZ-Magazin festhielt. In seinem Urteil spiegelt sich einerseits der erfolgreiche Versuch Gansers, die räumliche Umdeutung des Ruhrgebiets als Provokation, als unkonventionell und gerade dadurch innovativ zu vermarkten. Andererseits spiegelt sich in der Aussage die problematische Spannung der Vermittlung des Raums als zusammenhängender Landschaft über die Gestaltung und Präsentation von Einzelstandorten. In einem zu Beginn der zweiten Laufzeithälfte der IBA veröffentlichten Zwischenbericht zum Emscher Landschaftspark wird diese Spannung zwi-

856 Ebd., S. 189. 857 Noltze, Holger: Blumen sollen an den Ufern des Pechsees blühen: der Emscher Park. Das historische Ruhrgebiet stirbt nicht: Die Internationale Bauausstellung hilft, es zu bewahren und zu verzaubern, in: FAZ-Magazin, 12. Januar 1996. 858 Ebd. 859 Ebd. 860 Ebd.

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schen der Gestaltung von Landschaft und ihrer Präsentation deutlich. Der Bericht sollte nicht lediglich das bisher Erreichte präsentieren, sondern vor allem die weit über die Laufzeit der Bauausstellung hinausreichende Förderbedürftigkeit des Projekts legitimieren. 861 Der zu gestaltende Park wurde hierzu als „regionale Vision einer urbanen Kulturlandschaft des 21. Jahrhunderts“ 862 vorgestellt, zu deren Vermittlung es der Konstruktion und Verbreitung symbolträchtiger Bilder derselben bedürfe: Noch fehlen zusammenfassende Bilder von der Landschaft von morgen; und dennoch: die Bilder von den ersten fertiggestellten Projekten im Emscher Landschaftspark gibt es schon heute. Sie beginnen sich zu verbreiten. Ohne Realisierung von Projekten, ohne den Beweis, daß man in dieser Landschaft neue Wege gehen kann, sind die Visionen nicht vermittelbar. 863

Für die Umsetzung der planerischen Vision müssten also nicht nur schrittweise Einzelprojekte realisiert, sondern vor allem die visuelle Vermittlung derselben forciert werden. Nur so könne das Ruhrgebiet in Wahrnehmung und Gestaltung „nicht mehr als vernachlässigbare Restgröße, als industrielle Verbrauchslandschaft minderer Qualität, sondern als strategischer Kern einer neuen Regionalentwicklung verstanden“ 864 werden. Mit Referenz auf den bereits zitierten Aufsatz der Landschaftsplanerin Donata Valentien erläuterte der Bericht, 865 inwiefern das Ruhrgebiet zuallererst als eine potenziell schöne Landschaft zu konstruieren sei, um „die attraktive Stadtlandschaft und die gesunden Lebensverhältnisse in der Stadt [. . . ] als wichtige Standortfaktoren im europäischen Wettbewerb der Regionen“ 866 nutzbar zu machen. Aus der Funktion des Standortfaktors in

861 Aus den dem Bericht vorangestellten Ausführungen des IBA-Geschäftsführers und des KVR-Verbandsdirektors geht neben dem Appellcharakter der Publikation auch der ihm zugrunde gelegte lange Zeithorizont sowie die Wertung Landschaftsplanung als Mittel zur Überwindung der als Landschaftsschädigung verstandenen Industrialisierung hervor: „Mindestens 2 Generationen werden mit diesem Park Arbeit haben, um die Schäden der Industrialisierung zu überwinden. Mit dem Parkbericht wird das Erreichte vorgestellt und zusammengefaßt. Er richtet sich an die Medien und Entscheidungsträger in der Region, an die Kommunalpolitiker in den Räten und Fachausschüssen der Städte und Kreise sowie an die vielen Fachbehörden und Institutionen, die Verantwortung tragen für den Zustand und die Zukunft der Landschaft in der Emscherzone.“ Ganser, Karl / Willamowski, Gerd: Vorwort, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Parkbericht. Emscherlandschaftspark, Bottrop 1996, S. 3. 862 Schwarze-Rodrian, Michael: Das Konzept des Emscher Landschaftsparks, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Parkbericht. Emscherlandschaftspark, Bottrop 1996, S. 9–76, S. 36. 863 Ebd., S. 37. 864 Ebd., S. 35. 865 Vgl. ebd., S. 35–41, besonders S. 40 f. Siehe auch die Anmerkungen Kapitel 2.2.1, Anm. 502 und Kapitel 2.2.4, 852. 866 Ebd., S. 43.

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einem internationalen Wettbewerb ließ sich wiederum die Größe des Projekts hinsichtlich seiner räumlichen und zeitlichen Ausdehnung, seiner Finanzierung und Marketingbedingungen legitimieren. 867 Als Grundlage für die zweite Hälfte der IBA-Laufzeit wurden die weit über die Bauausstellung hinausreichenden Ziele zur Gestaltung des Parks in einem Positionspapier festgehalten und als Teil des Parkberichts publiziert: Die Vision ist: eine integrierte Kulturlandschaftsentwicklung statt eines einseitigen und achtlosen Verbrauchs, eine urbane Kulturlandschaft, in der die ökonomischen, ökologischen, kulturellen, sozialen und ästhetischen Dimensionen gleichberechtigt sind. [. . . ] Nicht gemeint und nicht möglich ist ein Zurück zu vorindustriellen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts. Dieser Hinweis ist erforderlich, da wir noch nicht genügend kommunizierbare Bilder von der angestrebten Kulturlandschaft im industriellen Ballungsraum haben. Landschaftsplanung und Naturschutz beziehen sich jedoch viel zu oft auf die vorindustrielle Landschaft. [. . . ] Der Naturschutzgedanke ist (ebenso wie der Denkmalschutz) Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, als der Verlust der vorindustriellen Kulturlandschaft durch die einsetzende Industrialisierung als gesellschaftlicher Verlust empfunden wurde. Der Emscherraum befindet sich heute wie alle Industrieregionen wiederum an einer Zeitenwende, wo der Verlust der Industrielandschaft durch eine nachfolgende Wirtschaftsweise das Schutzbedürfnis weckt. 868

Zur Erweiterung des Kulturlandschaftsbegriffs hin zu einem nicht mehr in erster Linie ästhetisch grundierten Raumkonzept und zur damit verbundenen Ausweitung potenzieller Schutzansprüche wurde also die Wahrnehmung eines epochalen Umbruches am Ende der Industriegesellschaft und eine damit verbundene Verlusterfahrung angeführt. Die Verlusterfahrung sollte jedoch keine konservatorische Stillstellung der Zeit durch Schutzmaßnahmen, sondern gerade die Weiterentwicklung der zu schützenden Landschaft mithilfe landschaftsplanerischer Mittel legitimieren. Als Legitimationsinstanz wurde auch hier die UNESCO angeführt, deren ‚Man and Biosphere‘-Programm als mögliche Zielmarke zur Einbindung des Ruhr867 Vgl. ebd., S. 44: „Aus dem Anspruch, als regionaler Standortfaktor wirksam zu sein, resultieren einige Anforderungen an die Dimension und Qualität des Emscher Landschaftsparks: er braucht eine gewisse Größe, eine entsprechende Präsenz in der ganzen Region, eine deutliche Erkennbarkeit, markante Strukturen und Erinnerungswerte, hohe Leistungsfähigkeit als regionale Infrastruktur und schließlich sogar eine gewisse Auffälligkeit, um im Wettbewerb der Bilder und Medien bestehen zu können. Der Park ist schließlich auch als Produkt kenntlich zu machen und entsprechend professionell in der Mediengesellschaft zu kommunizieren.“. 868 Internationale Bauausstellung Emscher Park / Kommunalverband Ruhrgebiet: Perspektive Emscher Landschaftspark. Positionspapier vom 20. 12. 1995, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Parkbericht. Emscherlandschaftspark, Bottrop 1996, S. 159–166, S. 160.

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gebiets in größere Landschaftsschutzprogramme ausgegeben wurde. 869 Die dem Programm unterliegenden Kategorien wie ‚Nationalpark‘ oder ‚Biosphärenreservat‘ gelte es dann allerdings entsprechend weiterzuentwickeln, da Kategorien des Landschaftsschutzes immer auch das Risiko einer reinen Konservierung des gegebenen Zustands implizieren würden, was „weder der natürlichen noch der kulturellen Dynamik einer Kulturlandschaft angemessen“ 870 sei. Angestrebt wurde also eine räumliche Kategorie, die zeitliche und räumliche Entwicklung nicht aufheben würde, sondern einen „Schutzraum für eine kulturlandschaftlich gewollte Entwicklung [. . . ], in dem Entwicklungen verlangsamt werden“ 871 schaffen sollte. Die Umdeutung des Ruhrgebiets als industrielle Kulturlandschaft sollte also nicht konservatorische Stillstellung, sondern zeitliche Steuerung ermöglichen, indem bestehende Raumkonzepte des Landschaftsschutzes adaptiert und angepasst wurden. Genau diese Anpassungsleistung suchte die IBA Emscher Park als besondere Innovationsleistung zu präsentieren. In einem Brief an den Wirtschaftsminister und späteren Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens Wolfgang Clement vom Februar 1996 konstruierte Ganser die Übertragung von Kategorien des Landschaftsschutzes als provokant und gerade deshalb innovativ: Die Frechheit besteht darin, die Figur des ‚Nationalparks‘, die bislang für Naturreservate am Rande der Industriegesellschaften vorbehalten war, völlig neu und vorrangig kulturell zu interpretieren und damit mitten in eine Industrieregion zu gehen. (Wenn man sich europaweit herumhört, auch bei UNESCOGremien, dann spürt man, daß die Idee in der Luft liegt. Das Ruhrgebiet sollte hier ausnahmsweise mal nicht hinterherlaufen.) Eine zweite ‚große Frechheit‘ sollte ferner darin bestehen, in einer Industrielandschaft ein ‚Biosphärenreservat‘ zu schaffen. Biosphärenreservate sind eine von der UNESCO geschaffene ‚Figur‘, um das ‚natürliche Erbe‘ in Regionen durch einen sorgsamen Umgang mit der zukünftigen Entwicklung zu bewahren. [. . . ] Auch dafür gibt es ein prädestiniertes Areal. Das ist der Emscher Landschaftspark. 872

Hatte Ganser im selben Brief zunächst Zollverein als idealen Ort zur symbolischen Aufladung eines Einzelstandorts für das von der IBA ausgegebene Motto ‚Stolz auf gestern, mutig für morgen‘ 873 vorgeschlagen, 874 präsentierte er hier den Emscher Landschaftspark als Ort für die symbolische 869 870 871 872

Vgl. ebd., S. 161. Ebd. Ebd. AHGR Bochum, IBA 683 A, Brief von Karl Ganser an Wolfgang Clement vom 12. 02. 1996. 873 Vgl. als Beispiel zur öffentlichen Kommunikation des Mottos z. B. Ganser (1996). 874 Siehe dazu Kapitel 2.2.3, Anm. 727.

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Umdeutung des Ruhrgebiets als Raum. Ein in diesem Sinne entwickelter Landschaftspark sollte „zur Stärkung regionaler Identität nach innen und außen wesentlich beitragen“ 875, wozu er allerdings für die Bürger*innen erlebbar sein müsse und die Gefahr der „‚Verinselung‘ der Schwerpunktprojekte“ abzuwenden sei. Die Raummetapher der Verinselung verwies auf die Schwäche der Landschaftsentwicklung durch Einzelprojekte. Ihr sollte zum einen durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und zum anderen durch den Aufbau eines Wegenetzes entgegengewirkt und so eine „Verankerung des Emscher Landschaftsparks in den Herzen und Köpfen der Menschen“ 876 erreicht werden. Ziel war also sowohl eine kognitive als auch emotionale Umdeutung des Ruhrgebiets als Landschaft nach innen und außen. Eine Kombination der hierzu anvisierten Maßnahmen aus Öffentlichkeitsarbeit und Einrichtung eines verbindenden Wegenetzes stellte die Route der Industriekultur dar. Die Route der Industriekultur war ein zentraler, wenn nicht gar der wichtigste Programmpunkt des bereits angesprochenen Masterplans „Reisen ins Revier“ 877, der 1997 als Ergebnis einer zur Tourismusförderung eingesetzten Kommission publiziert wurde. Innerhalb des Programms kam der Route als Pilotprojekt zur Erschließung von Industriekultur „strategische Bedeutung“ 878 zu. Sie war somit ein zentrales Mittel zur materiellen Konsolidierung der diskursiven Umdeutung des Ruhrgebiets zu einer Kulturlandschaft neuen Typs. 879 Voraussetzung hierfür war die materielle Verfasstheit der Region, also die räumliche Präsenz der vielen materiellen Hinterlassenschaften der Industrie, 880 die in immer größerer Anzahl als Industriedenkmale in Wert gesetzt und konserviert wurden. Ähnlich wie die monumentale Größe einzelner Anlagen wie des Gasometers oder Zollvereins in Hinblick auf die Etablierung einzelner Leuchtturmstandorte wurde die große Menge der industriellen Relikte zu einem wichtigen Faktor im Umdeutungsprozess des Ruhrgebiets als Kulturlandschaft. Durch sie sollte, über die Anschauung am einzelnen Objekt hinaus, das Nachvollziehen funktionaler Zusammenhänge und räumlicher Bezüge innerhalb 875 Internationale Bauausstellung Emscher Park / Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 162. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 876 Ebd., S. 165. 877 Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997). Siehe auch Kapitel 2.2.1, Anm. 540. 878 Höber, Andrea: Industriekultur und Tourismus, in: Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.), IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999, S. 117–120, S. 119. Zur Bedeutung der Route für die touristische Vermarktung des Ruhrgebiets vgl. auch Berger / Golombek / Wicke, S. 83. 879 Diese These wird mit besonderem Fokus auf die Produktion von Authentizität auch entwickelt in Wagner (2020). 880 Vgl. Wehling (2013), S. 187.

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der ehemaligen Industrieregion ermöglicht werden. 881 Über die Erfahrung räumlicher und funktionaler Zusammenhänge sollte die Industrieregion als historisch gewachsene industrielle Landschaft erkennbar werden, die nun angesichts der bevorstehenden Überformung durch eine neue wirtschaftliche und soziale Zukunft vom Verschwinden bedroht und schützenswert sei – als Kulturlandschaft neuen Typs. Um das Ruhrgebiet als eine solche Kulturlandschaft touristisch zu vermarkten, bedurfte es eines Projekts, das die Landschaft als Netzwerk von Industriedenkmalen erschloss. Nicht einzelne Denkmale sollten das Ziel der anzuwerbenden Besucher*innen sein, sondern das Ruhrgebiet als Region. Als touristische Attraktion der Region präsentierte man den potenziellen Besucher*innen die Möglichkeit zur „Reise in die jüngste Vergangenheit“ 882 – nämlich diejenige der Industriegesellschaft, die sich gerade erst auf der Schwelle von der Gegenwart zur Vergangenheit befinde. Durch das starke Interesse an „historische[n] Bauwerke[n], Stadtensembles oder aber Gedenkstätten, in denen sich Geschichte anscheinend direkt materialisiert oder verkörpert“ 883, avancierten die materiellen Relikte der Montanindustrie zu Garanten einer besonders authentischen Erfahrung dieser Vergangenheit. Mit Verweis auf ein steigendes Interesse an Industriekultur in anderen ehemaligen Industrieregionen wurde ihr touristisches Potenzial als Grundlage für die Erfahrung von Industriegeschichte als Erlebnis erkannt und Industrietourismus als „Wachstumsbranche mit erheblichen Zuwachsraten“ 884 eingestuft. Innerhalb dieses neu zu etablierenden Wirtschaftszweigs sollte die Route der Industriekultur als „erster konkreter Baustein der neuen Tourismusinitiative“ 885 zum „Markenzeichen“ 886 der Region werden, wie das verantwortliche Projektteam aus Mitarbeitern des Projektträgers KVR und dem freiberuflichen Historiker Wolfgang Ebert zum Projektstart festhielten. In einem Artikel des KVR-Jahrbuchs erläuterten sie unter dem Titel „Wechsel auf die Zukunft“ 887 das Konzept der Route, die als „Kernnetz tou881 Vgl. ebd. 882 Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997), S. 25. 883 Sabrow, Martin / Saupe, Achim: Historische Authentizität. Zur Kartierung eines Forschungsfelds, in: Sabrow, Martin / Saupe, Achim (Hg.), Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 7–28, S. 7. 884 Budde, Reinhold / Heckmann, Ulrich / Ebert, Wolfgang: Wechsel auf die Zukunft: „Route der Industriekultur“. Bis 1999 erschließt der KVR die historischen Monumente, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Standorte. Jahrbuch Ruhrgebiet 1996/1997, Essen 1997, S. 137–141, S. 138. 885 Ebd. 886 Ebd., S. 137. 887 Ebd.

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ristisch bedeutsamer Orte der Industriekultur [. . . ] die Region touristisch unverwechselbar“ 888 erschließen sollte. Entsprechend der geschichtskulturellen Maxime der IBA Emscher Park wies der Titel des Artikels auch diese Form der Erschließung industriekultureller Standorte als zukunftsgerichtete Tätigkeit aus. Die Verbindung der Einzelobjekte zu einem touristisch attraktiven Netzwerk der Industriekultur wurde als Wechsel zwischen Zeitschienen vorgestellt, der die Industriebauwerke der Vergangenheit von wertlosen Relikten in eine touristische Attraktion der Zukunft verwandeln sollte. Ein Netz aus bedeutsamen Einzelstandorten, den ursprünglich 19, mittlerweile 25 „Ankerpunkten“ 889, sollte die Region in Summe als einzigartig präsentieren. Daneben wurden 17 Aussichtspunkte in die Route integriert, um als „Panoramen der Industrielandschaft“ den Blick auf das Ruhrgebiet als Landschaft zu eröffnen, welche die Autoren den potenziellen Besucher*innen hier noch als „typische Industrielandschaft des Ruhrgebiets“ vorstellten. Außerdem waren 13 bedeutende Wohnsiedlungen Teil der Route, denen zwar nicht der gleiche touristische Wert wie den Ankerpunkten zugemessen wurde. Ihre Attraktivität ergab sich vielmehr aus der Inszenierung des Alltags der Bewohner*innen, der sich den Tourist*innen über den Besuch der Siedlungen als authentisches Erlebnis eröffnen sollte. 890 Nicht allein die gebaute Siedlung als architektonische Sehenswürdigkeit stellte also die touristische Attraktion dar, sondern auch ihre Bewohner*innen, die sie durch ihr alltägliches Leben erst als den sozialen Zusammenhang erkennbar machten, den es als sozialisatorische Besonderheit zu besichtigen galt. Die touristische Erschließung der Region erzeugte eine Exotisierung der Bewohner*innen und ihres Alltags. So beschrieb beispielsweise schon schon zwei Jahre zuvor ein Artikel im Reiseblatt der FAZ die Einwohner*innen des Ruhrgebietes als die eigentliche Sehenswürdigkeit der Region. Unter dem Untertitel „Touristen meiden das Ruhrgebiet bisher hartnäckig – Skizzen einer eigentümlichen Landschaft“ hielt der Autor fest: Zu erkennen ist von hier, daß das, was einst eine karge Heidelandschaft mit vereinzelten Dörfern war, innerhalb weniger Generationen zu aufeinander zu wachsenden Orten industrieller Konzentration wurde. Neben schüchternen Kirchtürmen ragten nun die Fördertürme der Zechen auf, zwischen Flecken

888 Ebd., S. 138. 889 Ebd., S. 140. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 890 Vgl. ebd.: „Für die soziale Geschichte der Region und die städtebauliche Gegenwart sind die vielfältigen Strukturen von hohem Rang. Wohl besitzen sie nicht dieselbe Anziehungsraft wie die ‚Ankerpunkte‘, da sie in der Regel keine zentralen Informationstafeln bieten können, gleichwohl vermitteln sie einen hohen Erlebniswert: Hier wird ein direkter Blick in das Leben der Region geworfen, auch in der attraktiven Eckkneipe oder im Biergarten.“

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mit Wiesen und Äckern gähnten Abraumhalden. Dazwischen drängten sich die Vernetzungen des Verkehrs – Landstraßen, Autobahnschneisen, Kanäle, Eisenbahngleise. Allerorten sirren Hochspannungsmasten, in die Lüfte steigen Flugzeuge. Die eintönigen Wohnsiedlungen sind im übriggebliebenen Raum untergebracht. Von architektonischer Schönheit ist hier gewiß nicht zu reden, von Sehenswürdigkeit schon. Touristen meiden das Revier dennoch hartnäckig. Das hat den Vorteil, daß sich die Einheimischen hier weiterhin ganz natürlich benehmen. Und sie sind hier das eigentliche Spektakel. Der Bewohner des Ruhrgebiets ist eine ehrliche Haut. 891

Zur Attraktion eines „kulturbeflissenen Bildungstourismus“ 892, wie Rüdiger Hachtmann die bürgerliche Individualreise in der Tradition der aufklärerischen Bildungsreise bezeichnet hat, wurde also ein als besonders authentisch vorgestelltes soziales Gefüge der im Vergehen begriffenen Industriegesellschaft erklärt. Die Landschaft der Region erschien hier dem konventionellen Landschaftsbegriff entsprechend als ein ehemals ländlicher, durch die Industrie zerschnittener und ästhetisch minderwertiger Raum. Natur fand sich anscheinend nur auf von der Industrie ausgesparten Flecken und auch die Wohnbebauung schien nur dort Platz zu haben, wo sich im Netz der Industrieanlagen und ihrer Infrastruktur Lücken ergeben hatten. Die Schönheit der Landschaft und Architektur fiel damit als Reisemotiv potenzieller Tourist*innen offensichtlich weg, wie auch Susanne Hauser in ihrer kurz nach Abschluss der IBA Emscher Park publizierten Habilitationsschrift zur Umnutzung alter Industrieareale festhielt. Mit Blick auf Adornos prägnante Bemerkung – „So wahr es ist, daß ein jegliches in der Natur als schön kann aufgefaßt werden, so wahr das Urteil, die Landschaft der Toscana sei schöner als die Umgebung von Gelsenkirchen“ 893 – konstatierte sie, die Touristenströme führten „immer noch nicht ins Ruhrgebiet“ 894, da es nach klassischen ästhetischen Kriterien noch nicht als schön gelte. In Ermangelung offensichtlicher landschaftlicher Schönheit wurden also die vermeintliche Natürlichkeit und Ehrlichkeit derjenigen Schichten zur Attraktion eines kulturellen Städtetourismus, die selbst erst seit einigen Jahrzehnten durch das Aufkommen eines kommerziellen Massentourismus zu regelmäßig Reisenden geworden waren. Der im Kollektivsingular

891 Groschupf, Johannes: „Du machst mein Herz am Klopfen“. Touristen meiden das Ruhrgebiet hartnäckig. Skizzen einer eigentümlichen Landschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. November 1995. 892 Hachtmann, Rüdiger: Tourismus und Tourismusgeschichte. Version 1.0, 22. 10. 2010, URL: http://docupedia.de/zg/hachtmann_tourismusgeschichte_v1_de_2010 [letzter Zugriff: 4. Jul. 2019]. 893 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970, S. 112. 894 Hauser (2001), S. 240.

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imaginierte „Bewohner des Ruhrgebiets“ 895 erschien aufgrund seiner besonders durch popkulturelle Repräsentationen konstruierten Authentizität als sehenswertes Spektakel. So bezog sich der Reisejournalist Johannes Groschupf in seinem Artikel unter anderem auf die Schimanski-Tatorte, die Kabarettisten Jürgen von Manger, Herbert Knebel und Helge Schneider sowie die Musiker Marius Müller-Westernhagen und Herbert Grönemeyer, um seine Charakterisierung der Ruhrgebietsbewohner*innen als „Menschenschlag, der in deutschen Landen seinesgleichen sucht“ 896, zu untermauern. Der Route der Industriekultur kam nun die Aufgabe zu, die industrielle Landschaft mit ihren historisch und architektonisch herausragenden Einzelstandorten, aber auch ihren räumlichen und funktionalen Zusammenhängen sowie ihrer sozialen Struktur als Ganzes als touristisch attraktive Kulturlandschaft neuen Typs zu etablieren. Es galt, einen touristischen Blick auf die Region zu erzeugen und einzuüben, der Erwartungen an Bilder einer anderen, unkonventionellen Schönheit wecken und befriedigen sollte. 897 Auch hierfür kam der Zuschreibung einer besonderen Authentizität zentrale Bedeutung zu. Die Sehnsucht nach Authentizität im Sinne des abstrakten Begriffsverständnisses nach Aleida Assmann als „letzte[r] (Gegen-)Wert in Zeiten der Postmoderne, in denen (fast) alles als optional, konstruiert, inszeniert und manipuliert gilt“ 898, avancierte damit zum touristischen Potenzial und ökonomischen Wert. Authentizität als anscheinend allgegenwärtiges „Zauberwort der Gegenwart“ 899 wurde zum zentralen Topos geschichtskultureller Aushandlungsprozesse und zu einem konkreten Wert innerhalb der Tourismus- und Marketingstrategie für die Gestaltung der postindustriellen Zukunft des Ruhrgebiets. So bezeichnete etwa Andrea Höber, Leiterin des Bereichs ‚Industriekultur und Tourismus‘ der IBA Emscher Park, in der Abschlusspublikation zur Bauausstellung Industriekultur als „das Authentische“ 900, das zukünf-

895 Groschupf (1995). 896 Ebd. Siehe dazu auch Prossek, Achim: Sympathieträger der Region. Erinnerungsort Ruhri, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 279–295 sowie Kapitel 3.3. 897 Vgl. grundlegend zur Erzeugung und Einübung eines tourisitischen Blicks Urry, John: The Tourist Gaze. Leisure and Travel in Contemporary Societies, London 1990. Als Überblick zu Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts vgl. Hachtmann (2010). 898 Assmann, Aleida: Authentizität. Signatur des abendländischen Sonderwegs?, in: Rössner, Michael / Uhl, Heidemarie (Hg.), Renaissance der Authentizität? Über die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Bielefeld 2012, S. 27–42, S. 29. 899 Sabrow / Saupe (2016), S. 7. 900 Vgl. Höber (1999), S. 118.

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tig den Kern der touristischen Strategie der Region bilden müsse. 901 Was als authentisch gelten konnte, war Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen den Erwartungen potenzieller Tourist*innen einerseits und den mit diesen Erwartungen operierenden Gestalter*innen des touristischen Angebots andererseits. 902 So bezeichnete Höber potenzielle Tourist*innen in ihrer Bilanz des IBA-Tourismusprogramms als „wahre Entdeckungsreisende, die jenseits überkommener Klischees eine neue und andere Wirklichkeit erfahren“ 903 könnten. Dies suggerierte, dass es einen echten, einen als authentisch erkennbaren Kern des Ruhrgebiets jenseits seines vorherrschenden Images gebe, der darauf warte, sich Tourist*innen zu erkennen zu geben. Die materiellen Relikte der Ruhrgebietsindustrie fungierten hierbei als Zeugen für die Echtheit dieses Kerns, weshalb der Route der Industriekultur als Vermittler des Ruhrgebiets im Sinne einer Kulturlandschaft neuen Typs zentrale Bedeutung zukam und weiterhin zukommt. 904 Zu den auf mehrfache Weise untereinander verbundenen und somit als räumliches System wahrnehmbaren Stationen der Route zählen zum einen Relikte der Kohle- und Stahlindustrie wie die Zeche Zollverein oder die Henrichshütte in Hattingen. 905 Zum anderen gehören zu der im Finaljahr der Bauausstellung eröffneten Route aber auch erst während der IBA Emscher Park geschaffene und somit bereits post-industrielle Landschafts- und Kunstprojekte wie der Landschaftspark Duisburg-Nord oder 901 Diese durch die IBA Emscher Park vorangetriebene Verknüpfung von Industriekultur und Authentizität wird in der Forschung zur Region als ein wesentlicher Erfolg der Bauausstellung gewertet. So hält Christa Reicher fest: „Mit der Thematisierung und Beförderung der ‚Industriekultur‘ als authentischem Kern der regionalen Identität des Ruhrgebiets hat die IBA Emscher Park einen nachhaltigen Beitrag geleistet, der weit über die Wirkung der einzelnen Projekte und Orte sowie über die Laufzeit der IBA selbst hinaus reicht“, Reicher, Christa: Industriekultur. Gespeicherte Erinnerung, kulturelles Potenzial und Chance für die Stadtentwicklung, in: Buschmann, Walter (Hg.), Zwischen Rhein-Ruhr und Maas. Pionierland der Industrialisierung, Werkstatt der Industriekultur, Essen 2013, S. 9–17, S. 14. 902 Vgl. zu Authentizität als marktorientierter Kategorie im Geschichts- und Heritage-Tourismus Frank, Sybille: Der Mauer um die Wette gedenken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (2011) 31–34, S. 47–54; in Anlehnung an Tunbridge, John E./Ashworth, Gregory John: Dissonant Heritage. The Management of the Past as a Resource in Conflict, Chichester 1996. Vgl. auch Groebner, Valentin: Touristischer Geschichtsgebrauch. Über einige Merkmale neuer Vergangenheiten im 20. und 21. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013) 2, S. 408–428 sowie zu Authentizität als touristischem Bedürfnis Seidenspinner, Wolfgang: Authentizität. Kulturanthropologisch-erinnerungskundliche Annäherungen an ein zentrales Wissenschaftskonzept im Blick auf das Weltkulturerbe, in: kunsttexte.de 7 (2007) 4, S. 1– 20, S. 2; 14 f. 903 Höber (1999), S. 117. 904 Vgl. dazu auch Wagner (2020). 905 Zum Aufbau der Route vgl. Regionalverband Ruhr: Route der Industriekultur, URL: http://www.route-industriekultur.ruhr/ [letzter Zugriff: 10. Aug. 2019].

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der Tetraeder auf der Halde Beckstraße in Bottrop. Die Route wurde inhaltlich in verschiedene Themenrouten ausdifferenziert, sodass unterschiedliche räumlich-funktionale Systeme sichtbar gemacht werden konnten. Die räumliche Zuordnung der Einzelobjekte zueinander erfolgte dabei auf mehreren Ebenen. Vor Ort wurden die Ankerpunkte durch weiträumig sichtbare Signalobjekte sowie durch Schilder mit erklärenden Texten gekennzeichnet, die sie als Punkte auf der Route der Industriekultur ausweisen und so für Besucher*innen als Orte der Industriekultur explizieren sollten. Die Kennzeichnung der Ankerpunkte der Route der Industriekultur in einem einheitlichen Corporate Design markierte die Einzelobjekte außerdem auch visuell als ein funktional und räumlich aufeinander bezogenes System. Die Erschließung der Route wurde sowohl per Fahrrad als auch per Auto über ein zusammenhängendes Verkehrsnetz ermöglicht. Für die Beschilderung der Themenrouten und der Einzelstandorte als Punkte auf der Route der Industriekultur im Straßenverkehrsnetz wählte der KVR den bereits etablierten Stil brauner Unterrichtungstafeln. Die Beschilderung und Kennzeichnung der Standorte garantierte also einen Anschluss an konventionalisierte Kennzeichnungssysteme touristischer Regionen und kommunizierte damit auch visuell den Anspruch, das Ruhrgebiet als eine touristisch wertvolle Kulturlandschaft neuen Typs darzustellen. Auch die Kartierung der Route bildete eine zentrale Ebene, auf der die Einzelstandorte zu einem räumlichen System verbunden und als zusammenhängender Landschaftsbereich visuell kommuniziert wurden. 906 Das Konzept der Route wurde zum Vorbild für ein europäisches Netzwerk der Industriekultur, der European Route of Industrial Heritage (ERIH), und erfüllte so den Anspruch der IBA Emscher Park, als Vorbild für andere altindustrielle Räume zu dienen. 907 Die räumliche Erschließung der Kulturlandschaft Ruhrgebiet über die als Netzwerk von Einzelstandorten konzipierte Route der Industriekultur erscheint somit als Strategie der materiellen Konsolidierung des diskursiven Transformationsprozesses von der Industrielandschaft zur Kulturlandschaft neuen Typs. Die hier aufscheinende Spannung zwischen der Hervorhebung einzelner Standorte und der landschaftlichen Raumwahrnehmung ist der denkmalpflegerischen Perspektive auf Kulturlandschaften in besonderem 906 Zu Karten als Instrument der Raumkonstruktion siehe auch Kapitel 3.1. 907 Zu aktuellen Forderungen nach Überarbeitung und Erweiterung der Route vgl. Golombek, Jana: Geschichte in Schildern. Die Route Industriekultur als Public History?, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 11 (2021) 1, S. 29–31; Althoff, Lea: Perspektivwechsel im Ruhrgebiet. Wird die App der Route Industriekultur den Ansprüchen der Public History gerecht?, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 11 (2021) 1, S. 32–34; Jäger, Wolfgang: Die Metropole Ruhr braucht eine Route der Mitbestimmung, in: Forum Geschichtskultur Ruhr 11 (2021) 1, S. 35–38.

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Maße inhärent, wie in der Kulturlandschaftsforschung immer wieder betont wird. Die denkmalpflegerische Praxis neigt zu einer Elementarisierung von Räumen, also zu einer analytischen Zerlegung des landschaftlichen Raums in „physiognomisch fassbare Elemente und Strukturen“ 908, um die „komplexe Totalität ‚Kulturlandschaft‘ in pragmatischer Form ‚in den Griff zu bekommen‘“. Um das Ruhrgebiet räumlich als zusammenhängende Landschaft zu konstruieren, mussten also einzelne Standorte hervorgehoben werden, was über die materielle Anschauung der industriellen Denkmale vor Ort ermöglicht werden sollte. Die Elementarisierung der Kulturlandschaft durch die Fokussierung auf einzelne Objekte mit hoher Symbolkraft wie Zollverein ermöglichte somit einerseits die Identifikation des Raumausschnitts als zusammenhängende Landschaft. Andererseits führt sie gleichzeitig dazu, dass nur ein Teil der industriellen Kulturlandschaft über die „Summe von Einzelobjekten mit hoher symbolsicher Bedeutung“ 909 repräsentiert werden kann, wie Hans-Werner Wehling betont. Diese Notwendigkeit zur Hervorhebung einzelner Standorte wurde nicht nur während der Konzeption der Route der Industriekultur reflektiert. Auch für die zum Ende der Bauausstellung von der IBA-Gesellschaft noch intensiv befürwortete Idee, die Schutzkategorie des Nationalparks auf das Ruhrgebiet zu übertragen, wurde die gezielte Aufladung eines zentralen Orts als symbolischen und materiellen Anlaufpunkt der neuen Kulturlandschaft als notwendig erachtet. 910 Zollverein sollte als „unbestrittener Mittelpunkt“ 911 eines solchen Nationalparks diese Symbolfunktion erfüllen und damit das herkömmliche Verständnis von Nationalparks erweitern. Die vor allem in der zweiten Hälfte der IBA-Laufzeit gereifte und durch den Masterplan ‚Reisen ins Revier‘ vorangetriebene Idee eines Nationalparks Ruhrgebiet war ein zentraler Baustein im Versuch, das Erbe der Bauausstellung zu gestalten. So setzte beispielsweise Andrea Höber mit einem Text zum „Nationalpark der Industriekultur im Ruhrgebiet“ 912 den Schlusspunkt zu einer Publikation, die im Jahr nach Ende der IBA Emscher 908 Gailing / Leibenath (2012), S. 100. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 909 Wehling (2013), S. 186. 910 Vgl. Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (1997), S. 29; Kania, Hans: Die gewachsene industrielle Kulturlandschaft Zollverein 1847–1986, in: Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.), IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999, S. 16–18, S. 18. 911 Höber, Andrea: Plädoyer für einen Nationalpark der Industriekultur im Ruhrgebiet. Mit kreativen Arbeits- und Organisationsprozessen soll das Revier zukunftsfähig gemacht werden, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Standorte. Jahrbuch Ruhrgebiet 2001/2002, Essen 2001, S. 131–134, S. 133. 912 Dies.: Nationalpark der Industriekultur im Ruhrgebiet, in: Borsdorf, Ulrich (Hg.), Sonne, Mond und Sterne. Kultur und Natur der Energie; ein Rückblick; Bilder und

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Park auf die Ausstellung ‚Sonne, Mond und Sterne‘ des Finaljahrs zurückblickte und gleichzeitig Perspektiven für den Umgang mit dem Erbe der Bauausstellung entwarf: Der Nationalpark der Industriekultur im Ruhrgebiet wirkt identitätsstiftend und regt zum Nachdenken über die Zukunft an. [. . . ] Mit einem herkömmlichen Verständnis ist dieser Nationalpark kaum zu fassen. Der Nationalpark der Industriekultur begreift die Kultur- und Naturgeschichte als Einheit und versteht sich als großes Zukunftslabor. [. . . ] Ängste, diese Gebiete eines Nationalparks würden in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung behindert, sind unbegründet. Verhindert werden soll allenfalls die weitere Ausbeutung von Mensch, Natur und Kultur sowie die fortschreitende Uniformierung im Zeitalter der Globalisierung. Dieser Nationalpark gewährt Prozessschutz für die behutsame Weiterentwicklung der Zeugen montangeschichtlicher Vergangenheit. 913

In der Vision des Nationalparks kondensierte sich die Umdeutung der ehemaligen Industrielandschaft im Spannungsverhältnis zwischen vergangenheitsbasierter Identitätsstiftung und „Zukunftslabor“, zwischen Bewahrungs- und Gestaltungszukunft. Zwar konnte sich die Idee eines Nationalparks in der Zeit nach der IBA Emscher Park nicht durchsetzen. Jedoch halten sowohl aktuelle Forschung als auch bereits zeitgenössische Beobachter*innen zum Ende der Bauausstellung gleichermaßen fest, 914 dass das Ziel einer neuen „Identifikation mit dem Ruhrgebiet [. . . ], die sich auf die Region als Ganzes bezieht“ 915, erreicht war. Die Spannung zwischen Vergangenheitsbezug und Zukunftsorientierung, die nicht durch die IBA generiert, aber durch sie deutlich intensiviert wurde, wie die Beleuchtung dieser Phase der Entwicklung des geschichtskulturellen Felds der Region gezeigt hat, ließ sich jedoch nicht auflösen.

Berichte aus der Ausstellung auf der Kokerei Zollverein, 13. Mai bis 3. Oktober 1999, Bottrop / Essen 2000, S. 92–94. 913 Ebd., S. 92 f. Hier zeigt sich erneut die Funktionalisierung des Globalisierungsbegriffs als politisch handlungsleitende Zeitdeutung, vgl. Eckel (2018), S. 57. 914 Vgl. z. B. Reicher (2013). 915 Rossmann, Andreas: Ein Ende, das keines sein darf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 1999.

3. Die Produktion von Geschichte als Bedeutung im geschichtskulturellen Feld

Mit dem Sammelband „Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“ 1 ist 2019 im Klartext Verlag die Publikation zu einem Projekt erschienen, dessen Wurzeln bis in die Zeit kurz nach Ende des Kulturhauptstadtjahrs 2010 reichen. Ausgehend vom „parlamentarische[n] Wunsch, die Erinnerungslandschaft des Ruhrgebiets im geeigneten Rahmen zu dokumentieren“ 2, nahm ein Projekt seinen Lauf, das von einem Kongress zur Weiterentwicklung der Erinnerungsorte Pierre Noras, 3 über eine Tagung zu möglichen Erinnerungsorten des Ruhrgebiets, 4 dem Aufbau einer interaktiven Webseite mit mehr als 260 von Bürger*innen des Ruhrgebiets eingereichten Erinnerungsorten 5 und einem abschließenden Konvent 6 bis zur letztendlichen Publikation mit knapp 50 Autor*innen reichte. Anders als im Konzept der Erinnerungsorte Noras, der sein Projekt auch als Mittel zum Erhalt einer vermeintlich bedrohten nationalen Erinnerungsgemeinschaft verstand, 7 soll die Publikation aber explizit keine „verordnete Kanonisierung als neue Meistererzählung des Ruhrgebiets“ 8 schaffen, wie

1 Berger / Borsdorf / Claßen / Grütter / Nellen (2019). 2 Geiß-Netthöfel, Karola: Erinnerungslandschaft Ruhr, in: dies. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 15–18, S. 15. 3 Vgl. den Tagungsband Berger, Stefan / Seiffert, Joana (Hg.): Erinnerungsorte. Chancen, Grenzen und Perspektiven eines Erfolgskonzeptes in den Kulturwissenschaften, Essen 2014. 4 Seiffert, Joana: Tagungsbericht. Erinnerungsorte Ruhr, 13. 12. 2013-14. 12. 2013, Essen, 14. 05. 2014, URL: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5366 [letzter Zugriff: 1. Apr. 2020]. 5 Ruhr Museum / Institut für Soziale Bewegungen: Zeit-Räume Ruhr, URL: www.zeitraeume.ruhr [letzter Zugriff: 12. Aug. 2019]. 6 Vgl. Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e. V.: Konvent Zeit-Räume Ruhr. Was bleibt vom „alten“ Ruhrgebiet? Erinnerungskultur im Diskurs, 2018, URL: https://www.geschichtskultur-ruhr.de/mailingliste/geschichtskultur-konvent-zeitraeume-ruhr-was-bleibt-vom-alten-ruhrgebiet-erinnerungskultur-im-diskurs-26-u27-06-18/ [letzter Zugriff: 31. Mai 2022]. 7 Siehe Kapitel 1.3.2, Anm. 182; vgl. Berger, Stefan, et al.: Erinnerungsgeschichte des Ruhrgebiets. Eine Einleitung, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019b, S. 21–42, S. 25. 8 Ebd., S. 23.

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die Herausgeber betonen. Das Konzept der „Zeit-Räume“ soll vielmehr zu einer Dynamisierung und Öffnung der Begrifflichkeit Noras führen, die sowohl die multiplen Zeitschichten konkreter Erinnerungsorte als auch ihre Genese und potenzielle Konflikte beschreibbar machen soll. 9 Einer der knapp 50 aufgeführten Erinnerungsorte des Bands ist die IBA Emscher Park, obwohl ihre „zahlreichen Bauprojekte [. . . ] im Erinnerungshaushalt der Region kaum eine Rolle spielen“ 10, wie die Autoren Dieter Nellen und Ludger Claßen selbst festhalten. Der langjährige RVR-Mitarbeiter und der ehemalige Leiter des Klartext Verlags betonen, dass die Bauausstellung zwar in der Fachöffentlichkeit auch für ihre städtebaulichen Projekte und den Emscher Umbau bekannt sei, in der Öffentlichkeit aber vor allem mit ihren großen historischen Publikumsausstellungen und Bildern umgenutzter Industriebauwerke wie dem Gasometer Oberhausen oder der Zeche Zollverein verbunden werde. 11 Der Aufsatztitel „Identität ohne Minderwertigkeitskomplexe“ und Zwischenüberschriften wie „Zukunft mit Vergangenheit und neuer Urbanität: Von der Industrie- zur Kulturlandschaft“ 12 zeigen, was die Bilanz der Bauausstellung aus Sicht der Autoren maßgeblich ausmacht: Die IBA hat also die Auseinandersetzung mit der Industriekultur und Sozialgeschichte befördert und Industriekultur zum identitätsstiftenden ‚Markenzeichen‘ des Ruhrgebiets gemacht. Der historische Integrationskern dieser

9 Vgl. ebd., S. 27–29: „Es geht in den hier versammelten Beiträgen also vor allem darum zu fragen, wie kollektive Formen der Erinnerung funktionieren und was sie über kollektive Selbstverständigungsprozesse innerhalb des Ruhrgebiets aussagen. [. . . ] Erinnerungsorte weisen eine komplexe Verflechtung von Zeitebenen auf, bei denen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenseitig beeinflussen. Die unterschiedlichen zeitlichen Ebenen, die sich in einem Erinnerungsort verdichten, können über die Erinnerungsgeschichte freigelegt und analysiert werden. Die Überlagerung von Zeitschichten in Erinnerungsorten macht sie zu Palimpsesten. Noras Konzept der Erinnerungsorte kann diese Komplexität nicht fassen, da sie die Heterochronie der Orte nicht ausreichend berücksichtigt. [. . . ] Ersetzt der Raum also den Ort, so muss der Raum im Anschluss aber auch zur Zeit hin geweitet werden. Unterschiedliche Zeitschichten schreiben sich in den Ort ein, auf unterschiedliche Art und Weise und in unterschiedlicher Wirkmächtigkeit. Zeit und Raum verbinden sich, nicht nur in den Erinnerungsorten, sondern auch in der Konstruktion von Erinnerung, die ja immer aus der Perspektive der Gegenwart im Hinblick auf eine imaginierte Zukunft erfolgt. [. . . ] Die ‚Zeit-Räume‘ wollen offener, flexibler und dynamischer in der Beschreibung von Erinnerungslandschaften sein als das alte Konzept der Erinnerungsorte.“ 10 Nellen / Claßen (2019), S. 175. 11 Vgl. ebd., S. 182 f.: „Diese Bilder des Wandels sind die wichtigsten Momente des Erinnerungsorts IBA Emscher Park. Mit diesen Bildern wird ein neues Image des Ruhrgebiets jenseits der Schwerindustrie propagiert; ihre eigentliche Wirkung entfalten diese Bilder aber nach innen.“ 12 Ebd., S. 180.

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Identität ist die Schwerindustrie, die an die Stelle einer landsmannschaftlich geprägten Territorialgeschichte oder dynastischer Traditionen tritt. 13

Auch die Herausgeber halten in der konzeptionellen Einleitung zum Sammelband die Bedeutung der IBA Emscher Park für den Umgang mit der Industriegeschichte des Ruhrgebiets fest: Der lange Abschied von Kohle und Stahl über zwei Generationen wurde häufig nicht als sozial und mental verträglicher Wandlungsprozess, sondern als rückwärtsgewandtes und mutloses Beharren auf alten Strukturen verstanden. Dieser Scheinwiderspruch hat sich in den letzten Jahren zu großen Teilen aufgelöst. Angestoßen wurde dieser Bewusstseinswandel durch die Internationale Bauausstellung Emscher Park und forciert durch die Ernennung der Region zur europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2010; das verdankte sie ganz überwiegend ihrem industriellen Erbe und ihrem Umgang mit diesen Hinterlassenschaften. 14

Diese Einordnung der IBA Emscher Park verweist auf den Konflikt zwischen Bewahrungs- und Gestaltungszukunft, den ich im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitet habe. Das Narrativ einer durch die IBA Emscher Park ermöglichten „intensiven mentalen Verarbeitung“ 15 des Strukturwandels wird allerdings inzwischen zunehmend kritisch beleuchtet, wie die Herausgeber anmerken. 16 Die Publikation, die zwar kein Kanon sein soll, wohl aber – und dies sicher zu Recht – „schon jetzt [. . . ] ein Standardwerk der regionalen Geschichtsschreibung“ 17, insbesondere der „Erinnerungsgeschichte des Ruhrgebiets“ 18 zu sein beansprucht, bestätigt also sowohl die Bedeutung der IBA Emscher Park als auch die andauernde Erklärungsbedürftigkeit ihrer Auswirkungen. Trotz der Zielsetzung des Bands, die Erinnerungsorte des Ruhrgebiets durch das zeiträumlich dynamischere Konzept kritisch zu hinterfragen, wirkt die Darstellung des „Erinnerungsorts IBA Emscher Park“ in Hin-

13 14 15 16

Ebd., S. 177. Berger, et al. (2019b), S. 35 f. Ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 35. Die Herausgeber beziehen sich hier auf die publizistische Intervention zweier Bochumer Doktorand*innen und die in APuZ veröffentlichten kritischen Reflexionen ihres akademischen Lehrers und Leiters des ISB, Stefan Berger, anlässlich der endgültigen Abwicklung des Steinkohlenbergbaus Ende 2018; vgl. Eiringhaus, Pia: Industrie wird Natur. Postindustrielle Repräsentationen von Region und Umwelt im Ruhrgebiet, Essen 2018; Eiringhaus, Pia / Kellershohn, Jan: Und wer zahlt die Zeche?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. August 2018; Berger (2019c) Dies zeigt, dass die Entwicklung des geschichtskulturellen Diskurses auch bei zentralen geschichtskulturellen Akteur*innen der Region selbst umstritten ist. Siehe zu dieser Debatte auch die Schlussbetrachtung der vorliegenden Untersuchung. 17 Geiß-Netthöfel (2019), S. 17 f. 18 Berger, et al. (2019b).

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blick auf seine identitätsstiftende Leistung eher affirmativ als analytischkritisch. Ein Grund mag im Festhalten am Begriff der Erinnerungsorte liegen, 19 das wohl trotz der forschungspraktischen Erwägungen der Herausgeber manche Beiträge stärker präfiguriert haben mag, als in der Weiterentwicklung des Konzepts angedacht. Ein anderer Grund liegt womöglich in der mehrfachen Rolle Nellens und Claßens als Zeitzeugen, Akteure und Wissenschaftler, die viele Publikationen zur Geschichte der Bauausstellung kennzeichnet. 20 Mit Blick auf mein Erkenntnisinteresse sind diese Hypothesen jedoch weniger als Kritik, sondern vielmehr als produktive Brücke zwischen dem vorangegangenen und dem folgenden Kapitel zu verstehen. So erscheint zum einen die detaillierte Beleuchtung der Phase der IBA Emscher Park für die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds als geeignet, um eine kritische Analyse ihrer Bedeutung für die Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln zu leisten. Zum anderen zeigt sich, dass die Analyse dieser Phase allein nicht ausreichend, sondern um eine Einordnung um die Zeit vor und nach der Bauausstellung zu ergänzen ist. Um die Aushandlung von Geschichte als Bedeutung zu durchdringen, muss nach den Praktiken der Bedeutungsproduktion im geschichtskulturellen Feld gefragt werden. Das im ersten Kapitel von mir entwickelte Verständnis von Geschichtskultur als sozialem Feld erweist sich hierfür in mehrfacher Hinsicht als die geeignete methodische Grundlage. Sie ermöglicht erstens die Erweiterung der Analyse um eine diachrone Perspektive von der ersten Auszeichnung eines Zechengebäudes als Denkmal 1969 bis zur Dominanz sich „mit Kohle und Stahl verbindende[r] Industriekultur“ 21 als „zentrale[m] Erinnerungsort der Region“ im Kulturhauptstadtjahr 2010. Eine lange zeitliche Perspektive von vier Jahrzehnten erfordert eine methodisch gut begründete Selektion der Untersuchungsbeispiele, die in der Geschichtskulturforschung meist durch die Fokussierung auf bestimmte geschichtskulturelle Produkte wie etwa Ausstellungen oder Fernsehproduktionen vorgenommen wird. Die Praktiken der Bedeutungsproduktion in den Mittelpunkt zu rücken, ermöglicht dagegen zweitens, das geschichtskulturelle Feld in größerer Breite in den Blick zu nehmen, indem nicht von den Produkten, sondern von den Praktiken ihrer Erzeugung her gedacht wird. So wird etwa die analytische Verbin19 Die Herausgeber begründen diese Entscheidung primär mit praktischen Erwägungen: „Wenn es allerdings um konkrete Orte geht, haben wir den viel geläufigeren Terminus der Erinnerungsorte nicht ersetzt bzw. auch bewusst beibehalten, weil es artifiziell erschien, hier einen Neologismus wie „Zeit-Räume“ systematisch einzusetzen“, ebd., S. 29 f. 20 Siehe Kapitel 1.4, Anm. 356. 21 Berger (2019a), S. 500. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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dung der Veröffentlichung von Imageplakaten mit der von Bildbänden, der Unterschutzstellung von Denkmalen mit der Gestaltung durch Raumplanung, der Inszenierung von Ausstellungen mit der von Protesten, der Produktion von Spielfilmen mit der von Musikstücken oder des Führens lebensgeschichtlicher Interviews mit der Archivierung von Geräuschen möglich. Somit bleiben einerseits in der Geschichtskulturforschung zentrale Quellen wie Ausstellungen im Fokus der Untersuchung und werden andererseits um solche erweitert, die sonst seltener zum Gegenstand der Analyse werden wie beispielsweise Raumkonzepte. Darüber können drittens auch Akteur*innen in den Blick rücken, die bei der Konzentration auf einzelne geschichtskulturelle Produkte eher außen vor bleiben wie etwa streikende oder über ehemalige Betriebe publizierende Arbeiter*innen. Sie werden ebenso als Akteur*innen des geschichtskulturellen Felds sichtbar wie Museumsleute, Denkmalschützer*innen oder Historiker*innen. Viertens werden so auch die sich zwischen den Akteur*innen entwickelnden Netzwerke, die durch die Verteilung von Macht und Ressourcen die Aushandlung von Geschichte als Bedeutung präfigurieren, im geschichtskulturellen Feld besser sichtbar. Dies hat sich im zweiten Kapitel beispielsweise an der Dominanz akademischer und sozialdemokratischer Netzwerke gezeigt, welche die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds im Ruhrgebiet in der so entscheidenden Zeit der IBA Emscher Park stark beeinflusst haben. Fünftens ermöglicht die Konzeption von Geschichtskultur als sozialem Feld auch die von mir angestrebte Historisierung wirkmächtiger Erklärungsmodelle des Geschichtsbooms. Zeitund Zukunftsvorstellungen werden so nicht mehr in erster Linie als Erklärungen herangezogen, sondern als diskursive Topoi in der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung historisiert und analysiert. Damit lassen sich nicht nur übergeordnete Fragen der Geschichtskulturforschung wie die Konkurrenz zwischen Erinnerungs- und Geschichtskultur historisieren, sondern auch die diskursive Strukturierung des Handelns konkreter Akteur*innen im geschichtskulturellen Feld des Ruhrgebiets sichtbar machen. So hat das zweite Kapitel gezeigt, dass wirkmächtige diskursive Topoi wie ‚Geschichtslosigkeit‘ oder ‚kulturelle Kompensation‘ von konkurrierenden Positionen zum Teil der eigenen Argumentation werden konnten, um beispielsweise geschichtskulturelle Projekte aus dem Kontext der IBA Emscher Park zu realisieren. Aus der im vorangegangenen Kapitel erarbeiteten detaillierten Analyse dieser entscheidenden Phase leite ich daher im Folgenden ab, welche Praktiken es über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg zu untersuchen gilt. Der detaillierte Blick auf die Phase der IBA Emscher Park hat zahlreiche verschiedene Praktiken beleuchtet, die in ihrem konkreten Vollzug jeweils Realisationen einer übergeordneten Praxis darstellen. So sind beispiels-

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weise die Publikation konkreter wissenschaftlicher Texte, die Anordnung von Ausstellungsobjekten oder die Beschilderung von Denkmalen entlang der Route der Industriekultur als konkrete Instanziierungen einer jeweils übergeordneten Praxis, etwa des Publizierens, des Ausstellens oder des Kennzeichnens zu verstehen. 22 Wie Jan-Hendryk de Boer ausführt, 23 ist zu unterscheiden „zwischen komplexen Praxen, die sich in verschiedenen, zeiträumlich und kausal miteinander verbundenen Praktiken realisieren, und nichtkomplexen Praxen, die in einer Praktik manifest werden“ 24. Jene treten als „enge Verbindung mehrerer Praxen“ auf, die „einander wechselseitig stabilisieren und ermöglichen“. Ihr konkreter Vollzug lässt den historischen Akteur*innen ein höheres Maß an Agency zukommen, da das komplexe Gefüge anfälliger für „Störungen, Irritationen und Abweichungen“ ist. Derart verstandene Praxen sind wiederum als Realisierungen übergeordneter Praxisformen zu verstehen, also als „kulturelle, das menschliche Tun formende und von diesem geformte Logiken, die sich in verschiedenen Praxen und deren zugehörigen Praktiken manifestieren“ 25. So handelt es sich beispielsweise bei der Formulierung und Inkraftsetzung einer Stiftungssatzung oder der Formulierung und Verabschiedung eines Gesetzes um unterschiedliche Praxen, die sich aber jeweils als Realisierung einer übergeordneten Praxisform des Normierens verstehen lassen. Unter der Kategorie des Normierens lassen sich etwa die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Stiftungsgründungen mit der Verabschiedung des Denkmalschutzgesetzes aus dem Jahr 1980 auf ihre Funktion für die Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln befragen. Diese Ausrichtung auf die übergeordnete Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ist hier von entscheidender Bedeutung. Wenn ich im Folgenden auf Grundlage des vorangegangenen Kapitels Praxen und Praxisformen identifiziere, sind diese als Analysewerkzeuge zu verstehen, die der Fragestellung der Arbeit folgen: „Insofern sind die identifizierten Praxen Teil einer Antwort auf eine Frage, die anders aussähe, wenn eine andere gestellt worden wäre.“ 26

22 Zu Praktiken als „Instanziierungen einer Praxis“ im Sinne eines Type-Token-Verhältnisses vgl. Boer (2019), S. 32. Siehe dazu auch Kapitel 1.4, Anm. 358. 23 Der die Begriffe ‚Praktik‘, ‚Praxis‘ und ‚Praxisformen‘ klar auffächernde Aufsatz von Jan-Hendryk de Boer ist die theoretisch-methodische Einleitung in ein gemeinsames Buchprojekt von Kollegiat*innen des DFG-Graduiertenkollegs 2019, in dessen Rahmen diese Studie entstanden ist. 24 Boer (2019), S. 37. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 25 Ebd., S. 38. 26 Ebd., S. 36. Dazu nochmals auf S. 39: „Wird aus den untersuchten Praxen auf das Vorliegen einer gemeinsamen Praxisform geschlossen, handelt es sich nicht um eine ontologische Aussage über eine vorfindliche Ordnung der Handlungen und Dinge,

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Die im Folgenden nach übergeordneten Praxisformen sortierte Analyse verschiedener Praxen fragt danach, „welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten [. . . ] in verschiedenen Fällen bestehen, ob sich Entwicklungen im zeitlichen Verlauf postulieren lassen und welche Prägekraft die konkreten personalen, organisatorischen und kulturellen Umstände auf den Praktikenvollzug entfalten“ 27. Über das im ersten Kapitel entwickelte praxistheoretische Verständnis von Geschichtskultur lässt sich also einerseits die grundlegende historische Frage nach Wandel und zeitlicher Entwicklung adressieren. Jedoch ist das Ziel nicht primär, eine chronologisch geordnete Darstellung der Entwicklung verschiedener Praxen und Praxisformen zu leisten. Vielmehr geht es etwa für das oben gewählte Beispiel auch darum, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich für die verschiedenen Praxen des Normierens etwa hinsichtlich ihres Zwecks, des zu normierenden Gegenstands oder ihrer personellen und organisatorischen Ermöglichungsbedingungen feststellen lassen. Hierzu müssen über den langen Zeitraum von vier Jahrzehnten einzelne konkrete Realisierungen der Praxen herausgegriffen werden, die notwendig exemplarischen Charakter haben und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dies gilt ebenso für die zu identifizierenden Praxen, die einerseits durch die Fragestellung und andererseits durch die empirische Grundlage des vorangegangenen Kapitels präfiguriert sind. Mit den im Folgenden unterschiedenen Praxisformen kann ich also weder für das Untersuchungsbeispiel des Ruhrgebiets im Besonderen noch für die Analyse von Geschichtskultur im Allgemeinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Jedoch kann ich aufzeigen, welche Praktiken der Bedeutungsproduktion sich im Feld der Geschichtskultur im Hinblick auf die spezifische Fragestellung unterscheiden lassen. Mit dieser Studie schlage ich somit eine Methode zur Erforschung von Geschichtskultur vor, die sich auf andere Untersuchungssettings mit ihren jeweiligen Frage-, Raum- und Zeithorizonten übertragen lässt und daher wie im ersten Kapitel beschrieben über das konkrete Untersuchungsbeispiel hinaus einen Beitrag zur Theoriebildung der Public History leistet. 28 Welche Praxen lassen sich nun also aus dem vorangegangenen Kapitel identifizieren und zu übergeordneten Praxisformen zusammenfassen und wodurch lassen sie sich charakterisieren? Als Praxisform des Zeigens lassen sich solche Praxen zusammenfassen, die auf die Konstruktion eines Raums zielen, indem sie ihn zeisondern um eine Hypothese über kulturelle Logiken, die zu postulieren sind, um Praxen in verschiedenen historischen Wirklichkeiten miteinander zu vergleichen.“ 27 Ebd., S. 31. 28 Siehe hierzu Kapitel 1.3.2.

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gend vorführen und gleichzeitig vermarkten. Dies gilt etwa für die Veröffentlichung eines Imageplakats, das beispielsweise einzelne Städte oder das Ruhrgebiet als Ganzes auf eine spezifische Art und Weise zeigt und vermarktet. Nicht immer im gleichen Maße vermarktend, aber doch zeigend, führt auch das Publizieren eines Bildbands Räume in bestimmten Zeithorizonten und sozialen Perspektiven vor. Die Praxisform des Zeigens ist dabei allerdings nicht als spiegelbildartige Abbildung zu missverstehen, wie etwa die Präsentation als Tourismusziel oder die Erstellung einer Karte deutlich machen, die sich als komplexe Praxen in unterschiedlichen, aufeinander bezogenen Teilpraktiken realisieren. Wie auch die Praxis der räumlichen Kennzeichnung, die sich beispielsweise in der Teilpraktik der Beschilderung eines Raums realisiert, konstruieren sie Räume, indem sie bestimmte Spezifika derselben zeigend vorführen. Zur Praxisform des Normierens sind bereits die Praxen ein Gesetz verabschieden und eine Stiftungssatzung in Kraft setzen genannt worden. Ähnlich wie diese Praxen darauf abzielen, zukünftige Wirklichkeiten zu normieren, bedeutet die Auszeichnung eines Objekts als Denkmal eine Normierung des zukünftigen Umgangs mit dem Objekt, das nur noch in einem vorgegebenen Rahmen verändert werden darf und in seiner Erscheinung möglichst erhalten werden muss. Aber auch das Auflegen eines Strukturprogramms, das in bestimmten Zeiträumen den Einsatz zweckgebundener Finanzmittel verplant, und das Aufstellen eines Plans, seien es Baupläne zur Stadt- oder Landschaftsentwicklung oder Masterpläne wie etwa zur Entwicklung des Zollverein-Geländes zielen auf die Normierung zukünftiger Wirklichkeiten ab. Als Praxisform des Imaginierens lassen sich solche Praxen zusammenfassen, die ausgehend von ihrer jeweiligen Gegenwart einen Raum innerhalb einer spezifischen oder innerhalb pluraler, sich verschränkender Zeitschichten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Form sprachlicher Handlungen oder fiktionaler Medien vorstellen. So sind die Produktion eines Spielfilms, ob für Kino oder Fernsehen, sowie die Produktion einer Spielfilmserie recht eindeutig als imaginative Praxen zu erkennen. Auch die Veröffentlichung eines Musikstücks erweist sich als komplexe imaginative Praxis, die sich aus verschiedenen künstlerischen Teilpraktiken wie etwa dem Produzieren von Text, Musik und ihren materiellen Trägern zusammensetzt. Aber auch die Kreation einer Kunstfigur und die Konstruktion einer Raumvorstellung lassen sich als imaginative Praxis verstehen, die etwa wie im Fall des Kollektivsingulars ‚Ruhri‘ bestimmte Typen oder im Fall des Begriffs ‚Ruhrpott‘ Raumvorstellungen imaginieren, die mit spezifischen Zeitschichten verknüpft sind. Auch wenn diese imaginativen Praxen häufig als solche erkennbar sind, bedeutet das nicht, dass die durch sie produzierten Aussa-

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gen nicht Teil von Wissensbeständen und Einstellungen werden, wie sich beispielsweise an der Vorstellung eines bestimmten Menschenschlags im Ruhrgebiet auf Grundlage von fiktiven Figuren aus Filmen, Romanen oder Erzählungen zeigen lässt. Davon zu unterscheiden ist die Praxisform des Inszenierens, die sich dadurch auszeichnet, dass sich die Bedeutung des Dargestellten erst durch die Interaktion von Darstellenden und Rezipierenden im Vollzug der Inszenierung ergibt, wie etwa bei der Aufführung einer Performance. Aber auch das Ausführen einer Protestaktion oder die Ausrichtung eines Festakts lassen sich als Formen des Inszenierens verstehen. Damit werden so unterschiedliche Praxen wie das gemeinsame Singen des Steigerlieds oder die Ausrichtung einer Eröffnungsfeier in ihrem jeweils konkreten Vollzug als performative Inszenierungen sicht- und vergleichbar. Auch die für das geschichtskulturelle Feld so bedeutsame Praxis des Ausstellens lässt sich als Form des Inszenierens verstehen, indem sie nicht nur einzelne Objekte arrangiert, sondern auch eine spezifische Raumatmosphäre kreiert, die Besucher*innen in ihrer Aneignung des Ausgestellten und damit in der Bedeutungsproduktion räumlich, ästhetisch, emotional und kognitiv anleitet. Schließlich lässt sich noch die Praxisform des Wissen-Produzierens identifizieren, die wie im Falle der Führung eines lebensgeschichtlichen Interviews oder der Publikation eines (populär-)wissenschaftlichen Texts explizit auf die Produktion und Distribution von Wissen ausgerichtet ist. Unterschiedliche, teils durchaus konkurrierende komplexe Praxen als Instanziierungen einer übergeordneten Praxisform zu verstehen, ermöglicht es, sie nicht primär vom Professionalisierungsgrad ihrer Entstehungsbedingungen zu betrachten. Vielmehr lassen sich Publikationen von Laien, professionell als (Geschichts-)Wissenschaftler*innen arbeitenden Personen und Journalist*innen so vom Funktionszusammenhang des produzierten Mediums aus befragen. Auch das Anlegen einer Sammlung oder das Anlegen eines Archivs sind Praxen, die als Wissensproduktion zu verstehen sind. Sie konstituieren sich in mehreren, sich teils überschneidenden Praktiken, die nicht etwa vorhandenes Wissen lediglich bewahren, sondern durch die komplexen Praxen des Sammelns zuallererst hervorbringen. Die fünf hier unterschiedenen Praxisformen werden im Folgenden einzeln über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg untersucht, wobei die Unterscheidung keine kategoriale Trennschärfe beansprucht. Ihr liegt vielmehr die Annahme zugrunde, dass die untersuchten Praxen und Praxisformen „einander wechselseitig stabilisieren und ermöglichen“ 29. Die 29 Boer (2019), S. 37. Siehe Kapitel 3, Anm. 24.

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Konzeption von Geschichtskultur als sozialem Feld eröffnet also einerseits die Möglichkeit, Praxisformen der historischen Bedeutungsproduktion analytisch zu unterscheiden und das Feld so in großer Breite über einen langen Zeitraum hinweg zu untersuchen. Andererseits zeigt der Feldbegriff auf, inwiefern sich Praxisformen wechselseitig stützen und ermöglichen, aber mitunter auch konkurrieren. Dies schlägt sich zum einen darin nieder, dass unterschiedliche Praxisformen anhand der gleichen Beispiele untersucht werden können, wie etwa die für die geschichtskulturelle Landschaft des Ruhrgebiets besonders bedeutsame Zeche Zollverein illustriert. Ihre denkmalpflegerische Unterschutzstellung lässt sich als normierende Praxisform untersuchen, ihre Symbolkraft wird dagegen in zeigenden Praxisformen wie der Veröffentlichung von Imageplakaten oder der Präsentation als Tourismusziel deutlich. Als Gegenstand zahlreicher (populär-)wissenschaftlicher Publikationen kann sie aber genauso zum Untersuchungsbeispiel von Praxisformen der Wissensproduktion werden und ist mit ihrer Materialität außerdem konstitutiver Faktor der Ausstellungsinszenierungen des Ruhr Museums, die mitunter in Konkurrenz zur normierenden Praxis des Denkmalschutzes treten. Zum anderen schlägt sich die wechselseitige Verbindung unterschiedlicher Praxisformen in der Überschneidung geschichtskultureller Produkte nieder, anhand derer sie untersucht werden. So sind beispielsweise historische Ausstellungen häufig nur mittelbar über Quellen wie Kataloge oder Ausstellungsrezensionen zugänglich, aus denen Rückschlüsse über die Ausstellungsinszenierung abgeleitet werden müssen. Außerdem manifestieren sich unterschiedliche Praxisformen mitunter in den gleichen Medien, sodass beispielsweise sowohl im Falle von zeigenden als auch von Wissen produzierenden Praxisformen nach der Publikation von Büchern gefragt wird, wobei es sich in einem Fall um Bildbände und im anderen um Aufsatzsammlungen handeln kann. Was vordergründig als mangelnde Trennschärfe erscheinen mag, ermöglicht tatsächlich den Zugriff auf Geschichtskultur als Feld, indem nicht primär von den entstandenen Produkten oder den sie hervorbringenden Akteur*innen aus gedacht wird, sondern von der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung, die sich in unterschiedlichen Praxisformen vollzieht. Der im ersten Kapitel beschriebene relationale Charakter des Feldbegriffs zeigt sich gerade im Wechselverhältnis der Praxisformen, das durch Querverweise zwischen den folgenden Unterkapiteln deutlich gemacht wird.

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3.1 Zeigen „Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden“ 30 – mit diesem vielleicht bekanntesten ersten Satz aller Bücher über das Ruhrgebiet leitete der Schriftsteller Heinrich Böll eine der wohl wirkmächtigsten fotografischen Dokumentationen der Region ein. Sein Text rahmte die Bilder des Kölner Fotografen Chargesheimer, die das Ruhrgebiet im Jahr 1957 auf dem Höhepunkt seiner industriellen Leistung und in all seiner Ambivalenz porträtierten. 31 Der Band und vor allem sein viel zitierter erster Satz erklärten die bedeutendste Wirtschaftsregion Europas zur Terra incognita, „die weder in ihren Grenzen noch in ihrer Gestalt genau zu bestimmen ist“ 32. Böll und Chargesheimer wurden von Beobachtern aus dem nahen Köln zu von fern angereisten Entdeckern, welche die Region ihren Mitbürger*innen als „Mythos Ruhr“ 33 vorstellten. Die Industrielandschaft erschien Böll als getötete Landschaft, in der die Städte beinahe ohne Grünflächen grenzenlos ineinander übergingen, die vor lauter Ruß kein Weiß zu kennen schienen, die einerseits von Lärm und Industriegerüchen, andererseits von unpathetischen und ehrlichen Menschen, ihrem Sprachengewirr und ihrer harten Arbeit geprägt war. Auch wenn der Band auf eine lange fotografische Tradition zurückschauen konnte, 34 erzeugte er am Vorabend der Kohlekrise doch eine „Resonanz, die kein bis dahin erschienenes Fotobuch über das Revier verzeichnen konnte“ 35. Im Katalog zu einer Ausstellung 30 Böll / Chargesheimer (1958), S. 5. 31 Vgl. Grütter, Heinrich Theodor: Böll / Chargesheimer und die Folgen. Das Bild des Ruhrgebiets im Strukturwandel, in: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.), Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im RuhrMuseum vom 26. Mai 2014–18. Januar 2015, Köln 2014, S. 284–297, S. 285: „Sie zeigen ein Ruhrgebiet, das strotzt vor Schaffenskraft und zu Recht stolz ist auf die Leistungen, die die Region im Wiederaufbau nach 1945 erbracht hat. Der Band ‚Im Ruhrgebiet‘ zeigt aber auch ein anderes Bild vom Ruhrgebiet, das wahrlich nicht verklärungswürdig ist. Es zeigt die Gewalttätigkeit, die diesem spezifischen Prozess der Industrialisierung, der im Ruhrgebiet Gestalt angenommen hat, auch innewohnt.“ 32 Böll / Chargesheimer (1958), S. 5. 33 Ebd., S. 6. 34 Diese Tradition war in der Zwischenkriegszeit von Fotografen wie beispielsweise Heinrich Hauser, Erich Grisar oder Albert Renger-Patzsch geprägt worden. Vgl. Hauser, Heinrich: Schwarzes Revier, Berlin 1930; Renger-Patzsch, Albert: Eisen und Stahl. 97 Fotos, Berlin 1931; Grebe, Stefanie / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Albert Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografien, Köln 2018; Grütter, Heinrich Theodor / Mühlhofer, Stefan / Grebe, Stefanie / Zupancic, Andrea (Hg.): Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928–1933, Essen 2016. 35 Schneider, Sigrid: „Solche Darstellungen akzeptieren wir nicht!“. Zur Rezeption des Bildbands „Im Ruhrgebiet“ von Heinrich Böll und Chargesheimer, in: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.), Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im Ruhr-Museum vom 26. Mai 2014–18. Januar 2015, Köln 2014, S. 270–283, S. 271.

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des Ruhr Museums über den Band und seine Folgen aus dem Jahr 2014 stellte Museumsdirektor Grütter als Erklärung für die vergleichsweise heftige Kontroverse die These auf, entscheidend „war die Frage der Zukunft des Ruhrgebiets, nämlich die Frage, ob die Region in der erfolgreichen Verbindung von Kohle und Stahl weiter existieren kann oder ob sie sich völlig neu orientieren und dabei in Konkurrenz zu anderen Metropolregionen treten“ 36 werden müsse. Die beginnende Kohlekrise rückte den Streit um die Publikation in ein anderes Licht, in dem es zum einen um die Wahrnehmung der Region in der Gegenwart, zum anderen aber auch um ihre Potenziale für die Zukunft ging. Das „sehr bald schon legendäre Fotobuch“ 37 löste nicht nur eine hitzige Debatte über die Angemessenheit der Darstellung aus, sondern initiierte auch „eine anschwellende Flut von Bildbänden und Fotobüchern über das Ruhrgebiet, die bis heute nicht abgeebbt ist“ 38. So sehr die Vorstellung von städtischen Räumen im Allgemeinen durch Bilder geprägt wird, so hat das Ruhrgebiet im Speziellen eine spezifische Tradition visueller, insbesondere fotografischer Darstellung, die seine Wahrnehmung prägt. 39 Die Bedeutung und Vielzahl nicht nur fotografischer Ruhrgebietsbilder hat vor allem Achim Prossek in seiner richtungsweisenden Studie „Bild-Raum Ruhrgebiet. Zur symbolischen Produktion der Region“ 40 aufgearbeitet. Während der Kulturgeograph das tendenziell uferlose Untersuchungsfeld über einen thematischen Zugriff eingrenzt, untersuche ich im Folgenden die Praxisform des Zeigens, deren Teilpraxen sich aus dem Kapitel zur IBA Emscher Park ergeben und von denen die Publikation eines Bildbands nur die erste, wenngleich offenkundigste ist. Die hier zur Praxisform des Zeigens zusammengefassten Praxen zeichnen

36 Grütter (2014), S. 288. 37 Grebe, Stefanie: „Dabei habe ich die härtesten Photos gar nicht veröffentlicht!“. Neue Fotografien Chargesheimers aus dem Ruhrgebiet 1957, in: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.), Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im Ruhr-Museum vom 26. Mai 2014–18. Januar 2015, Köln 2014, S. 14–28, S. 16. 38 Vorwort Grütter / Grebe, S. 9. 39 Schon mit Aufkommen der Fotografie wurde das neue Medium von führenden Industriellen intensiv zur Dokumentation und Imagewerbung eingesetzt. Fotografie wurde daher früh zu einem entscheidenden Medium der Selbst- und Fremdwahrnehmung des in den 1920er Jahren erstmals als ‚Ruhrgebiet‘ bezeichneten Wirtschaftsraums, vgl. Schneider (2014), S. 271; Grütter (2014) S. 287. Die künstlerischen und dokumentarischen Bildbände der Zwischenkriegszeit führten schnell zur Ausbildung einer spezifischen Ikonografie. Sie gründete auf „Topografie, (Industrie-)Arbeit und Milieu“, Schneider (2010), S. 12. Von besonderer Bedeutung war die Werksfotografie bei Krupp, vgl. dazu z. B. Tenfelde, Klaus (Hg.): Bilder von Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter, München 1994. 40 Prossek (2009a).

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sich dadurch aus, dass sie das Ruhrgebiet als Raum konstruieren, indem sie ihn zeigend vorführen und mitunter gleichzeitig vermarkten. Dies zeigt sich besonders an der Praxis der Veröffentlichung eines Imageplakats, die ich in diesem Kapitel anhand regionaler Imagekampagnen untersuche. Eng verbunden mit der Imagepolitik ist die Praxis der Präsentation des Ruhrgebiets als Tourismusziel, die über organisierte Touren oder individuell zu erwerbende Reiseführer einen touristischen Blick auf den Raum zeigt. Auch die Praxis der Erstellung einer Karte gibt eine spezifische Sicht auf das Ruhrgebiet als Raum vor, die ich in diesem Kapitel anhand von Karten der Route der Industriekultur, Ruhrgebietsatlanten sowie raumplanerischen und raumwissenschaftlichen Karten analysiere. Die Praxis der räumlichen Kennzeichnung, die anhand eines historischen Beschilderungsprojekts in der Oberhausener Arbeitersiedlung Eisenheim und der Welterbe-Plakette auf Zollverein thematisiert wird, führt bestimmte Zeitlichkeitsdimensionen zeigend im Raum vor. Zunächst wird aber die Praxis der Publikation eines Bildbands anhand verschiedener Beispiele untersucht. Diese nehmen vom vermarktenden Porträt, über eine sozialkritische Innensicht, eine als wirklichkeitsgetreue Beobachtung gezeigte Außensicht, bis hin zur Bilddokumentation von Industriebauwerken und schließlich der fotografischen Dokumentation des Strukturwandels ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Ruhrgebiet in seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein. Publizieren eines Bildbands

Die zahlreichen fotografischen Bildbände über das Ruhrgebiet zeigten die Region je nach Auftrag und fotografischer Tradition aus höchst unterschiedlichen Perspektiven, von denen hier nur einzelne beispielhaft herausgegriffen werden können. 41 So waren etwa direkt im Anschluss an den umstrittenen Band von Böll und Chargesheimer mit „Unsere Heimat: Das

41 Zur Mitte der 1980er Jahre lässt sich in der allein für den Untersuchungszeitraum dieser Studie gut 45 Publikationen umfassenden Tradition von Bildbänden über die Region ein Wendepunkt ausmachen, weshalb im Folgenden vor allem Bände dieses Jahrzehnts im Fokus stehen. Auf dem Weg hin zur seit den 1990er Jahren bis heute dominanten Bildsprache spektakulär erleuchteter und inszenierter Industriedenkmale nehmen sie eine Art Scharnierfunktion ein, vgl. Grütter (2014), S. 290–292. Ein vom KVR herausgegebener Band mit Fotografien Joachim Schumachers erschien allerdings anders als bei Grütter angegeben erst 1995 und nicht 1985, also nicht vor, sondern zum Ende der gleichnamigen Imagekampagne, vgl. ders. (2014), S. 291; Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland im Bild. Fotos: Joachim Schumacher; Texte: Margarethe Lavier, Wolfgang Schulze, Bottrop / Essen 1995.

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Revier“ 42 und „Das Ruhrgebiet. Porträt ohne Pathos“ 43 zwei Bildbände erschienen, die das Ruhrgebiet treffender abzubilden suchten, dabei aber entweder die Industrie fast gänzlich aussparten oder entgegen des Buchtitels durchaus pathetische Darstellungen der schweren Industrie reproduzierten. Wurde hier – gleich ob durch auf Normalisierung bedachte Ausblendung oder durch dramatisch in Szene gesetzte Überhöhung – noch die von Kohle- und Stahlproduktion bestimmte Industrieregion porträtiert, bemühte sich der 1979 erschienene und bereits 1982 als „Meine Heimat Ruhrgebiet“ wiederaufgelegte Band „Das Revier. Bilddokumentation einer faszinierenden Region“ 44 schon um das Porträt einer Region im Wandel (Abb. 4). Neben etablierten Motiven schwerindustrieller Produktion zeigte der Band das Ruhrgebiet als Region dichter Infrastruktur, die durch die Abbildung von in Bewegung befindlichen Transportmitteln aller Art und lange Belichtungszeiten als dynamischer und von privater und wirtschaftlicher Mobilität geprägter Raum erschien. Luftbilder, die sowohl die dichte Siedlungsstruktur, Industrieanlagen von imposanter Ausdehnung als auch vermeintlich überraschend weitläufige Grünflächen zeigten, präsentierten die Region als gleichermaßen bedeutenden Industriestandort wie modernen städtischen Raum mit attraktiven Naherholungsmöglichkeiten. Ausführungen und Abbildungen historischer Stadtansichten und bedeutender Persönlichkeiten zeigten außerdem die vorindustrielle Tradition der Hellwegstädte und ihre Transformation zu einem hochindustriellen Ballungszentrum. Futuristisch inszenierte Laborszenen, moderne Landwirtschaft oder Branchen abseits der Montanindustrie führten die wirtschaftliche Zukunft der Region vor, die nicht postindustriell, sondern vor allem strukturell diversifiziert erscheinen sollte. Im Gegensatz zu den Fotografien Chargesheimers erstrahlten die abgebildeten Alltagsszenen nun in kräftigen Farben und zeigten nicht die kargen und engen Verhältnisse von Arbeitersiedlungen, sondern Szenen urbanen Freizeitvergnügens wie Straßencafés oder gemeinschaftlichen Wassersport. Dietrich Springorum, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim 1979 zum KVR umgebildeten Siedlungsverband, steuerte neben einer Einführung auch eine Art Epilog zum Bildband bei, der die ungewisse Zukunft der Region thematisierte und gleichzeitig Chancen aufzuzeigen suchte: Wohin die Menschheit, wohin die hochentwickelten, die unterentwickelten Länder des Globus sich denn hin bewegen, ob sie fort- oder wie immer schrei42 Bechthold, Gerhard / Lohse, Bernd (Hg.): Unsere Heimat: Das Revier. Landschaft, Natur, Kunstdenkmäler im Umkreis des Ruhrgebiets, Frankfurt am Main 1958. 43 Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (Hg.): Ruhrgebiet. Porträt ohne Pathos, Stuttgart / Berlin 1959. 44 Lau, Alfred (Hg.): Das Revier. Die Bilddokumentation einer faszinierenden Region, Bielefeld 1979.

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Abb. 4: Bildband „Das Revier“ aus dem Jahr 1979

ten werden – darüber mag so recht niemand mehr Schlechthinniges zum besten geben. Verflogen der Traum vom rastlosen weiter, weiter, weiter, immer neuem Fortschritt entgegen. Verflogen der lange Zeit gehätschelte Futurologen-Wahn, man müsse (schlicht und ergreifend die je erkennbaren Trends nur weiterspinnen (extrapolieren) [. . . ]. Der langen Rede kurzer Sinn: Wer will sich anmaßen über mögliche, denk- nein wünschbare Zukunftsperspektiven des Ruhrgebiets Schlüssiges auszusagen? Schamrot gestehe ich, daß ich mich für ‚überfragt‘, ach was für ‚überfordert‘ halte. Ein paar Gedankensplitter mögen gleichwohl herhalten. [. . . ] Der Bergbau wird auf geschrumpftem Stand weiterleben. Ob er aus eigener Kraft über die Runden kommt, steht dahin. Der Stahlkocherei stehen noch schwere Zeiten ins Haus. Zu dieser Aussage gehört keine prophetische Gabe. [. . . ] Daß der Himmel über der Ruhr von Jahr zu Jahr blauer werden wird – zu dieser Voraussage gehört nur mäßig entwickeltes Imaginationsvermögen. Und endgültig vorüber die Zeiten, in denen andernorts über das ‚Dreckloch der Nation‘ naserümpfend gelästert werden konnte. [. . . ] Wenn der Ex-Kohlenpott weiterhin sein Gesicht so entschieden wandelt wie in den letzten zwei Jahrzehnten, wenn jedermann seine ganze Kraft einsetzt, um aus dem Ruhrgebiet wirklich das Modell zu machen, dann wird das geschundene, mühsam immer und immer wieder belebte Land zur Ruhe kommen. Dann kann es schöpferisch und lebenswert werden; dann wird es die Heimat, auf die man stolz ist, zu der man sich bekennt, die man um keinen Preis mehr verlassen möchte. 45

Obwohl Springorum seiner Schlussbetrachtung Ausführungen zur Erschütterung des Glaubens an einen unbedingten Fortschritt und an die Vorhersagbarkeit der Zukunft voranstellte, die er nicht nur als regional spezifisch, sondern als globales Phänomen bewertete, präsentierte er eine Perspektive der Region, die nicht nur ihr selbst eine vielversprechende Zu-

45 Springorum, Dietrich: Wenn die Blütenträume reifen, dann wird der ‚Pott‘ für alle Heimat, in: ders. (Hg.), Das Revier. Die Bilddokumentation einer faszinierenden Region, Bielefeld 1979, S. 286–288.

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kunft zuerkannte, sondern in der sie gar als Modell für die „Welt des postindustriellen Zeitalters“ 46 fungieren könnte. Die Absage an die futurologische Vorhersagbarkeit von Zukunft diente also vor allem zur rhetorischen Plausibilisierung der anschließend entworfenen Zukunftsvorstellung, die das Ruhrgebiet – wenn auch unter Vorbehalt einer kollektiven Anstrengung – als erfolgreich gewandelte, lebenswerte und mithin heimatfähige Region zeichnete. Die Fotografien des Bildbands wurden somit zu Zeugen des Potenzials einer Region, deren prägende Schlüsselindustrien zwar in die Krise geraten waren, deren völlige Abwicklung aber dennoch nicht vorstellbar erschien. Der Band erscheint rückblickend als „Vorläufer [der] touristisch und werblich angelegten Bildbände“ 47, die in den folgenden drei Jahrzehnten in großer Zahl und immer kürzeren Abständen erscheinen sollten. Demgegenüber stand eine Reihe sozialkritischer Fotoreportagen aus dem Kontext der von Otto Steinert an der Folkwang Hochschule ausgebildeten Fotograf*innenschule, die den Strukturwandel des Ruhrgebiets mit einem „sachliche[n], analytische[n], gleichzeitig aber höchst subjektive[n] Blick“ 48 zu dokumentieren suchte. Nachdem der Fachbereich Gestaltung und somit auch der Bereich Fotografie der Folkwang Hochschule mit der Gründung der Gesamthochschule Essen 1972 in diese eingegliedert worden war, 49 hatten sich zwischen der Fotografie mit Otto Steinert und seiner Assistentin Ute Eskildsen und der Sozialgeschichte mit Lutz Niethammer und seinem Assistenten Ulrich Borsdorf Kooperationsprojekte entwickelt. Unter anderem ging daraus eine von Ute Eskildsen verantwortete Ausstellung im Folkwang Museum hervor, an dem sie seit 1979 als Kuratorin tätig war und die von Otto Steinert initiierte fotografische Sammlung aufbaute. 50 Der zur Ausstellung erschienene Bildband „Wie lebt man im Ruhrgebiet. Bewohner fotografierten, Bilder von Amateuren und Profis“ 51 steht stellvertretend für die von Steinert geprägte sozialdokumentarische Schule

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Ebd., S. 288. Grütter (2014), S. 291. Ebd., S. 289. Nach der Fusion zur Universität Duisburg-Essen wurde der Fachbereich 2007 wieder in der Folkwang Hochschule verankert, die sich seit 2010 „Folkwang Universität der Künste“ nennt; vgl. Groß, Maiken-Ilke: Die Folkwang Geschichte, URL: https://www.folkwang-uni.de/home/hochschule/ueber-folkwang/geschichte/ [letzter Zugriff: 16. Sep. 2019]. 50 Die Ausstellung wurde vom 18. 12. 1981 im Musuem Folkwang gezeigt und wanderte anschließend nach Oberhausen, Mülheim und Düsseldorf. Ab 1991 war Ute Eskildsen stellvertretende Leiterin des Folkwang Museums. 51 Eskildsen, Ute (Hg.): Wie lebt man im Ruhrgebiet. Bewohner fotografierten, Bilder von Amateuren und Profis, Essen 1981.

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Abb. 5: Bildband „Wie lebt man im Ruhrgebiet“ aus dem Jahr 1981

und gleichzeitig für die mit ihr einhergehende „Demokratisierung des Bildes vom Ruhrgebiet“ 52 über die Integration der Laienfotografie (Abb. 5). Neben Aufnahmen professioneller Fotograf*innen standen Bilder von Vereinen und Initiativen sowie von Privatpersonen, die auf einen per Flugblatt verbreiteten Aufruf zur Teilnahme an einer Fotoausstellung mit dem Thema „Wohnen und Arbeiten“ 53 reagiert hatten. Die überwiegend als Schwarz-Weiß-Aufnahmen eingesandten Bilder zeigten Szenen montanindustrieller Arbeit und heruntergekommene Industriebrachen, Reihenhaus- und Arbeitersiedlungen, Bilder aus Familien- und Schulalltag, aus Vereinsleben und von Stadtteilfesten. Sie zeigten auch Graffiti mit ausländerfeindlichen Parolen mitsamt Erwiderungen und „No-future“-Parolen sowie andere Formen jugendlichen Protests. Die Bilder wurden zwar ihren Urheber*innen entsprechend in gekennzeichnete Kapitel unterteilt und so als Aufnahmen von Amateur*innen oder professionell ausgebildeten Fotograf*innen sichtbar. Die Publikation im selben Bildband und die ähnliche Bildsprache, die den Fokus nicht auf ästhetisierende Darstellung, sondern subjektive Dokumentation legte, ließ die Aufnahmen aber dennoch als Bilder einer zusammenhängenden und gleichberechtigten dokumentarischen Reihe erscheinen. Der Titel markierte den Bildband als Innensicht auf die Region, die von Bewohner*innen dokumentiert wurde, die wie beiläufig ihren Lebensalltag fotografierten. Sowohl Titel als auch Bildsprache des Bands lassen sich als Authentisierungsstrategien lesen, 54 die den Fotos als 52 Grütter (2014), S. 289. 53 Eskildsen, Ute: Zur Ausstellung, in: Eskildsen, Ute (Hg.), Wie lebt man im Ruhrgebiet. Bewohner fotografierten, Bilder von Amateuren und Profis, Essen 1981, S. 4–5, S. 4. 54 Vgl. dazu auch Pirker, Eva Ulrike / Rüdiger, Mark: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Annäherungen, in: Uike-Bormann, Michiko, et al. (Hg.), Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010, S. 11–30.

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Abbildung des alltäglichen Lebens im Ruhrgebiet ein hohes Maß an Authentizität zuschreiben sollten. Der Band zeigte somit das Ruhrgebiet nicht allein als städtischen Ballungsraum, sondern zeigte vor allem auch seine Bewohner*innen, deren fotografische Praxis zwischen eigensinniger Aneignung des Alltags und Reproduktion verinnerlichter visueller Normen und Klischees sichtbar werden sollte. 55 Während zeitgleich Niethammer und seine Mitarbeiter*innen im LUSIR-Projekt mit der Erforschung der vergangenen Lebenswelt der Ruhrgebietsbewohner*innen zwischen 1930– 60 begonnen hatten, 56 dokumentierten Projekte wie der Bildband die gegenwärtige Lebenswelt im Ruhrgebiet durch die Brille dort lebender Laien oder vor Ort ausgebildeter Fotograf*innen. Explizit den Blick von außen suchte dagegen der Kommunalverband Ruhr mit dem Band „24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis“ 57, für den der Verband über 70 teilweise einheimische, vor allem aber internationale Fotojournalist*innen damit beauftragte, die Region einen Tag lang zu porträtieren. Die großformatigen, häufig doppelseitig abgedruckten Farbfotos sollten dabei nicht nur verschiedene Ruhrgebietsstädte, sondern auch unterschiedliche Themenbereiche abbilden, die von Alltagsleben, über Landschaft, Arbeit und Freizeit, über prominente Persönlichkeiten und Kultureinrichtungen bis Architektur und Verkehr reichten. Noch vor Beginn des eigentlichen Bildteils standen großformatige Gruppenporträts einer Kindergartengruppe, von Schülerinnen, einer Bauernfamilie, eines Rentners – den erst die Bilderklärung im Anhang als ehemaligen Bergmann auswies –, zwei älteren Gastronom*innen und jugendlichen Teilnehmer*innen eines Tanzkurses. Die Vorworte des Ministerpräsidenten, der KVR-Vertreter und des Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Photographie, der gleichsam für den ästhetischen und bildjournalistischen Anspruch des Projekts bürgte, wurden also von Porträts begleitet, die genauso gut Menschen aus jeder anderen Region hätten zeigen können. Erst auf die Titelei folgten Bilder eines Manns in Bergmannstracht und einer Industriekulisse in der Morgendämmerung, die typische Ruhrgebietsmotive zitierten. Sie rahmten die einleitenden Worte Ralf Lehmanns, der als WAZ-Journalist und späterer Chefredakteur die Texte zum Bildband beisteuerte. Als Ausgangspunkt seiner Einführung wählte Lehmann den ikonischen Bildband von Böll und Chargesheimer, der ihm „fremde Men-

55 Vgl. Blohm, Manfred: Sehen Lernen, erlerntes Sehen? Anmerkungen zur Sektion Amateurfotografie, in: Eskildsen, Ute (Hg.), Wie lebt man im Ruhrgebiet. Bewohner fotografierten, Bilder von Amateuren und Profis, Essen 1981, S. 9–14. 56 Zum LUSIR-Projekt siehe Kapitel 3.5. 57 Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985.

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schen einer fremden Welt“ 58 gezeigt hätte. Sich selbst stellte er als in die Region Zugezogener vor, deren „Gegenwart verstellt von den Bildern der Vergangenheit“ sei, die ihn im Gegensatz zu „den alten, stolzen Städten, [. . . ] dem flachen Land“ aber schon lange als Bürger und nicht mehr als Fremden behandle. Erklärtes Ziel des KVR war es, mit dem Band „bestehende Vorurteile dem Ruhrgebiet gegenüber abzubauen und die Bilder in den Köpfen Außenstehender mit den Wirklichkeiten der Region in Einklang zu bringen“ 59. Die neuen Fotografien sollten ein „wahrheitsgetreues Bild“ der Region mit „Situationen aus allen Bereichen und Sparten des Daseins“ zeigen. Dieses Bild reichte von konventionellen Motiven industrieller Arbeit und Architektur, häufig kontrastiert mit Aufnahmen grüner Natur, auch hin zur Abbildung verschiedener Zeitschichten als Repräsentation des strukturellen Wandels. So hatte Peter Thomann, der im Gegensatz zu den vielen anderen der im Bildband vertretenen Fotograf*innen seine Ausbildung bei Otto Steinert und damit in der Region absolviert hatte, für seinen Beitrag einen Zeitungsaufruf veröffentlicht, mit dem er ehemalige Bergleute in der denkmalgeschützten Maschinenhalle der Zeche Zollern zusammengerufen hatte. Mit Anzug und Gehstock hatten sich die ehemaligen Berglehrlinge des Jahrgangs 1937 bei Freibier in der Halle versammelt und draußen vor dem Jugendstileingangstor alte Gruppenfotos nachgestellt. Der Band enthielt aber nicht nur das nachgestellte Gruppenbild der pensionierten Bergleute, sondern bildete das gemeinsame Betrachten der historischen Aufnahmen in den Räumen der ehemaligen Maschinenhalle und somit verschiedene Zeitschichten ab. Die Bildsprache betonte diese pluritemporale Perspektive, indem etwa beim gemeinsamen Betrachten der historischen Aufnahmen ein Geh- zum Zeigestock wurde oder einer der gealterten Bergleute einen Handstand auf den Resten des maschinellen Inventars ausführte und sich so in jugendlich spielerischer Pose den zum Museum gewordenen Arbeitsplatz aneignete (Abb. 6 und 7). Der mehrfach

58 Lehmann, Ralf: Einführung, in: ders. (Hg.), 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 15. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. Lehmanns abschließende Feststellung, die Menschen hätten „hier eine Heimat gefunden“, schloss an das Grußwort des Ministerpräsidenten an, der mit Referenz auf das Narrativ des Schmelztiegels Ruhrgebiet ebenfalls die Heimat- und Zukunftsfähigkeit der Region betonte, vgl. Rau, Johannes: Grußwort, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 5: „Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturkreisen haben sich über Genrationen hinweg zusammengefunden, haben hier eine Heimat und eine gemeinsame Zukunft gefunden.“ 59 Kuhlmann, Werner / Gramke, Jürgen: Grußwort, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 5 Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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Abb. 6: Fotografie von Peter Thomann im Bildband „24 Stunden Ruhrgebiet“

ausgezeichnete Stern-Fotograf Thomann legte den Fokus nicht auf die denkmalwerte Jugendstilarchitektur der Zeche Zollern oder ihre museale Nutzung. Motiv seiner Bilder war vielmehr das Verhältnis zwischen den zu Rentnern gewordenen Bergleuten und der zur Repräsentation des im Vergehen befindlichen Steinkohlenbergbaus gewordenen Zeche. Der begleitende Text von Ralf Lehmann verwies einerseits darauf, dass die Gründe für den Denkmalschutz den ehemaligen Bergleuten zwar abstrakt und unverständlich erschienen, sie die Wertschätzung der industriellen Vergangenheit aber trotzdem freue. Sie sei im Ruhrgebiet erst spät entwickelt worden, da es „wohl erst Abstand“ 60 zu dieser Vergangenheit gebraucht habe. Zusammen mit den Bildern Thomanns, die nicht auf die ästhetische Wirkung einer im Jugendstil erbauten ‚Kathedrale der Arbeit‘ setzte, sondern auf die heitere Aneignung der denkmalgeschützten Halle durch die in ihre Jugend zurückversetzten gealterten Bergleute, transportierte der Band die Aussage, dass es weniger abstrakte Gründe des Denkmalschutzes, sondern vor allem die Menschen des Ruhrgebiets seien, die der nun als erhaltenswert aufgefassten Industriegeschichte ihre Bedeutung zuwiesen. Im selben Jahr publizierte dagegen das Westfälische Industriemuseum, das gerade seine Zentrale auf dem Gelände der Zeche Zollern einrich-

60 Lehmann, Ralf: 24 Stunden Ruhrgebiet, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 156.

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tete, mit dem Band „Bestandsaufnahme. Stillgelegte Anlagen aus Industrie und Verkehr in Westfalen“ 61 eine Dokumentation denkmalgeschützter Industrierelikte und ihres baulichen Zustands (Abb. 8). Die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos des LWL-Mitarbeiters Berthold Socha zeigten nur die Gebäude im Spiel zwischen Licht und Schatten, ganz ohne Menschen. Aufnahmen in der Totale wechselten sich ab mit Bildern architektonischer Details oder Gebäudeteilen, die sich aus Perspektivwechseln des Fotografen ergaben. Die Fotografien dokumentierten die Ästhetik der Industriearchitektur, aber auch den Verfall durch Rost, bröckelnde Bausubstanz oder Überwucherungen durch Pflanzen. Sie hatten keinen anklagenden Ton in der Dokumentation des Verfalls, sondern integrierten diesen vielmehr in die Ästhetik der Bildsprache. Der Bildband war Teil des Entstehungsprozesses des Westfälischen Industriemuseums, das sich gut ein halbes Jahrzehnt nach seiner Gründung 1979 noch im Aufbau befand. Im kosten- und zeitintensiven Aufbauprozess des Industriemuseums diente der Bildband als Medium, das nicht nur Zweck und Ausrichtung des Museums sprachlich erläutern sollte, sondern auch die für das Konzept des Industriemuseums so zentrale Bedeutung der Vermittlung von Industriegeschichte am authentischen Ort kommunizierte. Die fotografische Ästhetisierung des

Abb. 7: Fotografie von Peter Thomann im Bildband „24 Stunden Ruhrgebiet“

61 Socha, Berthold (Hg.): Bestandsaufnahme. Stillgelegte Anlagen aus Industrie und Verkehr in Westfalen, Hagen 1985.

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Abb. 8: Bildband „Bestandsaufnahme“

Abb. 9: Bildband „Das darf nicht weg“

Verfalls sollte also für diesen sensibilisieren und als „Mahnung“ fungieren. 62 Ähnlich hatte bereits zwei Jahre zuvor der kleinformatige Bildband „‚Das darf nicht weg!‘. Historische Industrieobjekte in Nordrhein-Westfalen“ 63 die Beziehung zwischen den im Aufbau befindlichen Industriemuseen der beiden Landschaftsverbände und ihrer authentischen Standorte ins Bild zu setzen gesucht. Anders als beim Band des Westfälischen Industriemuseums wurden hier nicht allein Bilder aus dem Bestand der Landschaftsverbände genutzt, sondern die Zuschriften der Ruhrgebietsbewohner*innen auf einen von der Bild-Zeitung initiierten Fotowettbewerb publiziert. Stellte der erste Teil des Bands zunächst die Industriemuseen und ihre geplanten Standorte vor, wofür kleinformatige Fotografien der

62 Den Bildern waren daher zunächst Ausführungen zu Zweck und Ausrichtung des Museums von dessen Leiter und dann ein erläuternder Aufsatz von Helmut Knirim, späterer Leiter des LWL-Museumsamts, zu den Fotos Sochas vorangestellt. Er erläuterte, dass der Bildband trotz des Titels keine Bestandsaufnahme im Sinne einer detaillierten Dokumentation des baulichen Zustands der jeweiligen Industriedenkmale anstrebe. Vielmehr schaffe „die Realität des Verfalls [. . . ] den Reiz und ist Ausgangspunkt für eine ästhetische Bildrealität, die den Betrachter in seinen Bann zieht und somit eventuell eher auf das Phänomen des Verfalls aufmerksam macht als eine nüchterne Dokumentation“, Knirim, Helmut: Bestandsaufnahme. Zu den Fotografien Berthold Sochas, in: ders. (Hg.), Bestandsaufnahme. Stillgelegte Anlagen aus Industrie und Verkehr in Westfalen, Hagen 1985, S. 9–15, S. 15. 63 Rheinisches Museumsamt: „Das darf nicht weg!“, in: Rheinisches Museumsamt (Hg.), „Das Darf nicht weg!“. Historische Industrieobjekte in Nordrhein-Westfalen, Köln 1983, S. 25–87.

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Orte eher als Illustrationen zum Text dienten, war der zweite Teil den besten Einsendungen des Fotowettbewerbs gewidmet. Der Aufruf unter dem Motto „Das darf nicht weg!“ hatte die Bewohner*innen der Region aufgefordert, Bilder von Bauwerken und Objekten zu machen, die aus ihrer Sicht Arbeit und Alltag der Industriegesellschaft symbolisierten (Abb. 9). Eine Jury hatte zunächst aus den 1200 Einsendungen die 100 besten ausgewählt, die dann vom Rheinischen Museumsamt zu einer Ausstellung zusammengestellt und als Bildband publiziert wurden. Die häufig seitenfüllenden Schwarz-Weiß-Fotografien zeigten Bauwerke oder Objekte, auf denen bis auf wenige Ausnahmen keine Menschen zu sehen waren, auch wenn es sich beispielsweise um Ansichten von Bergarbeitersiedlungen handelte. Der auf potenziell vom Verschwinden bedrohte Bauwerke fokussierte Zeitungsaufruf rückte vor allem die historische Bausubstanz in den Mittelpunkt des fotografischen Interesses. Durch den appellativen Titel des Bildbands und die Darlegung seines Entstehungszusammenhangs präsentierte er die abgebildeten Bauwerke und Gegenstände als Objekte von kulturellem Wert, der durch die Einsendungen der Bürger*innen und die Juryauswahl als Konsens zwischen Laien und Expert*innen erschien. Der Band zeigte also nicht allein die Gebäude, sondern präsentierte gleichzeitig auch den Wunsch nach ihrem Erhalt als breiten gesellschaftlichen Konsens. Somit zählte er gemeinsam mit den zwei Jahre später publizierten Fotografien Sochas zu den „ersten fotografischen Bestandsaufnahmen der zunehmend von Verfall und Abriss bedrohten Industrieanlagen, die unter anderem durch [diese] Publikationen [. . . ] zunehmend den Status von Industriedenkmalen erlangten“ 64. Standen sie mit den Bildern der montanindustriellen Produktionsstätten und Siedlungen für „das alte Bild des Ruhrgebiets“, erschien wenig später ein Bildband zu einer Fotoausstellung des Ruhrlandmuseums, deren Titel in der Auseinandersetzung um Selbstund Fremdbild der Region zu einem zentralen Bezugspunkt wurde. Unter dem Titel „Endlich so wie überall?“ 65 zeigte eine von Ute Eskildsen und Ulrich Borsdorf kuratierte Ausstellung Bilder von zehn Fotograf*innen, die 1985 damit beauftragt worden waren, aus der Perspektive teilnehmender Beobachter*innen ein Jahr lang die sich wandelnde Region zu porträtieren (Abb. 10). Festgelegt waren Themen wie „Die Städte“, „Revierlandschaften“ oder „Revierbewohner anderer Kulturen“, die den einzelnen Fotograf*innen je unterschiedliche Perspektivierungen ihrer Betrachtungen vorgaben. Die Bilder von Fotograf*innen wie Thomas Struth wurden zwei Jahre später zusammen mit kurzen Aufsätzen von Hoch64 Grütter (2014), S. 293. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 65 Borsdorf, Ulrich / Eskildsen, Ute (Hg.): Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet, Essen 1987.

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Abb. 10: Bildband „Endlich so wie überall?“

schullehrern der Region wie Lutz Niethammer oder Hermann Sturm, aber auch mit literarischen Texten als Bildband publiziert. Die Texte thematisierten aus verschiedenen Perspektiven das Ruhrgebiet als Industrielandschaft und die Zuschreibung von ‚Heimat‘, ob aus der Perspektive von Migrant*innen, vor dem Hintergrund fehlender individueller Zukunftsperspektiven oder der ästhetischen Qualität der Landschaft. 66 Die Texte problematisierten damit überwiegend den spezifischen Charakter des Ruhrgebiets als Industrieregion. Die bis auf die Themen „Arbeitsplätze“ und „In der freien Zeit“ in schwarz-weiß aufgenommenen Fotografien zeigten vor allem dann das Ruhrgebiet als regional spezifisch, wenn sie etablierte Motive wie etwa Industriekulissen in Kontrast zu ländlich geprägten Szenerien oder die Architektur von Zechenanlagen und -siedlungen abbildeten. Die Bilder des Alltags-, Arbeits- und Freizeitlebens verzichteten dagegen auf konventionelle Motive wie Taubenzucht oder kohlestaubverschmierte Bergleute. Die titelgebende Frage „Endlich so wie überall?“ brachte die Spannung zwischen Normalisierung und regionaler Besonderheit von Selbst- und Fremdwahrnehmung des Ruhrgebiets auf den Punkt. Das dem Band zugrunde liegende Projekt war Teil der Bemühungen zum Aufbau einer fotografischen Sammlung zur Geschichte des Ruhrgebiets, die nicht nur historische Ansichten der Region, sondern vor allem

66 Vgl. z. B.: Baykurt, Fakir: Kräuterelixier. Ye¸sil otla iksiri, in: Borsdorf, Ulrich / Eskildsen, Ute (Hg.), Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet, Essen 1987, S. 46–51; Leistner, Cornelie: Drei Begegnungen, in: Borsdorf, Ulrich / Eskildsen, Ute (Hg.), Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet, Essen 1987, S. 77–80; Brüggemeier, Franz-Josef: Im Emschergrund, am Waldesrande. Erste Anmerkungen zu einer Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet, in: Borsdorf, Ulrich / Eskildsen, Ute (Hg.), Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet, Essen 1987, S. 30–34.

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auch ihren Wandel archivieren sollte. Der fotografische Auftrag stand gleichermaßen in der Tradition der nach dem spezifischen und spektakulären Bild des Industriemolochs suchenden Reportagefotografie der 1920er Jahre, der auf Dokumentation und Firmenwerbung ausgerichteten frühen Werksfotografie und der auf Normalisierung und Imagepolitik abzielenden Selbstdarstellung der Städte, wie Lutz Niethammer in seiner Einführung deutlich machte. Sich von diesen Traditionen emanzipierend sollten die aus der Region stammenden oder dort ausgebildeten Fotograf*innen einen eigenen Blick auf das Ruhrgebiet entwickeln, der dezidiert als Gegenbild zur intensiven Imagepolitik des KVR intendiert war: Die Bilder wollen sich nicht einfühlen, sondern sie wollen Gefühle freisetzen, die in verengter Wahrnehmung begraben wurden. [. . . ] Dadurch konnten diese Bilder einer neuen Generation fotografischer Intellektueller aus dem Revier dazu beitragen, daß der andernorts betriebenen Imagebildung für das starke Stück Deutschland durch eine aktive Identitätsbildung von unten und innen Leben eingehaucht wird, damit sie nicht zur Maskenbildnerei verkommt. 67

Ähnlich wie im Fall der zeitgleich an Bedeutung gewinnenden ‚Geschichte von unten‘ bezeichnete „von unten und innen“ hier eher die Motive der Beobachtung als ihre Akteur*innen, handelte es sich schließlich um eine von der Kulturstiftung Ruhr beauftragte und von wichtigen Museen der Region initiierte und kuratierte fotografische Dokumentation, die ihren Anspruch auf eine Bottom-up-Perspektive vor allem aus dem Gegensatz zur Imagepolitik begründete. 68 Im Gegensatz zur als „Maskenbildnerei“ tendierenden Imagepolitik sollte die fotografische Sammlung, die sich mit dem Bildband einem breiten Publikum präsentierte, ein authentisches Bild der Region zeichnen, das dem verordneten Image eine „von unten“ legiti-

67 Niethammer, Lutz: Neue Aspekte der Ruhr-Kultur. Zu einer Sammlung aktueller Fotodokumentationen aus dem Ruhrgebiet, in: Borsdorf, Ulrich / Eskildsen, Ute (Hg.), Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet, Essen 1987, S. 6–9, S. 9. 68 Im Vorwort zu seinem vom KVR herausgegebenen Bildband „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland im Bild“, das viele Motive der gleichnamigen Imagekampagne enthielt, reflektierte der auch am Projekt „Endlich so wie überall?“ beteiligte Fotograf Jörg Schumacher diese Position: „Die Studenten hatten ein Ideal: soziale Gerechtigkeit, und ein Feindbild: die Wohlstandsgesellschaft. Wir glaubten, selbst zu den Unterprivilegierten zu gehören, fühlten uns solidarisch. Das drückte sich in den Themen aus, an denen wir arbeiteten. Als Fotografen brauchten wir keine Reisen zu unternehmen, um die Realität aus unserer Sicht abzulichten. In körnigen, kontrastreichen, mehr schwarzen als weißen Bildern zeigten wir Ansichten vom Ruhrgebiet, die sich wenig von Nachkriegsbildern unterschieden. Schönes, Positives, in unserer Umgebung zu thematisieren, wäre geradezu obszön gewesen.“ Schumacher, Joachim: Vorwort, in: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland im Bild. Fotos: Joachim Schumacher; Texte: Margarethe Lavier, Wolfgang Schulze, Bottrop / Essen 1995, S. 2–3, S. 2.

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mierte Identität entgegensetzten sollte. 69 Als Abgrenzungsfolie diente hier die Imagekampagne des KVR, die ab 1985 zehn Jahre lang unter dem Titel „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“ 70 lief. Veröffentlichung eines Imageplakats

Die in ihrer zehnjährigen Laufzeit mehrfach preisgekrönte Imagekampagne wurde zunächst national, später in einer englischen Version unter dem Titel „The Ruhr – The Driving Force of Germany“ 71 auch international publiziert. Wie schon aus dem Titel hervorgeht, zielte die insgesamt etwa 35 Millionen DM teure Kampagne darauf, das Ruhrgebiet als zusammenhängende Region zu präsentieren, die besonders in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsam für die ganze Bundesrepublik war. Das Logo der Kampagne zeigte dementsprechend eine stilisierte Karte des KVR-Verbandsgebiets, eingefärbt in den nordrhein-westfälischen Landesfarben rot-weiß-grün. In das Logo eingefügt war der erste Teil das Kampagnenslogans, „Das Ruhrgebiet“, darunter folgte der Slogan „Ein starkes Stück Deutschland“. Das Logo kommunizierte somit die drei räumlichen Ebenen des Ruhrgebiets als einheitliche und zumindest dem Anspruch nach eigenständige Region innerhalb des Lands NRW, die sich aber für die übergeordnete, nationale Raumebene als wichtig und bedeutsam präsentieren wollte. Gerade zu Anfang lag der Schwerpunkt der Kampagne noch auf einer Abgrenzung vom Image der schmutzigen Industrieregion, wie eines der ersten Motive der Kampagne verdeutlicht. Es zeigte das Ruhrgebiet als idyllische Szenerie – Kühe liegen im grünen Gras vor von Bäumen gesäumtem sauberen Wasser. Auf die Frage eines fiktiven Besuchers, wo es hier bitte zum Ruhrgebiet gehe, gab der das Motiv begleitende Text die vermeintlich überraschende Antwort, dass der Betrachter sich bereits mittendrin befinde (Abb. 11). Denn das Ruhrgebiet sei keineswegs eine graue Industrielandschaft, wie sein Image es Mitte der 1980er Jahre noch erwarten lasse, sondern voll von grüner Natur – eine Botschaft, die Gegenstand

69 Tatsächlich entstand unter anderem bedingt durch die von Otto Steinert ausgehende Fotograf*innenschule sowie durch die aus der Kooperation zwischen Folkwang Hochschule und Museum und der Sozialgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Essen und dem Ruhrlandmuseum hervorgegangenen Projekten eine ausgeprägte „Autorenfotografie“, die das Ruhrgebiet als Region im Wandel dokumentierte; vgl. Grütter (2014), S. 295. Vgl. als Beispiel hierfür Parent, Thomas / Stachelhaus, Thomas (Hg.): Stadtlandschaft Ruhrrevier. Bilder und Texte zur Verstädterung einer Region unter Einfluß von Kohle und Stahl, Essen 1991. 70 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet (1996). 71 Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): The Ruhr. The Driving Force of Germany. An Investors’ Guide, Essen 1992.

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Abb. 11: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1985

vieler Motive der Kampagne war. Um das Image der grauen Industrielandschaft abzustreifen, zeigte eine Vielzahl der insgesamt 160 Anzeigenmotive das Ruhrgebiet über die gesamte Laufzeit hinweg als Raum voll von grüner Natur. Ob als „Zentrum der Rosen“ 72 oder Vorreiter im Naturschutz 73 verfolgten die Bilder von bunten Blumen und grünen Wald- und Wiesenlandschaften den doppelten Zweck, das Ruhrgebiet als Raum vorbildlichen Naturschutzes und voller Möglichkeiten zur naturnahen Freizeiterholung für Besucher*innen und (zukünftige) Bewohner*innen zu vermarkten. Landwirtschaftliche Szenen unterstrichen daneben einerseits die Darstellung eines unerwartet grünen Raums und sollten andererseits die lange Agrartradition des vermeintlich rein industriell geprägten Ruhrgebiets vorführen, womit es an konventionelle Vorstellungen von Kulturlandschaft anschlussfähig werden sollte. 74 Das Negativimage des grauen Industriegebiets sollte aber nicht allein durch Bilder grüner Natur dekonstruiert, sondern auch durch das Bild einer besonders lebenswerten Freizeit- und Kulturregion ersetzt werden. Neben ländlicher Idylle zeigte eine Vielzahl der Plakatmotive daher Szenen urbanen Freizeitvergnügens, das explizit auf Charakteristika internationaler Metropolen verwies oder gängige Klischees über das Ruhrgebiet zu wi72 Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 41. 73 Vgl. z. B. Motive aus den Jahren 1989 und 1991, ebd. S. 77; 109. 74 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2.4.

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Abb. 12: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1990

derlegen suchte. So stellte etwa ein Plakat mit einer Szene aus einem Dortmunder Café das Ruhrgebiet als Region mit „einer großen KaffeehausTradition“ 75 vor oder ein zum Plakatmotiv erhobener Veranstaltungskalender kündigte an, das Ruhrgebiet sei eine „Theaterlandschaft, die mehr Bühnen zählt als beispielsweise der Broadway“ 76 (Abb. 12). Derartige Plakate zeigten das Ruhrgebiet als Metropolregion, die ihre Urbanität durch die Referenz auf andere Metropolen zur Schau stellte. 77 Zwar ist Urbanität häufig „Stoff des Stadtmarketings, das in der Absicht, die innere Identität und die Attraktivität nach außen zu steigern, Städte zum Produkt erklärt und konkurrenzfähig positioniert“ 78, wie Ute Schneider und Martina Stercken betonen. Die während und nach der IBA in ihrer Dezentralität häufig als modellhaft hervorgehobene besondere Urbanität des Ruhrgebiets erschien zurzeit dieser Kampagne aber noch in erster Linie als defizitär

75 Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 30. 76 Ebd., S. 86. Ähnlich auch auf einem Plakatmotiv im Jahr 1985, das eine Szene aus dem Schauspielhaus Bochum zeigte: „Aber Bochum ist nicht das einzige FeuilletonistenZiel im Ruhrgebiet. Hier gibt es nämlich mehr Sprech- und Musikbühnen als beispielsweise in New York.“ Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 12. 77 Vgl. weitere Referenzen z. B. auf München und New York, Kommunalverband Ruhrgebiet (1996) S. 96; 67. 78 Schneider, Ute / Stercken, Martina: Urbanität. Formen der Inszenierung, in: Schneider, Ute / Stercken, Martina (Hg.), Urbanität. Formen der Inszenierung in Texten, Karten, Bildern, Köln / Weimar / Wien 2016, S. 11–20, S. 14 f.

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und normalisierungsbedürftig. Wird mit Schneider und Stercken Urbanität nicht „als etwas Gegebenes, sondern als etwas Vermitteltes betrachtet, so lassen sich verschiedenartige, jeweils zeitgebundene Formen, Strategien und Momente beschreiben, in denen die Stadt insgesamt oder hervorragende urbane Eigenschaften konzipiert und vermarktet werden“ 79. Die Kampagne des KVR konzipierte das Ruhrgebiet als urbanen Raum, indem es die Charakteristika internationaler Metropolen wie New York als Prototyp des Städtischen zitierte und sich als diesen ebenbürtig oder gar überlegen darzustellen suchte. Ein anderer Teil der Strategie zur visuellen Normalisierung des Ruhrgebiets zielte vor allem auf den Abbau gängiger Klischees über den Lebensalltag in der Region. So zeigte beispielsweise ein Plakat aus dem Jahr 1988 eine strahlende junge Frau beim Aufhängen ebenso strahlend weißer Wäsche, um das Bild der vom Ruß endlos qualmender Fabrikschlote geschwärzten Wäsche der Vergangenheit zuzuweisen (Abb. 13). 80 Der blaue Himmel über der Ruhr sollte nicht mehr als Zukunftsvision, sondern als längst verwirklichte Gegenwart präsentiert werden. So zeigte ein Plakat aus dem Jahr 1991 einen kleinen Jungen, der auf einem Heuballen liegend die „frische Luft“ 81 des Ruhrgebiets einatmete, und verdeutlichen sollte, dass für die Bevölkerung und insbesondere für die Kinder keine Gefahr durch industrielle Luftverschmutzung mehr drohte (Abb. 14). Sollten derartige Motive das Ruhrgebiet vor allem als lebenswerte Region für (zukünftige) Bewohner*innen zeigen, richtete sich eine Reihe anderer Motive an Investor*innen und Unternehmen, die zur Ansiedlung von Kapital und Produktionsstäten bewegt werden sollten. Neben neuen Produktionszweigen und Formen der Arbeit sollten vor allem auch die vielen Ausbildungsstätten vom Handwerk bis zur universitären Hochschulbildung das Ruhrgebiet für Investor*innen attraktiv machen. Bereits das allererste Motiv der Kampagne und eine Reihe weiterer nach ihm zeigten das Ruhrgebiet als Region mit einer besonderen Dichte an Universitäten und einem breiten Bildungsangebot, das hochqualifizierte potenzielle Arbeitskräfte für zukünftige Unternehmensansiedlungen bereitstellen würde. 82 Außerdem galt es, sich weiterhin als erfolgreiche Industrieregion zu präsentieren, die aber nicht mit den Schlüsselindustrien der Vergangenheit, sondern mit neuen Technologien und zukunftsweisender Forschung assoziiert werden sollte. So zeigten die Plakate nicht die Montanindustrie, sondern neue Branchen wie die Produktion von Mi79 80 81 82

Ebd., S. 15. Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 63. Ebd., S. 111. Vgl. z. B. Kommunalverband Ruhrgebiet (1995), S. 9, 13, 31.

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Abb. 13: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1988

Abb. 14: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1991

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Abb. 15: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1988

krochips, Kommunikations- und Robotertechnologie sowie die Automobilindustrie. 83 Das Motiv zur Automobilindustrie im Ruhrgebiet zeigte hierbei mit der Ansiedlung eines neuen Produktionszweigs auf ehemaligem Zechengelände nicht nur eine klassische strukturpolitische Maßnahme. Vielmehr führte es diese als expliziten Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft vor: in einer bildfüllenden, blank polierten Motorhaube spiegelte sich in der rechten, oberen Ecke leicht verschwommen ein alter Förderturm, der sich dem blitzenden, gestochen scharfen Opelzeichen in der linken, unteren Bildecke gegenübergestellt sah (Abb. 15). Unter dem plakativen Slogan „Bochum macht auch ohne Kohle Kohle.“ 84 machte der zugehörige Anzeigentext die ohnehin wenig subtil dargestellten Zeitschichten des Motivs explizit: „Dieses Bild ist ebenso symbolträchtig wie bedeutsam: Der sich auf dem Opel spiegelnde Förderturm steht für die Vergangenheit, das Auto für die Gegenwart und Zukunft Bochums.“ Gut 25 Jahre bevor im hochsubventionierten Opelwerk das letzte Fahrzeug vom Band lief, gab man sich sicher: „Doch man ist auf dem richtigen Weg: Im Ruhrgebiet geht’s jetzt mit Vollgas in die Zukunft.“ Mit der dreifachen Verwendung des Begriffs „Zukunft“ innerhalb des kurzen Anzeigentexts steht das Mo-

83 Vgl. ebd., S. 64, 65, 53, 47. 84 Ebd., S. 64. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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tiv stellvertretend für das in Bild und Text vorgetragene Postulat einer Zukunft für die Region, deren Imagekampagne „nichts anderes als Wirklichkeiten, die dem enggefaßten und heute falschen Image des Ruhrgebiets widersprachen“ 85 präsentiere, wie die Verantwortlichen versicherten. In der Motorhaube spiegelte sich nicht nur der verschwommene Förderturm, sondern auch die Morgendämmerung. Als Symbol der Hoffnung prognostizierte sie den Anbruch einer neuen und anderen, wenn auch weiterhin industriellen Zukunft der Region, die sich als durch Planung und Strukturpolitik gestaltbar zeigte. Die montanindustrielle Vergangenheit der Region bestimmte dagegen nur ein einziges der rund 160 Kampagnenmotive und zwar in Form des ikonischen Eingangstors der denkmalgeschützten Maschinenhalle der Zeche Zollern. Nicht nur der Slogan „Dortmund hat der Industrie-Architektur ein Denkmal gesetzt“ 86, sondern auch der Anzeigentext führte das Bild des Industriedenkmals dabei im Modus einer auf Gestaltung ausgerichteten Bewahrungszukunft vor. Als Symbol für die Unterschutzstellung montanindustrieller Bauwerke und Siedlungen und vor allem deren musealer Umnutzung sollte das Bild als Beleg einer zukunftsgerichteten Form der Vergangenheitsorientierung dienen: „Denn im Ruhrgebiet denkt man für die Zukunft auch an die Vergangenheit.“ 87 Mit dem Jugendstiltor in der Totale fokussierte das Bild vor allem auf den architektonischen und somit kunsthistorischen Wert des Industriedenkmals, nicht aber auf die Technikoder Sozialgeschichte des Bergbaus. Insgesamt finden sich in der Kampagne kaum Motive, welche die Vergangenheit der Region zum Thema machen, wobei ein Motiv aus dem Jahr 1987 eine besonders interessante Ausnahme bildet. Das Motiv zeigt eine Reihe von Zeichnungen, die auf verschiedene Momente oder Ereignisse in der Geschichte der Region referieren (Abb. 16). Die Geschichte des Ruhrgebiets, das als Region tatsächlich erst durch die Industrialisierung hervorgebracht wurde, begann hier mit Mammuts jagenden Neandertalern in Bottrop, ca. 80.000 vor Christus. Die visuelle Geschichtserzählung der Region setzte sich fort mit dem antiken Rom, über das christliche Mittelalter hin zur Frühen Neuzeit und endete mit der Französischen Revolution inmitten der von Reinhart Koselleck wirkmächtig beschriebenen Sattelzeit – der Entstehungszeit des modernen, offenen und fortschrittlichen Verständnisses von Zukunft. Obwohl die Industriegeschichte des Ruhrge-

85 Willamowski, Gerd: Das Ruhrgebiet packt aus, in: ders. (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 2–18, S. 2. 86 Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 78. 87 Ebd., S. 78.

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Abb. 16: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1987

biets in keiner der Zeichnungen vorkam und somit nicht zum Bild seiner Geschichte zu gehören schien, betonte der begleitende Text die Bedeutung der Industrialisierung für die Region und für die bundesdeutsche Wirtschaft. Er postulierte, dass die lebendige Vergangenheit der Region eine faszinierende Zukunft garantiere, und untermauerte damit den Slogan des Motivs: „Das Ruhrgebiet hat nicht nur Zukunft.“ 88 Dass es überhaupt eine Zukunft habe, schien trotz der strukturellen Krise nicht in Frage zu stehen – eine Behauptung, die durch die Referenz auf eine lange Geschichte, die weit vor dem Aufstieg der in die Krise geratenen Schlüsselindustrien beginne, legitimiert werden sollte. In der 1998 gestarteten Nachfolgerkampagne „Der Pott kocht“ war die Referenz auf die industrielle Vergangenheit der Region dagegen zentrales gestalterisches Moment: „Grundlegender Gedanke ist, ein von beispielhafter Modernität geprägtes Bild des Ruhrgebiets zu vermitteln, das seine einzigartige 150-jährige Industriegeschichte nicht verdrängt, sondern als identitätsstiftendes Merkmal im Strukturwandel nutzt: ‚Herkunft hat Zukunft‘.“ 89 Die Referenz auf das Diktum Odo Marquards „Zukunft braucht

88 Ebd., S. 53. 89 Nellen, Dieter: Die neue Aufgabe, in: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.), Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 12–14, S. 12.

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Herkunft“ 90 verweist auf die Kompensationsthese, die hier als Argument für den starken Vergangenheitsbezug der Kampagne ins Feld geführt wurde. Die Kampagne reagierte auf die an ihrem Vorgänger geübte Kritik, die Motive hätten ein unrealistisches Bild des Ruhrgebiets gezeichnet und seien von einem negativen Image und mangelndem Selbstbewusstsein getrieben worden. Die neue Kampagne zielte mit ihrem jährlichen Etat von fünf Millionen DM nicht mehr auf die Kommunikation eines Normalisierungsprozesses. Vielmehr war sie Teil der durch die IBA Emscher Park vorangetriebenen Neuausrichtung der regionalen Selbstvermarktung auf die Darstellung der Einzigartigkeit der Region auf Grundlage ihrer industriellen Vergangenheit. Während das Logo der stilisierten KVR-Gebietskarte beibehalten wurde, vermarktete die Kampagne das Ruhrgebiet nun unter der negativ behafteten Bezeichnung „Pott“, der eine neue, positive Bedeutung zugeschrieben werden sollte. Grundlage hierfür sollte die industrielle Vergangenheit der Region sein, die nicht länger als Makel oder höchstens noch als bedeutender Wirtschaftsfaktor der BRD, sondern als Grundlage einer kollektiven Identität der Region gezeigt werden sollte: Neue Bilder gegen alte Vorurteile. Denn: Der Begriff Pott ist ohnehin nicht auszulöschen; also drehen wir ihn ins Positive mit Motiven voller Aufbruchstimmung, Aktivität und Selbstironie – die übrigens nur entwickelt, wer genug Selbstbewusstsein besitzt. Der Pott als Symbol für historische Größe ist ein Blick zurück, ‚Der Pott kocht‘ zugleich ein Bild vom Aufbruch in die Zukunft. 91

Die Bilder, die diesen „Aufbruch in die Zukunft“ transportieren sollten, zeichneten sich vor allem durch Dynamik und Bewegung aus. So zeigte die Hälfte der ersten fünf Kampagnenmotive wahlweise junge, lachende oder sich küssende Menschen an Orten städtischer Vergnügungskultur oder im Fußballstadion, womit letzteres explizit ein bekanntes Charakteristikum des Ruhrgebiets aufgriff. 92 Auch im einzigen Motiv, das grüne Natur zeigte, fand sich mit einer Anspielung auf die Kaninchenzucht ein gängiges Ruhrgebietsklischee wieder, sodass nun anders als in der Vorgängerkampagne keine idyllische und ruhige Auenlandschaft gezeigt wurde, sondern zwei rammelnde Kaninchen auf einer als Teil des Emscher Landschaftspark ausgezeichneten Wiese (Abb. 17). Das letzte der ersten fünf Motive, die als Text alle nur groß den nach zehn Jahren ‚starkes Stück‘ 90 Marquard, Odo: Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays, Stuttgart 22015. 91 Willamowski, Gerd / Schüller, Manfred: Vorwort, in: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.), Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 3. 92 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 32–37.

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Abb. 17: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

neu zu etablierenden Kampagnenslogan führten, zeigte dagegen eine ältere Frau (Abb. 18). Da diese aber mit vor Vergnügen weit aufgerissenem Mund beim Tragen einer Virtual-Reality-Brille gezeigt wurde, die ihr mittels modernster Technik die Städte und Kreise des Ruhrgebiets vor Augen führte – symbolisiert in Form gelber Ortseingangsschilder, die sich in vollem Flug durch den virtuellen Raum befanden –, präsentierte auch dieses Motiv Lebendigkeit und ein aus städtischer Vielfalt zusammengesetztes Ruhrgebiet. 93 Die wenig subtile, gewollt plakative Botschaft war die einer lebendigen und urbanen Region, die selbst auf der grünen Wiese oder in hohem Alter noch vor Energie und Lebensfreude strotze. Kanonische Ruhrgebietsmotive wie etwa ein imposantes Stahlwerk wurden als zu Spielstätten der Hoch- und Vergnügungskultur umgenutzte Industriedenkmale gezeigt, die damit ihren neuen und für die abrech-

93 Die nachfolgenden Kampagnenmotive integrierten die Ortseingangsschilder fest in die Plakate, indem jene das Bildmotiv mit dem ihm jeweils eingeschriebenen, zu einem Slogan verkürzten Anzeigentext vom unteren Anzeigenteil trennten. In diesem fanden sich wiederum das Ruhrgebietslogo und der übergeordnete Kampagnenslogan als Wiedererkennungsmerkmale. Jedes Anzeigenmotiv präsentierte das Ruhrgebiet somit über die zum Logo stilisierte Karte der Region als zusammenhängenden Raum und gleichermaßen als Zusammenschluss einzelner Städte, der durch die nebeneinander platzierten Ortseingangsschilder als besonders dichter Ballungsraum präsentiert wurde, in der sich eine Stadt an die nächste reihte.

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Abb. 18: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

nende Zukunft wahren Bestimmungszweck gefunden zu haben schienen. So sei es jetzt der Dirigent, der den Takt im Stahlwerk angeben, und der Sohn und Enkel von Bergarbeitern, der zwar noch immer in einer Zeche arbeite, nun aber als DJ (Abb. 19 und 20). 94 Die Motive führten eine Kontinuität der Arbeit in den eigentlich ausgedienten Produktionsstätten der Montanindustrie vor, nur dass sich sowohl ein Generationswechsel als auch ein Wandel der Arbeitsformen von der Schwer- zur Kulturindustrie vollzogen habe. So wurde der Innenraum des Gasometers in seiner gesamten, spektakulären Vertikale ins Bild gesetzt, während der im Bild eingeschriebene Slogan nicht die Geschichte des Bauwerks, sondern seine neue Nutzung als Charakteristikum des Raums präsentierte: „1929 wurde einer der schönsten Ausstellungsorte als Gasspeicher eingeweiht. 1994 entdeckte man den Irrtum.“ 95 Die vertikale Perspektive des kreisrunden Gasometerinnenraums lenkte den Blick der Betrachter*innen aus der Dunkelheit des Bodens hinauf zum durch das Dach einfallenden Licht und erzählte die auf zwei Sätze gestauchte Geschichte des Gasometers von 1929 bis 1994 damit gleichzeitig linear und zirkulär – war sie doch eindimensional auf die Enthüllung der wahren Bestimmung des Gebäudes ausgerichtet, die

94 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (2000), S. 42, 46. 95 Ebd., S. 41.

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Abb. 19: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

Abb. 20: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

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sich erst in der jüngst vergangenen Gegenwart enthüllt habe, als sei sie ihm schon von Grund auf eingeschrieben gewesen (Abb. 21). Die Bilder der zu Kulturstätten umfunktionierten Industriebauwerke verwiesen nicht mehr auf die Charakteristika internationaler Metropolen, sondern suchten eine eigene, ruhrgebietsspezifische Urbanität zu vermitteln. In der Vorgängerkampagne etablierte Narrative wie etwa das breite kulturelle Angebot des Ruhrgebiets wurden aufgegriffen, aber in einer provokanteren Bildsprache umgesetzt. So wurde das Motiv eines zum Skelett abgemagerten, offensichtlich vernachlässigten Nagetiers in seinem Laufrad zum Symbol der schier unüberschaubaren Angebote urbaner Vergnügungskultur, die den Betrachter*innen im Zusammenspiel mit dem Anzeigentext potenziell endloses Vergnügen in Aussicht stellte: „Du allein bestimmst, wann die Nacht zu Ende ist.“ 96 Der nicht mehr auf Anschlussfähigkeit, sondern Eigenständigkeit zielende Städtevergleich wurde sogar zu einem eigenen Plakatmotiv, welches das Ruhrgebiet als hässliches Entlein zwischen den sauberen, aber gleichförmigen Metropolen Hamburg, Berlin und München zeigte (Abb. 22). Einerseits verwies das wie durch Kohlenstaub und Ruß dunkel gefärbte Ruhrgebietsküken durch seine die übrigen Küken überragende Körpergröße im Zusammenspiel mit den Ortseingangsschildern und dem KVR-Gebietslogo auf die Größe der aus einwohnerstarken Städten und Kreisen zusammengesetzten Region. Andererseits verdeutlichte das Motiv der die Betrachter*innen störrisch und direkt anblickenden Ruhrgebietsente, dass das Image der grauen Industriemetropole nicht länger versteckt werden würde. Vielmehr zitierte es das Narrativ des hässlichen Entleins als Ausweis der Besonderheit gegenüber den ehemals als Referenzpunkt der angestrebten Normalisierung angeführten Metropolen: das Ruhrgebiet als hässliches Entlein, das sich dank seiner auf Industriekultur setzenden Kulturpolitik zum Schwan unter den Metropolen mausern würde, sobald die Betrachter*innen den Blick für die von vermeintlicher Hässlichkeit versteckte, unkonventionelle Schönheit der Region entwickelt haben würden. Die unkonventionelle Schönheit und das breite kulturelle Angebot waren allerdings nur ein Teil der durch die Kampagne kommunizierten Botschaft. Ebenso zentral war weiterhin das Anliegen, das Ruhrgebiet als erfolgreichen Wirtschaftsraum darzustellen, der von neuen Branchen und Formen der Arbeit profitiere. Das übergeordnete Ziel der Betonung regionaler Einzigartigkeit beeinflusste aber auch die Darstellung von Wirtschaft und Arbeit innerhalb der Kampagne. So stand eine Currywurst mit dem Anzeigentext „Im Ruhrgebiet finden Managermeetings nicht unbe-

96 Ebd., S. 72.

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Abb. 21: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

Abb. 22: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1999

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dingt bei Lachsschnittchen statt“ 97 für ein ungezwungenes Arbeitsklima auch bei hochrangigen Managertreffen (Abb. 23). Das Motiv nahm damit einerseits Bezug auf Werte wie Authentizität, Direktheit, Offenheit und Herzlichkeit, die Ruhrgebietsbewohner*innen zugeschrieben wurden, und transportierte andererseits, dass regelmäßig hochrangige Manager in der Region zusammenkämen, sie also wirtschaftlich prosperiere. Insgesamt führte die Kampagne allerdings vor allem erfolgreiche Einzelpersonen vor, die das Ruhrgebiet gezielt zur Ansiedlung ihres Unternehmens ausgewählt hatten. 98 Das einzige Motiv, das scheinbar typische Fabrikarbeit zeigte, präsentierte tatsächlich nur die Fabrik als interessante Kulisse für Filmund Fotoaufnahmen. Die vermeintliche Fabrikarbeiterin entpuppte sich als Fotomodell, erkennbar durch eine „die Einzigartigkeit dieser Region“ 99 hervorhebende Aussage des aus dem Ruhrgebiet stammenden Pariser Modefotografen Peter Lindbergh als Anzeigentext (Abb. 24). Die Kampagne präsentierte das Ruhrgebiet insgesamt als im Aufstieg begriffene Region mit hohem Wachstumspotenzial, wie etwa das Motiv einer Baustelle des Essener Messegeländes verdeutlicht (Abb. 25). Der dem Motiv eingeschriebene Anzeigentext „Wenn das Ruhrgebiet eine Aktie wäre, würden Sie jetzt investieren.“ 100 unterstrich die Baustelle als Symbol für Umbruch und Wandel der Region. Die Bildsprache suggerierte, dass die Region ebenso nach oben strebte wie die gezeigten Baugerüste, die im Zusammenspiel mit den durch die Gebäude vorgegebenen Bildfluchten den Blick der Betrachter*innen Richtung Himmel lenkten. Bild und Text zeigten das Ruhrgebiet als unterschätzten ökonomischen Geheimtipp, dessen Wandel einen kurz bevorstehenden ökonomischen Durchbruch und Erfolg verheiße. Der Kampagne selbst war ein solcher Erfolg jedoch nicht beschieden. Schon vor der eigentlichen Veröffentlichung hatte sie bei vielen Oberbürgermeister*innen der Ruhrgebietsstädte regen Protest hervorgerufen 101 und auch zahlreiche wütende Reaktionen von Bewohner*innen der Region ausgelöst. Die Verantwortlichen des KVR und der Hamburger Werbeagentur deuteten die Kritik, der Kampagnenslogan reproduziere alte Klischees, anstatt sie zu widerlegen, dagegen als Ausweis der Kontroversität und damit Öffentlichkeitwirksamkeit der Kampagne. 102 97 98 99 100 101

Ebd., S. 44. Vgl. ebd., S. 54, 59. Ebd., S. 58. Vgl. ebd., S. 68. Vgl. N. N.: Kult im Pott. Eine neue Werbekampagne für das Ruhrgebiet bringt die Kommunalpolitiker zwischen Dortmund und Duisburg in Wallung, in: Der Spiegel, 6. Juli 1998. 102 Vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (2000).

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Abb. 23: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998

Abb. 24: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1999

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Abb. 25: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 2000

Der Versuch, negative Klischees über die Region aufzugreifen und durch plakative Überzeichnung positiv umzudeuten, war gut zwanzig Jahre zuvor schon einmal von den Oberbürgermeister*innen der Ruhrgebietsstädte scharf kritisiert worden. Mit Zeichnungen des Karikaturisten Gerd Hüsch und provokanten Texten wie „Schöne Grüße aus Rußland – Treffen Sie Ihre Vorurteile“ hatte der damalige Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des SVR, Dietrich Springorum, bereits 1974/75 versucht, die Selbstdarstellung der Region auf einen ironischen Umgang mit ihrem negativen Image hin auszurichten. 103 Springorum zielte mit seiner Strategie vor allem darauf, das Ruhrgebiet als zusammengehörigen Raum zu präsentieren und damit Abgrenzungstendenzen der einzelnen Städte zu unterbinden. 104 Diese hatten in den 1950er und 1960er Jahren mit Slogans wie „Essen ist ganz anders“ stark auf eine Abgrenzung vom Image der Industrieregion Ruhrgebiet gesetzt und versucht, ein eigenes städtisches Image zu etablieren. 105 Die Forderung nach einem Strategiewechsel hin zu 103 Vgl. dazu ausführlich und mit einer historischen Einordung in die Geschichte der regionalen Imagepolitik Schmidt, Uta C.: „Lasst uns den Kohlenpott umfunktionieren!“. Repräsentationspolitik der Stadtlandschaft Ruhrgebiet, in: Saldern, Adelheid von (Hg.), Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchszeiten, Stuttgart 2006, S. 257–282. 104 Vgl. Springorum, Dietrich: Laßt uns den Kohlenpott umfunktionieren! Informationsdienst Ruhr, Juli 1969, in: Revier-Kultur 3 (1986), S. 85–96, S. 85. 105 Vgl. dazu Fleiß (2010).

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einer überregionalen Imagepolitik untermauerte der SVR mit der grundlegenden Verunsicherung der Zukunft durch den Strukturwandel, der die Städte nur gemeinsam begegnen könnten: „Zukunftschancen hat nur die Region in toto – nicht die einzelne Kommune. Gelingt es, das Image der Region zu verbessern, dann partizipieren alle Teile.“ 106 Als großes überkommunales Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Futurologen und Fernsehjournalisten Rüdiger Proske für das Jahr 1970 parallel zur Weltausstellung in Osaka eine Ruhr-Expo geplant. Unter dem Titel „Das Ruhrgebiet auf dem Weg ins Jahr 2000“ sollte sie zum 50-jährigen Bestehen des SVR „nach außen demonstrieren, daß wir keine Zeit mehr damit verlieren, vergangener Herrlichkeit nachzujammern“ 107, und eine gemeinsame Zukunftsvision für die Region entwerfen. Nach anfänglicher Begeisterung scheiterte die Ausstellung aber an zu hohen Kosten und wurde schließlich nur als Wanderausstellung realisiert, was auch von überregionalen Medien als Scheitern einer regionalen Zukunftsvision aufgrund der lähmenden Städtekonkurrenz gewertet wurde. 108 Als Reaktion auf das Scheitern der Expo-Pläne verfasste Dietrich Springorum unter dem Titel „Laßt uns den Kohlenpott umfunktionieren“ 109 1968 ein Konzept für eine inhaltliche Neuausrichtung der Imagepolitik für das Ruhrgebiet, die es als einheitliche Region präsentieren sollte und nicht auf eine Kaschierung und Normalisierung des negativ behafteten Industrielandschaftsimages abzielen dürfe. Unter dem Titel „Landschaft in Deutschland – Das Ruhrgebiet. Auf der Suche nach der zweiten Zukunft“ 110 verfasste er die Texte zu einem Werbeprospekt, der die industrielle Landschaft des Ruhrgebiets zwar als „geschundenes vergewaltigtes Land [. . . ] zerstört bis zur Unkenntlichkeit, willkürlich bebaut“ 111 beschrieb, gleichzeitig aber die kommunale Neuordnung und Errichtung regionaler Grünzüge als planerisch wirksame Gegenmaßnahmen hervorhob. Der Prospekt präsentierte das Ruhrgebiet als Region, die noch auf

106 Konzept zur PR-Arbeit des SVR von 1968, zitiert nach Springorum, Dietrich: Auf der Suche nach der zweiten Zukunft. Öffentlichkeitsarbeit für das Ruhrgebiet, 1968– 1978, Karlsruhe 1978, S. 20. 107 N. N.: „Ruhr-Expo 70“ hat sich etabliert. Im Schatten einer alten Zeche wird für die Zukunft geplant, in: Ruhr Nachrichten, 9. April 1969. 108 Vgl. z. B.: Zeller, Karin: Vertagte Zukunft an der Ruhr. „Arbeit sofort stoppen!“ – Die „Expo 70“ findet nicht statt, in: Die Zeit, 2. Mai 1969: „Die Zukunft hat noch nicht begonnen, sie ist vertagt. Es zündeln wieder regionale Eifersüchteleien. Man will es billiger, man will die Ausstellung in Essen, man will sie nicht in Essen, man will sie in Dortmund, man will sie überall, vielleicht als Wanderausstellung, vielleicht an jedem Ort eine eigene kleine ‚Expo‘.“ 109 Springorum (1986). 110 Auszüge abgedruckt in Springorum (1978), S. 107–111. 111 Ebd., S. 108.

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der Suche nach einer neuen Zukunft sei und dabei vor allem von seinen Einwohner*innen profitierte: „Die Menschen sind das wahre Kapital des ‚Potts‘: nüchtern unprätentiös, abhold allen großen Sprüchen, immer dabei, wenn es gilt, Handfestes zu erledigen: kameradschaftlich sind sie und hilfsbereit.“ 112 Hervorzuheben ist hier, dass Frauen innerhalb des Werbeprospekts neben Schlagfertigkeit vor allem die Qualität eines attraktiven Aussehens zugesprochen wurde. So zierte beispielsweise das schwarz-weiß gehaltene Cover mit dem typischen Anblick eines Straßenzugs vor Industriekulisse ein auf das Bild aufgesetztes farbiges Porträt einer jungen Frau. Während die Männer des „Schmelztiegels“ vor allem mit erfolgreichen Fußballspielern und fleißigen Arbeitern assoziiert wurden, galten Frauen als „die süßen Ruhr-Bienen (Pardon die Mädchen mit den schönsten Beinen des Landes)“ 113. Den Werbeprospekt sollten Plakate ergänzen, die mithilfe der Karikaturen Gerd Hüschs negative Stereotype explizit aufgreifen und durch ihre positive Umdeutung die Region profilieren sollten. Die karikaturistische Überzeichnung des Negativimages zielte darauf, den aus Springorums Sicht zum Scheitern verurteilen Versuch, „endlich so zu werden, wie alle anderen Gebiete dieses Landes auch“ 114 und die mit ihm verbundene „Verdrängungswerbung“ 115 durch eine gleichermaßen ehrliche und selbstbewusste Außendarstellung der Region abzulösen. War die großflächige Plakatierung seiner Plakatmotive Mitte der 1970er Jahre noch verhindert und durch das Verschicken von Faltplakaten in einer Auflage von insgesamt nur 35.000 Stück ersetzt worden, 116 konnte die „Der Pott kocht“-Kampagne vor dem gleichen Schicksal bewahrt werden. 117 Sie blieb jedoch umstritten und wurde bereits im Jahr 2000 mit Verweis auf die Kritik und durch das Internet hervorgerufene Veränderungen in der Werbetechnik auf Eis gelegt. 118

112 113 114 115 116 117

Ebd., S. 111. Ebd., S. 108. Ders. (1986), S. 87. Ebd., S. 86. Vgl. Schmidt (2006), S. 287 f. Dieter Nellen begründete dies mit dem aufwendigen Ausschreibungsverfahren und den auf die Kritik hin durchgeführten Evaluationen des Kampagnenslogans. Vgl. Nellen (2004), S. 23. 118 Vgl. ders.: Ausblick. Auch zukünftig lassen wir uns etwas einfallen, in: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.), Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 95–97. Nur zwei Jahre später folgte das Ende der Kampagne, die insgesamt also nur vier Jahre lief, vgl. Kroger, Thorsten: Stadt der Städte. Kampagnenkompetenz für die Metropole Ruhr, in: Geiß-Netthöfel, Karola / Nellen, Dieter / Sonne, Wolfgang (Hg.), Vom Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr. SVR, KVR, RVR 1920–2020, Berlin 2020, S. 206–211, S. 207.

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Als im folgenden Jahr die Idee entstand, das Ruhrgebiet ins Rennen um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2010 zu schicken, konzentrierte sich die Außendarstellung der Region zunehmend auf die Bewerbung als Kulturhauptstadt, deren Programm sich der Leitfrage widmete, „was also die Identität dieser Einheit in der Vielfalt ausmacht“ 119. Die Auszeichnung als Kulturhauptstadt Europas sollte nicht nur imagebildend nach außen, sondern auch identitätsstiftend nach innen wirken, wofür es vor allem den Strukturwandel als Erfolgsgeschichte zu narrativieren galt. Dazu wurden keine klassischen strukturpolitischen Maßnahmen wie die Ansiedlung neuer Dienstleistungs- oder Produktionszweige mehr gezeigt, sondern mit Bezug auf den Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus der Kultursektor zur treibenden Kraft des Strukturwandels erklärt, was im Motto der Bewerbung um den Titel der Kulturhauptstadt zum Ausdruck kam: „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ 120. Der von der EU verliehene Titel der Kulturhauptstadt sollte die Selbstdarstellung als bedeutsamer Kulturraum gleichsam ratifizieren und ihn darüber hinaus auch in der Konkurrenz zu traditionsreichen und für ihr Kulturprogramm bekannten Mitbewerberstädten wie Braunschweig, Lübeck oder Kassel hervorheben. In der Konsequenz der durch die IBA Emscher Park angestoßenen Entwicklungen wurde nun ein ruhrgebietsspezifisches und durch die montanindustrielle Vergangenheit erst ermöglichtes kulturelles Angebot gezeigt, wie Pleitgen festhielt: „Unser Neuschwanstein konnte nur eine Zeche sein.“ 121 Die im Laufe der IBA angestoßene räumliche Konsolidierung dieses Narrativs auf Zollverein gelangte zur vollkommenen Durchsetzung und das Doppelbock-Fördergerüst der zum Weltkulturerbe erklärten Zeche avancierte zum Symbol der Region.

119 Frohne, Julia, et al.: Vorwort, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 4–5. Im September 2001 fiel in der Verbandsversammlung des KVR der Beschluss zur Bewerbung, für die es zunächst eine Stadt auszuwählen galt, unter deren Flagge sich das Ruhrgebiet als Region um den eigentlich auf eine Stadt bezogenen Titel bewerben konnte. Mit knapper Mehrheit fiel die Wahl Anfang des Jahres 2004 auf Essen statt Bochum, das unter dem Motto „Essen für das Ruhrgebiet“ formal als Bewerberstadt für die Region auftrat; vgl. Fischer, Jürgen / Grizzo, Nadja: Der Weg zum Titel. Die Bewerbung des Ruhrgebiets um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“, in: Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 23–29. 120 Pleitgen, Fritz: Ruhr. Vom Mythos zur Marke, in: dies. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 6–8, S. 8. 121 Ebd.

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Gleichzeitig ermöglichte der Titel wie keine Imagekampagne zuvor den Auftritt als zusammenhängender Raum, was in der für die Bewerbung gewählten Selbstbezeichnung der ‚Neuen europäischen Metropole Ruhr‘ zum Ausdruck kam. Die Raumbezeichnung ‚Ruhrgebiet‘ sollte dagegen in den Hintergrund gerückt werden, wie Fritz Pleitgen, Intendant des WDR und gemeinsam mit dem Essener Kulturdezernenten Oliver Scheytt Geschäftsführer der Ende 2006 gegründeten Ruhr.2010 GmbH, betonte: „Ruhrgebiet roch sehr nach Vergangenheit, rief Bilder von sterbendem Bergbau, verlöschender Stahlindustrie, abgewrackten Städten und vergifteter Landschaft hervor. Gegen dieses Image wollten wir angehen.“ 122 Die Imageplakate zur Kulturhauptstadt verbildlichten diesen Zugriff auf Industriekultur als Mittel der Zukunftsgestaltung. So griffen die Plakate beispielsweise das Zitat des Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg auf, der als Mitglied der nationalen Jury in seiner in der Zeit veröffentlichten Reflexion der Juryentscheidung geschrieben hatte, das „ehemalige Revier atmete nicht mehr Staub, sondern Zukunft“ 123. Auf Bildmotiven wie etwa dem auf dem Zollverein errichteten Sanaa-Gebäude postulierte dieses Zitat auf zahlreichen Imagekampagnen eine bereits angebrochene neue Zukunft des Ruhrgebiets, die das Bild der staubigen Industrieregion der Vergangenheit zuwies und eine Erfolgsgeschichte des durch die kulturelle Umnutzung alter Industrieanlagen erfolgreich vollzogenen Wandels visualisierte (Abb. 26). Mit dem Duisburger Innenhafen fungierte ein weiteres Umnutzungsprojekt der IBA als Plakatmotiv, das mit dem Slogan „Hier wurde die Arbeit erfunden. Und jetzt die Zukunft.“ 124 eine lineare Erzählung zwischen montanindustrieller Vergangenheit und postindustrieller Zukunft konstruierte (Abb. 27). Das auf Identitätsproduktion ausgerichtete Diktum Odo Marquards „Zukunft braucht Herkunft.“ wurde durch den Zusatz „Bei uns kommt sie aus 170 Nationen.“ 125 und dem Bildmotiv einer hinduistischen Prozession zur Visulisierung des Schmelztiegel-Narrativs (Abb. 28). Mit der Ansicht einer grünen und idyllischen Uferlandschaft und dem Slogan „Sie haben Ihr Bild vom Ruhrgebiet? Hier bekommen Sie

122 Ebd., S. 7. 123 Muschg, Adolf: Natürlich waren wir bestechlich. Die Jury ist sich einig: Nur Essen oder Görlitz kann Europas Kulturhauptstadt 2010 sein. Warum? Bekenntnisse des Jurors, in: Die Zeit, 17. März 2005. 124 Kampagnenmotiv abgedruckt in Beier, Nikolaj: Ruhr.2010. Eine Metropole im Werden, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 33–41, S. 38. 125 Kampagnenmotiv abgedruckt in Frohne, Julia: Die Entwicklung einer neuen Marke. Strategische Ansätze und Kampagnenplanung, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 42–54, S. 48.

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Abb. 26: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv

ein neues.“ 126 bediente sich die Kampagne aber auch etablierter Motive, die an die Kampagne ‚Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland‘ erinnerten. Die Imageplakate sollten aber nicht allein die Region, sondern vor allem auch das Programm des Kulturhauptstadtjahrs bewerben und im Jahr 2010 möglichst viele Besucher*innen anziehen, um ihnen ebenso wie der einheimischen Bevölkerung mithilfe der 300 Projekte und 5000 Veranstaltungen ein neues Ruhrgebiet zu zeigen. Insbesondere die Motive, die Besucher*innen mit Slogans wie „2010 ist die Metropole RUHR mindestens 365 Reisen wert“ 127 und „Besuchen Sie die Kulturhauptstadt. Umgekehrt geht leider nicht.“ 128 direkt zum Besuch des Ruhrgebiets aufforderten, warben mit Ansichten Zollvereins, die das Doppelbock-Fördergerüst als Zeichen für das Ruhrgebiet hervorhoben. Die Strategie, Tourismus als Mittel der Imageverbesserung fruchtbar zu machen, fand hier ihren Höhe-

126 Kampagnenmotiv abgedruckt in Beier (2010), S. 41. 127 Kampagnenmotiv abgedruckt in Biermann, Axel / Frohne, Julia / Lottritz, Christoph: „Komm zur Ruhr!“. Die touristische Entwicklung der Metropole Ruhr, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 82–87, S. 83. 128 Kampagnenmotiv abgedruckt in Frohne / Langsch / Pleitgen / Scheytt (2010), S. 67.

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Abb. 27: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv

Abb. 28: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv

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punkt. Zwar war sie bereits in den 1970er Jahren von Dietrich Springorum angedacht worden, avancierte aber erst zum Ende der IBA Emscher Park zum zentralen Bestandteil der regionalen Imagepolitik. Hier scheint die enge Verbindung zu einer anderen Praxisform des Zeigens auf, die das Ruhrgebiet ebenfalls als touristisch attraktiven und damit kulturell bedeutsamen und ästhetisch ansprechenden Raum vorführt – der Präsentation eines Raums als Tourismusziel. Präsentation als Tourismusziel

Schon Ende der 1970er Jahre machte der SVR auf Initiative Springorums einen ersten Versuch, das Ruhrgebiet als Reiseziel zu vermarkten 129. Mit der 1977 eingeführten „Ruhr-Tour“ wurde die Region zum Ziel einer dreitägigen Pauschalreise, die den Besucher*innen die Kohle- und Stahlindustrie der Region als Attraktionen präsentierte. So machten wahlweise eine Grubenfahrt oder der Besuch der Duisburger August-Thyssen-Hütte inklusive Hochofenabstich die industrielle Arbeit zu Highlights einer Reise, welche die Region als noch zu entdeckendes Abenteuerland vorführte: Der Drei-Tage-Trip in den ehemaligen ‚Kohlenpott‘. Der ausgefallenste Kurzurlaub zum Wochenende, den man hierzulande buchen kann (Strapazen, Staub und Schweiß gratis!). Die Stippvisite ins Ruhrgebiet: abenteuerlich und faszinierend; die eigenen Eindrücke ‚vor Ort‘ – unter und über Tage Die Entdeckungsreise in ein (fast) unbekanntes Land: kaputte Gegend und wiedergewonnene Idylle; Industrie und viel, viel Landschaft. Unübersehbar: der lange, fortwährende Kampf um bessere, lebens- und liebenswertere Verhältnisse. Ausländische Besucher meinen: beispielhaft, Modell für andere Industrieregionen. Atemberaubend: Überall Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben. Richtige Kumpels also. 130

Bildeten Industrie und Landschaft in dieser Werbung für eine Reise ins Ruhrgebiet noch klare Gegensätze – die gleichwohl beide in der Region zu besichtigen seien –, wurde das Ruhrgebiet bereits als eine Region im Wandel vorgeführt. Ihre prägenden Schlüsselindustrien sollten den Besucher*innen den bereits im Vergehen begriffenen ‚Kohlenpott‘ nochmal nahebringen – Dreck und körperliche Anstrengung als authen-

129 Dieser Versuch ist in eine allgemeine Professionalisierung städtebezogener Tourismuswerbung in den 1970er Jahren einzuordnen, die vor allem auf stärkerer Visualität und Vereinheitlichung des touristischen Blicks auf Städte sowie auf Personalisierung und Sexualisierung städtetouristischer Werbung basierte; vgl. Pagenstecher, Cord: Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History. Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950–1990, Hamburg 22012, S. 194–196. 130 Prospekt abgedruckt in Springorum (1978), S. 164. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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tisches Erlebnis des Abenteuers Industriearbeit inklusive. Den „Kumpels“ konnten die Besucher*innen hierbei nicht nur untertage begegnen, sondern überall in der Region, da die ihnen zugeschriebene Eigenschaft, das „Herz am rechten Fleck“ zu tragen, gleich auf die gesamte Bevölkerung übertragen wurde. Der Bergmannsgruß „Glückauf“ wurde zum Willkommensgruß der Region an ihre Besucher*innen umfunktioniert, der nicht mehr als spezifisch für einen kommunikativen Zusammenhang industrieller Arbeit, sondern als regional spezifisch für das Ruhrgebiet präsentiert wurde. 131 Geworben wurde entsprechend vor allem mit Bildern kohlestaubverschmierter Bergmannsgesichter und von Stahlkochern, die in Kontrast zur idyllischen Ansicht eines dörflich anmutenden Kirchturms oder eines jungen Pärchens in grüne Parklandschaft gesetzt wurden. 132 Die Idee, das als trostlose Industrielandschaft verschriene Ruhrgebiet zum Reiseziel zu erklären, sorgte für große mediale Resonanz, sodass der SVR die „Ruhr-Tour“ vor allem als gelungene Imagestrategie bewertete. 133 Sie kam in erster Linie dem Ziel entgegen, das Ruhrgebiet als räumliche Einheit zu präsentieren, die sich Besucher*innen auf einer vorgegeben Route selbst aneignen können sollten. Wenige Jahre später erschien 1984 der erste Reiseführer speziell für das Ruhrgebiet, der Besucher*innen und Einwohner*innen „Kultur und Geschichte im ‚Revier‘ zwischen Ruhr und Lippe“ 134 zur selbstständigen Entdeckung präsentierte. Mit dem stellvertretenden Leiter des LWL-Industriemuseums Thomas Parent zeichnete zum einen ein kundiger Autor und wichtiger geschichtskultureller Akteur und mit DuMont zum anderen ein im Publizieren von Reiseliteratur etablierter Verlag für den Reiseführer verantwortlich. Für die Präsentation eines Raums als touristisches Ziel

131 Vgl. Prospekt abgedruckt in ebd., S. 165. 132 Wie Cord Pagenstecher mit Rückgriff auf Forschungen der feministischen Geographie der 1990er Jahre festhält, verweist die Abbildung des jungen heterosexuellen Pärchens auf die „geschlechtsspezifische Prägung der touristischen Images“, Pagenstecher (2012), S. 171. Frauen sind in diesen sehr konstanten Darstellungsformen meist eher erotische Projektionsfläche oder durch Referenz auf ihre Schönheit Symbol einheimischer Gastfreundschaft (siehe hierzu auch Kapitel 3.1, Anm. 112). Auch Landschaften werden mit Bezug auf Genderstereotype repräsentiert, sodass sie als eher weiblich schön und verführerisch oder männlich herausfordernd und abenteuerlich gezeigt werden, wobei die Darstellung des Ruhrgebiets Letzterem zuzuordnen ist. 133 Vgl. Springorum (1978), S. 162: „Sieht man die Aktion ausschließlich unter dem Aspekt, dann hat es bis zur Stunde keinen folgenreicheren Anstoß für die veränderte, aufgeschlossene Berichterstattung in den Medien gegeben. Nie zuvor hat man sich in Nord und Süd so intensiv mit der Region beschäftigt, wie nach dem zunächst absurd erscheinenden Unterfangen.“ 134 Parent, Thomas (Hg.): Das Ruhrgebiet. Kultur und Geschichte im „Revier“ zwischen Ruhr und Lippe, Köln 1984.

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sind Reiseführer von zentraler Bedeutung, geben sie doch als „sehr konkrete Wahrnehmungs-Anleitungen [. . . ] den Reisenden einen bestimmten touristischen Blick“ 135 vor – sie fungieren als „Seh-Anleitungen“ 136. Parents Reiseführer erschien als „Kunstreiseführer in der Reihe DuMont Dokumente“ 137 und präsentierte das Ruhrgebiet somit als Ziel für kulturellen Städtetourismus. Eine Übersichtskarte in der vorderen Umschlagklappe führte die Region als dichten städtischen Ballungsraum vor, dessen Geschichte eine in der hinteren Umschlagklappe untergebrachte Zeittafel bei der Entstehung der Kohle vor rund 350 Millionen Jahren beginnen und mit der Grundsteinlegung der RUB im Jahr 1962 enden ließ. Die erste Universität des Ruhrgebiets markierte somit den vorläufigen Endpunkt in der historischen Entwicklung der Region, die ihren Ausgangspunkt in der Entstehung des prägenden Rohstoffs des Industriezeitalters hatte. Karte und Zeittafel gaben dem Reiseführer damit nicht einfach nur einen rahmenden Zeit-Raum. Sie zitierten vielmehr implizit das seit den 1970er Jahren im Anschluss an die einflussreiche Studie des amerikanischen Soziologen Daniel Bell zunehmend dominant werdende Narrativ eines Wandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, 138 das übertragen auf das Ruhrgebiet eine erfolgreiche postindustrielle Zukunft verheißen sollte. Der erste Teil des Reiseführers skizzierte die Entwicklung des Ruhrgebiets zur postindustriellen Region in einer kurzen Abhandlung zum Thema „Die geschichtliche Entwicklung“ 139. Hier war der Ausgangspunkt aber gerade nicht die erdgeschichtliche Entwicklung zur Zeit der Entstehung der Steinkohle, sondern die Zukunftsvision eines Heimatforschers der Jahrhundertwende. Ein Zitat von 1902, in dem Gustav Hegeler darüber spekulierte, ob Steinkohlenzechen einst ebenso zu Schauplätzen touristischer Entdeckungen würden wie die Ruinen altägyptischer Kultur, sollte veranschaulichen, mit welcher Geschwindigkeit die noch vor weniger als einem Jahrhundert absurd anmutende Zukunftsvision in Form des Reiseführers in der Gegenwart der Leser*innen angekommen war. Vielmehr liege nun angesichts des Zechensterbens der Fortschrittsoptimismus der

135 Pagenstecher (2012), S. 205. 136 Ebd., S. 211 mit Rückgriff auf Lauterbach, Burkhart: Berlin-Reiseführer heute. Zum Umgang mit Geschichte in einem touristischen Gebrauchsmedium, in: BönischBrednich, Brigitte / Brednich, Rolf W./Gerndt, Helge (Hg.), Erinnern und vergessen. Vorträge des 27. Deutschen Volkskundekongresses Göttingen 1989, Göttingen 1991, S. 381–393, S. 382. 137 Parent (1984). Zur Rolle des DuMont-Verlags im Reiseführermarkt vgl. Pagenstecher (2012), S. 240–242. 138 Vgl. Bell, Daniel: The Coming of Post-industrial Society. A Venture in Social Forecasting, New York 1973; Böschen (2017). 139 Parent (1984), S. 8–16.

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Jahrhundertwende außerhalb gegenwärtiger Vorstellungskraft, da Teile des Ruhrgebiets schon in einer postindustriellen Zukunft angekommen zu sein schienen. 140 Trotz Einwohnerschwund und Zechensterben handele es sich beim Ruhrgebiet aber keineswegs um eine „sterbende Region“ 141, wie Parent gleich auf der ersten Seite versicherte und wofür der Reiseführer als Beleg dienen sollte. Neben dem KVR nutzten also auch andere regionale Akteur*innen die Präsentation des Ruhrgebiets als Tourismusziel als Mittel zum Postulat einer Zukunft, die der Region angesichts der anhaltenden Strukturkrise zunehmend abgesprochen wurde. Den Leser*innen wurden die einzelnen Städte und ihre touristischen Attraktionen vorgestellt, wobei ausnahmsweise nicht das Gebiet des KVR die Grundlage der Städteauswahl war, sondern alle diejenigen Städte Aufnahme in den Reiseführer fanden, „auf deren Gebiet Steinkohle gefördert wurde oder wird“ 142. Parent betonte, dass durch den anhaltenden Prozess des Zechensterbens während des Produktionszeitraums seines Reiseführers bereits einige der aufgeführten Bergbauattraktionen verschwunden sein könnten und unterstrich damit die Wahrnehmung eines beschleunigten Wandels, der die Zechen von Stätten der Arbeit und des wirtschaftlichen Fortschritts in touristische Sehenswürdigkeiten verwandelt hatte. Die Zechengebäude und ihre teilweise zu besichtigende Abbautechnik wurden gleichberechtigt neben feudalen Herrschaftsbauten und vor allem Sakralbauten aufgeführt, die touristischen Sehgewohnheiten entsprachen. Das umfangreiche Ortsregister am Ende führte dementsprechend für jede Stadt jeweils Burgen / Schlösser, Kirchen, Kolonien, Zechen und öffentliche Gebäude auf. Zwar gab das Buch seinen Leser*innen praktische Reisehinweise wie etwa Adressen und Öffnungszeiten von Museen mit, schlug aber keine festen Routen durch die Region vor, sodass sie vor allem als dicht besiedelte Städtelandschaft erschien, die vom Steinkohlenbergbau geprägt war. Zehn Jahre später veröffentlichte mit Roland Günter ein weiterer wichtiger geschichtskultureller Akteur der Region einen Reiseführer für das Ruhrgebiet, der bereits nach einem Jahr in die zweite und 1997 in die dritte Auflage ging. Zum Ende der IBA Emscher Park im Jahr 2000 erschien eine völlig neu überarbeitete vierte Auflage, bevor zum Kulturhauptstadtjahr 2010 eine weitere Überarbeitung erfolgte. Günter betitelte seinen ausführlichen Reiseführer „Im Tal der Könige. Ein Handbuch für Reisen zu Emscher, Rhein und Ruhr“ 143, worin bereits der hybridartige Charakter des 140 Vgl. ebd., S. 8. 141 Ebd. 142 Ebd., S. 30. Die einzelnen Städte wurden nach Zonen unterschieden, die sich ebenfalls an der Wanderung des Kohleabbaus von Süden nach Norden orientierte. 143 Günter, Roland: Im Tal der Könige. Ein Handbuch für Reisen an Emscher, Rhein und Ruhr, Essen 42000.

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Buchs zum Ausdruck kam, der nicht nur ein Reiseführer, sondern teilweise auch historisches Handbuch zur Region zu sein beanspruchte. Die Überarbeitung zum IBA-Ende führte dazu, dass für die Ausgabe des Jahres 2000 die vorindustrielle Zeit in ein eigenes Buch ausgelagert wurde und das „großartige Jahrzehnt der IBA Emscher Park“ 144 ein eigenes Kapitel erhielt, das außerdem noch um ein Kapitel über die Landschaftsgestaltung der IBA ergänzt wurde. Der vorzuführende Zeitraum schrumpfte so auf die Zeit der Industriegesellschaft, ihren strukturellen Wandel und den Versuch zur Gestaltung ihrer nachindustriellen Zukunft zusammen. Auch Roland Günter wies gleich in seiner Einleitung die Annahme einer schwindenden Zukunftsperspektive für das Ruhrgebiet zurück und hielt fest, es sei „heute keine verlorene Region“ 145. Vielmehr stehe das Ruhrgebiet symbolisch für die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der endenden „Industrie-Epoche“ 146, die von überregionaler Bedeutsamkeit sei. Es folgte ein historischer Abriss der Region, der bei der Entstehungszeit der Steinkohle begann und die Siedlungsgeschichte des Ruhrgebiets von der Römerzeit aus verfolgte. Die historische Entwicklung endete mit der IBA in der unmittelbaren Vergangenheit, die Günter den Leser*innen als „umfangreichste Maßnahme in der ganzen Welt, eine Region zu entwickeln“ 147, vorstellte. Diese zeitliche Setzung spiegelte die Perspektive des Autors, der sich wissenschaftlich und aktivistisch mit dem Verhältnis von Denkmalschutz und Stadtplanung auseinandergesetzt hatte und in der IBA Emscher Park eine außergewöhnliche Verbindung, wenn nicht Versöhnung, beider Felder sah. Eine Aufzählung infrastruktureller Merkmale, der Hochschul- und Kultureinrichtungen präsentierte er als „Zukunfts-Kapital“, das die Kapitalsorten der Vergangenheit – Kohle und Stahl – abgelöst habe. Der Aufbau des Reiseführers folgte anschließend chronologisch der Siedlungsgeschichte des Ruhrgebiets von der Verstädterung des 19. Jahrhunderts bis zur „Industrie-Kultur“ 148, dem Kapitel

144 145 146 147 148

Ebd., S. 2. Ebd., S. 13. Ebd., S. 11. Ebd., S. 21. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Ebd., S. 312–329. Neben Ausführungen über die aus seiner Sicht sonst nur mit antiken oder frühneuzeitlichen Herrschaftsgebäuden zu vergleichende Monumentalität von Industriebauten erläutert Günter hier sein konzeptuelles Verständnis von Industriekultur, das für ihn vor allem darin besteht, Denkmale gleichermaßen als räumliche Zeichen und als Ausgangspunkt kritischer Reflexionsprozesse über das Industriezeitalter zu fassen. Nicht nur habe die IBA Emscher Park dieses Verständnis beflügelt, indem sie Vergangenheit und Zukunft wieder zusammengeführt habe, nachdem beide Zeitebenen im Moderneverständnis der Industriegesellschaft voneinander getrennt worden seien. Vielmehr sei der Touristifizierung der Industriekultur im Ruhrgebiet insgesamt eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung

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zum Alltagsleben, zu Bildungseinrichtungen, Theatern und Museen folgten. Die abschließenden Kapitel zur IBA Emscher Park und zu „SchauPlätzen im Tal der Könige“ 149 nahmen gut ein Fünftel des über 500 Seiten starken Buchs ein, bevor den Leser*innen Routen zur Erkundung der Region vorgeschlagen wurden. Sie schlugen Schneisen durch das handbuchartig zusammengestellte, häufig assoziativ vorgetragene Textmaterial, das die Region aus der subjektiven Sicht des Autors zeigte und die IBA ein Jahr nach ihrem Ende als den entscheidenden Motor für den Wandel der Region porträtierte. Diesen Wandel erzählte Günter als Erfolgsgeschichte, die sich im Falle der IBA zwar top-down, zuvor aber vor allem bottomup gerichtet entwickelt habe. Die Ergebnisse der IBA wurden vor allem im bildhaften Zugang zu ihren Landschaftsprojekten heraus- und deutlich als das Verdienst Karl Gansers dargestellt, des „Dirigenten“ 150, dem Günter sich zehn Jahre später noch in einer eigenen Biografie widmete. 151 Der Erfolg des vielfach neu aufgelegten Reiseführers von Roland Günter verweist auf eine zunehmende Etablierung des Ruhrgebiets als Reiseziel für kulturellen Städtetourismus seit den 1990er Jahren, sodass in der Folge zahlreiche Reiseführer zur Region erschienen. Stellvertretend sei hier nur noch auf eine weitere Publikation von 2005 verwiesen, die zwischen dem Ende der IBA Emscher Park und dem Kulturhauptstadtjahr die Region als „Entdeckungsreise Industriekultur“ 152 vorstellte. Die Publizistin und heutige Pressesprecherin der Stiftung Zollverein Delia Bösch stellte gleich mit dem ersten Satz fest, „eigentlich gibt es das Ruhrgebiet gar nicht mehr“ 153. Da erst Kohle- und Stahlindustrie die Region hervorgebracht hätten und diese nun der Vergangenheit angehörten, gehöre auch das Ruhrgebiet als Region der Vergangenheit an. Diese Vergangenheit gelte es nun entlang der umgenutzten baulichen Relikte zu entdecken, wobei die bevorstehende Auszeichnung als Kulturhauptstadt die Möglichkeit berge, dass das Ruhrgebiet wie „Phoenix aus der Asche aufsteigen“ 154 könne. Die Einleitung zeigte das Ruhrgebiet also als Region der Vergangenheit, die unmittelbar vor dem Aufbruch in eine neue Zukunft stehe und nun in diesem Zwischenstadium von ihren Besucher*innen entdeckt werden könne. Ein „Kleines Bergbaulexikon“ 155 sollte die fremd gewordene

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vorausgegangen, weshalb dem Ruhrgebietstourismus von „vorneherein das Interesse nach qualifizierter Verarbeitung inhärent“ gewesen sei; Günter (2000), S. 327. Günter (2000), S. 473–516. Ebd., S. 403. Vgl. Günter (2010). Bösch, Delia: Ruhrgebiet. Entdeckungsreise Industriekultur, Essen 2005. Ebd., S. 7. Ebd., S. 9. Ebd., S. 266–269.

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Vergangenheit wieder verständlich machen. Der im Vergleich zu seinen Vorgängern kürzere und kleinere Reiseführer war durch sein handliches Format nun viel stärker als praktische Orientierungshilfe für eine tatsächliche „Entdeckungsreise“ ausgelegt. Waren die Funktionen moderner Reiseführer, gleichzeitig als „‚Gebrauchsanweisung‘ und ‚Bildungsgut‘“ 156 zu dienen, zuvor noch stärker zugunsten des Letzteren im Sinne von auch als Handbüchern zur Region fungierenden Publikationen verteilt, wurden die neueren Reiseführer zu immer kürzeren Gebrauchsanweisungen für die Individualreise durchs Ruhrgebiet. Ähnlich wie die zum Ende der IBA Emscher Park eröffnete Route der Industriekultur sollte Böschs „Entdeckungsreise Industriekultur“ 157 das Ruhrgebiet als Region zeigen, die sich aus der Verbindung denkmalwerter baulicher Relikte der Montanindustrie und der von ihr hervorgebrachten Siedlungen zusammensetzte. Er verweist damit auf eine weitere Praxisform des Zeigens, wie sich anhand der Karte zur Route der Industriekultur zeigen lässt. Erstellung einer Karte

Die Route der Industriekultur diente zur materiellen Konsolidierung der diskursiven Umdeutung des Ruhrgebiets von einer Industrielandschaft zur industriellen Kulturlandschaft neuen Typs. 158 Die Verbindung der Vielzahl von industriekulturellen Einzelstandorten zu einer Route sollte das Ruhrgebiet als räumliche Einheit, als zusammenhängende Kulturlandschaft erfahrbar machen. Für die visuelle Kommunikation dieser Raumvorstellung waren Karten zur Route der Industriekultur ein entscheidendes Mittel. Sie verschafften den potenziellen Besucher*innen – ob von innerhalb oder außerhalb des Ruhrgebiets – Orientierung in der als erinnerungskulturellem Raum konstruierten Region. Eine an die Bildsprache von Sternenkarten erinnernde Übersichtskarte zeichnete mit gelben Symbolen die „Ankerpunkte“, Wohnsiedlungen und „Panoramen der Industrielandschaft“ in den in blau gehaltenen Grundriss der KVR-Gebietskarte ein und zog rote Verbindungslinien zwischen den Einzelstandorten (Abb. 29). 159 Die Konstruktion von Verbindungsrouten zwischen den zu Landmarken erklär-

156 Gorsemann, Sabine: Bildungsgut und touristische Gebrauchsanweisung. Produktion, Aufbau und Funktion von Reiseführern, Münster / New York 1995, S. 79. 157 Bösch (2005). 158 Siehe Kapitel 2.2.4. 159 Karte abgedruckt in Budde, Reinhold / Heckmann, Ulrich: Die Route der Industriekultur. Tourismusoffensive für das Ruhrgebiet, in: Höber, Andrea / Ganser, Karl (Hg.), IndustrieKultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet, Essen 1999, S. 61–66, S. 61; 65. Die zentrale Übersichtskarte ist bis auf die Aufnahme der mittlerweile hinzu gekommenen Standorte der Route in ihrer Darstellung unverändert.

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Abb. 29: Übersichtskarte aus dem Jahr 2015

ten markanten Punkten der Industriekultur diente zur Strukturierung des Raums und sollte die Grundlage zur Wahrnehmung und Repräsentation des Ruhrgebiets als industrielle Kulturlandschaft bieten. 160 Die Kartierung der Route leistete einerseits eine grobe Orientierung von Menschen im Raum und gab andererseits auch deutend vor, welche Orte des Ruhrgebiets für seine Charakterisierung als industrielle Kulturlandschaft relevant waren. Auch wenn sie eine visuelle Repräsentation geographischer Gegebenheiten darstellt, ist die Karte daher keineswegs als Abbild einer gegebenen Realität zu verstehen. Vielmehr stellt sie wie jede Karte eine deutende

160 Zur Orientierung im mittleren Raum anhand der Kartierung von Routen zwischen einzelnen Landmarken, also Verbindungen zwischen markanten Punkten im Raum, vgl. Schneider, Ute: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 22006, S. 19.

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Form der „Weltsicht“ 161 und Ermöglichung der „Welterfahrung“ 162 dar, die den repräsentierten Raum in einer bestimmten Weise zeigt und konstruiert. So priorisierten die als „Ankerpunkte“ gekennzeichneten materiellen Hinterlassenschaften der Industrie, die Wohnsiedlungen und die als „Panoramen der Industriekultur“ gekennzeichneten Aussichtspunkte die montanindustrielle Vergangenheit der Region, während die bäuerlich-handwerkliche Industrie- und Lebenswelt lediglich durch einen Ankerpunkt am südöstlichen Rand der Region repräsentiert wurde. Das Weglassen dieser Standorte privilegierte eine Lesart des Ruhrgebiets als industrieller Kulturlandschaft, die nicht die Konstellation kleinräumlicher, historisch gewachsener Raumbeziehungen auf Stadt-, Stadtteil- oder gar Siedlungsebene in den Vordergrund stellte. Vielmehr sollte der mittlere Raum der Region kartografisch organisiert werden, wofür nicht die Städte und Kreise innerhalb des KVR-Gebiets oder ihre infrastrukturellen Knotenpunkte, sondern die als bedeutend explizierten Orte der Industriekultur als Bezugspunkte dienten. Die Einbettung der Route in die Karte des RVR ist einerseits eine Konsequenz der institutionellen Trägerschaft des touristischen Angebots, verweist aber andererseits auch auf die Dominanz des Verbandsgebiets als Bezugsgröße zur räumlichen Eingrenzung des Ruhrgebiets, die nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen der Region kennzeichnet, 163 sondern auch in ihrer Kartierung besonders augenfällig wird. Bereits vor der Reform des SVR, aber insbesondere nach seiner Umbildung zum KVR und dem damit verbundenen Verlust der Planungskompetenz oblag dem Verband als eine zentrale Aufgabe neben der regionalen Imagepolitik auch die Erstellung von Kartenmaterial zur Region. 164 Beide zeigenden Praxisformen konnten sich durchaus überschneiden wie etwa an der Publikation „Industriestandort Ruhr. Das Ruhrgebiet, heute schon Zukunft“ 165 deutlich wird. Das 1970 in zweiter Auflage erschienene Kartenwerk des SVR stellte statistisches Material über die einzelnen Städte des Verbands zusammen und bildete es in umfangreichem Kartenmaterial ab. Ziel war es, eine einheitliche Informationsquelle über „Ansied-

161 Ebd., S. 7. 162 Dies.: Welterfahrung und Weltbilder im Spiegel historischer Kartographie, in: Krimm, Stefan / Sachse, Martin (Hg.), Die Welt erfahren. Zur Geschichtlichkeit von Wissen und Horizonten. Acta Ising (2006), München 2007, S. 128–147. 163 Siehe auch Kapitel 1.3.3, Anm. 323. 164 Weitere Aufgaben blieben außerdem Sicherung und Pflege der vom Verband betreuten Grünflächen und Errichtung und Betrieb öffentlicher Freizeitanlagen, vgl. Benedict (2000), S. 116. 165 Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (Hg.): Industriestandort Ruhr. Das Ruhrgebiet, heute schon Zukunft, Essen 21970.

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lungsbedingungen und die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Ruhrgebiets“ 166 zu erstellen, die für potenzielle Investor*innen und Unternehmer*innen auch Informationen und Kontakte zu Finanzierungshilfen und Behörden bereitstellte. Die Publikation zeigte das Ruhrgebiet also als planvoll gestalteten Wirtschaftsraum, indem verfügbare Flächen oder nutzbare Infrastruktur hervorgehoben wurden. In Verbindung mit dem SVR-Slogan „Das Ruhrgebiet – heute schon Zukunft“ zeigten die Karten eine Region, die sich mitten im strukturellen Wandel befand und der Strukturpolitik und Planung eine prosperierende Gestaltungszukunft sichere – eine Zukunft, die nicht etwa weit entfernt, sondern heute, also schon in der Gegenwart angebrochen sei. Nach der kommunalen Neuordnung und der Umbildung zum KVR ersetzte eine stilisierte Karte des veränderten Verbandsgebiets das zuvor genutzte Logo eines als Warenzeichen eingetragenen großen R. 167 Die Karte als Verbandslogo beförderte die sich durch die intensivierende Forschung zum Ruhrgebiet ohnehin verfestigende Identifikation der Region mit dem Verbandsgebiet. Das Logo trug so dazu bei, dass weniger historisch gewachsene soziale oder wirtschaftliche Beziehungen als vielmehr das Resultat einer raumplanerischen Entwicklung die Grenzen dessen definierte, was als Ruhrgebiet bezeichnet und gezeigt wurde. Trotzdem lassen sich auch zahlreiche Beispiele finden, die das Ruhrgebiet anders kartierten, immer ausgehend vom kartografisch zu organisierenden Gegenstand. So organisierten die Karten des IBA-Planungsgebiets zwar eigentlich nur den Wirkungsbereich der Bauausstellung und damit im Grunde nicht das gesamte Ruhrgebiet, sondern nur die Emscherzone. Die zunehmend auf die gesamte Region ausgerichtete IBA-Strategie einer auf Bildproduktion fußenden Imageverbesserung einerseits und die mediale Rezeption als Strukturprogramm für das Ruhrgebiet andererseits überlagerten aber die räumliche Partikularität der Bauausstellung weitgehend. So hielt etwa Hans-Werner Wehling ein Jahr vor dem Kulturhauptstadtjahr fest, dass „heute Projekte wie der Landschaftspark und die Route der Industriekultur nach innen und außen das Bild des neuen Ruhrgebiets bestimmen“ 168. Seine Diagnose über die imagepolitische Wirkung der IBA für die gesamte Region war das Fazit zu den Ausführungen zur Bauausstellung im

166 Neufang, Heinz: Vorwort des Herausgebers, in: ders. (Hg.), Industriestandort Ruhr. Das Ruhrgebiet, heute schon Zukunft, Essen 21970, S. 7. 167 Zu diesem Logo vgl. Springorum (1978), S. 21–25. 168 Wehling, Hans-Werner: Die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park, in: Prossek, Achim, et al. (Hg.), Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild, Köln 2009, S. 162–163, S. 163.

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2009 veröffentlichten „Atlas der Metropole Ruhr“ 169, der den Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild zu zeigen suchte. 170 Der historische Atlas sollte mit der Kartierung des Strukturwandels nicht nur eine Forschungslücke schließen, sondern vor allem auch die Historizität der Region als sozial konstruierte und nicht gegebene Raumeinheit hervorheben. 171 Gleichzeitig griff der historische Atlas aber schon im Titel die im Zuge der Kulturhauptstadtkampagne propagierte Raumbezeichnung der ‚Metropole Ruhr‘ auf, sodass er die Raumvorstellung der Region als polyzentrische Metropole gleichsam als das Ergebnis des historischen Konstruktionsprozesses vorführte. Zwar stand das Postulat einer erfolgreichen und bereits angebrochenen Zukunft hier nicht mehr im Titel, kam aber doch deutlich in der Kartierung der sich wandelnden Region zum Ausdruck. So narrativierte der Atlas etwa die Erhaltung der materiellen Hinterlassenschaften der Montanindustrie über die Route der Industriekultur als „zukunftsweisende Vergangenheit“ 172 und somit als Teil einer planvoll gestalteten Bewahrungszukunft. Nur zwei Jahre später erschien ein weiteres Kartenwerk, das den Raum unter verschiedensten Gesichtspunkten immer wieder neu konstruierte und vergleichend zusammensetzte, um die historisch gewachsene und singuläre Urbanität des Ruhrgebiets kartografisch darzustellen, zu erforschen und zu vermitteln. Die unter anderem von der Raumplanerin und IBA-Expertin Christa Reicher herausgegebene Publikation „Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets“ 173 zeigte die Metropole Ruhr nicht als Ergebnis eines historischen Wandlungsprozesses, sondern als noch zu verwirklichendes Ziel, das nur durch eine genaue Kenntnis und darauf aufbauende Gestaltung der spezifischen Urbanität des Ruhrgebiets zu erreichen sei. 174 Dabei kartierte die Publikation nicht nur die historische Entwicklung dieser Urbanität, sondern auch ihre mögliche Zukunft, indem sie basierend auf der Karte des RVR-Verbandsgebiets

169 Prossek, Achim / Schneider, Helmut / Wessel, Horst A. / Wetterau, Burkhard / Wiktorin, Dorothea (Hg.): Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild, Köln 2009. 170 Vgl. dies. (2009b). 171 Vgl. ebd. 172 Prossek, Achim: Industriekultur. Zukunftsweisende Vergangenheit, in: dies. (Hg.), Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild, Köln 2009, S. 164–165. 173 Reicher, Christa / Kunzmann, Klaus R. / Polivka, Jan / Roost, Frank / Utku, Yasemin / Wegener, Michael (Hg.): Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets, Berlin 2011. 174 Vgl. Reicher, Christa: Einleitung, in: dies. (Hg.), Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets, Berlin 2011, S. 13–15, S. 15.

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Abb. 30: Kartierte Zukunftsvision des Ruhrgebiets

wünschenswerte Zukünfte für das Ruhrgebiet entwarf. Der Außenwahrnehmung der Region als ästhetisch wenig attraktivem städtischen Ballungsraum wurden Karten möglicher regionaler Zukünfte entgegengestellt (Abb. 30). So zeigte eine der kartierten Zukunftsvisionen das Ruhrgebiet etwa als „attraktive Stadtlandschaft“ 175, deren Attraktivität sich nicht aus konventionellen landschaftlichen Schönheitsidealen, sondern aus der historisch gewachsenen Vielseitigkeit der Region speise. Im Zentrum standen hierbei der Emscher Landschaftspark und die Route der Industriekultur, die den Kartenausschnitt äquatorial unterteilten. Als Symbol für in der Karte eingezeichnete „Industriedenkmale“ diente der stilisierte Zollverein-Doppelbock, der nicht mehr nur als Zeichen des Weltkulturerbes fungierte, sondern als Symbol für alle Industriedenkmale des Ruhrgebiets unabhängig von ihrer räumlichen Verortung und ihrer baulichen oder technischen Beschaffenheit. Das Doppelbocksymbol markierte in der kartierten Zukunftsvision nicht nur materielle Überreste der industriellen Vergangenheit des Ruhrgebiets, sondern vor allem Kristallisationspunkte einer in die Zukunft gerichteten Erzählung:

175 Reicher, Christa, et al.: Zukunftswege und besondere Potenziale der Raumentwicklung. Die Ruhrurbanität, in: Reicher, Christa, et al. (Hg.), Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets, Berlin 2011, S. 216–233, S. 221.

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In das grüne regionale Netz sind nicht nur die bestehenden Stadtparks des Regionalverbands Ruhr, sondern vor allem auch die erhaltenen Anlagen und Industriedenkmäler der Montangeschichte eingebunden. Sie wurden von der internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park aus ihrer lokalen Isolierung gerissen und in die inzwischen weit über die Region hinaus bekannte Route der Industriekultur eingebunden. Es sind vor allem diese Orte, die der Region eine neue regionale Identität gegeben haben. Sie sind zu Ikonen der neuen Stadtlandschaft Ruhr geworden. 176

Die Ausweisung als Ikonen einer neu verstandenen Landschaft, wie sie die Kartierung der Route der Industriekultur zeigend vorführte, lebte auch von einer Markierung der materiellen Relikte im Raum, die sie vor Ort nicht nur als Einzeldenkmal, sondern als Teil eines die Kulturlandschaft neuen Typs konstituierenden Netzwerks industriekultureller Orte explizierte. Die bereits dargestellte Beschilderung der Standorte auf der Route der Industriekultur ist also ebenfalls als zeigende Praxisform zu verstehen, 177 die eine Aneignung des Einzelstandorts als Teil eines übergeordneten räumlichen Zusammenhangs ermöglichen soll. Räumliche Kennzeichnung

Beschilderungen als Formen der räumlichen Kennzeichnung sind daher ebenfalls als Realisierung der Praxisform des Zeigens zu verstehen, wie etwa das Projekt der „Sprechenden Straßen“ 178 in der Oberhausener Arbeitersiedlung Eisenheim zeigt. Zusätzlich zur Einrichtung eines vom Westfälischen Industriemuseum betreuten Museums konzipierten Roland und Janne Günter, die seit dem Kampf um den Erhalt der Siedlung selbst dort lebten, Mitte der 1990er Jahre das Projekt der „Sprechenden Straßen“. Gut 75 Schilder mit Informationen zum historischen Kontext der Siedlung sollten die Straßen und Hauser „zum Sprechen bringen“, indem sie als „Zeige-System“ 179 fungierten. Sie sollten Besucher*innen über die räumliche Anschauung der gegenwärtigen Gebäude hinaus die historische Tiefendimension der Siedlung vor Augen führen. 180 Die Beschilderung

176 Ebd., S. 220. 177 Siehe hierzu Kapitel 2.2.4. 178 Günter, Janne / Günter, Roland: „Sprechende Straßen“ in Eisenheim. Konzept und Texte sämtlicher Tafeln in der ältesten Siedlung (1846/1901) im Ruhrgebiet, Essen 1999. 179 Ebd., S. 11. 180 Vgl. ebd., S. 10: „Stellen wir uns vor, wir kommen als Touristen für vier, fünf Tage in eine Stadt. Aber wir haben Schwierigkeiten mit den Bruchstücken der Vergangenheit. Wir hätten gern ein lebendiges Bild im Kopf. In unserer Phantasie. Wie Szenen in einem gut gemachten historischen Film.“

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diente nicht allein der Vermittlung von Informationen über die Vergangenheit der Siedlung, sondern vor allem auch der Veranschaulichung ihrer in die Zukunft gerichteten Funktion: Und der Tourist sieht: Ich bin nicht irgendwo auf der Welt. Mit den ‚sprechenden Tafeln‘ wird die Siedlung, was sie in einer wichtigen Dimension ist: Ein Ort der Erinnerung. [. . . ] Erinnerung, die weiterlebt. Erinnerung, die zur Gegenwart gehört. Erinnerung als Teil der Zukunft. In diesem Sinn ist Eisenheim ein Museum. Ein bewohntes Museum. Ein gelebtes Museum. Als Raum der Erinnerung, in der wir leben. Die Autoren, die seit 25 Jahren in einem Eisenheimer Haus wohnen, versichern: wir leben gut darin. Die Dimension der Erinnerung bereichert uns. Erinnerung und Gegenwart vertragen sich. Aber dies wird erst wirksam, wenn die Erinnerung zum Sprechen gebracht wird: Erst damit wird das Baudenkmal erschlossen. Es schweigt nicht mehr. [. . . ] Der Begriff Museum ist mit lebendigem Inhalt gefüllt. 181

Die Beschilderung sollte einerseits die historische Entwicklung der Siedlung erklären, die sie in der Welt als lokal spezifische Raumeinheit verortbar machte. Die Schilder sollten somit den Denkmalwert veranschaulichen, der auf den gewachsenen sozialräumlichen Beziehungen innerhalb der Arbeitersiedlung gründete. Andererseits sollte die Explikation des Raums als materialisierte Erinnerung die Lebendigkeit der zum Museum gewordenen Siedlung unterstreichen und sie über die im Raum erzählte Vergangenheit als Ort der Gegenwart und Zukunft vorführen: Mit dem Gedächtnis der Welt sieht es nicht gut aus. Obwohl es großartig sein könnte. Warum? [. . . ] Die Stadt erscheint so, als habe sie nur den Augenblick. Wir können in einer Werkstatt darüber nachdenken, wie in dieser Stadt Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart gebracht werden. Eine Zukunfts-Werkstatt auch für die Vergangenheit. Sie macht aus der Vergangenheit eine Zukunft. Das Gedächtnis erschließt eine Welt. [. . . ] Unser Zeitalter, die Zukunft, benötigt Reflexion. Wir haben dieser umfangreichen und langen Aktion, mit der wir einer Stadt ihr gemeinsames und öffentliches Gedächtnis geben könnten, das Stichwort ‚Sprechende Straßen‘ gegeben. 182

Während im Laufe der IBA die Unterschutzstellung montanindustrieller Bauten vorangetrieben wurde, klang in der rückblickenden Begründung für die Beschilderung Eisenheims der Topos vermeintlicher Geschichtslosigkeit durch und dies in globaler Perspektive. Roland und Janne Günter wollten ihr Projekt der „Sprechenden Straßen“ als Angebot zur erinnerungskulturellen Reflexion im öffentlichen Raum verstanden wissen, die der baulich erhaltenen Vergangenheit einen Wert als Zukunftswerkstatt zuweisen sollte. 181 Ebd., S. 12 f. 182 Ebd., S. 17 f.

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Auch das Anbringen der UNESCO-Welterbe-Plakette, die 2002 feierlich auf Zollverein enthüllt wurde, diente zur Präsentation eines Zukunftsorts. Das Anbringen der UNESCO-Plakette sollte Zollverein im Raum als Welterbe und damit als Form der „‚Weitergabe an künftige Genrationen‘, ein Programm, das in die Zukunft gerichtet ist“ 183, sichtbar machen. Die Realisierung dieses Programms war für die Verantwortlichen aber wie bereits deutlich geworden ist, 184 eindeutig an die Präsentation Zollvereins als „Zukunftsstandort“ geknüpft: Erfolg wird sich nur einstellen, wenn die Andersartigkeit, die Einzigartigkeit von Zollverein wirklich begriffen wird. Der Einzigartigkeit von Zollverein als Weltkulturerbestätte und Zukunftsstandort kommt man auf die Spur, wenn man genauer fragt, was denn der Titel ‚Weltkulturerbe‘ schützt. Geadelt wird mit der Bauhaus-Architektur eine Ausdrucksform der Moderne, die keinen Ewigkeitsanspruch postuliert, sondern bewusst auf Zeit setzt, hier auf die kurze Zeit der Kohleproduktion und -verwertung, wenige Jahrzehnte. Keines der Gebäude auf Zollverein war für die Ewigkeit gebaut. Vergänglichkeit, Weiterdenken, Weiterentwickeln – dieses Prinzip ist jetzt Weltkulturerbe! Ein in der Geschichte des Weltkulturerbes einmaliger Akt. Zollverein ist also ein Laboratorium der Moderne. 185

Die feierliche Enthüllung der Plakette präsentierte also die kulturelle Inwertsetzung eines modernespezifischen Zeitverständnisses, das sich in der Architektur Zollvereins materialisierte und damit nicht nur als herausragendes Denkmal des Ruhrgebiets, sondern der Welt ausgezeichnet wurde. Die vorerst gescheiterten Versuche, nicht mehr nur Zollverein, sondern die „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ 186 als Ganzes zum UNESCOWeltkulturerbe erklären zu lassen, sollten die Region als historisch gewachsenen, in Gegenwart und Zukunft zusammenhängenden Raum zeit-

183 Willer (2016), S. 143. 184 Siehe Kapitel 2.2.3. 185 Beuscher, Maren / Roters, Wolfgang: Zollverein ist anders, ganz anders. Maren Beuscher im Gespräch mit Dr. Wolfgang Roters, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Zollverein mbH, in: Vanderlinden, Barbara (Hg.), Zollverein, Essen 2002, S. 58–61, S. 59 (H. i. O.). 186 Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur (Hg.): Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet. Entwurf einer Darstellung des außergewöhnlichen universellen Wertes. Vorschlag zur Fortschreibung der Tentativliste für das UNESCO-Weltkulturerbe, Dortmund 2017; Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur (Hg.): Weltweit einzigartig. Zollverein und die industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet. Ein Vorschlag für das Welterbe der UNESCO, Essen 2012. Eine erste Bewerbung für die deutsche Tentativliste, also die Vorschlagsliste für zukünftige Nominierungen für die UNESCO-Welterbe-Liste scheiterte 2014 vor dem Fachbeirat der Kultusministerkonferenz; vgl. dazu auch Wagner (2020. Ein überarbeiteter Vorschlag scheiterte 2021 ebenfalls, siehe dazu die anlässlich des gescheiterten Vorhabens publizierte Reportage von Mayr, Anna: Sie sind eben stolz, in: Die Zeit, 26. November 2021.

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lich und räumlich unbegrenzt sichtbar machen. Der Sichtbarkeit des Ruhrgebiets als zusammenhängendem Raum steht aber unter anderem seine Zergliederung in unterschiedliche Verwaltungsbezirke entgegen, die lange eine regional übergreifende Raumplanung verhinderte. Zeigende Praxen, die das Ruhrgebiet als einheitlichen Raum vorführen, stehen also mitunter in Konkurrenz zur Praxisform des Normierens, die über Praxen wie die Verabschiedung eines Gesetzes oder des Aufstellens eines Plans die zukünftige Wirklichkeit des Ruhrgebiets als Raum normieren. Bevor sich das folgende Unterkapitel der Praxisform des Normierens widmet, werden die Ergebnisse zur Praxisform des Zeigens kurz zusammengefasst. Zwischenfazit

Die verschiedenen Beispiele zur Praxis der Publikation eines Bildbands haben deutlich gemacht, dass das Ruhrgebiet in den hier beleuchteten 1980er Jahren als lebenswerte Heimat gezeigt werden sollte, die von einem besonderen Menschenschlag bewohnt wird und eine vielversprechende Zukunft vor sich hat. Durch Ausblendung oder ästhetische Überhöhung der Schwerindustrie fungierten die in den Bildbänden publizierten Fotografien als visuelle Beglaubigung dieses Zukunftspotenzials. Auch die als Konsens von Laien und professionellen Fotograf*innen präsentierte sozialkritische Innensicht und die eher vermarktend angelegte, vermeintlich wirklichkeitsgetreue fotografische Außensicht auf das Ruhrgebiet zeigten es als zusammenhängende Region, die sich in einem Erfolg versprechenden Wandlungsprozess befand. Die fotografische Dokumentation verfallender Industriebauwerke zeigte über die Ästhetisierung des Verfalls einen denkmalpflegerischen Handlungsauftrag auf, der die im Aufbau befindlichen industriegeschichtlichen Museen der Landschaftsverbände als visuelles Argument stützte. Im zum geflügelten Wort avancierten Ausstellungsund Bildbandtitel „Endlich so wie überall“ kam eine Spannung zwischen Normalisierung und Einzigartigkeit des Ruhrgebiets zum Ausdruck, die auch in der Entwicklung der Imagepolitik der Region deutlich geworden ist. Die Beispiele zur Praxis der Veröffentlichung eines Imageplakats haben gezeigt, dass diese in den 1980er Jahren vor allem einen Normalisierungsprozess vorführten, der auf die Abgrenzung vom negativen Industriemolochimage zielte. Die Plakate zeigten unerwartet grüne Landschaften, ein reichhaltiges Freizeitangebot und konstruierten das Ruhrgebiet über den Vergleich zu anderen Metropolen als urbanen Raum. Die montanindustrielle Vergangenheit spielte kaum eine Rolle, sollten doch vielmehr eine gelingende Strukturpolitik und eine lange vorindustrielle Vergangenheit vorgeführt werden, die in Summe eine prosperierende Zukunft des Ruhrgebiets als zusammenhängender und weiterhin wirtschaftlich starker Region

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garantieren sollten. Als Folge der IBA Emscher Park wurde das Ruhrgebiet in den späten 1990er und 2000er Jahren dagegen als einzigartige Region gezeigt, deren Lebendigkeit und Urbanität sich gerade aus der montanindustriellen Vergangenheit speiste, indem ihre materiellen Überreste erfolgreich zu Standorten für Kultur- und Kreativwirtschaft umgenutzt wurden. Die Ausrichtung der Selbst- und Außendarstellung auf den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt sollte dieses Bild von außen institutionell beglaubigen und den erfolgreichen Wandel zur industriekulturellen Metropole zeigen. Das Doppelbockfördergerüst der Zeche Zollverein wurde zum zentralen visuellen Zeichen dieses Wandels. In den 1970er Jahren war das Ruhrgebiet dagegen noch primär als zu reparierende, aber einheitliche Industrielandschaft gezeigt worden, in der die Stätten industrieller Arbeit über die Praxis der Präsentation als Tourismusziel zum Abenteuererlebnis wurden. Die in der Krise befindlichen Schlüsselindustrien und die von ihnen geprägten Menschen wurden als touristische Attraktion gezeigt. Die seit Mitte der 1980er Jahre erscheinenden Reiseführer gaben einen touristischen Blick auf die Region vor, der den sich stetig beschleunigenden Wandel der Industriegesellschaft erlebbar machen sollte. Sie zeigten das Ruhrgebet aber nicht nur als industriegeschichtlich interessantes Reiseziel, sondern immer auch als Region mit vielversprechender und vor allem gemeinsamer Zukunft. Die Beispiele zur Praxis der räumlichen Kennzeichnung haben gezeigt, inwiefern das Anbringen einer Beschilderung oder einer Plakette dazu dient, Chronoferenzen zwischen der industriellen Vergangenheit von Bauwerken, ihrer Gegenwart als Denkmal und ihrem Wert für die Zukunft einer sich wandelnden und doch geschichtsbewussten postindustriellen Gesellschaft herzustellen.

3.2 Normieren Im Jahr 2010 beschloss die Verbandsversammlung des RVR den Entwurf eines ‚Regionalplans Ruhr‘, um „der planerischen Dreiteilung und einem mehr als drei Jahrzehnte dauernden planerischen Autonomiedefizit in der Gesamtregion ein Ende“ 187 zu setzen. Der Verband nutzte damit seine erst 2007 zurückerlangte Planungskompetenz, um die räumliche Zukunft des Ruhrgebiets als einheitliche Region zu gestalten. Die Funktionalisierung von Geschichte als Grundlage einer regionalen Identität, die im Jahr 2010 im Titel der Europäischen Kulturhauptstadt gipfelte, hatte sich als 187 Bongartz, Michael: Der neue Regionalplan Ruhr. Blaupause für die Zukunft, in: Geiß-Netthöfel, Karola / Nellen, Dieter / Sonne, Wolfgang (Hg.), Vom Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr. SVR, KVR, RVR 1920–2020, Berlin 2020, S. 166–174, S. 172.

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Klammer für eine Region erwiesen, deren Zukunft als zusammenhängender Raum durch den Strukturwandel grundlegend in Frage gestellt worden war. Für die Frage, ob das Ruhrgebiet als einheitliche Region gelten kann oder nicht, waren immer wieder solche Praxen besonders entscheidend, die hier als Praxisform des Normierens zusammengefasst werden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie darauf abzielen, die zukünftigen Wirklichkeiten des Ruhrgebiets zu normieren. So wird die Praxis der Verabschiedung eines Gesetzes im Folgenden an Beispielen untersucht, die sowohl die kommunale Verfassung des Ruhrgebiets als auch ihre Verwaltung durch den Regionalverband regelten. Die Normierung des Umgangs mit materiellen Relikten der Industriegeschichte wird anhand des dafür besonders wichtigen Denkmalschutzgesetzes untersucht, das mit der Auszeichnung eines Objekts als Denkmal eine andere normierende Praxis präfiguriert. Diese wird mit der Dortmunder Zeche Zollern und der Oberhausener Arbeitersiedlung Eisenheim anhand von Beispielen untersucht, die für die Entwicklung des geschichtskulturellen Felds der Region von herausragender Bedeutung waren. Außerdem werden die Zeche Zollverein und die Institutionalisierung der Industriedenkmalpflege zur Untersuchung der Praxis herangezogen. Die zukünftige Nutzung unter Schutz gestellter Objekte wird aber nicht allein durch die Auszeichnung als Denkmal, sondern auch durch stadtplanerische Maßnahmen normiert, wie an der Praxis des Aufstellens eines Plans gezeigt wird. Für diese dienen sowohl der Masterplan zur Entwicklung Zollvereins als auch ein Vorläufer des Regionalplans Ruhr als Untersuchungsbeispiele. Der Erlass einer Stiftungssatzung sowie das Auflegen eines Strukturprogramms werden als weitere normierende Maßnahmen untersucht, die großen Einfluss auf die Verteilung finanzieller Ressourcen haben. Der erste Blick gilt allerdings der Verabschiedung von Gesetzen zur Regelung der kommunalen Verfasstheit der Region. Verabschiedung eines Gesetzes

Für die Zukunft des Ruhrgebiets als Region war die Forderung nach einem einheitlichen Regierungsbezirk immer wieder von entscheidender Bedeutung. Zwar hatte noch 1959 ein vom Innenminister des Landes NRW beauftragtes Gutachten die Forderung nach der Einrichtung eines einheitlichen Regierungsbezirks gestützt, wurde jedoch nicht umgesetzt. 188 Im Zuge des 1970 aufgelegten Strukturprogramms „Nordrhein-WestfalenProgramm 1975“, das später noch näher thematisiert wird, wurde An188 Vgl. Schnur, Roman: Entwicklung der Rechtsgrundlagen und der Organisation des SVR, in: Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (Hg.), Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk 1920–70, Essen 1970, S. 9–32, S. 24; Benedict (2000), S. 89.

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fang der 1970er Jahre die Arbeit an einer Verwaltungsreform vorangetrieben, welche die kommunale Neugliederung des Landes nun auch für das Ballungszentrum Ruhrgebiet durchsetzen sollte. Das im Juli 1974 verabschiedete „Gesetz zur Neugliederung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Ruhrgebiet (Ruhrgebiet-Gesetz)“ 189 trat zum 1. Januar 1975 in Kraft und rief teilweise großen Protest gegen die weitreichenden Eingemeindungen hervor. Die Neugliederung änderte auch die Zusammensetzung der Mitgliedskörperschaften des SVR, dem nun nicht mehr 18, sondern nur noch elf kreisfreie Städte und fünf Kreise statt wie zuvor neun angehörten. 190 Einschneidender noch als diese Änderung war aber die Verabschiedung eines neuen Landesplanungsgesetzes, 191 das ein Jahr später in Kraft trat und dem Verband die Kompetenz zur Regionalplanung entzog, um sie bei den Präsidenten der drei Regierungsbezirke anzusiedeln. 192 Als Konsequenz wurde schließlich im Sommer 1979 das „Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet“ 193 verabschiedet, das zum 1. Oktober des Jahres in Kraft trat. Mit dem Verlust der Planungskompetenz wurde der nun als KVR firmierende Verband vor allem auf die Aufgaben der Pflege und Einrichtung von Grünflächen und Freizeitanlagen sowie der Öffentlichkeitsarbeit und Kartographie reduziert. 194 Die Gestaltung im Sinne einer Regionalplanung wurde dagegen auf die Regierungsbezirke aufgeteilt, womit dem Prinzip einer möglichst bürgernahen Zuweisung von Verwaltungskompetenzen der übergeordneten Funktionalreform Rechnung getragen werde sollte. 195 Dieses Prinzip war auch für das ebenfalls Ende der 1970er Jahre ausgearbeitete „Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG)“ 196 ausschlaggebend, das am 1. Juli 1980 in Kraft trat. Das Gesetz fasste die bis dahin getrennt existierenden Regeln zum Umgang mit Bau- und Bodendenkmalen in einem Gesetz zusammen und fügte sich damit in eine bundesweite Neuorientierung im Denkmalschutz, die bis 1980 zum Erlass neuer Denkmalschutzgesetze in allen Bundesländern führte. 197 Entscheidend für 189 190 191 192 193 194 195 196 197

GV.NW.1974, S. 256. Vgl. Benedict (2000), S. 110. GV.NW.1975, S. 450. Vgl. Benedict (2000), S. 111. GV.NW.1979, S. 554. Das Gesetz wurde als Artikel 10 der zweiten Funktionalreform im September 1979 verabschiedet und bekannt gemacht. Vgl. GV.NW.1979, S. 555. Vgl. Benedict (2000), S. 112. Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226. Vgl. Krautzberger, Michael / Martin, Dieter J.: Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege. Einschließlich Archäologie, Recht, fachliche Grundsätze, Verfahren, Finan-

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die Normierung des zukünftigen Umgangs mit baulichen Überresten der Vergangenheit sollte einerseits eine stärkere Verzahnung von Denkmalpflege und Stadtplanung und andererseits eine Definition dessen sein, was überhaupt als erhaltenswertes Boden- oder Baudenkmal gelten konnte. Da diese grundlegende Frage nach der Definition eines Denkmals vorher gesetzlich nicht geregelt war, 198 zielte die Praxis der Verabschiedung eines Gesetzes darauf, die Auszeichnung eines Objekts als Denkmal und somit eine andere normative Praxis für die Zukunft zu normieren. Dies bedeutete aber keineswegs eine Einschränkung, sondern vielmehr eine Erweiterung dessen, was nun staatlich legitimiert als Denkmal gelten konnte. So wurde einerseits die zunächst noch vorgesehene definitorische Einschränkung des anthropogenen Ursprungs von Objekten fallengelassen, sodass auch nicht menschengemachte Objekte wie beispielweise Versteinerungen von Tier- oder Pflanzenresten als Bodendenkmale ausweisbar waren. 199 Außerdem setzte das nordrhein-westfälische Denkmalschutzgesetz für die Definition eines Denkmals keinen festen Zeithorizont voraus, sodass auch „Objekte der Gegenwart, etwa Bauwerke oder technische Geräte, wegen ihres besonderen Erscheinungsbildes oder ihrer ausgefallenen technischen Konzeption für die Zukunft erhaltenswert“ 200 erscheinen

zierung, München 32010; Wirsching (2006), S. 472. Für einen Überblick über den Erlass und die Novellierung von Denkmalschutzgesetzen in den einzelnen Bundesländern in den 1970er Jahren vgl. Erbguth, Wilfried / Paßlick, Hermann / Püchel, Gerald: Denkmalschutzgesetze der Länder. Rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung Nordrhein-Westfalens, Münster 1984, S. 1. Die Neuorientierung wurde maßgeblich durch die 1964 vom Zweiten Internationalen Kongress der Architekten und Techniker in der Denkmalpflege verabschiedeten Internationalen Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmalen und Ensembles, der „Charta von Venedig“, in Gang gesetzt; vgl. Lukas-Krohm, Viktoria: Denkmalschutz und Denkmalpflege von 1975 bis 2005 mit Schwerpunkt Bayern, Bamberg 2014, S. 15 f. 198 Vgl. Erbguth / Paßlick / Püchel (1984), S. 6. 199 Im ursprünglichen Entwurf der Koalition war die Einschränkung noch enthalten, fand aber keinen Einzug in das schließlich erlassene Gesetz; vgl. ebd., S. 7; Landtag Nordrhein-Westfalen: Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und F. D. P. Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG). Drucksache 8/4492, 04. 05. 1979, URL: https://www. landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/ MMD08-4492.pdf [letzter Zugriff: 31. Mai 2022]. Die Initiative zur Erweiterung des Denkmalbegriffs auf „Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, die für die Urgeschichte des Menschen, der Tier- oder Pflanzenwelt von Bedeutung sind“, ging von den Landschaftsverbänden aus, die zum Gesetzesvorschlag der Regierungskoalition Stellung nahmen und die Zusammenarbeit zwischen den Organen der kommunalen Selbstverwaltung und der Legislative im Gesetzgebungsprozess positiv hervorhoben; LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, Best. 711/1198, Stellungnahme der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe zu dem Entwurf eines Denkmalschutzgesetzes (Landtagsdrucksache 8/4492) (H. i. O.). 200 Erbguth / Paßlick / Püchel (1984), S. 7.

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konnten. Neben der Klärung administrativer Zuständigkeiten und einer engeren Verzahnung mit dem Städtebau normierte das Gesetz also zuallererst, welche Objekte der älteren bis allerjüngsten Vergangenheit als erhaltenswert gelten konnten, und zeichnete sich im Ländervergleich durch die zeitlich breite Begriffsdefinition aus. 201 Keine historische Qualität im Sinne einer mindestens erforderlichen zeitlichen Dauer, sondern ein „öffentliches Interesse“ 202 wurde als notwendige Bedingung einer Begriffsdefinition angeführt. Dies bestehe dann, „wenn die Sachen bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen“ 203. Klangen industrielle Bauwerke in dieser grundsätzlichen Begriffsbestimmung schon implizit an, wurden sie in der nachfolgenden Ausdifferenzierung in Baudenkmäler, Denkmalbereiche, bewegliche Denkmäler und Bodendenkmale explizit hervorgehoben. 204 Die Bedeutsamkeit für „die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse“ als Denkmalkriterium war eine Besonderheit des nordrheinwestfälischen Denkmalschutzgesetzes, 205 das eine für das Bundesland als spezifisch betrachtete Facette der Vergangenheit in den Gegenstandsbereich der gesetzlich zu regelnden Denkmalpflege integrieren sollte. Zeitgenössische Abhandlungen zum neuen Denkmalschutzgesetz betonten diese Erweiterung des Denkmalbegriffs, durch die nun „nicht etwa nur hervorragenden ästhetischen Objekten der Baukunst“ 206 Denkmalwert zukomme. Vielmehr konnten nun „auch Sachen der Industriearchitektur, die – ohne jegliche kunsthistorische Bedeutung – eher als häßlich oder störend empfunden werden, [. . . ] durchaus als Zeugnisse der Geschichte der Produktionsverhältnisse“ und somit als erhaltenswert gelten. Ein genuin ästhetischer Wert im Sinne einer nicht konventionellen Schönheit 201 Vgl. ebd. 202 Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226. 203 Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226. 204 „Denkmalbereiche sind Mehrheiten von baulichen Anlagen, und zwar auch dann, wenn nicht jede dazugehörige einzelne bauliche Anlage die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt. Denkmalbereiche können Stadtgrundrisse, Stadt-, Ortsbilder und -silhouetten, Stadtteile und -viertel, Siedlungen, Gehöftgruppen, Straßenzüge, bauliche Gesamtanlagen und Einzelbauten sein sowie deren engere Umgebung, sofern sie für deren Erscheinungsbild bedeutend ist. Hierzu gehören auch handwerkliche und industrielle Produktionsstätten, sofern sie die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen.“ Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande NordrheinWestfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226. 205 Vgl. Erbguth / Paßlick / Püchel (1984), S. 10. 206 Ebd., S. 11. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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schien baulichen Relikten der Industrie in dieser Lesart jedoch noch nicht zukommen zu können. Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal bedeutete auch die Erweiterung der Definition des „öffentlichen Interesses“, das die weite Definition des Denkmalbegriffs vor potenzieller Ausuferung bewahren sollte. Anders als andere Bundesländer, die ebenfalls mit dem Begriff des „öffentlichen Interesses“ als Kriterium für die Auszeichnung eines Objekts als Denkmal arbeiteten, erweiterte das nordrhein-westfälische Gesetz diesen Begriff vom Interesse am Erhalt auf die Nutzung des potenziellen Denkmals. 207 Gleichrangig neben dem Interesse am Erhalt eines Objekts sollte also auch das Interesse an seiner Nutzung als hinreichende Begründung für die Auszeichnung als Denkmal dienen können. Nicht allein ein konservatorisches, sondern auch ein gestaltendes, auf die zukünftige Nutzung abzielendes Interesse an dinglichen Überresten der Vergangenheit sollte ihre Denkmaleigenschaft begründen können. War im Gesetzesentwurf zunächst noch vorgesehen, dass die Nutzung von Baudenkmalen „möglichst entsprechend einer durch ihre Anlage vorgegebenen Zweckbestimmung“ 208 zu gestalten sei, fiel diese Einschränkung im schließlich erlassenen Gesetz weg. Eine potenzielle Nutzung musste damit nur noch „die Erhaltung der Substanz auf Dauer“ 209 gewährleisten. So war der Erhalt der Bausubstanz zwar eine unbedingt zu erfüllende Auflage für die Nutzung von Denkmalen, die Ähnlichkeit ihrer Funktion und somit die Normierung einer der Vergangenheit möglichst ähnlichen Zukunft aber nicht Gegenstand der gesetzlichen Regelung. Das Gesetz sollte damit einerseits Klarheit in Bezug auf Konflikte zwischen privaten Eigentümern und behördlichem Denkmalschutz schaffen und andererseits die Zuständigkeiten innerhalb der staatlichen Aufsichtsbehörden klären. Hier sollte die Erklärung von Gemeinden zu unteren Denkmalbehörden die in der Funktionalreform verfolgten Ziele der „Bürgernähe, Verwaltungsvereinfachung, Aufgabentransparenz“ 210 einlösen und das „Zuständigkeitswirrwarr in der Denkalmpflege [. . . ] beseitigen“, wie die Landschaftsverbände in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf anerkennend hervorhoben. Die Gesetzesinitiative war aber nicht nur eine Reaktion auf Missstände in Verwaltung und unklare Rechtsverhält207 Vgl. ebd., S. 9. 208 Landtag Nordrhein-Westfalen (1979). 209 Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226. 210 LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, Best. 711/1198, Stellungnahme der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe zu dem Entwurf eines Denkmalschutzgesetzes (Landtagsdrucksache 8/4492). Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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nisse, sondern auch auf ein gestiegenes Interesse am Denkmalschutz in der Bevölkerung, das unter anderem durch das in Deutschland unter dem Motto „eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ 211 abgehaltene Europäische Denkmalschutzjahr 1975 angetrieben worden war. 212 Die Koalition aus SPD und FDP begründete ihre Gesetzesinitiative mit einem gestiegenen öffentlichen Interesse an der Denkmalpflege, denn eine „immer breitere Öffentlichkeit fordert nunmehr zu Recht, daß vorhandene Bausubstanz stärker geschützt und gepflegt wird, wenn sie erhaltenswert und ihre Sicherung finanziell vertretbar ist“ 213. Das Gesetz normierte also zum einen bereits bestehende Praxen der Unterschutzstellung und zum anderen die Diskussionen um eine Erweiterung des Denkmalbegriffs, die in den 1970er Jahren insbesondere im Kontext von Diskussionen um Stadtplanung und Modernisierung geführt wurden. Auszeichnung eines Objekts als Denkmal

Die Ende der 1960er Jahre aufkeimende und im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 kulminierende Debatte kreiste um diejenigen Dimensionen einer Erweiterung des Denkmalbegriffs, die sich 1980 auch im nordrhein-westfälischen Gesetz niederschlugen. Die Fragen nach einer zeitlichen Ausdehnung und verstärkten Integration industriell-technischer Bauten und Wohnsiedlungen waren dabei Ausdruck einer tieferen Krise

211 Das Bayerische Amt für Denkmalpflege erstellte zum Denkmalschutzjahr unter diesem Motto eine Wanderausstellung, die durch ihre plakative Gegenüberstellung von positiv dargestelltem Altbestand und negativ dargestellten Neubauten polarisierte, vgl. Vollmar, Bernd: Denkmalpflege zweidimensional. Zum Entstehungsprozess und zur zeitgenössischen Resonanz der Begleitausstellungen zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975, in: Falser, Michael / Lipp, Wilfried (Hg.), Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Zum 40. Jubiläum des Europäischen Denkmalschutzjahres (1975– 2015). A Future for Our Past. The 40th Anniversary of European Architectural Heritage Year (1975–2015). Un Avenir pour Notre Passé. 40e Anniversaire de l’Année Européenne du Patrimoine Architectural (1975–2015), Berlin 2015, S. 170–182; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege / Münchner Stadtmuseum: Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Denkmalschutz und Denkmalpflege in der Bundesrepublik Deutschland. Europäisches Denkmalschutzjahr 1975. Wanderausstellung 1975– 1976, im Auftrag des Deutschen Nationalkomitees für das Europäische Denkmalschutzjahr vorbereitet vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, eröffnet am 3. Juli 1975 im Münchner Stadtmuseum, München 1975. 212 Zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 vgl. z. B. Falser, Michael / Lipp, Wilfried (Hg.): Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Zum 40. Jubiläum des Europäischen Denkmalschutzjahres (1975–2015). A Future for Our Past. The 40th Anniversary of European Architectural Heritage Year (1975–2015). Un Avenir pour Notre Passé. 40e Anniversaire de l’Année Européenne du Patrimoine Architectural (1975–2015), Berlin 2015. 213 Landtag Nordrhein-Westfalen (1979).

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und Neuorientierung der Denkmalpflege als Disziplin. 214 Angetrieben durch die zeitgleich prominent in Wissenschaft und Feuilleton ausgetragene Debatte um den Stellenwert und die Zukunft der Geschichtswissenschaft entspann sich eine Grundsatzdiskussion um Aufgabe, Gegenstandsbereich und Zukunft der Denkmalpflege. 215 Jüngere Reformer*innen wie der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Roland Günter forderten nicht nur eine Erweiterung des Denkmalbegriffs, sondern vor allem auch eine Politisierung der Disziplin. Die Denkmalpflege sollte sich nicht allein auf den Erhalt herausragender und nach konventionellen Kriterien als schön bewerteter Einzelobjekte konzentrieren, sondern sich vielmehr gestaltend in den auf die Zukunft ausgerichteten Prozess der Stadtplanung einbringen – „Zukunftsfragen rückten so auch auf die Tagesordnung der Anwälte des Vergangenen“ 216, wie die Denkmalpflegerin Ingrid Scheurmann rückblickend konstatiert. Im Denkmalschutzjahr 1975 erreichte die Debatte mit der Rede Willibald Sauerländers auf der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger einen Höhepunkt. Als Vorsitzender des Verbands Deutscher Kunsthistoriker und Mitglied des Nationalkomitees für das Denkmalschutzjahr machte Sauerländer die Frage nach der „Erweiterung des Denkmalbegriffs“ 217 zum Thema seiner Rede. Ausgehend vom Paradox einer vermeintlichen Krise der Geschichte und ihrer Wissenschaften einerseits und einem stetig steigenden Interesse am Erhalt baulicher Relikte der Vergangenheit andererseits stellte er fest, dass die Disziplin es bei der breit diskutierten Erweiterung keinesfalls nur mit einer quantitativen Ausdehnung, sondern vielmehr mit „einer qualitativen Veränderung, Erschütterung und Gefährdung des überkommenen Denkmalbegriffes zu tun“ 218 habe. Durch eine 214 Vgl. Scheurmann, Ingrid: Erweiterung als Erneuerung. Zur Kritik des traditionellen Denkmalbegriffs im Denkmalschutzjahr 1975, in: Falser, Michael / Lipp, Wilfried (Hg.), Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Zum 40. Jubiläum des Europäischen Denkmalschutzjahres (1975–2015). A Future for Our Past. The 40th Anniversary of European Architectural Heritage Year (1975–2015). Un Avenir pour Notre Passé. 40e Anniversaire de l’Année Européenne du Patrimoine Architectural (1975–2015), Berlin 2015, S. 147–156, S. 148 f.; dies.: Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege. Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit, Köln / Weimar / Wien 2018, S. 254–261; 316–320. 215 Zur Debatte um Stellenwert und Zukunft der Geschichtswissenschaft siehe Kapitel 1 und vgl. z. B. Koselleck (1971); Kocka (1972); Nipperdey, Thomas: Wozu noch Geschichte?, in: Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hg.), Die Zukunft der Vergangenheit. Lebendige Geschichte, klagende Historiker, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 1975, S. 34–57; Oelmüller, Willi (Hg.): Wozu noch Geschichte? Zur Funktion der Geschichte in den Wissenschaften, München 1977. 216 Scheurmann (2015), S. 149. 217 Sauerländer, Willibald: Erweiterung des Denkmalbegriffs?, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 33 (1975), S. 117–130. 218 Ebd., S. 118.

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zunehmende Verwissenschaftlichung der Disziplin seit 1900 sei die Denkmalpflege „zu einer angewandten historischen Disziplin geworden [. . . ] und ihre konservierende Tätigkeit nähert sich, mutatis mutandis, jener des Archivars“ 219. Um einer „dokumentarischen Erstarrung“ 220 zu entkommen, müsse sich ein denkmalgeschütztes Objekt in „aktivierende, urbane Erinnerung verwandeln“. Objekte der Vergangenheit gelte es nicht um ihrer selbst willen für die Zukunft zu erhalten, sondern um auf ihnen aufbauend eine Zukunft für die städtische Gesellschaft zu gestalten: Und unsere Devise hieße dann nicht mehr, wie es das Motto des Europäischen Denkmaljahres will, ‚Eine Zukunft für unsere Vergangenheit‘ – denn das wäre ja immer noch der alte Historismus – sondern umgekehrt: nur mit bewahrter Vergangenheit eine urbane Zukunft. 221

Sauerländer schloss seine Rede mit einem Appell: Von uns fordert die gegenwärtige Situation jedenfalls Verantwortungsgefühl und Handlungsbereitschaft über jedes Spezialistentum hinaus. Das ist gefordert im Dienste eines nicht nur erweiterten, sondern eines sozialbewußten und urbanen, auf die Zukunft der Bürger und der Res publica gerichteten Denkmalbegriffes – auf eine Zukunft, die nicht brutal von jeder Erinnerung abgeschnitten ist. 222

Dies bedeute keineswegs, dass nun „eine Wohnwelt unter der kunsthistorischen Käseglocke“ 223 konserviert werde müsse, sondern dass Objekte und Ensembles im sozialen Funktionszusammenhang ihrer städtischen Umgebung als denkmalwert zu betrachten und zu erhalten seien. Auch die Ausdehnung der zeitlichen Grenzen und Integration neuer Objektgruppen in den Denkmalschutz seien im Grunde selbstverständliche Entwicklungen, sofern sie nicht ideologisiert würden. Zwar sei die Auflockerung klassischer Hierarchien zugunsten „bisher gering geachtete[r] oder ausgeschlossene[r] Objektgruppen [. . . ] von den bescheideneren Wohnquartieren älterer Städte über die Arbeitersiedlung bis zur Mietskaserne [. . . ] der Bewahrung von Nutzbauten und frühen Industrieanlagen“ 224 positiv zu

219 Ebd., S. 122. Die damit verbundene Distanzierung von der Frage nach dem Sinn der Denkmalpflege für die Gesellschaft stelle ihre Relevanz infrage; „Ist Denkmalpflege als Dokumentation von Bau- und Kunstgeschichte hier überhaupt noch mehr als eine irrelevante Fachbeschäftigung, der die eigentliche Absicht – das bewahrte Zeugnis aus der Geschichte – zum absurden Präparat gerinnt?“, ders. (1975), S. 124. 220 Sauerländer (1975), S. 125. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 221 Ebd. 222 Ebd., S. 129. 223 Ebd., S. 125. 224 Ebd., S. 126.

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bewerten, dürfte jedoch nicht ideologisch aufgeladen und politisch funktionalisiert werden. 225 Trotz seiner Warnung vor einer vermeintlichen Ideologisierung bezog Sauerländer sich damit ausdrücklich positiv auf die Forderungen Roland Günters, der in einem viel beachteten Aufsatz zur Praxis der denkmalpflegerischen Inventarisation „neue methodische Fragen“ 226, mehr Reflexion, umfangreichere und auch für Laien verständlichere Publikationsformen sowie die Ausdehnung der Zeitgrenzen und die Integration neuer Objektgruppen in den Denkmalschutz gefordert hatte. Er kritisierte die zeitliche Grenze einer denkmalpflegerischen Inventarisation bis zum Ende des Barocks als unwissenschaftlich und überkommen, da sie unkritisch an hergebrachten Kriterien festhalte, anstatt sie wissenschaftlich zu reflektieren und zu überarbeiten. Weder Alter noch Seltenheit erschienen ihm als hinreichende Argumente, um historischen Objekten Denkmalwert zuzuweisen. 227 Die Konventionen der klassischen Denkmalpflege seien vielmehr Ausdruck des „Schönheitsbegriff[s] einer längst überholten normativen Ästhetik“ 228. Sie priorisiere Sakralbauten, denen dann Schlösser und „Bürgerhäuser“ folgten, und übernehme damit unkritisch eine „mittelalterliche Hierarchie, die eine Werteskala darstellt“. Am Vorbild der Geschichtswissenschaft orientiert sollte die Denkmalpflege Bauwerke nicht als herausragende Einzelstücke erhalten und aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang herauslösen, sondern vielmehr Objekte dokumentieren, welche die Gesellschaft und ihre historische Entwicklung in ihrer ganzen sozialen Breite abbilden. 229 Die Inventarisation von Objekten konnte und sollte aus Günters Sicht aber keinesfalls gleichbedeutend mit dem denkmalpflegerischen Schutz derselben sein. Angesichts schwindender finanzieller Ressourcen und der Erweiterung des Denkmalbegriffs sei vielmehr offensichtlich, dass Dokumentation durch Inventarisation eine Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit gefährdeten Objekten sein müsse, wobei hier profanen Wohn- und Industriebauten der Vorzug vor Sakral- und Feudalbauten zu geben sei:

225 Vgl. ebd.: „Die Aufbereitung von bisher sozusagen unterprivilegierten Objektgruppen zu bloßem Agitationsmaterial für retrospektive Gesellschaftskritik würde solcher Forderung nicht gerecht. Die Notwendigkeit der Integrierung von bisher unterbewerteten Denkmälergruppen aber steht außer Zweifel.“ 226 Günter, Roland: Glanz und Elend der Inventarisation, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 28 (1970) 1, S. 109–117, S. 109. 227 Vgl. ebd., S. 110. 228 Ebd., S. 111. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 229 Vgl. ebd., S. 112 f. Günter plädierte dafür, den Methodenkanon der Denkmalpflege um Statistik und Interviews mit „noch lebenden Zeugen“ zu erweitern, um wichtige Wissensressourcen zur Erforschung von Bauwerken zu erschließen.

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Die Aufgabe der Inventarisation wandelt sich also nahezu grundsätzlich: Es gilt nicht mehr, in erster Linie Erhaltenes zu dokumentieren und zu erschließen, sondern Untergehendes wenigstens durch Dokumentation zu sichern und zugänglich zu machen. [. . . ] Stellt man die der Inventarisation zugrunde liegende mittelalterliche feudale Wertpyramide in Frage, dann ergibt sich um so dringender eine Überprüfung der Prioritäten, vor allem im Hinblick auf die Notwendigkeit, Gefährdetes zu dokumentieren. Denn Schlösser und bedeutende Kirchen reißt niemand ab. [. . . ] Hingegen sind weite Bereiche in höchstem Maße gefährdet: Der Industriebau, der Wohnungsbau, ja sogar die öffentlichen Bauten. Der soziale Wandel ruft hier neue Formen hervor. Wir erleben zur Zeit nicht nur das Verschwinden der technischen Architektur von zwei Jahrhunderten auf Grund neuer technologischer Entwicklungen, sondern auch in unseren Städten die Umwälzung der Bausubstanz, ihre Erneuerung in anderen Formen, ebenfalls weitgehend bestimmt durch technologische und wirtschaftliche Veränderungen. Die Inventarisation sollte daher anders eingesetzt werden. Es wäre zum Beispiel sinnvoll, die kirchlichen Denkmäler einstweilen auszusparen und dafür vor allem die Wohnbauten zu dokumentieren, bevor sie verschwinden. 230

Die in ihrer Relevanz fragwürdig gewordene Denkmalpflege sollte sich also reformieren und so ihre Funktion innerhalb der Gesellschaft legitimieren. Nicht der Erhalt alter, konventionell als schön betrachteter Einzelobjekte, die kirchliche, aristokratische oder bürgerliche Machtansprüche repräsentierten, sondern vielmehr eine aktive Rolle in der Gestaltung städtischer Zukünfte erschienen angesichts des rapiden wirtschaftlichen und sozialen Wandels als der richtige Weg hin zur Erneuerung der Disziplin. Die erwünschte Normierung dieser Zukünfte beschränkte sich gerade nicht auf die Unterschutzstellung und damit forcierte Erhaltung von „‚Spitzenobjekte[n]‘“ 231, sondern erstreckte sich vielmehr auf die Dokumentation des historisch gewachsenen und nun im Verschwinden begriffenen alltäglichen urbanen Sozialraums. Als Professor für Kunst- und Kulturtheorie der Fachhochschule Bielefeld setzte Roland Günter dieses Programm zwei Jahre nach Publikation des Aufsatzes mit einer Gruppe von Studierenden um. Sie sollten die Oberhausener Arbeitersiedlung Eisenheim angesichts des im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen geplanten Abrisses dokumentieren. Die ursprünglich im oben beschriebenen Sinne nur als Dokumentation gedachte Untersuchung politisierte sich schnell und wurde als Kampfschrift „gegen die Zerstörung der ältesten Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets“ 232 publiziert. 230 Ebd., S. 116. 231 Scheurmann (2015), S. 149. 232 Fachhochschule Bielefeld, Projektgruppe Eisenheim (Hg.): Rettet Eisenheim. Eisenheim 1844–1972. Gegen die Zerstörung der ältesten Arbeitersiedlung des Ruhrgebietes, Berlin 21973.

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Der Einsatz für die Unterschutzstellung der Arbeitersiedlung verfolgte ein klares politisches Ziel, wertete die Projektgruppe die geplante Vernichtung der historischen Bausubstanz doch als Versuch der Unterdrückung eines „historischen Bewußtseins der Arbeiterklasse“ 233. Zwar stellte der Landeskonservator des Rheinlands die Siedlung noch im Jahr der durch die Projektgruppe angeleiteten Gründung der sogenannten „Arbeiterinitiative“ zum Erhalt der Siedlung 1972 unter Denkmalschutz. 234 Jedoch bedeutete das noch nicht die Rettung der Siedlung, für die in Abstimmung mit der Thyssen AG als Eigentümerin zunächst noch ein bautechnisch und finanziell realisierbares Sanierungskonzept gefunden werden musste. Die Auszeichnung eines Objekts als Denkmal bedeutet mithin nicht ihren unbedingten und schon gar nicht unveränderten Erhalt für die Zukunft. Sie bedeutet zunächst nur die Zuweisung eines spezifischen Werts für die auszeichnende soziale Gemeinschaft durch das staatlich geregelte Verfahren der Unterschutzstellung, das seit der Einführung des Landesdenkmalschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen 1980 durch die Eintragung in die Denkmalliste der jeweiligen Kommune vollzogen wird. 235 Es normiert die Zukunft des unter Schutz gestellten Objekts dahingehend, dass es für dessen Erhalt zuwiderlaufenden Maßnahmen spezifische Hürden auferlegt. Mit der Unterschutzstellung von Eisenheim wurde dieser Status erstmals einer Arbeitersiedlung zugewiesen, die nicht aufgrund ihres ästhetischen Werts, sondern vor allem wegen ihrer sozialen Funktion und Aussagekraft für die industrielle Geschichte der Region als denkmalwert eingestuft wurde und daher als zentraler Bezugspunkt einer auf Industriekultur bezogenen Denkmalpflege und Geschichtsarbeit gilt. Dieser Pioniercharakter und die Vorbildfunktion der Arbeiterinitiative für rund 50 andere Initiativen zum Siedlungserhalt begründen den starken Bottom-up-Charakter Eisenheims als narrativem Bezugspunkt innerhalb des geschichtskulturellen Felds der Region. 236 Tatsächlich fungierte die Siedlung aber zugleich als Werkstück einer sich im oben beschriebenen Sinne reformierenden Denkmalpflege, zählte mit Roland Günter schließlich ein nicht nur praktisch tätiger, sondern auch theoretisch einflussreicher Denkmal-

233 Ebd., S. 3. 234 Vgl. Günter / Günter (1999), S. 45. 235 Vor der endgültigen Eintragung kann eine vorläufige Unterschutzstellung durch einen Verwaltungsakt der zuständigen Denkmalbehörde angeordnet werden, die bis zur Eintragung in die Liste als vorgestellte, aber gleichermaßen gültige Eintragung fungiert, vgl. Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande NordrheinWestfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG), GV.NW.1980. S. 226; Erbguth / Paßlick / Püchel (1984), S. 19. 236 Zur Geschichte der Arbeiterinitiativen als Teil der Neuen sozialen Bewegungen vgl. Wicke (2017).

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pfleger zu den tragenden Akteur*innen der Erhaltungsbemühungen, die schnell die Unterstützung des Landeskonservators und somit der einflussreichsten Denkmalbehörde fanden. Widerstand kam neben der Eigentümerin vor allem vom FDP-geführten Innenministerium, das die 1975 vom Stadtrat beschlossene denkmalgerechte Sanierung der Siedlung zu verhindern suchte. 237 Im Fall der Unterschutzstellung der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund war die Unterstützung der Denkmalbehörde dagegen nicht gleichermaßen schnell gegeben. Zwar war mit dem Direktor der Dortmunder Werkkunstschule, Hans-Paul Koellmann, auch hier ein Hochschullehrer mit einschlägigem Fachhintergrund ein zentraler Akteur in den Bemühungen um den Erhalt des zum Abriss freigegebenen Industriebauwerks. Neben Koellmann engagierten sich auch das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher und der städtische Denkmalpfleger Werner Kleffmann für den Erhalt der Maschinenhalle der Zeche Zollern, die in einem Artikel der Architekturzeitschrift Bauwelt 1969 als „Entdeckung des Jahres“ 238 gefeiert wurde. Der Jugendstilbau war mitsamt dem maschinellen Inventar zum Abriss freigegeben, wobei die Verschrottung der Maschinen und der Stahlkonstruktion einen sechsstelligen Erlös einbringen sollte. 239 Zwar hatte das mit architektonischem und künstlerischem Fachhintergrund ausgestattete Bürgerbündnis in der Person Kleffmanns Unterstützung bei der kommunalen Denkmalpflege gefunden. Sein Ersuchen, denkmalpflegerische Einsprüche gegen den Bebauungsplan für das Zechengelände geltend zu machen, lehnte der Landesoberbaurat beim Landeskonservator für Westfalen-Lippe, Eberhard Neumann, im Februar 1969 jedoch zunächst ab. Die Bauten stünden nicht unter Denkmalschutz und ein Erwirken desselben erscheine ihm „zweifelhaft“ 240. Kleffmann kommentierte das ablehnende Schreiben handschriftlich mit einem empörten „Das darf doch nicht wahr sein“ 241. Erst der Umweg über seinen Vorgesetzten, Hermann Busen – wie Koellmann Mitglied in der Henry-van-derVelde-Gesellschaft – und eine pressewirksame Intervention beim Kultus-

237 Vgl. Günter / Günter (1999), S. 46. 238 Conrads, Hans: Die Entdeckung des Jahres. Maschinenhalle der Schachtanlage Zollern II in Dortmund-Bövinghausen, in: Bauwelt (1969) 21, S. 735–738. 239 Vgl. Parent (2006). 240 Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben Eberhard Neumanns an das Stadtplanungsamt der Stadt Dortmund vom 25. 02. 1969. 241 Kleffmann handschriftlich auf dem Schreiben Neumanns, Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben Eberhard Neumanns an das Stadtplanungsamt der Stadt Dortmund vom 25. 02. 1969. Vgl. dazu auch Parent (2006), S. 407.

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minister führten zu einer Unterschutzstellung per Eilbescheid am 30. Dezember 1969. 242 Die Rolle der Zeche Zollern als „wichtiges Zeugnis der Industriegeschichte des Ruhrgebiets“ 243 war zwar ein Argument für die Unterschutzstellung, ihre Bedeutung „als klassisches Beispiel des Jugendstils“ stand jedoch an erster Stelle. Für die Auszeichnung als Denkmal waren also vor allem ihr Beispielcharakter für die „künstlerische Entwicklung der modernen Baukunst“ 244 und damit architektonisch-ästhetische Gründe sowie die pressewirksamen Interventionen der gut vernetzten bildungsbürgerlichen Akteur*innen entscheidend. Angesichts der geringen finanziellen Mittel der Denkmalpflege wurde neben einer musealen Nutzung unter anderem auch erwogen, die Maschinenhalle als Gewerberaum oder Sporthalle zu nutzen, wofür sogar eine „Versetzung auf das Universitätsgelände“ 245 in Betracht gezogen wurde. Der Akt der Unterschutzstellung veranlasste die Gelsenberg-Aktiengesellschaft als Eigentümerin zu der im Antwortschreiben wie selbstverständlich vorgetragenen Versicherung, ein Abbruch der Maschinenhalle sei nicht geplant, da man sich „über den historischen Wert des Bauwerks im Klaren“ 246 sei – ein Muster, das sich wie in Kapitel 2.2.3 dargestellt auch im Fall der Zeche Zollverein beobachten lässt. Auch hier betonte die RAG später ihr Engagement und Bewusstsein für den historischen Wert des nun denkmalgeschützten Zechenareals, obwohl für das spätere Weltkulturerbe ebenfalls zunächst Abrisspläne vorgelegen hatten, die von der Stadt Essen auch genehmigt worden waren. Erst die vorläufige Unterschutzstellung kurz vor der Stilllegung durch den zuständigen Minister Christoph Zöpel als Chef der obersten Denkmalbehörde verhinderte den Abriss. Gut fünfzehn Jahre nach der Debatte um den Erhalt Zollerns konnte die Unterschutzstellung Zollvereins nun auf Basis des Denkmalschutzgesetzes erfolgen. Zählte die Industriedenkmalpflege in den zuständigen Behörden

242 Zur Geschichte der Unterschutzstellung vgl. ausführlich ebd.; Parent, Thomas: Die Entdeckung des Jahres 1969. Zur Geschichte der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV und zur Frühgeschichte der Technischen Denkmalpflege in NordrheinWestfalen, in: Rasch, Manfred / Bleidick, Dietmar (Hg.), Technikgeschichte im Ruhrgebiet, Technikgeschichte für das Ruhrgebiet. Festschrift für Wolfhard Weber zum 65. Geburtstag, Essen 2004, S. 155–174. 243 Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben Hermann Busens an den Oberbürgermeister der Stadt Dortmund vom 16. 12. 1969. 244 Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben Hermann Busens an den Vorstand der Rhein-Elbe-Bergbau AG vom 30. 12. 1969. 245 Vgl. Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben Hermann Busens an den Oberbürgermeister der Stadt Dortmund vom 16. 12. 1969. 246 Stadt Dortmund, Denkmalakte Zollern, Schreiben der Gelsenberg AG an Hermann Busen vom 13. 01. 1970.

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zunächst nur vereinzelte Unterstützer wie Günter oder Kleffmann, hatte sie sich im Jahrzehnt bis zum Erlass des Denkmalschutzgesetzes erfolgreich etablieren können. So war im Zuge der Diskussionen um den Erhalt Zollerns 1970 der Auftrag zur Inventarisation potenzieller Industriedenkmale an den LWL ergangen, dem Landeskonservator Busen zunächst noch mit beinahe ratloser Überforderung begegnete, wie der Spiegel mit süffisantem Unterton berichtete. 247 Mit der Einstellung von Referenten für Technische Denkmalpflege 1973 und 1974 institutionalisierten LWL und LVR die Industriedenkmalpflege wenig später. 248 Der Rechenschaftsbericht des LWL von 1976 zur Denkmalpflege der letzten sieben Jahre dokumentierte diese Entwicklung, wie die FAZ anerkennend berichtete: Jahrelang saßen die Denkmalspfleger wie, wenn es das noch gäbe, im Bremserhäuschen des Fortschritts und versuchten schüchtern und verhalten, auch wenn sie es manchmal bestritten, die rasende Fahrt in die Zukunft ein wenig zu verlangsamen. Doch das Bremserhäuschen selbst ist ein Teil des sausenden Zuges; das heißt, auch das Geschichtsbewußtsein ist ein Ergebnis der Geschichte. [. . . ] Und nun (wer hätte das gedacht!) taucht sogar die Industriearchitektur mit ihren Werkhallen, Maschinen und Förderkörben am Horizont des Geschichtsinteresses auf; sie werden gesammelt und geschützt. Das ist zwischen Rhein und Ruhr allerdings wie eine Offenbarung. Der Zug des Fortschritts bummelt nur noch durchs Industriegebiet; und der Rechenschaftsbericht bezeichnet mit Wort und Bild die Rettung der Maschinenhalle auf der Dortmunder Zeche Zollern II als einen Markstein auf neuen Wegen. Was uns noch vor wenigen Jahrzehnten als nützlich und notwendig, wenngleich schauderhaft in Anblick und Auswirkung zu sein schien, was als Verschandelung

247 Vgl. N. N.: Kunst im Pütt, in: Der Spiegel, 5. April 1970: „Kunsthistoriker Dr. Hermann Busen, 56, aus Münster versteht seine Fachwelt nicht mehr: ‚Ich fühle mich fast überfordert.‘ An die Grenze seines an Gotik und Barock geschulten Kunstverstandes geriet der westfälische Landeskonservator, als ihn das nordrhein-westfälische Kultusministerium beauftragte, zwischen den Schloten des Ruhr-Reviers nach industriellen Kulturzeugen der Gründerjahre zu fahnden – ein Auftrag, den Busen einem Beschluß des Düsseldorfer Landtags verdankt: Außer Burgen und Kathedralen sollen künftig auch ausgediente Fördertürme, veraltete Hochöfen und abbruchreife Fabrikhallen unter Denkmalschutz gestellt werden. [. . . ] So reist Konservator Busen mit einem Assistenten seit Wochen durch das Land der Zechen und Gruben und müht sich um eine neue Kunstanschauung. Denn was abbruchreifer Plunder oder aber für die Nachfahren erhaltenswerte Kunst der Technik ist, hat vor ihm niemand definiert. Immerhin hat der Restaurator mittlerweile eine Denkmals-Liste mit 58 Objekten zusammengestellt und dem Kultusministerium vorgelegt. [. . . ] Alle Eigentümer von Bauwerken, die in die Denkmals-Liste aufgenommen werden, dürfen die geschützten Bauten nicht nur nicht antasten, sie sollen nach Möglichkeit auch noch Restaurierungskosten zahlen. Was Wunder, daß die Busen-Kommission zumeist mit Mißtrauen empfangen wird, und oft kommen die Denkmalschützer zu spät. Kulturpolitiker Bargmann weiß, daß ‚viele sich freuen und sagen, was ein Glück, daß wir den alten Mist schon abgerissen haben‘.“ 248 Vgl. Parent (2006), S. 409. Siehe auch Kapitel 1.4, Anm. 344.

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von Welt und Umwelt zum Himmel stank und schrie, das ist nicht nur nutzlos geworden, hat nicht nur bereits die neutrale Zone des Historischen passiert, sondern ist dabei, sich unterderhand [sic] ins Reizvolle, fast schon Ästhetische und Gefühlvolle zu wandeln. Wie ehedem die alten Mäusetürme der Ritter und später die staubigen Windmühlen der Bauern, so werden nun die Förderkörbe der Kumpel zu stimmungsvollen Wahrzeichen der Landschaft. Und die Denkmalspfleger haben alle Hände voll zu tun. [. . . ] Im ganzen [sic], so scheint es, schreitet der Fortschritt nicht mehr so fort wie bisher. Man gewinnt Zeit nicht nur für Gegenwart und Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit, wovon denn auch Gegenwart und Zukunft profitieren werden. 249

Mit Rückgriff auf die Figur eines rasenden Zugs als gängiger Fortschrittsmetapher wurden nicht nur das steigende Interesse an der Denkmalpflege, sondern vor allem auch ihre programmatische Erweiterung als Ausdruck von Zukunftsorientierung und Nachweis für gesellschaftlichen Nutzen der Disziplin gewertet – ganz so, wie es die Reformer*innen der Denkmalpflege zur disziplinären Selbstlegitimation forderten. Bauliche Relikte der Industrie, die ehemals als landschaftliche Schandflecken und dann als nutzlose Überreste gegolten hatten, verwandelten sich kraft des Denkmalschutzes in „stimmungsvolle Wahrzeichen“, vergleichbar mit Ritterburgen oder Überresten einer ländlich geprägten, vorindustriellen Wirtschaftsform. Die Auszeichnung als Denkmal allein sei hierzu jedoch nicht ausreichend, wenn keine nachhaltige Nutzung für die unterschutzgestellten Objekte gefunden würde, weshalb es gelte, „auch für die Zukunft der geretteten Vergangenheit zu sorgen“ 250. Plädierte der Artikel hier nicht nur für den Erhalt, sondern auch die Gestaltung „geretteter Vergangenheit“ beispielsweise als Museum, war es gerade das Spannungsverhältnis zwischen beiden, das 30 Jahre später im Falle Zollvereins zur Eskalation des Konfliktes um das zum Weltkulturerbe erklärte Denkmal führte. 251 Aufstellen eines Plans

Die Zukunft der geretteten Vergangenheit drohte durch die Funktionalisierung von Vergangenheit als Zukunft überlagert zu werden, wie etwa die Kritik an der Vorstellung des für die Entwicklung Zollvereins aufgestellten Masterplans zeigt: „Es muß stutzig machen, wenn in der Ein249 Hahne, Heinrich: Eine bessere Zukunft für die gerettete Vergangenheit. Neue Horizonte der Denkmalspflege. Rechenschaftsbericht in Westfalen-Lippe stimmt hoffnungsvoll, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Januar 1976. 250 Ebd. Der Titel des Artikels liest sich mithin nicht nur als Verweis auf das Denkmalschutzjahr, sondern auch als Postulat: „Eine bessere Zukunft für die gerettete Vergangenheit“. 251 Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.3.

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führung des Ministers zwar viel von ‚Zukunftsstandort‘ die Rede ist, das Wort ‚Denkmal‘ aber gar nicht mehr vorkommt. Denn das größte Kapital, über das diese Ikone der Moderne verfügt, ist ihre Geschichte.“ 252 Für die Entwicklung des Masterplans war mit dem Office for Metropolitan Architecture (OMA) von Rem Koolhaas ein international renommiertes Architektenbüro engagiert worden, dessen Gründer sich persönlich an die Erstellung des Masterplans machte. Er entwickelte einen Masterplan, der neben der Ansiedlung von Gewerbeflächen und Neubauten etwa für eine Designhochschule auch Vorschläge für die Planungen des Ruhr Museums und des Besucherzentrums für die Route der Industriekultur umfasste. 253 Neubauten sollten vor allem in einer „Bebauungszone rund um das historische Gelände“ 254 entstehen, um die monumentale Wirkung der historischen Architektur zu erhalten. Der Denkmalpfleger Reinhard Roseneck entwickelte gleichzeitig einen denkmalpflegerischen Masterplan, der die Gebäude bewertete und Vorschläge machte, welche Teile des Areals ganz oder teilweise zu erhalten seien und welche eventuell abgerissen werden könnten, ohne das Verständnis der technischen Anlagen und Prozesse zu schmälern. 255 Als normierende Praxis zeichnen sich Masterpläne dadurch aus, dass sie als Pläne zur Entwicklung einer Fläche zwar Vorschläge zur Gestaltung ihrer Zukunft machen, in ihrem normierenden Charakter aber nicht so verbindlich sind wie andere Planungsinstrumente. Im Gegensatz zu verfahrensrechtlich geregelten Planungsinstrumenten wie etwa Bebauungsoder Flächennutzungsplänen sind Masterpläne nicht rechtsverbindlich, sondern entwickeln als informelles Planungsinstrument Vorschläge zur Gestaltung eines stadtplanerischen Problems, das erst durch Beschlüsse zuständiger Organe wie etwa eines Stadtrats letztendliche Verbindlichkeit erlangt. 256 So sah der OMA-Masterplan zur Entwicklung des ZollvereinGeländes zunächst noch Neubauten für Besucherzentrum und Ruhr Museum vor, die nicht wie später tatsächlich realisiert, innerhalb, sondern 252 Rossmann (2002). 253 Vgl. Thelen, Anna: Der Masterplan von Rem Koolhaas. Die Entwicklungsgrundlage des Welterbes, in: Marth, Hermann (Hg.), Zollverein. Welterbe und Zukunftswerkstatt, Berlin 2018, S. 86–103. 254 Seltmann, Gerhard: Zeche Zollverein. OMA’s Master Plan, in: Ferguson, Francesca (Hg.), Talking Cities. The Micropolitics of Urban Spaces, die Mikropolitik des urbanen Raums, Basel / Boston / Berlin 2006, S. 14–15, S. 14. 255 Vgl. Roseneck, Reinhard: Denkmalpflegerischer Masterplan für das UNESCO-Weltkulturerbe Zollverein, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 4 (2002) 1, S. 37–44. 256 Vgl. Pahl-Weber, Elke: Informelle Planung in der Stadt- und Regionalplanung, in: Henckel, Dietrich, et al. (Hg.), Planen, Bauen, Umwelt. Ein Handbuch, Wiesbaden 2010, S. 227–232.

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um die Kohlenwäsche herum angeordnet werden sollten. Da die Entwicklungsgesellschaft Zollverein Neubauten in unmittelbarer Nachbarschaft zum historischen Gebäude allerdings ablehnte, wurde wenige Monate nach Präsentation des Masterplans doch der Umbau der ehemaligen Kohlenwäsche ins Auge gefasst. 257 Für Koolhaas’ zentrale Vision, „‚dem identitätslosen Ruhrgebiet eine Identität‘ zu geben“ 258, war das Ruhr Museum als Ausstellungsraum der regionalen Geschichte innerhalb des zu entwickelnden ‚Zukunftsstandorts‘ von zentraler Bedeutung. Während Teilprojekte an andere Architekturbüros vergeben wurden, wie etwa die Zollverein School of Management and Design an das japanische Architekturbüro Sanaa, 259 übernahm das OMA von Rem Koolhaas in Kooperation mit dem schon seit 1990 auf Zollverein tätigen Essener Büro Böll & Krabel den Umbau der Kohlenwäsche für das entstehende Besucherzentrum und das Ruhr Museum. 260 Die baulichen Anforderungen an ein Museumsgebäude machten jedoch umfangreiche Arbeiten am Gebäude der ehemaligen Kohlenwäsche erforderlich, deren ursprüngliche Konstruktion eigentlich nur auf eine Lebensdauer von wenigen Jahrzehnten angelegt gewesen war. So musste unter anderem die nur zehn Zentimeter dicke Fassade verstärkt und versetzt sowie eine Rolltreppe eingebaut werden, um den Besucher*innen den Zugang zur Kohlenwäsche zu ermöglichen, da sie für die Unterfahrbarkeit mit Zügen auf Stelen errichtet worden war. Der Abbau von Teilen der Maschinerie und der Einbau einer Zwischenebene kam für Kritiker*innen wie Andreas Rossmann einem „Ausweiden der Kohlenwäsche“ 261 gleich und rief Gutachter*innen des International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) auf den Plan. Sie prüften, ob das erst drei Jahre zuvor zum Weltkulturerbe ernannte Zechenareal auf die rote Liste der gefährdeten Kulturdenkmale zu setzen sei. Während auch der Landeskonservator des Rheinlands Kritik am Umgang mit Zollverein und hier insbesondere mit der Kohlenwäsche übte, unterstützten

257 Vgl. Rossmann (2002); Mazzoni (2003). 258 Rossmann (2002); vgl. auch Entwicklungsgesellschaft Zollverein / Office for Metropolitan Architecture (Hg.): Masterplan Zeche Zollverein, Essen 2002. 259 Die private Hochschule wurde aufgrund wirtschaftlicher und konzeptioneller Probleme bereits 2008 wieder geschlossen und liquidiert. Das preisgekrönte, aber in seinen Nutzungsmöglichkeiten durch technische Probleme und unverhältnismäßig hohe Betriebskosten eingeschränkte Gebäude wurde von der Folkwang Universität der Künste übernommen; vgl. N. N.: Folkwangenröt. Schule, Hochschule, Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Januar 2010; N. N.: Rein bautistisch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Mai 2010. 260 Vgl. Seltmann (2006), S. 15. Das Büro von Heinrich Böll und Hans Krabel war bereits seit 1990 mit der Sanierung verschiedener Gebäude auf Zollverein beauftragt. 261 Rossmann, Andreas: Verkohlewäsche. Icomos ermittelt zur Zeche Zollverein, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. November 2004.

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die Stadt Essen und die Landesregierung den Umbau zu Museum und Besucherzentrum. 262 Aus Sicht von Kritiker*innen wie Rossmann holten die Architekten zum „Anschlag auf die historische Bausubstanz aus“ 263 und der Gründungsdirektor des Ruhr Museums Borsdorf nehme billigend in Kauf, dass „das Haus, das hier 2006 eröffnet werden soll, mit der Vergangenheit nicht mehr viel zu tun“ habe. Hatte der FAZ-Korrespondent für NRW in seiner Ausstellungsrezension zu ‚Sonne, Mond und Sterne‘ noch lobende Worte für die Inszenierung des solarbetriebenen Riesenrades auf dem Gelände der Kokerei gefunden, 264 setzte es für ihn nun „einen unübersehbaren Kirmes-Akzent“ 265 und trotze dem überfälligen, eigentlich schon für die UNESCO-Auszeichnung angemahnten Abriss. Auch die Architekturkritikerin und Denkmalschützerin Ira Mazzoni kritisierte, Koolhaas und Böll hätten die Kohlenwäsche vom ehemals „authentische[n] Monument und [. . . ] morbide[n] Exponat ihrer selbst“ 266 in „ein runderneuertes Surrogat nostalgischer Anmutungen“ verwandelt. Die Nutzung von Kohlebunkern als Ausstellungsflächen sei keine „MuseumArchitektur, sondern brutale Ruhr-Folklore“. Die Rolltreppe, mit der wie früher die Kohle nun die Besucher*innen den Weg von oben nach unten durch die Kohlenwäsche antreten sollten, gerate damit zu einer „Gangway zur Nostalgie“. Da Mazzoni ebenfalls kritisierte, dass die Entwicklungsgesellschaft Zollverein „alles daran setzt, das Welterbeterrain als Zukunftsstandort zu etablieren“, wog die diskursive Sanktionierung der Gestaltung des Museumsbaus als nostalgisch und folkloristisch besonders schwer. Aus ihrer Sicht schien die Funktionalisierung Zollvereins im Sinne einer Gestaltungszukunft nur im Modus folkloristischer Nostalgie Raum für Geschichte zu lassen, womit das als Welterbe ausgezeichnete Denkmal zur Kulisse degradiert werde. Der Denkmalstatus und die Auszeichnung durch die UNESCO erforderten aus Mazzonis Sicht einen unbedingten Erhalt der technischen Anlagen in ihrer Verbindung zur Architektur. Zulässig seien nur denkmalpflegerische, nicht aber auf eine anderweite Nutzung ausgerichtete gestalterische Maßnahmen – für Erstere gebe es aber im Gegensatz zu Letzteren keine Fördermittel, weshalb Kritik an den Umbauplänen ver-

262 So fanden die Pläne auch die Unterstützung des Kulturministers Michael Vesper, der „als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Entwicklungsgesellschaft Zollverein (EGZ) und als Vorgesetzter der Genehmigungsbehörden“ in zweifacher Hinsicht für den drohenden „Geschichtsabriß“ verantwortlich sei, wie Rossmann scharf kritisierte, ebd. 263 Ebd. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 264 Siehe Kapitel 2.2.3, Anm. 785. 265 Rossmann, Andreas: Der Essener Dom. Welterbe Zollverein in Gefahr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Oktober 2005. 266 Mazzoni (2006). Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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stumme. 267 Die Auszeichnung des Geländes als Denkmal und noch dazu Welterbe einerseits und das Aufstellen eines Masterplans zur Entwicklung des Geländes andererseits konkurrierten um die Normierung zukünftiger Wirklichkeiten des Areals, obwohl beide Praxen sich auch gegenseitig stützten. Denn der Erhalt eines Objekts ist durch die Auszeichnung als Denkmal allein noch nicht gewährleistet, sondern erfordert finanzielle Mittel zu dessen Pflege, deren Verausgabung ein städtebaulicher Plan normiert. Er entwirft dabei jedoch möglicherweise eine Zukunft für das zu gestaltende Objekt, die dem durch die Unterschutzstellung angestrebten Erhalt widerspricht. Der Masterplan als informelles Planungsinstrument bot ein gewisses Maß an Flexibilität für die hier entstehenden Konflikte. Auch wenn die bauliche Umsetzung nicht exakt den Vorschlägen des Masterplans folgen musste, blieb sein Kerngedanke der Entwicklung des Welterbes zum ‚Zukunftsstandort‘ doch maßgeblich. Auch in der Satzung der Stiftung Zollverein war die Entwicklung des Welterbes zum „Zukunftsstandort“ bereits festgelegt. 268 Die Satzung regelt nicht nur Aufbau und Zusammensetzung der Stiftungsorgane und benennt Stifter sowie Stiftungsvermögen, sondern legt vor allem auch den Zweck der Stiftung und mit ihm die Investitionsmöglichkeiten des Vermögens fest. Auch die enge Verknüpfung der in der Stiftungssatzung festgeschriebenen Entwicklung Zollvereins zum „Zukunftsstandort“ und des in der ehemaligen Kohlenwäsche untergebrachten Ruhr Museums zeigt sich in der zugrunde gelegten Stiftungskonstruktion. So wurde die Nachfolgeinstitution des ehemals zur Stadt Essen gehörenden Museums vom Land NRW, der Stadt Essen und dem LVR im Jahr 2007 als unselbstständige Stiftung innerhalb der Stiftung Zollverein gegründet. Die institutionelle und personelle Verknüpfung von Ruhr Museum und Zollverein garantiert dem Museum zur Natur- und 267 Vgl.: „Niemand will mit kritischen Einwänden das EU-Förderprojekt in Höhe von 49,08 Millionen Euro einschließlich Landesanteilen gefährden. Gebetsmühlenartig wiederholen die Verantwortlichen, das Denkmal sei nur durch Umnutzung zu retten sei [sic]. Rein rechnerisch stimmt das auch, denn im Rahmen eines Wirtschaftsentwicklungsplans wurden für Zollverein insgesamt 97,15 Millionen Euro bewilligt. Für eine denkmalpflegerische Instandsetzung dagegen hätte es weder EU-Mittel noch Städtebauförderungsmaßnahmen gegeben. Weder die Stadt noch das Land haben Geld, ihrer eigentlichen Verpflichtung nachzukommen, das Denkmal zu pflegen und für zukünftige Generationen zu bewahren“, ders. (2003). Aus Mazzonis Sicht hatte der zeitliche Druck zur Verausgabung der Fördermittel zunächst zur schnellen Beauftragung des OMA mit der Erstellung des Masterplans als informellen Planungsinstrument und schließlich auch zur Vergabe des Auftrags zum Umbau des bestehenden Gebäudes an Koolhaas und Böll geführt, anstatt mit hohem Zeitaufwand den Bau zweier Neubauten auszuschreiben. 268 Vgl. Stiftung Zollverein: Satzung Stiftung Zollverein. Überarbeitete Fassung vom 05. 12. 2007. Siehe hierzu auch Kapitel 2.2.3.

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Kulturgeschichte des Ruhrgebiets einerseits einen herausgehobenen Platz in der Stiftung Zollverein und damit in der zukünftigen Entwicklung des Welterbes. Andererseits bindet sie das Geschichtsmuseum aber gleichzeitig auch fest in die übergeordnete Gestaltung Zollvereins als ‚Zukunftsstandort‘ ein. Dem Erlass von Stiftungssatzungen kommt für die Entwicklung Zollvereins mithin eine ähnlich normative und gleichzeitig flexible Wirkung zu wie dem Aufstellen des Masterplans. Legt der Stiftungszweck zwar grundsätzlich die Investitionsmöglichkeiten des für Zollverein zur Verfügung stehenden Stiftungsvermögens fest, lässt er gleichzeitig auch Interpretationsspielraum, welche Maßnahmen seiner Verwirklichung dienlich sind. 269 Ebenso legte der Masterplan langfristige Perspektiven zur Entwicklung Zollvereins fest, auf deren Basis zahlreiche Projekte zur Gestaltung des Areals entwickelt wurden. 270 Gleichzeitig konnten die durch ihn normierten zukünftigen Wirklichkeiten aber immer wieder an aktuelle Diskussionslagen wie Finanzierungsmöglichkeiten und kommunale Interessen angepasst werden. Diese Flexibilität machte den Masterplan als planerische Praxis auch für das Problem der regionalen Raumplanung attraktiv, die erst im Jahr 2009 wieder dem vier Jahre zuvor zum Regionalverband Ruhr (RVR) umgebildeten KVR zugesprochen werden sollte. War vorher eigentlich keine einheitliche Regionalplanung für das Ruhrgebiet vorgesehen, gründete sich im Rahmen des BMBF-Forschungsverbunds „Stadt 2030“ im Jahr 2003 eine Initiative von zunächst nur acht, später allen elf kreisfreien Städten zur Erarbeitung eines Masterplans Ruhr. 271 Angeregt durch die IBA Emscher Park war das Ziel, eine stärkere Zusammenarbeit der einzelnen Ruhrgebietsstädte zu initiieren und Planungsfragen wie Wohnen und Stadtentwicklung nicht mehr je einzeln, sondern als städtischer Verbund anzugehen. 272 Um das häufig kritisierte Kirchturmdenken zu umgehen, sollten alle Aspekte des Masterplans sowohl einen Vorteil für die je einzelnen Städte als auch für die ganze Region einbringen. Aus dem zunächst informellen Planungsverfahren ergab sich eine formell geregelte Planungs269 Vgl. „Zweck der Stiftung ist die Förderung der Kultur und Denkmalpflege insbesondere im Hinblick auf die Wiedernutzbarmachung, Pflege und Erhaltung des Welterbes Industrielle Kulturlandschaft Zollverein einschließlich der angrenzenden brachliegenden Industrieflächen sowie deren Öffnung für die Allgemeinheit, die den Gesamtkomplex als kulturelles Zentrum und Zukunftsstandort mit den Schwerpunkten Geschichte und Architektur, Kunst, Design und Medien sowie der Kultur, Bildung und Wissenschaft erfahren und nutzen soll“, ebd. 270 Vgl. Thelen (2018). 271 Vgl. die erste Version Städteregion Ruhr (Hg.): Masterplan Ruhr, Dortmund 2006. 272 Vgl. Kunzmann, Klaus R.: Ein Masterplan „von unten“ für das Ruhrgebiet, in: Städteregion Ruhr 2030 (Hg.), Masterplan Ruhr 2008. Wohnen, Städtebau und Stadtentwicklung, Regionen am Wasser, Dortmund 2009, S. 10–14.

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initiative der Städte Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen, die 2009 einen gemeinsamen regionalen Flächennutzungsplan verabschiedeten. 273 Der gemeinsame Flächennutzungsplan hob die Bedeutung des Denkmalschutzes allgemein und spezifischer denkmalgeschützter Objekte wie der Zeche Zollverein im Besonderen für die zukünftig zu entwickelnde Stadtplanung hervor. Als Argument für die erwünschte Erhaltung denkmalgeschützter Objekte und Weiterentwicklung von Instrumenten zu ihrer Erschließung wie der Route der Industriekultur galt im Kontext des Planungsinstruments aber nicht ihr historischer Wert an sich. Vielmehr war die Funktion für die „Lebensqualität des Raumes und Identifikation der dort lebenden Menschen“ 274 das ausschlaggebende Argument, weshalb es gelte, „ihre identitätsstiftenden und imagebildenden Potenziale gezielt in Wert zu setzen und zu vermitteln“. Die Integration des Denkmalschutzes in die regionale Stadtplanung und damit auch die Vergabe finanzieller Mittel sollte mithin langfristig gesichert werden, um nach innen und außen imagebildend zu wirken. Die eindeutige Verknüpfung von Denkmalschutz mit Identitätsstiftung und Imagepolitik im Flächennutzungsplan normierte den zukünftigen städtebaulichen Umgang mit gebauter Geschichte im öffentlichen Raum hin zu einer auf Identität ausgerichteten Funktionalisierung. 275 Aber nicht nur die unterschiedliche Funktionalisierung der geschützten Objekte durch Denkmalschutz und Stadtplanung barg Konfliktpotenzial, sondern ebenso ihre konkurrierenden Zeithorizonte. Der leitende Zeithorizont der Stadtplanung ist nicht wie beim Denkmalschutz eine weit entfernte oder gar potenziell maximal ferne Zukunft wie beim Weltkulturerbe, sondern ein konkreter, planerischer Zeithorizont. Seine maximale Entfernung war schon durch das übergeordnete städtebauliche Forschungsprojekt begrenzt, dessen Fokussierung auf das Jahr 2030 einen im stadtplanerischen Rahmen fernen Zukunftshorizont bezeichnete. Mit Rückblick auf den Wandel von einer langfristigen Planung während der Zeit des wirtschaftlichen Booms in den 1950er und 1960er Jahren zum Abrücken von solchen langen Zeithorizonten seit den 1970er Jahren stellte das Forschungsprojekt eine doppelte Frage nach der

273 Vgl. Planungsgemeinschaft Städteregion Ruhr: Regionaler Flächennutzungsplan2009. Vgl. dazu auch Pahl-Weber (2010), S. 31. 274 Planungsgemeinschaft Städteregion Ruhr (2009), S. 31. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 275 Der Flächennutzungsplan bezog sich hierbei explizit nicht nur auf bereits unter Schutz gestellte Objekte: „Der Denkmalbegriff gilt auch für denkmalwerte Objekte, die (noch) nicht rechtskräftig unter Schutz gestellt sind“, ebd., S. 31.

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„Planung der Zukunft – Zukunft der Planung“ 276. Zu Beginn des neuen Jahrtausends sollten nicht nur Entwürfe zur Zukunft der teilnehmenden Städte, sondern auch zur Stadtplanung als Disziplin entstehen. Der vorgegebene Planungshorizont vom „gedachten Zeitpunkt im Abstand einer Generation, also etwa 30 Jahren“ 277, war als Aufforderung gedacht, den seit den 1970er Jahren prägenden „planungskritischen Inkrementalismus“ 278 abzustreifen und wieder längerfristige Zeithorizonte einer als offen und gestaltbar gedachten Zukunft zu normieren. Neben Integration und Identität bildete Regionalisierung einen Schwerpunkt des bundesweiten Forschungsprojekts, wofür die historische Tradition des SVR als ehemals regional tätige Planungsinstanz als Vorbild herangezogen wurde. 279 Damit gewann die Region als räumliche Einheit entscheidend an Bedeutung, wie es sich auch in der Strukturpolitik als einer anderen, eng mit der Stadtplanung verbundenen, normierenden Praxis beobachten lässt. Auflegen eines Strukturprogramms

Als Mittel zur Korrektur von als problematisch oder gar krisenhaft eingestuften wirtschaftlichen Entwicklungen entstand die eng mit Aspekten der Raumplanung verbundene Strukturpolitik in den 1960er Jahren. 280 Mit dem „Entwicklungsprogramm Ruhr“ 281 verabschiedete die Landesregierung 1968 ein erstes Strukturprogramm für das von der Kohlekrise erschütterte Ruhrgebiet. Im Vordergrund standen hier zunächst noch wirtschaftliche Maßnahmen der Krisenbewältigung, 282 verfolgte die Landesregierung mit dem Programm doch vor allem das Ziel, „daß das Ruhrgebiet die leistungsfähigste Industrielandschaft Deutschlands“ 283 bleiben sollte. Dafür müsse die Region bei der Verteilung von Landesmitteln über eine zeitlich begrenzte Dauer des auf fünf Jahre angelegten Strukturprogramms

276 Göschel, Albrecht: Der Forschungsverbund „Stadt 2030“. Planung der Zukunft, Zukunft der Planung, in: Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.), Zukunft von Stadt und Region. Band 2: Perspektiven städtischer Identität. Beiträge zum Forschungsverbund „Stadt 2030“, Wiesbaden 2006, S. 7–22. Ebenso als Einleitung zu den weiteren Einzelbänden der die Ergebnisse des Forschungsverbunds zusammenfassenden Reihe. 277 Ebd., S. 7. 278 Ebd., S. 9. 279 Vgl. Ganser, Karl: Die Region die Stadt der Zukunft. Perspektiven für die Regionalisierung, in: Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.), Zukunft von Stadt und Region. Band 2: Perspektiven der Regionalisierung. Beiträge zum Forschungsverbund „Stadt 2030“, Wiesbaden 2005, S. 19–26. 280 Vgl. Goch (2002), S. 16–18. 281 Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1968). 282 Vgl. Goch (2002), S. 16. 283 Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1968), S. 3.

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bevorzugt werden, um die in ihren Ausmaßen als einmalig bewertete ökonomische Krise zu bewältigen. Da das Programm vor allem die Ansiedlung neuer Betriebe und Wirtschaftszweige zum Ziel hatte, kamen alte Industrieanlagen und industrielle Brachflächen nur als potenzielle Flächen für gewerbliche Neuansiedlungen oder als verbaute Frei- und Grünflächen vor. In beiden Fällen galt es in erster Linie, sie von den alten Anlagen zu befreien und entsprechend ihrem neuen Zweck aufzubereiten. Schon nach zwei Jahren Laufzeit wurde nach dem Vorbild des Entwicklungsprogramms Ruhr ein Strukturprogramm verabschiedet, welches das eigentlich durch die besondere Krise begründete Prinzip der regionalen Förderung auf das ganze Land ausdehnte. Das „Nordrhein-WestfalenProgramm 1975“ 284 nahm die noch offenen Maßnahmen des Entwicklungsprogramms Ruhr auf und entwarf darüber hinaus ein umfassendes Strukturprogramm für ganz NRW. Wenngleich aus Anlass der strukturellen Krise entwickelt, war das Auflegen der Strukturprogramme „insgesamt nicht allein reaktive Politik, sondern in vielfältiger Weise [. . . ] auch aktiv und vorausschauend“ 285, wie Stefan Goch betont. Dass das Auflegen eines Strukturprogramms als Praxis auf die Normierung zukünftiger Wirklichkeiten zielt, zeigt sich am Vorwort zum Nordrhein-Westfalen-Programm 1975: Die Zukunft Nordrhein-Westfalens erfordert Vorausschau und Planung. [. . . ] Das ‚Entwicklungsprogramm Ruhr‘ hat in einem hohen Maße bewirkt, daß im Bewußtsein der Menschen des Reviers und im Urteil der Welt das Ruhrgebiet aus der bedrängten industriellen Krisenlandschaft wieder zu einer hoffnungsvollen wirtschaftlichen Zukunftslandschaft Europas geworden ist. [. . . ] Das ‚Nordrhein-Westfalen-Programm 1975‘ ist der zweite mittelfristige Handlungsplan der Landesregierung. Er soll die Entwicklungsperspektive des ganzen Landes bis zur Mitte der siebziger Jahre darstellen und die voraussehbaren Entwicklungstendenzen der weiteren Zukunft aufzeigen. 286

In seiner überaus positiven Bilanz nach nur zwei Jahren Laufzeit des Entwicklungsprogramms Ruhr wohl etwas voreilig, sollte das neue Programm auf dessen Vorbild aufbauend zur vorausschauenden Gestaltung der Zukunft des Landes dienen. Die sprachliche Gegenüberstellung der Region als „Krisenlandschaft“ vor und als „Zukunftslandschaft“ nach dem Strukturprogramm postulierte eine offene, gestaltbare Zukunft, die in jedem Falle positiver aussehen würde als der ihr vorangegangene Krisenzustand. Dass es sich aber trotzdem nicht mehr im gleichen Maße um einen Pla284 Vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1970). 285 Goch (2004), S. 14. 286 Kühn, Heinz: Vorwort, in: Landesregierung Nordrhein-Westfalen (Hg.), NordrheinWestfalen-Programm 1975, Düsseldorf 1970.

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nungs- und Fortschrittsoptimismus handelte wie vor der Kohlekrise, zeigt sich ebenfalls bereits am Vorwort, das mit einer Einschränkung des gestaltbaren Zukunftshorizonts schloss: Die Verantwortung einer Regierung erlaubt ihr nicht, in ihren Programmen eine utopische Fata Morgana der Wünsche an den Horizont der Entwicklung zu malen. Sie muß eine realistische Planung des Notwendigen und Möglichen zur Grundlage ihres Handelns machen. Wir werden in den siebziger Jahren kein Utopia verwirklichen, aber wir werden die Fundamente zu legen haben, von denen die neuen Dimensionen der Gesellschaft im Jahre 2000 gewonnen werden können, eine geschichtliche Wegmarke, die nicht mehr so fern ist: unsere Söhne und Töchter werden sich an ihr zu bewähren haben. Sie sollen dann nicht sagen müssen, daß ihre Väter versäumt hätten, ihnen die Voraussetzungen zur Bewältigung ihrer Zukunft zu schaffen. 287

Den Anspruch einer utopischen, möglicherweise ideologisch fundierten Zukunftsplanung weit von sich weisend, wurde der zu gestaltende Zeithorizont nicht nur auf das kommende Jahrzehnt begrenzt, sondern auch als Gegenbild zu idealisierenden und gleichzeitig realitätsfernen, gar trügerischen Zukunftsvorstellungen eines Utopia oder einer Fata Morgana konzipiert. Der Zukunfts- wurde zum Möglichkeitshorizont verengt und gleichzeitig als Fundament einer weiter entfernten Zukunft entworfen, der in der bevorstehenden Jahrtausendwende seinen Fluchtpunkt fand. Der Zeithorizont von drei Jahrzehnten wurde gleichzeitig als generationeller Zukunftshorizont gedacht, sodass das Programm als Grundlage für die Normierung der zukünftigen Wirklichkeit der folgenden Generation durch den – maskulin väterlich gedachten – Staat verstanden wurde. Die Zukunft erschien als etwas, das vor allem bewältigt werden musste, fußte sie doch auf einer in die Krise geratenen Gegenwart, die sich durch einen in seiner Tiefe noch nie dagewesenen Wandel auszeichnete, der „nicht sich selbst überlassen werden“ 288 dürfe, sondern gesteuert werden müsse. Fortschritt schien nur noch durch Wandlungsfähigkeit zu erreichen, die sowohl auf staatlicher als auch auf individueller Ebene postuliert wurde. Wurde auf Landesebene beispielsweise die Förderung von Atomenergie statt der in die Krise geratenen Steinkohle fokussiert, müssten sich die Bürger*innen darauf einstellen, dass es „künftig seltener als bisher möglich sein [würde], ein Leben lang denselben Arbeitsplatz zu behalten“ 289. Zwar wolle die Landesregierung „deshalb gezielte Aufklärungsaktionen über die zukünftigen Aussichten verschiedener Berufe“ durchführen. Die Verantwortung für die Anpassungsfähigkeit an den sich wandelnden Ar287 Ebd. 288 Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1970), S. 1. 289 Ebd., S. 2. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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beitsmarkt durch Fort-, Um- und Weiterbildungen begann aber sich auf das Individuum zu verschieben. 290 Bildungspolitik sei daher „weithin vorgenommene Arbeitsmarktpolitik“, die wiederum „Vorsorge gegenüber Störungen des Arbeitsmarktes“ bedeute. Außerdem wurde beschlossen, „von sektoralen oder regionalen Förderungsprogrammen auf standortbezogene Förderkombinationen überzugehen“ 291. Die Umorientierung auf Standorte, die es diversifizierend zu fördern galt, legte einen Grundstein für die während des Strukturprogramms der IBA Emscher Park zu beobachtende Fokussierung auf „Zukunftsstandorte“, für deren wirtschaftliche Attraktivität es nicht nur strukturpolitischer Maßnahmen, sondern auch der Modellierung der Bevölkerung zu qualifizierten potenziellen Arbeitskräften bedürfe. 292 Der Fokus lag nicht mehr darauf, Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose zu schaffen, sondern die Bevölkerung zu aktivieren und im Sinne zu entwickelnder Standortfaktoren als Arbeitskräfte zu qualifizieren. Neben der Förderung von Arbeit, Wirtschaft und Bildung war aber auch die Gestaltung von Freizeit Teil des Strukturprogramms, deren Ausdehnung und zunehmende Bedeutung für die Industriegesellschaft es anzuerkennen gelte. 293 Hier diagnostizierte das Programm vor allem dem Ruhrgebiet Nachholbedarf in Hinblick auf die „Verschönerung der Stadtlandschaft“ 294 und auf eine „Erhöhung des Freizeitwerts und des Ausbaus eines humanen Lebensraums“ 295. Die strukturpolitischen Maßnahmen bestanden vor allem in der Förderung klassisch hochkultureller Einrichtungen wie Theatern und Sinfonieorchestern sowie der Förderung von Museen und Denkmalschutz. 296 Beim Denkmalschutz veranschlagte das Programm nicht nur Mittel für den Aufbau kriegszerstörter Objekte, sondern auch für die Erweiterung der Denkmalpflege zugunsten von Industriebauwerken. 297 Zwar machten die hierfür vorgesehenen Mittel nur knapp

290 Vgl. ebd., S. 42: „Der arbeitende Mensch muß seine beruflichen Fähigkeiten fortlaufend verbessern und sich somit immer neuen Zugang zu offenen Stellen und besseren Arbeitsplätzen erschließen.“ Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 291 Ebd., S. 86. 292 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2.1. 293 Vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1970), S. 113. 294 Ebd., S. 112. 295 Ebd., S. 117. 296 Neben Neu- und Wiederaufbauplänen sah das Programm hier auch die Erweiterung von Sammlungen und die Förderung von Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit vor, die den beginnenden Aufstieg der Museumspädagogik begünstigte. 297 Vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (1970), S. 118: „In Zukunft wird die Landesregierung verstärkt die Erhaltung wertvoller Bauwerke sichern, die für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes charakteristisch sind. Dazu gehören unter anderem Fördertürme, Maschinenhallen, Schleusen und Schachtge-

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sieben Prozent des für den Bereich Freizeit und Kultur vorgesehenen Fördervolumens aus. 298 Die explizit zur programmatischen Erweiterung der Denkmalpflege vorgesehene Erhöhung der Mittel auf 70 Millionen DM war angesichts der noch sehr jungen Diskussion um die Erhaltungswürdigkeit industrieller Bauwerke jedoch trotzdem beträchtlich und schuf insbesondere angesichts des noch ausstehenden Denkmalschutzgesetzes die Voraussetzung für die Praxis der Auszeichnung von Industriebauwerken als Denkmal. Mit der Aufzählung potenziell denkmalwerter Bauwerke machte das Programm konkrete Vorschläge für Unterschutzstellungen, von denen der überwiegende Teil im Ruhrgebiet lag, das somit in der landesweiten Konkurrenz um Ressourcen profitierte. Bereits 1979 wurde mit dem Aktionsprogramm Ruhr erneut ein Strukturprogramm speziell für die strukturschwache Region aufgelegt. Neben arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen und der Förderung von Technologie- und Energiewirtschaft standen wieder Investitionen in Kultureinrichtungen und Denkmalschutz im Programm, 299 wobei es für diesen keine vergleichbar hohen Investitionen wie noch beim Nordrhein-WestfalenProgramm 1975 gab. 300 Zur Förderung der Revitalisierung von Brachflächen wurde allerdings der Grundstücksfonds Ruhr mit der beträchtlichen Summe von 100 Millionen DM pro Jahr eingerichtet, um Schwierigkeiten des Erwerbs und der Nutzbarmachung der Flächen aufzulösen und eine weitere Zersiedlung der Region zu verhindern. 301 Bevor die IBA Emscher Park zentrale Punkte der bisherigen Strukturpolitik für die Bauausstellung aufgriff, wurde mit der Zukunftsinitiative Montanregion (ZIM) 1987 noch ein weiteres Programm für die Region aufgelegt. Ähnlich wie schon beim Entwicklungsprogramm Ruhr und dem ihm nachfolgenden Nordrhein-Westfalen-Programm 1975 wurde die Zukunftsinitiative schon zwei

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bäude. Diese Aufgabe muß wegen der schnellen industriellen Umstellung jetzt in Angriff genommen werden.“ Kostenintensive Posten wie der Neu- und Ausbau von Sportstätten sowie Anlagen zur Tages-, Wochenend- und Freizeiterholung machten einen Großteil des für Freizeit und Kultur vorgesehenen Fördervolumens aus. Neben Neubauten wie etwa dem Mitte der 1980er Jahre eröffneten Museumszentrum für Folkwang- und Ruhrlandmuseum in Essen sollten vor allem Institutionen gefördert werden, die sich durch eine rege Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit auszeichneten, vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (Hg.): Politik für das Ruhrgebiet. Das Aktionsprogramm, Düsseldorf 1979, S. 63 f. Allerdings standen technische Denkmale nun gleichberechtigt neben Sakral- und Profanbauten bei der Verteilung der vorgesehenen fünf Millionen DM zur Sanierung von vier gefährdeten Denkmalen, vgl. ebd., S. 64 f. Mit der Sanierung zweier Fördertürme unterschiedlicher Bau- und Funktionsweise lag hier ein Schwerpunkt auf dem Steinkohlenbergbau respektive seiner landschaftlich prägenden Relikte und ihrer spezifischen Technikgeschichte. Vgl. ebd., S. 34.

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Jahre später auf das ganze Land ausgeweitet und zur Zukunftsinitiative für die Regionen Nordrhein-Westfalens (ZIN) umgewandelt. 302 Die IBA Emscher Park fungierte als Strukturprogramm wiederum speziell für die nördliche Zone des Ruhrgebiets und vereinte über das Instrument der Bauausstellung Strukturförderung mit Stadt- und Regionalplanung. Mit ihrer Ausrichtung auf kommunale Kooperation zur Gestaltung der Region, dem Wettbewerbsprinzip und einer publikumswirksamen Präsentation im Abschlussjahr wurde sie wiederum Vorbild für das Programm der Regionalen, das seit dem Jahr 2000 das zentrale strukturpolitische Instrument des Landes NRW zur Förderung von Regionen bildet. Mit dem Anspruch, eine neue, auf Projekte ausgerichtete Planungskultur zu schaffen, griff die IBA Emscher Park verschiedene Aspekte der bisherigen Strukturpolitik auf und integrierte sie in ihre Leitprojekte. 303 Um ihre Ziele zu erreichen, setzte die IBA-Emscher-Park-Gesellschaft schnell auf die Produktion starker Bilder, die das Ruhrgebiet zunehmend als einzigartig und besonders präsentieren sollten. Damit suchte sie die Wahrnehmung des Ruhrgebiets zu beeinflussen, die in der Stadtplanung häufig zu wenig berücksichtigt werde, wie der Stadtsoziologe Albrecht Göschel im Kontext des Forschungsprojekts Stadt 2030 zur Zukunft der Stadtplanung monierte. Er stellte fest, dass es „häufig Bilder zu sein [scheinen], die die Vorstellung einer Stadt mehr prägen als die Realität“ 304. Diese Bilder speisen sich aber nicht allein aus der äußeren Erscheinung von Städten. Sie sind vielmehr stark durch popkulturelle Repräsentationen geprägt, die als Imaginationen sowohl die Selbst- als auch die Fremdwahrnehmung der Region nachhaltig beeinflussen, wie die nachfolgende Analyse imaginativer Praxisformen deutlich machen wird. Zunächst werden aber die Untersuchungsergebnisse zur Praxisform des Normierens kurz zusammengefasst.

302 Vgl. Rehfeld, Dieter: Know how vor Ort. Regionalisierung der Strukturpolitik seit den 1980er Jahren, in: Goch, Stefan (Hg.), Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, Münster 2004, S. 217–241. 303 Beispielweise wurde erneut eine Liste denkmalwerter Relikte der Montanindustrie angefertigt und die Revitalisierung von Brachflächen und Landschaft zu einem zentralen Ziel der Bauausstellung erklärt. Siehe dazu ausführlich Kapitel 2. 304 Göschel, Albrecht: „Stadt 2030“. Das Themenfeld „Identität“, in: Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.), Zukunft von Stadt und Region. Band 2: Perspektiven städtischer Identität. Beiträge zum Forschungsverbund „Stadt 2030“, Wiesbaden 2006, S. 265– 302, S. 265. Er kritisierte weiter: „So sind Städtebilder allgegenwärtig [. . . ], doch bleibt diese Seite der Stadt, ihre je besondere Kultur in Stadtplanung, in ‚ernsthafter‘ Stadtentwicklung und der ihr zuarbeitenden Stadtforschung marginal. Technische, ökonomische und politische Funktions- und Lebensbedingungen werden verhandelt und planerisch bearbeitet. Von der Kultur der Stadt, von dem also, was sie doch in ihrer Besonderheit ausmacht, ist leider (fast) nie die Rede, in der praxisbezogenen Forschung noch weniger als in der Planungspraxis selbst, wie es manchmal scheint“, ders. (2006), S. 265 f.

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Zwischenfazit

Anhand von Untersuchungsbeispielen zur Praxis der Verabschiedung eines Gesetzes konnte nachgezeichnet werden, dass die kommunale Neugliederung des Ruhrgebiets und die Umbildung des SVR zum KVR die planerische Gestaltung einer einheitlichen Zukunft der Region schwächten und sie in den Bereich der Imagepolitik und Gestaltung kommunal übergreifender Grünflächen verschoben. Am Beispiel des Denkmalschutzgesetzes ist deutlich geworden, dass der Verabschiedung des Gesetzes eine intensive Diskussion um eine Ausweitung und Politisierung des von bürgerlichen Schönheitsidealen und Machtansprüchen geprägten Denkmalbegriffs zugrunde lag. Denkmalschutz sollte von einer rein bewahrenden zu einer die städtische Zukunft gestaltenden Tätigkeit werden. Das nordrhein-westfälische Gesetz zeichnete sich durch die besondere Berücksichtigung industrieller Bauwerke und die Ausweitung eines Interesses nicht nur am Erhalt, sondern auch an der zukünftigen Nutzung von Bauwerken aus, die dem historischen Zweck des Bauwerks nicht entsprechen mussten. Das Denkmalschutzgesetz, das nun auch Bauwerke der jüngsten Vergangenheit einschloss, normierte damit die Zukunft der bestehenden Praxis der Auszeichnung eines Objekts als Denkmal. Für diese haben die Dortmunder Zeche Zollern und die Oberhausener Siedlung Eisenheim als Untersuchungsbeispiele verdeutlicht, dass die Unterschutzstellung industrieller Bauwerke zu Beginn auf konventionellen kunsthistorischen Schönheitsidealen oder ihrer sozialen Funktion beruhte und nicht primär auf ihrer industriegeschichtlichen Bedeutung. Die für den Erhalt kämpfenden Bündnisse waren entweder bildungsbürgerlich geprägt oder angeleitet und fanden schnell personelle Unterstützung von Seiten des behördlichen Denkmalschutzes. Persönliche Netzwerke waren für den Erfolg der Initiativen in beiden Fällen von großer Bedeutung. Die Unterschutzstellung Zollvereins konnte schließlich auf Grundlage des Denkmalschutzgesetzes erfolgen, jedoch konkurrierte sie in der Normierung der Zukunft des Geländes mit der Praxis des Aufstellens eines Plans, die am Beispiel der Zollverein-Masterpläne untersucht wurde. Die Pläne sollten die Einpassung des zum Weltkulturerbe erklärten Denkmals in seine Entwicklung zum ‚Zukunftsstandort‘ normieren, was aufgrund der unterschiedlichen Zeithorizonte von Planung und Denkmalschutz zu großen Konflikten führte. Sowohl der Masterplan als auch die Satzung der Stiftung Zollverein waren allerdings für die Verteilung von Handlungsmacht und finanziellen Ressourcen zur Gestaltung Zollvereins von entscheidender Bedeutung. Im gemeinsamen Flächennutzungsplan großer Ruhrgebietsstädte wurde die Relevanz des Denkmalschutzes für Objekte wie Zollverein hervorgehoben, aber deutlich an die Produktion einer gemeinsamen Identität geknüpft,

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und somit in seiner historischen Bedeutungsproduktion für die Zukunft normiert. Als für die Verteilung finanzieller Ressourcen entscheidende Praxis hat sich das Auflegen eines Strukturprogramms erwiesen. Für jeweils spezifische Planungszeiträume knüpfte sie die Zuweisung von finanziellen Mitteln an strukturpolitische Ziele. Hier konnte unter anderem der Wandel von Zeithorizonten nachgezeichnet werden, die im Falle der zu gestaltenden Zukünfte immer kleiner, im Fall der zu bewältigenden Krise aber immer größer wurden.

3.3 Imaginieren Als die ARD im Januar 2019 eine Folge des Dortmunder Tatorts ausstrahlte, die sich anlässlich der endgültigen Stilllegung der letzten zwei noch fördernden deutschen Steinkohlenzechen vier Wochen zuvor mit den Folgen von Zechenschließungen für ehemalige Dortmunder Bergleute beschäftigte, war die Empörung groß. 305 „Zorn“ enthielt als Titel der Folge nicht nur einen Hinweis auf das Mordmotiv, sondern schien sich als selbst erfüllende Prophezeiung zu erweisen. Mit Vorwürfen wie „Das war Mobbing!“ 306 und „Mehr Klischee geht nicht“ 307 forderte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau „stinksauer“ 308 die Absetzung des Dortmunder Tatorts 309 und auch die Bevölkerung zeigte sich laut Zeitungsberichten mitunter „entsetzt“ 310. Obwohl die letzte Dortmunder Zeche bereits 1987 stillgelegt worden war, präsentierte die Episode ihren rund 9,2 Millionen Zuschauer*innen ein graues und trostloses Bergar305 Siehe dazu auch Wagner, Helen: Longing for Schimanski. On the Process of Deindustrialization in the Ruhr in Popular Culture, in: Becker, Tobias / Georgiou, Dion (Hg.), Pop Nostalgia? The Uses of the Past in Contemporary Popular Culture, New York [im Erscheinen]. 306 N. N.: Wegen „Tatort“ in der ARD. Dortmunds Oberbürgermeister stinksauer, „Das war Mobbing“, in: DerWesten.de, 22. Januar 2019. 307 Thiel, Thomas: „Mehr Klischee geht nicht“. Ullrich Sierau will Dortmund-Tatort einstellen, in: Ruhr Nachrichten, 21. Januar 2019. 308 N. N. (2019). 309 Vgl. Wilk, Jannik: „Fortwährendes Mobbing“. Dortmunder Oberbürgermeister fordert Aus für „Tatort“, in: Stern, 22. Januar 2019. In einem „Brandbrief“ an den WDR-Intendanten, den er öffentlichkeitswirksam auch gleich als Pressemitteilung veröffentlichte, machte der Dortmunder Oberbürgermeister seinem Ärger Luft. So habe er die Einführung des Dortmunder Tatorts anfangs noch als Ehre für die Stadt empfunden, müsse nun aber feststellen, dass die Filme darauf abzielten, die Stadt, ihre Einwohner*innen und mit ihr gleich das ganze Ruhrgebiet lächerlich zu machen, vgl. Wahl-Immel, Yuriko: Nach Bürgermeister-Brandbrief. Warum der Dortmund-„Tatort“ für so viel Ärger sorgt, in: dpa, 22. Januar 2019. 310 N. N.: „Tatort“ aus Dortmund. ARD zeigt Bergbau-Tatort, Zuschauer sind entsetzt!, in: DerWesten.de, 21. Januar 2019.

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beitermilieu, in dem Arbeits- und Perspektivlosigkeit mit viel Alkohol und Zigaretten runtergespült und von derben Sprüchen begleitet wurden. Der Film zeigte schlecht gekleidete Leute vor heruntergekommen Häusern und einem verfallenen Stahlwerk, das mangels geeigneter Kulisse zu allem Überfluss auch noch in Duisburg statt in Dortmund gefilmt worden war. Nicht nur habe der Tatort den erfolgreichen Strukturwandel von Stadt und Region vollkommen ignoriert, sondern schade ihr mit dieser Darstellung zusätzlich noch, weshalb er abgesetzt gehöre – eine Forderung, die von der Kommunalpolitik auch schon knapp 40 Jahre zuvor als Reaktion auf die Ausstrahlung der ersten Schimanski-Tatorte gestellt worden war. Somit imaginierte die umstrittene Tatort-Folge im Jahr 2019 nicht nur ein Ruhrgebiet, das den 1980er Jahren entsprungen zu sein schien, sondern sie reaktivierte auch eine Debatte, die bereits um den von Götz George gespielten und schnell zur Kultfigur aufgestiegenen Duisburger Kommissar Horst Schimanski entbrannt war. Während der nach Schimanskis Vorbild modellierte Dortmunder Kommissar im Jahr 2019 hauptsächlich Ärger erregte, gelte sein Duisburger Vorgänger heute allerdings als „kulturelles Erbe“ 311 der Region, wie viele Berichte betonten. Als Schimanski-Darsteller Götz George im Jahr 2016 verstarb, trauerten Zeitungen deutschlandweit mit Schlagzeilen wie „Trauer um Schimanski“ 312 nicht nur um den Schauspieler, sondern auch um die Kultfigur des Tatort-Kommissars. Nicht nur wurde George immer wieder mit seiner Rolle als Duisburger Kommissar identifiziert. Vielmehr entfalteten die von 1981 bis 1991 ausgestrahlten Duisburg-Tatorte, die 1997 unter dem Titel „Schimanski“ als eigenständige Serie auf den Fernsehbildschirm zurückkehrten, eine so große popkulturelle Wirkung, dass die Figur zum Symbol des Ruhrgebiets wurde: „Schimanski spielte nicht im Revier, er war das Revier.“ 313 Daran zeigt sich ein Charakteristikum imaginativer Praxisformen wie der Produktion eines Spielfilms oder einer Fernsehserie: Sie beeinflussen Vorstellungen von Geschichte und Gegenwart gleichermaßen. 314 Ausgehend von ihrer jeweiligen Gegenwart stellen die hier als Praxisform des Imaginierens zusammengefassten Praxen das Ruhrgebiet in

311 Wahl-Immel (2019). 312 N. N.: Trauer um „Schimanski“. Götz George (77) ist tot, in: Express, 27. Juli 2016; N. N.: Schimanski geht für immer. Götz George ist tot, in: N-TV, 27. Juni 2016. 313 Geschke, Linus: Auf ein Bier zu Ente. Gesichter des Reviers, in: Spiegel-Online, 10. Mai 2010, URL: https://www.spiegel.de/reise/deutschland/gesichter-des-reviers-auf-ein-bier-zu-ente-a-693607.html [letzter Zugriff: 16. Nov. 2019]. Vgl. auch Prossek (2009a), S. 40. 314 Vgl. z. B. Korte / Paletschek (2009), S. 15 f.; Geisthövel, Alexa / Mrozek, Bodo: Einleitung, in: Geisthövel, Alexa / Mrozek, Bodo (Hg.), Popgeschichte. Konzepte und Methoden. Band 1, Bielefeld 2014, S. 7–32, S. 14.

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Form sprachlicher Handlungen oder fiktionaler Medien als sozialen Raum innerhalb einer spezifischen oder innerhalb pluraler, sich verschränkender Zeitschichten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vor. Für die Praxis der Produktion eines Spielfilms oder einer Spielfilmserie wird dies am Beispiel des Ruhrgebietsfilms „Die Abfahrer“ und der Fernsehserie „Rote Erde“ genauer untersucht. Für die Praxis der Kreation einer Kunstfigur dienen mit Kumpel Anton und Dr. Antonia Cervinski-Querenburg anschließend die Figuren langjähriger WAZ-Kolumnen sowie die Kabarettfigur Adolf Tegtmeier und der Kollektivsingular des ‚Ruhri‘ als Beispiele. Die Praxis der Konstruktion einer Raumvorstellung wird anhand der Begriffe ‚Metropole Ruhr‘, ‚Ruhrstadt‘ und ‚Ruhrpott‘ beleuchtet, deren Verwendung anschließend auch in der Praxis der Veröffentlichung eines Musikstücks in den Blick genommen wird. Für diese werden hauptsächlich Beispiele aus dem Hip-Hop-Genre als Beispiele herangezogen, da es sich als Ausdrucksform einer urbanen Jugendkultur besonders zur Untersuchung musikalischer Imaginationen des Ruhrgebiets anbietet. Wie nachdrücklich Imaginationen das Bild beeinflussen, das sich die Rezipient*innen vom Ruhrgebiet machen, wird aber zunächst am Beispiel des Schimanski-Tatorts untersucht. Produktion eines Spielfilms oder einer Spielfilmserie

Was sich zur Auswirkung auf Raumvorstellungen für fiktionale Filme und Serien im Allgemeinen festhalten lässt, gilt für das 1970 erstmals ausgestrahlte ARD-Format Tatort im Besonderen. Die seit mehr als fünfzig Jahren am Sonntagabend zur Hauptsendezeit in der ARD gesendeten und beinahe täglich auf den regionalen Sendern wiederholten Krimis fungieren mit ihren wechselnden Schauplätzen als „mediales Gedächtnis der Bundesrepublik“ 315, wie die Literatur- und Medienwissenschaftler*innen Julika Griem und Sebastian Scholz festhalten. Die Städte sind nicht nur Schauplätze, sondern auch Akteur*innen der Handlung, die den jeweiligen Kriminalplot durch ihre spezifische Urbanität beeinflussen. 316 Entscheidend für die wissenschaftliche Analyse von Tatorten ist mithin nicht, wie realitätsgetreu sie diese Urbanität abbilden, sondern wie sie symbolische Repräsentationen derjenigen Orte schaffen, in denen die Handlung angesetzt ist 317 – eine Perspektive, die sich auch für andere Produkte imagina-

315 Griem, Julika / Scholz, Sebastian: Beweisaufnahme. Zur medialen Topographie des Tatort, in: Griem, Julika / Scholz, Sebastian (Hg.), Tatort Stadt. Mediale Topographien eines Fernsehklassikers, Frankfurt am Main 2010, S. 9–28, S. 12. 316 Vgl. ebd., S. 20–21. 317 Vgl. ebd., S. 21.

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tiver Praxen wie etwa Lieder oder Kunstfiguren wie Herbert Knebel oder Kumpel Anton anbietet. Zwar gab es von 1974–1980 mit Kommissar Heinz Haferkamp auch vor Schimanski bereits einen Tatort, der in Essen und damit im Ruhrgebiet spielte, 318 jedoch unterschieden sich die Darstellungen der Hauptfigur und ihrer städtischen Umgebung grundsätzlich von den Duisburger Tatort-Folgen der 1980er Jahre. 319 Der Handlungsmittelpunkt und mit ihm die Kameraführung verlagerte sich vom zu untersuchenden Verbrechen auf die es untersuchenden Kommissare, 320 wobei Schimanskis Assistent Christian Thanner dem gewohnten Bild eines aufrechten und eher biederen Polizisten entsprach, Schimanski selbst dagegen einen im deutschen Fernsehen neuartigen Typ des Kommissars verkörperte: 321 Er war weniger rechtschaffener Beamter als vielmehr Macho mit schlechten Manieren, der zur Lösung eines Falls und vor allem zur Herstellung des eigenen Gerechtigkeitsempfindens auch nicht vor körperlicher Gewalt zurückschreckte. 322 Die den Kommissar und seinen Körper in den Mittelpunkt stellende Kameraführung, welche den Raum der Industriestadt Duisburg durch seine Brille vorführte, schuf einen völlig neuen „Kommissar-Typus, der mit seinem Körper auch den Ruhrpott als filmischen Raum [hervorbrachte]“ 323. Obwohl Schimanski im Laufe seiner zehnjährigen TatortKarriere schnell zum beliebtesten Kommissar der Reihe aufstieg, 324 dessen Popularität sich auch crossmedial in zwei Kinofilmen, CD-Soundtrack, 318 Zu den Essener Haferkamp-Tatorten vgl. Wenzel, Eike: Expeditionen in die Kälte. Die Haferkamp-Tatorte, in: Wenzel, Eike (Hg.), Ermittlungen in Sachen Tatort. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos, Berlin 2000, S. 137–159. 319 Zur Frage, ob Tatort eher als Ganzes oder hinsichtlich der einzelnen Ermittler*innen-Teams als Serie zu definieren ist, vgl. Griem / Scholz (2010), S. 16–19. 320 Vgl. Hißnauer, Christian / Scherer, Stefan / Stockinger, Claudia: Föderalismus in Serie. Die Einheit der ARD-Reihe Tatort im historischen Verlauf, Paderborn 2014, S. 276. 321 Die Neuartigkeit der Darstellung eines Fernsehkommissars wurde bereits in der ersten ikonischen Szene des ersten Schimanski-Tatorts „Duisburg-Ruhrort“ aus dem Jahr 1981 deutlich, vgl. Classen, Christoph: „Ruhrpott-Rambo“. Die SchimanskiTatorte und der Wandel von Gewalt in westdeutschen Fernsehkrimis, in: Zeithistorische Forschungen 15 (2018) 2, S. 391–403, S. 398 f.; Scholz, Sebastian: Strukturwandel in stehenden Kulissen. Schimanskis Blicke auf das Ruhrgebiet, in: Griem, Julika / Scholz, Sebastian (Hg.), Tatort Stadt. Mediale Topographien eines Fernsehklassikers, Frankfurt am Main 2010, S. 199–226 S. 205–209; Wenzel, Eike: Nicht mehrheitsfähig. Interview mit Hajo Gies, in: Wenzel, Eike (Hg.), Ermittlungen in Sachen Tatort. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos, Berlin 2000b, S. 163–174, S. 167; ders.: Der Star, sein Körper und die Nation. Die Schimanski-Tatorte, in: ders. (Hg.), Ermittlungen in Sachen Tatort. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos, Berlin 2000a, S. 175–202, S. 175 f. 322 Vgl. dazu insbesondere Classen (2018). 323 Hißnauer / Scherer / Stockinger (2014), S. 353. 324 Rückblickend, aber auch schon zeitgenössisch werden die 1980er Jahre in Hinblick auf den Tatort als „Schimanski-Jahrzehnt“ bezeichnet, vgl. Wenzel, Eike: Tatort-

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Fan-Büchern und Romanen äußerte, 325 riefen die ersten Folgen bei den Stadtoberhäuptern des Ruhrgebiets großen Protest hervor. In einer gemeinsamen Pressekonferenz kritisierten mehrere Oberbürgermeister die Darstellung der Region im Tatort sowie in weiteren WDR-Produktionen und der Duisburger Stadtrat diskutierte, ob die Danksagung an die Stadt aus dem Abspann der Schimanski-Filme gestrichen werden müsse. 326 Die Lokalpolitik zeigte sich sowohl von der Darstellung der Bevölkerung und Schimanskis als „Schmuddelkommissar“ 327 verärgert als auch vom Bild, das die Filme von Duisburg als Stadt und damit vom gesamten Ruhrgebiet zeichneten. Im Gegensatz zu den Haferkamp-Tatorten, die Essen bis auf die letzten Episoden kaum als Industriestadt gezeigt hatten, schien die Industrie in Schimanskis Duisburg allgegenwärtig. 328 Nicht nur veränderte sich diese Darstellung der Industriestadt in den zehn Jahren der Schimanski-Tatorte kaum, sondern sie wurde auch nach dem Comeback des Kommissars in der ab 1997 bis 2013 in losen Intervallen ausgestrahlten Serie „Schimanski“ fortgesetzt. Da die Stadt sich im Zuge des Strukturwandels so stark verändert hatte, dass sie mehr und mehr aussah, wie jede beliebige andere Stadt, wurde für die Filmkulissen „das alte versiffte Duisburg nachgebaut – als

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Deutschland. Eine Einleitung, in: Wenzel, Eike (Hg.), Ermittlungen in Sachen Tatort. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos, Berlin 2000, S. 7–18, S. 12; Hißnauer / Scherer / Stockinger (2014), S. 87. Vgl. CBS (1986). Schmanskis Tatort Hits, zitiert nach Villwock, Kirsten: Schimanski. In der Fernsehserie, im Kinofilm, im Roman, Bardowick 1991, S. 9; Becker, Frank / Jaeger, Frank (Hg.): Das große Schimanski-Buch. Alle Tatort-Filme, Kino-Hits, Interviews, Dreharbeiten, Umfragen, Bergisch Gladbach 1988. Gelsenkirchen und Dortmund verweigerten anschließend aufgrund der schlechten Erfahrung mit dem Duisburger Tatort die Drehgenehmigung zu einem Film, der eine Liebesgeschichte im Stile Romeo und Julias im Fußballmilieu der verfeindeten Revierklubs Schalke und Dortmund ansiedeln wollte, vgl. N. N.: Liebe Klischees. Zwei Revier-Städte haben dem ZDF die Drehgenehmigung für einen Spielfilm verweigert, in: Der Spiegel, 22. April 1984; Krings, Josef: Begegnungen, Duisburg 2000, S. 120– 122; Prossek (2009a), S. 47. Der Film wurde zwanzig Jahre später unter dem Titel „Ronaldo und Julia“ als Theaterstück in Wanne-Eickel realisiert, wo es noch immer regelmäßig aufgeführt wird. Zitiert nach Classen (2018), S. 392: „Vielmehr polarisierte die seinerzeit als ‚Schmuddel-Kommissar‘, ‚Prügel-Prolet‘, ‚Großstadt-Cowboy‘ und ‚Ruhrpott-Rambo‘ etikettierte Ermittlerfigur wie keine zweite: ‚Werft den Prügel-Kommissar aus dem Programm‘, titelte die ‚Neue Ruhr Zeitung‘ (NRZ) bereits unmittelbar nach der Ausstrahlung des ersten Schimanski-Tatorts ‚Duisburg-Ruhrort‘ im Sommer 1981.“ Vgl. Scholz (2010), S. 208–210. Scholz führt aus, dass die Schimanski-Filme eine eigene Bildsprache entwickelten, die den Zuschauer*innen die Stadt aus der Perspektive des Kommissars vorführte, dem sie entweder als Entdecker*innen bei seinen Streifzügen durch Straßen und Kneipen folgten oder – wie in der ersten ikonischen Szene – die Stadt von einem erhöhten Punkt wie dem Fenster seiner Wohnung aus beobachteten.

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eine Art mythisch überhöhte[r] Ort“ 329, wie George rückblickend in einem Interview ausführte. Sowohl die Entzeitlichung des Handlungsumfelds als auch die Rückkehr der Figur entsprachen dem Trend zum nostalgischen Rückgriff auf Vergangenes, 330 wie auch der Spiegel anlässlich von Schimanskis Comeback 1997 festhielt: Der Body hart wie Thyssen-Stahl, das Auge blau wie die Ruhr und die Sprache vernuschelt wie die eines Malochers am Hochofen: [. . . ] Auf dem Mannsbild Schimi liegt in den neuen Episoden kein Firnis. Wie elektronisch aus den Szenen der 29 alten Filme geklont steht er da, grinst wie früher, kloppt wie früher, stottert wie früher. Das Medium Fernsehen, bleibt man beim Betrachten der Oberfläche, erfüllt seinen Fluch, den es als Segen verkauft: Die Zeit steht still. Die Bilder von gestern sehen aus wie die von heute. Das Neue implodiert ins Alte, die Historie wird ihre eigene Zukunft. 331

Die Bilder des von Kohle- und Stahlkrise gezeichneten und vom Strukturwandel scheinbar unveränderten Duisburgs sowie die machohafte Gewaltbereitschaft Schimanskis gaben aber kaum noch Anlass zur Kritik, sondern waren längst eher nostalgische Fiktion einer Zeit der klaren Unterscheidung von Gut und Böse. 332 Als Kulisse war das heruntergekommene Duisburg nicht mehr Beleidigung für Stadt und Region, sondern vielmehr notwendige räumliche Bedingung für den rauen Helden Schimanski als Projektionsfläche einer scheinbar nicht verunsicherten Männlichkeit. 333 Seine 329 Buß, Christian: „In den Puffs von Duisburg wurden wir gefeiert“. Götz George über Schimanski, in: Spiegel-Online, 6. November 2013, URL: https://www.spiegel.de/ kultur/tv/goetz-george-in-loverboy-interview-ueber-horst-schimanski-a-930649. html [letzter Zugriff: 17. Nov. 2019]. 330 Zur Einordnung in die übergeordnete Debatte um Nostalgie in der Popkultur vgl. Wagner [im Erscheinen]. 331 Festenberg, Nikolaus von: Schimi an Thanners Grab, in: Der Spiegel, 2. November 1997. 332 Vgl. ebd.: „Doch das Publikum schlug ihn nicht nur, es küsste ihn auch. Es erhob den Wüterich zur Kultfigur, zum ersten Kumpel an der Ruhr, zum Rächer der Erfolglosen. Im Fernsehmythos Horst Schimanski konnte sich die alte Bundesrepublik, konnten sich vor allem die in ihr lebenden Kerle mit all ihren geheimen Wünschen widerspiegeln. [. . . ] Es wird geballert und geblutet, geschlagen und getreten wie eh und je. Die Aphasie in Gefühlsdingen fordert höchste Beredsamkeit in der Choreographie des Prügelns. Mit solcher Liebe für jedes Detail, so in mystisches Licht getaucht, so spektakulär vor finstere Kulissen gestellt wie in den neuen Filmen, hat Regisseur Hajo Gies, von Beginn an Spiritus rector der Serie, die hohlen Messen gewalttätiger Männlichkeit noch nicht zelebriert. Wo kein weiser Faust gegeben wird, beherrschen Fäuste die Szene. Dabei sind partnerschaftliche Unbehaustheit, Fäkalsprache und Brutalitätsbereitschaft, die die Fortsetzung des TV-Mythos unangetastet läßt, nur die Panzerungen, mit denen sich ein idealistisches Gemüt gegen die Zumutungen der modernen Welt schützt. Das ist so, das war so – historisches Erbe gewissermaßen.“ 333 Vgl. Osses, Dietmar: Menschen statt Industrie. Wie Kinofilme das Ruhrgebiet zeigen, in: Osses, Dietmar / Weißmann, Lisa (Hg.), Revierfolklore. Zwischen Heimatstolz

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typische M65-Feldjacke wurde zum Ausstellungsobjekt 334 und der KVR warb in der Kampagne „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“ mit einer Großaufnahme des versonnen blickenden Götz George und seiner Liebe zu Duisburg als Drehort. 335 Schimanski wurde fester Bestandteil des Selbst- und Fremdbilds der Region, sodass die Umbenennung einer Straße in Duisburg-Ruhrort in ‚Horst-Schimanski-Gasse‘ im Jahr 2014 aus Sicht des LVR einen „Link zwischen medialer Aufbereitung der Identität des Potts und dem kulturellem Gedächtnis seiner Bewohner“ 336 bildete. Der zur Kultfigur avancierte Prügelkommissar schien die Zeit eines spezifischen Männlichkeitsbilds und sozialen Kampfs einzufrieren und seine Eigenschaften wie Bodenständigkeit, raue Herzlichkeit, Offenheit und Gerechtigkeitssinn von der Kunstfigur auf die Bewohner*innen der Region zu projizieren. Schimanski nahm damit einen Typus des Ruhrgebietshelden auf, den auch das Genre der sich seit Ende der 1970er Jahre herausbildenden „Ruhrgebietskomödie“ 337 etablierte, wie Dietmar Osses gezeigt hat: „Das Bild des zupackenden, einfachen und pragmatischen Kämpfers, mehr Antiheld als Held, wurde zum Synonym des Ruhrgebietstyps: einfach, gerade heraus, einfallsreich und herzlich.“ 338 Zahlreiche erfolgreiche Filme von „Die Abfahrer“ (1978), „Jede Menge Kohle“ (1981) oder „Theo gegen den Rest der Welt“ (1980), über die Schimanski-Kinofilme „Zahn um Zahn“ (1986) und „Zabou“ (1987), bis zu den Kultfilmen „Manta, Manta“ (1991), „Bang Boom Bang“ (1999) und „Was nicht passt, wird passend gemacht“ (2002) machten das Ruhrgebiet zum Schauplatz und prägten neben der Vorstellung des krisengeplagten Raums auch das populäre Bild seiner Bewohner*innen. Sogar wenn die Protagonist*innen sich als Kleinkriminelle

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und Kommerz. Das Ruhrgebiet am Ende des Bergbaus in der Populärkultur. Begleitbuch zur Ausstellung, Essen 2018a, S. 152–159, S. 155 f.; ders.: Helden heute. Zwischen Lebensrettung und Casting-Show, in: LWL-Industriemuseum (Hg.), Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen. Katalog zur Ausstellung im LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen,12.3.-31. 10. 2010, Essen 2010, S. 368–403, S. 180 f. Auf die Jacke als Ausstellungsstück in der Dauerausstellung des Ruhr Museums verweist auch Stefan Berger in seinen Ausführungen zu Nostalgie als Modus der Erinnerung an die Industriegeschichte des Ruhrgebiets, vgl. Berger, Stefan: Industrial Heritage and the Ambiguities of Nostalgia for an Industrial Past in the Ruhr Valley, Germany, in: Labor 16 (2019) 1, S. 37–64, S. 56. Kommunalverband Ruhrgebiet (1996), S. 49. Landschaftsverband Rheinland / Boldt, Kai-William: Horst-Schimanski-Gasse in Ruhrort, URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-253775 [letzter Zugriff: 28. Nov. 2019]. Osses (2018a), S. 153. Ebd., S. 154.

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schuldig machten, waren Gut und Böse im Grunde immer einer sozialen Achse von unten und oben zuzuordnen, denn als wahrer Ganove entpuppte sich letztendlich meist der Arbeitgeber. War dies bei „Bang Boom Bang“ ein betrügerischer Unternehmer, dessen Selbstbereicherung am Ende an der Gerissenheit seiner ehemaligen Auszubildenden scheitert, war die Rolle des Arbeitgebers als Gegenspieler der drei jugendlichen Helden in Adolfs Winkelmanns Klassiker „Die Abfahrer“ eine eher abstrakte. 339 Die Handlung des Films über drei arbeitslose junge Männer aus Dortmund, die mit einem geklauten Möbeltransporter einen spontanen Roadtrip durch Westfalen unternehmen, ist geprägt von der drohenden Schließung der Stahlhütte, welche die endgültige Arbeitslosigkeit für das gesamte, ohnehin schon krisengeplagte Viertel bedeuten würde. Obwohl die Hütte als ehemaliger Arbeitgeber der nun arbeitslosen Figuren und als sterbende Lebensader des Viertels in den Dialogen des Films immer wieder thematisiert wird und durch ihre drohende Schließung wie eine dunkle Wolke über der Handlung zu schweben scheint, 340 ist sie mit ihren ikonografisch rauchenden Schloten nur ganz zu Beginn als Hintergrund des Vorspanns sichtbar – sie ist gleichermaßen omnipräsent wie abwesend. Der Film zeigt somit nicht Industrie und Arbeit, sondern vielmehr ihre Abwesenheit. 341 Die drei Protagonisten schlagen ihre Zeit mit Würfelspielen, Zaubertricks und Gelegenheitsdiebstählen tot, ihre Situation erscheint völlig perspektivlos. 342 Angesichts des eintönigen Alltags kommt der spontane Diebstahl eines Möbelwagens einem Ausbruch aus der Enge der Siedlung gleich – zumal er aufgrund eines Bremsschadens von den Möbelpackern

339 Peter Krauskopf beschrieb „Bang Boom Bang“ als „Hommage“ an Ruhrgebietsfilme wie die „Abfahrer“ und Schimanski, womit sich auch jener bis heute sehr populäre Film als popkulturelle Referenz auf die jüngste filmische Vergangenheit der Region begreifen lässt; vgl. Krauskopf, Peter: Herzflimmern. Ruhrgebiet und Film, eine verkannte Liebesgeschichte, in: Willamowski, Gerd / Nellen, Dieter / Bourrée, Manfred (Hg.), Ruhrstadt. Die andere Metropole. Ein Beitrag zum Projekt „HISTORAMA Ruhr 2000“, Rückblick auf das Industriezeitalter, Essen 2000, S. 400–411, S. 406. 340 Vgl. Winkelmann, Adolf: Die Abfahrer. Drehbuch + DVD. Das Originaldrehbuch und der Revierklassiker von Adolf Winkelmann, Bottrop 2015. 341 Vgl. Osses (2018a), S. 153. 342 Ihre Arbeitslosigkeit wird den Protagonisten durch einen Streich zweier Altersgenossen unter die Nase gerieben und das gemeinsame Fußballgucken in der Kneipe wird verdorben durch die ständige Nachfrage, ob neue Arbeit und Perspektive in Aussicht stehe, vgl. Winkelmann (2015), S. 22: „Atze: Kennste das nicht? Wie geht’s? – ‚s‘ geht. Haste immer noch keine Arbeit? – Ne. Haste auch nichts in Aussicht? – Ne. Und? Wie soll das denn weitergehen? – Ich weiß es nicht. Wie das weitergehen soll? Ich weiß es nicht! Das kennste ja. Bernd: ja.“ Die Szene weicht sprachlich im Film minimal vom Drehbuch ab, wobei die Abwandlungen im Film die Perspektivlosigkeit noch stärker hervorheben.

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vorübergehend in der Einfahrt zum Hof abgestellt wurde und den drei im Hinterhof herumlungernden Männern die Sicht und damit den letzten Zugang zur Welt außerhalb des Hofs zu versperren scheint. Der defekte Möbelwagen war eigentlich für den Umzug eines älteren, ebenfalls arbeitslosen Nachbarn an den Ort seines neuen Arbeitsplatzes in Lübeck und somit für seinen Ausbruch aus der Perspektivlosigkeit bestimmt. Während die wirtschaftliche Krise wie ein unaufhaltbar voranschreitender Prozess wirkt, scheint die alltägliche Eintönigkeit und Perspektivlosigkeit die Menschen des Viertels stillzustellen – bis der Möbelwagen als Symbol erzwungener beruflicher Mobilität wieder Bewegung ermöglicht. Der Bremsschaden des gestohlenen Wagens beendet die zur unkontrollierbaren Fahrt gewordene Alltagsflucht der jungen Männer jedoch beinahe ebenso unfreiwillig, wie der ungebremste Fortschritt ihre Arbeit auf der Hütte beendet hatte. 343 Als die drei Protagonisten, die auf ihrem ziellosen Weg noch eine junge Frau mitnehmen, erfahren, dass die Hütte nun endgültig geschlossen wird und die Arbeitslosigkeit nun das „halbe Viertel“ 344 zu erfassen droht, fahren sie zurück nach Dortmund und die Flucht endet mit einer Rückkehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt des Roadtrips. Die Rückkehr in das nun anscheinend endgültig von Arbeits- und Perspektivlosigkeit gekennzeichnete Viertel fütterte das entstehende Narrativ der Ruhrgebietsbewohner*innen als Underdogs, die trotzig an ihrer krisengeplagten und ästhetisch wenig ansprechenden Region festhielten und deren Sympathie sich auch aus der Resilienz gegenüber rücksichtslosen

343 So verheimlicht einer der drei Freunde seiner Mutter, dass er nach seiner Lehre arbeitslos geworden ist, nimmt weiter jeden Morgen das von ihr gepackte Frühstück mit und erscheint nach ‚Feierabend‘ bei ihr zum Essen, wo sie sich über seine Schweigsamkeit wundert: „Mutter: Nu erzähl mal! Bernd: Was soll ich denn erzählen? Mutter: ja, Du erzählst einem nie was. Und Dein Arbeitszeug bringst Du auch nicht mehr mit! Bernd: Hab ich vergessen. Mutter: Das muß doch schon stehen vor Dreck! Und Dein Handtuch! Sei nicht immer so vergesslich! Bernd: Paß mal auf, Mutti, ich mach mich nicht mehr dreckig. Die haben bei uns im Betrieb alles umgestellt. So ganz neue Dinger. Hast Du doch bestimmt mal im Fernsehen gesehen. Das ist wie ne Schreibmaschine. So’n Bildsetzgerät. Mutter: Und da lassen se Dich dran arbeiten? Gleich nach der Lehre? Bernd: Ja. Mutter: Ja, ist doch schön, Junge! Bernd: Was denkst Du denn! Da machste Dir Deine Finger nicht mehr schmutzig. Und dann geht natürlich alles viel schneller. Und: – das kann jeder. Mutter: Aber wofür haste denn dann überhaupt Deine Lehre gemacht? Bernd: Hör mal, da kannste keine Rücksicht drauf nehmen! Da interessiert sich doch der Fortschritt nicht für, für meine Lehre!“, ebd., S. 21. Die Szene im Film weicht auch hier wieder leicht vom Drehbuch ab, sodass die Zuschauer*innen kurz den Eindruck gewinnen, Bernd wolle seine Arbeitslosigkeit beichten. Er betont außerdem zweimal, dass die neuen Maschinen Ausdruck des Fortschritts seien, sodass der Zusammenhang zwischen einem als unaufhaltsam wahrgenommenen Fortschritt und seiner Arbeitslosigkeit noch deutlicher erscheint. 344 Ebd., S. 67.

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Rationalisierungsstrategien großer Konzerne speiste. So hielt Peter Krauskopf, Filmkritiker und Chefredakteur eines langlebigen Stadtmagazins der Region, in einem als Teil von Historama Ruhr 345 veröffentlichten Beitrag zur Filmgeschichte des Ruhrgebiets rückblickend fest: „Selten wurde das Lebensgefühl im Revier so präzise getroffen: weggehen, um anzukommen.“ 346 Für die imaginierten Ruhrgebietshelden wurde die abgehängte krisengeplagte Region ebenso zur erzählerischen Bedingung, wie es sich bei Schimanski beobachten lässt. Auch bei Schimanski wurde die spezifische Darstellung Duisburgs, die der Oberbürgermeister Josef Krings zeitgenössisch als „Schimanski-Land“ 347 und der Medienwissenschaftler Sebastian Scholz rückblickend als „Strukturwandel in stehenden Kulissen“ 348 beschrieben, zur Bedingung für seine erfolgreiche „Verkörperung des proletarischen Ruhrgebietshelden“ 349. Die Krise wurde in ihrer Überzeichnung und Entzeitlichung von einer wirtschaftlichen und sozialen Bedrohung zur Grundlage nostalgischer Imaginationen. Neben dieser Form einer stillgestellten oder im Fall der „Abfahrer“ gar zirkulären Zeit wurde auch die Vergangenheit des Ruhrgebiets zum Gegenstand fiktionaler Fernsehfilme wie in den Mehrteilern „Die Pawlaks“ oder „Rote Erde“. Die Serie „Rote Erde. Fernsehfilm in neun Teilen“ porträtierte das Leben in einer fiktiven Bergarbeitersiedlung von der Kaiserbis in die frühe Nachkriegszeit. Der auf Westfalen hindeutende Titel verortete den Schauplatz der Handlung im westfälischen Teil des Ruhrgebiets, ohne einen spezifischen Ort zu nennen. Die erste Staffel der Serie wurde 1983 in neun Teilen, die zweite 1990 in vier Teilen in der ARD ausgestrahlt und zum Kulturhauptstadtjahr in einer DVD-Box neu aufgelegt. 350 Die Serie kreiste um einen Bauern aus Pommern, der Ende der 1880er Jahre ins Ruhrgebiet kommt, um als Bergmann zu arbeiten, sich dort ein neues Leben aufzubauen und eine Familie zu gründen. Neben der allgemeinen politischen Entwicklung ist immer wieder der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auf der fiktiven Zeche Siegfried Gegenstand der Handlung, bis schließlich die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und der Gründung der Weimarer Republik auf das Leben der Protagonist*innen den Schluss der ersten Staffel bilden. Ziel des neunteiligen Fernsehfilms war es nicht, einen

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Zu Historama Ruhr siehe Kapitel 2.2. Krauskopf (2000), S. 405. Aust, Michael: „Mensch, Horst!“, in: taz, 20. April 2007. Scholz (2010). Osses (2010), S. 380. 2007 war bereits die erste Staffel, ein Jahr später auch die zweite Staffel als DVD-Box veröffentlicht worden.

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„historischen Aufklärungsfilm“ 351 zu produzieren, sondern Einzel- und Familienschicksale des Bergarbeitermilieus im historischen Längsschnitt zu erzählen. Von besonderer Bedeutung waren dabei auch die Aushandlung von Geschlechterrollen und die Migrationsgeschichte der sogenannten „Ruhrpolen“, der zeitgleich auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung verstärktes Interesse zuteilwurde. 352 Gedreht wurde nicht in einer realen Zechensiedlung, sondern auf dem Studiogelände der Produktionsfirma Bavaria in München, wo eine aufwendig recherchierte Kulisse möglichst authentisch die Wohn- und Arbeitsverhältnisse von Bergarbeitern der 1880er Jahre bebildern sollte. Die aufwendigen Kulissen sowie die zahlreichen Drehtage, Schauspieler*innen, Statist*innen und Mitarbeiter*innen machten die Serie mit 15 Millionen DM – beinahe der gesamte Jahresetat für Spielfilme des WDR – zur bis dahin teuersten deutschen Fernsehproduktion. 353 Nachdem das Interesse an der industriellen Geschichte des Ruhrgebiets und insbesondere am Leben in den Bergarbeitersiedlungen aufgrund der zahlreichen Arbeiterinitiativen seit den 1970er Jahren stetig gestiegen war, fand diese Geschichte 1982 mit den „Pawlaks“ im ZDF, vor allem aber mit der erfolgreichen WDR-Produktion „Rote Erde“ erstmals Eingang in das seit den 1960er Jahren zum Leitmedium aufgestiegene Fernsehen. 354 Die Schöpfer*innen der Serie legten nicht nur in der Gestaltung der Kulissen großen Wert auf eine möglichst authentische Darstellung der Geschichte. Vielmehr versuchten sie über die Beratung durch den Sozialhistoriker Franz-Josef Brüggemeier auch hinsichtlich politischer, ökonomischer und alltagsweltlicher Kontexte eine fachlich möglichst adäquate Perspektive auf die Mikrogeschichte einer fiktiven Bergarbeiterfamilie und ihres sozialen Umfelds zu gewährleisten. Zur Serie erschien nicht nur ein beglei-

351 Brücker, Wolf-Dieter: Eine Geschichte von Menschen, die Geschichte machen, in: Gaehme, Tita / Graf, Karin (Hg.), Rote Erde. Bergarbeiterleben 1870–1920. Film, Ausstellung, Wirklichkeit, Köln 1983, S. 19–21, S. 20. 352 Anstoß für viele weitere Studien und prägend für den Begriff der „Ruhrpolen“ war Kleßmann, Christoph: Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, Göttingen 1978; vgl. auch Osses, Dietmar: Von Pawlak und Kuzorra bis Schimanski und Piszczek. Erinnerungsort Ruhrpolen, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 220–237. 353 Vgl. Thissen, Rolf: Aus dem Goldenen Westen, in: Die Zeit, 21. Oktober 1983. 354 Zu Fernsehen als Leitmedium seit den 1960er Jahren vgl. Fickers, Andreas: Eventing Europe. Europäische Fernseh- und Mediengeschichte als Zeitgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 391–416, S. 393; vgl. auch Schlanstein, Beate: Zeitreisen zum Miterleben. Erinnerungsorte des Ruhrgebietes im Fernsehen, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 896–905, S. 897.

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tender Roman, 355 sondern das Ruhrlandmuseum machte sie auch zum Gegenstand einer Ausstellung, die „Film, Ausstellung, Wirklichkeit“ 356 zueinander in Beziehung setzen sollte. Das Museum nutzte die Serie mit ihrer sozial- und alltagsgeschichtlichen Ausrichtung als Folie zur Präsentation seiner eigenen Neuausrichtung, was auf die enge Verschränkung imaginativer und inszenierender Praxisformen verweist. 357 Die Ausstellung thematisierte nicht nur die enge Zusammenarbeit zwischen den Serienmacher*innen und dem Fachwissenschaftler Brüggemeier, sondern warf auch ein Licht auf den bildungspolitischen Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Produktion. Im Ausstellungskatalog bezeichnete der SPD-Politiker, Journalist und Mitglied des WDR-Rundfunkrats Erdmann Linde die Serie als „Einladung, sich mit dem Ruhrgebiet zu beschäftigen“ 358, die allerdings noch erklärungsbedürftig zu sein schien: Das kulturelle und historische Interesse am Ruhrgebiet erwacht gerade in dem Moment, wo der Gegenstand des Interesses zerfällt. Was ist das Interesse an Geschichte, da es keine Zukunft zu geben scheint, die in der Tradition dieser Geschichte steht? Seit etwa 15 Jahren ist das Ruhrgebiet Krisengebiet. [. . . ] Das Land an der Ruhr, einstmals Lokomotive der industriellen und kapitalistischen Entwicklung, wird zu deren lästiger Bürde. [. . . ] Der nächste Wandel an der Ruhr wird vorbereitet: die nachindustrielle Gesellschaft. Wie sie aussehen wird, ist offen, aber eins ist klar: Viel Arbeit wird es hier nicht mehr geben. Wer sich angesichts von 16 Prozent Arbeitslosigkeit zur Zukunft des Ruhrgebiets äußert, hat es schwer, einen ehrlichen und hoffnungsvollen Satz zu finden. 359

Hier zeigt sich deutlich, dass die kostenintensive Fernsehproduktion zur Geschichte des Ruhrgebiets angesichts der verunsicherten Zukunft der Region besonderen Legitimationsbedarf produzierte. Im Bild der Lokomotive des wirtschaftlichen Fortschritts scheint zudem die Gleichsetzung des Ruhrgebiets mit seiner wirtschaftlichen Struktur auf, deren Krise somit auch den drohenden Zerfall der Region bedeuten musste und sie zum Hemmnis der marktwirtschaftlichen Entwicklung werden ließ. Als Gradmesser der Krise fungierte die hohe Arbeitslosigkeit, die für die noch leere Zukunftsvorstellung der „nachindustriellen Gesellschaft“ nur eine Gewissheit in Aussicht zu stellen schien – „viel Arbeit“ könne es nicht mehr geben.

355 Stripp, Peter: Rote Erde. Der Roman zur TV-Serie, München 1983. 356 Gaehme, Tita / Graf, Karin (Hg.): Rote Erde. Bergarbeiterleben 1870–1920. Film, Ausstellung, Wirklichkeit, Köln 1983. 357 Siehe Kapitel 3.4. 358 Linde, Erdmann: Einladung, sich mit dem Ruhrgebiet zu beschäftigen, in: Gaehme, Tita / Graf, Karin (Hg.), Rote Erde. Bergarbeiterleben 1870–1920. Film, Ausstellung, Wirklichkeit, Köln 1983, S. 12–13. 359 Ebd., S. 12. Ebenso die folgenden Zitate.

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Aus Sicht des sozialdemokratischen Rundfunkfunktionärs hatte nicht nur die Industriegesellschaft noch kein neues Bild von sich entworfen, sondern auch eine neue Definition von Arbeit schien noch in weiter Ferne. Der Verlust von Arbeit sei als Verlust von Identität zu deuten, der eine aktive Traditionsbildung nötig machte: Wenn man erkennt, daß diese Arbeit der Landschaft und den Menschen ihre Identität gegeben hat, dann muß man auch einsehen, daß die Menschen in Gefahr sind, ihre Identität zu verlieren, wenn man ihnen die Arbeit nimmt. Der relevante gesellschaftspolitische Ausdruck der Arbeit ist die Arbeiterbewegung. Deswegen muß man diese als geschichtsbildende Kraft in die historische Aneignung miteinbeziehen.

Die für die Bewohner*innen angenommene Verlusterfahrung, die sich nicht nur auf die existenzsichernde Funktion von Arbeit beschränke, sondern vor allem auch auf ihre sinnstiftende Funktion ausweite und sich nur durch die identitätsstiftende Kraft der Auseinandersetzung mit Geschichte bewältigen lasse, wurde zum Argument für die Produktion der Serie. Die Erkenntnis der identitätsbildenden Kraft ging für Erdmann von den Geschichtswissenschaftler*innen der neu gegründeten Ruhrgebietsuniversitäten aus, die in den „Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben“ ein Bewusstsein für die Relevanz ihrer eigenen historischen Alltagserfahrung geweckt hätten. Die Integration der Arbeiterbewegung in dieses neu entfachte Interesse für Geschichte diente für Linde ausdrücklich nicht nur der historischen Bewusstseinsbildung ehemaliger Arbeiter*innen, sondern auch der Bewältigung historischer Traumata der Sozialdemokratie wie etwa der Frontstellung radikalisierter Arbeiter*innen und Sozialdemokrat*innen im Ruhrkampf. Die Serie war somit auch Teil einer dem Machterhalt dienenden sozialdemokratischen Traditionsbildung. Sie verknüpfte nicht nur die Geschichte der Arbeiterbewegung und der SPD eng mit der Geschichte des Ruhrgebiets, sondern trug auch zur Zuspitzung des populären Bilds seiner Bevölkerung auf Bergarbeiter und ihre Familien bei. Kreation einer Kunstfigur

Neben Fernseh- und Spielfilmheld*innen wie den Figuren aus „Rote Erde“ oder Schimanski wurden auch literarische und kabarettistische Kunstfiguren zu Symbolfiguren des Selbst- und Fremdbilds der Region. Eine der bekanntesten Figuren schufen der Zeichner Otto Berenbock und der Journalist Wilhelm Herbert Koch bereits 1954 mit „Kumpel Anton“. Die Glosse war zum Barbaratag, dem Gedenktag der heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, erstmals in der WAZ veröffentlicht worden und erhielt für die folgenden 25 Jahre eine eigene Kolumne in der Wochenendausgabe der

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Zeitung. 360 Die Kolumne griff Alltagssituationen auf, die sie als Unterhaltung zwischen den Bergmännern Kumpel Anton und seinem Freund Emil Cervinski wiedergab. Die Dialoge erschienen im Dialekt des Ruhrgebiets, „entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als Varietät des Hochdeutschen mit Einflüssen der alten niederdeutschen Mundarten am Niederrhein und in Westfalen“ 361. Die als „Ruhrdeutsch“ bezeichnete Sprachvariante unterlag zur Entstehungszeit von ‚Kumpel Anton‘ noch einer starken sozialen Stigmatisierung, da die ihr zugrunde liegenden Dialekte als Sprache einfacher, wenig gebildeter Leute galten. Das Ruhrdeutsche erschien daher zwar für die Verständigung untereinander, nicht aber für die öffentliche Kommunikation als akzeptabel. 362 Die Einführung der Kolumne in der auflagenstärksten regionalen Zeitung bedeutete also eine Aufwertung des Ruhrdeutschen, die sich durch die hohe Popularität der Figur verstetigte. Schnell erschienen gesammelte Kolumnen in Buchform und ‚Kumpel Anton‘ wurde zu einer Figur, die auch nach außen als symbolische Bezugsfigur für die Bewohner*innen des Ruhrgebiets fungierte. 363 Zwar war die Figur noch vor Beginn der Kohlekrise erfunden worden, diente aber auf dem Höhepunkt des Zechensterbens als Kollektivsingular für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Bergmänner des Ruhrgebiets. 364 Das Ruhrdeutsche war zwar auch schon in der Literatur der 1920er und 1930er Jahre präsent gewesen, erhielt aber erst mit der WAZ-Kolumne und den daraus hervorgehenden Sammlungen eine erhöhte Medienpräsenz, die bald Nachfolger nach sich zog. Insbesondere im Kabarett wurde Ruhrdeutsch zu einem wichtigen Stilmittel, das den Dialekt nicht nur endgültig überregional bekannt machte, sondern auch das Bild der Ruhrgebietsbewohner*innen nachhaltig nach außen und innen hin prägte. Besonders

360 Vgl. Kift, Dagmar: Kumpel Anton, St. Barbara und die Beatles. „Helden“ und andere Leitbilder im Ruhrrevier nach 1945. Ausstellungskatalog, Essen 2010, S. 6. 361 Claßen, Ludger: „Unddazzollense uns woanners erss mal nammachen!“. Erinnerungsort „Ruhrdeutsch“, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 633–647, S. 634; zu Merkmalen des Ruhrdeutschen vgl. ders. (2019), S. 636 f. Claßen fasst die sprachwissenschaftliche Forschung zum Ruhrdeutschen zusammen, die sowohl die lange verbreitete Annahme, es handle sich nicht um einen Dialekt, sondern um einen Soziolekt widerlegt, als auch den noch immer weit verbreiteten Glauben, der Dialekt sei als Mischung verschiedener Sprachen der Arbeitsmigrant*innen in der Zeit der Hochindustrialisierung entstanden und somit die sprachliche Ausprägung des ‚Schmelztiegels‘ Ruhrgebiet. Zum Einfluss anderer nordrhein-westfälischer Regiolekte auf das Ruhrdeutsche vgl. auch Cornelissen, Georg: Kleine Sprachgeschichte von Nordrhein-Westfalen, Köln 2015, S. 130–145. 362 Vgl. Claßen (2019), S. 635. 363 Vgl. Kift (2010). 364 Vgl. N. N.: Kumpel Antons Ende. Spiegel-Report über die Krise an der Ruhr, in: Der Spiegel, 9. April 1967.

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einflussreich wurde Jürgen von Manger, der sein Alter Ego Adolf Tegtmeier seit 1961 in Radio und Fernsehen verkörperte. 365 Seine zahlreichen Radio- und Fernsehauftritte machten von Manger überregional bekannt und bescherten auch den als Sprechplatten zu erwerbenden Aufnahmen seiner Possen einen hohen kommerziellen Erfolg, der sich mehrfach in Goldenen Schallplatten niederschlug. Bereits Mitte der 1960er Jahre erschien unter seinem zum Markenzeichen gewordenen Ausspruch „Bleibense Mensch!“ 366 eine Auswahl der erfolgreichsten Texte, die in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Wieder- und Neuauflagen erfuhr. Eigene Fernsehreihen wie „Mensch bleiben, sagt Tegtmeier“, „Tegtmeiers Reisen“ oder „Tegtmeier klärt auf“ machten die Figur in den 1970er und 1980er Jahren auch überregional immer populärer. Die Geschichten handelten nicht nur von Alltagssituationen, sondern banden die Figur immer wieder in Situationen ein, in denen Tegtmeiers offene und direkte, gleichzeitig aber auch unbeholfene Art zum Ausdruck kam und die seine einfache Bildung hervorhoben. In der Geschichte „Die Entstehung des Ruhrgebiets“ 367 nimmt die Figur beispielsweise auf Initiative des Personalrats an einem Geschichtskurs der Volkshochschule teil, der „diese ganze Geschichte der Menschheit . . . , [. . . ] wat alles passiert ist, im Laufe der Jahre“ 368 von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Gallienfeldzug Attilas erzählt. Diese neu erlernten historischen Entwicklungen, die sich ihm vor allem als Geschichte von Schlachten und politischen Herrschern präsentieren, führen Tegtmeier das Ruhrgebiet als geschichtsarmen Raum vor Augen: Na ja, weil wir aber doch grade vom Ruhrgebiet erzählen, [. . . ] in diese ganze Zeiten wär dat in unseren Vaterlande alles nur Wälder gewesen. . . äh. . . schon mal paar alte Germanen dazwischen, dat is klar. . . aber sonst nix, nur das grüne Laubdach der Wälder. Und diese Wälder wären dann eines Tages alle aus Kohle gewesen – Augenblick, daß ich jetzt nix verkehrt mach! – ja – nä, stimmt aber, nicht wahr, de Wälder wurden alle aus Kohle, bis auf de siebte Sohle – und dadurch war das dann auf einmal unser Ruhrgebiet!!! 369

365 Vgl. Claßen (2019), S. 642. 366 Manger (1974). Siehe auch Kapitel 2.1.2, Anm. 166. 367 Ebd., S. 93–97. Zusammen mit zwei weiteren Geschichten bildet sie das Unterkapitel „Geträumte Historie“, das in Verbindung mit der Kunstfigur Tegtmeiers auf eine zweifach imaginative Annäherung an Geschichte verweist. Neben zahlreichen Neuauflagen der gesammelten Texte von Mangers erschien die bereits 1966 entstandene Geschichte auch 2009 erneut als Teil der Anthologie Gumpert, Gregor / Tucai, Ewald (Hg.): Ruhr.Buch. Das Ruhrgebiet literarisch, München 2009, S. 225–229. 368 Manger (1974), S. 93. 369 Ebd., S. 95.

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Die Geschichte transportierte mit der Verknüpfung aus fehlerhafter Grammatik des Ruhrdeutschen, den Füllwörtern und Sprechpausen nicht nur ein spezifisches Bild der Ruhrgebietsbewohner*innen, sondern auch der Geschichte der Region, die ereignisarm und leer erscheint. In Tegtmeiers Erzählung wird die Entstehung der Kohle zur märchenhaften Verwandlung, in der Wälder „eines Tages alle aus Kohle gewesen“ seien. Die Gleichsetzung von Kohle und Region wird kabarettistisch überspitzt – „und dadurch war das dann auf einmal unser Ruhrgebiet!!!“. Geschichten wie diese warfen mit sprachlichen Feinheiten wie der kollektiven Aneignung als „unser Ruhrgebiet“ und der kurzzeitigen Verunsicherung der Figur über die Triftigkeit ihrer märchenhaft anmutenden historischen Erzählung ein ironisches Licht auf die Selbst- und Fremdbilder der Region, ihrer Geschichte und ihrer Bewohner*innen, trugen gleichzeitig aber zu ihrer (Re-)Produktion bei. Die zeitgenössische Deutung reichte dabei durchaus auch über den begrenzten Raum des Ruhrgebiets hinaus, wie das Nachwort des Bonner Kunsthistorikers Heinrich Lützeler veranschaulicht: Aber die Städte, in die er führt, sind groß, ja endlos, ohne Mittelpunkt, ohne Gesicht, ohne Schönheit, ohne Tradition. Städte? Man nennt sie heute gestelzt und richtig ‚Ballungszentren der Industriebevölkerung‘; man trifft sie überall in Europa und Amerika an, weshalb denn auch die Wirkung von Mangers nicht regional fixiert ist; man versteht ihn in Berlin und Hamburg, aber auch in Zürich und Bonn, und würde ihn wohl auch in Chicago verstehen. Zwar setzt er beim Ruhrgebiet an, aber trifft dabei eine allgemeine Lage. 370

Obgleich die Figur Tegtmeiers durch ihre Sprache eindeutig für das Ruhrgebiet stand, ließ sie Deutungsspielraum als Projektionsfläche für die Bevölkerung anderer industrieller Ballungszentren offen. Gemeinsam schien diesen westlichen Industriestädten aus der Perspektive Lützelers nicht nur ihre zersiedelte und ästhetisch wertlose Form, sondern auch ihre vermeintliche Geschichtslosigkeit, die sich auf ein ganz spezifisches Geschichtsbild bezog und auch auf das Bild der Bevölkerung zurückwirkte: Von Manger läßt alle sozialen Gebilde der Vergangenheit beiseite und geht dorthin, wo nur noch unsere Gegenwart gilt. Durch ihn erfährt man, daß es nicht nur einen Urmenschen der Eiszeit, sondern auch einen Urmenschen der modernen Technik gibt. Wie der Urmensch ferner Jahrtausende hat er keine Geschichte, keine Bildung. Er hat nicht an den großen abendländischen Gestaltungsformen der Antike teilgenommen. Frei von haltenden Überlieferungen, steht er am Anfang. Er beginnt täglich mit dem Tage eins und kennt nur das, was ihn umgibt. Freilich unterscheidet er sich von Menschen der Eis-

370 Lützeler, Heinrich: Der kluge Spaßmacher. Nachwort, in: ders. (Hg.), Bleibense Mensch. Träume, Reden und Gerede des Adolf Tegtmeier, München 1974, S. 129–138, S. 130. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat (H. i. O).

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zeit in einem sehr wichtigen Punkt: dieser hatte die formlose Prärie um sich; jener aber schlägt sich im formreichen späten Europa durch. Es ist etwas völlig anderes, ob der Tag eins in eine neue geschichtslose Zukunft hineinvollzogen wird oder ob er auf eine geschichtshaltigere Vergangenheit folgt.

Ausgehend von der Vorstellung eines auf antiker, „abendländischer“ Geschichte aufbauenden Reservoirs an Traditionen und Vorstellungen, wie es etwa Aby Warburg postuliert hatte, erschien Lützeler die Figur Tegtmeiers als Symbol eines geschichtslosen Industriearbeiters ohne Bildung. Die fehlende Einbettung in historische und kulturelle Traditionen machte diesen Arbeiter für ihn zum modernen Äquivalent der naturalisierten Vorstellung eines „Urmenschen der Eiszeit“. Durch seine fehlende Bildung schien dieser in einer ent-historisierten Zeit zu leben, welche die Offenheit einer Zukunft vorgebe, die tatsächlich aber durch die dem Arbeiter unbekannte Tradition präfiguriert sei. Fehlende kulturelle und historische Bildung erzeugten aus der Perspektive des Kunsthistorikers und Philosophen eine zirkuläre Gegenwart, die immer wieder mit „dem Tage eins“ einer vermeintlich offenen Zukunft beginne, diese aber gleichzeitig durch die Abtrennung von der formenden historischen Basis wieder negiere. Durch die fiktive Figur Tegtmeiers gelang von Manger aus Sicht Lützelers das, was Soziolog*innen verwehrt bleiben müsse – ein nicht abstraktes, sondern anschauliches Bild vom „Mann von der Ruhr“ 371 zu entwerfen. Die Figur war nicht nur wirkmächtig für das populäre Bild der Ruhrgebietsbewohner*innen, sondern auch für ihre weitere Darstellung im Kabarett. Jürgen von Mangers kabarettistische Auseinandersetzung mit der Sprache des Ruhrgebiets und seinen Bewohner*innen fand zahlreiche Nachahmer*innen wie beispielsweise Elke Heidenreich als Else Stratmann, Uwe Lyko als Herbert Knebel oder Gerburg Jahnke und Stefanie Überall als Missfits. Die seit 1988 von Lyko gespielte Figur des Rentners und ehemaligen Bergmanns Herbert Knebel wurde trotz aller Unterschiede häufig mit Adolf Tegtmeier verglichen, ebenso wie Heidenreichs kleinbürgerliche Metzgerin Else Stratmann. 372 Kabarettisten wie Helge Schneider und Fritz Eckenga traten nicht mit Alter Ego, aber mit erkennbarer Ruhrgebietssprache auf und knüpften so ebenfalls an von Mangers Tradition an. 373 Neben der regional typischen Sprache zeichneten sich die Figuren zumeist

371 Ebd., S. 131. 372 Vgl. Kopf, Uwe: Die Metzgersfrau als Weltgewissen, in: Der Spiegel, 25. Januar 1987: „kraft des entsetzlichsten aller Idiome, des Ruhrpott-Slangs, schaffte die Fleischersfrau ex abrupto den Sprung zum weiblichen Tegtmeier, nach dem Sprachmuster Jürgen von Mangers“. 373 Seit 1997 ist mit ‚Tegtmeiers Erben‘ auch der bedeutendste Kleinkunstpreis der Region nach ihm benannt.

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durch einen eher geringen Bildungsgrad aus. Dies galt allen voran für Herbert Knebel, dessen einfache Sicht auf die Welt in Verbindung mit dem Ruhrdeutschen häufig die humoristische Basis der in Radio und Fernsehen aufgeführten, auf CD gepressten oder in Zeitungen veröffentlichten Monologe bildete. Für Knebel, der sein Publikum stets direkt anspricht und unter der immer gleichen Einleitung „Boh glaubse . . . “ Alltagsbeobachtungen in der Sprache der Ruhrgebietsbewohner*innen verpackt, waren etwa Philosophen „so ausgebildete Schlauberger“ 374 – „Fillesoofen“. Eine Ausnahme bildete hier die als Nachfolgerin für Kumpel Anton erfundene Figur der Sprachforscherin Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, die der stellvertretende WAZ-Chefredakteur Rainer Bonhorst im Jahr 1989 erfand. Als fiktive Tochter des alten Cervinski, dem Gesprächspartner der Dialoge von Kumpel Anton, sprach die Titelfigur der neuen WAZ-Wochenendkolumne zwar ebenfalls im tiefsten Ruhrdeutsch, hatte aber eine akademische Ausbildung genossen, wie ihr Doktortitel schnell erkennen ließ. Vor- und Nachname verwiesen einerseits auf die populäre Vorgängerkolumne und andererseits auf die im Bochumer Stadtteil Querenburg gelegene Ruhr-Universität. Die Figur sollte damit die Generation von Ruhrgebietsbewohner*innen verkörpern, die anders als ihre Eltern eine akademische Ausbildung genossen hatte. Nachdem bereits zwei Bände mit gesammelten Kolumnen erschienen waren, wechselte ihr Erfinder 1994 als Chefredakteur zur Augsburger Allgemeinen und die Kolumne wurde eingestellt. Obgleich ihr Bekanntheitsgrad nicht an ihren Vorgänger oder Kunstfiguren wie Herbert Knebel anschließen konnte, kommentierten auch überregionale Medien wie die Zeit das vorläufige Ende der Figur. 375 Im Fokus stand dabei der Zweck der Kolumne, das Ruhrdeutsche von der Konnotation mangelhafter Bildung zu befreien und als Sprache zu bewahren. 376 Zeitgleich zur ersten Hälfte der IBA-Laufzeit hatte die WAZ die Kolumne als humoristischen Bei374 Knebel, Herbert: Boh glaubse. Die Klassikers, Bottrop 2012, S. 54. 375 Vgl. Kirbach, Roland: Unsern Nachbarn seine Ziege. Sprachforscherin Antonia Cervinski geht nach Bayern, in: Die Zeit, 14. Oktober 1994. 376 Ebd.: „Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg treibt eine Sorge um: daß das Ruhrdeutsch zu vornehm wird. [. . . ] Die Bedrohung der Ruhrgebietssprache hängt nach Ansicht der Wissenschaftlerin damit zusammen, daß sie ‚alle rum am strukterieren‘ sind im Revier. Damit ‚bei die ganze Umstrukterierung unsere Sprache nich aufe Strecke bleipt‘, wie sie sich ausdrückt, erteilt sie seit Jahren immer samstags den Lesern des größten Blatts im Revier, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), Lektionen in Ruhrdeutsch. [. . . ] Der Zweck der Sprachglossen liegt auf der Hand: Die ‚Sprachloyalität‘ der Menschen an der Ruhr ‚zu ihrer Regionalsprache soll gestärkt werden‘, wie es der echte Sprachforscher Hartmann ausdrückt. Denn um das Ansehen des Ruhrdeutschen ist es nicht gut bestellt. Jahrzehntelang wurde das Idiom, vor allem von den Schulmeistern, als ‚verdorbenes Deutsch‘ bekämpft und geächtet. Frau Dr. Antonias Werben empfindet Hartmann jedoch oft als allzu oberlehrerhaft:

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trag zur forcierten Umdeutung der Industriegeschichte des Ruhrgebiets etabliert, der die regional typische Sprache von ihrem negativen Image befreien und zu einem bewahrenswerten Identifikationsmerkmal der Bewohner*innen machen sollte. Fünf Jahre lang war die Kolumne Teil der Wochenendausgabe der auflagenstärksten Regionalzeitung, sodass sie den sprachlichen Umdeutungsprozess an den Frühstückstisch tausender Ruhrgebietsbewohner*innen brachte. Sie fügte sich in eine nach innen gerichtete Imagepolitik, die aufbauend auf historisch gewachsenen Besonderheiten wie der regional typischen Sprache eine positive Umdeutung vormals imageschädigender Spezifika des Ruhrgebiets anstrebte. Der Rückgriff auf den beliebten Vorgänger Kumpel Anton blieb dabei nicht auf den Namen beschränkt, sondern die Kolumne schloss auch in ihrer dialogischen Form an den Vorläufer an. Der Gesprächspartner von Dr. Antonia Cervinski-Querenburg war ein stets namenlos bleibender Reporter, der Fragen zum Ruhrgebiet, seiner Sprache und Lebensart an die fiktive Sprachforscherin stellte. Anders als bei Figuren wie Tegtmeier oder Knebel wurde so der hochdeutsch sprechende Reporter zur Person mit fehlendem Wissen, der aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse des regionalen Dialekts vieles missverstand und immer wieder nachfragen musste. Teilweise wechselte er zum Ende der Unterhaltung jedoch selbst ins Ruhrdeutsche, womit der Hauptfigur die Rolle der Wissensvermittlerin zukam, die ihrem fiktiven Beruf entsprach. Die ehemals verpönte Ausdrucksweise wurde somit zu einem Wissensbestand umgedeutet, der es wert sei, erlernt und erforscht zu werden. Neu war also nicht mehr die Präsenz der Sprache in einer medialen Öffentlichkeit, sondern vielmehr die Sprechposition der sie nutzenden Figur. Die zunehmende Normalisierung der regionalen Sprache erschien nicht mehr als wünschenswerter Ausweg aus einer stigmatisierten Sprechweise, sondern als Bedrohung einer zu bewahrenden regionalen Eigenheit. Die wöchentliche humoristische Sprachlektion machte allerdings unfreiwillig deutlich, dass das Ruhrdeutsche in dieser Ausprägung zwar bei überzeichneten Kunstfiguren wie Herbert Knebel oder Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, jedoch nicht im sprachlichen Alltag der Bewohner*innen anzutreffen war. Das überspitzte Ruhrdeutsch war vielmehr die Sprache des ‚Ruhri‘, der sich seit den späten 1980er Jahren als Kollektivsingular für die Bewohner*innen des Ruhrgebiets etablierte.

‚Sollte man es bedauerlicherweise bisher nicht gewußt haben, so müssen wir seit Dr. Antonias Lobliedern das „Reviergequassel“ als „stark und richtig“ schätzen, aber auch als „schön“, „echt kernig“, „ungeheuer flexibel“‘ und so fort, nörgelt er. Damit ordneten sich die Glossen letztlich in Imagekampagnen wie die vom ‚Ruhrgebiet – ein starkes Stück Deutschland‘ ein.“

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‚Ruhri‘ fungiert nicht einfach als sprachliche Kurzform für Ruhrgebietsbewohner*in, sondern „in der Kurzform schwingt immer auch ein Bild mit, welches Klischees und Stereotypen über die Region und ihre Bewohner befördert“ 377. Die auf den Kabarettisten Fritz Eckenga zurückgeführte Bezeichnung 378 imaginiert einen typischen Bewohner der Region, dessen Bild maßgeblich durch mediale Kunstfiguren aus Film, Fernsehen und Kabarett geprägt ist. Besonders der starke Einfluss kabarettistischer Künstler*innen auf das Bild des ‚Ruhri‘ führten dazu, dass sich der ironische Blick auf die Figur in diese einschrieb und ihr eine ‚gesunde‘ Selbstironie als Charaktereigenschaft zuwies. Auch die weiteren, ihr zugeschriebenen Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Direktheit, Offenheit, Bodenständigkeit und Resilienz gegenüber wirtschaftlichen und sozialen Härten sind positiv besetzt. Sie deuten negative Eigenschaften wie einen geringen Bildungsgrad oder Provinzialität ins Positive um, indem diese zu notwendigen Bedingungen der guten Charakteristika des ‚Ruhris‘ werden. Auch wenn der ‚Ruhri‘ nicht mit dem auf den Beruf des Bergmanns zurückgehenden Kollektivsingular ‚Kumpel‘ gleichzusetzen ist, wird auch diese Figur überwiegend männlich imaginiert, wie Achim Prossek festhält: „Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Charakteristika des Ruhri: kumpelhaft, herzlich, geradlinig, aber auch ein wenig schlicht, eher männlich und weiß, [. . . ]. Das Bild vom Ruhri weckt selten Assoziationen an Frauen, und zwar umso weniger, je stärker das Bild in der Vergangenheit verhaftet ist.“ 379 Prossek beleuchtet hier nicht nur die Leerstellen des Kollektivsingulars, sondern auch seinen starken Vergangenheitsbezug, aufgrund dessen sich sein Zukunftspotenzial auf eine kompensatorische Funktion „angesichts des schnellen Wandels unserer Zeit“ 380 zu beschränken scheint. Besonders deutlich wird dieser dominante Vergangenheitsbezug für Prossek an der Imagekampagne „Dem Ruhri sein Revier“, die im Vorfeld der Kulturhauptstadtkampagne als Gegenentwurf zweier Privatleute lanciert wurde. 381 Die Kampagnenmotive kombinierten jeweils ein Foto mit dem Slogan „Dem Ruhri sein [. . . ]“, der passend zum Motiv mit einem Vergleich zu einer internationalen Sehenswürdigkeit oder einem kulturellen Phänomen ergänzt wurde. Ein kurzer Begleittext unterhalb des Plakatmo377 378 379 380 381

Prossek (2019), S. 279. Ebd. Ebd., S. 288. Ebd., S. 295. Die Kampagne wurde vom Essener PR-Fachmann Rainer Rettinger und vom Bottroper Kinobetreiber und Autor Rudi Grande entworfen und zunächst als Wanderausstellung gezeigt und anschließend als Buch veröffentlicht; vgl. Grande, Rudi / Rettinger, Rainer: Dem Ruhri sein Revier. Eine Liebeserklärung, Bottrop 2009.

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tivs führte den jeweiligen Vergleich aus und erklärte beispielsweise, warum ein Bergmannschor als „Dem Ruhri seine Rolling Stones“ 382 oder das Doppelbockfördergerüst von Zollverein als „Dem Ruhri sein Eiffelturm“ 383 anzusehen sei. Über ihre Bildsprache und den Slogan „Ruhri.2010. Dem Ruhri seine Kampagne“ transportieren die Plakate Kritik an der offiziellen Ruhr.2010.Kampagne, die nicht die Bewohner*innen, sondern die ‚Metropole Ruhr‘ in den Mittelpunkt stelle. 384 Die Kampagne verstand sich mithin als Gegenentwurf zur forcierten Vision einer Metropole Ruhr. Sie zielte nicht darauf, einen bestimmten Raum zu zeigen, sondern imaginierte vielmehr die Bewohner*innen als Kollektivsingular. Mithilfe des regional typischen, den Genitiv ersetzenden Dativs „Dem Ruhri sein“ entwarf sie die Region als das, was die im Kollektivsingular ‚Ruhri‘ imaginierten Bewohner*innen aus ihr machten – und imaginierte darüber gleichzeitig den idealtypischen Ruhrgebietsmenschen. Auch wenn viele der Bildmotive durchaus mit den Motiven der offiziellen Kampagne vergleichbar waren, stellte „Ruhri.2010“ weniger den Blick nach vorn auf das Kulturhauptstadtjahr als vielmehr den Blick zurück in die Geschichte der Region in den Vordergrund. 385 Die Ruhri.2010-Kampagne imaginierte damit eine andere Zukunft als sie die Raumbezeichnung ‚Metropole Ruhr‘ entwarf. 386 Konstruktion einer Raumvorstellung

So wie ‚Ruhri‘ nicht einfach nur eine Abkürzung für Ruhrgebietsbewohner*innen ist, sondern als Kollektivsingular einen typischen Ruhrgebietsmenschen imaginiert, so ist ‚Metropole Ruhr‘ mehr als nur eine Bezeichnung für einen bestimmten Raum. Wie mit den anderen für die Region geläufigen Namen sind mit ihr „Vorstellungen verbunden, auf Seiten der Namensgeber wie auf Seiten der Rezipienten / Konsumenten“ 387. In diese Vorstellungen sind unterschiedliche Zeithorizonte eingeschrieben, die einerseits auf ihren jeweiligen Entstehungskontext verweisen und ande-

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Ebd., S. 9. Ebd., S. 15. Siehe Kapitel 3.1. Vgl. Grande / Rettinger (2009), S. 4: „Insgesamt 46 Motive dokumentieren den einzigartigen Facettenreichtum und die geballte Kreativität unserer geschichts- und traditionsreichen Heimat Ruhrgebiet.“ 386 Vgl. Prossek (2019), S. 294: „Besonders an dem Ruhri.2010-Beispiel sollte deutlich geworden sein, dass der Ruhri sich nicht als der Gestalter Zukunft versteht, jedenfalls nicht der, die unter dem Label ‚Metropole Ruhr‘ gestaltet und vermarktet wird. Dieser Name bindet emotional weniger als Ruhrgebiet und Ruhrpott.“ 387 Prossek (2009a), S. 106.

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rerseits spezifische Zukunftsvorstellungen transportieren. 388 So verweist ‚Metropole Ruhr‘ als Kurzform für ‚Metropolregion Ruhr‘ auf den raumplanerischen Entstehungskontext, der im Zuge der Kulturhauptstadtkampagne als Marke etabliert werden sollte. 389 Der Name transportiert damit einerseits raumplanerische Vorstellungen einer Gestaltungszukunft und referierte andererseits auf Vorstellungen von Moderne, die mit dem Metropolenbegriff verknüpft sind. Unabhängig von den zahlreichen Vorschlägen, den Begriff der Moderne zu konzeptualisieren und zu periodisieren, ist die Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte von Metropolen in ihrer Entwicklung seit der Zeit um 1900 untrennbar mit ihm verbunden. 390 Die Bezeichnung ‚Metropole Ruhr‘ imaginierte daher nicht nur einen städtischen Raum, der von innen und außen als zusammenhängend wahrgenommen wird, sondern der sich außerdem durch eine spezifische Urbanität auszeichnet, die als modern im Sinne von weltoffen, pulsierend, kulturell vielseitig und dynamisch gilt. Im Kontext der Kulturhauptstadtkampagne imaginierte der Begriff so einen urbanen Raum, der entsprechend des Anfang der 2000er Jahre einflussreichen Konzepts vom „Rise of the Creative Class“ 391 von Richard Florida die Bedingungen für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft als „Creative City“ 392 liefern sollte. Entscheidend für den ökonomischen Erfolg als „Creative City“ sind laut Florida die von ihm als „3 T’s“ 393 bezeichneten Voraussetzungen Technologie, Talent und Toleranz. Das als ‚Metropole Ruhr‘ imaginierte Ruhrgebiet sollte mit seiner Geschichte als Motor der deutschen Industrialisierung und Migration an diese Vorstellung einer 388 Die Entwicklung der unterschiedlichen Bezeichnungen und ihr raumpolitisches Argumentationspotenzial ist bereits von Achim Prossek ausführlich dargelegt worden; vgl. z. B. ebd., S. 106–118. Vgl. auch Schmitt, Peter: Raumpolitische Diskurse um Metropolregionen. Eine Spurensuche im Verdichtungsraum Rhein-Ruhr, Dortmund 2007. Hier soll daher der Fokus auf die den Namen eingeschriebenen Zeithorizonte und ihre Funktionalisierung im Vordergrund stehen. 389 Vgl. Prossek (2009a), S. 116; Scheytt, Oliver: Ruhr. Die Geschichte einer Vision, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 9–20. Siehe auch Kapitel 3.1. 390 Vgl. Lenger, Friedrich: Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013, S. 12 f.; Zimmermann, Clemens: Stadtgeschichte und Urbanistik, in: Jaeger, Friedrich / Knöbl, Wolfgang / Schneider, Ute (Hg.), Handbuch Moderneforschung, Stuttgart 2015, S. 275–285. 391 Florida, Richard L.: The Rise of the Creative Class. And how it’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002. Zum Einfluss auf die Metropolendiskussion im Ruhrgebiet vgl. Nieland, Jörg-Uwe: Standortfaktor Popkultur. Ein Plädoyer für das Ruhrgebiet, in: Springer, Johannes / Steinbrink, Christian / Werthschulte, Christian (Hg.), Echt! Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet, Duisburg 2008, S. 113–131, S. 114–117. 392 Florida, Richard L.: Cities and the Creative Class, New York 2005. 393 Ebd., S. 37.

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technologisierten und vielfältigen ‚Creative City‘ anschlussfähig sein. 394 Der Zukunftshorizont ist dabei nicht nur die offene Zukunft der modernen Metropole, sondern auch die einer kapitalistischen Wirtschaftsform, die auf „eine als offen und von Vergangenheit und Gegenwart verschiedene Zukunft ausgerichtet ist“ 395. Wie Jens Beckert gezeigt hat, muss die Imagination einer wirtschaftlich erfolgreichen Zukunft sich als möglichst glaubhaft präsentieren, um Investor*innen und Arbeitskräfte anzuziehen, indem sie auftritt, „als ob die Zukunft einen bestimmten Verlauf nehmen würde. Fiktionale Erwartungen erzeugen eine Art von Parallelrealität – eine imaginierte Zukunft.“ 396 Die ‚Metropole Ruhr‘ als räumliche Imagination einer spezifischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zukunft des Ruhrgebiets entwirft also einen von stadtplanerischer Seite angestrebten Zustand nicht nur als zukünftig erreichbar, sondern gleichsam als gegenwärtig bestehend und geht dabei noch über den zwischenzeitlich forcierten Namen der ‚Ruhrstadt‘ hinaus. Die Bezeichnung ‚Ruhrstadt‘ wurde nach dem Ende der IBA Emscher Park vom KVR, den Oberbürgermeistern einiger Ruhrgebietsstädte und der WAZ propagiert. 397 Sie wurde zwar teilweise mit dem Metropolenbegriff verbunden, 398 imaginierte aber eher ein eng kollaborierendes Städtenetzwerk als eine einzige, zusammenhängende Stadt. 399 Die dem Begriff eingeschriebenen Zukunftsvorstellungen waren auch hier raumplanerischer Natur, die von Befürworter*innen als Vision enger und gleichberechtigter Kooperation, von Gegner*innen als Schreckbild einer gesichtslosen Verwaltungskrake verstanden wurde. Die alte Debatte um einen einheitlichen Regierungsbezirk wurde unter dem Begriff neu ausgetragen. Die Visionen reichten dabei von lediglich themenspezifischer Kooperation und stärkerer Forcierung der Rhein-Ruhr-Schiene bis hin zu einer eigenständigen Ruhrstadt mit Rathaus und Bürgermeister*in. 400 Die Fragen nach der räumlichen Reichweite und dem Grad verwaltungspolitischer Integration einer zukünftigen ‚Ruhrstadt‘ wurden vor allem vor dem Hintergrund 394 Zur Kritik an den Konsequenzen dieser Strategie siehe auch Eiringhaus / Kellershohn (2018). 395 Beckert, Jens: Imaginierte Zukunft. Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus, Berlin 2018, S. 422. 396 Ebd., S. 423 (H. i. O.). 397 Vgl. Schmitt (2007), S. 150 f. 398 Willamowski, Gerd / Nellen, Dieter / Bourrée, Manfred (Hg.): Ruhrstadt. Die andere Metropole. Ein Beitrag zum Projekt „HISTORAMA Ruhr 2000“, Rückblick auf das Industriezeitalter, Essen 2000 Der Name der Abschlusspublikation zum Projekt Historama Ruhr 2000 wurde kurz vor Drucklegung von „Revier 2000“ in „Ruhrstadt. Die andere Metropole“ geändert, vgl. Schmitt (2007), S. 150. 399 Vgl. Prossek (2009a), S. 111. 400 Vgl. Schmitt (2007), S. 152–162.

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einer als global wahrgenommenen Standortkonkurrenz millionenstarker Großstädte diskutiert. Ob vom weitgefassten Vorschlag einer „Global City Rhein Ruhr“ 401, über die auf mehr Unabhängigkeit vom Land zielende Vision eines „Regionalkreises Ruhrstadt“ 402 bis zur sich schrittweise integrierenden Region als „EU im Kleinen“ 403 – Ausgangspunkt der räumlichen Imaginationen war stets eine als Bedrohung wahrgenommene globalisierte Zukunft, die sich nur durch stärkere Kooperation bewältigen lasse. Das räumliche Ausmaß der jeweiligen Bewältigungsstrategie präfigurierte wiederum die zeitliche Ausdehnung der ihr zugrunde gelegten historischen Erzählung. Sollte die ‚Global City Rhein Ruhr‘ laut der Vision Christoph Zöpels „ihre Geschichte, vor allem auch die vor der Industrie, aufarbeiten“ 404, setzten die Entwürfe einer wie auch immer gearteten ‚Ruhrstadt‘ vor allem auf die Industriegeschichte als Grundlage einer identitätsstiftenden Erzählung. Dieser die Industriegeschichte der Region umfassende Zeithorizont unterliegt auch den vor allem in Medien und popkulturellen Repräsentationen weiterhin verbreiteten Begriffen wie ‚Revier‘, ‚Ruhrpott‘ oder kurz ‚Pott‘. ‚Revier‘ verweist auf den Entstehungskontext eines zusammenhängenden Kohleabbaugebiets, dessen unter Tage gelegene Flöze über Tage einen zusammenhängenden Wirtschafts- und Siedlungsraum hervorgebracht haben. Sie imaginieren die Region ebenfalls als räumliche Einheit, aber nicht aufgrund einer als bereits gegenwärtig postulierten raumplanerischen Zukunft, sondern auf Basis ihrer materiellen historischen Prägung. Sowohl ‚Revier‘ als auch ‚Ruhrpott‘ verweisen auf die Kohleindustrie als Grundlage der historischen Entwicklung der Region, wobei Ruhrpott besonders auf das Narrativ des Schmelztiegels referiert. Der Begriff imaginiert die Region als offenen Raum, der jeden aufnimmt und durch harte, aber ehrliche Arbeit geprägt ist. Dass der Name bei älteren Bewohner*innen des Ruhrgebiets noch eher mit negativen Assoziationen eines schlechten regionalen Images belegt ist, während er für jüngere Bewohner*innen stärker positiv besetzt ist, verweist auf seine spezifische Ver-

401 Zöpel, Christoph: Völker der Welt, schaut auf diesen Pott. Hier ballt sich was zusammen. Als vernetzte Stadt könnte das Ruhrgebiet zur Modellmetropole der globalen Wissensgesellschaft werden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Januar 2002. 402 Rommelspacher, Thomas: Ruhrstadt? Ruhrstadt! Wege aus der Bevormundung, in: Süddeutsche Zeitung, 15. November 2002. 403 Rudolph, Karsten / Busse, Tanja / Goch, Stefan / Heinemann, Ulrich / Strünck, Christoph / Wehrhöfer, Ulrich (Hg.): Reform an Rhein und Ruhr. Nordrhein-Westfalens Weg ins 21. Jahrhundert, Bonn 2000. 404 Zöpel (2002).

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wendung in popkulturellen Repräsentationen und der Jugendkultur wie beispielsweise im deutschsprachigen Hip-Hop. 405 Veröffentlichung eines Musikstücks

Lange bevor die Musikrichtung mit regelmäßig hohen Chartplatzierungen in die Mitte des musikalischen Mainstreams rückte, bildete sich im Ruhrgebiet eine eigene deutschsprachige Hip-Hop-Szene aus, welche die Region mit Liedern wie ‚Tatort Ruhrgebiet‘ der Dortmunder Gruppe ‚Too Strong‘ oder Gruppennamen wie ‚Ruhrpott AG‘ zum musikalischen Referenzpunkt machte. Wie für andere populäre Musikrichtungen wie Schlager, Rock und Pop kann auch bei Hip-Hop ein „Blick auf die Cover, die Texte und die Videoclips der Ruhrgebietssongs [. . . ] zeigen, welche Vorstellungen vom Ruhrgebiet bestehen“ 406. Das Veröffentlichen eines Musikstücks gibt als imaginative Praxis aber nicht nur Einblick in bestehende Vorstellungen, sondern „setzt auch Bilder und Muster in den Köpfen fest, die sich verfestigen, verselbstständigen, sich aber auch verändern können“ 407. Nachdem das Ruhrgebiet seit den 1960er Jahren zum Motiv deutschsprachiger populärer Liedtexte geworden war, das in den 1980er Jahren größere Beliebtheit erfuhr, sorgten besonders Schlager und HipHop in den 1990er Jahren für einen „deutlichen Boom“ 408 in der musikalischen Thematisierung der Region, wie Dietmar Osses gezeigt hat. Hip-Hop ist hierbei besonders interessant, weil die Musikrichtung wie kaum eine andere „an spezifische Großstadterfahrungen gebunden“ 409 ist und als Jugendkultur neben Punk oder Techno ein Mittel zur Aneignung urbaner Räume im Transformationsprozess industrieller Großstädte

405 Vgl. Prossek (2009a), S. 108 f. 406 Osses, Dietmar: Vom Kohlenpott zum Revier mit Herz und Härte. Das Ruhrgebiet in Liedtexten zwischen Schlager und Gangsta-Rap, in: Osses, Dietmar / Weißmann, Lisa (Hg.), Revierfolklore. Zwischen Heimatstolz und Kommerz. Das Ruhrgebiet am Ende des Bergbaus in der Populärkultur. Begleitbuch zur Ausstellung, Essen 2018b, S. 104– 123, S. 105. Aufbauend auf dem umfassenden Überblick bei Osses und der Darstellung der Entwicklung der populären Musikszene bei Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Rock und Pop im Pott. 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet. Katalogbuch zur Ausstellung des Ruhr Museums auf Zollverein Essen, 5. Mai 2016 bis 28. Februar 2017, Essen 2016, kann hier der Fokus auf die eingeschriebenen Zeit- und Zukunftshorizonte gelegt werden. 407 Osses (2018b), S. 105. 408 Ebd. 409 Klein, Gabriele / Friedrich, Malte: Populäre Stadtansichten. Bildinszenierungen des Urbanen im HipHop, in: Androutsopoulos, Jannis K. (Hg.), HipHop. Globale Kultur, lokale Praktiken, Bielefeld 2003, S. 85–101, S. 86. Vgl. auch dies.: Is this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt am Main 2003, S. 99: „Bilder des Städtischen gehören zu keiner anderen Jugendkultur so sehr wie zum HipHop.“

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seit den späten 1970er Jahren darstellt. 410 Die Bedeutung des Ruhrgebiets als Zentrum deutschsprachigen Hip-Hops neben Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt entstand nicht zufällig zur gleichen Zeit, in der die Region als Modell einer postindustriellen städtischen Zukunft etabliert werden sollte und der Wandlungsprozess von innen und außen intensiv beobachtet und reflektiert wurde. Die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets und ihre Suche nach einer neuen Zukunft wurden in den späten 1990er und 2000er Jahren in zahlreichen Raptexten regionaler Künstler*innen thematisiert. Die Industriegeschichte wurde zum Referenzpunkt der musikalischen Produktion von Härte und Männlichkeit – zentrale Textmotive des zu diesem Zeitpunkt noch fast ausschließlich männlich dominierten Musikgenres. Eine Ausnahme bildete hier die rein weibliche Formation ‚Tic Tac Toe‘, die 1996 mit dem Song ‚Ruhrpottniggaz‘ ein in Ruhrdeutsch vorgetragenes Lied publizierte, das ebenfalls auf die Zurschaustellung von Härte abzielte. Die Band, deren umstrittene Gründungsgeschichte zwischen einem spontanen Auftritt bei einem Talentwettbewerb und dem gezielten Casting der einzelnen Mitglieder changiert, erreichte mit ihren ersten beiden Alben 1996 und 1997 schnell kommerzielle Charterfolge, die auf der Adaption musikalischer Szenecodes wie Härte, sozialem Außenseiterstatus und Authentizität beruhten. Die Referenz auf den ‚Ruhrpott‘ sollte die Performanz dieser Eigenschaften beglaubigen, indem die drei jungen Frauen in der ehemals sozial geächteten Regionalsprache etwa auf Migrationsgeschichte und harte körperliche Arbeit verwiesen. Die weibliche Aneignung, der kommerzielle Erfolg, vor allem aber das strategische Management hinter der Band, das beispielsweise durch Negativschlagzeilen über einen von der Plattenfirma oktroyierten Altersschwindel aufflog, positionierten die Band weit außerhalb der Hip-Hop-Szene, deren musikalischer und ästhetischer Stilmittel sie sich dennoch erfolgreich bediente. So wird Tic Tac Toe retrospektiv als „selbstbewusste Rap-Crew“ 411 aus dem Ruhrgebiet beschrieben, obwohl sie die genreübliche ‚Realness‘ – also von Mitgliedern der Szene zugeschriebene Authentizität und damit ein „zentrales Qualitätskriterium der HipHop-Kultur“ 412 – zu keinem Zeitpunkt einlösen konnte. Neben der Frage, wie das Ruhrgebiet als Sujet in Rap-Songs aufgegriffen und narrativiert wurde, 413 ist es also interessant zu beleuchten, wie die Industriege-

410 411 412 413

Vgl. Klein / Friedrich (2003), S. 106 f. Osses (2018b), S. 121. Klein / Friedrich (2003), S. 7. Dietmar Osses hat dies in seinem Aufsatz zur Thematisierung des Ruhrgebiets in verschiedenen musikalischen Genres bereits überzeugend getan und dabei gezeigt, dass vor allem in der frühen Phase Mitte der 1990er Jahre immer wieder die sozialen

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schichte der Region als musikalischer Referenzpunkt im Verhältnis zu den genrespezifischen Inszenierungs- und Beglaubigungsstrategien steht und diese wiederum ein spezifisches Bild der Region imaginieren. Auch wenn Hip-Hop als globale Jugendkultur ausgehend von New York weltweit ähnliche Elemente hervorgebracht hat, schlägt sich ihre spezifische Umsetzung in den jeweiligen urbanen Räumen lokal durchaus unterschiedlich nieder. In der frühen kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Form der Jugendkultur diente Hip-Hop daher als Beleg für die lokal heterogene Ausdifferenzierung vermeintlich homogenisierter globaler Kulturphänomene. 414 Nicht nur in der wissenschaftlichen Analyse, sondern auch in der musikalischen Praxis selbst war und ist das Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung, Teil einer globalen Jugendkultur zu sein und diese gleichzeitig lokal derart spezifisch auszudifferenzieren, dass sie sich in Konkurrenz zu anderen urbanen Szenen setzen lässt, in hohem Maße präsent. Wenn man den Globalisierungsdiskurs in erster Linie als Zeitdeutung um die Jahrtausendwende versteht, 415 lässt sich das für die Szene so zentrale Postulat, die eigene Stadt zu repräsentieren, als Teil des Deutungsprozesses gesellschaftlicher und temporaler Umbruchserfahrungen verstehen. Da Hip-Hop als Jugendkultur ursprünglich nicht nur Rapmusik, sondern auch DJing, Breakdance und Graffiti umfasste, waren sich diese Teile der Hip-Hop-Kultur gerade in der Frühphase der Ausbildung einer deutschsprachigen Szene noch besonders nahe. Berühmte Rapper wie der Berliner Kool Savas oder die Dortmunder Mitglieder der Formation Too Strong begannen mit dem Sprühen von Graffiti, bevor sie als Rapper erfolgreich wurden. Die Aneignung städtischen Raums durch das Sprühen von einfachen Tags des eigenen Künstler*innennamens, über aufwendige Schriftzüge, bis hin zu komplexen Bildern dient der Markierung des eigenen Selbst im öffentlichen Raum. 416 Nicht nur mit seiner engen Bebauung, sondern vor allem auch mit seinem dichten Schienennetz und den zahlreichen zu bemalenden Zügen bot das Ruhrgebiet hierfür eine schier endlose urbane Leinwand. Gerade die Bilder der sich wandelnden industriellen Großstadt, die ihren Bewohner*innen in sozial abgehängten Vierteln keine Lebensqualität bietet, produzieren dafür aber die Kulisse der begehrten au-

Verwerfungen des Strukturwandels aufgegriffen wurden. In den 2000er Jahren traten zu Armut und sozialer Benachteiligung noch verstärkt Migrationsgeschichte und das Postulat einer verbindenden regionalen Identität hinzu; vgl. Osses (2018b), S. 117– 122. 414 Klein / Friedrich (2003), S. 18. 415 Vgl. Eckel (2018), S. 43. Siehe auch Kapitel 2.2.3, Anm. 756. 416 Vgl. Klein / Friedrich (2003), S. 39.

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thentischen Hip-Hop-Erzählung. 417 Das Ruhrgebiet als postindustrieller Krisenraum wird durch die fehlende Schönheit der Städte und die sozial prekäre Lage seiner Bewohner*innen somit zur Bedingung einer möglichst authentischen musikalischen Erzählung. Der Strukturwandel wird daher vor allem in seiner negativen Dimension thematisiert, während die Geschichte der Region als eine der harten Arbeit und wirtschaftlichen Stärke erzählt wird, die von außen kaum Anerkennung finde. Die Intensität der musikalischen Verweise auf Hässlichkeit und Benachteiligung der Region steigerte sich dementsprechend mit dem Voranschreiten des Strukturwandels und wurde auch sprachlich immer expliziter. So nahm etwa die Ruhrpott AG (RAG) in ihrem Debütalbum „Unter Tage“ von 1998 noch eher implizit Bezug auf die Region und bediente dabei die Motive der kriminellen und unansehnlichen Großstadt. Mit Verweisen auf den Bergbau wird das Ruhrgebiet in Strophen und Hook des titelgebenden Songs „Unter Tage“ als Beleg der eigenen musikalischen Untergrundexistenz und Authentizität angeführt, ohne das Ruhrgebiet konkret zu benennen: Planen perfekte Verbrechen in stillgelegten Zechen, finanzierten unser Studio durch Anlegen von Grünflächen, sprechen über Umschlagsplätze krummer Geschäfte, falsche Pässe, falsche Adresse, Wir bewegen uns wie Schnee, durch die leergefegte Innenstadt. [. . . ] RAG, Kollaboration, tiefer unter Tage als der Ort an dem wir woh’n. 418

Das Album fand auch überregional Beachtung und wurde als an Oldschool-Rap orientierte Platte rezipiert, die „an den HipHop-Wurzeln“ 419 grabe und „einen Soundtrack für gepflegte Melancholie mit genügend Gelegenheiten zum Ausbrechen“ biete. 420 Die musikalische Rückwärtsbewegung hin zu den Wurzeln des um die Jahrtausendwende immer erfolgrei-

417 Ebd., S. 22 f. „Bis heute ist das Ghetto die wichtigste Bildfigur des HipHop. Plattencover, Musik-Videos, Presse-Fotos – überall die gleiche urbane Kulisse: Häuserschluchten, Hinterhöfe mit Basketballkorb, belebte Straßen, überfüllte Mülleimer, kaputte Autos und Industrieschrott. In den Straßen: Gewalt, Glücksspiel, Polizeipräsenz, Drogendeal und Drogenkonsum. [. . . ] Der HipHopper erscheint stets als Gewinner, denn er kann im Ghetto überleben oder er hat den Weg hinaus geschafft, verfügt über Geld, Kontakte und schöne Frauen. Im HipHop dominiert der Mann. Er ist Kämpfer im feindlichen Dschungel der nachindustriellen Megastadt. Vor allem die lebensweltliche Erfahrung verspricht Respekt und gilt bis heute als Garant für Authentizität.“ 418 Ruhrpott AG: Unter Tage, UnterTage, Put Da Needle To Da Records 1998. 419 Stegers, Fiete: Ruhrpott AG. Unter Tage, in: Der Spiegel, 5. November 1998. 420 Den nachhaltigen Einfluss der Gruppe auf die Geschichte des deutschsprachigen Hip-Hops thematisiert ein 2020 erschienener Dokumentarfilm; vgl. Brimmers, Julia / Westermann, Benjamin: We almost lost Bochum. Die Geschichte von RAG, mindjazz pictures 2020.

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cher werdenden Genres verband sich mit dem lyrischen Rückgriff auf die Bergbauvergangenheit der Region. Auf dem zweiten Album „Pottenzial“ aus dem Jahr 2001 wurden die musikalischen Verweise auf das Ruhrgebiet deutlicher. Mit „Tief im Westen“ enthielt das Album eine Art Regionalhymne, die im Titel auf die ersten Zeilen des berühmten Ruhrgebietslieds „Bochum“ von Herbert Grönemeyer verwies. Das von Grönemeyer eigentlich seiner Heimatstadt gewidmete, mit Verweisen auf die Kohle- und Stahlindustrie gespickte Lied wurde schnell auf die gesamte Region bezogen. Schon die erste Strophe enthielt prototypisch diejenigen lyrischen Motive, 421 die zum musikalischen Bild des Ruhrgebiets werden sollten und die auch die Ruhrpott AG wieder aufgriff. Anders als bei Osses dargestellt nahm „Tief im Westen“ zwar nicht als einziger RAG-Song Bezug auf das Ruhrgebiet, 422 machte seine Verweise sprachlich aber deutlich expliziter, indem er bereits von Grönemeyer etablierte Motive wie bauliche Enge, Benachteiligung und besondere Ehrlichkeit der Region neu auflegte: „Bist nicht gerade spärlich bebaut, doch zeigst immer ’ne ehrliche Haut: Ruhrpott. Bekommst mehr Tiefen als Höhen zu sehen, du bist zu wahr, um dich schön zu reden: Ruhrpott.“ 423 Die das Wort „Ruhrpott“ wie einen Ruf in die Länge ziehende Hook weckte Assoziationen zu den „Ruhrpott! Ruhrpott“-Rufen, die im erfolgreichen Fußballjahr 1997 durch die Stadien geschallt und damit neben der Ausnahmefußballsaison auch den Arbeitskampf der letzten noch verbleibenden Bergleute überregional in den Fokus medialer Aufmerksamkeit gerückt hatten. 424 Gleichzeitig griff die Band mit ihrem Lied aber auch Zeilen des berühmten Grönemeyer-Lieds auf und bewertete sie vor dem sich vollziehenden Strukturwandel neu:

421 Grönemeyer, Herbert: Bochum, 4630 Bochum, EMI 1984: „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt. Tief im Westen. Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau, Du liebst dich ohne Schminke, bist ’ne ehrliche Haut, leider total verbaut, aber grade das macht dich aus. Du hast ’n Pulsschlag aus Stahl, man hört ihn laut in der Nacht, Du bist einfach zu bescheiden, Dein Grubengold, hat uns wieder hochgeholt, Du Blume im Revier.“ 422 Dietmar Osses ordnet die von ihm zitierten Zeilen zum einen fälschlicherweise dem Song „Erster Alles“ vom selben Album zu und betont zum anderen, dass dies der einzige Song sei, in dem die Band „explizit das Ruhrgebiet thematisiert“, Osses (2018b), S. 119. Die impliziten Bezüge auf die Region, welche die Region thematisieren, ohne sie beim Namen zu nennen, bleiben dabei unberücksichtigt. 423 Ruhrpott AG: Tief im Westen, Pottenzial, Put Da Needle To Da Records 2001. 424 Vgl. N. N.: „Eben auch Malocher“, in: Der Spiegel, 26. Mai 1997; Schurian, Christoph: Das Spiel der kleinen Leute. Die Wurzeln der Fußballfolklore, in: Osses, Dietmar / Weißmann, Lisa (Hg.), Revierfolklore. Zwischen Heimatstolz und Kommerz. Das Ruhrgebiet am Ende des Bergbaus in der Populärkultur. Begleitbuch zur Ausstellung, Essen 2018, S. 90–103, S. 100.

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Hast Dich sehr verändert, obwohl Du das Trinken nicht aufgibst. Schau Dich an, zeig was Du nicht vertuschen kannst, selbst der Versuch geht schief! Trägst zu dick auf, weil Du mittlerweile Schminke liebst. [. . . ] Hochöfen wickeln den Himmel in rote Banderolen, lauf wie Don Quichotte, vor alte Riesen aus Schrott, Emotionen hielten Einzug wie Gelsen-Barock, es blättert die Fassade, Geisterorte werfen sich in Schale, die letzten Reservate: stillgelegte Denkmale, Klischees verbinden und strapazieren mein Wohlbefinden. 425

Der Songtext problematisierte somit auch den Wandel des Ruhrgebiets, der nicht positiv gewertet wurde, sondern vielmehr als Versuch erscheint, mithilfe von Verschönerungsmaßnahmen die im Verfall begriffenen „Riesen aus Schrott“ zu emotionsgeladenen Identifikationspunkten zu machen, die aus der ursprünglich so „ehrlichen“ Region eine durch „Klischees“ verbundene Gemeinschaft machen sollten. Die Kritik galt also einer als künstlich empfundenen Vergemeinschaftung und dem Versuch der ästhetischen Aufwertung der Region gleichermaßen, während sich die Wertschätzung vor allem aus der als authentisch gewerteten Hässlichkeit und wechselvollen Geschichte speiste. Im nur sechs Jahre später vom Rapduo Snaga & Pillath gemeinsam mit Manuellsen veröffentlichten Song „R.U.H.R.P.O.T.T.“ stellte die Hook erneut den ‚Ruhrpott‘ in den Mittelpunkt einer nun eher pathetisch anmutenden Regionalhymne. In Verbindung mit dem Musikvideo, das die Migrationsgeschichte seiner Protagonist*innen über eine Vielzahl an Nationalflaggen verbildlichte, imaginierte der Text das Ruhrgebiet als Gemeinschaft, die den Status einer eigenen Nation beanspruchen könne: Guck für mich ist Ruhrpott mein Vaterland [. . . ] und wir zieh’n durch denn unsere Eltern haben’s uns vorgemacht, haben aus Schutt und Asche n Königreich für uns emporgebracht, unsere Väter haben untertage malocht, haben tausend Meter tief ganze Jahre malocht und das für n mageren Lohn, damit aus uns mal was werden kann und jetzt stehen wir hier und treten stolz dieses Erbe an. [. . . ] Wenn wir was wollen, müssen wir ehrlich nicht bitten, denn wir sind 5 Millionen Leute sag mir wer will uns ficken? Ich red von heute und bald sind wir noch mehr, ganz Ruhrpott steht auf wir sind wieder wer! Das ist mehr als nur ’ne Heimat, mehr als eine Region, wir sind eher wie ein Land, mehr wie eine Nation, wir sind der R.U.H.R.P.O.T.T. [. . . ] Das hier ist Blut, Schweiß und Tränen auf Kohle geboren! Väter sind an Staublunge für die Kohle gestorben! Und als Dank gab es ’n Tritt, keine Chance kein nichts, keine Arbeit in Sicht, keinen der darüber spricht! Ne ganze Generation ausgebrannt ohne Licht und keiner hilft dabei wär’s eure gottverdammte Pflicht! Doch nein ihr lasst den Pott allein! [. . . ] Denn wir im Revier sind Kämpfer, Arbeiter durch und durch! [. . . ] Wir sind zurück, 5 Millionen stehen auf! 426 425 Ruhrpott AG (2001). 426 Snaga & Pillath / Manuellsen: R.U.H.R.P.O.T.T., Aus Liebe zum Spiel, Deluxe Records 2007.

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Das Erbe, das hier für die Zukunft eines wachsenden Ruhrgebiets in Stellung gebracht wurde, reduzierte sich vollends auf die Leistung der „Väter“, die unter Tage unter harten Bedingungen und schlechter Bezahlung „malochten“. Die Bergbaugeschichte diente nicht nur als Mittel zur genretypischen Produktion von Männlichkeit, sondern auch zur Übertragung einer kämpferischen Arbeiteridentität auf die Generation, die nie selbst unter Tage „malocht“ hatte. Die mehrfach wiederholte Figur der hart arbeitenden „Väter“ erklärte die gesamte gegenwärtige Bevölkerung der Region zu Nachkommen von Bergarbeitern, deren historisches Erbe es mit einer von Stolz erfüllten kollektiven Identität anzutreten gelte. Fehlende Hilfe für den schwierigen Wandel der Region und fehlende Anerkennung ihrer wirtschaftlichen Leistung dienten der Imagination einer sich kämpferisch zusammenschließenden Gemeinschaft, die sich nun selbst eine erfolgreiche Zukunft erschließen würde. Die Sprechhaltung war dabei deutlich aggressiver, die Beats schneller und die Hook melodischer als der eher am Oldschool orientierte Ruhrgebietsrap der Jahrtausendwende. Wie schon RAG griffen auch Snaga & Pillath in ihrem nächsten Album „II“ aus dem Jahr 2009 ein bekanntes Ruhrgebietslied auf, wählten mit Wolfgang Petrys „Ruhrgebiet“ 427 von 1997 aber ein dem Schlager zuzurechnendes Stück, das sie nicht nur textlich, sondern auch musikalisch weiterverarbeiteten. Die Referenz auf bekannte Musikstücke entspricht einerseits der genretypischen Praxis des Remixens. Sie verweist aber andererseits auch auf die Wirkmächtigkeit der Veröffentlichung von Musikstücken als imaginative Praxis, da das Spiel mit Charakteristika des Ruhrgebiets hier anhand von Bildern vollzogen wurde, die durch ältere Musikstücke über die Region hervorgebracht worden waren und die populären Vorstellungen des Ruhrgebiets nachhaltig prägten. So intonierte die auf gemeinsames Grölen ausgerichtete Hook den berühmten Schlagersong Wolfgang Petrys und verband ihn mit bereits bekannten Motiven von Männlichkeit und harter Arbeit, die eine erfolgreiche Zukunft für die Region und ihre Bewohner*innen garantieren würde, wenn sie nur als verschworene Gemeinschaft zusammenhalte:

427 Petry, Wolfgang: Ruhrgebiet, Sehnsucht nach Dir, BMG 1993. Das Lied erschien ursprünglich auf dem Album „Sehnsucht nach Dir“ aus dem Jahr 1993 und wurde 1997, im Jahr der für die Region besonders erfolgreichen Fußballsaison, nochmals veröffentlicht. In dem Lied singt Petry unter anderem: „Ihr habt mich gefangen und das gnadenlos, aus Euren Krallen komm’ ich nicht mehr los, ich atme tief durch und denke ‚egal‘, Euer Herz ist aus Gold, Eure Seele aus Stahl, Ihr seid das Ruhrgebiet, die Droge, die mich süchtig macht, das hätt’ ich nie gedacht, komm’ von Euch nicht mehr los, ihr seid das Ruhrgebiet, die Droge, die mich aufrecht hält, wo nur die Freundschaft zählt, Ihr seid das Ruhrgebiet und das Ruhrgebiet bin ich!“

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Man kann nicht sagen, wir leben in nem Traum doch wir leben für den Traum, von einer ganzen Region, die fest zusammenhält, die für die Zukunft kämpft auch wenn der ganze Rest zusammenfällt und Herzblut pufft aus dem Hochofen empor, schwarzes Gold in unser’n Adern, auf Kohlen geboren, könnt ihr uns Perspektiven nehmen aber nicht unser’n Stolz, nicht unsere Seelen aus Stahl, nicht unsere Herzen aus Gold und glaub mir, Kumpel, hier entstehen nur prächtige Männer und ich bin blutstolz, ein Teil dieser großen Gemeinschaft, das ist ein Hoch auf die Heimat! [. . . ] und auch ohne viel Geld – wir haben Stolz, scheiß auf Nationalität, das hier ist mein Volk, steht auf für die Liebe die ich hab, Ruhrpott – meine Heimat von der Wiege bis ins Grab, unsere Väter waren zwar noch niemals in New York, doch sie brachten ihren Stolz mit hoch aus’m Förderkorb und sie lehrten uns von klein auf was kämpfen heißt. 428

Die völkisch anmutende Beschwörung eines die Nation ersetzenden, auf die Region gerichteten Heimatstolzes, der seine Legitimität vor allem aus einem als für alle gültig imaginierten Bergbauerbe zu ziehen suchte, verweist auf den exkludierenden Charakter dieser Identitätsproduktion. Der Versuch, die imaginierte Gemeinschaft vom Underdog zur Kampftruppe umzudeuten, wurde von der überregionalen Presse in erster Linie als „kräftig[e] Pütt-Folklore“ 429 und Reminiszenz an „Fun-Punk der Achtziger“ wahrgenommen, die eher „eine bierselige Grundanständigkeit“ als authentischen Straßenrap vermittle. Im Zuge des beginnenden Kulturhauptstadtjahrs wurden die im Deutschrap imaginierten Bilder des Ruhrgebiets zum Teil der neuen Selbsterzählung der Region. So produzierte etwa der Wittener Rapper Flipstar, der vormals gemeinsam mit Lakmann One unter dem Namen Creutzfeld & Jakob eine der profiliertesten Deutschrapformationen des Ruhrgebiets bildete, pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr eine neue Version seines Klassikers „Kein schöner Land“. Die Hook des ursprünglich auf dem Hip-Hop-Ruhrgebietssampler „Schwarzes Gold“ aus dem Jahr 2005 veröffentlichten Lieds reihte zentrale Städte und Stadtteile der Region aneinander und griff in den Strophen bekannte Motive wie fehlende Schönheit, harte Arbeit, Bescheidenheit und Ehrlichkeit auf, die als Grundlage für eine vielversprechende Zukunft der Region angeführt wurden: In Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Witten, Wattenscheid, Wuppertal, Duisburg, Essen, Castrop-Rauxel, Wetter, Wengern, Herne, bin ich immer wieder gerne. In Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Witten, Wattenscheid, Wuppertal, Duisburg, Essen, Castrop-Rauxel, Wetter, Wengern, Herne, wozu soll ich in die Ferne? Herzlich Willkommen im Revier, wo das Leben noch 428 Snaga & Pillath: Ruhrgebiet, II, Ruhrpott-Illegal 2009. 429 Teevs, Christian: Brave Prolls aus dem Pott. Rapper Snaga und Pillath, in: Der Spiegel, 21. Januar 2010; ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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pulsiert [. . . ] Ich bleib am Boden, denn das schwarze Gold ist tief vergraben, hart arbeiten seit Dekaden ist der Plan, den wir hier haben, das war schon früher so und heute hat der Scheiß Bestand, deshalb ist vielleicht der Pott das allerschönste Heimatland. Es ist so schön Dich zu sehen, auf Deinen Königsalleen, rauf und runter zu gehen, das kann nur keiner verstehen, denn Du bist grau und der Alltag hat Dich hart gemacht, Du bist verbittert, hast zu oft darüber nachgedacht, fass Dir ein Herz, denn Dein Herz und auch Dein Grubengold, das sorgt dafür, dass im Ruhrpott bald der Rubel rollt! Das hier ist Deine Welt, das hier ist Deine Bank und bis der Vorhang fällt, gibt es kein schöner Land! 430

Die Neuauflage des Songs war Teil der offiziellen Eröffnungsfeier des Kulturhauptstadtjahrs 2010 auf Zollverein und hatte somit den Auftrag, nicht mehr nur eine künstlerische Auswahl, sondern alle Städte des Ruhrgebiets in das Lied zu integrieren – ein Auftrag, der nicht unbedingt mit Rücksicht auf das bestehende Reimschema umgesetzt wurde. Dem Song wurde ein feierliches Orgelintro vorangestellt und der Text auch über die Integration aller Städtenamen hinaus in einigen anderen Passagen verändert. Markennamen oder besonders genrespezifische Begriffe wurden ausgetauscht und durch mit folkloristischer ‚Ruhrpottromantik‘ untermalten Zukunftsoptimismus ersetzt: Hier ist das Ruhrgebiet mit VfL, BVB und S04. Mein Herz schlägt hier, ich inhalier den schwarzen Ruß, seh den Staub und spür ein Stück Heimat in der Luft liegen. Bochum oder Dortmund, die Welt ist noch in Ordnung, dreh die Musik auf und fahr in deinem Opel oder Ford um den Block, ich hab heut auf nichts anderes Bock, fahr die Karre durch den Pott, hol die Kumpels an der Ecke ab, alles is wie immer und komm es wie es komme, ich ess Currywurst mit Pommes auf dem Parkplatz mit den Jungens und trink auf unsere Zukunft, fort unsere Sorgen, Träume auf dem Borsigplatz im Dortmunder Norden, morgen ist ein neuer Tag, mach Dir keine Sorgen [. . . ] Gestern noch im Keller heute alles anders irgendwie. 431

430 Vgl. Flipstar: Kein schöner Land, Schwarzes Gold, Selfmade Records 2005. 431 Flipstar feat. Lakmann One: Kein schöner Land (Ruhr 2010). In der ursprünglichen Version des Lieds lautete die entsprechende Passage: „Hier ist das Ruhrgebiet mit VfL, BVB und S04. Das beste Bier wird hier gebraut, Kronen Ex, besser als Jever oder Becks oder dein Heineken auf Ex. Denn in Bochum oder Dortmund ist die Welt noch in Ordnung, dreh die Musik auf und fahr in deinem Opel oder Ford um den Block und tanz ’n bisschen Gogo, wenn ich rock, tag mein Logo auf dein Block, ich bin jetzt solo, oh mein Gott, aber alles is wie immer und komm es wie es komme, ich ess Currywurst mit Pommes auf dem Parkplatz vor McDonalds und trink Jim Beam Coke, am liebsten on the rocks, hör meine Beats aus der Box am Rathausplatz in Wittendorf oder in Bochum Zentrum, häng ich mit meiner Band rum, hier wo das Herz noch zählt und auch das kleine Geld [. . . ].“

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An die Popularität des Originals konnte diese als „Kein Schöner Land Ruhr.2010“ veröffentlichte Version nicht anknüpfen. 432 Mit der Performance des Lieds im Rahmen der im Schneegestöber versinkenden Eröffnungsfeier des Kulturhauptstadtjahrs im Januar 2010 verweist sie aber auf die enge Verwobenheit mit der Praxisform des Inszenierens. Bevor diese im Folgenden näher in den Blick genommen wird, fasst ein kurzes Resümee zunächst die Untersuchungsergebnisse zur Praxisform des Imaginierens zusammen. Zwischenfazit

Am Beispiel der Schimanski-Tatorte ist deutlich geworden, dass bei imaginativen Praxen nicht die Frage nach der Realitätstreue des von ihnen erzeugten Ruhrgebietsbilds entscheidend ist, sondern vielmehr die Frage danach, welche Raumvorstellungen sie hervorbringen. Nicht nur hat Schimanski als Figur nachhaltig das populäre Bild der Ruhrgebietsbewohner*innen geprägt, sondern die Darstellung des Raums hat auch das Image der Region als verbautem, von Industriebauwerken geprägtem und ästhetisch unansehnlichem Raum perpetuiert. Die Darstellung des Ruhrgebiets als Krisengebiet wurde zur erzählerischen Bedingung Schimanskis, der ein durchaus nostalgisches Männlichkeitsbild und einen sozialen Kampf mit klarer Einteilung der Welt in Gut und Böse verkörperte. Auch das Beispiel des Films „Die Abfahrer“ hat verdeutlicht, dass die ökonomische und soziale Krise des Ruhrgebiets zur Bedingung der filmischen Konstruktion eines ‚besonderen Menschenschlags‘ wurde, der sich durch eine besondere Resilienz gegen den Stillstand seiner Region auszeichnete. Am Beispiel „Rote Erde“ wurde nachgezeichnet, wie die filmische Repräsentation der Industriegeschichte den Verlust von industrieller Arbeit als Identitätsverlust zeichnete und zur Gleichsetzung von Ruhrgebietsbewohner*innen und Bergleuten beitrug. Die teuerste Fernsehproduktion ihrer Zeit ist außerdem als Teil einer auf Traditionsbildung und Machterhalt ausgerichteten sozialdemokratischen Geschichtspolitik sichtbar geworden. Auch die Analyse der Kunstfiguren Kumpel Anton und Adolf Tegtmeier hat die zunehmende Identifikation von Bewohner*innen des Ruhrgebiets mit Bergleuten nachgezeichnet und außerdem ihre Funktion für die Aufwertung und Popularisierung des Ruhrdeutschen beleuchtet. An der Figur

432 Während Evangelos Polichronidis alias Lakmann One weiter hauptberuflich als Rapper unterwegs ist, arbeitet PD Dr. med. Philipp Dammann alias Flipstar inzwischen als leitender Oberarzt der Klinik für Neurochirugie am Essener Universitätsklinikum und ist nur noch gelegentlich musikalisch aktiv.

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Dr. Antonia Cervinski-Querenburg ist deutlich geworden, wie imaginative Praxen im Laufe der IBA Emscher Park zur Wahrnehmung des Aufstieges zur Bildungsregion und zur Konstruktion einer industriegeschichtlich begründeten Einzigartigkeit funktionalisiert wurden. Die Analyse des Kollektivsingulars ‚Ruhri‘ hat die Imagination eines spezifischen Menschenschlags auch in Abgrenzung zur Konstruktion der Raumvorstellung ‚Metropole Ruhr‘ beleuchtet. Diese ist als Ausdruck einer raumplanerischen Gestaltungszukunft sichtbar geworden, die Vorstellungen einer spezifisch modernen Urbanität und einer wirtschaftlich erfolgreichen Zukunft transportieren sollte. Über den Begriff ‚Ruhrstadt‘ wurden dagegen weniger die Zukunftsvisionen einer einheitlich, wenn auch aus vielen Städten zusammengesetzten Metropole, als vielmehr die Raumvorstellung eines engen Städtenetzwerks konstruiert. Der Begriff ‚Ruhrpott‘ erzeugte dagegen Assoziationen zur Industriegeschichte und zu mit ihr verbundenen Narrativen des integrativen Schmelztiegels sowie harter, ehrlicher, von starken Männern ausgeübter Arbeit. Dies machte ihn auch für die Hip-Hop-Szene der Region attraktiv, wie an den Beispielen zur Praxis der Produktion eines Musikstücks deutlich geworden ist. Die Musiker*innen nutzten die Industriegeschichte als Ressource zur genreüblichen Produktion von Werten wie Härte, Männlichkeit und Authentizität. Auch hier wurde die Imagination des Ruhrgebiets als ästhetisch unansehnlichen und benachteiligten Krisenraums zur Bedingung einer erfolgreichen musikalischen Erzählung, mit der Musiker*innen die Region mitunter als von Migration geprägtes und gerade dadurch identitätsstiftendes Heimatland imaginierten. Die überwiegend nach dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie geborene Generation eignete sich über die musikalische Imagination die Geschichte hart ‚malochender‘ Arbeiter als Identitätsbaustein an, während das seit Ende der 1990er Jahre forcierte Image einer sich wandelnden Kulturregion mitunter durchaus kritisch verarbeitet wurde.

3.4 Inszenieren Nach dem Festakt zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahrs am 9. und 10. Januar 2010 waren sich die Medien regional wie überregional einig, dass es sich um eine erfolgreiche Inszenierung gehandelt hatte. Zu den durchweg positiven Pressereaktionen führte nicht allein die künstlerisch anspruchsvolle Choreografie aus Tanz und Musik bei der Bühnenshow für 1200 geladene Gäste oder die Vielfalt des Programms beim anschließenden Kulturfest für die gesamte Bevölkerung. Es war vielmehr die Durch- und Aufführung des geplanten Programms unter widrigsten Wetterumständen, welche die bundesweite Presse zu Resümees wie „Kerniger Auftakt

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im Schnee“ 433 oder „eisig-schönes Wintermärchen“ 434 kommen ließ. Ein sich bereits Tage zuvor ankündigender Wintersturm hatte bis zuletzt in Frage gestellt, ob die Eröffnung überhaupt wie geplant am zweiten Januarwochenende des beginnenden Kulturhauptstadtjahrs würde stattfinden können, da sie trotz des erwartbar kalten Wetters als Open-Air-Event auf dem Gelände der Zeche Zollverein gefeiert werden sollte. Auch wenn die Veranstalter*innen niedrige Temperaturen in ihre seit Monaten laufenden Planungen einbezogen hatten, stellte der prognostizierte Schneesturm doch das Worst-Case-Szenario dar, dessen Realisierung zuvor als „ebenso unwahrscheinlich wie selten“ 435 beurteilt worden war. Dass die Eröffnung mit etwas zeitlicher Verzögerung, aber mit allen geplanten Programmpunkten und Ehrengästen durchgeführt wurde, werteten die Medien zwar als mutige Entscheidung und erfolgreiche logistische Leistung, vor allem aber als Ausdruck einer spezifischen Ruhrgebietsmentalität: Wir lassen uns nicht unterkriegen: Es passte einfach zur Industriegeschichte des Ortes, zum Angriff des Menschen auf die Elemente der Natur, dass jene Kulturschaffenden, die jetzt den Anfang machten für Tausende von Veranstaltungen in 53 Städten, der Kälte und dem Schnee vulkanische Energien entgegenzusetzen hatten. 436

Die gesamte Inszenierung des Festakts – bestehend aus verschiedensten künstlerischen Performances, der Eröffnung des Ruhr Museums, wissenschaftlichen Diskussionen, Kabarettaufführungen und Konzerten auf dem Gelände des Weltkulturerbes, das als Kulisse die Botschaft von historischer Größe und kulturellem Aufbruch vermitteln sollte, – erlangte ihre Bedeutung erst im Moment der Realisierung, indem nicht nur 1200 geladene Gäste, sondern auch 100.000 Besucher*innen des Kulturfests trotz Schnee und Kälte an ihr teilnahmen. Die unerwartete Wetterlage veranschaulicht mit ihrem Einfluss auf Verlauf und Wahrnehmung des Festaktes beispielhaft, dass sich Praxisformen des Inszenierens dadurch auszeichnen, dass sich die Bedeutung des Dargestellten erst im Vollzug der Inszenierung durch die Interaktion von Dar-

433 N. N.: Kulturhauptstadt Ruhrgebiet feiert „schlicht und stur“, in: Der Spiegel, 9. Januar 2010. 434 Mischke, Joachim: Kulturhauptstadt-Jahr: Ruhr.2010 eröffnet in Essen als eisigschönes Wintermärchen. Im Westen ganz viel Neues, in: Hamburger Abendblatt, 11. Januar 2010. 435 Hänig, Marc Oliver / Kindel, Ralph / Schernus, Vera: Ruhr erleben. Großveranstaltungen der Kulturhauptstadt, in: Frohne, Julia, et al. (Hg.), Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 117–121, S. 117. 436 Schloemann, Johan: In den Dunkelkammern der Geschichte, in: Süddeutsche Zeitung, 11. Januar 2010.

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stellenden und Rezipierenden ergibt. Die Inszenierung umfasst „alle Strategien [. . . ], die vorab Zeitpunkt, Dauer, Art und Weise des Erscheinens von Menschen, Dingen und Lauten im Raum festlegen“ 437. Der Vollzug der Inszenierung umfasst dann als Aufführung „alles, was in ihrem Verlauf in Erscheinung tritt – also das Gesamt der Wechselwirkungen von Handlung und Verhalten zwischen allen Beteiligten“ 438. Dies lässt sich beispielsweise an der Praxis der Aufführung einer Performance zeigen, die hier an Beispielen aus der Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt untersucht wird. Dass auch das Aufführen einer Protestaktion als inszenierende Praxis zu verstehen ist, wird an den Beispielen der Proteste für die Fortsetzung der Kohlesubventionen im Jahr 1997 und gegen die Stilllegung des Duisburger Stahlwerks Rheinhausen 1987 gezeigt. Auch die für das Feld der Geschichtskultur besonders zentrale Praxis des Ausstellens lässt sich unter der Praxisform des Inszenierens subsumieren, wie ich im Folgenden anhand verschiedener Beispiele zeigen werde. Von Untersuchungsbeispielen, die Proteste zum Thema machen oder selbst Mittel des Protests sind, über eine Ausstellung über Jugendkulturen als Sinnbild von Zukunftsprojektionen, bis zu Ausstellungen des Ruhrland- und späteren Ruhr Museums als wichtigstem Museum der Region, analysiert das Kapitel Ausstellungen als Inszenierungen von Objekten, die nur im Zusammenspiel mit dem Ausstellungsraum und der Aneignung durch die Besucher*innen bedeutungsvoll werden. An der Praxis der Ausrichtung eines Festakts lässt sich besonders gut zeigen, dass inszenierende Praxen in ihrem Vollzug nie vollkommen steuer- und kontrollierbar sind, auch wenn sie auf darauf abzielen, Aufführungen zu planen. 439 Dies zeigt sich beispielsweise an der Eröffnungsfeier zum Kulturhauptstadtjahr, die ich nun eingehender untersuche. Ausrichtung eines Festakts und Aufführung einer Performance

Die Programmpunkte des Festakts standen lange im Voraus fest. So sollte bei der Bühnenshow für geladene Gäste nicht nur eine Choreografie mit internationalen Tänzer*innen, Trommler*innen und Musiker*innen der Bochumer Symphoniker sowie einem Kinder- und einem Erwachsenenchor zur Aufführung kommen. Auch eine eigens beauftragte offizielle Ruhrgebietshymne von Herbert Grönemeyer erlebte ihre Uraufführung. Ein Vierteljahrhundert nachdem ‚Bochum‘ zur „inoffiziellen Hymne des

437 Fischer-Lichte (2012), S. 55 f. 438 Ebd., S. 55. 439 Vgl. ebd.

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Reviers“ 440 aufgestiegen war, hatte der schon lange in London lebende Musiker den Auftrag erhalten, ein neues, auf die ganze Region bezogenes Lied zu komponieren und bei der feierlichen Eröffnung uraufzuführen. Auch die Neuauflage von „Kein schöner Land“ des Wittener Rappers Flipstar sollte nun als gemeinsame Performance mit seinem Partner Lakmann One von Creutzfeld & Jakob erstmals auf die Bühne kommen. 441 Das anschließende Kulturfest teilte sich in ein Programm aus wissenschaftlichen Diskussionen zu „Zukunftsfragen“ 442, demografischen Wandel und regionaler Kulturszene, Aufführungen der freien Kunstszene, interaktiven Singaktionen, Partys, Feuerwerk und Chorkonzerten am Samstagabend und ein eher auf Familien ausgerichtetes Programm mit Bergmannschor, Kinderspielaktionen, Comedy- und Kabarettshows, Jugendtheater und der Eröffnung des neuen Ruhr Museums am Sonntag. Die Entscheidung, den zweitägigen Festakt trotz des winterlichen Zeitpunkts im Freien auf der Zeche Zollverein auszurichten, sollte aus Sicht der Planer*innen der Ruhr.2010 GmbH „der Unkonventionalität und Besonderheit dieser Kulturhauptstadt am besten entsprechen und außerdem der Weltöffentlichkeit einmalige Bilder bieten“ 443. Das Welterbe Zollverein diente also als Bühnenbild für eine Inszenierung, die das Ruhrgebiet als kulturell vielfältige und einzigartige Metropole im Wandel präsentierte. 444 Der Festakt hatte mithin die dreifache Funktion, das Kulturhauptstadtjahr offiziell zu eröffnen, eine Vorschau auf die über 2500 Veranstaltungen zu geben und den Imagewandel vom altindustriellen Ruhrgebiet zur kreativen Metropole Ruhr performativ zu belegen. Entscheidend für die erfolgreiche Realisierung dieser drei Funktionen war die Teilnahme des Publikums, das erst durch seine Wahrnehmung die Bedeutung der Aufführung entstehen lassen würde. Bei den geladenen Gästen war insbesondere die Teilnahme der Vertreter*innen der staatlichen Organe vom städtischen Bürgermeister, über den Ministerpräsidenten, zum Bundespräsidenten und schließlich zum Präsidenten der europäischen Kommission von Bedeutung. Die Teilnahme dieser Politiker belegte einerseits die Bedeutung des Ereignisses bis hin zur Ebene der

440 Hänig / Kindel / Schernus (2010), S. 120. 441 Siehe Kapitel 3.3. 442 Ruhr 2010 GmbH: Programm. Samstag 9. Januar 2010, 2010, URL: http://archiv. ruhr2010.de/programm/feste-feiern/eroeffnung-kulturfest/samstag-9-januar-2010. html [letzter Zugriff: 17. Feb. 2020]. 443 Hänig / Kindel / Schernus (2010), S. 117. 444 Zur Kulturhauptstadt als Metropoleninszenierung vgl. auch Prossek, Achim: Bilder (k)einer Metropole. Zur Inszenierung des Ruhrgebiets als Kulturhauptstadt Europas, in: Bohn, Ralf / Wilharm, Heiner (Hg.), Inszenierung der Stadt. Urbanität als Ereignis, Bielefeld 2014, S. 35–50.

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Europäischen Union, die dem Ruhrgebiet den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt verliehen hatte. Durch die Festreden wurden die offiziellen Repräsentanten andererseits zum Teil der Inszenierung, da die von den Politikern gesprochenen Grußworte den zur Aufführung gebrachten Wandlungsprozess gleichsam ratifizieren sollten. So fanden die Worte Horst Köhlers als Bundespräsident die besondere Aufmerksamkeit von Presse und Veranstalter*innen, da er mit einem begeisterten „Es könnte gar nicht besser sein“ 445 nicht nur die dem Wetter abgetrotzte Inszenierung lobte, sondern auch das Narrativ des besonderen historischen Zusammenhalts der Ruhrgebietsbewohner*innen und des postulierten Wandels durch Kultur aufgriff. 446 José Manuel Barrosos Rede als EU-Kommissionspräsident stellte das Ruhrgebiet in eine Reihe mit Athen als erster Europäischer Kulturhauptstadt 25 Jahre zuvor und reihte die Industriekultur des Ruhrgebiets somit in ein Narrativ der reichen kulturellen Tradition Europas, die „von der Akropolis zur Zeche Zollverein“ 447 geführt habe. Von der vermeintlich geschichtslosen Industrieregion erhob Barroso das Ruhrgebiet damit zum Zielpunkt einer linearen europäischen Erzählung. Ebenso bedeutsam wie die offiziellen Grußworte war die Teilnahme der Bevölkerung, die den Festakt zu einem „Kulturfest für alle“ 448 machen sollte. Die Besucher*innenzahl von über 100.000 Menschen wurde als Zeichen der Akzeptanz des Programms gewertet, zumal befürchtet worden war, dass die schwierige Wetterlage viele vom ehemaligen Zechen- und Kokereigelände fernhalten würde. Die schwierige Wetterlage, die schon Tage zuvor die überregionalen Medien beschäftigt hatte, wurde von den Veranstalter*innen als Möglichkeit begriffen, das Ruhrgebiet als pragmatisch, resilient sowie anpassungsund mithin wandlungsfähig zu präsentieren, was dem Kampagnenslogan „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ entsprach. Entscheidend für das Gelingen dieses Vorhabens war die Bedeutungsproduktion im Moment der Aufführung, die durch kurzfristige Anpassungsleistungen realisiert werden musste. So musste die Bühne der offiziellen Eröffnungsshow zwischen jedem einzelnen Programmpunkt vom Schnee gereinigt und mit Streusalz bearbeitet werden, damit Tänzer*innen und Musiker*innen ihre Auftritte absolvieren konnten. Das „Schrubben und Salzen“ 449 fügte sich 445 Zitiert nach Burger, Reiner: Wintermärchen mit Schrubben und Salzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2010. 446 Vgl. ebd.: „Zusammengeschweißt wurden sie durch gemeinsame Erfahrung – mit harter Arbeit, mit einem oft schmerzhaften wirtschaftlichen Wandel. Und durch die Erfahrung, wie sehr Kultur hilft, Würde zu bewahren und Wandel zu bewältigen.“ 447 Schloemann (2010). 448 Hänig / Kindel / Schernus (2010), S. 117. 449 Burger (2010).

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mit seinen rhythmischen Bewegungen in die Choreografie und wurde als Teil der Inszenierung mit Sinn aufgeladen. 450 Den Gästen wurden „Survivalpacks“ 451 mit Fleecedecken, Handwärmern, Sitzkissen und verschiedenfarbigen Regenponchos ausgehändigt, die so auf den Plätzen verteilt wurden, dass sie angezogen das Logo der Ruhr.2010-Kampagne ergaben. Die Zuschauer*innen waren also nicht nur als Rezipierende Teil der Inszenierung, sondern stellten nun aus der Vogelperspektive das Logo der Kulturhauptstadt dar, was sie selbst zu Darstellenden machte. Dieser Inszenierung wurde über die Bilderzeugung hinaus Sinn zugeschrieben, der sich in bekannte historische Narrative eingegliederte und sie aktualisierte: „So stärkt das Wetter wie einst die Maloche das Zusammengehörigkeitsgefühl.“ 452 Nicht Arbeit war die historische Referenz des in der Inszenierung erlebten Gemeinschaftsgefühls, sondern „Maloche“, also ein Arbeitsbegriff, der in seiner regionalen Spezifik untrennbar mit Vorstellungen von schwerer Industriearbeit verbunden ist. Die Kulisse der im Schnee versinkenden Zeche Zollverein – als Schauplatz der Eröffnung endgültig zum Symbol des Wandels einer ganzen Region erklärt – und die Aufführung einer Percussionband, die durch „Fässer, Stahlrohre und Eisenreste, auch Feuer und Flammen [. . . ] den alten Ruhrpott schräg und scheppernd zum Klingen“ 453 brachten, ließen die Aufführung als „Wintermärchen“ 454 erscheinen, das die märchenhafte Geschichte der Verwandlung des ehemaligen Industriegebiets in eine moderne Kulturmetropole erzählte. Die Berichterstattung mit über 1000 Presseartikeln und mehr als 850 Rundfunkbeiträgen sollte die im Moment der Aufführung produzierte Bedeutung verstetigen und die Botschaft von der sich erfolgreich wandelnden Kulturhauptstadt auch über die Inszenierung hinaus nach außen tragen. Negativ fiel hier vor allem die Auftragsproduktion von Herbert 450 Vgl. z. B.: Rossmann, Andreas: Dort, wo man nicht dem Schein erliegt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2010a: „Dass die fulminanten Tänzer witterungsbedingt keine ganz großen Sprünge wagen können, sollte nicht metaphorisch verstanden werden; dass ihre immer noch hochfliegenden Einlagen von Besenschiebern und Salzstreuern vorgesichert werden müssen, aber setzt eine RuhrgebietsDevise ins Bild: Erst kommt die Arbeit, dann die Kultur.“ 451 Hänig / Kindel / Schernus (2010), S. 121. 452 Rossmann (2010a). 453 Ebd. 454 Vgl. z. B.: Knapp, Uta: Ein Wintermärchen im „Kohlenpott“. Startschuss für das Kulturhauptstadtjahr fällt unter freiem Himmel in Essen – Neues Museum wird eröffnet, in: Nürnberger Nachrichten, 9. Januar 2010; N. N.: „Das ist ja ein Wintermärchen“. Am Samstag kamen rund 100.000 Besucher zum Auftaktfest auf der verschneiten Essener Zeche Zollverein. Bundespräsident Köhler traf wegen des Schneefalls verspätet ein, in: Fränkischer Tag, 11. Januar 2010; Mischke (2010); Burger (2010); N. N.: Statt Kohle werden jetzt Ideen gefördert. Umjubelter Auftakt: Die Region Essen ist Kulturhauptstadt 2010, in: Nürnberger Zeitung, 11. Januar 2010.

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Grönemeyers Hymne „Komm zur Ruhr“ auf, die im breiten Medienecho als zu pathetisch, lyrisch unausgereift und weniger Ohrwurm-tauglich als der Vorgänger ‚Bochum‘ beurteilt wurde. 455 Mit dem Versuch, dem ungeplant zur Ruhrgebietshymne avancierten 1980er-Jahre-Hit nun eine offizielle Auftragshymne folgen zu lassen, stand Grönemeyers Performance sinnbildlich für den weniger gelungenen Teil der Inszenierung. Voller „Pott-Pathos“ 456 wirkte das Lied auf viele Journalist*innen wie eine Überdehnung von Ruhrgebietsklischees, die anbiedernd nach Sympathie heischte. 457 Mit Zeilen wie „wo man nicht dem Schein erliegt, weil man nur auf Sein was gibt, [. . . ] Von klarer off ’ner Natur, urverlässlich, sonnig stur, [. . . ] Jeder kommt für jeden auf, in Stahl gebaut [. . . ] so weit so pur: Komm zur Ruhr“ 458 griff das Lied zwar bekannte Narrative eines besonderen Menschenschlags auf, die aber durch mangelnde Zukunftsorientierung eher Zweifel am Gelingen des angestrebten Imagewandels nährten. 459 Die Inszenierung des Festakts als Vorschau auf das aus über 300 Projekten und 2500 Veranstaltungen bestehende Programm warf die Frage auf, ob die Vielzahl der Projekte und Events einen nachhaltig positiven Effekt auf die Zukunft des Ruhrgebiets haben würde. Zumal mehr als die Hälfte der Kommunen aufgrund der Schuldenlast nur im Rahmen von Nothaushalten agieren konnte. Die Kritik richtete sich daher neben einer Überfrachtung des Programms vor allem auf die dahintersteckenden Zukunftsentwürfe, die auf die Hoffnungsvision einer Kreativwirtschaft und damit auf die „Erfindung einer glänzenden Zukunft“ 460 setzte, wie KWI-Direktor Claus Leggewie anlässlich der Eröffnung kritisierte. Zwar fanden im Verlauf des Kulturhauptstadtjahrs einzelne Veranstaltungen wie etwa die Inszenierungen „Schachtzeichen“, 461 bei denen rund

455 Vgl. z. B.: Schloemann (2010); Rossmann (2010a). 456 Mischke (2010). 457 Vgl. z. B.: Rossmann (2010a): „So setzt das Lied, lyrisch hochtrabend, auch die ZDF-Gala vom Freitagabend aus dem Musiktheater im Revier fort, die sich so einfältig wie vielstimmig in dem Evergreen erging, dass es die liebenswerten, bodenständigen, solidarischen und ganz wunderbaren Menschen sind, die das Ruhrgebiet einzigartig machen – ein seit mindestens vierzig Jahren gepflegter Gemeinplatz, den ständig wiederaufzuwärmen eher als Trostpflaster denn als Treibriemen für die Metropolenwerdung dient.“ 458 Komm zur Ruhr, EMI 2010. 459 So urteilte etwa die FAZ, die kritische Auseinandersetzung mit dem Topos des ‚besonderen Menschenschlags‘ – das dann auch noch von längst nicht mehr im Ruhrgebiet lebenden Prominenten wie Grönemeyer vorgetragen werde – sei ein „Desiderat im Programm der Kulturhauptstadt“, Rossmann (2010a). 460 Leggewie, Claus: Kulturhauptstadt wozu? Ruhrgebiet 2010, in: Die Zeit, 7. Januar 2010. 461 Vgl. Bandelow, Volker / Moos, Michael (Hg.): SchachtZeichen. Geschichte, Menschen, Ballone, Essen 2011.

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400 gelbe Gasballons die Standorte ehemaliger Zechen- und Schachtanlagen markierten oder das „Stillleben“, 462 das die A40 auf einer Länge von 60 Kilometern zu einer begehbaren Festtafel und einem Fahrradweg machte, ein durchaus positives Echo. Insgesamt blieb aber die Kritik bestehen, das mehr als 5500 Veranstaltungen umfassende Programm sei zu undurchschaubar und ohne roten Faden gewesen. Sowohl die polyzentrische Struktur der Region als auch die inhaltliche Breite der Veranstaltungen, zwischen denen bewusst kein hierarchisches Gefälle eingezogen werden sollte, habe das Kulturhauptstadtjahr zu einem an „Projektitis“ 463 leidenden „Pott-Pourri“ 464 gemacht, das vor allem den „Metropolenwahn“ 465 des Ruhrgebiets veranschaulicht habe, wie etwa FAZ und Zeit urteilten. Besonders das fatale Unglück der Loveparade, bei der am 24. Juli 2010 in Duisburg 21 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden, hatte einen „tiefdunkle[n] Schatten“ 466 auf das Bild der Kulturhauptstadt geworfen, von dem sie sich nur schwer erholen konnte. Der tragische Ausgang des ehemals in Berlin abgehaltenen TechnoEvents zeigt auf, wie dramatisch die geplante Sinnproduktion einer Veranstaltung und ihr tatsächlicher Vollzug auseinanderklaffen können. Die Durchführung der Loveparade in der dritten Ruhrgebietsstadt nach Essen und Dortmund sollte ein Highlight des Kulturhauptstadtprogramms werden. Die drohende Absage nach Schwierigkeiten im teuren Planungsund Genehmigungsprozess wurde von den Ruhr.2010-Verantwortlichen als Bedrohung des Gesamtprojekts gesehen, die insbesondere nach der „tollen Eröffnung“ 467 abzuwenden sei. Gerade im Kulturhauptstadtjahr sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, das Ruhrgebiet könne ein derartiges Großevent nicht ausrichten, da die Region sich als „richtige Metropole“ 468 in eine Reihe mit Städten wie Berlin und New York gestellt sehen wollte. Das wohl auf fatale Planungs- und Genehmigungspannen im Vorhinein und Kommunikations- und Einschätzungsfehler am Tag selbst

462 Vgl. Ruhr 2010 GmbH (Hg.): Ein Tag wie noch nie! Still-Leben Ruhrschnellweg 40, Essen 2010. 463 Siemes, Christof: Klarer Fall von Projektitis. Halbzeit in der Kulturhauptstadt Europas, dem Ruhrgebiet: Ein Versuch, durch 5000 Termine eine Schneise zu schlagen, in: Die Zeit, 17. Juni 2010. 464 Rossmann, Andreas: Pott-Pourri als Kulturhauptstadt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Dezember 2010c. 465 Siemes, Christof: Metropolenwahn. Das Kulturhauptstadtjahr im Ruhrgebiet ist vorbei. Was bleibt?, in: Die Zeit, 16. Dezember 2010. 466 Pleitgen (2010), S. 8. 467 So der künstlerische Direktor Dieter Gorny am 09. 02. 2010, zitiert nach Rossmann, Andreas: Metropole war Traum, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Juli 2010b. 468 So der künstlerische Direktor Dieter Gorny am 09. 02. 2010, zitiert nach ebd.

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zurückgehende Unglück 469 hinterließ den Eindruck, dass Duisburg sich mit der Ausrichtung des Events übernommen hatte. Um nicht auf das mit enormen Imagegewinn und potenziell hohen Einnahmen durch hunderttausende internationale Besucher*innen verbundene Event verzichten zu müssen, hatte man erhebliche Sicherheitsrisiken in Kauf genommen. Der erhoffte Imagegewinn schlug ins Gegenteil um, sodass die Loveparade zum Zeichen der Unerreichbarkeit einer metropolitanen Zukunft des Ruhrgebiets wurde: „Der Versuch der Europäischen Kulturhauptstadt, das Ruhrgebiet zur Metropole auszurufen und Mega-Events wie die Love Parade zu ihren Leuchttürmen zu erklären, ist Ausdruck alten Denkens. [. . . ] Die Kulturhauptstadt muss andere Wege einschlagen, um dem Ruhrgebiet Perspektiven mit Zukunft zu weisen.“ 470 Tatsächlich war aber die Inszenierung der Zukunftsvision einer ‚Metropole Ruhr‘ bereits der zentrale Inhalt der Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt gewesen. Neben der schriftlichen und filmischen Präsentation waren vor allem die Rundfahrten der Jurys auf Landes- und Bundesebene durch die Region zentraler Bestandteil der Bewerbung, die als Inszenierungen eine Vorschau auf das geben sollten, was die Kulturhautstadt ‚Ruhr 2010‘ ihren Besucher*innen präsentieren würde. Im Sinne eines aus dem Marketing entlehnten Storytelling sollte die Bewerbung eine „durchgehende Geschichte“ 471 erzählen, deren narrativer Kern im von Karl Ernst Osthaus entlehnten Leitmotto der Bewerbung „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ bestand. 472 Den Inszenierungen der jeweils dreistündigen Juryreisen kam innerhalb dieses Storytellings eine herausgehobene Bedeutung zu, boten sie doch die Möglichkeit, die erzählte Wandlungsgeschichte performativ zu beglaubigen. Die Jury der NRW-Vorentscheidung wurde daher am 19. Mai 2004 an zentrale Kulturstätten in Bochum und Essen geführt, wobei vor allem die umgenutzten Industriestandorte der Essener Zeche Zollverein und der Bochumer Jahrhunderthalle entscheidende Rollen innerhalb der Inszenierung spielten. Mit der einst für die Düsseldorfer Industrie- und Gewerbeausstellung von 1902 entworfenen und später als Gaskraftzentrale des Bochumer Vereins genutzten Jahrhunderthalle war eine wichtige Spielstätte der Ruhrtriennale zur ersten Station der Juryreise auserkoren worden. Eine Performance aller Bürgermeis-

469 Die publizistische und gerichtliche Aufarbeitung der Ereignisse vom 24. Juli 2010 und die damit verbundene Klärung der Schuldfrage können hier nicht thematisiert werden, zumal sie weiterhin andauert. 470 Rossmann (2010b). 471 Scheytt (2010), S. 11. 472 Siehe auch Kapitel 3.1.

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ter*innen, die in feierlicher Kleidung gemeinsam das Steigerlied sangen und so „Einigkeit durch Einheit demonstrierten“ 473, veranschaulichte den Zusammenschluss der 53 Kommunen zu einer Bewerberstadt unter dem Banner der Stadt Essen. Nicht nur aufgrund der viel kritisierten Kirchturmpolitik der Städte, sondern auch weil sich erstmals eine Städteregion um den Titel bewarb, war der Auftritt der Oberbürgermeister*innen als performative Absichtserklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit wichtig. Das gemeinsame Singen eines Lieds, das sich vom arbeitsspezifischen Brauchtum zum musikalisch-folkloristischen Erkennungszeichen der Region entwickelt hatte, 474 in einem Raum, der von einem Ort industrieller Arbeit zur Kulturstätte transformiert worden war, diente also der emotionalisierenden Inszenierung des Bewerbungsmottos. Für die Rundreise der von Adolf Muschg geleiteten nationalen Jury wurde die Inszenierung in der Bochumer Jahrhunderthalle um die Performance einer Schauspielerin erweitert, die „aus der unendlichen Tiefe des Raums [. . . ] eine mythologische Beschreibung des Reviers“ 475 rezitierte, wie der Schweizer Schriftsteller in seiner in der Zeit publizierten Reflexion der Juryentscheidung festhielt. Der vorgetragene Text stammte vom Kunsthistoriker und ehemaligen Direktor des Folkwang Museums Georg Wilhelm Költzsch, der bis zu seinem Tod im Februar 2005 als Moderator der Ruhr.2010-Bewerbung tätig war, und referierte auf die Entführung Europas durch den in einen Stier verwandelten Gott Zeus. Die Referenz auf den griechischen Mythos diente der Narrativierung des Wandels der Region, deren prägende Industriegeschichte selbst zum Mythos werde, der das moderne Europa verführen und eine neue Zukunft für die Region produzieren wolle: 476 Darin liegt der Sinn aller Metamorphosen, dass das Vergangene in Erinnerung bewahrt bleibt, um die Gegenwart klüger zu gestalten und die Zukunft furchtlos zu erobern. Und das ist das Einzigartige, wie gerade die Kultur das Verlorene auffängt und daraus selbst Erneuerung erfährt. 477

473 Dirksen, Jens: „50 Männer in Schwarz“, in: Kölnische Rundschau, 20. Mai 2004. Vgl. auch Fischer / Grizzo (2010), S. 26. 474 Vgl. Schurian, Christoph: „Da denk ich dein“. Erinnerungsort Steigerlied, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 660–675. 475 Muschg (2005). 476 Vgl. Költzsch, Georg-Wilhelm: Die Kunst der Verwandlung, in: Stadt Essen (Hg.), Lernwelt Essen Magazin, Essen 2006, S. 4–5; in leicht abgewandelter Form ebenfalls in Stadt Essen / Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Entdecken. Erleben. Bewegen. Essen für das Ruhrgebiet. Kulturhauptstadt Europas 2010. Bewerbungsschrift, Essen 2004, S. 10. 477 Költzsch (2006), S. 5.

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Entsprechend der zweifachen Aussage des Bewerbungsmottos „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ war die Zukunftsproduktion hier eine doppelte, indem sie durch die kulturelle Funktionalisierung der industriellen Vergangenheit eine Eroberung der Zukunft und gleichzeitig eine Weiterentwicklung der Kultur selbst ermöglichen sollte. Das Auffangen des „Verlorenen“ fungierte nicht als konservierende Kompensation, sondern als Basis einer gestaltbaren Erneuerung. Die Präsentation Zollvereins für die von der Kultusministerkonferenz eingesetzte nationale Jury bestand neben einer Führung über das Gelände aus Klang- und Videoperformances. Der Musiker und Klangkünstler Richard Ortmann hatte aus seiner Sammlung historischer Ruhrgebietsgeräusche eine Collage zusammengestellt, 478 die in einer Lautstärke von immerhin 95 Dezibel einen Eindruck der Geräuschkulisse der Vergangenheit inszenierte. Eine Videoprojektion zum für die Kulturhauptstadtbewerbung zentralen Projekt „Die zweite Stadt“ sollte dagegen einen Einblick in die Zukunft des Ortes geben, welche die Vergangenheit der Zeche für Besucher*innen unter Tage erfahrbar machen würde. Das Projekt hatte zum Ziel, die unterirdische Ausdehnung von Bergwerksstollen als Bedingung der oberirdischen Entwicklung der Siedlungsstruktur als „zweite Stadt“ sichtbar zu machen. Geplant war eine „Erlebnisfahrt“ 479 in 1000 Metern Tiefe auf die Ebene der 14. Sohle mit einem „spannend inszenierten, 320 m langen Rundweg mit Motionride [. . . ] in fahrbaren Simulatoren, so genannten Shuttles, die wie futuristische Varianten ehemaliger Grubenbahnen anmuten“. Die Fahrt war nicht als Reenactment der vergangenen Arbeit unter Tage gedacht, sondern sollte Videoprojektionen von Zukunftsvisionen zeigen und deutlich machen, „dass auch zukünftig nur das Zusammenspiel von Industrie, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur den Lebensraum Ruhrgebiet entscheidend weiterentwickeln wird“ 480. Als Gegenstück zur historischen Selbstvergewisserung im in der ehemaligen Kohlenwäsche entstehenden Ruhr Museum hätte die Grubenfahrt also nicht in erster Linie als historisches Erlebnis, sondern als Zukunftsent478 Zur Sammlung Ortmanns siehe Kapitel 3.5. 479 Stadt Essen / Kommunalverband Ruhrgebiet (2004), S. 60. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 480 Ebd. Auch wenn die futuristische Erlebnisfahrt aufgrund von Planungs- und Finanzierungsproblemen tatsächlich nie realisiert wurde, war das Projekt sowohl in der Bewerbung als auch in der Begründung der Juryentscheidung ein wichtiges Beispiel für die Vielfalt des Programms, die neben anderen Faktoren eine zentrale Begründung für die Titelverleihung darstellte, vgl. Fischer / Grizzo (2010), S. 28; Ortmann, Peter: „Hauptsache Kulturhauptstadt“, in: taz 13. Mai 2005. Weitere Faktoren waren beispielsweise das Erneuerungspotenzial für die ehemalige Industrieregion, die dichte Vernetzung von Kulturstandorten und die potenzielle Offenheit für die Integration von Migrationserfahrungen in das Kulturhauptstadtprogramm.

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wurf fungieren sollen, der Industrie und wirtschaftliche Größe nicht nur in der Vergangenheit des Ruhrgebiets verortete, sondern zum integralen Bestandteil seiner Zukunft erklärte. Entscheidend für die Bedeutungsproduktion dieser Zukunftsvision war die Wahrnehmung des Publikums und hier insbesondere der stimmberechtigten Jury, deren Interpretation der Inszenierung sich im Votum für die Kultusministerkonferenz niederschlug. Die Außenseiterrolle, die Essen und das Ruhrgebiet im Vergleich zu traditionsreichen Mitbewerberstädten wie etwa Braunschweig oder Regensburg einnahm, erzeugte eine „viktorianische Sympathie für den undeserving poor“ 481, auf deren Basis die Wandlungserzählung verfangen konnte: Eine ganze Landschaft enthüllte sich in drei Stunden als Bühne eines umfassenden Trauerspiels, dessen Besetzung – unscheinbar oder spektakulär – den Untergang verweigerte. Wo immer wir hinkamen, waren Häuser, Siedlungen, Industriedenkmäler mit dem Umlernen im größten Stil beschäftigt, und die neue Sprache war nicht nur diejenige einer spezialisierten ‚Kultur‘: Sie schlug Brücken über den ebenso monumentalen wie unvermeidlichen Bruch mit der industriellen Vergangenheit. Was die Zeit schon abgeschrieben hatte, war ihr, als urbanistische Avantgarde, plötzlich wieder voraus. Das ehemalige Revier atmete nicht mehr Staub, sondern Zukunft. 482

Im Zusammenspiel mit den künstlerischen Performances wurde die Landschaft des auf der Juryrundfahrt durchreisten Ruhrgebiets zum Teil der Inszenierung, die Adolf Muschg stellvertretend für die Jury als Aufführung einer Widerstandserzählung gegen den „Untergang“ der Industrieregion las. Während die Gegenwart keinen Platz mehr für die Industrieregion zu haben schien, „die Zeit [sie] schon abgeschrieben hatte“, hob der für die Juryrundfahrt inszenierte Wandlungsprozess sie in die Zukunft, was für Muschg einer Verweigerung des aus der Zeit-Fallens gleichkam. Ließ die Inszenierung den Transformationsprozess von Industrie- zu Kulturstandorten hier also als widerständigen Akt erscheinen, sind auch tatsächlich widerständige Akte des Arbeitskampfs gegen die Stilllegung der ursprünglichen Industriestandorte als inszenierende Praxisformen zu lesen. Ausführen einer Protestaktion

So lebte etwa der Widerstand gegen die Pläne zur Senkung der Kohlesubventionen und schnelleren Abwicklung des Ruhrbergbaus durch die schwarz-gelbe Bundesregierung Anfang des Jahres 1997 von bildstarken

481 Muschg (2005). 482 Ebd.

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Protestaktionen. Anfang März hatten die Bergleute der von Stilllegung bedrohten Zechenbetriebe nicht nur die Arbeit niedergelegt und ihre Betriebe besetzt, sondern trugen ihren Protest auch auf die Straßen, in die Fußballstadien und vor das Bonner Kanzleramt. Der Protest endete mit dem „Kohlekompromiss“, der einen verlangsamten Abbau der Kohlesubventionen bis ins Jahr 2005 vorsah. Ein Höhepunkt im „letzten großen Aufbäumen der Region gegen das Ende des Ruhrbergbaus“ 483, das mit der medial stark präsenten Erfolgssaison der regionalen Fußballvereine zusammenfiel, war das ‚Band der Solidarität‘, eine 90 km lange Menschenkette aus über 220.000 Personen, 484 die sich am 14. Februar 1997 mit den gut 80.000 verbliebenen Bergleuten des Ruhrbergbaus solidarisierten. Die von der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) organisierte Protestaktion erklärte den Kampf um die Zukunft des Bergbaus zu einem Kampf um die Zukunft des Ruhrgebietes. In das „Band der Solidarität“ reihten sich neben Gewerkschaftsmitgliedern auch Schulklassen, Landes- und Kommunalpolitiker*innen, der Bischof des Ruhrbistums, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der gesamte RAG-Vorstand, die Profifußballer der Ruhrgebietsvereine und zahlreiche Einwohner*innen der durch die Menschenkette verbundenen Städte zwischen dem niederrheinischen Neukirchen-Vluyn und dem westfälischen Lünen ein. Die Kette durchzog damit das Ruhrgebiet vom westlichen bis zum östlichen Rand. Die Reihung der einzelnen Körper zu einem durchgehenden Band stellte als Aneignung des öffentlichen Raums die Geschlossenheit der Region im Kampf um die Arbeitsplätze im Steinkohlenbergbau performativ zur Schau. Schwarz-rotes Absperrband markierte die aneinandergereihten Menschen als Kette und alle 400 Meter wurden Leuchtraketen abgefeuert, um die Geschlossenheit der Kette über ihre gesamte Länge hinweg zu kommunizieren. 485

483 Grütter, Heinrich Theodor: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Erinnerungsort Fußball, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 597–613, S. 608. 484 Die Zahlen schwanken in Literatur und zeitgenössischer Berichterstattung zwischen 100.000 und über 220.000, wobei letztere die meistgenannte Teilnehmer*innenzahl ist, vgl. N. N.: 220.000 Teilnehmer bei Menschenkette für Steinkohle. „Band der Solidarität“ durchs Revier Aktion für Erhaltung des Bergbaus, in: Der Tagesspiegel, 15. Februar 1997; N. N.: Clement wirbt für Steinkohle, in: Handelsblatt, 17. Februar 1997; Otte, Romanus: 220.000 bildeten Band der Solidarität durchs Ruhrgebiet. Menschenkette für Erhalt der Arbeitsplätze im Steinkohlenbergbau, in: Sächsische Zeitung, 15. Februar 1997; Reimann, Erich / Otte, Romanus: Die Bewohner des Ruhr-Reviers schienen geschlossen für den Bergbau zu kämpfen, in: Nürnberger Nachrichten, 17. Februar 1997; Steinkühler, Karl-Heinz: Sichere Milliarden, in: Focus, 17. Februar 1997; Schurian (2018). 485 Vgl. Jacobs, Walter: Schwarzes Gold, schwarze Zukunft, in: taz, 15. Februar 1997.

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Das Gelingen der Protestaktion war aber nicht nur von der Beteiligung der Arbeiter*innen, der Bevölkerung sowie Prominenten und Politiker*innen der Region abhängig, sondern auch von ihrer überregionalen Wahrnehmung. Das breite Presseecho auf die Menschenkette interpretierte sie vor allem als Kampf für das Ruhrgebiet, als Kampf „gegen die endgültige Abwicklung des Reviers“ 486, obwohl die Kohlesubventionen auch die Abbaugebiete im Saarland vor dem Aus bewahren sollten. Die Kette wurde als Machtdemonstration der IGBE gedeutet, die sich für den finalen Kampf um die Steinkohle rüstete, wie die Zeit festhielt: Auf dramatische Inszenierungen hat sich die IG Bergbau und Energie schon immer verstanden. Wenn die Kohle in Not war, dann wehten die schwarzen Fahnen, wurden Mahnwachen abgehalten und ganze Heere von Bergleuten zu Demonstrationszügen aufgeboten. Aber an diesem Freitag übertrifft sich die Bergarbeitergewerkschaft selbst [. . . ]. Viele Organisationen sind mit den Bergleuten solidarisch, ganze Schulklassen gliedern sich in die Kette ein und bilden ein lebendes Band quer durch das Ruhrgebiet. Was die IG Bergbau inszeniert, sieht aus wie die letzte Schlacht. 487

Die Zeit stellte die Inszenierung der Menschenkette als „lebendes Band“ in eine Reihe historischer Protestaktionen und erklärte sie zum inszenatorischen Höhepunkt des gewerkschaftlichen Arbeitskampfs, in dem es nicht allein um die Höhe der Kohlesubventionen gehe, sondern um die Existenzberechtigung des Steinkohlenbergbaus an sich. Trotz der hohen Beteiligung an der Aktion und der breiten Medienresonanz auf die weiteren Protestaktionen der folgenden Wochen galt der Kampf der Gewerkschaft den meisten Zeitungen aber als hoffnungslos, als „Revolte derer [. . . ], die keine Aussicht mehr haben“ 488. So betitelte beispielsweise die taz ihren Bericht über die Menschenkette „Schwarzes Gold, schwarze Zukunft“ 489 und führte als Beweis gerade die Umwandlung Zollvereins in ein Designzentrum an: „Gewiß ein Wahrzeichen des Wandels, aber auch ein Symbol dafür, daß das Neue oft nicht mit jenen besetzt werden kann, die heute noch im Alten beschäftigt sind.“ Die Proteste waren somit zwar machtvoller Ausdruck gewerkschaftlichen Mobilisierungspotenzials für den Arbeitskampf, die Arbeit im Steinkohlenbergbau schien ihre Zukunftsperspektive aber endgültig eingebüßt zu haben. So galt der Mitte März geschlossene Kohlekompromiss zwar als Erfolg der protestierenden Bergleute, 490 der

486 487 488 489 490

Hoffmann, Gunter: Die Chaos-Tage am Rhein, in: Die Zeit, 14. März 1997. Kemmer, Heinz-Günter: Am Ende zu teuer, in: Die Zeit, 14. Februar 1997. Hoffmann (1997). Jacobs (1997). Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. Vgl. N. N.: Kumpel an Ruhr und Saar feiern Kompromiss im Kohlestreit als Sieg, in: Der Tagesspiegel, 14. März 1997.

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das Ende des Steinkohlenbergbaus aber nur zu verlangsamen, nicht aufzuhalten vermochte. Die Menschenkette erhielt in Verbindung mit den in den Fußballstadien immer wieder neu erschallenden „Ruhrpott, Ruhrpott“-Gesängen jedoch eine zweite Bedeutungsebene, indem sie nicht nur als Ausdruck der Solidarität mit protestierenden Bergleuten, sondern als performativer Beleg für ein „neues Gemeinschaftsgefühl“ 491 der Region gelesen wurde. Die Gleichzeitigkeit des Arbeitskampfs, der medial präsenten Fußballfans und der immer bildstärkeren Vermarktung des durch die IBA Emscher Park vorangetriebenen Transformationsprozesses 492 erzeugten einen neuen Resonanzraum für die Inszenierung der Menschenkette. Sie erschien mehr und mehr als Protest für die Region selbst als nur für die Fortsetzung der Kohlesubventionen und intensivierte die Identifikation zwischen Ruhrgebiet und Bergbau trotz der fehlenden Zukunftsperspektive der Branche. Der Protest für den Erhalt der traditionsreichen Kohleindustrie fügte sich beispielsweise für den Spiegel in die Beobachtung einer „Suche nach verbindenden Elementen“ 493, die sich vor allem in der Geschichte des Ruhrgebiets finden ließen, der sich die Bewohner*innen nostalgisch zuwendeten: Plötzlich entdeckt der Mensch im Revier, daß der Nachbar eben auch Malocher geblieben ist zumindest im Geiste. Gemeinsamkeiten, die verbinden, werden neu interpretiert: die proletarische Herkunft, die Schwierigkeiten, den Wandel einer Bergbauregion zum Kultur- und Freizeitzentrum nachzuvollziehen, die Hoffnungslosigkeit angesichts der Umstrukturierungen, die Angst, irgendwann auf der Strecke zu bleiben. [. . . ] Früher, da war zwar die Luft schlechter, aber ‚alles irgendwie besser.‘ Den Schalkern gehe es ähnlich. ‚Die sind eben auch Malocher.‘ Je weniger Fördertürme, so scheint es, desto größer wird die Sehnsucht nach den Relikten der Vergangenheit. Nostalgie ist die Antwort auf den Fortschritt, den die Politik dem Revier verordnet hat. 494

Auch wenn die Unterschutzstellung alter Industriebauten, ihr Umbau zu Kulturstandorten und ihre Funktionalisierung als Träger einer kollektiven Erinnerung als Identitätsgrundlage gerade in der zweiten Hälfte der IBA Emscher Park maßgeblich von der Bauausstellung und damit auch von „der Politik“ vorangetrieben wurde, erscheint die Hinwendung zur Vergangenheit hier als nostalgische Verweigerung ehemaliger Bergleute, denen die Zukunftsperspektive abhandengekommen sei.

491 492 493 494

Der Spiegel: (1997). Siehe Kapitel 2.2. N. N. (1997). Ebd.

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Die Interpretation der Proteste war aber nicht nur von den aktuellen Entwicklungen in Sachen Bauausstellung und Ruhrgebietsfußball geprägt, sondern auch von einem wirkmächtigen historischen Vorbild – den Protesten um den Erhalt des Krupp-Stahlwerks in Duisburg Rheinhausen, die zehn Jahre zuvor über Monate hinweg die bundesweiten Medien beschäftigt hatten. 495 Im November 1987 hatte die Meldung über die schon im folgenden Jahr bevorstehende Stilllegung des Werks einen Arbeitskampf der Duisburger Stahlarbeiter ausgelöst, dessen bildstarke Inszenierungen sich tief ins mediale Gedächtnis der Bundesrepublik eingegraben hatten. Parolen wie „Rheinhausen muß leben“ und „Unser Revier muß leben“ 496 verknüpften den Protest gegen den Abbau von Arbeitsplätzen in der Stahlbranche von Anfang an mit der Frage nach der Zukunftsperspektive des Ruhrgebiets. Die Wahrnehmung des Arbeitskampfs war dabei durch eine starke Personalisierung geprägt, in der Gerhard Cromme als Vertreter des Krupp-Vorstands mit seinen Plänen für die Werksschließung zum Gegenspieler der von Betriebsführer Helmut Laakmann und Betriebsrat Theo Steegmann angeführten Arbeiterschaft wurde. So wurde etwa eine Rede Laakmanns während einer Betriebsversammlung am 30. November 1987 nicht nur vielfach zitiert. Vielmehr spielten die Protestierenden eine Aufnahme der Rede in den folgenden Monaten bei zahlreichen Protestaktionen immer wieder ab, sodass ihr mobilisierendes Potenzial stets neu zur Aufführung gebracht wurde. Die Rede appellierte vor allem an das Bewusstsein der Belegschaft, sich in einen historischen Arbeitskampf zu begeben, mit dem die Stahlarbeiter die Chance hätten, Geschichte zu schreiben und den Vorstand „in die Knie“ 497 zu zwingen, wie Laakmann der ihm unterstellten Belegschaft zurief. 498 Die Bilder der Krupp-Arbeiter, die in den folgenden Tagen Vorstandssitzungen in der Bochumer Hauptverwaltung und dem ehemaligen Familiensitz der Krupps in der Essener Villa Hügel stürmten, gingen durch die Republik. Mit der bereits beschlossenen Stilllegung der Hattinger Henrichshütte Anfang des Jahres im Hinterkopf entwickelte sich der Widerstand in

495 Vgl. Lauschke, Karl: Widerstand der Schwachen gegen die Mächtigen. Erinnerungsort Duisburg-Rheinhausen, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 864–877. 496 Abbildung in Bierwirth, Waltraud / Vollmer, Manfred: AufRuhr. Rheinhausen 1987/1997. Erscheint aus Anlaß der Ausstellung „Rheinhausen muß leben! Der Arbeitskampf um Krupp-Stahl-Rheinhausen in den Fotos von Manfred Vollmer“, 28. November 1997 bis 15. Februar 1998, Essen 1997, S. 39, 65. 497 Zitiert nach Seeger, Wolfram: Die „Helden“ von Rheinhausen. Vom Klassenkämpfer zum Unternehmer, in: WDR, 1. Mai 2003. 498 Vgl. Lauschke (2019), S. 866; Interviews mit Laakmann und Steegmann in Seeger (2003).

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Rheinhausen schnell zu einem werksübergreifenden Kampf gegen die Umstrukturierung der Stahlbranche, sodass am 10. Dezember 1987 gut 90.000 Stahlarbeiter streikten und mit der Unterstützung von 100.000 Bergleuten an vielen Stellen Nordrhein-Westfalens den Straßenverkehr blockierten. 499 Rheinhausen wurde zum Symbol für den Kampf der Stahlarbeiter gegen die Umstrukturierung ihrer Branche, an dem sich auch Kollegen aus anderen Werken und eine eigens gegründete Fraueninitiative beteiligten. Performativer Beleg dieser das Ruhrgebiet durchziehenden Solidarität wurde die im Januar 1988 zum zweiten Mal von den Protestierenden besetzte Duisburger Rheinbrücke. Die Streikenden benannten die Brücke in „Brücke der Solidarität“ um, indem Arbeiter des Dortmunder KruppKonkurrenten Hoesch den Arbeitern von Rheinhausen symbolisch ein Namensschild für die umgetaufte Brücke überreichten. Die Stadt Duisburg übernahm den Namen noch im selben Jahr auch offiziell. 500 Vom Eindringen der Arbeiter in die Vorstandssitzungen in der Bochumer Hauptverwaltung und der Essener Villa Hügel, über Arbeitsniederlegungen, Brückenbesetzungen in Duisburg und Düsseldorf, einem vom WDR live übertragenen Solidaritätskonzert unter dem Motto ‚AufRuhr‘ und einer 70 km langen Menschenkette zwischen Duisburg und Dortmund, bis zu einer Mahnwache vor dem Düsseldorfer Landtag – die Formen des monatelangen Protests waren vielfältig und produzierten über ein breites Medienecho das Bild einer das Ruhrgebiet durchziehenden Solidarität mit den um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Stahlwerkern. Ihr Ergebnis war jedoch aus Sicht der Protestierenden anders als das Pendant in der Kohleindustrie zehn Jahre später weitaus weniger befriedigend. Im Mai 1988 segnete der Krupp-Vorstand schließlich gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter einen Kompromiss ab, der den monatelangen Protest beendete. 501 Nach dem fünfmonatigen Arbeitskampf waren die Resignation und Enttäuschung groß. 502 Der Kompromiss sah zwar verbesserte Maßnahmen zur Sozialverträglichkeit des Stellenabbaus und eine Verzögerung der Werksschließung vor. Die Stilllegung wurde aber nur auf 1990 hinausgeschoben, mit der Option auf eine Verlängerung der Produktionszeit bei einer positiven Konjunktur in der Stahlbranche. Nachdem

499 Vgl. Lauschke (2019), S. 866. 500 Vgl. Gelhar, Martina: Rheinbrücke Rheinhausen-Hochfeld. „Brücke der Solidarität“, in: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital, URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-60295-20130204-2 [letzter Zugriff: 31. Mai 2022]. 501 Vgl. Bierwirth / Vollmer (1997), S. 16. 502 Vgl. z. B.: Bewerunge, Lothar: Auf dem Weg zur Schicht kein Grund zu Freude und Zuversicht. Der Kompromiß in Rheinhausen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Mai 1988.

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tatsächlich ein konjunktureller Aufschwung eintrat, verlängerte sich die Betriebszeit und die endgültige Stilllegung des Stahlwerks erfolgte erst am 15. August 1993. 503 Gemessen am monatelangen Kampf der Arbeiter um den Erhalt ihres Werks bedeutete dies allerdings eine Niederlage im Kampf gegen den unaufhaltsamen Strukturwandel. Neben dem Verlust der Arbeitsplätze kam der Niederlage auch eine symbolische Bedeutung zu, wie Karl Lauschke pointiert festhält: Stahl war zum Symbol des Niedergangs geworden und die Stilllegung des Hüttenwerks in Rheinhausen war nicht mehr Ausdruck einer rücksichtslosen Konzernstrategie, der die Arbeiter zum Opfer gefallen waren, sondern Zeichen des Strukturwandels, dem sich keine Region entziehen konnte, wollte sie nicht den Anschluss an den wirtschaftliche [sic] Fortschritt verlieren. 504

Der Protest wirkte rückblickend weniger wie eine klassenkämpferische Auflehnung Davids gegen Goliath, sondern vielmehr wie ein Kampf gegen Windmühlen, da die Stilllegung des Werks trotz des kurzzeitigen Stahlbooms unaufhaltsam gewesen zu sein schien. Vom Klassenkampf der Arbeiter, die zum Klang der Internationalen durch die Straßen des Ruhrgebiets gezogen waren, blieb letztlich vor allem das Narrativ einer besonderen regionalen Solidarität, die durch den harten, aber eben unausweichlichen Strukturwandel gestärkt worden war. 505 Zum zehnjährigen Jubiläum der Proteste im Jahr 1997 erinnerte eine Fotoausstellung mit dem Titel „Rheinhausen muß leben!“ 506 an die Proteste. Auch die Ausstellung selbst ist als inszenierende Praxisform zu verstehen, da das Ensemble aus Ausstellungsobjekten, Texten und Raum seine Bedeutung erst durch die Wahrnehmung der Besucher*innen erhält, die sich als Erwartung wiederum in den Entstehungsprozess der Ausstellung einschreibt.

503 Vgl. Lauschke (2019), S. 871–873. 504 Ebd., S. 873. 505 Verstärkt wurde diese Entwicklung durch popkulturelle Verarbeitungen des Geschehens wie in der Tatort-Folge „Der Pott“ aus dem Jahr 1989, in der Götz George alias Schimanski einen Mordfall im Rahmen eines Stahlarbeiterstreiks aufklären musste. Die von Regisseur Hajo Gies als „explizit politischer Film“ angelegte Tatort-Folge machte mehr als deutliche Anleihen an die Proteste in Rheinhausen und George sammelte bei der Vorpremiere Spenden für die Arbeiter und ihre Familien, vgl. Wenzel (2000b), S. 171; ders. (2000a), S. 193–196. 506 Vgl. Bierwirth / Vollmer (1997).

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Ausstellen

Ausstellungen machen Museen somit als „Orte der Repräsentation und Performanz, [. . . ] der Inszenierung von Identität und Alterität“ 507 analysierbar. 508 Die von November 1997 bis Februar 1998 im Kultur- und Stadthistorischen Museum Duisburg gezeigte Ausstellung verband die Geschichte des 160-tägigen Arbeitskampfs mit der Gegenwart Rheinhausens zehn Jahre später. Fotos zeigten die schon historisch gewordenen Protestaktionen und Texte porträtierten die Einwohner*innen des Stadtteils in ihrer Gegenwart, sodass die Ausstellung als inszenierende Praxisform eine Chronoferenz, ein „Band zwischen dem Heute und einem spezifischen Gestern“ 509 herstellte. In der Annahme, dass es „Proteste wie in Rheinhausen [. . . ] wohl nicht mehr geben“ 510 werde, zielte die Ausstellung mit ihrem Rückblick auf den vergangenen Widerstand und den Porträts „neuer[r] Formen der Gegenwehr, die aus den täglichen Ungerechtigkeiten erwachsen“, nicht nur darauf, die Geschichte Rheinhausens zu erzählen, sondern auch darauf, „Menschen neuen Mut zu machen“. Die Ausstellung referierte also nicht nur auf die abwesende Zeit der vergangenen Proteste, sondern mit der ihr unterliegenden Vorstellung, dass es solche Proteste zukünftig nicht mehr geben werde und Menschen zu anderen Widerstandsformen ermuntert werden müssten, auch auf die abwesende Zeit der Zukunft. Als Chronoferenz, welche die vergangene und zukünftige Wirklichkeit Rheinhausens verknüpfte, 511 sollte die Ausstellung also nicht nur den historischen Protest dokumentieren, sondern durch die Aneignung der Widerstandsgeschichte auch neue Protestformen stützen. Ausstellen kann als inszenierende Praxisform aber auch selbst Mittel des Protests sein, wie ein Blick auf Eisenheim zeigt. Im gemeinsamen Kampf der Einwohner*innen und der Bielefelder Projektgruppe um den Erhalt der Oberhausener Arbeitersiedlung waren neben der denkmalpflegerischen und sozialwissenschaftlichen Dokumenta507 Baur, Joachim: Museumsanalyse. Zur Einführung, in: Baur, Joachim (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 7–14, S. 7. 508 Museen sind insgesamt aber nur als Zusammenspiel ihrer vier Aufgabenfelder – dem Sammeln, Forschen, Ausstellen und Vermitteln – zu begreifen. Es gilt daher, einzelne Ausstellungen immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Sammlung des Hauses, dem Erkenntnisinteresse von Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit sowie den spezifischen Vermittlungsangeboten zu betrachten. 509 Esposito (2017b), S. 12. Der Begriff geht zurück auf Landwehr (2016), S. 149–165. 510 Bierwirth / Vollmer (1997), S. 7. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 511 Zu Chronoferenzen als „Relationen [. . . ] zu Wirklichkeiten, die nicht mehr oder noch nicht existieren – also zu vergangenen und zukünftigen Welten“, Landwehr (2016), S. 150.

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tion der Siedlungsstruktur und einer intensiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch Ausstellungen ein wichtiges Protestmittel. 512 Nach der Unterschutzstellung und dem Beginn der denkmalgerechten Sanierung der Siedlung begann der Quartierrat 1979 außerdem mit der Einrichtung eines Museums in einem der ehemaligen Waschhäuser. Das ‚VolksMuseum Eisenheim‘ stellte mit Möbeln, Bildern und Alltagsgegenständen zum einen das Alltagsleben der historischen Arbeitersiedlung aus. 513 Zum anderen dokumentierte es aber auch den erfolgreichen Kampf der Arbeiterinitiative um die Siedlung. Schon der Kampf um den Erhalt zu Beginn der 1970er Jahre hatte von Seiten der Bielefelder Projektgruppe um Roland Günter eine explizit politische Ausrichtung, welche die Bewahrung von und die Auseinandersetzung mit Arbeitergeschichte als zentralen Bestandteil einer kämpferischen Klassenerziehung und dem Streben nach einer Umverteilung von Macht verstand. Als „‚Museum‘ des Arbeitersiedlungsbaus“ 514 sei Eisenheim ein „außerordentliches Dokument der deutschen Sozialgeschichte“, das es aus der klassenfeindlichen Unterdrückung zu befreien gelte: Man hat bisher [. . . ] die Geschichte und die historischen Dokumente der Arbeiter aus politisch-ideologischen Gründen verheimlicht, verdrängt und zerstört. Eine Klasse mit gestörtem historischen Bewußtsein ist in ihrer politischen Handlungsfähigkeit behindert. Mit der Untersuchung der Geschichte und Gegenwart Eisenheims und der Verhinderung des Abrisses wollen wir einen Beitrag zur Geschichte der Arbeiterschaft leisten.

Mit der Dokumentation des Kampfs um den Siedlungserhalt im ‚VolksMuseum‘ Eisenheim wurde die politische Funktion des Siedlungserhalts zum Inhalt der Ende der 1970er Jahre installierten Ausstellung, die sich nicht nur durch ihre thematische Ausrichtung auf den Alltag in einer Arbeitersiedlung in die museologische Entwicklung ihrer Zeit fügte. 515

512 Siehe zur Arbeit der Bielefelder Projektgruppe auch Kapitel 3.2. 513 Vgl. Krebbing, Silke / Landschaftsverband Rheinland: Museum Eisenheim des LVR-Industriemuseums, 2012, in: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital, URL https:// www.kuladig.de/Objektansicht/O-45105-20120330-3 [letzter Zugriff: 31. Mai 2022]; Morsch, Günter: Eisenheim. Die älteste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet, Köln 1990, S. 26 f. 514 Vgl. Fachhochschule Bielefeld (1973), S. 120. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 515 Neben der zunehmenden Ausrichtung auf Arbeiter- und Alltagsgeschichte waren die breit debattierte Museumskrise und der sie ablösende Museumsboom außerdem geprägt durch Diskussionen um Funktion und Reform von kulturhistorischen Museen, die sich entlang der diskursiven Fronten „Lernort contra Musentempel“ entwickelten, vgl. Spickernagel, Ellen (Hg.): Das Museum. Lernort contra Musentempel, Gießen 1976.

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In den 1970er Jahren waren historische Ausstellungen und Museen durch ihre Öffnung für breite Besucher*innenmassen und ihre zunehmend populäre Ausrichtung, die „nicht primär ästhetisch erbauen, sondern politisch bilden“ 516 wollte, in der Bundesrepublik zu „wirkmächtige[n] Institutionen der historisch-politischen Bildung“ 517 geworden. Ausgehend von der Annahme, dass „der rasche technische und ökonomische Strukturwandel [. . . ] tiefgreifende Einwirkungen auf die soziale und städtebauliche Struktur und einen Verlust an Umwelt- und Wohnqualität“ 518 zur Konsequenz habe, hatte ein Konzeptpapier des Deutschen Städtetags von 1973 „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“ definiert. Dies umfasste ausdrücklich nicht mehr nur Bildungseinrichtungen wie (Volkshoch-)Schulen, sondern „alle Bildungs- und Kultureinrichtungen“. Die Ausweitung der Bildungsfunktion auf jedwede Form städtischer Kultureinrichtung sollte die Abkehr einer auf ästhetische Kontemplation ausgerichteten Versorgung bürgerlicher Eliten bedeuten. Sie sollte „Kultur für alle als kommunale Gemeinschaftsaufgabe“ 519 definieren und damit „die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt“ 520 ermöglichen. In der Folge gründeten sich vielerorts kleine Stadtteilmuseen und große Häuser eröffneten vermehrt Zweigstellen abseits ihrer zentralen Standorte. Als Teil einer breit angelegten, sozialdemokratischen Kulturpolitik, die der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann wirkmächtig unter dem Leitspruch „Kultur für alle“ 521 zusammengefasst hatte, 522 sollte

516 Thiemeyer, Thomas: Geschichte im Museum. Theorie – Praxis – Berufsfelder, Tübingen 2018, S. 84. 517 Ebd., S. 87. 518 Arbeitskreis Bildung und Kultur: Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung. Vorbericht, in: Deutscher Städtetag (Hg.), Wege zur menschlichen Stadt. Vorträge, Aussprachen und Ergebniss der 17. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages vom 2. bis 4. Mai 1973 in Dortmund, Köln 1973, S. 97–113, S. 97. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. 519 Ebd., S. 98 (H. i. O.). 520 Ebd., S. 97 f. 521 Hoffmann (1979). 522 Der in Bremen geborene Hoffmann hatte seinen Schulabschluss 1943 in Oberhausen gemacht, wo er nach einem Regiestudium an der Folkwang Hochschule für Musik und Theater zunächst Direktor der Volkshochschule und später Kulturdezernent wurde. Seine kulturpolitische Arbeit im Oberhausen der 1950er und 1960er Jahre war besonders durch die Gründung der Westdeutschen Kulturfilmtage (seit 1991 Internationale Kurzfilmtage Oberhausen) und die Auseinandersetzung mit dem deutschen Film geprägt. Nach seinem Wechsel nach Frankfurt am Main 1970 gewannen die Demokratisierung städtischer Kultur und die Funktion von Museen innerhalb einer „Kultur für alle“ an Bedeutung für Hoffmanns Arbeit. Seine Thesen zur Kulturpolitik wurden ebenso wie die des Nürnberger Kulturdezernenten Hermann Glaser bundesweit einflussreich und schlugen sich auch in der sozialdemokratisch geprägten Kulturarbeit der Ruhrgebietsstädte in den 1970er Jahren nieder. Vgl. Bigge, Ma-

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Museumsarbeit in den Stadtteilen als Instrument einer möglichst offenen, partizipativen Bildungs- und Kulturarbeit fungieren und als Mittel einer am Wohl der Bewohner*innen ausgerichteten Stadtentwicklung „Orientierung in einer sich verändernden Welt geben“ 523. Ziel der Ansiedlung von dezentralen Stadtteilmuseen war die Ausbildung einer „‚ästhetische[n] Kompetenz‘ als sozio-kulturelle und sozio-strukturelle Befähigung der Kritik und Beurteilung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ 524. Mit der Umnutzung eines ehemaligen Waschhauses als ‚Volks-Museum‘ fügte sich die Eisenheimer Initiative also in mehrfacher Weise in die kulturpolitische Entwicklung der 1970er und 1980er Jahre. Nicht nur die Rettung der Arbeitersiedlung vor Abriss und städtebaulicher Modernisierung zugunsten der denkmalgerechten Sanierung, sondern auch die Einrichtung selbstverwalteter Kultureinrichtungen wie einem Versammlungszentrum und dem Museum entsprachen dem Ideal einer „Demokratisierung des städtischen Kulturangebotes“ 525. In diese zunehmende Dezentralisierung städtischer Kulturangebote fügte sich Ende der 1980er Jahre die Initiative, das Eisenheimer Museum in die Trägerschaft des LVR zu überführen, sodass es 1990 als Zweigstelle des Rheinischen Industriemuseums neu eröffnet werden konnte. Ein Wanderweg machte Eisenheim zur begehbaren Ausstellung, mittels der sich Besucher*innen die Geschichte der Siedlung auch unabhängig vom

thias: Kulturpolitik im Ruhrgebiet, in: Bovermann, Rainer / Goch, Stefan / Priamus, Heinz-Jürgen (Hg.), Das Ruhrgebiet – ein starkes Stück Nordrhein-Westfalen. Politik in der Region 1946–1996, Essen 1996, S. 499–532; Dengel, Susanne: Die Stunde der Kulturpolitiker. Städtische Kulturpolitik und ihre Neuerfindung in den langen 1970er Jahren, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte (2012) 1, S. 128–143; Dengel, Susanne: Demokratisierung städtischer Kulturpolitik in den 1970er Jahren, in: Ditt, Karl / Obergassel, Cordula (Hg.), Vom Bildungsideal zum Standortfaktor. Städtische Kultur und Kulturpolitik in der Bundesrepublik, Paderborn u. a. 2012, S. 163–180. 523 Arbeitskreis Bildung und Kultur (1973), S. 104. 524 Wolzogen, Wolf von: Kultur von unten. Anmerkungen zum Stadtteilmuseum, in: Historisches Museum Frankfurt (Hg.), Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum, Gießen 1982, S. 51–77, S. 73. Das Historische Museum Frankfurt nahm in der Debatte um die Reform kulturhistorischer Museen eine zentrale Rolle ein. Es sah sich der Aufgabe verpflichtet, „in der Unterstützung stadtteilspezifischer Museumsinitiativen der ‚Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung‘ dienlich zu sein“. Dem Frankfurter Museum galt Eisenheim mit seiner „Spurensicherung und ‚Geschichte von unten‘“ als Widerstand gegen die „Privatisierung ganzer Zechenkolonien [. . . ] und Bauvorhaben, die an den Bedürfnissen der Bewohner vorbeiplanen“, als modellhaft, vgl. ders. (1982), S. 57. Zur Bedeutung des Museums in den 1970er Jahren vgl. Dold, Vincent / Thaa, Lotte: Historisches Museum Frankfurt am Main (1972), in: Dold, Vincent / Schulze, Mario / te Heesen, Anke (Hg.), Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015, S. 34–49. 525 Dengel (2012), S. 168.

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Museum erlaufen konnten. 526 Zur zweiten Hälfte der IBA Emscher Park wurde die Dauerausstellung im Eisenheimer Museum nochmals überarbeitet und zum Ende der Bauausstellung eröffnete zusätzlich eine Museumswohnung, die den Alltag der Siedlungsbewohner*innen erfahrbar machen sollte. Die Eingliederung in das vom LVR getragene Industriemuseum garantierte einen dauerhaften Ausstellungsbetrieb, der die Siedlungsgeschichte der Öffentlichkeit museal zugänglich machen und halten würde. Gleichzeitig führte sie auch zu einer Entpolitisierung, indem sie die Geschichte Eisenheims nicht mehr vorrangig als Mittel einer kämpferischen Klassenerziehung inszenierte, sondern in die vom Land getragene geschichtskulturelle Landschaft des Ruhrgebiets einspeiste. Die Dauerausstellung über die Geschichte der ältesten Arbeitersiedlung wurde Teil einer zukunftsorientierten Erzählung der Region. Die polyzentrische Struktur der Region machte sie besonders für Wanderausstellungen interessant, die eine günstige Möglichkeit boten, einmal erstellte Ausstellungen in mehreren Städten des Ruhrgebiets zu zeigen und so möglichst vielen Besucher*innen zugänglich zu machen. So wanderte beispielsweise die vom Institut für Jugendforschung und pädagogische Praxis e. V. 527 beauftrage Ausstellung „Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987“ 528 Ende der 1980er Jahre von Dortmund, über Herten nach Essen und Gladbeck. Schon im Titel der Ausstellung kamen die unterschiedlichen Zukunftshorizonte zum Ausdruck, die der Region in Vergangenheit und Gegenwart zugeschrieben wurden – das Ruhrgebiet auf dem Höhepunkt der Kohle- und Stahlindustrie als „Land der Hoffnung“ und als „Land der Krise“ angesichts des Niedergangs dieser Schlüsselindustrien. Mit Jugendkulturen als Ausstellungsgegenstand verdoppelte sich dieser Zukunftsbezug nochmals. Traditionell und insbesondere vor dem Hintergrund der in den 1980er Jahren in Punk und New Wave prominenten ‚No-future‘-Parole fungierte Jugend als Angelpunkt gesellschaftlicher Diskussionen über eine hoffnungsvolle Zukunft. 529 Die Funktionalisierung von Jugend als Projektionsfläche ei-

526 Morsch (1990). 527 Das Institut wurde 1986 von wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität-Gesamthochschule Essen und der TU Dortmund gegründet, vgl. Breyvogel, Wilfried: „Wissenschaft als Beruf“ oder die Selbstwerdung eines Jugendforschers. Werner Helsper von 1977 bis 1988, in: Gibson, Anja / Hummrich, Merle / Kramer, Rolf-Torsten (Hg.), Rekonstruktive Jugend(kultur)forschung. Flashback, Flashforward, Wiesbaden 2020, S. 41–61. 528 Breyvogel, Wilfried / Krüger, Heinz-Hermann (Hg.): Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin / Bonn 1987. 529 Esposito (2016), S. 407. Siehe dazu auch Kapitel 2.1.2.

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ner offenen Zukunft wies ihr einen überzeitlich gültigen Status als gesellschaftlicher Hoffnungsträgerin zu, 530 der im scheinbaren Widerspruch zur subkulturellen Zukunftsverweigerung der 1980er zu stehen schien. Das erklärte Ziel der Ausstellungsmacher*innen war es, Jugendkulturen als „Ausdruck sich ständig verändernder sozialer Verhältnisse [. . . ] in Relation zu sozialen Klassen und Schichten“ 531 zu zeigen, und so ihre scheinbare Zeitlosigkeit durch eine sozialgeschichtlich ausgerichtete Ausstellung zu historisieren. Das Erkenntnisinteresse des Ausstellungsteams aus Soziolog*innen, Pädagog*innen und Historiker*innen aus dem Umfeld der Universität-Gesamthochschule Essen und der TU Dortmund galt vor allem der regionalen Spezifik des industriellen Ballungsraums, in dem Jugendkultur in erster Linie Arbeiterkultur war und der sich durch eine von Migration geprägte Bevölkerungsstruktur auszeichnete. 532 Mit dem Fokus auf die wirtschaftliche Problemlage, die das Ruhrgebiet für Jugendliche zum „Land der Krise“ gemacht habe, sollte die Ausstellung explizit als Kontrapunkt zur regionalen Imagepolitik des KVR verstanden werden, der mit seiner „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“-Kampagne seit kurzem intensiv auf das Bild der Region einzuwirken suchte. 533 So thematisierte die Ausstellung etwa die intensive Debatte um Jugendarbeitslosigkeit, die seit Anfang der 1980er Jahre als gravierendstes Problem der steigenden Arbeitslosigkeit der BRD diskutiert wurde und das Ruhrgebiet im Zuge der voranschreitenden Deindustrialisierung seit Mitte der 1970er Jahre besonders hart traf. 534 Sie beleuchtete Jugendarbeitslosigkeit vor allem vor dem Hintergrund der Geschichte regionaler Arbeitsmigration, da migrantische Jugendliche meist überdurchschnittlich

530 Vgl. ebd. 531 Krüger, Heinz-Hermann / Breyvogel, Wilfried / Thole, Werner: „Unsere Jugend im Land der Hoffnung“, in: Breyvogel, Wilfried / Krüger, Heinz-Hermann (Hg.), Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin / Bonn 1987, S. 8–11, S. 11. 532 Die spezielle Siedlungsstruktur des städtischen Ballungsraums, der trotz der hohen Bevölkerungsdichte durch fehlende Urbanität gekennzeichnet war, habe zu einer stets etwas verspäteten Aneignung nationaler oder internationaler sub- und jugendkultureller Trends geführt und „gesellschaftliche Krisenerscheinungen hier besonders deutlich sichtbar“ gemacht. ebd. 533 Vgl. ebd. Eine ausführliche Ausstellungsrezension in der Zeit stellte diesen Zusammenhang ebenfalls her. Die Imagepolitik des KVR galt als Ausdruck anhaltender, historisch gewachsener „Minderwertigkeitskomplexe“ und die Arbeitslosenquote von 17 Prozent als Beleg für die Wandlung des Ruhrgebiets zum „Land der Krise“, Röckenhaus, Freddie: Halunkenloge fünfzig Pfennig. Ausstellung in Dortmund, Herten und anderswo: Jugendkulturen im Ruhrgebiet, in: Die Zeit, 12. Februar 1988. 534 Vgl. Raithel, Thomas: Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. Entwicklung und Auseinandersetzung während der 1970er und 1980er Jahre, München 2012, S. 1 f., S. 13.

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stark betroffen waren. 535 Im Gegensatz zum besonders in der Imagepolitik forcierten Narrativ des Schmelztiegels Ruhrgebiet, wo zugewanderte Arbeitskräfte automatisch zu Kumpeln erklärt und somit integriert würden, 536 betonte die Ausstellung die Integrationsdefizite, die besonders die Kinder der seit den 1950er Jahren angeworbenen Arbeitskräfte aus dem Mittelmeerraum betrafen. Aufbauend auf einer historischen Einordnung in die verschiedenen Wellen der Arbeitsmigration seit den 1880er Jahren suchte die Ausstellung, in sozialhistorischer Perspektive die strukturellen Bedingungen des Bildungserfolgs migrantischer Jugendlicher offenzulegen. 537 Dabei machte sie deutlich, wie sehr Bildungserfolg und daraus resultierende Erwerbstätigkeit insbesondere im Ruhrgebiet durch strukturelle Benachteiligung von Migrant*innen vorgezeichnet waren: Der Preis des sozialen Aufstiegs ist der Verzicht auf die Pflege und die Entfaltung der ethnischen Identität. Das Muster, nach dem unsere Gesellschaft den Aufstieg aus unterprivilegierten Schichten zuläßt, wiederholt sich hier: Die Verleugnung der Herkunft als Eintrittskarte. Ob dies aber reichen wird, bleibt auch den ‚erfolgreichen‘ ausländischen Jugendlichen offen, denn seinem Rechtstatus nach bleibt er Ausländer, ist er kein Bürger, hat er nicht Teil an Bürgerrechten. Dieses doppelte Muster der Reproduktion von Benachteiligung durch Rückverweisung in die soziale Unterschicht und in die ethnische Minorität bzw. der Assimilation bei Aufgabe der ethnischen Identität findet sich in den in dieser Hinsicht besonders entwickelten Ruhrgebietsstädten eher noch deutlicher [. . . ]. Damit werden auch hier gerade den ‚erfolgreichen‘ ausländischen Jugendlichen die Rückkehrperspektiven verkürzt, ohne daß die berufliche Zukunft und damit überhaupt die Zukunft im Ruhrgebiet gesichert wäre. Für beide Gruppen ausländischer Jugendlicher, für die, die bei der schulischen Vorbereitung auf ein Erwerbsleben erfolglos bleiben, wie für die, die dabei Erfolg finden, bleibt ihr Leben in der Bundesrepublik in weiten Bereichen ein Leben ohne Hoffnung, zumal der Abbau von Arbeitsplätzen die Konkurrenz um die verbleibenden Plätze verschärft. In dieser Konkurrenz ist die Versuchung für alle, die schon etwas länger zum Ruhrvolk zählen, groß, die Fremdheit der Leute der vierten Welle gegen sie einzusetzen. Bis zum Haß. 538

Trotz der ungewöhnlich kritischen Perspektive auf die strukturelle Benachteiligung migrantischer Jugendlicher klingt in Formulierungen wie die „Fremdheit der Leute der vierten Welle“ das Othering von Mi535 Vgl. ebd., S. 40 f. 536 Siehe hierzu Kapitel 3.1. 537 Vgl. Klemm, Klaus: Die Immigranten der vierten Welle. Ausländische Jugendliche im Revier, in: Breyvogel, Wilfried / Krüger, Heinz-Hermann (Hg.), Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin / Bonn 1987, S. 212–217. 538 Ebd., S. 216 f.

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grant*innen durch ihre Abgrenzung vom „Ruhrvolk“ an – ein Begriff, der auf die völkisch ausgerichtete Arbeit der von Wilhelm Brepohl geleiteten ‚Forschungsstelle für das Volkstum im Ruhrgebiet‘ aus den 1930er Jahren zurückgeht. 539 Trotz dieser bekannten völkischen Ausrichtung blieb die „ideologisch geprägte Denkfigur ‚Ruhrvolk‘ [. . . ] nach 1945 weiter wirksam und speiste Erzählungen über gelungene ‚Integration‘ bis hin zum angeblichen ‚Schmelztiegel‘ Ruhrgebiet“ 540. Auch die Ausstellung zur Geschichte von Jugendkulturen im Ruhrgebiet reproduzierte diese Denkfigur, indem sie die vermeintliche Fremdheit migrantischer Jugendlicher einem etablierten „Ruhrvolk“ gegenüberstellte. Gleichwohl beleuchtete die Ausstellung aber die Integrationsleistung des ‚Schmelztiegels Ruhrgebiet‘ 539 Stefan Goch hat die völkische Prägung der Forschung Brepohls im Zuge seiner Antrittsvorlesung aufgearbeitet, vgl. Goch, Stefan: Wege und Abwege der Sozialwissenschaft. Wilhelm Brepohls industrielle Volkskunde, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 26 (2001), S. 139–176. Brepohl hatte schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge einer aufstrebenden Volkstumsforschung erste heimatkundliche Arbeiten zur Bevölkerung des Ruhrgebiets publiziert. In den 1920er Jahren publizierte er zahlreiche weitere Aufsätze, die sowohl von den Ideen der nationalkonservativen Heimatbewegung als auch der rassistischen Volkstumsforschung geprägt waren. Zum Ende der Weimarer Republik wirkte Brepohl auf die Einrichtung eines Instituts zur Erforschung der Ruhrgebietsbevölkerung hin, die mit der Gründung der ‚Forschungsstelle für das Volkstum im Ruhrgebiet‘ im April 1935 realisiert wurde. Brepohl wurde zum Leiter der schlecht ausgestatteten Forschungsstelle, die zur Untermiete in seiner Wohnung untergebracht wurde. Die Arbeit der Forschungsstelle, die neben Brepohl nur einen weiteren Mitarbeiter hatte, fügte sich eindeutig in die NS-Rassenideologie und fokussierte sich besonders auf die Erforschung der vermeintlichen Minderwertigkeit polnischer Migrant*innen. Trotz Parteimitgliedschaft und seiner klar rassistischen und völkischen Arbeit in der Forschungsstelle wurde Brepohl im Zuge der Entnazifizierung zunächst als Mitläufer und dann als unbelastet eingestuft. Nach Kriegsende wurde die Forschungsstelle in die neugegründete Sozialforschungsstelle in Dortmund integriert, wo Brepohl ab 1947 seine Forschung zur Ruhrgebietsbevölkerung fortsetzte. Die Dortmunder Sozialforschungsstelle wurde der WWU Münster zugeordnet, wo Brepohl seine Forschung im Zuge langjähriger Lehrtätigkeiten unter dem Label der Sozialgeschichte verbreitete. Seine Arbeit blieb trotz vordergründig sozialgeschichtlicher Ausrichtung auch in den späten 1940er und 1950er Jahren völkisch geprägt und bediente sich biologistischer und rassistischer Denkfiguren. Zur Rolle der frühen Sozialwissenschaft innerhalb der NS-Rassenpolitik vgl. Raphael, Lutz: Sozialexperten in Deutschland zwischen konservativem Ordnungsdenken und rassistischer Utopie (1918–1945), in: Hardtwig, Wolfgang / Cassier, Philip (Hg.), Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, Berlin, Boston 2003, S. 327–346. Zur Debatte um die Kontinuitäten zwischen Volks- und Sozialgeschichte Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre vgl. Raphael, Lutz (Hg.): Von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte. Die Anfänge der westdeutschen Sozialgeschichte 1945–1968, Leipzig 2002, als kurzen Überblick siehe ders.: Von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte. Die Anfänge der westdeutschen Sozialgeschichte 1945–1968, in: Comparativ 12 (2002) 1, S. 7–11. 540 Blecking, Diethelm: Die Nummer 10 mit Migrationshintergund. Fußball und Zuwanderung im Ruhrgebiet, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 69 (2019) 1–3, S. 24– 29, S. 26.

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kritisch, indem sie erfolgreiche Integration als Zwang zur Assimilation beschrieb und den durchaus vorhandenen, sich angesichts der wirtschaftlichen Krise verstärkenden Hass gegen Familien von Arbeitsmigrant*innen der 1950er und 1960er Jahre zum Thema machte. Diese kritische Perspektive beschränkte sich nicht auf die explizite Betrachtung der Lebensverhältnisse migrantischer Jugendlicher, sondern zog sich auch durch die allgemeine Thematisierung jugendlicher Subkulturen in der Ausstellung. So dokumentierten die Ausstellungsmacher*innen am Beispiel Dortmunds etwa Graffiti mit faschistischer Symbolik und „Ausländer-raus“-Parolen, die entgegen des Schmelztiegel-Narrativs besonders dort zu finden seien, wo die „Sozialstruktur durch hohen Ausländeranteil, Arbeiterbevölkerung und einen hohen Grad an Industrialisierung geprägt ist“ 541. Auch im Porträt der ‚Halbstarken‘ der 1950er und der Rocker der 1960er und 1970er Jahre wurde die Anziehungskraft der entstehenden Rocker- und BikerSzene für rechtsradikale Jugendliche thematisiert. 542 Durch die Ausstellungsgestaltung überwog aber der Fokus auf die Produktion von Männlichkeit und proletarischer Härte in den Jugendkulturen des Ruhrgebiets, wie eine in der Zeit erschienene Ausstellungsrezension nahelegt. Gerade die Inszenierung der jugendlichen Rocker, für die Frauen vor allem als „Besitzstand“ 543 und „Dienstmädchen“ fungierten, hinterließ Eindruck beim Rezensenten. Im Ausstellungsobjekt der ‚Kreidler Florett‘ – einem Zweitakter mit weniger als 5 PS, die es kaum mit dem Vorbild des Harley Chopper aufnehmen konnte – schien sich der Widerspruch zwischen jugendlichem Streben nach US-amerikanischer Coolness im Stile James Deans und der Enge des Ruhrgebiets, das „sowohl miefige Provinz als auch der größte Ballungsraum Europas“ 544 sei, zu materialisieren. Die Leitfrage der Rezension „Jugendkulturen im Ruhrgebiet, was könnte daran besonders sein?“ schien sich gerade im provinziellen Scheitern an der Nachahmung metropolitaner Jugendkulturen der Weimarer Republik über die USA der 1950er bis 1970er Jahre zu beantworten. Während es im Ruhrgebiet „keine schillernde Bohemia, keine Künstler

541 Vgl. Krispin, Frank: Aufstand der Zeichen im Herzen der Städte, in: Breyvogel, Wilfried / Krüger, Heinz-Hermann (Hg.), Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin / Bonn 1987, S. 272–280. 542 Vgl. Wensierski, Hans-Jürgen von: „Raser“, „King“ und „Messer Alfred“. Von den Halbstarken der 50er zu den Rockern der 60er und 70er Jahre, in: Breyvogel, Wilfried / Krüger, Heinz-Hermann (Hg.), Land der Hoffnung, Land der Krise. Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900–1987. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin / Bonn 1987, S. 172–185, S. 184. 543 Ebd., S. 178, ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 544 Röckenhaus (1988). Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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oder Spinner wie in Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt“ gegeben habe, dominierte hier aus Sicht des Rezensenten die handfeste männliche Arbeiterkultur: „Maloche und Rabotti von fünfzehn, sechzehn an – der Arbeiter tanzt nicht, der Arbeiter schwitzt.“ Die Inszenierung der Spezifik der Jugendkulturen des Ruhrgebiets fokussierte sich für den auswärtigen Betrachter auf Männlichkeit und proletarische Provinzialität, verfestigt in regionalsprachlichen Begriffen wie „Maloche“, „Klamotten“ oder „Schicksen“. 545 Als objektifiziertes Sinnbild fungierte nicht nur die ‚Kreidler Florett‘, sondern auch eine Straßenlaterne, unter deren Licht sich Jugendliche in den Abendstunden trafen, weil sie sich den Besuch von Tanz- oder Vergnügungslokalen nicht leisten konnten. Die Inszenierung des Ausstellungsobjekts im „ehrwürdigen Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte“ transportierte den typischen Treffpunkt wenig begüterter Jugendlicher von den Straßen der Arbeiterviertel in den musealen Raum, vor dessen Türen „sich unterdessen die Fans von Borussia Dortmund für die Bundesligarunde warm“ grölten. Die Bedeutungsproduktion erschöpfte sich für den Rezensenten also nicht im Arrangement der Objekte im Ausstellungsraum, sondern ergab sich aus dem Zusammenspiel der historisierten Jugendkulturen und der gegenwärtigen Ruhrgebietsjugend, die nicht nur räumlich außerhalb der musealen Inszenierung zu stehen schien. Die Historisierung der regionalen Lebenswelt durch die Inszenierung von Alltagsgegenständen wie einer Straßenlaterne als kulturgeschichtliche Ausstellungsobjekte fügte sich in die Entwicklung der Museumslandschaft der 1970er und vor allem der 1980er Jahre. Im Ruhrgebiet war in dieser Hinsicht das Essener Ruhrlandmuseum besonders einflussreich. Das 1904 gegründete Museum zeichnete sich durch einen hybriden naturund kulturgeschichtlichen sowie archäologischen Sammlungs- und Ausstellungsschwerpunkt aus. 546 Mit seiner Neukonzeption Mitte der 1980er

545 Zum Einfluss des Jiddischen auf die Sprache des Ruhrgebiets, der sich in Begriffen wie ‚Schickse‘ oder ‚Maloche‘ niederschlägt und sich auch in weiteren deutschen Umgangssprachen findet, vgl. Claßen (2019), S. 637 f. 546 Die wechselvolle Geschichte des Museums kann hier nicht ausführlich behandelt werden, vgl. dafür Jamin, Mathilde / Kerner, Frank (Hg.): Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum, Essen / Bottrop 2004. Markante Punkte seiner Entwicklung bis zur Eröffnung der neu konzeptionierten Ausstellung 1984 waren die Gründung des Essener Museumsvereins durch bildungsbürgerliche Akteur*innen der Stadt im Jahr 1901; die Eröffnung des Museums drei Jahre später, die frühe Herauslösung der Kunstsammlung, dem der Ankauf der Hagener Osthaus-Sammlung und schließlich die Gründung des Folkwang Museums 1922 folgte; die Umbenennung zu Ruhrland-Museum auf Initiative des nationalsozialistischen Bürgermeisters Theodor Reismann-Grone 1934; die Eröffnung einer stadtgeschichtlichen Ausstellung im „Haus Heimat“ 1937, das nach einem Bombentreffer 1943 ausbrannte und

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Jahre reihte es sich in die Riege derjenigen Museen ein, die wie das von Hermann Glaser initiierte Nürnberger Centrum für Industriekultur „den alltagskulturell gefärbten Blick auf Technik zu ihrem Prinzip“ 547 machten. Bevor Ende des Jahres 1984 die neue Dauerausstellung eröffnet wurde, stellte das Ruhrlandmuseum nach fünf Jahren der Schließung und Überarbeitung Ende 1983 sein neues Konzept mit der Ausstellung „Rote Erde. Bergarbeiterleben 1870–1920. Film, Ausstellung, Wirklichkeit“ 548 vor. Die Ausstellung zur Fernsehserie war die erste Schau im neu erbauten Museumszentrum, in dem das Ruhrlandmuseum und das Museum Folkwang nun gemeinsam untergebracht waren. Mit inszenierten Objektensembles gab sie einen Vorgeschmack auf die künftige Ausstellungshandschrift des Ruhrlandmuseums, wie aus einer in der FAZ erschienenen Rezension hervorgeht: Der Besucher trifft auf ein Zechentor, ein Pförtnerhäuschen aus rotem Stein, eine Waschkaue: hoch oben unter der Decke hängen die Kleider der Grubenarbeiter. Dann findet er einige sorgsam eingerichtete Zimmer, Wohn-, Schlafraum und Küche einer jener Siedlungswohnungen, die für das Ruhrland um die Jahrhundertwende typisch gewesen sind. In anderen Räumen wird mit Loren auf Schienen und Werkzeug an die Arbeit ‚unter Tage‘ erinnert. Uniformen, Arbeiteranzüge und schwarze Stiefel geben einen Begriff vom Alltag und Festtag der Bergleute. 549

Die Objektensembles waren gespickt mit historischen Fotografien und Bildschirmen, auf denen ein Making-of der Fernsehserie lief, sodass nach und nach klar wurde, dass es sich bei einigen Objekten wie beispielsweise dem Zechentor nicht um historische Originale, sondern um Fernsehrequisiten handelte. Die Ausstellung war damit nicht nur eine Visitenkarte für die veränderte Museumskonzeption, sondern sie thematisierte auch die Spannung der Annäherung an das Ruhrgebiet zwischen historischer Realität und Fiktion. Mit der Ausstellung zur Fernsehserie thematisierte das Ruhrlandmuseum seinen Gegenstand auf einer Metaebene, indem es die Beobachtung der Industrieregion um die Jahrhundertwende im Spannach Kriegsende ins Ruhrland-Museum integriert wurde; die Wiederaufnahme des Ausstellungsbetriebs 1950 und die Neueröffnung als Ruhrland- und Heimatmuseum in einem Museumsneubau 1963; die erneute Umbenennung in Ruhrlandmuseum 1972 und die beginnende Neuausrichtung als sozialgeschichtliches Museum unter dem 1976 zum Direktor ernannten Archäologen Walter Sölter und schließlich die Wiederöffnung im neu erbauten und mit dem Folkwang Museum geteilten Museumszentrum 1984. 547 Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017, S. 192. 548 Gaehme / Graf (1983). Zur Fernsehserie „Rote Erde“ siehe Kapitel 3.3. 549 Würker, Wolfgang: Fernsehspiel, Ausstellung Filmmusik. Das Ruhrland: Rote Erde, schwarzes Gold, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Oktober 1983.

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nungsfeld von musealer Inszenierung und audiovisueller Imagination ausstellte. Nicht allein die Industriegeschichte mit Arbeiterkultur und -bewegung war Gegenstand des sich reformierenden Museums, sondern auch das Ruhrgebiet als Region, dessen Bild in den 1970er und 1980er Jahren maßgeblich durch imaginative Praxisformen wie Film, Fernsehen und Kabarett bestimmt war. 550 Die im folgenden Jahr eröffnete Dauerausstellung „Vom Ruhrland zum Ruhrgebiet. Geologie, Industrie- und Sozialgeschichte einer Landschaft“ war daher nicht mehr rein von den Sammlungsschwerpunkten des Ruhrlandmuseums her konzipiert, sondern fokussierte sich durch die Auslagerung der archäologischen Sammlung in eine Zweigstelle im Essener Norden „auf Geologie und die Industrie- und Sozialgeschichte des Ruhrgebietes“ 551. Im Erdgeschoss präsentierte das Museum einen Teil seiner naturgeschichtlichen Sammlung, die zusätzlich in einer ebenfalls 1984 eröffneten Zweigstelle im Essener Süden gezeigt wurde. Der von der Leiterin der geologischen Sammlung, Ulrike Stottrop, kuratierte Ausstellungsteil inszenierte mithilfe von Dioramen und geologischen Sammlungsobjekten „die Voraussetzungen der Industrialisierung in Form der Bodenschätze, insbesondere der Kohle“ 552. Gespickt mit Verweisen auf den Abbau der Kohle leitete der erdgeschichtliche zum industrie- und sozialgeschichtlichen Teil der Dauerausstellung über, der die Besucher*innen im Obergeschoss erwartete – zu erreichen durch einen Treppenaufgang, der versehen mit einem Förderkorb eine gestalterische Verknüpfung zwischen beiden Ausstellungsteilen herstellte. 553 Der sozialgeschichtliche Ausstellungsteil präsentierte den Besucher*innen in vier Abschnitten die Arbeits- und Lebenswelt des Ruhrgebiets um 1900. Die nicht chronologisch, sondern systematisch angelegte Darstellung war vom Historiker Heinz Reif kuratiert worden, der 1985 das Amt des Museumdirektors übernahm, bevor er ein Jahr später auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der TU Berlin berufen wurde. Neben Reif zeichnete außerdem der Kölner Theaterregisseur Volker Geissler für die Gestaltung der neuen Dauerausstellung verantwortlich, der Objektensembles

550 551 552 553

Siehe dazu Kapitel 3.3. Grütter (1989b), S. 107. Ebd., S. 110. Vgl. Kippenberger, Susanne: Entdeckungsreise in den Alltag der Geschichte. „Vom Ruhrland zum Ruhrgebiet“. Eine Ausstellung in Essen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. März 1985; Grütter (1989b), S. 110; Wuszow, Angelika: Vom Ruhrland zum Ruhrgebiet. Geologie, Industrie- und Sozialgeschichte einer Landschaft, in: Fast, Kirsten (Hg.), Handbuch der museumspädagogischen Ansätze, Opladen 1995, S. 281–292, S. 282 f.

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zu Bildräumen anordnete. 554 Technikgeschichtliche Sammlungsobjekte wie Werkzeuge und Maschinenteile wurden mit Modellen von Arbeitersiedlungen, Einrichtungsgegenständen, Skulpturen und alltäglichen Gebrauchsgegenständen als Ensembles inszeniert. Als eine Art Markenzeichen dieser Ausstellungsgestaltung kann ein Ensemble aus vier Küchen gelten, die unterschiedliche Wohlstandsstufen von Arbeiterhaushalten repräsentierten. 555 Sie waren auf einem Podest angeordnet, das sich durch den Antrieb einer Dampfmaschine drehte. Als Verbindung der Abteilungen „Energieerzeugung und Kraftübertragung“ und „Das Leben jenseits der Fabriktore – Arbeiterviertel und Stadtzentrum“ drehten sich die Arbeiterküchen im Takt derjenigen Maschine, deren Entwicklung maßgeblich für das Industriezeitalter war. 556 Die derart zueinander in Beziehung gesetzten historischen Objekte sollten nicht von allein und für sich selbst sprechen, sondern wurden durch die Inszenierung zu Bedeutungsträgern für die im Objektensemble repräsentierte Geschichte. 557 Zusammengenommen ergab sich eine „Entdeckungsreise in den Alltag der Geschichte“ 558, wie die FAZ ihre Rezension zur neuen Dauerausstellung betitelte: Die Vergangenheit wird auf exemplarische Situationen verdichtet, getreu dem Motto, daß die Fiktion mehr Wahrheit vermitteln kann als die nachgebaute Realität. [. . . ] Das Ruhrlandmuseum ist ein Museum zum Anfassen. Berühren der Figuren und Betreten der Räume sind nicht verboten, sondern erwünscht. [. . . ] Nur wer mitmacht und mitdenkt bei diesem Spiel, kann etwas über die Geschichte erfahren; Kindern fällt das am leichtesten – unaufgefordert und ohne sich dessen bewußt zu sein, inszenieren sie zum Beispiel Rollenspiele. 559

554 Vgl. Dupke, Thomas / Hartings, Birgit: Chronik. 100 Jahre Ruhrlandmuseum, in: Jamin, Mathilde / Kerner, Frank (Hg.), Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum, Essen / Bottrop 2004, S. 266–281, S. 277; Kippenberger (1985). 555 In der einflussreichen Ausstellung ‚Leben und Arbeiten im Industriezeitalter‘, die das Germanische Nationalmuseum 1985 in Nürnberg zeigte, wurde der Alltag des Arbeitermilieus ebenfalls anhand von Küchengeräten veranschaulicht; vgl. Deneke, Bernward: Alltag. Vom Wohnen und von der Haushaltsführung, in: Bott, Gerhard (Hg.), Leben und Arbeiten im Industriezeitalter. Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns seit 1850. Eine Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns seit 1850. Vom 10. Mai – 25. August 1985, Stuttgart 1985, S. 595– 616; Schulze (2017), S. 181. 556 Vgl. Grütter (1989b), S. 111. 557 Die Leiterin der Museumspädagogik, Angelika Wuszow, fasste dieses Prinzip so zusammen: „Kein Gegenstand steht und ‚spricht‘ nur für sich selbst. Sachlich zusammengehörende originale Objekte, historische Fotos, Dokumente, Tonbandinterviews von Zeitgenossen sind in inszenierte Ensembles und historische Bildräume eingebunden, die etwas über die damals lebenden und arbeitenden Menschen ‚erzählen‘ und Exemplarisches über ihre Erfahrungen und soziale Lage aussagen.“ Wuszow (1995), S. 284. 558 Kippenberger (1985). 559 Ebd.

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Mit der Fokussierung auf Objekte, die anfangs sogar ganz ohne erläuternde Beschilderung auskommen sollten, wurde der Akt der Bedeutungsproduktion für alle sichtbar zum Zusammenspiel aus Inszenierung der Objektensembles und ihrer Wahrnehmung durch die Besucher*innen erklärt. Die Ausstellungsgestaltung forderte die Besucher*innen mit sogenannten Hands-on-Exponaten explizit dazu auf, sich die Objekte und ihre Geschichte aktiv anzueignen. Die Museumspädagogik entwickelte Rollenspiele, die Kindern Arbeit und Alltag der Industriearbeiter und ihrer Familien um 1900 über das Nachspielen, also das Reenactment historischer Lebensverhältnisse in den ausgestellten Arbeiterküchen nahebringen sollten. 560 Reihte sich das Ruhrlandmuseum mit seinen gestalterischen und museumspädagogischen Konzepten in eine überregionale Museumsreform ein, 561 versuchte es in den folgenden Jahren auf regionaler Ebene einen Kontrapunkt zu den noch im Aufbau befindlichen Industriemuseen der Landschaftsverbände zu setzen. 562

560 Vgl. Wuszow (1995), S. 289 f. 561 In den 1970er und 1980er Jahren war der Stellenwert von Ausstellungsobjekten stark umstritten, vgl. dazu Schulze (2017). Auf der einen Seite standen die Verfechter*innen einer Ausstellungsgestaltung als textorientierte ‚Historikerausstellung‘, womit Ausstellungsmacher*innen den Stil der von Lothar Gall kuratierten Ausstellung „Fragen an die Geschichte“ bezeichneten, die ab 1971 im Berliner Reichstag gezeigt wurde und mit ihrer Konzentration auf Texte, reproduzierte Dokumente und Grafiken als begehbares Schulbuch konzeptioniert war, vgl. Schulze (2017), S. 107–111. Demgegenüber stand ein Stil mit Fokus auf eine starke Inszenierung von Objekten als kostbare Solitäre oder sinngebende Ensembles, die Kritik als „gefällige Arrangements im Kaufhausstil“ auf sich zogen, Georgen, Helga: Auswüchse der Museumsgesellschaft. Nachläufige Bemerkungen zu den historischen Großausstellungen, in: Historisches Museum Frankfurt (Hg.), Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum, Gießen 1982, S. 12–19, S. 14. 562 So widmeten große Sonderausstellungen sich mehrfach vorindustriellen Themen wie der Geschichte der Region im Mittelalter oder in der Römerzeit, kulturgeschichtlichen Themen wie der öffentlichen Vergnügungskultur um 1900 oder einer Kulturgeschichte der Teddybären. Beispiele hierfür sind etwa Seibt, Ferdinand / Borsdorf, Ulrich: Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet, Katalog zur Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen, Essen 1990; Gerchow, Jan (Hg.): Die Mauer der Stadt. Essen vor der Industrie 1244 bis 1865, Bottrop / Essen 1995; Hopp, Detlef / Trümpler, Charlotte (Hg.): Die frühe römische Kaiserzeit im Ruhrgebiet. Kolloquium des Ruhrlandmuseums und der Stadtarchäologie / Denkmalbehörde in Zusammenarbeit mit der Universität Essen, Essen 2001; Jamin, Mathilde / Kosok, Lisa (Hg.): Viel Vergnügen. Öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende. Eine Ausstellung des Ruhrlandmuseums der Stadt Essen, 25. Oktober 1992 bis 12. April 1993, Essen 1992; Jamin, Mathilde (Hg.): Bärenlese. Zum Wesen des Teddys. Eine Ausstellung des Ruhrlandmuseums der Stadt Essen, 29. September 1991 bis 5. Januar 1992, Essen 1991. Vgl. dazu auch Parent, Thomas: Im Spannungsfeld zwischen Sammlungsüberlieferung und Revier-Identität. Das neue Ruhr Museum in Essen, in: Werkstatt Geschichte 19 (2010) 1, S. 85–94, S. 87 f.

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Trotz Sonderausstellungen ohne regionalen Fokus oder mit nur städtischem Bezug wie etwa im Falle einer Ausstellung zur Essener Stadtmauer präsentierte sich das Ruhrlandmuseum zunehmend stärker als Museum der ganzen Region. Nach gut zwölf Jahren Laufzeit wurde die Dauerausstellung des Ruhrlandmuseums überarbeitet und 1997 neu eröffnet. Ihre Überarbeitung fiel einerseits in einen für museale Dauerausstellungen üblichen Rhythmus und andererseits in die zweite Hälfte der IBA Emscher Park und somit in eine Umbruchsphase der geschichtskulturellen Landschaft des Ruhrgebiets. 563 Zu einem Zeitpunkt, als der Umzug in die Kohlenwäsche und die damit verbundene Neueröffnung als Ruhr Museum beschlossen war, unterstrich der erst drei Jahre später erschienene Katalog zur neuen Dauerausstellung den Anspruch, ein historisches Museum der gesamten Region zu sein. Mit dem Titel „Die Erfindung des Ruhrgebiets“ 564 stellte das Ruhrlandmuseum deutlich heraus, dass es sich seinem Gegenstand weiterhin auch auf einer Metaebene widmete. Nicht nur das Ruhrgebiet als historischer Gegenstand, sondern auch das Selbstund Fremdbild der Region in seiner historischen Genese standen im Fokus. Dabei verstand sich das Museum einerseits als Produzent dieses Bilds und andererseits als dessen Vermittlerin, da es durch die tiefgreifenden Veränderungen des Strukturwandels erklärungsbedürftig geworden sei. Hatte die FAZ zur Eröffnung der Dauerausstellung 1984 noch geurteilt, ohne die Krise von Kohle- und Stahlindustrie „wäre vielleicht [. . . ] niemand auf die Idee gekommen, daß das Ruhrgebiet überhaupt eine Vergangenheit besitzt, an die zu erinnern sich lohnt“ 565, hielt Museumsdirektor Borsdorf im Jahr 2000 fest, erst die Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte hätten die Geschichte der Region erklärungsbedürftig gemacht. Sei die alte Dauerausstellung noch hauptsächlich von Bewohner*innen der Region besucht worden und habe daher „lange Zeit keiner Erklärung“ 566 bedurft, habe sich „innerhalb von zehn, zwanzig Jahren [. . . ] im Ruhrgebiet vieles, beinahe alles verändert“, sodass dessen Geschichte als Industrieregion nun für Bewohner*innen wie Besucher*innen gleichermaßen erklärungsbedürftig geworden sei. Für Borsdorf hatte die ökonomische Krise die Geschichte des Ruhrgebiets also nicht museumswürdig, durch ihre enorme Transformationsgeschwindigkeit aber erklä-

563 Siehe Kapitel 2.2. 564 Ruhrlandmuseum Essen (Hg.): Die Erfindung des Ruhrgebiets. Arbeit und Alltag um 1900, Katalog zur sozialhistorischen Dauerausstellung, Bottrop 2000. 565 Kippenberger (1985). 566 Borsdorf, Ulrich: Vorwort, in: Ruhrlandmuseum Essen (Hg.), Die Erfindung des Ruhrgebiets. Arbeit und Alltag um 1900, Katalog zur sozialhistorischen Dauerausstellung, Bottrop 2000, S. 9. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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rungsbedürftig gemacht, da sie dessen Identität in Frage gestellt habe. 567 Die Zukunft des Ruhrgebiets und sein Fortbestand als einheitliche Region schien ihm zu diesem Zeitpunkt gleichermaßen offen wie ungewiss. 568 Mit Bezug auf Hermann Lübbe hielt Borsdorf fest: „Eine Auflösung der Identität, hervorgerufen durch den vielbesungenen Strukturwandel, fördert offenbar den Drang zur Aufbewahrung von Dingen, die ihre Funktion verlieren.“ 569 Keinesfalls sei aber allein die Aufbewahrung funktionslos gewordener Dinge die Aufgabe von Museen, sondern „das Gestalten des Verständnisses von Geschichte auf der Grundlage der dinglichen Überlieferung“. Trotz der Abgrenzung zu einer im Sinne Lübbes verstandenen Musealisierung als bewahrender Identitätskonstruktion, also einer rein konservatorisch verstandenen Bewahrungszukunft, betonte Borsdorf die identitätsstiftende Funktion der musealen Auseinandersetzung mit Geschichte. Sie schaffe „Identität nicht aus Konservierung der Tradition und deren Heilung von historischen Brüchen, sondern vielmehr aus bewußtem und kritischem Umgang mit Überlieferung“. Hier deutete sich bereits an, was zehn Jahre später im Ruhr Museum auf Zollverein zentraler Bestandteil der Dauerausstellung werden sollte – die Dekonstruktion der Ruhrgebietsidentität als Gegenstand und die Produktion von Identität als Funktion der Ausstellung. Die 2010 in der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche Zollverein eröffnete Dauerausstellung erstreckt sich über drei Etagen und beginnt, anders als es eine historische Ausstellung vielleicht erwarten ließe, mit der Gegenwart des Ruhrgebiets. Die erste von drei Etagen bildet die Ausstellungseinheit „Gegenwart“, der zunächst die Abteilung „Gedächtnis“ und erst dann die Abteilung „Geschichte“ folgen. 570 Die Ausstellungsinszenierung

567 Vgl. ders.: Region, Geschichte, Museum, in: Ruhrlandmuseum Essen (Hg.), Die Erfindung des Ruhrgebiets. Arbeit und Alltag um 1900, Katalog zur sozialhistorischen Dauerausstellung, Bottrop 2000, S. 11–30, S. 11. 568 Vgl. ebd., S. 14. 569 Ebd., S. 15. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 570 Vgl. Borsdorf / Grütter (2010b). Letztere beinhaltet die Geschichte des Ruhrgebiets von der Industrialisierung bis in den andauernden Strukturwandel, die als „Stationendrama“ in fünf Akten inszeniert ist. Diese sind gerahmt durch einen Prolog zu den erdgeschichtlichen Entstehungsbedingungen der Kohle und einen Epilog, der einen Ausblick in die Zukunft der Region geben soll. Die Gestaltung setzt dabei recht klassisch und in Anknüpfung an das frühere Ruhrlandmuseum auf eine Kombination aus Objektensembles, Texten, Fotografien und Filmausschnitten, die in klaren Sichtachsen zu einem Längsschnitt und vertiefenden Seitenachsen angeordnet sind. Die Abteilung „Gedächtnis“ präsentiert die vorindustrielle Geschichte des Raums, die in einzelne Kabinette unterteilt und mitunter im Wunderkammerstil inszeniert sind. Die Abteilung referiert damit nicht nur auf die vorindustrielle Geschichte der Region, sondern auch auf die Institution Museum im historischen Wandel und zeigt die Schwerpunkte der über hundertjährigen Sammlungstätigkeit des als Ruhr

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ist stets gleichzeitig historische Darstellung des Ruhrgebiets und Reflexion derselben, was insbesondere in der Abteilung „Gegenwart“ deutlich wird. Die Ausstellungsinszenierung beginnt im Grunde schon vor dem Eintritt in die Gegenwartsabteilung, da das Ausstellungskonzept darauf angelegt ist, „durchgängig die Dauerausstellung mit der Architektur der Kohlenwäsche in Verbindung zu setzen“ 571. So führt die anfangs stark umstrittene Rolltreppe zum Besucher*innenzentrum auf der 24-Meter-Ebene, wo früher Kohle klassifiziert und verteilt wurde. Nun werden die eintretenden Personen hier als Besucher*innen klassifiziert, die sich entsprechend ihrer Interessen auf die verschiedenen Bereiche des Gebäudes verteilen. 572 Der Weg zur Dauerausstellung verläuft durch ein im ehemaligen Rohkohlenbunker eingebautes Treppenhaus, das die leuchtend orangene Farbe, die schon durch die Rolltreppe eingeführt wurde, wieder aufnimmt, wobei der Farbkontrast der schwarz-grauen Wände zum leuchtenden Orange besonders stark hervortritt. Das Farbspiel soll im räumlichen Zusammenhang der Zeche Zollverein die visuelle Assoziation von schwarzer Kohle und der im orangenen Feuerschein leuchtenden Stahlproduktion als Symbol der beiden Schlüsselindustrien des Ruhrgebiets erzeugen (Abb. 31, 32, 33). Die visuelle Inszenierung des Treppenhauses wird durch eine Klanginstallation von Richard Ortmann verstärkt, deren einzelne Geräusche nur schwer zu identifizieren sind und für die Besucher*innen eher diffus bleiben. Wahrnehmbar sind Klänge wie Gurren, Rattern, Dröhnen, Klackern, Quietschen, Klingeln und Hammerschläge, die Assoziationen zu Industrie und Arbeit, aber auch zu spezifischen Freizeitbeschäftigungen wie Taubenzucht herstellen. Das Zusammenspiel von Raum, Licht- und Klanginstallation zielt auf die Produktion einer Atmosphäre, die den Mythos einer monumentalen, von Kohle und Stahl geprägten Ruhrgebietsindustrie transportieren soll. Sie lässt das Gefühl entstehen, sich mit dem Abstieg der Treppe Museum neu eröffneten Hauses. So werden etwa geologische oder archäologische Sammlungsobjekte in der ehemaligen Bunkerebene der Kohlenwäsche zu Preziosenkabinetten zusammengestellt, sodass die ehemaligen „Materialspeicher sich zu Gedächtnisspeichern verwandel[n]“, Wais, Patrick: Die Gestaltung, in: dies. (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 42–53, S. 47. In Benennung und Gestaltung referiert die Abteilung damit auf die Arbeiten Aleida Assmanns, indem sie Sammlungsobjekte als Museumsexponate gleichsam vom Speicher- ins Funktionsgedächtnis überführt. Die Abteilung inszeniert so nicht nur die vorindustrielle Geschichte des Ruhrgebiets, sondern auch die Historisierung musealer Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit, die auf einer Metaebene ständig miterzählt wird, beispielsweise in der „setzkastenähnliche[n] Systematik historischer Anordnung“ ausgestopfter Tierpräparate, ders. (2010), S. 51. 571 Grütter, Heinrich Theodor: Ausstellung, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 16–17, S. 17. 572 Vgl. ebd.

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Abb. 31: Treppenhaus Ruhr Museum

Abb. 32: Treppenhaus Ruhr Museum

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Abb. 33: Treppenhaus Ruhr Museum

immer tiefer in einen speziellen, abgeschlossenen Raum hineinzubegeben, auf dessen Wahrnehmung es sich einzustellen gilt. Die Atmosphäre wohnt der räumlichen Inszenierung nicht schon inne, sondern wird in Verbindung mit dem Wahrnehmungsakt der Besucher*innen immer neu geschaffen und damit wie alle inszenierenden Praxisformen erst im Moment der Aufführung bedeutungsvoll. Der körperlichen Empfindung der Größe und Leere des Raums, durch den sich die Besucher*innen bewegen, kommt dabei eine ebenso zentrale Rolle zu wie seiner audiovisuellen Inszenierung über die kontrastiven Farben und die ständig lauter und leiser werdende, sich scheinbar dynamisch durch den Raum bewegende Klanginstallation. 573 Diese hallt noch nach, wenn die Besucher*innen den Ausstellungsraum schließlich betreten und auf der 17-Meter-Ebene in die Gegenwartsabteilung eintreten.

573 Zum Trend in Museen mittels Sound besondere Atmosphären zu schaffen vgl. Bijsterveld, Karin, et al.: Shifting Sounds. Textualization and Dramatization of Urban Soundscapes, in: Bijsterveld, Karin (Hg.), Soundscapes of the Urban Past. Staged Sound as Mediated Cultural Heritage, Bielefeld 2013, S. 31–66, S. 33. Zu Atmosphäre als Zusammenspiel aus dinglicher Eigenschaft des Raums und subjektiver Empfindung sowie zur Bedeutung von Licht und Klang für ihre Gestaltung vgl. FischerLichte (2004), S. 201–208.

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Die Abteilung ist in die Einheiten ‚Mythos‘, ‚Phänomene‘, ‚Strukturen‘ und ‚Zeitzeichen‘ unterteilt, wobei Letztere durch eine Glaswand mit eigenem Eingang räumlich getrennt und im Stile eines Musée Sentimentale gestaltet ist. 574 Die Inszenierung beginnt mit dem Zugriff über den ‚Mythos Ruhrgebiet‘, der „sich vor allem aus der Feuerarbeit am Hochofen, in den Stahlfabriken und Kokereien sowie dem Abbau der Kohle in den düsteren Tiefen der Welt untertage“ 575 speise und noch immer durch das „Bild vom schwarzen, dreckigen Ruhrgebiet“ 576 geprägt sei. Dieses Bild wird in zahlreichen Fotografien aufgegriffen, die auf einer an der Decke hängenden Projektionsfläche den Blick der Besucher*innen beim Eintritt in den Ausstellungsraum auf sich ziehen. Die fotografischen Projektionen verwischen nach wenigen Sekunden und scheinen in den Ausstellungsraum hinein zu verschwinden. Das visuelle Verschwinden der Fotoprojektionen korrespondiert mit dem Ausklingen der Klanginstallation und versinnbildlicht so den nur scheinbar beständigen Mythos Ruhrgebiet, der nun durch den Ausstellungsbesuch hinterfragt werden soll. Gleichzeitig gilt die Persistenz des Mythos aber als Beleg für die Existenz einer Ruhrgebietsidentität, die sich beschreiben und mit Bedeutung aufladen lässt. Der Niedergang der Montanindustrie erscheint in dieser Lesart nicht mehr primär als ökonomische Krise, sondern vor allem auch als Chance. 577 Hier klingt die während der IBA Emscher Park entwickelte geschichtskulturelle Strategie durch, die Industriegeschichte als Ressource zur Identitätsbildung für eine Zukunft ohne Kohle und Stahl funktionalisierte. 578 Im zum Kulturhauptstadtjahr eröffneten Ruhr Museum ist sie zum Ausgangspunkt der Dauerausstellung geworden, indem Besucher*innen aus dem audiovi-

574 Vgl. den Grundriss der 17-Meter-Ebene in Wais (2010), S. 42 f. 575 Grütter, Heinrich Theodor: Mythos, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 66–67, S. 66. 576 Ebd., S. 67. Wörtlich so auch im Leittext zur Einheit „Mythos“ in der Ausstellung. 577 Vgl. Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor: Gegenwart, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010a, S. 64–65, S. 67: „Die Mythifizierung des Ruhrgebiets ist das deutliche Zeichen einer regionalen Identitätsbildung. [. . . ] Das Ende des klassischen Industriezeitalters hat eine neue Identifikation mit der Region nötig, aber auch möglich gemacht. Der Verlust der industriellen Einheit stellte die Frage nach dem Selbstverständnis und der verbindenden Klammer nach der Ära von Kohle und Stahl. Und diese Suche wird durch den langen und schmerzhaften Abschied vom Industriezeitalter noch verstärkt. Zugleich ermöglichte dieser Abschied aber auch eine zunehmend positive Besetzung des kulturellen Erbes dieses Industriezeitalters [. . . ]. Insofern ist der Mythos Ruhrgebiet keine nostalgische Verklärung eines untergegangenen Zeitalters, sondern Ausdruck einer zunehmend selbstbewussten Identifikation mit der eigenen Region und ihrer Geschichte, die ihren stetigen Wandel miteinbezieht.“ 578 Siehe dazu Kapitel 2.

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suell in Szene gesetzten Treppenhaus heraus in den ausgestellten ‚Mythos Ruhrgebiet‘ eintreten. Links und rechts des so inszenierten Mythos erstrecken sich die Einheiten ‚Phänomene‘ und ‚Strukturen‘. Den „sichtbaren Phänomenen, die für das heutige Ruhrgebiet typisch sind, und den unsichtbaren Strukturen, die diesen Phänomenen zugrunde liegen“ 579 kommt die Funktion zu, den ‚Mythos‘ zu kontrastieren. Die ‚Strukturen‘ werden in Form von Karten, Daten und Statistiken zum Ruhrgebiet sichtbar gemacht, die über wechselnde Wandprojektionen oder interaktive Medientische visuell aufbereitet werden. Die „Phänomene“ sind in einzelne Themen wie beispielsweise Siedlungen, Industrielandschaft oder Sprache unterteilt. 580 Die natur- und kulturgeschichtliche Ausrichtung des Museums wird dabei in der Kombination aus dinglichen Inventaren und einem großen begehbaren Glasherbarium greifbar. Eine Geruchstation, die typische Gerüche auf Knopfdruck freigibt, und eine Geräuschstation, deren Soundduschen durch die Bewegung der Besucher*innen aktiviert werden, ermöglichen die Komposition immer wieder neu entstehender Geruchs- oder Klangsinfonien des Ruhrgebiets. 581 An die parallel angeordneten Einheiten zu ‚Phänomenen‘ und ‚Strukturen‘ schließt sich durch eine Glaswand mit gesondertem Eingang getrennt die Abteilung ‚Zeitzeichen‘ an, die im Stile eines Musée Sentimentale na-

579 Borsdorf / Grütter (2010a), S. 64. 580 Die Themen werden mit unterschiedlichsten Mitteln inszeniert, die alle Sinne der Besucher*innen ansprechen sollen. So führt der Weg durch die „Phänomene“ zunächst vorbei an weiß hinterleuchteten Stellwänden, auf denen eigens erstellte Fotoserien Themen wie etwa Halden oder Industriearchitektur präsentieren. Die weiß hinterleuchteten Fotowände bilden einen starken visuellen Kontrast zum dunkel inszenierten ‚Mythos‘ sowie zum Schwarz des Ausstellungsraums und erscheinen „gleichsam wie Röntgenbilder“, Wais (2010), S. 47. Es folgen in einfachen Regalen zu Inventaren angeordnete Objekte, die etwa Wasserproben, religiöse Kultgegenstände oder Fußballfaninsignien zu begehbaren Wissenssammlungen zusammenstellen. 581 Die Abbildung zur Klangstation ist entsprechend im Ausstellungskatalog mit „Hörstation ‚Sinfonie des Ruhrgebiets‘“ beschriftet, Ortmann, Richard: Geräusche, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 106–107, S. 107. Auch Karin Bijsterveld beschreibt die Klangstation als Möglichkeit für Besucher*innen, eine eigene „soundscape composition“ zu erschaffen, vgl. Bijsterveld, et al. (2013), S. 33. Ihre Charakterisierung der ausgestellten Geräusche als „sounds associated with mines“ (ebd.) greift allerdings angesichts der unterschiedlichen Geräusche wie etwa dem Grunzen eines Bioschweins oder dem Training in einem Fitnessstudio zu kurz und vernachlässigt die deutlich komplexere Konzeption der Ausstellungsstation und ihrer Aussage. Dieses Missverständnis könnte ein Hinweis darauf sein, dass die angestrebte Dekonstruktion der Mythen und Klischees über das Ruhrgebiet auf dieser Ausstellungsebene nur bedingt gelingt und vielmehr Klischees reproduziert werden, sodass beispielsweise die Klanglandschaft des Ruhrgebiets auf das Thema Bergbau reduziert wird.

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tur- und kulturgeschichtliche Sammlungsgegenstände in einzelnen Vitrinen präsentiert (Abb. 34). Dabei sind die naturgeschichtlichen Exponate von unten und die kulturgeschichtlichen Exponate von oben beleuchtet, sodass sie visuell zu unterscheiden sind. Die Bandbreite der Objekte reicht von naturkundlichen Sammlungsgegenständen wie einem Baumstumpf, der anhand seiner Jahresringe die Umweltbelastung des Industriezeitalters visualisiert, über das Präparat einer Staublunge, welche die gesundheitlichen Belastungen der Arbeit untertage veranschaulicht, zur Jacke des Fernsehkommissars Schimanski, der für die popkulturellen Repräsentationen der Region steht, bis hin zu einem Einmachglas mit Wasser, das an den Kriegsalltag einer jungen Mutter erinnert, die während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs Wasser zur Zubereitung von Babynahrung im Luftschutzbunker abgekocht hatte. 582 Durch die Kombination aus per-

Abb. 34: Abteilung „Zeitzeichen“ in der Dauerausstellung des Ruhr Museums

582 Ähnlich wie bei den museologisch einflussreichen Vorbildern des Musée Sentimentale de Cologne oder des Musée Sentimentale de Prusse erfahren hier „kleine oder scheinbar unbedeutende Dinge eine museale Überhöhung“, Wais (2010), S. 47. Im Gegensatz zu den Vorläufern geben die Vitrinen aber die Geschichten der Exponate preis, um die in den Objekten materialisierten Erinnerungen „zu ‚Zeitzeichen‘, zu Symbolen für eine bestimmte Zeiterfahrung“ zu machen, Grütter, Heinrich Theodor: Zeitzeichen, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 158–161, S. 160.

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sönlichen, scheinbar zufällig ausgewählten Erfahrungen und naturkundlichen Sammlungsobjekten inszeniert die Ausstellungseinheit Erinnern als zugleich individuelle und kollektive Praxis, die sich in unterschiedlichsten Gegenständen manifestiert. Wie mit Mosaiksteinen lassen sich aus ihnen der zuvor in ‚Strukturen‘ und ‚Phänomene‘ zerlegte ‚Mythos Ruhrgebiet‘ zu einem neuen Bild zusammensetzen. Die Besucher*innen konstruieren dieses Bild auf ihrem Weg durch die Ausstellungseinheit und nehmen es mit in die an eine historische Wunderkammer erinnernde Abteilung ‚Gedächtnis‘, bevor sie schließlich zur als Theaterstück inszenierten ‚Geschichte‘ und damit zur Grundlage des de- und rekonstruierten Selbst- und Fremdbilds der Region gelangen. Mit dieser Inszenierung von ‚Gegenwart‘, ‚Gedächtnis‘ und ‚Geschichte‘ des Ruhrgebiets, die in ihrer Gestaltung immer wieder auf sich selbst als solche verweist, scheint die Ausstellung zumindest teilweise einer Anregung recht nahe zu kommen, die Lutz Niethammer im Jahr 2004 für das noch zu konzeptualisierende Ruhr Museum gegeben hatte: Es könnte gleichsam wie im epischen Theater das große heroische Narrativ des Ruhrgebiets wie in Rollenprosa berichten, auch Erinnerungsstücke zu seiner Verinnerlichung anbieten und sich doch daneben stellen, um es mit einem Forschungsbericht offener Fragen und Anregungen zu ihrer Bearbeitung zu konfrontieren. Es könnte mehrläufig sein, es könnte immer wieder innehalten und sagen: Hier sind Löcher, hier müsste erinnert werden, oder auch: Hier wissen wir die Zukunft dieser Vergangenheit nicht. Ein Museum ist zuerst immer ein Hort des kulturellen Gedächtnisses; aber zumindest wenn es eine Region im schnellen Wandel thematisiert, sollte es nicht auf Identität, sondern auf Zukunftsoffenheit setzen und die Beiträge pluraler, kreativer Erinnerungsarbeit seiner Besucher stimulieren. 583

Mit diesen Überlegungen schloss Niethammer einen Vortrag, der das Potenzial des Ruhr Museums als Gedächtnis der Region vor allem in der Konstruktion einer offenen Zukunft und nicht in der antiquarischen Bewahrung seiner Vergangenheit verstanden wissen wollte. Der Vortrag war Teil einer Reihe, die „zusammen mit anderen Veranstaltungen die konzeptionelle Vorbereitung und die theoretische Selbstvergewisserung eines künftigen Museums für das Ruhrgebiet“ 584 unterstützen sollte. Vor der Gestaltung des Museums sollten Vortragsreihe und Publikation ein spe583 Niethammer, Lutz: Das Museum als Gedächtnis. Fragen für ein RuhrMuseum jenseits von Rostalgie, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 53–79, S. 78. 584 Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn: Einleitung, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 7–11, S. 10.

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zifisches, geschichtstheoretisches Wissen produzieren, das als Basis der Ausstellungsinszenierung dienen sollte. Als Formen der Wissensproduktion verweisen die Ausrichtung der Vortragsreihe und ihre Publikation als wissenschaftlicher Sammelband somit auf eine weitere zentrale Praxisform innerhalb des geschichtskulturellen Felds. Bevor diese im folgenden Unterkapitel analysiert wird, werden die Untersuchungsergebnisse zur Praxisform des Inszenierens kurz zusammengefasst. Zwischenfazit

Anhand der Eröffnungsfeier von Ruhr 2010 wurde nachgezeichnet, inwiefern der Festakt als Inszenierung des Mottos „Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur“ diente. Die einzelnen Elemente der Inszenierung fungierten in ihrem Vollzug als performativer Beleg des Wandels, der eine Zukunftsvision des Ruhrgebiets als Kreativ- und Kulturmetropole transportieren sollte. Die gescheiterte Ausrichtung der Loveparade wurde dagegen wenige Monate später als Beleg gewertet, dass diese Zukunft für das Ruhrgebiet noch in weiter Ferne liege und sich eine Zukunft für die Region nicht durch die Nachahmung anderer Metropolen würde generieren lassen. Dass die Zukunftsvision des Ruhrgebiets als Metropole Ruhr aber schon im Mittelpunkt der Bewerbung um den Kulturhauptstadttitel gestanden hatte, wurde anhand der Beispiele zur Praxis der Aufführung einer Performance verdeutlicht. Hier hat das Kapitel die Bedeutungsproduktion aus Elementen wie dem gemeinsamen Singen des Steigerlieds, der Raumatmosphäre umgenutzter Industriebauwerke und der Rezitation einer auf das Ruhrgebiet gemünzten Referenz auf die griechische Mythologie nachgezeichnet. Dabei ist die gezielte Verklärung und mythologische Überhöhung der Industriegeschichte als Ressource zur performativen Beglaubigung von Zukunftsentwürfen sichtbar geworden, die das Ruhrgebiet als kulturell vielseitige, kreative und wirtschaftlich erneuerte Industrieregion darstellen sollten. Auch Protestaktionen im Kampf um die Überreste der Montanindustrie haben sich als inszenierende Praxen erwiesen, die über Rückgriffe auf historische Protestvorbilder und die körperliche Inbesitznahme des öffentlichen Raums für die Zukunft von Kohle- und Stahlindustrie kämpften. An den untersuchten Beispielen ist deutlich geworden, dass dieser Protest nicht allein als Kampf um sterbende Industriezweige, sondern um die Zukunft des Ruhrgebiets rezipiert wurde und somit vor allem in der medialen Öffentlichkeit weiter zur Identifikation von Region und Montanindustrie beitrug. An der Analyse verschiedener Ausstellungen hat das Kapitel gezeigt, wie diese als inszenierende Praxen Chronoferenzen zwischen historischen Protesten und der Gegenwart herstellten oder selbst Mittel des Protests waren wie im Fall der Oberhausener

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Arbeitersiedlung Eisenheim. Anhand einer Ausstellung zu Jugendkulturen des Ruhrgebiets ist die Funktion von Jugend als Projektionsfläche für Zukunftsvorstellungen deutlich geworden. Der abschließende Blick auf Ausstellungen des Ruhrland- und späteren Ruhr Museums hat dessen Entwicklung zum Regionalmuseum nachgezeichnet. Dabei ist die Entwicklung der Ausstellungspraxis von einer sozialgeschichtlichen Inszenierung von Arbeitergeschichte um 1900 im Ruhrlandmuseum bis zur Ausrichtung auf die Konstruktion und Produktion regionaler Identität im heutigen Ruhr Museum deutlich geworden.

3.5 Wissen produzieren In der Konzeptionsphase des Ruhr Museums holte der Aufbaustab über verschiedene Wege Expertise von außen ein, um die Gestaltung der neuen Dauerausstellung an die aktuelle historische, kulturwissenschaftliche und museologische Diskussion rückzubinden. So veranstaltete das Museum gemeinsam mit dem KWI eine Vortragsreihe, die im Sommer 2004 unter dem Titel „Deponieren und Exponieren. Musealisierung und Geschichte“ 585 im als ‚Palast der Projekte‘ firmierenden ehemaligen Salzlager der Kokerei Zollverein stattfand und noch im selben Jahr als Sammelband im Transcript Verlag erschien. 586 Die Publikation der Vortragstexte, die ein spezifisches geschichtstheoretisches Wissen produzieren und vermitteln sollte, ist damit ein Beispiel für hier als Praxisform des Wissen Produzierens zusammengefasste Praxen, die auf die Produktion und Distribution historischen Wissens über das Ruhrgebiet abzielen. Dazu zählt auch die Praxis der Führung eines lebensgeschichtlichen Interviews, die anhand des einflussreichen LUSIR-Projekts untersucht wird und das Anlegen einer Sammlung oder eines Archivs, für die das Beispiel eines Geräuscharchivs herangezogen wird. Zunächst wird aber die besonders zentrale Praxis der Publikation eines (populär-)wissenschaftlichen Texts untersucht, wozu im Folgenden unterschiedliche wissenschaftliche Synthesen zur Ruhrgebietsgeschichte, ein Lesebuch, das auf die Aktivierung bottom-up gerichteter Geschichtsarbeit abzielte, sowie zwei aus solcher Geschichtsarbeit hervorgegangene Publikationen als Beispiele dienen. Als Instanziierungen der gleichen übergeordneten Praxis lassen sich die von historischen Laien ver-

585 Drexl, Magdalena: Deponieren und Exponieren. Musealisierung und Geschichte, 10. 05. 2004, URL: https://www.hsozkult.de/event/id/termine-2790 [letzter Zugriff: 18. Jul. 2020]. 586 Vgl. Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.): Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004.

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fassten Publikationen über diesen Zugriff ebenso auf die Funktionalisierung von Geschichte als Ressource zur Zukunftsproduktion hin befragen wie der eingangs genannte geschichtstheoretische Sammelband. Publikation eines (populär-)wissenschaftlichen Texts

Die Veranstaltungsreihe, deren Vorträge dieser Sammelband publizierte, adressierte die grundsätzliche Frage nach der Funktion eines historischen Museums im Spannungsfeld zwischen Bewahrungs- und Gestaltungszukunft im Allgemeinen. Im Besonderen ging es um die Einpassung des Ruhr Museums – als Instanz der für Vortragsreihe und Publikation titelgebenden „Musealisierung“ 587 – in die Transformation Zollvereins zum ‚Zukunftsstandort‘. 588 Eingeladen waren daher Wissenschaftler, „die sich in grundlegender Weise mit dem Phänomen der Musealisierung, mit der Rolle und Funktion des Museums in der modernen Gesellschaft auseinandersetzen“ 589. Dazu zählten neben dem damaligen Leiter des Marbacher Literaturarchivs Ulrich Raulff und dem Karlsruher Kulturphilosophen Boris Groys auch Hermann Lübbe, Gottfried Korff und der bereits zitierte Lutz Niethammer. 590 Die Reihe versammelte damit nicht nur Personen, die in der Entwicklung der geschichtskulturellen Landschaft des Ruhrgebiets wichtige Rollen gespielt hatten, sondern die auch im überregionalen geschichtskulturellen Diskurs konträre – und durchaus konkurrierende – Positionen vertraten. Korff, Lübbe und Niethammer thematisierten diese Konkurrenz in ihren Vorträgen auch explizit, wobei Niethammer auch auf die eigene Rolle innerhalb der geschichtskulturellen Landschaft der Region einging. 591 Die konzeptuelle Konkurrenz zwischen einer rein kompensato-

587 588 589 590 591

Drexl (2004); Borsdorf / Grütter / Rüsen (2004). Zur Transformation Zollvereins zum ‚Zukunftsstandort‘ siehe Kapitel 2.2.3. Drexl (2004). Siehe Kapitel 3.4, Anm. 583. Niethammer (2004), S. 54: „Sie haben Hermann Lübbe in dieser Vorlesungsreihe gehört, und ich verwundere mich nicht, dass sein großes Stichwort ‚Kompensation‘ war. Er und andere Vordenker der konservativen Kulturpolitik der 1980er Jahre haben stets die Auffassung vertreten, je mehr die Moderne das Vertraute, Traditionelle und Spezifische vernichte, desto notwendiger würden die Geistes- und Kulturwissenschaften für Kompensationsleistungen werden, und im Grunde haben sie darin auch eine große Freiheit gesehen. Als wir damals das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen gründeten, war die Kompensationstheorie sozusagen unser Feind. Es war das, woran wir uns abarbeiten wollten. Wir glaubten nicht, dass Kompensation genug sei, sondern wir wollten – wie eines unserer Teilprojekte damals hieß – die indigenen Potentiale alter Industriereviere aufspüren und anregen, sie stimulieren für eine kreative Zukunftsgewinnung. Ich denke, damals gab es einen romantischen Konservierungstrend quer durch die Region, der eine einzigartige Stadt oder Agglomerationslandschaft industrieller Denkmale und umgenutzter Relikte hervor-

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rischen und einer stärker gestaltenden Bewahrungszukunft fand aus Niethammers Sicht im Ruhrgebiet ihre materielle Konsolidierung. Einerseits deutete er die Vielzahl der unter Denkmalschutz gestellten Industrierelikte als Ausdruck einer romantisierenden Konservierung. Andererseits sprach er dieser nostalgischen Vergangenheitszuwendung auch ein produktives Potenzial zu, das es nun aber auf seine Zukunftsfähigkeit hin zu befragen gelte: Ich finde, Nostalgie ist etwas Gutes und Wichtiges, sie nährt Widerstand gegen den Furor des Verschwindens in der Moderne; freilich hat sie als solche keine großen und schon gar keine politischen Perspektiven, aber sie ist eine vitale Energie. Was seit den 1980er Jahren im Ruhrgebiet an Denkmalinstandsetzungen geschehen ist – nicht zuletzt auf Zollverein – könnte man vielleicht ironisch als eine Landschaft der Rostalgie bezeichnen, nämlich als Ausdruck eines vitalen Widerstands gegen den Furor des Verschwindens der Signaturen des Ruhrgebiets, seiner Wiedererkennbarkeit als größte und geschichtlich bedeutendste montanindustrielle Stadtregion Europas. Die Frage ist aber, wie sieht die Zukunft zu einer solchen Leistung des Bewahrens aus? 592

Die Antwort lag für Niethammer darin, Museen nicht als Produzenten von Identität zu verstehen, wie es etwa Lübbe in der Vortragsreihe gefordert hatte. Zwar hatte dieser in seinem Plädoyer für die kompensatorische und identitätsstiftende Funktion von Museen den Vorwurf von sich gewiesen, „dass die Vergangenheitsbezogenheit Zukunftsflucht, Vergangenheitsnostalgie, Unbereitschaft, sich der Zukunft und ihren Herausforderungen zu stellen, dokumentiere“ 593. Auch mache die Vergewisserung über die eigene Herkunft Individuen und soziale Gruppen „nicht etwa immobil

gebracht hat, sozusagen ein der Geschichte des Reviers und seinem Agglomerationscharakter entsprechendes multipolares Verweissystem, einen Ballungsraum von Gedächtnisorten.“ Auch Lübbe hatte in seinem Vortrag bereits auf die Auseinandersetzung um den Begriff der Kompensation hingewiesen, diese jedoch stärker als Niethammer in der Gegenwart verortet: „Ich gebrauche in diesem Zusammenhang ein Wort, das bei vielen Geschichtswissenschaftstheoretikern sehr in Verruf geraten ist, nämlich das Wort ‚Kompensation‘.“ Lübbe (2004), S. 24. Gottfried Korff thematisierte in seinem Vortrag ebenfalls die Kompensationsthese und sprach ihr nur begrenzte Erklärungskraft zu: „Das Kompensationsmodell, wie es von Ritter, Lübbe und Marquard beschrieben worden ist, kann Gültigkeit nur für die affektive Zuwendung zu den Dingen in der Moderne beanspruchen. Es ist auf innerweltliche Verlusterfahrungen bezogen, auf den Vertrautheitsschwund aufgrund beschleunigter Transformationsprozesse in dynamischen Gesellschaften. Anders funktioniert das Mediatorenmodell, [. . . ]. Es kompensiert, so könnte man sagen, Kontingenzerfahrungen.“ Korff, Gottfried: Vom Verlangen, Bedeutungen zu sehen, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 81–103, S. 95. 592 Niethammer (2004), S. 53 f. 593 Lübbe (2004), S. 19.

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und zukunftsunfähig“ 594, sondern stelle vielmehr die Grundvoraussetzung von Zukunftsfähigkeit dar. Denn nur wer sich der eigenen Herkunft sicher sei, könne nach einer neuen Zukunft suchen. Für Niethammer lag die Aufgabe eines historischen Museums dagegen gerade nicht in der Vergewisserung und Bewahrung einer spezifischen Herkunft, sondern vielmehr in der Fokussierung auf „Zukunftsoffenheit“ 595. Die Ansiedlung des Ruhr Museums auf Zollverein habe das Potenzial, im dichten, von ihm ironisch zugespitzt als „Landschaft der Rostalgie“ bezeichneten geschichtskulturellen Netzwerk der Region eine „Lücke“ 596 zu füllen. Diese Lücke ergebe sich gerade durch die Vielzahl und Dichte der industriekulturellen Denkmale, die häufig für technikgeschichtlich ausgerichtete Museen genutzt und in einer antiquarischen Erzählhaltung „den schwerindustriellen Heroismus der Vergangenheit“ zelebrieren würden. Somit fehle ein Museum, das eine Antwort auf die Fragen liefere, „in welche Zukunft wir hinein blicken sollen; auf welche Zukunft wir uns durch Erinnerung vorbereiten sollen“. Mit der Veranstaltung der Vortragsreihe und der Publikation des Sammelbands machte der Aufbaustab des Ruhr Museums deutlich, dass das auf Zollverein entstehende Museum genau diese Aufgabe für sich beanspruchte. Das Ruhr Museum wollte nicht nur die schon mit zunehmender Verdichtung der Museumslandschaft diagnostizierte Leerstelle eines Museums für die Geschichte der gesamten Region füllen, die bereits das Ruhrlandmuseum als sein Vorgänger zunehmend zu besetzen gesucht hatte. 597 Es wollte vor allem auch als Instrument der Gestaltung einer postindustriellen Zukunft der Region fungieren, weshalb der Vorlesungsreihe als Praxis zur Produktion eines spezifischen geschichtstheoretischen Wissens eine wichtige Rolle im Planungsprozess des Museums zukam. Die Einladung der Experten, die in ihren Vorträgen alle das Verhältnis zwischen der Bewahrung der Vergangenheit und Gestaltung von Zukunft reflektierten, 598 zielte zunächst auf die geschichtstheoretische Fundierung des Planungsprozesses. Die Publikation der Vorträge diente zum einen der 594 595 596 597

Ebd., S. 36. Niethammer (2004), S. 78. Ebd., S. 55. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. Zur Entwicklung der Dauerausstellung des Ruhrlandmuseums siehe Kapitel 3.4. Entsprechend dieses Anspruchs beansprucht das Ruhr Museum für sich die Rolle als „Schaufenster und [. . . ] Gedächtnis der Metropole Ruhr“, Grütter (2010), S. 16. 598 Neben den oben ausführlicher behandelten Beiträgen Niethammers und Lübbes vgl. Groys, Boris: Archiv der Zukunft. Das Museum nach seinem Tod, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 39–52 (hier besonders das Schlussplädoyer zum Museum als „Archiv der Zukunft“ auf S. 52); Korff (2004) (hier besonders die Ausführungen zur Bedeutungsoffenheit epistemischer Dinge, die mu-

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Distribution des geschichtstheoretischen Wissens und zum anderen der Verortung des entstehenden Museums im geschichtskulturellen Diskurs. Die Dokumentation dieser und weiterer Veranstaltungen zur Produktion musealer Expertise präsentierte das Museum nach außen als geschichtstheoretisch fundierte Institution, die nach ihrer Eröffnung keinesfalls nur die Vergangenheit der Region konservieren, sondern auch an der Produktion einer offenen Zukunft mitwirken würde. 599 Dies sollte dazu beitragen, die Vormachtstellung des Museums in der Konkurrenz um Deutungsmacht und finanzielle Ressourcen gegenüber anderen geschichtskulturellen Institutionen der Region zu sichern. Ausgehend von der These, dass es zwar viele kulturhistorische Museen in der Region, aber „kein Museum des Ruhrgebietes“ 600 gebe, verstand sich das im Aufbau befindliche Ruhr Museum als museale Synthese der Ruhrgebietsgeschichte. Nicht nur auf musealer, sondern auch auf schriftlicher Ebene gab es lange keine Synthese zur Ruhrgebietsgeschichte. Die erste Publikation, die in zeitlich und disziplinär breit angelegter Perspektive die Forschung zur Geschichte des Ruhrgebiets zusammenfasste, war das bis heute einflussreiche zweibändige Sammelwerk „Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter“ 601 aus dem Jahr 1990. Die Herausgeber Wolfgang Köllmann, Hermann Korte, seale Objekte für sich beanspruchen können, wenn sie in wechselnden epistemischen Bezügen gezeigt werden S. 98–102); Raulff, Ulrich: Geschichte und die Erziehung des Gefühls, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Rüsen, Jörn (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 105– 123 (mit Bezug auf die Geschichtsphilosophie Kants hier besonders S. 113). 599 Als weiteres Beispiel vgl. Ruhr Museum Aufbaustab (Hg.): Großer Ratschlag. Stellungnahmen aus der Wissenschaft zu einem Ruhrmuseum auf Zollverein. Dokumentation der Tagung am 17./18. Oktober 2003, 2003 Essen. Anders als die oben beschriebene Vortragsreihe war diese Tagung jedoch nicht öffentlich und die Ergebnisse wurden nicht in einem Verlag mit großer Reichweite wie dem Transcript Verlag, sondern lediglich als Broschur publiziert. Entsprechend wurden in den Stellungnahmen zwar auch grundsätzliche museologische Fragen mit Blick auf das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diskutiert. Es ging aber auch deutlich stärker um umstrittene Themen wie etwa den denkmalpflegerischen Umgang mit dem Gebäude der ehemaligen Kohlenwäsche und den Welterbe-Status Zollvereins. Eine Chronik der vorbereitenden Veranstaltungen findet sich in dass.: Chronik, in: Ruhr Museum Aufbaustab / Entwicklungsgesellschaft Zollverein (Hg.), Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte. Konzept, Essen 2005, S. 137–140. Hier wurde die Eröffnung noch wie ursprünglich geplant im Jahr 2007 angesetzt. 600 Borsdorf, Ulrich: Das RuhrMuseum. Die Grundidee, in: Ruhr Museum Aufbaustab (Hg.), Großer Ratschlag. Stellungnahmen aus der Wissenschaft zu einem Ruhrmuseum auf Zollverein. Dokumentation der Tagung am 17./18. Oktober 2003, 2003 Essen, S. 106–111, S. 108. 601 Köllmann, Wolfgang / Korte, Hermann / Petzina, Dietmar / Weber, Wolfhard (Hg.): Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990a; Köllmann, Wolfgang / Korte, Hermann / Petzina, Dietmar / Weber, Wolfhard (Hg.): Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990b.

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Dietmar Petzina und Wolfhard Weber hatten entsprechend ihrer Arbeitsund Forschungsschwerpunkte als Professoren für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Wirtschafts- und Technikgeschichte sowie Stadt- und Regionalsoziologie an der RUB zunächst eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Darstellung geplant. Das zweibändige Werk wurde aber um politikund kulturgeschichtliche Perspektiven erweitert und synthetisierte damit die sozial-, politik- und geschichtswissenschaftliche Forschung zum Ruhrgebiet, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren an der RUB, aber auch an den übrigen Ruhrgebietsuniversitäten sowie der Fernuniversität Hagen entstanden war. 602 Die 31 Autor*innen 603 sollten ohne detaillierten Anmerkungsapparat arbeiten, sodass die Artikel auch fachlich weniger vorgebildeten Leser*innen leicht zugänglich sein würden. Ausführliche Bibliographien zu den einzelnen Artikeln ermöglichten dann ein vertieftes Studium der Themen, die von der städtischen Siedlungsstruktur, über die Geschichte der Verwaltung und politischen Kultur, bis hin zu Umwelt, Kultur, Sprache, Literatur und Sozialstruktur des Ruhrgebiets reichten. Ausführlich wurde die Geschichte verschiedener Wirtschaftszweige sowie von Arbeit und Gewerkschaft behandelt. Mit der disziplinären Ausweitung um politik- und kulturgeschichtliche Forschungsperspektiven verfolgten die Herausgeber nicht nur das Ziel, Handbuchwissen über die Region zu bündeln und zugänglich zu machen. Vielmehr sollte die Publikation auch „Hilfe zur Bewältigung der Zukunft sein“ 604, indem sie „eine schlüssige Analyse des gegenwärtigen regionalen Strukturbildes erleichtern und die Entwicklung historisch fundierter Handlungsalternativen für die Zukunft anregen“ sollte. Die Publikation sollte also nicht nur historisches Wissen über die Region, sondern auch Handlungswissen für eine als zu bewältigende Herausforderung verstandene Zukunft des im tiefgreifenden Wandel befindlichen Ruhrgebiets bereitstellen. Diese Zielsetzung prägte auch den zeitlichen Rahmen der Publikation, die sich auf die Geschichte der Region im Industriezeitalter und damit auf das 19. und 20. Jahrhundert beschränkte. Um die historischen Bedingungen des Strukturwandels zu verstehen und daraus Wissen zur Bewältigung einer nicht mehr offen erscheinenden Zukunft abzuleiten, war die Geschichte der Region in der Frühen Neuzeit, dem Mittelalter oder gar 602 Vgl. Grütter (2007), S. 240. 603 Bis auf zwei Ausnahmen handelte es sich nur um männliche Autoren, was Rückschlüsse auf die Genderstruktur der Sozial- und Geschichtswissenschaft an den Ruhrgebietsuniversitäten in den 1970er und 1980er Jahre nahelegt, da sich die Autor*innen maßgeblich aus diesem Kreis rekrutierten. 604 Köllmann, Wolfgang, et al.: Vorwort, in: Köllmann, Wolfgang, et al. (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 7–9, S. 8. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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der Antike nicht von Bedeutung. Räumlich dienten nicht nur die Verwaltungsgrenzen der Ruhrgebiets, sondern in den Artikeln unter Beteiligung von Wolfgang Köllmann auch die Raumvorstellungen Wilhelm Brepohls als Grundlage. 605 Hier zeigt sich erneut die Wirkmächtigkeit von Brepohls Arbeit in der sozialhistorischen Ruhrgebietsforschung trotz der bekannten völkischen Prägung seiner Forschung zur Region und ihrer Bevölkerung. 606 Zur Unterstützung neuer Forschung zur Geschichte des Ruhrgebiets hielt das zweibändige Werk nicht nur eine ausführliche Bibliographie, sondern auch eine thematisch und zeitlich aufbereitete Einführung in die Quellenkunde zur Region bereit. 607 Hier wurde eine hohe Wertschätzung für die steigende Zahl an Laien-Forschungsprojekten deutlich, die weithin beachtete Ergebnisse wie etwa das Hochlarmarker Lesebuch hervorbrachten. Mit „Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch“ 608 erschien zwanzig Jahre später erneut eine zweibändige Synthese zur Ruhrgebietsgeschichte, die ihren Leser*innen nicht nur eine einführende Quellenkunde, sondern eine Quellensammlung bereitstellte. Anstoß dafür war die Ansicht des Initiators und Herausgebers Klaus Tenfelde, dass es keine „auch nur einigermaßen durch Kenntnis gesättigte Überblicksgeschichte des Ruhrgebiets“ 609 gebe und der Versuch, sich mittels populärer Literatur über die Geschichte der Region zu informieren, vom vorhandenen Angebot 605 Vgl. Köllmann, Wolfgang: Beginn der Industrialisierung, in: Köllmann, Wolfgang, et al. (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 11–79; Köllmann, Wolfgang / Hoffmann, Frank / Maul, Andreas E.: Bevölkerungsgeschichte, in: Köllmann, Wolfgang, et al. (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 111–197. 606 Wolfgang Köllmann hatte unter anderem als Assistent an der Dortmunder Sozialforschungsstelle der WWU Münster gearbeitet, bevor er Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der RUB wurde. Zum Einfluss Brepohls auf Köllmann vgl. Goch (2001), S. 174 f. Den Thesen Brepohls zur Ausbildung eines „Ruhrvolks“ widersprach Köllmann zwar, hielt aber an der biologistischen Perspektive auf Bevölkerung fest; vgl. Köllmann / Hoffmann / Maul (1990), S. 172. Zu Brepohl siehe Kapitel 3.4, Anm. 539. 607 Kleinschmidt, Christian / Kredinger, Ulrich / Strüder, Günter: Bibliographie, in: Köllmann, Wolfgang, et al. (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 589–681; Dascher, Ottfried: Einführung in die Quellenkunde zum Ruhrgebiet, in: Köllmann, Wolfgang, et al. (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung. Band 1, Düsseldorf 1990, S. 561–588. 608 Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 1, Essen 2010; Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 2, Essen 2010. 609 Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas: Das Ruhrgebiet. Raum, Zeit, Quellen. Einleitung, in: Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 1, Essen 2010, S. 9–22, S. 18.

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zwangsläufig enttäuscht werde. Die zum Kulturhauptstadtjahr erschienene Quellensammlung sollte in Form eines Lesebuchs nun sowohl geschichtsinteressierten Laien als auch Lehrer*innen und Schüler*innen das Material zu einem eigenständigen Lernprozess über die Geschichte der Region an die Hand geben. 610 Die allein durch den Aufstieg der Montanindustrie hervorgebrachte Region unterliege verschiedenen „Störungen der regionalen Selbstfindung“ 611, die sich erst durch den Strukturwandel völlig habe katalysieren können. Die Geschichte des Ruhrgebiets durch das Publizieren des Lesebuchs zur angeleiteten, aber eigenständigen Aneignung bereitzustellen, lässt sich mithin als Instrument verstehen, die Ausbildung einer regionalen Identität innerhalb der Ruhrgebietsbevölkerung zu stärken, zumal die Imagepolitik der letzten Jahrzehnte unfreiwillig vor allem bestehende Klischees bestärkt habe. Die Publikation des von Expert*innen ausgewählten und kontextualisierten Quellenmaterials sollte als wissenschaftlich fundierter Kontrapunkt zu den gerade in den Jahren vor der Zeit als Kulturhauptstadt vermehrt erscheinenden populärwissenschaftlichen Publikationen zur Geschichte des Ruhrgebiets fungieren. In seiner Erläuterung zur Zielsetzung des zweibändigen Lesebuchs monierte Tenfelde, dass es keine wissenschaftliche Akademie des Ruhrgebiets gebe, die eine umfassende, kontinuierliche und wissenschaftlichen Kriterien genügende Quellenedition zur Geschichte der Region herausgeben würde. 612 Das Lesebuch könne eine derartige Edition zwar nicht ersetzen, aber eine quellengesättigte, eigenständige Aneignung der Ruhrgebietsgeschichte ermöglichen. Unterstützt von der Stiftung Mercator konnte eine Stelle am ISB eingerichtet werden, welche die Auswahl der Quellenmaterialien und Absprachen mit den für die einzelnen Kapitel zuständigen Au-

610 Trotz des emanzipatorischen Anspruchs, Quellenmaterial zur eigenständigen und eigensinnigen Aneignung durch interessierte Laien und Schüler*innen zur Verfügung zu stellen, und somit eine selbstständige Wissensproduktion zu ermöglichen, scheint in der Anlage des Lesebuchs bisweilen ein etwas paternalistischer und kulturpessimistischer Duktus durch. So verzichteten die Autor*innen bei ihrer Auswahl des Quellenmaterials weitgehend auf Bilder, da diese zum einen eine adäquate Analysemethode erfordern würden. Zum anderen kritisierte der Herausgeber aber auch, „dass anscheinend, je informationsbedürftiger moderne Rezipienten sich geben, die Befähigung zur Vertiefung in dichte, ganz andere, vielfach für sich sprechende Texte verloren zu gehen droht“, ebd., S. 17. Dieser Entwicklung wolle man „nicht nachgeben“, weshalb die wenigen Bilder oder Faksimiles „in den meisten Fällen mit einem eher illustrativen, der optischen Auflockerung der Publikation dienendem Zweck“ ausgewählt worden seien. Die Quellen, die von ungedruckten Archivmaterialien über Zeitungsartikel bis zu literarisch-künstlerischen Texten reichten, wurden daher in transkribierter Form und an aktuelle Rechtsschreibkonventionen angepasster Schreibweise abgedruckt. 611 Ebd., S. 14. 612 Vgl. ebd., S. 18.

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tor*innen koordinierte. 613 Knappe Kapiteleinleitungen sollten die thematisch sortierten Quellen kurz kontextualisieren. Die Quellenauswahl und Einleitungen für die 18 Kapitel wurden vor allem von Mitarbeiter*innen und Doktorand*innen des ISB und der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, aber mitunter auch von Wissenschaftler*innen anderer regionaler Institutionen erarbeitet. So stammte das letzte Kapitel beispielsweise von der langjährigen Kuratorin des LWL-Industriemuseums Dagmar Kift. Das Kapitel behandelte die regionale Identität nach 1945 und schloss mit der These, das Bewerbungsmotto für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt ‚Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur‘ „könnte auch das Motto einer Kulturgeschichte des Ruhrgebiets nach 1945 sein.“ 614 Als „Grundlage für einen zukunftsweisenden Kompromiss“ 615 hin auf dem Weg zu diesem kulturellen Wandel nannte die Autorin die Unterschutzstellung der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV und die Gründung des WIM, das bis heute als LWL-Industriemuseum seinen Hauptsitz in den Gebäuden der Zeche Zollern hat und für dessen Dauerausstellung sie verantwortlich zeichnete. 616 Der im Lesebuch behandelte Zeitraum reichte damit nicht nur bis ins 21. Jahrhundert hinein, sondern warf den Blick auch bis ins 9. Jahrhundert zurück, womit die zeitliche Beschränkung auf das Ruhrgebiet im Industriezeitalter im engeren Sinne fallen gelassen wurde. Das erste Kapitel widmete sich der „Frage, wann sich Formen ausgebildet haben, die noch um 1800 unseren Raum prägen“ 617, und bezog damit die Geschichte der Region vor der eigentlichen Entstehung des Ruhrgebiets ein. Die Formulierung „unser Raum“ unterstrich hierbei noch einmal die Anlage und Zielsetzung der Publikation, die sich mit der Auswahl ihrer Autor*innen und ihrem antizipierten Leser*innenkreis als Wissensproduktion aus und für die Region verstand. 618

613 Vgl. ebd., S. 19. 614 Kift, Dagmar: Ruhrstadt, Kulturhauptstadt. Region und Identität nach 1945, in: dies. (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 2, Essen 2010, S. 1001–1005, S. 1005. 615 Ebd. 616 Dagmar Kift arbeitete von 1987 bis 2019 am LWL-Industriemuseum, wo sie nicht nur zahlreiche Ausstellungen kuratierte, sondern auch maßgeblich an der Forschung und Ausrichtung des Hauses mitwirkte. Bis zu ihrem Tod im Frühjahr 2020 war sie eine der zentralen Akteur*innen im geschichtskulturellen Feld des Ruhrgebiets und vor allem durch ihre Forschungen zur Arbeiterkultur und zu Frauen im Bergbau bekannt. 617 Scheler, Dieter: Von der Alten Welt zum Bergbauland, in: Tenfelde, Klaus / Urban, Thomas (Hg.), Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch. Band 1, Essen 2010, S. 51– 55, S. 51. 618 Vgl. Tenfelde / Urban (2010), S. 19: „Wir wünschen uns beispielsweise, dass das eine oder andere der hier präsentierten Dokumente schon im heimatkundlichen Unter-

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Mit einem ähnlichen Ziel war bereits 1984 ein „Lese- und Bilderbuch“ 619 erschienen, das schon durch seinen Titel keinen Zweifel am explizit politischen Anspruch seiner Herausgeber ließ. In den Worten Rosa Luxemburgs griff der Buchtitel ein Zitat von Karl Marx in einer Abwandlung Ferdinand Lassalles auf: „‚Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst.‘ Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW“ 620. Zu den Herausgebern zählten neben Lutz Niethammer und Ulrich Borsdorf noch der frühere SDS-Funktionär und spätere SPD-Politiker Tilman Fichter sowie der damalige NRW-Landesgeschäftsführer der SPD, Bodo Hombach. 621 Die 36 Autor*innen 622 stammten, lebten oder arbeiteten entweder selbst in Nordrhein-Westfalen oder hatten „sonst ein besonderes Verhältnis zur unverwechselbar coolen Atmosphäre und Vielfalt des Ruhrpotts und überhaupt des größten Bundeslandes“ 623, wie sich Lutz Niethammer in einem Vorwort zu einer gut zwanzig Jahre später erschienenen Neuauflage ausdrückte. In seiner nicht gerade unpathetischen Formulierung scheint der Anlass der Neuauflage der Publikation durch, die 2006 ohne Aktualisierung in beinahe unveränderter Form erschien. Anlässlich des 60. Jubiläums der Gründung des Landes NordrheinWestfalen und mit Blick auf den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt, den Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet 2010 tragen würde, hatten die WAZ-Mediengruppe, der WDR und der Klartext Verlag eine multimediale Mediathek ins Leben gerufen, in der bis Ende des Jahres 2009

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richt der Grundschule nacherzählt wird oder dass eines der nachfolgenden Kapitel als Arbeitsgrundlage in einem gymnasialen Leistungskurs dienen kann.“ Niethammer, Lutz, et al.: Gebrauchsanleitung, in: Niethammer, Lutz, et al. (Hg.), „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW, Berlin / Bonn 1984, S. 10– 11, S. 10. Niethammer, Lutz / Hombach, Bodo / Fichter, Tilman / Borsdorf, Ulrich (Hg.): „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW, Berlin / Bonn 1984. Die Initiative für den Band ging von Hombach aus, der 1983 mit der Anwerbung der Autor*innen begann, vgl. Düding, Dieter: Volkspartei im Landtag. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen als Regierungsfraktion 1966– 1990, Bonn 1998, S. 168. Von den 36 Autor*innen handelte es sich nur in fünf Fällen um Frauen, was Niethammer in seinem Vorwort zur Neuauflage zur Selbstkritik in einer sonst sehr positiven Rückschau auf die Publikation veranlasste: „Im Rückblick bleibt nur der geringe Frauenanteil in unserem Kreis wieder einmal beschämend“, Niethammer, Lutz: Vorwort zur Neuauflage, in: Niethammer, Lutz / Hombach, Bodo / Borsdorf, Ulrich (Hg.), „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in Nordrhein-Westfalen, Essen 2006, S. 6–8, S. 7. Niethammer spricht etwas ungenau von 35 Autor*innen. Ebd., S. 6.

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insgesamt 100 Titel erschienen. 624 In der Mediathek mit dem Titel „Wir in Nordrhein-Westfalen – Unsere gesammelten Werke“ erschienen Bücher, DVDs oder CDs, die in thematischer Verbindung zum Land NRW standen und sowohl fiktionalen als auch dokumentarischen oder wissenschaftlichen Charakter haben konnten. Der gut zwanzig Jahre alte historische Sammelband von Niethammer, Borsdorf, Fichter und Hombach wurde ohne Aktualisierungen aufgenommen 625 und erschien gleich zu Beginn als achte Veröffentlichung der Mediathek. Neben der Tatsache, dass mit Bodo Hombach inzwischen einer der Herausgeber die Geschäftsführung der WAZ-Mediengruppe innehatte und auch für die Übernahme des Klartext Verlags 2007 verantwortlich zeichnete, dürfte dafür auch der zeitgenössisch vergleichsweise große Erfolg der Publikation ausschlaggebend gewesen sein. Schon wenige Jahre nach seinem Erscheinen wurde der historische Sammelband in der dritten Auflage mit dem 46.000. Exemplar gedruckt und stand in zahlreichen Haushalten der Region im Bücherregal. In ihrer als „Gebrauchsanleitung“ bezeichneten Einleitung zur Originalausgabe hatten die Herausgeber deutlich gemacht, dass sich das von SPD und Gewerkschaften geförderte Publikationsprojekt als Aufruf für eine NRW-Geschichte ‚von unten‘ verstand: Dieses Buch will Lust machen, Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen. [. . . ] An vielen Beispielen aus über eineinhalb Jahrhunderten im Rheinland und in Westfalen handelt es immer wieder von den Zusammenhängen von Arbeit, Alltag und den Möglichkeiten und Hemmnissen demokratischer Selbstbestimmung. Und oft wird an einzelnen Beispielen auch gezeigt, wie man die Geschichte des Lebens im eigenen Ort, im Betrieb, von Familien, von Organisationen und politischen Aktionen selbst erforschen, ihre Zeugnisse sammeln, ihre Geschichten aufspüren und durch sie Einsichten auch für heute gewinnen kann. 626

Die Publikation wollte sich nicht nur inhaltlich, sondern auch funktional unterscheiden „von vielen Geschichtsbüchern, die uns weismachen wollen, daß Geschichte nur in fernen Zentren der Macht stattfände und nicht auch hier in diesem Land der Arbeit“. Nicht nur sollte die Geschichte der ‚kleinen Leute‘, also von Arbeiter*innen und Angestellten, in den Mittelpunkt der historischen Forschung rücken, sondern diese sollten vielmehr selbst zu den Autor*innen dieser Forschung werden. 624 Vgl. N. N.: WAZ und WDR präsentieren NRW-Mediathek. Erste Staffel ab September im Buchhandel, in: Buchmarkt. Das Ideenmagazin für den Buchhandel, 9. August 2006; Pressemitteilung des Informationsdiensts Ruhr: Mediathek „Wir in Nordrhein-Westfalen“ schließt mit 100. Band ab, 12. Oktober 2009. 625 Lediglich das Vorwort von Johannes Rau und die Einleitung der Herausgeber fielen weg. 626 Niethammer, et al. (1984), S. 10. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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Diesem Ziel entsprechend schloss der Band mit einem Aufsatz zu „Beispiele[n] und Hinweise[n], wie man am eigenen Ort ‚Geschichte machen‘ kann“ 627 von Ulla Lachauer, damals wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität-Gesamthochschule Essen. Die sechs im Aufsatz erläuterten Beispiele stammten überwiegend aus dem Ruhrgebiet und umfassten Initiativen wie die Mahn- und Gedenkstätte in der Alten Synagoge in Essen oder den Hochlarmarker Geschichtskreis. Die von Lachauer vorgenommene Analyse der Beispiele beinhaltete neben Lob und Anerkennung für die Forschungsergebnisse zur Arbeiterkultur und lokaler NS-Geschichte auch vorsichtig resümierende Thesen zum Charakter der noch jungen Geschichtsbewegung. So hielt sie beispielsweise fest, dass in der „Zusammenarbeit zwischen Intellektuellen und Kulturarbeitern auf der einen und interessierten bzw. betroffenen Bürgern auf der anderen Seite das Übergewicht der Initiative und mit Abstrichen auch der Durchführung derzeit noch bei den professionellen Mitarbeitern zu liegen“ 628 schien. Die nachfolgenden Hinweise zur historischen „Spurensicherung“ 629 lesen sich wie eine Anleitung, deren langfristiges Ziel einerseits darin bestand, dieses Verhältnis umzukehren und andererseits Quellenbestände vor dem Verschwinden zu retten. Die Schließung von Zechen und der fortschreitende Wandel der Beschäftigungs- und damit auch Sozialstrukturen erschienen als drohender „Verlust der Geschichte“, den es durch die Aktivierung lokaler Geschichtsinitiativen zu verhindern gelte. Lachauer beschrieb Schritt für Schritt den möglichen Weg einer lokalen Geschichtsinitiative vom beginnenden Interesse für ein Thema, über die möglichst breite Quellensuche und die Kontextualisierung gefundener Spuren, bis hin zur Entwicklung von Frageperspektiven und dem eigenständigen Führen von Oral-History-Interviews. Ausführlich erläuterte sie anschließend den Weg von einer reinen Dokumentation der gefundenen Quellen hin zu einer Analyse, die auch mit unerwarteten und unerfreulichen Erkenntnissen einhergehen könne und vor allem Abstand von den eigenen epistemischen Vorannahmen erfordere. Die Anleitung schloss mit einer Reflexion zum boomenden Geschichtsinteresse der Zeit, das Lachauer als „Symptom der Krise“ 630 deutete, das von einem „dringenden Orientierungsbedürfnis“ zeuge. Da die Zukunft

627 Lachauer, Ulla: Geschichte wird gemacht. Beispiele und Hinweise, wie man am eigenen Ort „Geschichte machen“ kann, in: dies. (Hg.), „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW, Berlin / Bonn 1984, S. 250–264. 628 Ebd., S. 251 f. 629 Ebd., S. 254. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 630 Ebd., S. 261. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate.

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nicht mehr offen und gestaltbar, sondern „die Welt nach vorne hin vernagelt“ erscheine, sei die Beschäftigung mit Geschichte ein Weg, sich der Gestaltbarkeit von Zukunft bewusst zu werden, selbst wenn sie „ganz affirmativ, ganz ‚konservativ‘“ vollzogen werde. Erstens würden so die Handlungsspielräume auch vermeintlich machtloser historischer Akteur*innen sichtbar gemacht und zweitens beruhe diese Sichtbarmachung auf eigener Forschungsleistung. Diese zweifache Erfahrung von Handlungsmacht wollte Lachauer als gleichermaßen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gerichtete Ermächtigungserfahrung verstanden wissen: „Beides setzt gegen die Erfahrung des Ausgeliefertseins die Erfahrung: Geschichte wird gemacht.“ Zwar finden sich hier deutlich die Zeitdiagnosen der Beschleunigung und des Zukunftsverlusts als Motive für die verstärkte Hinwendung zur Vergangenheit. Jedoch ist zum einen anzumerken, dass es sich wie von der Autorin selbst betont um eine akademische Perspektive auf die Geschichtsbewegung und ihre Motive handelte. Zum anderen diente diese an den Schluss des Aufsatzes und mithin der gesamten Publikation gestellte Auseinandersetzung mit den motivationalen Grundlagen des Geschichtsbooms auch der geschichtstheoretischen Auseinandersetzung mit der Funktion einer für und von der Öffentlichkeit betriebenen Geschichtsarbeit. Lachauer betonte, dass die Funktion weder in der reinen historischen Selbstvergewisserung im Sinne einer Suche nach unveränderlicher Identität noch in der Suche nach simpel auf die Gegenwart zu übertragenden Lehren aus der Geschichte bestehen könne. 631 Die Entdeckung von Spuren der Vergangenheit müsse vielmehr zunächst ihrer Erklärung dienen und könne dann nach auf Gegenwart und Zukunft übertragbaren Erfahrungen hin befragt werden. Aus Sicht der Autorin lagen diese allerdings gerade in der Erkenntnis der Veränderlichkeit von Strukturen und nicht in der Suche nach Konstanten. Die Beschäftigung mit Geschichte könne mithin immer nur Ansporn sein „für mögliche Lösungen, aber nie die Lösung selbst“ 632. Diese geschichtstheoretischen Einlassungen dienten zum einen der diskursiven Positionierung im geschichtskulturellen Feld. Zum anderen waren sie aber auch Teil des Appells an für die Geschichtsarbeit vor Ort zu gewinnenden Bürger*innen, die durch die Publikation angesprochen werden sollten. Dem Ziel, mit der Publikation die in NRW im Entstehen begriffene Geschichtsbewegung zu stärken und vor allem deutlich stärker für nicht professionell ausgebildete Historiker*innen oder Akademiker*innen zu

631 Vgl. ebd., S. 261 f. 632 Ebd., S. 262.

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öffnen, lag auch das Ziel einer linken Traditionsbildung zugrunde. 633 Die Deutungshoheit über Geschichte sollte nicht allein den professionell mit ihr arbeitenden Akademiker*innen überlassen werden. Entscheidender war aber die Warnung davor, die „traditionelle Geschichte der Städte [. . . ] ‚rechts liegen‘ zu lassen“ 634 und Geschichte als Machtressource damit den konservativen politischen Kräften zu überlassen. Der Aufsatz schloss so wieder an die dem Band vorausgestellte „Gebrauchsanleitung“ 635 an. In dieser verorteten die Herausgeber den Zweck der einzelnen Artikel und der abgedruckten Quellen zum einen in der Sensibilisierung für den Quellenwert verschiedenster Überlieferungen. Zum anderen sollte der Aufruf zur Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort aber auch eine „neue Tradition des Volkes“ 636 hervorbringen, „um die großen Ideale der Linken in unseren Alltag zu holen und praktisch werden zu lassen: Freiheit, Solidarität, Selbstgestaltung“. Der abschließende Appell verband diese politische Maxime mit der zeitgenössischen Auseinandersetzung zwischen aufstrebender Alltags- und Mikrogeschichte und der seit den 1970er Jahren dominanten Sozialgeschichte. Mit Blick auf die titelgebenden Worte Rosa Luxemburgs hielten die Herausgeber des Bands fest: Aber sie enthalten eine Grunderkenntnis, auf der auch heute noch unsere historische Selbstvergewisserung bauen kann. Nämlich daß es in die Irre führen

633 Guido Hitze beurteilt die Funktionalisierung der Publikation zur Traditionsbildung scharf als Teil „eines offensichtlichen Versuchs, über ‚Geschichtspolitik von oben‘ manipulativ in das historische Bewußtsein der Bevölkerung einzugreifen, auf diese Weise Herrschaft über allgemein-prägende Geschichtsbilder zu erlangen und diese dann zur Festigung politischer Machtverhältnisse zu instrumentalisieren“, Hitze, Guido: Geburtsstunde einer politischen Identifikationskampagne. „Wir in Nordrhein-Westfalen“ und der Landtagswahlkampf 1985, in: Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 20 (2005) 1, S. 89–123, S. 104. Zwar ist seiner Deutung der gezielten Traditionsbildung zuzustimmen, jedoch führt die auf den Wahlkampf der SPD fokussierte Analyse des CDU-Politikers und heutigen Leiters der NRW-Landeszentrale für politische Bildung zu einer recht einseitigen und in der deutlichen Wertung überzogen erscheinenden Sichtweise auf den historischen Sammelband und nachfolgende geschichtskulturelle Initiativen. So wäre beispielsweise zu fragen, inwiefern die explizit politische Publikation, die weder ihre Finanzierung durch SPD und Gewerkschaften noch die linkspolitische Ausrichtung verschwieg, tatsächlich als „manipulativ“ zu werten ist. Erkenntnisfördernder erscheint vielmehr die Frage, inwiefern die top-down gerichtete „Aktivierung“ zum einen zeitgenössisch kritisch reflektiert wurde und zum anderen nachträglich zu einer bottom-up gerichteten geschichtskulturellen Erzählung der Geschichtsbewegung umgedeutet wurde. In Hitzes zu einseitig parteipolitischer Kontextualisierung des Bands und anderer geschichtskultureller Initiativen wird die nötige Einordnung in übergeordnete diskursive Aushandlungsprozesse um Geschichte als Bedeutung jedoch völlig vernachlässigt. 634 Lachauer (1984), S. 253. 635 Niethammer, et al. (1984). 636 Ebd., S. 10. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat.

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muß, wenn man die ‚große‘ Geschichte, die objektiven Befunde der gesellschaftlichen Veränderungen gegen die Erfahrungen und Bestrebungen der ‚kleinen‘ Leute ausspielt und umgekehrt. Vielmehr müssen beide Elemente immer wieder zusammengebracht werden und das geht nur, wenn die Menschen, die die Geschichte der Zukunft so oder so mitgestalten, sich auch selbst an der Freilegung, der Darstellung und der Diskussion ihrer eigenen Geschichte engagieren. 637

Ziel der Publikation war es also nicht nur, Wissen über die Geschichte Nordrhein-Westfalens und hier vor allem über seine arbeitende Bevölkerung zu produzieren, sondern vielmehr auch Wissen über die Funktion und die Potenziale einer eigenständigen Beschäftigung mit dieser Geschichte zu produzieren und zu verbreiten. Das Wissen um die historische Handlungsmacht von Arbeiter*innen und Angestellten sowie den sie vertretenden Organisationen und Parteien sollte ihre politische Handlungsmacht für Gegenwart und Zukunft stärken. Das von SPD und Gewerkschaften geförderte Publikationsprojekt reihte sich damit auch in die Politik der Landesregierung, die ganz bewusst nach einer in der Arbeiterbewegung verwurzelten Traditionsbildung des Landes strebte, 638 wie das Vorwort Johannes Raus unter dem Titel „Unsere Tradition“ 639 deutlich machte. Hier zeichnete sich die Aktivierung und Einspeisung bürgerschaftlicher Geschichtsinitiativen in die Geschichtspolitik auf Landesebene ab, die später zu einer zentralen Strategie der IBA Emscher Park werden sollte. 640 In seiner Rückschau auf das Publikationsprojekt angesichts der zwanzig Jahre später erschienenen Neuauflage zog Lutz Niethammer eine gemischte Bilanz, was den Erfolg der Aktivierung einer Geschichtsarbeit ‚von unten‘ anging. Zwar wertete er neben dem hohen Absatz auch die Tatsache, dass es sich bei knapp zwei Drittel der 36 Autor*innen entweder um 637 Ebd., S. 11. 638 Zur Geschichtspolitik in Nordrhein-Westfalen vgl. Cornelißen, Christoph: Historische Identitätsbildung im Bindestrichland Nordrhein-Westfalen, Essen 2008; ausführlicher ders.: Der lange Weg zur historischen Identität. Geschichtspolitik in Nordrhein-Westfalen seit 1946, in: Schlemmer, Thomas / Woller, Hans (Hg.), Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973, München 2004, S. 411–484, zu Johannes Rau siehe insbesondere S. 437–439 sowie Ditt, Karl: Die Entwicklung des Raumbewusstseins in Rheinland und Westfalen, im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen während des 19. und 20. Jahrhunderts. Charakteristika und Konkurrenzen, in: Ditt, Karl / Tenfelde, Klaus (Hg.), Das Ruhrgebiet in Rheinland und Westfalen. Koexistenz und Konkurrenz des Raumbewusstseins im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2007, S. 405–473, S. 463–467. 639 Rau, Johannes: Unsere Tradition, in: Niethammer, Lutz, et al. (Hg.), „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW, Berlin / Bonn 1984, S. 8–9, S. 9. 640 Siehe hierzu insbesondere Kapitel 2.1.3 und 2.2.2.

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noch aktive oder bereits emeritierte Professor*innen handelte und auch von den restlichen einige erfolgreich in der freien Wirtschaft, der Schule oder als freie Schriftstellerin tätig waren, als Zeichen für den grundsätzlichen Erfolg der Publikation. 641 Das Ziel einer Demokratisierung der Geschichtsarbeit lasse sich dagegen nur schwer bemessen, wenn es auch eine Vielzahl an Denkmalinitiativen und Geschichtswerkstätten gebe, die besonders im Ruhrgebiet für den Erfolg „bürgerschaftlicher Aktivierung“ 642 sprächen. Die „heroische Phase der Transformation der Ruhrkultur“ sei jedoch mit der IBA Emscher Park zu ihrem Höhepunkt gekommen und inzwischen überschritten, wobei das Ruhrgebiet im Vergleich mit den übrigen, eher nach Normalisierung strebenden altindustriellen europäischen Industrieregionen „etwas Einzigartiges geschaffen“ habe. Trotz oder gerade angesichts der verhaltenen Kritik, dass ein ähnlich starker Impuls für die Auseinandersetzung mit Geschichte aktuell fehle, wertete Niethammer die Geschichtspolitik der ehemaligen SPD-Landesregierung eindeutig positiv und reihte sie in das Erfolgsnarrativ eines durch Kulturpolitik gelingenden Strukturwandels ein. Die Neuauflage des 1984 publizierten Bands wollte Niethammer als „Zeichen fortdauernder Ermutigung zu unser aller Geschichte und Kultur [. . . ] und als Dokument einer angenommenen, aber noch nicht abgearbeiteten Herausforderung“ 643 verstanden wissen. Die Notwendigkeit einer Aktivierung von bottom-up gerichteter Geschichtsarbeit durch Wissenschaft und Politik schien für ihn also weder rückblickend in Frage zu stehen noch gegenwärtig abgeschlossen zu sein. Die Aufnahme des Bands in eine multimediale Mediathek namens „Wir in Nordrhein-Westfalen. Unsere gesammelten Werke“ gut zwanzig Jahre nach Erscheinen der Erstauflage liest sich zum einen als Wertschätzung für einen zeitgenössisch erfolgreichen historischen Sammelband. Sie liest sich zum anderen aber auch als Fortsetzung der schon angesprochenen Traditionsbildung, denn im Titel griff die Publikationsreihe einen Slogan auf, mit dem die SPD-geführte Landesregierung 1984 zunächst eine nach innen gerichtete Imagekampagne zur Stärkung des Landesbewusstseins aufgelegt und dann Landtagswahlkampf geführt hatte. Pünktlich zur Landtagswahl 1985 erschien auch bereits die zweite Auflage des historischen Sammelbands, der im Untertitel die „Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW“ enthielt und der „NRW-Identitätskampagne eine historische Dimension hinzufügte“ 644. Der Slogan „Wir in Nordrhein-Westfalen“, der dank kostenlos an Tankstellen ausliegender Aufkleber an hunderttausen641 642 643 644

Vgl. Niethammer (2006), S. 7. Ebd. Ebenso die unmittelbar folgenden Zitate. Ebd., S. 8. Düding (1998), S. 168.

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den Autos prangte, 645 sollte zum einen das als defizitär empfundene Landesbewusstsein des ‚Bindestrichlands‘ stärken. Zum anderen sollte es das zu schaffende Landesbewusstsein eindeutig an die Regierungspartei SPD koppeln und zur Sicherung ihres Machtanspruchs beitragen, so wie es das Kampagnenvorbild ‚Wir Bayern‘ mit der CSU vorgemacht hatte. 646 Der mit dem Slogan geführte Wahlkampf brachte Johannes Rau 1985 mit 52,1 Prozent das erfolgreichste Ergebnis seiner Zeit als Ministerpräsident ein und blieb bis zum Amtsantritt Wolfgang Clements 1998 in Gebrauch. 647 Schöpfer der „Wir in Nordrhein-Westfalen“-Kampagne war der damalige Leiter der SPD-Landesgeschäftsstelle Bodo Hombach, 648 der 2002 zum Geschäftsführer der ehemals SPD-nahen WAZ-Gruppe wurde und Initiator sowie Mitherausgeber der Erstauflage des nun in der Mediathek neu aufgelegten Sammelbands war. Der durch Raus erfolgreichen Wahlkampf, vor allem aber durch fast 15 Jahre Kampagnenlaufzeit mit Plakaten und Autoaufklebern fest im Gedächtnis vieler Bewohner*innen Nordrhein-Westfalens verankerte Slogan war sowohl Marketing für die zu verkaufende multimediale Mediathek als auch Teil einer von einflussreichen medialen Akteur*innen ausgehenden Traditionsbildung. Auf Seite der Produzent*innen ist diese Traditionsbil645 Vgl. Hitze (2005); S, 107; Stoldt, Till R.: Die große unvollendete Kampagne. Gespräch mit Bodo Hombach, in: Welt am Sonntag, 20. August 2006; Knauß, Ferdinand: Hannelore Kraft hat die Realität ignoriert. NRW-Wahlkampf, in: Wirtschaftswoche, 10. Mai 2017. Nach der erfolgreichen Wiederwahl hatte Johannes Rau den Slogan auch in seiner Regierungserklärung prominent aufgegriffen, woraufhin eine Neuauflage der Autoaufkleber mit folgendem Zitat aus der Regierungserklärung gedruckt wurde: „Wir in Nordrhein-Westfalen wissen: Wir leben in einem schönen und starken Land. Wir sind fast 17 Millionen Menschen. Unsere Herkunft ist unterschiedlich, unsere Zukunft ist gemeinsam. Wir leben gerne hier. Vielfalt ist unsere Stärke. Wir sind stolz auf unsere Heimat“, zitiert nach Hitze (2005), S. 122. 646 Vgl. Stoldt (2006); Hitze (2005), S. 89 f. Hitze schreibt der Verbindung zwischen dem historischen Wahlsieg und der Kampagne auch eine maßgebliche Bedeutung für die Wahrnehmung Nordrhein-Westfalens als ‚Stammland‘ der SPD zu, die vor allem auf die Amtszeit Johannes Raus zurückgeht. 647 Vgl. Hitze, Guido: Von „Wir in NRW“ bis „Nordrhein-Westfalen kommt wieder“. Landesbewusstsein und Landesidentität in den landespolitischen Integrationsstrategien von Regierungen, Parteien und Parlament, in: Brautmeier, Jürgen, et al. (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 89–118, S. 100. Hitze erklärt Clements Abkehr vom Kampagnenslogan überzeugend zum einen damit, dass die Kampagne nach fast 15 Jahren Laufzeit in die Jahre gekommen war, vor allem aber, dass mit Regierungsantritt der rot-grünen Bundesregierung das Abgrenzungsbedürfnis der Landesregierung zur konservativ-liberalen Koalition Helmut Kohls weggefallen war. 648 Vgl. ders. (2005), S. 96. Während Johannes Rau für sich beanspruchte, den Slogan zur Kampagne erfunden zu haben und Hombach dies zeitgenössisch auch in Interviews bestätigte, schreiben spätere, auf Interviews mit ihm basierende Artikel Hombach die alleinige Urheberschaft für Kampagne und Slogan zu; vgl. Stoldt (2006); Brost, Marc / Kemper, Anna: Der Frieden von Telgte, in: Die Zeit, 26. April 2012.

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dung als Machtakkumulation zu verstehen, da sie einerseits erst durch ein spezifisches Netzwerk ermöglicht wurde und dieses Netzwerk andererseits festigte. Die Mediathek „Wir in Nordrhein-Westfalen. Unsere gesammelten Werke“ zielte über die Etablierung eines medialen Kanons auf die Konstruktion einer spezifischen Gemeinschaft. Auf Seite der Rezipient*innen ermöglichte der Kauf oder gar das Abonnement der Publikationsreihe die Aufnahme in diese Gemeinschaft, zu deren Teil sich die Käufer*innen machen konnten, indem sie sich „unsere gesammelten Werke“ ins heimische Bücher-, CD- oder DVD-Regal stellten. Die Aufnahme historischer Werke in die Mediathek lässt sich somit auch als Herstellung von Chronoferenzen verstehen, welche die Relationierungen von Zeiten aus Vergangenheit und Gegenwart „als zwingend erscheinen lassen, weil alle wichtigen Elemente darin ihren vermeintlich angestammten Platz finden“ 649. Die unveränderte Neuauflage von „‚Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst.‘ Einladung zu einer Geschichte des Volkes in Nordrhein-Westfalen“ in der von WAZ, WDR und Klartext Verlag gemeinsam publizierten Mediathek war Teil dieser Traditionsbildung. Zeitlich auf gut halber Strecke zwischen dem Ende der IBA Emscher Park und dem Beginn der Kulturhauptstadt kanonisierte das erneute Publizieren des Bands nicht nur Inhalte von Industrie-, Technik- und Arbeitergeschichte, sondern auch eine spezifische Form der Geschichtsarbeit. Obgleich von Akademiker*innen und überwiegend an Universitäten tätigen Autor*innen verfasst, verstanden Original und Neuauflage sich als „Einladung zu einer Bewegung von Geschichtswerkstätten und -initiativen im Land“ 650, welche die von Landespolitik und einflussreichen geschichtskulturellen Akteur*innen forcierte Geschichtspolitik in der bottom-up gerichteten Geschichtsarbeit verankern sollte. Denn diese Politik kennzeichnete sowohl auf Landesebene als auch im Ruhrgebiet von den 1980er Jahren über die IBA Emscher Park bis zur Kulturhauptstadt der Anspruch, dass die zu schaffende kollektive Identität nicht einfach von oben oktroyiert, sondern von der breiten Bevölkerung akzeptiert und getragen werden sollte. Zentral dafür waren die Geschichtswerkstätten, für die das Publizieren wissenschaftlicher Bände ebenfalls eine wichtige Praxis der Produktion und Distribution der vor Ort betriebenen Forschung war. Von den vielen Geschichtswerkstätten des Ruhrgebiets soll im Folgenden die Geschichtswerkstatt Zollverein als Beispiel dienen, 651 da der Kon-

649 Landwehr (2016), S. 154 f. 650 Niethammer (2006), S. 7. 651 Seit 1996 firmiert die Geschichtswerkstatt Zollverein unter dem Namen ‚Zeche Zollverein e. V. – Verein zur Förderung der Geschichte des Bergwerks‘, vgl. e. V., Zeche Zollverein: Zeche Zollverein e. V., Verein zur Förderung des Bergwerks. Wir über

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text der Entwicklung Zollvereins zum heutigen Weltkulturerbe als Gegenstand dieser Studie bereits ausführlich eingeführt ist. 652 Die Geschichtswerkstatt gründete sich 1990 nur wenige Jahre nach der Stilllegung der Zeche im Dezember 1986. Wie bei anderen Geschichtswerkstätten, die sich explizit der Geschichte des Bergbaus oder einer spezifischen Zeche widmen, zählten sowohl ehemalige Beschäftigte als auch an der Bergbaugeschichte interessierte Laien zu den Mitgliedern. Zu den Tätigkeiten gehörten Führungen über das Gelände, der Aufbau einer Sammlung mit Dokumenten zur Geschichte des Bergwerks und eigenständige Forschungen zu seiner Geschichte, die in Buchform publiziert wurden. 653 Das erste Buch erschien bereits 1996 und war der Versuch, für „eine erste Information über die Geschichte des Bergwerks, die Arbeit des Bergmanns und die Bedeutung der Zeche Zollverein für die Region zur Verfügung“ 654 zu stellen. Nötig wurde dies aus Sicht der Geschichtswerkstatt, da „immer mehr bergbauunkundige Menschen das Ruhrgebiet besuchen und zum Beispiel durch das Industriedenkmal Zollverein Schacht 12 neugierig auf die Bergwerksgeschichte wurden“. Die Publikation „Zeche Zollverein. Einblicke in die Geschichte eines großen Bergwerks“ erschien prominent im Klartext Verlag unter kollektiver Autorschaft der Geschichtswerkstatt. Zwar stellten sich die Autoren bis auf ein Gruppenbild und eine Namensliste der damals ausschließlich männlichen Mitglieder nicht näher vor, jedoch machten sowohl die Einleitung als auch der Einband klar, dass es sich neben einem Historiker zum Großteil um ehemalige Beschäftigte handelte, von denen einige bereits seit Generationen als Bergmänner auf Zollverein tätig gewesen waren. 655 In der Einleitung betonten die Autoren, dass sie mit der Publikation nicht imstande sein würden, die „Geschichte des Bergwerks vollständig zu

652 653 654 655

uns (6. Jul. 2020), URL: https://zollverein-geschichte.de/#geschichtswerk [letzter Zugriff: 25. Aug. 2020]. Siehe dazu insbesondere Kapitel aber 2.2.3, aber auch 3.1 und 3.4. Der Aufbau von Sammlungen als Praxisforum der Wissensproduktion wird später in diesem Kapitel noch weiter ausgeführt. Geschichtswerkstatt Zollverein: Zeche Zollverein. Einblicke in die Geschichte eines großen Bergwerks, Essen 1996, S. 5. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. So ist auf dem Umschlag neben historischen Grubenbildern auch eine Fotografie der Belegschaft um 1905 abgedruckt. Im Einband werden sowohl die historischen Pläne als auch die Fotografie erklärt, wobei nur zwei der auf dem Belegschaftsfoto abgebildeten Männer mit Namen und biographischen Daten vorgestellt wurden – Vater und Sohn. Der Familienname findet sich auch in der Namensliste der Mitglieder der Geschichtswerkstatt, was den Leser*innen gemeinsam mit den Informationen zu Lebensdaten und Arbeitsstationen schnell nahelegt, dass es sich um Männer einer Bergarbeiterfamilie handelte, die mindestens in der dritten Generation mit Zollverein verbunden war; vgl. ebd., Einband. Mit Hans Kania war auch ein professionell ausgebildeter und freiberuflich tätiger Historiker Mitglied der Geschichtswerkstatt.

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beschreiben“ 656. Trotzdem machten sie deutlich, dass sie mit der Publikation eine Expertenrolle einnahmen, indem sie ankündigten, die Arbeit untertage „in eine Sprache zu übersetzen, die auch Nicht-Bergleuten verständlich ist“. Mit der Publikation sollte in erster Linie Fachwissen über die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte Zollvereins und den Steinkohlenabbau untertage vermittelt werden. 657 Die Publikation gab den ehemaligen Bergleuten die Möglichkeit, auch nach Ende ihres Berufslebens nochmal als Experten für ihre Arbeit aufzutreten. Ihr Wissen über die Lagerung, den Abbau und die Verarbeitung von Steinkohle hatte zwar die praktische Relevanz für Zollverein als Zeche verloren und würde diese Relevanz mit dem absehbaren Ende der Kohlesubventionen langfristig auch insgesamt für die deutsche Energieindustrie einbüßen. Die Unterschutzstellung Zollvereins und die zentrale Bedeutung der ehemals produktivsten Zeche Europas für die Transformation des Ruhrgebiets im Rahmen der IBA Emscher Park hatte dem bergmännischen Wissen aber eine neue, veränderte Relevanz zugewiesen. Ihre Arbeit und das Wissen über diese Arbeit war geschichtswürdig geworden und gerade in der Phase, in der Zollverein zwar Denkmal, aber noch kein Museumsstandort war, kam der Vermittlung dieses Wissens besondere Bedeutung zu. Nicht allein die vielfach als herausragend beschriebene Architektur Zollvereins war nun Gegenstand des historischen Interesses, sondern auch die Arbeit, die innerhalb dieser Industriearchitektur geleistet worden war. Den ehemaligen Bergleuten kam damit der Status von Zeitzeugen zu, der dem von ihnen vermittelten Bergbauwissen nicht nur besondere Glaubwürdigkeit, sondern auch Anschaulichkeit vermittelte. 658 Innerhalb des geschichtskulturellen Felds positionierte dieser Zeitzeugenstatus sie auch ohne geschichtswissenschaftli-

656 Ebd., S. 5. Ebenso das unmittelbar das folgende Zitat. 657 Erklärt wurden auch die Bedingungen des Abbaus von der Entstehung der Kohle, über ihre Lagerung bis zu den unterschiedlichen Kohlearten und ihrer Verwendung. Ein besonderer Fokus lag auf der Erläuterung der Abbautechnik und der Entwicklung der einzelnen Schachtanlagen Zollvereins, wohingegen der Kokerei nur ein eher kurzer Abschnitt gewidmet war. Tabellen, Abbildungen und einfache technische Zeichnungen sollten helfen, die komplexen Lagerbedingungen sowie die Abbau- und Verarbeitungstechniken zu erläutern. Auch die Aufbereitung der Kohle in den übertägigen Anlagen der Zeche wurde in Text und Bild verständlich gemacht. Schwierige Themen wie die harten Arbeitsbedingungen untertage, Unfälle und Krankheiten wie Silikose wurden ebenfalls erläutert und mit Zahlen und Statistiken unterfüttert. Eine Chronik sowie ein Glossar boten zudem im Anhang die Möglichkeit, die zeitliche Entwicklung noch mal gesondert nachzuvollziehen und Fachbegriffe nachzuschlagen. 658 Zur Entwicklung der Figur des Zeitzeugen siehe einführend Sabrow, Martin / Frei, Norbert (Hg.): Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012; darin besonders Sabrow, Martin: Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten, in: dies. (Hg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, S. 13–32.

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che Ausbildung als Experten für ein spezifisches historisches Wissen und verlieh ihnen damit eine gewisse Handlungsmacht in der stark umkämpften Gestaltung Zollvereins. So mag es kaum überraschen, dass die Autoren für den Abschnitt zur Schilderung eines Arbeitstags auf Zollverein ausnahmsweise zur Perspektive eines Ich-Erzählers wechselten, dem jedoch kein konkreter Name zugeordnet wurde. 659 So wurde für die Leser*innen nochmals unterstrichen, dass es sich um tatsächlich erlebte Geschichte handelte, ohne die kollektive Autorschaft der Geschichtswerkstatt zu untergraben. Der Abschnitt zur Stilllegung Zollvereins war dagegen kurz und auffällig nüchtern gehalten. Anstatt Abschiedsschmerz dominierte hier eher die Erzählung zur Sozialverträglichkeit der Stilllegung, die aufgrund der sie begleitenden Sozialpläne keinen der verbliebenen 1265 Beschäftigten „ins Bergfreie“, also in die Arbeitslosigkeit fallen ließ. 660 Den Abschluss der Publikation bildeten mehrere kurze Abschnitte zum Essener Stadtteil Katernberg, zu dessen Prägung durch die zu Zollverein gehörenden Bergbausiedlungen sowie zum Verhältnis zu den katholischen und evangelischen Kirchengemeinden. Der Lebensalltag der Bergarbeiterfamilien fand hier seinen kurzen Raum in der ansonsten auf die technische Bergbaugeschichte und die Entwicklung Zollvereins als Zechenstandort fokussierten Publikation. Im Vergleich zur Geschichte der Arbeit auf Zollverein schien die Geschichte des sich um die Zeche herum abspielenden Lebensalltags noch nicht den gleichen Stellenwert zu haben. Erst sechs Jahre später widmete die inzwischen in ‚Zeche Zollverein e. V. – Verein zur Förderung der Geschichte des Bergwerks‘ umbenannte Geschichtswerkstatt auch diesem Thema eine eigene Publikation. 661 Möglicherweise führte neben der bergbautechnischen Expertenrolle der Autoren auch die Unterschutzstellung der Zeche als Baudenkmal mit ihrem Fokus auf Materialität dazu, dass vor allem die Geschichte von Technik und Arbeit unter und über Tage erklärungsbedürftig und damit publikationswürdig erschien. Allerdings war auch der Lebensalltag von Bergarbeiterfamilien ein zentraler Gegenstand in der Arbeit von Geschichtswerkstätten, wie das wohl bekannteste Publikationsbeispiel der Geschichtswerkstättenbewegung im Ruhrgebiet zeigt. Das 1981 erschienene „Hochlarmarker Lesebuch“ 662 trug 659 Vgl. Geschichtswerkstatt Zollverein (1996), S. 29–31. 660 Vgl. ebd., S. 64 f. 661 Zeche Zollverein e. V.: Vom Leben mit der Kohle. Zur Geschichte der Stadtteile Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg, Essen 2002. 662 Stadt Recklinghausen (Hg.): Hochlarmarker Lesebuch. Kohle war nicht alles. 100 Jahre Ruhrgebietsgeschichte. Bergarbeiter und ihre Frauen aus RecklinghausenHochlarmark haben in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Stadtteilkulturreferat ihre Geschichte aufgeschrieben, Oberhausen 1981.

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den Titel „Kohle war nicht alles. 100 Jahre Ruhrgebietsgeschichte“ und dazu den langen Untertitel „Bergarbeiter und ihre Frauen aus Recklinghausen-Hochlarmark haben in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Stadtteilkulturreferat ihre Geschichte aufgeschrieben“. Dieser dreiteilige Titel transportierte den Anspruch der Publikation, die sich als unterhaltsames Lesebuch zur Geschichte des Recklinghausener Bergarbeiterstadtteils Hochlarmark verstand und explizit den Lebensalltag auch jenseits der Arbeit im Bergbau thematisieren wollte. Der lange Untertitel markierte als Autor*innen eindeutig Mitglieder der Bergarbeiterfamilien des Stadtteils, die zur Verschriftlichung ihrer Geschichten zwar die Unterstützung kommunaler Kulturarbeiter*innen hatten, aber selbst zu Erzähler*innen wurden. Zeitlich und räumlich ging der inhaltliche Anspruch trotzdem deutlich über die konkrete Lebenserfahrung der Erzähler*innen hinaus, sollten sich aus der Summe der Geschichten doch „100 Jahre Ruhrgebietsgeschichte“ ergeben. Die Lebensgeschichten wurden entsprechend entpersonalisiert und nur mit Berufsbezeichnung und Geburtsjahrgang versehen. Auf diese Weise ließ sich die subjektive Erfahrungsebene der Geschichten erhalten und gleichzeitig das Potenzial zur Übertragung auf andere Städte und Stadtteile des Ruhrgebiets aufzeigen. 663 Den Leser*innen sollte eine Erkenntnis vermittelt werden, die sich die Autor*innen im Laufe der Arbeit am Lesebuch selbst erst hatten erschließen müssen, dass „unterschiedliche private Erinnerungen auch gemeinsame Lebensumstände wiedergeben, dadurch an Interesse gewinnen und zur Diskussion anregen“ 664. Als Leser*innen sprach der Hochlarmarker Geschichts-Arbeitskreis jedoch zunächst hauptsächlich die Bewohner*innen des Recklinghausener Stadtteils an, wie es dem zeitgenössischen Prinzip sozialdemokratischer, dezentraler Kulturarbeit vor Ort entsprach. 665 Ziel der Publikation sollte die Anregung „zum Gespräch und zur Auseinandersetzung zwischen den Hochlarmarkern über die Entwicklung ihres Stadtteils und seine Zukunft“ 666 sein.

663 Vgl. Caspers, Britta, et al.: Ruhrgebietsliteratur seit 1960. Eine Geschichte nach Knotenpunkten, Berlin 2019, S. 288. 664 Goldmann, Margarethe / Hilgert, Volker / Zimmermann, Michael: Kohle war nicht alles. Projektbericht, in: Stadt Recklinghausen (Hg.), Hochlarmarker Lesebuch. Kohle war nicht alles. 100 Jahre Ruhrgebietsgeschichte. Bergarbeiter und ihre Frauen aus Recklinghausen-Hochlarmark haben in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Stadtteilkulturreferat ihre Geschichte aufgeschrieben, Oberhausen 1981, S. 315–334, S. 318. 665 Zur dezentralen Kulturpolitik siehe auch Kapitel 3.4. 666 Hochlarmarker Geschichtsarbeitskreis: Vorbemerkung, in: Stadt Recklinghausen (Hg.), Hochlarmarker Lesebuch. Kohle war nicht alles. 100 Jahre Ruhrgebietsgeschichte. Bergarbeiter und ihre Frauen aus Recklinghausen-Hochlarmark haben in

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Bis heute gilt das Hochlarmarker Lesebuch in der Forschung häufig als Wegmarke in der Entwicklung der Alltagsgeschichte und darin besonders der Oral History. 667 Aber auch schon zeitgenössisch erregte es überregionale Aufmerksamkeit, da sich an ihm eine Debatte über die Erinnerung an den Ruhrkampf der 1920er Jahre entzündete. 668 Die lediglich dreiseitige Darstellung der Ereignisse im Frühjahr 1920 dominierte die zeitgenössische Debatte um das insgesamt mehr als 300 Seiten lange Lesebuch, da sich an ihr der Streit um die öffentliche Finanzierung des politisch linksgerichteten Geschichtsprojekts katalysierte. 669 In ihrem Aufbau unterschied sich der Abschnitt nicht vom Rest des Lesebuchs, das die Lebensgeschichten der Hochlarmarker*innen chronologisch geordnet in elf Unterkapitel von der Entstehung des Bergarbeiterstadtteils bis zur Gegenwart ordnete. Die Großkapitel waren jeweils nochmal in kürzere Sinnabschnitte unterteilt, in denen die Arbeit unter Tage zwar immer wieder eine Rolle spielte, aber bei weitem nicht im Zentrum stand. Zu den stets durch Anführungszeichen gekennzeichneten Ausschnitten aus lebensgeschichtlichen Erzählungen kamen kontextualisierende Erklärungen, Statistiken und Abbildungen historischer Dokumente und Fotografien hinzu. Ein Verzeichnis am Ende des Bands gab zwar Aufschluss über die Herkunft der Abbildungen, die aber im Text häufig ohne genauere Zeit- oder Ortsangabe blieben. Ihnen kam eher eine illustrative Funktion zu, welche die Anschaulichkeit der Texte erhöhen sollte, aber keinen quellenkritisch präzisen Umgang zu erfordern schien. Seinen Ursprung hatte der Band in einem Kurs an der Volkshochschule Recklinghausen, aus dem 1978 „der ‚Hochlarmarker Geschichts-Arbeitskreis‘, eine Gruppe von sechzehn, zumeist älteren Personen (acht Frauen, acht Männer)“ 670 hervorgegangen war. Der Kurs war als Gesprächskreis gedacht, in dem Einwohner*innen des Bergarbeiterstadtteils von ihrem

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Zusammenarbeit mit dem kommunalen Stadtteilkulturreferat ihre Geschichte aufgeschrieben, Oberhausen 1981, S. 5. Vgl. z. B.: Caspers, et al. (2019), S. 283–325; Herbert (2014), S. 1012; Plato, Alexander von: Oral History als Erfahrungswissenschaft. Zum Stand der „mündlichen Geschichte“ in Deutschland, in: BIOS 4 (1991) 1, S. 97–119, S. 80. Michael Wildt nannte das Hochlarmarker Lesebuch in seinem Nachruf auf Michael Zimmermann ein „Pionierbuch der sogenannten Neuen Geschichtsbewegung“, Wildt, Michael: Nachruf. Michael Zimmermann (1951–2007), in: Werkstatt Geschichte 15 (2006) 4, S. 5. Vgl. Caspers, et al. (2019), S. 285. Zur politisierten Erinnerung an den Ruhrkampf seit 1920 vgl. Seiffert, Joana: Bürgerkrieg im Ruhrgebiet. Erinnerungsort Ruhrkampf, in: Berger, Stefan, et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 822–845. Vgl. Stadt Recklinghausen (1981), S. 76–78. Für eine Zusammenfassung der Debatte vgl. Caspers, et al. (2019), S. 292 f. Caspers, et al. (2019), S. 285.

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Lebens- und Arbeitsalltag erzählen und bestenfalls „für die Jungen in Hochlarmark [. . . ] eine Dokumentation zusammen[zu]stellen, aus selbstverfaßten Texten, Tonbandaufnahmen, Kopien alter Familienfotos, Postkarten von früher und vielem anderen“ 671. Trotz dieser Ankündigung hatten die anfänglich sechs Teilnehmer*innen zunächst einen „Vortrag über die Geschichte Hochlarmarks erwartet“ 672 und es bedurfte einiger Erklärungsarbeit der Kursbegleiter*innen, 673 um die fünf Frauen und einen Mann davon zu überzeugen, ihre eigene Lebensgeschichte als dokumentationswürdig zu begreifen und selbst die Autor*innenschaft einer solchen Dokumentation zu übernehmen. Das 1979 eingerichtete Referat für Stadtteilkulturarbeit förderte den entstandenen Geschichts-Arbeitskreis und auch der KVR und das nordrhein-westfälische Kultusministerium unterstützten das Lesebuch mit Druckkostenzuschüssen. Die größte Hürde auf dem Weg zur Publikation war wie in vielen Oral-History-Projekten, den Teilnehmer*innen einen an Alltagsgeschichte interessierten Geschichtsbegriff zu vermitteln, der ihre eigene Alltagserfahrung zur erzählenswerten Geschichtserfahrung werden ließ. Erst der im Kurs gezeigte Film ‚Die Lebensgeschichte des Bergarbeiters Alfons S.‘, der auf einem 22-stündigen Interview mit einem Bergmann aus CastropRauxel basierte und 1980 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, 674 konnte den Teilnehmer*innen vermitteln, welche geschichtsträchtigen Erfahrungen sie selbst gemacht hatten und davon überzeugen, diese zu erzählen. 675 Der später auf 16 Teilnehmer*innen erweiterte Kreis reichte in der Altersspanne von 44 bis 78 Jahren und rekrutierte sich aus Bergarbeiterfamilien des Recklinghausener Stadtteils, 676 die ihre Alltagserfahrun-

671 So die Ankündigung des Kurses im Volkshochschulverzeichnis und auf Flyern, abgedruckt in Goldmann / Hilgert / Zimmermann (1981), S. 317. 672 Ebd. 673 Es handelte sich um den Historiker Michael Zimmermann, den Künstler und Graphiker Volker Hilgert und die Referentin für Stadtteilkulturarbeit in Recklinghausen Margarethe Goldmann. Zur Entstehungsgeschichte des Lesebuchs vgl. auch Jelich, Franz-Josef: „,Alltag’ und ‚Region‘ . . . Geeignete Zugänge für eine andersartige Geschichtsanalyse“, in: Brautmeier, Jürgen, et al. (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 315–324, S. 317–319. 674 Vgl. Caspers, et al. (2019), S. 286. 675 Vgl. Goldmann / Hilgert / Zimmermann (1981), S. 318; Jelich (2010),S. 317. 676 Vgl. Goldmann / Hilgert / Zimmermann (1981), S. 317: „Die Männer haben bis auf eine Ausnahme allesamt auf der Zeche gearbeitet, meist unter Tage. [. . . ] Die ‚Ausnahme‘ ist Beamter bei der Stadtverwaltung gewesen. Er hat als Bergarbeiterkind mit besonderer Begabtenförderung das Abitur und eine Lehre im öffentlichen Dienst machen können. [. . . ] Die Frauen sind allesamt Hausfrauen, einige kommen mit ihren Ehemännern in unseren Kreis, andere sind verwitwet. [. . . ] Die meisten sind Ende 50. Ihre Kinder und Enkel sind in aller Regel nicht mehr im Bergbau beschäftigt. Alle Kursteilnehmer sind den alten Kolonien, vor allem den Dreieckssiedlungen,

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gen sowie die Auswirkungen politischer Ereignisse und wirtschaftlicher Entwicklungen auf ihr Leben erzählten. Daneben sammelten sie auch Fotografien und Dokumente zur Geschichte des Stadtteils, die zunächst an einem Dia-Abend und dann in einer Ausstellung gezeigt wurden. 677 Diese und andere Veranstaltungen machten die Aktivitäten des Arbeitskreises im Stadtteil und darüber hinaus bekannt und bereiteten damit auch den Boden für den erfolgreichen Absatz des Lesebuchs, dessen erste Auflage schon nach anderthalb Monaten vergriffen war. 678 Das Hochlarmarker Lesebuch enthielt nicht nur die Ergebnisse des im Arbeitskreis angestoßenen Erzähl- und Sammlungsprozesses, aus dem sich eine Geschichte der Arbeit und des Alltags im Bergarbeiterstadtteil ergab, sondern auch einen Projektbericht, der diese Hürden und den Weg zu ihrer Überwindung darlegte. In diesem Bericht fassten die Kursbegleiter*innen ihre Erfahrungen mit dem Projekt zusammen und hofften, damit eine Diskussion über die Arbeit des Hochlarmarker Geschichtsarbeitskreises unter denjenigen anzuregen, „die die Aufarbeitung lokaler und regionaler Geschichte in den Schulunterricht, die gewerkschaftliche Bildungsarbeit, in Erwachsenenbildung und Kulturarbeit einbeziehen wollen“ 679. Auch wenn sie betonten, dem Anspruch der Teilnehmer*innen an eine Leitung des Kurses aufgrund fehlender pädagogischer Kompetenzen nicht immer genügt zu haben, machten die Autor*innen deutlich, dass es sich anfangs um ein asymmetrisches Gruppenverhältnis gehandelt hatte, das erst „im Laufe der Projektarbeit [. . . ] gleichberechtigter“ 680 geworden sei. Zudem sollten alle Arbeitsergebnisse für die Bewohner*innen des Stadtteils leicht zugänglich sein, aber auch „keinen völlig laienhaften Darstellungscharakter“ 681 haben, wie das aus einem Historiker, einem Graphiker und einer städtischen Referentin für Stadtteilkulturarbeit bestehende Team betonte. Der Bericht legte den Weg vom Volkshochschulkurs, über den daraus entstandenen wöchentlichen Gesprächs- und Arbeitskreis, bis zum Aufbau der Ausstellung in gemeinschaftlicher und ehrenamtlicher Arbeit dar.

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verbunden. Viele leben heute noch dort, die meisten sind dort aufgewachsen. Ein großer Teil der Mitarbeiter unseres Kreises war oder ist in Vereinen, Parteien und Gewerkschaften engagiert.“ Vgl. ebd., S. 318–320. Das Konzept für die Ausstellung wurde von den Kursbegleiter*innen erarbeitet und anschließend mit den Teilnehmer*innen des Arbeitskreises diskutiert. Vgl. Caspers, et al. (2019), S. 290 f. Goldmann / Hilgert / Zimmermann (1981), S. 316. Ebd., S. 330. Ebd., S. 331.

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Der Fokus der Darstellung lag dabei weniger auf den Inhalten der Ausstellung, sondern stärker auf ihrem kollaborativen Entstehungsprozess, der durch das Publikum erfahrenen Wertschätzung und vor allem der Aktivierung der nach eigenen Angaben gut 10.000 Besucher*innen zur Diskussion. Wichtiger noch als die historischen Inhalte der zwei Wochen lang im Hochlarmarker Bürgerhaus gezeigten Ausstellung war den Autor*innen offensichtlich ihre Funktion für den Stadtteil. Die drei Kursbegleiter*innen schilderten ausführlich die anderthalbjährigen Vorbereitungen zur „Herausgabe des Buchs als einer wesentlich erweiterten Fassung der Ausstellung“ 682. Das Lesebuch baute auf der Sammlung von Fotos und Dokumenten, auf Tonband aufgenommenen Gesprächen der Arbeitsgruppe und Interviews sowie nach einem Leitfaden verfassten Erinnerungsberichten der Teilnehmer*innen auf. Selbstkritisch betonten die Kursbegleiter*innen, dass „leider [. . . ] erst gegen Ende des Projekts intensiv über die Gewichtung von Frauen- und Männergeschichten im Lesebuch gesprochen“ 683 worden war, diese Diskussionen die schleichende Marginalisierung weiblicher Perspektiven im Gruppenprozess aber nicht mehr aufheben konnten. Das durch das Lesebuch produzierte und verbreitete Wissen ging deutlich über die Erzählung der Stadtteilgeschichte hinaus. Von besonderer Bedeutung war dafür das Medium des Lesebuchs: Früher war das Lesebuch oft das einzige Buch, das Arbeiterkindern ein Bild davon vermittelte, wie das Leben außerhalb ihrer Erfahrungswelt ausgesehen haben mag. Dieses Lesebuch hingegen gestattet umgekehrt einen Einblick in das Leben eines Bergarbeiterorts. Und diesmal haben Bergleute und Bergarbeiterfrauen selbst die Geschichten für das Lesebuch erzählt und aufgeschrieben. Das Hochlarmarker Lesebuch setzt sich weithin aus persönlichen Erinnerungsberichten zusammen. Es ist kein Geschichtsbuch, sondern ein Buch mit Geschichten zur Geschichte. 684

Im Zentrum stand ein spezifisches Verständnis von Geschichte, ihrer Funktion für die Gesellschaft und auch der Form ihrer Erarbeitung, die im gemeinschaftlichen Anlegen einer Sammlung von Dokumenten und Lebensgeschichten bestehen sollte. Der Praxis des Anlegens einer Sammlung ging für die erzählten Lebensgeschichten aber zumeist die Praxis der Führung eines lebensgeschichtlichen Interviews voraus, der die Autor*innen des Projektberichts aufgrund der hohen Bedeutung für das Lesebuch eine besonders ausführliche Beschreibung widmeten. Mit dem Fazit „Vor einer naiven Betrachtung der mündlichen Geschichtsschreibung sei also 682 Ebd., S. 323. 683 Ebd. 684 Ebd., S. 332.

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gewarnt“ 685 betonten die Autor*innen zwar den Konstruktionscharakter der auf Interviews beruhenden Lesebuchtexte, die kein Abbild der historischen Wirklichkeit seien. Allerdings war dieser beinahe ganz am Ende der Publikation stehende methodische Vorbehalt weniger eine Warnung an alle Leser*innen des Lesebuchs, sondern vielmehr ein Beitrag zu einer zeitgenössischen Debatte der Geschichtswissenschaft. Die Reflexionen zur Rolle von Interviewer*innen und Interviewten sowie der technischen Bedingungen von Aufnahme und Transkription sollten Potenziale und Grenzen der lebensgeschichtlichen Interviews als Quellen deutlich machen, die zu Beginn der 1980er Jahre noch keine etablierte Quelle der Geschichtswissenschaft waren. Wichtigster Katalysator für die Entwicklung der mit solchen Interviews arbeitenden Oral History als geschichtswissenschaftliche Methode im deutschsprachigen Raum war ein von Lutz Niethammer geleitetes Forschungsprojekt zur Geschichte des Ruhrgebiets. Führen eines lebensgeschichtlichen Interviews

Hatte die Oral History in den USA schon in den 1960er Jahren einen großen Aufschwung erlebt, erhielt sie in Europa erst in den 1970er Jahren beginnend mit England größere Aufmerksamkeit. In den USA wendeten sich Vertreter*innen der noch jungen Disziplin zunächst marginalisierten Gruppen wie Afroamerikaner*innen und Frauen zu. In England und Frankreich, wo sich die Disziplin unter dem Namen Histoire Orale gegen Ende der 1970er Jahre etablierte, dominierten vor allem eine politisch links gerichtete Geschichte der Arbeiter*innen und Arbeiter*innenbewegung. 686 In Italien und Deutschland fokussierte sich die in den 1970er Jahren entstehende Oral-History-Forschung auf die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Faschismus und des Nationalsozialismus. In Deutschland kam hierbei dem unter der Abkürzung LUSIR bekannt gewordenen Projekt „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960“ eine Katalysatorfunktion zu. Mit einer Finanzierung der Volkswagenstiftung und des Landes Nordrhein-Westfalen wurde es unter der Leitung Lutz Niethammers zunächst von 1980–83 an der Universität-Gesamthochschule Essen und von 1984–1985 an der Fernuniversität Hagen durchgeführt. 687

685 Ebd., S. 328. 686 Vgl. Obertreis, Julia: Oral History. Geschichte und Konzeptionen, in: Obertreis, Julia (Hg.), Oral History, Stuttgart 2012, S. 7–28, S. 8 f. 687 Vgl. Niethammer, Lutz: Fragen, Antworten, Fragen. Methodische Erfahrungen und Erwägungen zur Oral History, in: Niethammer, Lutz / Plato, Alexander von (Hg.), „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in

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Das Projekt entstand also fast parallel zur Arbeit am Hochlarmarker Lesebuch und bildete somit das universitäre Pendent zur kollaborativen Arbeit von Laien und Akademiker*innen. Zwar führte das Projektteam um Niethammer, dem mit Michael Zimmermann auch der Historiker aus dem Team der Hochlarmarker Kursbegleiter*innen angehörte, methodisch und thematisch durchaus vergleichbare Interviews und erzeugte damit selbst die Quellen, die es anschließend untersuchte. Die Interviews gingen aber anders als im Hochlarmarker Projekt danach nicht wieder zurück an die Interviewten, um sie dann gemeinsam mit den Interviewer*innen zu analysieren und zum Objekt einer gemeinsamen, aber eigensinnigen Aneignung zu machen. Die Arbeit im LUSIR-Projekt war vor allem auf die Produktion historischer Erkenntnis ausgerichtet und sollte nicht als auf die „jeweilige Gruppe bezogene Beihilfe einer kommunikativen Geschichtswissenschaft“ fungieren, denn diese könne „am Ende nur das publizieren, was aus diesem kritischen Aneignungsprozeß hervorgeht“ 688. Diese unterschiedliche Ausrichtung bedeutete aber keineswegs eine Ablehnung des Hochlarmarker Projekts, das Niethammer als vorbildhaft für die Arbeit einer auf die Aktivierung der Interviewten abzielenden Oral History bezeichnete. 689 Das LUSIR-Projekt zielte zwar nicht primär auf eine direkte Aktivierung der interviewten Personen, verfolgte aber gleichwohl durchaus auch ein politisches Ziel, indem es gesellschaftlichen Gruppen eine Stimme geben wollte, die in der klassischen, eher bürgerlich geprägten Historiographie tendenziell unsichtbar blieben. 690 Wie beim Hochlarmarker Lesebuch und den schon 1968 erschienenen „Bottroper Protokollen“ 691 der Schriftstellerin und Filmemacherin Erika Runge war das zentrale Anliegen hinter den Interviews ein Perspektivwechsel, der Arbeiter*innen, Angestellte und ihre Familien von Objekten zu Subjekten der Geschichte machen sollte. 692 Unter dem Schlagwort einer ‚demokratischen Geschichtswissen-

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nachfaschistischen Ländern, Berlin / Bonn 1985, S. 392–445, S. 394. Zum Team der Projektmitarbeiter*innen gehörten: Anne-Katrin Einfeld, Ulrich Herbert, Nori Möding, Bernd Parisius, Alexander von Plato, Margot Schmidt, Michael Zimmermann. Neben Niethammer war zunächst noch Detlev Peukert Leiter des Projekts gewesen, stieg aber kurz nach Projektstart aus. Ders.: Einleitung des Herausgebers, in: ders. (Hg.), „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll“. Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin / Bonn 2 1986b, S. 7–29, S. 22. Vgl. ebd., S. 29. Vgl. ders. (1985), S. 400, 419. Runge, Erika: Bottroper Protokolle, Frankfurt am Main 1968. Runge veröffentlichte die Interviews nicht nur in Buchform, sondern produzierte auch ein Radiofeature. Zu Runges Bottroper Protokollen vgl. Caspers, et al. (2019), S. 87–133. Vgl. Caspers, et al. (2019), S. 298.

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schaft‘ wollte das LUSIR-Team nicht einfach das Subjekt als epistemischen Gegenstand zurück in die durch die Sozialgeschichte auf Strukturen fokussierte Geschichtsschreibung holen. Entscheidend war aus ihrer Sicht, „zeitspezifische Erfahrungsbestandteile im Längsschnitt miteinander zu verknüpfen und die Subjektivität derer in den kollektiven Erfahrungsschatz einzubringen, die sonst historisch meist gar nicht oder nur durch den Filter ihrer Gegner zu Wort kommen“ 693. Da sich dies nur durch Interviews erreichen ließe, bediente sich das LUSIR-Team der im deutschsprachigen Raum noch nicht etablierten Methode der Oral History und entwarf „das Erinnerungsinterview als Forschungsinstrument“ für die deutschsprachige Zeitgeschichte. Über Aufrufe in der Lokalpresse gewann das Team erste Gesprächspartner*innen, die ihrerseits Bekannte für das Forschungsprojekt interessierten. Die Interviews mit den so rekrutierten Personen führten Projektmitarbeiter*innen und Studierende in der Regel bei den Befragten zuhause und zeichneten die Gespräche auf Tonbandkassetten auf. Die bei mehreren Besuchen entstandenen Gespräche dauerten zwischen zwei und 22 Stunden, der Durchschnitt lag bei drei bis sechs Stunden. 694 Die Gesprächspartner*innen wurden vorab über den Zweck der Gespräche aufgeklärt und erklärten ihre Einwilligung zur anonymisierten Verwendung von Gesprächszitaten. Zum Einstieg wurden sie mit einer offenen Frage zunächst gebeten, ihre Lebensgeschichte frei zu erzählen, wobei die Interviewer*innen in diese erste Gesprächsphase möglichst gar nicht eingreifen sollten. Erst im Anschluss an diese Erzählung stellten sie Rückfragen zu wichtigen Punkten. Das aufgezeichnete Gespräch wurde anschließend anhand eines Themenkatalogs auf Leerstellen in der Erzählung geprüft und anhand vorbereiteter Fragen bei weiteren Besuchen vervollständigt, sodass es hinreichend vergleichbare Elemente enthielt. 695 Die Aufzeichnungen wurden mehrfach und teilweise von verschiedenen Mitarbeiter*innen angehört und interpretiert, bei Bedarf auch in der ganzen Projektgruppe gemeinsam diskutiert. 696 Personelle Stammdaten, ein Bericht des Interviewers und Transkriptionen zentraler Passagen wurden in einem Dokument zusammengefasst und bildeten die Quellengrundlage für die Aufsätze der drei aus dem Projekt hervorgegangen Sammelbände. Die Forscher*innen waren sich darüber im Klaren, dass sie über die Interviews keinen direkten, spiegelbildartigen Zugang zu den Ereignissen 693 Niethammer (1986b), S. 17. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 694 Vgl. ebd., S. 18. 695 Vgl. dazu auch Leh, Almut: Vierzig Jahre Oral History in Deutschland. Beitrag zu einer Gegenwartsdiagnose von Zeitzeugenarchiven am Beispiel des Archivs „Deutsches Gedächtnis“, in: Westfälische Forschungen 65 (2015), S. 255–268, S. 258. 696 Vgl. Niethammer (1986b), S. 19.

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der Vergangenheit, sondern lediglich zu den Erinnerungen an diese Ereignisse und ihrer Wahrnehmung erhielten, die „durch zwischenzeitlich erworbene Deutungsmuster oder kommunikationsgerechte Ausformung neu zusammengesetzt und sprachlich aufbereitet werden“ 697. Zentral war daher der Begriff der Erfahrung, der bereits eine Deutungsleistung implizierte und im Mittelpunkt der methodischen Reflexionen zur Oral History stand. 698 Der Begriff stand auch im Mittelpunkt der drei Bände, in denen die Ergebnisse des LUSIR-Projekts publiziert wurden und die sich je aus einem Interviewzitat als Titel und einer thematischen und zeitlichen Einordnung im Untertitel zusammensetzten. 699 In wissensgeschichtlicher Perspektive hat Franka Maubach auf die komplexe Verschränkung von Zeitebenen in titelgebenden Zitaten wie „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll“ 700 und „Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist“ 701 aufmerksam gemacht. Mit diesen Zitaten wiesen bereits die Titel der Publikationen darauf hin, dass „in der mündlichen (Erinnerungs-)Rede verschiedene Zeitebenen unauflöslich ineinander geschoben und nicht so säuberlich voneinander getrennt sind wie in dem Zeitlauf chronologisch folgenden Memoiren“ 702. Die 697 Ebd. 698 Vgl. ders.: Einführung, in: ders. (Hg.), Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt am Main 1980, S. 7–26; ders. (1986b); ders. (1985); Plato (1991); Plato, Alexander von: Oral History, in: Jordan, Stefan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2007, S. 231–234. Die von Lutz Niethammer und Alexander von Plato aus dem LUSIR-Projekt synthetisierten methodischen Reflexionen sind für die deutschsprachige Oral History bis heute richtungsweisend. So kritisiert Ulrike Jureit in einem Rückblick auf das LUSIR-Projekt als zeithistorischem Klassiker zwar die Arbeit der Projektmitarbeiter*innen als methodisch unzureichend, gab aber ebenfalls an, dass deren methodische Aufsätze trotz einer interdisziplinären Weiterentwicklung der deutschen OralHistory-Forschung noch immer vielfach zu Rate gezogen würden, vgl. Jureit, Ulrike: Die Entdeckung des Zeitzeugen. Faschismus- und Nachkriegserfahrung im Ruhrgebiet, in: Danyel, Jürgen / Kirsch, Jan-Holger / Sabrow, Martin (Hg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen 2007, S. 174–177, S. 177. Auch Julia Obertreis betont in der Einleitung zu ihrem Oral-History-Reader die Bedeutung von Niethammers „methodische[n] Überlegungen [. . . ], die zu einem großen Teil heute noch aktuell sind“, Obertreis (2012), S. 11. 699 Vgl. Niethammer, Lutz (Hg.): „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll“. Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin / Bonn 21986a; Niethammer, Lutz (Hg.): „Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist“. Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin / Bonn 1983; Niethammer, Lutz / Plato, Alexander von (Hg.): „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern, Berlin / Bonn 1985. 700 Niethammer (1986a). 701 Niethammer (1983). 702 Maubach, Franka: „Mehr Geschichte wagen“! LUSIR und die ganze Geschichte der Arbeiter im Ruhrgebiet vor, während und nach dem Nationalsozialismus, in: Sprache und Literatur 47 (2018) 1, S. 29–57, S. 32.

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Überprüfung des Erzählten war für das LUSIR-Team daher eine besondere methodische Herausforderung. Sie erfolgte einerseits durch zusätzliche quellenbasierte Studien des historischen Kontexts und andererseits über einen möglichst breit angelegten Vergleich der in anderen Quellen kaum oder gar nicht abgebildeten Alltagserfahrungen. Von diesem Vorgehen versprachen Niethammer und seine Mitarbeiter*innen sich Antworten auf die zentralen Leitfragen des LUSIR-Projekts. Die Frage nach den Alltagserfahrungen von Angestellten, Arbeiter*innen und ihren Familien sollte das politische Handeln und Denken eines Milieus erklären, das in der Weimarer Republik noch eher KPD oder Zentrum als SPD gewählt hatte. Die „Sozialdemokratisierung des Reviers“ 703 seit Mitte der 1960er Jahre war allein durch Methoden der quantifizierenden Sozialgeschichte nicht zu erklären, ebenso wenig wie die Auswirkungen der „Kontinuität des Volkes als zweifellos auffälligsten Kontinuitätsfaktor“ zwischen der NS-Diktatur und der zeitgenössischen Bundesrepublik. Dabei erzielten die Forscher*innen für sie durchaus desillusionierende Erkenntnisse, ließen sich doch die Erwartungen an eine überdurchschnittliche, starke Widerstandshaltung gegen den Faschismus auf Basis der gut 200 Interviews mit Arbeiter*innen, Angestellten und ihren Familien aus dem Ruhrgebiet nicht aufrechterhalten. 704 Während sich aus Akten konfliktreiche Widerstandsgeschichten kommunistischer und sozialdemokratischer Aktivist*innen erzählen ließen, gaben die lebensgeschichtlichen Interviews den Blick auf einen häufig unpolitischen Alltag frei, in dem sich viele mit dem NS-Regime arrangiert, im Betrieb auch mit Kolleg*innen des politischen Gegners weiterhin kollegial zusammengearbeitet oder sich gar in politisch völlig konträren Organisationen engagiert hatten. 705 Die Bearbeiter*innen des LUSIR-Projekts beschrieben diese oftmals emotional aufwühlende Dekonstruktion des von sozialhistorischen Annahmen und vor allem auch eigenen politischen Idealen vorgeprägten Bilds ihrer Gesprächspartner*innen als „Enttypisierungsschock“ 706. In ihm schlug sich das Vetorecht der von Interviewer*innen und Interviewten gemeinsam erzeugten Quellen nieder. Die von prominenten Vertreter*innen der Sozialgeschichte beschworene Gefahr der Romantisierung der Arbeiter*innengeschichte schien sich somit gerade nicht zu bewahr-

703 Niethammer (1986b), S. 7. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 704 Vgl. Maubach (2018), S. 35 f.; Obertreis (2012), S. 16. 705 Vgl. Plato, Alexander von: „Ich bin mit allen gut ausgekommen“. Oder: war die Ruhrarbeiterschaft vor 1933 in politische Lager gespalten?, in: Niethammer, Lutz (Hg.), „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll“. Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin / Bonn 21986, S. 31–65. 706 Niethammer (1986b), S. 11; ders. (1985), S. 410.

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heiten. 707 Der Umstand, dass nicht nur in Geschichtswerkstätten, sondern auch in einem groß angelegten und breit rezipierten Forschungsprojekt der universitär verankerten Zeitgeschichte die Erinnerung sogenannter ‚kleiner Leute‘ zur Quelle geworden war, bewirkte vielmehr langfristig die Etablierung der Oral History und mit ihr einer der Zeitgeschichte eigenen Quellengattung. Trotz der kritischen Distanz, die das LUSIR-Team inklusive dem für das Hochlarmarker Lesebuch bekannt gewordenen Michael Zimmermann „zu einer ‚naiven Geschichte von unten‘“ 708 einnahmen, bedeutete dies auch die Aufwertung der Interviewpraxis von Geschichtswerkstätten und des Quellenwerts von Erinnerungen innerhalb des geschichtskulturellen Felds. 709 Die für wissenschaftliche Verhältnisse mit harten Bandagen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Sozial- und Alltagsgeschichte wurde zugunsten Letzterer gestärkt, was auch eine Aufwertung der Position von Geschichtswerkstätten in der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung mit sich brachte. Außerdem trugen die zunehmende mediale Präsenz von Zeitzeug*innen 710 und die Etablierung der Oral History als geschichtswissenschaftlicher Disziplin trotz ihrer Unterschiedlichkeit dazu bei, dass dem historischen Aussagewert von Erinnerungen an die eigene Lebensgeschichte eine zunehmend breite Akzeptanz zukam. Die Praxis der Interviewführung führte nicht nur im Fall des LUSIR-Projekts zum Aufbau einer Sammlung, aus der spezielle, Oral History basierte Archive wie das Archiv ‚Deutsches Gedächtnis‘ hervorgingen. 711 Es entstand mithin nicht lediglich eine neue Quellengattung als Grundlage der Produktion historischen Wissens, sondern auch eine neue Sammlungs- und Archivierungspraxis von Zeugnissen der Vergangenheit, die in klassischen Archiven nicht gespeichert worden wären. 707 Als Zusammenfassung der Debatte vgl. Lindenberger, Thomas: „Alltagsgeschichte“. Oder: Als um die zünftigen Grenzen der Geschichtswissenschaft noch gestritten wurde, in: Sabrow, Martin / Jessen, Ralph / Große Kracht, Klaus (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003, S. 74–91. 708 Plato, Alexander von: Ambivalenter Etablierungsprozess. Michael Zimmermann und die lebensgeschichtlichen Tücken einer „Geschichte von unten“, in: Werkstatt Geschichte 17 (2008) 3, S. 69–72, S. 70. 709 Vgl. Jureit (2007), S. 75. 710 Zur Mediengeschichte der Zeitzeug*innenschaft vgl. Keilbach, Judith: Mikrofon, Videotape, Datenbank. Überlegungen zu einer Mediengeschichte der Zeitzeugen, in: Sabrow, Martin / Frei, Norbert (Hg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, S. 281–299; Sabrow (2012). 711 Das 1993 gegründete Archiv ist an der Fernuniversität Hagen angesiedelt und enthält gut 3000 Interviews aus mehr als 100 Projekten. Darunter sind nicht nur ursprünglich an der Fernuniversität Hagen angesiedelte Projekte wie z. B. das LUSIRProjekt, sondern auch Sammlungen externer Projekte wie z. B. der Hochlarmarker Projektgruppe oder aus Qualifikationsschriften; vgl. Leh (2015), S. 257, 260 f.

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Anlegen einer Sammlung oder eines Archivs

Diese Funktion als alternativer Speicher zeichnet auch das Archiv für den Klang des Ruhrgebiets aus, das der Musiker und Radiomacher Richard Ortmann seit den frühen 1980er Jahren gemeinsam mit der Historikerin Uta C. Schmidt und dem Fotografen Ralf R. Wassermann aufgebaut hat. 712 Ausgangspunkt war eine Erfahrung, die Ortmann machen musste, als er Anfang der 1980er Jahre die Arbeitsgeräusche einer kleinen Fabrik aufgrund einer beschädigten Aufnahme neu aufzeichnen wollte. Obwohl seit der ursprünglichen Aufnahme nur wenig Zeit vergangen war, konnte er sie nicht wiederholen, denn die Fabrik wurde schon abgerissen. 713 Während der Abriss von Fabrik- und Zechenanlagen in den 1980er Jahren bereits als Frage des Denkmalschutzes diskutiert und normiert wurde, 714 wurde das Verschwinden ihrer Arbeitsgeräusche zumeist vor allem als Befreiung von Industrielärm gewertet. Durch die spezifische Siedlungsstruktur des Ruhrgebiets, in der sich Siedlungskerne und ganze Stadtteile häufig um Zechenoder Industriebetriebe herum gebildet hatten, prägte die Geräuschkulisse der Montanindustrie über viele Jahrzehnte nicht nur den Arbeitsalltag der Beschäftigten, sondern auch den Lebensalltag der sie umgebenden Siedlungen. Nicht nur der dröhnende Lärm der Stahlwerke, sondern auch das Verladen von Kohle und das Rattern der mit dem Rohstoff beladenen Güterzüge waren in den Siedlungen zu hören. Dagegen kamen die Geräusche der untertätigen Arbeit aufgrund der Unzugänglichkeit von noch in Betrieb befindlichen Zechen nur Bergleuten oder akkreditierten Besucher*innen zu Ohren. 715 Mit ihren Signalen zum Schichtwechsel orchestrierten Zechen und Fabriken aber dennoch den durch Schichtarbeit geprägten Lebensalltag in den sie umgebenden Siedlungen. 716 Die zunehmende Stilllegung von Zechen und Stahlwerken veränderte die ursprüng712 Siehe zum Aufbau des Archiv auch bereits Wagner, Helen: „Mit jeder Sprengung verabschiedet sich ein Klangraum der montanindustriellen Welt“. Ein Archiv für den Klang des Ruhrgebiets, in: Boer, Jan-Hendryk de (Hg.), Praxisformen. Zur Erforschung kultureller Logiken menschlichen Handelns, Frankfurt am Main 2019, S. 118– 125; dies. (2017). Mit Daniel Morat wird „Klang“ in der vorliegenden Untersuchung im weiten Sinne des englischen Begriffs ‚Sound‘ verwendet, also als produziertes und wahrgenommenes, weder positiv noch negativ konnotiertes Geräusch; vgl. Morat, Daniel: Der Klang der Zeitgeschichte. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen 8 (2011) 2, S. 172–177, S. 173 f. 713 Vgl. Schmidt, Uta C.: Industriegeschichte hören. Ein Schallarchiv zur Klanglandschaft des Ruhrgebiets, in: Zeithistorische Forschungen 8 (2011) 2, S. 305–315, S. 307; Wagner (2017), S. 76. 714 Siehe dazu Kapitel 3.2. 715 Vgl. Wagner (2019), S. 119. 716 Vgl. dies. (2017), S. 76; dies. (2019), S. 119. Zur Bedeutung von Zechensignalen für die sie umgebenden Siedlungen und die Beschäftigten vgl. insbesondere Schmidt,

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lich durch die Montanindustrie geprägte Klanglandschaft des Ruhrgebiets daher grundlegend und unabhängig davon, ob die stillgelegten Anlagen abgerissen oder unter Denkmalschutz gestellt wurden. 717 Ortmann, Schmidt und Wassermann stuften diese auditive Veränderung ihrer Umgebung schon zu Beginn der 1980er Jahre als kulturell bedeutsam ein und beschlossen daher, die Klänge der verschwindenden Montanindustrie zu sammeln und den Wandel der regionalen Klanglandschaft so zu dokumentieren. 718 Durch seine Arbeit als Musiker und Radiomacher war Ortmann für die auditive Dimension des Strukturwandels besonders sensibilisiert, ebenso wie Schmidt und Wassermann, die Ortmanns besondere Affinität für das Radio teilten. 719 Verhältnismäßig früh rezipierten sie außerdem die Arbeiten des kanadischen Klangforschers R. Murray Schafer. Mit durchaus kulturpessimistischem Unterton erforschte dieser die Veränderungen moderner Klanglandschaften und hatte Ende der 1960er Jahre mit dem „World Soundscape Project“ zum Sammeln im Verschwinden begriffener Klanglandschaften aufgerufen. Schafer wollte damit eine gezielte Orchestrierung der Welt ermöglichen, die er als musikalische Komposition verstand und vom Lärm der Moderne befreien

Uta C.: „Der Bergmann war immer von Signalen umgeben!“. Das akustische Denkmal von Dortmund Eving, in: Technikgeschichte 72 (2005) 2, S. 127–149. 717 Der Begriff „Klanglandschaft“ bezeichnet hier im Sinne des englischen Begriffs „Soundscape“ mit Emily Thompson in Anlehnung an Alain Corbin sowohl die auditive Landschaft als auch die Art ihrer sinnlichen Wahrnehmung und interpretativen Deutung, wobei Wahrnehmung nicht als rein physische, sondern auch als kulturelle und historische, wandelbare Praxis zu verstehen ist; vgl. Thompson, Emily Ann: The Soundscape of Modernity. Architectural Acoustics and the Culture of Listening in America, 1900–1933, Cambridge, Mass. 2002, S. 1; Smith, Mark Michael: Sensing the Past. Seeing, Hearing, Smelling, Tasting, and Touching in History, Berkeley 2007, S. 3. Zur Begriffsgeschichte von „Soundscape“ vgl. Sterne, Jonathan: Soundscape, Landscape, Escape, in: Bijsterveld, Karin (Hg.), Soundscapes of the Urban Past. Staged Sound as Mediated Cultural Heritage, Bielefeld 2013, S. 181–194. 718 Ortmann war hauptsächlich für die Aufnahmen zuständig, die er auch für seine Arbeit als Musiker nutzt. Wassermann, der inzwischen als Medientechniker an der Universität Duisburg-Essen arbeitet, unterstützte ihn bei den Aufnahmen. Als Historikerin war Schmidt vor allem für die wissenschaftliche Reflexion der Sammlungstätigkeit verantwortlich; vgl. dazu Wagner (2017), S. 77. 719 Besonders einflussreich waren die Arbeiten des Hörspielstudios des WDR, der inspiriert durch die Arbeiten des kanadischen Klangforschers Raymond Murray Schafer zu Beginn der 1980er Jahre in der Reihe „Metropolis“ Soundscape-Kompositionen ausgestrahlt hatte. Mit „Einmal Herne und zurück. Die Klanglandschaft des Ruhrgebiets“ produzierten Ortmann und Wassermann 1995 gemeinsam mit einem Dortmunder Pianisten eine eigene Soundscape-Arbeit für den WDR; vgl. Schmidt, Uta C.: Klanglandschaft Ruhrgebiet. Das Schall-Archiv von Richard Ortmann, o. J., URL: http://www.richard-ortmann.de/geraeuschearchiv/text_utac_schmidt.html [letzter Zugriff: 23. Mai 2018].

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wollte. 720 Schafers Prognose, dass „ein sorgfältig geführtes Archiv von verschwindenden Lauten [. . . ] eines Tages von großem Wert sein“ 721 würde, bezogen die drei aus Herne stammenden Akteur*innen auf ihre im Wandel befindliche Herkunftsregion. Von bevorstehenden Stilllegungen erfuhren sie aus den Medien und nach einer Weile auch durch Hinweise von Beschäftigten oder Bekannten. Sie zeichneten Arbeits- und Signalgeräusche auf, worauf die Beschäftigten anfangs häufig mit Unverständnis, aber auch mit Freude über das Interesse und die damit verbundene Anerkennung ihrer Arbeit reagierten. Außerdem führten sie Interviews mit Beschäftigten, in denen sie nach Lärmbelastung, der Bedeutung von Signalen oder der akustischen Fehlerdiagnostik von Maschinen fragten. Auch Sprengungen von stillgelegten Industrieanlagen zeichneten Ortmann und seine Mitstreiter*innen auf. 722 Bei der Sammelpraxis handelte es sich allerdings zu Beginn noch keineswegs um den systematischen Aufbau eines konzeptionell strukturierten Archivs, sondern vielmehr um eine Ausdehnung der privaten und beruflichen Hör- und Aufnahmepraktiken. Ortmann hatte bereits Erfahrung im Aufnehmen von Klängen und Interviews sowie in der Komposition von Musik und Hörspielen. Zunächst nur auf Grundlage der Beobachtung „es geht weg oder es geht nicht weg“ 723, entschied er, welche industriellen Geräusche aufgezeichnet und für die Zukunft bewahrt werden sollten. Das Sammeln der im Verschwinden begriffenen Geräusche wollten die Klangsammler*innen aber nicht als kulturellen Kompensationsakt oder Ausdruck von Nostalgie verstanden wissen. 724 Es handelt sich vielmehr um eine erst im Nachhinein konzeptualisierte Tätigkeit, die auf eine Sensibilisierung der auditiven Dimension des Strukturwandels und eine aktive, zukunftsgerichtete Modellierung von Klanglandschaften im Sinne

720 Vgl. Schafer, R. Murray: The Soundscape, in: Sterne, Jonathan (Hg.), The Sound Studies Reader, London 2012, S. 95–103, S. 95–97; Breitsameter, Sabine: Hörgestalt und Denkfigur. Zur Geschichte und Perspektive von R. Murray Schafers Die Ordnung der Klänge, in: dies. (Hg.), Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens, Mainz 2010, S. 7–28, S. 7–9. 721 Schafer, R. Murray: Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens, Frankfurt am Main 1988, S. 254. 722 Zur Bedeutung industriellen Lärms für Fabrikarbeiter*innen vgl. Bijsterveld, Karin: Listening to Machines. Industrial Noise, Hearing Loss and the Cultural Meaning of Sound, in: Interdisciplinary Science Reviews 31 (2006) 4, S. 323–337. 723 Interview der Verfasserin mit Richard Ortmann und Uta C. Schmidt am 28. 05. 2015; vgl. Wagner (2019). 724 Schmidt weist diese Funktion explizit zurück und betont die Funktion einer aktiven Aneignung des regionalen Wandels und der „der Hörschärfung, der Bewusstmachung bestehender Klangverhältnisse angesichts eher abstrakter sozio-ökonomischer Transformationsprozesse.“ Schmidt (2011), S. 311, 314.

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Schafers abzielte. 725 War anfänglich allein die bedrohte Existenz von Geräuschen ausschlaggebend, ergab sich im Laufe der Jahre eine Sammlung, die Ortmann nun absichtsvoll vervollständigte, um ein möglichst breites Spektrum von Geräuschen der montanindustriellen Arbeitswelt und der mit ihr verbundenen Wohn- und Freizeitkultur für die Zukunft hörbar zu machen. Für die schrittweise Konzeptualisierung und Systematisierung der Sammlungstätigkeit war besonders der Einfluss Schmidts als professioneller Historikerin ausschlaggebend. 726 Um die akustische Dimension des Strukturwandels umfassend zu dokumentieren, fanden nun auch gezielt Klänge von „Zukunftstechnologien, Logistikstandorten und Kulturindustrien bis hin zum Klang der renaturierten Industrielandschaft“ 727 ihren Weg in die Sammlung. Der Klang von Zukunftsentwürfen in Form von strukturpolitisch geförderten neuen Branchen oder Umnutzungen erschien ebenso sammlungswürdig wie der Klang der im Vergehen begriffenen industriellen Vergangenheit. Die in einem Dokument grob verschlagwortete Sammlung dokumentiert den Strukturwandel als akustische Normalisierung, welche die Klanglandschaft des Ruhrgebiets an andere urbane Räume angleicht. 728 Als Folge der Entwicklung der Tonaufnahme- und Speicherungstechnik hätte die Sammlung mit mehr als 350 Stunden Aufnahmematerial inzwischen potenziell auf einer einzigen Festplatte Platz. Neben Kopien bewahrt Ortmann aber auch noch die ursprünglichen Speichermedien und Abspielgräte seiner Sammlung auf, die er zunächst analog mit Tonbandgeräten der Marken Nagra und Stellavox begonnen hatte, bevor er digitale Magnettonbandtechnik nutzte. Da die Speichermedien mit der Zeit immer schwieriger zu beziehen waren, wechselte Ortmann zu einem digitalen Aufnahmegerät mit Speicherkarte und digitalisierte auch alle analog erstellten Aufnahmen. 729 Sie finden sich jedoch nicht in frei zugänglichen digitalen Klangarchiven, 730 da die Sammlung für Ortmanns Arbeit als Radiomacher und Musiker über die Jahre zu einer wichtigen Ressource geworden war. Neben dieser ökonomischen Erwägung war ein Hauptgrund gegen die Entscheidung, die Sammlung in einem wie auch immer gearteten Open-Access-Projekt zur Verfügung zu stellen, der Wunsch, eine Zweck725 726 727 728 729 730

Vgl. Wagner (2017), S. 80. Vgl. dies. (2019), S. 122. Schmidt (o. J.). Vgl. Wagner (2019), S. 122. Vgl. ebd. Ein Beispiel für eine solche Sammlung wäre beispielsweise das Projekt „Conserve the Sound“, ein „Online-Archiv für verschwindende Geräusche“, N. N.: Conserve the Sound. Projekt, 10. 09. 2020, URL: https://www.conservethesound.de/projekt-2 [letzter Zugriff: 10. Sep. 2020].

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entfremdung oder gar politische Instrumentalisierung der gesammelten Klänge zu vermeiden. 731 Trotzdem sollte die Sammlung aber dem Anspruch eines Archivs für den Klang des Ruhrgebiets gerecht werden, also dauerhaft und sicher aufbewahrt werden, zugänglich und wissenschaftlich erschließbar sein. War für die Entstehung der Sammlung noch vor allem das personale Handeln der drei Akteur*innen entscheidend gewesen, musste sie zur dauerhaften Bewahrung und wissenschaftlichen Erschließung zumindest teilweise von diesem personalen Handeln entkoppelt werden. 732 Daher schloss Ortmann gut 20 Jahre nach Beginn seiner Sammlungstätigkeit einen Kooperationsvertrag mit dem damals noch im Aufbau befindlichen Ruhr Museum. Anfangs hatte Ortmanns Sammlung kaum Aufmerksamkeit von Seiten der geschichtskulturellen Institutionen der Region gefunden. Erst mit der zunehmenden Funktionalisierung von Geschichte als politischer und ökonomischer Ressource im Zuge der IBA Emscher Park zog die Sammlung von verschwindenden Geräuschen der Ruhrgebietsindustrie breiteres Interesse auf sich. 733 Nicht mehr nur die durch ihre Mediensozialisation und die Rezeption der Arbeiten Schafers vorgeprägten Akteur*innen, sondern auch immer mehr Museen werteten die auditive Transformation des Ruhrgebiets nun als kulturell bedeutsam und begannen, Klänge aus Ortmanns Sammlung für ihre Arbeit zu nutzen. Sowohl für Ausstellungen als auch für Radio- und Fernsehproduktionen stellte seine Sammlung oftmals die einzige Möglichkeit dar, die Geräusche ausrangierter Maschinen und Produktionsstätten der Montanindustrie zu reproduzieren. Damit ließ sich ein wichtiges Anliegen hinter dem Aufbau des Klangarchivs umsetzen, das darin bestand, „zukünftig Aneignungen der regionalen Vergangenheit für die jeweilige Gegenwart gleichberechtigt auch über die Einbeziehung des Akustischen zu initiieren“ 734. Ortmann und Schmidt verfolgten also auch das Ziel, die Dominanz visueller Medien in der geschichtskulturellen Repräsentation der Ruhrgebietsgeschichte zu brechen, wofür die Aufnahme des Klangarchivs in die Sammlung des entstehenden Ruhr Museums ein wichtiger Schritt war. 735 Das Ruhr Museum wiederum nutzte in seiner Aufbauphase die Möglichkeit zur Kooperation 731 Vgl. Interview der Verfasserin mit Richard Ortmann und Uta C. Schmidt am 28. 05. 2015. 732 Vgl. Wagner (2019), S. 123. 733 Vgl. dies. (2017), S. 80. 734 Schmidt (2011), S. 305. 735 Diese Absicht erklärt sich nicht nur aus der spezifischen geschichtskulturellen Landschaft des Ruhrgebiets, sondern auch aus der in den Sound Studies wirkmächtigen ‚Great Divide Theory‘, die von einer Dominanz des visuellen über das auditive Weltverständnis in der Moderne ausgeht; vgl. Wagner (2019), S. 124; Howes, David:

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mit Ortmann, um seine umfassende Sammlung um einen akustischen Bestand zu ergänzen. Seit 2004 befindet sich das Klangarchiv Ortmanns daher als Kopie in der Sammlung des Museums. Damit ergänzte das Museum insbesondere seine umfassende fotografische Sammlung, die seit vielen Jahren einen Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit bildete. 736 Das Archiv für den Klang des Ruhrgebiets ist damit ein Beispiel für die Verschränkung von bottom-up und top-down betriebener Sammlungsund Archivierungspraxis innerhalb des geschichtskulturellen Felds im Ruhrgebiet. Für diese Verschränkung ließen sich noch eine Reihe weiterer Beispiele anführen, wie etwa ein in der Bezirksbibliothek Rheinhausen angesiedeltes Archiv zum Krupp-Stahlwerk, das ehemalige Beschäftigte und interessierte Laien aus privaten Dokumenten aufgebaut haben. 737 Auch hier ist die Sammlungstätigkeit nicht als kultureller Kompensationsakt einer Verlusterfahrung zu verstehen, sondern als Dokumentation eines letztendlich zwar verlorenen Arbeitskampfs, der die Handlungsmacht von tendenziell eher marginalisierten historischen Akteur*innen archiviert und zukünftig Interessierten zugänglich macht. Auch für die kooperative Produktion eines spezifischen, in der universitär gestützten Historiographie eher wenig fokussierten Wissens zur Geschichte des Ruhrgebiets ließen sich noch weitere Beispiele untersuchen, wie etwa das Projekt ‚frauen / ruhr / geschichte‘, das genderspezifisches Wissen zum Ruhrgebiet unter anderem in Form von biographischen Porträts bereitstellt. Es basiert auf der Arbeit eines seit Ende der 1980er Jahren gewachsenen „Netzwerk[s] der ruhrgebietsspezifischen Geschichtskultur in Archiven, Museen, Heimatvereinen, Geschichtswerkstätten, Bildungseinrichtungen, von geschichtsinteressierten Einzelpersonen und berufsmäßig mit (Frauen- und Geschlechter-)Geschichte Befassten“ 738. Das im Rahmen von Ruhr 2010 geförderte Projekt ist damit auch ein langfristiges Ergebnis der zweiten Welle der Frauenbewegung, für die frauengeschichtliche Arbeit immer auch mit den politischen Zielen der Umverteilung von Macht und Gestaltung einer

Sensorial Anthropology, in: Howes, David (Hg.), The Varieties of Sensory Experience. A Sourcebook in the Anthropology of the Sense, Toronto u. a. 1991, S. 167–191, S. 173. 736 Zur fotografischen Sammlung des Ruhr Museums vgl. Schneider, Sigrid (Hg.): Von A bis Z. Fotografie im Ruhr Museum. Katalog zur Ausstellung Von A bis Z. Fotografie im Ruhr Museum, Teil 1: 24. Oktober 2011–2. September 2012, Teil 2: 1. Oktober 2012– 14. April 2013, Köln 2012. 737 Die Sammlung begann zehn Jahre nach der Werksschließung mit der Übergabe gesammelter Dokumente eines verstorbenen ehemaligen Beschäftigten an die Bezirksbibliothek und wird inzwischen teilweise digitalisiert, vgl. Korte, Carl: Das KruppArchiv wächst, in: WAZ, 24. Januar 2013; Sadowski, Stephan: 1000 Stunden Rheinhausener Arbeitskampf sind jetzt digital, in: WAZ, 11. Mai 2019. 738 Schmidt, Uta C.: frauen / ruhr / geschichte. Mitarbeit, URL: https://www.frauenruhrgeschichte.de/information/mitarbeit/ [letzter Zugriff: 11. Sep. 2020].

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geschlechtergerechten Zukunft verbunden war. Diese und andere Beispiele können an dieser Stelle nun nicht mehr ausgeführt werden, weshalb die Untersuchungsergebnisse dieses Unterkapitels nun kurz zusammengefasst werden. Zwischenfazit

Die Beispiele zur Praxis der Veröffentlichung eines (populär-)wissenschaftlichen Texts haben gezeigt, dass die Produktion und Distribution geschichtstheoretischen Wissens der Aushandlung konkurrierender Positionen im geschichtskulturellen Diskurs dienten. Über die Rückbindung an den aktuellen Forschungsstand machen Institutionen wie etwa Museen einerseits Wissensbestände für ihre Arbeit nutzbar und präsentieren sich andererseits als geschichtstheoretisch reflektierte Akteur*innen. Dies dient auch der Sicherung des eigenen Geltungs- und Machtanspruchs innerhalb des geschichtskulturellen Felds sowie der Präsentation als die Zukunft der Region mitgestaltender Akteur*innen, wie am Beispiel einer Publikation aus der Entstehungsphase des Ruhr Museums gezeigt wurde. An der Analyse der Synthesen zur Ruhrgebietsgeschichte ist deutlich geworden, dass die Publikationen einerseits Wissen über die Ruhrgebietsgeschichte gebündelt zugänglich machen und darüber andererseits zur Identitätsbildung der Region beitragen sollten. Ob über die Bereitstellung historischer Informationen als Basis strukturpolitischen Handlungswissens oder über die Bereitstellung von Quellen zur eigenständigen Aneignung von Geschichte – die Synthesen produzierten mit Autor*innen aus der Region Wissen über die Region, das dieses nicht nur verfügbar, sondern auch für die Bewältigung des Strukturwandels nutzbar machen sollte. Historische Publikationen waren aber auch Teil einer landesweiten Geschichtspolitik, die auf eine linke Traditionsbildung und Aktivierung bottom-up gerichteter Geschichtsarbeit abzielten, wie das Beispiel eines von SPD und Gewerkschaften geförderten Bands gezeigt hat. Anhand der Neuauflage dieses Bands wurde beleuchtet, inwiefern diese Traditionsbildung zwanzig Jahre später zwar immer noch als Teil einer Traditionsbildung und Machtakkumulation gesehen werden muss. Diese war nun aber nicht mehr dezidiert linksgerichtet, sondern zielte noch stärker auf die Konstruktion einer regionalen Gemeinschaft, die über Konsum zum Gegenstand individueller Aneignung werden konnte. Als Teil einer spezifischen historischen Meistererzählung kanonisierte sie nicht nur ein bestimmtes Wissen, sondern auch ein Verständnis einer Geschichte von unten, das Arbeiter*innen und Angestellte nicht nur zum Gegenstand, sondern auch zu Produzent*innen von Geschichte erklärte. Als solche sind sie in zwei anderen Untersuchungsbeispielen sichtbar geworden, die unter kollekti-

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ver Autor*innenschaft das in Geschichtswerkstätten und Arbeitskreisen hervorgebrachte Wissen publizierten. Die subjektive Arbeits- und Lebenserfahrung einzelner entwickelte sich zur historisch relevanten Quelle, die unter Mitwirkung professionell ausgebildeter Historiker*innen ausgewertet und mittels Publikationen zugänglich gemacht wurde. Stand hierbei wie im Falle des Hochlarmarker Lesebuchs auch die Aktivierung und Ermächtigung der sich selbst als historische Subjekte begreifenden Autor*innen im Fokus, war dies in der universitären Praxis der Führung lebensgeschichtlicher Interviews eher sekundär. Zwar gab es auch im LUSIRProjekt den politischen Anspruch, marginalisierte Gruppen von Objekten zu Subjekten der Geschichtsschreibung zu machen, allerdings ohne auf konkrete Veränderungen in der unmittelbaren gegenwärtigen Lebenswelt der Interviewten hinzuwirken. Das Beispiel zur Praxis des Anlegens einer Sammlung oder eines Archivs hat anhand eines Geräuscharchivs nachgezeichnet, dass die klangliche Veränderung des Ruhrgebiets zunächst nur von einer spezifischen Akteur*innengruppe als kulturell bedeutsamer Prozess begriffen wurde. Die soziale Prägung, Mediensozialisation und ein spezifisches Vorwissen brachten die Akteur*innen dazu, ein Archiv anzulegen, indem sie zunächst einfach bereits eingeübte Aufnahmepraktiken auf die verschwindenden Geräusche der Industrie ausdehnten und diese Sammlungstätigkeit im Nachhinein systematisierten. Die mit dem Ruhr Museum eingegangene Kooperation sollte die Sammlung nicht nur vom personalen Handeln der Akteur*innen entkoppeln und so die dauerhafte Bewahrung für die Zukunft garantieren. Sie sollte auch auf die historische Bedeutungsproduktion im von visuellen Medien dominierten Feld der Geschichtskultur einwirken. Die Beispiele haben verdeutlicht, dass die Produktion und Distribution eines spezifischen historischen Wissens immer Mittel der Zukunftsproduktion sind. Diese Funktion von Geschichte ist dem Ruhrgebiet nicht eigen, aber hat hier durch die Etablierung von Geschichtskultur als Feld von Zukunftshandeln zum Management des strukturellen Wandels eine sehr spezifische Ausprägung angenommen. Paradigmatisch sei dafür abschließend auf den Titel einer 2007 erschienenen und an ein breites Publikum gerichteten Überblicksgeschichte zur Region verwiesen, der einem Postulat gleichkommt: „Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr“ 739.

739 Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor / Nellen, Dieter (Hg.): Zukunft war immer. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, Essen 2007. Die Aufsatzsammlung ging aus dem Geschichtsfestival Historama Ruhr im Jahr 2000 hervor und wurde mit Blick auf das Kulturhauptstadtjahr 2010 als Synthese zur Ruhrgebietsgeschichte vom Land NRW und vom RVR gefördert und vom damaligen RVR-Referatsleiter Dieter Nellen sowie von Heinrich Theodor Grütter und Ulrich Borsdorf herausgegeben.

4. Schlussbetrachtung

Im Jahr 2020 feierte der Regionalverband Ruhr sein 100-jähriges Bestehen. Zwar haben die unvorhergesehenen Entwicklungen dieses von der Coronapandemie bestimmten Jahres die ursprünglichen Planungen für die Feierlichkeiten teilweise durchkreuzt. Aber dennoch hat die von Achim Landwehr beschriebene „Magie der Null“ 1, die in der auf Jubiläen fixierten Geschichtskultur besonders von „‚100 Jahre Wasauchimmer‘“ 2 auszugehen scheint, auch in diesem Fall erwartbare Folgen gezeitigt. So musste zwar unter anderem der große Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorerst abgesagt werden, aber „zwei Ausstellungen dokumentieren [. . . ] die untrennbare Beziehung zwischen Region und Regionalverband Ruhr“ 3 und eine Publikation resümierte die hundertjährige Verbandsgeschichte. 4 Das Jubiläum bot die Chance zur Steuerung von Aufmerksamkeitsökonomien, 5 auch wenn sich etwa mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrags oder dem vom Kapp-Putsch ausgelösten Ruhrkampf überregional wie regional deutlich bekanntere Ereignisse zum hundertsten Mal jährten. Eine Rückschau auf die hundertjährige Vergangenheit erhöht aber nicht nur die Chance auf ein Stück vom „Aufmerksamkeitskuchen“ 6, sondern birgt auch das Potenzial zur Legitimation der Institution für Gegenwart und Zukunft. 7 Dies zeigt sich am Beispiel des RVR-Jubiläums besonders deutlich. So hat der Verband den Slogan „Stadt der Städte“ im RVR-Logo vorübergehend durch „100 Jahre Zukunft“ ersetzt

1 Landwehr, Achim: Magie der Null. Zum Jubiläumsfetisch, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 70 (2020) 33–34, S. 4–9. 2 Ebd., S. 8. 3 Regionalverband Ruhr: Vom SVR zum RVR. 100 Jahre Regionalverband Ruhr, 21. 02. 2020, URL: https://www.rvr.ruhr/service/presse/pressemitteilung-detailseite/ ?tx_news_pi1%5Bnews%5D=4612&cHash=d2d5a2dbbabb443eae1b1f657e4361b2 [letzter Zugriff: 24. Sep. 2020]. 4 Vgl. Geiß-Netthöfel, Karola / Nellen, Dieter / Sonne, Wolfgang (Hg.): Vom Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr. SVR, KVR, RVR 1920–2020, Berlin 2020. 5 Vgl. Landwehr (2020); Sabrow, Martin: Zeitgeschichte als Jubiläumsreigen, in: Merkur 69 (2015) 789, S. 43–54; Demantowsky, Marko: From Anniversary to Anniversaryitis. Vom Jubiläum zur Jubiläumitis, in: Public History Weekly 2 (2014) 11. 6 Demantowsky (2014). 7 Vgl. Sabrow (2015), S. 48.

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Schlussbetrachtung

und bewarb seine Jubiläumspublikation als „Programm- und Zukunftsbuch“ 8. Auch die Ausstellungen ließen keinen Zweifel an der Funktion des Jubiläums, dem immer auch „eine Zukunftshoffnung inne“ 9 wohnt, wie Martin Sabrow betont hat. So zeigte das LVR-Industriemuseum unter dem Titel „Die Zukunft im Blick. Ruhrgebietsfotografien aus dem Bildarchiv des Regionalverbands Ruhr“ 10 die Geschichte der planerischen Verbandstätigkeit in Bildern. Das Ruhr Museum stellte seine Sonderausstellung zum RVR-Jubiläum unter den Titel „100 Jahre Ruhrgebiet. Die andere Metropole“ 11. Eröffnet wurde sie am 13. September 2020, dem Tag der landesweiten Kommunalwahlen, in deren Rahmen die als ‚Ruhrparlament‘ firmierende Verbandsversammlung von den Bewohner*innen des Ruhrgebiets erstmals direkt gewählt werden konnte. Die Eröffnung der Jubiläumsausstellung auf den Tag dieser politischen Neuerung zu legen, verknüpfte den Zuwachs an demokratischer Legitimation der Verbandsversammlung in Gegenwart und Zukunft mit der musealen Darstellung seiner Vergangenheit. Die sieben Abteilungen der Jubiläumsausstellung sollten aber nicht allein die Geschichte der planerischen Gestaltung des Ruhrgebiets zeigen, sondern vielmehr die Entstehung seiner Identität. 12 Die Ausstellung liest sich somit als Beleg für die These Achim Landwehrs, „wie falsch der Gedanke ist, historische Jubiläen hätten etwas mit historischer Rückvergewisserung oder gar geschichtlicher Bewusstseinsbildung zu tun. [. . . ] Es geht vielmehr [. . . ] wesentlich um gegenwartszentrierte Identitätsproduktion.“ 13 Die Botschaft ist eindeutig: Eine Region, die auf eine hundertjährige Geschichte als räumliche Einheit zurückschauen kann und mit diesem Jubiläum „die Grenzen üblicher Zeitzeugenschaft über-

8 Regionalverband Ruhr: 100 Jahre Regionalverband Ruhr. Programm- und Zukunftsbuch zum Jubiläum blickt auf bewegte Geschichte und nächste Dekade, 04. 05. 2020, URL: https://www.rvr.ruhr/service/presse/pressemitteilung-detailseite/?tx_news_ pi1%5Bnews%5D=5582&cHash=57c163fc8844b1be54a7f7fe22d8177d [letzter Zugriff: 24. Sep. 2020]. 9 Sabrow (2015), S. 46. 10 Vgl. Klein-Wiele, Holger / LWL-Industriemuseum (Hg.): Die Zukunft im Blick. Ruhrgebietsfotografien aus dem Bildarchiv des Regionalverbands Ruhr, Münster 2020. 11 Vgl. Grütter, Heinrich Theodor / Kerner, Frank (Hg.): 100 Jahre Ruhrgebiet. Die andere Metropole, Essen 2020. 12 Vgl. Roelcke, Eckhard: Von Kohle und Maloche zu Kunst und Kultur. Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet“ in Essen. Heinrich Theodor Grütter im Gespräch mit Eckhard Roelcke, in: Deutschlandfunk Kultur, 13. September 2020. Auf die Beobachtung des Moderators „Das Stichwort ‚Identität‘ schwebt ja gewissermaßen über der Ausstellung“ antwortete Heinrich Theodor Grütter, der die Ausstellung kuratiert hat, „Ja, genau darum geht’s. Es geht um die wachsende Ruhrgebietsidentität.“. 13 Landwehr (2020), S. 7.

Schlussbetrachtung

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schreitet“ 14, wird auch zukünftig existieren – zusammengehalten durch die gemeinsame Geschichte. Mit seiner Ausrichtung auf Zukunfts- und Identitätsproduktion illustriert das RVR-Jubiläum die in dieser Studie nachgezeichnete Entwicklung des geschichtskulturellen Felds im Ruhrgebiet und die Aussagekraft des Untersuchungsbeispiels zur Erforschung von Geschichtskultur gleichermaßen. Zu belegen war die im ersten Kapitel aufgestellte These, dass Geschichtskultur im Ruhrgebiet als Feld von Zukunftshandeln zum Management strukturellen Wandels etabliert wurde. Der tiefgreifende ökonomische und soziale Wandel, der durch die Krise der Montanindustrie in Gang gesetzt worden war, bedrohte die Zukunft der Region als solche. Die Hinwendung zur industriellen Vergangenheit stellte aber keineswegs eine kulturelle Kompensation dieses Wandels dar, wie in der Forschung zur geschichtskulturellen Landschaft der Region angenommen wird. 15 Zeitwahrnehmungen wie die auf Hermann Lübbe zurückgehende These eines durch eine Beschleunigungserfahrung ausgelösten Kompensationsbedürfnisses oder des Verlusts einer offenen und gestaltbaren Zukunft sind vielmehr als diskursive Topoi in der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung sichtbar geworden. So habe ich über die Historisierung konkurrierender geschichtstheoretischer Konzepte, wie des von Lübbe diagnostizierten Kompensationsbedürfnisses oder des von Rüsen angenommenen historischen Orientierungsbedürfnisses, ihre Entwicklung von Argumenten für die Relevanz einer in die Krise geratenen Geschichtswissenschaft zu Erklärungen des seit den 1970er Jahren zu beobachtenden Geschichtsbooms am Beispiel des Ruhrgebiets nachgezeichnet. 16 Gemeinsam ist den nicht nur geschichtstheoretisch, sondern auch politisch konkurrierenden Konzepten, dass sie die Erfahrung zeitlichen Wandels als Kontingenzerfahrung verstehen, die es durch die historisch basierte Konstruktion von Identität zu bewältigen gilt. Um die Funktionalisierung solcher Erklärungsmuster als Legitimations- und Argumentationsstrategien analysieren zu können, habe ich ein Verständnis von Geschichtskultur als sozialem Feld im Sinne Bourdieus zugrunde gelegt. In diesem Feld konkurrieren Akteur*innen über die diskursive Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen um die Produktion von Geschichte als Bedeutung. Mit dieser praxistheoretischen Weiterentwicklung des von Bernd Schönemann geprägten Verständnisses von Geschichtskultur als kommunikativem System leistet die Studie einen 14 Ebd., S. 4. 15 Siehe Kapitel 1.1, Anm. 7. 16 Zur Entwicklung von Lübbes Geschichtstheorie als Beitrag zur Antwort auf die Frage der Relevanz von Geschichte vgl. auch Hacke (2006), S. 68 f.

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Schlussbetrachtung

Beitrag zur Theoriebildung der noch jungen Public History. Hierbei plädiere ich für ein Verständnis von Public History als an der Schnittstelle von Fachwissenschaft und Fachdidaktik angesiedelte geschichtswissenschaftliche Disziplin, die einerseits Praktiken der historischen Bedeutungsproduktion untersucht und sich andererseits als Akteurin innerhalb des von ihr untersuchten Felds der Geschichtskultur versteht. Konzeptuelle Konkurrenzen wie etwa zwischen Geschichts- und Erinnerungskultur werden hierbei nicht als noch zu entscheidender Kampf zwischen sich ausschließenden Erklärungsversuchen des Geschichtsbooms verstanden. Sie sind vielmehr selbst als Teil der Aushandlung von Geschichte als Bedeutung zu historisieren und zu untersuchen. Der historisierende Fokus auf die Aushandlung von Zeit- und Zukunftsvorstellungen bietet aber nicht nur einen methodischen Zugriff auf die Erforschung der Produktion von Geschichte als Bedeutung. Er leistet auch einen Beitrag zur zeithistorischen Erforschung der Periode „nach dem Boom“ 17, deren veränderter Zeithorizont sich nicht einfach als Verlust einer offenen und gestaltbaren Zukunft, sondern als Aushandlung multipler, sich überlagernder und mitunter konkurrierender Zukünfte erwiesen hat. Hierbei rücken auch Akteur*innen in den Blick, die sonst nicht unbedingt zu Untersuchungsgegenständen der Geschichtskulturforschung werden, und es werden akademische und politische Netzwerke sichtbar, die über die Akkumulation von Macht auf die Verteilung von Ressourcen und damit auch auf die Produktion von Geschichte als Bedeutung einwirken. Besonders deutlich hat sich dies an der im zweiten Kapitel untersuchten Zeit der von 1989–1999 veranstalteten IBA Emscher Park gezeigt. Das Kapitel hat nachgezeichnet, wie Geschichte in den gut zehn Jahren der als Strukturprogramm angelegten Bauausstellung zur primären Ressource zur Produktion von Zukunft im Ruhrgebiet avancierte. Aufbauend auf Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre etablierte sich Geschichtskultur in dieser Phase als Feld für Zukunftshandeln zum Management des Strukturwandels. Die Entwicklung fand ihren Höhepunkt in der stellvertretenden Auszeichnung Essens für das Ruhrgebiet als Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2010. Im zweiten Kapitel habe ich diesen Prozess anhand der durch eine Zwischenpräsentation im Jahr 1994 in zwei Laufzeithälften unterteilten Bauausstellung untersucht. Dies hat deutlich gemacht, inwiefern die Zeithorizonte der im Feld agierenden Akteur*innen durch ihre unterschiedlichen Handlungskontexte wie beispielsweise Geschichtswissenschaft, Denkmalschutz, Raumplanung, Medien, Wirtschaft oder Poli17 Doering-Manteuffel / Raphael (2010); Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz / Schlemmer, Thomas (Hg.): Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016.

Schlussbetrachtung

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tik mit wiederum verschiedenen institutionellen Strukturen geprägt sind. Diese Prägungen bringen unterschiedliche Modi der Zukunftsgenerierung hervor, in der die Hinwendung zur Geschichte keineswegs auf eine primär bewahrende Produktion einer der Vergangenheit und Gegenwart möglichst ähnlichen Zukunft ausgerichtet ist. 18 Der Blick auf die erste Laufzeithälfte hat die Konzeption der IBA Emscher Park als Zukunftswerkstatt nachgezeichnet und sie außerdem über die Einordnung in Debatten um ein sich änderndes Zukunftsverständnis der SPD in ihrem politischen und diskursiven Kontext analysiert. Die Auswirkungen der Konkurrenz zwischen einer bewahrenden und gestaltenden Zukunftsproduktion wurden in der Analyse der Leitprojekte der IBA Emscher Park deutlich und am Leitprojekt ‚Industriedenkmäler als Kulturträger‘ vertieft, das für den Fokus dieser Untersuchung zentral ist. Dabei stand die Aushandlung von Bottom-up- und Top-down-Verhältnissen im Mittelpunkt, wobei der Fokus der Analyse auf den Versuchen einer Aktivierung und Steuerung von Bottom-up-Initiativen durch die im Rahmen der Bauausstellung kooperierenden Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Museen lag. Am Beispiel der zur Halbzeitpräsentation im Gasometer gezeigten Geschichtsausstellung ‚Feuer und Flamme‘ hat das Kapitel nicht nur die Ausrichtung geschichtskultureller Praktiken auf die Produktion einer zukunftsorientierten Identität sichtbar gemacht. Es hat auch die Aushandlungsprozesse zwischen den unterschiedlichen beteiligten Akteur*innen, die diskursive Strukturierung ihrer Handlungen sowie das Scheitern und Ändern von Planungen nachgezeichnet. Die zweite Hälfte der IBA Emscher Park wurde zunächst auf die übergreifende Entwicklung der Leitprojekte zwischen bewahrender und gestaltender Zukunftsproduktion hin befragt und mit zeitgenössischen Debatten um Zukunftsfähigkeit und Standortpolitik kontextualisiert. Die Analyse der Institutionalisierung geschichtskultureller Projekte aus dem Kontext der IBA Emscher Park und darüber hinaus hat die Aushandlung von Topdown- und Bottom-up-Verhältnissen im geschichtskulturellen Feld weiter beleuchtet, wobei die Versuche einer gezielten Aktivierung von Bottomup-Initiativen als Strategie der IBA-Akteur*innen deutlich geworden ist. Anschließend hat der Blick auf Zollverein als Beispiel für die Gestaltung sogenannter Leuchtturmprojekte als ‚Zukunftsstandorte‘ die Funktionalisierung von Geschichte als Ressource detailliert in der Spannung zwischen Bewahren und Gestalten in den Fokus gerückt. Es hat sich gezeigt, dass besonders die unterschiedlichen Zeithorizonte der Akteur*innen aus den Bereichen Denkmalpflege, Museum, Raumplanung und Kommunalpoli-

18 Siehe Kapitel 1.1, Anm. 96.

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Schlussbetrachtung

tik Konflikte hervorriefen und das übergeordnete Ziel der Etablierung eines ‚Zukunftsstandorts‘ zur gezielten Überhöhung und Verklärung der montanindustriellen Vergangenheit führte. Die Analyse der Route der Industriekultur als materielle Konsolidierung der diskursiven Umdeutung des Ruhrgebiets von einer Industrie- zur Kulturlandschaft hat schließlich Praktiken der Raumkonstruktion vertiefend in den Blick genommen. Hier ist zum einen deutlich geworden, dass mit dem Kulturlandschaftsbegriff verknüpfte ästhetische Vorstellungen die Ästhetisierung von Industriedenkmalen präfigurierten. Zum anderen erzeugte die Konstruktion einer zusammenhängenden Landschaft über die Vernetzung herausragender Einzelstandorte eine anhaltende Spannung zwischen elementarisierender und einheitlicher Raumwahrnehmung. Über die Kontextualisierung zu übergeordneten Diskursen habe ich deutlich gemacht, wie sich Debatten zu Fortschritt, Globalisierung, Zukunftsfähigkeit und Standortpolitik auf die Bedeutungsproduktion im geschichtskulturellen Feld ausgewirkt haben. Diese Bedeutungsproduktion ist eng mit der Entwicklung von Rüsens stark normativ aufgeladenem Geschichtskulturbegriff verbunden, für den das Ruhrgebiet zum Ermöglichungsraum wurde. Die Region hat sich daher für die Historisierung des Konzepts und damit für die Untersuchung übergeordneter Fragen zur Erforschung von Geschichtskultur in besonderem Maße als geeignetes Untersuchungsbeispiel erwiesen. In Bezug auf die spezifische Geschichte der Region hat das zweite Kapitel außerdem einen Beitrag zur Untersuchung einer Zeit geleistet, die für die Geschichte des Strukturwandels im Ruhrgebiet von entscheidender Bedeutung ist und doch bisher vor allem aus raumplanerischer Perspektive oder von IBA-nahen Akteur*innen erforscht worden ist. Ausgehend von der Quellenlage und von meinem Erkenntnisinteresse, das auf die Historisierung von Erklärungsmodellen des Geschichtsbooms am Beispiel des Ruhrgebiets abzielte, standen hierbei vor allem die im Kontext der Bauausstellung professionell mit Geschichte arbeitenden Akteur*innen im Fokus. Damit ermöglicht das Kapitel eine differenzierte Sicht auf die Debatte um eine jüngst aufkeimende Kritik an einer „zu einvernehmliche[n] Erinnerungsgeschichte“ 19 des Ruhrgebiets, die dazu geführt habe, „dass das Selbstbewusstsein der Region über das Ausgangsziel der vorsichtigen Bewusstmachung hinausgeschossen ist“ 20. Die von jungen Historiker*innen

19 Eiringhaus, Pia: Zukünfte in der Metropole Ruhr. Überlegungen zur Problematik erinnerungskultureller Homogenität, in: Farrenkopf, Michael, et al. (Hg.), Die Stadt der Städte. Das Ruhrgebiet und seine Umbrüche, Essen 2019, S. 526–530, S. 526. Ähnlich auch in Eiringhaus / Kellershohn (2018). 20 Eiringhaus (2019), S. 529.

Schlussbetrachtung

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vorgebrachte Kritik haben einflussreiche Akteure des geschichtskulturellen Felds an verschiedenen Stellen zurückgewiesen. So kritisierten die Herausgeber des Bands „Zeit-Räume Ruhr“ 21 in ihrer „Erinnerungsgeschichte des Ruhrgebiets“ 22, es werde „ein sogenanntes ‚Versöhnungsnarrativ‘ über die Verarbeitung des Strukturwandels konstatiert, als Top-down-Strategie der Politik seit der IBA, die weite Teile der betroffenen Menschen nicht mitnimmt“ 23. Dies weisen sie mit dem Argument zurück, dass „ein solches Versöhnungsnarrativ zahlenmäßig viele Menschen anzusprechen scheint“ 24 und eine „angeblich oktroyierte Erinnerungskultur empirisch durch nichts zu belegen“ 25 sei. Auf Basis dieser Untersuchung muss dieses Argument zumindest bedingt zurückgewiesen werden. Die Versuche einer Aktivierung und teilweisen Steuerung bottom-up gerichteter geschichtskultureller Initiativen von Seiten der Landespolitik lassen sich während der IBA Emscher Park nicht nur eindeutig empirisch belegen, sondern sind auch als wichtige Strategie der Bauausstellung anzusehen. Daraus folgt allerdings nicht, dass es sich um eine „Form des oktroyierten, gesteuerten Gedenkens“ 26 handelt, die den Bewohner*innen des Ruhrgebiets gegen ihren Willen aufgedrängt wurde und keine Resonanz in der Bevölkerung findet. Eine breite Resonanz der Bevölkerung und auch die Identifikation mit industriekulturellen Narrativen lassen sich tatsächlich kaum von der Hand weisen. Sie schwächen daher als leicht anzubringendes Gegenargument die eigentlich durchaus treffende Kritik an „Heldengeschichten als Kompensationsmoment“ 27 und am exkludierenden Moment von Identitätskonstruktionen, wie Pia Eiringhaus und Jan Kellershohn sie monieren. 28 Die bisher unzureichende Historisierung der geschichtskulturellen Landschaft der Region lässt die Kritik allerdings schnell normativ und nicht ausreichend differenziert erscheinen, obgleich sie wichtige Punkte anspricht. So ist die Frage nach der Tragfähigkeit historischer Ruhrgebietserzählungen für die Zukunft zwar naheliegend.

21 Berger / Borsdorf / Claßen / Grütter / Nellen (2019). 22 Dies. (2019b). 23 Ebd., S. 36. Fast wortgleich nochmals in Grütter, Heinrich Theodor: Erinnerungskultur im Ruhrgebiet, in: Farrenkopf, Michael, et al. (Hg.), Die Stadt der Städte. Das Ruhrgebiet und seine Umbrüche, Essen 2019, S. 507–514, S. 512. Grütter wich leicht von der Formulierung ab und kritisiert, es werde „ein ‚Versöhnungsnarrativ‘ über die Verarbeitung des Strukturwandels konstatiert, aber pejorativ als Bottom-up-Strategie der Politik seit der IBA kritisiert, die die betroffenen Menschen nicht mitnähme“. 24 Berger, et al. (2019b), S. 36. 25 Grütter (2019), S. 512. 26 Eiringhaus / Kellershohn (2018). Ähnlich auch in Eiringhaus (2019), S. 530. 27 Eiringhaus (2019), S. 529. 28 Vgl. Eiringhaus / Kellershohn (2018).

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Schlussbetrachtung

Auch der Vorwurf einer erinnerungskulturellen „Gefahr der Stagnation“ 29, der sonst zumeist in Form von Kritik an der Rückwärtsgewandtheit der auf Industriekultur ausgerichteten Ruhrgebietsidentität vorgebracht wird, ist schnell gemacht. Diese Kritik wird immer wieder von publizistischer wie auch geschichtswissenschaftlicher oder ökonomischer Seite vorgetragen und fordert für das Ruhrgebiet „neue Bilder, die über sein Wahrzeichen, das Doppelbockfördergerüst der Zeche Zollverein, hinausweisen“ 30, da „die Zukunft des Reviers nicht heller als die Gegenwart“ 31 werden könne, solange kein „zukunftsgerichtetes Leitbild und ein Erscheinungsbild [existiere], das die vergangenheitsbezogene Symbolik von Kohle und Stahl kontrastiert“ 32. Die Forderung nach „der Entstehung von produktiven Kontroversen und somit [. . . ] zukünftiger Veränderung und Weiterentwicklung“ 33 erscheint daher zwar naheliegend, vernachlässigt aber, dass die Entstehung der zu kritisierenden historischen Erzählung sowohl regional von Kontroversen begleitet war als auch als Ausdruck übergeordneter geschichtstheoretischer Kontroversen gelesen werden muss, wie ich in dieser Untersuchung gezeigt habe. Eine Kritik an der historischen Meistererzählung des Ruhrgebiets, die sich auf die mangelnde Produktion zukunftsfähiger Bilder fokussiert, scheint vielmehr selbst durch die Kompensationsthese Lübbes geprägt zu sein, unterstellt sie doch eine primär auf Stillstellung der Zeit ausgerichtete historische Bedeutungsproduktion. Nichtsdestotrotz ist die Erzählung einer breiten Bottom-up-Bewegung als Ursprung der dichten geschichtskulturellen Landschaft der Region deutlich zu relativieren, wie auch das dritte Kapitel der vorliegenden Untersuchung gezeigt hat. Auf der Grundlage des zweiten Kapitels, in dem ich eine detaillierte Analyse der Entwicklung des geschichtskulturellen Felds in einer entscheidenden Phase von gut zehn Jahren vorgenommen habe, habe ich im dritten Kapitel fünf Praxisformen historischer Bedeutungsproduktion identifiziert und über einen Längsschnitt von vier Jahrzehnten hinweg untersucht. So konnte ich den Wandel des geschichtskulturellen Felds von der Auszeichnung der Maschinenhalle der Zeche Zollern als 29 Eiringhaus (2019), S. 526. 30 Rossmann, Andreas: Das Ruhrgebiet braucht neue Bilder, in: Farrenkopf, Michael, et al. (Hg.), Die Stadt der Städte. Das Ruhrgebiet und seine Umbrüche, Essen 2019, S. 605–607, S. 607. 31 Herbert (2018). Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive vgl. z. B. auch Berger / Golombek / Wicke, S. 84 f. Berger, Golombek und Wicke betonen die Problematik der Enthistorisierung von Industrial Heritage, berufen sich hier aber eher affirmativ auf das von Rüsen beschriebene sinnstiftende Potenzial und die Chance auf wirtschaftlichen Fortschritt. 32 RAG-Stiftung (Hg.): Das Schicksalsjahrzehnt. Zukunftsstudie RAG-Stiftung. Impulse für die Zukunft des Ruhrgebiets und zusätzlicher Blick auf das Saarland, Essen, S. 15. 33 Eiringhaus (2019), S. 530.

Schlussbetrachtung

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Denkmal im Jahr 1969 bis zur Auszeichnung Essens für das Ruhrgebiet als Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2010 nachzeichnen. Die Entwicklung von der ersten Unterschutzstellung eines Zechengebäudes bis zur weitreichenden Ausrichtung des Selbst- und Fremdbilds der Region auf ihre Industriegeschichte ließ sich somit in unterschiedlichen Praxisformen nachvollziehen, die mitunter konkurrieren, sich aber auch gegenseitig stützen und in ihrem Vollzug aufeinander verweisen. Ich habe Praxisformen des Zeigens, Normierens, Imaginierens, Inszenierens und Wissen Produzierens identifiziert, in deren Wechselverhältnis die Relationalität des geschichtskulturellen Felds sichtbar geworden ist. Indem der praxistheoretische Zugriff auf das Feld der Geschichtskultur weder von den geschichtskulturellen Produkten noch von den sie produzierenden Akteur*innen, sondern von den Praxen der historischen Bedeutungsproduktion aus fragt, beleuchtet er den Untersuchungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven. Dies lässt sich am eingangs angeführten Beispiel des RVR-Jubiläums illustrieren. Das Jubiläum zeigt die spezifische Urbanität des Ruhrgebiets als „Stadt der Städte“ 34, normiert seine zukünftige Wirklichkeit über den als „Blaupause für die Zukunft der Metropole Ruhr“ 35 entworfenen Regionalplan Ruhr, inszeniert die 100-jährige Vergangenheit von Verband und Region als Geschichte der Herausbildung einer Ruhrgebietsidentität, imaginiert das Ruhrgebiet über Raumvorstellungen wie „Metropole neuen Typs“ 36 und „Metropolenlabor“ als einheitlichen sowie ‚zukunftsfähigen‘ Raum und synthetisiert die 100-jährige Verbandsgeschichte in einer als „Programm- und Zukunftsbuch“ 37 präsentierten Jubiläumspublikation. In diachroner Perspektive hat der in der vorliegenden Untersuchung entwickelte methodische Zugriff anhand aussagekräftiger Beispiele ein breites, aber theoretisch unterfüttertes Spektrum an Geschichten hervorgebracht, das den Wandel des geschichtskulturellen Felds über vier Jahrzehnte nachgezeichnet hat. Die Untersuchung von Praxisformen des Zeigens, die ich beispielswiese anhand von Imageplakaten oder Bildbänden analysiert habe, haben die Entwicklung im Umgang mit der Industriegeschichte vom Streben nach Normalisierung bis zur Vermarktung eines spezifischen historischen Images nachgezeichnet. Die Verengung der Industriegeschichte

34 Kroger (2020). 35 Bongartz (2020). 36 Geiß-Netthöfel, Karola / Nellen, Dieter: Fragen an Karola Geiß-Netthöfel, Direktorin des Regionalverbands Ruhr, in: Geiß-Netthöfel, Karola / Nellen, Dieter / Sonne, Wolfgang (Hg.), Vom Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr. SVR, KVR, RVR 1920–2020, Berlin 2020, S. 22–26, S. 24. Ebenso das unmittelbar folgende Zitat. 37 Regionalverband Ruhr (2020).

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Schlussbetrachtung

auf bestimmte narrative Kerne wie etwa das Ruhrgebiet als Schmelztiegel, der von einem spezifischen, besonders offenen und solidarischen Menschenschlag bewohnt wird, ist hier besonders deutlich geworden. Die für die Zukunftsproduktion im geschichtskulturellen Feld konstitutive Spannung zwischen Gestalten und Bewahren hat das Kapitel anhand der Analyse normierender Praxisformen beleuchtet. So lassen sich beispielsweise unterschiedliche Praxen wie die Auszeichnung der Zeche Zollverein als Denkmal oder das Aufstellen eines Masterplans zur Gestaltung des ehemaligen Zechengeländes als die zukünftige Wirklichkeit normierende Praxisformen auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin befragen, ohne sie auf die bewahrende Funktion des Denkmalschutzes oder gestaltende Dimension der Planung zu reduzieren. Gleichzeitig bringt die Analyse unterschiedlicher Zeithorizonte, die den Vollzug der Praxen prägen, Licht in Konflikte wie etwa den Streit um die Umnutzung der ehemaligen Kohlenwäsche auf Zollverein. Konflikte waren auch Gegenstand der Analyse von Praxisformen des Imaginierens, die beispielsweise anhand der Produktion von Spielfilmen und Serien, aber auch von Musikstücken untersucht worden sind. Obgleich sie als fiktionale und künstlerische Praxen erkennbar sind, prägen sie Vorstellungen von der Region häufig besonders nachhaltig und tragen zur Produktion von Identitätskonstruktionen bei. Der praxistheoretische Zugriff hat auch den imaginativen Charakter von Raumvorstellungen wie ‚Metropole Ruhr‘ oder Kollektivsingularen wie ‚Ruhri‘ sichtbar gemacht. Sie erzeugen Imaginationen bestimmter Zeitlichkeiten und werden häufig von Praxisformen des Inszenierens aufgegriffen, die sie im Zuge ihrer Bedeutungsproduktion weiterverarbeiten. Diese wiederum habe ich beispielsweise anhand von Ausstellungen oder Festakten analysiert. Die Beispiele haben gezeigt, wie etwa Ausstellungen sowohl in dekonstruierender als auch in reproduzierender Weise auf andere Praxisformen referieren und über die Inszenierung historischer Inhalte Zukünfte für das Ruhrgebiet als Region entwerfen. Auch die untersuchten Praxisformen, die auf die Produktion und Distribution von Wissen abheben, tragen über die Sammlung oder Publikation spezifischer historischer Wissensbestände zur Zukunftsproduktion bei. So wurde deutlich, inwiefern die Synthetisierung oder Archivierung historischen Wissens über das Ruhrgebiet häufig Teil der Konstruktion einer kollektiven Identität der Region ist, die über die Erzählung ihrer Vergangenheit auch ihre Zukunft sichern soll. Es hat sich gezeigt, dass das Ruhrgebiet als im Entstehen befindlicher Hochschul- und Wissenschaftsraum gleichsam als Versuchsfeld geschichtswissenschaftlicher Aushandlungsprozesse wirkte. Dies lässt sich sowohl hinsichtlich allgemeiner fachspezifischer Entwicklungen wie der sozialwissenschaftlichen Hinwendung zur Arbeiter- und Arbeiterbewe-

Schlussbetrachtung

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gungsgeschichte, ihrer Weiterentwicklung durch eine Oral-History-basierte Erfahrungs-, Alltags- und beginnende Migrationsgeschichte als auch im geschichtskulturellen Feld beobachten. Hier schließt sich die Frage an, inwiefern diese Beobachtungen spezifisch für das Ruhrgebiet sind oder als exemplarisch für andere altindustrielle Räume gelten können. Wie im ersten Kapitel erläutert, ist diese Studie nicht vergleichend angelegt, da es hierzu besonders im Umfeld des Bochumer ISB bereits einen breiten Forschungsschwerpunkt gibt und stattdessen der Notwendigkeit einer gründlichen Historisierung der lokalen Spezifik des Ruhrgebiets Rechnung getragen werden sollte. 38 Diese ist umso dringender geboten, als das Ruhrgebiet in einer transnational vergleichenden Perspektive als Referenzregion omnipräsent ist, wobei zugleich das Desiderat einer kritischen Historisierung seiner Einstufung als „the shining example of industrial heritage in the world“ 39 betont wird. 40 Stefan Berger und Paul Pickering haben auf Basis der bestehenden transnationalen Forschung vier Fragekomplexe identifiziert, an denen sich einige kurze Überlegungen zur Frage nach Singularität und Exemplarität des Ruhrgebiets im Vergleich zu ausgewählten anderen ehemaligen Industrieregionen ausrichten lassen. 41 Zu fragen ist erstens nach der Relation regionaler Deindustrialisierungsprozesse zur Entwicklung industriekultureller Initiativen und zweitens nach zentralen Akteur*innen, ihren Ressourcen und Netzwerken, wobei das Ruhrgebiet hier durch die spezifische Prägung eines historisch gewachsenen „rheinischen Kapitalismus“ mit seiner Tradition aus starker gewerkschaftlicher Mitbestimmung und staatlicher Subventionsstruktur eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Regionen einnimmt. Mit dem so verlangsamten und sozial möglichst verträglich gestalteten Wandel montanindustrieller Großstrukturen kam es vor allem im Bereich des Steinkohlenbergbaus weder zu massenhafter Arbeitslosigkeit noch zum radikalen Abbau industrieller Bauwerke wie etwa im

38 Vgl. Wicke (2018), S. 5. 39 ebd., S. 5 (H. i. O.). 40 Vgl. auch Berger / Wicke / Golombek (2017), S. 23. Lange dominierte die bereits zeitgenössisch eingenommene Vergleichsperspektive auf Industrieregionen in Großbritannien und den USA, während seit einigen Jahren verstärkt neben West- auch Osteuropa betrachtet wird. Inzwischen etabliert sich eine globale Perspektive auf den Zusammenhang von Deindustrialisierung und Industrial Heritage, die auch Regionen in Asien und Lateinamerika mit einbezieht. Hier wären besonders Fragen nach unterschiedlichen Zeitlichkeiten interessant, welche die in dieser Studie eingenommene Perspektive ausbauen würden. 41 Vgl. Berger, Stefan / Pickering, Paul: Regions of Heavy Industry and their Heritage, between Identity Politics and „Touristification“. Where to next?, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018, S. 214–235, S. 215 f.

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Schlussbetrachtung

vom Thatcherismus geprägten Großbritannien der 1980er Jahre. Obwohl es hier durch die Entwicklung der Industriearchäologie bereits seit den 1950er Jahren eine Tradition forschungspraktischer und denkmalpflegerischer Inwertsetzung von Industriegeschichte gegeben hatte, 42 überlagerte der mit radikalen sozialen und politischen Verwerfungen verbundene Prozess der forcierten Deindustrialisierung der 1980er Jahre zunehmend eine wertschätzende Auseinandersetzung mit dieser Geschichte. Neben der Bedeutung für die Aushandlung nationaler Teilidentitäten Großbritanniens wie im südlichen Wales stand die Bewahrung des Industrial Heritage nun vermehrt im Zeichen des Protestes gegen eine neoliberale Wirtschaftspolitik der Gegenwart. 43 Im Ruhrgebiet profitierte diese Auseinandersetzung dagegen nicht nur von einer auf die Abfederung sozialer Härten ausgerichteten Strukturpolitik, sondern wurde im Zuge der IBA Emscher Park zum integralen Bestandteil derselben, wie im zweiten Kapitel dieser Studie sichtbar wurde. Es ist deutlich geworden, dass das Engagement einzelner Akteur*innen und die Aktivierung ihrer persönlichen Netzwerke von den ersten Initiativen zur Unterschutzstellung industrieller Bauwerke bis zur im Kulturhauptstadtjahr kulminierenden Ausrichtung des Selbst- und Fremdbilds der Region auf ihre industrielle Vergangenheit von entscheidender Bedeutung waren. Die Etablierung einer um Industriegeschichte erweiterten Denkmalpflege förderte seit den 1970er Jahren erste Initiativen zum Erhalt industrieller Bauwerke und Siedlungen. Die zunehmende Verzahnung einer sich reformierenden Denkmalpflege mit einer sozialdemokratisch geprägten Kulturpolitik und Stadtplanung stützten zudem die verstärkte museale Auseinandersetzung mit Industrie- und Arbeitergeschichte. Sowohl akademische als auch politische Netzwerke begünstigten also die Institutionalisierung des geschichtskulturellen Felds im Ruhrgebiet, das spätestens seit der IBA Emscher Park wie kaum eine andere ehemalige Industrieregion von einer Integration der Industriegeschichte in die Imagepolitik auf Region- und Landesebene profitierte. Im Gegensatz dazu hatten beispielsweise lokale Politiker*innen in den Industriegebie42 Stinshoff (2013). 43 Vgl. Berger / Pickering (2018), S. 218; vgl. dazu auch Oerters, Kathrin: Industrial Heritage in the Ruhr Region and South Wales in Historical Comparison, in: Czierpka, Juliane / Oerters, Kathrin / Thorade, Nora (Hg.), Regions, Industries, and Heritage. Perspectives on Economy, Society and Culture in Modern Western Europe, Basingstoke / New York 2015, S. 240–261; Berger, Stefan: Representing the Industrial Age. Heritage and Identity in the Ruhr and South Wales, in: Itzen, Peter / Müller, Christian (Hg.), The Invention of Industrial Pasts. Heritage, Political Culture and Economic Debates in Great Britain and Germany, 1850–2010, Augsburg 2013, S. 14–35; James, Leighton S.: Mining Memories. Big Pit and Industrial Heritage in South Wales, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018, S. 13–31.

Schlussbetrachtung

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ten des französischen Nord-Pas-de-Calais lange auf einen großflächigen Abriss der als imageschädigend betrachteten Relikte der Montanindustrie gesetzt, wobei es auch hier in den 1990er Jahren zu einem von dezentralistischen Reformen begünstigtem Umschwung kam. 44 Ähnlich wie im Ruhrgebiet erschien der Erhalt industrieller Bauwerke nun zunehmend als Chance für die Etablierung eines auf Industriekultur ausgerichteten Tourismussektors, wofür konfliktbeladene Dimensionen der Industriegeschichte wie etwa Arbeitskämpfe zugunsten einer positiven Darstellung als offener und integrativer Schmelztiegel ausgeblendet wurden. 45 Diese Parallele zum Ruhrgebiet lenkt den Blick auf den dritten und vierten von Berger und Pickering eröffneten Fragenkomplex nach dem Zusammenhang von industriekulturellen Narrativen und Identitätsproduktion sowie nach den Folgen einer Ausrichtung auf die Tourismusindustrie für die Kommerzialisierung und Wahrnehmung von regionaler Industriegeschichte. 46 Auch wenn die Dichte der industriekulturellen Denkmallandschaft des Ruhrgebiets die der nordfranzösischen Region aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung deutlich übersteigt, lassen sich Ähnlichkeiten in einer starken narrativen Glättung der Industriegeschichte seit den 1990er Jahren beobachten, die auf eine Funktionalisierung für eine positive und vor allem zukunftsfähige regionale Identität abzielt. Die Umdeutung von Industriebauwerken zu Orten der Zukunftsproduktion vollzog sich auch in Nordfrankreich entlang der diskursiven Aushandlung von Krise und Fortschritt, wobei sich hier im Gegensatz zum Ruhrgebiet keine vergleichbar tiefgreifende Ablösung des negativen Krisenimages erreichen ließ. 47 In ungleich stärkerem Ausmaß gilt dies für einige der postsowjetischen Industrieregionen. So bremste etwa im Fall der als „ungarisches Ruhrgebiet“ bekannten Region um Miskolc, Ózd und Rudabánya oder im rumänischen Jiu-Tal nicht nur das negative Image als wirtschaftlicher Problemfaktor im Zuge einer beschleunigten Deindustrialisierung in den 1990er Jahren, sondern auch die Erinnerung an die sowjetische Diktatur den Erhalt und die Inwertsetzung industrieller Bauwerke aus. 48 Auch im oberschlesischen

44 Fontaine, Marion: Regional Identity and Industrial Heritage in the Mining Area of Nord-Pas-de-Calais, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018, S. 56–73, S. 61–67. 45 Vgl. ebd., S. 66. 46 Vgl. Berger / Pickering (2018), S. 216. 47 Vgl. Fontaine (2018), S. 67. 48 Vgl. Németh, Györgyi: Contested Heritage and Regional Identity in the Borsod Industrial Area in Hungary, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and Regional Identities, London / New York 2018, S. 95–118; Kideckel, David A.: Identity and Mining Heritage in Romania’s Jiu Valley Coal Region, in: Wicke, Christian / Berger, Stefan / Golombek, Jana (Hg.), Industrial Heritage and

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Schlussbetrachtung

Katowice bot die Industriegeschichte anders als im Ruhrgebiet nicht den zentralen Bezugspunkt für eine langfristige positive Zukunftsvorstellung, sodass die Ausrichtung der geschichtskulturellen Praxis hier zunehmend der „oberste[n] Maßgabe eines positiven Neuerfindens der Stadt“ 49 folgte. Im Zuge der Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt für das Jahr 2016 wurde daher mit dem Motiv der Gartenstadt eine explizit mit „den etablierten Erzähltraditionen über Katowice“ 50 brechende Referenz in Mittelpunkt eines neuen identitätsstiftenden Narrativs gestellt, das in der Bevölkerung jedoch keine große Resonanz erfuhr. Für das Ruhrgebiet bedeutete der Zusammenbruch der Sowjetunion einen zusätzlichen Schub in der Entwicklung der geschichtskulturellen Landschaft. Obwohl die Transformation von 1989/90 auf nationaler Ebene eine Konkurrenz um finanzielle Ressourcen mit den ostdeutschen Bundesländern erzeugte, führte sie gleichzeitig auch zu einer Steigerung der Bedeutung der räumlichen Einheit als Region, da sich das Ruhrgebiet in den 1990er Jahren in eine zunehmend als global begriffene Standortkonkurrenz eingebunden sah. Dies verstärkte das wirtschaftliche Risiko eines drohenden Zerfalls der Region in einzelne Städte und damit die Notwendigkeit einer auf Zukunftsfähigkeit ausgerichteten regionalen Identitätsproduktion. Die forcierte touristische Vermarktung des Ruhrgebiets als industriekulturelles Reiseziel diente sowohl der Imagebildung nach außen als auch der gezielten Identitätsproduktion nach innen. Mit seinem dichten Netzwerk industriekultureller Sehenswürdigkeiten gilt das Ruhrgebiet in transnationaler Perspektive gerade hinsichtlich der erfolgreichen Etablierung als industriekulturelles Tourismusziel häufig als Erfolgsmodell. Diese Studie hat nachgezeichnet, dass allerdings weder die auf touristische Vermarktung ausgerichtete Funktionalisierung von Industriegeschichte noch die Ausrichtung der geschichtskulturellen Praxis auf die Produktion einer zukunftsfähigen Identität unumstritten waren, was in der Betrachtung des Ruhrgebiets als Referenz transregionaler Vergleichsstudien stärker zu berücksichtigen ist. Die Ausrichtung geschichtskultureller Praxen auf Identitätskonstruktion ist nicht nur im Ruhrgebiet, sondern allgemein weniger Ausdruck einer immer schneller fremd werdenden Vergangenheit, sondern vielmehr einer „Sorge vor dem Verschwinden einer Geschichte, die es nicht gegeben

Regional Identities, London / New York 2018, S. 119–135; Juha, Mariann: Kultur? Erbe. Verlassene Bergbauorte als Denkmale in Ungarn, in: Bogner, Simone / Meier, HansRudolf / Steiner, Marion (Hg.), Denkmal, Erbe, Heritage. Begriffshorizonte am Beispiel der Industriekultur, Heidelberg 2018, S. 94–103. 49 Tomann (2017), S. 408. 50 Ebd., S. 402.

Schlussbetrachtung

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hat und die deswegen auch durch ständige Wiederholung immer wieder neu hergestellt werden muss“ 51. Sie ist nur im Kontext übergeordneter Debatten um den Begriff der Identität zu verstehen, dessen Konjunktur als „unwiderstehliches Schlagwort“ 52 nicht nur auf Seiten der extremen Rechten nicht abzureißen scheint. Obwohl die Popularisierung des Begriffs seit den 1950er Jahren konstant von kritischer Reflexion begleitet war, ist seine Attraktivität als Chiffre „für Einzigartigkeit, für historischen Ursprung und für Kohäsion und Kohärenz über lange Zeiträume“ 53 ungebrochen. In dieser Untersuchung habe ich zum einen nachgezeichnet, dass die Ausrichtung von Geschichtskultur auf Identitätsproduktion seit Aufkommen des Geschichtsbooms sehr wohl umstritten war. Besonders in den 1980er und 1990er Jahren diente das Ruhrgebiet als Ermöglichungsort für die Austragung geschichtstheoretischer und geschichtspolitischer Konkurrenzen zu einer konservativen, auf Kompensation ausgerichteten Identitätsproduktion. Zum anderen habe ich aber auch gezeigt, inwiefern konkurrierende Topoi wie beispielsweise Kompensation oder Geschichtslosigkeit Teil der Legitimations- und Argumentationsstrategien geschichtskultureller Akteur*innen der Region wurden, deren Handeln letztendlich auch auf Traditionsbildung und Identitätsstiftung ausgerichtet war. Diese Traditionsbildung sozialdemokratisch dominierter Institutionen oder durchaus auch links der Sozialdemokratie stehender Akteur*innen wie den Arbeiterinitiativen der 1970er Jahre war ursprünglich explizit politisch ausgerichtet und diente auch der Akkumulation und der Sicherung von Macht. Sie entpolitisierte sich jedoch durch die nachgezeichnete Einspeisung in einen auf ‚Zukunftsfähigkeit‘ und ‚Standortpolitik‘ ausgerichteten, angebotsökonomischen Zeithorizont zunehmend. 54 Die Funktionalisierung der Industriegeschichte als zentrale Ressource zur Produktion einer regionalen Identität verengte sie auf narrative Kerne, die eine Repräsentation der Region als ‚zukunftsfähiger Standort‘ ermöglichen. Diese narrative Verengung macht „Industriekultur so zur depolitisierten Selbstbestätigung“ 55. Als kollektive Identitätskonstruktion, die den permanenten Wandel zum zentralen Identitätsmerkmal erklärt, scheint sie dem zu entsprechen, was Ulrich Bröckling als Streben nach einem postheroischen unternehmerischen Selbst beschreibt: 56 das Ruhrgebiet als ewiger 51 Groebner, Valentin: Identität. Anmerkungen zu einem politischen Schlagwort, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 12 (2018) 3, S. 109–115, S. 115. 52 Ebd., S. 110. 53 Ebd., S. 114. 54 Siehe dazu Kapitel 2.2.1, Anm. 605. 55 Berger (2019c), S. 11. 56 Laut Bröcklings Analyse zeigen sich postheroische Heldenpersönlichkeiten „anpassungsfähig, ohne konformistisch zu sein, responsiv, aber zugleich auf Autonomie

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Underdog, der durch das erfolgreiche Management des eigentlich kaum zu bewältigenden, weil nie abgeschlossenen Strukturwandels sowie durch die Authentizität und Einzigartigkeit verleihende Industriegeschichte dem idealen Heldentypus zu entsprechen scheint, indem „der Held gar nicht merkt, dass er einer ist“ 57. Die Erzählung einer stets wandelbaren und doch einzigartigen Region, die sich beispielswiese in als ‚Zukunftsstandorten‘ umgenutzten Industriebauwerken materialisiert, zeichnet sich nicht nur durch eine entpolitisierende, sondern auch kommerzialisierende Aneignung von Geschichte aus. Zwar wird dies im allgegenwärtigen Bergbaumarketing regionaler Unternehmen besonders deutlich, wenn beispielsweise das Gladbecker Modelabel ‚Grubenhelden‘ auf der New Yorker Fashion Week vier ehemalige Bergmänner als Laufstegkulisse einfliegt und damit laut WAZ „vor dem ganz großen Mode-Publikum die Geschichte des Bergbaus erzählt“ 58. Es gilt aber ebenso für das auf der Industriegeschichte fußende Regionalmarketing, wie ich in dieser Untersuchung nachgezeichnet habe. Zunächst musste eine positive Erzählung als Grundlage einer historisch basierten Identität geschaffen werden, um das Ruhrgebiet als räumliche Marke zu bewerben. Nun bewirbt der Raum als Marke wiederum Freizeitangebote und Konsumprodukte wie beispielsweise einen Korn, „wie er nur hier entstehen kann, abgefüllt im Ruhrgebiet, gebrannt in der Glut der Geschichte“ 59, der „wie kaum ein anderes Destillat Tradi-

bedacht, sie wollen die Welt gestalten, ohne sich selbst aufzugeben, ergreifen Chancen, ohne Hasard zu spielen, Nichtplanbares gilt ihnen als ‚Normalität in stark veränderlichen Umwelten‘, ‚der Zuwachs an Freiheits-, Entscheidungs- und Optionsmöglichkeiten‘ als Gelegenheit zu fortlaufender Fehlerkorrektur. Mit ‚Fähigkeiten wie Kreativität, Initiative, Ambivalenztoleranz und Komplexitätsbewältigung‘ entsprechen sie exakt dem Anforderungsprofil jenes unternehmerischen Selbst, nach dem Stellenanzeigen heute suchen.“ Bröckling, Ulrich: Ich, postheroisch, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 12 (2018) 3, S. 21–32, S. 31. 57 Ebd., S. 21. 58 Beissert, Tabea: Wie Gladbecker Grubenhelden in New York Furore machen, in: WAZ, 13. Februar 2019. Die „vier Bergmänner in Original-Kluft und das rund 50-köpfige mitgereiste Grubenhelden-Team aus Sponsoren, Freunden und Mitarbeitern“ veranstalten außerdem einen Flashmob auf dem Times Square, bei dem das gemeinsame Singen des Steigerlieds laut WAZ für „Gänsehaut“ sorgte. Die Referenz auf den Underdog-Mythos wird im Zitat des Labelgründers besonders deutlich: „An einem der leuchtendsten Orte der Welt haben wir das Ruhrgebiet präsentiert, von dem immer alle glauben, dass es grau und hässlich ist.“ 59 Produktbeschreibung des Korns „Letzte Schicht“ der Essener Firma Banneke. In der Werbung heißt es weiter: „Zu Ehren unserer Region und Heimat entstand dieser Korn. Für uns. Für Euch. Die Zeche. Die Kumpel. Die Kohle. Und den ganzen verdammten Rest. Wahr und echt wie das Ruhrgebiet: der Weizen, die Abfüllung, das Heimatgefühl – Die letzte Schicht, das ist einer von hier. Mitten aus dem Pott. In ihm brennt die Seele, die uns alle vereint – ein Leuchtfeuer für die Dunkelheit.“ Banneke GmbH: Die Letzte Schicht, URL: https://www.letzteschicht.ruhr/die-letzte-schicht. html [letzter Zugriff: 6. Okt. 2020].

Schlussbetrachtung

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tion und Zukunft“ 60 verbinde. Mit einem derartigen Marketing, das auf narrativen Bausteinen der als Marke etablierten Ruhrgebietsidentität aufbaut, versprechen die Produkte ihren Käufer*innen ein scheinbar mit Industriegeschichte verknüpftes Konsumerlebnis. Identität erweist sich hier, wie von Valentin Groebner treffend beschrieben, als „Wunsch nach einer Kategorie, die schon in kleiner Dosierung intensive Bedeutungen erzeugen kann, gleichzeitig aber übertragbar ist auf eine möglichst große Anzahl möglicher Beteiligter“ 61: Identität sagt deswegen wenig über Herkunft aus, über den Teil und das Ganze, das Kollektiv und die Krise, das Authentische oder sein Gegenteil, und schon gar nichts über die Vergangenheit. Sondern nur etwas über die Person, die das Wort gebraucht. Und zwar nicht über deren Herkunft und deren Vergangenheit, sondern über ihre sehr gegenwärtigen Sehnsüchte, Autorisierungsansprüche und Obsessionen. [. . . ] Deswegen wird es auch so oft peinlich. 62

Die im Ruhrgebiet durchaus obsessiv erscheinende Ausrichtung historischer Bedeutungsproduktion auf Zukunft, die etwa in der Vermarktung einer Jubiläumsschrift als „Zukunftsbuch“ 63 und damit einer auf die Produktion von Wissen zielenden Praxisform ebenso zum Ausdruck kommt wie in Praxisformen des Normierens, Zeigens, Inszenierens und Imaginierens, 64 ist also auch als Folge der Ausrichtung geschichtskultureller Praxen auf Identitätsproduktion zu werten, wie meine Analyse gezeigt hat. 60 Dies.: Die Letzte Schicht Korn 32 % 0.50, URL: https://www.banneke.com/die-letzteschicht-korn-32-0-50.html [letzter Zugriff: 6. Okt. 2020]. 61 Groebner (2018), S. 110. 62 Ebd., S. 112. Groebners abschließende Zuspitzung entbehrt nicht einer durchaus überzeugenden Ironie: „Und genau diese Peinlichkeit, scheint mir, ist das Echte, Eigene und wirklich Unverwechselbare an der Identität.“ Allerdings liegt die Peinlichkeit geschichtskultureller Identitätskonstruktionen fraglos im Auge der Betrachter*innen und ist wie die in der vorliegenden Untersuchung analysierte Bewertung vermeintlich nostalgischer Aneignungen von Geschichte auch als diskursive Sanktionierungsmaßnahme zu verstehen – gerade wenn sie aus akademischer Perspektive festgestellt wird. 63 Regionalverband Ruhr (2020). 64 Als Obsession ist sie auch Gegenstand einer kabarettistischen Überzeichnung des Ruhrgebiets geworden, die hier stellvertretend für einen humoristischen Blick imaginierender Praxisformen auf die Selbstdarstellung des Ruhrgebiets als Underdog und Zukunftsregion stehen soll. In seinem 2014 veröffentlichten Lied „Enerwé“ rechnet der in Berlin lebende Kabarettist Benedikt Eichhorn mit seiner ehemaligen Partnerin ab, die ihn für einen anderen Mann verlassen und zu diesem ins Ruhrgebiet ziehen will. Vor dem Zusammenziehen mit einem „von diesen Ruhris, die dieses ‚wir sind rau, aber herzlich‘ dermaßen raushängen lassen, dass es nur noch peinlich ist“, warnt sie der selbst in NRW geborene und ehemals in Essen lebende Kabarettist eindringlich. Dem Vorwurf der Ex-Partnerin, „Berlin sei zu frostig, zu perspektivlos, überschätzt und ostig“, hält er höhnisch entgegen, NRW sei „ja ganz klar die Zukunftsregion Europas. Man kann ja auf der A2 kaum noch stehen, bei dem Sog, den der Braindrain

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Schlussbetrachtung

Dass Identitätsproduktionen ganz unabhängig davon, durch welche Praxisformen sie hervorgebracht werden, immer auch exklusiver Natur sind, ist für das Ruhrgebiet jüngst vermehrt Gegenstand von Debatten geworden. 65 Zu Recht haben Pia Eiringhaus und Jan Kellershohn in ihrer Kritik an der regionalen Meistererzählung auf die politischen Folgen der Exklusion hingewiesen, indem sie betonten, dass „17 Prozent der Gelsenkirchener [. . . ] bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 ihr Kreuz bei der AfD gesetzt“ 66 haben. Auch bei den Kommunalwahlen im September 2020 erwiesen sich die Städte des Ruhrgebiets erneut als AfD-Hochburgen, 67 in denen die rechtsextreme Partei Ergebnisse deutlich über dem Landesdurchschnitt erzielte. Diese Entwicklung lässt sich aber nicht allein auf Bevölkerungsstruktur, Arbeitslosigkeit und die andauernden sozialen Probleme des Strukturwandels zurückführen, wie die beständige Korrelation der Prozentzahlen von AfD-Wahlerfolgen mit „Ausländeranteil“ und Arbeitslosigkeit in Städten und Stadtteilen des Ruhrgebiets nahelegen. 68 Vielmehr besteht das Problem auch in der Verengung der Industriegeschichte auf bestimmte narrative Kerne, die wie im Fall des Ruhrgebiets als Schmelztiegel den Rassismus gegen Arbeitsmigrant*innen einfach wegerzählen. So zieht beispielsweise ein ehemaliger SPD-Politiker, der 2016 nach 26 Jahren SPD-Parteimitgliedschaft medienwirksam zur rechtsextremen AfD wechselte, für die er Abgeordneter des EU-Parlaments werden und in Essen-Karnap bei der Kommunalwahl 2020 knapp 20 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, 69 seinen politischen Erfolg zum großen Teil aus seiner Selbstdarstellung als ‚Kumpel‘ und ehemaliger Steiger. 70 Er referiert damit ebenso auf die Bergbaugeschichte wie seine politischen Geg-

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Richtung Ruhrgebiet entwickelt! Haha! Da sieht man ja vor lauter kulturellen Leuchttürmen die ganzen Zechen gar nicht mehr! [. . . ] Das ist die Gegend, die in jedem Psychologielehrbuch angeführt ist als DAS Beispiel für die Theorie der kognitiven Dissonanz: Alle sagen, hier wär’ scheiße. Wir wissen, hier is’ scheiße, aber wir finden’s toll!“, Pigor singt, Benedikt Eichhorn muss begleiten: Enerwé, Volumen 8, Roof Music 2014. Vgl. Eiringhaus / Kellershohn (2018); Eiringhaus (2019); Grütter (2019). Eiringhaus / Kellershohn (2018). Vgl. Görmann, Marcel: AfD-Hochburgen bei der NRW-Kommunalwahl. Hier war die Partei besonders stark und hier ging sie unter, in: DerWesten.de, 16. September 2020, URL: https://www.derwesten.de/region/afd-hochburgen-bei-dernrw-kommunalwahl-hier-war-die-partei-besonders-stark-und-hier-ging-sie-unterid230422152.html [letzter Zugriff: 5. Okt. 2020]. Vgl. z. B. Storch, Marcel: AfD holt in Stadtteil von Essen fast 20 Prozent, in: DerWesten.de, 16. September 2020, URL: https://www.derwesten.de/staedte/essen/ afd-essen-karnap-20-prozent-kommunalwahl-2020-alternative-fuer-deutschlandid230413994.html [letzter Zugriff: 5. Okt. 2020]; Eiringhaus / Kellershohn (2018). Vgl. Storch (2020). Auch andere rechtsextreme Gruppen referieren immer wieder auf Identitätskonstruktionen, die auf der Industriegeschichte des Ruhrgebiets basieren. So trugen bei-

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ner*innen, die unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit zur Bekämpfung der AfD aufrufen und sich dazu auf die solidarische und offene Tradition der Bergleute berufen, die vermeintlich frei von rassistischen Denkund Handlungsmustern waren. Das Problem dieser auf eine gemeinsame Vergangenheit referierender und sich doch widersprechender Identitätskonstruktionen ist, dass sie nicht zu falsifizieren sind. 71 Sie präsentieren geglättete historische Erzählungen, die den Prozess ihrer Glättung unsichtbar machen. Die Exklusivität der auf diesen Erzählungen basierenden Identitätskonstruktionen lässt sich aber nicht allein durch „Streit, Kontroverse, Konflikt“ 72 oder ein breiteres Angebot an Identitätskonstruktionen aufheben. Sie verlangt vielmehr zum einen nach der Sichtbarmachung des narrativen Glättungsprozesses, wie sie diese Untersuchung für das Ruhrgebiet vorgelegt hat. Zum anderen verlangt sie nach einer grundlegenden Problematisierung der prinzipiellen Ausrichtung von Geschichtskultur auf Identitätsproduktion.

spielsweise Rechtsextreme auf einem Essener Karnevalszug 2019 eine Mischung aus Gruben- und Stahlhelm, während sie unverhohlen zur Gewalt gegen politische Gegner*innen aufriefen. Eine den neurechten Identitären nahestehende Gruppe agierte in der Region unter den Namen „Defend Ruhrpott“ und versuchte mit einem YouTubeKanal namens „Ruhrpott Roulette“ Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung zu generieren; vgl. N. N.: Steeler Jungs laufen mit rechten Parolen bei Karnevalsumzug mit, in: DerWesten.de, 4. März 2019, URL: https://www.derwesten.de/staedte/ essen/essen-steeler-jungs-laufen-bei-karnevalsumzug-mit-id216582981.html [letzter Zugriff: 6. Okt. 2020]; Spletter, Martin: Gewaltbereite Hooligans laufen bei Essener Karnevalszug mit, in: WAZ, 4. März 2019; Bombach, Franziska: „Defend Ruhrpott“. Das steckt hinter der Organisation und darum beobachtet die Polizei sie besonders, in: DerWesten.de, 17. Mai 2019, URL: https://www.derwesten.de/staedte/essen/defendruhrpott-das-steckt-hinter-der-organisation-und-darum-beobachtet-die-polizei-siebesonders-id217925093.html [letzter Zugriff: 6. Okt. 2020]. 71 Vgl. Groebner (2018), S. 111. 72 Eiringhaus / Kellershohn (2018).

Danksagung

Von den ersten Gedanken über ein Forschungsprojekt bis zum fertigen Buch ist es ein langer Weg, der mir ohne die Unterstützung einer Vielzahl von Menschen nicht hätte gelingen können. Allen, die mir bei der Arbeit an meiner Dissertation und ihrer Drucklegung zur Seite standen, gilt mein aufrichtiger und herzlicher Dank. An erster Stelle möchte ich Markus Bernhardt danken, der mir als Erstbetreuer meiner Arbeit immer als gleichermaßen kluger, kritischer wie wertschätzender Ratgeber und Gesprächspartner zur Seite stand. Seine sowohl fachlich als auch emotional unterstützende Art der Betreuung war über die Jahre hinweg ein Anker in der manchmal uferlos erscheinenden Reise auf dem Weg zum fertigen Buch, auch weit über meine Zeit in Essen hinaus. Nach meinem Studium in Münster und Berlin hat er mir den Wechsel nach Essen – in eine mir zwar bekannte Stadt, aber an eine neue Universität – nicht nur wissenschaftlich, sondern auch menschlich leicht gemacht, indem er mich von Anfang an in das wundervolle Team seines Lehrstuhls integrierte. Das gilt ebenso für Ute Schneider, die mich als Zweitgutachterin weit über das übliche Maß einer Zweitbetreuung hinaus stets in die wissenschaftliche Arbeit und das Miteinander an ihrem Lehrstuhl einbezogen hat. Für die Arbeit an meiner Dissertation war sie mit ihrer produktiven Kritik, ihren klugen Ratschlägen und ihrem stets offenen Ohr von Beginn an eine prägende Gesprächspartnerin, wofür ich sehr dankbar bin. Danken möchte ich außerdem Simone Derix, die mir an ihrem Erlanger Lehrstuhl nicht nur die Tür für die Phase nach der Dissertation geöffnet, sondern zunächst Zeit und Raum gegeben hat, sie fertig zu schreiben. Dabei hatte sie stets mehr Geduld und Vertrauen in mich und meine Arbeit, als ich selbst hätte aufbringen können. Mein Dank gilt auch meinen Kolleg*innen der ersten und zweiten Kohorte des DFG-Graduiertenkollegs 1919 und des Historischen Instituts der Universität Duisburg-Essen, allen voran Kyra Palberg und Nils Bennemann. Beide haben die Studie in Gänze gelesen und mir mit ihren Korrekturen, Anmerkungen und bestärkenden Rückmeldungen überhaupt erst ermöglicht, sie fertig zu schreiben. Ihre fachliche Unterstützung, aber vor allem ihre Freundschaft waren nicht nur für die Überarbeitung am Ende, sondern für jeden Schritt auf dem Weg von unschätzbarer Bedeutung. Für die Zeit in unserem gemeinsamen Büro, für alles daneben und danach kann ich Kyra Palberg nicht genug danken, sie war das Schönste. Von den

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Danksagung

vielen Kolleg*innen, die die Arbeit an der Universität nicht nur als kluge Gesprächspartner*innen, sondern auch als Freund*innen zu dem machen, was sie ist, möchte ich daneben besonders Isidor Brodersen und Frederike Schotters danken. Mein Dank gilt auch unserem Post-Doc Jan-Hendryk de Boer, von dem ich nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht viel lernen durfte, sowie dem Koordinator und dem Leitungsgremium des Graduiertenkollegs. Darüber hinaus gilt mein Dank meinen (ehemaligen) Erlanger Kolleg*innen, allen voran Bettina Brockmeyer, Herbert Sirois, Jelle Wassenaar und Susanne Ude-Koeller, die mich seit meinem Wechsel an die FAU begleitet und ermutigt haben. Für ihre Unterstützung danke ich auch den studentischen Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte der FAU, allen voran Emily MacKenzie und Hannah König, die mir bei der Arbeit an der Drucklegung der Dissertation eine ungeheure Hilfe waren. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Beiträge zur Geschichtskultur“ danke ich den Herausgeber*innen der Reihe, insbesondere Holger Thünemann, der sie angeregt hat. Mein Dank geht auch an die Mitarbeiter*innen des Böhlau Verlags, vor allem an Kirsti Doepner und Julia Beenken, die mir bei der Arbeit an der Drucklegung mit Rat und Tat zur Seite standen. Abschließend möchte ich meiner Familie und meinen Freund*innen danken, die mir bei der Arbeit immer den Rücken gestärkt und mich vor allem daran erinnert haben, dass sie nicht alles ist – allen voran Isabell Piechowiak, Lena Jahrmarkt und Marietta Wildt. Stephan Voß danke ich für das Leben abseits des Texte über Texte Schreibens und Bücher über Bücher Lesens. Meiner Schwester Lea danke ich – nicht nur, aber vor allem – für ihre unermüdliche Motivationsarbeit, ohne die ich schon im Studium kaum eine Hausarbeit und danach erst recht keine Dissertation fertig geschrieben hätte. Mein ganz besonderer Dank gebührt meinen Eltern Beate und Wolfgang Wagner, die mich mit ihrem Interesse an Geschichte zu einem Studium ermutigt und immer darin unterstützt haben. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Abkürzungsverzeichnis

AGAG AHGR DBM H. i. O. IBA Emscher Park ICOMOS IFPH IFZ IGBE IZT KVR KWI LUSIR NCPH OMA RAG RIM RUB RVR SFZ SVR VHD WIM ZfGD

Arbeitsgemeinschaft Allgemeine Geschichte / Public History Archiv im Haus der Geschichte Bochum Deutsches Bergbau-Museum Bochum Hervorhebung im Original Internationale Bauausstellung Emscher Park International Council on Monuments and Sites International Federation for Public History Institut für Zukunftsforschung Berlin Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin Kommunalverband Ruhr Kulturwissenschaftliches Institut Essen Forschungsprojekt „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960“ National Council on Public History Office for Metropolitan Architecture Ruhrkohle AG Rheinisches Industriemuseum Ruhr-Universität Bochum Regionalverband Ruhr Sekretariat für Zukunftsforschung Gelsenkirchen Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands Westfälisches Industriemuseum Zeitschrift für Geschichtsdidaktik

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Ansicht einer Auenlandschaft, Quelle: Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen: Internationale Bauausstellung Emscher Park. Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete. Memorandum zu Inhalt und Organisation, Düsseldorf 1988, S. 38. Abb. 2: Ansicht der begradigten Emscher, Quelle: Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen: Internationale Bauausstellung Emscher Park. Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete. Memorandum zu Inhalt und Organisation, Düsseldorf 1988, S. 41. Abb. 3: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1986, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 31. Abb. 4: Bildband „Das Revier“ aus dem Jahr 1979, Quelle: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.): Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im Ruhr-Museum vom 26. Mai 2014–18. Januar 2015, Köln 2014, S. 307. Bildnachweis: Rainer Rothenberg / Ruhr Museum. Abb. 5: Bildband „Wie lebt man im Ruhrgebiet“ aus dem Jahr 1981, Quelle: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.): Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im Ruhr-Museum vom 26. Mai 2014– 18. Januar 2015, Köln 2014, S. 308. Bildnachweis: Rainer Rothenberg / Ruhr Museum. Abb. 6: Fotografie von Peter Thomann im Bildband „24 Stunden Ruhrgebiet“, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 156. © Peter Thomann – Hamburg. Abb. 7: Fotografie von Peter Thomann im Bildband „24 Stunden Ruhrgebiet“, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): 24 Stunden Ruhrgebiet. Das Fotoereignis, Berlin u. a. 1985, S. 154 f. © Peter Thomann – Hamburg. Abb. 8: Bildband „Bestandsaufnahme“, Quelle: Socha, Berthold (Hg.): Bestandsaufnahme. Stillgelegte Anlagen aus Industrie und Verkehr in Westfalen, Hagen 1985. Foto: LWL-Industriemuseum – Berthold Socha. Abb. 9: Bildband „Das darf nicht weg“, Quelle: Rheinisches Museumsamt (Hg.): „Das darf nicht weg!“. Historische Industrieobjekte in Nordrhein-Westfalen, Köln 1983. Abb. 10: Bildband „Endlich so wie überall?“, Quelle: Grütter, Heinrich Theodor / Grebe, Stefanie (Hg.): Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Katalog zur Ausstellung im Ruhr-Museum vom 26. Mai 2014–18. Januar 2015, Köln 2014, S. 311. Bildnachweis: Rainer Rothenberg / Ruhr Museum. Abb. 11: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1985, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 10.

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 12: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1990, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 96. Abb. 13: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1988, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 63. Abb. 14: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1991, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 111. Abb. 15: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1988, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 64. Abb. 16: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1987, Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.): Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland. 10 Jahre Werbung für eine unerschöpfliche Region, Essen / Düsseldorf 1996, S. 53. Abb. 17: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 34. Abb. 18: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 37. Abb. 19: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 46. Abb. 20: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 42. Abb. 21: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 41. Abb. 22: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1999, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 61. Abb. 23: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1998, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 44. Abb. 24: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 1999, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 58. Abb. 25: KVR-Kampagnenmotiv aus dem Jahr 2000, Quelle: Kommunalverband Ruhrgebiet / Springer & Jacoby (Hg.): Ein starkes Stück Selbstbewusstsein. Der Pott kocht, Bottrop / Essen 2000, S. 68. Abb. 26: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv, Quelle: Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver (Hg.): Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 15. Bildnachweis: Regionalverband Ruhr.

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Abb. 27: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv, Quelle: Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver (Hg.): Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 38. Bildnachweis: Regionalverband Ruhr. Abb. 28: Ruhr.2010-Kampagnenmotiv, Quelle: Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver (Hg.): Ruhr. Vom Mythos zur Marke. Marketing und PR für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen 2010, S. 48. Bildnachweis: Regionalverband Ruhr. Abb. 29: Übersichtskarte aus dem Jahr 2015, Quelle: Regionalverband Ruhr (Hg.): Entdeckerpass. Route der Industriekultur, Essen 22016 S. 3. Bildnachweis: RVR/Route Industriekultur. Abb. 30: Kartierte Zukunftsvision des Ruhrgebiets, Quelle: Reicher, Christa / Kunzmann, Klaus R. / Polivka, Jan / Roost, Frank / Utku, Yasemin / Wegener, Michael (Hg.): Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets, Berlin 2011, S. 221. Abb. 31: Treppenhaus Ruhr Museum, Quelle: Aufnahme der Verfasserin. Abb. 32: Treppenhaus Ruhr Museum, Quelle: Aufnahme der Verfasserin. Abb. 33: Treppenhaus Ruhr Museum, Quelle: Aufnahme der Verfasserin. Abb. 34: Abteilung „Zeitzeichen“ in der Dauerausstellung des Ruhr Museums, Quelle: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Ruhr Museum. Natur, Kultur, Geschichte, Essen 2010, S. 160. Bildnachweis: Rainer Rothenberg / Ruhr Museum. Für alle Abbildungen wurden intensive Recherchen zur Ermittlung der Bildrechte unternommen. Sofern die Inhaber*innen der Bildrechte zu ermitteln waren, sind sie hier angegeben.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen Archiv im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets (AHGR) Bochum AHGR, Bochum, IBA 47 B. AHGR, Bochum, IBA 117A. AHGR, Bochum, IBA 123A. AHGR, Bochum, IBA 124 A. AHGR, Bochum, IBA 216 A. AHGR, Bochum, IBA 216 B. AHGR, Bochum, IBA 217 A. AHGR, Bochum, IBA 218 A. AHGR, Bochum, IBA 219 A. AHGR, Bochum, IBA 219 B. AHGR, Bochum, IBA 683 A.

LWL-Archivamt für Westfalen Archiv LWL, Best. 711/1198.

Stadt Dortmund Denkmalakte Zollern.

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